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Full text of "Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern 10.1914"

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Zeit ri 


-—  Betansgegeben von 
Th. von der Pfordten 


R. Regierungsrat, im R Bayer, 
Suastheinikertun get 


für Behtspflege 


in Bayern reiche 


Berlin ae 


10. Jahrgang 
1914 


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Zeitſchrift für Rechtspflege 


— ii ift — 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


Kgl. Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


— ——— ä6ͤ—ä — 


X. Jahrgang 1914. 


1914. 
München, Berlin und Leipzig. 
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 


Drud: Dr. F. P. Datte rer & Cie. (Inh. Arthur Selliet), München- F reiſing. 


0 — 


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Kr 


Bürgerliches Recht. 
Zivilprozeß. 


Freiwillige Gerichtsbarkeit. 
Strafrecht. 

. Staatsrecht. 
Verwaltungsrecht 
Juſtizverwaltung. 
Finanzweſen 
Allgemeines 


5 


. Handelsrecht. 
Gewerberecht 
. Gerichtsverfaſfung 

Zivilprozeß 

Konkursverfahren. San eigen 
Freiwillige Gerichtsbarkeit. Zwangserziehung 


Inhaltsverzeichnis zum Regiſter. 


1. Syſtematiſches Verzeichnis. 


A. Abhandlungen. 
Handelsrecht 


. Zwangs⸗ 


vollſtreckung 
Srunbiuchnefen 
Straſprozeß . 8 


B. Kleine Mitteilungen. 
Bürgerliches Recht 


. Handelsrecht 

Zivilprozeß. Zwangsvollſtredung 
Freiwillige Gerichtsbarkeit. 
Gerichtskoſten, n in : 
. Strafrecht 2 

. Strafprozeß 

Verwaltungsrecht 
Juſtizverwaltung . 


C. Rechtſprechung. 


Bürgerliches Recht 


A. Reichsrecht. 
a) Allgemeiner Teil f 
b) Recht der Schuldverhältniſſe 3 
1. Allgemeiner Teil 
2. Einzelne Schuber 
e) Sachenrecht IB . 
d) Familienrecht 
e) Erbrecht 
k) Einführungs⸗ und Vebergangerect 
B. Landesrecht a 
Sefelafreit 


140151 


Seite 


8. Grundbuchweſen ; XI 
9. Gerichtskoſten. Gebühren XII 
10. Strafrecht ; XII 
A. Reichsrecheht XI 
a) Strafgeſetzbuch XII 
b) Nebengeſetze XIII 
B. Landesrecht XIII 
11. Strafprozeß XIV 
12. Staatsrecht und Verwaltungsrecht XIV 
D. Geſetzgebung und Verwaltung. 
1. Geſetzgeberiſche n aus Anlaß des 
Krieges ; . XIV 
2. Bürgerliches Recht Ne XIV 
3. Handels-, Wechſel⸗ und ecetra XIV 
4. Zivilprozeß. XIV 
5. Strafrecht 8 XIV 
6. Gerichtsverfaſſung XIV 
7. Gebühren XIV 
8. Verſicherungsrecht XIV 
9. Kirchenrecht XV 
10. Staatsrecht und Verwaltung. XV 
11. Verkehrsweſen XV 
12. Militärverwaltung XV 
13. Juſtizverwaltung XV 
. Statiſtik XV 
15. Internationales Recht. XV 
E. Sprachecke. XV 
II. Alphabetiſches Verzeichnis XvI 
III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen. 
A. Reichsgeſetze XXIV 
B. Landesgeſetze . XXVIII 
C. Anhang XXIX 
IV. Verzeichnis der Mitarbeiter XXX 
V. Beſprochene Bücher und Zeitſchriften XXXI 


I. Syftematiſches Verzeichnis. 


(Die Zahlen bedeuten die Seiten.) 


1. Bürgerliches Recht. Handelsrecht. 


Die Haftung des Staates für Zingehörige des 
baveriſchen Heeres. Regierungsrat im Staats⸗ 
miniſterium der Juſtiz Theodor von der 
Pfordten 


Eigentum am Ueberbau. Amtsrichter Aug. Schmitt 
n München 


igentumßuerpättnifle beim Bau auf der Grenze. 
eichsgerichtsrat L. Buſch in Leipzig 


Zur Rechtſprechung über die Kommunmauern. 
Rechtsanwalt Dr. Georg Nützel in München 


Die drei Hauptfragen des Kommunmauerrechts. 
Juſtizrat Rechtsanwalt Dr. Karl Buhmann 


in München 197, 223 
. und Ablöſung der neurechtlichen 
chener Gemeinſchaftsmauer. Landgerichts⸗ 
rat Heinrich Lieberich in München 237, 260, 290 
Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Verträge mit 
89. Automatenfirmen. Rechtsanwalt Dr. Otto 
Hipp in München 
Studien zur Rechtſprechung auf dem Gebiete des 
ternationalen Privatrechts. Dr. jur. Peter 
lein, Privatdozent an der Univerſität Königs⸗ 
berg i. Pr. 


Einfluß des Krieges auf Rechte und Verbindlich⸗ 
keiten des Bürgerlichen Rechts. Reichsgerichts⸗ 
rat Karl Mansfeld in Leipzig 349 

Wohnſitz, Wohnung und Geſchäftslokal der Militär: 
perſonen während des Krieges. Landgerichts⸗ 
rat Joſeph Schiedermair in München 

Die Novelle zum Handelsgeſetzbuche. Landgerichts⸗ 
rat A. Bedall in München 365 

Umwandlung einer Geſellſchaft mit beſchränkter 

aftung in eine Aktiengeſellſchaft. Dr. Hermann 
ein, Notariatspraktikant in München 

Unwirkſamkeit und Nichtigkeit des Rechtsgeſchäfts. 
Oberlandesgerichtsrat Dr. Wilhelm Silber» 
ſchmidt in Zweibrücken 133, 

Iſt die Hypothek auf einem im Miteigentume nach 
Bruchteilen ſtehenden Grundſtücke eine Geſamt⸗ 
hypothek? Amtsrichter Dr. Emil Höchſtädter 
in München 

Die zwangsweiſe Verwaltung auf Grund des 
8 1a BGB. Rechtsanwalt Dr. Fritz Rockſtroh 
in Berlin 


7 
58 
157 
179 


225 


313 


3593 


417 


160 


92 


118 


2. Zivilprozeß. Konkursverfahren. Zwangsvollitredung. 


Sind verkündete amtsgerichtliche Beſchlüſſe im 
Parteibetrieb oder von Amts wegen zuzuſtellen? 
Amtsrichter Hans Dittrich in München 

Sind in dem Verfahren vor den Amtsgerichten 
verkündete Beſchlüſſe des Gerichts von Amts 


37 


A. Abhandlungen. 


wegen zuzuſtellen? Profeſſor, Kgl. Geheimer Rat 


Dr. L. v. Seuffert in München 57 


| Die Zuſtellung von Beſchlüſſen im amtsgericht- 


| 


) 


| Erläuterungen 


lichen Verfahren. Rechtsanwalt am Kammer: 
gericht Dr. Richard Kann in Berlin 
Beitreibung von Wechſelforderungen. Landgerichts⸗ 
rat Dr. Albert Bittinger in München 
Bargebotserhöhungen. Amtsrichter Hans Ditt⸗ 
rich in München 242, 264 
Das Aufrechnungsrecht des Erſtehers im Zwangs⸗ 
verſteigerungsverfahren. Rechtsanwalt Richard 
Berolzheimer in München 
Die Berechnung des pfändbaren Gehaltes oder 
Lohnes (8 850 ZPO., 88 1. 3, 4 Lohn BG.) 
Amtsrichter Dr. Hermann Stepp in Nürnberg 401 
zam Geſetze vom 4 Auguſt 1914, betr. 
den Schutz der infolge des Krieges an Wabr⸗ 
nehmung ihrer Rechte behinderten Perſonen. 
Reichsgerichtsrat Karl Mansfeld in Leipzig 333 
Die Zwangsverſteigerung aus dem ne und 
dem persönlichen Vollſtreckungstitel. Amtsrichter 
Dr. Wilhelm Kriener in Landshut 439 


3. Freiwillige Gerichtsbarkeit. Grund buchweſen. 


113 
203 


379 


Zur Frage der Unterichriitäbeglaubigung nach 


bayeriſchem Notariatsrechte. Reichsgerichts rat 


Gottfried Schmitt in Leipzig 

Bayeriſche Eigenarten im Vormundſchaftsweſen. 
Amtsrichter Matthias Mayr in München 

Zu 8 22 Abſ. 2 der Grundbuchordnung. Land⸗ 
gerichtspräſident Eugen Krafft in Landshut 

Prüfungspflicht des Regiſterrichters in Geſchmacks⸗ 
muſterſachen. Oberamtsrichter Franz Simon 
in Augsburg 137, 164, 

Rechtskräftige Urteile und Rechtswidrigkeiten der 
Beteiligten im Verfahren der freiwilligen Ges 
richtsbarkeit. Rechtsanwalt Dr. Eugen Joſef 
in Freiburg i. Br. 


4. Strafrecht. Strafprozeß. 
Konkurrenz von Preßdelikten. Rechtskraftfragen. 
Zur Auslegung der 88 73 StGB. und 415 St; O. 
Profeſſor Dr. Friedrich Oetker in Würzburg 
Rechtspflege und Irrenfürſorge (Mit 4 bildlichen 
Darſtellungen). Direktor der Heil- und Pflege⸗ 
anjtalt Dr. Guſtav Kolb in Erlangen 
Ueber Strafvollſtreckung. Amtsrichter Edmund 
Fumian in Straubing 114, 
Der Vorentwurf zu einem Strafvollzugsgeſetz. 
Miniſterialrat Dr. Karl Meyer in München 
Verleſung von Schriftſtücken Verſtorbener im 
Strafverfahren. Reichsgerichtsrat Valentin 
Grimm in Leipzig 


35 
81 


— — 000000700 


Verleſung der Aussagen von Kriegsteilnehmern 
(8.250 StPO.). Oberlandesgerichtsrat Neu⸗ 
miller in München 


Zur Auslegung des Art. 92 Ziff. 1 des bayeriſchen 
Forſtgeſetzes. Sd Auguſt Mayer 

in Memmingen 

Das Geſetz gegen den Verrat militäriſcher Geheim⸗ 
niſſe. I. Staatsanwalt Hahn in München 336, 

Zur Bildung von Geſamtſtrafen. Landgerichtsrat 
Dr. Jakob Keßler in München 

Idealkonkurrenz und Aenderung der Strafklage im 
Standrecht. I. Staatsanwalt A. Zeiler in 
Zweibrücken 


5. Staatsrecht. 


Straferlaß und Strafmilderung im Dienſtſtraf⸗ 
verfahren des bayeriſchen Deamtengejebed. Ober: 
poſtinſpektor Korzendorfer in 


Straferlaß und Strafmilderung im Dienſtſtraf⸗ 
verfahren des baveriſchen Deamtengejebe. Mini- 
ſterialrat Dr. Max Reindl in München 

Der Einfluß des Krieges auf die Wählbarkeit jn 
Gemeindeämtern. Juſtizrat Dr. M. Mayer in 
Frankenthal 

Ein Beitrag 75 Auslegung des bayeriſchen Fidei⸗ 
bommißedi ts. Rechtsanwalt Link in Würz⸗ 

urg 


I. Syſtematiſches Verzeichnis. 


egensburg 201 
217 


414 


6. Verwaltungsrecht. 


Der Ueberweiſungs⸗ und Scheckverkehr der Poſt. 
393 Poſtrat im Kgl. Babe, Verkehre eat 
| Dr. Arthur Niggl 
317 7. Juſtizverwaltung. 
350 Die neuen Vorſchriften für die Behandlung der 


amts- und ſchöffengerichtlichen Strafſachen und 
die neuen Dienſtvorſchriften für die Amtsanwälte. 


376 | Landgerichtsrat Emanuel Habel in München 


u 


12 


8. Finanzwesen. 


Geenen beim Erwerb eines Geſell⸗ 

ſchaftsgrundſtückes durch einen Geſellſchaſter. 

Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Eßlinger in 

| Münden 

| Amneftie und Koftenvorfchu len: der Rechte 
Dr. Hermann Rehm in Straßburg i. E. 


61 
413 


9. Allgemeines. 


Senatspräſident von Payr. Ein Nachru 
Dam Oberſten Landesgerichte Georg Ma 
München 


Reichsgerichtsrat a. D. Ernſt von 
| Nachruf. Senatspräſident des 
395 Chriſtian v. Kolb in Leipzig 


. Rat 
ler in 


neider. Ein 
eichsgerichts 
257 


B. Kleine Mitteilungen. 


1. Bürgerliches Recht. 

Der ſogenannte 1500 Mark⸗Vertrag. Rechtsanwalt 
Dr. det in Aſchaffenburg 
Ueber die Gültipteit von ſogenannten Schein⸗ 

abtretungen. Rechtsanwalt 
Hirſchberg i. Schl. 
aftung für unrichtige Angaben im Handelsteil 
Ye den e nn Riß in 
Uünden 


Eine Srape aus dem Pflegſchaftsrecht. Rechts⸗ 
anwalt Dr. Werner in Bamberg 

Die Zertrümmerung der im Zwangswege erwor⸗ 
benen Landanweſen durch Güterhändler. Amts⸗ 
richter Dr. Zeitler in München 

Zum dieren Geck rer an gggeſeh Oberlandes⸗ 
gerichtsrat Gechter in Bamberg 

Wirkt die Zahlungsfriſt des 8 1 der Bekannt⸗ 
machung vom 7. Auguft 1914 auch zugunſten 
des Bürgen. Kann dieſer die Einrede der 
Vorausklage erheben? Rechtsanwalt Dr. Flierl 
in Nürnberg 


2. Handelsrecht. 

Zur Ausführung der Verträge der Kreiſe Unter⸗ 
franken und Oberfranken mit den Ueberlands⸗ 
Elektrizitäts⸗Zentral⸗Aktiengeſellſchaften. Hof⸗ 
rat, Rechtsanwalt Dr. Full in Würzburg 

Der 8243 HGB bei der gemiſchten wirtſchaftlichen 
Unternehmung. Geh. Juſtizrat, Rechtsanwalt Dr. 
Full in Würzburg 


3. Zivilprozeß. Zwangsvollſtreckung. 
Welcher Gerichtsſchreiber iſt zuſtändig zur Ent⸗ 
pegennaßme der nach 8 911 380 vorzu⸗ 
chießenden Haft⸗ und Verpflegungskoſten? 
Amtsrichter Dr. Stepp in Nürnberg 


Form des Schuldnerverzeichniſſes nach 8 915 
383 Rechtsanwalt Levinger in Munchen 


r. Pfeiffer in 
166 


340 O ßehaltungsrechts trotz Unguläffigteit der u. 


| Sind verkündete amtsgerichtliche Beſchlüſſe im 
Parteibetrieb oder von Amts wegen zuzuſtellen ? 
Amtsrichter Dittrich in München 


Buläſſigkeit der Widerklage trotz Unzuläſſigkeit der 

| ne Rechtsanwalt Di. 805 lin in 
Nürnberg 204 

Zuläſſigkeit der Widerklage trotz Unzuläſſigkeit der 
Aufrechnung? Rechtsanwalt Dr. Fürnrohr 
in München 


Zuläſſigkeit der Widerklage und des Zu 


18 167 


188 251 


rück⸗ 


r. Berlin in Nürn⸗ 


Rechtsanwalt 
424 


rechnung 
berg 


96 | 
Anwendbarkeit des 8 930 Abi. 3 ZPO. bei Ver⸗ 
äußerung gepfändeter Sachen? Wie find feine 


= Vorausſetzungen darzutun? Rechtsanwalt Dr. 
Leſſer in Poſen 269 
Einiges über Vollſtreckungsklauſeln der Notare. 
Amtsrichter Dittrich in München 321 
442 


Antragſteller und Hauptſache bei der einſtweiligen 
Verfügung. Rechtsanwalt Landau in Nürn⸗ 


berg 


wiſchenſtreit über den Vollzu 
8 840 Juſtizrat Hofrat Dr. Ful 
in Würzburg 


Zwangsvollſtreckung auf Grund gemeindlicher Aus⸗ 


ſtandsverzeichniſſe. Oberamtsrichter Schmitt 
in Klingenberg 268 


381 


der Wandlung. 
„Rechtsanwalt 


17 


166 


4. Freiwillige Gerichtsbarkeit. 


Zuſtändigkeit zur Behandlung des Nachlaſſes eines 
in Deutſchland verſtorbenen, aber im Gebiete 
eines Gerichtskonſuls wohnhaften Deutſchen. 
Rechtspraktikant Werner in München 122 


19 


41 


VI 


5. Serichtskoſten, Gebühren, Stempel. 
St = Verweiſungsbeſchluß des 8697 ZPO. na 
6 GKG. gebührenpflichtig? 8 3 
u des Wertes von Anweſen, die Sa 
bebaut und teilweiſe unbebaut ſind, im Hinblick 
auf die Stempelbefreiun W Ba Tarif 11 letzter 
Abſatz der Spalte 2 des Reichsſtempelgeſetzes 


Zu Art. 9 Abſ. 1 Ziff. 2 Geb. Amtsrichter 
Diemayr in München 


6. Strafrecht. 
. zu einem Reichsgeſetze über den Voll⸗ 


der Freiheitsſtrafen und ſichernden Naß. 
10 men. Strafanſtaltsdirektor Leybold 
Landsberg 


Die Vollſtreckung von Freiheitsſtrafen an der 


Stelle uneinbringlicher Reſtbeträge von Geld⸗ 
Kae Amtsgerichtsdirektor Tiſch in Neuftadt 


122 


121 

Zu 8 264 a StGB. Landgerichtsrat Hagen in 
Kempten 

Kann dem amtlichen Vor eiehten (8 196 StGB.) 
die un zur Veröffentlichung nach 8 200 
au 1 StGB zuge ſprochen werden? Amts⸗ 
ger chtsdirektor iſch in Neuſtadt a. d. H. 


Eine ne grumbfäßliche Entiebeibung zu 8 136 StGB. 
taatsanwalt v. Valta in Paſſau 
5 Berichtigu e des Minderjährigen 
nach dem 18 geſetz. Segel ff der Beteiligung 
i. S. des 8 11 des Preß Rechtsanwalt Dr. 
Siegel in München 


7. Strafprozeß. 


Die vorläufige Einſtellung nach 8 208 StPO. 
II. Staatsanwalt Reuß in Augsburg 


297 


355 


— zu e — — — 


Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für ür Rechtspflege ir in Bayern. 


1914. 


e des Vollzugs unge en Strafen 
durch richterliche Entſcheidung. I. Staatsanwalt 
Weber in Landshut 


Hinderung des Vollzugs ungeſetzlicher Strafen 
durch richterliche ntſcheidung. Rechtskundiger 
Hilfsarbeiter Cammerer im Staatsminiſte⸗ 
rium der Juſtiz in München 


298 
Unerwünſchte Nebenwirkung einer Polizeivor⸗ 
ſchrift. Landgerichtsrat Hümmer in München 206 


Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens 
wegen Unzuſtändigkeit des Gerichts. II. Staats⸗ 
anwalt und Privatdozent Dr. Doerr in München 228 


Vertreter und Beiſtände beim Sübnetermin in 
Beleidigungsſachen. Dr. Bolthardt, Leiter 
des ſtädtiſchen achrichtenamts in Nürnberg 339 
Die Wiederaufnahme des Strafbefehlsverfahrens. 
Amtsrichter Hahmann in München 404 
Berechnung der Strafzeit, wenn der Verurteilte 


uf Grund des 9 489 StPO. verhaftet wurde. 
Amtsrichter Dr. Käb in Neumarkt i. O. 


Iſt 8 207 Abſ. 2 StPO. auch bei Strafbefehls⸗ 
anträgen anzuwenden? II. Staatsanwalt v. 
Valta in Paſſau 442 


8. Verwaltungsrecht. 
Ueber die polizeiliche Genehmigung ſtehender 


Fichtdpielt eater in Bayern. Gerichtsaſſeſſor 
Hellwig in Berlin⸗Friedenau 97 


9. Juſtizverwaltung. 


N | Die Verhältniſſe der baveriſchen Notariatsgehilfen. 


Miniſterialrat Schmitt in München 


C. Rechtſprechung. 


RG. bedeutet a, Obs. = Oberſtes Landesgericht, OLG. = Oberlandesgericht, LG. — Landgericht. 


BGH. = Verwaltungsgerichtshof, GK. = 


1. Bürgerliches Recht. 
A. Neichsrecht. 


a) Allgemeiner Teil. 


Verſchwendung i. S. des 86 Nr. 2 BGB. kann 
auch dann 5 wenn ſich jemand durch 
nachläſſige Wirtſchaft der IRA der Ver⸗ 
armung ausſetzt, ohne übermäßige Ausgaben 
zu machen. RG. 325 

Ausſchließung aus einem Aerzteverein; der Aus⸗ 
Nee kann mit dem Antrage klagen, den 
Ausſchließungsbeſchluß für unwirkſam zu er« 
klären, auch wenn er vor der Ausſchließung 
jeinei Austritt erklärt hat. Wann veritößt das 
og. Verkehrsverbot gegen die guten Sitten? RG. 207 


Ausſchließung des Mitglieds eines eingetragenen 
Vereins. Zuſtändigkeit der Hauptverſammlung 
oder des Schiedsgerichts. Rechtsungültigkeit des 
Ausſchließungsbeſchluſſes wegen eines Mangels 
des Verfahrens (85 133, 157, 32 ff. Al 55 ff. BGB.). 

OLG. Nürnberg 

Findet gegen die Ablehnung der Eintragung eines 
wirtſchaftlichen Vereins die ſofortige den Vor— 
ſchriſten der ZPO. folgende Beſchwerde nach 
§ 60 Abſ. 2 BGB. oder die einfache und un⸗ 
befriſtete Beſchwerde aus 8 19 8G. ſtatt? 
Sind die 88 28 und 199 FGG. Kenn ans 
wendbar? RG. 1 


110 


Gerichtshof für Kompetenzkonflikte. 


| Sind Tanks und a Beſtandteile eines 
Brauereigrundſtücks? RG. 


Verbindung von Gegenſtänden mit einem Grund⸗ 
ſtücke durch den 1 „Vorübergehender 
Zweck“ i. S. des 8 95 BGB. RG. 

Anwendung des 8 104 Nr. 2 BGB. auf einen 

Geiſteskranken mit „lichten ee 41 

Formbedürftigkeit von Verträgen zugunſten Dritter; 
iſt ein Vertrag formbedürftig, durch den Ge⸗ 
ſchkwiſter ſich verpflichten, ihrer Mutter mit 

Rückſicht auf ihre Bedürftigkeit eine monatliche 
Rente zu zahlen? Zum Begriffe des Leibrenten⸗ 
verſprechens. RG. 358 

Schon die Möglichkeit der Häufung der Vertrags⸗ 
| ſtrafen kann den Vertrag als ſittenwidrig er- 

ſcheinen laſſen. RG. 

Sittenwidriger, 

Agenturvertrag 
Verſtößt gegen die guten Sitten, wer einem 

anderen Mittel zum Spiel gewährt? RG. 148 
eee Einwirkung einer Partei auf den 
Eintritt einer Bedingung (8 162 BGB.); kann 
eine ſolche Einwirkung darin erblickt werden, 
daß eine Partei nichts unternimmt um die un⸗ 
richtige Entſcheidung einer Behörde zu beſeitigen? 


99 


weil Beſtechung vorſehender 
RG. 168 


Anerkennung des Anſpruchs i. S. des 8 208 BGB. 
90 RG. 


b) Recht der Shuldverbältnifie. 
1. Allgemeiner Teil. 


Beſtehen des Vertragsverbältniſſes trotz ver⸗ 
weigerter Vollziehung des eee 


Zum Schadensbegriff i. S. des 8 249 BGB.; 
Schadenserſatzpflicht wegen Nichterfüllung der 
die uren im Falle der Zwangsverſteigerung 

die Forderung eines Hypothekgläubigers u. 


I. Syſtematiſches Verzeichnis. 


VII 


den Kaufvertrag (88 462 ff., 346 ff., 269 BGB., 

898 29 ZPO.). OLG. Nürnberg 77 

Der „Selbitloftenpreiß" iſt keine 5 eines 
Grundſtücks RG. 167 


Bei en Verkauf eines Grundſtücks kann der Ver⸗ 
kläufer aus der Zuſicherung eines beſtimmten 
| n nr Umſtänden auch dann in 

Yen ch genommen werden, wenn die Zuſiche⸗ 
rung nur mündlich erfolgt und in dem no⸗ 


tariellen Vertrag die Gewährleiſtung für einen 


zubieten. G. 445 beſtimmten Flächeninhalt aus 4 
geſchloſſen iſt. RG. 42 
W eee eee a Bird ein me wegen Formmangels 8 nictigeß Scen- 
Ze une des Reiſenden, der fich beim Gehen Abf. 28 288 . 1 lig da daß der S denkende 
BGB. dadurch gültig, daß ch 
u Den 1 8 anden ſeſthalt der Eiſenbahnfahrt 900 1 191 0 ee 2 
als Darlehen zu ſchulden bekenn ie ver⸗ 
eng bei beiderſeits e 118 a ſich er Schuld, we . 0 Begrün⸗ 
möglichkei ung einer Schuld, wenn der Gläubiger ſeinen 
Kann ſich der wegen unrichtiger Auskunft über Anſpruch auf ein ſchriftliches Darlehensbekennt⸗ 
Grundbuchverhältniſſe haftbar gemachte Notar nis ſtützt und zugibt, kein Darleben gegeben zu 
auf ein Mitverſchulden des Verletzten berufen, haben ? RG. 169 
wenn dieſer eine Benachrichtigung des Grund⸗ Schenkung von Todes wegen an die Ehefrau. Was 
buchamts nicht geprüft hat RG. 43 iſt . der Schenkung, wenn der Mann 
Mißbräuchliche Benutzung eines Kraftwagens ge⸗ ein Grundſtück für ſich kauft, es aber unmittelbar 
legentlich der Ausbeſſerung; Gehilienbaftung der Frau aufgelaſſen wird? Widerruf ber 
(8 778 BGB.) SLG. München 109 1 f. alle 5. groben Wan Be l 
alle de iderru er Rückgabe⸗ 
m u e deſſen, er 8 1 eu des Mannes? RG. 125 


Wann hört der Gläubigerverzug auf? RG. 


Beſtimmbarkeit der Leiſtung beim ne Re 


(83 313, 315 BGB.). 


Es kann vereinbart werden, daß der . 
des Rechts auf die Vertragsſtrafe bei der 
füllungsannahme nicht erforderlich ſein ſoll. RG. 


Der Antrag, die Vertragsſtrafe zu ermäßigen, 


. nicht den Grund des Anſpruchs, e 
RG. 426 


n Betrag. 


. wand einer prozeſſualen Sicherheit in eine 
2 BOB. RG. 148 


Hinterlegung nach 8 372 


Zu 88 398 und 185 BGB., 8 43 KO. Iſt die Ab⸗ 
a aller, auch der künftigen Forderungen 
einer beſtimmten Perſon wirkſam? Wie, wenn 
der Abtretende berechtigt ſein ſoll, dieſe Forde⸗ 
rungen ſelbſt für ſich einzuziehen und in ſeinem 
Geſchäftsbetriebe zu verwenden gegen die Ver⸗ 
pflichtung, dem Abtretungsempfänger monatlich 
ein genaus Verzeichnis der Forderun na zu über⸗ 
ſenden? Ausſonderungsrecht des Abtretungs⸗ 


empfängers im Konkurſe des Abtretenden? RG. 444 


Iſt der 8 406 BGB. anwendbar, wenn im Ver: 
i der Zwangsverſteigerung die 
Forderung gegen den Erſteher auf die Gläubiger 
übertragen wird? RG. 

Zu 88 426 Abſ. 1 und 774 Abſ. 2 BGB. Geſamt⸗ 
ſchuldneriſche Verbürgung der Geſellſchafter 
einer G. m. b. H. oder eines Teiles von ihnen 
1 ein der Geſellſchaft gewährtes Darlehen; 

welchen Anteilen haften die Bürgen in 
eſem Fall untereinander? RG. 

RG. 


5 des 8 427 BGB. 


2. Einzelne Schuldverhältniſſe. 


Uebernimmt bei einem Kaufvertrage der Käufer 
die Zuwachs ſteuer ganz oder zum Teile, fo erhöht 
ſich der Kaufpreis, aus dem Gebühren und Zu⸗ 
wachsſteuer zu entrichten ſind, um die über⸗ 
nommene Zuwachsſteuer (Zuw StG. 88 1, 24, 29; 
BGB. 8 449; GebG. Art. 186 Abſ. 2). Obs. 

Erfüllungsort für den Wandelungsanſpruch des 
Käufers; Vereinbarung des Gerichtsſtands für 


425 


Mietvertrag ohne ziffermäßige Feſtſetzung des 
> RO. 169 


Mietzinſes. 
Anfechtung des Mietvertrags wegen argliſtiger 
Täuſchung. Offenbarungspflicht des . a 


Haftung aus dem Mietvertrage. RG. 444 
Haftung der Wirtsfrau, die eine Kegelbahn ver⸗ 
mietet, für Unfälle infolge eines Mangels des 
Bretterbelags. Mitverſchulden des kegelnden 
Gaſtes. ithaftung des Ehemanns der Ver⸗ 
mieterin. RG. 
Haftung des Vermieters für einen Unfall des 
Mieters infolge Eisbildung auf dem bei ſtarker 
Kälte naß aufgewiſchten Treppenlinoleum. RG. 101 
n des Hausverkehrs durch Geräte ai 
n Treppen. RG. 300 
Un an der Ueberwachungspflicht des Hauseigen⸗ 
tümers, der ſein Haus im ganzen vermietet hat. 


G. 
Schadenserſatzanſpruch des durch dienſtliche Ueber⸗ 
laſtung in ſeiner Geſundheit geſchädigten Be⸗ 
amten. RG. 
Der „wichtige Grund“ zu friſtloſer Kündigung 
des Dienſtverhältniſſes. RG. 271 
103 Vertragshaftung wegen Unfalls des Kurgaſtes 
| durch glatten Fußboden im Kurhauſe. RG. 230 
Anforderungen an die Beleuchtung bei einer klein⸗ 
ſtädtiſchen Gaſtwirtſchaft. RG. 
| Haftet der Wirt für Verkehrsſicherheit der dem 
Verkehr nicht freigegebenen Nebenräume? RG. 426 
Vertrag mit dem Rechtsanwalt als Werkvertrag; 
Emrede der Wandlung. RG. 229 
Rücktritt vom Werkvertrage wegen wiſſentlich un⸗ 
wahrer Angaben des Unternehmers. RG. 168 
e der Widerruflichkeit des Mäkler⸗ 
| auftrag RG. 
| Kenntnis des Geſchäftsherrn von der Mäklertätig— 
keit als Vorausſetzung für den Mäklerlohn⸗ 
an ſpruch. RG. 384 
Bürgſchaft gegenüber einer Firma. RG. 252 
Schriftſorm der Bürgſchaftserklärung; Hauptver— 
bindlichkeit als Vorausſetzung der Bürgſchaft: 


100 


42 


100 


— nn ͤ eöD—y—y— 8 — — —R³—̈g — — 
— — J—— 


191 


nn 


Ge ng der urſprünglichen e 
keit durch eine andere (88 765, 766 BG 
OLG. Senden 
Die an! e Veräußerung eines Grundſtücks 
oder des Anſpruchs su Auflaſſung des Grund» 
tücks u der Abſicht, das Grundſtück dem Zu⸗ 
G riffe der Gläubiger 15. en 8 iſt nicht auf 
rund der 88 134, 138 BGB. wegen Verſtoßes 
gegen ein geſetzliches Verbot oder gegen die 
19 0 Sitten nichtig, kann aber als ein gegen 
en u 99 0 verſtoßendes Geſchäft i. S 
817 BGB. angeſehen werden; kann der 
Veräußerer ar der Vorſchrift in 8 817 Satz 2 
die Rückübertragung des Grundſtücks wen 


431 


G. 300 


Aufftellung gefährlicher Anlagen. RG. 


Haftung der Gemeinde für Verkehrsſicherheit bei 
Straßenarbeiten. RG. 
auiprüge we ar Erteilung einer unrichtigen Aus⸗ 
Klage auf Unterlaſſung ſetzt die 

Ge 185 nicht nur die Möglichkeit einer Wieder⸗ 
bolung voraus. 2 Anwendung des 8 826 BGB. 
in einem Falle, wo die Auskunft aus 185 
läſſigkeit falſch erteilt worden iſt. RG. 
Beamtenhaftung des Notars, der die Erfüllung 
ihm perſönlich obliegender Pflichten ſeinem 
Sekretär überlaſſen hat. RG. 
Zu 8 839 BGB., Art. 126 Not GG.; baftet der 
Notar gelbſt dem G Geſchädigten, wenn er eine 
amtliche Haftung für den grundbuchamtlichen 
Vollzug einer unvollziehbaren Urkunde über⸗ 
nommen bat? Ob“ G. 
Liegt eine Verletzun ung der Amtspflicht „bei einem 
rteil in einer Rechtsſache“ vor, wenn der 
Richter die i en des Verſäumnis⸗ 
urteils nicht mit der erforderlichen e 


prüft? 

Verletzung der ‚gürlongeptiict der dienſtberech⸗ 
tigten öffentlich⸗ rechtlichen Körperſchaft durch 
den ſatzungsmäßig berufenen Vertreter. 

Kein ee eee der 
auf einer Eisbahn tödlich 
den Unternehmer. 


c) Sachenrecht. 


Können Rückprall des Regens und Winddruck als 
Einwirkung vom Nachbargrundſtück aus gelten? 


interbliebenen des 
erunglückten gegen 
RG. 


253 
149 


67 


101 


447 


43 


RG. 170 
88 906, 1004 BGB.; 8 26 GewO. Haftung des 


Eiſenbahnfiskus für Brandſchaden infolge 
Funkenwurfs. LG. München I 


Vertragsmäßiges „Grenz⸗, An⸗ und Aufbaurecht“; 
wofür und von wem wird die Entſchädigung 
geſchuldet, die im Falle des Anbauens entrichtet 
werden ſoll? Abtretbarkeit der Entſchädigungs⸗ 
e Konkurseröffnung, Zwangsverſteige⸗ 

ng a und Zwangsvergleich bei dem Anbauenden 

Jen ollendung des Anbaues. OLG. Nürnberg 


Vorausſetzungen des Anſpruchs auf den Rand 
N 


Wann gebt auf den Bauherrn das Eigentum an 
Bauteilen über, die der Bauhandwerker in einen 
Neubau liefert? RG. 


Vormerkung für einen Anſpruch auf Hypothek: 
beſtellung aus einem Vertrage zugunſten Dr 1 85 
( 


Bezeichnung der Forderung bei der Hypothek— 
beſtellung; gehört dazu unter allen Umſtänden 
die Angabe des Schuldners und des Schuld- 
grundes? Wirkungen einer ungenügenden Be— 
zeichnung; abſtrakte Verhindlichkeiten genügen 
als Grundlage für eine Hypothek. RG. 


110 


Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


RG. 270 


301 


1914. 


Zu 88 1150, 268 Abſ. 1 und 880 Abſ. 5 BGB.; 
Ausübung des e durch den In⸗ 
haber eines Rechtes, das im Range zwiſchen 
mehreren Hypotheken des ee ver⸗ 
langenden Gläubigers ftebt; der Auslöſende 
bat bei der Verteilung des bar zu zahlenden 
Verſteigerungserlöſes fur die Beträge an Zinſen 
und Koſten, die er als nunmehriger Gläubiger 
der ſeinem Rechte vorgehenden Hypotheken zu 
fordern hat, Anſpruch auf Befriedi gung im Range 
vor der dem urſprünglichen Gläubiger ver⸗ 
bliebenen Hypothek, mögen die Hypotheken auch 

ür die gleiche Forderung beſtellt und ihnen 
e ſich gleicher Rang eingeräumt geweſen ſein. 


Kann bei Abtretung einer 1 pothek Der neue 
Gläubiger den bisherigen auf Verſchaffun 
in den Händen eines Dritten befindlichen 15 
thekenbriefes verklagen, nachdem er den Anſpruch 
gegen den Dritten auf Herausgabe des Briefes 
hat pfänden und ſich aur Einziehung überweiſen 
laſſen? Kann er dem bisherigen Gläubiger im 
Prozeß eine Friſt nach 8 283 BGB. ſetzen und 
in welcher Höhe kann er nach Ablauf der rt 
Schadenerſatz beanſpruchen? 


Höchſtbetragshypothek für den Ausfall bei 55 
anderen 


Verpfändung einer Hypothek; Forderung von Hypo⸗ 
thekzinſen durch den Pfandgläubiger; Einwen⸗ 
dungen gegenüber ſeiner dinglichen und ſeiner 


1289 


d) Familienrecht. 


Zu 88 1298, 1300 BGB.: Der Schadenserſatzklage 
wegen Bruchs des Verlöbniſſes kann der be⸗ 
klagte Teil nicht mit dem Einwande begegnen, 
daß das Verhalten des klagenden Teiles nach 
dem Rücktritt, insbeſondere im Prozeß, den 
Rücktritt rechtfertige, oder daß er jetzt wieder 
zur Eheſchließung mit dem klagenden Teile 
bereit ſei. RG. 


Das a nach 8 1477 Abſ. 2 BGB. 
gehört zum Nachlaß und kann deshalb von dem 
Teſtamentsvollſtrecker ausgeübt werden. 2. Stel⸗ 
lung des Teſtamentsvollſtreckers bei der Aus⸗ 
einanderſetzung des Geſamtguts 3. Das Ueber⸗ 
nahmerecht kann ſchon vor der Tilgung der Ge⸗ 
ſamtgutsverbindlichkeiten und der Teilung aus⸗ 
geübt werden, wenn andere Geſamtgutsgegen⸗ 
ſtände zur Verſilberung zur Verfügung ſtehen 
und ihr Erlös zur Deckung der Geſamtguts— 
verbindlichkeiten ohne Zweifel treibt 

Kann eine Zuſtimmung i. ©. des 8 1565 Abſ. 2 

BGB. dann angenommen werden, wenn der 

eine Gatte den Ehebruch des andern gewünſcht 

und herbeigeführt bat, um einen Grund zur 

Scheidung zu haben? RG. 


Wann hat die Zuſtimmung, zum Ehebruch 1989 
zurückgenommen zu gelten? 


Berufung des Ehegatten auf guten . im 
Falle des 8 1567 Abſ. 2 Nr. 1 BGB. RG. 


Nichtigkeit einer Vereinbarung zwiſchen Ehegatten, 
wonach die Frau auf ihren Unterhaltsanſpruch 
verzichtet, wogegen der Mann ſich verpflichtet, 
ihr einen Grund zur Scheidung zu geben. Kann 
die Frau trotz des Verzichts von dem Manne 
Unterhalt beanſpruchen, nachdem dieſer verein— 
barungsgemäß durch ſein Verhalten die Schei— 

sung ermöglicht hat und für den ſchuldigen 

Teil erklärt worden iſt? Die exceptio doli 

generalis. 


— 


20 


G. 383 
ypothek oder Geſamthypothek? RG. 341 


perſönlichen Klage (85404, 405, 407, 1275, 1138, 
9 BGB.). RG. 405 


272 


RG. 273 


E 


192 


RG. 357 


I. Syſtematiſches Verzeichnis. 


Zu 8 1610 BGB.: Können bei der ie l 
des Unterbalts für ein minderjähriges Kind 
neben den Verhältniſſen des Vaters auch d 
der Großeltern berückſichtigt werden? RG. 342 


86080 5 des perſönlichen Verkehrs nach 8 1636 
durch das Vormundſchaftsgericht. Kann 

das Vormundſchaftsgericht die von dem Be⸗ 

ſchwerdegericht getroffene Regelung ſpäter ab⸗ 

ändern? Ob LG. 428 


Zu 5 1645 BGB.: Wann 
zum Beginn eines neuen 
verſagen 

Haftet der Vater eines minderjährigen 1 

ſen Kindes für die Gebühren und Auslagen 

in einem Rechtsſtreite des Kindes? (BGB. 
8 1654, GKG. 8 92). Ob LG. 154 
Zur Auslegung des 8 1666 BGB. Obe G. 254 
Mißbrauch des Fürſorgerechts (8 1666 BGB.). 
Ob G. 277 

Zu 8 1666 BGB.: Entziehung des Rechtes den 
Aufenthalt zu beſtimmen ſtatt der beantragten 
Entziehung der Sorge für die Perſon. ObL G. 388 

5 B. bebung von Maßregeln nach 0 5 


die Genehmigung 


Kann Jemand ſeinen Enkel, der ſein einziger ehe⸗ 
licher Abkömmling iſt, an Kindes Statt an⸗ 
nehmen? (8 1741 BGB.). Grundſätze I die 
Geſetzesauslegung. bLG. 409 

Vorausſetzungen für die Aufſtellung A Ab⸗ 
weſenheitspflegers (8 1911 BGB.). OLG. 305 


Notwendigkeit der ü een eines . 
pfleger3 für einen 1 enen, der nach d 

Lebensvermutung den Anfall einer Erbſchaſt 
erlebt hat, aber zur Zeit des Antrags auf Be⸗ 
ſtellung eines Abweſenheitspflegers als tot zu 
betrachten iſt. (88 1911, 18, 19, 1960 85 8 5 


e) Erbrecht. 


. des mit beſtimmten einzelnen Gegenſtänden 
Bedachten. che des gegenſtändlich be⸗ 
ſchränkten Erbſcheins a cht des GBA. 
hinſichtlich eines Erbſcheins. B. 8 
„2087, 2369; GBO. 8 30. be G. 26 
Bedeutung der eee Rechnung 
über die Auslagen und die Vergütung des 
Nachlaßverwalters, Zuſtändigkeit zu ihrer Ver⸗ 
beſcheidung und Verfahren hiebei. (BGB. 
88 1975, 1915, 1962, 1835, 1836, 1837, 1840 — 
1843, 1892, 1987; GF G. 88 20, 75). Ob“ G. 130 
Auslegung eines Teſtaments: die Bezeichnung 
einer Perſon als Erbe ſteht der Annahme nicht 
entgegen, daß ſie nur den e eee 
haben ſolle. 170 
Welche Bedeutung hat es, wenn der N in 
ſeinem Teſtamente beſtimmt, daß jeder Erbe 
auf den Pflichtteil geſetzt fein ſoll, der gegen eine 
Anordnung im 5 e gerichtliche Schritte 
unternehmen wird RG. 385 


Auslegung eines 25 und Erbvertrags, in dem 
Brautleute die allgemeine Gütergemeinſchaft 
vereinbarten und für den Fall ihres beider— 
ſeitigen kinderloſen Todes die Schweſter der 

au zur Erbin einſetzten, für den Fall des Vor⸗ 
ablebens des Mannes aber keine ausdrückliche 
Beſtimmung trafen. Wert des Beſchwerde⸗ 
er im Erbſcheinsverfahren. BSD, 
133). Ob“ G. 106 

Iſt 8 2094 BGB. anwendbar, wenn der Erblaſſer 
ſeine Frau und ein erwartetes Kind je zur 
Hälfte zu Erben einſetzt, das Kind aber tot 


Erwerbsgef un 185 418 


e wird? Kann eine Die letztwillige 
erfügung wegen Irrtums angefochten werden 
und was iſt die Folge der Anfechtung? RG. 126 


Pflicht des Teſtamentsvollſtreckers, Rechnung zu 
legen und den 1 eaberzuneeie zu leiſten. In⸗ 
wieweit erſtreckt ſich der Offenbarungseid 9200 
auf Ausgaben? 

u. datiertes eigenhändiges Teſtament. 25 231 


e Teſtament, das Lücken für ſpätere 
nordnungen läßt und bei dem die Unterſchrift 
auf einer leeren Seite ſteht. Beweislaſt. RG. 23 


Wann beginnt im Falle des 8 2306 BGB. die Aus⸗ 
ſchlagungsfriſt, wenn Zweifel über die Gültigkeit 
der letztwilligen Verfügung beſtehen ? G. 21 


Verteilung der Pflichtteilslaſt zwiſchen dem Erben 
und dem Vermächtnisnehmer. RG. 302 


f) Einführungs⸗ und Uebergangsrecht. 


W die ſog. 5 9 8 Schützengeſellſchaften 
n Bayern und die Stellung des San 
miſſariats. Ausſchließung von der Mitglied⸗ 
Keen Beſchreitung des Zivilrechtswegs. Zu⸗ 
tändigkeit der Generalverſammlung. Tages⸗ 
ordnung hierfür. Vorladung und Anhörung 
des auszuſchließenden Mitglieds. Begründung 
des e auf Ausſchließung und Mittei⸗ 
u an das Mitglied. Vorläufige Vollſtreck⸗ 
barkeit des Urteils (K. B. VO. vom 25. Auguſt 
1868, betr. eine allgem. Shübenorbrung, 88 25, 
32, 39 BGB., Art. 82, 163 EG. B B.; 83 709, 
710 3800). LG. Nürnberg 


Auslegung der us 83 und 84 UeG. in bezug 
auf eine durch den Tod der Ba aufgelöſte 
Gemeinſchaft des Zugewinſtes nach Bayer. LR. 
Berechnung der Gegenſtandsſumme eines 910 
ments nach Art. 111 Geb. Obe 


Zur sun altrechtlicher Ehe⸗ und 1 
ObLG. 


gu 55 28 Abſ. 1, 79 er 3 UeG. BGB, 8 2361 
BGB., 8 20 Einziehung eines Erbſcheins, 
der ein berwirktes Nutznießungsrecht des über⸗ 
lebenden i an den Erbteilen der Kinder 

anführt. Iſt der Konkursverwalter eines der 
Kinder und Erben berechtigt, die Verwirkung 
| 


410 


73 
276 


des Nutznießungsrechtes geltend zu machen, die 
N des Erbſcheins zu beantragen und 
gegen die Abweiſung des Antrags ſich zu be⸗ 
ſchweren? Wie wird die Verwirkung des Nutz⸗ 
nießungsrechts geltend gemacht? Ob LG. 387 


B. Landesrecht. 


Mae. hi einer Fährgerechtigkeit und 
der erechtigten gebührenden Reichniſſe. 
Zuſtändigkent der Gerichte, wenn über die 688 


nispflicht geſtritten wird. 29 


2. Handelsrecht. Geſellſchaftsrecht. 


Begriff des Kleingewerbes. ee  unan für 
die Annahme eines kaufmänniſchen? un Pe 
einem Fiſchhandelsgeſchäfte. (HGB. 85 2, 4; 

| ADHGB. Art. 4, 10). Dies 47 
Mehrere Firmen eines een e 58 1955 
| 


17, 18, 30, 50 Abſ. 3 46 


Unter welchen 1 kann ein 2 8 75 

geſchäftliches Unternehmen in ſeine Firma die 

e als graphiſche Kunſtanſtalt aufs 
nehmen ? Ob G 

| Zur Auslegung des 8 18 Abſ. 2 HGB.: Mißbräuch⸗ 

liche Verwendung der Bezeichnung „Fleiſch⸗ 

zentrale“. Ob LG. 388 


G. 254 


X Inhaltsverzeichnis d der Jeitſchrift t für Rechtspflege in! in Bayern. 1 


Kann ein Prokuriſt einer Aktiengeſellſchaft bei 
der Anmeldung der Erteilung einer Prokura 


zum Handelsregiſter mitwirken? (8 53 85 =; 


Muß ſich der lebenslänglich angeſtellte Hand⸗ 
lungsgehilſe die Deriesung an einen anderen 
Ort gefallen laſſen? RG. 


Umgehung des Wettbewerbsverbots. 


Wo befindet ſich die Hauptniederlaſſung einer 
Aktiengeſellſchaft? Kann eine ſolche mehrere 
Niederlaſſungen haben, von denen keine „ Ja 
niederlaſſung“ iſt? (S8 182, 50 Abſ. III 


88 335 f., 312 HGB,; ſtille Geſellſchaft 125 l 
lehensvertrag? Auch Sicherungsübereignung 
kann als „Rückgewähr“ angeſehen WEGE Bene 
HGB. trifft aber nur eine ſchon in das Ver⸗ 
mögen des Geſchäftsinhabers übergegangene 
Einlage, die an ſich dem Zugriff der Gläubiger 
ungehindert ofſenſtand und durch Herausnahme 
dem Geſchäft wieder entzogen wird. Wenn eine 
Einlage erſt nach der Sicherung erfolgt, ſo kann 
von einer Verſchlechterung des Vermögens⸗ 
ſtandes der Gläubiger überhaupt nicht die Rede 
ſein; eine Vereinbarung im 8 ellſchaftsvertrag 
ſelbſt fällt nicht unter 8 34 RG. 


Kann der ſtille Selten der Zweignieder⸗ 
laſſung eines Bankgeſchäfts das ihm zuſtehende 
Prüfungsrecht durch einen bevollmächtigten be⸗ 
ne Bücherreviſor ausüben laſſen? Erſtreckt 
ſich das Recht auch auf die zwiſ N der Haupt⸗ 


1914. 


RG. 192 


323 


und eee en gewechſelten Schrift⸗ 
ſtücke? (58 338, 1185668. 5716 808.) Ob“ G. 26 
Verſchwiegenheitspflicht des Bankiers. RG. 271 


Iſt ein Bankier verpflichtet, ſeinen Auftraggeber 
auf die wirtſchaftlichen Bedenken aufmerkſam 
zu machen, die „gegen die Ausführung des Auf⸗ 
trags fprechen ? RG 

Haftung der Eiſenbahn für ODE Transports 
verzögerung innerhalb der tarifmäßigen Liefer⸗ 
friſt (Art. 41 des internat. Uebereinkommens 
über den Eiſenbahnfrachtverkehr i. d. F. 

19. September 1906, 8 466 B.) 


vom 


Form eines Vertrags, der die Verpflichtung zur 
Abnahme von Geſchäftsanteilen einer G. m. b. H. 
enthält. 

Wiederherſtellung des gelöſchten ung einer 
durch Konkurs aufgelöſten G. m. b. H. Dauer und 


LG. Zweibrücken 281 


RG. 407 


Aufgaben des Liquidationsverfahrens. Ob“ G. 173 


3. Gewerberecht. 


Das Schankrecht der Bierbrauer nach Art. 9 lit. b 
Ziff. 1 des bayer. GewG. v. 30. n as 


Anwendbarkeit des 826 GewO. auf Anlagen, die 


49 


vor dem Inkrafttreten der GewO. eee 
RG. 253 


genehmigt worden ſind. 

Wie iſt die dreijährige Friſt des 8 57 Ziff. 3 Gew. 
zu berechnen, wenn die Strafvollſtreckun ws 
brochen und dem Verurteilten für den Reit der 
male eine Bewährungsfriſt bewilligt worden 


BHH. 282 


$ 120a GewO. als „Schutzgeſetz“. 
Begriff des Werkmeiſters. Wettbewerbsverbot 


RG. 208 


(51331 Gew.). Bindung durch Ehrenwort. RG. 384 


4. Gerichtsverfaſſung. 


Zuſtändigkeit zur Verbeſcheidung der Beſchwerde 
und der weiteren Beſchwerde des Landesver— 
ſicherungsamtes gegen ein Amtsgericht wegen 


— — GVUU—UNœk—ů3ß33322 4 ͤß—ͤP2kͤßößX«‚Qvu4-ęꝝę Dñ8Gͥͤ Le 


| 
| 


Sue DR, der Rechtshilfe in a älteren 
Sache 25 11805 1571; GVG. 88 15 
Art. 85 E 
ungen = ae (88 159 ee: 
GG.). OLG. München 
81 9 200 GVG.: Die Reviſion kann nicht auf 
die 1 von Geſchworenen über den Her⸗ 
gang bei der 
werden. 


5. Zivilprozeß. 


Streitwert eines eee (83 3PO.). 


ünchen 


7-160; 
Ob“ G. 105 


51 


eratung und Abſtimmung geſtützt 
RG. 152 


76 


87 3PO. kann nicht auf perſönliche ei 15 


barkeiten angewendet werden. 


Vernehmung von Streitgenoſſen als Zeugen. 22 150 


ae n für Lichtbilder 855 e e 
18 Brogebtofen, (8 91 ZRO en 

Beru en der im Rechtsſtreit 1 unnd der 
Koſtenerſtattungsanſpruch aus einem Vorprozeß 
auf demſelben rechtlichen Verhältnis? RG. 34 
Koſtenhaftung des eee einer armen 
Partei (88 114 ff. ZPO. 
Kein Armenrecht zwecks mem ( 6 114 Prin ). 


52 


OLG. München 51 


München 51 


Wie iſt das San de enge 12 e 
zu behandeln 


Erſatzzuſtellung oder öffentliche Zuſtellung? Kein 
RG. 210 


Verſchulden des Rechtsanwalts. 
Erheblichkeit des Vertagungsgrunds 5 227, 224 
38PO.). OLG 


München 109 


Wiedereinſetzung in den vorigen Stand: Ver⸗ 
ſchulden eines ſonſt als zuverläſſig erprobten 
Kanzleiangeſtellten ſällt dem Rechtsanwalt nicht 
zur Laſt; der mit der Behandlung des Ge⸗ 
richtsein laufs ee Beamte iſt verpflichtet, 
einen bei ihm 5 85 aufenen Schriftſatz au 
5 und . halt au Wüst 51 233 
Abi. I, 232 Abſ. P.). 


Pic München 132 


Unabwendbarer Zufall. 


Wiedereinſetzung in den vorigen Stand, unab⸗ 
wendbarer Zufa RG. 


geſtſtellungsintereſſe 
ſtellungsklage. 

Iſt eine Klage zuläſſig, die auf die Feſtſtellung 
des Nichtbeſtehens von Schadenserſatzanſprüchen 
aus 8 823 BGB. für die Vergangenheit und die 

ukunft gerichtet iſt? Einfluß der nachträg⸗ 

ichen Erhebung der Schadenerſatzklage durch den 
Beklagten auf die Zuläſſigkeit der Feſtſtellungs⸗ 
klage: kein Anſpruch auf Feſtſtellungsurteil, das, 
ohne einen beſtimmten Rechtsſtreit zu ſchlichten, 
auf die Entſcheidung einer reinen u 
hinauslaufen würde. RG. 


Koſten des Verfahrens bei Zurücknahme des Ans 
trags auf einſtweilige Verfügung wegen Ver⸗ 
änderung der Umſtände. Befugnis des Bezirks⸗ 
amts zur ſtaatsaufſichtlichen Prüfung gemeind⸗ 
licher Verträge auf Lieferung von elektriſchem 
Strom? (88 271, 93 ZPO.; Art. 1, 159, 112 
Gem O!). 

Teilweiſe Zurücknahme der Klage durch Uebergang 
von der Feſtſtellungs⸗ zur Leiſtungsklage. Still- 
ſchweigende Zuſtimmung des Beklagten zu A 
Zurücknahme. 


bei der negativen Fi 


Keine Einrede der Rechtshängigkeit wegen nn 


beim ausländiſchen Gerichte ſchwebenden Rechts⸗ 
ſtreits, wenn ausſchließlicher inländiſcher Ge— 
richtsſtand vereinbart war. 


RG. 303 


69 


OLG. Nürnberg 214 


RG. 128 


I. Syſtematiſches Verzeichnis. 


Wirkung der Rechtskraft. 
Rechtskraftwirkung des Urteils; Umfang des durch 
0 ‚Selage erhobenen Anſpruchs Folgen der Ver⸗ 
igerung der Eidesleiſtung in einem anderen 
echtsſtreit, freie richterliche Ueberzeugung, 
ati eines anderen Rechtsſtreits als Ur⸗ 
nden. Nutzungen einer rechtlos erhaltenen 
Summe als Bereicherung, kene Klage 
hierauf nach rechtskräftiger Entſcheidung über 
die Hauptſache, Verzicht auf Nutzungen, 
jährung des Anſpruchs hierauf — 88 32 
325 l, 463 ff., 415 ff., 286 ZPO.: 818, 197 B08 
OLG. Nürnberg 390 


Vorausſetzungen für die Anwendung des 8: 15 
BRD. G. 209 


Das Gericht darf die Erlaſſung eines . 
urteils gegen den Beklagten nicht deshalb ab⸗ 
lebnen, weil nicht feſiſteht, ob der Beklagte 
Kriegsteilnehmer iſt, und der Kläger ſich weigert 
eine Beſtätigung hierüber 8 0 
N LG. München 450 


Abänderung eines durch Beweisbe chluß feftges 
ſtellten Eides ohne mündliche Verhandlung. 
Wirkung des geleiſteten Eides. RG. 


1. Zurückverweiſung in die erſte Inſtanz, wenn 
deren Urteil „die Klage“ dem Grunde nach für 
gerechtfertigt erklärt, die Begründung aber ſich 
nur mit dem nen der beiden eingeklagten An⸗ 
ſprüche befaßt? 2. Auslegung eines nachträg⸗ 
lichen Verzichtes auf Anſprüche wegen der 
Mängel eines dur Kauf oder Tauſch erworbe⸗ 
nen Grundſtücks; Wirkſamkeit eines ſolchen Ver⸗ 
zichts im Falle argliftigen Verhaltens des nr 


äußerers. 
9 der Sache 3 


in 
Landgeri 
Inwieweit kann ein nach 8 539 ZPO. erlaſſenes 
Urteil mit der Reviſion angefochten werden? 
un iſt das Untergericht an ein Ee 
rteil gebunden? G. 210 
Klage auf Dienſtlohn im Urkundenprozeſſe. 3 23 
un öſterreichiſche Ehegatten die Zuſtändigkeit 
der deutſchen Gerichte für eine Klage auf Ehe⸗ 
ſcheidung vereinbaren? Kann eine ſolche Ver⸗ 
einbarung wegen Irrtums angefochten N 


Rom! im Mahnverfahren der Anſpruch auf Duldung 
der Kae eee in das e 
Gut geltend gemacht werden? LG. Eichſtätt 28 
PO. 8 695. ee e e nach Zurück⸗ 
nahme des Widerſpruchs? LG. Nürnberg 255 
Inwieweit kann gegenüber einer Klage aus 8717 
PO. eingewendet werden, daß der Geſchädigte 
echtöbehelje zur Einſtellung der len 
nicht benützt habe? Kann § 831 BGB. auf das 
Verhältnis des Auftraggebers zum prozeßbevoll⸗ 
mächtigten Rechtsanwalt angewendet werden? 


G. 2 
Begriff der Vollſtreckungskoſten 6855 788, 106 ZPO.). 
OLG. München 
Umfang des Pfändungsvorrechts für den Unter⸗ 
Belt unehelicher Kinder (88 850 ZPO.: 4, 4a 
ohn BG.). OLG. München 347 
Unzuläſſigkeit der Pfändung künftiger oder un⸗ 
beſtimmt bezeichneter Forderungen (8 851 3P O.). 
OLG. München 234 
Kann eine Zwangs⸗Sicherungshypothek für eine 
Forderung eingetragen werden, für die ſchon 
eine durch N beftellte eee 
eingetragen ift? 36 
Strafandrohung zur Erzwingung poſitiven a 


99 


45 


51 


151 


OLG. München 155 Schiedsgericht oder i ene Schieds⸗ 


richter in eigener Sache. Einrede ey res 
des Schiedsvertrags (88 1025 ff O., 
88 317 ff., 138 BGB.). 55900. Nürnberg 175 


Ablehnung eines Schiedsrichters, rechtliches Gehör 


der Parteien vor dem Schiedsgerichte (88 1032, 
42 ff., 1034, 1041 ZPO.). OLG. Nürnberg 52 
Ob die Anordnung einer Pflegſchaft ſachlich be⸗ 
gründet war, hat der Prozeßrichter nicht 1 
prüfen. 
e Zuſtändigkeit des e 


geri 326 


6. n Zwangsverſteigerung. 


ngsvergleich der Gläubiger 
eil ſeiner Forderung ver⸗ 


Wenn in einem 
i au den 
gi tet, für den er in dem Zwangsvergleiche 

ine Deckung erhält, ſo verliert er damit für 
dieſen Teil der Forderung die Rechte aus einer 
für ie beſtehenden Hypothekvormerkung. Haf⸗ 
tung des Rechtsanwalis, der als Vertreter des 
Gläubigers einem ſolchen eee, zu⸗ 
ſtimmt. RG. 

Beitritt zu einem einſtweilen eingeſtellten Ver⸗ 
ſteigerungsverfahren wegen des 0 n 

OLG. München 309 


102 


7. Freiwillige Gerichtsbarkeit. 
Zwangserziehnug. 


Aufſchluß aus Akten an Ordinariate. 
LG. Memmingen 363 


ur Auslegung der 88 57 Nr. 6 59 GG., A 
B ee gung F 0805 


Einem vor dem Inkrafttreten des BGB. wegen 
Geiſteskrankheit 0159 500. ſteht das Be⸗ 
ſchwerderecht des auch dann nicht 
zu, wenn 1 en daß er unter der 
Herrſchaft des BGB. nur wegen eee 
entmündigt worden wäre. 


Aus welchen Gründen kann bei ſtreitigen . 
verhältniſſen eine Geſellſchaft m. b. H. das 
Regiſtergericht die Verfügung bis nach der Ent⸗ 
5650.90 des Rechtsſtreits ausſetzen ? 00805 


G. 428 


211 


Kann die Verwaltun sbehörde die Schreibweiſe 

eines Namens mit bindender Wirkung für das 

mit dem ſtandesamtlichen Berichtigungsver⸗ 

fahren befaßte Gericht feſtſtellen? (Per StG. 
88 65, 66). ObL G. 359 
Inwieweit hat der Regiſterrichter das ordnungs⸗ 
mäßige Zuſtandekommen des Generalverſamm⸗ 
lungsbeſchluſſes einer Genoſſenſchaft zu prüfen? 
Darf er einen ſatzungswidrig zuſtande gekom⸗ 
menen Beſchluß eintragen? (88 16, 51 Gen G.). 
Ob G. 307 

Unter welchen Vorausſetzungen Kennen vorläufige 

Maßregeln nach Art. 4 ZwEG. are 
geordnet werden ? bLG. 


Großeltern haben gegen die Anordnung der 
Zwangserziehung über einen Enkel in der Regel 
kein Beſchwerderecht (Zw. Art. 4, 12; FGG. 
88 20, 57 Abſ. 1 Ziff. 9, Abſ. 2). Obe G. 172 


Zu den Koſten der Zwangserziehung i. S. des 
Art. 8 ZwErzG. gehören nur ſolche, die auf die 
Zwangserziehung ſelbſt erwachſen; Abgrenzung 
9 den von der Armenpflege zu trag ben 


oſten 196 


8. 1 8 184 Nr. 3 StGB. ift auch dann anwendbar, 
ü 3 wenn ein beim Beiſchlaf zu benützender Gegen⸗ 

Kann die Verpfändung des Nacherbenrechts in das ſtand nur en Perſonen angeboten 

Grundbuch eingetragen werden? (GBO. 88 19, worden iſt. Zum Begriffe der N, 
22, 40, 52). RG. 12 oder Anpreiſung eden dem „Publikum“. 

Zur Auslegung des 8 40 GBO. Ob LG. 305 RG. 

Zur Auslegung des 8 54 GBO. Obs G. 327 Zu 8 184 Abſ. 1 Nr. 3 StGB.: Ankündigung oder 

Welche Vorſchriften gelten in Bayern für die An⸗ Anpreiſung gegenüber „dem Publikum“. RO. 447 
legung eines Grundbuchblattes für reale Ge⸗ Zu 1 7 StGB.: Antragsberechtigung des Gar⸗ 

9 8 b 05 (EG. BGB. Art. 74; AG. niſonsälteſten. RG. 447 
GBO. GBO. 8 83; DA. Gr BAe. Abgrenzung des Anwendungsgebietes der 88 242 
88 510 fl. Art. 115 GrAnlG.). ObèL G. 72 und 370 Nr. 5 StGB. bei fortgeſetzter Ent⸗ 

Löſchung einer altrechtlichen Verfügun 0 ch | wendung. RG. 408 

kung im Grundbuch (Art.189 EG. B 193 Macht ſich der gegen Proviſion arbeitende Agent 
d ! e t >= e 

ichte 5 , uldig, wenn er Irrtumserregung den 

9. Gerichtskosten. Gebühren Abſchluß von eiche berbei⸗ 

Formelle Erforderniſſe einer gerichtlichen Wert⸗ führt, bei denen die Verſicherungsnehmer für 
feſtſetzung; Streitwert eines Arreſts; Anwalts⸗ ihre Verpflichtung zur Prämienzahlung einen 
beſchwerde (88 16 GG.; 3, 6 3PO.; 12 RAG). . Gegenwert durch die Verpflich⸗ 

O München 234 a der ei chaft zur Ent⸗ 

Iſt der Antrag nach 8 16 GKG. dem Anwalts: ädigung erhalten? Welche Bedeutung kommt 
zwang unterworfen? Iſt in jedem Fall das bier der Möglichkeit zu, daß die Verſicherungs⸗ 
Urteil der Vorinſtanz als im ganzen dune nehmer den Vertrag anfechten und ihnen da⸗ 
angefochten anzuſehen, wenn die Rechtsmittel⸗ durch Koſten erwachſen? RG. 171 
ſchrift nur die Anmeldung des Rechtsmittels, Tateinheit oder ⸗mehrheit bei gleichzeitigem Ge⸗ 
nicht aber auch einen beſtimmten Antrag ent⸗ brauchmachen von mehreren gefälſchten Ur⸗ 
hält? Streitwert in der Berufungsinſtanz. kunden? Liegt in der betrügeriſchen Bewirkung 

OLG. 5 00 430 ı einer Gutſchrift ſtets eine e 

e des Verweiſungsbeſchluſſes nach gung i. S. des 8 263 StGB.? RG. 304 
8 697 3D. OLG. Augsburg 175 8 267 StGB. ſetzt den Willen voraus, auf den 

Der Verweiſungsbeſchluß nach § 697 ZPO. iſt Rechtsverkehr einzuwirken. RG. 253 
nicht gebührenpflichtig. OLG. Bamberg 213 Urkundenfälſchung durch Fälſchung des Blanko⸗ 

Für die Rückſendung der bei der Reviſionseinlegung indoſſaments des Bezogenen auf einem Wechſel, 
vorzulegenden Ausfertigung des angefochtenen der weder in blanco akzeptiert iſt noch einen 
ni nicht erhoben werden Ausſtellungsvermerk und das Giro des Aus⸗ 


Keine Koſtenfeſt b tl - ſchrift die Bedeutung einer rechts- und beweis⸗ 
10 el ung ü ARE i 234 erheblichen Urkunde? Feſtſtellung des Gehilfen⸗ 


(GKG. § 80 b) Obe G. 48 ſtellers aufweiſt? Wann hat die Namensunter— 
Zuſtändigkeit für die Feſtſetzung der Koſten im vorſatzes bei der Beihilfe zur n, 
) 


Privatklageverfahren. Weder der Priwatkläger 8 23 
noch der Angeklagte hat in dieſem Verfabren at als rechts- und beweiserhebliche 185 128 
das Recht der weiteren Beſchwerde. ObvG. 108 Verfälſchung von Aufrechnungsbeſcheinigungen 
Reiſekoſten der Gendarmen bei Wahrnehmung nach 81419 RVO. Wirkung der Rechtskraft 
eines gerichtlichen Termins. ObLG. 155 von Strafbeſcheiden der Verſicherungsämter. 
Gebühren des Verteidigers in Wiederaufnahme— RG. 193 
verfahren. ObLG. 279 Unterdrücken einer dem Täter nicht oder nicht 


Die Gebührenermäßigung nach Art. 14 Satz 2 
Abſ. 3 Geb. tritt nicht ein, wenn die Rechte aus 
dem Meiſtgebot in der Zeit zwiſchen dem Ver⸗ 
ſteigerungstermin und einem zur Verkündung 
der Entſcheidung über den Zuſchlag anbe⸗ 


StGB.). 

Der Tatbeſtand der Beihilfe zu dem Vergehen 
des § 284 StGB. wird nicht ſchon dadurch erfüllt, 
daß jemand die Wetten dritter Perſonen an Be 


— nd mn u — 


ausſchließlich gehörigen Urkunde (8 274 Nr. 1 
RG. 408 


raumten weiteren Termin oder erſt in dieſem Buchmacher weitergibt. 25 
letzteren Termin abgetreten worden find. Obs G. 344 | Verhältnis zwiſchen 8 284 StGB. und 8897 6 
Beſchwerdegegenſtand bei Beſchwerden wegen Er- RennwettG. RG. 233 
teilung eines Erbſcheins, wenn Grundſtücke zum u: 8. i Verträge und der 
Nachlaſſe gehören. Obs G. 46 Ob“ G. 361 
ERROR: 9 i. S. des 8 305 StGB. RG. 342 
10. Strafrecht. 8 e at nicht a Denn al Be⸗ 
; amter überhaupt kein Recht zur Gebühren⸗ 
A. Reichs recht. erhebung hat. RG. 172 
a) Strafgeſetzbuch. Der bayeriſche Depeſchenträger iſt Beamter i. S. 
Anrechnung der Unterſuchungshaft (8 60 StGB.) | des 5359 StGB.: Bedeutung beamtenrechtlicher 
bei Bildung einer Geſamtſtrafe nach 879 StGB. Vorſchriften der Bundesſtaaten für die Beamten⸗ 
RG. 253 eigenſchaft. Ob“ G. 361 
Bringt ein außergerichtlicher Vergleich einen Straf— Zu 8 360 Nr. 8 StGB.: Wer darf in Bayern das 
antrag zum Erlöſchen, ohne daß dieſer der Be— Wort „von“ vor ſeinem Namen führen? Ob“ G. 430 
hörde gegenüber zurückgenommen worden iſt? Unter welchen Vorausſetzungen iſt ein mit der 
Obs G. 346 Ausübung eines Gewerbes verbundener ruhe⸗ 
„Ankündigen“ und „Anpreiſen“ i. S. des 5 ſtörender Lärm nach 8 360 Nr. 11 StG. 
Abſ. 1 Nr. 3 StGB. RG. 233 ſtrafbar? ObL G. 174 


2——— — — . —ñ———— — — — 


I. Syſtematiſches es Verzeichnis 


Iſt das „Leichenbitten“ als Bettel zu on: ? 


Zum Grundſatze der Spezialität im Auslieferungs⸗ 
verkehr beſonders mit Oeſterreich; darf wegen 
Vergehens des Diebſtahls verurteilt werden, 
wer von dort wegen ſchweren Diebſtahls aus⸗ 
geliefert iſt? RG. 


b) Nebengeſetze. 


Der Inhaber eines Wandergewerbeſcheins beda 
neben dem „ nis no 
Legitimationsſcheins nach * bſ. 1 GewO. 
zur Ausübung der daſelbſt bezeichneten Be⸗ 
triebsart. ObL®. 


Zum Begriffe des gewerbsmäßigen Vermittelungs⸗ 
agenten für Darlehen; iſt auch die auf Ver⸗ 
Khaffung eines Bankkredits beſonders in der 
Form des Kontokorrents abzielende a 


i. S. des 8 11 NMGG., wenn er die ihm von 
anderen gelieferten Stoffe nicht prüft? RG. 70 


Verſchnitt von Traubenmaiſche mit Wein oder 
Moſt. RG. 


Getränkes. Handelt der Herſteller fahrläſſig 


Ueberſtreckung des Weines und Verkauf als eine 
einheitliche ſtrafbare Handlung. RG. 72 
Erlaubte Zuckerung. RG. 233 
Vorausſetzungen der unerlaubten Zuckerung des 
Weins. Welchen Zweck muß der Zuckernde im 
Auge haben? RG. 
Begriff des weinähnlichen Getränkes. Verwendung 

211 von Tamarindenmus bei der Herſtellung eines 
weinähnlichen Getränkes. RG. 104 
Bogelfcäubgeieb: Die Verjährung bindert nicht 
e Einziehung der geſchützten Vögel; $1 der 
Bd. vom 19. Oktober 1908 trifft N 


71 


die eines ſolchen Agenten? 345⁵ Verträge 8 Art. 131 
Verhältnis des 8 153 GewO. (Streikparagraph) Der Vorſatz i. S. des 8 1492 RVO.; n fe er 
zu dem eine härtere Strafe androhenden all⸗ ſchon zur Zeit der Lohnabzüge vorhanden fein ? 
gemeinen Strafgeſetze. Ob“ G. 308 RG. 326 
Der Vormund iſt nach 8 153 GewO. ftrafbar, Zu 8 14 Waren G., 815 WettbewG.: auf Grund 
wenn er ſein Mündel durch Anwendung der welcher Beſtimmung iſt der Kaffeehausbeſitzer zu 
in biefem Paragraphen genannten Mittel zur Betreten. der gewöhnlichen Kaffee in Taſſen vers 
Teilnahme an einem Streik zu beſtimmen ver⸗ . die durch ein auf ihnen angebrachtes 
ſucht ObL G. 131 9 stel n Gellänleg ee us fei zur 
erſtellun eträn er bon n⸗ 
e Nr. 2 Die Beſrberung baber des Warenzeichens in Verkehr e 
poſtzwangspflichtiger Gegenſtände, die ein be⸗ | koffeinfreie Kaffee verwendet? RG. 427 
gabiter Angeſtellter für feinen Geſchäftsherrn Beſtrafung aus 8 16 WEG. wegen e 
ewirkt, 15 nicht notwendig eine Delörberung des Wortes Camembert. G. 343 
30 Welch Bezahlung“ i. S. des 8 1 PoſtG. Der Begriff des „Unternehmens“ einer 1 15 
3 cher Ort gilt als Urſprungsort einer baren G ending beſonders i. S. des 8 134 
eitung 5 3 nalen! 1 a Ur⸗ Verb. RG. 327 
DEUNGPDTTEDT. SOME. DEU. SEEIEDEN DETALIIENEN. Unterſchied zwiſchen ee und Ordnungs⸗ 
welcher Ort als Urſprungsort gelten ſoll? 
Een eng Bere Sa ene, fee“ h 89. 
; 8 icher Verſu 44 
zwangspflichtige Gegenſtände befördert, ſolche 
unentgeltlich auch noch von einem anderen Ab⸗ 2 1 Deutsch N Sübltof aus der 
ſender mitgegeben werden? RG. 151 weiz nach Deutſchland und von hier nach 


Iſt ein Kaufmann ſo krank, daß er die Bilanz 
auch unter Mitwirkung einer Hilfskraft nicht 
gehen Ta fann, Lu durch einen andern ziehen 
ſſen müßte, ſo kann er für die Unterlaſſung 
nicht geſtraft werden. 

Dürfen die Kundſchaft („Faſſon“) und andere re 
ſchaftliche Güter, die keinen beitimmten Ber: 
mögensgegenſtand darſtellen, als Aktivum in 
die Bilanz eingeſtellt werden? 

Beginn und Dauer der Impfpflicht und der Straf: 
rechtlichen Verantwortlichkeit der geſetzlichen 
Vertreter. 

Begriff des „Aufkaufens“ von Tieren im Sinne 
der Vorſchriften zur Verhütung von eee 


R 
„Feſtlegung“ der Hunde auf Grund des 59185 
ſeuchengeſetzes. RG. 
Darf allgemein angeordnet werden, daß auch 
an deres Fleiſch als friſches Fleiſch einer aber⸗ 
maligen amtlichen Beſchau unterworfen Posch 


Vorausſetzungen für die formelle Gültigkeit einer 
ortspolizeilichen Vorſchrift. Was verſteht man 
unter Vertrieb i. S. des § 20 Abi. 2 FleiſchbG.? 
Nur der Vertrieb friſchen Fleiſches darf dem 
Beſchauzwang innerhalb der Gemeinde unter— 
worfen werden; darüber hinausgehende orts⸗ 
polizeiliche Vorſchriften ſind ungültig. RG. 

Wann darf ein Getränke als „Heidelbeerwein“ be— 
zeichnet werden? Verfälſchung eines ſolchen 


ObLG. 212 


128 


Oeſterreich kann zwei ie ſtrafbare Hand— 
| lungen i. S. des 8 74 StGB. enthalten, auch 
wenn die Wiederausfuhr nach Oeſterreich von 
vornherein geplant geweſen iſt. RG. 
172 Kann ein deutſches Gericht einen Deutſchen be⸗ 
ſtrafen, der von der Schweiz aus nach Oeſter⸗ 

reich Saccharin einſchmuggelt, ohne Deutlich 

land zu berühren? (8 17 ZollK. v. 6. Dez. 1 15 5 


24 


RG. 446 


B. Landesrecht. 


| Unter welchen Vorausſetzungen darf erlegtes Wild 
oder deſſen Erlös eingezogen werden? wie iſt 
der Ausdruck „können“ in Art. 18 PStGB. und 

in 8 42 StGB. aufzufaſſen? Obe“ G. 329 
Vorausſetzungen 5 die Rechtsgültigkeit einer nach 
em Art.67 Abſ. 2 PStGB. angeordneten Maß⸗ 
gel. Ob“ G. 

Der ie en darf auf die Schlachtung 
von Schweinen für den eigenen Hausbedauf 
ausgedehnt werden. Obe. 


Kann die Gültigkeit einer auf Grund des Art. 75 
PStGBterlaſſenen geſundheitspolizeilichen Vor— 
ſchrift durch einen Wechſel in den hygieniſchen 
Anſchauungen berührt werden? Was iſt unter 
„reinem Mehl“ zu verſtehen? Ob G. 389 

Zu Art. 101 P StGB.: Kann die Baupolizeibehörde 
das Anſtreichen von Fenſterläden verlangen? 
Verjährung von Baupolizeiübertretungen. 

LG. Memmingen 451 


154 


75 309 


193 


XIV Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1914. 


. wiſchen 8 367 Nr. 15 StGB. und Hängt die Anwendung des 8 208 StPO. von der 
Art von was verſteht man unter Erhebung der öffentlichen Klage ab? Ob“ G. 308 
baten Zimmer i. S. der Bauordnung? Ob“ G. 28 Neue Tatſachen i. S. des 8 210 StPO. R. 427 

Umfang der Verpflichtung der in Art. 143 Ziff. 1 Beweisantrag oder Beweisermittelungsantrag? 

P StGB. genannten Gewerbetreibenden, be⸗ RS. 409 
onders der Bierwirte zum ſichtharen Anſchlage Undeutliche Belehrung über die . des 


er Preiſe ihrer Verkaufsgegenſtände. Ob“ G. 448 rechtlichen Geſichtspunkts (8 264 StPO.). RG. 327 
Zur Auslegung des Art. 92 Ziff. 1 Forſtch. Obs G. 329 Kein Berichtigun sverfahren, wenn 5 Ge⸗ 
Verhältnis zwiſchen Forſtberechtigungen und forſt⸗ ſchworenen die 51885 nach der Strafbarkeits⸗ 

polizeilichen Vorſchriften in der Pfalz. Ob“ G. 277 einſicht verneinen und zugleich die Frage nach 
Wer ohne behördliche Genehmigung eine Brücke mildernden Umſtänden beſahen. RO. 
baut, iſt nach dem Waſſ Nergelebe, nicht nach a Die Reviſion kann auf Verletzung des $ 415 StPO. 


8 367 Nr. 15 StGB. ſtrafb 213 geſtützt werden. Ein Vergleich im Privatklage⸗ 
Verpflichtet auch ein ae N zur verfahren verbraucht nicht die Strafklage zu⸗ 
Anzeige nach Art. 2 GG.? Ob LG. 173 ungunſten anderer zur Privatklage e 
Hundeabgaben apf Die von den Gemeindever⸗ b 108 
waltungen für die Anmeldung der Hunde be⸗ Prozeſſuale Stellung eines e aber 
kannt gegebenen Amtsſtunden ſind von den nicht entmündigten für ſich und als geſetzlicher 
Hundebeſitzern bei Vermeidung der Beitrafung Vertreter feiner Tochter auftretenden P5805 
einzuhalten. Ob“ G. 107 klügers. Obe G. 389 
Luſtbarkeitsſteuer. Was verſteht man unter Ver⸗ Unter welchen Vorausſetzungen und zu welchem 


anſtaltung einer öffentlichen Luſtbarkeit. ObL G. 48 fr ua iſt der Beſchluß über Entſchädigung 


Wandergewerbeſteuergeſetz. Bedeutung und Trag⸗ aßſen 5 bud erlittene n 8 
weite des Begriffs: ee, Täti age : 


keit“ 49 
11. Strafprozeß. 112. Staatsrecht und Verwaltungsrecht. 

Sit es zuläſſig. dab ein e r einen ſcbenden Ausübung öffentlicher Gewalt. RG. 192 

der nach Belehrung durch Vor as | Ausübung der Jagd auf ausmärkiſchen San 5 

ſich des Zeugniſſes entſchlagen hat, noch darüber 

Bee was er als Zeuge bekunden ſoll? Muß Eee und Gehaltsſperre (Art. 187, 211 

der Vorſitzende sn erteidiger eine ſolche Bes K. Bo O. v. 6. Sept. 1908, GVBl. ©. 681). 

lebrung geſtatten? RG. 129 OLG. München 279 


für Nahrungs⸗ und Genußmittel als Hilfsbeamte über einen Anſpruch aus dem Kirchen⸗ und 
der Staats anwaltſchaft. Ablehnung dieſer Be⸗ | 
amten als Sachverſtändige. RG. 70 Aiervernen auch den zultandt W ſpruch nich 
Wie iſt in dem Falle des 8 111 StPO. zu ver⸗ aus dieſem Verbande, ſondern aus einem privat⸗ 
ahren? Wer iſt der Verletzte? ObL G. 27 rechtlichen Vertrag abzuleiten. GH K. 


| 

Beamte der bayeriſchen Unterſuchungsanſtalten Die Verwaltungsbehörden ſind zur Cntfeibung 
Kläger ausdrücklich erklärt, feinen 
| 


D. Geſetzgebung und Verwaltung. 


. 1. Das Geſetz gegen den Verrat militäriſcher Ge⸗ 
Geſetzgeberiſche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges. 331 heimniſſe. 284 


2. Bürgerliches Necht. Herſtellung von Malzwein. 312 
Vertretung des Reichsfiskus. 156 Herſtellung von Kognak. 312 
on vom 14. Mai 1914 zur Aenderung des Ge⸗ n ; 
ſetzes über die ne Rechte der Beſitzer 6. Gerichtsverſaſſung. 
von Schuldverſchreibungen vom 4. Dezember Die Beſchäftigung von Hilfsrichtern beim Reichs⸗ 
1899 256 gerichte. 32 


3. Handels-, Wechſel⸗ und Scheckrecht. | 5 BE über den Kriegszuſtand vom 


Das Geſetz zur Aenderung der 88 74, 75 und des 


8 76 Abſ. 1 HGB. 311 7. Gebühren. 

Das Poſtſcheckgeſetz. 196 Das Geſetz betr. Aenderung der Gebührenordnung 
Das Geſetz über die Folgen der Verhinderung für Zeugen und Sachverſtändige. 311 
wechſel⸗ und ſcheckrechtlicher Handlungen im Geſetz vom 21. Auguſt 1914 über Aenderungen 
Ausland. 216 im Gebührenweſen. 348 

Oman des . vom 555 nl 
1914 betr. die weitere Verlängerung der Friſten 
des Wechſels⸗ und Scheckrechts. 348 8. Berſicherungsrecht. 


Die Bekanntmachungen vom 30. Dezember 1913, 


| 4. Zivilprozeß. den Vollzug des 8 169 der Reichsverſicherungs⸗ 
Aenderung der Zivilprozeßordnung. 311 ordnung betr, und vom 31. Dezember 1913, die 
Krankenverſicherungspflicht der im Juſtizdienſt 
5. Strafrecht. beſchäftigten Perſonen betr. 56 
Bayer. Geſetz vom 21. all 1914, betr. die Ab⸗ Die Beiträge zur Kranken-, Invaliden-, und Ans 


änderung des AG. GVG 364 geſtelltenverſicherung. 156 


I. Syſtematiſches Verzeichnis. | XV 


9. Kirchenrecht. 13. Juſtizverwaltung. 


Verwaltung des Kirchenſtiftungsvermögens. Die Strafregiſter. 32 
Das Rechnungsweſen bei den Strafanſtalten. 80 
3 


Die Mitteilungen der Staatsanwälte, Amtsan⸗ 
wälte und Gerichte. 112 


10. Staatsrecht und Verwaltung. 


Armengeſetz vom 21. Auguſt 1914. 348 

De 10 15858 des Reichs und Staatzangebörig - f in Begnadigungsſachen. 5 
eitsgeſe 

Die Azetylenverordnung. 32 ie Beſtrafungen der An⸗ Er 

Schulpflichtverordnungen. 79 


Die Verſorgung der Notare und ihrer Hinter⸗ 5 


Die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten. 80 bliebenen. 


Die Leumundszeugniſſe und die polizeilichen Per⸗ Die Vorbedingungen für den höheren Juſtiz⸗ * 
ſonalakten. 2 112 Verwaltungsdienſt. 
Das Bayeriſche Zentralpolizeiblatt. 112 Dienſtaufſicht über die Gewerbes und die gan. 
mannsgerichte. 364 


11. Berkehrsweſen. 


Die Poſtordnungen. 56 


Die Koſten der Stellvertretung der vor Juſtiz⸗ 
oder Verwaltungsbehörden geladenen Beamten 


14. Statiſtik. 


Zur Statiſtik der Uebertretungen. 256 
Statiſtiſches zu dem Geſetze vom 19. Juni 1912, 


der Verkehrsverwaltung. 392 betreffend die Aenderung des Strafgeſetzbuchs. 311 
12. Rilitärberwaltung. 15. Juternationales Necht. 
Militärweſen. 236 Der Rechtshilfe⸗ und Auslieferungsverkehr mit 
Die neuen Beſtimmungen über die Beurlaubung | Bulgarien. 132 


der Militäranwärter vom 1. Januar 1914. 56 Der Auslieferungsverkehr mit Panama. 132 


E. Sprachecke. 


oder aber. Aus der Rechtsſprache des Reichsgerichts. 312 
Ein gemeingefährliches Wort. 132 „Frau Erſte Staatsanwalt“. 312 
„Aus dieſem Grund fällt Klage nötig“. 236 Ein einfaches Mittel. 332 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


(Die Zahlen bedeuten die Seiten.) 


A. 


Ablehnung der Beamten der bayer. Unterſuchungs— 
anſtalten für Nahrungs⸗ und Genußmittel als 


Sachverſtändige 70 
— der Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Une 
zuſtän digkeit des Gerichtes 228 
Ablöſungsrecht des 8268 Abſ. 1 (1150) BGB. 
Ausübung durch den Inhaber eines Rechtes, das 
im Range zwiſchen mehreren Hypotheken des Be— 
friedigung verlangenden Gläubigers ſteht 20 
Abtretung aller künftigen Forderungen 444 
— einer Briefhypothek 383 


Abweſenheitspfleger bei Erbſchaftsanfall von 
Verſchollenen 25 


— Vorausſetzungen für die Aufſtellung 305 
— Klage und Zwangsvollſtreckung gegen ihn 340 f. 
Adelsprädikat „von“, Führung in Bayern 430 
Aktiengeſellſchaft, Bargründung 417 
— Nachgründung 417 
— Gründerverantwortung 417 
— qualifizierte Gründung 419 
— Einzahlung auf die Aktien 418 
— Hauptniederlaſſung 344 f. 


— mehrere Niederlaſſungen ohne Hauptniederlaſſung 344f. 


Aktive Armee i. S. der GemO. 415 
Amtsanwälte, die neuen Dienſtvorſchriften für — 12, 15 
Amtsbefugnis, Ueberſchreitung 447 f. 
Am neſtie 413 


Anbau an der Grenze ſ. Kommunmauer und Ueberbau, 
Aenderung der e 

— der $s 74, 75, 76 Abſ. 1 HGB. 

der Gebührenordnung für Zeugen und Sach— 
verſtändige 31¹ 
im Gebührenweſen, Geſetz vom 21. Auguſt 1914 348 
des Kriegszuſtandsgeſetzes 364 
des AG GG. | 364 
Anerkennung des Anſpruches i. S. des 8208 BGB. 20 
Anfechtung des Mietvertrags wegen argliſtiger 


31¹ 


Täuſchung 230 
Angehörige des bayer. Heeres, Haftung des 
Staates für ſie 7 ff. 


— Anitspflichtverletzung 

Ankündigung gegenüber dem Publikum 233, 275, 447 

Anlagen, gefährliche, Aufſtellung — 253 

Anmeldung der Erteilung einer Prokura zum 
Handelsregiſter 276 

Annahme an Kindes Statt des eigenen Enkels 409 


Anpreiſen i. S. des § 184 Abf. 1 Nr. 3 StGB. 233 
— gegenüber dem „Publikum“ 275 f. 
Anſpruch, Grund und Betrag 426 
— auf Anerkennung i. S. des 8 208 BGB. 20 


auf Duldung der Zwangs svollſtreckung in das ein⸗ 


— 


gebrachte Gut im Mahnverfahren 28 
— auf Erfüllungsintereſſe bei argliſtiger mündlicher 

Zuſicherung eines beſtimmten Flächeninhaltes eines 

Grundſtückes 42 
— wegen Erteilung einer unrichtigen Auskunft 67 
— auf Notweg, Vorausſetzungen 191 


Anspruch aus Kirchen- und Pfarrverband, Zu— 
ſtändigkeit zur Entſcheidung 214 
der Hinterbliebenen eines tödlich Verunglückten 
aus Vertrag 342 
des Minderjährigen auf Preßberichtigung 382 f. 
auf Mäklerlohn, Kenntnis des Geſchäftsherrn von 
der Mäklertätigkeit 384 
des durch dienſtliche Ueberlaſtung geſchädigten Be— 
amten auf Schadenserſatz 386 
Antrag des Ehemannes auf Eintragung ſeiner Frau 


als Miteigentümerin eines Grundſtückes 81 f. 
Antragsberechtigung 447 
Anwachſung eines Erbteils 126 f. 
Anwaltsbeſchwerde 234 


Anwaltszwang beim Antrag nach $ 16 GGG. 430 
An wendung von öſterreichiſchem Recht auf eine von 
einem Oeſterreicher in Deutſchland geſchloſſene 
Ehe 313 ff 
Anzeigepflicht des Güterzertrümmerers auch bei 
formloſen Kaufvertrag 173 
Argliſt des Veräußerers 68 
— des Vermieters beim Abſchluß des Mietvertrags 355 


Argliſteinrede, allgemeine 58 
Armengeſetz vom 21. Auguſt 1914 348 
Armenrecht zwecks Anerkenntnis 51 
Aerzteverein, Ausſchließung 207 f. 
Aufkaufen von Tieren, Begriff 105 


Aufrechnung gegen die Aktiendeckungsſchuldigkeit 418 
— Unzuläſſigkeit 424 
— im Verteilungsverfahren der Zwangsverſteigerung 103 
— des Erſtehers im Zwangsverſteigerungsverfahren 379ff. 
Aufrechnungsbeſcheinigung nach § 1419 RV O., 


Verfälſchung 193 
Aufrechnungsverbot 424 
Aufſchluß aus Akten an Ordinariate 363 
Aufſicht des Vormundſchaftsgerichtes 36 
Aufſtellung gefährlicher Anlagen 253 
Aufwandsentſchädigung, unpfändbar, un— 


übertragbar 311 


Aufzug, Unfall 444 f. 
Ausführungsbeſtimm ungen vom 15. Sep- 
tember 1913 zum Reichsſtempelgeſetz 176 


— des Bundesrats vom 8. November 1913 zum Wehr— 


beitragsgeſetz 176 


Ausgleichung zwiſchen Geſamtſchuldnern 425 
Auskunft, unrichtige 67 
Auslegung von Teſtamenten 170 f. 


— des Art 92 Ziff. 1 des bayer. Forſtgeſetzes 317 iR 329 
— des S 54 GBO. 327 ff. 
— des bayer. Fideikommißediktes 395 ff. 
Auslieferung aus Bulgarien 132 
— aus Panama 132 
Auslieferungsverkehr, Spezialität 343 
Ausſchlagungsfriſt des § 2306 BGB., Beginn 21 


Ausſchließung aus einem Vereine 110 
— aus einem Aerztevereine 207 f. 
— der Widerruflichkeit des Mäklerauftrages 169 
Ausſetzung der Verfügung des Negiſtergerichts 211 
Ausſouderungsrecht 444 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


Ausſpähung militäriſcher Geheimniſſe 338 

Ausſtandsverzeichniſſe, gemeindliche, Zwangs⸗ 
vollſtreckung auf Grund von — 268 

Ausübung anvertrauter öffentlicher Gewalt durch 
Angehörige des bayer. Heeres 

— öffentlicher Gewalt 192 

Außer verfolgungſetzung, Rechtskraft 427 

Automatenfirmen ſog. Verträge mit — nichtig 
oder anfechtbar 225 


Azetylen verordnung 56 
B. 

Bankier, Verſchwiegenheitspflicht 271 

eugnisverweigerungsrecht 272 


— 


erpflichtung zur Aufklärung des no 407 
Bargebotserhöhungen . 
Bargrün dung 
Bau auf der Grenze ſ. Kommunmauer und bee 
Bauplan, Abweichung vom — 452 
Baupolizeiliche Auflagen 451 
Bau polizeiliche ee en, Verjährung 452 
Bauvollendungsanzeige 452 
Bauwerk i. S. des § 305 StGB. 342 
Bayeriſches Heer, Haftung des Staates für An⸗ 
gehörige des bayer. Heeres 7 
Beamte der bayer. Unterſuchungsanſtalten für 
Nahrungs- und Genußmittel 70 


Beamter i. S. des § 352 StGB. 172 
Bedingung, Einwirkung auf den Eintritt — 443 
Begnadigungsſachen, Aktenbehandlung 112 
Beihilfe zur Urkundenfälſchung 23 
— zum Vergehen nach 8 284 StGB. 24 


Beiſtände beim Sühnetermin in Beleidigungsſachen 339f. 
Beiträge zur Kranken-, Invaliden⸗ und Angeſtellten⸗ 
verſicherung 156 
Beitritt zu einem einſtweilen eingeſtellten Zwangs- 
verſteigerungsverfahrens wegen des Zubehörs 309 
Bekämpfung übertragbarer Krankheiten 80 
Belehrung über Zeugnisverweigerungsrecht 129 f. 
Berechnung der Strafzeit 421 
— der Beſitzveränderungsgebühr beim Erwerb eines 
Geſellſchaftsgrundſtückes durch einen Geſellſchafter 61ff. 
— der Gegenſtandsſumme eines Teſtamentes 73f. 
— des pfändbaren Gehaltes oder Lohnes 401 ff. 
Berichtigungs verfahren 129 
Berichtigungsanſpruch ſ. Anſpruch 
Beſchlagnahme auf Grund des dinglichen oder 
des perſönlichen Vollſtreckungstitels 441 
Beſchlagnahmte Sachen, Verfügung darüber 
im Strafverfahren 27 
Beſchlüſſe, amtsgerichtliche, deren 9757 1 
57, 113, 167 
Beſchwerde, ſofortige, wegen Ablehnung der 
Erlaſſung eines Strafbefehls 442 
— keine weitere gegen Koſtenfeſtſetzung im Privat⸗ 
klageverfahren 108 
— keine der Großeltern gegen Anordnung der Zwangs- 
erziehung über den Enkel 17 
— ſofortige nach § 60 Abſ. 2 BGB., nicht unbefriſtete 
aus 8 19 FGG. bei Ablehnung der Eintragung 
eines wirtſchaftlichen Vereines 190 ff. 
— bei Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens 
wegen Unzuſtändigkeit 228 
— Anwalts⸗ 234 
Beſchwerde des Konkursverwalters gegen Nichte 
einziehung eines Erbſcheines 38 
Beſitzveränderungsgebühr beim Erwerb eines 
Geſellſchaftsgrundſtückes durch einen Geſellſchafter 9 Li. 
Beſtandteile eines Brauereigrundſtücks 
Beſtimm barkeit der Leiſtung beim ie 
kauf 207 
Beſtrafungen, frühere der Angeklagten und Zeugen, 
Ermittelung der — 176 


9 f. 
5 


| 
| 


Betrug bei Abſchluß von Verſicherungsverträgen 
durch den gegen Proviſion arbeitenden Agenten 171 
Bettel 449 
Beteiligung i. S. des § 11 PreßG. 383 
Beweisantrag und 5 409 
Beweisbeſchluß auf Eid 102 
Beweislaſt hinſichtlich der Begründung einer u) 10 
— beim eigenhändigen Teſtament 31 f. 
Bezirksamt, Befugnis zur e 
Prüfung gemeinblicher Verträge auf Lieferung 
von elektriſchem Strom 214 


Bierbrauer, Schankrecht 49 
Bierpreis, Anſchlag 448 
Bilanz, Aktivpoſten 446 
— Unterlaſſung ihrer Ziehung wegen Krankheit 172 


Bottich, Beſtandteil eines Brauereigrundſtückes? 99 f. 
Briefhypothek, Klage auf Verſchaffung des Hypo⸗ 


thekenbriefs 383 
Brückenbau ohne Genehmigung 213 
Buchmacher 24 
Bürgenhaftung 442 
Bürgſchaft gegenüber einer Firma 252 f. 
— Form und Vorausſetzung 431 
Bürgſchaftsleiſtung, Geſamtſchuldneriſche 42⁵ 

C. 
„Camembert“ als Herkunftsbezeichnung 343 
D. 
Darlehensvertrag oder ſtille Geſellſchaft 323 ff. 
Depeſchenträger 361 


Dienſtvorſchriften, die neuen für Amtsanwälte 12, 15 


E. 


Ehebruch, Zuſtimmung des andern Gatten 425 
— Zurücknahme der Zuſtimmung 192 
— Verzeihung 426 
Ehenichtigkeit 136 


Ehe⸗ und Erbverträge, altrechtliche, Auslegung 276f. 
Ehrenwort 384 f. 
Eidesleiſtung, Verweigerung, Folgen in einem 
anderen Rechtsſtreite 
Eigenarten, bayeriſche im Vormundſchaftsweſen 35 
Eigentumsübergang an Bauteilen für einen 
Neubau 1 
Einfluß des Krieges auf Rechtsverhältniſſe des 
bürgerlichen Rechts 349 f. 
Einrede der Rechtshängigkeit 128 
— des Schiedsvertrags 175 
— der Wandlung eines mit einem Rechtsanwalt ge⸗ 
ſchloſſenen Vertrages 230 
Einſtellung, vorläufige, nach 8 208 Std. 40 
— nur zuläſſig nach Erhebung der öffentlichen Klage 308 
— einſtweilige des Zwangsverſteigerungsverfahrens 
hinſichtlich des Zubehörs eines beſchlagnahmten 
Grundſtückes 309 
Einſtweilige Verfügung, Antragſteller, u 
8 


jache Lf. 
Einziehung geſchützter Vögel 131 
— von erlegtem Wild oder ſeinem Erlös 329 


— eines Erbſcheines, Recht des Konkursverwalters 
zum Antrag auf — 387 
Emeritierung und Gehaltsſperre 279 ff. 
Entmündigung wegen Geiſteskrankheit 
vor 1. Januar 1900 
Entſchädigung für unſchuldig erlittene Unter— 
ſuchungshaft 27 
Erbeinſetzung, ſtillſchweigende 106 
— unter auflöſender Bedingung 385 f. 
Erbrecht des mit beſtimmten einzelnen Gegenſtänden 
Bedachten 


a 


20 


XVIII Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1914. 


Erbſchein, gegenſtändlich beſchränkter 26 
— Beſchwerdegegenſtand, wenn Grundſtücke zum RI 
laß gehören 
— Wert des Beſchwerdegegenſtandes 105 
— Einziehung 38 
Erfüllungsort für Wandelungsanſpruch des Käufers 77 
Erläuterungen zum Geſetz vom 4. Auguſt 1914 
betr. den Schutz der infolge des Krieges an Wahr⸗ 
nehmung ihrer Rechte gehinderten Perſonen 333 ff. 
Erſatzanſprüche infolge Amtspflichtverletzung durch 
Angehörige des bayer. Heeres 
Erwerbsgeſchäft, Beginn mit vormundſchafts⸗ 
gerichtlicher Genehmigung 4 
Exceptio doli generalis 358 


“ 

Fährgerechtigkeit 29 
Fahr läſſigkeit i. S. des 8 11 Nahr Mittel. 70 f. 
Familie, Familienwechſel i. S. des bayer. 

Fideikommißedikts 395 ff. 
„Feſtlegung“ von Hunden 128 f. 
Feſtſtellungsintereſſe bei der negativen Fest. 

ſtellungsklage 128 
Feſtſtellungsklage, nachträgliche Erhebung der 

Scha denserſatzklage durch den Beklagten 69 
— keine zur Entſcheidung einer reinen Rechtsfrage 69 
Firma einer in eine AG. umgewandelten G. m. b. H. 418 


— mehrere eines Kaufmannes 46 
— Bürgſchaft gegenüber einer — 252 f. 
Fiſchhandelsgeſchäft 47 
Fleiſchbeſchau, wiederholte 75 


— az wang 75, 193 
Forderungen, künftige oder unbeſtimmt bezeichnete 
Pfändung 234 


Forſtberechtigungen 318 f. 
— in der Pfalz 277 
Freies Ermeſſen 414 


Freiheitsſtrafen, w. 
Fr iſt des 857 Ziff. 3 GewO erechnung bei bedingter 
Beendigung 282 


Friſtſetzung nach 8 283 BGB. 383 f. 
Fünfzehnhundertmark⸗Vertrag, ſog. 18 
— und 8 288 StGB. 361 
Fürſorge des Vormundſchaftsgerichtes ö 36 
Fürſorgerecht Mißbrauch des — 277 


Fürſorgepflicht, Verletzung der — durch den Ber- 
treter einer öffentlich-rechtlichen Körperſchaft 270 


G. 


Garniſonälteſter, Antragsberechtigung 447 
Garniſonort als Wohnſitz 353 ff. 
Gebühren, bei Umwandelung einer G. m. b. H. in 
eine AG. 419 ff. 
— beim Erwerb eines Geſellſchaftsgrundſtückes un 
einen Geſellſchafter 61f. 
— beim Verfahren nach 8 144 3G. 227 f. 
— des Verteidigers im Wiederaufnahmeverfahren 279 
Gebühren äquivalent 420 
q nach Art. 14 Satz 2 Abſ. 3 
Geb 344 
. 36 
Gehaltsſperre und Emeritierung 279 ff. 
Gehilfenhaftung 109 
Gegenſtände i. S. d. S 264 a StGB. 297 f. 
Geiſteskranker mit lichten Zwiſchenräumen 41 
— nicht entmündigter als Privatkläger für ſich und 
ſein minderjähriges Kind 389 
Geldſtrafen, uneinbringliche Reſtbeträge: Freiheits- 
ſtrafen an ihrer Stelle 121 
Gemeindeämter, Wählbarkeit von Kriegsteil— 
nehmern 414 
Gemeinſchaftsmauer ſ. Kommunmauer 
Gendarmen, keine Militärperſonen 11 
— Reiſekoſten 155 


66, 178 


Genehmigung, polizeiliche, von Lichtſpieltheatern 971 
Gerichtsſtand, vereinbarter 77 
Gerichtsſchrei be r, 5 911 888 du Entgegen⸗ 

nahme der Koſten des 8 911 ZPO 19 


7 Geringſtes Gebot 441 


Gef amtſchuld, Anteilsverhältnis nach innen 425 
Geſ amtſtrafen bei Kollektiv⸗, fortgeſetzten und 
Dauer⸗Delikten 376 ff. 
Geſchäftslokal von Militärperſonen während des 
| Krieges 355 
Geſchäftsvereinfachung 176 
Geſchmads muſterſachen ſ. Regiſterrichter 
Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung, 


Umwandlung in eine Aktiengeſellſchaft 417 
— Veräußerung des Geſchäfts im ganzen 418, 420 
— Verbürgung der Geſellſchafter 425 


— Wiederherſtellung des gelöſchten Eintrages einer 
durch Konkurs aufgelöſten — 173 

Geſellſchafter, ſtiller, Prüfungsrecht, Umfang und 
Ausübung 26 


Geſetzesauslegung 436 
Geſesesberiſche Maßnahmen aus Anlaß des 
Krieges 331 f. 
Getränke, weinähnliches 104 
Gewerbeberechtigung, reale in Bayern, Grund⸗ 
buchblatt 72 f. 
Gläubigerverzug, Beendigung des — 228 f. 
Graphiſche Kunſtanſtalt, Erforderniſſe 254 


Grenzeinrichtung ſ. Kommunmauer 
Grenzmauer ſ. Kommunmauer und Ueberbau 
Grund des Anſpruchs 2 
Grundbuchamt, Prüfungsrecht hinſichtlich Erb- 
ſcheins 26 
Grun dbuchamtlicher Vollzug, Haftung für — 447 
Grundbuchblatt, für reale e 


in Bayern 
Güterzertrümmerung der im Zwangswege er- 
worbenen Landanweſen durch Güterhändler 96 


% Ae 
f es — 
Guter Glauben im Falle des 8 1567 Abſ. 2 
Nr. 1 BGB. 209 
Gute Sitten, Verſtoß 67, 100, 148 f., 166, 168, 175, 
20 8, 296, 250, 300, 357, 385 
— f. auch Verſtoß 


H. 
Haftbeſehl nach $ 489 StPO. 421 
Haft- und Verpflegungskoſten nach § 911 ZPO. 
Zuſtändigkeit des Gerichtsſchreibers 
Haftung des Staates für Augehörige des bayeriſchen 


| Heeres 

— für feine Angeſtellten 386 f. 

— des Eiſenbahnfiskus für Brandſchäden infolge 
Funkenwurfes 110 

— der Gemeinde für Verkehrsſicherheit bei Straßen- 
bahnarbeiten 149 

— des Vaters eines minderjährigen Kindes für 
Koſten in einem Rechtsſtreite des Kindes 154 

— für Gehilfen 109 


— des Notars 43, 101, 447 
— des Beſtellers eines Arztes für den den Arzt 
fahrenden Kutſcher 168 
Haftung für unrichtige Angaben im Handelsteil 
der Tageszeitungen 188 
— wegen Unfalles des Kurgaſtes durch glatten Fuß⸗ 
boden im Kurhauſe 23 
— der Eiſenbahn für ſchuldhafte Transportverzögerung 


innerhalb der tarifmäßigen Lieſerfriſt 281 
Handlungsgehilfe, lebenslänglich angeftellter; 
Verſetzung 358 f 
| — Wettbewerbverbot 365 ff. 
Handlungslehrling 375 


Hausverwalter, Erfüllungsgehilfe des Vermieters 445 


— — — 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


Hausverkehr, Gefährdung 300 
Heidelbeerwein 70 f. 
Heimatſchutz 451 
Herſtellung von Malzwein 312 
— von Kognak 312 


Hilfsbeamte der Staatsanwaltſchaft, Ablehnung 


als Sachverſtändige 70 
Hilfsrichter beim Reichsgericht 32 
Hinterlegung aus prozeſſualer Sicherheit 148 


Höchſtbetragshypothek für den Ausfall bei 
einer anderen Hypothek 341 
Hunde, Anmeldung 107f. 
Hypothek, Befriedigung aus dem Grundſtück 440f. 
— auf einem im Miteigentum nach Bruchteilen 
ehenden Grundſtücke 92 ff. 
eſtellung, Bezeichnung der Forderung 301 f. 
— Wirkung ungenügender Bezeichnung 301f. 
— abſtrakte Verbindlichkeiten als ihre Grundlage 301 f. 
— Höchſtbetragshypothek für den Ausfall bei einer 
andern — oder Geſamthypothek? 341 
— Zwangsſicherungshypothek neben 8 
rungshypothek 
— Verpfändung; Einwendungen gegen die e 
und perſönliche Klage des Pfandgläubigers 405 f. 


Hypothekgläubiger, 
bietung ſeiner Forderung 


J. (i.) 
Idealkonkurrenz, im Standrecht 433 ff. 
— bei mehreren in einem Zeitungsartikel enthaltenen 
Beleidigungen 
Impfpflicht, Beginn und Dauer der — und der 
ſtrafrechtlichen Verantwortlichkeit der BERBDEN 
Bertreter 


Intereſſen berechtigte 
Irrenfürſorge und Rechtspflege 82 ff. 
J. (i.) 

Jagdrecht auf ausmärkiſchen Bezirken 52 

Juſtiz»- und Verwaltungsdienſt, höherer, 
Vorbedingungen 236 


K. 


Kaffeeverkauf in Taſſen mit einem für einen 
anderen geſchützten Warenzeichen 427 
Kinotheater ſ. Lichtſpieltheater 
Kirchenſtiftungs vermögen, Verwaltung des — 256 
Klage, teilweiſe Zurücknahme durch Uebergang von 
Feſtſtellungs⸗ zur Leiſtungsklage ſtillſchweigende 
Zuſtimmung des Beklagten zu dieſer Zurücknahme 22 
— auf Dienſtlohn im Urkundenprozeſſe 23 
auf Unterlaſſung 6 
auf Feſtſtellung des Nichtbeſtehens von Schadens⸗ 
erſatzanſprüchen aus § 823 BGB. für Vergangen- 
heit und Zukunft 69 
des aus einem Aerzteverein Ausgeſchloſſenen auf 
Unwirkſamkeit der Ausſchließung, auch wenn er 
vor der Ausſchließung feinen Austritt erklärt hat 2077. 
aus 8 717 ZPO.; Einwendung, der Geſchädigte 
habe Rechtsbehelfe zur Einſtellung der Vollſtreckung 
nicht benützt 232 
auf Nutzungen nach rechtskräftiger Entſcheidung 
über die Hauptſache 390 


Klageanſpruch, Umfang 390 
Klageerhebung gegen Kriegsteilnehmer 451, 452 
Kleingewerbe 47 


„Können“ i. S. des Art. 18 PStGB. u des 8 42 

StGB. 329 f. 
Kognak, Herſtellung 312 
Kommunmauer 179 ff, 197ff., 223ff, 237ff., 260 ff., 290ff. 
— Entſchädigung; von wem geſchuldet? Abtretbar⸗ 


keit der Entſchädigungsforderung 194f. 
— Konkurseröffnung, Zwangsverſteigerung und 
Zwangsvergleich vor Vollendung der — 194f. 


Verpflichtung zur Aus⸗ 
444 


Kommunmauer, ſ. auch Ueberbau f 
Konkurrenz von Preßdelikten 1 
Konkurrenzklauſel ſ. Wettbewerbverbot 


[Konkursverwalter 387 
Koſten, Niederſchlagung 414 
— des 8 911 ZPO. 19 


— Haftung des Nachlaßverwalters einer armen Partei 51 
— der Zwangserziehung, Begriff 196 
— des Verfahrens bei Zurücknahme des Antrages 
auf einſtweilige Verfügung wegen Veränderung 
der Umſtände 21 
— der Stellvertretung der vor Juſtiz⸗ oder Ver⸗ 
waltungsbehörden geladenen Beamten der Ver⸗ 
kehrsverwaltung 392 
Koſtenfeſtſetzung keine bei außergerichtlichem Ver⸗ 
gleiche 234 
Koſtenvorſchuß 413 
Kraftwagen, mißbräuchliche Benützung während 
der Ausbeſſerung 109 
Krankenverſicherungspflicht der im Juſtiz⸗ 
dienſt beſchäftigten Perſonen 0 
Krankheiten übertragbare; Bekämpfun 
Krieg, geſetzgeberiſche aßnahmen aus Anlaß des 331. 
— Einfluß des — auf Rechte und Verbindlichkeiten 
des bürgerlichen Rechtes 349 
Kriegsbehinderte; Schutzmaßregeln für 333 ff. 
Kriegsteilnehmer, Verleſung ihrer Ausſagen a ft 
— Wählbarkeit zu Gemeindeämtern 
Kriegsteilnehmer, Unterbrechung des Ber 


fahrens 50 
— Klageerhebung 451 
Kündigungsprozeß, Streitwert 76 
Kundſchaft als aktiver Bilanzpoſten 446 
Kunſtanſtalt graphiſche, Erforderniſſe 254 


Kutſcher als Erfüllungsgehilfe des Beſtellers eines 
Arztes 168 
L. 


Lärm, ruheſtörender bei Ausübung eines Gewerbes 174 
Legitimationsſchein 211 

Leichenbitten 449 
Leiſtung, Beſtimmbarkeit der — beim . 


kauf 
— i. S. des $ 817 BGB. 301 
Leumundszeugniſſe 112 
Lichtſpieltheater, ſtehende, ihre polizeiliche Ge⸗ 
nehmigung in Bayern 97 
Liebesbriefe als rechts⸗ uud beweiserhebliche Ur- 
kunden 
Liquidation einer G. m. b. H. 
— Dauer und Aufgaben der 
Löſchung einer altrechtlichen en, 


kung im Grundbuch 3 
Luſtbarkeit, öffentliche 48 
— Steuer 48 

M. 
Mäklerauftrag, Ausſchließung der . 

keit 
Mäklerlohnanſpruch ſ. Anſpruch 
Mahnverfahren auf Duldung der Zwangsvoll— 

jtredung in das eingebrachte Gut 28 
Malzwein, Herſtellung 312 
Maßnahmen, ſichernde 66 
— geſetzgeberiſche aus Anlaß des Kriegs 331 f. 


Maßregel nach Art. 67m P StGB., Vorausſetzungen 
ihrer Gültigkeit 154 
— vorläufige, nach Art. 4 Abſ. 2 ZwéEcG., Voraus⸗ 


ſetzungen 254 
— nach $ 1666 BGB. 388 
— Wiederaufhebung 306 
Mehl 390 
Wieser Haftung aus dem 444 f. 
— ohne Feſtſetzung des Mietzinſes 169 


XX N Inhalts verzeichnis der der Zeitſchrift für Rechtspflege in 1 Bayern. ir 


Militäranwärter, Beurlaubung 56 
Militäriſche Geheimniſſe, Verrat — 284, 336 ff. 
— Ausſpähung 337 f. 
— fahrläſſige Preisgabe — 337 f. 


— Verabredung des Verrates und der Ausſpähung 351 
— Pflicht zur Anzeige von Verrat und Ausſpähung 352 

Militärge richte, Zuſtändigkeit 433 f. 

Militärperſonen, Wählbarkeit zu Gemeinde⸗ 


ämtern 415 

— Wohnſitz, Wohnung und Geſchäftslokal e 

des Krieges 353 ff. 
Militärweſen 236 
Mitbürgen, Ausgleichung 425 


Mitteilungen der Staatsanwälte, Amtsanwälte 
und Gerichte 112 

Mitverſchulden des Reiſenden während der Eifen- 
bahnfahrt 191 

Mitwirkendes Verſchulden 270 f. 


N. 


Nachbargrundſtück, Einwirkung vom Rückprall 
des Regens und Windes 170 
Nacherbenrecht, Eintragung ſeiner Verpfändung 
ins Grundbuch 123 
Nachlaß verwalter, 
des — 
Nachlaß verwaltung, Bedeutung 130 
Namensunterſchrift, rechts⸗ und beweiserheb— 
liche Urkunde 5 
Ne bis in idem 437 
— bei Beſchränkung der Berufung auf das Strafmaß 1, 7 
Nichtigkeit des Rechtsgeſchäfts 133 ff, 160 ff. 
Notar, Haftung 43, 101, 447 
— Verſorgung der — und ihrer Hinterbliebenen 236 
— Vollſtreckungsklauſeln der 321 ff. 
N otariatsgehilfen, bayerische, ihre Verhältniſſe 9 fi 
Notweg, Vorausſetzungen 


O. 


Oeffentliche Klage, Wiederaufnahme 427 
Oeſterreich, Auslieferung 343 
Offenbarungseid des Teſtamentsvollſtreckers 44 
Offiziere, Beleidigung, Antragsberechtigung 447 


Auslagen und Vergütung 
130 


— Haftung des Staates für bayeriſche — 7 
Ordnungsſtrafe nach dem VZ. 449 f. 
P. 

Perſönlicher Verkehr, Regelung 428 
Perſonalakten, polizeiliche 112 
Perſonen des Soldatenſtandes 10 
Pfändbarer Gehalt (Lohn), Berechnung 401 ff. 


Pfändung künftiger oder unbeſtimmt bezeichneter 


Forderungen unzuläſſig 
Pfändungspfandrecht und ä 

an derſelben Sache 
Pfändungsvorrecht für Unterhalt 1 1 

Kinder, Umfang 347 
Pfandrecht, Befriedigung aus dem Pfandgegen— 

ſtand 439 
Pflegſchaft, keine Prüfung des Prozeßrichters, ob 

ſie richtig angeordnet 150 
Pflichtteilslaſt, Verteilung zwiſchen Erben und 

Vermächtnisnehmer 302 f. 
Polizeiblatt, bayeriſches 112 
Polizeihaft 421 
Polizeivorſchrift, Nebenwirkung 206 
Poſt, Ueberweiſungs- und Scheckverkehr 285 it. 
Poſtgebühren 48 
Poſtordnungen 56 
Poſtſcheckgeſetz 196 
Poſtzwang 151 
— pflichtige Gegenſtände, Beförderung 151 


Preis, Anſchlag in den Verkaufsräumen 449 
Preisgabe militäriſcher Geheimniſſe 337 f. 
Preßdelikte, Konkurrenz, Rechtskraftfragen l 
Privatkläger, Koſtentragungspflicht 413 
— Geiſteskranker 389 


Protokolle eines anderen Rechtsſtreites als Be- 
weismittel 390 

Prozeßkoſten, Auslagen für Lichtbilder und Orts- 
beſichtigung 52 


Publikum 447 
R. 
Raum, heizbarer 28 
Rechnungslegung durch Teſtamentsvollſtrecker 44 
Rechnungsweſen bei den Strafanſtalten 80 
Rechtsanwalt, Haftung 102 
— Prüfungspflicht bei Zuſtellung 210 
Rechtsanwaltſchaft, Zulaſſung zur — 284 


Rechtsgeſchäft, Unwirkſamkeit, Nichtigkeit 133 ff., = 5 
Rechtshängigkeit, Einrede 


Rechtshilfe, unzuläſſige 191 
— in Arbeiterverſicherungsſachen 105 
Rechtshilfeverkehr mit Bulgarien 132 
Rechtskraft, der Außerverfolgungſetzung 427 
— Wirkung bei Verſäumnisurteil 155 


— Wirkung bei Strafbeſcheiden der Verſicherungs— 
ämter 193 
— Wirkung des Urteiles 390 f. 
Rechtskraftfragen bei Konkurrenz von Preß— 
delikten 
Rechtspflege und Irrenfürſorge 82 ff. 
Rechtswidrigkeiten der Beteiligten im Verfahren 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit 294 ff 
Regiſterrichter, Prüfungspflicht in Geſchmacks— 
muſterſachen 137 ff., 164 ff., 185 ff. 
— Prüfungspflicht in Genoſſenſchaftsſachen, Nicht⸗ 
eintragung eines ordnungswidrigen General— 
verſammlungsbeſchluſſes 30 
Reichsfiskus, Vertretung 156 
Reviſion wegen Verletzung des § 415 STD. 108 
— keine auf Mitteilung von Gescher über den 
Hergang bei der Beratung und Abſtimmung 152 f. 
— gegen ein nach § 539 ZPO. erlaſſenes Urteil 210 
Richter, Amtspflichtverletzung 43 
Rückgewähr durch Sicherheitsübereignung 323 f. 


S. 


Sacharinſchmuggel aus der Schweiz unmittelbar 
nach Oeſterreich 275 
Schaden, Begriff 445 
Schadenerſatz, Höhe 383 f. 
Schadenerſatzanſpruch ſ. Anſpruch 
Schadensteilung bei beiderſeits verſchuldeter Un— 
möglichkeit 148 


Schankrecht der Bierbrauer 49 
Scheckgeheimnis der Poſt 288 
Scheckverkehr der Poſt 285 ff 
Schenkung von Todes wegen 125 f. 
Schenkungsverſprechen 169 
Schiedsgericht, rechtliches Gehör 52 
— oder Schiedsgutachten? 175 
Schiedsgutachten 175 
Schiedsrichter, Ablehnung 52 
— in eigener Sache 175 
Schieds vertrag, Einrede und Nichtigkeit des — 175 
Schlachthaus zwang, Ausdehnung auf Schlachtung 
von Schweinen für den eigenen Hausbedarf 309 
Schreibweiſe eines Namens, Feſtſtellung der — 359 
Schriftſtücke Verſtorbener, Verleſung im Straf— 
verfahren 258 ff. 
Schubhaft 421 


Schützengeſellſchaften, privilegierte in Bayern, .“ 
Ausſchließung eines Mitgliedes 411 
— Zuſtändigkeit der Generalverſammlung 411 


——. a en en Eee m nn = 


Schübengefelljchaften, Klage gegen die Aus⸗ 


ſchließung 411 
— Stellung des Schützenkommiſſariates 410 
Schuldnerverzeichnis, Form 41 
Schuldverſchreibungen 256 
Schulpflichtverordnungen 79 
Schutzgeſetz 208, 253 


Schutzmaßregeln für Kriegsbehinderte 333 ff. 
Selbſtkoſtenpreis, keine Eigenſchaft einer Sache 167 f. 
Sichernde Maßnahmen 66, 177 f. 
Sicherheit, prozeſſuale, Umwandlung in Hinter⸗ 
legung 148 


Sicherungsübereignung als Rückgewähr 323 f. 
Siegelbruch, Vorausſetzungen 356 
Sondergerichte, Zuſtändigkeit 433 ff 


Sperrjahr bei Liquidation einer G. m. b. H. 418, 419 
Spezialität im Auslieferungsverkehr, beſ. mit 
Oeſterreich 343 
Standrecht, Idealkonkurrenz und Aenderung der 
Strafklage 433 ff. 
— Juſtandig keit 433 ff. 
— Verweiſung vom Standrecht an das ordentliche 


Gericht und umgekehrt 37 ff 
Statiſtiſches zum Geſetz vom 19. Juni 1912 betr. 
die Aenderung des Strafgeſetzbuches 311 
Stempelbefreiung bei teils bebauten teils un⸗ 
bebauten Anweſen 122 f. 
Stille Geſellſchaft oder Darlehensvertrag? 323 ff. 
Stiller Geſellſchafter, Prüfungsrecht, Umfang, 
Ausübung durch Bevollmächtigten 26 
Strafandrohung zurErzwingung poſitiven Tuns 151 
Strafantrag, Berechtigung 447 
— Erlöſchen des — bei außergerichtlichem Vergleich 346 
Strafanſtalten, Rechnungsweſen 80 
Strafbefehl, Ablehnung der Erlaſſung er N 
Wiederaufnahme des Verfahrens 404 
S trafbeſcheide der Verſicherungsämter Wirkung, 
ihrer Rechtskraft 193 
Strafen „ungeſetzliche Hinderung ihres Vollzugs 96, 298f. 
Stra fer la ß im Dienſtſtrafverfahren 201 ff. 
— des bayer. BG. 217ff. 
Strafhaft 117, 421 
Strafklage, Aenderung der — im Standrecht 133 05 
— Verbrauch im Privatklageverfahren 
Strafmilderung im Dienſtſtrafverfahren 1 
bayer. BG. 201 ff., 217 ff. 
Strafregiſter 32 
Strafſachen, amts⸗ und ſchöffengerichtliche, neue 
Vorſchriften für ihre Behandlung. 12, 


Strafvollſtreckung 114 ff., 175 ff 
Strafvollzugsgeſetz, Vorentwurf 177 
Strafzeit, Berechnung 117, 143 f., 421 

15 


Streitgenoſſen als Zeugen 0 
Streitwert eines Kündigungsprozeſſes 76 
— eines Arreſtes 234 
— sjeitfegung, gerichtliche 234 
Stundung, Einrede der — 442 


Süßſtoff, Einfuhr aus Schweiz, Wiederausfuhr nach 
Oeſterreich 24 


T. 


Tätigkeit, landwirtſchaftliche 
Tageszei tun gen, unrichtige Angaben im i 


49 


teil 188 ff. 
Tamarindenmus 104 
Tank, Beſtandteil eines Brauereigrundſtücks? 99 f. 
Tatbe ſtand, mangelhafter 211 


Tateinheit bei gleichzeitiger Gebrauchnahme Be 
mehreren gefälſchten Urkunden 304 


Tatſachen, neue 209, 427 
Teſtament, Auslegung 170 f. 
— unrichtig datiertes eigenhändiges 231 


— eigenhändiges mit Lücken für jpätere Anordnungen 
und der Unterſchrift auf einer leeren Seite 231 f. 


II. Alphabetiſches Verzeichnis. 


XXI 


Teſtamentsvollſtrecker 44 
— Stellung bei Auseinanderſetzung des Geſamtgutes 274 
Traubenmaiſche 104 
Treu und Glauben 444 


U. 


Ueberbau ö8ff., 157ff., 181, 194 f., 197ff., 223 ff., 237ff. 
Kommunmauer 
Ueberlands⸗Elektrizitäts⸗Zentralaktien⸗ 
geſellſchaften, Verträge mit bayer. Kreisge⸗ 
meinden 17, 1 
Uebernahmerecht nach § 1477 Abſ. 2 BGB., ge- 
hört zum Nachlaß 273 f. 
— kann vom Teſtamentsvollſtrecker ausgeübt werden 273f. 
— Zeitpunkt und Vorausſetzung ſeiner Ausübung ä 
Ueberſtreckung von Wein 
Uebertretungen, Statiſtik 256 
Ueberweiſung⸗ und Scheckverkehr der Poſt 285 ff. 


Unabwendbarer Zufall, Begriff 304 

— Verſehen des Gerichtsſchreibers 303 
— Verhalten des Gerichtes 304 
Unfall an einem Aufzug 444 f. 
— in einer Wirtſchaft 101, 426 
— in einer Kegelbahn 42 
— auf einem Treppenlinoleum 101 
— auf einer Ortsſtraße 149 
— während der Eiſenbahnfahrt 191 


— des Kurgaſtes durch glatten Fußboden im Kur⸗ 

hauſe 230 
— des Mieters durch Geräte auf der Treppe 
Unterbrechung des Verfahrens gegen Kriegs- 

teilnehmer 450 f. 
Unterlaſſungsklage 67 
Unterhalt eines minderjährigen Kindes; Bemeſſung 

des — 342 
Unterhaltsübereinkommen 37 
Unternehmen einer ſtrafbaren Handlung, Begriff 327 


Unternehmung, gemiſchtwirtſchaftliche 17, 166 
Unterſuchungshaft Anrechnung 4 f., 423 
— bei Geſamtſtrafe nach 8 79 StGB. 253 
— Entſchädigung für unſchuldig erlittene 27 
Unwirkſamkeit des Rechtsgeſchäfts 133, 160 ff. 
Unzüchtiger Gebrauch, zum — beſtimmt 275 
Urkundenfälſchung, Beihilfe; ee ee 


durch Fälſchung von Blankoindoſſament 
— bei 1 von 1 
nach $ 14 VO. 193 
— nur beim Willen auf den Rechtsverkehr einzuwirken 253 


Urkundenprozeß, Klage auf Dienſtlohn im — 23 
Urkundenunterdrückung 408 
Urſprungsort einer Zeitung, doppelter — 151 


Urteile, rechtskräftige, im Verfahren der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit 294 ff 


V. 


Veränderung des rechtlichen Geſichtspunktes, Be— 
lehrung 327 
Veräußerung des Geſchäfts einer G. m. b. H. im 
ganzen 418, 420 
— fiduziariſche von Gegenſtänden in der Abſicht, 
ſie dem Zugriffe der Gläubiger zu entziehen, Wir— 
kung 300 
Verbindung von Sachen mit einem Grundſtück 
durch den Pächter 229 
Verbrechens mehrheit bei mehreren in einem 


Zeitungsartikel enthaltenen Beleidigungen 1 
Verbürgung, geſamtſchuldneriſche 425 
Verfälſchung von Heidelbeerwein 70 f. 


Verfahren der freiwilligen Gerichtsbar— 


keit, Wirkung rechtskräftiger Urteile im — 294 ff. 
— Rechtswidrigkeiten der Beteiligten im — 294 ff. 
Vergleich im Privatklageverfahren 108 
— außergerichtliche, keine Koſtenſeſtſetzung 234 


XXII 


Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in in n Bayern. 


air 


Verhältnis zwiſchen 8 284 StGB. und 88 3, 6 
. 233 
wiſchen e und eee, 


orſchriften in der Pfalz 
— des 8 153 Gewd. zu dem eine härtere Strafe m 
drohenden allgemeinen Strafgeſetze 308 
— dasſelbe rechtliche 342 
— zwiſchen 8 242 StGB. und § 370 Nr. 5 StGB. 408 
Verjährung bei Baupolizeiübertretungen 452 
Verkehrsſicherheit 300, 426 
Verkehrs verbot gegenüber Aerzten 207 f. 
Verleſung von Schriftſtücken Verſtorbenen im Straf⸗ 
verfahren 258 
— der Ausſagen von Kriegsteilnehmern 393 ff. 
Verlöbnis, Bruch des —, Schadenserſatzklage, Ver⸗ 
halten des klagenden Teiles nach dem Bruche 2 
— neuerliche Bereitwilligkeit des Beklagten zur es 
ſchließung 
Vermieter, Haftung 42, 101, 300, ur 
— Ueberwachungspflicht, Umfang 100 
— Offenbarungspflicht 230 
— Schutzpflicht 300 
Vermittlungs agent für Darlehen, Begriff 345 f. 
Vermögensbeſchädigung durch Bewirkung 
einer Gutſchrift 304 
Veröffentlichungsbefugnis des nn 
Vorgeſetzten 
Verrat militäriſcher Geheimniſſe 284, os 7 
50 ff. 
Verſäumnisurteil gegen Kriegsteilnehmer ah 
Verſchönerung des Stadtbildes 451 f. 
Verſchollen er Erbſchaftsanfall, Abweſenheitspfleg⸗ 
ſchaft 25 
Verſchulden, mitwirkendes 270 f. 
Verſchwen dung durch nachläſſiges Wirtſchaften 325 
Verſch wiegenheitspflicht des Bankiers 271 
Verſetzung des lebenslänglich angeſtellten Hand— 
lungsgehilfen 358 
Verſtoß gegen die guten Sitten bei fahr- 
läſſiger falſcher Auskunft 67 
— bei Häufung von Vertragsſtrafen 100 
— bei Gewährung von Mitteln zum Spiel 7 A 
— bei Forderungsabtretungen 
— bei einem Beſtechung vorſehenden Agenturvertrag 168 
— bei Schiedsvertrag, wenn Beteiligte Schiedsrichter 
in eigener Sache ſein ſollen 175 
durch das ſog. Verkehrsverbot gegenüber Aerzten 208 
— bei Verträgen mit ſog. Automatenfirmen 226 
— bei Verträgen zur Umgehung des Güterzertrüm— 
merungsgeſetzes 250 
bei Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes 271 
— bei den frauduloſen Geſchäften des §S 311 KO. und 
83! AnfG 300 
— bei Verträgen zwiſchen Eheleuten zur Erleichterung 
der Eheſcheidung 357 f. 
— bei Erlangung eines Urteiles, Wirkung 357 
— bei Wettbewerbverbot unter Bindung auf Ehren: 
wort 384 f. 
Verſuch, untauglicher 449 f. 
Vertagungsgrund, Erheblichkeit des — 09 
Verträge bayer. Kreisgemeinden mit Ueberlands— 
Elektrizitäts-Zentral-Aktiengeſellſchaften 


— mit Automatenfirmen, nichtig oder anfechtbar? 225 f. 
— zur Umgehung des Güterze rtrümmerungsgeſetzes 248 jf. 
— zugunſten Dritter, Form 358, 150 
Vertrag, ſog. 1500 Mark — 18, 361 
— mit Rechtsanwalt als Werkvertrag 229 . 
— über die Verpflichtung zur Abnahme von Ge⸗ 
ſchäftsanteilen einer G. m b. H., Form 4 
Vertragsanſpruch Hinterbliebener eines Verun— 


glückten 342 
Vertragsſtrafe, Ermäßigung 426 
— Häufung 100 


Vertrags verhältnis trotz verweigerter Unter— 
ſchrift des Vertragsentwurfs 147 


SQ — . ar S1 de = 


Vertragsverletzung, zugleich unerlaubte Hand⸗ 
lung 208 
Vertreter beim Sühnetermin in Beleidigungs⸗ 
ſachen 339 f. 
Vertrieb i. S. des S 20 Abſ. 2 FleiſchbG. 193 f. 
Verwaltung, zwangsweiſe auf Grund 8 1434 
BGB. 118 ff. 
Verweiſungsbeſchluß nach 8 697 8218 Ge⸗ 


bührenpflicht 175, 213 f., 299 f. 
Verzicht, nachträglicher auf Anſprüche aus Män⸗ 
geln eines Grundſtückes 68 f. 


— auf Vorbehalt des Rechtes auf Vertragsſtrafe 

— des Gläubigers im Zwangsvergleich 

— der Frau auf Unterhalt gegen die Verpflichtung 
des Mannes, ihr einen Grund zur Scheidung zu 
geben 357 

Vollſtreckungs befehl nach Zurücknahme des 
Widerſpruchs? 255 


100 
102 


Vollſtreckungsklauſeln der Notare 321 
Vollſtreckungskoſten, Begriff 51 
Vollſtreckungstitel, Zwangsverſteigerung 185 
dem dinglichen oder dem perſönlichen — 39 ff. 
Vollzug ungeſetzlicher Strafen, Hinderung des 5 Er 
— des Reichs⸗ und Staatsangehörigkeitsgeſetzes 284 
— der Wandlung, Zwiſchenſtreit 403 
Volontär 375 
Vorausklage, Einrede der — 442 


Vorbehaltsklauſel des internationalen Privat- 
rechtes 315 ff. 
Vo 89658 geſetzter, Veröffentlichungsbefugnis nach $ . 
0 


ee Einſtellung, ſ. Einftellung 
Vormerkung für Anſpruch auf Hypothekbeſtellung 
aus einem Vertrage zugunſten Dritter 150 
Vormund, Strafbarkeit nach 8 153 Gewd. 131 
Vormundſchaftsgerichtliche Genehmigung 448 
Vorſatz i. S. des 8 1492 RVO. 326 
Vorſchriften, neue, für die Behandlung der amts- 
und ſchöffengerichtlichen Strafſachen 12, 
— ortspolizeiliche, Vorausſetzungen ihrer Gültigkeit 77 


— geſundheitspolizeiliche; ihre Gültigkeit beim a 
hygieniſcher Anſchauungen 389 f 


Vorübergehender Zweck 229 
W. 

Wählbarkeit zu Gemeindeämtern 414 

Wandlung 403 


Wandelungsanſpruch des Käufers, Erfüllungsort 77 
Warenzeichenſchutz 427 
Wechſelforderungen, Beitreibung von — 203f. 
Wein, Vorausſetzung der Zuckerung 71 
— ſeine Ueberſtreckung und Verkauf als einheitliche 
Handlung 


Werkmeiſter, Begriff 384 f. 
Werkvertrag, Rücktritt 168 
Wertzuwachsſteuer, Uebernahme der — durch 
Käufer erhöht Kaufpreis 153 
Wette, Weitergabe an Buchmacher a 


Wettbewerbverbot für Handlungsgehilfen a ft 
— für Handlungslehrlinge 


— für Volontäre 355 
— für Gewerbsgehilfen (Werkmeiſter) 384 f. 
— Umgehung des 192 


Wichtiger Grund zur Kündigung des Sl, 
verhältniſſes 271 


— infolge des Krieges 349 f. 
Wiederaufnahme der öffentlichen Klage 427 
— des Strafbefehlsverfahrens 404 


Wiedereinſetzuug in den vorigen Stand 132, 304 
Widerklage, Zuläſſigkeit 424 
— trotz Unzuläſſigkeit der Aufrechnung? 204 ff., 2514. 


Wild, Einziehung 329 f. 


Wirt, Haftung für Verkehrsſicherheit 

— Umfang der Beleuchtungspflicht 101 

Wirt, Verpflichtung zur e ſeiner nn, 
gegenſtände 44 

— Bierpreisanſchlag f. 

Wirtſchaftliche Güter als Bilanzpoſten 446 

= ohnſitz von Militärperſonen während des Krieges 353 ff. 
Wohnung von Militärperſonen während des 
Krieges 353 ff. 

3. 


Zahlungsfriſt, gerichtliche Bewilligung 442 
„Zentrale“, mißbräuchliche Verwendung der Be⸗ 
zeichnung — 388 
Zollvergehen 449 
Zeugnisverweigerungsrecht des Bankiers 272 


Zuckerung des Weines; Vorausſetzungen 71 
— erlaubte 233 
Zugewinſtgemeinſchaft 73 f. 
Zurückbehaltungsrecht, Zuläſſigkeit 424 
Zurückverweiſung in die erſte Inſtanz 68 
— unrichtige an das Landgericht 192 


Zurückbehaltungsrecht, ſeine Behandlung 1 


Prozeſſe 25 
— in Verbindung mit Widerklage 251 
— ſittenwidrige Ausübung 271 
„ urſächlicher 70f. 
Zuſicherung, mündliche beim Grundſtückskauf 42 
Zuſtändigkeit des Standrechts 33 ff. 
— militärgerichtliche 433 f. 


— des Gerichtsſchreibers zur Entgegennahme 1 
Haftkoſten nach $ 911 ZPO. 


II. Alphabetisches Verzeichnis. 


XXIII 


Zuſtändigkeit eines deutſchen Gerichtes für Ehe⸗ 
ſcheidung öſterr. Ehegatten auf Grund Vereinbarung 45 
— Vereinbarung unanfechtbar 46 
— zur Verbeſcheidung der Beſchwerden wegen ver⸗ 
weigerter Rechtshilfe in Arbeiterverſicherungsſachen 105 
— zur Koſtenfeſtſetzung im Privatklageverfahren 108 
— zur Ausſchließung des Mitgliedes eines einge⸗ 
tragenen Vereines 110 
— zur Behandlung des Nachlaſſes eines in Deutſch⸗ 
land verſtorbenen, aber im Auslande im Gebiete 
eines Gerichtskonſuls wohnhaften Deutſchen 122 
— zur Verbeſcheidung der Rechnung über Auslagen 
und Vergütung des Nachlaßverwalters 130 
— zur Entſcheidung über Anſpruch aus Kirchen⸗ und 
Pfarrverband, auch wenn Kläger ſeinen Anſpruch 
aus einem privatrechtlichen Vertrag ableiten will 214 f. 
— ausſchließliche des Kaufmannsgerichts 26 
Zuſtellung verkündeter amtsgerichtlicher 57 f. 118 1 


7 


— öffentliche oder Erſatz — 210 
— gemeindlicher Ausſtandsverzeichniſſe vor der 
Pfändung 268 f. 


Zuſtim mung (ſtillſchweigende) des Beklagten zur 
Zurücknahme der Klage 22 
gang un pohel neben Vertrags⸗ 
ſicherungshypothek 360 
Zwangsverſteigerung aus dem dinglichen oder 
dem perſönlichen Vollſtreckungstitel 439 ff 
Zwangsvollſtreckung auf Grund ee 
Ausſtandsverzeichniſſe 268 f. 
Zweck vorübergehender 229 
Zwiſchenſtreit über den Vollzug der Wandlung 403 


III. verzeichnis der Geſetzesſtellen. 


(Die fetten Zahlen bedeuten die Paragraphen oder Artikel, die kleinen die Seiten.) 


A. Neichsgeſetze. 


1. Bürgerliches Geſetzbuch. 


Nr. 2 325 


59, 99, 157 ff., 
180, 199, 239 
59, 157 ff., 180 
197. 229, 239 
99, 310 


161 
42, 161, 225, 
230 


161, 336 

23 

106, 110 
166, 300 

161 

161 

100,148 f., 166, 
168, 175, 226, 
250, 300f., 
357 f., 385 
42, 162, 250 
162 f 

162 f, 227 
161 


169 

169 

110, 350 
161 f. 
443 


208, 445 


254 


43, 148, 191 
Abſ. 1 20 
77 

125, 251, 342, 
424 

125, 424 

349 

67,102, 149, 191 
102, 109, 168, 


420 


350 
270, 350, 386 
271, 350 


261 
261 


241, 261, 263, 293 


223, 241, 261, 


336 

180, 224 
300, 358 
390 

224 f. 

43, 69 f., 149 
188 


67, 208, 357f. 
232, 233 

8, 9, 11, 43, 
101, 447 
270, 342 

150 

290 

290 

Abſ. 5 20 
150, 161, 207 
302, 306 

170 

158 

110 

170 


58 f., 159 f., 


197 ., 239 
181 

191 
180,199 f. 223, 


240 ff., 


261 f., 


1233 


158 
59, 61, 157 ff., 
1 


336 
110, 261, 292 


92 
223, 239, 242 
318 


439 f. 


1231 fl. 439f. 


1273 
1274 
1275 
1277 
1280 
1282 
1298 
1299 
1300 
1317 
1394 
1442 
1475 
1476 
1477 
1565 
1567 
1570 
1596 
1597 


272, 405 
272 
272 
136 
160 
28 
274 f. 
2747. 
273 ff. 
42) 
209 
426 
161 
161 


15% 325 1962 155 5. Wechſelordnung. 
1610 34 1966 1 23 
1686 428 1975 130 | a 2 nn 
1645 387 ; 1987 35 
1666 254 f., 277, 1997 336 
306, 388 2082 26 eee 
1671 306 2075 386 44 387 14 287f. 
1792 36 2078 161 13 288 
1799 36 2084 106, 232 | 
1833 8 2086 232 7. Bekanntmachung des Bundesrats vom 29. Auguſt 1914 
1835 1 2087 26 | die wei i der Friſten des Wechſels⸗ 
186 180 2094 1267 | betr. die er 1 hf 
1837 36, 130, 306 2118 124 ! ö 
1840 130 2160 162 1348 2 348 
1841 130 2215 44 | 
1842 130 2218 45 | 8. Geſetz betr. die Geſellſchaften m. b. H. 
a N 41 44 70 173, 419 
1886 307 2307 303 60 173 73 418 
1892 130 2318 303 | 
1909 2320 303 
1911 25, 305 2321 303 | 9. Genoſſenſchaftsgeſetz. 
1915 130 2324 303 11 307 51 307 
1921 340 2337 162 16 307 
1922 26 2359 295 
1923 162 2361 295, 387 | 10. Vörſengeſetz. 
1944 Abſ. 2 21 2862 295 686 160 
1960 2869 26 | 
2. Eiuführungsgeſetz zum Bürgerlichen Geſetzbuch. 11. Geſetz vom 11. Januar 1876 betr. das Urheberrecht 
3 320 82 410 | an Muſtern und Modellen. 
7 313 109 320, 329 | 164, 185 f. 9 137 ff., 187f. 
13 313 f 111 320, 329 8 138 10 10 ! 
15 313 113 318f., 329 | 7 142 11 187 
17 313 115 318 f., 329 | 8 141 12 138 ff. 
2 313 168 410 | 
5 313 1 | 12. Warenzeichengeſetz. 
27 314 168 193 1 ä 
30 5 5 5 235 | 
55 319, 329 18 
74 72 . 189 328 13. Geſetz gegen den unlauteren Wettbewerb. 
77 8, 9 189 193 15 427 
| 
N 3. Handelsgeſetzbuch. | 14. Gewerbeorbnnng. 
a pi 3 5 28 110, 208 60d 105 
13 345 140 294 39a 97. 118 160 
5 35 Abſ. 7 346 120a 208 
18 46, 254, 388 146 294 44 A5. 3 49 1831 384 
en win 355 105 148 Ziff. 4 346 
25 a 57 282. 153 131, 308 
25 252 192 417 
30 46, 418 195 419 | 
39 418 207 417 | 15. Reichsverſicherungsorduung. 
40 446 208 417 115 105 1495 193 
50 46, 345 221 418 1419 193 1571 105 
51 345 248 18, 166f 1492 326 
53 276 271 296 | Ä 
59 365 313 418 g i Sordnung. 
70 350 335 323 | 16. Einführungsgeſetz zur Reichsverſicherungso 8 
74 311, 365 388 26, 294 | 85 105 
75 311, 365 312 323 ff. 
76 3001 311,366 355 346 f ö 17. Perſonenſtandsgeſetz. 
92 35 466 281 f 22 360 65 359f. 
117 296, 350 | 564 360 66 295, 35977. 
| | 9 360 
4. Geſetz vom 10. Juni 1914 betr. die Aenderung der mu 
Ss 74, 75, 76 Abſ. 1 des Handelsgeſetzbuches. | 18. Gerichtsverfaſſungsgeſetz. 
1 74 367 750 373 . 3 
Zn 20 754 374 m 105 100 10 
8 7 2 e 0 
n 740 370 751 374 | 158 105 200 1525. 
75 37 6 Abſ. 1 375 . 8 | 
"5a 352 er S. a ; i 19. Einführungsgeſetz zum Gerichtsverfaſſungsgeſetz. 


75b 373 III 375 1 3 


XXVI Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. 


20. Zivilprozeßordnung. 6 333, 335 9 333 ff 
3 76, 234 725 321 | 7 333, 335 f. 10 333 
6 195 726 321 f 8 335 11 334 
1 727 321 I 
as 77 780 325 f | 22. Belanutmahung vom 7. Auguſt 1914 über die gericht: 
42 52 781 323 liche Bewilligung von Zahlungsfriſten (RG Bl. 357). 
43 52 7832 323 1 442 2 442 
ni 10 85 
1 7 f 
57 335. 742 322. 4855 = RRR 
68 130 750 268 f. 322 5 326 
78 431 Er 767 310, 323, 404 
9 ! 
= 210 214, 7 5 31⁰ | 24. Lohnbeſchlaguahmegeſetz. 
106 51 776 310 1 401f. 4 401f. 
114 51 788 51 3 401f. 
128 102 794 441 | 
180 355 795 321, 441 | 25. Zwangsverſteigerungsgeſetz. 
188 355 800 323 10 Abſ. 5 380, 56 247 
224 109 808 440 f. 59 267 
227 109 804 185, 440 20 292, 310 63 94 
232 132 808 21 292 64 94 
288 132, 303, 304 814 439 22 292 65 310 
287 129f. 815 334 23 292, 441 78 268 
238 132 821 334 24 292 89 379 
247 334 525 27 310 91 379 
248 336 829 185 f. 292 209 310 92 379 
219 333, 336 330 30 310 104 379 
250 336 885 341, 380 31 310 105 381 
252 336 840 32 310 107 380 
258 ne 844 186 37 Nr. 5 310, 109 380 
256 69 f., 208 847 234 0 111 380 
257 204 848 120 44 441 112 94 
271 22, 214 850 311,347, 401f. 415 265 118 246, 379 ff 
274 175 851 1419 242 125 
280 403 855 120 50 242 ff. 148 228 
286 390 857 120, 185 51 242 ff. 144 227 
294 334 860 382 242 ff. 148 292 
318 211 864 94, 360 55 310 172 310 
317 38, 57, 113 867 | 
322 156, 296, 328, 868 360 26. Konkursordnung 
330 an 209 161 73 335 
328 209 f. 883 120, 334 5 { 2 
30 335 76 335 
325 328, 390 885 120 
328 Nr. 1 128 887 151 31 35 102 335 
: j 32 335 117 186 
320 175 57, 133 888 151 1 121 288 
330 890 151 | - 
385 450 900 Abſ. 3 37, 39, . 
360 102 58, 113 27. Gerichts koſtengeſetz. 
415 390 901 58 16 234, 430 80b 48 
461 102 911 19 18 213 88 413 
468 102, 390 915 41 26 175, 213, 299 90 413 
464 390 916 293 
1 385. 575,113 1 7 28. Gebührenordnung für Rechtsanwälte. 
497 39 922 114 12 234 68 279 
537 68 926 382 67 279 70 279 
588 192, 210 930 269 f. 
539 210 985 184, 293, 382 29. Geſetz über die Angelegenheiten der freiwilligen 
565 210 986 184, 382 Gerichtsbarkeit. 
592 23 940 184, 293, 382 2 81 75 130 
597 23 952 335 12 995 86 294 
616 209 970 335 18 429 93 296 
688 28 987 335 19 190 ff. 95 294 
1 u 20 130f.,306,387 127 211 
697 175 1025 175, 333 28 190 fl. 145 294. 296 
70% 410 1082 52 57 Nr. 6 306 146 294 
9 0 . 59 306 fl., 428 176 Abſ. 3 34f 
717 232 1041 52 63 307 183 34 
73 Abſ. 1 122 199 190 ff. 


21. Geſetz vom 4. Auguft 1914 betr. den Schutz der 
2 2 N . N a 1 

infolge des . ihrer Rechte ge 30. Grundbuchordnung. 
333 ff., 450 4 333 ff. 19 123 ff. 29 306 
333 ff. 5 333f. 22 81., 123 f., 306 36 26 


40 123 ff., 305 f. 52 123 f. 
43 302 54 302, 327 ff. 
48 93, 305 83 72. 
49 93 
31. Strafgeſetzbuch. 
28 121 223 308 
29 122 240 308 
42 329 f. 241 308 
49 23, 24 242 408 
49a 436 263 171 f., 304 f. 
60 145, 253 264 3 297f. 

67 452 267 253, 304 
73 1, 233, 304, 274 Nr. 1 408 
433 ff. 284 24, 233 
74 24 288 301, 361 ff 

79 253, 376 ff. 305 342 

92 337 352 172 

113 434 ff. 359 361 

136 356 360 Nr. 1 353 

184 Abſ. 1 Nr. 3 360 Nr. 8 430 
233, 275, 447 360 Nr. 11 174 

185 6, 308 361 Nr. 4 449 

186 6 367 Nr. 15 28,213, 

193 6 451 

169 355, 447 870 Nr. 5 408 

200 355 


32. Einführungsgeſetz zum Strafgeſetzbuch. 
2 319 


33. Nahrungsmittelgeſetz. 


2 76 4 76 

3 76 11 70f. 
34. Fleiſchbeſchaugeſetz. 

2 309 24 75 f., 309 

20 75 f., 193 f., 309 29 75f. 


35. Weingeſetz. 


III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen. 


— ——— — nn 


XXVII 
209 228 372 4, 6 
210 228, 427 399 405 
244 259 415 1, 108 
248 258 ff. 420 339 
249 258 ff. 447 442 
250 258 ff., 39g ff. 448 442 
260 259 482 146, 423 
264 327 489 4210. 
351 Abſ. 2 442 490 96, 298 f 
852 108 496 413 


43. Geſetz betr. die Eutſchädignug für unſchuldig er: 
littene Unterſuchungshaft. 


1 28 4 27. 


44. Reichsbeamtengeſetz. 
118 218 


45. Geſetz vom 22. Mai 1910 über die Haftung des 
Reiches für ſeine Beamten. 


1 9 

46. Offizierspenſionsgeſetz. 
5 10 38 10, 11 

47. Maunſchaftsverſorgungsgeſetz. 

3 10 41 10, 11 

48. Reichs militärgeſetz. 
38 415 

49. Kriegsleiſtungsgeſetz. 
3 12 14 12 
6 12 35 12 

50. Naturalleiſtungsgeſetz. 
14 11 


51. Geſetz gegen den Verrat militäriſcher Geheimniſſe. 


2 104 10 104 1 337 9 352 
4 104 26 104 2 338, 352 10 352, 364 
9 104 27 105 3 337. 11 352 
4 338, 352 12 353 
i 5 351 13 
36. Süßſtoffgeſet. 6 351, 364 14 353 
7 24 7 351, 364 16 353 
8 337’, 352 8 353 
37. Geſetz betr. die Wetten bei öffentlich veranſtalteten 2 
Pferderennen. 52. Militärſtrafgerichtsordnung. 
1 6 233 2 434 3 433 
8 233 f. 
38. Preßgeſetz | 53. Konſulargerichtsbarkeitsgeſetz. 
| 
11 382. 15 353 2 122 I 1 
7 122 19 122 
39. Impigeieh. Ä 54. Bojtgefeg. 
1 212 12 213 a W 
3 212 14 213 a 14 
4 212 2 f. 
| 5 288 27 151f. 
40. Vogelſchutzgeſetz. 
7 131 1 | 55. Poſtſcheckgeſetz. 
1 286 7 288 
41. Viehſeuchengeſetz. | 5 280 i = 885 
40 128 105, 128 | 2 57, 289 
f N 4 286 f. 289 10 288 
42. Strafprozeßordnung. | 5 286 
99 288 202 228 | en 
100 288 207 228, 442 f. | 56. Reichspoſtſcheckordnung. 
101 288 208 40, 308, 433, 1286 3 288 
111 27 434 28257. 4 288 


XXVIII Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. 


„ Ale ee —. — einen .. ͤ ͤ—.!.. . a — — ꝓ ́G—!——x—x—x—3—x—ßxÄKx—rßx«‚ͥ Ä—w— 


5 286 8 286, 288 | 61. Wertzuwachs ſteuergeſetz. 
6 288 ff. 9 286 f. | 1 153 29 153 
7 286 ff. 24 153 
57. Internationales Uebereinkommen über den Eiſen⸗ 62. Vereinszollgeſetz. 
bahnfrachtverkehr in der Faſſung vom 19. September 1906. 134 327 187 Abſ. 2 449f. 
41 281 f. 1385 449f. 152 449 f. 
136 Ziff. 10 449f. 
58. Reichsſchuld buchgeſetz. | 
3 288 9 288 63. Handels: und Zollvertrag mit Oeſterreich vom 
6. Dezember 1891. 
59. Reichsſtempelgeſetz. 10 275 
7 419 88 123 | 
Tarif 11 lit. a und d 123 — Spalte 2 letzter Abſatz 122 | 64. Zollkartell mit Oeſterreich vom 6. Dezember 1891. 
17 275 
60. Novelle zum Reichs ſtempelgeſetz vom 3. Juli 1913. 
Tarif 4 12 b 419 Tarif 442 8 419 65. Geſetz betr. die Ausführung des mit Oeſterreich⸗ 
f 4 1 d 419 1 A 419 Ungarn abgeſchloſſenen Zollkartells vom 9. Juni 1895. 
141 d 2 419 41e 1 420 2 24 


4 


B. Landesgeſetze. 


1. Ausführungsgeſetz zum Bürgerlichen Geſetzbuche. 12. Forſtgeſetz. 
60 9 70 238, 260, 262, 23 318 90 329 
61 11 290, 292 21 319f. 92 ip 1 317 ff., 
68 180, 184, 224, 77 290 25 319f. 32 
238, 260,262 f., 78 291 41 319, 321 93 329 
290 ff. 165 9 42 319, 321 94 329 
69 238, 260, 262, 77 319, 321 95 329 
290, 292 88 329 96 329 
89 329 
2. Uebergangsgeſetz. 
24 328 83 73f. | 13. Forſtſtrafgeſetzbuch für die Pfalz. 
28 387 81 737. 9 277 ff. 19 277. 
62 328 9 328 
79 387 | 14. Jagdgeſetz. 
i 2 52f. 5 Abſ. 2 53 
3. Zwangserziehungsgeſetz. 3 52f. 6 53, 186 
4 254 8 196 | 4 52 23 329. 
4. Ausführungsgeſetz zum Gerichtsverfaſſungsgeſetz. 15. Verordnung vom 6. Juni 1909 die Ausübung und 
26 11 73 364 Behandlung der Jagd betr. 
35 364 80 339 8 329f. | 10 329 f. 
71 364 9 329f. 18 329. 
5. Bayer. Geſetz vom 21. Auguſt 1914, betr. die Abänderung 16. Güterzertrümmerungsgeſetz. 
des Ausführungsgeſetzes zum Gerichtsverfaffungsgeſetz. 1 97, 248 fl. 4 97 
364 2 97, 173 5 97 
6. Ansführungsgeſetz zur Grundbuchordnung. 17. Polizeiſtrafgeſetzbuch. 
17 72%. 57 328 14 309 74 75f., 193f., 309 
18 329 f. 75 389 
ü 32 97. 83 107 
F zur . 33 97 101 28, 451 
1 268 127 323 50 70 m 8 448 
Hp 9: 58 79 1% i 
N e 67 Abſ. 2 154 144 
10 72 8. Grundbuchanletzungsgeſetz. 18. Bayeriſches Strafgeſenbuch von 1813. 
110 Abſ. 2 435 42 Nr. 1 438 
9. Münchener Stadtrechtsbuch. 
349 237 351 237 19. Kriegszuſtandsgeſetz. 
350 237 4 364, 436 6 Nr. 3 304 
» 0 
10. Notariatsgeſetz. 6 Nr. 2 u. 8 431 
16 248 35 34f. 20. Verwaltungsgerichtshofsgeſetz. 
17 248 126 447. 7 8, 9, 11 
! 
11. Waſſergeſetz. 21. Aneführungsgeſetz zur Strafprozeßordnung. 


78 213 202 213 2gff. 421 


III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen. XXIX 


— — 
— — — — I — — — — — — . — — — — — — . — — .. —— 


22. Beamtengeſetz. 16 410f. 36 410 f. 
10 202 115 201 18 410f. 38 410 
13 11 116 201 10 410 41 4105 
28 220 117 222 25 411 45 411 
30 220 176 280 35 411 
31 280 178 280 | 
57 221 192 10 31. Beſchluß der deutſchen Bundesverſammlung vom 
110 201. 217,219f. 211 280 f. 26. Jannar 1854 wegen gegenſeitiger Auslieferung von 
114 201 f. Perſonen, welche wegen gemeiner Verbrechen oder Ver⸗ 
gehen zur Unterſuchung gezogen ſind. 
28. Gewerbegeſetz von 1868. I Abf. 1 343 
9 lit. b 49 
| 32. Landratsgeſetz. 
24. Gemeindeordnung. 15 18 
1 214 159 214 
112 214 173 Ziff. 4 415 38. Geſetz vom 11. Auguſt 1914 betr. die Dienſtaufſicht 
| über die Gewerbe: und Kaufmannsgerichte. 
25. Pfälziſche Gemeindeordnung. | 1 364 2 364 
108 Ziff. 3 415 
34. Bauordnung. 
26. Geſetz vom 8. Mai 1851 über das Einſchreiten 34 Abſ. 3 28 65 Abſ. 2 28 
der bewaffneten Macht. 
3 10 5 10 35. Hauſierſteuergeſetz. 
4 10 7 49 16 49 
ee 5 3 e 36. Hundeabgabengeſetz vom 14. Auguſt 1910. 
1 11 2 9, 11 12 107 13 107 
28. Verfaſſungsurkunde. 37. Gebührengeſetz. 
V. Beil. 8 430 Titel VIII 4 218, 221 7 227 48 187 
Sin 
a Ze a 14 Sas 2 Wil. 3 147 48 
f N 344 186 153 
77 398 ff. 22 227 258 63 
44 187 258 2 420 
30. Verordnung vom 25. Auguft 1868 betr. eine 46 187 
allgemeine Schützenorduung. 
1 410 5 410 38. Preuß. Geſetz über den Belagerungszuſtand. 
2 410 13 410 9 436 10 434, 436 
C. Anhang. 
1. Oeſterr. Jurisdiktionsnorm. 
76 45 104 45 
100 45 ö 
2. Oeſterr. Hofdekret vom 17. Juli 1835. 
313 
3. Oeſterr. Allgemeines Bürgerliches Geſetzbuch. 
4 313 ff. 63 314 


62 314 64 314 


IV. verzeichnis der Mitarbeiter. 


(Hier ſind nur die Mitarbeiter berückſichtigt, die Abhandlungen und kleine Mitteilungen eingeſendet haben). 


Selte 
Bedall, Landgerichtsrat, München 365 
Berlin, Dr., Rechtsanwalt, Nürnberg 204, 424 


Berolzheimer, Rechtsanwalt, München 379 
Bittinger, Dr., Landgerichtsrat, München 203 
Buhmann, Dr., Juſtizrat, Rechtsanwalt, Mün⸗ 


chen 197, 223 
Buſch, Reichsgerichtsrat, Leipzig 157 

ammerer, rechtsk. Hilfsarbeiter im Staats⸗ 

miniſterium der Juſtiz, München 298 
Diemayr, Amtsrichter, München 227 


Dittrich, Amtsrichter, München 37, 167, 242, 264, 321 
Doerr, Dr., II. Staatsanwalt und Privatdozent, 


München 228 
Eßlinger, Dr., Rechtsanwalt, München 61 
Flierl, Or., Rechtsanwalt, Nürnberg 442 


Fürnrohr, Dr., Rechtsanwalt, München 251 
Full, Dr., Hofrat, Geh. Juſtizrat, Rechtsanwalt, 
Würzburg 17, 166, 403 
Fumian, Amtsrichter, Straubing 114, 143 
Gechter, Oberlandesgerichtsrat, Bamberg 248 
Grimm, Reichsgerichtsrat, Leipzig 258 
Haager, Dr., Rechtsanwalt, Aſchaffenburg 18 
Habel, Landgerichtsrat (jetzt Staatsanwalt am 


Oberlandesgerichte), München 12 
Hagen, Landgerichtsrat, Kempten 297 
Hahmann, Amtsrichter, München 404 


Hahn, 1. Staatsanwalt, München 336, 350 
Hellwig, Dr., Gerichtsaſſeſſor, Berlin⸗Friedenau 97 


Hipp, Dr., Rechtsanwalt, München 225 
Höchſtädter, Dr., Amtsrichter, München 92 
Hümmer, Landgerichtsrat, München 206 
Joſef, Rechtsanwalt, Freiburg i. B. 294 
Käb Dr., Amtsrichter, Neumarkt i. O. 421 
Kann, Dr., Rechtsanwalt, Berlin 113 
Keßler, Dr., Landgerichtsrat, München 376 
Klein, Dr., Privatdozent, Königsberg 313 


Kolb v., Senatspräſident des Reichsgerichts, Leipzig 257 
Kolb, Dr., Direktor der Heil- u. Pflegeanſtalt 
Erlangen 82 
Korzendorfer, Oberpoſtinſpektor, Regensburg 201 
Krafft, Landgerichtspräſident, Landshut (jetzt 
Senatspräſident, München) 81 
Kriener, Dr., Amtsrichter, Landshut 439 
Lan dau, Rechtsanwalt, Nürnberg 381 
Leſſer, Dr., Rechtsanwalt, Poſen 269 
Levinger, Rechtsanwalt, München 41 


ut, a Er —— T — — n —— ͤ T — ——ʃ — . — — — — ę—— — — . — — . — 


Zeitler, Dr., Amtsrichter, 


Seite 
Leybold, Strafanſtaltsdirektor, Landsberg 66 
Lieber ich, Landgerichtsrat, München 237, 260, 290 
Link, Rechtsanwalt, Würzburg 395 
Mahler, Oberſtlandesgerichtsrat, München 33 
Mansfeld, Reichsgerichtsrat, Leipzig 333, 349 
Mayer, Dr. Auguſt, Landgerichtsrat, Memmingen 317 
Mayer, Dr. Moritz, Juſtizrat, Rechtsanwalt, 
Frankenthal 414 
Mayr Matthias, Amtsrichter, München 35 
Meyer, Dr. Karl, Miniſterialrat, München 177 
Neumiller, Oberlandesgerichtsrat, 393 


Niggl, Dr., Poſtrat, München 285 
Nützel, Dr, Rechtsanwalt, München 179 
Oetker, Dr, Profeſſor, Würzburg 1 


Pfeiffer, Dr., Rechtsanwalt, Hirſchberg i. Schl. 166 
Pfordten von der, Regierungsrat im Staats⸗ 


miniſterium der Juſtiz, München 7 
Rehm, Dr., Profeſſor, Straßburg i. E. 413 
Reindl, Dr., Miniſterialrat, München 217 
Reuß, II. Staatsanwalt, Augsburg 40 
Riß, Amtsgerichtsrat, München 188 
Rockſtroh, Dr., Rechtsanwalt, Berlin 118 
Schiedermair, Landgerichtsrat, München 353 
Schmitt Auguſt, Amtsrichter, München 58 


Schmitt Georg, Oberamtsrichter, Klingenberg 268 
Schmitt Gottfried, Reichsgerichtsrat, Leipzig 34 
Schmitt Hermann, Miniſterialrat, München 94 
Seuffert v., Dr., Geheimer Rat, Profeſſor, 


München 57 
Siegel, Dr., Rechtsanwalt, München 382 
Silberſchmidt, Dr., Oberlandesgerichtsrat, 

Zweibrücken 133, 160 


Simon, Oberamtsrichter, Augsburg 137, 164, 185 
Stepp, Dr., Amtsrichter, Nürnberg 19, 401 
Tiſch, Amtsgerichtsdirektor, Neuſtadt a. H. 121, 355 
Valta v., II. Staatsanwalt, Paſſau 356, 442 
Volkhardt, Dr., Leiter des ſtädt. Nachrichten⸗ 


amtes, Nürnberg 339 
Weber, I. Staatsanwalt, Landshut 96 
Wein, Dr., Notariatspraktikant, München 417 
Werner, Dr., Rechtsanwalt, Bamberg 340 
Werner, Rechtspraktikant, München 122 
Zeiler, J. Staatsanwalt, Zweibrücken 438 


München 96 


— — 


V. Beſprochene 1 und Seitſchriften. 


W Dr. Au Strafgeſetzgebung des een, 
Alsberg, > N. „,Juſtizirrtum u. Wiederaufnahme 30 
Arnheim, Dr. H., nn 55 
Ausführungsbetimmungen v.! Sept. 1913 
zum RStempG. (Bech 176 
— Wehrbeitraggeſet (Bech 176 
Bendix, Dr. Ludwig, Das Problem der Rechts⸗ 
ſicherheit 283 
Birkmeyer, Dr. Karl v., Schuld und Gefährlichkeit 
in ihrer Bedeutung für die Strafbemeſſung 235 
Bleyer, J., e bayer. Juſtiz⸗ u. Ver⸗ 
waltungsgeſetze. 32 
Bürgerliches ee uch, mit beſonderer Berück⸗ 
ſichtigung der Rechtſprechung des Reichsgerichts. 
Bearbeitet von Reichsgerichtsräten. 2. Aufl. 
Caspari, J., Strafgeſetzbu 9 5 das Deutſche er 
nebſt Einführungsgeſetz 
Clad, Dr. C., Der 5 
Clarus, Dr. G., Konkursverbrechen 364 
Dietz, Karl, Schätzer⸗Anweiſung 235 
Doerr, Dr. F., Deutſches Kolonialſtrafprozeßrecht 216 
Eberma yer, Dr. L., Der Entwurf eines Deutſchen 
Strafgeſetzbuches 330 
Eichelsbacher, Dr. F., Der Zwang au religiöſer 
Betätigung in Familie und Schule. 2. Aufl. 216 
Eltzbacher, Dr. P., Schutz vor der Oeſſentlichkeit 156 
Feuchtwanger, Ludwig, Der Eintritt Bayerns in 
das Reichsarmenrecht 78 
Foerſter, Fr. W., Strafe und Erziehung 31 
Friedrichs, Dr. K., Handbuch der Prozeßpraxis 412 
Giriſch, Dr. E., H. Hellmuth und H. Pachelbel, 
Handwörterbuch des bayer. Staatskirchenrechts. 
2. Aufl. 79 
Groß, Handbuch für an als Syſtem 
der Kriminaliſtik. 6. Aufl. 392 
Güthe, Dr. Gg., Grundbuchordnung 29 
— Die wirtſchaftlichen und rechtlichen Grundlagen 
d. mod. Hypothekenrechts 39 
Haaß, Dr. F., Weltpoſtverein u. Einheitsporto 30 
Hager, Dr. P. und Dr. E. Bruck, Reichsgeſetz über 
den Berfigerungsvertrag, 3. Au l. 132 
Hein, Dr. O., Handbuch der Zwangsvollſtreckung 
2. Aufl. 5 9. Willers 310 
Heinsheimer, Dr. K., Praktiſche Uebungen im 
bürgerlichen Becht 32 
Hellwig, Dr. A., Rechtsquellen des öffentlichen 
Kinematographenrechts 311 
Helmolts Weltgeſchichte. 2. Aufl. 30 
Hofacker, Dr. W., Erläuterungen zum Weingeſetz 53 
Jolas, Heinr., und Fr. Knoll, Regers Militär⸗ 
dienſtgeſetzgebung des Deutſchen Reichs 
Juriſtenkalender, Deutſcher, 1914 
Kahn⸗ Obermeyer, Wehrbeitragsgeſetz 79 
Kauffmann, Dr. M., Das n 
im Strafrecht 
Kitzinger, Dr. F., Verhinderung ſtrafbarer a 
lungen durch Polizeigewalt 55 
Kleinfeller, Gg., Lehrbuch des deutſchen Konkurs- 
rechts 216 


53 


432 


348 


1 


Knaf, Der a 284 
Knitf chky, Dr. W. E., Geſetzgebung des Deutſchen 
Reichs. 5. Aufl. v. O. Rudorff 112 
Krech, Dr. Joh., Grundbuchordnung. 4. Aufl. 215 
Kohler, R., Reichsverſicherungsordnung 55 
Kollmann, O., Religionsverhältniſſe der Kinder 
in Bayern 54 


Kriegs notgeſetze vom 4. Auguſt 1914 (Bech 364 
Kriegsgeſetze vom 4. Auguſt 1914 (Schweitzers 
Textausgabe) 348 
Kriegs⸗, Zivil⸗ und Finanzgeſetze vom 
4. Aug. 1914 (Guttentag) 364 
Langhein rich, Dr. E., Kirchengemeindeordnung 78 
Licht, E., Die Kriegsgeſetze des bürgerlichen Rechtes 
für Laien und Juriſten 412 
Maier, Jul., Deutſche Rechtsanwaltsgebührenordnung 452 
Ma rbe, Dr. K. „Grundzüge der forenſiſchen Piychologie 78 
Meyers Kon verſations⸗Lexikon. 6. Aufl. 
Bd. XXIII. (2. Jahres⸗Supplement 1910/11) 111 
— — 6. Aufl. Bd. XXIV. (3. Jahres⸗Supplement 
1911/12) 54 
Merzbacher, S., Reichsgeſetz 9 = Geſellſchaften 
mit beſchränkter Haftung. 5. A 284 
eee mit Beamten⸗ 
hinterbliebenengeſetz 43 
Mittelſtein, Dr. Max, Die Miete nach dem Rechte 
des Deutſchen Reiches. 3. Aufl. 236 
Neu 15 mp, Dr. Ernſt, Die gewerberechtlichen Neben⸗ 
geſetze 
Noeſt, Dr. B., u. E. Plum, Reichsgerichtsent⸗ 
en in Zivilſachen. 80. Bd. 32 
81. Bd. 284 
Oberhäuſer, Aug., Weingeſetz 215 
Philippovi ch, Dr. E. von, Grundriß der politiſchen 
Oekonomie. 1. Bd. Allg. Volkswirtſchaftslehre. 

. Aufl. 432 
Pinzger, Dr. W., Geſetz betr. die G. m. b. H. 392 
P ollwein, Mar kus, Bayer. Jagdgeſetz und die 

Geſetze über den Erſatz des 1 9. Aufl. 330 
Reger, A., Bayer. Armengeſetz. 7. Aufl. 31 
Reiche , 9 ans, Mäklerproviſion 31 
Reinh ar d, P., Gef ſetz über die Zwangsverſteigerung 

und die Zwangsverwaltung. 4. Aufl. 32 
Rixen, Dr. P., Zur Frage der Anrechnung d. Irren- 

anſtaltsaufenthalts auf die Strafzeit 412 
Rofen müller, Gg., Jahrbuch der Entſcheidungen 

ſ. Warneyer. 

Roſenthal, Heinrich, Bürgerliches Geſetzbuch 9. Aufl. 330 

= haefer, Dr. H., Allgemeine gerichtliche Pſychiatrie 31 
Schweitze r 8 Bayer. Finanzkalender 1914 111 

Schmitt, Hermann, Geſchäftsordnung für die No— 

tariate in Bayern vom 30. Oktober 1913 331 
Schneider, Rud., Zivilprozeſſe für den Rechts- 

unterricht 412 
Seydel, Max von, Bahyeriſches Staatsrecht, neu be⸗ 

arbeitet von Dr. J. Graßmann und Dr. Robert 

Piloty. 2. Bände 235 
Siebert, Dr. Th., Bedingte Strafausſetzung 32 


Sieskind, Dr. J., Prozeßrechtlicher Schutz der 
Kriegszeit 452 


XXXII Inhaltverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 191% 


Simon, Dr. F., Schadenerſatzanſprüche bei Körper— 
verletzung u. Tötung im Zweikampf 31 
Soergel, Dr. H. Th., Rechtſprechung 1913 z. Zivil⸗, 
Handels- und Prozeßrecht. 14. Jahrg. 196 
Spiegel, Dr. L., Geſetz und Recht 77 
Stärzl, H., Der Juſtizſtaatsdienſt 283 
Staubs Kommentar zum Handelsgeſetzbuch. 
9. Aufl. Bd. II 111 
Struve, Dr. Karl, Die ſtrafrechtliche Behandlung 
der Jugend in England 283 
Sutner, K. A. von, Geſetz über den Kriegszuſtand 
vom 5. November 1912 45 
Tat, Die (Zeitſchrift) 391 
Thuleſius, Konkurrenzklauſel 54 
Ueberreiter, Dr F. J., Die rechtlichen Verhält- i 
niffe der Ortsſtraßen beſonders in Bayern. 2. Aufl. 216 | 


Unger, Dr. M., Der Selbſtmord in der Beurteilung 
des geltenden Deutſchen Bürgerlichen Rechts 32 

Warneyers Jahrbuch der Entſcheidungen. 

A. Zivil-, Handels- u. Prozeßrecht 12. Jahrgang 1913 432 


B. Strafrecht u. Strafprozeß. 8. Jahrg. 1913 432 
Warneyer, Dr. O., Konkursordnung 412 
Weißenhorn, Bankdepotgeſetz 8 8. 156 


Wendler, E., Strafrechtl. Behandlung der Be— 
teiligung mehrerer am Verbrechen und der Begriff 
der „Teilnahme“ 32 

Wolff, Dr. Emil, u. F. Birkenbihl, Die Praxis 
der Finanzierung bei Errichtung, Erweiterung, 
Verbeſſerung, Fuſionierung und Sanierung von 
Aktiengeſellſchaften uſw. 283 


Nr. 1. 


München, dei den 1 1. Januar 1914. 


10. Jahrg. 


Zeitſchrift für Rechtapflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


K. 1. Staatsanwalt, im K. Baner. 
Staats miniſterium der Juſti:. 


in Bayern 


Verlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zellier) 
Münden, Berlin u. Leipfig. 


Geufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.) 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäyrlich 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
jede Poſtanſtalt. 


f 


Konkurrenz von Preßdelikten. Nechtskraft⸗ 
fragen. Zur Auslegung der §§ 73 StG B. 
und 415 SPD. 


Von Profeſſor Dr. Friedrich Oetker in Würzburg. 


Tatbeſtand. In einer Zeitung erſchien ein 
Artikel mit ſcharfen perſönlichen Angriffen gegen 
X, Y und andere. Der Verfaſſer des Artikels 
und verantwortliche Redakteur der Zeitung, Z, 
wurde auf Privatklage des Y hin rechtskräftig zu 
einer Gefängnisſtrafe von 8 Tagen verurteilt; die 
Strafe iſt verbüßt. Unabhängig von hat auch 
X wegen der ihn beleidigenden Stellen des Ar⸗ 
tikels Privatklage gegen Z erhoben und, nachdem 
jenes Urteil bereits rechtskräftig geworden war, 
Verurteilung des Angeklagten zu einer Gefängnis⸗ 
ſtrafe von 3 Wochen erwirkt. Dieſes Urteil hat 
der Angeklagte mit Berufung angefochten, weil die 
Strafe zu hoch ſei. 

Gutachten. 
Rechtsfragen: 

I. In welchem rechtlichen Verhältnis 
ſtehen die in dem Artikel enthalte⸗ 
nen Beleidigungen des X und Y zu: 
einander? 

II. Welchen Einfluß hat die rechtskräf⸗ 
tige Verurteilung des Angeklagten 
im Privatklagverfahren Y—Z auf 
den ſchwebenden Prozeß X — 2 
III. Kann der Grundſatz ne bis in idem 
in Betracht kommen gegenüber einer 
auf das Strafmaß beſchränkten Be⸗ 
rufung? 


Der Sachverhalt ergibt drei 


I. 

Beſteht zwiſchen den im Artikel ent: 
haltenen Beleidigungen des Y und X 
ideale Konkurrenz oder iſt Verbrechens— 
mehrheit anzunehmen? 

Bei Wortdelikten fällt die Frage der Hand⸗ 


Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a. 
Anzeigengebübr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile 
oder deren Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Nachdruck verboten. 1 


lungseinheit oder der Mehrheit ſelbſtändiger Hand⸗ 
lungen zuſammen mit der Frage, ob eine einheit⸗ 
liche oder eine Mehrheit ſelbſtaͤndiger Gedanken⸗ 
aͤußerungen anzunehmen iſt. 


Einheitskriterium für Gedankenaͤußerungen kann 
nicht ſein die Identität, Gemeinſamkeit des körper⸗ 
lichen Gegenſtands, auf den ſie geſchrieben, gedruckt 
ſind, der Wand, Tafel, des Papiers, des Zeitungs⸗ 
blatts, der Zeitungs nummer. Ein ſolcher Zuſammen⸗ 
hang im Mittel iſt rein äußerlich und mit der 
Mehrheits⸗, der Selbſtändigkeitsannahme durch⸗ 
aus vereinbar. 

Das Delikt durch Gedankenäußerung iſt Delikt 
durch Gedanken en t äußerung; ein Monolog, den A 
nur ſich ſelbſt gehalten, ein Schriftſtück, das er nicht 
abgeſandt, ſondern im Tiſchkaſten belaſſen hat, 
können nicht deliktiſche Tatbeſtände ergeben. Die 
Gedankenäußerung muß dem Deſtinatär, der Per⸗ 
ſon, den Perſonen, für die ſie beſtimmt iſt, — 
Oetker in Goltd Arch. Bd. 26 S. 277 ff.; Lorſch, 
Angegriffene, Deftinatäre, Gedankentraͤger bei der 
Beleidigung (1904) S. 36 ff. — zugänglich ge⸗ 
macht, die Zeitungsnummer insbeſondere, in der 
beleidigende Angriffe ꝛc. ꝛc. enthalten ſind, muß 
ausgegeben worden ſein. Dieſer eine Akt der 
Ausgabe hindert aber nicht, in der Druckſchrift 
mehrere ſelbſtändige deliktiſche Gedankenäußerungen 
zu finden, ſo wenig als die Beförderung zweier 
beleidigender Briefe an B und C in demſelben an 
fie beide adreſſierten Umſchlag die gleiche Auf: 
faſſung ausſchließen würde. Ein hochverräteriſcher 
und ein beleidigender Artikel in derſelben Zeitungs⸗ 
nummer begründen nicht wegen des einen Aus⸗ 
gabeakts Idealkonkurrenz. 

Die Ausgabe als ſolche bringt nicht den Be⸗ 
leidigungstatbeſtand zum Abſchluß, ſie iſt nur die 
Bedingung, unter der allein die gedruckten Beleidi- 
gungen zur Wirkung kommen, von den Deſtinatären, 
alſo von den Perſonen, auf welche der Wille der 
Gedankenmitteilung geht, geleſen werden können. 
Dieſe Wirkung kann, wenn mehrere Gedanken- 


2 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


aͤußerungen — ob untereinander ſelbſtändig oder 
nicht — vorliegen, da ſie doch nur ſukzeſſiv von 
derſelben Perſon geleſen werden können, getrennt 
von der einen, der andern Perſon geleſen werden, 
nie in einem Akte ſich vermitteln. 

Die Ausgabe der Zeitung kann als Urſache gedacht 
werden für das Leſen ihres Inhalts als Wirkung. 
Aber es iſt das Leſen nicht der Verbrechen erfolg, 
ſondern ein Stück der Verbrechenshandlung — ihr 
Schlußglied —, das vom Taͤter nicht eigenhändig, 
ſondern fremdhändig, durch das Medium des De⸗ 
ſtinatärs, geſetzt wird. Wenn 20 Perſonen den 
beleidigenden Artikel geleſen haben, ſo hat die Tat 
nicht 20 Erfolge, ſondern nur den einen Erfolg, 
Verletzung fremder Ehre, gehabt. Das Gedanken⸗ 
aͤußerungsdelikt iſt Gedankenmitteilungsdelikt, es 
kann nicht zuſtande kommen, wenn die Rezeption 
der Gedankenäußerung ausbleibt; Oetker a. a. O. 
S. 279, Lorſch a. a. O. S. 37 ff. Inſofern iſt der 
Täter eines Wortdelikts ſtets auf fremde Mit⸗ 
wirkung angewieſen. Die mehreren Gedanken⸗ 
äußerungen einer Zeitungsnummer, zuſammen⸗ 
hängend in dem einen Ausgabeakt, gehen als 
Gedankenmitteilungen durch die Mehrheit der Per⸗ 
zeptionsakte wieder auseinander. Und dieſe ſind 
Teile, nicht Erfolge des deliktiſchen Handelns. 
Zwei Handlungsweiſen ergeben nicht deshalb eine 
Handlung im Sinne des 8 73 StGB., weil ihnen 
ein Akt gemeinſam iſt. 

Die gegenteilige, von Binding, Handbuch des 
Strafrechts 1 S. 581; Olshauſen zu 873 Bem. 19e; 
Merkel in von Holtzendorffs Handbuch IV S. 227; 
Klöppel, Reichspreßrecht S. 323; v. Bar, Geſetz und 
Schuld im Strafrecht III S. 530; Meyer⸗Alljeld, 
Lehrbuch des Strafrechts S. 365 Anm. 15; Frank zu 
§ 73 Bem. III 3b; Höpfner, Einheit und Mehrheit 
der Verbrechen I S. 198 ff. vertretene Anſicht, daß 
mehrere in einem Preßerzeugnis begangene Delikte, 
einerlei ob ſie ſich in einem Artikel oder in ver⸗ 
ſchiedenen Artikeln derſelben Nummer befanden, 
weil durch das eine Mittel und die eine Handlung 
der Ausgabe des Preßerzeugniſſes begangen, ſtets 
ideal konkurrierten, wird der Tatſache nicht gerecht, 
daß erſt die Rezeption ſeitens der Deſtinatäre den 
deliktiſchen Tatbeſtand abſchließt. Hingegen nehmen 
John, Fortgeſetztes Verbrechen S. 135; v. Liſzt, 
Oeſtereich. Preßrecht S. 264, 265, Reichspreßrecht 
S. 148 Realkonkurrenz an, wenn die deliktiſchen 
Aeußerungen ſelbſtändige Bedeutung haben; ebenſo 
RSt. III, 3, 436 ff.; I. 21, 276 ff.; II, 33, 47 ff. 

Bei übler Nachrede und Verleumdung ſind die 
Deftinatäre der Gedankenäußerung ſtets von den 
Angegriffenen verſchieden; Lorſch S. 48 ff., vgl. 
auch Olshauſen zu $ 186 Bem. 3b; a. A. Binding, 
Lehrbuch 1 S. 158. Die Behauptung dem einen 
gegenüber geſchieht in bezug auf einen andern, 
deſſen Ehre dadurch angegriffen wird. Der Taͤter 
erreicht den deliktiſchen Erfolg, die Verletzung 
fremder Ehre, indem er den Gedanken — mündlich, 
geſchrieben, gedruckt — äußert, entäußert und einen 


andern, den vom Angegriffenen verſchiedenen Deſti⸗ 
natär, die Aeußerung perzipieren läßt. Das iſt 
im Rechtsſinne ganz ſeine Handlung. 

Im Falle der einfachen Beleidigung können An⸗ 
gegriffener und Deſtinatär verſchieden oder dieſelbe 
Perſon ſein: A richtet eine beſchimpfende Aeußerun 
im Hinblick auf den B (er ſei ein „Schuft“ ꝛc. = 
an dieſen ſelbſt oder tut es dem C gegenüber. Unter 
der letzteren Vorausſetzung kommt die Beleidigung 
des B, ebenſo wie üble Nachrede, Verleum dung 
gegen ihn, dadurch zuſtande, daß ſich A der Mit⸗ 
wirkung des C, der als Deftinatär die Aeußerung 
perzipiert, bedient. Identität des Angegriffenen 
und des Deſtinatärs iſt als Perſonalunion zu 
denken: A verletzt die Ehre des B, indem er ihn 
ſelbſt mithandeln, die Aeußerung perzipieren läßt. 

Immer wird durch Mehrheit der Perzeptionsakte 
gegenüber einer Mehrheit von Gedankenäußerungen 
in derſelben Zeitungsnummer die Einheit der Aus⸗ 
gabe dergeſtalt aufgewogen, daß die Annahme der 
Deliktseinheit nicht auf ſie gebaut werden kann. 

ft demnach nicht die Einheit der Ausgabe Ein⸗ 
heitsmerkmal, ſo natürlich auch nicht die Anord⸗ 
nung des Erſcheinens durch den verantwortlichen 
Redakteur, der, wenn er nicht ſelbſt der Verfaſſer iſt, 
als deſſen Werkzeug handelt, ſo daß inſofern wieder 
ein zum Teil fremdhändiges Handeln vorliegt. 

Dieſe Anordnung iſt ein Geſamtakt, der ſich auf 
alle einzelnen Artikel der Zeitungsnummer bezieht. 
Daß das Imprimatur für die verſchiedenen Artikel 
geſondert erteilt wird, fällt nicht ins Gewicht. 
Denn dieſe Verfügungen haben nur vorbereitende 
Bedeutung für die Anordnung des Erſcheinens der 
Nummer. Aus der Einheit des Imprimatur für 
einen Artikel kann — ſowenig wie aus der Einheit 
der Geſamtanordnung — gefolgert werden, daß die 
in dem betreffenden Texte — hier dem Artikel — 
enthaltenen deliktiſchen Aeußerungen als Delikts⸗ 
einheit zu betrachten ſeien. 

Verſagt ſomit für die Beurteilung der Einheits⸗ 
frage der äußerliche Geſichtspunkt der einheitlichen 
Ausgabe, des einheitlichen Imprimatur, ſo bleibt nur 
übrig, nach einem materiellen Kriterium zu ſuchen. 
Dieſes bietet ſich in der Beſchaffenheit der deliktiſchen 
Aeußerungen. Verbinden ſie ſich für eine verſtändige 
Geſamtbetrachtung zu einem zuſammenhaͤngenden 
Gedankeninhalt oder ſind verſchiedene ſelbſtaͤndige 
Gedanken in ihnen enthalten? Das eine wie das 
andere kann zutreffen, mag die Verletzung einer 
oder mehrerer Perſonen gegeben ſein. Wirft A 
dem B und dem C ein gemeinſames anſtößiges 
Verhalten vor, ſo iſt das eine Gedankenäußerung, 
einerlei, ob es in einem Satze beiden gegenüber 
oder getrennt erſt im Hinblick auf den einen, dann 
den andern geſchieht. Wird dem D erſt ein Sitt⸗ 
lichkeitedelikt zur Laſt gelegt, dann an anderer 
Stelle ſein Geſchäftsgebaren als unredlich bezeichnet, 
fo liegen zwei ſelbſtändige Aeußerungen und folglich, 
die Erforderniſſe der Strafbarkeit unterſtellt, zwei 
beleidigende Handlungen vor. Die Verteilung delik: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 3 


tiſcher, beleidigender ꝛc. c. Aeußerungen auf ver: 
ſchiedene „Artikel“ einer Zeitungsnummer ſchließt 
nicht notwendig die Einheitsannahme aus. Es 
können zwei Artikel desſelben Verfaſſers in der⸗ 
ſelben Nummer trotz dieſer äußeren Gliederung 
ein einheitliches Ganzes ſein, ſo daß demgemaͤß 
auch die Möglichkeit beſteht, in ihnen enthaltene 
Wortdelikte als eine Einheit zu erachten. 

Nicht ausſchlaggebend iſt die Gleichheit des 
Motivs, des Zwecks; vgl. auch RGSt. II, 33, 49 
und 34, 134 ff. Es kann ſehr wohl aus demſelben 
Beweggrunde heraus, aus Rachſucht z. B., 
A mehrere ſelbſtändige Beleidigungen gegen meh: 
rere oder dieſelbe Perſon verüben. Nur unter⸗ 
ſtützend, als ein Indiz der auch ſonſt angezeigten 
Zuſammengehörigkeit deliktiſcher Aeußerungen mag 
Gleichheit des Motivs ꝛc. ꝛc. in Betracht kommen; 
entſprechend wird Verſchiedenheit der Motive ein 
Gegenindiz gegen Annahme des Zuſammenhanges 
zu liefern vermögen. 


Der ſprachlichen Verbindung gleichartiger An⸗ 
griffe gegen mehrere — A, B, C, D find Schufte — 
ſteht die ſachliche Zuſammengehörigkeit entſprechen⸗ 
der getrennter Vorwürfe — A iſt ein Schuft, B iſt 
ein Schuft uſw. — völlig gleich. Es wäre ein rein 
formaler Unterſchied, in jenem Falle einen, in dieſem 
mehrere beleidigende Akte anzunehmen. 

Mehrheit deliltiſcher Aeußerungsakte bei Einheit 
des Verletzten ergibt, jenachdem fie auf einen ver: 
brecheriſchen Willen oder eine Mehrheit ſelbſtändiger 
Entſchließungen zurückführen, fortgeſetztes Verbrechen 
oder Verbrechens mehrheit. 

Nach alledem iſt die Frage der Handlungs⸗ 
Einheit,⸗Mehrheit für geſchriebene, gedruckte Wort⸗ 
delikte, Injurien insbeſondere, nach den gleichen 
Grundſaͤtzen zu beurteilen, wie fie beim Mittel 
des geſprochenen Wortes gelten. Daß Schrift und 
Druck die Handlung dauernd zu verkörpern ver⸗ 
mögen, Verbreitung in gedruckter Geſtalt die In⸗ 
tenfität des Angriffes außerordentlich ſteigert, hat 
für das Maß der Strafbarkeit, nicht für die 
Prüfung des Tatbeſtandes auf Einheit, Zuſammen⸗ 
geſetztſein Bedeutung. 

Die Anwendung der ſo gewonnenen Kriterien 
auf den inkriminierten Artikel lehrt: Die Vorwürfe, 
die darin gegen den Privatkläger X erhoben wurden, 
ſind völlig ſelbſtändige Gedankenäußerungen gegen⸗ 
über dem nachfolgenden Angriff auf X. Es beſteht 
zwiſchen dieſen Aeußerungen weder ſprachliche Ver⸗ 
bindung, noch ſachliche Zuſammengehörigkeit. Wird 
aus der Verſchiedenheit der Behauptungen, die ſich auf 
zeitlich, örtlich, ſachlich getrennte, durchaus ſelbſtändige 
Vorgange beziehen, näher dargelegt. Weil verſchiedene 
Perſonen angegriffen ſind und dieſe Mehrheit der 
Angegriffenen bei allen Delikten gegen die Perſön⸗ 
lichkeit, insbeſondere gegen die Ehre, die Annahme 
der Einheit des verbrecheriſchen Willens ausſchließt, 
Binding, Handbuch I S. 532, v. Liſzt, Lehrbuch 
S. 239, laſſen ſich die Angriffe gegen X einer⸗ 


ſeits, Y andererſeits nicht zu einem fortgeſetzten Ver⸗ 
ans verbinden, find vielmehr völlig ſelbſtändige 
elikte. 


II. 


Welchen Einfluß hat die rechtskräf⸗ 
tige Verurteilung des Angeklagten im 
Privatklagverfahren V— Z auf das Pri⸗ 
vatklagver fahren X—Z? 

1. Die Selbſtändigkeit der in dem Artikel ent⸗ 
haltenen Delikte wider Y und X findet in Selb⸗ 
ſtändigkeit der Rechtsverfolgung durch die Ver⸗ 
letzten ihren prozeſſualen Ausdruck. Die von * 
und X erhobenen Privatklagen waren daher nicht 
dem 8 415 StPO. — Mehrheit der Klagrechte 
infolge von Idealkonkurrenz oder von Mit⸗An⸗ 
tragsrecht neben dem Antragsrecht des Verletzten 
— unterworfen. Für die jpätere Klage galt nicht 
die Form der Beitrittsklage, 8 415 Abſ. 2, und 
das erſtergangene rechtskräftige Urteil beeinflußt 
nicht, wie nach Abſ. 3 — „jede in der Sache ſelbſt 
ergangene Entſcheidung äußert zugunſten des Be⸗ 
ſchuldigten ihre Wirkung auch gegenüber ſolchen 
Berechtigten, welche die Privatklage nicht erhoben 
haben“ — zutreffen würde, die noch ſchwebende 
Sache. Rechtskräftige Abweiſung der einen Klage 
ſchadet nicht dem andern Kläger. Die Anerkennung 
beider Strafanſprüche führt zu zwiefacher Beſtrafung 
des Angeklagten. Somit hat das Schöffengericht 
mit Recht in ſeinem zweiten, auf die Privatklage 
des X hin ergangenen Urteil dieſes weitere Delikt 
trotz der vorausgegangenen Beſtrafung der wider Y 
verübten Injurie mit beſonderer Strafe belegt. 
Wird angenommen, daß zur Zeit des zweiten Ur⸗ 
teils die früher erkannte Strafe bereits verbüßt 
war, ſo erfordert jedes Delikt eine völlig ſelb⸗ 
ſtändige Beſtrafung. Denn nach 8 79 StGB. 
kommen die Grundjäße über reale Konkurrenz 
dann nicht zur Anwendung, wenn Verurteilung 
wegen einer vor der früheren Verurteilung be⸗ 
gangenen ſtrafbaren Handlung erſt erfolgt, nach⸗ 
dem die erſterkannte Strafe bereits verbüßt war. 
Unter der gegenteiligen Vorausſetzung hingegen 
treffen die mehreren Delikte, obwohl in verſchie⸗ 
denen Urteilen erfaßt, doch zu einheitlicher Straf⸗ 
anwendung nach den Regeln der realen Konkur⸗ 
renz zuſammen, 8 79 StGB. Es hätten daher 
in dieſem Falle im zweiten Urteile die jetzt und 
die früher ausgeſprochene Gefängnisſtrafe zu einer 
Geſamtſtrafe vereinigt werden müſſen, ſo daß auf 
eine Zufatzſtrafe erkannt worden wäre. Da der 
Angeklagte das Urteil mit Berufung wegen der 
Strafhöhe angefochten hat, ſo wäre nunmehr 
vom Berufungsgericht die Strafe entſprechend zu 
mindern. Die Geſamtſtrafe hat hinter der Summe 
der Einzelſtrafen mindeſtens um eine Strafeinheit 
— hier einen Tag Gefaͤngnis — zurückzubleiben. 
Folglich müßten, auch wenn das Berufungsgericht 
die vom erſten Richter verhängte Einzelſtrafe bei⸗ 
behielte, doch die Geſamt⸗ und folgeweiſe die Zuſatz⸗ 


4 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


ſtrafe dieſe Ermäßigung — um mindeſtens einen wirken ſollen; der Beklagte iſt nicht gehalten, den 
Tag Gefängnis — erfahren. Hätte hingegen auch gleichen Anſpruch wiederholt von ſich abzuwehren. 
der Privatkläger das zweite Urteil angefochten — Nach rechtskräftiger Bejahung des Anſpruchs könnte 


ſchlechthin oder im Strafmaß —, ſo könnte das 
Beruſungsgericht die von der Vorinſtanz ausge⸗ 
ſprochene Strafe auch erhöhen. Denn das Verbot 
der reformatio in pejus beſteht nur, wenn ledig⸗ 


| 
| 


die weitere Klage nicht zu weiterer Beſtrafung, 
ſondern nur zur Anerkennung eines konkurrierenden 
Klagrechts führen; das Strafverfahren aber kennt 
nicht Feſtſtellungsurteile und es würde hier für 


lich der Angeklagte ꝛc. ꝛc. Berufung eingelegt hat, ein ſolches Begehren auch an jedem erkennbaren 
8 372 StPO. Folglich könnte es in biefen Falle Rechtsſchutzintereſſe fehlen. 


nicht nur zur Beibehaltung der früher. Einzel: 
ſtrafe als Se ſondern auch zu einer jene 
überſteigenden Zuſatzſtrafe kommen. 

2. Die Auffaſſung, daß zwiſchen Wortdelikten 
derſelben Zeitungsnummer wegen der Einheitlich⸗ 
keit des Ausgabeakts ſtets ideale Konkurrenz be⸗ 
ſtehe, ergibt, ſofern es ſich um Privatklagdelikte 
handelt, die Anwendung des 8 415 StPO. Um 
der Rechtslage unter jedem Geſichtspunkte gerecht 
zu werden, ſoll hypothetiſch angenommen werden, 


daß zwiſchen den beiden von Y und von X ins | 


kriminierten Beleidigungen das Verhältnis idealer 
Konkurrenz beſtände, und unter diefer Voraus⸗ 
ſetzung die Wirkſamkeit des 8 415 geprüft werden. 

Die Auslegung dieſes Geſetzes iſt ſtark umſtritten. 
Die beiden in Literatur und Praxis vertretenen 
Auffaſſungen, der Paragraph beziehe ſich nur auf 
Konkurrenz des Verletzten und des Mitantragsberech⸗ 
tigten, er ſei gleichmäßig hierauf und auf das 
Vorhandenſein von Mitverletzten infolge von idealer 
Konkurrenz von Verletzungen anzuwenden, ſind 
unhaltbar; vgl. Oetker, Konkurrenz von Privat⸗ 
klagrechten (1910) S. 12 ff. Vielmehr fallen kon⸗ 
kurrierende Klagrechte der einen und der andern 
Art unter die Beſtimmungen des Geſetzes, doch 
nehmen dieſe für beide weſentlich verſchiedene Ge⸗ 
ſtalt an. Der Mitantragsberechtigte und der Mit⸗ 
verletzte werden, wenn einer der Berechtigten die 
Privatklage bereits erhoben hat, auf Beitritt zu 
dem ſchwebenden Verfahren beſchränkt, Abſ. 2. 
Natur und Wirkungen dieſes Rechtsakts ſind für 
beide vom Geſetz umfaßte Konkurrenzen verſchieden 
zu bemeſſen (Oetker a. a. O. S. 14 ff., 23 ff.), aber 
es erübrigt ſich die Darlegung, da ja im ge⸗ 
gebenen Falle die beiden Privatkläger, Y und X, 
unabhängig voneinander geklagt haben und in 
beiden Sachen Urteile bereits ergangen ſind. Hin⸗ 
gegen bedarf Abſ. 3 des 8 415 der Unterſuchung. 
Es muß geprüft werden, ob infolge der hier an⸗ 
erkannten Rechtskraftswirkung das in der Sache X 
wider Z ergangene rechtskräftige Urteil abermaliger 
Verurteilung und Beſtrafung des Beſchuldigten auf 
die Klage des X hin entgegenſtehen würde. 

Da der Verletzte und der Mitantragsberechtigte 
ganz den gleichen Strafanſpruch geltend machen, ſo 
beſteht inſofern volle Rechtskraftswirkung des auf 
Klage des einen hin ergangenen Sachurteils gegen: 
über dem andern Kläger; Oetker a. a. O. S. 7, 30. 
Die Verneinung des Anſpruchs trifft auch den 
Mitklagberechtigten; er hätte dem andern Ver⸗ 
fahren beitreten, auf günſtiges Urteil darin hin⸗ 


| 


ö 


Weſentlich anderer Beurteilung unterliegt die 
Konkurrenz der Mitverletzten. Oeffentliche Klage 
würde die ideal⸗konkurrierenden Delikte, Strafantrag 
für ſie alle vorausgeſetzt, als ungetrennte Tateinheit 
(im Sinne des Geſetzes, 8 73 StGB.) erfaſſen. Da⸗ 
gegen kann von den mehreren Privatklägern jeder 
nur das ihn betreffende Delikt verfolgen. Die Straf⸗ 
anſprüche, die in öffentlicher Klage verbunden ſein 
würden, werden von den Privatklägern geſondert 
geltend gemacht. Auf die zuerſt zur Aburteilung 
kommende Klage hin iſt nur Beſtrafung wegen des 
von ihr erfaßten Delikts, nicht Feſtſtellung idealer 
Konkurrenz und Beſtrafung des Beſchuldigten unter 
dieſem Geſichtspunkte erreichbar. Könnte nun nicht 
noch nachher infolge der weitern Klage das weitere 
Delikt feſtgeſtellt und der idealen Konkurrenz Rech⸗ 
nung getragen werden, ſo ließe ſich der Klagen⸗ 
trennung halber ein der materiellen Rechtslage ent⸗ 
ſprechendes Ergebnis überhaupt nicht erzielen. Ein 
ſolcher durchaus unbefriedigender Ausgang kann 
nicht im Willen des Geſetzgebers gelegen ſein. Der 
Privatklaͤger A hat vielleicht nur eine unbedeu⸗ 
tende formale Beleidigung erlitten, die zur Ver⸗ 
hängung geringfügiger Geldſtrafe geführt hat. Es 
wäre ſchlimme Rechtsverweigerung, wenn deshalb 
dem in dem gleichen Artikel ſchwer verleumdeten B 
die Klage verſagt ſein ſollte. 

Iſtein Offizialdelikt mit öffentlicher Klage verfolgt 
worden, während für ein ideell konkurrierendes An⸗ 
tragsdelikt der Antrag noch fehlte, ſo bildete nur jenes 
Delikt den Entſcheidungsgegenſtand und es tritt auch 
nur inſofern die Rechtskraftswirkung ein; vgl. Oetker 
a. a. O. S. 40 Anm. 1, (wo die weitere Literatur 
und die Judikatur angegeben ſind). Die Klage 
wegen eines Anſpruchs, deſſen Mitberückſichtigung 
im Urteil durch ein rechtliches Hindernis, den 
Antragsmangel, ausgeſchloſſen war, kann nicht 
konſumiert ſein. Folglich iſt trotz der ſchon vor⸗ 
liegenden rechtskräftigen Entſcheidung auf neue 
öffentliche (oder Privat⸗) Klage hin — rechtzeitige 
nachträgliche Antragsſtellung vorausgeſetzt — über 
dieſen weitern Anſpruch zu entſcheiden. Aber unter 
Wahrung der Grundſätze über ideale Konkurrenz! 
Es darf nicht zu Doppelbeſtrafung kommen. Lautete 
das erſte Urteil auf Freiſprechung, ſo hat ſich die 
Konkurrenz erledigt und es iſt das mit der zweiten 
Klage verfolgte Delikt wie eine iſolierte Begehung 
zu würdigen. Hatte der erſte Richter verurteilt 
und der zweite erachtet das weiter inkriminierte 
Delikt ebenfalls für feſtſtehend, ſo werden folgende 
Unterſcheidungen notwendig: 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 5 


a) Es beſteht ungleichartige Ideal⸗ 
konkurrenz mit ungleichen geſetzlichen 
Strafrahmen. 

a) Das erſte Urteil war mit dem 
Delikt befaßt, das die Anwendung des 
ſchwereren Strafgeſetzes bedingte (8 73 
StGB.). 

Das Hinzukommen des weiteren leichteren De⸗ 
likts hätte einen Straferhöhungsgrund geliefert. 
Aber der erſte Richter konnte ihn nicht berüd- 
ſichtigen, weil für das weitere Delikt die Klage 
fehlte, und der zweite Richter kann es nicht, weil 
die rechtskräftig gewordene Strafbemeſſung ſich der 
Verſchärfung entzieht. Sonach muß das zweite 
Urteil dahin lauten, daß der Angeklagte des 
weiteren Delikts ſchuldig ſei und auch hierfür mit 
der vom erſten Richter ausgeſprochenen Strafe 
belegt werde; Oetker a. a. O. S. 33. Das iſt 
keineswegs ein bloßes Feſtſtellungsurteil. Denn 
die eine Strafe im Falle idealer Konkurrenz trifft 
beide Delikte, und es iſt daher die Erſtreckung der 
früher erkannten Strafe auf das weitere Delikt 
Verurteilung wegen dieſer Straftat. Kommt es 
ſomit auch nicht zu einem Strafzuſatz, fo ent⸗ 
ſpricht doch die Erwirkung des richterlichen Aus⸗ 
ſpruchs dem Intereſſe des zweiten Klägers an 
Genugtuung und Rufreparation. Das iſt beſonders 
einleuchtend im Hinblick auf das nach 8 200 StGB. 
dem Beleidigten zuzuſprechende Publikationsrecht. 
Auch geltend gemachter Bußanſpruch würde ab⸗ 
fällig, wenn nicht Verurteilung wegen des nun⸗ 
mehr eingeklagten Delikts zu der früheren Strafe 
in Erweiterung des Beſtrafungsobjektes erfolgte 
($ 188 StGB.: „Bußzuerkennung neben der 
Strafe“). 


5) Auf das 
war das leichtere 
wenden. 


Kommt auch der zweite Richter zur Verur⸗ 
teilung, ſo hat er an der Hand des ſchwereren 
Strafgeſetzes die Strafe für das weitere Delikt 
unter weſentlicher Rückſichtnahme auf den Straf: 
erhöhungsgrund der idealen Konkurrenz zu be⸗ 
ſtimmen; Binding, Handbuch 1 S. 634, 635, Oetker 
a. a. O. S. 33, 34. Sind die Strafarten gleich, 
ſo wird von der ſo gefundenen Strafe die früher 
erkannte, mag ſie bereits vollſtreckt ſein oder nicht, 
abgezogen und zuſätzlich auf den Reſt erkannt. 

ſt im zweiten Urteil auf ſchwerere Strafart 
zu erkennen,) jo muß, da gleichzeitige Anwendung 
beider Geſetze nach I 73 StGB. unzuläaͤſſig wäre, 
unter Verwandelung der früher ausgeſprochenen, 
noch nicht vollſtreckten Strafe in die nun maß⸗ 
gebende Strafart die Strafe einheitlich beſtimmt 
werden, wobei der Wegfall der früheren Strafe 
auszuſprechen iſt. Es darf nicht eingewandt werden, 


erſtabgeurteilte Delikt 
Strafgeſetz anzu⸗ 


daß auf die anderweite Strafart doch bereits rechts⸗ 
kräftig erkannt ſei. Denn die Rechtskraftswirkung 
beſteht nur unter Vorbehalt einer bei ſpäterer 
Feſtſtellung idealer Konkurrenz infolge des § 73 
StGB. zu vollziehenden Strafumwandelung.“) Iſt 
im gleichen Falle das frühere Urteil bereits voll⸗ 
ſtreckt, ſo hat der zweite Richter die verbüßte 
Strafe nach entſprechender Umwandelung in Abzug 
zu bringen und nur auf den Reſt zu erkennen.“) 
Es kommt dann allerdings entgegen dem 8 73 
StGB. zur Anwendung zweier Strafgeſetze. Aber 
an der einmal geſchehenen Vollſtreckung iſt eben 
nichts zu ändern. Der zweite Richter bleibt des⸗ 
halb doch ſeinerſeits an die Vorſchrift des § 78 
gebunden, kann nicht zum milderen Geſetz greifen. 
Durch Umwandelung und Abzug iſt ein der vollen 
ausſchließlichen Anwendung des 8 73 materiell 
gleichwertiger Effekt herbeizuführen. 


b) Die Idealkonkurrenz iſt gleid: 
artig. 

Gleichzeitige Aburteilung bringt das eine 
Strafgeſetz auf beide Delikte einheitlich zur An⸗ 
wendung; Binding, Handbuch I S. 577 ff.; Ols⸗ 
hauſen zu $ 73 Bem. 16; RGSt. I, 2, 255 ff. Von 
keinem der Delikte kann geſagt werden, es 
ſei Strafzumeſſungsgrund für die Beſtrafung 
des andern. Immer hat hier der zweite Richter 
die Aufgabe zu erfüllen, die ſich dem erſten, nur 
mit dem einen Delikt befaßten Richter nicht 
darbot Feſtſetzung der Strafe für den Delikts⸗ 
komplex. Im übrigen iſt zu unterſcheiden: 


a) Der zweite Richter greift zu derſelben Straf⸗ 
art wie der erſte, ſei es, daß nur eine Strafart 
im Geſetz angedroht iſt, ſei es, daß eine Alter⸗ 
native von Strafarten im zweiten Urteil ebenſo 
entſchieden wird, wie im erſten. Die Rechtskraft 
des erſten Urteils bringt mit ſich, daß deſſen 
Strafe jedenfalls bleiben muß. Aber ſie iſt vom 
zweiten Richter zu erhöhen, mindeſtens um eine 
Strafeinheit, weil ſonſt die Konkurrenz unberück⸗ 
ſichtigt bliebe.) Auf das Plus iſt zuſätzlich zu 
erkennen. Dieſe Strafbeſtimmung geſchieht gleich⸗ 


9) Der gleiche Vorbehalt gilt für den Fall realer 
Konkurrenz: Hat das erſte Urteil die leichtere Strafart 
verhängt, ſo muß der zweite Richter dieſe Strafe in die 
für das weitere Delikt und damit für die Geſamtſtrafe 
($ 74 Abſ. 2 StGB.) maßgebende ſchwerere Strafart 
umwandeln; Olshauſen zu 8 79 Bem. 120. 

) Die Reduktion geſchieht durch Entſcheidung in 
der Vollſtreckungsinſtanz (8 490 StPO.), wenn der zweite 
Richter die Vollſtreckung, weil ihm unbekannt, nicht 
berückſichtigt hatte. 

) Nicht richtig Oetker a. a. O. S. 32, 33: das 
zweite Urteil habe nur das weitere Delikt feſtzuſtellen 
und die Strafe des erſten Urteils darauf mitzubeziehen. 
Das trifft nur zu für den Fall ac. Nur dort hat das 
weitere Delikt die Bedeutung eines Straferhöhungs⸗ 
grundes, den nachträglich, nach ſchon rechtskräftig ge⸗ 
wordener Strafbemeſſung zu berückſichtigen der zweite 
Richter außerſtande iſt Unter der Vorausſetzung sub b 


1) Dieſe Eventualität iſt bei Oetker S. 33 nicht hingegen ſtehen die beiden Delikte gleichwertig neben: 


mitberückſichtigt. 


einander. 


— 


mäßig, mag das erſte Urteil bereits vollſtreckt 
ſein oder nicht. ö 

5) Droht das Geſetz alternativ Geld: oder 
Freiheitsſtrafe (88 185, 186 StGB.), jo würde 
bei gleichzeitiger Aburteilung beider Delikte immer 
nur auf die eine oder andere Strafe erkannt 
werden können. Sukzeſſive Aburteilung aber führt 
unter Umſtänden dazu, daß der zweite Richter auf 
den Deliktskomplex die andere ſchwerere Strafart 
ſetzt, gegenüber der Verhängung der leichteren 
durch den erſten Richter. Erachtet der zweite Richter 
das hinzukommende Delikt für ſo ſchwer, daß es 
nur durch Freiheitsſtrafe geſühnt werden könne, 
ſo hindert ihn die vom erſten Richter erkannte 
Geldſtrafe nicht daran, für den Komplex 
Freiheitsſtrafe zu beſtimmen. Es tritt dann die 
gleiche Sachbehandlung wie unter aß ein. 

c) Beſtehen für ungleichartige Idealkonkurrenz 
die gleichen Strafrahmen (3. B. bei 88 185 und 
186 StGB.), jo iſt zu verfahren wie bei gleich⸗ 
artiger Idealkonkurrenz. — 

Ganz die naͤmlichen Grundſaͤtze, wie fie hiernach 
auf die Folge zweier öffentlicher oder einer öffentlichen 
und einer Privatklage in Anwendung kommen, würden 
an ſich wegen Gleichheit des Grundes auch für ſukzeſſiv 
erhobene Privatklagen wegen ideell konkurrierender 
Delikte Geltung beanſpruchen. Es kann ſich nur 
fragen, ob die pofitive Beſtimmung in Abſ. 3 des 
8 415 modifizierend einwirkt. Dem Sachurteil auf 
die Erſtklage wird hier zugunſten des Beſchuldigten 
Wirkung gegeben auch gegenüber ſolchen Berech⸗ 
tigten, welche die Privatklage nicht erhoben haben. 

Abweiſende Sachentſcheidung iſt dem weiteren 
Kläger inſofern und nur inſofern präjudiziell, als fie 
das den beiden Anſprüchen — des Erſt⸗ und des Zweit⸗ 
klaͤgers — gemeinſame Fundament verneint, Oetker 
a. a. O. S. 31 ff. Iſt die Klage des A wegen 
Preßbeleidigung abgewieſen worden, weil die be⸗ 
leidigenden Wendungen des Artilels nicht auf ihn, 
ſondern den B zu beziehen ſeien, ſo kann darin 
unmöglich ein Hindernis für die Klage des letz⸗ 
teren liegen. Nicht anders, wenn dem Beſchul⸗ 
digten im Hinblick auf den Erſtklaͤger der Recht⸗ 
fertigungsgrund des 8 193 StB. — Wahrneh⸗ 
mung berechtigter Intereſſen — zugebilligt worden 
war. Daraus folgt nicht, daß die gleiche Voraus⸗ 
ſetzung auch gegenüber dem mitverletzten B gegeben 
ſei; dieſe Frage wäre vielmehr vom zweiten Richter 
zu entſcheiden. Iſt hingegen Freiſprechung erſolgt, 
weil die Autorſchaft des Beſchuldigten an dem 
Artikel verneint wurde, ſo ſteht allerdings jeder 
weiteren auf den Artikel geſtützten Beleidigungs⸗ 
klage gegen ihn die Rechtskraft des Urteils entgegen. 
Inſofern enthält § 415 Abſ. 3 allerdings eine 


6 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


S. 32 ff. Die Zubilligung des einen Anſpruchs 
iſt doch ebenſowenig Verneinung des andern gar 
nicht mit eingeklagten als in ihr deſſen Bejahung 
gefunden werden könnte. Der erſte Richter war 
ja nur mit dem einen Anſpruch befaßt. Die 
Prüfung, ob ein weiterer Anſpruch wegen ideell 
konkurrierenden Delikts beſteht, iſt ganz unbeſchränkt. 
Nur volles Mißverſtändnis des Geſetzes könnte zu 
gegenteiliger Annahme führen. Ja auch der klare 
Wortlaut ſteht entgegen, denn als die „Sache“, 
in der die erſte Eutſcheidung ergangen iſt, erſcheint 
doch nur die Klage wegen des erhobenen Anſpruchs. 
Die Klage wegen eines weiteren Anſpruchs kann 
nur inſofern berührt ſein, als auch ihr durch das 
erſte — verneinende — Urteil die Grundlage ent: 
zogen worden iſt. 

Hiernach iſt vom Standpunkte idealer Konkurrenz 
zwiſchen den in dem inkriminierten Artikel enthaltenen 
Beleidigungen wider Y und wider X die konkrete 
Rechtslage dahin zu beſtimmen. Die Privatklage des 
X findet an der vorgängigen von X erwirkten rechts⸗ 
kräftigen Verurteilung des Beſchuldigten kein Hinder⸗ 
nis. Ein Einwand der Rechtskraft wäre inſofern völlig 
verfehlt. Es iſt in keiner Weiſe rechtlich zu beanſtan⸗ 
den, daß das Schöffengericht den Beſchuldigten auch 
wegen der weiteren, von dem früheren Straf⸗ 
verfahren nicht erfaßten Beleidigung des X ver⸗ 
urteilt hat. Nur durften nicht, wie geſchehen, in 
beiden Urteilen unabhängig voneinander Strafen 
ausgeſprochen werden, als ob es ſich um tatſächlich 
und rechtlich völlig getrennte Begehungen handelte. 
Die Verurteilung iſt in beiden Sachen auf Grund 
des $ 186 StGB. erfolgt und beide Male hielt 
das Gericht wegen der Schwere der Beleidigungen 
Gefängniöftrafen für geboten: alſo gleichartige 
Idealkonkurrenz unter gleichmäßiger Löſung der 
ſtrafgeſetzlichen Alternative — Gelditrafe, Haft, 
Gefängnis — für jedes Einzeldelikt. Der zweite 
Richter hätte für den Deliktskomplex einheitlich 
eine Gefaͤngnisſtrafe beſtimmen müſſen, unter ent⸗ 
ſprechender Erhöhung der ſchon rechtskräftig auf 
das eine Teildelikt geſetzten Strafe, wobei diefes 
Plus als Zuſatzſtrafe auszuſprechen war (vgl. oben 
ba). Die Schwere der weiter feſtgeſtellten Belei⸗ 
digung rechtfertigte eine erhebliche Straſverſchär⸗ 
fung. Es bleibt zu prüfen, ob in der Berufungs⸗ 
inſtanz der volle Betrag der im zweiten Urteil 
verhängten Strafe als Zuſatzſtrafe beibehalten werden 
kann. Erhöhung wäre wegen des Verbots der 
reformatio in pejus, 8 372 StPO., zweifellos 
unzuläſſig. Aber wie bei realer Konkurrenz die 
Geſamtſtrafe mindeſtens um eine Strafeinheit ge⸗ 
ringer ſein muß als die Summe der Einzelſtrafen, 
die Zuſatzſtrafe daher nicht der vom zweiten Richter 


Sondernorm für ideale Konkurrenz; gegenüber beſtimmten Einzelſtrafe gleichkommen kann und 
einer weiteren Klage aus real konkurriendem Delikt | der Berufungsrichter durch ſo bemeſſene Zuſatzſtraſe 


beſteht nicht entſprechende Rechtskraftswirkung. 


das Verbot der reformatio in pejus verletzen 


Die Bejahung des Anſpruchs im erſten Urteil würde, ſo würde gleiche Bindung des Berufungs— 
läßt die ferneren auf Feſtſtellung weiterer Anſprüche 
gerichteten Klagrechte ganz unberührt, Oetker a. a. O. kurrenz der ſukzeſſiv abgeurteilten Vergehungen 


urteils auch unter Vorausſetzung idealer Kon— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 7 


anzunehmen ſein, zumal in den Augen des Geſetzes 
dieſe Konkurrenz den leichteren Fall bildet (88 73, 
74 StGB.). Vorliegend würde der zweite Richter 
bei Kenntnis des ſchon ergangenen Urteils nicht 
in iſolierter Würdigung das weitere Delikt mit 
Strafe belegt haben; da es aber geſchehen iſt, ſo 
muß die Situation in der Berufungsinſtanz im 
Hinblick auf reformatio in pejus nun auch analog 
dem Falle realer Konkurrenz bemeſſen werden. 
Ebenſo wäre unter Vorausſetzung der Berufung 
auch des Privatklägers das für reale Konkurrenz 
gewonnene Ergebnis anwendbar. 


III. 


Kann der Grundſatz ne bis in idem 
in Betracht kommen gegenüber einer 
auf das Strafmaß beſchränkten Be: 
rufung? a 

Der Angeklagte hat Berufung nur wegen des 
Strafmaßes eingelegt. In dieſer Beſchränkung 
liegt ein teilweiſer Verzicht auf das Rechtsmittel, 
d. h. auf die Anfechtung des Schuldentſcheids; es 
kann ſich daher die Kognition des Berufungs⸗ 
richters nur auf den Strafentſcheid beziehen. Eine 
Strafverſchärfung iſt durch das Verbot der ref. 
in pejus ausgeſchloſſen. Nur Aufrechterhaltung 
oder Minderung der Strafe kann in Frage kommen. 
Die vorgängigen Ausführungen haben gelehrt, daß 
unter der doppelten e einer Mehrheit 
ſelbſtändiger Delikte und des Wegfalls realer Kon⸗ 
kurrenz wegen ſchon geſchehener Verbüßung der 
früher erkannten Strafe die volle in erſter In⸗ 
ſtanz ausgeſprochene Strafe beibehalten werden 
kann, während für den Fall realer und bei An⸗ 
nahme idealer Konkurrenz Reduktion dieſer Strafe 
mindeſtens um eine Einheit erfolgen muß. 

Infolge Beſchränkung der Berufung auf den 
Strafentſcheid iſt der Schuldentſcheid rechtskräftig 
geworden. Sonach kann die Berufung nicht auf 
einen prozeſſualen Verſtoß geſtützt werden, der auch 
dem Schuldentſcheid anhaften würde.“) Denn durch 
Nichtanfechtung des präjudizierenden rechtskräftig 
gewordenen Schuldentſcheids würde der Mangel 
auch für den präjudizierten Strafentſcheid geheilt 
ſein; Oetker, Gerichtsſaal Bd. 65 S. 446 ff. Da⸗ 
her iſt es ein innerer Widerſpruch, wenn der An⸗ 
geklagte zur Rechtfertigung ſeiner auf den Straf⸗ 
entſcheid beſchränkten Berufung den Einwand rechts⸗ 
kraftig entſchiedener Sache geltend macht, der die 
Unzuläſſigkeit abermaliger Verurteilung überhaupt 
ergeben würde. Kann aber eine Berufung nur 
gegen den Strafentſcheid nicht geſtützt werden auf 
einen auch den Schuldentſcheid affizierenden pro⸗ 
zeſſualen Mangel, ſo folgt, daß dem Berufungs⸗ 


) Wohl wäre zuläffig. einen prozeſſualen Verſtoß 
geltend zu machen, der lediglich den Strafentſcheid be⸗ 
rührte: es iſt z. B. ein Zeuge zu Unrecht vereidigt, nicht 
vereidigt worden, der nur über einen Strafzumeſſungs⸗ 
grund (vorgängige Reizung ꝛc. ꝛc.) vernommen wurde. 


richter auch nicht zuſteht, von Amts wegen einen 
ſolchen Defekt bei derart beſchränkter Berufung zu 
berückſichtigen; Oetker a. a. O. S. 447.5) Annahme 
des Gegenteils aus 8 369 Abſ. 2 StPO. herzu⸗ 
leiten, enthielte ein völliges Mißverſtändnis dieſes 
Geſetzes. 


die Faftung des Etaates für Angehörige 
des bayeriſchen Heeres. 
Bon Theodor von der Pfordten. 


Das GVBl. veröffentlicht in Nr. 70 das Ge⸗ 
ſetz vom 6. Dezember 1913 über die Haftung 
des Staates für Angehörige des bayeriſchen Heeres. 
Auf den erſten Blick fieht es mit feinen zwei Ar⸗ 
tikeln ſehr einfach aus. Aber ſchon die dem Re⸗ 
gierungsentwurfe beigegebene Begründung zeigt, 
daß es ſich hier um einen ziemlich verwickelten 
Stoff handelt. Noch deutlicher tritt das hervor, 
wenn man die Vorgeſchichte des Geſetzes genauer 
ins Auge faßt: es ergibt ſich dann, daß es eine 
an Unklarheiten reiche Entwickelung ſchließt. Ein 
kurzer geſchichtlicher Rückblick wird auch das Ver⸗ 
ſtändnis für die Tragweite der Neuregelung fördern. 


I. 


1. Bor dem 1. Januar 1900 gab es in Bayern 
keine geſetzliche Beſtimmung, die die Haftung des 
Staats für Amtshandlungen der Beamten all⸗ 
gemein geregelt hätte. Die Rechtslehre verſuchte 
zum Teil, die bürgerlich⸗ rechtliche Schadenserſatz⸗ 
pflicht des Staates für widerrechtliche Handlungen 
ſeiner Beamten und Bedienſteten in Ausübung 
der Staatsgewalt aus den „verfallungsmäßigen 
Garantien“ der Verfaſſungsurkunde abzuleiten,) 
zum Teil wollte ſie mit der „Fiktion“ nachhelfen, 
daß die Handlungen der Beamten den Staats⸗ 
angehörigen gegenüber als Handlungen des Staates 
ſelbſt zu gelten hätten, die er als ſeine eigenen 
vertreten müſſe,) zum Teil lehnte fie die Haftung 
wegen des Mangels einer ausdrücklichen Vorſchrift 
ab.“) Die Rechtſprechung erkannte zwar die Haftung 


e) Es möchte geltend gemacht werden, daß ein unter 
Verletzung des ne bis in idem ergangenes Strafurteil 
abſolut nichtig wäre (Oetker im „Rechtsgang“ Bd. 1 S. 17). 
Aber es braucht hier auf die ſchwierige Frage der Be⸗ 
handlung eines abſolut nichtigen Urteils im Rechts⸗ 
mittelverfahren nicht eingegangen zu werden, da der 
„abſolut nichtige“ Entſcheid als ſolcher mit dem Rechts⸗ 
mittel nicht angefochten iſt, die auf die Straffrage be⸗ 
ſchränkte Berufung vielmehr die Anerkennung der Gültig⸗ 
keit des Schuldentſcheids begrifflich vorausſetzt. Vom 
Standpunkte dieſes Gutachtens aus erledigt ſich die Frage 
ſchon durch die Verneinung der Rechtskraftverletzung. 

1) Becher, Rechtsrh LR. Bd. I S. 286. 

*) Roth, Bayer. ZR II. Aufl. Bd. I S. 252. 

2) Seydel, Bayer. SiR. II. Aufl. Bd. II S. 609 
Anm. 88. 


8 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


des Staates grundſätzlich an, war aber nicht einig 
darüber, ob der Staat unmittelbar oder nur nach 
dem Beamten hafte.“ 

War ſo die Rechtsgrundlage für die Haftung 
des Staates an ſich ſchon unſicher, ſo ergaben ſich 
noch beſondere Schwierigkeiten bei der Frage, ob 
und inwieweit der bayeriſche Staat auch für die 
Amtshandlungen von Perſonen des Soldatenſtandes 


ſchadenserſatzpflichtig ſei. Denn es war von jeher 


e ob ſolche Perſonen unter den viel⸗ 
eutigen, in verſchiedenen 45 verſchieden um⸗ 
grenzten Begriff des Beamten fallen. Die Zweifel 
mochten vielleicht nicht berechtigt ſein, ſoweit der 
Heeresdienſt auf Grund öffentlich⸗ rechtlichen Ver⸗ 
trags geleiſtet wird. Denn dieſer Dienſt weiſt, 
wie Seydel mit Recht hervorhebt, „alle ent⸗ 
ſcheidenden Merkmale des gleichartigen bürgerlichen 
Staatsdienſtverhältniſſes auf.““) Mehr Grund 
hatten die Bedenken bei den Perſonen, die nur 
zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen. Gleich⸗ 
wohl bildete ſich nach der herrſchenden Meinung 
ein Gewohnheitsrecht — richtiger würde man viel⸗ 
leicht ſagen: ein Gerichtsgebrauch — aus, der den 
Staat für Rechtsverletzungen bei Ausübung öffent⸗ 
licher Gewalt durch Militärperſonen haftbar machen 
wollte. Die Gerichte konnten ſich aber nicht ent⸗ 
ſchließen, auch die volle Zuſtändigkeit für ſich zu 
beanſpruchen, behielten vielmehr den vorgeſetzten 
Militärbehörden die Entſcheidung der Frage vor, 
ob die Militärperſon geſetz⸗ oder dienſtwidrig ge⸗ 
handelt habe.“) Das war inſoferne folgerichtig, 
als die Gerichte in dieſem Punkte vor den An⸗ 
ſprüchen der Verwaltungsbehörden ſtändig zurück⸗ 
gewichen waren, auch da, wo es ſich um die Haf⸗ 
tung des Staates für Zivilbeamte handelte, und 
ſo ohne eine äußere Rechtsgrundlage und ohne 
zwingenden inneren Anlaß die Einrichtung der 
„Vorentſcheidung“ hatten entſtehen laſſen.“) Schwerer 
begreiflich iſt es, daß Rechtslehre und Rechtſprechung 
das auf ſchwankendem Boden ruhende Recht der 
Militarbehörden zur Vorentſcheidung auch dann 
noch anerkannten, als 8 11 Abſ. 2 EGGVG. und 
Art. 7 Abſ. 2 VGHG. vom 8. Auguſt 1878 das 
Recht der Vorentſcheidung geſetzlich feſtlegten. Ab⸗ 
geſehen von der Unſicherheit des Beamtenbegriffes 
ſpielte dabei die Erwägung eine Rolle, daß der 
durch Art. 7 Abſ. 2 VGH. zur Vorentſcheidung 
berufene Verwaltungsgerichtshof „der Würdigung 
militariſcher Dienſthandlungen ebenſo fremd gegen: 


) Vgl. die Nachweiſungen bei Becher, Materialien 
Abt IV, V Bd. 1 S. 78. 

) Bayer. StR. II. Aufl. Bd. III S. 725. 

6) S. das Erkenntnis des OGH. vom 7. Februar 1878, 
Beil. IV z. GVBl. 1878, S. 17 des Anhangs. 

) Vgl. über die Entwickelung Seydel a. a. O. 
Bd. 1 S. 597 ff.; der Verſuch Seydels, eine innere Be⸗ 
rechtigung dieſer Entwickelung nachzuweiſen, iſt m. E. 
nicht geglückt. Denn ſie lief im Grunde genommen doch 
darauf dinaus, daß die Verwaltung zum Richter in 
eigener Sache beſtellt wurde. 


— — N— > 


über ſtehe, wie das Zivilgericht. “) Wie wenig 
durchſchlagend dieſer Grund iſt, ergibt ſich daraus, 
daß das Reichsgeſetz vom 22. Mai 1910 über die 
Haftung des Reichs für ſeine Beamten überhaupt 
keine Vorentſcheidung für nötig hielt und daß jetzt 
das bayeriſche Geſetz vom 6. Dezember 1913 dem 
Verwaltungsgerichtshof die Entſcheidung der Vor⸗ 
frage überträgt, zu deren Löſung er nach der früheren 
Rechtslehre nicht befähigt wäre. 

2. Das Inkrafttreten des BGB. hätte die 
Gelegenheit geboten, die Unklarheiten zu beſeitigen. 

Das BGB. regelte klar und erſchöpfend die 
Haftung des Staates für ſeine Angeſtellten im 
wirtſchaftlichen Verkehr (88 31, 89, 278, 831) und 
ſchied fie Scharf von der Haftung für Verletzungen 
der Amtspflicht bei Ausübung ſtaatlicher Hoheits⸗ 
rechte. Nur für deren Ausgeſtaltung blieb den 
Landesrechten noch ein Spielraum. $ 839 BGB. 
überbürdet dem Beamten ſelbſt die Haftung, wenn 
er vorſaͤtzlich oder fahrläffig die ihm einem Dritten 
gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt; Art. 77 
EGBGB. gibt den Landesrechten die Möglichkeit, 
dieſe Haftung auf den Staat zu übernehmen und 
unmittelbare Anſprüche des Geſchädigten gegen den 
Beamten auszuſchließen. Die Vieldeutigkeit des 
Begriffs „Beamter“ brachte es wieder mit ſich, 
daß auch damals die Haftung des baheriſchen 
Staates für Amtshandlungen von Militärperſonen 
nicht befriedigend und in einer jeden Zweifel aus⸗ 
ſchließenden Weiſe geordnet wurde. 


Die Verſuche der Rechtslehre, den Beamten⸗ 
begriff im 8 839 zu erfaſſen, führten alsbald zu 
neuen Streitfragen, insbeſondere konnte man ſich 
nicht darüber einigen, ob und inwieweit Perſonen 
des Soldatenſtandes darunter fallen.“) Ein Teil 
der Ausleger ſuchte allgemeine innere Merkmale 
aufzuſtellen,“) andere wollten für Reichsbeamte 
das Reichsſtaatsrecht, für Landesbeamte das Landes⸗ 
ſtaatsrecht entſcheiden laſſen. “!) Erblickt man das 
entſcheidende Merkmal in der Anſtellung kraft 
öffentlich⸗rechtlichen Dienſtvertrags und in der Ueber⸗ 
tragung ſtaatlicher Gewalt, ſo wird man ſich kaum 


e) Seydel a. a. O. Bd. J S. 604. Krais, BlAdmpr. 
XXæXIII S. 120 wollte wenigſtens eine Ausnahme für 
Offiziere und Soldaten machen, die unter beſonderen 
Verhältniſſen der Zivilbevölkerung gegenüber mit polizei⸗ 
licher Zwangsgewalt“ bekleidet fein ſollten. Damit wäre 
wohl nichts gebeſſert, ſondern nur eine neue Quelle von 
Zweifelsfragen eröffnet worden. 

) Eine eingehende Unterſuchung findet ſich in dem 
Vortrage von Rehm, Hirths Annalen 1900 S. 369 ff. 

10) Kommentar von Reichsgerichtsräten II. Aufl. Bem.2 
zu 8 839: „Das Merkmal der Beamteneigenſchaft im 
allgemeinen iſt das auf Anſtellung gegründete öffentlich⸗ 
rechtliche Dienſtverhältnis und die Unterſtellung des 
Dienſtverpflichteten unter eine beſondere Dienſtgewalt.“ 
Der Kommentar meint dann weiter, „einer Aufzählung 
der Beamtenklaſſen, die für 8 839 in Betracht kommen, 
bedürfe es nicht.“ Richtiger wäre es wohl zuzugeben, 
daß die erſchöpfende Aufzählung unmöglich iſt. 

11) Planck, III. Aufl., Bem. 2 zu 8 839, Staus 
dinger 5./6. Aufl. Bem. 36 zu § 839. 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 9 


der Folgerung entziehen können, daß wenigſtens 
die Offiziere — vielleicht auch die Kapitulanten — 
unter 8 839 fallen.“) Das Reichsgericht hat denn 
auch dieſen Schritt getan und die Offiziere, ſoweit 
ſie öffentliche Dienſtverrichtungen ausüben, unter 
die Staatsbeamten in dem „weiteren Sinne“ des 
8839 BGB. und des Art. 77 EGBGB. gerechnet.!“ 

Art. 60 AGBGGB. machte von dem Vorbehalt 
in Art. 77 EGBGB. Gebrauch; Art. 165 AGBGB. 
brachte den Art. 7 Abſ. 2 VGH GG., der von der 
Vorentſcheidung handelt, mit dem neuen Recht in 
Uebereinſtimmung. Die Landesgeſetzgebung hätte 
den Kreis der Beamten, für die der Staat haften 
ſollte, gegenüber dem 8 839 BGB. einſchränken 
konnen; ausdrücklich hat fie das jedenfalls nicht 
getan. Dagegen tauchte ſofort wieder der Zweifel 
auf, ob die Perſonen des Soldatenſtandes zu den 
Beamten i. S. des Art. 60 AGBGB. und des 
Art. 7 Abi. 2 VGHGG. zu zählen ſeien. In der 
Ausſchußverhandlung der Kammer der Reichsräte 
ſtellte der Berichterſtatter Dr. v. Schmitt den Satz 
auf: „Die Soldaten und die Offiziere ſind keine 
Beamten“. Dieſe Aeußerung war in ſolcher All⸗ 
gemeinheit und Beſtimmtheit nicht gerechtfertigt. 
Denn der Regierungsentwurf zum AG. (Art. 53) 
bot keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Landes⸗ 
recht vom Beamtenbegriff des 8 839 BGB. ab⸗ 
weichen wollte, und dieſer Begriff war damals 
noch leineswegs in dem Sinne geklärt, wie Reichs⸗ 
rat v. Schmitt annahm. Aber — wie es ſo häufig 
geſchieht — die für die Auslegung des fertigen 
Geſetzes unverbindliche Anſicht wurde von einem 
Teile der Rechtslehrer jofort aufgegriffen und ohne 
weitere Prüfung angenommen.) So blieb die 
Rechtslage nach wie vor unſicher und da man doch 
wohl nicht annehmen konnte, daß der Begriff des 
Beamten im Art. 60 AGBGGB. ein anderer ſei 
als im Art. 7 Abſ. 2 VGHG., ) jo wurde auch 
das früher durch Gerichtsgebrauch anerkannte, jeder 


12) Vgl. Oertmann, Recht der Schuldverhältniſſe, 
Bem. 2a zu 8 839, der jogar die Militärperſonen ſchlecht⸗ 
hin einbeziehen will, ſoweit ſie öffentliche Funktionen 
ausüben; ähnlich Delius, Haftpflicht der Beamten, 
II. Aufl. S. 169. 

10) JW. 1912 S. 638 /9 Nr. 10. Die früheren Ent⸗ 
ſcheidungen des Reichsgerichts, auf die dort verwieſen 
wird, beſchäftigen ſich mit der Frage nicht ausdrücklich, 
ſondern ſcheinen ſie als gar nicht zweifelhaft ſtillſchweigend 
zu bejahen. 

1) Krais, BlAdmpPr. 50 S. 312; Stengel in 
Hirths Annalen 1901 S. 487; a. M. anſcheinend Henle⸗ 
Schneider, II. Aufl. Bem. 1 zu Art. 60 UG BGB., wo 
der Beamtenbegriff nach inneren Merkmalen beſtimmt wird. 

1) Eine andere Anſchauung vertritt Piloty in der 
neuen Bearbeitung des Bayeriſchen Staatsrechts von 
Seydel Bd. I S. 441. Er nimmt an, daß für die 
Militärperſonen „wohl auch das materielle Haftungs⸗ 
recht gilt, nicht aber das Recht der Vorentſcheidung.“ 
Er rechnet die Militärperſonen, die Offiziere und die 
richterlichen Militärbeamten nicht unter die Beamten 
i. S. des Art. 7 Abſ. 2 VGHG., weil „ihr Dienſt nicht 
geeignet jei, einer Würdigung durch den VGH. unter⸗ 
zogen zu werden.“ Ich habe ſchon früher darauf hin⸗ 
gewieſen, daß dieſer Beweisgrund nicht ſehr überzeugend 


feſten Grundlage entbehrende Vorentſcheidungsrecht 
der Militärbehörden (d. h. des Kriegsminiſteriums) 
nicht aus der Welt geſchafft.“) 

Das Reichsgeſetz vom 22. Mai 1910 (RGBl. 
S. 798), das die Haftung der Reichsbeamten nach 
5 839 BGB. dem Reiche auferlegte, ſtellte in 8 1 
Abſ. 3 die Perſonen des Soldatenſtandes den Reichs⸗ 
beamten gleich und ſchnitt damit die Zweifel ab, 
die ſich bei der Auslegung des Begriffs eines Reichs⸗ 
beamten hätten ergeben können. Die dem baye⸗ 
riſchen Kontingent angehörenden Perſonen des 
Soldatenſtandes blieben ausgeſchloſſen, weil die 
bayeriſche Heeresverwaltung nicht auf Rechnung 
des Reichs geführt wird. Das Reichsgeſetz kennt 
keine Vorentſcheidung.“) 

Durch das bayeriſche Geſetz vom 6. Dezember 
1913 wird jetzt auch für Bayern ein klarer und ein⸗ 
facher Rechtszuſtand geſchaffen, der dem im Reiche 
geltenden nahezu vollſtändig angeglichen iſt und 
im Weſentlichen auch gleiches Recht für Zivilbeamte 
und für Perſonen des Soldatenſtandes bringt. 


II. 


1. Das Geſetz befaßt ſich nur mit den Erſatz⸗ 
anſprüchen, die infolge einer Amtspflichtverletzung 
bei Ausübung anvertrauter öffentlicher Gewalt 
entſtehen, nicht mit der Haftung aus Handlungen 
im wirtſchaftlichen Verkehr.“) Die Grenze iſt 
nicht immer ganz leicht zu ziehen. Bei den Be⸗ 
ratungen im Ausſchuſſe der Kammer der Reichs⸗ 
räte wurde als Beiſpiel für die Ausübung der 
Militärhoheit insbeſondere die Tatigkeit hervor: 
gehoben, die unmittelbar auf die militäriſche Aus⸗ 
bildung der Truppe gerichtet iſt, z. B. Schieß⸗ 
übungen, Gefechtsübungen, Uebungen der Pioniere 
im Brückenbau, Sprengübungen u. dgl. Es ſind 
aber noch andere Falle denkbar. Zwei Haupt⸗ 
gebiete der Ausübung öffentlicher Gewalt, nämlich 
die Handhabung der Dienſtgewalt und die Fürſorge 
für Leben und Geſundheit der Untergebenen, ſcheiden 
allerdings nahezu ganz aus. Denn nach Art. 2 
des Geſetzes vom 6. Dezember 1913 bleiben die Vor⸗ 
ſchriſten anderer Geſetze unberührt, ſoweit ſie für 
beſtimmte Fälle die Haftung des Staates über 
einen gewiſſen Umfang hinaus ausſchließen. Eine 


iſt; er kann wohl nur für die richterlichen Militärbeamten 
anerkannt werden (davon ſpäter). 

10) S. OLG. Nürnberg, Seuffdl. Bd. 75 S. 721; 
Erhard, BaygfR. 1912 S. 101 ff. Erhard nimmt übri⸗ 
gens m. E. mit Unrecht an, daß das OLG. das Vorentſchei⸗ 
dungsrecht des Kriegsminiſteriums ausdrücklich anerkannt 
habe. Das Gericht ſcheint vielmehr offen gelaſſen zu 
haben, ob die Vorentſcheidung dem VGH. oder den 
Militärbehörden zuſteht. 

11) Vgl. über das Gejeg vom 22. Mai 1910 auch 
Jahrg. 1910 dieſer Zeitſchrift S. 240. 

18) Um den Umfang der Abhandlung nicht allzuſehr 
zu vergrößern, wurden die allgemeinen Fragen bier 
nicht behandelt, die ſich bei der Auslegung des 8839 BGB., 
des Art 60 AG BGB. und des Art. 7 Ubi. 2 VGSHG. 
ergeben. Sie ſind in den Kommentaren zur Genüge 
erörtert. 


10 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


ſolche Vorſchriſt it 841 MannſchVG., der den behörde verkündet. Die Verantwortung fällt alſo 
nach dieſem Geſetze verſorgungsberechtigten Per⸗ inſoweit der Zivilbehörde zur Laſt. Dagegen hat 
ſonen aus dem Grunde einer Dienſtbeſchädigung der militäriſche Befehlshaber Art und Dauer des 
gegen die Militärverwaltung beſtimmt umgrenzte | Waffengebrauchs zu beſtimmen (Art. 4 Abſ. 2); 
Anſprüche gewährt. Als „Dienſtbeſchädigung“ in beſtimmten Fällen (Art. 5) hat die bewaffnete 
(§ 3 Mannſch VG.) werden u. a. auch die Folgen Macht auch ohne Signal und Aufforderung ein⸗ 
aus einer Mißhandlung Untergebener angeſehen,“) zuſchreiten. Sie hat ferner auch nach der Wieder⸗ 
ſo daß alſo die Haftung wegen einer Ueberſchrei⸗ herſtellung der Ordnung zu den notwendigen Ver⸗ 
tung der Dienſtgewalt gegenüber einem Unter⸗ haftungen ſowie zur Ablieferung der Gefangenen 
gebenen außerhalb des Bereiches des Geſetzes vom mitzuwirken. Hiernach kann ein Anſpruch auf 
6. Dezember 1913 fällt. Das gleiche gilt von Grund des Geſetzes vom 6. Dezember 1913 entſtehen, 
Dienſtbeſchadigungen, die eintreten, weil der Bor: wenn Perſonen des Soldatenſtandes bei der ihnen 
geſetzte bei einer militäriſchen Uebung die ihm zugewieſenen ſelbſtändigen Tätigkeit ihre Amts⸗ 
gegenüber feinen Untergebenen obliegende Sorg= pllicht ſchuldhaft verletzen oder überſchreiten. 
faltspflicht verletzt.“) u Unter das Geſetz vom 6. Dezember 1913 kann 
Eine Verletzung der Amtspflicht bei Ausübung ſchließlich auch die Leiſtung militäriſcher Hilfe bei der 
militäriſcher Gewalt könnte unter Umſtänden an: Zwangsvollſtreckung fallen. Die Verantwortung für 
genommen werden, wenn ein militäriſcher Vor⸗ ihre Inanſpruchnahme trägt freilich auch hier die 
Ar ame von ns 3 da 11 Zivilbehörde.“ 
ebrauch macht, wo ſein Eingreifen möglich un 5 ar 
geboten ift, wenn er z. B. vorläglid ober fahr: | 5 8 9 en en 29. es 3 
läſſig Ausſchreitungen feiner Untergebenen gegen bemerkt das Reichsgericht beiläufig, daß auch der 
die Zivilbevölkerung nicht hindert. Betrieb der militariſchen Einrichtungen 91 der 
Zur Ausübung ſtaatlicher Hoheitsrechte gehören Artilleriewerkſtätten) als ein Ausfluß des Militär⸗ 


der Waffengebrauch des Militärs (insbeſondere der boheitsrechts angeſehen werden könne, ſoweit dieſer 
Wachen und Boften),*') ſeine Mitwirkung bei Feſt⸗ Betrieb „an ſich“ — im Gegenſatze zu Anord⸗ 
nahmen) und in Bayern insbeſondere das Ein; | nungen und, Handlungen der Militärbehörden 
ſchreiten der bewaffneten Macht zur Erhaltung der aus Anlaß“ eines ſolchen Betriebs — in Be⸗ 


lichen Ordnung.“ 3 tracht kommt. Aber eine Verletzung der Amts⸗ 
daelt. 15 hat bei ee 1 pflicht durch die Einrichtung eines Betriebs „an 


4 die Din; 174 75 ß. ſich“ iſt wohl nicht denkbar; das Reichsgericht hat 
dee in wee arg de n Gy de | 1,010 gane deb ber Air m mitt 
Geſetzes vom 8. Mai 1851 vorgeſchriebene drei⸗ techniſche Betriebe durch ganze oder teilweiſe Unter⸗ 


malige Aufforderung zum Auseinandergehen wird ſagung oder auch nur durch Anordnung einer 
in der Regel durch einen Abgeordneten der Zivil⸗ Beſchränkung nicht eingreifen dürfe.“) 
2 2. Das Geſetz beſtimmt, daß die Perſonen des 
1e Vgl. Romen, Militärpenſionsgeſetze, S. 46 | Soldatenſtandes im Sinne einzelner geſetzlicher 
Dem. 4 zu 83 Mannſch VG. | Vorſchriften den Staatsbeamten gleichſtehen. Damit 
| 


0) Wegen der Offiziere uſw. | 838 i. V. m 85 Off PG.; drückt es aus, daß es ſich hier im Grunde ge⸗ 


hiernach gelten im allgemeinen die nämlichen Vorſchriften ; 
wie für die Mannſchaften. Wegen eines Unfalls, den nommen um eine geſetzliche Auslegung des Be⸗ 
amtenbegriffes handelt. 


155 une 5 bei net Schießübung erleidet, weil 
ie unzweckmäßig angelegt war oder weil die erforder⸗ Wer Perſon des Soldatenſtandes iſt ergibt 
lichen Sicherungsmaßregeln nicht getroffen waren, kann : . a 

der Staat nicht auf Grund des baderiſchen Geſezes vom ſich aus Abſchnitt A der Anlage zum Mil StGB. 
6. Dezember 1913 haftbar gemacht werden. (RGBl. 1872 S. 204). Die Militärbeamten (Ab⸗ 
mie Pu 85 133, 134 ff.; vgl. ſchnitt B dieſer Anlage) gehören zwar zu den 
a Militärperſonen, aber nicht zu den Perſonen des 

25) Garniſonsdienſtvorſchrift 88 117 ff. = g ER . 
as) 9 8. Mai 1851, BB 1851/52 S. 9 f. Soldatenſtandes (vgl. 5 4 Milt B.). Die ſog. 
vgl. auch 8 113 Abſ. 3 StGB. Die Rechtsgrundlage für | „Zivilbeamten der Militärverwaltung“ gehören 
155 1 195 das . ui ul auch nicht zu den Militärperſonen. Militärbeamte 
oweit m a e)e vom 8. ar 1891 un te all⸗ FRE 1,4% : 
gemeinen Vorſchriften des StGB., der StRD. und der und Zivilbeamte der . . 
Mil StG. über Notwehr, Nothilfe, Notitand, Verhaf— Sl eech rt. 192 ff 5 as . 
eamtengeſe rt. 192 ff.). € ar und iſt un⸗ 
beſtritten, daß ſie bayeriſche Landesbeamte find 
und daß deshalb für ſie ſowohl Art. 60, 61 
AG BGB. als Art. 7 Abſ. 2 VGH. gelten. Auch 


tung und vorläufige Feſtnahme eingreifen (vgl. Dietz, 
Handwörterbuch des Militärrechts S. 862 ff., und Endres, 
die bayeriſchen richterlichen Militärjuſtizbeamten 


Der militäriſche Waffengebrauch, Berlin 1903). Es wird 
angenommen, daß es einer beſonderen geſetzlichen Re— 
gelung des Rechts zum Waſſengebrauche nicht bedürfe, 
weil es ſich aus der Beſtimmung des Heeres von ſelbſt 
ergebe; die in den militäriſchen Dienſtvorſchriften auf: | 
geſtellten Regeln ſeien ſozuſagen nur Selbſtbeſchrän- 
kungen, die allerdings auch von den Gerichten beachtet 
werden müßten. Hier iſt nicht der Ort, die ziemlich 
heikle Frage genauer zu unterſuchen. 


20 8 758 Abſ. 3, 8 789 BRD. 
20) 93. 55. 174. 
2% RG. 44, 225. 


find Militärbeamte (vgl. Art. 202 BG.).“) 8) 
Für fie gilt jedoch die Ausnahme in Art. 7 
Abi. 2 Satz 4 VGHG., wonach eine Vorentſchei⸗ 
dung nicht erforderlich iſt; ſie ſind zu den „Beamten 
der ſtreitigen Gerichtsbarkeit“ zu rechnen. 

Die Gendarmen Kr nicht Militärperſonen.“)) 

3. Art. 61 Abſ. 1 AGBGB., der jetzt auch 
für die Perſonen des Soldatenſtandes gilt, dehnt 
die Haftung des Staates auf den Fall aus, daß 
ſich der Beamte bei der Verletzung ſeiner Amts⸗ 
pflicht im Zuſtande der Bewußtloſigkeit oder in 
einem die freie Willensbeſtimmung ausſchließenden 
Zuſtande krankhafter Störung der Geiſtestätigkeit 
befunden hat und deshalb gemäß § 827 BGB. 
für den Schaden nicht verantwortlich iſt. Doch 
tritt die Haftung gemäß Art. 61 Abſ. 3 AGBGB. 
i. V. mit $ 839 Abſ. 1 Satz 2 BGB. nur ein, 
wenn der Geſchaͤdigte nicht auf andere Weiſe Erſatz 
erlangen kann. Das RG. vom 22. Mai 1910 
geht noch etwas weniger weit; es erklärt das Reich 
für haftbar, „wie wenn dem Beamten Fahrläſſig⸗ 
keit zur Laſt fiele, jedoch nur inſoweit, als die Billig⸗ 
keit die Schadloshaltung fordert“. 
Beamte ſchuldhaft durch den Genuß geiſtiger Ge⸗ 


Hat ſich der 
die Landgerichte ohne Rückſicht auf den Wert des 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 11 


in Art. 13 Abſ. 1 und Abſ. 3 Satz 2 BG. Kein 
Rückgriffsrecht beſteht dann, wenn der Staat haftet, 
obwohl der Offizier oder Soldat ſelbſt gemäß § 827 
BGB. für die Handlung nicht verantwortlich wäre. 
Das entſpricht dem, was bisher ſchon für die Ge⸗ 
meinde⸗ und anderen Kommunalbeamten nach 
Art. 61 AGBGB. galt, (Art. 61 Abſ. 3 erklärt 
den Art. 60 Abſ. 4 nicht für entſprechend an⸗ 
wendbar), und was nach Art. 13 Abſ. 2 BG. 
i. B. mit 8 827 BGB. für die Staatsbeamten 
rechtens iſt. Hat ſich die Perſon des Soldaten⸗ 
ſtandes durch den Genuß geiſtiger Getränke u. dgl. 
ſchuldhaft in einen vorübergehenden Zuſtand der 
Unzurechnungsfähigkeit verſetzt, ſo iſt das Rück⸗ 
griffsrecht des Staates nicht ausgeſchloſſen, weil 


die Haftung des Staates in dieſem Falle eben 
nicht auf Art. 61 AG BGB., ſondern auf Art. 60 
beruht (ſiehe oben unter 3). 


5. Auch prozeßrechtlich wird jetzt für die Per⸗ 
ſonen des Soldatenſtandes das gleiche Recht ge⸗ 
ſchaffen, wie es für die Beamten gilt. Die Vor⸗ 
entſcheidung fällt in jedem Falle der Verwaltungs⸗ 
gerichtshof. Gemäß Art. 26 AGGVG.““) find 


tränke oder durch ähnliche Mittel in einen vorüber⸗ 
gehenden Zuſtand der Bewußtloſigkeit uſw. verſetzt, | 
jo haftet er, wie wenn ihm Fahrläſſigkeit zur Laſt 

fiele (§ 827 Satz 2 BGB.); in dieſem Falle geht | 


Streitgegenſtandes zuſtändig für die Anſprüche gegen 
den Staat wegen Verſchuldens von Staatsbeamten 
und für die Anſprüche gegen öffentliche Beamte 
wegen Ueberſchreitung ihrer amtlichen Befugniſſe 


die Erſatzpflicht auf den Staat ſchon nach Art. 60 
AG BGB. über, nicht nach Art. 61 AGBGB. 
Art. 61 Abf. 2 AG BGB. ſchränkt die Aus: 
dehnung im Abſ. 1 wieder ein für den Fall, daß 
bei einem Urteil in einer Rechtsſache die Amts⸗ 
pflicht verletzt wurde; das iſt von Bedeutung für die 
richterlichen Handlungen der Militärjuſtizbeamten. 
4. Nach Art. 80 EGBGB. können die Landes⸗ 
rechte die vermöͤgensrechtlichen Verbindlichkeiten 
der Beamten aus dem Amts⸗ und Dienſtverhält⸗ 
niſſe regeln. Auf Grund dieſer Ermächtigung 
hatte Art. 60 Abſ. 4 AGBGB. beſtimmt, daß 
der Beamte dem Staate den Schaden zu erſetzen 
hat, der ihm aus der Verletzung der Amtspflicht 
entſteht. Dieſes Rückgriffsrecht des Staates iſt 


oder wegen pflichtwidriger Unterlaſſung einer 
Amtshandlung (ſ. dazu wegen der Zulälfigfeit der 
Reviſion $ 547 Nr. 2 3P O.). Das Geſetz vom 
6. Dezember 1913 beſeitigt jetzt den Zweifel, welche 
Perſonen des Soldatenſtandes von dieſer Vorſchrift 
betroffen werden. 

Unberührt geblieben iſt die Vorſchrift des Art. 2 
AGZPO., wonach Anſprüche gegen den Fiskus 
erſt dann gerichtlich verfolgt werden können, wenn 
ſich der Beteiligte an die zunächſt zuſtändige höhere 
Verwaltungsſtelle um Abhilfe gewendet und eine 
abſchlägige oder innerhalb ſechs Wochen gar keine 
eee erhalten hat.““) 

Art. 2 des Geſetzes vom 6. Dezember 1913 
hält die Vorſchriften anderer Geſetze aufrecht, u 


dann durch Art. 13 BG. neu geregelt worden; weit fie für beſtimmte Fälle die Haftung des 


Art. 60 Abſ. 4 AG BGB. trifft jetzt nur noch 
Rückgriffsanſprüche der Gemeinden und anderer 
Kommunalverbände gegen ihre Beamten (ehe 
Art. 226 BG.). Es war deshalb notwendig, in 
dem Geſetz vom 6. Dezember 1913 Vorſchriften 
über die Erſatzpflicht der Perſonen des Soldaten: 
ſtandes gegenüber dem Staate zu treffen (Art. 1 
Satz 2). Sie entſprechen der Sache nach den Vorſchriften 


) Oberkriegsgerichtsräte und Kriegsgerichtsräte; 
darüber, ob auch die juriſtiſchen Mitglieder des baye— 
riſchen Senats beim i bayeriſche Staats: 
beamte find, ſiehe Reindl, Ben. 1 zu Art. 202 BG. 
S 807. 

28) Darüber, daß die Militärgerichtsſchreiber nicht zur 
Ausübung öffentlicher Gewalt berufen ſind, 
hard in dieſer Zeitſchrift 1912 S. 81. 

) Erhard a. a. O. 


Staates über einen gewiſſen Umfang hinaus aus: 
ſchließen. Er entſpricht dem $ 5 des Reichsgeſetzes 
vom 22. Mai 1910. Schon unter II 1 wurden 
zwei Vorſchriften erwähnt, für die dieſer Vorbe⸗ 
halt von Bedeutung iſt: § 38 OffPenſG. und § 41 
MannſchvVGG. Dazu kommen noch, wie in der 
Ausſchußverhandlung der Kammer der Reichsräte 
hervorgehoben wurde, Vorſchriften des Natural: 


leiſtungsgeſetzes,“) das allerdings in der Begrün— 


dung des Regierungsentwurfs zum Reichsgeſetze 
vom 22. Mai 1910 nicht aufgeführt iſt. Nach 


30) Die Vorſchrift beruht auf dem Vorbehalte in 


8 70 Abſ. 3 GVG. 
ſiehe Er: 


) Val. dieſe Zeitſchrift 1911S 472 und 1912 S. 82. 
2 In der Faſſung des Geſetzes vom 24. Mai 1898 


(RG Bl. S. 361). 


12 


8 14 dieſes Geſetzes wird unter Ausſchluß des Rechts⸗ 
wegs durch eine Schätzungskommiſſion der Schaden 
feſtgeſtellt, der durch die Benützung von Grund— 
ſtücken zu Truppenübungen und durch die Mit: 
benutzung von Brunnen und Tränken ($S 11, 12) 
entſtanden und aus Militärfonds zu vergüten iſt. 
Nach der herrſchenden Auslegung des Geſetzes iſt 
auch der Umfang der Erſatzanſprüche beſchränkt: 
vergütet werden nur Schäden, die das Grundſtück 
ſelbſt betroffen haben oder doch mit dem Grund: 
ſtücke zuſammenhängen, dagegen insbeſondere nicht 
der Schaden durch Beeinträchtigung der Jagd oder 
Fiſcherei.) Uebrigens wird auch das Kriegs⸗ 
leiſtungsgeſetz vom 13. Juni 1873 (RGBl. S. 162) 
zu den Geſetzen zu rechnen ſein, die unter Art. 2 
fallen (ſ. die 88 3, 6, 14, 35 dieſes Geſetzes). 


Die neuen Vorſchriften für die Behandlung 

der amts- und ſchöffeugerichtlichen Straf⸗ 

ſachen und die neuen Dienſtvorſchriften für 
die Amtsauwälte. 


Bon Emanuel Habel, Landgerichtsrat in München. 


Die bayeriſchen Vorſchriften für die Geſchäfts⸗ 
behandlung der amts⸗ und ſchöffengerichtlichen 
Straſſachen, die durch die Bekanntmachung vom 
20. Auguſt 1879 (JMBl. S. 377) veröffentlicht 
ſind, haben ſich in mehr als einem Menſchenalter 
bewährt, ſie waren nicht nur für die Zeit der 
Einführung der StPO. ein unentbehrliches Hilfs⸗ 
mittel, ſondern die Grundzüge, auf denen ſie die 
Behandlung der amtsgerichtlichen Strafſachen auf— 
bauen, entſprechen auch heute noch dem Bedürfniſſe 
der Praxis. Es mag deshalb auf den erſten Blick 
auffallend erſcheinen, daß die bayeriſche Juſtiz⸗ 
verwaltung noch vor der Umgeſtaltung der StPO. 
mit einer Neubearbeitung der Vorſchriften hervor: 
tritt, die für den Amtsrichter in Straſſachen und 
für den Amtsanwalt das Handwerkszeug bilden, 
mit dem ſie täglich zu arbeiten haben. Allein 
die Reform des Strafprozeſſes iſt leider wieder 
in weitere Ferne gerückt; vor der Umgeſtaltung 
des materiellen Strafrechts, die auch noch eine 
Reihe von Jahren in Anſpruch nehmen wird, iſt 
an eine umfaſſende Neuregelung des Strafprozeſſes 
nicht mehr zu denken. Dieſe Hinausſchiebung wird 
ſogar dazu führen, einen Teil der Strafprozeß— 
reform, naͤmlich die geſetzliche Regelung der Jugend— 
gerichtsbarkeit vorweg zu nehmen. Obgleich die 


„ 
F 


4 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


ſchöffengerichtlichen Strafſachen im allgemeinen 
unberührt bleiben. Soweit das neue Geſetz Aus⸗ 
führungsvorſchriften notwendig macht, wird eine 


eigene Bekanntmachung alle auf die Jugendge⸗ 


| 
| 


| 


in naher Aussicht ſtehende Verabſchiedung des 


Geſetzentwurfs über das Strafverfahren gegen 
Jugendliche in erſter Linie die Amtsgerichte mit— 
betrifft, ſo wird doch das Verfahren in amts- und 


) Dietz, Handwörterbuch des Militärrechts S. 359. 


richtsbarkeit bezüglichen Beſtimmungen der Juſtiz⸗ 
verwaltung zuſammenfaſſen müſſen. Dieſer Um⸗ 
ſtand konnte alſo der Neubearbeitung der alten 
Schöffengerichtsinſtruktion nicht im Wege ſtehen. 
Dagegen war dieſe Neubearbeitung gerade im 
jetzigen Zeitpunkt erforderlich, weil fie Hand in 
Hand geht mit der Erlaſſung endgültiger Dienſt⸗ 
vorſchriften für die Amtsanwälte. Vor mehr als 
einem Jahre wurde die Amtsanwaltſchaft, die in 
den Landesteilen rechts des Rheins in den Händen 
der inneren Verwaltung gelegen war, in den 
Geſchäftsbereich der Juſtizverwaltung übernommen. 
Den neuen Amtsanwälten wurde die Führung 
der Geſchäfte durch eine vorläufige, nicht veröffent⸗ 
lichte Geſchäftsanweiſung erleichtert. An ihre Stelle 
treten jetzt die neuen Dienſtvorſchriften, die ſich im 
weſentlichen mit der vorläufigen Geſchäftsanweiſung 
decken. Demzufolge war auch die Neubearbeitung 
der Schöffengerichtsinſtruktion nicht mehr zu um⸗ 
gehen; ſie ſtellte ſich nur noch als ein Torſo dar, 
weil die für die Amtsanwälte allein maßgebenden 
Vorſchriften zum größten Teil in die Dienſtvor⸗ 
ſchriften für die Amtsanwälte aufgenommen werden 
mußten und weil die Inſtruktion auch ſonſt im 
Laufe der Jahre durch Einzelvorſchriften vielfach 
durchbrochen worden war. Die neuen Vorſchriften 
für die Behandlung der amts- und ſchöffengericht⸗ 
lichen Straſſachen und die neuen Dienſtvorſchriften 
für die Amtsanwälte treten am 1. Januar 1914 
in Kraft. Sie ſind durch die Bekanntmachung 
vom 29. November 1913 (JM Bl. S. 419) ver: 
öffentlicht. Die gleiche Nummer des Juſtizminiſterial⸗ 
blatts enthält zwei weitere Bekanntmachungen 
von demſelben Tage über die Mitteilung von 
Strafnachrichten an das Ausland (JM Bl. S. 691) 
und über die Mitteilungen der Staatsanwälte, 
Amtsanwälte und Gerichte (JMBl. S. 694). 
Erſtere faßt die Vorſchriften zuſammen, die bisher 
für die Strafnachrichten an das Ausland im 
einzelnen erlaſſen worden waren, und regelt zu⸗ 
gleich neu die Strafnachrichten für Frankreich und 
Rußland, die andere Bekanntmachung faßt die bisher 
veröffentlichten Vorſchriften über die Mitteilungen 
zuſammen und gliedert fie in vier ſachlich ge— 
trennte Abteilungen (Mitteilungen in Strafſachen 
mit Rückſicht auf die Perſon des Beſchuldigten, Mit⸗ 
teilungen in Strafſachen wegen des Gegenſtandes der 
Unterſuchung, ſonſtige Mitteilungen in Strafſachen 
und Mitteilungen der Staatsanwälte in nichtſtraf— 
rechtlichen Sachen). Dieſe drei Bekanntmachungen 
bilden im Zuſammenhalte mit der Bekanntmachung 
vom 12. Juli 1913 (JM Bl. S. 91), worin die für 
Bayern geltenden Vorſchriften über das Strafregiſter 
vereinigt ſind, und mit der Bekanntmachung vom 
23. Auguſt 1913, die Bildung der Schöffengerichte 


und der Schwurgerichte und die Vorbereitung der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


Schwurgerichtsfitzungen betr., (JMBl. S. 193) einen 
beträchtlichen Fortſchritt auf dem Wege zur Ver⸗ 
einfachung und Bereinigung des JM Bl. einerſeits 
und zur Erleichterung der Geſchäftsführung in 
Strafſachen andererſeits. Die fünf Bekannt⸗ 
machungen haben es durch Einarbeitung und Er⸗ 
ſetzung früherer Vorſchriften ermöglicht, mehr als 
100 ältere Bekanntmachungen und Entſchließungen 
aufzuheben. 

Im folgenden ſoll auf einige Neuerungen und 
auf Vorſchriften hingewieſen werden, die von be⸗ 
ſonderer Bedeutung ſind. 


1. Die Vorſchriften für die Behandlung 
der amts⸗ und ſchöffengerichtlichen 
Strafſachen. 

Man kann darüber ſtreiten, ob es heute, 
wo die Strafprozeßordnung ſeit mehr als 
30 Jahren in Geltung iſt, noch notwendig war, 
in Dienſtvorſchriften auf die geſetzlichen Vorſchriften 
ſelbſt ſo einzugehen, wie es auch in der neuen 
Bearbeitung geſchehen iſt, allein für die Bejahung 
dieſer Frage ſpricht vor allem der Umſtand, daß 
es ſich um Vorſchriften handelt, die nicht nur für den 
erfahrenen Richter ſondern auch für junge Beamte, 
namentlich für die Amtsanwälte gelten, die ſich 
erſt in die Praxis einarbeiten müſſen. Dazu 
kommt, daß eine zuſammenhängende Anweiſung 
ohne Heranziehung der geſetzlichen Vorſchriften 
kaum durchführbar geweſen waͤre. 

In dem Abſchnitt über Bildung und Auf⸗ 
bewahrung der Akten, der im weſentlichen die 
beſtehende Uebung billigt, find nunmehr auch aus: 
reichende Vorſchriften über die Ausſcheidung der 
Akten getroffen. 

Der Abſchnitt über das vorbereitende Ver⸗ 
fahren iſt neu eingefügt. Dadurch wird die Voll⸗ 
ſtändigkeit der Vorſchriften nicht unweſentlich 
erhöht. Von Wichtigkeit ſind insbeſondere die 
Hinweiſe auf die Bek. vom 16. Juli 1907 
(JMBl. S. 201) über die Einſchränkung der 
Unterſuchungshaft und auf die Bek. vom 8. Ja⸗ 
nuar 1908 (JMBl. S. 1) über die Zeugnis⸗ 
zwangshaft. Bemerkenswert iſt die Einführung 
eines Haſtverzeichniſſes des Amtsrichters (§ 14 
Abſ. 3). Dadurch wird die ſehr wichtige Ueber⸗ 
wachung des Vollzuges von Haftbefehlen erleichtert 
und dazu beigetragen werden, daß Ueberſehen 
vermieden werden, die auf dieſem Gebiete von den 
unangenehmſten Folgen begleitet ſein können. 

Für die Anträge auf Erlaſſung von richterlichen 
Strafbefehlen iſt das ſogenannte Sammelverfahren 
beibehalten, nämlich die Möglichkeit der Zuſammen⸗ 
faſſung mehrerer Anträge auf einem Formblatte. 
Dieſes Verfahren hat ſich in Bayern gut bewährt. 
Bei der großen Menge von Strafbefehlsan⸗ 
trägen (nach der Juſtizſtatiſtik wurden 1912 im 
Königreich 229 529 Strafbefehle erlaſſen) iſt 
darauf Bedacht genommen worden, jede Der: 


mehrung des Schreibwerkes zu vermeiden, und | wird. 


18 


eine ſolche Vermehrung hätte es bedeutet, wenn 
der Amtsanwalt für jeden Strafbefehlsantrag ein 
eigenes Formblatt mit Datum und Unterſchriſt 
hätte ausfüllen müſſen. Auch dem Richter bietet 
die Zuſammenfaſſung mehrerer Anträge auf einem 
Blatte manchen Vorteil. Daß der Strafbefehl 
nach dem Antrag noch in Ur⸗ und Abſchrift her⸗ 
zuſtellen iſt, bildet jetzt für die Gerichtsſchreiberei 
keine Mehrbelaſtung, weil beide Schriftſtücke durch 
die Schreibmaſchine mittels Durchſchlags gleich⸗ 
zeitig hergeſtellt werden können. Iſt der Straf⸗ 
befehl erlaſſen, ſo braucht der auf dem ſogenannten 
Mantel (Formbl. 7) ſtehende Antrag des Amts⸗ 
anwalts nicht mehr zu den Akten abgeſchrieben 
zu werden; denn der Strafbefehl muß mit ihm 
übereinſtimmen. Nur wenn kein Strafbefehl er⸗ 
laſſen wird und die Sache noch zu weiteren 
Amtshandlungen und damit zur Aktenbildung 
Anlaß gibt, müſſen die Akten auch eine Abſchrift 
des Strafbefehlsantrags enthalten, damit ein voll⸗ 
ſtändiges Bild des Prozeßganges vorhanden iſt. 
Allein dieſe Fälle ſpielen keine große Rolle gegen⸗ 
über der weit überwiegenden Zahl von An⸗ 
trägen, die auf dem gewöhnlichen Wege erledigt 
werden. Selbſtverſtändlich bedarf es einer Abſchrift 
des Antrags zu den Akten nicht, wenn der „Mantel“ 
nur dieſen einen Antrag enthält. Dann wird 
die Urſchrift des Antrags zu den Akten genommen. 
Das gilt z. B. auch im Falle des 8 27 Abi. 3 
für den Fall der Beſchwerde des Amtsanwalts 
gegen die Zurückweiſung ſeines Antrags. 

Dem in der Praxis da und dort aufgetauchten 
Zweifel, welcher Tag als Tag der Erlaſſung des 
Strafbefehls zu gelten hat, der Tag, an dem der 
Richter auf den Antrag die Abfaſſung des Straf⸗ 
befehls verfügt oder der Tag, an dem er die 
hiernach vom Gerichtsſchreiber entworfene Urſchrift 
des Strafbefehls unterzeichnet, treten die neuen 
Vorſchriften dadurch entgegen, daß nach § 29 der 
Gerichtsſchreiber bei der Herſtellung des Entwurfes 
der Urſchrift den Tag der richterlichen Verfügung 
des Strafbefehls einzuſetzen hat, ſo daß der Tag, 
an dem der Richter die Strafbefehlsurſchrift unter: 
zeichnet, nicht mehr hervortritt. 

In dem Abſchnitt über das ordentliche Ver⸗ 
fahren trägt $ 35 den vielfachen Klagen Rechnung, 
daß die Beteiligten häufig übermäßig lang bei 
Gericht warten müſſen, bis ihre Sache zum Auf⸗ 
ruf kommt. Der Richter hat bei der Anſetzung 
der Termine, insbeſondere auch bei der Be— 
ſtimmung der Stunde ihres Beginnes, auf den 
Umfang und die ſonſtigen Umſtände des einzelnen 
Falles Rückſicht zu nehmen. Die Termine ſollen 
in der Regel nicht alle auf die gleiche Stunde an⸗ 
geſetzt werden. Sie ſind unter Beachtung der 
Eiſenbahn-, Bolt: und ſonſtigen Verkehrsver— 
bindungen tunlichſt ſo zu beſtimmen, daß Be: 
teiligten, die von auswärts kommen müſſen, die 
Hin: und Zurückreiſe am gleichen Tage ermöglicht 
Allen Klagen werden freilich auch dieſe 


14 


Vorſchriften nicht abzuhelfen vermögen; denn die 
Dauer der einzelnen Termine iſt von ſo vielen 
Zufällen abhängig, daß ſelbſt der gewandteſte 
Richter die Dauer nicht immer genau vorherſehen 
und die feſtgeſetzten Stunden nicht immer ein⸗ 
halten kann. Die Sache hat auch ihre Kehrſeite. 
Wenn die Termine noch ſo zweckmäßig verteilt zu 
ſein ſcheinen, kann es vorkommen, daß die eine 
oder andere Sache in letzter Stunde wegfällt und 
daß das Gericht warten und vielleicht die Sitzung 
nachmittags fortſetzen muß, weil die anderen Be⸗ 
teiligten noch nicht erſchienen ſind. 

Bei den Vorſchriften über das Privatklage⸗ 
verfahren (88 46 — 48) iſt hervorzuheben, daß die 
Beſtimmungen der Bek. vom 4. März 1912 
(JMBl. S. 54) übernommen ſind, wonach die 
Privatklageabſchrift dem Staatsanwalt oder Amts⸗ 
anwalt zu überſenden iſt, der nach ihrem Inhalt 
zur etwaigen Erhebung der öffentlichen Klage in 
erſter Linie zuſtändig erſcheint (über die Gründe 
dieſer Anordnung ſiehe BayziR. 1912 S. 184, 
vgl. auch Löwe, StPO. Bem. 4b zu $ 422). Als 
Amtsanwalt, dem die Abſchrift der Privatklage 
nach § 422 der StPO. mitzuteilen iſt, kann auch 
ein anderer Amtsanwalt in Frage kommen, als 
derjenige, der bei dem mit der Privatklage be⸗ 
faßten Gericht aufgeſtellt iſt, z. B. wenn die Privat⸗ 
klage zum Gerichte des Wohnorts des Beſchuldigten 
erhoben iſt, der Gerichtsſtand der begangenen Tat 
aber in einem anderen Gerichtsbezirke begründet 
iſt. Selbſtverſtändlich hat die auf die Privat: 
klage bezüglichen Eintragungen im Anzeigever⸗ 
zeichnis (8 46 Abſ. 4, § 47 Abſ. 4 a. E.) ſtets 
der Amtèanwalt zu machen, der bei dem mit der 
Privatklage befaßten Gericht aufgeſtellt iſt. Im 
übrigen entſprechen die 83 46, 47 im weſentlichen 
den Vorſchriſten, die ſchon bisher durch die Ent: 
ſchließung des Staatsminiſteriums der Juſtiz vom 
1. Maͤrz 1900 Nr. 9341 für das Verfahren auf 
Privatklage erlaſſen waren. 

Für die Hauptverhandlungen ſchreibt § 51 
vor, daß ſie in der Regel nach der Reihenfolge 
der Sitzungsliſte ſtattfinden. Dadurch wird den 
namentlich an größeren Gerichten nicht ſeltenen 
und unerfreulichen Auseinanderſetzungen zwiſchen 
Richter und Verteidiger über die Reihenfolge der 
Verhandlungen einigermaßen vorgebeugt werden 
können. 
graphen der Hinweis auf die Bek. vom 25. Juni 
1908 über die Ermittelung früherer Beſtrafungen 
der Angeklagten und Zeugen (JMBl. 
Immer wieder werden Klagen laut, daß die Vor— 
ſchriften dieſer außerordentlich zweckmäßigen Be— 
kanntmachung nicht genügend beachtet werden und 


daß die zuläſſige und gebotene Rückſicht auf die 


S. 131). 


Zeitſchrift me ee N in ne 1914. Nr. 1. 


| geleitet und durchgeführt wird ($ 74). 
Beachtenswert iſt in Abſ. 3 diejes Para— 


— — — —— 


war oder abgeurteilt wurde und ob er etwa eine 
frühere Strafe noch zu verbüßen habe, iſt in 8 51 
Abſ. 3 dahin gemildert, daß der Angeklagte 
hierüber zu befragen iſt, wenn Anhaltspunkte für 
die Bejahung dieſer Frage vorliegen. Damit iſt 
dem vernünftigen und pflichtmäßigen Ermeſſen 
des Richters der erforderliche Spielraum gewährt. 
Es gibt gerade bei den Schöffengerichten eine 
große Zahl von Faͤllen, wo es ohne weiteres 
zweifellos iſt, daß dieſe Frage zu verneinen iſt. 
Um in ſolchen Fällen den Angeklagten nicht un⸗ 
nötig bloßzuſtellen, kann alſo von der Stellung 
der Frage abgejehen werden. Durch die Bor: 
ſchriften in 855 Abſ. 2— 6 wird die Vollſtändig⸗ 
keit des Protokolls über einige wichtige Punkte 
(Militärverhältniſſe, Haftfrage uſw.) gewährleiſtet. 
Abſ. 7 läßt gebräuchliche, jedes Mißverſtandnis 
ausſchließende Abkürzungen zu. Nach dieſer Faſſung 
wird die Abkürzung von Eigennamen in der Regel 
als unzuläſſig zu erachten ſein. 

Ueber die Zuſtellung des Urteils verbreitet ſich 
§ 59. Er gibt aber keine erſchöpfende Darſtellung 
darüber, in welchen Fällen und wem das Urteil 
zuzuſtellen iſt. Es ſind nur die wichtigſten Fälle 
hervorgehoben. Der zweite Satz des Abſ. 4 tritt 
der vielfach beſtehenden Uebung entgegen, daß auch 
dann dem Vertretenen zugeſtellt wird, wenn die 
Zuſtellung an den zuſtellungsbevollmächtigten Ver⸗ 
treter oder Verteidiger zuläſſig iſt, alſo nicht nach 
den Vorſchriften der StPO. an den Vertretenen 
ſelbſt erfolgen muß. 

Im Abſchnitt über Strafvollſtreckung iſt wie 
bisher (8 64 der alten Vorſchriften) auf Grund 
der Ermächtigung des $ 483 Abſ. 3 der StPO. 
den Amtsrichtern die Vollſtreckung übertragen. Der 
Einklang mit den in der Zwiſchenzeit erlaſſenen 
Vorſchriften, insbeſondere mit der Hausordnung 
für die Gerichtsgefängniſſe iſt hergeſtellt. Dabei 
iſt der Grundſatz durchgeführt, daß in der Regel 
alle in Gerichtsgefängniſſen zu vollſtreckenden Stra⸗ 
fen in dem Geſängnis zu verbüßen ſind, in deſſen 
Bezirke ſich der Verurteilte aufhält (8 73), und 
daß die Vollſtreckung von Strafen, die in einem 
Gerichtsgefängnis am Sitze des aburteilenden Amts⸗ 
gerichts zu erſtehen ſind, vom Amtsrichter unmittel⸗ 
bar, alſo ohne Erſuchen des Staatsanwaltes, ein⸗ 
Das gilt 
auch für die Strafvollſtreckungsgefängniſſe (§8 1, 6 
der Hausordnung f. d. Ger.⸗Gefängniſſe). Die 
bisher vorgeſchriebene, aber häufig nicht beigegebene 
Perſonalbeſchreibung bei Vollſtreckungserſuchen an 
Strafanſtalten iſt ausdrücklich erlaſſen, ſie war ſo, 
wie ſie erfolgte, zu Zwecken der Identitätsfeſtſtellung 


ganz wertlos. 


Privatverhältniſſe der Beſchuldigten und nament: 


lich der Zeugen manchmal vernachläſſigt wird. Die 
frühere Vorſchrift, daß im Protokoll jedesmal feſt— 
zuſtellen iſt, ob der Angeklagte vor oder nach der 
in Rede ſtehenden Straftat ſchon in Unterſuchung 


| 


Durch die Faſſung des § 78 Abi. 3 (früher 
§ 73 Abſ. 3) iſt dem Umſtand Rechnung 
getragen, daß jetzt auch Strafen, die in Landge— 
richtsgefängniſſen zu verbüßen ſind, in der Regel 
in dem für den Aufenthaltsort des Verurteilten 
maßgebenden Gefängnis zu vollſtrecken ſind. Abſ. 5 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


ſieht die Erlaſſung von Steckbriefen (8 489 
Abſ. 2, 3 der StPO.) vor, die wohl nur für den 
mit der Vollſtreckung betrauten Amtsrichter des 
aburteilenden Gerichts in Frage kommen wird, 
weil es ſich um Fälle handelt, in denen der Aufent⸗ 
halt des Verurteilten unbekannt iſt und deshalb 
nach Abſ. 4 die Ermittelung und weitere Ver⸗ 
folgung des Verurteilten dem erſuchenden Richter 
zu überlaſſen iſt. 

Die 88 79, 80 befaſſen ſich mit der Voll⸗ 
ſtreckung von Strafen gegen Verurteilte, die ſich 
in einem anderen Bundesſtaat aufhalten, 8 79 
betrifft Strafen mit einer Vollſtreckungsdauer bis 
zu 6 Wochen, § 80 Strafen mit einer Vollſtreckungs⸗ 
dauer von mehr als 6 Wochen. Letztere find in 
Bayern zu vollſtrecken, wenn nicht die Vorſchriften 
über die Vollſtreckung von Geſamtſtrafen bei der 
Beteiligung mehrerer Bundesſtaaten oder eine be⸗ 
ſondere Vereinbarung (vgl. Löwe, StPO. Bem. 4 
zu $ 163 des GVG.) in Frage kommt. Das kann 
z. B. der Fall ſein, wenn der Verurteilte in einem 
von der bayeriſchen Grenze weit entfernten Gefäng⸗ 
nis eine längere Freiheitsſtrafe verbüßt und im 
Anſchluß daran eine von einem bayeriſchen Gericht 
ausgeſprochene Freiheitsſtrafe in einem Gerichts⸗ 
gefängnis zu verbüßen hat. Es kommt vor, daß 
der andere Bundesſtaat gegen Sicherung des Koſten⸗ 
erſatzes die Vollſtreckung der Anſchlußſtrafe über⸗ 
nimmt. So kann auch im umgekehrten Falle von 
den bayeriſchen Strafvollſtreckungsbehörden ver: 
fahren werden. Bei Freiheitsſtrafen, die in einer 
Strafanſtalt zu vollſtrecken find, wird eine ſolche 
Vereinbarung nicht in Frage kommen können. Wenn 
§ 80 beſagt, daß die Vollſtreckung in Bayern nach 
den 88 75— 77 im Zuſammenhalt mit $ 10 Abſ. 2 
der Hausordnung für die Gerichtsgefängniſſe erfolgt 
(Vollſtreckung in dem dem Aufenthaltsorte nächſt⸗ 
gelegenen Gefängnis), ſo ſind damit die Fälle ge⸗ 
meint, in denen ein Amtsgericht oder ein Staats⸗ 
anwalt um die Vollſtreckung zu erſuchen iſt. Für 
den Fall, daß das Gefängnis des aburteilenden 
Gerichts ſelbſt das dem Aufenthaltsort des Ver⸗ 
urteilten nächſtgelegene iſt, bedurfte es keiner be⸗ 
ſonderen Vorſchrift, weil dann nach § 74 der 
Amtsrichter des aburteilenden Gerichts ſelbſt die 
Vollſtreckung einzuleiten und durchzuführen hat. 

Nicht unwichtig iſt die an ſich allerdings eigent⸗ 
lich ſelbſtverſtändliche Vorſchrift des § 87 Abſ. 2, 
wonach der Amtsrichter für die Vollſtreckung der 
richterlichen Anordnung, daß ein Urteil oder ein 
Strafbefehl öffentlich bekannt zu machen ſei, zu 
ſorgen und den Vollzug zu überwachen hat. Solche 
Anordnungen kommen häufig auch im Privatklage⸗ 
verfahren vor; es iſt dann nicht Sache des Privat⸗ 
klaͤgers für die richterlich angeordnete Veröffent⸗ 
lichung zu ſorgen, ſondern Sache der Vollſtreckungs⸗ 
behörde. Anders iſt es, wenn die Veröffentlichung 
nicht angeordnet iſt, ſondern z. B. nach § 200 Abſ. 1 
des StGB. dem Privatkläger nur die Befugnis 
zur Veröffentlichung zugeſprochen iſt. Für dieſe 


15 


Veröffentlichung hat zunaͤchſt der Privatkläger zu 
ſorgen. Daß der Amtsrichter den Vollzug der von 
ihm angeordneten Veröffentlichung überwacht, iſt 
wichtig wegen der Frage der Verjährung der Straf⸗ 
vollſtreckung aus $ 10 des Preßgeſetzes, wenn die 
3 in der Zeitung nicht rechtzeitig 
erfolgt. 

Neu bearbeitet ſind auch die Formblätter für 
die amts⸗ und ſchöffengerichtlichen Strafſachen. Im 
großen und ganzen find ſie zwar die gleichen ge⸗ 
blieben wie bisher, doch find einige neue hinzu⸗ 
gekommen und mehrere Neuerungen eingeführt. 
Ueberall iſt auf eine gemeinverſtändliche. dem 
jetzigen Sprachgebrauch angepaßte Ausdrucksweiſe 
geachtet. Die für die Ausſüllung beſtimmten 
Zwiſchenräume der Vordrucke entſprechen natürlich 
wegen des Formats des JMBl. nicht überall dem 
wirklichen Bedürfnis, dieſem wird deshalb bei der 
Herſtellung der Formblätter Rechnung getragen 
werden muſſen. 

Im Formblatt 9 (Strafbefehl bei Geldſtrafen) 
iſt neben der Einzahlung durch Poſtanweiſung auch 
die Einzahlung durch Poſtſcheck erwähnt. Einer ſchon 
jetzt viel verbreiteten, ſehr zweckmäßigen Uebung 
kommt das Formblatt 10 entgegen. Es vereinigt 
für den Fall, daß der Eröffnungsbeſchluß der An⸗ 
klageſchrift völlig entſpricht, dieſe und die Urſchrift 
des Eröffnungsbeſchluſſes. In anderen Fällen iſt 
das Formblatt 11 für den Eröffnungsbeſchluß 
zu benützen. Die Zeugen: und Sachverſtändigen⸗ 
ladungen geben jetzt auf der Rückſeite die maß⸗ 
gebenden geſetzlichen Vorſchriften über die Folgen 
des Ausbleibens und der Verweigerung des Gut⸗ 
achtens wieder. Auf der Vorderſeite iſt darauf 
beſonders hingewieſen. Das Formblatt 16 für die 
Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung 
enthält nicht den Vordruck über die Zuſtellung einer 
Abſchrift der Anklageſchrift. Damit iſt zum Aus⸗ 
drucke gebracht, daß von der Mitteilung einer ſolchen 
Abſchrift in der Regel abgeſehen werden kann. 
(Vgl. Löwe, StPO. Bem. 2 zu § 214.) Dagegen 
muß das auf der Rückſeite der Ladung enthaltene 
Beweismittelverzeichnis ſorgfältig ausgefüllt werden, 
1 115 Angeklagte in dieſer Hinſicht gennu unter⸗ 
richtet iſt. 


2. Die Dienſtvorſchriften für die Amts⸗ 
anwälte. 

Wie ſchon erwähnt, decken ſich die neuen 
Dienſtvorſchriften im weſentlichen mit der vor⸗ 
läufigen Geſchäftsanweiſung für die Amtsanwälte, 
die im Jahrgang 1912 dieſer Zeitſchrift (S. 387) 
kurz beſprochen wurde. Sie ſchließen ſich, ſoweit 
es möglich war, an die Dienſtvorſchriften für die 
Staatsanwälte vom 29. Oktober 1910 an und ge⸗ 
währleiſten ſo eine einheitliche Handhabung des 
ſtaatsanwaltſchaftlichen Dienſtes in ganz Bayern. 
Ausgenommen von der Uebernahme der Amtsan⸗ 
waltſchaft in den Geſchäftsbereich der Juſtizver— 
waltung iſt nur die Amtsanwaltſchaft beim Amts⸗ 


16 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


gerichte München, die bis auf weiteres mit der 
Polizeidirektion München vereint bleibt. Mit den 
beſonderen Verhältniſſen dieſer Amtsanwaltlſchaft 
befaßt ſich der letzte Paragraph der Dienſtvor⸗ 
ſchriften. Im übrigen gelten die Vorſchriften auch 
für dieſe Amtsanwaltſchaft mit einigen wenigen Aus⸗ 
nahmen, die ſich aus deren Sonderſtellung ergeben. 

Den zahlreichen und wichtigen Beziehungen 
zwiſchen der Amtsanwallſchaft und der inneren Ber: 
waltung iſt durch eine Reihe von Vorſchriften 
Rechnung getragen. Der Geſchäftskreis des Amts⸗ 
anwalts umfaßt vor allem diejenigen Straſſachen, 
die für die Diſtriktsverwaltungsbehörden von be: 
ſonderem Intereſſe find, wenn fie den nötigen 
Ueberblick über den Sicherheitszuſtand in ihrem 
Bezirke und den erforderlichen Einfluß in polizei⸗ 
lichen Angelegenheiten behalten ſollen. Deshalb 
wird namentlich auf die ſorgfaltige Einhaltung der 
hierüber gegebenen Vorſchriften durch die Amtsan⸗ 
wälte und auf die Pflege guter Beziehungen zwiſchen 
beiden Behörden großes Gewicht zu legen ſein. 

Die für die Verwaltung belangreichen Beſtim⸗ 
mungen finden ſich in den 88 14, 36, 48, 59, 92 
und 93. Nach 8 14 Abſ. 2 hat der Erſte Staats⸗ 
anwalt bei den Beſichtigungen der Amtsanwalt⸗ 
ſchaften, ſoweit es tunlich iſt, mit dem Vorſtand 
der Diſtriktsverwaltungsbehörde ins Benehmen zu 
treten. Auch der Amtsanwalt wird nicht ſelten 
Veranlaſſung haben, mit dem Bezirksamtmann oder 
ſeinem Vertreter wichtigere Angelegenheiten münd⸗ 
lich zu beſprechen; dazu wird ſich für die nicht am 
Sitze des Bezirksamts befindlichen Amtsanwälte 
namentlich Gelegenheit bieten, wenn ſie zu Schöffen⸗ 
gerichtsſitzungen dorthin kommen. Nach 8 36 Abſ. 4 
iſt den Erſuchen der Diſtriktsverwaltungsbehörde 
und der ihr vorgeſetzten Stellen um Geſtattung der 
Einſicht in Ermittelungsakten ſtattzugeben, ſoweit 
die Akten entbehrlich ſind. Eine Anrufung der Ent⸗ 
ſchließung des Staatsanwalts durch den Amtsan⸗ 
walt findet alſo hier nicht ſtatt. 

Von beſonderer Wichtigkeit für die Diſtrikts⸗ 
verwaltungsbehörden iſt es, von den Anzeigen ſtraf⸗ 
barer Handlungen, die die Polizeiverwaltung be: 
rühren, Kenntnis zu erhalten. Deshalb find nach 
854 der Dienſtvorſchrift für die Gendarmeriemann⸗ 
ſchaft die Anzeigen von Uebertretungen zunächſt dem 
Bezirksamt vorzulegen, das für die Weitergabe an 
den Amtsanwalt ſorgt. Dazu iſt nun in $ 48 der 
Dienſtvorſchriften für die Amtsanwälte beſtimmt, 
daß der Amtsanwalt alle Anzeigen ſtrafbarer Hand⸗ 
lungen, an deren Verfolgung für die Diſtriktsver⸗ 
waltungsbehörde ein Verwaltungsintereſſe beſtehen 
kann, dieſer Behörde zur Kenntnis zu bringen hat, 
ſofern er nicht weiß, daß ſie ſchon Kenntnis hat. 
Ferner ſoll den Erſuchen der Diſtriktsverwaltungs⸗ 
behörde wegen der Behandlung von Strafſachen 
entſprochen werden. Beide Anordnungen ſind noch 
näher erläutert. Da beſondere Vorſchriften darüber, 
in welcher Weiſe die Benachrichtigung der Diſtrikts— 


verwaltungsbehörde zu erfolgen hat, nicht gegeben 


ſind, wird jede Art (ſchriftlich, mündlich, telephoniſch) 
genügen. Eine Abſchrift der Anzeige zu überſenden, 
wird in der Regel nicht notwendig ſein. Die Mit⸗ 
teilungspflicht findet ihre Ergänzung in $ 59 Abſ. 5, 
wonach der Diſtriktsverwaltungsbehörde die Ein⸗ 
ſtellung eines Verfahrens bekannt zu geben iſt, 
wenn ihr die Anzeige von der Gendarmerie vor⸗ 
gelegt oder durch den Amtsanwalt zur Kenntnis 
zu bringen war oder wenn ſie ſelbſt die Anzeige 
erſtattet hat. 

Die 88 92, 93 gewährleiſten den Verwaltungs⸗ 
behörden den erforderlichen Einfluß auf die Ein⸗ 
legung von Rechtsmitteln durch den Amtsanwalt. 
Maßgebend bleibt jedoch ſtets die Entſchließung 
des Erſten Staatsanwalts, wenn der Amtsanwalt 
glaubt, dem Erſuchen der Verwaltungsbehörde nicht 
entſprechen zu können. 

Neu eingeführt find durch die 88 26 und 27 
die Haſtverzeichniſſe und die Verzeichniſſe der zur 
Verhaftung ausgeſchriebenen Perſonen. Aehnliche 
Verzeichniſſe ſind in der Praxis mehrfach ſchon in 
Benützung. Daß ihre Führung nun allgemein vor⸗ 
geſchrieben iſt, iſt angeſichts der wichtigen hier in 
Betracht kommenden Intereſſen der Beteiligten nur 
zu begrüßen; die Möglichkeit eines Verſehens oder 
Irrtums, die hier leicht von weittragenden Folgen 
ſein kann, wird durch die ſorgfältige Führung der 
Verzeichniſſe weſentlich vermindert werden. Das 
Verzeichnis der ausgeſchriebenen Perſonen ſoll ins⸗ 
beſondere auch zur Kontrolle des rechtzeitigen Wider⸗ 
rufs von Ausſchreibungen und zur raſchen Orien⸗ 
tierung dienen, wenn bei dem Eingang der Feſt⸗ 
nahmeanzeige die Akten ſelbſt augenblicklich nicht 
zur Hand ſind. 

Beſonderer Wert iſt auch in den Dienſtvor⸗ 
ſchriſten für die Amtsanwälte darauf gelegt, daß 
jede unnötige Bloßſtellung Beteiligter vermieden 
wird (8 44 Abſ. 3). Das kann namentlich bei der 
Ladung von Beſchuldigten, Zeugen und Sachver⸗ 
ſtändigen, wo es angängig erſcheint, durch die Ver⸗ 
meidung förmlicher Zuſtellungen und durch die 
Unterlaſſung der Nennung des Namens Beſchul⸗ 
digter oder ſogar des Betreffs geſchehen (3 63 Abſ. 3). 
In ähnlicher Weiſe trägt § 61 den Intereſſen Be⸗ 
teiligter bei der Einſtellung des Ermittlungsver⸗ 
fahrens Rechnung. 

Die Anträge auf Verhängung der Unterſuchungs— 
haft ſollen nach 8 45 Abi. 2 und nach der Bek. 
vom 16. Juli 1907 (JMBl. S. 201) ſchon im 
allgemeinen ſoweit eingejchränft werden, als es mit 
dem Intereſſe der Strafverfolgung vereinbar iſt; 
ganz beſonders wichtig iſt es aber, daß Jugend— 
liche von der Unterſuchungshaft möglichſt verſchont 
bleiben. Das hebt § 69 Abſ. 2 ausdrücklich her: 
vor. Er weiſt auch darauf hin, wie allenfalls bei 
Jugendlichen der Zweck der Unterſuchungshaft durch 
andere Mittel erreicht werden kann, nämlich durch 
Unterbringung in einer Anſtalt oder einer Familie. 
Dieſe Unterbringung zur Abwendung der Unter— 
ſuchungshaft bildet eine der Hauptaufgaben der ſo 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


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ſegensreich wirkenden, zahlreichen Jugendfürſorge⸗ 
verbände und organe. Das Bedürfnis nach ſolcher 
Unterbringung tritt vor allem in größeren Städten 
hervor und es darf erfreulicherweiſe geſagt werden, 
daß dort faſt überall heute ſchon Gelegenheit dazu 
in ausreichendem Maße beſteht. Der Amtsanwalt 
wird ſich unſchwer mit den maßgebenden Vereinen 
und Perſönlichkeiten in Verbindung ſetzen können 
und ſicher das bereitwilligſte Entgegenkommen 
finden. Gerade eine Unterbringung, die unter dem 
Drucke eines ſchwebenden Strafverfahrens erfolgt, 
kann unter Umſtänden auf das künftige Leben des 
Jugendlichen einen entſcheidenden, günſtigen Einfluß 
ausüben. Auch im übrigen muß auf ein verſtänd⸗ 
nisvolles Zuſammenwirken der Strafverfolgungs⸗ 
behörden und der Jugendfürſorgeorgane der größte 
Wert gelegt werden. Kaum eine andere Behörde 
iſt ſo ſehr wie der Staatsanwalt und der Amts⸗ 
anwalt in der Lage, Jugendliche, die ſich gegen 
das Strafgeſetz verfehlt haben, durch Heranziehung 
der geeigneten Kräfte auf den richtigen Weg zu⸗ 
rückzuführen oder Kindern, die unter ſtrafbaren 
Handlungen (Mißhandlungen, Sittlichkeitsvergehen 
u. dgl.) zu leiden hatten, den erforderlichen Schutz 
zu verſchaffen. Auf dieſe doppelte Aufgabe weiſt 
8 70 noch beſonders hin. 

Eine überſichtliche Zuſammenſtellung der zahl⸗ 
reichen, auf den Verkehr mit dem Ausland bezüg⸗ 
lichen Vorſchriften gibt 8 71. 

Einige wichtige Grundſätze für die Schlußvor⸗ 
träge des Amtsanwalts in der Hauptverhandlung 
enthält $ 89. In Abſ. 5 dieſes Paragraphen iſt 
darauf hingewieſen, daß bei der Verurteilung von 
Militärperſonen zu prüfen iſt, ob nicht auf 
eine militäriſche Ehrenſtrafe zu erkennen iſt. 
Neben der Verurteilung zur Hauptſtrafe ſind 
durch das MilStGB. (88 30 —41) militäriſche 
Ehrenſtrafen teils vorgeſchrieben, teils zugelaſſen. 
Beim Schöffengericht werden allerdings die Fälle 
ziemlich ſelten ſein. Es wäre z. B. denkbar, daß 
eine Militärperſon wegen Kuppelei dem bürger⸗ 
lichen Gericht gemäß § 4 der Millitärſtrafgerichts⸗ 
ordnung zur Aburteilung überlaſſen wird, daß die 
Sache dem Schöffengericht überwieſen wird und 
das dieſes neben einer Gefängnisſtrafe von mehr 
als drei Monaten die Aberkennung der bürgerlichen 
Ehrenrechte auf mehr als drei Jahre ausſpricht. 
In dieſem Falle müßte nach $ 31 des Mil StGB. 
das Schöffengericht auch auf Entfernung aus dem 
Heere oder der Marine erkennen. In Fällen, wo 
auf eine militäriſche Ehrenſtrafe nicht erkannt werden 
muß, ſondern nur erkannt werden kann, wird 
allerdings der Amtsanwalt zu einem ſolchen An⸗ 
trag zumeiſt nur kommen, wenn die Ehrenſtrafe 
durch die Militärbehörde dem Amtsanwalt gegen⸗ 
über ausdrücklich angeregt worden iſt. Zu prüfen 
iſt vor allem immer, ob es ſich überhaupt um eine 
ſolche Militärperſon handelt, bei der für das bürger⸗ 
liche Gericht militäriſche Ehrenſtrafen in Frage 
kommen können. Beſonders zu beachten iſt nämlich, 


daß das bürgerliche Gericht auf militäriſche Ehren⸗ 
ſtrafen nur gegen Militärperſonen des aktiven 
Heeres oder der aktiven Marine (8 38 A des 
Reichsmilitärgeſetzes vom 2. Mai 1874, 8 162 des 
MilStGB.) erkennen kann, nicht aber gegen Per: 
ſonen des Beurlaubtenſtandes (Reſerviſten, Land⸗ 
wehrleute) während der Beurlaubung. Die mili⸗ 
täriſchen Ehrenſtrafen und ihr Eintritt für Perſonen 
des Beurlaubtenſtandes während der Beurlaubung 
find vielmehr in 8 42 des Mil StGB. beſonders 
und erſchöpfend geregelt. (Vgl. Weigel, Zuſtändig⸗ 
keitsgrenzen S. 229, Koppmann⸗Weigel, Mil StGB. 
Bem. 6 zu § 30). 

Den Dienſtvorſchriften ſind auch einige neue 
Formblätter beigegeben, insbeſondere für das Haft⸗ 
verzeichnis und für die Ausſchreibungen im Zentral⸗ 
polizeiblatt. 


Kleine Mitteilungen. 


Zur Ausführung der Verträge der Kreiſe Unter⸗ 
franken und Oberfranken mit den Ueberlands⸗Elektrizitäts⸗ 
Zeutral⸗Aktiengeſellſchaften. In der „Deutſchen Ju⸗ 
riſtenzeitung“ Nr. 18 von 1911 iſt eıne Abhandlung 
unter der Ueberſchrift die „gemiſchte wirtſchaftliche 
Unternehmung, eine neue Geſellſchaftsform“ vom Wirkl. 
Geh. Oberregierungsrat, Dr. Friedrich Freund, Mini⸗ 
ſterialdirektor in Berlin, veröffentlicht. In dieſer iſt 
nach verſchiedenen Vorſchlägen zur Wahrung öffentlicher 
Intereſſen (Staat, Gemeinde, Provinz, Kreis, Zweck⸗ 
verband) auf Seite 1119 folgendes geſagt: „Dieſe Vor⸗ 
ſchläge würden eines Aktes der Reichsgeſetzgebung be⸗ 
dürfen, da die beſtehenden Reichsgeſetze eine ſo aus⸗ 
geſtaltete Sonderſtellung der öffentlichen Korporation 
teils ausſchließen, teils — wie bei der G. m. b. H. — 
nur auf Umwegen ermöglichen.“ 

Die vorbeſchriebene Abhandlung mit der ausge⸗ 
hobenen Schlußfolgerung kam mir in Erinnerung, als 
ich vor einigen Tagen die Verhandlungen der Land⸗ 
ratsverſammlungen von Unterfranken und von Ober⸗ 
franken über den Abſchluß von Verträgen mit der 
Elektrizitäts⸗Aktiengeſellſchaft vorm. Schuckert & Co. 
in Nürnberg und der Brown⸗Boweri & Co, Aktien⸗ 
geſellſchaft in Mannheim, betreffend elektriſche Ueber⸗ 
landzentralen geleſen habe. 

Die Vertrags⸗Entwürfe ſind zwar nicht veröffent⸗ 
licht und ſind mir auch nicht zugänglich, aber nach 
allem, was man aus den Landratsverhandlungen ent⸗ 
nehmen kann, ſollen für die von den Kreiſen Unter⸗ 
und Oberfranken zu beſchaffenden Millionen⸗Kapitalien 
dieſe Kreisgemeinden Aktien der vorgenannten Aktien⸗ 
geſellſchaften übernehmen und zur Vertretung und 
Wahrung der Intereſſen der Kreisgemeinden und ihrer 
Angehörigen Sitze und Stimmen im Aufſichtsrat und 
gewiſſe Kontrollrechte vertraglich zugeſichert und ge⸗ 
ſichert erhalten. 

Da erſcheint es angezeigt, zu prüfen, ob denn die 
oben angeführte Aeußerung in der Freundſchen Ab⸗ 
handlung richtig iſt, zumal da ſie im Hinblick ſowohl 
auf die vom Verfaſſer eingenommene Stellung als 
auch auf fein ſonſtiges wiſſenſchaftliches Anſehen An⸗ 
ſpruch auf Beachtung erheben kann. 


18 Beitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


Das veranlaßte mich, die Aeußerung des inzwiſchen, 
ſoviel mir bekannt geworden, in Penſion gegangenen 
Berliner Miniſterialdirektors nachzuprüfen und zu ſehen, 
ob ſich die zwiſchen den genannten Kreisgemeinden 
mit den zwei Aktiengeſellſchaften geplanten Verträge 
mit reſtloſer Sicherung der Stellung der Erſteren auf 
Grund der beſtehenden Geſetze verwirklichen laſſen. 

Ich kam bei dieſer Nachprüfung zu folgendem 
Ergebnis: 

Wenn, wie es wahrſcheinlich ift, in den geplanten 
Verträgen beſtimmt werden ſoll, daß den beiden Kreis⸗ 
regierungen von Unterfranken und von Oberfranken 
das Recht zuſtehen ſoll, je ein Mitglied in den Auf⸗ 
ſichtsrat zu ſenden, ſo dürfte allerdings die Rechts⸗ 
wirkung einer ſolchen Vertragsbeſtimmung nach den 
dermaligen geſetzlichen Beſtimmungen über die Aktien⸗ 
geſellſchaft recht fraglich ſein. 

Nach 8 243 HGB. beſteht der Aufſichtsrat aus 
den von der Generalverſammlung zu wählenden Mit⸗ 
gliedern. Die Beſtimmung von Mitgliedern des Ver⸗ 
waltungsrates durch Dritte kennt das Geſetz nicht. 
Durch Vertrag mit Dritten kann auch an dieſen geſetz⸗ 
lichen Verfaſſungsbeſtimmungen nichts geändert werden. 


Soll nun der Einfluß der Kreisregierung oder 
Kreisvertretung (Landrat) durch Abordnung eines oder 
mehrerer Mitglieder in den Aufſichtsrat der genannten 
Aktiengeſellſchaften rechtlich geſichert werden, ſo dürfte 
es zutreffend ſein, daß ohne Eingreifen der Reichs⸗ 
geſetzgebung dieſer Zweck nicht erreicht werden kann. 
In dem Verwaltungsrat der auf Grund des beſtehen⸗ 
den Geſetzes gebildeten Aktiengeſellſchaft haben nur 
von der Generalverſammlung gewählte Mitglieder von 
Rechts wegen Sitz und Stimme. Die beabſichtigte Ab⸗ 
ordnung von Auſſichtsmitgliedern ſetzt eine neue Geſell⸗ 
ſchaftsform für die gemiſchte wirtſchaftliche Unter⸗ 
nehmung — der Kreisgemeinden und der Aktiengeſell⸗ 
ſchaften — voraus, für welche die rechtliche Unterlage 
nach der dermaligen Geſetzgebung nicht zu beſchaffen iſt. 

Aber noch in einer anderen Richtung dürfte es 
an der geſetzlichen Grundlage für die Durchführung 
des zwiſchen den genannten Kreisgemeinden und den 
genannten Aktiengeſellſchaften geplanten Vertragsver⸗ 
hältniſſes für die elektriſchen Ueberlandzentralen der 
Letzteren mangeln. 

Wenn die Kreisgemeinden die nach Art. 15 lit. f 
des Landratsgeſetzes aufzunehmenden Kapitalien in 
Aktien der genannten Geſellſchaften anlegen wollten, 
um auf dem Wege als Großaktionäre in der organiſchen 
und wirtſchaftlichen Betätigung der Geſellſchaften zur 
Vertretung und Sicherung der öffentlichen Kreis⸗ 
intereſſen einen gebührenden Einfluß auszuüben, ſo 
begegnet die Frage der geſetzlichen Zuläſſigkeit der 
Anlage von Kreiskapitalien in Aktien der Geſellſchaften 
und ihres Eintritts in letztere ſelbſt als Aktionär 
wohlberechtigten Bedenken. 

Das Landratsgeſetz vom 28. Mai 1852 zählt in 
Art. 15 auf, was zum Wirkungskreiſe des Landrates 
gehört. Unter den von a. bis n. aufgeführten Beſtim⸗ 
mungen iſt keine, welche es dem Kreiſe und deſſen Ber: 
tretung, dem Landrate, ermöglichte, Kapitalien in 
Anteilſcheinen einer Aktiengeſellſchaft anzulegen und 
als Aktionäre an ſolchen ſich zu beteiligen. Soll ſolches 
gleichwohl nach den mit den genannten Aktiengeſell⸗ 
ſchaften abzuſchließenden Verträgen geſchehen, ſo würde 
nur übrig bleiben, nicht nur die in Art. 15 f vorge⸗ 
ſchriebene Genehmigung zur Schuldaufnahme durch 


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ein Landesgeſetz zu beſchaffen, ſondern in dieſes auch 
die ausdrückliche Zweckbeſtimmung aufnehmen zu laſſen 
„behufs Anlage der Kapitalien in Aktien der genannten 
Geſellſchaft und Eintritts der Kreisgemeinden in die 
Geſellſchaften als Aktionär“. 


Hofrat Dr. Full, Rechtsanwalt in Würzburg. 


Der fogenaunte 1500 Mark⸗Bertrag. Ueber die 
Frage, ob die ſog. 1500 Mark⸗Verträge gegen die guten 
Sitten verſtoßen, hat das LG. Aſchaffenburg am 
18. November 1913 als Berufungsinſtanz entſchieden. 
Ein Redakteur, der 4000 M Gehalt bezog, hatte 2500 M 
hievon durch einen Nachtragsvertrag ſeiner Ehefrau 
von ſeinem Arbeitgeber zuſichern laſſen und hiebei 
offen in ſeiner Zeitung erklärt, daß er dies getan habe, 
damit ſeine Gläubiger aus zahlreichen, mitunter recht koſt⸗ 
ſpieligen Privatklagen keine Befriedigung finden könnten. 
Die Entſcheidung ſtellt ſich auf den Standpunkt des 
Reichsgerichts. Eine Nichtigkeit wegen Verſtoßes gegen 
die guten Sitten ſei nur gegeben, ſoweit der Geſamt⸗ 
betrag der Vergütung das Maß deſſen überſteigt, 
was zum Unterhalte des Dienſtverpflichteten und ſeiner 
Familie bei einer beſcheidenen, dem Stande des Dienſt⸗ 
verpflichteten entſprechenden Lebensführung erforder⸗ 
lich iſt. Bei den gegebenen Verhältniſſen werden 3000 41 
als mäßiger ſtandesgemäßer Unterhalt angenommen, 
fo daß 1000 M dem Zugriff der Gläubiger offen bleiben. 
Hiebei iſt auch berückſichtigt, daß der Redakteur nicht 
durch mißliche Verhältniſſe, ſondern durch ſtrafbare 
Handlungen in die Schulden geriet. Es verſtoße gegen 
das Anſtandsgefühl aller billig und gerecht denkenden 
Menſchen, nicht nur in dem Standes⸗ und Lebens⸗ 
kreiſe des Schuldners, ſondern des ganzen Volkes, 
wenn er mit ſeiner Familie zum ſtandesgemäßen 
Lebensunterhalt mehr als unumgänglich notwendig iſt, 
verbraucht und ſeine Gläubiger leer ausgehen laſſe. 
Es wird dann weiter geſagt, daß der Vertrag, ſoweit 
er über 3000 M abgeſchloſſen ſei, Gültigkeit habe und 
nur bezüglich 1000 M nichtig fei, weil nach dem Willen 
und dem Intereſſe der Vertragſchließenden gemäß 
8 139 BGB. anzunehmen fei, daß fie den Vertrag 
auch dann geſchloſſen hätten, wenn ſie von vorneherein 
den über das zuläſſige Maß der Zuwendung hinaus⸗ 
gehenden Teil der Vergütung den Gläubigern hätten 
überlaſſen müſſen. N 

Dieſer Anſicht iſt entgegenzuhalten, daß es ſich 
bei der Zuwendung der 2500 M an die Ehefrau um 
ein einheitliches und nicht um ein zuſammengeſetztes 
Rechtsgeſchäft handelt. Die geſetzliche Vorſchrift ſpricht 
ausdrücklich von Teilen eines Rechtsgeſchäfts. Die 
Gehaltsbeſtimmung in einem Dienſtvertrage und die 
Gegenleiſtung hiefür werden als einheitliches Rechts⸗ 
geſchäft zu erachten ſein und wenn die Gehaltszu⸗ 
wendung an eine dritte Perſon zum Teil nichtig iſt, 
ſo dürfte die ganze Zuwendung nichtig ſein. Es kann 
auch nicht einſach als Parteiwille unterſtellt werden, 
daß der Vertrag wenigſtens teilweiſe zugunſten der 
Ehefrau geſchloſſen worden wäre. Es läßt ſich nicht 
ermitteln, welche Maßnahmen der Schuldner getroffen 
hätte, wenn er die teilweiſe Nichtigkeit des Vertrags 
gekannt hätte. Im übrigen beweiſt die Entſcheidung, 
daß es dringend nötig iſt, durch eine Novelle zur 
Zivilprozeßordnung Abhilfe zu ſchaffen und der Recht⸗ 
ſprechung eine ſichere Grundlage zu geben, ſei es durch 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 191-4. Nr. 1. 


eine Erhöhung des unpfändbaren Einkommens, ſei es 
durch eine 
amtengehälter ähnlich wäre, oder durch ſonſtige Ab⸗ 
ſtufung der Pfändungsgrenze je nach der Höhe des 
Einkommens. So wie die Dinge zurzeit liegen, dürſte 
die Auslegung der Gehaltsverträge im Sinne der 
Schuldner einer Geſetzesumgehung gleichkommen. Die 
Rechtſprechung eilt der Geſetzgebung voraus. 
Rechtsanwalt Dr. Haager in Aſchaffenburg. 


Welcher Gerichtsſchreiber iſt zuſtändig zur Ent⸗ 
gegennahme der nach 5 911 300. vorzuſchießenden Haſt⸗ 
und Berpflegungsksſten? Der Gläubiger E. erwirkte 
gegen den in Strelitz (Mecklenburg) wohnenden Schuld⸗ 
ner M. beim Amtsgericht Nürnberg Verſäumnisurteil 
auf Zahlung von 90 . Da die beim Schuldner in 
Strelitz verſuchte Pfändung erſolglos war, beantragte 
der Gläubiger beim Amtsgericht Strelitz die Anbe⸗ 
raumung eines Termins zur Leiſtung des Ofſenbarungs⸗ 
eides durch den Schuldner und erwirkte im Termin 
gegen ihn Haftbefehl. Inzwiſchen verzog der Schuldner 
von Strelitz nach Nürnberg, und der Gläubiger be⸗ 
ſchloß, hier den Haftbefehl zu vollſtrecken. Um dem 
Gerichtsvollzieher den nach 8 911 ZPO. erforderlichen 
Nachweis liefern zu können, überſandte er an die 
Gerichtsſchreiberei des Amtsgerichts Nürnberg den 
Betrag von 30 M als Haftkoſtenvorſchuß, die Gerichts⸗ 
ſchreiberei lehnte jedoch die Annahme ab, weil die 
Koſten beim Amtsgericht Strelitz einzuzahlen ſeien. 
Die ſodann an die Gerichtsſchreiberei des Amtsgerichts 
Strelitz übermittelte Summe von 30 M wurde auch 
dort nicht angenommen, da der Schuldner in Nürn⸗ 
berg wohne, übrigens der Haftkoſtenvor ſchuß in Strelitz 
54 M betrage. Erſt nach längeren Verhandlungen ers 
klärte ſich auf nochmaliges Erbieten des Gläubigers 
die Gerichtsſchreiberei des Amtsgerichts Strelitz bereit, 
einen Vorſchuß von 54 M anzunehmen, worauf der 
Gläubiger ihn einſandle. Der Haftbefehl wurde aber 
nicht mehr vollſtreckt, da nun der Schuldner freiwillig 
zahlte, nachdem ihm der vorerwähnte Zuſtändigkeits⸗ 
ſtreit gegen den Willen des Gläubigers zu einer Stun⸗ 
dung von ungefähr 3 Monaten verholfen hatte. 

Dieſer Fall regt die Frage an, welches Gericht, 
d. h. welche Gerichtsſchreiberei zur Annahme des Haft. 
koſtenvorſchuſſes zuſtändig iſt. 

Soweit Gerichte innerhalb Bayerns in Frage 
kommen, iſt die Zuſtändigkeit zur Annahme des Haft⸗ 
koſtenvorſchuſſes geregelt durch 8 24 der Min Bek. vom 
23. April 1883 (JM Bl. S. 194). Diefer beſtimmt: „Die 
Erhebung der Koſten der Zwangs⸗ und der Sicher⸗ 
heitshaft, welche in einer bürgerlichen Rechtsſtreitigkeit 
oder im Konkursverfahren angeordnet iſt, obliegt dem 
Gerichtsſchreiber des Gerichts, welches die Haft ange⸗ 
ordnet hat, auch wenn die Haft in dem Gefängnis 
eines andern Gerichts vollzogen wird“. 

Dieſe Beſtimmung iſt ſelbſtverſtändlich nur für 
innerbayeriſche Verhältniſſe maßgebend, ſie iſt in dieſem 
Rahmen auch durchaus zweckentſprechend, da der Ge⸗ 
richtsſchreiber des die Haft anordnenden Gerichts nicht 
nur die Offenbarungseidsakten zur Hand hat, ſondern 
auch unmittelbar mit dem Fiskus die fraglichen Koſten 
verrechnen kann. Die letztere Vorausſetzung trifft aber 
nicht zu, wenn der Vorſchuß bei dem Gerichtsſchreiber 
eines außerbayeriſchen Gerichts einbezahlt wird, die 
Haft dagegen am Sitze eines bayeriſchen Gerichts zu 


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Regelung, die den Vorſchriften für Ber | 


19 


vollſtrecken iſt. In einem ſolchen Fall müßte der Ge⸗ 
richtsſchreiber des außerbayeriſchen Gerichts den Vor⸗ 
ſchuß an den Gerichtsſchreiber des Amtsgerichts über⸗ 
ſenden, in deſſen Bezirk die Haft vollſtreckt werden 
ſoll, da die Verpflegungskoſten mit dem bayeriſchen 
Fiskus zu verrechnen ſind, er aber dieſe Verrechnung 
ſelbſt nicht vornehmen könnte. Die Einzahlung des 
Vorſchuſſes bei dem die Haft anordnenden Amtsgericht 
würde alſo in einem ſolchen Falle dennoch ſtets dazu 
führen, daß der Vorſchuß an den Gerichtsſchreiber des 
Amtsgerichts gelangte, bei welchem die Haft vollſtreckt 
wird, und zwar auf einem recht unnötigen Umweg. 

Hierzu kommt noch folgendes: Der Betrag des 
Haftkoſtenvorſchuſſes kann in verſchiedenen Bundes⸗ 
ſtaaten verſchieden ſein, da ſich ſeine Höhe nach den 
für die Strafhaft geltenden landesgeſetzlichen Vor⸗ 
ſchriften bemißt (GKG. 8 79 Nr. 8). Muß es nun als 
ſelbſtverſtändlich gelten, daß der Gerichtsſchreiber nur 
einen Vorſchuß von ſolcher Höhe anzunehmen braucht, 
der den landesrechtlichen Vorſchriſten entſpricht, ſo 
unverſtändlich wäre es, wenn ein Gläubiger genötigt 
ſein ſollte, zum Zwecke einer Haftvollſtreckung in Nürn⸗ 
berg, für die monatlich 30 M Verpflegungskoſten er⸗ 
wachſen, in Strelitz 54 u, alſo nahezu den doppelten 
Betrag vorzuſchießen. Dies würde dem Zweck der 
Vorſchrift des 8 911 ZPO. widerſprechen, die die Vor⸗ 
ſchußleiſtung für einen Monat anordnet. 

Schließlich braucht ſich aber der Gläubiger wegen 
der Einzahlung des Vorſchuſſes gar nicht an den Ge⸗ 
richtsſchreiber des Amtsgerichts zu wenden, ſondern 
er kann den erforderlichen Betrag an den von ihm 
mit der Vornahme der Verhaftung beauftragten 
Gerichtsvollzieher bezahlen, welch letzterer nach der 
bayeriſchen Dienſtanweiſung (8 179 daſelbſt) — jo auch 
in Preußen, Württemberg und Baden — zur Empfang⸗ 
nahme ermächtigt iſt. Der Gerichtsvollzieher wird ſich 
ſelbſtverſtändlich ſtets mit dem Betrage begnügen, der 
nach dem Geſetze ſeines Staates erforderlich iſt, und 
den Betrag nach Vollziehung des Haftbefehls an den 
Gerichtsſchreiber abliefern. Angenommen nun, daß 
auf Grund einer im vorliegenden Fall an den Gerichts⸗ 
vollzieher in Nürnberg geleiſteten Vorſchußzahlung von 
30 M die Verhaftung erfolgte, ſo kann dieſe Haft nach⸗ 
träglich nicht aus dem Grunde wieder aufgehoben 
werden, weil etwa das Amtsgericht Strelitz den ihm 
vom Gerichtsvollzieher überſandten Betrag wegen un⸗ 
genügender Höhe anzunehmen ſich weigerte. Der Ge⸗ 
richtsvollzieher wird den einmal verhafteten Schuldner 
ohne Genehmigung des Gläubigers nicht auf ſeine 
Gefahr aus der Haft entlaſſen, anderſeits kann er aber 
auch den an ihn gezahlten Vorſchuß nicht behalten, da 
er nicht der zur Verrechnung mit dem Fiskus oder der 
Geſängnisbehörde zuſtändige Beamte iſt. Vielmehr 
wird er den Betrag alsdann dem Gerichtsſchreiber des 
Amtsgerichts Nürnberg übergeben müſſen, an den, wie 
oben gezeigt, der Vorſchuß auf jeden Fall gelangen 
würde. 

Soll alſo die von dem Amtsgericht eines andern 
deutſchen Bundesſtaates angeordnete Haſt am Sitze 
eines bayeriſchen Amtsgerichts vollſtreckt werden, fo 
wird ſich der Gerichtsſchreiber des letzteren Gerichts 
nicht weigern können, den ihm vom Gläubiger ange— 
botenen nach 8 911 ZPO. zu leiſtenden Vorſchuß an⸗ 


zunehmen. 
Amtsrichter Dr. Stepp in Nürnberg. 


Aus der Aechtſprechung. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
1 


Auerkeunung des Anſpruchs i. S. des 8 208 B88. 
Aus den Gründen: Der Kläger ſieht eine Aner⸗ 
kennung ſeines Anſpruchs durch F. darin, daß dieſer 
ihm ſofort nach dem Unfall und einige Tage ſpäter 
erklärt habe, er komme für allen Schaden auf, Kläger 
könne ſich ruhig an ihn halten, er ſei durch Verſicherung 
gedeckt. Eine ähnliche Erklärung ſollen F. und der 
Beklagte 2 auch noch nach dem 8. Dezember 1908, alſo 
innerhalb der dreijährigen Verjährungsfriſt, abgegeben 
haben. Der Kläger behauptet nicht, daß F. ihm, etwa 
ſchenkungshalber, Erſatz des Schadens verſprochen habe, 
gleichviel ob er dazu verpflichtet ſei oder nicht. Das 
Berufungsgericht vermißt daher mit Recht in jenen 
Aeußerungen eine Anerkennung der Schadenserſatz⸗ 
pflicht. Zur Anerkennung i. S. des 8 208 BGB. iſt 
erforderlich, daß die Erklärung oder das Verhalten 
des Schuldners das Bewußtſein von dem Beſtehen der 
Schuld deutlich ergibt. Daran fehlt es hier. Die 
Aeußerungen des FJ. waren zur Beruhigung des Klägers 
beſtimmt. Sie hatten, wie ihre Faſſung zeigt, den 
Inhalt, daß er zur Entſchädigung des Klägers bereit 
ſei, weil und ſoweit er verſichert ſei. Sollte F. die 
Worte, er komme für den Schaden des Klägers auf, 
wiederholt haben, auch ohne den Zuſatz, er ſei verſichert, 
ſo iſt ihr Sinn, daß der Kläger ſich an ihn halten 
könne, weil er verſichert ſei, doch der gleiche geblieben. 
Derartige Verſprechungen von Verſicherten, ſie kämen 
für den Schaden auf, werden in der Regel nicht un⸗ 
bedingt, ſondern unter dem Vorbehalt gegeben, daß 
die Verſprechenden ſchadenserſatzpflichtig und durch die 
Verſicherung gedeckt ſeien. Darin iſt aber keine An⸗ 
erkennung des Anſpruchs zu finden, wie fie 8208 voraus- 
ſetzt. Eine andere Beurteilung könnte insbeſondere 
dann Platz greifen, wenn für den Erſatzpflichtigen ſein 
Verſchulden an dem Schaden außer Zweifel ſtände und 
er dieſes und ſeine Haftpflicht zugeben wollte. In 
ſolchen Fällen werden aber gemeinhin andere Wen⸗ 
dungen gewählt, als F. ſie gebraucht haben ſoll. 
(Urt. d. VI. 35. vom 9. Oktober 1913, VI 292/13). 

3169 — — · n. 


II. 


Zu 88 1150, 268 Abſ. 1 und 880 Abi. 5 BGB.; 
Ausübung des Ablöſungsrechts durch den Inhaber eines 
Rechtes, das im Range zwiſchen mehreren Hypstheken 
des Befriedigung verlangenden Gläubigers ſteht; der 
Auslöſende hat bei der Verteilung des bar zu zahlenden 
Berſteigeruntzserlöſes für die Beträge an Zinſen und 
Koſten, die er als unnmehriger Gläubiger der feinem 
Nechte vorgehenden Hypetheken zu fordern hat, Auſpruch 
auf Befriedigung im Range vor der dem urſprünglichen 
Gläubiger verbliebenen Hypothek, mögen die Hypotheken 
auch für die gleiche Forderung beſtellt und ihnen unter 
ſich gleicher Nang eingeräumt geweſen ſein. Am 4. Ok⸗ 
tober 1897 wurde in Abt. II eines Grundbuchblatts 
für den Kläger ein Durchgangsrecht eingetragen. Da— 
mals war das Grundſtück mit den Hypotheken Nr. 22, 
23, 25/29 und 35 von zuſammen 410000 M belaſtet. 
Am 22. Juni 1898 wurde unter Nr. 36 eine zu 5% 
verzinsliche Hypothek von 340000 M für die Beklagte 
eingetragen. Am 11. Auguſt 1899 wurden dann auch 
die zuerſt genannten Hypotheken auf die Beklagte um— 
geſchrieben und zugleich im Grundbuche vermerkt, daß 
die ganzen 750000 M fortan mit 5% verzinſt werden 
und unter ſich gleichen Rang haben ſollen. Im No— 
vember 1911 wurde die Zwangsverſteigerung einge— 
leitet. Alleinige betreibende Gläubigerin war die Be— 


20 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


— v ' :.: !'e᷑ . — i ——ꝛ3jÜCAᷓöw̃ꝙd....k3ß.ł᷑xörẽ:KKKKĩßÄK—K——88ßð0to 88x. ᷑ ſͤ8ꝛc-ʃʃ'ͤ —4-.......!.!ͤ⸗!ͤö. Börm 


die Verſteigerung zu verlieren, übte der Kläger das 
Ablöſungsrecht gemäß SS 268, 1150 BGB. aus und 
befriedigte die Beklagte wegen der Anſprüche, die ſeinem 
Rechte vorgingen. Die Beklagte nahm darauf den 
Zwangsverſteigerungsantrag wegen der auf die Hypo⸗ 
theken Nr. 22, 23, 25/28 und 35 treffenden Beträge 
zurück. Wegen der weiteren Beträge wurde das Ver⸗ 
fahren fortgeſetzt. Am 16. Februar 1912 wurde das 
Grundſtück verſteigert. Die auf den Kläger überge⸗ 
gangenen Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29, 35 fielen in 
das geringſte Gebot, ebenſo ſein Durchgangsrecht. 
Aus den Gründen: Wenn ein Hyvpotheken⸗ 
gläubiger Befriedigung wegen ſeiner Hypothek aus dem 


belaſteten Grundſtück verlangt, ſo iſt nach 88 1150, 268 


Abſ. 1 Satz 1, Abſ. 3 BGB. jeder, der Gefahr läuft, 
durch die Zwangsvollſtreckung ein Recht an dem Grund⸗ 
ſtück zu verlieren, berechtigt, den Gläubiger zu be⸗ 
friedigen; ſoweit er den Gläubiger befriedigt, geht die 
Hypothek auf ihn über, jedoch kann der Uebergang 
nicht zum Nachteile des Gläubigers geltend gemacht 
werden. Der erk. Senat hat bereits in dem zum Ab⸗ 
drucke beſtimmten Urteil vom 2. April 1913 V 504/12 
(vol. JW. 1913 S. 643 Nr. 8) ausgeſprochen, daß bei 
der Frage, ob der Uebergang einer Hypothek auf den 
Ablöſenden zum Nachteil des bisherigen Hypotheken- 
gläubigers geltend gemacht werde, die Rechte des 
letzteren lediglich als Inhaber der von der Ablöſung 
betroffenen Hypothek in Betracht zu ziehen ſeien, und 
eine andere dem nämlichen Gläubiger etwa noch Zus 
ſtehende Hypothek an dem Grundſtück nicht zu berück⸗ 
ſichtigen ſei. Gegründet iſt dieſe Rechtsanſicht haupt⸗ 
ſächlich darauf, daß das dingliche Hypothekenrecht durch 
die Befriedigung des Hypothekengläubigers nicht er⸗ 
liſcht, vielmehr auch dann fortbeſteht, wenn der Schuld⸗ 
ner ſelbſt den Gläubiger befriedigt, und ein Aufrücken 
der nachfolgenden Hypotheken, ſei es auch desſelben 
Gläubigers, verhindert; nach den geſetzgeberiſchen Vor⸗ 
arbeiten hätten die auf die Verhütung der Benach⸗ 
teiligung des Hypothekengläubigers bezüglichen Bes 
ſtimmungen nur den Fall der Ablöſung eines Teiles 
der Hypothekforderung betreffen ſollen; hier nament⸗ 
lich ſolle der dem Gläubiger verbleibende Reſt der 
Hypothek den Vorrang haben. Daran iſt feſtzuhalten. 
Danach aber macht der eine Hypothek Ablöſende den 
Uebergang der Hypothek nicht „zum Nachteil des Hy⸗ 
pothekengläubigers geltend“, wenn er nach zwangs⸗ 
weiſer Verſteigerung des belaſteten Grundſtücks bei 
der Verteilung des bar zu zahlenden Verſteigerungs— 
erlöſes den auf die abgelöſte Hypothek entfallenden 
Erlösteil für ſich in Anſpruch nimmt, wiewohl der 
Gläubiger wegen einer anderen ihm an dem nämlichen 
Grundſtück zuſtehenden Hypothek nicht volle Befriedi⸗ 
gung erlangt. Mit Recht hat daher der Beruſungs⸗ 
richter dem Kläger die 15 293.86 M zugeſprochen, die 
dieſer an Zinſen und Koſten aus den auf ihn über- 
gegangenen Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 an⸗ 
gemeldet hat, wiewohl die Beklagte mit der Hypothek 
Nr. 36 teilweiſe ausgefallen iſt. Unzutreffend iſt die 
Ausführung der Reviſion, die Beklagte ſei durch die 
Ablöſung, ſoweit ſie ſich auf die rückſtändigen Jinſen 
und Koſten erſtreckt habe, benachteiligt, weil gemäß 
§ 1178 BGB. die Hypothek für dieſe Zinſen und Koſten 
erloſchen wäre, wenn der Schuldner ſelbſt fie befriedigt 
hätte. Die Beklagte iſt wegen der aus ihren Hypo— 
theken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 ſich ergebenden An⸗ 
ſprüche vom Kläger voll befriedigt worden. Deshalb 
war es für ſie als Gläubigerin dieſer Hypotheken von 
keiner Bedeutung, daß die Hypothek für die Rückſtände 
von Zinſen und Koſten nicht erloſch, wie es im Falle 
ihrer Befriedigung durch den Schuldner geſchehen wäre, 
ſondern in der Hand des Klägers ebenſo wie die Hy— 
pothek für das Kapital fortbeſtand. An ihrer weiteren 
Hupothek Nr. 36 erlitt die Beklagte infolge Fortbe— 
ſtehens der Hypothek allerdings einen Ausfall; aber 


klagte. In der Beſorgnis, das Durchgangsrecht durch dieſer Umſtand hatte für die Frage außer Betracht zu 


bleiben, ob fie durch Geltendmachung des Ueberganges 
jener Hypothek auf den Kläger benachteiligt wurde; 
denn nach dem Vorerörterten iſt hiefür nur die Rechts⸗ 
ſtellung der Beklagten als Gläubigerin der abgelöſten 
Hypotheken maßgebend. — Unrichtig iſt ferner die 
Meinung der Reviſion, die Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 
und 35 hätten mit der Hypothek Nr. 36 eine einheit⸗ 
liche Hypothek gebildet und deshalb ſei ihre Ablöſung 
nur die Ablöſung eines Teiles der ganzen einheitlichen 
Hypothek der Beklagten. Die Hypothek Nr. 36 war ein 
ſelbſtändiges dingliches Recht an dem belaſteten Grund⸗ 
ſtück. Sie iſt mit den anderen Hypotheken der Be⸗ 
klagten nicht zu einem dinglichen Recht vereinigt ge⸗ 
weſen, mag auch die 
die Hypotheken dienten, eine einheitliche geweſen ſein. 
War letzteres der Fall, ſo beſtanden die Hypotheken 
je für einen Teil der Forderung als mehrere im Ver⸗ 
hältnis zueinander ſelbſtändige Hypotheken (RG. 75, 
249). Auch ſonſt iſt es ohne Belang, ob den Hypo⸗ 
theken eine einheitliche Forderung oder mehrere ver⸗ 
ſchiedene Forderungen zugrunde lagen. Für die Zu⸗ 
läſſigkeit und die Wirkung der Ausübung des Ab⸗ 
löſungsrechts aus 8 1150 BGB. kommen allein die 
dinglichen Hypothekenrechte in Betracht, nicht die ge⸗ 
ſicherten perſönlichen Forderungen. Ferner iſt die 
Selbſtändigkeit der Hypothek Nr. 36 auch nicht durch 
die Rangänderung im Jahre 1899 berührt worden, 
wodurch die Hypothek Nr. 36 gleichen Rang mit den 
Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 erhielt. Den 
Hypotheken iſt dadurch nur ein anderer Inhalt gegeben 
worden. Die Hypothek Nr. 36 konnte auch mit den 
anderen Hypotheken nicht vereinigt werden, wenigſtens 
nicht ohne Zuſtimmung des Klägers, da das Durch⸗ 
gangsrecht des Klägers den Rang zwiſchen den Hypo⸗ 
theken hatte. Die Reviſion macht weiter geltend, der 
Kläger könne jedenfalls Befriedigung wegen der ab⸗ 
gelöſten Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 nur in 
gleichem Range mit der Hypothek Nr. 36 verlangen. 
Wäre die letztere Hypothek in andere Hände überge⸗ 
gangen, ſo würde er wegen jener Hypotheken Befrie⸗ 
digung auch nur in gleichem Range mit ihr erlangen 
können. Mindeſtens ſei daher inſoweit der Anſpruch 
des Klägers unbegründet. Das Einlöſungsrecht ſei kein 
der Hypothek anhaftendes bedingtes Recht, ſondern 
eine Befugnis, die erſt im Augenblick der Zwangs⸗ 
vollſtreckung entſtehe. Es ſei alſo nicht richtig, daß der 
Kläger ſchon vor Eintragung der Hypothek Nr. 36 die 
rechtliche Möglichkeit erlangt gehabt habe, die ihm 
vorgehenden Hypotheken durch Ablöſung an ſich zu 
bringen. Er müſſe vielmehr bis zu dem Augenblick, 
in dem die Befriedigung aus dem Grundſtück gefordert 
werde, alles dulden, was nicht die Rangſtellung ſeines 
dinglichen Rechtes verſchlechtere. Dieſe aber bleibe auch 
im vorliegenden Falle unberührt. Jedoch auch dieſer 
Angriff der Reviſion kann nicht für begründet erachtet 
werden. Allerdings war der Kläger nach SS 268 Abſ. 1, 
1150 BGB. erſt, als die Beklagte Befriedigung wegen 
ihrer Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 aus dem 
belaſteten Grundſtück verlangte, wegen der Gefahr des 
Verluſtes ſeines Durchgangsrechts berechtigt, die Be⸗ 
klagte zu befriedigen. Der Kläger braucht aber nicht 
gegen ſich gelten zu laſſen, daß der erſt nach ſeinem 
Durchgangsrecht eingetragenen Hypothek Nr. 36 durch 
die ohne ſeine Zuſtimmung erfolgte Rangänderung im 
Jahre 1899 der gleiche Rang mit den gemäß $S 268 
Abt. 3, 1150 BG. auf ihn übergehenden Hypotheken 
Nr. 22, 23, 25/29 und 35 eingeräumt worden iſt. Dies 
iſt zwar nicht aus dem vom OLG. angeführten $ 880 
Abſ. 5 BGB. zu entnehmen, da die Rangänderung vor 
dem Inkrafttreten des BGB. ſtattgefunden hat; wohl 
aber aus dem damals geltenden, übrigens im weſent— 
lichen mit 8 880 Abſ. 5 BGB. übereinſtimmenden 8 35 
Satz 3 Preuß. EigérwG. vom 5. Mai 1872 in Ver⸗ 
bindung mit 8 37 Pr. ALR. I, 20, wonach der Pfand⸗ 
gläubiger, der die Befriedigung aus der verpfändeten 


Forderung, zu deren Sicherung 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


21 


— 


Sache betreibt, ſchuldig iſt, gegen vollſtändige Befrie⸗ 
digung ſein Pfandrecht einem jeden abzutreten, der 
ein dingliches Recht auf die Sache hat. Danach konnte 
vor der Rangänderung der Kläger als Inhaber des 
Durchgangsrechts die dieſem vorgehenden Hypotheken 
Nr. 22, 23, 25/29 und 35 durch Befriedigung der 
Beklagten mit dem Vorrange vor der ſeinem Durch⸗ 
gangsrecht nachſtehenden Hypothek Nr. 36 erwerben, 
wenn die Beklagte für jene Befriedigung aus dem 
Grundſtück ſuchte. Hätte er nun nach der Rangänderung 
jene Hypotheken nur mit der Wirkung einlöſen können, 
daß die Hypotheken als im gleichen Range mit der 
Hypothek Nr. 36 ſtehend auf ihn übergingen, ſo wäre 
er tatſächlich infolge der Rangänderung ee ges 
ſtellt. Dies würde aber der Vorſchrift des 8 35 EigErwm®. 
widerſprechen, wonach dadurch, daß ein voreinge⸗ 
tragener Gläubiger fein Vorrecht einem nachſtehenden 
einräumt, die Vorrechte der Zwiſchenpoſten nicht ge⸗ 
ändert werden. Hieraus ergibt ſich, daß dem Kläger 
wegen aller Anſprüche aus den auf ihn übergegangenen 
Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 das Vorrecht vor 
der Hypothek Nr. 36 zuſteht und er daher aus dem 
baren Verſteigerungserlös Befriedigung vor den Be⸗ 
trägen beanſpruchen kann, die die Beklagte aus ihrer 
Hypothek Nr. 36 angemeldet hat. (Urt. des V. 88. 
vom 20. Sept. 1913, V 158/1913). E. 
3170 


III. 


Wann beginnt im Falle des 5 2306 BGB. die Ans: 
ſchlagungsfriſt, wenn Zweifel über die Gültigkeit der 
letztwilligen Verfügung beftehen? Aus den Gründen: 
Das ORG. geht zutreffend davon aus, daß der Kläger, da 
der ihm im Teſtamente ſeiner Mutter hinterlaſſene Erbteil 
größer als ſein Pflichtteil iſt, den Pflichtteil nur verlangen 
könnte, wenn er den Erbteil rechtzeitig ausgeſchlagen 
hätte (8 2306 Abſ. 1 Satz 2). Zu rechtlichen Bedenken 
Anlaß gibt jedoch die Annahme, die am 7. Oktober 1912 
vom Kläger dem Nachlaßgerichte gegenüber erklärte 
Ausſchlagung der Erbſchaft aus dem Teſtamente ſei 
verſpätet und ſomit nicht zu beachten. Das OLG. ver⸗ 
weiſt zur Rechtfertigung ſeiner Annahme darauf, daß 
die ſechswöchige Ausſchlagungsfriſt des 8 1944 BGB. 
nach $ 2306 mit dem Zeitpunkte beginne, in dem der 
Pflichtteilsberechtigte von der Beſchränkung oder der 
Beſchwerung Kenntnis erlangt habe, beim Kläger ſei 
das aber ſpäteſtens zur Zeit der Klageerhebung im April 
1911 der Fall geweſen. Dieſe Begründung iſt mindeſtens 
nicht ausreichend. Nach 8 2306 Abſ. 1 Satz 2 Halbſ. 2 
beginnt zwar die Ausſchlagungsfriſt „erſt, wenn der 
Pflichtteilsberechtigte von der Beſchränkung oder Bes 
ſchwerung Kenntnis erlangt“. Damit ſoll aber, worauf 
ſchon das Wort „erſt“ hinweiſt, nicht beſtimmt ſein, 
daß die Ausſchlagungsfriſt mit dem bezeichneten Zeit⸗ 
punkt unter allen Umſtänden wirklich beginne, ſondern 
nur, daß ſie keinesfalls vor dieſem Zeitpunkte beginnen 
kann. Neben der beſonderen Vorausſetzung der hier 
in Rede ſtehenden Beſtimmung müſſen vielmehr auch 
die in 8 1944 Abſ. 2 angeordneten allgemeinen Voraus- 
ſetzungen für den Beginn der Ausſchlagungsfriſt ge⸗ 
geben ſein. Darüber herrſcht in der Rechtslehre volle 
Meinungsübereinſtimmung, und auch der Senat hat 
ſich in dieſem Sinne ausgeſprochen (RGZ. Bd. 59 S. 341). 
Für den durch Teſtament als Erbe berufenen Pflicht⸗ 
teilsberechtigten beginnt daher die Ausſchlagungsfriſt 
nicht vor dem Zeitpunkt, in dem er von dem Anfall 
und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Die 
„Kenntnis“, von der 8 1944 Abſ. 2 ſpricht, fällt nicht 
ſchlechthin mit der Kenntnis der Tatſachen zuſammen, 
auf die ſich die Berufung gründet. Vor allem muß der 
Erbe wiſſen (vgl. auch § 1949 Abſ. 1), ob ihm die Erb⸗ 
ſchaft als geſetzlichem oder als Teſtamentserben ange— 
fallen iſt. Hält daher ein durch Teſtament berufener 
Erbe, der auch zu den geſetzlichen Erben gehören würde, 
das Teſtament aus irgendwelchem Grunde für nichtig, 


22 


wenn auch irrig, fo iſt der Beginn der Ausſchlagungs⸗ 
friſt ausgeſchloſſen, ſolange der Irrtum vorhält, ſofern 
wenigſtens durch das Teſtament im Falle ſeiner Gültig⸗ 
keit das geſetzliche Erbrecht geſchmälert werden würde. 
Nun hatte der Kläger ausdrücklich behauptet, er habe 
ſich bei der Annahme der Erbſchaft in einem Irrtume 
über den Berufungsgrund befunden, indem er damals 
der auch jetzt noch geteilten Anſicht u ſei, das 
Teſtament ſei wegen Geſchäfts unfähigkeit der Erblaſſerin 
nichtig, er ſei deshalb geſetzlicher Erbe und habe zur 
Ausſchlagung keinen Anlaß. Auf dieſe Behauptung hätte 
das OLG. eingehen müſſen. Sie bezieht ſich zwar ihrem 
Wortlaute nach auf einen Irrtum über den Berufungs⸗ 
grund „bei der Annahme der Erbſchaft“. Aber da der 
Kläger offenbar nicht eine durch ausdrückliche Erklärung 
oder ſchlüſſige Handlungen erfolgte eigentliche Annahme 
der Erbſchaft (i. S. der erſten der beiden in 8 1943 er⸗ 
wähnten Möglichkeiten) hat behaupten wollen, die eine 
nachträgliche Ausſchlagung ausgeſchloſſen hätte, ſo kann 
ſeine Behauptung nach ihrem Zuſammenhange nur ſo 
verſtanden werden, daß geſagt ſein ſollte, er habe ſich 
bei der Unterlaſſung der Ausſchlagung aus dem Teſta⸗ 
ment in einem Irrtum über die angenommene Gültig⸗ 
keit des Teſtaments und damit über den wahren Be⸗ 
rufungsgrund befunden. Die Unrichtigkeit dieſer Be⸗ 
hauptung des Klägers hat das ORG. nicht feſtgeſtellt. 
Ebenſowenig iſt feſtgeſtellt, daß der Kläger, überhaupt 
oder früher als 6 Wochen vor dem 7. Oktober 1912, 
von der Geſchäftsſähigkeit der Erblaſſerin und damit 
von der Gültigkeit ihres Teſtaments Kenntnis erlangt 
hätte. Endlich iſt nicht feſtgeſtellt, daß der Kläger vor 
dem 7. Oktober 1912 die Erbſchaft durch ausdrückliche 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


oder ſtillſchweigende Erklärung angenommen und ſich 


dadurch, wenigſtens vorbehaltlich des Einfluſſes der 

88 1949 und 1954 BGB., der Möglichkeit wirkſamer 

Ausſchlagung beraubt hätte. (Urt. v. 18. September 

1913, IV 179/1913). 
3174 


— — en. 


IV. 


Teilweiſe Zurücknahme der Klage durch Weber: 
gang von der Feſtſtellungs⸗ zur Leiſtungsklage. Still: 
ſchweigende Zuſtimmung des Beklagten zu dieſer Zurück⸗ 
nahme. Aus den Gründen: Die Reviſion bean⸗ 
ſtandet, daß die Vorgerichte einen Teil der Anſprüche 
des Klägers wegen Verjährung abgewieſen haben. 
Sie verkennt nicht, daß die Klageſchrift nur eine auf 
den Erwerbsſchaden beſchränkte Feſtſtellungsklage ent⸗ 
hielt, meint aber, daß inſoweit eine Unterbrechung der 
Verjährung ftattgefunden habe und daß daher die im 
Juni 1912 erhobenen erweiterten Anſprüche in dieſem 
Umfange nicht verjährt ſeien. Auch der Vorderrichter 
erkennt an, daß durch die Erhebung der Feſtſtellungs⸗ 
klage die Verjährung der vom Kläger auf die Schä— 
digung ſeiner Erwerbsfähigkeit geſtützten Anſprüche 
gemäß § 209 Abſ. 1 BGB. unterbrochen wurde, dieſe 
Wirkung ſei aber dadurch beſeitigt, daß der Kläger in 
der mündlichen Verhandlung vom 7. Januar 1911 den 
Feſtſtellungsantrag nicht mehr geſtellt und ihn inner⸗ 
halb der durch 8 212 BGB. beſtimmten Friſt von ſechs 
Monaten nicht erneuert habe. Darin, daß der Kläger von 
der Feſtſtellungsklage zur Leiſtungsklage übergegangen 
ſei, liege eine Einſchränkung und eine teilweiſe Zurück— 
nahme der urſprünglichen Klage, mit der ſich die Be— 
klagte einverſtanden erklärt habe. Daß der Vorder— 
richter bei feinen Erwägungen die SS 211, 212 BGB., 
§ 271 3PO. verletzt habe, kann nicht zugegeben werden. 
Zutreffend iſt zunächſt, daß in dem Nichtverleſen eines 
Antrags oder in dem Verleſen eines beſchränkten An— 
trags eine vollſtändige oder teilweiſe Zurücknahme der 
Klage liegen kann. Welche Bedeutung dieſen Vorgängen 
in Zweifel zukommt, kann unerörtert bleiben, denn 
der Vorderrichter hat ſeine Auffaſſung aus den be— 
ſonderen Umſtänden zutreffend begründet. Der Kläger 


in Bayern. 1914. Nr. 1. 


hatte zur Stütze des Feſtſtellungsantrags angeführt, 
er ſei erheblich in ſeiner Erwerbstätigkeit beeinträchtigt, 
es ſei fraglich, ob er je wieder zu einer gewinnbringenden 
Tätigkeit imſtande ſein werde. Wenn er nun ſpäter 
zu einem bezifferten Antrage vorbehaltslos überging, 
ſo läßt ſich das nur dahin verſtehen, daß der neue 
Antrag den früheren erſetzen ſollte, dieſer alſo fallen 
gelaſſen werde, ſoweit er etwa umfaſſender war. Es 
kommt hinzu, daß der im Januar 1911 erhobene Renten⸗ 
anſpruch nach der Feſtſtellung des Os. auf die Be⸗ 
hauptung völliger Erwerbsunfähigkeit gegründet wurde, 
ein Feſtſtellungsantrag neben ihm ſonach zwecklos ge⸗ 
weſen wäre. Mit dem Urteile des Senats in Bd. 66 
S. 12, auf das ſich die Reviſion bezieht, ſteht die ge⸗ 
billigte Auffaſſung nicht im Widerſpruche, denn auch 
dort iſt nur geſagt, die Einſchränkung eines Antrags 
könne zwar eine teilweiſe Zurücknahme der Klage be⸗ 
deuten, wenn ſich ein entſprechender Wille feſtſtellen 
laſſe, ſie brauche aber dieſe Bedeutung nicht zu haben 
(vgl. RZ. 65, 36). Die Reviſion will darauf Wert 
legen, daß man im Januar 1911 noch über den Grund 
des Anſpruchs verhandelt habe und daß nur hierüber 
Beweis erhoben ſei, es ſei nicht einzuſehen, weswegen 
ſich der Kläger in dieſer Prozeßlage in bezug auf die 
Höhe der Rente habe feſtlegen ſollen. Dieſe Erwägung 
würde es rechtfertigen, wenn der Kläger bei der Feſt⸗ 
ſtellungsklage verblieben wäre; ging er aber trotzdem 
zu der Leiſtungsklage über, ſo läßt ſich das mit dem 
Vorderrichter nur dahin verſtehen, daß er glaubte, 
nunmehr ſeinen Schaden überſehen zu können, daß er 
dieſen ganzen Schaden geltend machen wollte und daß 
die Leiſtungsklage an die Stelle der Feſtſtellungsklage 
treten ſollte. N 

Die Reviſion wendet ſich weiter gegen die An⸗ 
nahme des OL G., die Beklagte habe ſich mit einer teil⸗ 
weiſen Zurücknahme der Klage einverſtanden erklärt, 
indem ſie ihr nicht widerſprach. Daß dieſe von dem 
Vorderrichter gegebene Begründung nicht ganz ohne 
Bedenken iſt, muß zugegeben werden. Zwar kann die 
Einwilligung zur Zurücknahme einer Klage auch durch 
ſchlüſſige Handlungen erklärt werden, die bloße Un⸗ 
tätigkeit reicht aber noch nicht aus (RG. 75, 290). 
Trotzdem war die Entſcheidung des OLG. aufrecht zu 
erhalten, weil die Einwilligung der Beklagten ſich auch 
aus ihrem poſitiven Verhalten ergibt. In dem von 
der angeführten Entſcheidung betroffenen Falle hatte 
der damalige Beklagte ſich mit der teilweiſen Zurück⸗ 
nahme der Klage ausdrücklich nicht einverſtanden er⸗ 
klärt und die Abweiſung des zurückgenommenen An⸗ 
trags beantragt, auch in einem ſpäteren Antrage auf Be⸗ 
richtigung des Tatbeſtandes betont, daß er die Zurück⸗ 
nahme der Klage nicht genehmigt habe. Bei dieſer Sach⸗ 
lage konnte nicht ſeine Zuſtimmung zu der teilweiſen 
Zurücknahme der Klage darin erblickt werden, daß er 
bei Einlegung der Berufung nicht auf ſeinen An⸗ 
trag zurückgekommen war, den Kläger beſonders 
mit dem zurückgenommenen Teilanſpruch abzuweiſen. 
Ganz anders ſteht es hier. Gegenüber dem geänderten 
Antrage beantragte die Beklagte am 7. Januar 1911 
die Klageabweiſung, ohne gegen die Aenderung und 
die hierin liegende Zurücknahme der Feſtſtellungsklage 
Einwendungen zu erheben und ohne in bezug auf die 
Feſtſtellungsklage beſondere Anträge zu ſtellen. Das 
konnte nach Lage der Sache nicht anders verſtanden 
werden, als daß fie mit der Umwandlung der Feſt⸗ 
ſtellungsklage in eine Leiſtungsklage einverſtanden war. 
Da nun die ziffermäßig beſtimmte Leiſtungsklage not— 
wendig enger war als der urſprüngliche Feſtſtellungs⸗ 
anſpruch, ſo hätte es beſonders nahe gelegen, daß die 
Beklagte, wenn ſie in dem anhängigen Rechtsſtreite 
eine Entſcheidung über die Feſtſtellungsklage gewollt 
hätte, dies irgendwie ausdrückt hätte. Darin, daß fie 
dies nicht tat und ferner der geänderten Klage nur 
einen Abweiſungsantrag entgegenſetzte, muß ihre Zu— 
ſtimmung zu dem Ausſcheiden des Feſtſtellungsanſpruchs 


aus dem Prozeſſe, d. h. zu der teilweiſen Zurücknahme 
der Klage, gefunden werden. Hiernach muß angenommen 
werden, daß der Kläger die Feſtſtellungsklage am 7. Ja⸗ 


nuar 1911 wirkſam zurückgenommen hat. (Urt. d. 
VI. 3S. vom 2. Oktober 1913, VI 255/13). 
3166 — — n. 


V. 


Klage auf Dienſtlohn im Urkundenprozeſſe. Die Be⸗ 
klagte hat dem Kläger (einem Detektiv) folgende Ur⸗ 
kunde ausgeſtellt: „Nach meiner Eheſcheidung bekommt 
Herr K. G. ein Honorar von 4500 M.“ Ihre Ehe iſt 
geſchieden worden. Im Urkundenprozeſſe verlangt der 
Kläger nunmehr Zahlung von 4500 . Das LG. hat 
ſtattgegeben und der Beklagten die Ausführung ihrer 
Rechte im ordentlichen Verfahren vorbehalten. Die 
Berufung der Beklagten wurde zurückgewieſen. Die 
Revifion hatte Erfolg. 

Gründe: Das OLE. findet in dem Scheine kein 
abſtraktes Schuldverſprechen i. S. des $ 780 BGB., 
ſondern die Zuſage einer Vergütung für Dienſte bei 
einer Eheſcheidung. Es nimmt auch an, daß der Kläger 
nach 8 614 BGB. dieſe Dienſte vorzuleiſten hatte. Dieſe 
Auffaſſung, die den Schein unter das Recht des Dienſt⸗ 
vertrags ſtellt, iſt frei von Rechtsirrtum. Das OLG. 
hält nun dieſen Schein, obwohl er nicht ergebe, welche 
Dienſte der Kläger zu leiſten hatte und welche er tat⸗ 
ſächlich geleiſtet hat, gleichwohl für ausreichend, um 
die Klage zu begründen; denn er habe die Vermutung 
der Vollſtändigkeit für ſich, und es ſei die einzige Tat⸗ 
ſache eingetreten, an die die Fälligkeit des Dienſtlohnes 
geknüpft worden ſei, die Eheſcheidung. 

Die Reviſion iſt begründet. Der Urkundenprozeß 
der ZPO. ſchafft nicht ein beſonderes Klagerecht aus 
der Urkunde als ſolcher, ſondern gibt nur den Urkunden 
als Beweismitteln einen Vorzug. Daher bleibt es auch 
im Urkundenprozeſſe bei der allgemeinen Regel, daß 
der Kläger feinen Anſpruch vollſtändig zu beweiſen 
hat und zwar muß er nach § 592 ZPO. ſämtliche zur 
Begründung des Anſpruchs erforderlichen Tatſachen 
durch Urkunden beweiſen. Alſo muß eine im Urkunden⸗ 
prozeſſe verfolgte Klage auf Dienſtlohn auch die nach 
§ 614 BGB. klagebegründende Tatſache unter Urs 
kundenbeweis ſtellen, daß der Kläger die Dienſte wirk⸗ 
lich verrichtet hat, für deren Leiſtung er die Vergütung 
beanſpruchen kann ($ 253 Abſ. 2 Nr. 2, 8 592 ZPO.). 
Der Schein enthält nach der Annahme des OLG. nur 
die Zuſage einer Dienſtvergütung, aber nichts darüber, 
daß der Kläger die vertraglich übernommenen Dienſte 
tatſächlich verrichtet hat. Auch das OLG. gelangt nicht 
zu der nach 8 614 BGB. erforderlichen Feſtſtellung, 
daß durch den Schein, dem es ausdrücklich die Ver⸗ 
mutung der Vollſtändigkeit zuſpricht, auch die Vor⸗ 
leiſtung der zu vergütenden Dienſte bewieſen werde. 
Daraus, daß die Fälligkeit des Honorars an die Tat⸗ 
ſache der Eheſcheidung geknüpft worden iſt, kann rechtlich 
höchſtens entnommen werden, es habe die Beklagte bei 
Niederſchrift des Scheines vorausgeſetzt, daß der Kläger 
im Zeitpunkt ihrer Eheſcheidung ſeine Dienſte geleiſtet 
haben werde. Dagegen bietet der Schein keine Hand— 
habe auch für die weitere Auslegung, daß der Kläger 
die Dienſte wirklich bis zu jenem Zeitpunkte geleiſtet 
hat. Da der Kläger ſohin über die klagebegründende 
Tatſache der Dienſtleiſtung keinen Beweis mit den im 
Urkundenprozeſſe zuläſſigen Beweismitteln angetreten 
hat, iſt die Klage auf Zahlung von Dienſtlohn im 
Urkundenprozeſſe unſtatthaft und daher nach $ 597 


Abſ. 2 ZPO. in dieſer Prozeßart abzuweiſen. (Urt. 
d. VI. 3S. vom 13. Oktober 1913, VI 351/13). 
3166 | — on 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


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23 


B. Strafſachen. 
1 


Urkundenſälſchung durch Fälſchung des Blauko⸗ 
indoſſaments des Bezogenen auf einem Wechſel, der 
weder In blanco akzeptiert iſt nech einen Ansſtellungs⸗ 
vermerk und das Girs des Ausſtellers aufweiſt? Wann 
hat die Namensunterſchrift die Bedentung einer rechts. 
und beweiserheblichen Urkunde? Feſtſtellung des Ge: 
hilfenverſatzes bei der Beihilfe zur Urkundeufälſchung. 
Aus den Gründen: Nach den Urteilsgründen hat 
der Angeklagte A. unter Beihilfe der Befchwerdeführerin 
„eine Urkunde fälſchlich angefertigt, die eine Wechſel⸗ 
verbindlichkeit eines Akzeptanten ausdrückte und als 
ſolche zum Nachweiſe einer Verbindlichkeit des angeb⸗ 
lichen Akzeptanten und Wechſelſchuldners oder zum 
mindeſten als Schuldſchein über irgendeine Verbindlich⸗ 
keit eines Sebaſtian St. erheblich war“. Dieſe Be⸗ 
urteilung der Rechts⸗ und Beweiserheblichkeit des von 
dem Angeklagten A. und der Beſchwerdeführerin her⸗ 
geſtellten Schriftſtücks iſt mit dem Inhalt der darauf 
bezüglichen tatſächlichen Feſtſtellungen nicht vereinbar. 
Danach hat der Angeklagte ein Wechſelformular ſoweit 
ausgefüllt, daß darin Sebaſtian St. für eine an die 
Ordre von A. an einem beſtimmten Fälligkeitstag zu 
entrichtende Wechſelſumme bezogen erſchien; ein Aus⸗ 
ſtellungsvermerk fehlte, namentlich hatte auch A. das 
unter Benützung des Formulars gefertigte Schriftſtück 
ſelbſt dann nicht mit einem auf ihn ſelbſt lautenden 
Ausſtellungsvermerk verſehen, als er es an einen Dritten 
weitergab, um ſich Geld zu verſchaffen. „Auf der Rück⸗ 
ſeite“ des Wechſelformulars hatte die Beſchwerdeführerin 
den Namen „St.“ geſchrieben. Wenn das LG. in dieſer 
Namensſchrift die fälſchliche Anfertigung eines, Akzepts“ 
erkennt, ſo iſt dies rechtsirrig; denn die Niederſchrift 
des Namens des Bezogenen, die nicht mit einem die 
Annahmeerklärung enthaltenden Zuſatz verbunden iſt, 
gilt nur dann als wechſelmäßige Annahme, wenn fie 
auf die Vorderſeite des Wechſels geſchrieben wird (Art. 21 
WO.) Die Niederſchrift eines Namens auf der Kück⸗ 
ſeite eines Wechſels kann die Bedeutung eines Blanko⸗ 
indoſſaments haben, das auch vom Bezogenen wirkſam 
abgegeben werden kann, ſofern er dabei als Nachmann 
des Remittenten erſcheint, der ſich zuerſt des Wechſels 
mittels Indoſſaments zu begeben hat (Art. 12, 36 WO.). 
Das Blankoindoſſament des Bezogenen auf einem Wechſel, 
der weder in blanco akzeptiert iſt noch insbeſondere 
einen Ausſtellungsvermerk aufweiſt, iſt allerdings eben⸗ 
falls ohne gegenwärtige wechſelrechtliche Bedeutung und 
regelmäßig überhaupt rechtlich unerheblich; denn ſo⸗ 
lange der Wechſelauftrag aus der Tratte nicht zu ent⸗ 
nehmen iſt, haftet wechſelrechtlich niemand für die Er⸗ 
füllung des in dem gezogenen Wechſel beurkundeten 
Zahlungsauftrags und das Indoſſament vermag daher 
Wechſelrechte nicht zu übertragen, zumal es die Wieder⸗ 
holung des Auftrags in ſich ſchließt. Ueberdies kann 
ein Indoſſament des Bezogenen, als welcher hier der 
auf der Rückſeite durch ſeine angebliche Namensunter⸗ 
ſchrift girierende Seb. St. auf der Vorderſeite in der 
Adreſſe bezeichnet war, wie bereits hervorgehoben, wirt 
ſam erſt erfolgen, nachdem der Remittent den Wechſel 
durch Indoſſament übertragen hat. Ein ſolches In- 
doſſament des Remittenten trug aber der Wechſel nicht. 
Als „Schuldfchein über irgendeine Verbindlichkeit“ kann 
die Namensſchrift auf der Rückſeite eines Papiers, deſſen 
Vorderſeite nur einen unvollſtändigen Zahlungsauftrag 
ohne Angabe des Schuldgrundes und Benennung des 
Auftraggebers aufweiſt, nicht gelten. Die Namensſchrift 
für ſich allein hat nicht die Bedeutung einer rechts- und 
beweiserheblichen Urkunde, ſolange ſie nicht als Unter⸗ 
ſchrift eines ſog. abſtrakten Schuldverſprechens (SS 780, 
126 BGB.) anzuſehen iſt, oder die Beziehung der Namens: 
ſchrift zu dem Gedankeninhalt der auf der Vorderſeite 
befindlichen Erklärungen erkennbar iſt und durch dieſe 
in Verbindung mit der Namensſchrift die Uebernahme 


24 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1, 


oder Anerkennung etwaiger in dieſen Erklärungen zum BVorſatzes es unternahmen, verbotswidrig Süßſtoff über 


Ausdruck gelangter Verbindlichkeiten durch den Urheber 
der Namensſchrift bezeugt wird. Aus dem Zuſammen⸗ 
Jung zwiſchen dem unvollſtändigen Inhalt der unter 

enützung des Wechſelformulars vorbereiteten Erflä- 
rung einerſeits und der Namensſchrift andererſeits kann 
aber, wie ſich aus den Feſtſtellungen ergibt, eine ver⸗ 
pflichtende oder ſonſt rechtserhebliche Erklärung ſich nicht 
ergeben. Freilich iſt, wie in der Entſcheidung Bd. 24 
S. 192 nachgewieſen, 1 wie das Blankoakzept auf 
einem in allen ſonſtigen Teilen noch offenen Wechſel⸗ 
formular, auch das Blankoindoſſament auf einer Tratte 
zugunſten eigener Ordre, die nicht an erſter Stelle mit 
dem Giro des Ausſtellers und Remittenten verſehen iſt, 
doch zum Beweis von Rechten und Rechtsverhältniſſen 
erheblich, weil und ſoweit dem fälſchlich angefertigten 
Indoſſament Rechtswirkſamkeit und Vollwertigkeit da⸗ 
durch verſchafft werden kann, daß der Remittent nach⸗ 
träglich durch Vorausſtellung ſeines Giros die fälſchlich 
angefertigten Blankoindoſſamente zu wechſelrechtlich 
verpflichtenden Erklärungen geſtaltet, ſobald der Wechſel 
wieder in ſeine Hände kommt. Zunächſt hatte der Tat⸗ 
richter darüber zu entſcheiden, ob hier der Angeklagte A. 
ſowohl den Ausſtellungsvermerk nachholen wie nament⸗ 
lich auf der Rückſeite des Wechſels ein der Namensſchrift 
St. vorauszuſtellendes Remittentengiro noch anbringen 
konnte, ob alſo die Namensſchrift St: bei dem Gebrauch 
ſchon beweis⸗ und rechtserheblich war, weil ſie in dieſem 
Zeitpunkt ſchon geeignet war, zu einem vollgültigen 
Indoſſament durch nachträglichen Zuſatz des A. ſchen 
Giros an einer Stelle des Papiers oberhalb der fälſch⸗ 
lich angebrachten Namensſchrift um⸗ und ausgeſtaltet 
zu werden. Zurzeit iſt in dem angefochtenen Urteil 
der äußere Tatveſtand einer vollendeten Urkunden⸗ 
fälſchung nicht nachgewieſen; die Annahme, es handle 
ſich um die fälſchliche Anfertigung eines Akzepts, iſt 
rechtsirrig, im übrigen aber die Berückſichtigung der 
vorſtehenden Geſichtspunkte unterblieben. Bei der 
wiederholten Verhandlung der Sache wird bei Ermitte⸗ 
lung des Verſchuldens der Beſchwerdeführerin zu be⸗ 
rückſichtigen ſein, daß es nicht genügt, wenn ſie durch 
die Kenntnis „der betrügeriſchen Gewohnheiten des Ans 
geklagten A.“ davon unterrichtet war, daß die von ihr 
hergeſtellte Unterſchriſt zur Begehung ſolcher Betrü⸗ 
gereien beſtimmt war. Es iſt erforderlich, daß die 
Angeklagte diejenigen Umſtände kannte, auf Grund 
deren rechtlich der von ihr hergeſtellten Namensſchrift 
die Bedeutung einer beweiserheblichen Urkunde, ſei es 
für ſich allein, ſei es in Verbindung mit den von A. 
vorbereiteten ſchriftlichen Erklärungen beizumeſſen iſt. 
Weiter muß ſie gewußt haben, daß der Täter das unter 
ihrer Mitwirkung hergeſtellte Schriftſtück zur Täuſchung 
Dritter durch urkundliche Beweisführung benutzen wollte. 
(Urt. des I. StS. vom 16. Oktober 1913, 1 D 658/1913). 

3172 E. 


II. 


Die verbstene Einfuhr von Süßſtofſ aus der Schweiz 
nach Dentſchland und von hier nach Oeſterreich kann zwei 
ſelbſtändige ftrafbare Handlungen i. S. des z 74 StG. 
enthalten, auch wenn die Wiederaus fuhr nach Oeſterreich 
von vornherein geplant geweſen iſt. Aus den Gründen: 
Der Angeklagte wurde am 22. Februar 1912 gemäß 
8 2 Gef. betr. die Ausführung des mit Oeſterreich⸗ 
Ungarn abgeſchloſſenen Zollkartells vom 9. Juni 1895 
zu Strafe verurteilt, weil er in Gemeinſchaft mit ans 
deren am 25. Mai 1910 es unternommen hatte, Süßſtoff, 


deſſen Einfuhr in Oeſterreich verboten iſt, dem Verbote 


zuwider dorthin einzuführen; das Urteil wurde am 
3. Auguſt 1912 rechtskräftig. In dem angefochtenen 
Urteil vom 15. Mai 1913 iſt der Angeklagte für über⸗ 
führt erachtet, ſich gemeinſchaftlich mit den früheren 


| 


die Schweizer Grenze nach Deutſchland einzuführen, 
und daß ſie die eingeſchmuggelten Waren teils durch 
Verkauf im Inland teils durch Weitertransport nach 
Böhmen, alſo nach öſterreichiſchem Gebiete, verwerteten. 
Hiernach iſt allerdings anzunehmen, daß der Angeklagte 
5 Süßſtoff, wegen deſſen unerlaubter Einfuhr 
nach Oeſterreich er rechtskräftig verurteilt war, durch 
eine der ſtrafbaren Teilhandlungen an ſich gebracht 
hatte, deren Begehung ihm das angefochtene Urteil zur 
Laſt legt. Nach dem Zuſammenhang der Urteilsgründe 
kann jedoch unbedenklich unterſtellt werden, daß die 
verbotswidrige Einfuhr des Süßſtoffes in Deutſchland 
beendigt war, ehe der Angeklagte und feine Genoſſen 
zur Wiederausfuhr nach Oeſterreich ſchritten, und daß 
der Süßſtoff hier zuvor einige Zeit gelagert, alſo im 
Inland zur Ruhe gelangt geweſen iſt (RGSt. Bd. 39 
S. 66 [71]; es beſtand deshalb kein rechtliches Hindernis, 
die Einfuhr des Süßſtoffes nach Deutſchland und ſeine 
Einfuhr nach Oeſterreich, mochte es auf dieſe auch ſchon 
vor jener abgeſehen geweſen ſein, nicht als eine Hand⸗ 
lung im natürlichen Sinne, ſondern als zwei ſelbſtändige 
Handlungen nach § 74 StGB. aufzufaſſen, richtete ſich 
doch die erſte gegen die Finanzhoheit des Deutſchen 
Reiches, während die andere widerrechtlich in die Zoll⸗ 
rechte des öſterreichiſch⸗ungariſchen Staates eingriff. Der 
gemeinſame Zweck, der beide Handlungen verband, die 
Erlangung von Gewinn aus der unerlaubten Einfuhr 
der Ware nach Deutſchland und Oeſterreich, ſteht dem 
nicht entgegen. Die Willensakte, durch die der Tatbeſtand 
der verſchiedenen ſtrafbaren Handlungen hergeſtellt 
wurde, ſind auch nicht zu einem Teile dergeſtalt zu⸗ 
ſammengefallen, daß ein Teil der geſamten Tätigkeit 
des Ein» und Ausführens zur Herſtellung des Tatbe⸗ 
ſtandes beider Delikte mitgewirkt hat (RGSt. Bd. 32 
S. 137). (Urt. des I. StS. vom 6. Oktober 1913, 1 D 
628/1913). E. 
3171 


III. 


Der Tatbeſtand der Beihilfe zu dem Vergehen des 
§ 284 StG. wird nicht ſchon dadurch erfüllt, daß jemand 
die Wetten dritter Perſonen an einen Buchmacher weiter: 
gibt. Aus den Gründen: Nach der Feſtſtellung 
des LG. hat der Angeklagte als Kellner in einem Café, 
das als Treffpunkt für Wettluſtige bei Pferde-Wett⸗ 
rennen bekannt iſt, in zwei Fällen Wettzettel nebſt 
den Wettbeträgen von einem Reiſenden erhalten und 
an einen unbekannten Dritten weitergegeben, der vor 
der Tür des Lokals wartete. Er habe hierbei gewußt, 
daß der Dritte wegen der vorgeſchrittenen Stunde die 
Wettzettel nicht mehr an die Rennbureaus weitergeben 
konnte, ſondern die Wetten ſelbſt halten mußte und 
daß er hieraus einen Erwerb machte, alſo gewerbs— 
mäßiger Buchmacher war. Der Angeklagte habe für 
die Weitergabe der Wettzettel erhebliche Vorteile außer 
dem ihm als Kellner zufließenden Trinkgelde nicht 
empfangen; er habe die Zettel im weſentlichen nur 
aus dem Grunde weitergegeben, weil er fi den Caſé— 
gäſten habe gefällig erweiſen wollen. Auf Grund 
dieſes Sachverhalts hat das LG. den Angeklagten 
wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Glückſpiel ver— 
urteilt in der Annahme, es genüge zum Tatbeſtand 
der Beihilfe, daß der Angeklagte durch Zuweiſung von 
Wetten dritter Perſonen an den unbekannten Buch— 
macher das ihm bekannte ſtrafbare Treiben des letzteren 
unterſtützt habe. Das iſt rechtsirrig. Das Vergehen 
des 8 284 StGB. ſetzt feiner ſtrafrechtlichen Natur nach 
eine Beteiligung noch anderer Perſonen voraus. Glück— 
ſpiele kann nur treiben, wer mitſpielende Genoſſen 
findet. Die letzteren ſind aber nicht ſchon um deswillen 
ſtrafbar, weil fie ſich an dem Spiel in dem Bewußt— 


Mitangeklagten dadurch gegen 87 SüßſtoffG. mit $ 134 ſein beteiligen, daß dadurch dem gewerbsmäßigen 
BZoll G. vom 1. Juli 1809 vergangen zu haben, daß Spieler der Betrieb ſeines verbotenen Gewerbes ers 


ſie ſeit mehreren Jahren auf Grund eines und desſelben 


möglicht wird. Vielmehr iſt für die Strafbarkeit der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. | 25 


Teilnahme oder ſonſtigen Mitwirkung beim Spiel zu 
unterſcheiden zwiſchen den Fällen, in denen jemand zu 
dem gewerbsmäßigen Spieler in gar keiner Beziehung 
ſteht, daher es auch nicht auf eine Förderung des 
Spielers in ſeiner ſtrafbaren Erwerbstätigkeit abge⸗ 
ſehen hat, ſondern ſich dieſe Tätigkeit in eigenem oder 
dritter Perſonen Intereſſe zunutze machen will, und 
den anderen Fällen, in denen der Teilnehmer mit der 
Zuführung von Spielenden (oder Wettenden) den Zweck 
und die Abſicht verfolgt, das verbotene Spielgewerbe 
zu fördern, alſo die Begehung der ſtrafbaren Hand⸗ 
lung zu erleichtern, ſei es, weil er von dem gewerbs⸗ 
mäßigen Spieler für ſein Mitwirken Entgelt erhält, 
oder aus einem ſonſtigen in feinen Beziehungen zum 
gewerbsmäßigen Spieler liegenden Grunde. Dieſen 
Standpunkt hat der erk. Senat ſchon wiederholt ver⸗ 
treten, ſo beſonders in den Urt. vom 11. März 1912 
ID 1187/11, vom 3. Juni 1912 I D 252/12 und vom 
10. Oktober 1912 IN 686/12. Hier nun iſt dem Ans 
eklagten aus der Weitergabe der ihm übergebenen 

ettzettel und Wettbeträge an den unbekannten Buch⸗ 
macher von dieſem irgendein Vermögensvorteil an⸗ 
ſcheinend nicht zugefloſſen. Seine Tätigkeit ſcheint viel⸗ 
mehr durch die Trinkgelder, die er von den Cafégäſten 
als Kellner erhielt, mitabgegolten worden zu ſein. Be⸗ 
abſichtigte er hiernach durch ſein Tun lediglich die ſtraf⸗ 
loſe Spielbeteiligung der Cafeégaͤſte zu fördern, ohne 
dadurch zugleich im Intereſſe des unbekannten Buch⸗ 
machers wirken zu wollen. fo tft es belanglos, wenn 
er das bloße Bewußtſein hatte, durch ſein Tun werde 
das Buchmachergewerbe des unbekannten Dritten ge⸗ 
fördert. Hierdurch allein ohne hinzukommende Jör⸗ 
derungsabſicht wird der Tatbeſtand der ftrafbaren 
Beihilfe zum gewerbsmäßigen Glückſpiel nicht erfüllt. 
(Urt. des I. StS. vom 20. Oktober 1913, 1 D 594/1913). 

3173 E. 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Notwendigkeit der Aufſtellung eines Abweſenheits⸗ 
pflegers für einen Berſchollenen, der nach der Lebens: 
vermutung den Anfall einer Erbſchaft erlebt hat, aber 
zur Zeit des Antrags auf Beſtellung eines Abweſenheits⸗ 
yflegers als tot zu betrachten iſt. (88 1911, 18, 19, 
1960 BGB.). Am 25. Februar 1911 ſtarb in B. Thekla 
von G. Als Erbe iſt der am 15. April 1870 geborene 
Zahntechniker Richard Z. neben 24 Miterben berufen. 
Sein Aufenthalt iſt ſeit 1. März 1902 unbekannt. Das 
Nachlaßgericht hat einen Nachlaßpfleger nach 8 1960 
BGB. beſtellt. Deſſen Antrag, für Richard Z. eine Ab⸗ 
weſenheitspflegſchaft einzuleiten, hat das Amtsgericht 
M. abgelehnt. Der Nachlaßpfleger legte Beſchwerde 
ein und machte geltend, es könne nicht nachgewieſen 
werden, daß Richard Z. zur Zeit des Erbſchaftsanfalls 
noch gelebt habe; es müſſe Todeserklärung beantragt 
werden. Da die letzte Nachricht über Z. auf den 
1. März 1902 falle, ſo ſei zu vermuten, daß Z. am 
1. März 1912 geſtorben ſei, alſo den Anfall der 
Erbſchaft noch erlebt habe. Die Beſtellung des Ab⸗ 
weſenheitspflegers bezwecke, die Erbſchaft für den Ab⸗ 
weſenden anzunehmen, damit das Nachlaßgericht den 
beantragten gemeinſchaftlichen Erbſchein erteilen könne. 
Das LG. wies die Beſchwerde zurück. Auf die weitere 
Beſchwerde wurden die Beſchlüſſe aufgehoben und das 
Bormundſchaftsgericht angewieſen, erneut zu verfügen. 

Gründe: Die Anſchauung des LG., daß vor Er⸗ 
laſſung des Ausſchlußurteils keine Vermutung dafür 
beſtehe, daß Z. den Erbfall noch erlebt habe, ſteht im 


Widerſpruche mit der in 8 19 mit 8 18 Abſ. 2 BGB. 
ausgeſprochenen Lebensvermutung. Der 8 19 erweitert 
die Lebensvermutung auch für ſolche Fälle, in denen 
keine Todeserklärung erfolgt iſt. Die Fortdauer des 
Lebens ſoll bis zu dem Zeitpunkte vermutet werden, 
der nach 8 18 Abf. 2 in Ermangelung eines anderen 
Ergebniſſes der Ermittlungen als Zeitpunkt des Todes 
anzunehmen iſt. Die Lebensvermutung hat dieſelbe 
Bedeutung wie die durch die Todeserklärung begründete 
Todes vermutung, deren Kehrſeite fie bildet (Kretzſchmar 
im „Recht“ 15. Jahrg. 1911 S. 573). Da der Erbfall 
hier am 25. Februar 1911 eintrat, die letzte Nachricht 
von dem Verſchollenen aber vom 1. März 1902 ſtammt. 
ſo iſt hier anzunehmen, daß der Verſchollene den Erb⸗ 
fall noch erlebte. Iſt die Verneinung der Lebensver⸗ 
mutung nicht zutreffend, ſo iſt auch die weitere An⸗ 
nahme des LG. nicht haltbar, daß der Nachlaß noch 
nicht geteilt werden könne, da zunächſt nicht feſtgeſtellt 
werden könne, ob Z. Erbe wurde. Freilich iſt Z. gegen⸗ 
wärtig ſchon ſo lange verſchollen, daß die Lebensver⸗ 
mutung des 8 19 jetzt nicht mehr Platz greift. Allein 
daraus folgt nur, daß jetzt keine geſetzliche Vermutung 
für ſein Leben mehr beſteht. Dagegen darf hieraus 
nicht geſchloſſen werden, daß nunmehr der Verſchollene 
als tot zu gelten hat. Es bewendet vielmehr bei den 
allgemeinen Grundſätzen, nach welchen Leben und Tod 
ungewiß ſind; das Leben hat alſo zu beweiſen, wer 
ſich auf das Leben, und den Tod hat zu beweiſen, wer 
ſich auf den Tod beruft. Hieraus ergibt ſich auch, daß 
die Frage zu bejahen iſt, ob noch eine Abweſenheits⸗ 
pflegſchaft zuläſſig iſt, wenn die Lebensvermutung für 
den Verſchollenen zu der Zeit nicht mehr begründet 
iſt, zu welcher die Anordnung der eee beantragt 
wird (vgl. Bay Not Z. 1910 S. 327; 1911 S. 17, 21). 
Die in der Sammlung Bd. 4 S. 80 und Bd. 5 S. 677 
veröffentlichten Entſcheidungen vertreten keine ab⸗ 
weichende Anſicht; es handelte ſich damals um Nach⸗ 
läſſe, die dem Verſchollenen erſt nach dem Ablaufe der 
Lebensvermutung angefallen waren, ein Abweſenheits⸗ 
pfleger aber kann für den Verſchollenen die Erbſchaft 
nur annehmen, wenn feſtſteht, daß der Verſchollene den 
Erbfall erlebt hat. Nun kann allerdings nicht der 
Umſtand allein die Anordnung einer Abweſenheits⸗ 
pflegſchaft erforderlich machen, daß Ungewißheit beſteht, 
ob ein Abweſender, der unbekannten Aufenthalts iſt, 
einen Erbfall erlebt hat. Entſcheidend iſt nach 8 1911 
BGB., deſſen ſonſtige Erforderniſſe vorausgeſetzt, viel⸗ 
mehr, ob eine Vermögensangelegenheit des Abweſenden 
der Fürſorge bedarf. Die Vorgerichte verneinen dies, 
weil ja die Sicherung des Nachlaſſes i. S. des 8 1960 
BOB. mit der Beſtellung eines Nachlaßpflegers ge⸗ 
ſchehen ſei. Nun kann zwar ein Abweſender ſchon 
dadurch genügend geſchützt ſein, daß ein Nachlaßpfleger 
ſeine Intereſſen wahrnimmt (BGB., Komm. v. Reichs⸗ 
gerichtsräten Bem. 3 zu 8 1911); aber durch das Vor⸗ 
handenſein eines Nachlaßpflegers allein iſt nicht jedes 
Bedürfnis einer Fürſorge durch einen Abweſenheits⸗ 
pfleger ausgeſchloſſen. Auch wenn der Nachlaß durch 
die Beſtellung eines Nachlaßpflegers geſichert iſt, kann 
um des Abweſenden ſelbſt willen die raſche Nachlaß⸗ 
auseinanderſetzung wünſchenswert ſein. Zur Ausein⸗ 
anderſetzung iſt aber der Nachlaßpfleger nicht berufen. 
Gleiches gilt nach der herrſchenden Anſicht von der 
Ausſtellung eines Erbſcheins. Gerade um die Aus⸗ 
einanderſetzung und die Ausſtellung eines Erbſcheins 
zu ermöglichen, will der Beſchwerdeführer die Ab: 
weſenheitspflegſchaft angeordnet haben und er begründet 
die Notwendigkeit der Auseinanderſetzung damit, daß 
durch ſie die Gefahr ferngehalten werden ſoll, die ſich 
aus dem längeren Ungeteiltſein des Nachlaſſes zumal 
im Hinblick auf die durch ein Aufgebotsverfahren nach 
8 965 ZPO. notwendige Verzögerung ergibt. (Beſchl. 
d. 1.35. vom 14. November 1913, Reg. III 82/1913). 
M* 


3168 


26 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


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II. 


Kann der ſtille Geſellſchafter der Zweigniederlaſſun 

eined Baukgeſchäfts das ihm zuſtehende Prüfungo rech 
durch einen bevollmächtigten deeidigten Bücherreviſer 
andüben laſſen? Erſtreckt fi das Recht anch auf die 
zwiſchen der Haupt: und Zweigniederlaſſung gewechselten 
Schriſtſtücke? (88 338, 118 HGB.; 8 716 BGB.). 
Gründe: Dem L. iſt darin beizutreten, daß der 
Antrag auf Zulaſſung eines Bevollmächtigten nicht 
gerechtfertigt iſt. Das dem ſtillen Geſellſchafter im 
8 338 Abſ. 3 HGB. eingeräumte Prüfungsrecht iſt wie 
in den Fällen des 8 716 BGB. und des 8 118 HGB. 
dem Geſellſchafter nur perſönlich gegeben. Seine Aus⸗ 
übung durch einen rechtsgeſchäftlich Bevollmächtigten 
iſt daher nur ausnahmsweiſe, zur Vermeidung grober 
Härten, dann zuläſſig, wenn es der Geſellſchafter nicht 
ſelbſt ausüben kann (Planck, 3. Aufl. Anm. 2 zu 8 716 
BGB., Staub, 9. Aufl. Anm. 3 zu 8 118 GB.). Diefe 
Vorausſetzung liegt hier nicht vor. Weder die vor⸗ 
ausſichtliche Dauer der Prüfung noch die Entfernung 
laſſen es unbillig erſcheinen, wenn dem Antragſteller 
die perſönliche Ausübung zugemutet wird. Es kann 
auch unbedenklich angenommen werden, daß der An⸗ 
tragſteller vermöge ſeines Berufs die zur Vornahme 
der Prüfung erforderlichen Geſchäftskenntniſſe beſitzt, 
zumal es ſich für ihn hauptſächlich nur um die Frage 
handelt, ob die Gegnerin bei Gewährung der be⸗ 
anſtandeten Kredite die im Verkehr erforderliche Sorg⸗ 
falt angewendet hat. Ueberdies wäre es ihm unbe⸗ 
nommen, im Bedarfsfalle die Zuziehung eines Sach⸗ 
verſtändigen anzuregen (RJ A. Bd. 6 S. 124). 


Anders verhält es ſich mit dem weiteren Verlangen 
des Antragſtellers. Die Antragsgegnerin will von der 
Vorlage allgemein alle Schriftſtücke ausſcheiden, die 
zwiſchen ihr und der Zentraldirektion gewechſelt wurden, 
weil fie innere, vertrauliche Angelegenheiten beträfen 
und ausſchließlich unter der Verfügung der Zentral⸗ 
direktion ſtänden. Dieſe Ausſcheidung iſt mit dem 
Weſen der Zweigniederlaſſung nicht vereinbar. Die 
Zweigniederlaſſung iſt dem Hauptgeſchäfte gegenüber 
wirtſchaftlich und rechneriſch ſelbſtändig. Sie kann 
mit dem Hauptgeſchäft in Geſchaftsverkehr treten und 
es in ihren Büchern als Gläubiger oder Schuldner 
buchen (vgl. Brendel in Gruch. Beitr. Bd. 33 S. 224). 
Wenn daher die Antragsgegnerin von dem Haupt- 
geſchäfte Gelder vorgeſtreckt erhält und hiefür Zinſen 
zahlt, fo hat fie dieſe Geſchäſte zu buchen und die hier⸗ 
über zwiſchen ihr und dem Hauptgeſchäfte gewechſelten 
Schriſtſtücke bilden einen Beſtandteil ihrer eigenen 
Buchführung. Anderſeits iſt die Zweigniederlaſſung 
trotz ihrer wirtſchaftlichen und rechneriſchen Selbſtändig⸗ 
keit auch dann von dem Geſchäftsherrn abhängig, wenn 
ſie, wie hier, nicht durch den Geſchäftsherrn ſelbſt, 
ſondern durch einen Geſchäftsführer betrieben wird, 
ſei es daß ſich der Geſchäftsherr allgemein Geſchäfte 
beſtimmter Art vorbehält oder daß er einzelne Ge⸗ 
ſchäfte der Zweigniederlaſſung ſelbſt erledigt (Brendel 
a. a. O. S. 222, Staub Anm. 5 zu 8 13 HGB.). In 
dieſen Fällen handelt der Geſchäftsherr nicht als Leiter 
des Hauptgeſchäfts ſondern als Leiter der Zweignieder⸗ 
laſſung und die hiebei zwiſchen ihm und der Zweig— 
niederlaſſung gewechſelten Schriftſtücke bilden wieder 
Beſtandteile der Buchführung der Zweigniederlaſſung. 
Wenn daher der Vorſtand der D. Bank ſelbſt und ſogar 
gegen den Willen des Betriebsleiters der Zweignieder— 
laſſung deren Kunden Kredit gewährt hat, ſo handelte 
er hiebei nicht für das Hauptgeſchäft, ſondern für die 
Zweigniederlaſſung; die hierüber zwiſchen ihm und 
dieſer gewechſelten Schriftſtücke zählen zu den Papieren 
der Zweigniederlaſſung. Die von der Antragsgegnerin 
vorgeſchützte Ausſcheidung iſt ſohin ſachlich unhaltbar. 
Sie ſteht aber auch im Widerſpruch mit dem Sinne 
des Geſetzes. Der ſtille Geſellſchafter hat nach 8 338 
HGB. das Recht auf Einſicht aller Bücher und Pa— 


—d 0•— ä ! ÜPu—&ñ; i ĩ—— — —-¼ — 33322 ů 3—;ĩ᷑ —ñʒ— — — 


die Anwendung des 8 


piere des Komplementars, in denen die Berhältniffe 
des Geſchäftes verzeichnet ſind. Ohne Einſicht der vor⸗ 
enthaltenen Schriftſtücke tft es ihm aber nicht möglich, ſich 
über die Geſchäftsverhältniſſe ſeines Komplementars 
genügende Aufklärung zu verſchaffen. Die Weigerung 
kommt ſohin in ihrer Wirkung der Verweigerung der 
Prüfung überhaupt 98802 und iſt daher ein „wichtiger 
Grund“ i. S. des 8 338 Abſ. 3 HGB. (Staub Anm. 6 
zu 8 166 HGB.). Als ſolcher könnte auch die ungünſtige 
Geſchäftslage im Zuſammenhalte mit den bedenklichen 
Kreditgewährungen gelten, fie würde aber für ſich allein 
338 Abſ. 3 nicht rechtfertigen, 
da in dieſer Richtung die Intereſſen des Antrags 
ſtellers durch die Ausübung des im Abſ. 1 gewährten 
ordentlichen Prüfungsrechts genügend gewahrt werden 
können. (Beſchl. des I. 35. vom 31. Oktober 1913, 
Reg. III 54/1913). W. 
3167 


III. 


Erbrecht des mit beſtimmten einzelnen Gegenständen 
Bedachten. Zaläſſigteit des gegenſtändlich beichräuften 
Erdſcheins. Prüfungerecht des 88A. hinſichtlich eines 
Erbſcheins. (BGB. 88 1922, 2032, 2087, 2369; GO. 8 36). 
Der Graf B. hat in einem eigenhändigen Teſtamente 
ſeinen Nachlaß erſchöpfend unter ſeine Gattin und ſeine 
Kinder ſo verteilt, daß er jedem beſtimmte Vermögens⸗ 
ſtücke zuwendete. Das A. betrachtete die einzelnen 
Bedachten hinſichtlich der ihnen zugewendeten Gegen⸗ 
ſtände als Alleinerben und ſtellte ihnen beſondere auf 
die zugewendeten Gegenſtände beſchränkte Erbſcheine aus. 
In dem der Witwe erteilten Erbſchein iſt bezeugt, daß 
das Anweſen Hs.⸗Nr. 11 auf fie übergegangen iſt. Die 
Witwe beantragte, ſie als Eigentümerin einzutragen, 
und legte den Erbfchein vor. Das GA. wies den 
Antrag zurück, weil ein beſchränkter Erbſchein nur in 
dem Sonderfalle des 8 2369 BGB. zuläſſig ſei. Die 
Beſchwerde wurde zurückgewieſen. Auch die weitere 
Beſchwerde blieb erfolglos. 


Gründe: 8 36 Abſ. 1 Satz 1 880. iſt nicht ver⸗ 
letzt. Dieſe Vorſchrift ſoll dem GBA. die Prüfung des 
Erbrechts erleichtern. Deshalb ſchreibt ſie vor, daß der 
Nachweis der Erbfolge durch den Erbſchein nicht bloß 
geführt werden kann, ſondern — bei geſetzlicher Erb⸗ 
folge — geführt werden muß. Sie ſagt aber nicht, 
daß der Erbſchein für das GBA. bindend iſt. Eine 
ſolche Beſtimmung iſt zur Erreichung des Zweckes 
nicht erforderlich und widerſpricht auch dem Weſen 
des Erbſcheins, der nicht ein Erbrecht ſchafft, ſondern 
es nur nachweiſt. Gibt der Inhalt des Erbſcheins zu 
Bedenken Anlaß oder liegen Tatſachen vor, die ihn 
als unrichtig erſcheinen laſſen, fo hat das GBA. die 
Pflicht, ſich über die Rechtslage zu vergewiſſern. Die 
Entſcheidungen des Kammergerichts (RJ A. Bd. 10 S. 64, 
Bd. 12 S. 63) ſtehen nicht entgegen; denn dort handelte 
es ſich um die zwiſchen dem GBA. und dem Nachlaß⸗ 
gericht ſtreitig gewordene Auslegung eines Teſtaments. 
während hier die Erteilung eines ſeinem Inhalte nach 
unzuläſſigen Erbſcheins in Frage ſteht. 

Allerdings kann der Anſicht des GBA. nicht bei⸗ 
getreten werden, daß ein beſchränkter Erbſchein nur 
in dem Sonderfalle des §S 2369 BGB. zuläſſig ſei (vgl. 
den Beſchluß vom 11. Februar 1913, Nr. 9/10 dieſes 
Jahrg. der Zeitſchrift S. 200). Mit Recht wurde aber 
das Verfahren des Nachlaßgerichts beanſtandet, weil 
es trotz der Annahme einer Mehrheit von Erben die 
einzelnen Bedachten für die ihnen zugewendeten Gegen— 
ſtünde als allein erbberechtigt behandelt und fo gegen 
den Begriff der Geſamtrechtsnachfolge i. S. der SS 1922, 
2032 BGB. verſtoßen hat. § 2087 Abſ. 2 BGB. ent⸗ 
hält keine Ausnahme. Zwar kann der Beſchwerde zu— 
gegeben werden, daß nach dieſer Vorſchrift auch ein 
Bedachter Erbe ſein kann, dem nur einzelne Gegen: 


fände zugewendet find. Trifft dies aber zu, dann iſt er 
nicht Sondernachfolger in die ihm zugewendeten Gegen⸗ 
ſtände, ſondern Geſamtrechtsnachfolger i. S. der 
88 1922, 2032. (Beſchl. des I. 35. v. 17. Okt. 1913, 
Reg. III 88/1913). W. 


3155 


B. Strafſachen. 
I. 


Wie iſt in dem Falle des 3 111 EIPO. zu verfahren? 
Wer iſt der Ber letzte? Einige bei mehreren Bauern 
eſtohlene Kupferkeſſel wurden von den Dieben zu 
Platten geſchlagen, an den Alteiſenhändler B. ver⸗ 
kauft, von der Gendarmerie beſchlagnahmt und auf 
Beranlaffung des Staatsanwalts beim Landgerichte 
verwahrt. Die Diebe wurden verurteilt, der als Helfer 
angeklagte B. freigeſprochen. Weder die Urteilsformel 
noch das Protokoll über die Hauptverhandlung 8 5 
eine Entſcheidung über die Hinausgabe des Kupfers 
(88 273, 274 StPO.); nur in den Gründen iſt aus⸗ 
geführt: „Bezüglich des beſchlagnahmten Kupfers hat 
der Staatsanwalt die Einziehung, der Angeklagte B. 
die Hinausgabe an ihn Bean Beides iſt nicht an⸗ 
gemeſſen. 340 StGB. trifft nicht zu; dagegen iſt ge⸗ 
mäß 8 111 StPO. dieſes geſtohlene Kupfer, an welchem 
B. gemäß 88 932, 935 BB. kein Eigentum erlangt 
hat, den Beſtohlenen von Amts wegen hinauszugeben, 
ohne daß es einer Verfügung bedarf.“ Der Staats⸗ 
anwalt ließ das Kupfer an die Gendarmerie zur Hinaus⸗ 
gabe an die Beſtohlenen ſchicken. Auf deren Bericht, 
daß das zur Unkenntlichkeit zerſchlagene Kupfer von 
den Beſtohlenen wohl nicht wieder erkannt werden 
würde, ſtellte der Staatsanwalt an die Strafkammer 
den Antrag, daß über das Kupfer Verfügung getroffen 
werde, und ſchlug vor, das Kupfer als Fundgegenſtand 
zu behandeln (JM Bl. 1899 S. 585). Die Strafkammer 
lehnte ab, weil nicht ſie, ſondern der Staatsanwalt 
zuſtändig ſei, abgeſehen hievon die Meinung der Gen⸗ 
darmerie unbegründet ſei. Der Beſchluß der Straf⸗ 
kammer wurde auf die Beſchwerde des Staatsanwalts 
aufgehoben; ſie wurde angewieſen, über die Hinausgabe 
des Kupſers nach 8 111 StPO. beſchlußmäßig zu ent⸗ 
ſcheiden und den Beſchluß den davon betroffenen Per⸗ 
ſonen (8 111 Abſ. 2 und 8 35 Abſ. 2 StPO.) durch 
Zuſtellung (8 36 StPO.) bekannt machen zu laſſen. 
Aus den Gründen: Die Strafkammer hatte 
und hat über die Hinausgabe des in ihre Verfügungs⸗ 
gewalt gekommenen Kupfers durch förmlichen Beſchluß 
zu entſcheiden (Löwe, Note 6 zu 8 111 StPO; JM Bl. 
1880 S. 473; Obs SSt. Bd. 3 S. 141, Bd. 5 S. 405). 
Ein ſolcher Beſchluß liegt nicht vor, es entbehren des⸗ 
halb die nach der Verkündung des Urteils von dem 
Staatsanwalt getroffenen Verfügungen, ſeine Anträge 
und die hierauf ergangenen Beſchlüſſe der Straſkammer 
der rechtlichen Grundlage; die Beſchlüſſe waren als 
nichtig aufzuheben (8 351 StPO.) Bei der Beſchluß⸗ 
faſſung wird die Strafkammer folgendes zu erwägen 
haben: Die nach 8 111 StPO. zuläſſige, richterliche 
Verfügung, „ift eine vorläufig den Beſitzſtand regelnde 
Entſcheidung“. Die endgültige Regelung der Eigentums⸗ 
oder ſonſtigen Rechte an den verwahrten Gegenſtänden 
bleibt bei dem Mangel einer gütlichen Einigung dem 
os überlaffen. Die bei einem Dritten in 
eſchlag genommenen Gegenſtände können nur mit 
deſſen ausdrücklicher Einwilligung dem Verletzten aus⸗ 
geantwortet werden, andernfalls müſſen ſie dem Dritten 
zurückgegeben werden. B. hat durch die Freiſprechung 
aufgehört, Beſchuldigter zu ſein; er iſt von da ab der 
Dritte, bei dem das Kupfer beſchlagnahmt worden iſt. 
Als Käufer des — wenn auch geſtohlenen — Kupfers 
iſt er deſſen Beſitzer geworden (88 854. 1006 BGB.). 
Das Kupfer könnte demnach nur mit Zuſtimmung des 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


27 


B. an die Beſtohlenen als die Verletzten hinausgegeben 
werden. In dem Antrage des B. auf Hinausgabe des 
Kupfers an ihn iſt ſein Widerſpruch gegen die Hinaus⸗ 
gabe an die Beſtohlenen enthalten; das Kupfer iſt mit⸗ 
hin an B. hinauszugeben, weil bei ihm als Beſitzer 
das Kupfer beſchlagnahmt worden war. Schließt ſich 
das LG. dieſen Erwägungen an, ſo wird es demgemäß 


beſchließen; es wird dann dafür zu ſorgen ſein, daß 


der Beſchluß den Beteiligten, wozu außer den Ver⸗ 
urteilten und dem B. auch die Beſtohlenen gehören 
werden, auf dem Wege des 8 36 StPO zugeſtellt und 
vollſtreckt wird; der Strafkammer bleibt unbenommen, 
den beteiligten Beſtohlenen eine Friſt zur Beibringung 
des Nachweiſes der die Rückgabe an B. hindernden 
Verfügung des Zivilrichters beizubringen (Löwe, Note 3 
zu 8111 StPO.) Durch einen ſolchen Beſchluß bleiben 
nach dem Abſ. 2 des 8 111 die Anſprüche der Beſtohlenen 
auf das Kupfer unberührt; hierüber haben ſie ſich mit 
B. auseinanderzuſetzen; der Strafkammer iſt ein Ein⸗ 
griff in die Beſitzrechte des B. nicht geſtattet. (Beſchl. 
v. 6. Oktober 1913, Beſchw.⸗Reg. Nr. 824/1913). Ed. 
3176 


II. 


Unter welchen Borandfchungen und zu welchem Zeit: 
punkt iſt der Beſchluß über Eutſchädigung für unſchuldig 
erlittene Unterfuchungshaft zu faſſen? Gegen den ver⸗ 
hafteten Angeklagten war das Hauptverfahren wegen 
eines Verbrechens des 1 eröffnet. Die Straf⸗ 
kammer nahm nur ein Vergehen nach 8 248 a StGB. 
an, ſtellte mangels Strafantrags das Verfahren ein 
und hob den Haftbefehl auf. Der Staatsanwalt legte 
die Reviſion ein; er ſtellte an den Vorſitzenden der 
Strafkammer den Antrag, daß über die Verpflichtung 
der Staatskaſſe zur Entſchädigung des Angeklagten für 
unſchuldig erlittene Unterſuchungshaft Beſchluß gefaßt 
werde. Der Vorfitzende lehnte ab, weil das Urteil 
noch nicht rechtskräftig ſei. Die Strafkammer, der der 
Staatsanwalt ſeinen Antrag zur Verbeſcheidung vor⸗ 
legte, erließ folgenden Beſchluß: „Die Verfügung des 
Vorſitzenden wird beſtätigt, weil auf die Reviſion des 
Staatsanwalts gegen das Urteil vom 13. September 
1913 dieſes Erkenntnis aufgehoben werden und eine 
andere Entſcheidung in der Sache ergehen könnte und 
damit ein Beſchluß über Entſchädigung für erlittene 
Unterſuchungshaft gegenſtandslos wäre.“ Der Staats⸗ 
anwalt legte gegen den Beſchluß die Beſchwerde ein. 
Sie wurde zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Nach dem klaren Wort⸗ 
laute des 8 4 Abſ. 1 des Geſ. vom 14. Juli 1904, betr. 
die Entſchädigung für unſchuldig erlittene Unterſuchungs⸗ 
haft, wornach „über die Verpflichtung der Staatskaſſe 
zur Entſchädigung von dem Gerichte gleichzeitig mit 
ſeinem den Verhafteten freiſprechenden Urteile durch 
beſonderen Beſchluß Beſtimmung zu treffen iſt“, war 
einerſeits der Vorſitzende zur Verbeſcheidung nicht zu⸗ 
ſtändig, anderſeits die Anſchauung der Strafkammer 
unzutreffend. Sind die Vorausſetzungen zur Erlaſſung 
eines 1 nach 8 4 gegeben, ſo hat das Gericht, 
das den Verhafteten freigeſprochen oder außer Ver⸗ 
folgung geſetzt hat, gleichzeitig mit dem Urteil oder 
dem Beſchluſſe, d. i. in unmittelbarem Anſchluß an 
das Urteil oder den Beſchluß — bei dem Urteile noch 
vor deſſen Verkündigung — durch beſonderen Beſchluß 
darüber Beſtimmung zu treffen, ob die Staatskaſſe 
zur Entſchädigung verpflichtet iſt oder nicht. Der Zweck 
der geſetzlichen Vorſchrift ſpringt in die Augen. Das 
Gericht, das über die Straftat des Verhafteten ſei es 
durch Urteil, ſei es durch Beſchluß, entſchieden hat, 
kann allein auf Grund des unmittelbaren Eindrucks 
der Hauptverhandlung oder des vorgetragenen Prozeß— 
ſtoffes ſachgemäß entſcheiden; durch die geſetzliche Vor⸗ 
ſchrift wird auch verhütet, daß in einem ſpäteren Zeit» 
punkte das Gericht nicht mehr mit den Richtern beſetzt 
werden kann, die den Verhafteten freigeſprochen oder 


28 


außer Verfolgung geſetzt haben. Daraus folgt auch, 
daß in unzuläſſiger Weiſe der Beſchluß der Straf⸗ 
kammer nicht von den fünf Richtern erlaſſen worden 
iſt, die das Urteil gefällt haben, ſondern von drei 
Richtern, unter denen ſich zwei Richter befinden, die 
bei dem Urteile nicht mitgewirkt haben (Burlage, Die 
Entſchädigung für unſchuldig erlittene Unterſuchungs⸗ 

aft, Anm. 11 zu 8 4 Abſ. 1 und 4 des Geſ. S. 81). 

bgeſehen davon kann die Strafkammer vor und bei 
der Verkündung des Urteils in der Regel gar nicht 
wiſſen, ob die Reviſion eingelegt wird. 

Der Antrag des Staatsanwalts muß aber aus einem 
anderen von der Strafkammer nicht beachteten Grunde 
zurückgewieſen werden. Nach 8 1 Abſ. 1 des Geſ. kann 
der Verhaftete entſchädigung aus der Staatskaſſe ver: 
langen, wenn er freigeſprochen oder durch Beſchluß 
außer F geſetzt iſt und das Strafverfahren 
ſeine Unſchuld ergeben oder dargetan hat, daß gegen 
ihn kein begründeter Verdacht vorliegt. Nach der Be⸗ 
une des Entwurfs (Verh. des Reichstags 1903/04 

. Anlageband, Aktenſtück 202) entſteht in den Fällen 
des 8 259 Abſ. 2 StPO., in denen zwar eine ſtraf⸗ 
würdige Tat ſeſtgeſtellt, die Strafverfolgung aber wegen 
mangelnden Strafantrags ausgeſchloſſen oder mit an⸗ 
deren Worten: der Verhaftete nicht freigeſprochen oder 
nicht außer Verfolgung geſetzt iſt, überhaupt kein Ent⸗ 
ſchädigungsanſpruch. Fehlt demnach ein freiſprechendes 
Urteil oder ein den Verhafteten außer Verfolgung 
ſetzender Beſchluß, fo beſteht auch kein Anlaß zu einem 
Beſchluſſe nach 8 4 Abſ. 1 und 4 (Burlage, Anm. 19 
S. 36 und Anm. 2 S. 78). Die Strafkammer hätte des⸗ 
halb den Antrag des Staatsanwalts zurückweiſen ſollen, 
weil der Angeklagte nicht freigeſprochen worden war. 
(Beſchl. v. 4. Nov. 1913, Beſchw.⸗Reg. Nr. 833/1913). 

3177 Ed. 


III. 


unterschied zwischen 5 367 Nr. 15 StS. und 
Art. 101 P Sts.; was verſteht man unter heizbarem 
Zimmer i. S. der Bauerdunng ? Der Angeklagte ließ 
in G. ein einſtöckiges Wohnhaus erbauen. Das Be⸗ 
zirksamt genehmigte das Baugeſuch unter Hinweis auf 
die im Plane vermerkte Reviſionserinnerung: „Ueber 
dem Kehlgebälk im Speicherraum ſind heizbare Lokale 
unterſagt (8 34 Abſ. III BauO.).“ Der Angeklagte 
wurde wegen einer Uebertretung nach 8 367 Nr. 15 
StGB. verurteilt, weil er im Speicherraum feines 
Wohnhauſes ein heizbares Lokal ohne baupolizeiliche 
Genehmigung und mit eigenmächtiger Abweichung vom 
Bauplan habe herſtellen laſſen. Seine Reviſion wurde 
verworfen. 

Aus den Gründen: Bei Genehmigung der Bau⸗ 
geſuche ſollen die beſonderen Anordnungen nach 8 71 
BauO. deutlich in die Pläne eingezeichnet und durch 
ausdrückliche Aufnahme in die Ausfertigung der Ges 
nehmigung dem Bauunternehmer kundgegeben werden. 
Unzuläſſig find Einzelanordnungen, die in keiner geſetz⸗ 
lichen Beſtimmung ihre Grundlage haben. Hierüber 
ſteht dem Strafrichter ein Prüfungsrecht zu, wie ſich 
aus Art. 15 PStGBB. und aus allgemeinen Rechts⸗ 
grundſätzen ergibt (vgl. ObL SSt. Bd. 10 S. 333 und 
Bd. 11 S. 99). Die in der BauO. felbft enthaltenen 
Vorſchriften ſind ohne beſondere Kundgabe verbindlich 
und bei Strafe zu befolgen. Gewiſſe Beſtimmungen 
der BauO. enthalten zwingendes Recht und zu dieſen 
gehört $ 34 Abſ. 3, nach dem die Herſtellung von Dach⸗— 
wohnungen oder einzelnen heizbaren Räumen über dem 
Kehlgebälk unterſagt iſt. Von der Einhaltung dieſer 
Vorſchrift kann nur die Kreisregierung bei ganz be— 
fonderen Verhältniſſen nach 8 65 Abſ. 2 BauO. be⸗ 
freien. Deshalb iſt der Bauunternehmer an ſich ver— 
pflichtet, die Vorſchrift des §8 34 Abſ. 3 Baud. zu be⸗ 
folgen; inſoweit hat ihm alſo die Diſtriktspolizeibehörde 
nur eine ſich aus der BauO. ſelbſt ergebende recht⸗ 
lich bedeutungsloſe Verpflichtung auferlegt. Da keine 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


eigenmächtige Abweichung von dem genehmigten Bau⸗ 
plane vorliegt, iſt nicht eine Uebertretung nach 8 367 
Nr. 15 StGB., ſondern der Tatbeſtand des Art. 101 
P StGB. gegeben, weil eine Verfehlung gegen 8 34 
Abſ. 3 der BauO. vorliegt. 

Was unter einem heizbaren Raume zu verſtehen 
ſei, erläutert die BauO. nicht. Die Auffaſſung, daß 
ein heizbarer Raum nur ein wirklich mit Heizvor⸗ 
richtungen verſehener Raum ſei, iſt zu enge und wird 
den Verhältniſſen nicht gerecht. Es muß vielmehr ge⸗ 
nügen, wenn der Berechtigte einen Raum dazu be⸗ 
ſtimmt, geheizt zu werden, und wenn er gleichzeitig 
bauliche Veranſtaltungen trifft, die den Raum zu dieſem 
Zweck geeignet machen. In dieſer Hinſicht iſt feſt⸗ 
geſtellt, daß der Angeklagte das Dachzimmer in Schwemm⸗ 
ſteinmauerwerk einbauen und in dem durch das Zimmer 
aufwärts führenden Kamin eine Oeffnung für einen 
ſpäter anzuſchließenden Ofen anbringen ließ, ſo daß 
alſo die Heizungsanlage jederzeit hergeſtellt und in 
Betrieb geſetzt werden konnte. Dieſe Feſtſtellung recht⸗ 
fertigt den Schluß, daß ein heizbarer Raum hergeſtellt 
wurde. (Urt. v. 4. Nov. 1913, Rev.⸗Reg. Nr. en) 

3175 


Landgericht Eichſtätt. 


Kann im Mahnverſahren der Anſpruch auf Duldung 
der Zwangs vollſtreckung in das eingebrachte Gut geltend 
gemacht werden? Ein Geſuch um Zahlungsbefehl, ge⸗ 
richtet gegen einen Ehemann auf Duldung der Zwangs⸗ 
vollſtreckung in das eingebrachte Gut (8 739 3p O.), 
wurde koſtenfällig zurückgewieſen, weil ein ſolcher An⸗ 
ſpruch nicht im Mahnverfahren verfolgt werden könne. 
Da die Entſcheidung in der Hauptſache gemäß $ 691 
Abſ. III ZPO. nicht angeſochten werden konnte, fo blieb 
nur die Möglichkeit, den Koſtenausſpruch der Verfügung 
wegen unrichtiger Entſcheidung in der Hauptſache 
(8 6 GKG.) zu befeitigen. Eine Erinnerung mit dem 
Antrage auf Niederſchlagung der Koſten (§ 4 Abſ. I 
GKG.) blieb erfolglos. Auf Beſchwerde gemäß 8 4 
Abſ. II GKG. wurden die Koſten wegen unrichtiger Be⸗ 
handlung der Sache (8 6 GKG.) niedergeſchlagen und 
gef über die Zuläſſigkeit des Mahnverfahrens aus: 
geführt: 

„Nach dem Wortlaute des 8 688 ZPO. muß aller⸗ 
dings an ſich der den Gegenſtand des Zahlungsbefehls 
bildende Anſpruch wie beim Urkundenprozeſſe auf 
gahlung’ einer beſtimmten Geldſumme oder auf die 

eiſtung einer beſtimmten Menge anderer vertretbarer 
Sachen gerichtet ſein; Anſprüche auf Leiſtung anderer 
Gegenſtände oder auf ein Tun oder Nichttun irgend⸗ 
welcher Art eignen ſich nicht für das Mahnverfahren. 
Hievon macht jedoch das Geſetz in dem durch die No⸗ 
velle von 1898 eingefügten Satz 2 eine Ausnahme zu⸗ 
gunſten der Anſprüche auf Kapital, Zinſen und Nebens 
leiſtungen aus einer Hypothek, sun oder Renten⸗ 
ſchuld i. S. der 88 1113, 1147, 1191 und 1199 BGB. 
Die Gründe, die zu dieſer Ausnahme führten, treffen 
auch zu, wenn nur die Duldung der Zwangsvoll⸗— 
ſtreckung in das eingebrachte Gut der Ehefrau begehrt 
wird. Denn dieſer Anſpruch iſt nur eine Ergänzung 
des gegen die Ehefrau erhobenen Hauptanſpruchs; 
ohne ihn könnte der Hauptanſpruch ſelbſt keinen vollen 
Erfolg haben. Daraus ergibt ſich die Zuläſſigkeit des 
Mahnverfahrens, wie auch des Urkunden und Wechſel— 
prozeſſes für den Anſpruch gegen den Mann auf Duls 
dung der Zwangsvollſtreckung in das eingebrachte Gut 
der Ehefrau, ſofern ſich nur der Hauptanſpruch zum 
Mahnverfahren eignet.“) (Beſchl. v. 26. Sept. 1913). 

3178 Mitgetellt von Rechtsanwalt Dr. Buff in München. 


1) llebereinſtimmend: Seuffert, ZRO. 11. Aufl. Bem. 26 4 zu 
§ 739 3D. 


Aus der Rechtſprechung 
des Gerichtshofs für Kompetenzkouflikte. 


Rechtliche Figenſchaft einer Fährgerechtigkeit und 
der dem Berechtigten gebührenden Neichniſſe. Zuſtändig⸗ 
keit der Gerichte, wenn Über die Neichnispflicht geſtritten 
wird. Die Ortſchaft und die Kirchenſtiftung B. üben 
gemeinſchaftlich das Recht der Ueberfahrt über den 
Main aus; die Ortſchaft hat einen Anteil von ½, die 
Kirchenſtiftung einen Anteil von ¼. Nach der Be⸗ 
hauptung der in haben die Bewohner 
der 7 „ U., S. und T. das Recht auf freie 
Ueberfahrt, aber als Entgelt ein jährliches nach den 
Beſitzverhältniſſen abgeſtuftes Korn⸗ oder Geldreichnis 
zu entrichten. Die ron ruhe als deutſchrecht⸗ 
liche Reallaſt auf der Ortsmarkung der einzelnen Ort⸗ 
ſchaften und erſtrecke ſich auf alle Ortsbewohner mit 
oder ohne Grundbeſitz. Als einige Einwohner von S. 
die Reichniſſe nicht mehr entrichteten, wurde bei ihnen 
auf Grund eines von der Gemeindeverwaltung B. für 
vollſtreckbar erkärten Ausſtandsverzeichniſſes gepfändet. 
Die Schuldner erhoben Einwendungen zum Bezirksamt. 
Dieſes erklärte ſich für unzuſtändig. Später erhoben 
die Ortſchaft und die Kirchenſtiftung B. gegen die 
ſäumigen Schuldner Klage auf Leiſtung der rückſtändigen 
Reichniffe. Das AG. gab ihr ſtatt, das LG. wies fie ab, 
weil das zugrundeliegende Rechtsverhältnis öffentlich⸗ 
rechtlich ſei und über die Abgabenpflicht die Berwaltungs⸗ 
behörden zu entſcheiden hätten. Der Gerichtshof für 
Kompetenzkonflikte, den die Ortſchaft und die Kirchen⸗ 
ſtiftung B. angingen, erklärte die Gerichte für zuſtändig. 

Aus den Gründen: Die Anſprüche gehören 
dem bürgerlichen Rechte an, wenn der Tatbeſtand, aus 
dem ſie abgeleitet werden, nach der Darlegung der 
Kläger geeignet iſt, ein bürgerlich⸗rechtliches Verhält⸗ 
nis zu bilden. Das trifft hier zu. Die Antragſteller 
behaupten nicht, daß ſie den Fährbetrieb in ihrer Eigen⸗ 
ſchaft als Kirchenſtiftung und als Ortſchaft auf Grund 
eines öffentlichen Rechts ausüben: das wäre auch bei 
der Kirchenſtiftung nach dem bayeriſchen Verwaltungs⸗ 
rechte geradezu ausgeſchloſſen. Sie ſtützen ſich auf ein 
Recht, das fie als Träger bürgerlich rechtlicher Ver⸗ 
mögensrechte von Privatperſonen erworben haben 
wollen, das alſo ſchon vor dem Erwerb Gegenſtand 
des bürgerlichen Rechtsverkehrs geweſen ſein ſoll. Hier⸗ 
nach behaupten die Antragſteller den Tatbeſtand eines 
bürgerlichen Rechtsverhältniſſes. Dieſer Annahme ſtehen 
rechtliche Bedenken nicht entgegen. Zwar iſt der Main 
ein öffentlicher Fluß und gehören nach gemeinem deutſchen 
Rechte die Fährgerechtigkeiten auf den öffentlichen Flüſſen 
zu den niederen Regalien. Pen wurden aber nicht 
als unveräußerliche ſtaatliche Hoheitsrechte ſondern als 
fiskaliſche Rechte angeſehen, die durch Uebertragung 
an Private Gegenſtand eines bürgerlichen Rechtes werden 
konnten (vgl. JW. 1910 S. 616 Nr. 7, VGH. Bd. 13 S. 65, 
Seuff Bl. Bd. 59 S. 409, Bd. 64 S. 453). 

Hat ſohin das von den Antragſtellern behauptete 
Rechtsverhältnis nach ihrer Darlegung als ein bürger⸗ 
lich⸗ rechtliches Verhältnis zu gelten, fo erfaßt dieſes 
begriffsmäßig auch die Regelung der Rechtsbeziehungen 
der Beteiligten zueinander und die ſich daraus ergeben⸗ 
den Rechtsfolgen. Ob die Kläger auf Grund der nach 
ihrem Vorbringen auf der Ortsmarkung ruhenden Real⸗ 
laſt das Recht haben, von ſämtlichen Ortsbewohnern 
mit oder ohne Grundbeſitz die Fährabgabe zu ver⸗ 
langen, iſt eine Frage, die zum Grunde der Sache gehört 
und für den Erfolg, nicht aber für die Zuläſſigkeit der 
Klage von Bedeutung iſt. Zu Unrecht folgert daher 
das LG. aus der Tatſache, daß die Kläger die Abgabe 
auch von Perſonen forderten, die keinen Grundbeſitz 
haben, die Pflicht zur Leiſtung der Reichniſſe beruhte 
auf dem Gemeindeverbande. Kommt das LG. zu der 
ih daß die Anſprüche ganz oder teilweiſe 
rechtlich nicht begründet ſind, die von den Antrag⸗ 


- 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


29 


ſtellern aus dem von ihnen behaupteten bürgerlich⸗ 
rechtlichen Rechtsverhältnis abgeleitet werden, ſo ſind 
ſie eben inſoweit als unbegründet abzuweiſen. Uebrigens 
geht das LE. ſchon deshalb fehl, weil es nicht das 
ganze Forderungsverhältnis ſondern nur die Seite des 
Schuldners betrachtet. Die öffentlich⸗rechtliche Pflicht 
des Schuldners ſetzt aber die öffentlich⸗rechtliche Be⸗ 
rechtigung des Gläubigers voraus. Zwiſchen der 
Kirchenſtiftung und der Ortſchaft B. einerſeits und der 
Ortſchaft S. anderſeits beſteht aber kein öffentlich⸗ 
rechtlicher Verband, der das Schuld⸗ und Forderungs⸗ 
verhältnis herſtellen könnte. Die Klaganſprüche könnten 
ſohin in keinem Falle aus dem Gemeindeverbande her⸗ 
geleitet werden (Urt. vom 26. November 1913). 

4181 


ee ne (9° 


Bücheranzeigen. 


Güthe, Dr. Georg, Kammergerichtsrat. Die Grund⸗ 
buchordnung fürdas Deutſche Reich und die 
preußiſchen Ausführungsbeſtimmungen. 1.2. Band. 
XLV, 2012 Seiten. Berlin 1913, Franz Vahlen. Geh. 
Mk. 46. —; geb. Mk. 52. —. 

Wie es Menſchen gibt, die beim Eintritt in das 
ſchaffende Leben keiner Führung und keiner Empfehlung 
bedürfen, ohne Stütze ſich einen Platz an der Sonne 
verſchaffen und hier von Stufe zu Stufe ſteigen, ſo 
gibt es auch Bücher, die nach dem erſten Erſcheinen all⸗ 
gemein ohne weiteres als vollwertig erkannt und ge⸗ 
würdigt werden und den Markt beherrſchen. Zu dieſen 
Büchern zählt Güthe's Kommentar, der ſchon in ſeiner 
1. Auflage im Jahre 1905 die Führung in der grund⸗ 
buchrechtlichen Literatur übernommen und in nicht 
ganz acht Jahren die 3. Auflage erlebt hat. Das Buch 
ruht auf einer gediegenen wiſſenſchaftlichen Unterlage, 
iſt aber auch auf einem reichen Schatze praktiſchen Er⸗ 
fahrungen aufgebaut und läßt keinen Zweifel darüber, 
daß ſein Verfaſſer, der inzwiſchen vom Amtsrichter 
zum Kammergerichtsrat und von hier zum vor⸗ 
tragenden Rat im Preußiſchen Juſtizminiſterium vor⸗ 
gerückt iſt, ein ausgezeichneter Kenner des Grundbuch⸗ 
rechts iſt, aber auch ein ausgezeichneter Grundbuch⸗ 
richter war, der gerade dieſem Zweige ſeiner dienſt⸗ 
lichen Tätigkeit nicht nur mit pflichtgemäßem Intereſſe, 
ſondern mit einem warm empfindenden Herzen gegen⸗ 
überſtand. 

Das Buch berückſichtigt zunächſt nur preußiſche Ver⸗ 
hältniſſe, iſt jedoch ſchon längſt im ganzen Reichsge⸗ 
gebiet im Gebrauch und erfreut ſich namentlich auch 
bei uns in Bayern außergewöhnlicher Beliebtheit. An 
den eigentlichen Kommentar zur Grundbuchordnung 
ſchließt ſich ein vortrefflicher Kommentar zum preuß. 
Ausführungsgeſetz z. GBO. an, darauf folgen miniſte⸗ 
rielle Vorſchriften und ſchließlich ein „alphabetiſches 
Verzeichnis der Legitimationsfragen nebſt einer Ueber⸗ 
ſicht über die dinglichen Rechte“. In dieſem Schluß⸗ 
abſchnitte find die dem Grundbuchrichter häufig ent⸗ 
gegentretenden Fragen nach der Rechtsfähigkeit, der 
Geſchäftsfähigkeit, der Vertretungsbefugnis und der Ver⸗ 
fügungsberechtigung alphabetiſch umfaſſend und er⸗ 
ſchöpfend dargeſtellt. Außerdem ſind kleinere oder größere 
Abhandlungen über die einzelnen dinglichen Rechte 
eingefügt, die über den neueſten Stand der Rechtſpre⸗ 
chung und der Literatur zuverläſſig Aufſchluß geben 
und nach Inhalt und Form geradezu Meiſterſtücke ſind. 

Es kann ſelbſtverſtändlich im Rahmen dieſer Be⸗ 
ſprechung auf den Inhalt des Buches in ſachlicher Hinſicht 
nicht näher eingegangen werden; nur über eine Frage 
kann ich nicht mit Stillſchweigen hinweggehen. In 
Nr. 13 S. 117 des laufenden Jahrgangs dieſer Zeit— 
ſchrift habe ich die von Güthe in der 2. Auflage ſeines 
Kommentars zu 83 GBO vertretene, nun in der 3. Auf⸗ 


30 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


lage in Anmerkung 21 wiederkehrende Anſicht bekämpft, 


Im übrigen verweiſe ich auf meine Beſprechung 


daß für Miteigentumsanteile ein Grundbuchblatt nicht des Buches in der Zeitſchr. f. Kol onialrecht 1913 S. 292 f. 


angelegt werden dürfe und daß es auch unzuläſſig ſei, 
Miteigentumsanteile einem Grundſtück als Beſtandteile 


zuzuſchreiben. Zu meinem lebhaften Bedauern konnte 
Güthe meine Gründe in der neuen Auflage ſeines 
Kommentars nicht mehr würdigen; meine Ausführungen 
ſind nur in dem Nachtrag erwähnt. Ich will aber 
die Hoffnung nicht aufgeben, daß Güthe in der nächſten 


Auflage ſeine Anſicht revidiert und ſchließlich der von 


uns in Bayern allgemein, insbeſondere auch in unſerer 
Dienſtanweiſung vertretenen Anſicht, der ſich notge⸗ 
drungen nun auch die Württembergifche Juſtizverwal⸗ 
tung angeſchloſſen hat, endgültig zum Siege verhilft. 

Miniſterialrat H. Schmitt im Juſtizminiſterium zu München. 


Alsberg, Dr. Max, Rechtsanwalt in Berlin, Juſti z⸗ 
irrtum und Wiederaufnahme. Berlin 1913, 
Dr. P. Langenſcheidt. Broſch. Mk. 9.—. 


Alsberg iſt nicht der erſte, der die Irrtumsgefahren 
und Fehlerquellen ſtrafrichterlicher Urteilsfindung be⸗ 
leuchtet. Vor zwei Jahren hat Juſtizrat Sello ſeine 
„Irrtümer der Strafjuſtiz und ihre Urſachen“ ver⸗ 
öffentlicht. Beide Werke unterſcheiden ſich aber in der 
Hauptſache darin, daß Sello vornehmlich den kriminal⸗ 
pſychologiſchen und Alsberg den prozeßtechniſchen 
Fehlerquellen nachgeht. Was Alsberg hier bietet, iſt 

ewiß nicht neu; aber in ſo überzeugender Anſchaulich⸗ 
eit iſt bisher die Ueberſpannung an ſich berechtigter 
Prozeßgrundſätze nicht dargetan worden. Das gilt 
vor allem für den Grundſatz der Mündlichkeit des Ver⸗ 
fahrens mit der Konzentration der Hauptverhandlung 
und ihren nur beſchränkt nachprüfbaren Zufallsergeb⸗ 
niſſen. Allerdings hält ſich Verfaſſer nicht immer von 
der Einſeitigkeit und Uebertreibung frei, in die Ver⸗ 
teidiger vermöge ihrer Parteiſtellungnahme gewöhnlich 
verfallen; das iſt namentlich e nicht unbedenk⸗ 
lich, als Laien, an die er ſich ebenfalls wendet, leicht 
zu falſchen Schlüſſen gelangen. Bei ſeinen Ausführungen 
könnte man z. B. faſt meinen, als ob bei uns Tag für 
Tag ſo und ſo viele Unſchuldige der Juſtiz zum Opfer 
fallen. Die Verurteilung eines einzigen wirklich Un⸗ 
ſchuldigen iſt freilich ſchon ein überaus bedauerns⸗ 
wertes Ereignis; eine ſolche Verurteilung iſt aber doch 
glücklicherweiſe bei uns eine Seltenheit, am eheſten 
noch bei den ſog. Volksrichtern, insbeſ. beim Schwur⸗ 
gericht in ſeiner dermaligen Verfaſſung, möglich. Die 
Vorwürfe des Verfaſſers gegen die Strafverfolgungs⸗ 
behörden halte ich in ihrer Allgemeinheit nicht für 
berechtigt, fo tadelnswert auch das Verhalten vieler 
Staatsanwälte iſt, die im Beſchuldigten ſchon den 
Schuldigen erblicken, tunlichſt den für den Beſchuldigten 
ungünſtigſten Standpunkt einnehmen und alle zweifel⸗ 
haften Falle lieber vor den Richter bringen, ſtatt das 
Verfahren (nach dem auch für den Staatsanwalt gels 
tenden Satz in dubio pro reo) unter eigener Verant- 
wortung pflichtgemäß einzuſtellen. Auf dieſe Weiſe hat 
die Rechtſprechung manchen ſtrafgeſetzlichen Beſtim⸗ 
mungen allmählich eine vom Geſetzgeber nicht gewollte 
Wirkung beigelegt. Schließlich darf ich nicht ver⸗ 
ſchweigen, daß ich bezüglich der von den damit befaßt 
geweſenen Verteidigern ausführlich mitgeteilten Fälle 
von Verurteilung Unſchuldiger den Eindruck habe, als 
ob die Schilderung bisweilen nicht ganz ſachlich und 
aktenmäßig ſei. All das hindert mich aber nicht, die 
Vorzüge des Alsbergſchen Buches und ſeines Strebens 
nach Befreiung der Wiederaufnahme von den ihr auf— 
erlegten Feſſeln anzuerkennen (vgl. auch Recht 1913 
S. 306); wer etwas erreichen und durchſetzen will, muß 
unter Umſtänden gelegentlich übertreiben. Der Bers 
teidiger Alsberg iſt hier zum Ankläger unſeres heutigen 
Strafprozeſſes geworden, und Ankläger halten ſich 
auch nicht immer von Uebertreibungen und Einſeitig— 
keiten frei. 


— ä— — —— — ͤRb-—— ͤ u 


— — — ä — . — 


und die Tatſache, daß im Kolonialprozeß manche der 
Alsbergſchen Forderungen längſt verwirklicht find. 
München. Dr. Doerr. 


Haaß, Dr. Fr., Weltpoſtverein und Einheits⸗ 
porto (Welt⸗Pennyporto). VIII, 174 S. mit 4 Ta⸗ 
bellen und 1 Titelbild. Stuttgart 1913, W. Kohl⸗ 
hammer. Mk. 3.—; geb. Mk. 4.—. 


Der Verfaſſer behandelt in den erſten zwei Teilen 
die Geſchichte und die Aufgaben des Weltpoſtvereins 
und die Entwicklung des Briefpoſtportos in Deutſchland. 
Im dritten Teil verſucht er die Notwendigkeit und Nütz⸗ 
lichkeit des Weltpennyportos darzulegen, alſo der Er⸗ 
mäßigung des Auslandsbriefportos auf 10 Pfennig. 
Dieſe Frage hat ſchon vor Jahren in erſchöpſender Weiſe 
Arved Jürgenſohn behandelt (Weltportoreform, das 
nahende Weltpennyporto in neuer Beleuchtung, Berlin 
1909,10). Haaß führt als Gründe für die Ermäßigung 
an, daß die Finanzen faſt aller Weltpoſtvereinsländer 
(fol heißen: aller Verwaltungen der Weltpoſtvereins⸗ 
länder) „glänzend“ ſeien und daß die hohen Einnahmen 
der Poſtverwaltungen hauptſächlich von der Briefpoſt 
herrührten, alſo auch wieder teilweiſe für die „Brief⸗ 
ſchreiber“ verwendet werden ſollten. Zu gleicher Zeit 
befürwortet der Verfaſſer, ein Württembergiſcher Poſt⸗ 
beamter, „zum Ausgleich für etwaige Abmängel“ eine 
Erhöhung des Paketpoſttarifes, ſowie der Gebühren 
für Telegramme und Zeitungen. Denn dieſe Geſchäfts⸗ 
zweige ſeien unrentabel. Der Verfaſſer überſieht da vor 
allem, daß das Briefpoſtporto doch nur zum geringſten 
Teil für Briefe ins Ausland gezahlt wird, daß alſo 
die Leute, die durch die Erhöhung der Tarife für Paket⸗ 
poſt uſw. gefhädigt werden, nur zum kleinſten Teil 
durch die Auslandsportoermäßigung ſchadlos gehalten 
werden. Im übrigen wird eine derartige Ermäßigung 
des Auslandsportos für längere Zeit bei allen Poſt⸗ 
verwaltungen Mehrausgaben und Mindereinnahmen 
von Millionen zur Folge haben. Denn die zweifellos 
ſofort einſetzende Steigerung des Verkehrs wird zunächſt 
erhebliche Ausgaben für Perſonal, für Tranfitgebühren 
erfordern, während ſich ein Ausgleich durch erhöhte 
Einnahmen erſt im Laufe der Jahre einſtellt. So hat 
die engliſche Poſtverwaltung infolge des im Jahre 
1908/9 eingeführten Pennyportos im Verkehre mit 
Nordamerika heute noch einen jährlichen Ausfall von 
123 000 Pfd. Sterl. Die Reichspoſtverwaltung wird 
daher ſchwerlich auf dem nächſten Weltpoſtkongreß die 
Einführung des Weltpennyportos beantragen oder be⸗ 
gutachten, wie der Verfaſſer hofft. Dabei ſoll nicht be⸗ 
ſtritten werden, daß die Gebühren der deutſchen Poſt⸗ 
verwaltungen in verſchiedener Richtung einer Nach⸗ 
prüfung bedürfen und daß das 10 Pfennig⸗Weltporto 
im Laufe der Zeiten kommen wird. 

In der Anmerkung auf Seite 68/69 iſt geſagt, daß 
in Frankreich nach dem Geſetze vom 5. nivöse an. V die 
Haftpflicht der Poſtverwaltung für einen gewöhnlichen 
Brief nur in dem Falle ausgeſchloſſen ſei, daß der Verluſt 
oder die Beſchädigung „ohne Abſicht“ erfolgt ſei. Dies 
iſt unrichtig. Keine Poſtverwaltung des Weltpoſtvereins 
haftet für Verluſt oder Beſchädigung eines gewöhnlichen 
Briefes. 

Regensburg. 


Helmelts Weltgeſchichte. Zweite, neu bearbeitete und 
vermehrte Auflage, herausgegeben von Dr. Armin 
Tille. Mit etwa 1000 Abbildungen im Text, 400 Ta⸗ 
feln in Farbendruck, Aetzung und Holzſchnitt ſowie 
100 Karten. Verlag des Bibliographiſchen Inſtitutes 
. Bände in Halbleder gebunden zu je 


Wenn auch heute dem Juriſten mit Recht die wirt⸗ 


Oberpoſtinſpektor Korzendorfer. 


ſchaftlichen Vorgänge der Gegenwart das Wichtigſte 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


ſind, ſo darf er doch ſich dadurch nicht abhalten laſſen, 
allenthalben die geſchichtliche Entwicklung feſtzuſtellen. 
Es iſt nötig, das zu betonen. Darum darf auch dem 
Juriſten, der auf der Höhe bleiben und ſich den Ueber⸗ 
blick bewahren will, das Studium der oben angeführten 
neuen Auflage von Helmolts Weltgeſchichte empfohlen 
werden. Denn die Beſonderheit dieſer, nebenbei be⸗ 
merkt, auch in einer engliſchen Ausgabe und ruſſiſchen 
Ueberſetzung verbreiteten Weltgeſchichte beſteht darin, 
daß ſie ſich nicht mit der ſonſt üblichen hiſtoriſchen 
Darlegung von Geſchehniſſen vom europäozentriſchen 
Standpunkt aus begnügt, ſondern auf den Spuren von 
J. G. Eichhorn, Karl Ritter und vor allem Friedrich 
Ratzel die geographiſche Anordnung und die ethno⸗ 
geographiſche Betrachtungsweiſe wählt. Helmolt ver⸗ 
wertete die geographiſche Anordnung nicht bloß in 
der Schilderung von Volksgeſchichten, ſondern auch 
in der Kennzeichnung von Kulturkreiſen und überhaupt 
von wechſelſeitiger Beeinfluſſung der Völker. Darum 
beſchränkt ſich ſeine Weltgeſchichte nicht auf die ſog. 
Kulturvölker; fie ergreift auch die auf relativ niedriger 
Stufe 5 gebliebenen Völker, die untergegangenen 
wie die heute noch vorhandenen. So iſt die Welt⸗ 
geſchichte eine auf Geographie und Ethnographie auf⸗ 
gebaute Kulturgeſchichte. 

Danach genügt es wohl, noch zu erwähnen: der 
1. Band der neuen Auflage bietet nach einem Ueber⸗ 
blick über die Geſchichte der Weltgeſchichtsſchreibung 
von dem neuen Herausgeber Dr. Armin Tille eine mit 
Freuden zu begrüßende Urgeſchichte der Menſchheit von 
dem Münchener Geheimrat Dr. Johannes Ranke und 
ſodann aus der Feder der berufenſten Sachkenner, 
jedoch aus dem oben entwickelten einheitlichen Geiſte 
nach annähernd gleichen, formell beſtimmten Grund⸗ 
ſätzen, eine bis zur Neuzeit fortgeführte Geſchichte der 
oſtaſtatiſchen Reiche, einſchließlich Hochaſiens und Si⸗ 
biriens und Indoaſiens, und endlich einen Ueberblick 
über die geſchichtliche Bedeutung des indiſchen Ozeans. 

Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Schaefer, Dr. H., Allgemeine gerichtliche Pſy⸗ 
chiatrie für Juriſten, Mediziner, Pädagogen. Zweite, 
vermehrte Auflage. 271 S. Berlin 1914, Ernſt Hof⸗ 
mann & Co. Mk. 3.—. 


Von dem im Jahrgang 1910 S. 222 f. dieſer Zeit⸗ 
ſchrift und in Krit BI Schr. für Geſetzgebung und Rechts⸗ 
wiſſenſchaft Bd. 50 S. 170 f. beſprochenen Buch iſt 
ſoeben die in der Hauptſache, auch in der Anordnung 
und Behandlung des Stoffes unverändert gebliebene 
Neuauflage erſchienen. Hinzugekommen ſind bloß die 
Abſchnitte über Halbwachzuſtand und pathologiſche 
Rauſchzuſtände (S. 154 ff., 167 ff.), wodurch der Um⸗ 
fang des Buches, das leider immer noch des Sachre⸗ 
giſters entbehrt, um 15 Seiten gewachſen iſt. Einer 
dritten Auflage wäre eine ſorgfältigere Durchſicht zu 
1 S. 265 iſt das Datum 28. Juli 1908 richtig 
zu ſtellen. 


München. Dr. Doerr. 


Foerſter, Fr. W., Profeſſor der Pädagogik an der Uni: 
verſität Wien (künftig in München), Strafe und 
Erziehung. Vortrag, gehalten auf dem Dritten 
deutſchen Jugendgerichtstag in Frankfurt a. M. 
Zweiter, unveränderter Abdruck. 41 S. München 1913, 
C. H. Beck'ſche Verlagsbuchhandlung. 


Die Schrift iſt der im weſentlichen unveränderte 


Abdruck des vom Verfaſſer auf dem Jugendgerichts⸗ 


tage zu Frankfurt a. M. im Oktober 1912 gehaltenen 
Referats. Da das pädagogiſch⸗juriſtiſche Thema weite 
Kreiſe beſchäftigt, will ſie Verfaſſer auf gefährliche Ein⸗ 
ſeitigkeiten und Unzulänglichkeiten in der neueren Praxis 
gegenüber jugendlichen Delinquenten aufmerkſam 


— . — ͤ ö ũ— ——— ¹2w2— — ——— ——— ——— —— 


machen. Seine Grundanſchauungen hat er in ſeinem 
Buche „Schuld und Sühne“ (vgl. Jahrg. 1911 S. 490f. 
dieſer Zeitſchrift) dargelegt. Der Vortrag iſt jedoch 
keine bloße Wiederholung jener Darlegungen, ſondern 
enthält eine Reihe neuer Argumente, insbeſondere 
gegen das moderne Schlagwort: „Erziehung ſtatt 
Strafe“, gegen die grundſätzliche Bewilligung einer 
Bewährungsfriſt nach dem erſten Delikt und für die 
Einrichtung beſonderer Jugendgefängniſſe und einer 
ernſthaften Arbeitstherapie ꝛc. Die nachſichtige, laxe 
Behandlung des erſten Straffalles hat das charakte⸗ 
riſtiſche Wort geprägt, daß ein Delikt ſtraffrei ſei, 
und die Scheu vor dem erſten Delikt, den wirkſamſten 
prophylaktiſchen Faktor, vielfach zerſtört (S. 16 f.). 
Mit Recht wendet ſich Verfaſſer auch gegen die ge⸗ 
dankenloſe Idee des „unbeſtimmten Strafurteils“ als 
Beiſpiel verwirrender Vermiſchung von Straf und 
Erziehungsprinzip (S. 23 ff.). „Der Jugend imponiert 
nur die ſtrenge und präziſe Gerechtigkeit — im unbe⸗ 
ſtimmten Strafurteil würde ſich ihr ethiſches Empfinden 
gar nicht zu orientieren willen” (S. 26). S. 39 ff. find 
die zu dem Vortrag aufgeſtellten Leitſätze abgedruckt, 
die einen raſchen Ueberblick über ſeinen in einer kurzen 
Beſprechung kaum anzudeutenden Gedankenreichtum 
gewähren. 


München. Dr. Doerr. 


Simon, Dr. F., Die Schadenserſatzanſprüche 
bei Körperverletzung und Tötung im 
Zweikampf. Heft IV der von Kiſch herausge⸗ 
gebenen Zivilrechtlichen und prozeßrechtlichen Ab⸗ 
handlungen. XI u. 73 S. Straßburg 1913, Verlag 
von Karl J. Trübner. Mk. 2.—. 


Die Schrift, eine Straßburger Doktorarbeit, be⸗ 
handelt dasſelbe Thema, das vor ihr Gröber zum 
Gegenftande feiner gleichnamigen Diſſertation (Er⸗ 
langen 1907) gemacht hat, dringt aber mehr als dieſe 
in die Tiefe. Dr. 


Neichel, Hans, Profeſſor an der Univerſität Zürich, 
Die Mäklerproviſion. X u. 279 S. München 
1913, C. H. Beck ſche Verlagsbuchhandlung. Mk. 8.—. 


Verfaſſer behandelt in überaus gründlicher Weiſe 
die Vorausſetzungen für den Anſpruch des Mäklers 
auf Proviſion und damit, über das im Titel des Buches 
bezeichnete eigentliche Thema hinausgehend, den Mäk⸗ 
lervertrag überhaupt. Das deutſche Recht ſteht zwar 
im Mittelpunkte der Betrachtung; aber auch das öſter⸗ 
reichiſche und ſchweizeriſche iſt berückſichtigt. Theorie 
und Praxis kommen gleichmäßig auf ihre Rechnung. 

München. Dr. Doerr. 


Neger, A., Rat des K. Verwaltungsgerichtshofs. Hand⸗ 
ausgabe des bayeriſchen Geſetzes über die öffent⸗ 
liche Armen⸗ und Krankenpflege vom 29. April 
1869 in der Faſſung der Bek. vom 30. Juli 1899. 
Siebente durchgeſehene und ergänzte Auflage. Ans⸗ 
bach 1913, C. Brügel & Sohn. Geb. Mk. 3.60. 


Ueber den Wert und die Bedeutung dieſes Werk⸗ 
chens iſt kein Wort zu verlieren; dafür ſprechen der 
Name des Herausgebers und die Tatſache, daß es ſchon 
in ſiebter Auflage erſcheint. Wenn auch dem bayeriſchen 
Armengeſetze vorausſichtlich nur noch eine kurze Lebens⸗ 
dauer beſchieden ſein wird, ſo iſt es doch zu begrüßen, 
daß der Verlag noch eine zuſammenfaſſende Bearbeitung 
des geltenden Armengeſetzes veranlaßt hat. Das Aus⸗ 
führungsgeſetz zum Unterſtützungswohnſitzgeſetz muß 
und wird an das geltende Armengeſetz anknüpfen. Für 
jeden, der ſich mit dem Armenrecht zu befaſſen hat, 
wird es dann angenehm fein, ein Werkchen zu befigen, 
das eine vollſtändige und verläſſige Ueberſicht über 
das vergangene, aber trotzdem noch weiter wirkende 
Recht bietet. W. 


Heinsheimer, Dr. ee Praktiſche Uebungen 
im bürgerlichen Recht. 2. vermehrte Auflage. 
8°. VIII, 166 S. Berlin 1913, Otto Liebmann. 
kart. Mk. 3.50. 

Eine Sammlung kleiner, teils der gerichtlichen 
Praxis, teils dem wirklichen Rechtsleben entnommener 
Fälle, die zunächſt für den Studierenden beſtimmt auch 
dem jungen Rechtspraktikanten für ſeine Weiterbildung 


auf dem Gebiet der Rechtsanwendung gute Dienſte N 


Wendler, Eruſt, Referendar. Die ſtrafrechtliche 
Behandlung der Beteiligung Mehrerer 
am Verbrechen und der Begriff der „ Teil⸗ 
nahme“. XII, 95 Seiten. Borna⸗Leipzig 1913, 
Buchdruckerei Robert Noske. 


Eine zwar gute, aber kaum Neues bietende Diſſer⸗ 
tation, die zu den Teilnahmetheorien, insbeſondere gegen 
die akzeſſoriſche Natur der Teilnahme, kritiſch Stellung 
nimmt und angeſichts der Strafrechtsreform das Haupt⸗ 
gewicht auf Erwägungen de lege ferenda legt. D. 


Siebert, Dr. Theodor, Staatsanwalt in Danzig. Be⸗ 
dingte Strafausſetzung nach der Allgem. 
Verfügung vom 11. November 1912. Berlin 1913, 
R. v. Deckers Verlag, G. Schenck. 44 S. Gebd. Mk. 1.80. 


Die Schrift enthält die für die bedingte Straf⸗ 
ausſetzung oder die Bewilligung einer Bewährungs⸗ 
friſt in Preußen geltenden Beſtimmungen mit kurzen 
Erläuterungen zum praktiſchen Gebrauche. 


Unger, Dr. Max, Der Selbſtmord in der Beur⸗ 
teilung des geltenden Deutſchen Bürger⸗ 
lichen Rechts. VIII, 295 Seiten. Berlin 1913, 
Carl Heymanns Verlag. Mk. 6.—. 


Das Buch behandelt nach einem kurzen hiſtoriſch⸗ 
philoſophiſchen Abſchnitt, einer ethiſchen und rechtlichen 
Wertung des Selbſtmords im deutſchen Zivilrecht aus: 
führlich den privatrechtlichen Einfluß der Selbſttötung 
z. B. auf beſtehende Schuldverhältniſſe oder im Familien⸗ 
recht, ſowie das — dem Willen des Selbſtmörders ent⸗ 
ſprechende oder zuwiderlaufende — Eingreifen Dritter, 
die Förderung oder Verhinderung eines Selbſtmords. 
Die ſich an dieſen knüpfenden Probleme des öffent⸗ 
lichen Rechts (insbeſondere Verſicherungsrechts) werden 
zum Schluſſe dem Rahmen des Themas entſprechend 
nur kurz geſtreift. D. 


Bleyer, J., Landgerichtsrat in München. Sammlung 
bayeriſcher Juſtiz⸗ und Verwaltungs- 
geſetze. J. Bändchen: Juſtizgeſetze. Textausgabe 
mit Sachregiſter. VII, 512 Seiten. München 1913, 
C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung (Oskar Bed). 
Gebd. Mk. 2.80. 


Dieſe dankenswerte, geſchickt angelegte Sammlung 
gibt die gegenwärtige Faſſung der Geſetze genau wieder 
und gewährt in Anmerkungen Aufſchluß über die Ent» 
wicklung. Bei dem zerfahrenen Stande der Geſetzgebung 
ſind ſolche Sammlungen ein ſehr brauchbarer Behelf. 


Noeſt, Dr. B., Juſtizrat, Rechtsanwalt beim Amtsgericht 
in Solingen, und E. Blum, Rechtsanwalt beim Ober⸗ 
landesgericht in Köln. Die Reichsgerichts⸗ 
entſcheidungen in Zivilſachen. 80. Band. 
XXIII, 190 Seiten. Berlin 1913, Karl Heymanns 
Verlag. Broſch. Mk. 2.—, gebd. Mk. 2.50. 


Wir verweiſen auf die früheren Beſprechungen dieſer 
trefflich geleiteten Sammlung. An der neuen Lieferung 
müſſen insbeſondere wieder die gedrängten aber ſehr 
lehrreichen Anmerkungen zu einzelnen Entſcheidungen 
gerühmt werden. 


32 \ Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 


Neinhard, Paul, Landgerichtspräfident in Leipzig. Ge⸗ 

etz über die Zwangsverſteigerung und 

ie Zwangsverwaltung vom 24. März 1897 

nebſt dem Einführungsgeſetze (Faſſung vom 20. Mai 

1898). Vierte Auflage. IX, 481 S. Leipzig 1913, 

4 che Verlagsbuchhandlung (Arthur Roßberg). 
Geb. Mk. 7.50. 

Der Berfafler, der durch feinen großen, ſehr klar 
geſchriebenen Kommentar zum Zw. bekannt iſt, hat 
ſeine kleinere, gedrängte Ausgabe wieder auf den 
neueſten Stand gebracht und dadurch den Gerichten ein 
vortreffliches Hilfsmittel gegeben. 


— — e — — 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


‚ Die Beſchäftigung ven Hilfsrichtern beim Reiche: 
defucdtg Nach § 134 G8. dürfen an ſich Hilfsrichter 
eim Reichsgerichte nicht zugezogen werden. Dieſer 
Grundſatz wurde durch Art. XII des Geſ. betreffend die 
Zuſtändigkeit des Reichsgerichts vom 22. Mai 1910 
(RGBl. S. 767) durchbrochen. Der Reichskanzler wurde 
damals ermächtigt, bis zum 31. Dezember 1913 Hilfs⸗ 
richter zur Erledigung der Geſchäfte der Zivilſenate 
einzuberufen. Dieſe Hilfsrichter dürfen nach dem in 
Nr. 71 des RGBl. 1913 S. 779 verkündeten Geſetze 
vom 8. Dezember 1913 noch bis zum 1. Juni 1914 be⸗ 
ſchäftigt werden. Bemerkenswerter als das Geſetz ſelbſt 
iſt die dem Entwurfe (Bundesrats⸗Druckſache 82/1913) 
beigegebene Begründung. Sie zeigt, daß immer noch 
keine durchgreifende Entlaſtung des Reichsgerichts er⸗ 
zielt worden iſt. Zwar ſind die Rückſtände in den 
Zivilſenaten im großen und ganzen beſeitigt. Auch 
ſind infolge der Entlaſtungsmaßregeln in Zivilſachen 
die Reviſionen in der Zeit von 1909 bis 1911 von 
4344 bis auf 3531 zurückgegangen, aber im Jahre 1912 
ſetzte ſchon wieder eine ſteigende Bewegung ein. Ferner 
macht ſich jetzt erneut eine übergroße Anſpannung der 
Strafſenate bemerklich, die zu einer Vermehrung der 
Richterzahl führen wird. Zu der Beſetzung der neuen 
Stellen ſollen vor allem die am 1. Juni 1914 noch 
vorhandenen Hilfsrichter verwendet werden. 
3182 


Die Strafrenifter. (Bekanntmachung vom 25. No⸗ 
vember 1913, JM Bl. S. 725). In die Strafregiſter ſind auch 
die militärgerichtlichen Verurteilungen aufzunehmen. 
Für ihre Mitteilung an die Strafregiſterbehörden gelten 
aber beſondere Beſtimmungen (Bundesratsverordnung 
§ 6). Hierzu hat das Kriegsminiſterium neue Vollzugs⸗ 
vorſchriften mit der Bekanntmachung vom 12. Septem- 
ber v. Irs. (Kr Bl. S. 586) erlaſſen, in der die Bekannt⸗ 
machung der Staatsminiſterien der Juſtiz und des 
Innern über die Strafregiſter vom 12. Juli v. Irs. 
(JMBl. S. 91) zur entſprechenden Darnachachtung be⸗ 
kanntgegeben wurde. Die Bekanntmachung des Kriegs⸗ 
miniſteriums enthält außerdem die nötigen Anord⸗ 
nungen wegen der durch den Bundesratsbeſchluß vom 
17. April v. Irs. eröffneten Möglichkeit der Löſchung 
von Strafen im Strafregiſter. 

Die wichtigſten Vorſchriften dieſer Bekanntmachung, 
die für die Juſtizbehörden nicht unmittelbar von Be⸗ 
deutung iſt, werden durch die Bekanntmachung des 
Staatsminiſteriums der Juſtiz vom 25. November v. Irs. 
im Juſtizminiſterialblatt veröffentlicht. 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellierd München und Berlin. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


—— 
mm ⅛ ͤdNÄ · W 1 — ——— 


Ar. 2. München, den 15. Januar 1914. 10. Jahrg. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von Verlag von 


% 
Th. von der Pfordten m N ein 2. Schweitzer Verlag 
K. 1. Staatsanwalt, im K. Bayer. (Arthur Zellier) 


Staats miniſterium der Juſti;. Münden, Berlin u. Leippig. 


(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.) 


ger 


Die Zeltſchrift erſcheint am I. und 15. jedes Monats 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich 
Mt. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
jede Poſtanſtalt. 


Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 12. 
Anzeigengebübr 30 Pfg. für die halbgeſpaltene Petitzeile 
/ oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
. anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Nachdruck verboten. 33 


Senatspräſident von Payr. 


Ein Nachruf. 
Von Georg Mahler, Rat am Oberſten Landesgerichte in München. 


In der Nacht zum 8. Januar 1914 iſt der Senatspräſident des Oberſten Landesgerichts, Joſeph 
von Payr, nach kurzem Leiden unerwartet aus einem arbeitsreichen Leben geſchieden. 

Joſeph von Payr wurde am 7. Oktober 1844 in Pfaffenhofen a. d. Ilm geboren. Im Jahre 
1869 legte er die Staatsprüfung ab. 1875 erhielt er ſeine erſte Anſtellung als funktionierender 
Staatsanwalts⸗Subſtitut bei dem Bezirksgerichte in Straubing. Als Erſter landgerichtlicher Staats⸗ 
anwalt wurde er im Jahre 1891 zur Dienſtleiſtung in das Staatsminiſterium der Juſtiz berufen, 
wo er im Jahre 1893 zum Regierungsrat, 1896 zum Oberregierungsrat und 1898 zum Minifterials 
rat befördert wurde. In dieſer Stellung oblag ihm insbeſondere die umfangreiche Geſchaftsaufgabe 
der allgemeinen Dienſtaufſicht über die Strafrechtspflege. Zugleich führte er lange Jahre den Vorſitz 
in der Begnadigungskommiſfion. 1901 wurde er zum Generalſtaatsanwalt bei dem Oberſten Landes: 
gerichte befördert und 1906 zum Senatspräſidenten bei dieſem Gerichte ernannt. 

Joſeph von Payr vereinigte mit einem klaren und ruhig abwägenden Verſtand einen Scharf: 
finn von eindringender Kraft. Er beherrſchte die verſchiedenen Zweige der Rechtswiſſenſchaft und 
weite Gebiete des allgemeinen Wiſſens waren ihm vertraut. Offenen Auges verfolgte er die Er⸗ 
ſcheinungen des Lebens, um ſie in ihrem Zuſammenhange zu erfaſſen und die unerläßliche Grund⸗ 
lage eines ſicheren Urteils zu gewinnen. Nie ermüdete ſeine Schaffenskraft und Schaffensfreude. 
Seine Pflichttreue iſt kaum zu übertreffen, ſie ließ ihn nicht raſten, als das todbringende Leiden ihn 
bereits befallen hatte. Seiner reichen Lebenserfahrung entſprechend offenbarte von Payr als Richter 
eine abgeklärte Denkweiſe. Nichts ſchien ihm mit den Aufgaben des Richters weniger vereinbar, als 
das Haften an dem Buchſtaben des Geſetzes. Alle Beſtrebungen, die Rechtſprechung in Ueberein⸗ 
ſtimmung mit dem allgemeinen menſchlichen Empfinden und den Forderungen des Lebens zu bringen, 
fanden ſeinen Beifall. Seine Bemühungen um die Förderung der Kriminaliſtik find weiteren Kreiſen 
bekannt. Unter ſeinem Vorſitze wurde nicht eine Sache entſchieden, die er nicht zuvor aufs jorgiältigite 
nach der tatjächlihen wie nach der rechtlichen Seite geprüft hatte. Manche die Allgemeinheit berührende 
Frage, insbeſondere auf dem Gebiete des Polizeiſtrafrechts, verdankt in erſter Linie feiner umfaſſenden 
Geſetzeskenntnis und ſeinem Scharfſinn eine befriedigende Löſung. Nicht wenige Urteile gerade in 
ſchwierigen und verwickelten Fällen ſind mit ſeltener Gründlichkeit und ſicherer Beweisführung von 
ihm ſelbſt verfaßt. Sein fördernder Einfluß auf die Rechtſprechung des Strafſenats kann nicht von 
bloß vorübergehender Bedeutung ſein. 

Wie von Payr in der Erfüllung feiner Berufspflichten gegen ſich ſelbſt unerbittlich ſtreng war, jo er: 
wartete er auch von anderen, daß ſie die volle Kraft für die Aufgaben des Berufs einſetzen. Er war aber 
ein Vorgeſetzter von unangreifbarer Gerechtigkeit und vornehmer Geſinnung und erwarb ſich durch ſeine 
Offenheit und natürliche Liebenswürdigkeit auch im dienſtlichen Verkehr allgemeine Hochſchätzung. 

Als Schriftſteller iſt er u. a. wiederholt mit gelegentlichen Abhandlungen in dieſer Zeitſchrift hervorge⸗ 
treten. In allen ſeinen Schriftwerken war er auf eine ſorgfältige Behandlung der Sprache beſonders bedacht. 

Die bayerijche Rechtspflege hat durch den Tod Joſeph von Payrs einen ſchweren Verluſt erlitten. 


34 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


Zur Frage der Unterſchriftsbeglaubigung 
nach bayeriſchem Notariats rechte. 
Von Reichsgerichtsrat Gottfried Schmitt in Leipzig. 


In der letzten Nummer des Jahrgangs 1913 der 
Blaͤtter für Rechtsanwendung unterzieht Herr Rechts⸗ 
anwalt Dr. Eugen Joſef in Freiburg i. B. die Frage 
der „Beglaubigung der Unterſchriſt unbekannter 
Beteiligter, insbeſondere in Bayern“, einer kriti⸗ 
ſchen Erörterung. Er beanſtandet, daß im Art. 35 
des bayeriſchen Notariatsgeſetzes der $ 176 Abſ. 3 
Satz 2 des Reichsgeſetzes über die Angelegenheiten 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf das Verfahren 
bei der Beglaubigung von Unterſchriften für ent⸗ 
ſprechend anwendbar erklärt iſt. Nach ſeiner Mei⸗ 
nung iſt dieſe landesrechtliche Vorſchrift nicht nur 
ſachlich ungerechtfertigt, ſondern auch im Wider⸗ 
ſpruch mit dem Reichsrecht und daher unverbindlich. 

Ich bin entgegengeſetzter Meinung und ſehe 
mich mit Rückſicht auf meine Beteiligung an dem 
Zuſtandekommen der Vorſchrift des Art. 35 zur 
Gegenäußerung veranlaßt, nicht wegen der prak⸗ 
tiſchen Bedeutung der Frage, die in Wirklichkeit 
nur ſehr geringfügig iſt und Joſefs Angriff wohl 
nicht veranlaßt hat, ſondern aus dem Grunde, 
weil es nicht den Anſchein haben darf, als halte 
ſich die bayeriſche Geſetzgebung nicht innerhalb der 
Grenzen, die ihr durch das Reichsrecht gezogen find, 
und weil es nicht dazu kommen ſoll, daß das Ver⸗ 
trauen der Beteiligten in die Gültigkeit der Ge⸗ 
ſetze geſchwächt wird. Eine Gegenäußerung ſcheint 
mir auch um deswillen um ſo nötiger, weil die 
bayeriſche Juſtizverwaltung erſt in allerjüngiter 
Zeit die Geſchäftsordnung für die Notariate er⸗ 
neuert und dabei die dem Art. 35 des Notariats⸗ 
geſetzes entſprechende Vorſchrift des 8 206 Abſ. 3 
der alten Geſchaftsordnung ſachlich unverändert 
in den 3 233 der neuen Geſchäftsordnung über⸗ 
nommen, ſich alſo neuerlich zu derſelben Rechts⸗ 
anſchauung bekannt hat, die Joſef als irrig und 
dem Reichsrecht zuwiderlaufend anficht. Und nun 
zur Sache! 

Nach 8 176 Abſ. 3 JGG. ſoll das gericht⸗ 
liche oder notarielle Protokoll über die Beurkun⸗ 
dung eines Rechtsgeſchäfts eine Angabe darüber 
enthalten, ob der Richter oder der Notar die Be⸗ 
teiligten kennt, oder, ſofern dies nicht der Fall iſt, 
in welcher Weiſe er ſich Gewißheit über ihre Per⸗ 
ſönlichteit verſchafft hat. Hieraus ergibt ſich der 
Satz: „Der Richter oder Notar iſt verpflichtet, ſich 
vor der Beurkundung Gewißheit über die Perſön⸗ 
lichkeit der Beteiligten zu verſchaffen.“ Bezüglich der 
Beglaubigung von Unterſchriften ſchreibt 8 183 FGG. 
vor, daß der Beglaubigungsvermerk die Bezeichnung 
desjenigen enthalten muß, der die Unterſchriſt 
vollzogen oder anerkannt hat. Hieraus ergibt ſich 
ebenfalls ohne weiteres die Verpflichtung des Rich⸗ 
ters oder Notars, ſich vor der Beglaubigung Ge: 
wißheit über die Perſönlichkeit des Unterſchreibenden 


oder Anerkennenden zu verſchaffen. In dieſem 
Punkt iſt alſo nach dem maßgebenden Reichsrecht 
kein Unterſchied zwiſchen den Pflichten des Urkund⸗ 
beamten bei der Beurkundung und bei der Be⸗ 
glaubigung der Unterſchrift. Dagegen iſt bemerkens⸗ 
wert die Betonung der Pflicht zur Bezeichnung deſſen, 
der unterſchrieben oder anerkannt hat, im Beglau⸗ 
bigungsvermerk. In dem Saͤtzchen: „Der Vermerk 
muß die Bezeichnung ... enthalten“ liegt mehr, als 
im erſten Augenblicke hervortritt. Es liegt darin 
der Gedanke, daß gerade dieſe Bezeichnung das 
Weſentliche an der Beglaubigung iſt, daß ohne 
fie eine Unterſchriftsbeglaubigung im eigentlichen 
Sinne des Wortes und im Sinne des 8 183 FGG. 
unmoglich ift und nicht vorliegen kann. Die ſach⸗ 
liche Richtigkeit deſſen iſt einleuchtend. Denn die 
Beglaubigung einer Unterſchrift durch einen Richter 
oder Notar iſt nichts anderes als die amtliche Feſt⸗ 
ſtellung des Richters oder Notars, daß dieſe Unter⸗ 
ſchrift von der Perſon herrührt, als deren Unter⸗ 
ſchrift ſie abgegeben iſt und ſich darſtellt. In dieſer 
amtlichen Feſtſtellung erſchöpft ſich die Beglaubi⸗ 
gung der Unterſchrift. Hiernach wird deutlich, warum 
das Geſetz über die Angelegenheiten der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit, das in ſeinem zehnten Abſchnitt 
lediglich die gerichtliche und notarielle Beurkundung 
von Rechtsgeſchaften und die gerichtliche und notarielle 
Beglaubigung von Unterſchriften und Handzeichen 
reichsrechtlich regelt, zwar für die Beurkundung im 
8 176 Abſ. 3 Satz 2 vorſchreibt: 

„Kann der Richter oder der Notar ſich über 
die Perſönlichkeit der Beteiligten Gewißheit nicht 
verſchaffen, wird aber gleichwohl die Aufnahme 
der Verhandlung verlangt, ſo ſollen der Sach⸗ 
verhalt und dasjenige, was zur Feſtſtellung der 
Perſönlichkeit beigebracht worden iſt, in das 
Protokoll aufgenommen werden“ 2 

aber im $ 183 davon abſieht, eine ähnliche Vor⸗ 
ſchrift für den Fall der Beglaubigung einer Unter: 
ſchrift oder eines Handzeichens zu geben. In 
der Feſtſtellung des Notars oder des Richters, 
daß jemand, von deſſen Perſönlichkeit er ſich keine 
Gewißheit habe verſchaffen können, vor ihm die 
Unterſchrift abgegeben oder anerkannt habe, würde 
eben keine Beglaubigung der Unterſchrift im 
eigentlichen Sinne des Wortes, ſondern eine Ab⸗ 
lehnung der Beglaubigung unter Vornahme einer 
anderen Feſtſtellung liegen und, da das Reichs⸗ 
geſetz nur die Beglaubigung der Unterſchriſten im 
eigentlichen Sinne des Wortes zum Gegenſtande 
ſeiner Regelung gemacht hat, ſo hatte es hier 
keinerlei Veranlaſſung zu einer Vorſchrift im Sinne 
des 5 176 Abſ. 3 Satz 2. 

In all dem ſtimmt Herr Rechtsanwalt Dr. Joſeſ 
mit mir wohl überein. Unſere Wege trennen ſich 
erſt von nun an. Er ſcheint zu meinen, daß es 
im Sinne des Art. 35 des bayer. Not. liege, zu 
beſtimmen: 

„Der Notar kann in Bayern die Echtheit 
einer Unterſchrift im Sinne des $ 183 GG. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 35 


auch dann beglaubigen, wenn er ſich von der 
Perſönlichkeit deſſen, der ſie vor ihm abgibt 
oder anerkennt, keine Gewißheit verſchaffen kann. 
Er hat in ſolchem Falle, wenn auf der Be⸗ 
glaubigung beſtanden wird, im Sinne des 8 176 
Abſ. 3 Satz 2 FGG. zu verfahren. Die Be: 
glaubigung hat dann alle Wirkungen einer ge 
richtlichen oder notariellen Beglaubigung im 
Sinne des 8 183 JGG.“ 

Sofern Herr Dr. Joſef den Art. 35 dahin 
auslegt, täuſcht er ſich über Sinn und Tragweite 
des bayeriſchen Geſetzes. Das bayeriſche Notariats⸗ 
geſetz iſt keineswegs nur Ausführungsgeſetz zum 
GG., ſondern darüber hinaus beſtimmt, auf den 
nicht unmittelbar vom Reichsrecht erfaßten Gebieten 
die geſamte Amtstätigkeit der bayeriſchen Notare 
zu regeln. Die Vorſchriften des Notariatsgeſetzes 
dürfen darum nicht ohne weiteres als Ausführungs⸗ 
und Ergänzungsvorſchriften zum FGG. beurteilt 
werden, ſondern es iſt ſtets auch zu erwägen, ob ſie 
nicht ein Gebiet zum Gegenſtand haben, das außer⸗ 
halb des Rahmens des Reichsrechts liegt. Um ein 
ſolches Gebiet aber handelt es ſich gerade hier. Das 
FGG. erfaßt von den notariellen Geſchäften nur 
die Beurkundung von Rechtsgeſchäften und die Be⸗ 
glaubigung von Unterſchriften und Handzeichen. 
Es läßt die Beurkundung von Rechtsgeſchäften zu, 
auch wenn der Notar nicht imſtande iſt, ſich über 
die Perſönlichkeit der Beteiligten Gewißheit zu ver⸗ 
ſchaffen, es läßt die Beglaubigung d. h. die Be⸗ 
ſtätigung der Echtheit der Unterſchriſt, nicht zu, 
wenn der Notar ſich über die Perſönlichkeit des 
Unterzeichnenden oder Anerkennenden keine Gewiß⸗ 
heit verſchafft hat. Darüber aber, ob ein Notar, der 
pflichtgemäß die Beſtätigung der Echtheit der Unter⸗ 
ſchrift verweigert, berechtigt iſt, den Hergang bei 
dieſer Verweigerung feſtzuſtellen, enthält das Reichs⸗ 
recht keinerlei Beſtimmung. Es kann nicht aner⸗ 
kannt werden, daß das FGG. ſtillſchweigend — 
nämlich durch ſein Stillſchweigen bei 8 183 im 
Gegenſatze zu feinem Reden bei $ 176 — die Feſt⸗ 
ſtellung verbiete. Denn alle notarielle Tatigkeit, 
die nicht Beurkundung eines Rechtsgeſchäfts, nicht 
wirkliche Beglaubigung einer Unterſchrift oder eines 
Handzeichens iſt, liegt jenſeits des Gebiets, das ſich 
das FGG. gewählt hat, liegt in dem Gebiete, daß 
das Reichsrecht dem Landesrecht überlaſſen hat. In 
dieſem Rahmen iſt dann auch die Vorſchriſt des 
Landesrechts berechtigt und in dieſem iſt ſie zu ver⸗ 
ſtehen. Art. 35 des Notariatsgeſetzes enthält, ſoweit 
er den 8 176 Abſ. 3 Satz 2 für anwendbar erklärt, in 
Wirklichkeit nichts anderes als folgende Gedanken: 

„Kann der Notar, der um Beglaubigung einer 
Unterſchrift angegangen wird, ſich von der Per⸗ 
ſönlichkeit deſſen, der die Unterſchrift abgibt oder 
anerkennt, keine Gewißheit verſchaffen, ſo kann 
er nach der Natur der Sache und nach $ 183 
JGG. die Echtheit der Unterſchrift nicht feſtſtellen, 
die Beglaubigung nach $ 183 FGG. nicht vor⸗ 
nehmen, ſondern muß die ſe Beglaubigung unter: 


laſſen. Dies ſoll ihn aber nicht hindern, unter 
Abſtandnehmen von ſolcher Beglaubigung auf 
Wunſch der Beteiligten den Hergang ſo feſtzu⸗ 
ſtellen, wie es 8 176 JGG. für den ähnlichen 
Fall bei der Beurkundung vorſieht!“ 

So verſtanden verſtößt die Vorſchrift weder gegen 
den Begriff der Unterſchriftsbeglaubigung noch gegen 
das Reichsrecht. Fraglich kann nur ſein, ob für 
ſie ein Bedürfnis beſteht. Die bayeriſche Staats⸗ 
regierung hat dieſes Bedürfnis jederzeit ſehr ge⸗ 
ring eingeſchätzt, fie ſetzt im $ 233 (206) der Ge⸗ 
ſchäftsordnung ausdrücklich voraus, daß der Notar 
eine ſolche Feſtſtellung in der Regel als nutzlos 
ablehnen werde, ſieht aber andrerſeits bei der Not⸗ 
wendigkeit der Wahl zwiſchen Zulaſſen, Zweifel⸗ 
haftlaſſen und Verbieten auch keinen hinreichenden 
Anlaß zu einem Verbot. 

Daß mit Art. 35 des Notariatsgeſetzes endlich 
nicht beabſichtigt ſein kann, wie Herr Rechtsanwalt 
Dr. Joſef argwöhnt, den Perſonen, die Anſpruch 
auf eine öffentlich beglaubigte ſchriftliche Erklärung 
haben, zuzumuten, daß ſie ſich mit einer ſo be⸗ 
glaubigten, d. h. in Wirklichkeit nicht beglaubigten 
Unterſchriſt begnügen, ergibt ſich aus dem Vor⸗ 
ſtehenden wohl von ſelbſt. Auch in dieſer Beziehung 
ſind alſo die erhobenen Bedenken unbegründet. 


Bayeriihe Eigenarten im Vormundſchafts⸗ 
weſen. 


Von Amtsrichter Matthias Mahr in München. 


Das BGB. hat dem Deutſchen Reiche auch auf 
dem Gebiete des Vormundſchaftsweſens die Rechts⸗ 
einheit gebracht. Abgeſehen von rein formellen 
Verſchie denheiten in der Aktenführung ſollten ſonach 
im ganzen Deutſchen Reiche die Vormundſchafts⸗ 
ſachen völlig gleich behandelt werden. Von dieſer 
idealen Rechtseinheit ſind wir aber in Wirklichkeit 
noch recht weit entfernt. Wenn man öfter Vor⸗ 
mundſchaftsakten verſchiedener deutſcher Bundes⸗ 
ftaaten in die Hand bekommt, kann man die größte 
Mannigfaltigkeit nicht bloß in nebenſächlichen Punk⸗ 
ten, ſondern auch in grundlegenden Fragen des 
Vormundſchaftsweſens beobachten. So habe ich, 
um hier nur ein Beiſpiel herauszugreifen, aus 
württembergiſchen Vormundſchaftsakten erſehen, daß 
dort beim Tode eines Vaters oder einer Mutter 
im mer ſogleich eine Pflegſchaft für die minder: 
jährigen Kinder angeordnet wird, um zu prüfen, 
ob nicht die Auseinanderſetzung mit dem überleben⸗ 
den Elternteil zu begehren ſei. Bei uns wird be⸗ 
kanntlich keine Pflegſchaft eingeleitet, wenn der Vater 
oder die Mutter erklärt, in Erbengemeinſchaft mit 
den Kindern bleiben zu wollen. 

Auch die Praxis der bayeriſchen Vormund⸗ 
ſchaftsgerichte zeigt viele Eigenarten, die in anderen 
deutſchen Bundesſtaaten unbelannt ſind. Zum Teil 
beruhen dieſe Eigenarten auf Vorſchriften unſerer 


86 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


Vormundſchaftsordnung vom 19. Januar 1900 
(JM Bl. S. 181 ff.), die ſich ziemlich weit in das 
Gebiet des materiellen Rechts begeben hat, zum 
Teil ſind ſie auf das Feſthalten an dem früheren 
Rechtszuſtande zurückzuführen, dem gegenüber ſich 
oft das neue Recht nicht einleben konnte. 

Die folgenden Ausführungen wollen nur einige 
der wichtigſten und auffälligſten baveriſchen Eigen: 
arten auf dem Gebiete des Vormundſchaftsrechts 
darſtellen und ihre Berechtigung prüfen. 


1. Der Gegenvor mund. 


Nach 8 1792 BGB. kann neben dem Vormund 
ein Gegenvormund beſtellt werden. Ein Gegen⸗ 
vormund ſoll beſtellt werden, wenn mit der Vor⸗ 
mundſchaft eine Vermögensverwaltung verbunden 
iſt, es ſei denn, daß die Verwaltung nicht erheblich 
oder daß die Vormundſchaſt von mehreren Vor⸗ 
mündern gemeinſchaftlich zu führen iſt. 

Beſitzt ein Mündel Vermögen, ſo ſollte Bier: 
nach die Beigabe eines Gegenvormunds die Regel 
fein; nur bei einfachen Vermögensverwaltungen 
dürfte davon abgeſehen werden. In Bayern da⸗ 
gegen bildet die Beſtellung eines Gegenvormunds 
eine ſeltene Ausnahme.) Auch bei ganz erheblichen 
Vermögensverwaltungen vermißt man meiſtens den 
Gegenvormund. Die Gründe, warum ſich dieſe Ein⸗ 
richtung bei uns nicht einbürgern konnte, dürften 
im weſentlichen folgende ſein: 

Die umfangreichen Ueberleitungsarbeiten beim 
Inkrafttreten des BGB. mögen eine genaue Prüfung 
der einzelnen Akten unter dem Geſichtspunkte des 
81792 BGB. beeinträchtigt haben. Damals hätte 
den Vormündern unter Hinweis auf das neue Recht 
die Notwendigkeit der Beſtellung von Gegenvor⸗ 
mündern begreiflich gemacht werden können. War 
aber dieſe Gelegenheit einmal verpaßt, ſo wurde 
und wird die Beigabe eines Gegenvormunds meiſt 
als Mißtrauen, häufig ſogar als Kränkung emp: 
funden. Dieſe Verkennung des Weſens der Gegen⸗ 
vormundſchaft beſteht auch heute noch und jeder 
Vormundſchaftsrichter wird beſtätigen, mit welchen 
Schwierigkeiten in dieſer Hinſicht gekampſt werden 
muß. Meiſt wird der Gegenvormund als ein über: 
flüſſiger Ballaſt betrachtet, der die Verwaltung nur 
hemmt und erſchwert. Der tiefere Grund hierfür 
liegt in einer anderen bayeriſchen Eigenart, die 
unter 2 erörtert werden ſoll, nämlich in der In: 
tenſität der Aufſicht und Tätigkeit der bayeriſchen 
Vormundſchaftsgerichte, die über den Rahmen des 
Reichsrechts weſentlich hinausgeht. Man kann eben 
nicht recht einſehen, warum zwiſchen Vormund und 
Vormundſchaftsgericht noch eine Zwiſchenperſon ein⸗ 
geſchoben werden ſoll, wo doch ſchon das Vormund— 
ſchaftsgericht ſich um jede Kleinigkeit kümmert und 
alle einzelnen Maßnahmen des Vormunds über— 
wacht. Dieſe Empfindung gewinnt eine gewiſſe 


) Nach der Bayeriſchen Juſtizſtatiſtik für 1912 wurden 
nur in 29 von 33 978 angeſallenen Vormundſchaſten 
Gegenvormünder bejtellt. 


Berechtigung durch die Tatſache, daß die Auſſichts⸗ 
tätigkeit des Gerichts bei uns um nichts geringer 
iſt ſelbſt in den Fällen, wo wirklich ein Gegen⸗ 
vormund beſtellt iſt. 

Gleichwohl iſt die bayeriſche Praxis mit dem 
Geſetz (8 1792 BGB.) nicht in Einklang zu bringen. 
Allerdings läßt 8 1792 BGB. dem Ermeſſen des 
Vormundſchaftsgerichts einen weiten Spielraum; 
er ermächtigt ihn aber nicht, die geſetzliche Regel 
in das Gegenteil umzuwandeln. Der Mündel hat 
ein geſetzliches Recht auf den verſtärkten Schutz, 
den der Gegenvormund nach 8 1799 BGB. bieten 
ſoll. Im Hinblick auf 8 1818 BGB. wäre dem 
bayeriſchen Vormundſchaftsrichter daher anzuraten, 
zum Mindeſten bei neu anfallenden Vormund⸗ 
ſchaften immer gewiſſenhaft die Frage zu prüfen, 
ob nicht ein Gegenvormund zu beſtellen ſei. 


2. Fürſorge und Aufſicht des Vormund⸗ 
ſchaftsgerichts. 

Das Vormundſchaftsgericht hat über die ge⸗ 
ſamte Tätigkeit des Vormunds und des Gegen⸗ 
vormunds die Aufſicht zu führen und gegen Pflicht⸗ 
widrigkeiten durch geeignete Gebote und Verbote 
einzuſchreiten — 81837 BGB. Es hat insbeſondere 
die Rechnung des Vormunds zu prüfen — 8 1843 
BGB. Zum eigenen Handeln für den Mündel 
iſt es nur in den Fallen des $ 1846 BGB. befugt. 
Das BGB. beruht hiernach auf dem Grundſatze 
der Selbſtändigkeit des Vormunds. Dieſer iſt 
der geſetzliche Vertreter des Mündels; er hat alles 
zu tun, was im Intereſſe des Mündels zu tun iſt. 
Und wenn er etwas tut, was nicht pflichtwidrig 
iſt, muß ihn das Vormundſchaſtsgericht gewähren 
laſſen und darf ihm keine gegenteiligen Anweiſungen 
geben, mag auch die Handlungsweiſe des Vormunds 
vielleicht nach Anſicht des Vormundſchaftsgerichts 
nicht zweckmäßig ſein. Das ſchließt ſelbſtverſtändlich 
nicht aus, daß der Vormundſchaftsrichter dem Vor⸗ 
mund an die Hand zu gehen und ihn nach beſtem 
Willen und Gewiſſen zu unterſtützen hat ($ 12 der 
bayeriſchen Vormundſchaftsordnung). 

Aber die bayeriſche Praxis geht m. E. hierin 
viel zu weit. Der bayeriſche Vormundſchaftsrichter 
„regiert“ zu viel. Er ſetzt nicht ſelten ſeine Meinung 
gegen die Anſicht des Vormunds durch und erteilt 
dem Vormund bindende Aufträge in Faͤllen, 
wo er ihm höchſtens einen Rat geben ſollte. Die 
protokollariſchen Erklärungen der Vormünder in 
den Akten ſind in vielen Fällen nicht Willens⸗ 
erklaͤrungen der Vormünder, ſondern des Richters, 
der den Vormund das und das erklaͤren „laͤßt“. 

Weitverbreitet in Bayern iſt auch das eigene 
Handeln des Vormundſchaftsgerichts an Stelle des 
Vormunds. Alles macht der Vormundſchaftsrichter. 
Er erkundigt ſich nicht nur nach dem Aufenthalt 
zahlungsſäumiger Kindsväter, ſondern ſchreibt 
ihnen auch Mahnbriefe, er wendet ſich an die 
Armenpflege um Unterſtützung, wenn der Mündel 
hilfsbedürftig iſt, kündet „im Namen des Bor: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


munds“ Forderungen uſw. Und nun gar, wenn 
dem Mündel irgendwo eine Erbſchaft anfällt oder 
ſonſtiger Vermögenserwerb in Ausſicht ſteht. Da 
lieſt man nicht ſelten, daß der Vormund gleich 
von vorneherein dem Vormundſchaftsgericht Voll 
macht erteilt, alle „geeignet erſcheinenden“ Schritte 
in dieſer Sache zu unternehmen. Und der Vor⸗ 
mundſchaftsrichter unternimmt alle ihm geeignet 
erſcheinenden Schritte, ohne zu bedenken, daß er 
damit gegen den oberſten Grundſatz des Vormund⸗ 
ſchaftsrechts verſtößt, und ohne zu bedenken, daß 
er damit den Vormund ſeiner Verantwortlichkeit 
($ 1833 BGB.) entbindet und feine eigene Haftung 
ins Ungemeſſene ſteigert. 

Die Gründe für dieſe bayeriſche, dem Reichs⸗ 
recht fremde Praxis dürſten auch überwiegend in 
dem Feſthalten an dem früheren Rechtszuſtande zu 
ſuchen ſein. Es darf nicht wundernehmen, wenn 
dabei die Vormünder ſich nie an Selbſtändigkeit 
gewöhnt haben und es als ganz natürlich betrachten, 
wenn der „Obervormund“ alles macht. — Und 
es wird allerdings eine ſaure Arbeit ſein, die Vor⸗ 
münder zur Selbſtändigkeit zu erziehen. Dieſe 
Arbeit muß aber geleiſtet werden, ſoll nicht noch 
in hundert Jahren unſere alte Obervormundſchaft 
beſtehen. — Sorgfältige Auswahl der Vormünder 
bei ſchwierigen Sachen, Beigabe von Rechtsanwälten 
als Vertreter bei verwickelten Angelegenheiten dürfte 
zunächſt das wirkſamſte Mittel zur Beſſerung ſein. 
Die Angſt davor, dem Mündel durch Aufſtellung 
von Rechtsanwälten Koſten zu verurſachen, verſtehe 
ich nicht. Warum ſollte ein Mündel hierin beſſer 
geſtellt ſein als ein Volljähriger, der eine ſchwierige 
Rechtsangelegenheit zu beſorgen hat? 


3. Das Unterhaltsübereinkommen. 


Die Unterhaltspflicht des Vaters eines unehe⸗ 
lichen Kindes beruht auf Geſetz. Die Leiſtungen 
des Kindsvaters haben ſich nach dem jeweiligen 
Bedarf zu richten. Eine Abmachung des Kinds⸗ 
vaters und des Vormunds über den Unterhalt iſt 
Sache freier Vereinbarung und bedarf der Ge⸗ 
80310 des Vormundſchaftsgerichts — 81714 
BGB. Ein Zwang, einen ſolchen Vertrag zu 
ſchließen, kann nicht geübt werden. 

Nach der Bayeriſchen Vormundſchaftsordnung 
hat das Vormundſchaftsgericht entſprechend dem 
früheren bayeriſchen Rechtszuſtande darauf hinzu⸗ 
wirken, daß ein Unterhaltsübereinkommen abge⸗ 
ſchloſſen wird. Zu dieſem Zweck iſt die Kindsmutter 
und der Kindsvater vorzuladen. In den meiſten 
anderen deutſchen Bundesſtaaten iſt dieſes Verfahren 
nicht üblich. 

Die vertragsmäßige Regelung des Unterhalts 
hat zweifellos gewiſſe Vorteile. Zunächſt pflegt bei 
dieſer Gelegenheit die Vaterſchaft in einer öffent⸗ 
lichen Urkunde feſtgeſtellt zu werden, ſo daß die 
exceptio plurium nicht mehr erhoben werden kann 
(8 1718 BGB.). Außerdem iſt die Höhe der Unter⸗ 
haltsrente ein für allemal ohne Rückſicht auf den 


ne 


87 


jeweiligen Bedarf beſtimmt, jo daß Streit hierüber 
unter den Beteiligten abgeſchnitten iſt. Endlich 
bildet das Unterhaltsübereinkommen in der Regel 
einen ſofort vollſtreckbaren Titel. 

Anderſeits hat aber die bayeriſche Behandlung 
der Unterhaltsfrage in der Praxis bedenkliche Nach⸗ 
teile gezeitigt. Die vertragsmäßig feſtgelegte Unter: 
haltsrente iſt 16 Jahre lang unabänderlich. Auch 
bei einer noch ſo einſchneidenden Veränderung der 
Verhältniſſe find Kind und Vater an die verein- 
barte Rente gebunden (vgl. im N hierzu die 
durch Urteil feſtgeſetzte Rente, g 323 ZPO.). Zahl: 
reich ſind hierüber die Klagen von Kindsmüttern 
und Vormündern. In München insbeſondere, wo 
ſich die Lebensverhältniſſe in den letzten Jahren fo 
verteuert haben, ſind die Klagen ſehr lebhaft. Hier 
wurden noch vor 8 und 10 Jahren häufig Unter: 
haltsrenten von 8 und 10 Mk. monatlich mit 
Genehmigung des Vormundſchaftsgerichts verein⸗ 
bart, und mit dieſen Beträgen ſollen jetzt Kinder 
im Alter von 8 und 10 Jahren erzogen werden; 
dies iſt geradezu unmöglich. Noch geringere Unter⸗ 
haltsbeträge wurden und werden heute noch vielfach 
bei ländlichen Amtsgerichten vereinbart. Der Zug 
nach der Großſtadt bringt aber mit ſich, daß viele 
der ländlichen Kindsmütter ſich in den Städten 
verheiraten und ihre vorehelichen Kinder mitnehmen. 
Auch in dieſen Fällen ſtellen ſich dann bald die 
Klagen über die niedrigen Alimente ein. 

Dieſen Mißſtänden kann nur dadurch abgeholfen 
werden, daß bei jedem Unterhaltsübereinkommen 
der Vorbehalt der Erhöhung der Unterhaltsrente 
gemacht wird. Das iſt früher faſt nie geſchehen und 
geſchieht auch auf dem Lande heute noch ſelten. 
Häufig find allerdings die Kindsväter nicht zu 
bewegen, ihr Einverſtändnis mit einem ſolchen 
Vorbehalt zu erklären. In dieſen Fällen halte ich 
es für beſſer, überhaupt kein Unterhaltsüberein⸗ 
kommen zu treffen, ſondern nur das Vaterſchafts⸗ 
bekenntnis zu beurkunden und im übrigen abzu⸗ 
Be wie der Kindsvater feine Unterhaltspflicht 
erfüllt 


Sind verkündete amtsgerichtliche Veſchlüſſe 
im Parteibetrieb oder 67 Amts wegen 
zuzuſtellen? 

Von Amtsrichter Haus —³ in München. 


Die Beantwortung dieſer Frage iſt befonders 
im Offenbarungseids verfahren von Be: 
deutung, weil nach $ 900 Abſ. 3 ZPO. die Eides⸗ 
leiſtung erſt nach Rechtskraft der Entſcheidung über 
den vom Schuldner gegen ſeine Verpflichtung zur 
Eidesleiſtung erhobenen Widerſpruch erzwungen 
werden kann; ſie ſpielt in dieſer Hinſicht um ſo 


1) Unter beſonderer Berückſichtigung der Stellung 
der Münchener Gerichte. 


88 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


mehr eine ziemlich bedeutende Rolle, weil die Er⸗ 
hebung von Widerſprüchen durchaus nichts ſeltenes 
iſt und faſt ſtets aus offenſichtlich haltloſen Gründen 
und nur zu dem Zweck erfolgt, dadurch die Eides⸗ 
leiſtung möglichſt hinauszuſchieben. Das Anſehen 
des Gerichts und das berechtigte Intereſſe des 

Glaͤubigers erfordern es in dieſen Fallen, daß der 
den Widerſpruch zurückweiſende Beſchluß möglichſt 
ſchnell und ſicher der Rechtskraft zugeführt wird. 
Es iſt deshalb bedauerlich, daß in der Frage, 
wie dies zu geſchehen hat, ob durch Zuſtellung im 
Parteibetrieb oder von Amts wegen, eine ziemliche 
Rechtsunficherheit beſteht. 

Vor Einführung der Zivilprozeßnovelle vom 
1. Juni 1909 war die Rechtslage klar: die Zu⸗ 
ſtellung hatte im Parteibetrieb zu erfolgen. Die 
Streitfrage entſtand erſt durch den neuen § 496 
Abſ. 1, der für das amtsgerichtliche Verfahren be⸗ 
ſtimmt, daß die Zuſtellungen unbeſchadet der Vor⸗ 
ſchrift des 8 317 Abſ. 1 von Amts wegen zu er⸗ 
folgen haben; ſie wird hervorgerufen durch den 
Umſtand, daß $ 496 Abſ. 1 den von der Zuſtellung 
der Beſchlüſſe handelnden 8 329 nicht unbe: 
rührt läßt, während andererſeits in $ 329 Abſ. 2 
auf den in § 496 Abſ. 1 vorbehaltenen § 317 
Abſ. 1 Bezug genommen iſt. 


Schon kurz nach Einführung der Novelle hatte 
das Landgericht München I Gelegenheit, zu 
der Frage Stellung zu nehmen; im Beſchluß vom 
25. April 1910, Beſchw.⸗Reg. 202, führte es aus: 


Von dem Amtsbetrieb in amtsgerichtlichen Zu⸗ 
1 find gem. 8 496 Abſ. 1 der Novelle mit 
8 317 Abſ. 1 ZPO. nur die Urteile ausgenommen. 
Die Motde zu dieſer Ausnahme und der Umſtand, 
daß in 8 496 Abſ. 1 der 8 329 Abſ. 2 ZPO. keine 
Erwähnung gefunden hat, laſſen keinen Zweifel dar⸗ 
über, daß der Geſetzgeber die (verkündeten) Be⸗ 
ſchlüſſe nicht von der Offizialzuſtellung ausnehmen 
wollte. Es iſt daher nicht angängig zu folgern: weil 
nach 8 329 Abſ. 2 ZPO. die Zuſtellung der (verkündeten) 
Beſchlüſe wie die der Urteile nach 8 317 Abſ. 1 dem 
Betreiben der Parteien überlaſſen iſt, deshalb muß ſich 
die Ausnahme des 8 496 Abſ. 1 auch auf die in 8 329 
Abſ. 2 erwahnten Beſchlüſſe beziehen. Vielmehr erfordert 
die Anwendung des 8 496 Abſ 1 die Zuſtellung des 
. Beſchluſſes im Wege des Amts be⸗ 
triebs. Die Beſtimmung des 8 329 Abſ. 3, wonach 
nur die nicht⸗ verkündeten Beſchlüſſe von Amts wegen 
zugeſtellt werden muſſen, bildet kein Hindernis. Die 
Benimmungen des 8 329 finden nach 8 495 auf das 
Verfahren vor dem Amtsgericht nur Anwendung, ſoweit 
nicht in den beſonderen für das amtsgerichtliche Ver- 
fahren getroffenen Beſtimmungen Abweichungen enthalten 
find. Letzteres iſt aber nach der Novelle vom I. Juni 1909 
in 8 496 Abſ. 1 der Fall. 


Das Amtsgericht München (Vollſtreckungs⸗ 
gericht) hat ſich dieſe Rechtsanſchauung in feſtſtehen⸗ 
der Rechtſprechung und Praxis zu eigen gemacht, 
indem es feitdem, alſo 3'/s Jahre lang, alle auf 
Widerſpruch des . er⸗ 
gehenden Beſchlüſſe von Amts wegen zuſtellen 


berechneten Beſchwerdefriſt auf Antrag des Bläu: 
bigers neuen Termin zur Abnahme des Eides be⸗ 


ſtimmte und bei Nichterſcheinen des Schuldners in 
dieſem Termin den etwa beantragten Haftbefehl 
zur Erzwingung der Eidesleiſtung erließ. 

Neuerdings hatte ſich nun auch das Ober⸗ 
landesgericht München mit dieſer Streitfrage 
zu befaſſen. Mit Beſchluß vom 27. Oktober 1913, 
Beſchw.⸗Reg. 692, hat es ausgeſprochen, daß die 
Zuſtellung verkündeter amtsgerichtlicher Beſchlüſſe 
im Parteibetrieb zu erfolgen habe. Die Akten⸗ 
lage iſt aber leider derart, daß man von einer 
grundſätzlichen Stellung des Oberlandes⸗ 
gerichts nicht gut ſprechen kann; der Hergang iſt 
folgender: Der Gläubiger B. begehrte von ſeinem 
Schuldner H. die Leiſtung des Offenbarungseides; 
im Termin vom 18. September 1913 beſtritt H. 
ſeine Verpflichtung zur Eidesleiſtung; der Wider⸗ 
ſpruch wurde durch ſofort verkündeten Beſchluß 
zurückgewieſen; dieſer Beſchluß wurde am 27. Sep⸗ 
tember von Amts wegen und am 1. Oktober im 
Parteibetrieb zugeſtellt; am 15. Oktober erhob H. 
gegen den Beſchluß ſofortige Beſchwerde zum Land⸗ 
gericht München I, das am 16. Oktober entſprechend 
ſeiner langjährigen Rechtsanſchauung die Beſchwerde 
mit einem Satz als verjpätet und ohne weiteres 
Eingehen auf ihren Inhalt zurückwies; auf weitere 
Beſchwerde hat dann das Oberlandesgericht, das 
von der feſtſtehenden gegenteiligen Rechtſprechung 
ſeiner beiden unteren Inſtanzen und den hiefür 
maßgebenden Gründen anſcheinend keine Kenntnis 
hatte, den landgerichtlichen Beſchluß autgepoben, 
wobei es ohne jede nahere seen ung 
(nur unter Bezugnahme auf 88 496 I, 317, 329 
ZPO. und auf die Kommentare von Gaupp⸗ Stein 
und Förſter⸗Kann und die bei Gaupp⸗Stein an⸗ 
geführten Entſcheidungen und Schriftſteller) aus⸗ 
ſprach, daß „die Friſt für die Einlegung der ſo⸗ 
fortigen Beſchwerde erſt mit der am 1. Oktober 1913 
auf Parteibetreiben erfolgten Zuſtellung“ begann. 
Hiezu möchte ich folgendes bemerken: 

8 496 Abſ. 1 ZPO. lautet: „Die Zuſtellungen 
erfolgen unbeſchadet der Vorſchrift des §317 Abſ. 1 
von Amts wegen“. Davon, daß auch $ 329 Abſ. 2 
unberührt bleibt, iſt im Geſetz nichts enthalten; 
wer dies trotzdem behaupten will, muß für ſeine 
Anſicht Gründe anführen; der bloße Hinweis auf 
Gaupp⸗Stein und Förſter⸗Kann kann als 
ausreichende Begründung nicht betrachtet werden; 
denn durch die bloße Tatſache, daß eine Rechts⸗ 
anſicht von verſchiedenen Seiten aufgeſtellt iſt, wird 
die Richtigkeit dieſer Anſicht noch nicht bewieſen; 
und leider laſſen es eben auch Gaupp-Stein und 
Förſter⸗Kann an einer Begründung ihrer 
Meinung fehlen. Freilich ſind in beiden Kom⸗ 
mentaren für die Richtigkeit ihrer Rechtsanſchauung 


verſchiedene Literaturnachweiſe gebracht, auf die das 


Oberlandesgericht ja mittelbar ebenfalls Bezug 


| nimmt; mit dieſen Literaturnachweiſen hat es aber 
ließ, nach Ablauf der von dieſer Zuſtellung ab | 


folgende Bewandtnis: 
a) bei Gaupp⸗Stein und Förſter-Kann iſt Be⸗ 
zug genommen auf einen Aufſatz von Craſemann 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 39 


(DIZ. 16, 255); der hier einſchlägige Inhalt dieſes 
Aufſatzes, der übrigens unſere Frage nur nebenher 
berührt, läßt ſich kurz folgendermaßen zuſammen⸗ 
faſſen: Gaupp⸗Stein wurde nach Erſcheinen des 
anläßlich der Novelle von 1909 zur 9. Auflage 
herausgegebenen Anhangbandes irrtümlich die 
Meinung unterſchoben, daß er aus 8 497 3 PO. 
folgere, daß auch das Verfahren über den Wider⸗ 
ſpruch des Offenbarungseidsſchuldners dem Amts⸗ 
betrieb unterſtellt ſei; Craſemann weiſt dieſe ver⸗ 
meintliche Anſicht von Gaupp⸗Stein zurück und 
führt dann weiter aus: „Ueber die Art der Zu⸗ 
ſtellung von Entſcheidungen, die im Offenbarungs⸗ 
eidesverfahren, insbeſondere in Gemäßheit des 8 900 
Abi. 3 ZPO. ergehen, find keine Vorſchriften durch 
die Novelle getroffen; es müſſen daher die allge⸗ 
meinen Beſtimmungen der ZPO. über Zuſtellung 
von Beſchlüſſen zur Anwendung kommen. Nach 
dem Grundſatz des § 329 3PO. muß ein ſolcher 
Beſchluß, welcher in der Regel auf Grund einer 
mündlichen Verhandlung ergeht und daher ver⸗ 
kündet wird durch die Partei, nicht 
von Amts wegen zugeſtellt werden.“ Von einer 
Auseinanderjegung mit dem Inhalt des 
hier einſchlägigen $ 496 Abſ. 1 iſt in 
dem ganzen Aufſatz keine Rede. 

1 b) Bei Gaupp-Stein iſt ferner hingewieſen auf 
eine Entſcheidung des OLG. Kolmar und auf 
einen Aufſatz von Weig;; erſtere iſt abgedruckt im 
Jahrgang 1903 der Juriſtiſchen Zeitſchrift ſür das 
Reichsland Elſaß- Lothringen, letzterer im Jahrgang 
1899 der Juriſtiſchen Wochenſchrift; beide ſtammen 
alſo aus einer Zeit, wo ſicher noch niemand an die 
Novelle von 1909 und deren 8 496 Abſ. 1 ge: 
dacht hat. 

c) Bei Gaupp⸗Stein wird endlich eine 1910 
veröffentlichte Entſcheidung des LG. Hamburg 
angeführt, die mir nicht zugänglich war, aber als 
Entſcheidung eines Gerichts mittlerer Inſtanz 
jedenfalls nicht von ausſchlaggebender Bedeutung 
ſein kann, zumal ja das Landgericht München I, 
wie oben ausführlich dargelegt, in gegenteiligem 
Sinn entſchieden hat. 

Für die Zuſtellung im Parteibetrieb, jedoch 
ebenfalls ohne Anführung von Gründen, ſpricht 
ſich bei 8 496 Abſ. 1 auch Neumiller aus. 

Die geſamte übrige Literatur ſcheint der An⸗ 
ſicht zuzuneigen, daß auch verkündete amtsgericht⸗ 
liche Beſchlüſſe von Amts wegen zuzuſtellen ſind; 
ich möchte hier anführen: 

a) Delius, zu 3496 Abſ. 1: „Die Zuſtellung 
der Urteile und gerichtlichen Vergleiche erfolgt 
nicht von Amts wegen, ſondern auf Partei⸗ 
betrieb“. 

b) Neukamp, zu 8 496 Abſ. 1: „Die Zu: 
ſtellung der Urteile erfolgt ausnahmsweiſe 
im Partei betrieb“. 

c) Seuffert, zu 8496 Abſ. 1: „Für die 
Zuſtellung der Urteile verbleibt es bei dem 
Parteibetrieb (8 317 Abſ. 1)“. 


d) Skonietzki⸗Gelpcke, zu $ 496 Abſ. 1: 
„Der Parteibetrieb bei der Urteilszuſtellung 
gilt für alle der Zuſtellung bedürftigen Urteile“. 

Bei 8 900 Abſ. 3 kommen nur Neukamp und 
Seuffert ?) einigermaßen auf die Frage zurück; fie 
tun dies aber in etwas unklarer Weiſe, indem ſie 
ausſprechen, daß nichtverkündete Beſchlüſſe von 
Amts wegen zuzuſtellen ſind, waͤhrend ſie ſich über 
die Zuſtellung der verkündeten Beſchlüſſe nicht 
äußern. Im übrigen ſind auch bei 8 496 Abſ. 1 bei 
keinem der vier Kommentare nähere Ausſührungen 
enthalten; jedoch dürſte aus der Tatſache, daß ſie 
in dem gegebenen Zuſammenhang nicht auch von 
der Zuſtellung der Beſchlüſſe reden, zu folgern 
ſein, daß fie die in $ 496 Abſ. 1 beſtimmte Aus⸗ 
nahme von der Regel des Amtsbetriebs nicht auch 
auf Beſchlüſſe ausgedehnt wiſſen wollen. In nicht 
mißzuverſtehender Weiſe drückt ſich in dieſer Hinſicht 

e) Struckmann⸗Koch aus, der zu $ 496 
Abſ. 1 ausführt: „Nur für die Urteilszu⸗ 
ſtellung iſt zur Vermeidung überflüſſiger 
Zuſtellungen der Parteibetrieb beibehalten 
worden; dies gilt auch für Vergleiche“ und 
zu 8 900 Abſ. 3: „Gegen die (von Amts 

wegen zuzuſtellende) Entſcheidung ſteht beiden 

Teilen die ſofortige Beſchwerde zu“. 

Dieſe Ausführungen von Struckmann⸗Koch 
entſprechen dem klaren Wortlaut des Geſetzes und 
der allgemein anerkannten Regel, daß eine aus⸗ 
dehnende Auslegung von Sondervorſchriften unzu⸗ 
läſſig iſt; denn gegenüber der Beſtimmung, daß 
im amtsgerichtlichen Verfahren alle Zuſtellungen 
von Amts wegen zu erfolgen haben, bilden die 
Worte „unbeſchadet der Vorſchriſt des 8317 Abſ. 1“ 
unzweifelhaft eine Ausnahmevorſchrift. 

Auch die Entſtehungsgeſchichte des 
Geſetzes weiſt darauf hin, daß dieſe Vorſchrift 
bewußt nur für Urteile, nicht auch für Beſchlüſſe 
getroffen werden ſollte. 

Die Begründung der Novelle (Reichstagsver⸗ 
handlungen 1908, Anlagenband 246 S. 4568) 
ſchildert bei $ 496 Abſ. 1 zunächſt die Vorzüge 
der dem Gewerbegerichtsgeſetz nachgebildeten Zu⸗ 
ſtellung von Amts wegen und fährt dann fort: 


„Nur für die Zuſtellung der Urteile ſoll es bei dem 
Parteibetrieb verbleiben. Dies beſtimmt der Abſ. 1, in⸗ 
dem er die Vorſchrift des 8 317 Abſ. 1 auch für das 
amtsgerichtliche Verfahren unbeſchränkt aufrecht erhält. 
Obwohl darin eine Abweichung von dem Verfahren vor 
den Gewerbe⸗ und Kaufmannsgerichten liegt, ſo empfiehlt 
ſie ſich doch, um den Parteien die Möglichkeit zu erhalten, 
die Zwangsvollſtreckung gleichzeitig mit den nach 88 750, 
751 erforderlichen Zunellungen vornehmen zu laſſen; 
bei der Zuſtellung von Amts wegen würde das aus— 
geſchloſſen ſein. Auch werden durch eine ſolche Regelung 
überflüſſige Zuſtellungen vermieden .... Wie im Geſeßz 
einer beſonderen Hervorhedung nicht bedarf, ſind auch 
Vergleiche, welche vor dem Amtsgericht adgeſchloſſen 
werden, nicht von Amts wegen zuzuſtellen. Die Zuſtellung 
eines Vergleichs iſt nur erforderlich, wenn aus ihm eine 
Zwangsvollſtreckung ftattfinden ſoll; die Zuſtellung iſt 


) Von Stonietzki liegt der zweite Band noch nicht vor. 


40 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


daher 1 ebenſo wie die anderer vollſtreck⸗ 
barer Urkunden von der Partei zu betreiben.“ 

Die Gründe, die hier für die durch Hinweis 
auf 8 317 Abſ. 1 gemachte Ausnahme angeführt 
find, treffen im allgemeinen nur für Urteile zu, 
nicht aber für Beſchlüſſe und insbeſondere nicht für 
Beſchlüſſe, durch die der Widerſpruch des Schuldners 
gegen ſeine Verpflichtung zur Leiſtung des Offen⸗ 
barungseides zurückgewieſen wird; denn aus dieſen 
Beſchlüſſen findet weder eine Zwangsvollſtreckung 


Kleine Mitteilungen. 


Die vorlänſige Einſtellung nach $ 208 StPO. Nach 
8208 StOP. kann das Gericht, wenn ein Verfahren 
mehrere derſelben Perſon zur Laſt gelegte Handlungen 
betraf und für die Strafzumeſſung die Feſtſtellung des 
e 93 5 5 e 1 
auf Antrag der Staatsanwaltſchaft beſchließen, da 
das Verfahren wegen der Straffälle, deren Feſtſtellung 
für die Strafe unweſentlich iſt, vorläufig eingeſtellt 
a werde. Dieſe Vorſchrift, von der um der Vereinfachung 
1 noch wird ei Ale um en des Verfahrens und der Koſtenerſparnis willen mög⸗ 
überfläffig ſein, weil fie im Gegenſatz zu den Ur⸗ lichſt häufig Gebrauch gemacht werden ſollte, ſcheint 
teilen nicht die Inſtanz beendigen, ſondern nur ihrem Wortlaut nach nicht den Fall zu treffen, 
ein Hindernis aus dem Wege räumen, das vom daß die weiteren Straffälle nach der Urteilsfällung 
Schuldner der 5 des ge ar un Kenntnis nn aan on ne bat 
gegengeſetzt wird. Der Umſtand, daß es die Be⸗ auch das baveriſche . in ſeinem Beſchluß vom 
gründung für nötig hielt, neben den Urteilen auch 27. Dezember 1905 (Bd. VI S. 253) entſchieden, und 
die Vergleiche zu erwähnen, während der Beſchlüſſe es hat auch in einer Entſcheidung vom 13. Dezember 

% P.; 1913 ſeinen Standpunkt nicht verlaſſen. Die Begrün⸗ 
mit keinem Wort Erwähnung geſchah laßt eben: dung beruht im weſentlichen darauf, daß das Geſetz 
falls darauf ſchließen, daß von der Ausnahme nur dung ' 


; nur eine vorläufige Einſtellung zulaſſen wollte, daß 
r auch die Beſchlüſſe betroffen aber dieſe Einſtellung natürlich endgültig fein müßte, 


0 . wenn ſie nach dem Urteil erfolgen würde. 
Der Reichstagskommiſſion (Anlagenband 254 Dieſe Auslegung des Geſetzes kann unmöglich 
S. 8038) lag der Antrag vor, dem 8 496 Abſ. 1 richtig fein. Denn fie würde entweder dazu führen, 
30. folgende Faſſung zu geben: „Die Zuſtel: daß ein Unrecht an dem Angeklagten begangen wird 
lungen, auch der Urteile, erfolgen unbeſchadet der oder daß eine leere Form erfüllt wird. Beides kann 
Vorſchrift des 8 198 von Amts wegen“. Der aber nicht der Wille des Geſetzgebers geweſen ſein. 
Regierungsvertreter trat dem Antrag mit ſolgenden Man N 15 155 den 1 
Ausführungen entgegen: wegen erbrechen un erge en lebſta 
„Würden die Urteile von Amts wegen zugeſtellt, ſo zu etwa 4 Jabren 55 verurteilt 
würden ſich zunächſt die Zuſtellungen mindenens ver⸗ und befindet ſich zur Verbüßung der Strafe im Ge 
doppeln, weil beiden Parteien zugeſtellt werden müßte. fängnis. Hinterher wird noch ein geringes Vergehen 
Es würden auch abgeſehen davon viele unnütze Zu⸗ | angezeigt. Es iſt ohne weiteres klar, daß die Geſamt⸗ 
ſtellungen erfolgen, weil zahlreiche Streitigkeiten ſich nach ſtrafe nicht höher ausgefallen wäre, wenn die neue Tat 
Verkündung des Urteils durch Zahlung, Vergleich uſw. dem Gerichte ſchon zur Zeit des Urteils bekannt ges 
erledigen, ohne daß das Urteil zugeſtellt wird. Der weſen wäre. Nun ſoll der Staatsanwalt trotzdem 
Regierungsentwurf beſtrebe fi, überflüifige Zuſtellungen gezwungen ſein, Anklage zu erheben. Was iſt die Folge? 
zu vermeiden; außerdem bringe der Antrag den Nachteil Entweder d A klagte erhält i d Ver⸗ 
mit ſich, daß die Parteien nicht mehr über den Lauf der ntweder der Angellagie er in ber neuen er 
Rechtsmittelfriſt des Urteils verfügen könnten, zum min, bandlung eine Zuſatzſtrafe, wenn auch nur von 1 Tage: 
deſten genötigt ſeien, dei Gericht ausdrücklich zu bean⸗ dann geſchieht ihm ſicher Unrecht, denn es geht doch 
tragen, daß das Urteil nicht zugeſtellt wird.“ nicht 1 900 Dan > ſtellen, en, 15 re 
2 Mr einem Grunde, den er nicht zu vertreten hat, die Sache 
Der Antrag wurde hierauf abgelehnt; ſein erſt nachträglich abgeurteilt werden konnte. Oder das 
Inhalt und die Ausführungen des Regierungs⸗ | a 
Gericht Stellt ſich auf den allein richtigen Standpunkt 
vertreters zeigen aber, daß auch die Kommiſſion und verurteilt ihn zwar zur Strafe, beläßt es aber 
bei der in 8 496 Abſ. 1 beſtimmten Ausnahme bei der früheren Gefamtitrafe: dann iſt doch die neue 
Ei 17 . 3 Auge an — 0 br 55 5 zu der Sn die Ladung 170 Reihe 
inſchränkung als zu einer Ausdehnung dieſer Aus- von Zeugen und die Verſchubung des Angeklagten 
nahme geneigt war. nötig war, wirklich nichts als eine Farce, wie ſie ſchon 
Angeſichts dieſer Verhältniſſe erſcheint es nicht um des Anſehens der Gerichte willen vermieden werden 
ausgeſchloſſen, daß das Oberlandesgericht München müßte. . | 
in einem künftigen Fall ſeine Rechtsanſchauung Das Ob“ G. hält ſich bei feinen Entſcheidungen zu 
i 5 ſehr an den Buchſtaben und überſieht dabei den Sinn 
ändert, wenn auch leider kaum zu erwarten iſt, | 
TR des Geſetzes. Der Geſetzgeber hat nicht etwa nur eine 
daß es ſich in abſehbarer Zeit wieder mit diefer borläufige Einſtellung zugelaſſen und eine endgültige 
Frage zu befaſſen hat. Einſtweilen haben ſich die 


N f . Einſtellung verboten, ſondern er hat eben nur an den 
Vollſtreckungsrichter des Amtsgerichts München aus erſten Fall gedacht, den zweiten aber nicht in den Kreis 


praktiſchen Gründen dahin geeinigt, es bis auf ſeiner Erwägungen gezogen. Ich wüßte nicht, was im 
weiteres bei der bisherigen Uebung zu belaſſen, Wege ſtehen ſollte, die Anwendung des 8 208 SPO. 
d. h. die Beſchlüſſe von Amts wegen zuzuſtellen im Wege der Analogie auch auf Fälle der zweiten Art 
und die Rechtsmittelfriſt vom Tag der Amtszu- auszudehnen. Man hält ſich ja auch ſonſt nicht an 
ſtellung an zu berechnen. den genauen Wortlaut der Beſtimmung: denn ſonſt 
dürfte auch nicht wegen Uebertretungen neben Ver⸗ 

brechen oder Vergehen vorläufig eingeſtellt werden, 


Zedttſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


weil ja da immer neben der Zuchthaus⸗ oder Gefängnis⸗ 
ftrafe auf Haft oder Geldſtrafe erkannt werden müßte, 
und ebenſowenig bei mehreren Verbrechen des Be⸗ 
trugs i. R., weil da ſtets neben der Zuchthausſtrafe 
auch Geldſtrafen ausgeſprochen werden müßten, und 
inſoweit alſo die weiteren Fälle nicht als für die 
Strafzumeſſung unweſentlich erſcheinen können. 

Meines Wiſſens ſtellen ſich auch die meiſten Straf⸗ 
kammern auf den hier vertretenen Standpunkt und 
weichen fomit bewußt von dem des Ob“. ab. 

Schwieriger iſt die Frage, wie es zu halten ſei, 
wenn die weitere Tat in einem anderen Gerichtsbezirk 
begangen worden iſt wie in dem des Urteils. M. E. 
ſollte dann der Staatsanwalt, der die früheren Sachen 
angeklagt hat, die neue Sache in analoger Anwendung 
des 8 13 StPO. übernehmen und Antrag nach 8 208 
ſtellen. Wenn das Gericht hierauf nicht eingehen würde, 
bliebe nichts übrig, als daß der Staatsanwalt trotz 
der Beſtimmung in 5 152? StPO. ſelbſt die Einſtellung 
in analoger Anwendung des 8 208 verfügte. Ich ver⸗ 
kenne nicht, daß das eine etwas gewaltſame Ausdehnung 
dieſer Beſtimmung wäre; aber es wäre immer noch 
weit beſſer als die Herbeiführung einer ſinn⸗ und 
zweckwidrigen neuen Verhandlung. 


II. Staatsanwalt Reuß in Augsburg. 


Form des Schuldnerverzeichniſſes nach § 915 390. 
Das Verzeichnis der Schuldner, die den Offenbarungs⸗ 
eid geleiſtet haben oder gegen die wegen Eidesver⸗ 
weigerung die Haft verhängt wurde, wird auf Grund des 
8915 3 PO. und der 88 156 ff. der Geſchäftsanweiſung für 
die Gerichtsſchreibereien der Amtsgerichte in Zivilſachen 
in einer Form geführt, die den Bedürfniſſen des Ver⸗ 
kehrs kaum entſpricht. Hundertmal am Tag wird bei 
größeren Gerichten angefragt, ob der oder jener im 
Schuldnerverzeichnis eingetragen ſei, hundertmal muß 
dann der Beamte nicht ein, ſondern fünf Verzeichniſſe 
nachſchlagen, weil zu jedem Jahresheft der in 8 915 
Abſ. 2 ZPO. vorgeſchriebenen Löſchung wegen ein 
geſondertes Namensverzeichnis geführt wird: dieſe 
Namensverzeichniſſe ſelbſt find zwar nach den 25 Buch⸗ 
ſtaben des Alphabets eingeteilt, innerhalb des ein⸗ 
zelnen Buchſtabens aber ſtehen die Namen ungeordnet 
der Reihenfolge des Eintrages nach, ſo daß der nach⸗ 
ſchlagende Beamte mit geſpannter Aufmerkſamkeit 
Zeile für Zeile leſen muß, um den geſuchten Namen 
nicht in den vielen Seiten zu überſehen, die ein häufiger 
Anfangsbuchſtabe wie E oder M füllt. 

Privatunternehmer haben längſt die Vorteile der 
Kartenverzeichniſſe (ſog. Kartotheken) erkannt; auch 
unſere Behörden ſollten ſolche Hilfsmittel ſich zunutze 
machen, ſo gut wie ſie allenthalben Schreibmaſchinen 
und Vervielfältigungsmittel verwenden. Das Geſetz 
ſteht nicht im Weg, da es über die Geſtaltung des 
Verzeichniſſes keine näheren Vorſchriften macht; aber 
auch die Geſchäftsanweiſung läßt das Kartenverzeichnis 
zu; denn das Schuldnerverzeichnis ſelbſt (Anl. 33) könnte 
beibehalten werden, nur das in 8 156 Abſ. 3 für den 
Bedürfnisfall angeordnete Namensverzeichnis wäre als 
Kartenregiſter anzulegen; die Form dieſes Namens⸗ 
verzeichniſſes iſt aber nicht vorgeſchrieben. Es können 
alſo ohne weiteres die Namensverzeichniſſe zu den 
fünf Jahresheften zuſammengelegt werden; wenn der 
Schuldner nach Ablauf der fünf Jahre aus dem Ver⸗ 


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41 


zeichnis zu löſchen iſt, wird die Karte ausgehoben und 
vernichtet. 

Noch zweckmäßiger wäre es freilich, das Schuldner⸗ 
verzeichnis ſelbſt mit den in Anl. 33 GAGSchr. vor⸗ 
geſehenen Angaben als Kartenregiſter anzulegen, dann 
iſt ein eigenes Namensverzeichnis überflüſſig und es 
genügt ein Griff ins Kartenregiſter, um die Angaben 
über die zu verſchiedenen Zeiten erlaſſenen Haftbefehle, 
Konkursanträge und die ſchließliche Eidesleiſtung auf 
einer Karte vereint vorzufinden. 

Die Einrichtungen der Kartenregiſter (mit Sperr⸗ 
vorrichtungen u. dgl.) ſind ſo vervollkommnet, daß 
Verwirrung der Reihenfolge oder Verluſt einzelner 
Blätter nicht zu beſorgen iſt: werden doch auch die 
nicht minder wichtigen Strafregiſter in Form von 
Blattſammlungen geführt. 

Rechtsanwalt Levinger in München. 


Aus der Nechtſprechung. 
Reichsgericht. 
Zivilſachen. 
I. 


Anwendung des 8 104 Kr. 2 BGB. auf einen Geiftes: 
kranken mit „lichten Zwiſchen räumen“. Aus den 
Gründen: Das OL. ſtellt feſt, daß die Erblaſſerin 
zur Zeit der Errichtung des Teſtaments oder, wie es 
an einer anderen Stelle des Urteils heißt, bei der Er⸗ 
richtung des Teſtaments „dauernd“ an einer krankhaften 
Störung der Geiſtestätigkeit gelitten habe, durch die ihre 
freie Willensbeſtimmung ausgeſchloſſen geweſen ſei. 
Gegen dieſe Feſtſtellung und die darauf gegründete An⸗ 
nahme, daß das Teſtament wegen Geſchäͤfts unfähigkeit der 
Erblaſſerin nichtig ſei (8 104 Nr. 2, § 105 Abſ. 1 BGB.) 
wendet ſich die Reviſion. Nach dem Ergebniſſe der Be⸗ 
weisaufnahme könne darüber kein Zweifel beſtehen, daß 
die Erblaſſerin, wenn ſie geiſteskrank geweſen ſein ſollte, 
nicht etwa an einer ſolchen Erkrankung gelitten habe, 
die ſie dauernd und ununterbrochen geſchäftsunfähig 
gemacht habe, ſondern nur an einer ſolchen Störung, 
die ſog. lichte Zwiſchenräume von erheblicher Zeit⸗ 
dauer zugelaſſen habe, in denen volle Geſchäftsfähigkeit 
beſtanden habe. Allein mit der Annahme des OL G., daß 
die Erblaſſerin „dauernd“ an Verfolgungswahnſinn ges 
litten habe, iſt dem, was die Reviſion von, lichten Zwiſchen⸗ 
räumen“ in dem Zuſtande der Erblaſſerin fagt, der Boden 
entzogen (8 561 Abſ. 2 ZPO.). Aus den Feſtſtellungen des 
OLG. iſt nichts dafür zu entnehmen, daß die Erblaſſerin 
in der erwähnten Zeit jemals geiſtig geſund oder doch 
nicht mehr in ihrer freien Willensbeſtimmung beein⸗ 
trächtigt geweſen wäre; auch unter den Parteien war 
in den früheren Rechtszügen von „lichten Zwiſchen⸗ 
räumen“ nie die Rede. Das OLG. erklärt ausdrücklich, 
die krankhaften Wahnvorſtellungen hätten die Erb⸗ 
laſſerin nicht nur dauernd, ſondern auch derart be» 
herrſcht, daß fie ihre Angelegenheiten „in ihrer Geſamt⸗ 
heit“ nicht zu beſorgen vermocht habe. Wenn es bei 
dieſem Ausſpruch auf 86 BGB. hinweiſt, fo iſt das 
zwar inſofern ungenau, als die Tatbeſtandsmerkmale 
des 8 104 Nr. 2 aus dieſer Geſetzesbeſtimmung ſelbſt 
und nicht im Anſchluß an 8 6 Nr. 1 zu gewinnen find, 
wie das RG. wiederholt ausgeſprochen hat (val. die 
Urt. vom 4. Juni 1909, IV 391/08 JW. 411 Nr. 2 und 
vom 10. Dez. 1910, V 377/10 JW. 179 Nr. 1), ſachlich 
aber iſt es einwandfrei. Das OLG. will zweifellos 
ſagen, die freie Willensbeſtimmung der Erblaſſerin ſei 
infolge der krankhaften Störung der Geiſtestätigkeit, 


42 


an ber fie mindeſtens feit 1900 dauernd gelitten habe, 
allgemein ausgeſchloſſen geweſen. Auf dieſer Grund⸗ 
lage aber konnte es die Geſchäftsunfähigkeit der Erb⸗ 
laſſerin i. S. des 8 104 Nr. 2 unbedenklich feſtſtellen. 
Die Geſchäftsunfähigkeit i. S. des § 104 Nr. 2 ſchließt 
nicht aus, daß der Geiſteskranke vollkommen ordnungs⸗ 
mäßig einzelne Geſchäfte erledigt, die ſeine krankhaften 
Vorſtellungen oder Triebe nicht berühren. Es bedarf 
. aber keines beſonderen Nachweiſes dafür, daß der ge⸗ 
ſchäftsunfähige Geiſteskranke auch gerade bei dem ein⸗ 
zelnen Geſchäft, um das es ſich handelt, unter dem Ein⸗ 
fluſſe ſeiner krankhaften Vorſtellungen oder Triebe ge⸗ 
ſtanden habe und von ihnen beherrſcht geweſen ſei. 
Beweis dafür, daß die Erblaſſerin gerade bei der Er⸗ 
richtung ihres Teſtaments nicht unter dem Einfluß ihrer 
Wahnvorſtellungen geſtanden habe, hatten die Beklag⸗ 
ten nicht angetreten. Es braucht daher nicht erörtert 
zu werden, wie ein derartiger Beweisantrag zu beur⸗ 
teilen geweſen wäre. (Urt. des IV. ZS. vom 22. Sept. 
1913, IV 161/1913). E. 


3192 
II 


Bei dem Verlauf eines Grundſtäcks kaun der Ber: 
Täufer ans der Iuſicherung eines beſtimmten Flächen⸗ 
inhalts unter Umſtänden auch daun in Anſpruch ge: 
nommen werden, wenn die Zuſicherung uur mündlich 
erfolgt und in dem notariellen Vertrag die Gewähr⸗ 
leiſtung für einen beſtimmten Flächeninhalt ansgeſchloſſen 
iſt. Aus den Gründen: Das OLG. geht davon 
aus, daß die Verkäuferin die Größe der Beſitzung wieder⸗ 
holt auf 100 Morgen angegeben habe, während ſie 
tatſächlich nur 88 Morgen beträgt. Es hat in dieſer 
Angabe eine vertragsmäßige Zuſicherung geſehen, die 
zwar, weil in den notariellen Vertrag nicht aufge⸗ 
nommen, der in § 313 BGB. vorgeſchriebenen Form 
entbehre, aber doch wirkſam ſei, weil dieſer Mangel 
durch die Auflaſſung und die Eintragung in das Grund⸗ 
buch geheilt worden ſei. Die Reviſion macht hiergegen 
geltend, dieſe Begründung würde nur haltbar ſein, 
wenn feſtgeſtellt wäre, daß die Vertragsparteien bei 
der Auflaſſung an dieſer in den notariellen Vertrag 
nicht aufgenommenen Zuſicherung feſtgehalten hätten. 
Dieſe Rüge wäre an ſich zu beachten; denn das OLG. 
hat eine dahin gehende begründete Feſtſtellung nicht 
getroffen, eine Vermutung aber für eine derartige An⸗ 
nahme beſteht nicht (Warneyer Erg.⸗Bd. 1909 Nr. 350), 
und dies um ſo weniger, wenn, wie hier, in den nota⸗ 
riellen Vertrag ein Ausſchluß der Gewähr für be⸗ 
ſtimmte Flächengrößen aufgenommen worden iſt. Das 
LG. hat dieſen Ausſchluß zwar dahin gedeutet, daß 
nur der gutgläubige Veräußerer gegen Einwendungen 
aus etwaigen Unſtimmigkeiten zwiſchen den kataſter⸗ 
mäßigen Größenbezeichnungen und dem wirklichen 
Flächeninhalt geſchützt werden ſolle. Das OLG. hat 
es aber dahingeſtellt gelaſſen, ob dieſe Deutung zu— 
treffe oder die andere, nach der auch die Haftung aus 
mündlichen Angaben über den Flächeninhalt dadurch 
abgelehnt werden ſolle. Der letzteren Deutung gegen— 
über wäre aber der Reviſion darin beizupflichten, daß 
damit die Annahme einer vertragsmäßig bindenden 
Zuſicherung einer beſtimmten Flächengröße unverein— 
bar wäre. Es kann dies aber hier dahingeſtellt bleiben, 
denn, wenn das OLG. die Argliſt der Beklagten eins 
wandfrei feſtgeſtellt hätte, könnte entgegen der An⸗ 
nahme der Reviſion der Anſpruch auf das Erfüllungs— 
intereſſe geltend gemacht werden. Es würde ſich dann 
um die betrügliche Zuſicherung einer Eigenſchaft handeln, 
da nach $ 468 BGB. bei Zuſicherung einer beſtimmten 
Größe eines Grundſtücks ebenſo wie für eine zuge— 
ſicherte Eigenſchaft zu haften iſt, jo daß nach der feſt— 
ſtehenden Rechtſprechung des RG. S 463 BGB. ſinn⸗ 
gemäß anwendbar wäre. 
betrügliche Zuſicherung vor, dann wäre ein in den 
notariellen Vertrag aufgenommener Gewährausſchluß 


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Liegt aber eine derartigen, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


nichtig gemäß 8 476 88.; denn wer betrügliche Zu⸗ 
ſicherungen einer Eigenſchaft gemadt hat und feine 
darauf bezüglichen Angaben bei dem Vertragsſchluß 
nicht richtig ſtellt, der verſchweigt argliſtig einen Mangel 
der Sache (JW. 1911 S. 808 Nr. 13). Zur Herbei⸗ 
führung dieſer Nichtigkeit bedarf es nicht, wie die Re⸗ 
viſton meint, einer Anfechtung i. S. des 8 123 BG. 
Dieſe Wirkung tritt vielmehr ohne weiteres ein, wie 
ſich aus 8 476 BG ergibt; fie ergreift aber nicht 
etwa, wie die Reviſion unter Berufung auf 8 139 888. 
darzutun verſucht, auch den übrigen Vertragsinhalt, 
da 8 139 BGB. auf die Sondervorſchrift des 8 476 BGB. 
keine Anwendung findet (RG. Bd. 62 S. 125). Der 
Gewährleiſtungsausſchluß — und nur er allein — 
würde daher nichtig ſein, und der Beklagte aus § 463 
BGB. auf das Erfüllungsintereſſe haften, falls die Ver⸗ 
käuferin, wenn auch nicht in vertraglich bindender Weiſe, 
die Größe mit 100 Morgen angegeben hätte, ſei es, 
daß ſie die Unrichtigkeit dieſer Angabe kannte, ſei es, 
daß ſie mit der Möglichkeit rechnete, daß es auch er⸗ 
heblich weniger ſein könnte, ſie aber die Aeußerung 
getan hätte, um den Kläger zum Kaufe, oder doch zum 
Kaufe zu dem vereinbarten Preiſe zu beſtimmen (War⸗ 
neger Erg.⸗Bd. 1913 Nr. 42). Dann aber könnte der 
Kläger, wie geſagt, das Erfüllungsintereſſe beanſpruchen, 
ſo daß es nicht, wie die Reviſion meint, darauf an⸗ 
käme, ob die Verkäuferin geneigt geweſen ware, zu 
dem darnach ſich ergebenden niedrigeren Preiſe zu ver⸗ 
kauſen. Aber die Argliſt der Verkäuferin muß nach der 
einen oder der anderen oben erwähnten Richtung 
nachgewieſen werden. (Urt. des V. ZS. v. 20. Okt. 
1913, V 41/1913). E. 
3190 
III. 


Haltung der Wirtsfran, die eine Kegelbahn ver: 
mietet, für Unfälle infolge eines Mangels des Bretter: 
belags. Mitverſchulden des kegelnden Gaſtes. Mithaf⸗ 
tung des Ehemanns der Vermieterin. Dem Kläger, 
einem Mitglied des nicht rechtsfähigen Vereins „Frei⸗ 
tagskegelklub“, iſt auf der zur Wirtſchaft gehörigen 
Kegel bahn beim Auflegen der Kugel ein längerer Splitter 
unter den Nagel des Mittelfingers der rechten Hand 
gedrungen, wodurch der Finger ſteif geworden iſt. Mit 
der gegen die Wirtsleute gerichteten Klage verlangt 
er die Entrichtung einer Jahresrente ufm. Das LG. 
hat die Klage abgewieſen. Das OLG. hat den Renten- 
anſpruch gegenüber beiden Beklagten zu /s dem Grunde 
1116 für gerechtfertigt erklärt. Die Reviſion blieb er⸗ 
olglos. 

Aus den Gründen: Die Annahme des OG., 
daß die beklagte Ehefrau dem Kläger aus dem über 
die Benutzung der Kegelbahn geſchloſſenen Mietver- 
trage für die Folgen des Unfalls hafte, läßt keinen 
Rechtsirrtum erkennen. Sie war die Vermieterin der 
Kegelbahn; der Kläger war als Mitglied des nicht 
rechtsfähigen Vereins Mieter. Als ſolcher kann er 
gemäß den Grundſätzen des $ 538 BGB. Schadenserſatz 
beanſpruchen, wenn er durch eine mangelhafte Bes 
ſchaffenheit der Mietſache körperlich verletzt worden 
iſt. Die beklagte Ehefrau war auf Grund des Miet- 
vertrags verpflichtet, ihren Mietern die Kegelbahn in 
einem ſolchen Zuſtande zu überlaſſen, daß fie bei ſach⸗ 
gemäßer Ausübung des Kegelſports nicht Gefahr liefen, 
ſich körperlich zu verletzen. Dies gilt auch für die Be⸗ 
ſchaffenheit des Auflegebretts, mit dem der Kegler beim 
Auflegen der Kugel leicht in Berührung kommen kann. 
Das auf der Kegelbahn befindliche Auflegebrett hatte 
zur Zeit des Unfalls einen Fehler, der ſeine Taug— 
lichkeit zum vertragsmäßigen Gebrauche hinderte. Es 
war ausgekegelt und infolgedeſſen riſſig und mürbe. 
Für den aus dem Mangel ſich ergebenden Schaden 
hatte die beklagte Ehefrau aufzukommen. Wie das 
OLG. zutreffend ausgeführt hat, mußte fie, nachdem 
ihr der früher vorgekommene Unfall des J. mitgeteilt 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


worden war, dem für ſie erkennbaren Mangel ab⸗ 
hel fen, ſei es, daß fie das Brett ausbeſſern oder es durch 
ein neues erſetzen ließ. Sie wußte aus der Mittei⸗ 
lung, daß das Brett bei dem Unfall des J. erheblich 
geſplittert hatte, und mußte ſich bei Anwendung von 
nur einiger Sorgfalt ſagen, daß die Weiterbenutzun 
ihren Mietern gefährlich werden könne. Sie hat jedoch 
jegliche Verbeſſerung unterlaſſen. Darauf, daß ihre 
Haftung durch die Kenntnis des Klägers von dem 
mangelhaften Zuſtande des Brettes ausgeſchloſſen werde 
($ 539 BGB.), kann fie ſich nicht berufen; denn der 
Kläger hat von dem Splittern des Bretts nichts be⸗ 
merkt, was ſich aus der Dürftigkeit der Beleuchtung 
und dem Orte ihrer Anbringung erklärt, der bewirkte, 
daß die Kegler in ihrem eigenen Schatten gekegelt 
haben; von dem Unfall des J. hat er vor ſeiner Ver⸗ 
letzung nichts gewußt. | 
Auch die weitere Annahme des OLE., daß den 
Kläger ein mitwirkendes Verſchulden an dem Unfall 
treffe, läßt keinen Rechtsirrtum erkennen. Zutreffend 
hat das OLG. darauf hingewieſen, daß er von dem 
e Zuſtand des Brettes Kenntnis gehabt habe, 
und daß er deshalb die Möglichkeit des Splitterns habe 
in Erwägung ziehen müſſen; beſondere Vorſicht ſei für 
ihn insbeſondere deshalb geboten geweſen, weil er die 
Gewohnheit gehabt habe, die Kugel mit ſehr tiefer 
Handhaltung auf dem Brette aufzuſetzen. Bei An⸗ 
wendung dieſer Vorſicht mußte der Kläger darauf Ve⸗ 
dacht nehmen, eine Berührung der Hand mit dem 
Brette zu vermeiden. Wenn das OLG. bei der Schadens⸗ 
zumeſſung der Vermieterin die Tragung des größeren 
Teils des Schadens auferlegt hat, ſo iſt auch dies 
rechtlich nicht zu beanſtanden; auf die Verletzung ihrer 
Vermieterpflichten iſt in erſter Linie der Unfall zurück⸗ 
zuführen und ihr Verſchulden iſt das überwiegende. 
Unbegründet iſt endlich die Reviſion des beklagten 
Ehemanns. Das OLG. hat zwar bei dieſem zutreffend 
keine Haftung aus dem Mietvertrag angenommen, da 
er den Mietvertrag nicht in eigenem Namen, ſondern 
in dem ſeiner Frau abgeſchloſſen hat. Dagegen hat 
es ſeine Haftung aus unerlaubter Handlung gemäß 
8 823 Abſ. 1 bejaht, weil er die Wirtſchaft für feine 
Ehefrau geleitet habe und als Leiter ebenſo wie die 
Inhaberin ſelbſt den Gäſten gegenüber verpflichtet ge⸗ 
weſen ſei, für die Inſtandhaltung der Geräte und Ein⸗ 
richtungen Sorge zu tragen. Dieſe Auffaſſung iſt nicht 
zu beanſtanden. Wer es gegenüber einem andern über⸗ 
nommen hat, an deſſen Stelle Obliegenheiten zu er⸗ 
füllen, deren Vernachläſſigung geeignet iſt, das Leben, 
den Körper oder die Geſundheit Dritter zu verletzen, 
macht ſich, wie das Reichsgericht ſchon in feiner Ent⸗ 
ſcheidung vom 7. Dezember 1905 (JW. 1906 S. 55) 
ausgeſprochen hat, einer unerlaubten Handlung im 
Sinne von 8 823 ſchuldig, wenn er die Sorge für die 
Erfüllung jener Obliegenheiten vorſaͤtzlich oder fahr⸗ 
läſſig verletzt. Für die Widerrechtlichkeit der Unter⸗ 
laſſung iſt es unerheblich, ob die Rechtspflicht zur 
Vornahme der Handlung auf Geſetz oder Vertrag be⸗ 
ruht. (Urt. des III. ZS. v. 17. Okt. 1913, III 229/1913). 
3197 


— — - n. 


IV. 


Kaun ſich der wegen unrichtiger Auskunft über 
Grundbuchverhältniſſe haftbar gemachte Notar auf ein 
Mitverſchulden des Verletzten berufen, wenn dieſer eine 
ce Sk dei des Grundbuhamtsd nicht geprüft hat? 
Aus den Gründen: Nicht zu billigen iſt die Entſchei⸗ 
dung in der Frage eines mitwirkenden Verſchuldens nach 
8 254 B88. Das OLG. findet ein ſolches Verſchulden 
darin, daß L. es unterlaſſen hat, die Benachrichtigungen 
des Grundbuchamtes durchzuleſen und zu prüfen. Nun iſt 
zuzugeben, daß ſolche Mitteilungen den Zweck haben, die 
Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Eintragung den Ab— 
ſichten der 5 I entſpricht. Es liegt daher auch 
im Intereſſe des Benachrichtigten, die Prüfung vor⸗ 


43 


zunehmen. Allein ausſchlaggebend wäre das nur, wenn 
etwa das Grundbuchamt einen Fehler begangen hätte 
und hierwegen in Anſpruch genommen werden ſollte. 
Hier aber, wo es ſich um die Pflichtwidrigkeit des 
Notars handelt, iſt zu berückſichtigen, daß die Erklärung, 
auf Grund deren die Eintragung im Grundbuch erfolgte, 
unter Zuziehung des Notars zuſtande gekommen war, 
und daß er, der Rechtskundige, nach der Behauptung 
der Kläger das Fortbeſtehen der Sicherheiten auf den 
anderen Grundſtücken noch ausdrücklich beſtätigt hatte. 
Wenn das richtig iſt, dann durften ſich die Kläger 
darauf verlaſſen, daß alles in Ordnung ſei, und wenn 
ſie im Vertrauen auf die Erklärung des Beklagten es 
unterließen, die Benachrichtigung des Grundbuchamtes 
zu prüfen, ſo kann ihnen jedenfalls der Beklagte daraus 
keinen Vorwurf machen. Auch der Umſtand, daß dem 
L. drei Benachrichtigungen zugeſandt wurden, mußte 
bei dieſer Sachlage nicht notwendig den Verdacht her⸗ 
vorrufen, daß die Eintragung im Grundbuch der Abſicht 
der Beteiligten nicht entſpraͤche. Die Unterlaſſung des 
L. iſt daher hier, wo die Haftung des Notars in Frage 
ſteht, entweder überhaupt kein Verſchulden oder gegen⸗ 
über dem groben, die erſte She Urſache des 
Schadens bildenden Verſchulden des Notars ſo gering⸗ 
fügig, daß es nicht gerechtfertigt iſt, den Klägern auch 
nur einen Teil des Schadens aufzuerlegen. (Urt. des 
III. 35. vom 14. Okt. 1913, III 209/13). — — —n. 
3198 


V 


Liegt eine Verletzung der Amtspflicht „bei einem 
Urteil in einer Rechts ſache“ vor, wenn der Richter die 
Voraus ſetzungen des Beriäummisnrteild nicht mit der 
erforderlichen Sorgfalt prüft? Aus den Gründen: 
Der dritte Klagegrund geht dahin: Der Richter habe 
das Verſäumnisurteil gefällt, obwohl er aus den Ge⸗ 
richtsakten hätte feſtſtellen können und müſſen, daß die 
Terminsſtunde noch nicht herangekommen ſei, der Fall 
der Verſäumnis alſo noch nicht vorgelegen habe. Dieſen 
Klagegrund verwirft das OL G.: Allerdings ſei es die 
Amtspflicht des Richters geweſen, vor Erlaß des Ur⸗ 
teils durch Einfiht der in den Akten befindlichen Ter⸗ 
minsbenachrichtigung zu prüfen und feſtzuſtellen, ob 
die nicht erſchienene Partei ordnungsmäßig und recht⸗ 
zeitig geladen, ob die Terminsſtunde herangekommen 
und der Fall der Verſaͤumnis gegeben ſei. Indem er 
ſich ſtatt deſſen auf das ihm vorliegende Termins ver⸗ 
zeichnis verlaſſen habe, habe er gegen ſeine Amtspflicht 
verſtoßen. Nun treffe den Staat wegen der Amtspflicht⸗ 
vecletzungen der Beamten keine weitere Haftung, als 
fie der 8 839 BGB. für dieſe ſelbſt feſtſetze. Es frage 
ſich aber, ob die dem Richter zur Laſt fallende Verletzung 
ſeiner Amtspflicht „bei dem Urteile in einer Rechts⸗ 
ſache“ begangen ſei, ein Fall, für den der 8 839 Abſ. 2 
Satz 1 die hier unſtreitig nicht erfüllte Vorausſetzung 
für die Haftung aufſtelle, daß „die Pflichtverletzung mit 
einer im Wege des gerichtlichen . zu ver⸗ 
hängenden öffentlichen Strafe bedroht“ ſei. Der Kläger 
verneine die Frage, indem er ausführe, daß das Ver⸗ 
ſehen des Richters vor Erlaß des Urteils, und zwar 
in dem Unterlaſſen der Prüfung liege, ob zur Zeit der 
Verhandlung der Sache die dafür beſtimmte Termins⸗ 
ſtunde herangekommen geweſen ſei. In der Tat ſeien 
Stimmen laut geworden, welche die Sonderſtellung des 
Richters nach 8 839 Abſ. 2 auf die eigentlich urteilende, 
entſcheidende Tatigkeit beſchränken und ſie bei der prozeß⸗ 
leitenden Tätigkeit nicht anerkennen wollten. Insbe⸗ 
ſondere nehme Hachenburg, Vorträge über das BGB. 
2. Aufl. S. 434, indem er ſich auf eine Aeußerung des 
Abgeordneten Lenzmann bei der Beratung des Ent= 
wurfs im Reichstage (Sten. Ber. 1895/97 Bd. 4 S. 2861) 
beruft, an, daß die Prüfung der Vorausſetzungen 
für den Erlaß eines Verſäumnisurteils eine prozeß— 
leitende und keine urteilende Tätigkeit enthalte und daß 
deshalb der Richter ein hierbei vorgekommenes Ver- 


44 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


ſehen vertreten müſſe. Allein das Geſetz ſpreche ganz 
allgemein von einer „bei einem Urteil“ begangenen 
Verletzung der Amtspflicht, und zur Urteilsfällung ge⸗ 
höre nicht nur die eigentliche Entſcheidung und Be⸗ 
gründung, ſondern auch die Feſtſtellung des Tatbeſtandes 
und der ſonſtigen geſetzlichen Vorausſetzungen, bei einem 
Verſäumnisurteile alſo auch die Prüfung und Ent⸗ 
ſcheidung der Frage, ob der Fall der Verſäumnis über⸗ 
92105 gegeben ſei. Derſelben Meinung ſeien auch nam⸗ 

afte Vertreter der Wiſſenſchaft. Bei einer ſolchen Aus⸗ 
dehnung des Begriffes „bei dem Urteil“ ſei aber an⸗ 
zunehmen, daß der Richter das ihm zur Laſt fallende 
len bei Erlaß des Verſäumnisurteils begangen 

e 


Die Reviſion macht auch jetzt wieder geltend, es 
handele ſich hier nicht um ein Verſehen „bei dem Ur⸗ 
teil“, ſondern das Urteil ſei die notwendige Folge 
eines vorherliegenden Verſehens im Verfahren, eine 
Folge davon, daß die Verhandlung vor dem Richter 
zu einer Zeit aufgerufen und durchgeführt worden fei, 
zu der er in eine Verhandlung noch nicht habe ein⸗ 
treten dürſen. Es iſt zuzugeben, daß der Richter ver⸗ 
pflichtet war, auch ſchon vor Eintritt in die Verhand⸗ 
lung und vor Zulaſſung der erſchienenen Partei zu 
dem Antrage auf Erlaß des Verſäumnisurteils zu prüfen, 
ob die geſetzlichen Vorausſetzungen für das Verſäum⸗ 
nisverfahren überhaupt erfüllt ſeien, wozu vor allem 
nach 8 220 ZPO. gehörte, daß die Sache nach Eintritt 
der Terminsſtunde aufgerufen worden war (vgl. JW. 
1907 S. 392 Nr. 12). Wenn ihm daher auch daraus kein 
Vorwurf gemacht werden kann, daß er ſich bei der An⸗ 
ordnung des Aufrufs der einzelnen Sachen zunächſt 
an das ihm von der Gerichtsſchreiberei vorgelegte Ter⸗ 
minsverzeichnis hielt, ſo hätte er doch, ehe er im Ver⸗ 
ſäumnisverfahren die einſeitige mündliche Verhand⸗ 
lung der erſchienenen Partei gemäß 8 331 ZPO. ſtatt⸗ 
finden ließ, prüfen müſſen, ob der nicht erſchienene 
Beklagte auch für die angenommene Terminszeit geladen 
worden ſei. Allein das hierbei von ihm begangene 
Verſehen iſt nicht urſächlich geworden für den Schaden. 
Denn auch unmittelbar ehe der Richter das Verſäum⸗ 
nisurteil ſelbſt erließ, hätte er auch hiefür noch das 
Vorliegen der geſetzlichen Vorausſetzungen feſtſtellen 
müſſen, wie denn der 8 335 Abſ. 1 Nr. 2 ZPO. aus⸗ 
drücklich vorſchreibt, daß der Antrag auf Erlaß eines 
Berfäumnisurteils De LEN iſt, wenn die nicht 
erſchienene Partei nicht ordnungsmäßig geladen war. 
Denn daraus ergibt ſich, daß das Geſetz ſelbſt davon 
ausgeht, der Richter habe vor der Entſcheidung über 
jenen Antrag ſelbſt nochmals zu prüſen, ob der Fall 
der Verſäumnis gegeben ſei und er müſſe, wenn ſich ergebe, 
daß dies nicht der Fall ſei, den Antrag zurückweiſen, 
obwohl er zunächſt das Verſäumnisverfahren zuge⸗ 
laſſen habe. Hieraus folgt aber, daß das wirklich ur⸗ 
ſächliche Verfehen bei Erlaß eines zu Unrecht ergange⸗ 
nen Verſäumnisurteils dem Bereiche der urteilenden 
Tätigkeit des Richters angehört und deshalb unter 
8 839 Abſ. 2 Satz 1 des BGB. fällt. (Urt. des III. 38. 
vom 24. Okt. 1913, III 254/13). 

3196 


— — — . 


VI. 


Pflicht des Teſtaments vollſtreckers, Nechnung zu legen 
und den Oſſenbarungseid zu leiſten. Inwieweit erſtreckt 
ſich der Offenbarungseid auch auf Ausgaben 7 Aus den 
Gründen: Dem OLG. iſt darin beizutreten, daß die 
Klägerin als Miterbin gemäß $ 259 Abſ. 2 und 8 260 
Abſ. 2 BGB. von dem Teſtamentsvollſtrecker die Be⸗ 
eidigung des von ihm aufgenommenen Nachlaßverzeich— 
niſſes und der Rechnung über die Verwaltung des 
Nachlaſſes fordern kann. Nach § 2215 BGB. iſt der 
Teſtamentsvollſtrecker den Erben gegenüber zur Auf— 
nahme des ihnen mitzuteilenden Nachlaßverzeichniſſes 
verpflichtet und hat demgemäß unter den Voraus— 
ſetzungen des 8 260 Abſ. 2 die Vollſtändigkeit des im 


Verzeichnis angegebenen Nachlaßbeſtandes zu be⸗ 
ſchwören. Die den Erben gegenüber beſtehende Ver⸗ 
pflichtung des Teſtamentsvollſtreckers zur Rechnungs⸗ 
legung über die Verwaltung folgt aus 8 2218 in Ver⸗ 
bindung mit 88 666, 667. Vermöge dieſer Pflicht hat 
der Teſtamentsvollſtrecker auf Verlangen des Erben 
unter den Vorausſetzungen des 8 259 Abſ. 2 auch den 
Offenbarungseid zu leiſten. 

Die Reviſion erachtet den Teſtamentsvollſtrecker 
zur Eidesleiſtung nicht ſür verbunden, weil die Ver⸗ 
pflichtung hierzu erſt nach völliger Beendigung ſeiner 
Berwaltungstätigkeit erwachſe, welche Vorausſetzung 
hier nicht vorliege, da unſtreitig noch nicht der geſamte 
Nachlaß verteilt ſei. Unſorgfältige Verwaltung oder 
das Verſchweigen beſtimmter Tatſachen könnten zwar 
Schadenserſatzanſprüche der Berechtigten auslöſen, nicht 
aber den Zeitpunkt der Verpflichtung zur Eidesleiſtung 
ändern. Auch daraus ſei für eine frühere Eidesleiſtung 
nichts herzuleiten, daß der Erbe nach $ 2218 Abſ. 2 
bei einer länger dauernden Verwaltung jährlich Rech⸗ 
nung fordern könne. Damit ie dem Teſtaments⸗ 
vollſtrecker nicht die Pflicht zu wiederholter, jährlicher 
Eidesleiſtung auferlegt. Dieſer Angriff erſcheint nicht 
begründet. Der 8 2218 erklärt allerdings auf das 
Rechtsverhältnis zwiſchen dem Teſtamentsvollſtrecker 
und den Erben die Vorſchrift des 8 666 für entſprechend 
anwendbar und in 8 666 iſt beſtimmt, daß der Beauf⸗ 
tragte nach der Ausführung des Auftrags Rechenſchaft 
abzulegen hat. Die Pflicht zur Rechnungslegung, die 
in der zur Recheunſchaftsablegung nach 8 259 Abſ. 1 
inbegriffen iſt, trifft hiernach den Teſtamentsvollſtrecker 
grundſätzlich erſt, wenn er die ihm als Teſtaments⸗ 
vollſtrecker obliegende Aufgabe erfüllt hat. Dies darf 
aber nicht dahin verſtanden werden, daß er ausnahms⸗ 
los fämtliche aus feiner Aufgabe ſich ergebenden Ver⸗ 
richtungen beendet haben muß und daß ausnahmslos 
ein jedes Stück des Nachlaſſes verteilt ſein muß. Zu 
den Pflichten des Teſtamentsvollſtreckers, der die Aus⸗ 
einanderſetzung unter den Erben zu bewirken hat 
(8 2204 Abſ. 1), gehört es, daß er ſich über die Ber; 
wertung der ſämtlichen Nachlaßgegenſtände den Erben 
gegenüber ausweiſt, wenn er zur endgültigen Aus⸗ 
einanderſetzung ſchreitet, da nur auf dieſer Grundlage 
die Verteilung vorgenommen werden kann. Es ergibt 
ſich hieraus eine Pflicht der Rechnungslegung, deren 
Erfüllung ſpäteſtens zur Zeit der Auseinanderſetzung 
zu erfolgen hat und nicht etwa deshalb aufgeſchoben 
werden darf, weil der Teſtamentsvollſtrecker noch nach 
der Auseinanderſetzung gewiſſe mit der Ausführung 
des Teilungsplans zuſammenhängende Geſchaäͤfte zu 
erledigen hat.. . Der Umſtand, daß z. B. zur 
Deckung von Prozeßkoſten ein beſtimmter Betrag zurück⸗ 
behalten iſt, ſteht der Rechnungslegungspflicht ebenſo⸗ 
wenig entgegen, wie im Konkursverfahren die Schluß⸗ 
rechnung des Verwalters nicht dadurch aufgehalten 
wird, daß bei dem Vollzuge der Schlußverteilung 
Beträge zurückzubehalten und zu hinterlegen find 
(88 162 ff. KO.). Der Teſtamentsvollſtrecker hat denn 
auch in Erfüllung ſeiner geſetzlichen Pflicht tatſächlich 
Rechnung gelegt und er kann ſich demgemäß, da die 
Vorausſetzungen des § 259 Abſ. 2 bedenkenfrei feſt⸗ 
geſtellt ſind, nicht der nach 8 259 begründeten Ver⸗ 
pflichtung entziehen, die Rechnung durch Offenbarungs⸗ 
eid zu bekräftigen. Ohne Einfluß auf die Pflicht zur 
Leiſtung dieſes Eides iſt es, daß gegen den Teſtaments⸗ 
vollſtrecker, der ſeine Pflichten verletzt, insbeſondere 
Nachlaßgegenſtände ſchuldhaft verſchweigt, zugleich 
Schadenserſatzanſprüche erhoben werden können. Ebenſv— 
wenig kann die Beeidigung des Nachlaßverzeichniſſes 
verweigert werden. Es bildet zuſammen mit der an 
das Verzeichnis ſich anlehnenden Verwaltungsrechnung 
die Grundlage der Verteilung, deren Richtigkeit feſt— 
ſtehen muß, wenn geprüft werden ſoll, ob die Erben 
aus dem Nachlaſſe nicht noch weitere Beträge zu 
empfangen haben. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 45 


Die Reviſion hält die Ausdehnung des Offen⸗ 
barungseides auf die Ausgaben für unzuläfſig. Der 
Offenbarungseid des 8 259 erſtrecke ſich nur auf die 
Einnahmen, weil eine Unvollſtändigkeit der Ausgaben 
nur dem Rechnungslegungspflichtigen nachteilig ſei. 
Auch in dem Offenbarungseide aus 88 260, 2028 ſei 
für die eidliche Erhärtung der Angaben über die ge⸗ 
leiſteten Ausgaben kein Raum. Dieſe Ausführungen 
ſind im allgemeinen richtig. Dem Rechnungslegungs⸗ 
berechtigten kann nur daran liegen, daß ihm die Ein⸗ 
nahmen vollſtändig mitgeteilt werden, nicht auch daran, 
daß er die ſämtlichen Ausgaben erfährt. Soweit die 
Ausgaben nicht mitgeteilt werden, gereicht dies nur 
dem Rechnungslegungspflichtigen zum Schaden, der 
dieſe Ausgaben nicht erſetzt erhält. Dem entſpricht es, 
daß der nach 8 259 Abſ. 2 von dem Rechnungslegungs⸗ 
pflichtigen zu leiſtende Offenbarungseid nur darauf 
geſtellt iſt, daß er nach beſtem Wiſſen die Einnahmen 
ſo vollſtändig angegeben habe, als er dazu imſtande 
ſei. In ähnlicher Weiſe iſt der bei Vorlegung eines 
Berzeichniffes über einen Vermögensinbegriff nach 
8 260 Abſ. 2 zu leiſtende Offenbarungseid dahin feſt⸗ 
geſetzt, daß der Vorlegungspflichtige nach beſtem Wiſſen 
den Beſtand (Aktivbeſtand) ſo vollſtändig angegeben 
habe, als er dazu imſtande ſei. In Einklang hiermit 
iſt in 8 2027 nur von dem Beſtande der Erbſchaft und 
in 8 2028 von den Erbſchaftsgegenſtänden die Rede, 
ohne daß die Schulden oder Ausgaben erwähnt ſind. 
Cleichwohl kann die Entſcheidung des OLG. nicht ge⸗ 
mißbilligt werden. Der Vorderrichter verkennt nicht, 
daß der Offenbarungseid aus 88 259, 260 nur die 
Einnahmen und den Bermögensbeftand zum Gegenſtand 
hat. Er führt aber aus: Wenn in den Auskünften 
Nachlaßausgaben tufgefaßne ſind, die nicht gemacht 
find, fo ſei damit in gleicher Höhe der tatſächlich 
vorhandene Nachlaßbeſtand zu niedrig angegeben. Das 
iſt zutreffend und iſt geeignet, die in dem Berufungs⸗ 
urteile dem Offenbarungseide gegebene Ausdehnung zu 
rechtfertigen. Die Auskunfts- und Rechnungslegungs⸗ 
pflicht des Teſtamentsvollſtreckers hat nach 88 2218, 
666, 677, 259, 260 weſentlich die e daß er in 
Anſchluß an das von ihm aufzuſtellende Nachlaßver⸗ 
zeichnis den Beſtand des Nachlaſſes nachzuweiſen hat, 
wie er ſich durch die Verwaltung des Nachlaſſes ge⸗ 
ſtaltet hat und an die Erben abzuliefern iſt. Es 
entſpricht dies der in 8 667 beſtimmten Verpflichtung 
des Beauftragten, alles, was er zur Ausführung des 
Auftrages erhalten hat und was er aus der Geſchäfts⸗ 
führung erlangt hat, dem Auftraggeber herauszugeben. 
Die gleiche Verpflichtung hat nach 82218 der Teſtaments⸗ 
vollſtrecker zu erfüllen. Mit dieſer Herausgabepflicht 
iſt zugleich, da ſie ſich auf einen Inbegriff von Gegen⸗ 
ſtänden, auf die Erbſchaft, erſtreckt, nach 8 260 die 
Verpflichtung verbunden, den Erben ein Verzeichnis 
des ihnen herauszugebenden (unter ſie zu verteilenden) 
Nachlaßbeſtandes vorzulegen und die Vollſtändigkeit 
dieſes Verzeichniſſes zu beſchwören. Der Teſtaments⸗ 
vollſtrecker genügt daher ſeiner Auskunftspflicht nicht 
ſchon dadurch, daß er die Einnahmen vollſtändig in 
Rechnung ſtellt, er hat auch den verbliebenen Nachlaß⸗ 
beſtand vollſtändig anzugeben. Zu dieſem Zwecke hat 
er ſorgfältig zu prüfen, ob die von ihm in Rechnung 
geſtellten Nachlaßausgaben auch wirklich gemacht ſind, 
da andernfalls der herauszugebende Beſtand ein höherer 
ſein müßte. Die Verpflichtung, nach beſtem Wiſſen die 
Vollſtändigkeit des Nachlaßbeſtandes zu beſchwören, 
ſchließt die Verpflichtung in ſich, den Nachlaßbeſtand, 
(wozu auch etwaige Erſatzforderungen gehören), nicht 
der Wirklichkeit zuwider dadurch als niedriger hin⸗ 
zuſtellen, daß 1 berückſichtigt werden, die gar 
nicht zu Zwecken des Nachlaſſes gemacht ſind. Es iſt 
daher nicht zu beanſtanden, daß das OL G., um dieſe 
Verpflichtung dem Teſtamentsvollſtrecker deutlich vor 
Augen zu führen, einen hierauf bezüglichen Zuſatz in 
den Eidesſatz aufgenommen hat, wonach der Beklagte 


beſchwören ſoll, die von ihm als geleiſtet bezeichneten 
Nachlaßausgaben auch wirklich für Nachlaßzwecke ge⸗ 
leiſtet zu haben. (Urt. des IV. 3S. vom 20. Sept. 1913, 
IV 243/13). 

3199 


— — — n. 


VII. 


Können öſterreichiſche Ehegatten die Zuſtändigkeit 
der deutſchen Gerichte für eine Klage auf Eheſcheidung 
vereinbaren? Faun eine ſolche Vereinbarung wegen Irr⸗ 
tums angefochten werden? Die Parteien haben vor dem 
Standesbeamten in N. die Ehe geſchloſſen. Die Frau 
erhob gegen den Mann beim LG. in N. Klage auf Ehe⸗ 
ſcheidung. Unter Berufung darauf, daß er öſterreichi⸗ 
fcher Staatsangehöriger ſei, wandte der Mann die Un⸗ 
zuſtändigkeit des angerufenen Gerichts ein. Das LG. kam 
zu dem Ergebniſſe, daß der Mann und infolge der Ver⸗ 
heiratung auch die Frau öſterreichiſche Staatsangehörige 
ſeien, und wies auf Grund des 8 606 Abſ. 4 ZPO. die 
Klage ab. Die Klägerin legte Berufung ein und be⸗ 
rief ſich für die Zuſtändigkeit der deutſchen Gerichte 
nunmehr auch auf eine fpätere ſchriftliche Erklärung des 
Beklagten, in der diefer die deutſchen Gerichte ausdrück⸗ 
lich als für den Scheidungsſtreit zuſtändig anerkannt 
hat. Das OLE. ſtellte gleichfalls ſeſt, daß die Parteien 
öſterreichiſche Staatsangehörige ſeien, kam aber mit 
Rückſicht auf die Erklärung des Beklagten zu einem 
anderen Ergebnis als das Q®. und erklärte die Einrede 
der Unzuſtändigkeit des Gerichts für unbegründet. Zu⸗ 
gleich verwies es die Sache zurück. Die Reviſion blieb 
erfolglos. 

Gründe: 1. Entſcheidend für die Frage, ob das 
nach 8 606 Abſ. 1 ZPO. an ſich für den Rechtsſtreit 
zweifellos zuſtändige BE. in N. auch nach öſterreichi⸗ 
ſchem Recht zuſtändig tft (8 606 Abſ. 4), find die 88 76, 
100 und 104 der öſterreichiſchen Jurisdiktionsnorm 
(JN.) vom 1. Auguſt 1895. Das OLE. iſt der Anſicht, 
daß nach den 88 76 und 100 JN. das LG. in N. nicht 
zuſtändig ſei. Es erklärt daher ausdrücklich, daß das 
die Klage wegen Unzuſtändigkeit abweiſende landge⸗ 
richtliche Urteil nach der damaligen Sachlage zu Recht 
ergangen ſei. Eine Aenderung iſt aber ſeiner Meinung 
nach durch die Erklärung des Beklagten eingetreten, 
in der zwar das LG. in N. nicht ausdrücklich genannt, 
ſondern nur das OSG. erwähnt ſei, die aber unzweifel⸗ 
haft ſo zu verſtehen ſei, daß ſich der Beklagte der Zu⸗ 
ſtändigkeit des OLG. für den zweiten Rechtszug und 
der des LG. in N. für den erſten Rechtszug habe unter⸗ 
werfen wollen. Der Erklärung mißt das OLG. auf 
Grund des 8 104 Abſ. 1 IN. entſcheidende Bedeutung 
bei. Es verkennt nicht das Bedenken, das daraus ent⸗ 
nommen werden könnte, daß die Erklärung erſt nach 
dem Erlaſſe des landgerichtlichen Urteils abgegeben 
iſt, während nach 8 104 Abſ. 1 Satz 2 JN. die Verein⸗ 
barung dem Gerichte „ſchon in der Klage“ urkundlich 
nachgewieſen werden muß. Weſentlich erſcheint ihm 
jedoch nur, daß das öſterreichiſche Recht die Zuſtändig⸗ 
keitsvereinbarung zuläßt. Die Vorſchrift in 8 104 Abſ. 1 
Satz 2 JN. ſei eine für das öſterreichiſche Prozeßver⸗ 
fahren gegebene Ordnungsvorſchrift ohne ſachliche Be⸗ 
deutung, ſie könne alſo für die deutſchen Gerichte nicht 
bindend ſein, wenn die Vereinbarung in Deutſchland 
geſchloſſen ſei. Nach deutſchem Rechte könne aber die 
Vereinbarung auch noch im Laufe des Rechtsſtreits ge⸗ 
ſchloſſen werden, da die Einrede der Unzuſtändigkeit 
zu den verzichtbaren Einreden gehöre und ſich eine der 
Vorſchrift in 8 104 Abſ. 1 Satz 2 JN. gleiche Vorſchrift 
im deutſchen Rechte nicht finde. In der Zuſtändigkeits⸗ 
vereinbarung ſeien allerdings die Parteien inſofern 
beſchränkt geweſen, als ſie nur die Zuſtändigkeit des 
nach den deutſchen Geſetzen zuſtändigen deutſchen Ge⸗ 
richts hätten vereinbaren können. Das ſei aber ge⸗ 
ſchehen. Auch die Vorſchrift des 8 40 Abſ. 2 3PO. 
könne deshalb der Vereinbarung nicht entgegenſtehen, 
da es ſich hier nicht um Vereinbarung der Zuſtändig— 


46 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


keit eines nach deutſchem Recht ſonſt unzuſtändigen Ge- 
richts handele, ſondern nur um die Beſeitigung des 
Hinderniſſes, das das ausländiſche Recht der Zuſtändig⸗ 
keit des nach den deutſchen Geſetzes an ſich zuſtändigen 
Gerichts bereiten würde. 

Die ſich an die Beſtimmung ing 104 Abſ. 1 Satz 2 JN. 
anlehnenden N bekämpft die Reviſion, in⸗ 
dem fie dem OLG. unzuläſſige Verquickung deutſcher 
und öſterreichiſcher Rechtsſätze vorwirft und die Anſicht 
vertritt, die Frage, ob das LG. in N. auch nach öſter⸗ 
reichiſchem Rechte zuſtändig iſt, ſei einzig und allein 
nach den öſterreichiſchen Geſetzen zu beurteilen. Bei 
ihrer Rüge geht die Reviſton erſichtlich davon aus, daß 
auf eine Verletzung öſterreichiſchen Rechts das Rechts⸗ 
mittel nicht geſtützt werden könne (8 549 3 O.), daß 
vielmehr die Auslegung, die das OLG. der öſterreichi⸗ 
ſchen Jurisdiktionsnorm gegeben hat, auch für das 
Reviſionsgericht maßgebend ſei (8 562 3 PO.) . Dieſer 
Ausgangspunkt der Reviſion iſt, obwohl es ſich im 
Streitfall um die Frage nach der Zuſtändigkeit des an⸗ 
gerufenen Gerichts, alſo um einen Punkt handelt, den 
das OLG. von Amts wegen zu prüfen hatte, zutreffend 
und entſpricht dem, was der Senat in anderen Fällen 
als richtig anerkannt hat (vgl. JW. 127 Nr. 4 Schluß). 
Infolgedeſſen iſt auch die Annahme des OLG. nicht 
nachzuprüfen, daß die Vorſchrift in 8 104 Abſ. 1 Satz 2 
JN., wonach die in Satz 1 geſtattete Vereinbarung der 
Parteien über die Zuſtändigkeit eines an ſich unzu⸗ 
ſtändigen Gerichts dieſem „ſchon in der Klage“ ur⸗ 
kundlich nachgewieſen werden muß, nur eine den deut⸗ 
ſchen Richter nicht bindende Ordnungsvorſchrift iſt. 
Von dieſer Grundlage aus läßt es ſich aber nicht be⸗ 
anſtanden, wenn das OLG. in 8 104 Abf. 1 Satz 2 JN. 
kein Hindernis findet, die Zuſtändigkeit des LG. in N. 
auch nach öſterreichiſchem Rechte für gegeben zu er⸗ 
achten. Seine Ausführungen, denen auch die Vor⸗ 
ſchrift in 8 263 Abſ. 2 Nr. 2 ZPO. nicht entgegenſteht 
(vgl. RG. Z. Bd. 52 S. 136 und Warneyer Ergänzung 
1913 Nr. 37 S. 48), ſind vielmehr im Ergebniſſe ein⸗ 
wandfrei, mag auch nicht jeder einzelnen Wendung zu⸗ 
zuſtimmen ſein. Dies umſomehr, als der deutſche Pro⸗ 
zeßrichter, ſoweit ihm nicht Schranken gezogen ſind, 
grundſätzlich ſtets von der Maßgeblichkeit des deutſchen 
Prozeßrechts auszugehen hat. 

2. Der Beklagte hat ſeine Erklärung, auf die ſich 
die Anwendung des § 104 JN. aufbaut, wegen Irr⸗ 
tums angefochten, weil er bei der Abgabe ein Schreiben 
der Klägerin und ihr aus dieſem Schreiben hervor⸗ 
gehendes übles Verhalten noch nicht gekannt habe. 
Demgegenüber führt das OLG. aus, eine Zurücknahme 
der Erklärung ſei nicht zuläſſig, weil die einmal ge⸗ 
ſchloſſene Vereinbarung für die Parteien bindend ſei, 
ebenſowenig könne aber eine Anfechtung wegen Irr— 
tums erfolgen ($ 119 BGB.), weil der vom Beklagten 
behauptete Irrtum nur ein Irrtum im Beweggrunde 
ſei. Die Reviſion bemängelt auch das, indem ſie be— 
merkt, die Frage, ob der Beklagte die Erklärung mit 
Recht angefochten habe, ſei ebenfalls nicht nach deut— 
ſchem, ſondern nach öſterreichiſchem Rechte zu entſcheiden. 
Auch dieſer Angriff geht fehl. Bei der Erklärung handelt 
es ſich um eine Willenskundgebung des Beklagten in 
einem vor einem deutſchen Gerichte ſchwebenden Rechts- 
ſtreite, die die Zuſtändigkeit eines deutſchen Gerichts 
zum Gegenſtande hatte. Solche Erklärungen können 
in ihrer Wirkſamkeit nur nach deutſchem Rechte beur— 
teilt werden. Nach deutſchem Recht aber ſind rein pro— 
zeſſuale Willenserklärungen, die eine Verfügung über 
die Geſtaltung der Beziehungen der Parteien zueinander 
im Prozeß enthalten, wegen Irrtums überhaupt nicht 
anfechtbar. Das hat das Reichsgericht für die Zurück— 
nahme von Rechtsmitteln ausgeſprochen (RGZ. 81 
S. 177), es muß aber auch für Zuſtändigkeitsverein— 
barungen gelten. (Urt. des IV. 35. vom 22. Sept. 1913, 
IV 333/13). 

3200 


-———ın. 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Mehrere Firmen eines Kaufmanns (GEB. 88 13, 
17, 18, 30, 50 Abſ. 3). Der Kaufmann und Orthopäd 
Franz M. betreibt in D. fabrikmäßig die Herſtellung 
von Körper⸗Geradehaltern und iſt für dieſen Geſchäfts⸗ 
betrieb feit 16. Mai 1913 im Handelsregiſter des Amts⸗ 
gerichts D. mit der Firma „Zentrale Franz M.“ ein⸗ 
getragen. Am 19. Juni 1913 meldete M. zur Eintra⸗ 
gung in das Handelsregiſter des Amtsgerichts N. an, 
daß er in N. eine Handelsniederlaſſung errichtet habe, 
deren Gegenſtand die Vertretung der Firma Zentrale 
Franz M. in D. bilde und die die Firma „Franz M.“ 
führe. Nach dem Ergebniſſe der Ermittelungen wies 
das Amtsgericht die Eintragung zurück, da der Ge⸗ 
ſchäftsbetrieb des Franz M. in N. weder eine zweite 
felbſtändige Hauptniederlaſſ ee eine eintragsfähige 
Zweigniederlaſſung noch ein Agenturgeſchäft ſei. Die 
Beſchwerde des M. hatte keinen Erfolg. Auf die weitere 
Beſchwerde wurden die Entſcheidungen aufgehoben und 
das Amtsgericht angewieſen erneut zu verfügen. 

Aus den Gründen: Der Beſchwerdeführer will 
ſeine Niederlaſſung in N. nicht als Zweigniederlaſſung 
des Geſchäfts in D., ſondern als ſelbſtändige Firma 
eintragen laſſen. Nach der überwiegenden Anſicht kann 
jeder Kaufmann, der mehrere Niederlaſſungen hat, ver⸗ 
ſchiedene Firmen führen, vorausgeſetzt, daß die Geſchäfte 
getrennt und ſelbſtändig betrieben werden (Staub, 
HGB., 9 Aufl., Bem. 3 zu 817; Brand, HGB. Bem. I, 6 
Abſ. 2 zu 8 17, Bem. 2, b zu 8 50 u. a.). Der Senat 
ſchließt ſich dieſer Anſicht an, für die auch der Wort⸗ 
laut des § 50 Abſ. 3 HGB. ſpricht. Betreibt der nämliche 
Kaufmann in verſchiedenen Niederlaſſungen die Her⸗ 
ſtellung und den Verkauf der gleichen Ware, ſo hängt 
es von ſeinem Willen ab, ob der Betrieb einheitlich 
oder in jedem Geſchäft ſelbſtändig geführt wird. Keine 
Vorſchrift hindert ihn, am Orte ſeines Wohnſitzes oder 
an einem anderen Orte ein Handelsgeſchäft — ſei es 
das gleiche, das er an ſeinem Wohnſitze betreibt, oder 
ein anderes — unter der gleichen oder unter einer 
anderen Firma zu betreiben, ſofern er nur den 88 18 
und 30 HGB. Rechnung trägt. Es kommt alſo nur 
darauf an, ob die Niederlaſſung in N. gegenüber dem 
Geſchäfte in D. ſelbſtändig iſt. 

Der Beſchwerdeführer hat den Vertrieb ſeiner ortho⸗ 
pädiſchen Geradehalter ſo eingerichtet, daß er an ver⸗ 
ſchiedenen Orten Mittelpunkte geſchaffen hat, von denen 
aus ſie in einem beſtimmten Umkreis verkauft werden. 
Einer dieſer Mittelpunkte iſt N. Dort hat er eine Ge⸗ 
hilfin aufgeſtellt, die in ſeinem Namen die Beſtellungen 
aufſucht und entgegennimmt, die Maße nimmt und 
zur Ausführung des Auftrags an die Fabrik abgibt, 
die die fertigen Waren zugeſchickt erhält, an den Be⸗ 
ſteller auslieſert, etwaige Aenderungen beſorgt und die 
Kaufpreiſe empfängt. Dort werden durch eine eigene 
Buchhalterin die Beſtellungen und die Ablieferungen 
der Waren ſowie die Zahlungen verbucht. Dorthin 
begibt ſich der Geſchäftsherr von Zeit zu Zeit, um die 
Führung der Geſchäfte zu uͤberwachen. Der Vetrieb 
iſt alſo von dem in D. äußerlich wahrnehmbar getrennt. 
Würde allerdings die Niederlaſſung in N. bloße Vorbe⸗ 
reitungs- oder Vermittelungs-oder Hilfsgefchäfte feines 
Geſchäfts in D. beſorgen, ſo würde ihr die Selbſtändig⸗ 
keit fehlen. Denn die feſtſtehende Rechtſprechung ſpricht 
bei einem ſolchen Abhängigkeits verhältnis einer Nieder 
laſſung mit Recht die Eigenſchaft einer firmenfähigen 
Zweigniederlaſſung ab. In einem ſolchen Falle können 
um ſo weniger mehrere firmenfähige Hauptniederlaſ— 
ſungen vorliegen. Allein in der Niederlaſſung in N. 
werden ſelbſtändig Geſchäfte gemacht und zwar nicht 
bloß nebenſächliche oder nach genau gegebenen An— 
weiſungen ſchematiſch zu erledigende, ſondern auch für 
das Geſchäft weſentliche mit einer gewiſſen Freiheit 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 47 


— ——— — 


der Entſchließung für die Leiterin. Dadurch, daß die 
Waren in D. hergeſtellt und von dort verſendet und 
daß dorthin die Gelder abgeliefert werden, wird die 
Selbſtändigkeit der Niederlaſſung in N. nicht beein⸗ 
trächtigt, auch nicht dadurch, daß von einem Lager 
fertiger Waren in der onen zu N. nicht ges 
ſprochen werden kann, da die Waren erſt nach Maß 
und auf Beſtellung geliefert werden können, ein Vor⸗ 
rat alſo gar nicht möglich iſt. Die Niederlaſſung in 
N. hat auch ein beſonderes Geſchäftsvermögen. Ein 
ſolches ſind mindeſtens die ausſtehenden Forderungen 
und die von der Handlungsgehilfin vereinnahmten noch 
nicht abgelieferten Kaufpreiſe, andrerſeits die Schulden 
für Löhne und Miete. Die Höhe dieſes Vermögens 
it nicht von Belang. (Beſchl. des I. ZS. v. 8. Nov. 
1913, Reg. III 87/1913). W. 
3183 


II. 


Begriff des Kleingewerbes. Boraubſetzungen für die 
Annahme eines kaufmänniſchen Betriebs bei einem Fiſch⸗ 
udelsgeſchäfte. (G. 88 2, 4; ADHEB. Art. 4, 10). 
us den Gründen: Das LG. meint, daß die Vor⸗ 
ſchriften des HB. über die Firma auf M. K. nicht an⸗ 
zuwenden ſeien, weil ſein Gewerbebetrieb nicht über 
den Umfang des Kleingewerbes hinausgehe (84 HGB.). 
Als Maßſtab dafür, ob ein Gewerbebetrieb den Um⸗ 
fang des Kleingewerbes überſchreite, gelte nicht nur 
der Umfang des Geſchäfts und die Höhe des Umſatzes, 
ſondern auch die Art des Geſchäftes. Der Senat teilt 
die Meinung, daß zum Begriffe des Kleingewerbes ein 
Gewerbebetrieb gehört, der ſowohl wegen ſeines Um⸗ 
fanges als auch wegen feiner Art keine kaufmänniſche 
3 80 erfordert; der Begriff „Kleingewerbe“ in 
94 GB. iſt im engſten Zuſammenhange mit dem 82 
HEB. auszulegen, dieſer aber ſpricht von einem Ge⸗ 
werbebetrieb, der nach Art und Umfang einen in kauf⸗ 
männiſcher Weiſe eingerichteten Geſchäftsbetrieb er» 
fordert. Dieſe Anſicht iſt herrſchend (vgl. Staub 9. Aufl. 
Bd. 1 S. 67; Ritter S. 14; Düringer⸗ Hachenburg S. 154; 
Brand S. 20, 29 u. a.). 

Das Geſchäft des K. iſt eines der größten dieſer 
Art in N., weiſt einen jährlichen Umſatz von ungefähr 
90000 M auf und verwendet ftändig 4 Hilfskräfte. Es 
iſt alſo nach feinem Umfang erheblich. Das LG. meint 
aber, die einfache Art, wie der große Umſatz erzielt 
werde, mache kaufmänniſche Einrichtung unnötig. Es 
beruft ſich darauf, daß K. keinen eigentlichen Laden 
mit Schaufenſtern und den bei großen Lebensmittel⸗ 
geſchäften üblichen geſundheitlichen Einrichtungen habe, 
daß er ſeine Fiſche in einer Art kleinen, offenen Altane 
verkaufe, die hinter ſeinem, abſeits von allem Geſchäfts⸗ 
verkehr in einer Nebengaſſe liegenden Hauſe über das 
vorbeifließende Gewäſſer hinausrage und einen äußerſt 
beſchränkten Eindruck mache. Allerdings können unter 
Umſtänden auch Betriebs-, Lager⸗ und Geſchäftsräume 
Anhaltspunkte für die Notwendigkeit kaufmänniſcher 
Betriebsweiſe geben. Es kommt aber darauf an, um 
welche Waren es ſich handelt; für das Geſchäft des 
K. iſt ein am Waſſer liegendes Haus am geeignetften; 
er braucht bei ſeinem bekannten Geſchäfte keinen Laden 
mit Schaufenſtern; die Lagerung der Fiſche in ſolchen 
Fenſtern iſt ganz unzweckmäßig; der Verkauf in einem 
offenen Raume und in der Art, daß jeder Fiſch friſch 
aus dem Waſſer geholt wird, iſt die beſte geſundheit⸗ 
liche Einrichtung. K. hat das Haus um 45 000 M er⸗ 
worben, alſo ein bedeutendes Kapital verwendet; das 
ſpricht aber für die Notwendigkeit kaufmänniſcher Be⸗ 
triebsweiſe. Das LG. ſtützt ſich vor allem darauf, 
daß K. ſeine Ware im weſentlichen gegen bar kaufe 
und verkaufe, nur die Hotels rechneten monatlich ab; 
Forderungen und Schulden ſeien ſo gut wie nicht vor⸗ 
genden: Dies ſpricht nicht gegen die Notwendigkeit 
aufmänniſcher Betriebsweiſe. K. hat einen großen 
Kreis von Lieferanten; wenn er auch im weſentlichen 


gegen bar kauft und verkauft, ſo macht er doch auch 
erhebliche Verkäufe an Hotels und Wirtſchaften auf 
kurzen Kredit. Der ordnungsmäßige Betrieb erfordert 
hiernach kaufmänniſche Einrichtungen, insbeſondere 
eine geordnete Buchführung; K. führt auch Bücher; 
ob dieſe den kaufmänniſchen Anforderungen genügen, 
iſt gleichgültig. Denn entſcheidend iſt nicht, ob die 
ührung des Geſchäfts durch den gegenwärtigen In⸗ 
aber, ſondern ob der ſachliche Befund eine kauf⸗ 
männiſche Betriebsweiſe erforderlich macht. 

K. darf hiernach eine Firma führen. Es fragt ſich 
noch, ob er die eingetragene Firma „Heinrich M.“ 
führen darf. Das trifft zu, wenn es die ee 
des K., Simon M. und Heinrich M. durften und Hein⸗ 
rich M. beim Geſchäftsübergang auf Simon M. und 
dieſer beim Geſchäftsübergang auf Michael K. in die 

ortführung der Firma ausdrücklich willigten. Das 
G. verneint auch dieſe Fragen, weil Heinrich M. und 
Simon M. gleichfalls nicht firmenberechtigt geweſen 
ſeien. Jedoch mit Unrecht. Bezüglich des Heinrich M., 
der das Geſchäft bis zum Jahre 1890 unter der Firma 
„Heinrich M.“ geführt hat, iſt das ADHGB. anzu⸗ 
wenden. Nach deſſen Art. 10 waren die Vorſchriften 
über die Firmen, die Handelsbücher und die Prokura 
auf Höker, Trödler, Hauſierer u. dgl. Handelsleute von 
geringem Gewerbebetriebe nicht anzuwenden. Die Aus⸗ 
legung der Worte: „u. dgl. Handelsleute von geringem 
Gewerbebetrieb“ war nicht unbeſtritten. Nach der 
einen Meinung war jeder Minderkaufmann i. S. des 
Art. 10, deſſen Gewerbebetrieb einen geringen Um⸗ 
fang hatte; die andere Meinung verlangte auch noch 
eine Aehnlichkeit mit den Geſchäften der Höker, Trödler 
und Hauſierer. Nicht ganz zutreffend iſt die Annahme 
in der Denkſchrift zum HGB. vom 10. Mai 1897 (S. 15), 
daß ſich die Worte: „u. dgl. Handelsleute von ge⸗ 
ringem Gewerbebetrieb“, nach übereinſtimmender An⸗ 
ſicht der 1 und Rechtſprechung nur auf Per⸗ 
ſonen beziehen, deren Gewerbebetrieb ſeinem Gegen⸗ 
ſtand nach mit den Betrieben der Höker, Trödler und 
Hauſierer verwandt ſei; für die andere Anſicht haben 
ſich Thöl Bd. I 8 39, Anſchütz und Völderndorff Bd. I 
S. 679 ausgeſprochen. Zu dieſer Frage braucht aber 
keine Stellung genommen zu werden, da Heinrich M. 
weder nach der einen noch nach der anderen Richtung 
unter die Minderkaufleute fallen würde Er verkaufte 
/s feiner Fiſche in feinem Anweſen und nur an einem 
Tage der Woche ließ er ſeine Waren auch auf dem 
Markte feilbieten; es kann deshalb nicht davon ge⸗ 
1 werden, daß ſein Geſchäft Aehnlichkeit mit 
em eines Hökers hatte. Es handelte ſich aber auch bei 
einem Umſatze von jährlich 10 000 - 12 000 M nicht um 
einen geringen Gewerbebetrieb. Heinrich M. war hier⸗ 
nach Vollkaufmann, er durfte eine Firma führen und 
wäre berechtigt und verpflichtet geweſen, ſie in das 
Handelsregiſter eintragen zu laſſen. Gemäß Art. 22 
ADH. konnte er dieſes Firmenrecht auf den Erwerber 
des Geſchäfts übertragen ohne Rückſicht darauf, ob 
die Firma im Handelsregiſter eingetragen war oder 
nicht. (Beſchl. des I. ZS. vom 10. Oktober 1913, Reg. III 
65/1913). W. 
3184 
III. 


Beſchwerdegegenſtand bei Beſchwerden wegen Er⸗ 
teilung eines Erbſcheins, wenn Grundſtücke zum Nach⸗ 
laſſe gehören. Sophie A. hat ihre 5 Kinder zu Erben 
eingeſetzt jedem beſtimmte Nachlaßgegenſtände, ins⸗ 
beſondere dem Sohne Paul vorweg die Villa in S. 
mit Nebengebäuden und ſämtlichen hiezu gehörigen 
Grundſtücken zugewendet. Nachdem die Beteiligten 
die Erbſchaft angenommen hatten, beantragte Paul A. 
die Ausſtellung eines Erbſcheins darüber, daß er Erbe 
des geſamten Grundbeſitzes in S. geworden ſei, und 
gab den Wert auf 1000 000 M an. Das Amtsgericht 
ſtellte den Erbſchein in dieſem Sinne für Paul, A. aus; 


48 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2, 


der Grundbeſitz wurde im Grundbuch umgeſchrieben. 
Später beſchloß das Amtsgericht, daß der dem Paul A. 
bezüglich des Grundbeſitzes ausgeſtellte Erbſchein ein⸗ 


gezogen werde, weil er unrichtig ſei. Die Beſchwerde 
wurde vom Landgerichte zurückgewieſen. Den Wert 
des Beſchwerdegegenſtandes ſetzte das 88. auf 1000000 M 
feſt. Auf die Beſchwerde gegen die Wertsfeſtſetzung 
ſetzte das Obs G. den Wert auf 12 000 M feſt. 
Gründe: Der Wert des Beſchwerdegegenſtandes 
iſt hier nicht der Wert der Grundſtücke, ſondern maß⸗ 
gebend iſt das Intereſſe, das der Beſchwerdeführer an 
dem Erfolge der Beſchwerde hat, und dieſes Intereſſe 
beſteht in der Erſparung der Koſten, die durch einen 
Auseinanderſetzungsvertrag über den Grundbeſitz in S. 
entſtehen. Nach Art. 147 Geb. wird für Verträge 
über die Auseinanderſetzung in Anſehung eines Nach⸗ 
laſſes, ſoweit ſie Grundſtücke zum Gegenſtand haben, 
die Gebühr von 1% der Gegenſtandsſumme, ir aus 
1000000 * 10000 M erhoben. Im Hinblick hierauf 
und auf die Notariatskoſten iſt es angemeſſen, den 
Wert des Streitgegenſtandes auf 12 000 M feſtzuſetzen. 
(Beſchl. des I. JS. v. 5. Dez. 1913, Reg. III . 
8188 . 


IV. 


Far die Rückſendung der bei der ee er 
vo enden Ausfertigung des angefochtenen Urteils 
dürfen Poſtgebähren nicht erhoben werden (GKG. 8 80 b). 
In einer Streitſache hat der Rechtsanwalt T. für 
die Beklagten Reviſion eingelegt und eine Aus⸗ 
fertigung des angefochtenen Urteils vorgelegt. Das 
Obs. erklärte ſich für zuſtändig. Dem von den Re⸗ 
viſionsklägern für die Reviſionsinſtanz beſtellten Rechts⸗ 
anwalt wurde auf Antrag die vorgelegte Ausfertigung 
des Berufungsurteils von der Gerichtsſchreiberei des 
Obs. als portopflichtige Dienſtſache zurückgeſandt. 
Auf Erinnerung des Rechtsanwalts hin erklärte das 
Obs G. die Erhebung von Poſtgebühren für die Rück⸗ 
ſendung als nicht gerechtfertigt. 

Gründe: Nach 8 1 GKG. werden in den vor die 
ordentlichen Gerichte gehörenden Rechtsſachen, auf 
welche die ZPO., die StPO. oder die KO. anzuwenden 
ſind, Gebühren und Auslagen der Gerichte nur nach 
dem GKG. erhoben. Im 8 79 Nr 1 und 8 i. d F. der 
Nov. v. 1. Juni 1909 ſind die zu erhebenden baren Aus⸗ 
lagen aufgeführt. Die in § 79 Nr. 2 a. F. aufgeführten 
Poſtgebühren werden nicht mehr erhoben; dagegen 
werden nach $ 80 b n. F. zur Deckung der von den 
Parteien nicht zu erſetzenden baren Auslagen Pauſch— 
ſätze erhoben, die Poſtgebühren werden alſo durch die 
Pauſchſätze mit abgegolten (Sydow, GKG., 9 Aufl Anm. 
und 2 zu 8 80 b). Diefe Beſtimmungen find in bürger- 
lichen Streitigkeiten auf alle von dem Gerichte oder 
der Gerichtsſchreiberei ausgehenden Poſtſendungen an- 
zuwenden, ſoferne dieſe mit der anhängigen Streits 
ſache zuſammenhängen Dies iſt bei der Rückſendung 
der mit der Reviſionsſchrift vorgelegten Ausfertigung 
des Urteils der Fall. Nach 8 553 a ZPO. ſoll mit der 
Reviſionsſchrift eine Ausfertigung oder beglaubigte Ab— 
ſchrift des Urteils, ſowie der Nachweis der Zuſtellung 
vorgelegt werden. Dieſe Vorſchrift ſoll dem Gerichte 
die Prüfung ermöglichen, ob die Reviſion in der ges 
ſetzlichen Form und Friſt eingelegt iſt (§ 554 a); die 
Abſchrift iſt dem Reviſionskläger zurückzugeben (f. a. 
§ 11 Abſ. IV der Geſchel f. d Gerichtsſchreibereien der 
LG. in ZS. vom 2. März 1910 bezüglich der Rückgabe 
der gemäß § 518 Abſ 3 ZPO. vorgelegten Ausfertigung 
oder beglaubigten Abſchrift; § 1 der Geſchel f. d. Ge: 
richtsſchreibereien der Oe in ZS. vom 2. März 1910, 
JM Bl. S. 480, 547). (Beſchl. des II. 3 S. v. 3. Dez. 1913, 
Reg. I 119/113). W. 

3139 


B. Strafſachen. 
I 


Luſtbarkeitsſtener. Was verficht man unter Ber: 
auſtaltung einer öffentlichen Luſtbarkeit 7 Der Schank⸗ 
wirt Sch. in H. ſpielte abends in ſeiner Wirtſchaft mit 
zwei Gäſten A und B Skat; fie machten um 10 Uhr 
eine Eſſenspauſe; bis A und B ihren Imbiß einge⸗ 
nommen hatten, ſpielte Sch. auf der Violine drei kleine 
volkstümliche Stücke und wurde auf ſein Anſuchen von 
dem Gaſte W., einem Berufsmuſiker, unentgeltlich be⸗ 
gleitet. An einem anderen Tiſche hatte ein Gaſt ſeinen 
Tiſchgenoſſen ein Fäßchen Bier zum beſten gegeben; gegen 
12 Uhr kam zu dieſen ein weiterer Gaſt C, der, aus Ge⸗ 
fälligkeit von W. auf dem Klavier begleitet, auf der 
Violine des Sch. ein Stück ſpielte. Um 12 ½ Uhr ent⸗ 
fernten ſich alle Gäſte. Sch. wurde angeklagt, daß er 
abends in feiner Wirtſchaft eine mufifalifhe Unter⸗ 
haltung ohne Anzeige und Entrichtung der Armen⸗ 
abgabe veranſtaltet und ſich dadurch gegen 8 1 der 
ortsp. Vorſchrift der Stadt H. verfehlt habe. Sch. 
wurde freigeſprochen. Die Reviſion des Staatsanwalts 
wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Maßgebend für die Pflicht 
zur Entrichtung örtlicher Abgaben und zur Anzeige⸗ 
erſtattung iſt 8 1 der Gemeindeſatzung und 8 1 der 
ortsp. Vorſchrift, wonach für die Beranſtaltung öffent⸗ 
licher Luſtbarkeiten“ örtliche Abgaben zu entrichten und 
von dieſen Veranſtaltungen Anzeige zu erſtatten iſt. 
Die Begriffe Veranſtaltung und öffentliche Luſtbarkeit 
dürfen nicht voneinander losgelöſt, ſondern nur in 
ihrem inneren Zuſammenhange betrachtet werden. Der 
Ausdruck „Veranſtalten“ findet ſich in Strafgefegen 
(3. B. S 286 StGB., Art. 32 PSt GB.), in der GewO. 
88 33a, 55 Abſ. 1 Ziff. 4, 105 1 Abſ. 1 und 154 Abſ. 1 
Ziff. 3; ebendaſelbſt und in 8 33 b GewO. außer in 
8 286 StGB. findet ſich auch der Ausdruck Luſtbarkeit. 
Nirgends ſind dieſe Begriffe umſchrieben; auch die Ge⸗ 
meindeſatzung und die ortsp. Vorſchrift enthalten keine 
Begriffsbeſtimmung. Die Satzung zählt zwar Bei⸗ 
ſpiele auf, dieſe können aber nur dann Geltung be⸗ 
anſpruchen, wenn die Ausdrücke „öffentlich“, „Ver⸗ 
anſtaltung“ und „Luſtbarkeit“ auf den Einzelfall zu⸗ 
treffen. „Oeffentlichkeit“ iſt gegeben, wenn die Ver⸗ 
anſtaltung nicht auf beſtimmte Perſonen beſchränkt, 
ſondern jedermann zugänglich iſt (Obs SSt. 12 S. 
245 ff.). Als weſentliches Merkmal des Begriffs „Ver⸗ 
anſtaltung“ darf nach der ſprachlichen und rechtlichen 
Bedeutung angenommen werden, daß jemand dritten 
Perſonen auf irgendeine Weiſe die Abſicht kundgibt, 
eine beſtimmte, das Publikum berührende Handlung 
herbeizuführen oder ins Werk zu ſetzen. Von einer 
Veranſtaltung kann ſomit dann nicht die Rede ſein, 
wenn jemand etwas unternimmt ohne die Abſicht, 
durch das Unternehmen in Beziehungen zum Publikum 
zu treten. 

In der Entſcheidung des VGH. vom 16. Dez. 1911 
(Samml. Bd. 33 S. 62) iſt ausgeführt, daß von den 
preußiſchen, ſächſiſchen und heſſiſchen oberſten verwal⸗ 
tungsrichterlichen Inſtanzen aus dem Sprachgebrauch 
und der Verkehrsſitte in Uebereinſtimmung mit der 
Rechtslehre unter „Luſtbarkeiten“ ſolche Veranſtal⸗ 
tungen, Darbietungen und Vorführungen zu verſtehen 
ſind, die nach der Abſicht der Veranſtaltenden dazu 
beſtimmt und geeignet ſind zu ergötzen und zu unter⸗ 
halten. Der Senat erachtet dieſe Begriffsbeſtimmung 
für erſchöpfend und zutreffend. Demnach kann von 
der „Veranſtaltung einer Luſtbarkeit“ nicht geſprochen 
werden, wenn eine oder mehrere Perſonen einer augen— 
blicklichen Eingebung oder Laune folgend zur Befriedi— 
gung ihres eigenen Empfindens ohne die Abſicht, hiedurch 
andere Perſonen zu ergötzen und zu unterhalten, eine 
Handlung unternehmen, z. B. ſingen oder muſizieren. 
In dieſem Sinne hat ſich auch das Kammergericht aus— 
geſprochen (Recht Bd. 16 S. 212, DJ. Bd. 17 S. 349). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


Die von Sch. und W. einerſeits, dann die von W. und 
C anderſeits geſpielten Muſikſtücke lagen ſchon zeit⸗ 


lich ſo weit auseinander, daß von einem inneren Zus 


ſammenhange, von einer einheitlichen Muſikaufführung 
nicht die Rede ſein kann. Darnach ſind beide Muſik⸗ 
vorträge geſondert zu prüfen. Sch. benützte die durch 
je raſcheres Eſſen geſchaffene kurze Pauſe zwiſchen 
em Abendimbiß und dem Wiederbeginne des Karten⸗ 
Irre: um fi mit Hilfe des W. durch Spielen auf der 

ioline ein muſikaliſches Vergnügen zu bereiten; es 
lag nicht in ſeiner Abſicht, die Gäſte zu unterhalten 
und zu ergößen. Die gleichen Gedanken und Abſichten 
herrſchten bei W. und C, als ſie miteinander ein Stück 
ſpielten. Aus dem gleichen Grunde wie Sch. griff auch 
C zur Violine und W. begleitete ihn auf dem Klavier, 
um deſſen Freude am Spiel voll zu machen. Fehlte 
mithin bei Sch. die Abſicht, eine feine Gäſte berührende 
Muſikaufführung ins Werk zu ſetzen und durch ſein 
Spiel die Gäſte zu unterhalten und zu ergötzen, fo 
iſt die Annahme einer durch Sch. erfolgten Veran⸗ 
ſtaltung einer Luſtbarkeit ausgeſchloſſen. Wäre die 
vom Staatsanwalt vertretene Auffaſſung von der Be⸗ 
deutung und Tragweite des 8 1 der Gemeindeſatzung 
richtig, ſo müßte im Stadtbezirke H. für jeden Aus⸗ 
bruch einer heiteren Wein» oder Bierlaune, die ſich in 
einem Gaſthaus oder in einem ſonſtigen öffentlichen 
Bergnügungsraume durch Geſang oder Spiel kund⸗ 
gibt, die Anzeige erſtattet und die Abgabe entrichtet 
werden. Daß der Geſetzgeber nicht ſolche Ergebniſſe 
herbeiführen wollte, liegt auf der Hand. (Urt. v. 21. Okt. 
1913, Rev.⸗Reg Nr. 444/1913). Ed. 

3180 

II. 

RE Bedeutung und Trag⸗ 
weite des Begriffs: „land wirtſchaftliche Tätigkeit“. Der 
in B. wohnhafte Angeklagte hat als Relſender der 
Firma W. in J. in mehreren Jahren in verſchiedenen 
Orten des Amtsgerichtsbezirks M. ohne Begründung 
einer gewerblichen Niederlaſſung und ohne Beſtellung 
bei Landwirten Beſtellungen auf eiſerne, von der Firma 
W. gefertigte und in den Handel gebrachte Backöfen 
aufgeſucht. Er beſaß eine Gewerbelegitimationskarte, 
aber keinen Beſteuerungsnachweis nach Art. 7 HaufSt®. 
Das Schöffengericht ſprach frei. Das LG. verurteilte 
auf Grund des Art. 16 des Geſetzes. Die Reviſion 
des Angeklagten drang durch. 

Aus den Gründen: Das Aufſuchen von Be⸗ 
ſtellungen auf die von der Fima W. in den Handel gebrach⸗ 
ten eiſernen Backöfen war nach Art. 2 Ziff. 1 Hauſ StG. 
und 8 44 Abſ. 3 GewO. der Steuer vom Gewerbebetrieb 
im Umherziehen nicht unterworfen, weil die zum Kauf 
angebotenen Backöfen Waren find, die in dem Geſchäfts⸗ 
betriebe der Landwirte verwendet werden. Unter den 
Begriff des Geſchaftsbetriebs i. S. des § 44 Abſ. 3 GewO. 
fällt auch die auf Erzielung von Gewinn gerichtete land⸗ 
wirtſchaftliche Tätigkeit (Slg. XI S. 264). An der von 
der Strafkammer und von dem Senat in dem bezeichneten 
Urteile vertretenen Auffaſſung, daß landwirtſchaftliche 
Tätigkeiten nur ſolche ſind, die unmittelbar der Er⸗ 
zeugung von Früchten, von Vieh und von Milch uſw. 
dienen, kann bei erneuter Prüfung nicht ohne eine ge⸗ 
wiſſe Einſchränkung feſtgehalten werden. Die auf Er⸗ 
zielung von Gewinn gerichtete landwirtſchaftliche Be⸗ 
triebstätigkeit iſt mit der Erzeugung von Früchten, Vieh 
und Milch nicht abgeſchloſſen, zu ihr muß vielmehr 
auch jede Tätigkeit gezählt werden, die auf Erhaltung, 
Veredelung und nutzbringende Verwertung der lands 


— 


1) Anmerkung des Herausgebers. Der Entſcheidung iſt 
durchaus beizuſtimmen. Sle iſt aber auch um deswillen lehrreich, 
weil fie zeigt, mit welchen Nichtigkeiten oft die Gerichte bis binauf 
zur hö pſten Inſtanz beläſtigt werden. Auch um eines angeblichen 
„Berwaltungsintereſſes“ willen ſollte ein ſolcher Fall nicht bis an 
das Oberſte Landesgericht hinaufgerrieben werden, am wenigſten in 
einer Zeit, in der alles nach Geſchäftsverelnfachung ruft! 


—— . —ᷣ᷑————————————— MNwů dN . 4— 


49 


wirtſchaftlichen Erzeugniſſe abzielt. Denn erſt hiedurch 
wird der Endzweck der berufsmäßig ausgeübten Land⸗ 
wirtſchaft erreicht, nämlich Gewinn durch die Bewirt⸗ 
ſchaftung des Bodens zu erzielen. Dem landwirtſchaft⸗ 
lichen Geſchäftsbetriebe muß daher zugerechnet werden 
z. B. die Umwandlung von Milch in Butter, Butter⸗ 
ſchmalz und Käſe, die Erzeugung von Fruchtbranntwein 
oder Spiritus aus den im Betriebe der Land wirtſchaft 
gewonnenen Früchten, das Erhalten von Obſt durch 
Dörren, kurz jede Tätigkeit, die den landwirtſchaftlichen 
Betrieb für den Inhaber zu einem nutzbringenderen 
geſtalten ſoll. Deshalb kann auch das Backen von Brot 
aus Getreide, das der Landwirt gewonnen hat, eine 
zum landwirtſchaftlichen Betriebe gehörige Tätigkeit 
ſein. Denn auch dieſe Tätigkeit ſoll unmittelbar den 
Betrieb der Landwirtſchaft nutzbringender machen. 
Wenn ſelbſtgewonnenes Getreide zum Backen von Brot 
verwendet wird, ſo wird nach den Erfahrungen des 
Lebens eine größere Menge Brot hergeſtellt, als mit 
dem durch den Verkauf der gleichen Menge Getreide 
erzielten Preiſe gekauft werden kann. Daran wird 
nichts dadurch geändert, daß das Baden von Brot 
im eigenen Backofen nicht gerade der Landwirtſchaft 
eigen, ſondern auch bei anderen Berufsklaſſen gebräuch⸗ 
lich iſt. Das Backen von Brot aus ſelbſtgewonnenem 
Getreide fällt alſo in den Rahmen des landwirtſchaft⸗ 
lichen Geſchäftsbetriebs. Es kann nicht darauf an⸗ 
kommen, ob die Landwirte, die der Angeklagte beſucht 
hat, alle wirklich ihr Brot aus ſelbſt gewonnenem Ge⸗ 
treide backen. 8 44 GewO. geſtattet das Aufſuchen von 
Warenbeſtellungen bei Perſonen, in deren Geſchäfts⸗ 
betriebe Waren der angebotenen Art verwendet werden. 
Diefe Vorſchrift iſt dahin auszulegen, daß es genügt, 
wenn Waren der angebotenen Art im allgemeinen in 
dem Geſchäftsbetriebe der Perſon verwendet werden, 
die zum Aufſuchen einer Beſtellung beſucht wird; es 
kommt nicht 1 an, daß ſie in einzelnen Fällen 
in dem Geſchäftsbetrieb ausnahmsweiſe nicht verwendet. 
werden. Es genügt, daß es im allgemeinen in getreide⸗ 
bauenden Gegenden bei den Landwirten gebräuchlich 
iſt, das für den Haushalt und für die Dienſtleute 
nötige Brot aus ſelbſtgewonnenem Getreide ſelbſt zu 
backen. Darnach iſt der Gewerbebetrieb des Angeklagten 
der Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen nicht 


unterworfen. (Urt. vom 25. Oktober 1913, Rev.⸗Reg. 
Nr. 488/1913). Ed. 
8185 


III. 

Das Schankrecht der Bierbrauer nach Art. 9 lit. b 
91 1 des bayer. Gew. v. 30. Jaunar 1868. (Siehe dieſe 
eitſchrift 1912 Nr. 16/17 S. 322 und Nr. 19 S. 377). 
Die Angeklagte wurde in III. Inſtanz freigeſprochen. 
Aus den Gründen: Die Entſtehungsgeſchichte 

des Art. 9 lit. b Ziff. 1 des Geſ. v. 30. Januar 1868 
zeigt einerſeits die Abſicht, die Schankbefugnis der Brauer 
eher zu erweitern als einzuſchränken (vgl. Obs SSt. 2 
S. 72; Bd. 5 S. 135; Bd. 9 S. 187), anderſeits führt 
ſie dazu, daß bei der Beurteilung der Ausſchankberechti⸗ 
gung der Brauer von dem Grundſatze der Gewerbe⸗ 
freiheit ausgegangen werden muß und nicht auf den 
früheren Rechtszuſtand oder die geſchichtliche Entwicklung 
eines Brauereiunternehmens zurückgegriffen werden 
darf. Bei der Entſcheidung der Frage, ob die Ange⸗ 
klagte das von ihr gebraute Bier auf ihrem Anweſen 
ausſchenken darf, iſt nicht davon auszugehen, ob das 
ausgeſchenkte Bier ein eigenes Erzeugnis der Ange⸗ 
klagten iſt, ſondern davon, ob die Angeklagte Brauer 
im geſetzlichen Sinn iſt. Nur der Brauer hat die kon⸗ 
zeſſionsfreie Ausſchankbefugnis und dieſe Befugnis iſt 
auf ſein eigenes Erzeugnis beſchränkt. Die Angeklagte 
iſt Brauer i. S. des Geſetzes. Die Generalſtaatsan⸗ 
waltſchaft hält der Reviſion entgegen, daß Brauer iſt, 
wer das Brauereigewerbe ſelbſtändig „mit eigens für 
ihn“ beſtimmten Einrichtungen und Vorrichtungen be— 
treibt. Dieſer Satz gilt zweifellos für die Faͤlle, in 


50 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. N 


denen eine phyſiſche Perſon als Alleineigentümerin 
der Einrichtungen und Vorrichtungen die Brauerei auf 
eigene Rechnung betreibt; es iſt nur ein Brauer i. S. 
des bürgerlichen Rechtes und i. S. des Gewerbeweſens 
vorhanden. Stirbt der Alleineigentümer und ſetzen 
mehrere Erben als ſeine Rechtsnachfolger den Betrieb 
auf gemeinſchaftliche e fort, ſo ſteht ihnen nur 
ein Recht i. S. des Gewerbeweſens aber in ihrer 
Geſamtheit zu. Wird eine Brauerei von einer Geſell⸗ 
ſchaft oder juriſtiſchen Perſon auf gemeinſame Rechnung 
betrieben, ſo liegt nur ein Betrieb für eine wirtſchaft⸗ 
liche Rechnung vor, daher auch nur ein Brauer i. S. 
des Gewerbeweſens. Für die eine Verbandsperſönlich⸗ 
keit gelten die Vorſchriften des öffentlichen Rechtes, 
ſoweit nicht durch die beſondere Natur der Perſönlichkeit 
Ausnahmen notwendig ſind; ſolche Ausnahmen gelten 
ſelbſtverſtändlich nicht für den Betrieb und für die bei 
dem Betriebe beſchäftigten Perſonen. 

Die Geſetze des bürgerlichen Rechtes geſtatten, daß 
ſich mehrere phyſiſche Perſonen zum Betrieb eines wirt⸗ 
ſchaftlichen Unternehmens und zur Erzielung von Ge⸗ 
winn aus ihm vergeſellſchaften. Im Falle der Auf⸗ 
löſung geht zumeiſt die bisherige Verbandsperſönlich⸗ 
keit unter. Setzt ein Teil der Genoſſen das Unters 
nehmen auf ſeine Rechnung fort, ſo entſteht in der 
Regel eine neue Verbandsperſönlichkeit; die neue Form 
des Unternehmens iſt maßgebend, wie für das bürgerlich⸗ 
rechtliche Verhältnis der Genoſſen nach innen und 
außen, ſo auch für die gewerberechtliche Seite. Nach 
bürgerlichem Rechte iſt es zuläſſig, daß die Teilnehmer 
(Genoſſen, Geſellſchafter) einer „Sozietätsbrauerei“ eine 
nur teilweiſe Auflöſung der bisherigen Betriebs⸗ und 
Erwerbsform vereinbaren. Die Teilnehmer können 
nur ein Stück der bisherigen Gemeinſchaft aufheben 
und die Gemeinſchaft bezüglich eines anderen Stückes 
fortſetzen. Eine ſolche Auseinanderſetzung findet ihren 
ſchärfſten Ausdruck dann, wenn der bisher gemein⸗ 
ſchaftliche Betrieb durch Sonderbetriebe und Sonder⸗ 
erwerbe erſetzt wird und nur eine Art Betriebsmittel⸗ 
gemeinſchaft inſofern übrig bleibt, als gewiſſe Ein⸗ 
richtungen und Vorrichtungen, die bisher dem gemein- 
ſamen Betrieb dienten, nunmehr dem Sonderbetrieb 
und Sondererwerb — unter Fortdauer des gemein⸗ 
ſamen Eigentums — dienſtbar gemacht werden. Iſt 
eine ſolche Betriebs⸗ und Erwerbsform nach bürger⸗ 
lichem Rechte zuläſſig, ſo kann auch nicht daran ge⸗ 
zweiſelt werden, daß ſie unter Umſtänden eine wirt⸗ 
ſchaftlich gerechtfertigte Maßregel iſt. Ja, es iſt denk⸗ 
bar, daß die bisherigen Geſellſchafter zu einer beſchränk⸗ 
ten Aufteilung und Auseinanderſetzung unter dem Druck 
einer wirtſchaftlichen Zwangslage gekommen ſind und daß 
ſie ohne dieſe eine reſtloſe Auflöſung vorgezogen hätten. 

Es wird zuzugeben ſein, daß Beteiligte unter Um⸗ 
ſtänden eine ſolche Aenderung der bisherigen Verhält- 
niſſe vorgenommen haben, um rechtswidrige Ziele zu 
erreichen. Sollte dies die Abſicht geweſen ſein, z. B. 
die Abſicht vorgelegen haben, unter der Form der 
„Auflöſung“ und der „Schaffung neuer ſelbſtändiger 
Betriebe“ vermehrte Rechte zum Betriebe neuer Bier— 
ſchankſtellen zu begründen, ſo wird einem ſolchen Treiben 
leicht begegnet werden können. Wo aber Anhaltspunkte 
dafür fehlen, daß eine Aufteilung mit dem Ziele rechts— 
widriger Erfolge geſchah, wo vielmehr alle Anzeichen 
dafür vorhanden ſind, daß die Beteiligten aus guten 
wirtſchaftlichen Erwägungen einen Gemeinſchaftsbetrieb 
durch Sonderbetriebe erſetzt und nur die Einrichtungen 
und Vorrichtungen zu gemeinſamem Eigentume zu— 
rückbehalten haben, da iſt die Frage gerechtfertigt, ob 
einem ſolchen Unternehmen, das nach bürgerlichem echte 
zuläſſig und wirtſchaftlich mit guten Gründen unter: 
ſtützt iſt, nicht auch die gewerberechtlichen Vorſchriften zu: 
ſtatten kommen ſollen. Bei der Prufung dieſer Frage 
iſt zuzugeben, daß als Brauer im Regelfalle zu gelten 
hat, wer die Brauerei mit eigens für ihn beſtimmten 
Einrichtungen und Vorrichtungen betreibt und daß der 


zur Entſcheidung ſtehende Fall von dieſem Regelfall 


in manchem Stück abweicht und einer gewiſſen Eigen⸗ 
art nicht entbehrt. Aber der Richter wird zu prüfen 
haben, ob einer beſtimmten Erſcheinung des wirtſchaft⸗ 
lichen Lebens, auch wenn ſie von den Erſcheinungen des 
Regelfalls abweicht, nicht doch ein Raum und eine Da⸗ 
ſeinsberechtigung innerhalb der Rechtsordnung zuge⸗ 
wieſen werden kann. 

Das Geſetz will, die Gewerbebehoͤrde kann nicht ver⸗ 
hindern, daß der Brauer ſein ſelbſterzeugtes Bier aus⸗ 
ſchenkt; es ſind alſo inſoweit Schankſtellen zuläſſig, als 
es Brauer gibt, die je im bezeichneten Raume das eigene 
Erzeugnis ausſchenken. Man kann alſo nicht wohl davon 
reden, daß die Ausnahmevorſchrift des Art. 9 ſtreng 
auszulegen ſei. Darüber ſchweigt das Geſetz, daß das 
Bler von dem „Erzeuger“ nur ausgeſchenkt werden 
dürfe, wenn es auf einer ihm gehörenden Brauſtätte 
erzeugt iſt; der Satz, daß Brauer iſt, wer das Brauerei⸗ 
gewerbe ſelbſtändig mit „eigens für ihn“ beſtimmten Ein⸗ 
richtungen und Vorrichtungen betreibt, trägt in das 
Geſetz mit den Worten „eigens für ihn“ etwas hinein, 
was wohl dem Regelfalle entſpricht, aber als geſetz⸗ 
liches Erfordernis des Ausſchankrechts doch erſt zu er⸗ 
weiſen iſt. Wie ſchon oft, hat auch hier das Leben zu 
Ausnahmen geführt, deren Berechtigung auch die Ge⸗ 
werbepolizeibehörden anerkennen mußten. War ein 
Brauer aus irgendeinem Grunde (Brandfall u. dgl.) 
verhindert, auf ſeiner Brauſtätte Bier zu erzeugen, ſo 
kam es vor, daß ein anderer Brauer ihm geſtattete, 
in ſeiner Brauſtätte (mit eigenem Perſonal, aus eigens 
von ihm beigeſchafften Stoffen) Bier zu erzeugen, das 
dann der Erzeuger, nachdem es in ſeinen Kellern der 
Reife zugeführt worden war, in ſeinem Lokal aus⸗ 
ſchenkte, ohne von der Behörde beanſtandet zu werden. 

Würdigt man den vorliegenden Fall an der Hand 
der Feſtſtellungen und der Verhältniſſe, wonach ein 
Teil der vorhandenen Einrichtungen und Vorrichtungen 
dem P. und der Angeklagten gemeinſam iſt i. S. des 
bürgerlichen Rechts, aber im betriebstechniſchen Sinne 
doch wieder für den Sonderbetrieb beider eigens be- 
ſteht, ein anderer Teil der Einrichtungen und Vor⸗ 
richtungen, der für die Erzeugung des Bieres unent⸗ 
behrlich iſt, im geſonderten Eigentume ſteht, jeder der 
Beteiligten einen Sonderbetrieb zu Zwecken des Sonder⸗ 
erwerbs unternimmt, ſo iſt nicht einzuſehen, warum 
nicht jeder als Brauer i. S. des Geſetzes gelten könnte. 
Gegen dieſe Auffaſſung ſpricht nicht: 1. das Urteil des 
OLG. München vom 31. Juli 1884 (3 S. 175, ſ. a. 6 
S. 433, 7 S. 365); hier hat ein „Konſortium“ ein Kom⸗ 
munbrauhaus gekauft; die Mitglieder der Genoſſen⸗ 
ſchaft werden im Urteile als „Geſellſchafter“ bezeichnet; 
2. die Entſcheidung des VGH. vom 30. Januar 1889 
(XI S. 49), die von einer Mehrheit von Perſonen ſpricht, 
die ein gemeinſames Brauereianweſen zum Zwecke der 
Biererzeugung erworben hat. Hier iſt nur ein Teil 
gemeinſam und ſteht zur Entſcheidung, ob das, was 
gemeinſam iſt, den Sondererwerb und Sonderbetrieb 
trotz alledem zu einem gemeinſchaftlichen ſtempeln kann. 
Die Annahme, daß der Angeklagten und dem P. nur 
ein „ungeteiltes Braurecht“ zuſtehe, kann auch nicht 
auf das Reſkript vom 8. Juli 1803 oder auf den Be⸗ 
ſchluß des Landgerichts K. vom 17. Oktober 1861 ge» 
ſtutzt werden. Mochte auch durch jenes Reſkript den 
drei Anſteigerern der Kloſterbrauerei nur ein Brau— 
recht verliehen worden ſein und vom Landgerichte K. 
die im Beſchluſſe vom 17. Oktober 1861 ausgeſprochene 
Anſchauung auf dieſes Reſkript geſtützt worden ſein; ſo 
hängt doch ſeit der Geltung des Gef. v. 30. Januar 
1868 und der GewO. (§ 1) die Berechtigung, Bier zu 
brauen, nicht mehr von einer gewerbepolizeilichen Er— 
laubnis ab. Seit der Geltung dieſer gewerberechtlichen 
Vorſchriften konnen die Angeklagte und P. die Bier— 
brauerei ohne die Erlaubnis der Gewerbepolizeibehörde 
betreiben. (Urt. v. 11. Nov. 1913, Rev.⸗Reg. Nr. 459/1913). 

3187 Ed. 


———— 


Oberlandesgericht München. 
1 


Unzuläſſigkeit der Rechtshilfe (5815968 8.,25668.). 
Nach dem Ableben des Schmiedmeiſters B. in N. wurden 
die Akten nach Anhörung der Erben mangels Rücklaſſes 
weggelegt. Als aber ein Vollſtreckungsgläubiger 
auftrat und einen Erbſchein verlangte, erkannten die 
am Sitze des Nachlaßgerichts anweſenden Erben an, daß 
die Erbſchaft wegen Friſtablaufs als ungenommen gelte 
und beantragten Inventarerrichtung. Die auswärtigen 
Erben ſollten hierzu im Rechtshilfewege einvernommen 
werden. Der Miterbe Franz B. ſchloß ſich beim AG. M. 
auch den Erklärungen der früher Vernommenen an; der 
weitere Miterbe Friedrich B. in St. erſchien trotz wieder⸗ 
holter Aufforderung des dortigen Amtsgerichts nicht. 
Nunmehr erſuchte das Nachlaßgericht um deſſen Ladung 
als Zeugen „über den Akteninhalt“ unter Strafandro⸗ 
hung. Das AG. St. lehnte dies ab und die Beſchwerde 
des AG. N. blieb erfolglos. 

Aus den Gründen: Die Verweigerung der 
Rechtshilfe iſt zutreffend begründet. Allerdings hat 
das erſuchte Gericht die Notwendigkeit des Erſuchens 
nicht nachzuprüfen. Unzuläſſig iſt es aber auch im 
Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, einen Be⸗ 
teiligten als Zeugen zu vernehmen und als beteiligt 
iſt jeder Miterbe anzuſehen, auch wenn ein Gläubiger 
den Antrag auf Erbſchein geſtellt hat (Joſef. Komm. z. 
FS. zu § 15; vgl. KGJ. Bd. 29 S. 78). Auf dem 
gleichen Standpunkt ſteht auch Haberſtumpf, Nachlaß⸗ 
behandlung S. 40, welche Stelle das Amtsgericht N. 
für ſich anführt; denn dort heißt es ausdrücklich, daß 
„dritte Perſonen“ als Zeugen vernommen werden 
können und dem Gerichtszwang unterliegen. — Um 
etwas anderes als die Erbſcheinserteilung handelt es 
ſich offenſichtlich bei der Vernehmung nicht, da die Akten 
bereits weggelegt waren und das Verfahren nur wegen 
des Erbſcheinsantrags wieder in Lauf gekommen iſt. 
Soweit aber allenfalls die Nachlaßbehandlung als ſolche, 
insbeſondere das Inventar in Frage kommt, kann B. 
erſt recht nicht Zeuge fein ($ 2063 BGB.). Dies ergibt 
ſich insbeſondere aus der Erklärung, die der Miterbe 
Franz B. vor dem Amtsgericht M. abgegeben hat; 
über die gleichen Punkte will offenbar das Amtsgericht 
N. auch eine Erklärung des Friedrich B. haben. Dies 
find aber lauter Parteierklärungen. Die Gebühren⸗ 
freiheit dieſes Beſchluſſes folgt aus § 47 GKG. mit 
Art. 39 Geb. (vgl. Seuff Bl. Bd. 77 S. 293). (Beſchl. 
vom 19. Auguſt 1913, Beſchw.⸗Reg. Nr. 516/13). 

3101 N 


II. 


Koſtenhaftung des Nachlaßverwalters einer armen 
Partei (86 114 . 35 O.). Der Malermeiſter K. ſtarb 
während eines im Armenrecht geführten Rechtsſtreits 
auf Entſchädigung gegen das Eiſenbahnärar, nachdem 
er Zwiſchenurteil auf Bejahung des Anſpruchsgrunds 
erlangt hatte. Der über feinen Nachlaß beſtellte Vers 
walter ſchloß ſodann vor dem Gericht I. Inſtanz einen 
Vergleich auf 21000 M Abfindung und gegenſeitige 
Koſtenaufhebung. Alsbald erließ das Landgericht einen 
Beſchluß, wonach dem Nachlaßverwalter das Armen⸗ 
recht „entzogen“ wurde, weil ihm dieſes Recht geſetzlich 
nicht zukomme. Nunmehr berechnete der Gerichtsſchreiber 
II. Inſtanz die Hälfte der geſamten Gerichtskoſten auf 
die Klagepartei und forderte den Nachlaßverwalter zur 
Zahlung auf. Dieſer erhob Erinnerungen, denen auch 
inſofern ſtattgegeben wurde, als das OLG. den Koſten⸗ 
anſatz zu Laſten des Nachlaßverwalters „dermalen“ 
inſoweit für unzuläſſig erklärte, als es ſich um Koſten 
für Prozeßakte handelte, die bereits vor der Streitaufs 
nahme durch den Nachlaß vverwalter lagen. 

Ausden Gründen: Die Behandlung als Ferien- 
ſache erſchien zur Beſchleunigung der Nachlaßabwick— 
lung angemeſſen (88 202 ff. GG.); die Erinnerungen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


51 


ſind auch ſachlich begründet. Es kann derzeit dahin⸗ 
geſtellt bleiben, ob die Koſtenaufhebung im Vergleich 
vom 26. April 1913 etwa nach Vernehmung der damals 
anweſenden Beteiligten wirklich mit der Einſchränkung 
ausgelegt werden kann, die ihr das Erſtgericht geben will 
(nämlich auf die Koſten 1 Beſtellung der Nachlaßver⸗ 
waltung) und wie dieſe Auslegung mit 8 98 ZPO. und 
88 86, 89 G., ſowie mit dem Begriff der Rechts⸗ 
nachfolge vereinbar iſt. Jedenfalls können die vor der 
Aufnahme durch den Nachlaßverwalter entſtandenen, dem 
verſtorbenen Kläger geſtundeten Koſten von dem Nach⸗ 
laßverwalter nur kraft ausdrücklichen Nachzahlungs⸗ 
beſchluſſes (8 125 ZPO.) angefordert werden. Ein 
ſolcher Beſchluß iſt formell geboten, obwohl dem Nach⸗ 
laß verwalter als ſolchem aus Rechtsgründen das Armen⸗ 
recht überhaupt nicht bewilligt werden kann; der Ent⸗ 
ziehungsbeſchluß I. Inſtanz ſteht dem nicht gleich, be⸗ 
deutet vielmehr nach der Sachlage nur die Feſtſtellung 
des Erlöſchens des Armenrechts I. Inſtanz für die Zu⸗ 
kunft. Solange ein ſolcher Nachzahlungsbeſchluß, für den 
die I. Inſtanz allein zuſtändig iſt, mangelt, iſt der be⸗ 
anſtandete Koſtenanſatz auch für die II. Inſtanz unzuläͤſſig. 
(Beſchl. vom 22. Auguſt 1913, L 450/08). N. 
3102 


III. 


Kein Armenrecht zwecks Anerkenntnis (8 114 ZPO.). 
Der Dienſtknecht Michael St. verklagte ſeinen Großvater 
auf Zahlung von 1000 Entgelt für langjährige 
Hausdienſte, zahlbar laut ausdrücklichen Verſprechens 
bei Anweſensverkauf. Der Vater des Klägers beſtätigte 
unbeeidigt das Verſprechen; gleichwohl wies das Land⸗ 
gericht mangels genügenden Beweiſes die Klage ab. 
Während des Laufes der Berufungsinſtanz ſtarb der 
Verklagte und wurde von ſeinen drei Söhnen, darunter 
dem Vater des Klägers, beerbt. Dieſer ſuchte um das 
Armenrecht nach, weil er den Anſpruch ſeines Sohnes 
im Gegenſatz zu den anderen Miterben zur Vermei⸗ 
dung weiterer Koſten anerkennen wolle, dies aber ohne 
Anwalt nicht könne. Das Geſuch wurde abgewieſen. 

Aus den Gründen: Das Armenrecht ſetzt nach 
8 114 ZPO. eine nicht ausſichtslofe „Rechts verteidigung“ 
voraus. Der Geſuchſteller will ſich aber nicht ver⸗ 
teidigen, ſondern den Anſpruch vorbehaltslos aner⸗ 
kennen und mittels des nachgeſuchten Armenrechts nur 
den Unterſchied zwiſchen den Koſten eines Verſäumnis⸗ 
und eines Anerkenntnisurteils erſparen. Dazu bedürfte 
er allerdings eines Anwalts (8 78 ZBO.); allein ein 
ſolches Anerkenntnis fällt nicht unter den Begriff der 
Rechtsverteidigung, mag man ihn auch noch ſo weit 
ausdehnen und es kann ihm hiezu ein Anwalt nicht 
beigeordnet werden. Der Geſuchſteller hat übrigens 
in der vollſtreckbaren Urkunde des 8 794 Nr. 5 ZPO. 
in Verbindung mit dem Urkundenarmenrecht (Art. 53 
NotG. mit Art. 4 Geb.) einen Ausweg, der das Pros 
zeßarmenrecht entbehrlich macht. (Beſchl. vom 3. Nov. 
1913, Armen⸗Reg. 338/13 J). N. 

3149 
IV. 

Begriff der Vollſtreckungskoſten (SS 788, 106 ZPO.). 
Dem Möbelfabrikanten W. war durch einſtweilige Ver⸗ 
fügung eine Anzahl unlauterer Reklamemittel bei Mei⸗ 
dung einer Geldſtrafe von 1500 M verboten worden. Da 
er gleichwohl dieſe Reklame weiter trieb, erging gegen 
ihn Strafbeſchluß in Höhe von 1500 . Inzwiſchen 
wurde auf Berufung das Verbot teilweiſe aufgehoben 
und auf Beſchwerde die Strafe entſprechend herabgeſetzt; 
in beiden Entſcheidungen wurden die Koſten entſprechend 
verteilt. Bei der Koſtenfeſtſetzung beanſpruchte der Be— 
klagte auch ſolche Auslagen, die ihm durch Befolgung 
nicht aufgehobener Verbote entſtanden waren, insbe— 
ſondere durch Ueberkleben einzelner Worte in ſeinen 
Plakaten und Katalogen. Dieſe Koſten blieben unbe— 
rückſichtigt und die Beſchwerde war erfolglos. 


52 


Aus den Gründen: Es iſt kaum verſtändlich, 
wie die Klagepartei den Verſuch machen kann, als Prozeß⸗ 
lasten im 5 Papierauslagen feſtſetzen zu 
laſſen, die nur durch ihre ſtrafbare Zuwiderhandlung 
gegen das Urteil erforderlich wurden und weder unter 
die Quotenteilung des Urteils noch die des Beſchwerde⸗ 
beſchluſſes fallen. Die Grundloſigkeit dieſes Verlangens 
tritt beſonders klar hervor, wenn man erwägt, daß 
nicht einmal die durch ungerechtfertigte Vollſtreckung 
entſtandenen Schäden im Wege der Koſtenfeſiſetzung 
gegen den Gläubiger beitreibbar find (8 788 Abſ. 2 ZPO.). 
(Beſchl. v. 21. Nov. 1913, Beſchw.⸗Reg. Nr. 743/13). 

3179 N. 


V. 


Auslagen für Lichtbilder und Ortsbeſichtigung als 
Prozeßksſten (8 91 ZPO.). In einem Rechtsſtreit be⸗ 
zichtigten ſich beide Parteien gegenſeitig unlauterer Re⸗ 
klame und legten Photographien der Geſchäftsräume 
und beanſtandeten Plakate vor. Auch beſichtigte der 
Prokuriſt des Beklagten eine als Möbelfabrik bezeich⸗ 
netes Geſchäft des Klägers in Württemberg. Die Feſt⸗ 
ſetzung der dadurch verurſachten Koſten (rund 60 +50 M) 
wurde vom LG. und OL. gebilligt. 

Aus den Gründen: Die Beſchaffung der be⸗ 
anſtandeten Lichtbilder hat die Erledigung des Rechts⸗ 
ſtreits weſentlich und zwar in einer Weiſe gefördert, 
wie ſie z. B. hinſichtlich der Ausdehnung, Raumver⸗ 
teilung und Fenſterzahl auch nicht annähernd durch 
koſtſpielige Vernehmungen zu erreichen geweſen wäre; 
ähnliches gilt hinſichtlich der Möbelfabrik in St. (Würt⸗ 
temberg). Auch die perſönliche Einſicht in dieſe Fabrik 
durch einen Beauftragten des Beklagten war zur Er⸗ 
ſparung weitwendiger ſonſtiger Maßnahmen durchaus 
ſachgemäß; am allerwenigſten brauchte ſich der Gegner 
davon durch die Erwägung abhalten laſſen, der Klage⸗ 
teil werde dieſe Verhältniſſe ohnehin wahrheitsgetreu 
angeben. Mit der Vorlegung von Lichtbildern in 
größerem Maßſtab iſt übrigens die Klagepartei ſogar 
vorangegangen. Die Zugehörigkeit dieſer Auslagen 
zu den Prozeßkoſten iſt nicht zu beanſtanden und ihre 
Höhe glaubhaft. (Beſchl. v. 21. Nov. 1913, Beſchw.⸗Reg. 
Nr. 741/13). N. 

8180 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Ablehnung eines Schiedsrichters, rechtliches Gehör 
der Parteien ver dem Schied gerichte (SS 1032, 42 ff., 
1034, 1041 8PO.). Aus den Gründen: Wie ein 
Richter kann nach § 1032 auch ein Schiedsrichter wegen 
Beſorgnis der Befangenheit gemäß $ 42 ZPO. abge 
lehnt werden, d. h. wenn ein Grund vorliegt, der ge⸗ 
eignet iſt, Mißtrauen gegen ſeine Unparteilichkeit zu 
rechtfertigen. Der Kläger gab als ſolchen Grund an, 
daß der Schiedsrichter B. ihm am Tage vor der Er⸗ 
laſſung des Schiedsſpruchs bei einer ſchiedsgerichtlichen 
Ortbeſichtigung vorgeworfen habe, „er ſei ein Pfuſcher, 
der nichts verſtehe, er ſolle das Bauen gehen laſſen, 
wenn er es nicht verſtehe“, ferner daß B. in einem 
früheren Rechtsſtreite des Klägers gegen einen Vers 
wandten des B. Sachverſtändiger geweſen und auch 
dort mit ihm hintereinandergekommen ſei. Letztere 
Tatſache kann nach § 43 ZPO. als Ablehnungsgrund 
nicht mehr geltend gemacht werden; denn der Kläger 
hat ſchon vor dem Schiedsrichter B. verhandelt, ohne 
dieſe ihm bekannt geweſene Tatſache als Ablehnungs— 
grund geltend zu machen. Darauf, daß der Kläger 
erſt durch ſeinen Vertreter im ſchiedsrichterlichen Ver— 
fahren darüber aufgeklärt wurde, es bilde das frühere 
Verhalten des Schiedsrichters B. einen Ablehnungs— 
grund, kommt es nicht an; denn die Tatſache, in welcher 
der Ablehnungsgrund gefunden werden ſoll, war dem 
Kläger längft vor dem Beginne des ſchiedsrichterlichen 


| 
Ä 
| 


| 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


Verfahrens bekannt und nur das iſt weſentlich. Ob 
der Kläger die Bedeutung der Tatfache ſofort gekannt, 
oder erſt ſpäter erfahren hat, HH gleichgültig. Der Vor⸗ 
fall bei der Ortsbeſichtigung bildet keinen Ablehnungs⸗ 
grund; der Schiedsrichter B. hat nur in etwas heftiger 
Weiſe ſeine Anſchauung über den Fall kundgegeben. 
Das rechtfertigt die Beſorgnis der Befangenheit eben⸗ 
ſowenig, wie es Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit 
eines ſtaatlichen Richters rechtfertigen würde, wenn 
dieſer in der Verhandlung ſeine Anſicht über den wahr⸗ 
ſcheinlichen Ausgang eines Prozeſſes äußern würde. 
Die Ablehnung des Schiedsrichters B. iſt ſohin unbe⸗ 
gründet; ein unfähiger Schiedsrichter hat demnach bei 
dem Schiedsgerichte nicht mitgewirkt, eine Unzuläſſig⸗ 
keit des Verfahrens (§ 1041 Nr. 1 3PO.) liegt info» 
weit nicht vor (JW. 1909, 5524). 

Das Geſetz enthält keine Vorſchriften darüber, in 
welcher Weiſe die Schiedsrichter die Verpflichtung, den 
Parteien rechtliches Gehör zu gewähren, zu erfüllen haben; 
in Ermanglung einer Parteivereinbarung iſt das Ermeſſen 
der Schiedsrichter maßgebend. Der Vorſchrift des § 1034 
PO. iſt Genüge geleiſtet, wenn den Parteien die Gelegen⸗ 
heit geboten wird, alles vorzubringen, was ſie zur Wah⸗ 
rung ihrer Rechte für A Im ſchieds⸗ 
richterlichen Verfahren iſt das Erfordernis des recht⸗ 
lichen Gehörs weniger ſtreng zu nehmen als im ordent⸗ 
lichen Prozeßverfahren. Außerdem iſt es Sache der 
Parteien im ſchiedsrichterlichen Verfahren, in ihren Er⸗ 
klärungen, zu denen fie im Beginne des Verfahrens 
oder ſpäter Gelegenheit haben, das geſamte Sach⸗ und 
Rechtsverhältnis zu berückſichtigen und auch auf vor⸗ 
ſorgliche Geſichtspunkte einzugehen. Die Parteien 
können nicht beanſpruchen, über eine jede von dem 
Schiedsgerichte ermittelte oder von Anfang an bekannte 
Tatſache eine Mitteilung zu erhalten und ſich hierüber 
in tatſächlicher oder rechtlicher Hinſicht zu äußern. Wenn 
eine Partei von dem Schiedsgerichte gehört war, ſo 
braucht ſie zur Beweisaufnahme nicht zugezogen und 
auch darnach nicht nochmals gehört zu werden (RG. 47, 
427; Bay Obs. 6, 382; JW. 1905, 5431 und 15746; 
1910, 7025; Rechtſpr. Os. 21, 125). Der Schiedsſpruch 
kann hiernach auch nicht auf Grund des § 1041 Nr. 4 
ZPO. aufgehoben werden. (Urt. des II. ZS. v. 3. Juni 
1913, L. 39/13). Br. 

3141 


Aus der Nechtſprechung des Verwaltungs: 
gerichtshofs. 


Ausübung der Jagd auf ausmärkiſchen Bezirken. 
Die „ausmärkiſchen Bezirke“ i. S. des Art. 3 Abſ. 2 
GemO. gaben von jeher zu Streitfragen darüber An⸗ 
laß, wem auf ihnen das Jagdausübungsrecht zuſteht. 
Als zweifellos wurde ſtets anerkannt, daß auf ſolchen 
ausmärkiſchen Bezirken, welche den Erforderniſſen des 
Art. 2 Jagd. entſprechen, dem Eigentümer des aus⸗ 
märkiſchen Bezirks die Befugnis zur Ausübung des 
Jagdrechts zukommt (vgl. Pollwein, Das Geſetz, die 
Ausübung der Jagd betr., Anm. 11 zu Art. 4). Ebenſo 
war man darüber einig, daß auf ausmärkiſchen Be⸗ 
zirken, welche die Eigenſchaft eines Einſchlußgebietes 
i. S. des Art. 3 Jagd. an ſich tragen, der Eigentümer 
des umſchließenden Gutskomplexes das Jagdrecht aus— 
übt. Die Streitfrage, wem auf ausmärkiſchen Bes 
zirken, die weder unter Art. 2 noch unter Art. 3 Jagd 
fallen, das Jagdausübungsrecht zuſteht (vgl. Poll wein 
a. a. O., Anm. I 1 zu Art. 4) wurde in dem Beſchluß 
des VGH. Bd. 28 S. 200 endgültig dahin entſchieden, 
daß auf ihnen der Eigentümer zur Ausübung befugt 
iſt, weil das Geſetz ein Ruhen des Jagdrechts nicht 
kennt und die politiſche Gemeinde nach Art. 4 Jagd. 
nicht in Frage kommen kann. 

Dieſen Grundſatz eignet ſich auch eine neue Ent⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 53 


una Den I. Senats vom 1. Oktober 1913 an (Samml. 
Bd. 34 Nr. 49 S. 246), indem fie zugleich an der in 
8. 22 S. 210, Bd. 28 S. 201, Bd. 7 S. 48, Bd. 24 
S. 394 ausgeſprochenen Anſchauung feſthält, daß auf 
ſolchen Sebieten eine Gemeinde das Jagdausübungs⸗ 
recht auch nicht dadurch erwerben kann, daß ſie ent⸗ 
gegen den geſetzlichen Beſtimmungen das Jagdrecht 
durch Verpachtung ausübt. Andrerſeits aber betont 
die Entſcheidung, daß dem Eigentümer eines ausmär⸗ 
kiſchen Bezirks, ſelbſt wenn dieſer den Erforderniſſen 
des Art. 2 Jagd. nicht gerecht wird, zwar auf dieſem 
Gebiete, eben mangels eines anderen berechtigten 
Subjekts, die Jagdausübung zuſteht, daß aber der aus⸗ 
märkiſche Bezirk, deſſen Eigentümer auch auf dem von 
ſeinem Eigentum umſchloſſenen Gebiet (Inklaven i. S. 
des Art. 3 Jagd.) die Ausübung des J gore be⸗ 
anſprucht, den Erforderniſſen des Art. 2 Jagd. ent⸗ 
ſprechen muß. Hier gilt es nicht, eine Lücke des Ge⸗ 
ſetzes auszufüllen, hier iſt ein auf dem eingeſchloſſenen 
Grundftüd zur Jagdausübung berechtigtes Subjekt vor⸗ 
handen, dem ſein Recht nach der klaren und unzwei⸗ 
deutigen Faſſung des Geſetzes nur geraubt wird, wenn 
die in Betracht kommende Grundfläche „von einem 
ſolchen Gutskomplexe“, alſo einem in Art. 2 beſchrie⸗ 
benen Gutskomplexe umſchloſſen iſt. Eine entſprechende 
Anwendung des Geſetzes iſt nicht angängig, wo der Wort⸗ 
laut des Geſetzes klar iſt und eine entſprechende An⸗ 
8 durch Schaffung neuer Rechtsnormen dem 
Geſetzgeber vorgreifen würde (Samml. Bd. 20 S. 84). 
Daß durch eine ſolche zwingend gebotene Auslegung 
des Art. 3 Jagd. ſehr kleine, zerſtreut liegende Jagd⸗ 
gebiete geſchaffen werden können, iſt eine unvermeidbare 
olge (Pollwein a. a. O. S. 55, 59, 7. Auflage, Art. 5 
agd Z., Samml. Bd. 28 S. 200); für dieſen Punkt 
5 Abhilfe nach Art. 5 II und 6 Jagd. getroffen 
werden. B. 


Bücheranzeigen. 


Das Bürgerliche Geſetzbuch mit beſonderer Berückſichti⸗ 
gung der Rechtſprechung des Reichsgerichts. Erläutert 
von Georg Hoffmann, Erler, Burlage, Buſch, Dr. Ebbecke, 
giehl, Schaffeld und Schmitt, Reichsgerichtsräten. 
2. vermehrte Auflage. 3 Bände (862, 543 und 853 
Seiten). Berlin 1913, J. Guttentag. Geb. Mk. 60.—. 


Die 1. Auflage dieſes Kommentars war ſehr ver: 
ſchieden beurteilt worden: auf der einen Seite wurden 
übertriebene Lobeshymnen laut, als ſei hier etwas 
noch nie Dageweſenes, Unübertreffliches geliefert worden, 
auf der anderen waren Stimmen der Enttäuſchung zu 
hören. Das Erſcheinen der 2. Auflage wird wohl den 
Streit verſtummen laſſen. Es muß anerkannt werden, 
daß die Verfaſſer jetzt etwas Vorzügliches geſchaffen 
haben und — nicht geblendet durch den äußeren Er⸗ 
folg der 1. Auflage — ernſtlich bemüht waren, die 
berechtigten Wünſche nach einer Vervollkommnung des 
Werkes zu erfüllen. Schon dem Umfange nach wird 
mehr geboten und dieſe Vergrößerung iſt nicht allein 
auf das natürliche Anwachſen des Stoffes zurückzu⸗ 
führen, ſondern auch auf ein ergiebigeres Durcharbeiten 
der Teile, die in der 1. Auflage etwas zu dürftig ge⸗ 
ſtaltet worden waren. Damit iſt auch die Art der 
Erläuterung einheitlicher und geſchloſſener geworden. 
Auf die ſyſtematiſche Gliederung und wiſſenſchaſtliche 
Vertiefung iſt mehr als früher Gewicht gelegt. Auch 
die Literatur iſt jetzt berückſichtigt; daß dabei ſparſam 
verfahren wurde, erklärt fi aus der Geſamtanlage 
des Werkes, das nicht eine Fundgrube für die wiſſen⸗ 
ſchaftliche Einzelforſchung ſein ſoll. Es ſind insbeſondere 
die großen Kommentare da angeführt, wo fie eine ab⸗ 
weichende Anſicht vertreten. 

Die Rechtſprechung des Reichsgerichts iſt aus der 


amtlichen Sammlung, der Juriſtiſchen Wochenſchrift, 
Warneyers „Ergänzungsband“, Seufferts Archiv und 
Gruchots Beiträgen entnommen. Dieſe Erweiterung 
gegenüber der 1. Auflage iſt begrüßenswert. Aber es 
dürfte vielleicht hier noch weiter gegangen werden. 
Die Abgrenzung unter den vorhandenen Zeitſchriften 
und Sammlungen iſt etwas willkürlich und führt mit⸗ 
unter dazu, daß der Leſer gerade das Werk nicht zur 
Hand hat, auf das verwieſen iſt. Auch beſteht die 
Möglichkeit, daß eine Entſcheidung als ungedruckt be⸗ 
zeichnet und nur mit Aktenzeichen und Datum ange⸗ 
führt wird, die doch in einer der größeren oder kleineren 
Zeitſchriften ſamt der Begründung abgedruckt iſt. Welche 
Gefahren aber die Benützung einer Entſcheidung mit 
ſich bringt, deren Gründe man nicht geleſen hat, brauche 
ich wohl nicht näher auseinanderzuſetzen. 
von der Pfordten. 


Hofacker, Dr. W., Erläuterungen zum Wein⸗ 
geſetz vom 7 April 1909. XI, 218 Seiten. Ver⸗ 
lag von W. Kohlhammer in Stuttgart, Berlin, Leipzig. 
Broſch. Mk. 3.—, gebd. Mk. 4.—. 


Der Verfaſſer verwirft die bisherige hauptſächlich 
auf die ſog. 1 geſtützte Geſetzesaus⸗ 
legung, die in ihrem Ergebniſſe die Behörden nicht 
befriedige und auch für das Publikum keine Klarheit ge⸗ 
ſchaffen habe. Ausgehend von dem Gedanken des Zweckes 
im Recht ſtellt der Verfaſſer den Grundſatz auf, die 
Bereitung von Wein an ſich ſei eine freie an kein Ge⸗ 
fetz gebundene Arbeitstätigkeit und das Wein. beziehe 
ſich nur auf den für den Verkehr beſtimmten Wein. 
Auf dieſer Grundlage aufbauend kommt der Verfaſſer 
zu Ergebniſſen, die dem klaren Wortlaut des Geſetzes 
widerſprechen, deren einzelne Beſprechung hier jedoch 
zu weit führen würde. Der erwähnte Grundſatz er⸗ 
gibt ſich nach der Meinung des Verfaſſers ohne weiteres 
aus 8 903 B88., 8 1 GewO. und 8 1 NM. — Allein 
für den Satz: „Keine Strafe ohne Strafgefetz“, der 
überdies zur Auslegung des Strafgeſetzes ſelbſt nichts 
bietet, bedarf es des Hinweiſes auf die erwähnten Para⸗ 
graphen des B., des NM. und der GewO. nicht. Deren 
Heranziehung iſt aber nicht nur überflüſſig, ſondern 
auch juriſtiſch verfehlt. § 903 BGB. hebt nur die 
zivilrechtlichen Befugniſſe des Eigentümers anderen 
zivilrechtlich Beteiligten gegenüber hervor und will und 
kann keinen ändernden Einfluß auf Beſtimmungen des 
öffentlichen Rechtes üben (Staudinger zu § 903 BGB. Ig); 
das Wein. aber hat es mit öffentlich⸗ rechtlichen Vor⸗ 
ſchriften zu tun, auch iſt ihm ganz gleichgültig, ob ein Wein⸗ 
fälſcher Eigentümer oder etwa nur Pächter oder Ver⸗ 
walter iſt. Die GewO. bezieht ſich auf den hier haupt⸗ 
ſächlich in Betracht kommenden Weinbau, der kein 
„Gewerbe“ ift, überhaupt nicht (Landmann zu 81 Gew. 
Note 1a), und außer den in 8 1 GewO. erwähnten Bes 
ſchraͤnkungen ergeben ſich noch weitere aus ſpäteren 
Reichsgeſetzen, insbeſondere eben aus dem Wein. (Land⸗ 
mann ebenda Anm. 3). Ferner iſt das Wein. keine 
Ausführungsvorſchrift zum NM. mehr, daher nicht 
gehindert, nicht bloß den Verkehr mit Wein, ſondern 
auch ſchon die Herſtellung von Wein zu überwachen 
und zu regeln. Endlich läßt ſich mit der Zweckbeſtimmung 
des Geſetzes ebenſogut das Gegenteil der Hofackerſchen 
Behauptungen beweiſen. Das Wein. bezweckt aller» 
dings die Geſundung des Verkehrs mit Wein herbei» 
zuführen. Da aber die Beſtimmung eines Faſſes Wein 
für den Verkehr im allgemeinen etwas nicht Sicht⸗ 
bares iſt und vom Beſitzer des Weines jederzeit ge⸗ 
ändert werden kann, läßt das Wein. eben um feinen 
Zweck — die Geſundung des Verkehrs — ſicher zu er⸗ 
reichen, ſchon die Herſtellung des Weines überwachen 
und regeln, ohne Unterſchied, ob der Wein ſpäter in 
den Verkehr kommen ſoll oder nicht. — Keinesfalls 
laſſen ſich mit ſolchen Lehren geſetzliche Vorſchrſiften 
für einen großen Teil ihres Geltungsbereiches ohne 
weiteres für ungültig erklären. Ob die Weinkontrolleure, 


54 


denen bei Beanſtandungen dann ſtets entgegenge- 
halten werden kann, das betr. Faß Wein ſei nicht 
für den Verkehr beſtimmt, von der Hofackerſchen Aus⸗ 
legung beſonders befriedigt ſind, ob dem Publikum nun⸗ 
mehr die bisher vermißte Klarheit geſchaffen iſt, und 
ob die Gerichte, insbeſondere das Reichsgericht, ihre 
in vielen Punkten abweichende Meinung aufgeben 
und ſich nunmehr dem neuen Propheten anſchließen, 
darf wohl in Zweifel gezogen werden. Geſchieht dies aber 
nicht, dann iſt nicht nur keine Klarheit geſchaffen, ſondern 
die zahlreichen Streitfragen des Wein. find noch um 
eine anſehnliche Habt weiterer vermehrt. 

Mag man aber auch in vielem mit dem Verfaſſer 
nicht übereinſtimmen, das muß doch rückhaltlos an⸗ 
erkannt werden, daß er ſeinen Stoff völlig beherrſcht, 
überall ein durchaus ſelbſtändiges Urteil zeigt und 
ſeine Erläuterungen in einer Weiſe durchgeführt hat, 
daß ſie auch für den wiſſenſchaftlichen Gegner lehr⸗ 
reich ſind und viel Stoff zum Nachdenken bieten. 
Jedenfalls hat eine Reihe von Punkten eine neue und 
dankenswerte Beleuchtung erfahren. 

Zum Schluß noch eine Bemerkung, die mehr Aeußer⸗ 
liches betrifft. Die Ausgabe enthält als Beilagen das 
Nahrungsmittel G., das Wettbewerbs., das Warenbe⸗ 
zeichnungs G. und einige Paragraphen des BGB., auch die 
Bek. des Reichskanzlers vom 1. Auguſt 1910 und die Bun» 
des ratsbek. vom 9. Juli 1909, es fehlen aber die zur letzt⸗ 
genannten Bek. gehörigen Muſterformulare, ferner die 
landesgeſetzlichen Ausführungsvorſchriften, Mängel, die 
von jenen, die ſich nur eine Ausgabe des Wein G. ans 
ſchaffen wollen, wohl ſchmerzlich empfunden werden. 

München. Landgerlchtsret Zoeller. 


Drittes Jahres ⸗ Supplement 1911/1912 (Band XXIV) zu 
Menerd Großem Reuverſations⸗Lexikon, ſechſte, gänzlich 
neubearbeitete und vermehrte Auflage. 1020 Seiten 
Text mit über 1150 Abbildungen, Karten und Plänen 
im Text und auf 110 Bildertafeln (darunter 7 Farben⸗ 
drucktafeln und 14 ſelbſtändige Kartenbeilagen) ſo⸗ 
wie 8 Textbeilagen. (Verlag des Bibliographifchen 
Inſtituts in Leipzig und Wien). In Halbleder ge— 
bunden Mk. 10.— oder in Prachtband Mk. 12.—. 


Ein Führer durch die Fragen der Gegenwart darf 
das ſoeben erſchienene neueſte Jahres⸗Supplement zu 
Meyers Großem Konverſations⸗Lexikon (des Geſamt⸗ 
werkes Band 24) genannt werden. Alle die Zeitfragen, 
die in den letzten 2—3 Jahren die Gemüter bewegten, 
haben in dem neuen Bande des „Großen Meyer“ 
in ſachlichen Artikeln ihren Niederſchlag gefunden. Je 
länger wir in dem ſchön ausgeſtatteten Bande blättern, 
um ſo mehr erkennen wir, welche unerſchöpfliche Fund⸗ 
grube der Belehrung hier dem Gebildeten wiederum 
geboten wird. Es wäre ein Leichtes, dies durch Hunderte 
von Beiſpielen zu erhärten, doch beſchränken wir uns 
darauf, einige wenige Fragen herauszugreifen. Der 
Artikel „Börſe“ berichtet über die neueſten einſchlägigen 
Geſetze, Verordnungen, Uſanceänderungen uſw., der 
Artikel „Ausverkauf“ beſchäftigt ſich mit den auf dieſem 
Gebiet eingeriſſenen Mißbräuchen und den geſetz— 
geberiſchen Gegenmaßregeln. Unter „Konkurſe“ wird 
eine intereſſante Statiſtik über dieſe Symptome unſeres 
Wirtſchaftslebens aufgemacht. Mit der Arbeiterfrage 
befaſſen ſich zahlreiche Artikel, wie z. B. „Arbeiterver- 
ſicherung“, „Arbeitsmarkt“, „Arbeitsnachweis“, „Reichs⸗ 
arbeitsblatt“, „Schieds- und Einigungsämter“, „Vers 
ſicherung im Deutſchen Reich“, „Sozialpolitiſche Geſetz— 
gebung“ u. a. Auch andere ſoziale Fragen werden in 
zahlreichen Artikeln beſprochen. Daß die Redaktion die 
Zeitereigniſſe bis zum letzten Tage verfolgt hat, bes 
weiſen unter anderem die unter „Türkiſches Reich“ 
behandelte Geſchichte des Balkankrieges und die Bio— 
graphie des am 5. November 1912 erwählten amerika— 
niſchen Präſidenten Woodrow Wilſon, die Artikel 
„Kamerun“ und „Marokko“. Schließlich möchten wir 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


noch auf den reichen bildlichen Schmuck an Tafeln 
und Textilluſtrationen hinweiſen, mit dem auch dieſer 
Schlußband des „Großen Meyer“ ausgeſtattet iſt. 


Kollmann, Ottmann, Regierungsakzeſſiſt. Die Re⸗ 
ligionsverhältniſſe der Kinder in Bayern. 
Handausgabe mit Erläuterungen zu den 88 12—23 
des Religionsedikts. 65 Seiten. Ansbach 1913, 
C. Brügel & Sohn. Mk. 1.20. 


Der Verfaſſer gibt in Form von Erläuterungen 
zu den 88 12—23 Nel&b. eine gedrängte, doch übers 
ſichtliche Darſtellung des Rechtes der religiöſen Kinder⸗ 
erziehung in Bayern. Die Rechtſprechung des BES. 
und namentlich die einſchlägigen Rechtsſätze des BB. 
ſind erſchöpfend nr Das Werkchen wird daher 
der Praxis gute Dienſte leiften. Zu bedauern tft, daß 
der Verfaſſer der Arbeit nicht weitere Grenzen geſteckt 
und nicht auch die beträchtliche Literatur zum Vergleich 
herangezogen hat. Bei der großen Zahl der auf dem 
behandelten Geblete beſtehenden Streitfragen hätte die 
Arbeit dadurch an praktiſcher Brauchbarkeit weſent⸗ 
lich gewonnen. $ 16 Anm. 2 II Satz 1 bedarf wohl 
der Berichtigung. 


Klſſingen. Bezirksamtsaſſeſſor Dr. Langbeinrich. 


Allſeld, Dr. phil., ordentlicher Profeſſor an der Unis 
verſität Erlangen. Die Strafgeſetzgebung des 
Deutſchen Reichs. Sammlung aller Reichsgeſetze 
ſtrafrechtlichen und ſtrafprozeſſualen Inhalts mit 
einem Geſamtregiſter. 2. Auflage. XI, 1315 Seiten. 
München und Berlin, J. Schweitzer Verlag (Arthur 
Sellier). Geb. Mk. 13.—. 


Dieſe Sammlung, die vornehmlich zu Prüfungs⸗ 
zwecken und für das Rechtsſtudium beſtimmt iſt, aber 
wegen ihrer Zuverläſſigkeit und Reichhaltigkeit auch 
von den Praktikern gerne benützt wird, iſt wieder auf 
den neueſten Stand gebracht. Beſonders wertvoll iſt 
der ausgiebige Abdruck ſtrafrechtlicher Nebengeſetze. 


Thuleſins, Die Konkurrenzklauſel. München und 
11 1913, J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 
Mk. 3. —. 


Der Geſetzentwurf betr. Aenderung der 88 74 bis 
76 HGB. wird demnächſt das Plenum des Reichstags 
beſchäftigen. Die betroffenen Kreiſe haben es an einer 
zum Teil recht kräftigen Kritik des Entwurfes nicht 
fehlen laſſen. Ueber das Ergebnis und die Reform- 
beſtrebungen bietet die Schrift von Thuleſius einen 
erſchöpfenden Ueberblick. Der Verfaſſer prüft von wirt⸗ 
ſchaftlichen Geſichtspunkten aus, ob die Konkurrenz⸗ 
klauſel erlaubt oder zu verbieten iſt, ob eine Verbeſſe⸗ 
rung des geltenden Rechtes notwendig und wie ſie aus⸗ 
zugeſtalten iſt. Eine Ueberſicht der allmählichen Ent⸗ 
wicklung der Konkurrenzbeſchränkungen wird durch den 
Vergleich mit der einſchlägigen ausländiſchen Geſetz⸗ 
gebung geſchaffen (S. 12 ff.), über Zweck der Beſchrän⸗ 
kungen S. 30 ff. Auſſchluß gegeben, der Beweis für die 
Berechtigung S. 41 ff. angetreten. Der Verfaſſer tft 
gerecht genug, um auf den mit der Anwendung der Kon 
kurrenzklauſel geübten Mißbrauch hinzuweiſen (S. 48 ff.) 
und kommt zu dem von jedem ſachlich Urteilenden auch 
geteilten Ergebnis, daß das geltende Recht den Schutz 
des wirtſchaftlich Schwächeren nicht hinreichend wahrt 
(S. 58). 

Die Schrift erachtet die Klauſel auch unter Bes 
tonung des „Sozialen“ für zuläſſig (S. 20, 67), gibt 
eine ſtatiſtiſche Ueberſicht über ihre Anwendung (S. 49 ff.), 
und weiſt auf ihre Unzuläſſigkeit bei zeitlicher und 
örtlicher Ausdehnung gemäß § 138 BGB. hin (S. 56). 
Es werden auch die entgegenſtehenden Bedenken her— 
vorgehoben, hergeleitet aus der perſönlichen Freiheit 
(S. 24), aus dem bloßen Verhältnis von Angebot und 
Nachfrage (S. 26); es wird der Anſpruch auf den Schutz 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 55 


der perſönlichen Freiheit (S. 30) betont und aus dieſen 
Gründen eine Einſchränkung als erſtrebenswert bezeich⸗ 
net. Die Ergebniſſe der Rechtſprechung werden durch Xeits 
ſaͤze hervorgehoben (S. 61, 77). Die Bemühungen um 
Aenderung des beſtehenden Rechtes werden eingehend 
geſchildert (S. 65 ff.) und hiebei des Zuſammenhangs 
wegen an die Beratung des jetzt noch geltenden Rechtes 
in der Reichstagskommiſſion angeknüpft. Hieran reiht 
ſich die Aufzählung der leitenden Gedanken des vor⸗ 
liegenden Geſetzentwurfes (S. 74 ff., 90 ff., 94, 102). Be⸗ 
achtenswerte Vorſchläge zur Verhütung künftiger Miß⸗ 
bräuche find S. 85 ff., 98, 107 aufgeführt. Mit Recht 
bezeichnet der Verfaſſer S. 99 den Wortlaut des Ge⸗ 
ſetzentwurfes als zu verwickelt. Auf S. 100 nimmt er 
Stellung zu verſchiedenen Anregungen aus beteiligten 
Kreiſen. Wem an gründlicher Prüfung der vorliegenden 
Fragen liegt, dem iſt die Monographie ebenſo zu emp⸗ 
fehlen, wie dem mit der Rechtsanwendung befaßten 
Laien und Berufsjuriſten. 


München. Juſtizrat Dr. Frankenburger. 


Arnheim, Dr. Hugo, Juſtizrat, Rechtsanwalt am Kammer⸗ 
gericht. Grundbuchordnung. Kommentar zur 
Grundbuchordnung für das Deutſche Reich nebſt den 
für Preußen erlaſſenen Ausführungsbeſtimmungen. 
Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage. 959 Seiten. 
Berlin 1913, J. Guttentag, Verlags buchhandlung, 
G. m. b. H. Mk. 25.—. 


Faſt gleichzeitig mit den großen Kommentaren von 
Güthe und Predari iſt auch Arnheims Kommentar in 
neuer Auflage erſchienen; er zeigt eine vielfach ver⸗ 
änderte Geſtalt und verwertet die Ergebniſſe der Recht⸗ 
ſprechung und der Rechtslehre in umfaſſender Weiſe. 
Die ganze Art der Bearbeitung zeigt uns den Ver⸗ 
faſſer nicht nur als einen hervorragenden Kenner des 
Grundbuchrechts, ſondern auch als einen bewährten 
Praktiker, der in ſeiner früheren Tätigkeit als Grund⸗ 
buchrichter in Berlin reiche Erfahrungen geſammelt hat. 

Wie Güthes Kommentar iſt Arnheims Buch in 
erſter Linie für die preußiſche Praxis beſtimmt; es 
enthält in einem Anhang nicht nur die preußiſchen Aus⸗ 
führungsvorſchriſten und eine Ueberſicht über die Ver⸗ 
tretung juriſtiſcher Perſonen im Grundbuchverkehre für 
Preußen, ſondern auch zu jeder einzelnen Geſetzesſtelle 
beſondere Bemerkungen vom Standpunkte der preußi⸗ 
ſchen Geſetzgebung aus. Für Preußen iſt dieſe Be⸗ 
handlung jedenfalls ein beſonderer Vorzug, für die 
übrigen Gebiete des Reichs aber bedeutet die eingehende 
und ausſchließliche Berückſichtigung der preußiſchen Ge⸗ 
ſetzgebung vielfach eine nicht unerhebliche Belaſtung 
und Verteuerung des Buches. Vielleicht trägt der Ver⸗ 
faſſer bei der nächſten Auflage auch den Intereſſen 
der nicht preußiſchen Gebietsteile Rechnung, indem er 
eine beſondere Ausgabe für das Reich veranſtaltet, in 
welcher die lediglich auf Preußen ſich beziehenden Aus⸗ 
führungen, die jetzt ſchon von den auf Reichsrecht be⸗ 
une Ausführungen getrennt find, ausgeſchieden 
werden. 

In ſachlicher Hinſicht will ich nur zwei Punkte 
hervorheben. Mit Güthe und allen anderen nord⸗ 
deutſchen Grundbuchkommentatoren teilt auch Arn⸗ 
heim im Anſchluſſe an die vom Kammergericht ver⸗ 
tretene, aber unzulänglich begründete Auffaſſung bei 
83 (Anm. 3) die Meinung, daß Bruchteile kein Grund⸗ 
buchblatt erhalten dürfen, da ſie keine Bodenfläche ſind. 
Dieſe Begründung reicht jedenfalls nicht aus, um die 
gegenteilige bayeriſche Praxis, die auf 8 220 der Dienſt⸗ 
anweiſung für Grundbuchämter (nicht, wie Arnheim 
meint, auf dem Ausf. z. GBO.) beruht, als unhalts 
bar erſcheinen zu laſſen; bei 8 5 (Anm. 4) kommt Arn⸗ 
heim zwar in etwas eingehenderer Weiſe auf die Sache 
zurück, verweiſt aber auch hier ſchließlich nur wieder 
auf 8 3. Wie bei der Beſprechung des Gütheſchen 
Kommentars (vgl. S. 29) möchte ich auch hier der Hoff⸗ 


nung Ausdruck geben, daß Arnheim in der nächſten 
Auflage zu meinen Ausführungen auf S. 117 des vor⸗ 
jährigen Jahrgangs dieſer Zeitſchrift in entgegenkom⸗ 
mender Weiſe Stellung nimmt, wenn er die Frage 
wieder im reichsrechtlichen Teile erörtert. 
Bei 8 45 beſpricht Arnheim die Frage, ob die Unter⸗ 
1 des Grundbuchbeamten nachgeholt werden könne. 
ährend er in Anm. 5 ſagt, daß an Stelle der Grund⸗ 
buchbeamten, welche die Eintragung angeordnet oder 
vorgenommen haben, deren Amtsnachfolger und Ver⸗ 
treter in Erledigung der ihnen für den Vorgänger oder 
Vertretenen obliegenden Befchäfte die Eintragung unter⸗ 
zeichnen können, führt er in Anm. 6 aus, daß die Unter⸗ 
ſchrift nur von denjenigen Beamten nachgeholt werden 
dürfe, welche die Eintragung von vornherein hätten 
unterzeichnen müſſen. Ich weiſe auf dieſe beiden Stellen 
nur um des willen hin, weil die Gefahr beſteht, daß 
diejenigen, welche ſich über die auch für unſere Praxis 
überaus wichtige Frage unterrichten wollen, ſich mit 
den Ausführungen in Anm. 5 für befriedigt erklären 
und jene in Anm. 6 überſehen. Auf die Frage ſelbſt 
hoffe ich an einem anderen Orte zurückkommen zu können. 
Minifteriolrat H. Schmitt im Juſtizminiſterium zu München. 


Kitzinger, Dr. Friedrich, a. o. Profeſſor an der Univerſi⸗ 
tät München. Die Verhinderung ſtrafbarer 
Handlungen durch Polizeigewalt. Grund⸗ 
züge der Rechtspolizei und Beitrage 5 Konſtruk⸗ 
tion des Strafrechts. München 1913, C. H. Beck'ſche 
Verlagsbuchhandlung. Mk. 8.50. 


Die feſſelnde Schrift ſucht auf Grund theoretiſcher 
Unterſuchungen den ſyſtematiſchen Grundriß eines Hand⸗ 
buchs der Rechtspolizei zu geben und vom Strafrecht 
aus zu einer Grundanſchauung über den Begriff und 
das Weſen der Polizei zu gelangen. Sie geht nach kritiſcher 
Würdigung der verſchiedenen Anſichten davon aus, daß 
die Verhinderung ſtrafbarer oder nur verbotener Hand⸗ 
lungen durch Polizeigewalt dem juriſtiſchen Weſen 
nach nichts anderes als Selbſthilfe iſt, wodurch der 
Staat ſeinen bedrohten Anſpruch auf normgemäßes 
Verhalten der Einzelnen verwirklicht oder ſichert. Die 
theoretiſchen Ausführungen werden ergänzt durch die 
Beibringung reichen Materials aus der Geſetzgebung, 
der Praxis und der Literatur; namentlich iſt die Ueber⸗ 
ſicht über die Geſetzgebung in Deutſchland zu begrüßen, 
die ſich mit der Verhinderung ſtrafvarer Handlungen 
durch Polizeigewalt befaßt (S. 31 ff.). Bemerkenswert 
ſind die Ausführungen über die Tragweite der recht⸗ 
lichen Grundlagen der Polizeigewalt (S. 97 ff.) und 
über ihre Anwendung in der Praxis, beſonders in 
Preußen (S. 108 ff.). Der Hinweis auf den Abſ. III 
des § 134 GewO. (S. 98) iſt nicht mehr zeitgemäß, weil 
ſeine Vorſchrift, die zuletzt durch die Novelle vom 27. De⸗ 
zember 1911 (RGBl. S. 139) geändert wurde, nunmehr 
als Abſ. U des § 134 unter dem Strafſchutze des § 150 
Abſ. I Nr. 2 GewO. ſteht. — Das Werk enthält eine Reihe 
von wertvollen Anregungen für die Geſetzgebung, die 
Wiſſenſchaft und die Praxis. H. 


Kohler, Nudolf, K. Regierungsaſſeſſor. Die Reichs⸗ 
verſicherungsordnung vom 19. Juli 1911 
nebſt Einführungsgeſetz. 4. Band Lig. 1/2. Ans» 
bach 1913, C. Brügel & Sohn. Mk. 2.40. 

Die neu ausgegebenen Lieferungen bringen die 

Neben» und Ausführungsgeſetze, ſowie zahlreiche Voll— 

zugsvorſchriften. 


Juriſtenkalender, Dentfcher, bearbeitet von Dr. A. Hall: 
mann, Rechtsanwalt in Berlin. Berlin 1914, Otto 
Liebmann, Verlagsbuchhandlung. Mk. 3.20. 

Der hübſch mit guten Bildern ausgeſtattete Kalender 
iſt hier ſchon mehrmals angezeigt worden. Er erſcheint 
heuer wieder in der alten Form. 


66 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Die Azetylen verordnung. Ueber die Herſtellung, 
die Aufbewahrung und die Verwendung von Azetylen 
ſowie über die Lagerung von Kalziumkarbid erging 
unter Aufhebung der BO. vom 15. Oktober 1905 (GBl. 
S. 611) eine neue Verordnung unterm 14. Dezember 
1913 (G BBl. S. 919), zu der das Miniſterium des Innern 
unterm 18. Dezember 1913 (GBl. S. 941) eine Voll⸗ 
zugsbekanntmachung erließ. Wie die VO. vom 15. Ok⸗ 
tober 1905 (vgl. wegen dieſer Landmann, GewO. 8 16 
Anm. 17), fo beruht auch die neue BO. auf einem Be⸗ 
ſchluſſe des Bundesrats ($ 1003 der Prot. vom 28. No⸗ 
vember 1912), über dieſen Gegenſtand übereinſtimmende 
Vorſchriften zu erlaſſen. Die Verordnung ſchafft zu⸗ 
nächſt für den, der Azetylen herſtellen und verwenden 
oder Kalziumkarbid lagern will, eine Anzeigepflicht; 
der Genehmigung nach 8 16 GewO. unterliegen die 
Azetylenanlagen bekanntlich nicht, da zu den dort er⸗ 
wähnten Gasbereitungs⸗ und Gasbewahrungsanſtalten 
olche Anſtalten nicht gerechnet werden, bei welchen 
ie Erzeugung nicht auf dem Wege der trockenen De⸗ 
ſtillation organiſcher Stoffe, ſondern auf andere Weiſe 
erfolgt (Landmann a. a. O. Anm. 7), und die Azetylen⸗ 
anlagen auch unter die ebenfalls in 8 16 GewO. er⸗ 
wähnten chemiſchen Fabriken wohl nur in Ausnahme⸗ 
a gerechnet werden können. An die Regelung der 

nzeigepflicht ſchließen ſich ſehr ins Einzelne gehende Be⸗ 
ſtimmungen über die Ausführung von Azetylenanlagen 
und Kalziumkarbidlagern, ferner über den Betrieb der 
Azetylenapparate und die Lagerung von Kalziumkarbid. 
Die Laterne des Radfahrers wird durch die BO. nicht 
berührt, denn dieſe will keine Anwendung finden auf 
die Vorrichtungen zur Beleuchtung von Fahrzeugen, auf 
tragbare Lampen und tragbare Laternen ſowie auf die 
Lagerung der hierzu erforderlichen Menge Kalziumkarbid, 
wenn gewiſſen Vorſichtsmaßregeln genügt iſt, insbeſon⸗ 
dere die Füllung 2 kg nicht überſteigt und nicht mehr als 
10 kg Kalziumkarbid auf Vorrat gelagert werden. Als 
15 rechtlichen Grundlagen führt die BO. an den $ 367 

r. 5 und den $ 368 Nr. 8 StG. und den Art. 131 
PSt GB.; die Beſtimmungen über die Pflicht zur Tra⸗ 
gung der Koſten der vorgefchriebenen Prüfungen und 

achprüfungen „ſowie aller Vollzugsmaßnahmen? — 
dieſe Koſten ſoll der Anzeigepflichtige tragen — werden 
ihre Stütze in „den allgemeinen Grundſätzen des Poli⸗ 
zeirechts“ ſuchen. 

3194 


Die Poſt ordnungen. Die beiden ſchon vielfach ge⸗ 
änderten Poſtordnungen, nämlich die für den Verkehr 
zwiſchen dem Reichspoſtgebiet, Württemberg und Bayern 
geltende Poſtordnung vom 20. März 1900 und die ledig⸗ 
lich für den inneren Verkehr Bayerns geltende baye- 
riſche Poſtordnung vom 27. März 1900, wurden neuer⸗ 
dings durch Bekanntmachungen vom 10. und vom 15. De⸗ 
zember 1913 (GVBl. S. 913 und 916) geändert. Er⸗ 
heblich iſt die nachſtehende beiden gemeinſame Aenderung 
der bisherigen Vorſchriften über den Poſtproteſt. Die 
Poſtverwaltung will ſich nunmehr mit einigen Wechſel— 
arten, die ſie bisher von der Proteſterhebung durch 
die Poſt ausſchloß, teilweiſe befaſſen; ſie will Wechſel 
in franzöſiſcher Sprache, Wechſel mit Notadreſſe oder 
Ehrenakzept, endlich Wechſel, die unter Vorlegung 
mehrerer Exemplare desſelben Wechſels oder unter Bor: 
legung des Originals und einer Kopie zu proteſtieren 
ſind, erſt nach der erſten vergeblichen Vorzeigung oder 
nach dem erſten vergeblichen Verſuch der Vorzeigung 
an einen Gerichts vollzieher, Notar uſw. weitergehn, 
während bisher die Weitergabe erfolgte, ohne daß 
„ poſtſeitig“ eine Vorzeigung ſtattfand. Wechſel mit 


— — ͤ́ñut̃ikxkx3xxͤ nn . ĩ —4.::J Ä ———3333ͤ nn 


Notadreſſe oder Ehrenakzept werden jedoch nur dem 
Bozogenen vorgezeigt. 
1 


Die Bekanntmachungen vom 30. Dezember 1913, den 
Vollzug des 6 169 der Neichsverſicherungserdunng betr., 
und vom 31. Dezember 1913, die Rrankenverſicherungs: 
pflicht der im zn. beichäftigten Perſonen betr., 
JBl. 1914 S. 1 und 2) regeln die Frage der Ver: 
ſicherungspflicht nach dem zweiten Buche der NEO. 
(Krankenverſicherung), wie dies bezüglich der Invaliden⸗ 
verſicherung und der ** durch die 
Bekanntmachung vom 23. Dezember 1912 geſchehen iſt 
(J Mol. S. 354; vgl. Bay ZR. 1913 S. 56). Von den 
im Juſtizdienſt beſchäftigten Perſonen ſind hiernach die 
ſämtlichen etatsmäßigen Beamten, ſoweit ſie überhaupt 
unter § 165 RVO. fallen würden, ferner die nichtetats⸗ 
mäßigen Aſſiſtenten und die i 
durch Zuſicherung der in $ 169 RBO. und Art. 49 AG. 
hiezu vorgeſehenen Leiſtungen (anderthal bfacher Betrag 
des Krankengeldes) von der Krankenverſicherungspflicht 
befreit. Die Fortzahlung des Gehaltes für die Dauer 
der Regelleiſtungen der Krankenkaſſen wird in der Regel 
den Anforderungen des 8 169 RBO. genügen. Soweit 
dies ausnahmsweiſe bei einem Gerichtsſchreibergehilfen 
nicht der Fall iſt, wird der Gehalt bis zum 1½½ fachen 
Betrag des Krankengeldes ergänzt. Die juriſtiſch vor⸗ 
gebildeten bezahlten Hilfsarbeiter und Grundbuchkom⸗ 
miſſäre unterliegen der Verſicherungspflicht überhaupt 
nicht, weil es ſich bei ihnen um eine höhere, mehr 
geiſtige Tätigkeit handelt. Verſicherungsfrei ſind nach 
8 172 Nr. 1 RBO. die aus dem Mlilitärdienſt ſchon aus⸗ 
geſchiedenen, probeweiſe angeſtellten Militäranwärter 
und die Inzipienten, weil ſie lediglich für ihren Beruf aus⸗ 
gebildet werden, und nach § 172 Nr. 2 die bei einer Ju⸗ 
ſtizbehörde probeweiſe verwendeten Perſonen des Sol⸗ 
datenſtandes. Die übrigen im Juſtizdienſt Befchäftigten, 
die zu den in 8 165 RVO. bezeichneten Perſonen ge⸗ 
hören, unterliegen der Krankenverſicherungspflicht; dies 
gilt namentlich für die in Ziff. III der Bekanntmachung 
vom 31. Dezember 1913 aufgeführten aushilſsweiſe 
beſchäftigten Perſonen, ferner auch für die Nota⸗ 
riatsgehilfen, die bisher ſchon krankenverſicherungs⸗ 
pflichtig waren. Die Beiträge für die zuletzt Genannten 
ſind wie bisher ganz von den Notaren zu entrichten. 
Im Uebrigen verbleibt es, ſoweit nicht in einzelnen 
Fällen bisher ſchon anders verfügt iſt oder künftig anders 
verfügt wird, bei der geſetzlichen Regelung, wonach 
der Verſicherte ſelbſt ?/s der Beiträge zu entrichten hat. 

Die durch die Zuſicherung nach § 169 R830 befreiten 
Perſonen (etatsmäßige Beamte, nichtetatsmäßige Aſſi⸗ 
ſtenten und Gerichtsſchreibergehilſen) können der Kran⸗ 
kenverſicherung freiwillig beitreten. Die Krankenkaſſe 
kann das Recht des Beitritts aber von einer beſtimmten 
Altersgrenze und von der Vorlage eines ärztlichen Ge⸗ 
ſundheitszeugniſſes abhängig machen (8176 Abſ. Lu. III 
RVoO.). Auch kann die Satzung eine Wartezeit be⸗ 
ſtimmen ($ 207 RBO.) Ferner können die Leiſtungen 
auf Krankenpflege ohne Krankengeld oder auf Kranken⸗ 
hauspflege ohne Hausgeld oder deren Erſatz (§ 185) 
ohne Krankengeld oder auf das Krankengeld ohne Kran⸗ 
kenhilfe beſchränkt werden ($ 215 RV O.). 


Die neuen Beſtimmungen über die Beurlaubung der 
Militäranwärter vom 1. Januar 1914 (GBl. S. 975) 
ſind für die äußeren Juſtizverwaltungsbehörden nicht 
unmittelbar von Bedeutung. Es genügt, wenn hier 
auf die Vorſchrift in Ziff. 9 und die dazu gehörende 
Fußnote 4 hingewieſen wird. 

3193 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ur. 3. 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 
K. 1. Staatsanwalt im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſti:. 


München, den 1. Februar 1914. 


10. Jahrg. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


in Bayern 


Verlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Seller) 
München, Berlin u. Leipzig. 


(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8». 79.) 


> “to 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /. 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich : 
Mt. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
jede Poſtanſtalt. 


Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße In. 
Anzeigengebübr 30 Pfg. für die halbgeſpaltene Petitzeil: 
oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗ 


anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Nachdruck verboten. 57 


Sind in dem Verfahren vor den Amtsgerichten 
verkündete Beſchlüſſe des Gerichts von Amts 
wegen zuzuſtellen? 

Von Profeſſor Dr. L. v. Senffert, Kgl. Geh. Rat, in München. 


In dem gegenwärtigen Jahrgange dieſer Zeitſchrift 
Nr. 2 S. 37 ff. berichtet Herr Amtsrichter Dittrich, 
das Landgericht München I habe in einem Beſchluſſe 
von 1910 geſagt, nur die Urteile, nicht auch die verkün⸗ 
deten Beſchlüſſe der Amtsgerichte ſeien von der Zu⸗ 
ſtellung von Amts wegen ausgenommen. Ferner: das 
Amtsgericht München habe ſich dieſe Rechtsan⸗ 
ſchauung in feſtſtehender Rechtſprechung und Praxis 
zu eigen gemacht. Das Oberlandesgericht München 
habe in einem Beſchluſſe vom 27. Oktober 1913 ausge⸗ 
ſprochen, daß die Zuſtellung verkündeter amtsgericht⸗ 
licher Beſchlüſſe im Parteibetrieb zu erfolgen habe. 
Herr Dittrich bemüht ſich, den Standpunkt des 
Amtsgerichts ausführlich zu verteidigen. 


4 Da ich in meinem Kommentare zur ZPO. Nr. 1 
zu 8 496 geſagt habe: „Für die Zuſtellung der 
Urteile verbleibt es bei dem Parteibetriebe (8 317 
Abſ. 1)“, glaubt Herr Dittrich, daß ich mich feiner 
Anſicht zuneige. Ich möchte das verneinen und die 
Gründe anführen, aus welchen ſich ergibt, daß die 
Zuſtellung der verkündeten amtsgerichtlichen Be⸗ 
ſchlüſſe nicht von Amts wegen, ſondern auf Be⸗ 
treiben der Parteien zu erfolgen hat. 

In dem 8 496 Abſ. 1 3 O. iſt ſeit der No: 
velle vom 1. Juni 1909 angeordnet, daß im Ver⸗ 
fahren vor den Amtsgerichten die Zuſtellungen von 
Amts wegen erfolgen un beſchadet der Vor: 
ſchrift des 8317 Abf. 1. In dem 8 317 Abſ. 1 
iſt beſtimmt, daß die Zuſtellung der Urteile auf 
Betreiben der Parteien erfolgt. Nun finden nach 
8 329 Abſ. 2 ZPO. die Vorſchriften des 8 317 
auf Beſchlüſſe des Gerichts und auf Verfügungen 
des Vorfitzenden, ſowie eines beauftragten oder er: 
ſuchten Richters entſprechende Anwendung. In 


kündete Beſchlüſſe des Gerichts und nicht verkündete 
Verfügungen des Vorſitzen den und eines beauftragten 
oder erſuchten Richters den Parteien von Amts wegen 
zuzuſtellen find. Alſo findet die Vorſchrift des 
§ 317 Abſ. 1 auf die verkündeten Beſchlüſſe 
und Verfügungen Anwendung. Wenn nun in 8 496 
Abſ. 1 bei Anordnung der Zuſtellung von Amts 
wegen die Vorſchrift des $ 317 Abſ. 1 vorbehalten 
iſt, ſo erſtreckt ſich logiſcherweiſe dieſer Vorbehalt 
auch auf die Falle, für welche in 8 329 die An⸗ 
wendung des § 317 Abſ. 1 geboten iſt, alſo auf 
verkündete Beſchlüſſe des Amtsgerichts und ver⸗ 
kündete Verfügungen des Vorſitzenden und eines 
erſuchten Richters, der ja immer ein Amtsrichter 
iſt (GVG. §. 158). In der von Herrn Ditt⸗ 
rich S. 39 zitierten Begründung des Entwurfs 
zur Novelle von 1909 (S. 31) iſt allerdings geſagt: 
„Nur für die Zuſtellung der Urteile ſoll es bei 
dem Parteibetriebe verbleiben.“ Daraus ergibt 
ſich aber nichts anderes, als daß der Verfaſſer der 
Begründung zunaͤchſt an die Urteile gedacht hat. 
Davon, daß ſich der Vorbehalt des 8 317 Abſ. 1 
auf die Zuſtellung der Urteile beſchränken folle, 
iſt aus der Begründung nichts zu entnehmen. Das 
Wort „nur“ beweiſt durchaus nicht, daß der Ver⸗ 
faſſer der Begründung den Vorbehalt der Zu⸗ 
ſtellung im Parteibetrieb auf die Urteile beſchränken 
wollte; denn das Wort „nur“ betont lediglich den 
Gegenſatz der Zuſtellung der Entſcheidungen zu dem 
Prinzip der Zuſtellung von Amts wegen. Aber 
auch, wenn der Verfaſſer der Begründung die Be⸗ 
ſchränkung auf Urteile gewollt hätte, ſo wäre das 
bedeutungslos für die Anwendbarkeit des § 317 
Abſ. 1 auf die verkündeten Beſchlüſſe und Der: 
fügungen, weil die Beſchraänkung im Geſetze nicht 
enthalten und der Text des $ 329, wonach der 
8 317 Abſ. 1 auf verkündete Beſchlüſſe und Ver⸗ 
fügungen entſprechende Anwendung findet, durch 
die Novelle von 1909 nicht geändert worden iſt. 


In der Begründung des Entwurfs zur Novelle 


§ 329 Abſ. 2 iſt dann angeordnet, daß nicht ver⸗ von 1909 S. 31 iſt zu § 496 Abſ. 1 bemerkt: 


68 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


„Auch werden durch eine ſolche Regelung (sc. 
durch den Vorbehalt des $ 317 Abſ. 1 für das 
Verfahren vor den Amtsgerichten) überflüſſige Zu⸗ 
ſtellungen vermieden.“ 

Würde man den in 8 496 Abſ. 1 angeordneten 
Vorbehalt des $ 317 Abſ. 1 nicht auf die ver⸗ 
kündeten Beſchlüſſe ꝛc. erſtrecken, ſo müßten im 
Verfahren vor den Amtsgerichten ſehr viele ganz 
überflüſſige Zuſtellungen von Amts wegen beſorgt 
werden. 

Beiſpiele: Es müßten die auf Grund der 
83 142, 143, 144, 145, 146, 147 3BO. er: 
gehenden Beſchlüſſe, welche nur auf Grund einer 
mündlichen Verhandlung erlaſſen werden können 
und daher verkündet werden müſſen (arg. 8 329 
Abſ. 1) von Amts wegen zugeſtellt werden, obwohl 
deren Zuſtellung gar keine praktiſche Bedeutung 
hat, da dieſe Beſchlüſſe nicht durch Beſchwerde an⸗ 
fechtbar find. 

Auch die auf Grund der 88 148, 149, 150, 
151, 152, 153, 154 ZPO. ergehenden Ausſetzungs⸗ 
beſchlüſſe können nur auf Grund einer mündlichen 
Verhandlung ergehen und müſſen alſo verkündet 
werden. Sie ſind zwar mit einfacher Beſchwerde 
anfechtbar (arg. $ 252), aber die Zuſtellung hat 
auch in dieſen Fallen gar keine prattifche Beben: 
tung, da die Beſchwerde ohne die Zuſtellung ein⸗ 
gelegt werden kann. 

Der Beſchluß, durch welchen der Antrag auf 
Erlaſſung des Verſäumnisurteils auf Grund des 
8 335 ZPO. zurückgewieſen wird, muß natürlich 
verkündet werden. Die Zuſtellung dieſes Beſchluſſes 
iſt ganz uͤberflüſſig; denn die Friſt der nach § 336 
zuläſſigen ſofortigen Beſchwerde beginnt in dieſem 
Falle mit der Verkündung des Beſchluſſes (8 577 
Abſ. 2 Satz 1). 

Ganz unnötig wäre es, einen auf Grund münd⸗ 
licher Verhandlung ergangenen Beweisbeſchluß den 
Parteien zuzuſtellen. 

Auch die Zuſtellung eines auf Grund des § 505, 
des 8 506 oder des 8 697 nach mündlicher Ber: 
handlung ergangenen Verweiſungsbeſchluſſes wäre 
ganz zwecklos. 

Nach § 764 Abſ. 3 können die Entſcheidungen 
des Vollſtreckungsgerichts ohne mündliche Verhand⸗ 
lung erfolgen. Erfolgt die Entſcheidung des Voll: 
ſtreckungsgerichts auf Grund einer hiernach zuläl: 
ſigen mündlichen Verhandlung, ſo iſt die Entſchei⸗ 
dung zu verkünden. Einen ſolchen Beſchluß den 
Parteien von Amts wegen zuzuſtellen, hätte gar 
keine praktiſche Bedeutung. Man betrachte folgen⸗ 
den Fall: Gegen die Pfändung beweglicher Sachen 
erhebt der Schuldner Einwendung nach § 766 mit 
der Behauptung, daß die tatſächlich gepfändeten 


Sachen zu den nach $ 811 Nr. 4 der Pfändung 


nicht unterworfenen Sachen gehören. Das Gericht 
ordnet mündliche Verhandlung an, weil über dieſe 
Einwendung nicht leicht ohne nähere Erörterung 
zu entſcheiden iſt, und ladet beide Parteien zu der 
Verhandlung. Auf Grund der Verhandlung ver: 


— — . [— 


kündet es den Beſchluß, daß der Einwendung ſtatt⸗ 

egeben wird und daher die Pfändung unzuläſſig iſt. 
Seht kann der Gläubiger die Zwangsvollſtreckung 
nicht mehr betreiben, alſo die gepfändeten Sachen 
nicht verſteigern laſſen, ſondern er muß die Sachen 
dem Schuldner herausgeben, oder die Pfändungs⸗ 
marken beſeitigen laſſen (arg. 88 775 Nr. 1, 770). 
Der Gläubiger kann natürlich ſofortige Beſchwerde 
einlegen (arg. 8 793); aber ſchon vor Ablauf der 
Beſchwerdefriſt kann der Schuldner den Fortbetrieb 
der Zwangsvollſtreckung oder die Unterlaſſung der 
Herausgabe auf Grund der 88 775 Abſ. 1, 776 
wieder nach 8 766 bekämpfen. Was hätte es für 
einen Zweck, den beiden Parteien den verkündeten 
Beſchluß von Amts wegen zuzuſtellen? Auch wenn 
das Gericht in einem ſolchen Falle die Ein⸗ 
wendung des Schuldners ablehnt, wäre die Zus 
ſtellung des verkündeten Beſchluſſes an die Par⸗ 
teien nicht von praktiſchem Wert; denn, da der 
Beſchluß ohne Rückſicht auf Beſchwerde vollziehbar 
iſt (arg. 8 572 Abſ. 1), kann der Gläubiger auf 
Grund des Beſchluſſes die Vollſtreckung fortſetzen, 
ſoweit nicht nach Einlegung der Beſchwerde des 
Schuldners die Vollziehung nach beſonderer An⸗ 
ordnung (8 572 Abſ. 2) ausgeſetzt wird. 

In dem von Herrn Dittrich ſpeziell behandelten 
Falle, daß in dem die Leiſtung des Offenbarungs⸗ 
eides betreffenden Verfahren (3 900) die Ein: 
wendungen, welche der zur Leiſtung des Offen⸗ 
barungseides (8 807) geladene Schuldner zur Be⸗ 
ſtreitung der Verpflichtung zur Leiſtung des Eides 
geltend gemacht hat, durch verkündeten Beſchluß 
verworfen worden ſind, iſt meines Erachtens der 
Beſchluß nicht von Amts wegen den Parteien zu⸗ 
zuſtellen. Zwar hat in dieſem Falle der Glaͤu⸗ 
biger ein Intereſſe an der Rechtskraft des Be⸗ 
ſchluſſes, weil er die Leiſtung des Offenbarungs⸗ 
eides und alſo auch den Haftbefehl zur Erzwingung 
der Eidesleiſtung (8 901) nicht vor Eintritt der 
Rechtskraft des Beſchluſſes verlangen kann, wenn 
nicht bereits ein früherer Widerſpruch rechtskräftig 
verworfen iſt (8 900 Abſ. 3); aber dadurch, daß er 
den Beſchluß zuſtellen läßt, kann er die Beſchwerdefriſt 
eröffnen. Dazu kann er nach 8 166 Abſ. 2 die Ver⸗ 
mittelung des Gerichtsſchreibers verlangen und der 
Gerichtsſchreiber hal daher nach $ 168 einen Gerichts⸗ 
vollzieher mit der Zuſtellung zu beauftragen, ſofern 
nicht der Gläubiger erklärt hat, daß er ſelbſt einen 
Gerichtsvollzieher beauftragen wolle. 


Eigentum am leberban. 


Von Amtsrichter Auguft Schmitt in München. 


1 


Wenn der Eigentümer eines Grundſtücks bei der 
Errichtung eines Gebäudes — alſo nicht eines Bau⸗ 
werks ſchlechthin — über die Grenze baut, ſpricht 
man von einem Ueberbau (3 912 BGB.). Ueber⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 59 


bau iſt hiernach der auf einem fremden Grundſtück 
befindliche Teil eines einheitlichen Gebäudes. Dieſer 
Gebäudeteil muß nicht in dem fremden Grund⸗ 
ſtücke wurzeln; ein hoch über dem Boden in das 
Nachbargrundſtück vorſpringender Balkon oder Erker 
ift ebenſogut ein Ueberbau, wie ein mit Grund: 
mauern in fremdem Boden ruhender Gebaͤudeteil. 


Der Ueberbau beeinträchtigt das Nachbargrund⸗ 
ſtück. Der Nachbar, der kraft ſeines Eigentums 
andere von jeder Einwirkung auf fein Grundſtück 
ausſchließen kann, iſt an ſich berechtigt, die Be⸗ 
ſeitigung des Ueberbaus zu verlangen. Das Recht 
hat jedoch aus wirtſchaftlichen Gründen, — um 
nutzloſer Zerſtörung von Werten vorzubeugen und 
beſonders den Fortbeſtand eines einmal errichteten 
Gebäudes nach Möglichkeit zu ſichern, — dem 
Nachbar die Pflicht auferlegt, den Ueberbau unter 
gewiſſen Vorausſetzungen zu dulden. Dieſe Vor⸗ 
ausſetzungen liegen vor, wenn ſich der Eigentümer 
in gutem Glauben befunden, und der Nachbar 
nicht vor oder ſofort nach der Grenzüberſchreitung 
Widerſpruch erhoben hat. Der Nachbar kann dann 
nur Entſchädigung durch eine Geldrente, ſowie 
jederzeit Kapitalabfindung gegen Abtretung der 
überbauten Fläche verlangen. 


Das Recht des Eigentümers iſt zwar einer 
Grunddienſtbarkeit ähnlich, aber kein eigentliches 
Recht an einem fremden Grundſtücke im Sinne 
des Bürgerlichen Geſetzbuchs. Einer ſolchen Kon⸗ 
ſtruktion widerſpricht ſchon rein äußerlich die 
Stellung des 8 912 in dem Abſchnitt über den 
Inhalt des Eigentums, ſowie der Umſtand, daß 
die Eintragung der Berechtigung im Grundbuch 
ausgeſchloſſen iſt. 

8 912 enthält nur eine geſetzliche Eigentums⸗ 
beſchränkung. Bezeichnet $ 903 den Inhalt des 
Eigentums als unbeſchränkte ausſchließliche Herr: 
ſchaft über die Sache, ſoweit nicht Geſetz oder 
Rechte Dritter entgegenſtehen, ſo bildet 8 912 ein 
Beiſpiel, in dem das Geſetz dem Eigentümer eine 
Schranke auferlegt. Prozeßrechtlich betrachtet gibt 
die Vorſchrift des 8 912 dem gutgläubig über: 
bauenden Eigentümer zum Schutze gegen den Be⸗ 
ſeitigungsanſpruch des Nachbars eine Einrede. 


II. 


Durch den Ueberbau wird an dem Eigentum 
der überbauten Fläche nichts geändert; dies iſt 
ohne weiteres klar. 

Mehr Schwierigkeiten verurſacht die Beant⸗ 
wortung der Frage nach dem Eigentum am Ueber⸗ 
bau ſelbſt. Dieſe Frage muß mangels einer be⸗ 
ſonderen geſetzlichen Beſtimmung aus den Vorſchriften 
über die Beſtandteile der Sachen und über die 
Verbindung von Sachen (83 93, 94, 95, 946) 
entſchieden werden. Für den Fall, daß der über⸗ 
bauende Eigentümer die Duldung des Ueberbaus 
verlangen kann, iſt man in der Literatur überein⸗ 
ſtimmend — wenn auch auf verſchiedenen Wegen — 


zu der Löſung gelangt, daß der überbauende Eigen⸗ 
tümer auch das Eigentum am Ueberbau erwirbt. 
Im übrigen gehen die Meinungen auseinander, 
und zwar laſſen ſich in der Hauptſache zwei Rich⸗ 
tungen unterſcheiden. 

1. Planck (4. Aufl., Erl. 4 zu 8 94) folgert 
aus dem Grundſatze des § 94 I (superficies solo 
cedit), daß ein auf zwei Nachbargrundſtücken — 
einerlei von wem — errichtetes Gebäude regelmäßig 
weſentlicher Beſtandteil eines jeden Grundſtücks zu 
dem entſprechenden reellen Teile iſt und daher im 
Alleineigentum jedes Nachbars bis zur Grenze ſteht. 
Das Gebäude iſt aber nur weſentlicher Beſtandteil 
eines der Grundſtücke, wenn bezüglich der Ueber⸗ 
bauung des anderen Grundſtücks $ 951 Satz 2 
maßgebend iſt, wenn alſo der Gebäudeteil auf dieſem 
Grundſtücke in Ausübung eines Rechtes an dieſem 
Grundſtücke durch den Berechtigten errichtet worden 
iſt. Zu den im 8 95 genannten Rechten rechnet 
Planck auch die dem Grundſtückseigentümer nach 
8 912 zuſtehende Berechtigung, von dem Nachbar 
die Duldung des Ueberbaus zu verlangen. 


Die gleiche Anſicht vertritt der Kommentar von 
Reichsgerichtsräten (Erl. 1 zu 8 94), ferner Wolff 
(Grenzüberbau S. 134). Auch die Motive (III 
S. 287, VII) ſtehen auf dem gleichen Standpunkte. 

2. Im Gegenſatz zu dieſer herrſchenden Lehre 
befindet ſich Staudinger (7./8. Aufl., Erl. 7 zu 8 94). 
Staudinger führt aus, daß es für die Eigentums⸗ 
frage am Ueberbau auf den guten oder böſen 
Glauben des Ueberbauenden nicht ankomme. Man 
müſſe vielmehr davon ausgehen, daß der Ueberbau 
weſentlicher Beſtandteil des einheitlichen Gebäudes 
ſei (§ 93) und daher nicht Gegenſtand beſonderer 
Rechte ſein könne. 

Die Regel des § 941 müſſe inſoweit zurück⸗ 
treten, weil die Zuſammengehörigkeit der einzelnen 
Gebäudebeſtandteile unter ſich enger ſei als die 
einzelner Gebaͤudebeſtandteile mit dem Grundftüde. 

Der Unterſchied zwiſchen den beiden eben ent⸗ 
wickelten Auffaffungen ſpringt ſofort in die Augen. 
Die Löſung, welche die von Planck vertretene 
Meinung durch eine juriſtiſche Konſtruktion auf 
dem Umwege über die 88 912, 95 findet, gewinnt 
Staudinger lediglich auf Grund objektiver Betrach⸗ 
tung und zwar durch einen Schluß aus der Natur 
der Sache. 


III 


Das Reichsgericht hat vor kurzem in einem 
Urteile vom 1. Oktober 1913, 157/13/V, zu der 
Frage Stellung genommen (JW. 1914 S. 38 ff.). 
Seiner Entſcheidung lag folgender Fall zugrunde: 
Der Eigentümer eines Grundſtücks hatte ein Ge⸗ 
bäude mit einer Grundfläche von 346 qm errichtet; 
194 qm ſtanden auf ſeinem Grundſtücke a, der 
Reſt bedeckte das Nachbargrundſtück d. Der Nachbar 
hatte den Ueberbau zu dulden. Nachdem der Eigen⸗ 
tümer ſpäter auch das Grundſtück b erworben hatte, 
kamen die beiden, verſchieden mit Hypotheken be⸗ 


60 


laſteten Grundſtücke zur Zwangsverſteigerung. Der 
Zuſchlag erfolgte auf Grund eines Geſamtausgebots. 
Der Vollſtreckungsrichter hatte nach 8 112 3G. 
den aus dem Erlös verbleibenden Ueberſchuß auf 
die beiden Grundſtücke nach dem Verhältnis ihres 
Wertes zu verteilen und ſetzte den Wert des Grund⸗ 
ſtücks a unter Berückſichtigung des ganzen Gebaͤudes 
feſt, während er den Wert des Grundſtücks d nur 
nach der Bodenfläche bemaß. Gläubiger des Eigen: 
tümers, welche deſſen Anſpruch auf den Ueberſchuß 
des Erlöſes aus dem Grundſtück b gepfändet hatten, 
erhoben gegen den Verteilungsplan Widerſpruch und 
verlangten, daß dem Bodenwert des Grundſtücks b 
der Wert des auf ihm ſtehenden Gebäudeteiles zu: 
gerechnet werden müſſe. 

Das Reichsgericht entſchied auf die Widerſpruchs⸗ 
klage hin, daß der Ueberbau, weil er zu dulden 
war, ähnlich wie im Falle des § 95 I Satz 2 nicht 
Beſtandteil des Grundſtücks b geworden ſei. Er ſei 
jedoch nach 8 93 weſentlicher Beſtandteil des ein⸗ 
heitlichen Gebäudes. Sei nun aber der auf dem 
Grundſtück a ſtehende Hauptteil des Gebäudes 
weſentlicher Beſtandteil des Grundſtücks a und der 
Ueberbau weſentlicher Beſtandteil des Gebäudes, 
ſo ſei auch der Ueberbau Beſtandteil des Grund⸗ 
ſtücks a. Ob die Sache nicht ebenfo zu beurteilen 
geweſen wäre, wenn der kleinere Teil des Gebaͤudes 
auf dem Grundſtück a geſtanden wäre, ließ das 
Reichsgericht dahingeſtellt. 


IV 


Die Entſcheidung des Reichsgerichts iſt zu be⸗ 
grüßen. Das Ergebnis entſpricht nicht nur dem 
Rechtsempfinden, ſondern auch dem praktiſchen Be⸗ 
dürfniſſe, welches die einheitliche Behandlung eines 
einheitlichen Gebäudes fordert. Allein ſo erfreu⸗ 
lich das Ergebnis iſt, man hätte gewünſcht, daß 
das Reichsgericht in der Begründung nicht einfach 
die von ihm ſchon früher vertretene Meinung wieder⸗ 
holt, ſondern zu den von Staudinger im Gegen⸗ 
ſatz zur herrſchenden Lehre aufgeſtellten Grundſätzen 
ausdrücklich Stellung genommen hätte. 


Hiezu hätte um jo mehr Anlaß beſtanden, als 
Staudinger nicht nur für den engumgrenzten Tat: 
beſtand des § 912, ſondern für ſämtliche Fälle der 
einheitlichen Ueberbauung mehrerer Grundſtücke ein 
praktiſch befriedigendes Ergebnis findet. Anders 
bei der herrſchenden Lehre, wie im Folgenden dar⸗ 
geſtellt werden ſoll. 

Muß der Ueberbau nicht geduldet werden, ſo 
kommt man mit Plancks ſtrenger Durchführung 
des in § 941 ausgeſprochenen Grundſatzes zu dem 
Ergebniſſe, daß jeder der beiden Grundſtückseigen⸗ 
tümer Alleineigentümer des auf ſeinem Grundſtücke 
ſtehenden Gebaͤudeteils iſt. Die Eigentumsgrenze 
im Gebäude wird durch eine ſenkrecht zur Grund— 
ſtücksgrenze gedachte Schnittfläche gebildet. Dies 
führt in der Wirklichkeit zu unerträglichen Folgen. 
Auf die Schwierigkeiten bei der Vermietung, Be⸗ 


— — —— — . ——— | nn nn. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


lehnung oder beim Verkauf eines foldyen Gebäudes 
will ich gar nicht eingehen. Iſt es nicht eine nie 
verſiegende Quelle von Reibungen und Streitig⸗ 
keiten, wenn die beiden Nachbarn und zwar jeder 
in ſeinem Eigentum nach freiem Belieben ohne 
Rückſicht auf den andern ſchalten und walten bis 
zu jener Grenze, die in Wirklichkeit gar nicht vor⸗ 
handen, ſondern nur gedacht iſt? Der Nachbar, 
deſſen Grundſtück überbaut iſt, hat wohl den Be⸗ 
ſeitigungsanſpruch; allein dieſer Anſpruch wird ſehr 
oft nicht zur erwünſchten Klaͤrung führen. Denn 
der Nachbar, der Eigentum an dem Ueberbau 
hat, hat eben deswegen an der Beſeitigung viel⸗ 
fach kein Intereſſe. 

Einfach iſt hiegegen auch in dieſem Falle Stau⸗ 
dingers Löſung. Auch hier iſt der Ueberbau weſent⸗ 
licher Beſtandteil des Gebäudes. Der Nachbar hat 
kein Eigentum am Ueberbau, ſondern nur den 
Beſeitigungsanſpruch. Letzterer bringt aber keine 
Verwirrung; im Gegenteil, der Nachbar, den der 
Ueberbau nur beläftigt, wird viel eher mit Ber: 
wirklichung des Beſeitigungsanſpruchs drohen, und 
der Eigentümer des Gebäudes hat daher alle Ur⸗ 
ſache, ſich ſchleunigſt mit dem Nachbar zu vertragen. 


V. 


Wie ſteht es nun, wenn der Hauptteil eines 
einheitlichen Gebäudes auf das Nachbargrundſtück 
hinübergebaut worden iſt? Wer mit der herrſchen⸗ 
den Meinung geht, muß die Vorfrage entſcheiden, 
ob in einem ſolchen Falle von einem Ueberbau ge⸗ 
ſprochen werden kann. Meisner (Nachbarrecht, 
II. Aufl. S. 165) bejaht dieſe Frage und auch das 
Reichsgericht ſcheint — nach der Schlußbemerkung 
in der Urteilsbegründung — dieſer Anficht zuzu⸗ 
neigen. Man kommt alſo, wenn der Ueberbau 
nicht geduldet werden muß, zu dem Ergebniſſe wie 
unter IV; muß er aber geduldet werden, dann 
waͤre der Grundſtückseigentümer Eigentümer des 
ganzen Gebäudes, obwohl die Hauptſache hievon 
auf dem Eigentum des Nachbars ſteht. 

Keines der beiden Ergebniſſe kann befriedigen. 
Hier kann es ſich übrigens meines Erachtens nicht 
mehr um einen Ueberbau handeln; es liegt kein 
„Hinüberbauen“, ſondern eher ein „Herüber⸗ 
bauen“ vor. Nach dem Sprachgebrauch iſt ein 
Ueberbau nur dann anzunehmen, wenn das Gebaͤude 
der Hauptſache nach auf dem Grundſtücke des bauen⸗ 
den Eigentümers ſteht und nur mit einem ver: 
hältnismäßig geringeren Teile die Grenze über⸗ 
ſchritten worden iſt. 

Mit den Leitſätzen Staudinger's gelangt man 
auch hier zu einer befriedigenden Löſung, ohne daß 
auf 8 912 zurückgegriffen zu werden braucht. Eigen 


tümer des Gebäudes iſt der Nachbar, weil der Haupt: 


teil des Gebäudes weſentlicher Beſtandteil ſeines 
Grundſtücks und der auf dem Grundſtück des Bauen: 


den ſtehende Gebäudeteil weſentlicher Beſtandteil 


des Gebäudes iſt. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


Die Frage, ob der Hauptteil eines Gebäudes 
auf dem einen oder anderen Grundſtücke ſteht, iſt 
übrigens keineswegs nach der Größe der überbauten 
Flächen ausſchließlich, ſondern unter Berückſichtigung 
der geſamten Umſtände zu entſcheiden. 


VI. 


Der Grundſatz superficies solo cedit gilt kraft 
ausdrücklicher geſetzlicher Vorſchrift (§ 95 I Satz 2) 
nicht, wenn jemand in Ausübung eines Rechtes an 
einem fremden Grundſtücke ein Gebäude mit dieſem 
Grundſtücke verbunden hat. Es handelt ſich hier 
um Dienſtbarkeiten, Nießbrauch und Erbbaurecht. 

In dieſen Fällen wird das Gebäude überhaupt 
nicht Grundſtücksbeſlandteil, ſondern bleibt als ſelb⸗ 
ſtͤͤndige Sache Eigentum des Berechtigten und kann 
Gegenſtand beſonderer Rechte ſein. 

Auch in dieſen Fällen iſt ein Ueberbau möglich, 
wenn nämlich der Berechtigte über die Grenze des 
ihm dienenden Grundſtücks in das Nachbargrund⸗ 
ſtück hineingebaut hat. 

Wurde das Gebäude von einem Erbbauberech⸗ 
tigten errichtet, ſo hat der Nachbar unter den 
Vorausſetzungen des § 912 den Ueberbau zu dulden 
($ 1017 BGB.); in allen übrigen Fällen beſteht 
keine Duldungspflicht. Im erſteren Fall iſt nach 
Planck das ganze Gebäude Eigentum des Berechtigten, 
in letzteren wird es nur zum Teil ſein Eigentum, 
der Reſt gehört nach 8 94 I dem Eigentümer des 
Nachbargrundſtücks. 

Nach Staudinger bleibt auch hier die Einheit 
des Gebaͤudes gewahrt; es gehört entweder dem 
Berechtigten oder wenn es in der Hauptſache 
auf dem Nachbargrundſtücke ruht, dem Eigentümer 
dieſes Grundſtücks. 


VII. 


Angeſichts dieſer Ergebniſſe drängt ſich die Frage 
auf, ob denn die Regel des § 94 I in ihrer ganzen 
Strenge auch auf die Ueberbaufälle angewendet 
werden muß. Ich gebe zu, daß dieſe Anwendung 
juriſtiſch möglich, nicht aber, daß ſie zwingend iſt. 
Die 88 94, 95, 946 behandeln expressis verbis 
nur den Regelfall der Verbindung eines Gebäudes 
mit einem Grundſtücke. Es läßt ſich daher eben⸗ 
ſo gut auch denken, daß § 94 nur den Regelfall, 
nicht aber auch den immerhin verwickelten Fall 
der Verbindung eines einheitlichen Gebäudes mit 
mehreren Grundſtücken treffen, ſondern dieſen 
Fall der Praxis zur Entſcheidung nach den beſonderen 
Umſtänden des Falles vorbehalten wollte. Merk⸗ 
würdig iſt es doch gewiß, daß man bei der ſtrengen 
Durchführung des Grundſatzes ſchon in den Fällen, 
wo der Ueberbau geduldet werden muß, zu der 
mindeſtens künſtlichen Konſtruktion eines Rechtes 
aus 8 912 ſeine Zuflucht nehmen muß, um dann 
wenigſtens durch 8 95 I Satz 2 zu einem annehm⸗ 
baren Ecgebniſſe zu gelangen. 

Freilich bringt § 94 in Verbindung mit $ 946 


61 


klar zum Ausdrucke, daß das Grundſtück dem Ge⸗ 
baude gegenüber ſtets als die Hauptſache zu behandeln 
iſt. Allein gegen dieſen Grundſatz verſtößt Stau⸗ 
dinger nicht, er beſchränkt ihn nur aus praktiſchen 
Gründen in unweſentlicher, jedoch aus dem Grund⸗ 
ſatz des § 93 leicht zu rechtfertigender Weile. Es 
hat alſo auch die Staudingerſche Anſicht einen 
geſetzlichen Boden. 

Laßt das Geſetz mehrere Löſungen zu, jo hat 
der Richter diejenige anzuwenden, welche der Natur 
der Sache und dem praktiſchen Bedürfniſſe ent⸗ 
ſpricht. So richtig es einerſeits iſt, daß eine ge⸗ 
ſetzliche Vorſchriſt nicht deshalb umgangen werden 
darf, weil ſie Härten ergibt, ſo richtig iſt es ander⸗ 
ſeits, daß in Zweifelsfällen die Entſcheidung mit 
Rückſicht auf die Vermeidung von unbefriedigen⸗ 
den Ergebniſſen zu treffen iſt. Fehlt es in einem 
Falle an einer ausdrücklichen geſetzlichen Vorſchrift, 
ſo iſt nach der Natur der Sache zu entſcheiden, und 
es beſteht kein Anlaß zur analogen Anwendung 
anderer Vorſchriften, am wenigſten aber von ſolchen, 
die ſich einer klaren Löſung entgegenſtellen. 

Ich komme daher zu dem Schluſſe, daß in der 
Praxis die Staudingerſchen Leitſätze den Vorzug 
vor der konſtruktiven Löſung Plancks verdienen. 
Denn Staudinger kommt in ſämtlichen Ueberbau⸗ 
fällen zu einem praktiſch verwertbaren Ergebniſſe. 
Seine Löſung trägt in jedem Falle der in der Pra⸗ 
xis unabweisbaren Forderung Rechnung, daß eine 
Gebäude Einheit auch rechtlich als Einheit behan⸗ 
delt werden muß. 


Gebührenberechnung beim Erwerb kines 
Geſellſchaftsgrundſtückes durch einen 
Geſellſchaſter. 


Von Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Eßlinger in München. 
I. 


Eine offene Handelsgeſellſchaft verkauft ein zum 
Geſellſchaftsvermögen gehörendes Grundſtück an 
einen ihrer beiden Geſellſchafter. Oder der eine 
der beiden Geſellſchafter ſcheidet aus der Geſell⸗ 
ſchaft aus, ſo daß das ganze Geſellſchaftsvermögen, 
einſchließlich des Geſellſchaftsgrundſtückes, nunmehr 
dem andern Geſellſchafter zuſteht. 

Wie iſt in ſolchen Fällen die Gebühr für die 
Befitveränderung zu berechnen? Aus dem vollen 
Werte des Grundſtückes oder nur aus dem Teile, 
welchen der Geſellſchafter zu ſeiner bisherigen Be⸗ 
teiligung hinzu erwirbt? 

Das bayer. Oberſte Landesgericht hält ſeit 
Jahren daran feſt, daß die Gebühr aus dem 
ganzen Werte des Grundſtückes zu berechnen 
ſei. Eine Prüfung dieſer Rechtſprechung dürfte aus 
zwei Gründen von Wert ſein. 


62 


Zunaͤchſt vom Standpunkt der Steuergerechtig- 
keit aus. Die Gebühren werden erhoben zur Be⸗ 
ſteuerung von Umſätzen. Inſoweit aber der Ge: 
ſellſchafter bisher ſchon an dem Geſellſchaftsvermögen 
beteiligt war, zu dem das Grundſtlück gehört, liegt 
wirtſchaftlich kein Umſatz vor. Die Erhebung der 
Gebühr aus dem ganzen Werte iſt daher eine Un⸗ 
billigkeit. 

Der Grundſtücksverkehr iſt von der neueren 
Geſetzgebung außerordentlich ſtark belaſtet worden. 
Jede Unbilligkeit in der Anwendung der Geſetze 
wird daher doppelt bitter empfunden. Enthält 
ſonach die vom Oberſten Landesgericht feſtgehaltene 
Rechtſprechung in der erwähnten ſehr häufig vor: 
kommenden Frage eine Unbilligkeit, ſo beſteht An⸗ 
laß, nachzuprüfen, ob dieſe Härte wirklich eine 
zwingende Folge des Geſetzes und von ihm ge⸗ 
wollt iſt. 

Ein weiterer Grund, aus dem es ſich lohnen 
dürfte, jene Entſcheidungen zu beſprechen, liegt in 
den dabei zu erörternden zivilrechtlichen Fragen 
von grundſäͤtzlicher Bedeutung. Denn es kommt 
hier darauf an, welcher Natur die Beteiligung des 
einzelnen Teilnehmers einer Gemeinſchaft zur 
geſamten Hand an den gemeinſchaftlichen Gegen⸗ 
ſtänden iſt, eine Frage, die noch wenig geklärt iſt. 


II 


Das bayer. Oberſte Landesgericht hat nicht 
von Anſang an ſeinen derzeitigen Standpunkt ein⸗ 
genommen. 

Im Beſchluſſe vom 11. Mai 1882 (Bd. 9 
S. 603) wird die Gebühr bei der Uebernahme 
eines Anweſens durch einen von zwei bisher gleich⸗ 
berechtigten Geſellſchaftern einer offenen Handels⸗ 
geſellſchaft aus der Hälfte des Anweſenswertes 
berechnet, „weil nach dem Allgemeinen Deutſchen 
Handelsgeſetzbuch eine offene Handelsgeſellſchaft 
keineswegs als juriſtiſche Perſon zu betrachten, 
vielmehr lediglich als Sozietät anzuſehen iſt, welche 
freilich von der römiſchen Sozietät in mehrfacher 
Beziehung, namentlich in bezug auf deren Stellung 
nach außen, mehrfach ſich unterſcheidet“. 

So richtig dieſe Entſcheidung im Ergebnis war, 
wie unten näher darzulegen ſein wird, ſo angreifbar 
iſt die Begründung, welche dem Verdacht Raum 
gibt, als werde die völlige Weſensverſchiedenheit 
zwiſchen der römiſchen Sozietät und der offenen 
Handelsgeſellſchaft überſehen und die Verſchieden⸗ 
heit nur in Einzelheiten erblickt. Dieſe angreifbare 
Begründung hatte leider zur Folge, daß, auf 
Grund einer vermeintlich beſſeren Einſicht in das 
Weſen der offenen Handelsgeſellſchaft, auch das 
Ergebnis fallen gelaſſen und die Gebühr nunmehr 
aus dem ganzen Werte berechnet wurde. Seit Be: 
ginn der 90 er Jahre wird in einer Reihe von 
Entſcheidungen immer wieder der Satz aufgeſtellt, 
die offene Handelsgeſellſchaft ſei ein von der Perſon 
der einzelnen Geſellſchafter verſchiedenes Rechts⸗ 
ſubjekt, alſo juriſtiſche Perſon. Aus dieſer 


’ 
t 
1 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


— . ——— — à— . — 


zivilrechtlichen Konſtruktion mußte naturgemäß die 
Rechtsfolge gezogen werden, daß beim Uebergang 
eines Anweſens von der Geſellſchaft auf einen ein⸗ 
zelnen Geſellſchafter dieſer das ganze Eigentum 
neu erwerbe, an dem er vorher keinen Teil gehabt 
habe, alſo auch die volle Gebühr bezahlen müſſe. 


Nun konnte allerdings die Konſtruktion, daß 
die offene Handelsgeſellſchaft nach den Beſtimmun⸗ 
gen des HGB. eine ſelbſtändige Rechtsperſönlichkeit 
ſei, nichl lange aufrecht erhalten werden. Schon 
im Beſchluß vom 3. November 1900 (n. S. Bd. 1 
S. 523) wird ſie fallen gelaſſen. 

Nun wird aber ausgeführt, die Auffaſſung der 
offenen Handelsgeſellſchaft als juriſtiſche Perſon 
ſei zwar nicht richtig, ſie habe aber früher viele An⸗ 
hänger gehabt und liege auch den Beſtimmungne 
des Bayer. GebG. zugrunde, wie ſich aus der Vor: 
ſchriſt über das Gebührenäquivalent ergebe. Dieſe 
Auffaffung des Geſetzgebers müſſe daher für die 
Anwendung des Gebührengeſetzes maßgebend ſein. 
Für die Anwendung des Gebührengeſetzes 
ſei alſo die als unrichtig erkannte Konſtruktion der 
offenen Handelsgeſellſchaft als juriſtiſche Per⸗ 
ſon beizubehalten. Demgemäß ſei die volle Ge⸗ 
bühr zu erheben. 


An dieſer Rechtsauffaſſung hat das bayer. Oberſte 
Landesgericht ſtändig bis = feſtgehalten. Nur 
hat es in letzter Zeit mit dieſer Begründung eine 
weitere verbunden, welche ſich der neueren Recht⸗ 
ſprechung des Reichsgerichtes (Bd. 65 S. 231, 
Bd. 68 S. 412) über das Weſen der Geſamthand⸗ 
berechtigung anſchließen und auch hieraus die Rich⸗ 
tigkeit des eingenommenen Standpunktes ableiten 
will. 

Die Praxis hat ſich, trotz der gleichmäßigen 
Entſcheidungen des Ob“ G., nicht bei ihnen beruhigt. 
Wiederholt haben landgerichtliche Zivilkam mern 
als Beſchwerdeinſtanzen entweder die Gebühren⸗ 
pflicht ganz verneint, weil bei dem Eigentum zur 
geſamten Hand der Geſellſchafter ſchon vorher auf 
das Ganze berechtigt und nur durch das gleiche 
Recht der anderen eingeſchränkt geweſen ſei, weil 
alſo ein Eigentumswechſel überhaupt nicht ſtatt⸗ 
gefunden habe, oder den Standpunkt einer an⸗ 
teiligen Gebührenſchuld eingenommen. Der letzteren 
Auffaſſung haben ſogar häufig die Rentämter ſelbſt, 
bis zur Korrektur durch die vorgeſetzte Stelle, ge⸗ 
huldigt; ſo ſehr entſprach ſie dem natürlichen Ge⸗ 
fühl. Auch der bayeriſche Verwaltungsgerichtshof 
hat dieſen letzteren Standpunkt vertreten (vgl. z. B. 
die Entſcheidung vom 26. November 1911 in 
Sachen Gießel, abgedruckt in der Augsburger 
Abendzeitung vom 30. November 1911). 


III. 


Es iſt nun die juriſtiſche Begründung, welche 
das bayeriſche Oberſte Landesgericht für ſeine Stel⸗ 
lungnahme gibt, im einzelnen näher zu unter⸗ 
ſuchen. 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 63 


Urſprünglich beruhte, wie ſchon ausgeführt, die 
Berechnung der vollen Gebühr durch das Oberſte 
Landesgericht darauf, daß es die offene Handels⸗ 
geſellſchaft als juriſtiſche Perſon auffaßte. Als dieſe 
Konſtruktion fallen gelaſſen werden mußte, wurde 
‚fie für das Gebührenrecht aufrecht erhalten mit der 
Behauptung, daß fie dieſem zugrunde liege und 
deshalb bei ſeiner Anwendung weiter zu gelten 


e. 
Kein Fortſchritt der Rechtswiſſenſchaft ware 
mehr möglich, wenn jedes Geſetz die unrichtigen 
rechtlichen Konſtruktionen ſeiner Zeit als gewiſſer⸗ 
maßen kriſtalliſierten Irrtum unwandelbar in ſich 
bergen würde. Die Verfaſſer des bayeriſchen 
Geb. (oder der hier einſchlägigen Beſtimmungen) 
mögen ſich die offene Handelsgeſellſchaft als 
juriſtiſche Perſon vorgeſtellt haben; das Geſetz 
ſelbſt enthält dieſe unrichtige Konſtruktion nicht und 
bindet nirgends an ſie. Wohl hat das Oberſte 
Landesgericht Recht, wenn es zur Verteidigung 
ſeiner Anſchauung gegenüber dem recht unglücklichen 
Angriff, daß die Konſtruktion der offenen Handels⸗ 
geſellſchaft als juriſtiſche Perſon im Widerſpruch 
mit dem Reichsrecht ſtehe, darauf hinweiſt, daß das 
GebG. in das bürgerliche Recht nicht eingreife und 
daß es zwar nicht beſtimmen könne, daß die offene 
Handelsgeſellſchaft juriſtiſche Perſon ſei, wohl aber, 
daß ſie auf ſeinem Gebiete wie eine juriſtiſche Per⸗ 
ſon behandelt werden ſolle (Slg. n. F. 4, 798). 
Gewiß; das bayeriſche Recht könnte eine ſolche 
Beſtimmung treffen, die für das Gebiet des Ge⸗ 
bührenrechtes eine geſetzliche Fiktion ſchaffen würde. 
Jedoch müßte der Nachweis erbracht werden, daß 
es eine ſolche Beſtimmung tatſächlich getroffen hat. 
Das Oberſte Landesgericht will den Beweis in der 
Beſtimmung des Art. 258 (früher 218, dann 254) 
des GebG. finden. Dort iſt aber nur geſagt, daß 
juriſtiſche Perſonen, Handels- und Verſicherungs⸗ 
geſellſchaften, Genoſſenſchaften, Vereine ſowie andere 
Geſellſchaften und Anſtalten unter gewiſſen Voraus: 
ſetzungen ein Gebührenäquivalent zu bezahlen haben. 
Man könnte daraus, daß die Handelsgeſellſchaften, 
unter die doch auch die offene Handelsgeſellſchaft 
fällt, neben den juriſtiſchen Perſonen eigens genannt 
wurden, eher den Schluß ziehen, daß ihre Unter⸗ 
ſtellung unter die juriſtiſchen Perſonen doch nicht 
als etwas ſo ganz Feſtſtehendes betrachtet wurde. 
Keinesfalls aber folgt aus der Gleichſtellung der 
offenen Handelsgeſellſchaft mit der juriſtiſchen Per⸗ 
ſon in einem einzigen Punkt durch eine beſondere 
geſetzliche Beſtimmung, daß nun auch in allen 
anderen Beziehungen die offene Handelsgeſellſchaft 
als juriſtiſche Perſon behandelt werden ſolle. 
Auch in der Ausdrucksweiſe des Art. 258 will 
das Oberſte Landesgericht die Rechtsperſönlichkeit 
der offenen Handelsgeſellſchaft ausgeſprochen finden: 
„Das Geſetz ſpricht in Art. 258 von einem Eigen⸗ 
tum der offenen Handelsgeſellſchaft an den Grund⸗ 
ſtücken; das Eigentum des Geſellſchafters iſt da⸗ 
von verſchieden“ (Slg. n. F. 12, 261). Auch dieſe 


Beweisführung iſt nicht überzeugend. Die offene 
Handelsgeſellſchaft kann unter ihrer Firma Rechte 
aller Art erwerben, auch Eigentum an Grundſtlücken. 
Es iſt daher zulaͤſſig und üblich, von dem Eigentum 
der offenen Handelsgeſellſchaſt zu ſprechen, ohne daß 
damit etwas anderes gemeint wäre, als das den 
Geſellſchaftern in ihrer geſellſchaftlichen Verbunden⸗ 
heit zur geſamten Hand zuſtehende Eigentum. Wenn 
alſo Art. 258 Geb®. von Eigentum der offenen 
Handelsgeſellſchaft ſpricht, ſo drückt er damit noch 
nicht einmal die Rechtsanſchauung aus, daß die 
offene Handelsgeſellſchaft juriſtiſche Perſon ſei. Noch 
viel weniger aber liegt in dieſer Ausdrucksweiſe die 
Vorſchrift enthalten, daß die offene Handelsgeſell⸗ 
ſchaft in allen gebührenrechtlichen Beziehungen und 
Fragen gleich einer juriſtiſchen Perſon behandelt 
werden ſolle. 

Genau Entſprechendes gilt von dem Inhalt und 
der Ausdrucksweiſe des gelegentlich auch zur Be⸗ 
gründung herangezogenen Art. 41 AG. A DHB. 
wo in Eränzung des Hypothekengeſetzes vom 
1. Juni 1822 beſtimmt wird, daß wenn „eine 
Handelsgeſellſchaſt“ der Beſitzer der unbeweglichen 
Sache ſei, deren Firma, nicht aber die Namen der 
Geſellſchafter einzutragen ſei. 

In einer der neueſten Entſcheidungen des 
Oberſten Landgerichtes (vom 31. März 1913, Slg. 
n. F. 14 S. 192) wird noch ausgeführt, der beſte 
Beweis für die Richtigkeit der Auslegung des 
Oberſten Landesgerichtes ſei der Umſtand, daß „der 
Geſetzgeber“, obgleich ihm deſſen Rechtſprechung 
habe bekannt fein müſſen, bei den ſpäteren Aen⸗ 
derungen des GebG. keinen Anlaß genommen habe, 
ihr entgegenzutreten. Die Vorſtellung eines „per⸗ 
ſönlichen Geſetzgebers“ verführt hier alſo dazu, auch 
die Unterlaffung einer Geſetzesänderung zur 
Auslegung heranzuziehen. Nur das Geſetz gilt, 
nicht die Meinungen, die „der Geſetzgeber“ angeb⸗ 
lich bei der Erlaſſung des Geſetzes gehabt haben 
ſoll, oder gar die vielleicht auseinandergehenden 
Anſchauungen, die das Zuſtandekommen eines Ge⸗ 
ſetzes verhindert haben mögen. 

Aus dem bayeriſchen Geb®. aber läßt ſich, wie 
gezeigt, nicht der Satz ableiten, daß die offene 
Handelsgeſellſchaft gebührenrechtlich als juriſtiſche 
Perſon zu behandeln ſei. 

Daraus ergibt ſich, daß die offene Handels⸗ 
geſellſchaft auch auf dem Gebiete des GebG. als 
das zu behandeln iſt, was ſie iſt. Sie iſt aber 
kraft des HGB. und des dieſes ergänzenden BGB. 
eine Gemeinſchaft zur geſamten Hand. 
Demnach iſt ſie auch gebühren rechtlich als 
ſolche zu behandeln. 

Dazu kommt noch, daß der Erwerb von Ge⸗ 
ſellſchaftsgrundſtücken durch einen Geſellſchafter bei 
der offenen Handelsgeſellſchaft gebührenrechtlich doch 
nicht wohl anders beurteilt werden kann, als bei 
der Geſellſchaft des bürgerlichen Rechtes, und daß 
es doch gewiß nicht anginge zu behaupten, die 


64 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


Geſellſchaft des bürgerlichen Rechtes ſei im Sinne 
des Geb. als juriſtiſche Perſon zu behandeln.“) 

In neuerer Zeit hat denn auch das Oberſte 
Landesgericht feine Entfcheidungen auf dieſem Ge: 
biete in erſter Linie mit Ausführungen begründet, 
die von der Natur des Geſamthandsverhältniſſes 
ausgehen; nur unterſtützend wird dann beigefügt, 
daß auch daran feſtgehalten werde, daß auf dem 
Gebiete des Geb. die offene Handelsgeſellſchaft 
juriſtiſche Perſon ſei (vgl. insbeſondere den Beſchluß 
vom 4. April 1911, 
S. 259 — 261). Es iſt nicht recht folgerichtig, wenn 
die Konſtruktionen der offenen Handelsgeſellſchaſt 
als juriſtiſche Perſon und als Geſamthand, und 
zwar die letztere offenbar auch mit Geltung für das 
Gebiet des Gebührenweſens, nebeneinandergeſtellt 
werden, und zwar nicht etwa in einem Eventual⸗ 
verhältniſſe, ſondern wenigſtens der Wortfaſſung 
des angeführten Beſchluſſes nach, als gleichwertig. 
Allein in dieſem Verſuch, die Konſtruktion als 
juriſtiſche Perſon nicht ganz aufzugeben, zeigt ſich 
wohl nur das Beſtreben, mit der bisherigen Recht⸗ 
ſprechung in einem gewiſſen Zuſammenhang zu 
bleiben; das Ergebnis ſoll nunmehr offenbar in 
erſter Linie aus der Konſtruktion als Geſamthand 
gewonnen werden. 

Das Oberſte Landesgericht führt hier ungefähr 
folgendes aus (Slg. 12 S. 259/60, 276, 300/01): 

Die offene Handelsgeſellſchaft ſei eine Rechts⸗ 
gemeinſchaft zur geſamten Hand. Der einzelne 
Geſellſchafter ſei an den einzelnen Beſtandteilen des 
Geſellſchaftsvermögens unmittelbar berechtigt. Unter 
Miteigentum verſtehe das BGB. nur das Mit⸗ 
eigentum nach Bruchteilen; der ſachenrechtliche In⸗ 
halt des Eigentums „der Geſamthand“ und der 
Berechtigung ihrer einzelnen Mitglieder ſei im 
BGB. nicht geregelt. Es ſtehe alſo nichts entgegen, 
dieſe letztere Berechtigung nicht als Eigentum zu 
behandeln, und da andererſeits gerade die Geſamt⸗ 
hand die Befugniſſe des Eigentümers ausübe, eine 
Mehrheit von Eigentumsrechten an einer Sache als 
Ganzem jedoch ausgeſchloſſen ſei, erſcheine es ent⸗ 
ſprechend, die Berechtigung der einzelnen 
Teilhaber an der einzelnen Sache nicht 


1) Die Konſtruktion der offenen Handelsgeſellſchaft 
als einer juriſtiſchen Perſon auf dem Gebiete des Ge— 
bübrenrechtes führt in einigen häufig vorkommenden 
Fällen zu Ergebniſſen von beſonders großer Unbilligkeit. 
Nach Art. 116 Geb. beträgt die Gebühr bei Vertragen 
zwichen nahen Angehörigen 1°/,. während fie ſonſt 2% 
ausmacht. Erwirbt alıo jemand von ſeinem Bruder ein 
Grundſtück, jo hat er dafür 1% des Wertes Gebühr zu 
entrichten. War er aber mit ſeinem Bruder in offener 
Handelsgeſellſchaft und dadurch ſchon zuvor an dem 
Grundſtücke beteiligt, jo hat er nach der Rechtſprechung 
des Oberſten Landesgerichtes nicht etwa entſprechend 
weniger Gebühr zu bezahlen, ſondern 2% vom vollen 
Wert des Grundſtückes; denn er erwirbt ja das Grund— 
ſtück von der Geſellſchaft (nicht etwa den fehlenden Anteil 
von ſeinem Bruder !), und mit der Geſellſchaſt iſt er ja 
nicht verwandt. Ein Ergebnis, das für ſich allein ſchon 
das Oberſte Landesgericht zu einer Revifion jeiner The— 
orie veranlaſſen ſollte. 


Slg. 12 S. 250 ff., hier 


— — nn — 


unter dem Begriff des Eigentums im Sinne 
des BGB. unterzubringen. Allerdings ſei bei der 
geſamten Hand grundſätzlich jeder Gemeinſchafter 
auf das Ganze berechtigt; diefe eingeſchränkte Be⸗ 
rechtigung auf das Ganze ſei aber eben wegen der 
Einſchränkung nicht Eigentum. Einer näheren 
poſitiven Beſtimmung über die Art dieſer Berech⸗ 
tigung des Einzelnen bedürfe es für die Zwecke der 
Gebührenbewertung nicht. 

In der Tat: Wenn das Recht des einzelnen 
Geſellſchafters an der zum Geſellſchaftsvermögen 
gehörenden Sache nicht Eigentum iſt, ſo iſt ohne 
weiteres klar, daß der Geſellſchafter, welcher eine 
bisher zum Geſellſchaftsbermögen gehörige Sache 
zum Alleineigentum erwirbt, das ganze Eigentum 
daran neu erwirbt und daher auch die Gebühr aus 
dem vollen Werte zu bezahlen hat. Aber die Frage 
nach der Art der Berechtigung des Geſellſchafters 
an den Gegenftänden des Geſellſchaftsvermoͤgens 
läßt ſich doch nicht ſo leicht beiſeite ſchieben; ſie 
drängt ſich gebieteriſch auf und verlangt eine Ant⸗ 
wort, wenn ſich die Behauptung Anerkennung er⸗ 
ringen ſoll, daß dieſe Berechtigung des Geſellſchafters 
an der Geſellſchaftsſache nicht Eigentum ſei. Wer 
iſt Eigentümer einer zum Geſellſchaſtsvermögen ge⸗ 
hörenden Sache? Das Oberſte Landesgericht ſpricht 
von einem „Eigentum der Geſamthand“, leugnet 
das Eigentum der einzelnen Geſellſchafter und will 
dieſen nur eine andere Berechtigung an der Sache 
(alſo ein anders geartetes dingliches Recht) zu⸗ 
ſprechen. Allein die Geſamthand iſt nicht juriſtiſche 
Perſon, nicht Rechtsſubjekt (weshalb auch der irre⸗ 
führende Ausdruck „die Geſamthand“ an Stelle von 
„die Geſellſchafter zur geſamten Hand“ beſſer unter⸗ 
bliebe). Demgemäß können nur die Geſellſchafter 
die Eigentümer der Sache ſein. Und ferner: welcher 
Art ſollte denn das dingliche Recht der Geſellſchafter 
ſein, wenn es nicht Eigentum iſt? Unſer Recht hat 
einen geſchloſſenen Kreis dinglicher Rechte. Es iſt 
klar, daß aus Eigentum kein anderes dingliches 
Recht dadurch werden kann, daß das Eigentum, 
das bisher einem Einzelnen zuſtand, etwa durch 
Erbgang oder durch Einlegung in eine Geſellſchaft 
an eine Gemeinſchaft zur geſamten Hand gerät. 
Das Recht der einzelnen Geſellſchafter 
iſt alſo Eigentum. Diejes Eigentum ſteht den 
mehreren Geſellſchaſtern gemeinſchaftlich, oder, was 
genau dasſelbe iſt, jedem einzelnen zu einem An⸗ 
teile zu, (der aber kein Bruchteil if). Das Recht 
ſelbſt ändert ſeinen Inhalt grundſaͤtzlich keineswegs 
danach, ob es einem Einzelnen oder mehreren zu⸗ 
ſteht, noch auch im letzteren Fall danach, in welchem 
Rechtsverhältnis die mehreren zueinander ſtehen 
und nach welchem Rechtsverhäͤltniſſe die Verteilung 
der aus dem Rechte fließenden Befugniſſe und die 
Ordnung ihrer Ausübung geſchieht. 


IV. 


Wir gelangen demnach zunächſt zu folgenden 
Ergebniſſen: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


1. Die offene Handelsgeſellſchaft iſt auch im 
Bayeriſchen Gebührenrechte nicht als juriſtiſche Per⸗ 
ſon, ſondern als Gemeinſchaſt zur geſamten Hand 
zu behandeln. 


2. Beim Erwerb eines Geſellſchaftsgrundſtückes 
durch einen einzelnen Geſellſchafter iſt davon aus⸗ 
zugehen, daß der erwerbende Geſellſchaſter ſchon 
bisher anteilig an dem Brundflüde berechtigt war. 

Was folgt nun hieraus? 


Zunächſt keineswegs, daß der Rechtsvorgang 
gebührenfrei zu belaſſen ſei. Denn ein Erwerb 
von Eigentum liegt ja vor. Daran darſ auch die 
Tatſache nicht irre machen, daß das Eigentum zur 
geſamten Hand gewiſſermaßen elaſtiſch iſt, ſo daß 
das Recht des Einzelnen beim Wegfallen eines 
Mitberechtigten ſich ohne weiteres ausdehnt. Dieſe 
Ausdehnungsfähigkeit einer Mitberechtigung iſt 
nichts, was dem Geſamthandseigentum allein eigen⸗ 
tümlich wäre; fie kann vielmehr auch bei der Tei⸗ 
lung von Rechten nach Bruchteilen vorkommen 
(ogl. z. B. die Anwachſung im römiſchen Erbrecht). 
Die Behauptung, daß der einzelne Teilhaber ſchon 
vorher auf das Ganze berechtigt und nur durch die 
gleiche Berechtigung der anderen beſchränkt ſei, iſt 
nichts als ein anderer (und in mancher Beziehung 
irreführender) Ausdruck für die von vorneherein be: 
ſtebende Möglichkeit der Ausdehnung des Rechtes. 
Wird dieſe Möglichkeit zur Tatſache, ſo bedeutet 
das einen Rechtserwerb, ſowohl zivilrechtlich, als 
auch vom Standpunkte des Gebührenrechtes. 

Aber dieſer Rechtserwerb bezieht ſich nicht auf 
das ganze Eigentum. Es darf der Umſtand 
nicht unberückſichtigt bleiben, daß der Erwerbende 
ſchon vorher anteilig berechtigt war. Er erwirbt 
nur den anderen Anteil oder die anderen Anteile. 


Wie iſt nun dieſer Vorgang gebührenrechtlich 
zu behandeln? Das bayeriſche Gebührenrecht ent: 
hält, wie gezeigt, keine unmittelbar anwendbare 
Vorſchrift. Die Löſung der Frage iſt daher auf 
dem Wege der Analogie und unter Berückſichti⸗ 
gung der Erforderniſſe der Billigkeit zu ſuchen. 

Die Berechnung der Gebühr nach dem ganzen 
Werte des Grundſtückes ſetzt den Fall anteiligen 
Erwerbes demjenigen des Erwerbes der ganzen 
Sache gleich. Dies iſt weder vom Standpunkt der 
Analogie noch von demjenigen der Billigkeit und 
der wirtſchaftlichen Würdigung des Vorganges als 
richtig anzuerkennen. Vielmehr weiſen alle dieſe 
Gefichtspunkte auf die Behandlung entſprechend 
dem Falle anderer Rechtsanteile, namlich derjenigen 
nach Bruchteilen, hin. Der Erwerb einer Sache, 
an der der Erwerber ſchon einen Anteil zur geſamten 
Hand hat, ſteht nicht dem Falle am nächſten, in 
welchem der Erwerber der Sache noch fremd gegen⸗ 
überſteht, ſondern demjenigen, in welchem er ſchon 
durch einen Bruchteil daran beteiligt iſt. In Er⸗ 
mangelung beſonderer geſetzlicher Vorſchriften iſt 
er daher entſprechend dieſem Falle zu behandeln. 
Es ſtellt ſich heraus, daß jene urſprüngliche Ent⸗ 


—— —— —ö—ä—ů—bäũ- d ä . ' — ä . — —äb: o'. dů— äö . m - — ——ͤ b ü—äùä ä. .' bt— bẽ—ä——ää ä ä ä ä äö. ä . . eẽ.ẽ.ää öä w. .ä ä ..i ͤ.̃ſzẽę M' . •—ji—— 


| 


65 


ſcheidung des Oberſten Landesgerichtes vom 11. Mai 
1882, in der die offene Handelsgeſellſchaft als 
Sozietät aufgefaßt und darum die Gebühr nach 
Bruchteilen berechnet war, nur darin fehl ging. daß 
ſie die Berechnung nach Bruchteilen unmittelbar an⸗ 
wandte; hiebei wurde das Weſen der Geſamthands⸗ 
berechtigung verkannt. Aber die Anwendung jener Be⸗ 
rechnung im Wege der Analogie und damit das 
Ergebnis jener früheren Entſcheidung erweiſt ſich 
als richtig, da das Eigentum des Geſellſchafters 
zwar nicht Bruchteilseigentum iſt, aber immerhin 
einem ſolchen näher ſteht, wie einer Alleinberechti⸗ 
gung. Ganz beſonders gilt dies im wirtſchaftlichen 
Sinne. Ob ein Grundſtück vier Geſellſchaftern 
einer römiſch⸗ rechtlichen Sozietät oder einer Ge: 
ſellſchaft des bürgerlichen Rechtes oder einer offenen 
Handelsgeſellſchaft gehört, bedeutet für das wirt⸗ 
ſchaftliche Intereſſe des einzelnen Geſellſchafters 
an dem Grundftüd keinen beſonders tiefgreifenden 
Unterſchied. Jeder von vier gleichberechtigten Ge⸗ 
fellſchaftern wird, auch wenn es ſich nicht um eine 
Geſellſchaft nach Bruchteilen handelt, ſein Intereſſe 
an dem Grundſtücke in dem vierten Teil ſeines 
Wertes erblicken, und er wird erſtaunt ſein, wenn 
ihm beim Erwerb des Grundſtückes für ſich allein 
aus der Gemeinſchaft die Bezahlung der vollen 
Gebühr zugemutet wird, wie wenn er an dem 
Grundſtück noch gar kein Recht gehabt hätte. 


Die vorſtehenden Ausführungen beſchränkten 
ſich auf die offene Handelsgeſellſchaft; fie gelten 
aber ebenſo ſür die Geſellſchaft des bürger⸗ 
lichen Rechtes. Bei dieſer fehlt von vornherein 
die Möglichkeit, zu behaupten, daß ſie im Sinne 
des Gebührengeſetzes als juriſtiſche Perſon zu gelten 
habe. Daß auch das, tatſaͤchlich beſtehende, Ge⸗ 
ſamthandsverhältnis bei richtiger Auffaſſung der 
darin wurzelnden Anteilsberechtigungen einer Be⸗ 
rechnung der Gebühr nach Bruchteilen nicht ent⸗ 
gegenſteht, wurde bereits oben gezeigt. Uebrigens 
hat das Oberſte Landesgericht ſelbſt keinen Anſtand 
genommen, die Anteilsrechte an Grundſtücken bei 
einer ehelichen Gütergemeinſchaſt entſprechend den 
Bruchteilen anzunehmen, die ſich bei der Aus⸗ 
einanderſetzung einmal ergeben werden (vgl. Slg. 
13 S. 637). 

Es darf daher die Hoffnung ausgeſprochen 
werden, daß die in der Anwendung der vollen 
Beſitzveränderungsgebühr beim Uebergange geſell⸗ 
ſchaftlichen Eigentums auf einen Geſellſchafter 
liegende unbillige Geſetzesauslegung wieder auf⸗ 
gegeben werde, um jo mehr, als die neuere Geſetz⸗ 
gebung des Reichs und der meiſten Bundesſtaaten 
dieſe Härte vermeidet.“) 


9) Vgl. 8 25 Wert guw St.; Tarifſt. 1e des neuen 
und 11e des bisherigen RStemp St.; Tarifſt. 25 de? 
PrStempStG.; Art. 12 des WürttlUmſatzStG. 


66 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


Kleine Mitteilungen. 


Borſchläge zu einem Neichsgeſetze Über den Bollzug 
der Freiheitsſtraſen und ſichernden Maßnahmen. Mit⸗ 
glieder des Ausſchuſſes des Vereins der deutſchen 
Strafanſtaltsbeamten (E. V.) haben nach wiederholter 
Beratung in einer engeren und erweiterten Kommiſſion 
Vorſchläge ſamt Begründung zu dem Entwurf eines 
Reichsgeſetzes über den Vollzug der Freiheitsſtrafen 
und ſichernden Maßnahmen ausgearbeitet, und der 
Vereinsausſchuß hat nun den Mitgliedern des Vereins 
die Vorſchläge nebſt Begründung geſendet, um ihnen 
Gelegenheit zur Nachprüfung und Aeußerung zu geben. 


Die Vorſchläge ſtellen, wie der Name ſagt, nicht 
den Entwurf eines Strafvollzugsgeſetzes dar, ſondern 
wollen nur die Grundlage für die künftige Aus⸗ 
arbeitung eines Entwurfes ſchaffen. In den Tagen 
vom 26.— 28. Mai ds. Is. wird in Hamburg eine all⸗ 
gemeine Mitgliederverſammlung des Vereins abge⸗ 
halten werden. Bei der Ver ſammlung wird den Haupt 
gegenſtand der Tagesordnung die Beratung und Be⸗ 
ſchlußfaſſung über die bekanntgegebenen Kommiſſions⸗ 
vorſchläge bilden. Dabei ſoll der Vereinsausſchuß 
Vollmacht erhalten, namens des Vereins die Vorſchläge 
(mit den etwa von der Vereinsverſammlung zu be⸗ 
ſchließenden Aenderungen) dem Reichsjuſtizamt vorzu⸗ 
legen. Man wird im Verein und außerbalb des 
Vereins die Aufſtellung der Vorſchläge lebhaft begrüßen 
können, weil ſie, wenn nicht den erſten, ſo doch einen 
ſehr wichtigen und großen Schritt auf dem Wege be⸗ 
deuten, den Strafvollzug im ganzen Reich in weiterem 
Umfange als bisher einheitlich zu geſtalten. Es muß 
erreicht werden, daß Perſonen, denen auf Grund der 
Reichsgeſetze die Freiheit entzogen iſt, im weſentlichen 
einheitlichen Vorſchriften unterliegen, mag die Freiheits⸗ 
ſtrafe oder ſichernde Maßnahme in Bayern, Preußen, 
Sachſen oder einem anderen Bundesſtaat vollzogen 
werden. Manches Rückſtändige, was ſich in den ein⸗ 
zelnen Bundesſtaaten noch finden mag, würde beſeitigt 
werden, wenn die Vorſchläge bindende Geltung erlangen 
würden. Die beabſichtigte ſchärfere Betonung des 
Unterſchieds im Vollzug der Zuchthaus⸗ und der 
Gefängnisſtrafe würde einen erheblichen Fortſchritt 
bedeuten. Auch enthalten die Vorſchläge einige, aller⸗ 
dings dürftige Beſtimmungen über die in den Rahmen 
des künftigen Strafgeſetzbuches gedachten Anſtalten zum 
Vollzuge der Sicherungshaft mit einer begrenzten Uns 
beitimmtbeit der Verwahrungsdauer für gemeingefähr⸗ 
liche Perſonen, die kriminell geworden ſind. Anderſeits 
iſt nicht zu verkennen, daß die Vorſchläge in bezug 
auf Schaffung von Sonderanſtalten und Sonderab⸗ 
teilungen zu weitgehende Anſprüche machen; denn wenn 
nach den Vorſchlägen verfahren werden würde, würden 
wir Sonderanſtalten und Sonderabteilungen erhalten 
nicht nur für den Vollzug der Zuchthaus ſtraſe, der 
Gefängnisſtrafe, der Strafe der Einſchließung und der 
Haftſtrafe, je mit Trennung der männlichen, weiblichen, 
jugendlichen und erwachſenen Gefangenen, ſondern 
es ſollten auch ausgeſondert werden die Gefangenen, 
welche nicht im Beſitze der bürgerlichen Ehrenrechte 
ſind, und in den Anſtalten oder Abteilungen ſür Jugend⸗ 
liche die erheblich Vorbeſtraften und die vermindert 
Zurechnungsſähigen. Ferner wären neben Anſtalten 
oder Abteilungen für erwachſene körperlich Gebrechliche 
(Invalide) und für Gefangene, die im Strafvollzug in 
Geiſteskrankheit verfallen ſind, noch Anſtalten oder 


Abteilungen zu errichten für Erwachſene, welche 
als gemindert Zurechnungsfähige verurteilt worden 
ſind, natürlich ſtets unter Trennung der Geſchlechter 
und der Zuchthaus⸗ und der anderen Sträflinge. Dazu 
5 in den Arbeitshäuſern räumlich auszuſondern 
ein: 

a) die Zuhälter, 

b) die Diebe, Hehler und Betrüger, 

c) die übrigen, hauptſächlich alſo die Bettler, Land⸗ 
ſtreicher und Dirnen, wieder unter Trennung der 
Geſchlechter. 

Bei den in Ausſicht genommenen Sonderanſtalten 
oder ⸗abteilungen für die ſichernde Verwahrung ge⸗ 
meingefährlicher Rechtsbrecher iſt neben der Aus⸗ 
einanderhaltung der Geſchlechter wohl auch wieder 
eine Trennung der geiſtig Minderwertigen, der Trinker 
und der anderen Perſonen, die gewerbs⸗ und gewohn⸗ 
heitsmäßig Verbrechen begehen, durchzuführen, wenn 
nicht trotz begreiflicher Abneigung vorgezogen wird, die 
Minderwertigen und Trinker öffentlichen Irrenanſtalten 
zuzuweiſen. 

So viele Sonderanſtalten und ⸗abteilungen dürften 
kaum veranlaßt ſein und ein Uebermaß von Schwierig⸗ 
keiten bieten; beſonders dann, wenn die Trennung der 
Anſtaltsbevölkerung nach dem Glaubensbekenntnis in 
größerem Umfang feſtgehalten oder eingefübrt werden 
müßte. In zeitgemäß eingerichteten Zellenſtrafanſtalten, 
welche die Möglichkeit der Durchführung ſtrenger und 
gemildeter Einzelhaft, voller und eingeſchränkter Ge⸗ 
meinſchaftshaft bieten, kann vieles von dem, was die 
Vorſchläge durch Sonderanſtalten und Sonderabtei⸗ 
lungen erreichen wollen, auch ohne ſolche Abteilungen 
und Anſtalten erzielt werden. 

Manches in den Vorſchlägen bedarf noch dringend 
einer Klarſtellung: z. B.: Die Frage, wie weit der 
Vollzug der ſtrengen Einzelhaft ohne die Zuſtimmung 
des Gefangenen die Dauer von 3 Jahren überſteigen 
darf oder muß; ferner, ob man wirklich auf die Dis⸗ 
ziplinarſtrafe des Ausſchluſſes von der Bewegung im 
Freien verzichten und ſogar Arreſtgefangene obliga⸗ 
toriſch zur Bewegung im Freien zulaſſen ſoll, was 
m. E. gegen Begriff und Zweck der Arreſtſtrafe ver⸗ 
ſtoßen würde auch dann, wenn, wie vorgeſchlagen, 
ſolche Gefangene von anderen Gefangenen im Hof 
getrennt gehalten werden würden. 

Wenn das Ziel, den Strafvollzug in den deutſchen 
Bundesſtaaten weitgehend zu vereinheitlichen, erreicht 
werden ſoll, werden die in den Vorſchlägen allzu oft 
gewählten Ausdrücke: „können, dürfen, ſollen, tunlichſt, 
möglichſt, wenn, ſoferne, wenn angängig, ſoweit an⸗ 
gemeſſen“ uſw. ſehr erheblich eingeſchränkt werden 
müſſen; ſonſt bleibt eben die Verſchiedenheit beſtehen. 

Im allgemeinen wird in den bayeriſchen Straf⸗ 
anſtalten kein Bedürfnis beſtehen, bald wieder ab⸗ 
ändernde Vorſchriften zu erhalten. Denn die ſeit 1907 
in Kraft getretene, hohen Anſprüchen an einen zeit⸗ 
gemäßen Strafvollzug genügende Hausordnung ſamt 
den dazu ergangenen Ausführungsvorſchriften er⸗ 
möglicht eine weitgehende Individualiſierung. Leb⸗ 
hafter wird der Wunſch ſein, in den Anſtalten, in 
welchen wegen baulicher Unzulänglichkeiten die Durch⸗ 
führung der Hausordnung noch nicht vollſtändig mög⸗ 
lich iſt, dieſe Unzulänglichkeiten zu beſeitigen. Auch 
bedarf die Abgrenzung der Stoffe, welche reichs⸗ 
geſetzlich feſtgelegt, und derjenigen, welche durch An⸗ 
ordnung des Bundesrats geregelt werden ſollen, noch 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 67 


reiflicher Erwägung. Es wird recht viele geben, die 
der Meinung ſind, daß zunächſt weitere bundes⸗ 
rätliche Anordnungen einer reichsgeſetzlichen Feſt⸗ 
legung vorzuziehen ſeien. Der lebhafte Wunſch, an 
der künftigen Ausgeſtaltung des Strafvollzuges mit⸗ 
zuwirken, beſteht bei allen Beteiligten. 


Strafanſtaltsdirektor Leybold in Landsberg. 


Aus der Nechtſprechung. 
Reichsgericht. 
Zivilſachen. 
1 


Auſpräche wegen Erteilung einer nurichtigen Ans: 
kunft: 1. Die Klage auf Unterlaſſung ſetzt die Gefahr, 
nicht nur die Möglichkeit einer Wiederholung voraus. 
2. Anwendung des 5 826 BGB. in einem Falle, we 
die Auskunft ans Fahrläſſigkeit falſch erteilt worden 
iſt. Aus den Gründen: 1. Nach feſtſtehender Recht⸗ 
ſprechung (vgl. RGR Komm. I Vorbem. 6 vor 8 823 unter 
II und III S. 774) ſetzt die Unterlaſſungsklage die ernſt⸗ 
liche und durch Tatſachen n Beſorgnis vor⸗ 
aus, daß die zu unterlaſſende Handlung wiederholt 
werden könne. Die Wiederholungsgefahr iſt Voraus⸗ 
ſetzung für die Verurteilung. Sie muß ale nicht nur 
zur Zeit der Klagerhebung beſtanden haben, ſondern 
fortbeſtehen auch in demjenigen Zeitpunkte, wo die 
Verurteilung ausgeſprochen werden ſoll. Fällt ſie im 
Laufe des Rechtsſtreits weg, ſo wird damit auch die Be⸗ 
rechtigung zur Unterlaſſungsklage beſeitigt. (Vgl. dieſe 
Zeitſchrift 1913 S. 229). Der Beklagte hatte das Vorliegen 
einer ſolchen Wiederholungsgefahr ausdrücklich beſtrit⸗ 
ten; er habe fein Geſchäft mit Firma, Aktiven und 
Paſſiven auf eine Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung 
übertragen, mit deren Geſchäftsführung er nichts zu 
tun babe; ſeitdem lebe er als Privatmann und werde 
alſo Auskünfte über den Kläger nie mehr erteilen. Das 
Os G. weiſt demgegenüber darauf hin, daß der Beklagte 
ſchon in erſter Inſtanz ſich auf den Standpunkt geſtellt 
habe, zu ſolchen Auskünften an etwa anfragende Fir⸗ 
men geradezu verpflichtet zu ſein; auch nachdem er 
kein Geſchäft mehr betreibe, bleibe doch „eine Anfrage 
bei ihm möglich“. Hier iſt verkannt, daß eine ſolche 
bloße Möglichkeit — ohne weitere die Wahrſcheinlich⸗ 
keit ihrer Verwirklichung ne tatſächliche Unter 
lagen — nicht genügt. Nachdem der Beklagte ſchon 
im Mai 1911 ſein Geſchäft aufgegeben hat — nach der 
im März gl. Is. erfolgten Erhebung der Klage —, ift 
die Ausſicht, er werde noch einmal in die Lage kommen, 
über den Kläger eine Auskunft des mit der Klage be⸗ 
kämpften Inhalts zu erteilen, ſchon zur Zeit der Er⸗ 


laſſung des Berufungsurteils (21. Februar 1913) fo 


fernliegend und unwahrſcheinlich geweſen, daß ſchon 
aus dieſem Grunde das Unterlaſſungsbegehren abzu⸗ 
weiſen geweſen wäre. 

2. Richtig iſt, daß ein Verſtoß gegen die guten 
Sitten dann vorläge, wenn feſtſtünde, daß der Be⸗ 
klagte ſich bewußt geweſen iſt, keine genügenden An⸗ 
haltspunkte für die Anzweifelung der Redlichkeit des 
Klägers zu haben: die mit Bewußtſein vom Nicht⸗ 
wiſſen oder mit Bewußtſein ohne Ueberzeugung aufs 
geſtellte Behauptung beſtimmter Tatſachen iſt eine 
argliſtige und deshalb ſittenwidrige Handlung i. S. 
des 8 826 (vgl. beſ. RG. 76, 313 ff., 320; Urt. des 
erk. Senats vom 4. Nov. 1912 VI 178/1912 und vom 
10. Februar 1913 VI 476/1912). Hiervon wohl zu 
ſcheiden aber iſt der Fall, wo der Auskunft Erteilende 
lediglich dadurch fehlt, daß er bei gehöriger Sorgfalt 
zur Erkenntnis der Unwahrheit ſeiner Mitteilung hätte 


elangen müſſen, aber nicht gelangt iſt: ein ſolches 
fahrläſſiges Verhalten (8 276 BGB.) iſt nicht wie jenes 
erſtangeführte als Argliſt zu kennzeichnen und nur 
unter beſonderen Umſtänden ein Verſtoß gegen die 
guten Sitten, wie unten noch näher darzulegen ſein 
wird. Das Os G. läßt die Möglichkeit offen, daß der 
Beklagte bei Erteilung ſeiner Auskunft nicht gewußt 
hal, ſondern nur „bei gewöhnlicher Ueberlegung hätte 
wiſſen müſſen“, daß ihm genügende Anhaltspunkte für 
die Anzweifelung der Redlichkeit des Klägers fehlen; 
damit legt es dem Beklagten zur Laſt, er habe ein 
leichtfertig gewonnenes Urteil ausgeſprochen. Die 
Frage iſt nun, ob unter den beſonderen Umſtänden des 
Falles in einem ſolchen Verhalten mit ausreichendem 
Grunde ein Verſtoß gegen die guten Sitten gefunden 
worden iſt. Das iſt nicht anzuerkennen. Daß jene 
Beurteilung auch für bloß fahrläffig falſche Auskunfts⸗ 
erteilung am Platze ſein kann, iſt in der Rechtſprechung 
beſonders des erk. Senats ſchon wiederholt ausgeſprochen 
worden. Hervorgehoben ſeien die Fälle RG. 72, 175, 
wo es ſich um die Begutachtung des Geiſteszuſtandes 
durch einen Arzt, JW. 1911, 584 *, wo es ſich um Aus⸗ 
kunft über die Kreditwürdigkeit durch einen Bankier 
handelte; erwähnt ſei dazu auch die Entſcheidung JW. 
1912, 7494, wo die fahrläſſige Verbreitung unwahrer 
Behauptungen im Lohnkampfe beurteilt wird, anderer⸗ 
ſeits auch das Urteil vom 20. Mai 1912 VI 416/1911, 
wo für die Auskunft eines Rechtsanwalts über Ver⸗ 
mögensverhältniſſe eines Dritten eine Sittenwidrig⸗ 
keit verneint worden iſt. Im Einklang mit dieſer Recht⸗ 
ſprechung iſt grundſätzlich davon auszugehen, daß in 
der fahrläſſig falſchen Auskunfterteilung nur unter be⸗ 
ſonderen Umſtänden ein Verſtoß gegen die guten Sitten, 
gegen das Anſtandsgefühl aller billig und gerecht Denken⸗ 
den zu finden iſt, ſo beſonders dann, wenn der Aus⸗ 
kunft um der Berufsſtellung des Erteilenden willen 
ein beſonderes Anſehen beigemeſſen wird, und nur bei 
einer beſonders zu beurteilenden Fahrläſſigkeit. Daß bei 
der Auskunfterteilung des vormaligen Prinzipals über 
den Angeſtellten die Umſtände regelmäßig von der hier 
in Frage kommenden beſonderen Art ſein werden, iſt 
nicht zu verkennen: das Urteil des Prinzipals über 
den Angeſtellten beanſprucht der Stellung des Dienſt⸗ 
herrn entſprechend beſonderes Gewicht. Die Redlich⸗ 
keit des Angeſtellten anzweifeln heißt ihm das Fort⸗ 
kommen abſchneiden. Zutreffend hebt das OLG. hier 
auch noch beſonders hervor, daß der Kläger lange Zeit 
in einer Vertrauensſtellung ſich bewährt hatte, daß 
ihm bei ſeiner Entlaſſung ein Mißtrauen in ſeine Ehr⸗ 
lichkeit nicht zu erkennen gegeben worden war und daß 
die von der Auskunft für den Kläger zu gewärtigen⸗ 
den ſchädlichen Folgen dem Beklagten unmittelbar vor 
Augen lagen. Würden hiernach einerſeits die vom 
Os. hervorgehobenen Umſtände im allgemeinen die 
Annahme eines Sittenverſtoßes zulaſſen, ſo muß doch 
andererſeits für eine ſolche weiter ein erhöhter Grad 
von Fahrläſſigkeit verlangt werden. Würde der Vor⸗ 
wurf der Sittenwidrigkeit immer für begründet er⸗ 
achtet, wenn jemand bei reiflicher Ueberlegung, bei 
Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt 
(8 276 BGB.) zu der Ueberzeugung von der Unrich⸗ 
tigkeit der von ihm erteilten Auskunft hätte gelangen 
müſſen, fo würde damit der Vorſchrift des 8 826 BGB. 
ein Anwendungsgebiet eröffnet, das über den Rechts⸗ 
begriff der guten Sitten und das vom Geſetz Gewollte 
erheblich hinausginge. Gegen das Anſtandsgefühl aller 
billig und gerecht Denkenden verſtößt nicht jedes der 
erforderlichen Sorgfalt entbehrende, leichtfertige Ur⸗ 
teil; regelmäßig dann erſt, wenn es gewiſſenlos ge⸗ 
nannt zu werden verdient, wird man von einem Ver⸗ 
ſtoß gegen die guten Sitten ſprechen können. Dieſen 
Vorwurf wird derjenige verdienen, der, ohne ſachlich 
eindringende Prüfung, aber auch ohne ausreichendes 
Verantwortlichkeitsgefühl und ohne billig denkendes 
Mitempfinden für die Geſchicke anderer urteilt und ſein 


68 


Urteil äußert, wo er berufen iſt, ein für das Da⸗ 
ſein eines anderen entſcheidendes Urteil abzugeben. 
Daß das OL. ſich dieſer — ſittlich zu kennzeichnen⸗ 
den — Grenze nicht bewußt iſt, ergibt der Satz: „wer 
das nicht tut, verſtößt gegen die im Verkehr gewöhn⸗ 
liche Sorgfalt“. Ein Verſtoß gegen die gewöhnliche 
Sorgfalt iſt keinesfalls ſchon ein Verſtoß gegen die 
guten Sitten. Zur Entlaſtung des Beklagten in dieſer 
Hinſicht würde es nach dem Ausgeführten allerdings 
nicht ohne weiteres ausreichen, daß er an die Wahr⸗ 
heit des über die Redlichkeit des Klägers Geſagten 
ſelbſt geglaubt hat: er kann gewiſſenlos gehandelt 
haben, indem er bei dieſem Glauben verharrte und 
Mittel und Wege verſchmähte, ſein Urteil zu prüfen 
und zu berichtigen. (Urt. des VI. 3S. vom 20. Okt. 
1913, VI 228/1913). E. 
8202 


II. 


1. Zurüdverweilnng in die erſte Jnſtanz, wenn deren 
Urteil „die Klage“ dem Grunde nach für gerechtfertigt 
erklärt, die Bearündung aber ſich nur mit dem einen 
der beiden eingeklagten Auſpriche befaßt? 2. Auslegung 
eines nachträglichen Berzichtes auf Anſprüche wegen der 
Mängel eines durch Kauf oder Tauſch erworbenen Grund: 
ſtücks; Wirkſamkeit eines ſolchen Verzichts im Falle arg: 
liſtigen Verhaltens des Beränßerers. Aus den Grün⸗ 
den: 1. Nach dem Tatbeſtande des Urteils erſter In⸗ 
ſtanz hat der Kläger geltend gemacht, daß ihm zwei 
Anſprüche gegen den Beklagten zuſtänden, ein Anſpruch 
auf Zahlung von 16000 M, weil zwei Kellerräume 
vom Beklagten fälſchlich als zu Wohnungszwecken be⸗ 
nutzbar bezeichnet worden ſeien, und einer auf Zahlung 
von 3000 M wegen falſcher Angabe der Höhe der Ver⸗ 
waltungskoſten. Dieſe dem Grunde und dem Betrage 
nach von einander verſchiedenen Anſprüche wurden nicht 
dadurch zu einem einzigen Anſpruch, daß im Rechts⸗ 
ſtreite der Kläger, wiewohl er die Klage auf beide An⸗ 
ſprüche ſtützte, den Beklagten nur zur Zahlung von 
8000 M zu verurteilen beantragte; er hätte nach § 268 
Nr 2 ZPO. den Klagantrag ohne Aenderung der Klage 
auf Verurteilung zur Zahlung von 19000 M erweitern 
können (RG. in JW. 1911 S. 658 Nr. 34). Das OLG. 
nimmt an, der erſte Richter habe durch fein nach 8 304 
3PO. erlaſſenes Zwiſchenurteil nur über den zuerſt 
genannten Anſpruch entſchieden, der entſcheidende Teil 
des Urteils ſei dahin aufzufaſſen: Die Klage iſt dem 
Grunde nach gerechtfertigt, ſoweit fie auf die Nicht- 
bewohnbarkeit der Kellerwohnungen geſtützt iſt. Es 
hat deshalb über den zweiten Anſpruch nicht entſchieden, 
ſondern die Sache zur weiteren Verhandlung und Ent⸗ 
ſcheidung hierüber an die erſte Inſtanz zurückverwieſen. 
Dies Verfahren wäre richtig und die von der Reviſion 
gerüg'e Verletzung des 8 537 ZPO. läge nicht vor, 
wenn die Auslegung zutreffend wäre, die das OLG. 
dem Urteil erſter Inſtanz gibt. Im § 537 ZPO. iſt 
nur vorgeſchrieben, daß vom Berufungsrichter alle 
Streitigkeiten zu berückſichtigen ſind, die den aberkannten 
oder zuerkannten Anſpruch betreffen, ſelbſt wenn über 
ſie in erſter Inſtanz nicht verhandelt oder nicht ent⸗ 
ſchieden worden iſt; wenn aber der Klagantrag auf 
mehrere ſelbſtändige Anſprüche gegründet iſt und der 
erſte Richter nur über einen der Anſprüche erkannt 
hat, gelangt auf die gegen dieſes Urteil eingelegte Be— 
rufung nur dieſer Anſpruch in die Berufungsinſtanz 
und der Berufungsrichter hat ſich einer Entſcheidung 
über die anderen Anſprüche zu enthalten (RG. Bd. 18 
S. 387, Bd. 59 S. 399, Bd. 77 S. 123). Es kann jedoch 
der Auslegung des Berufungsrichters nicht beigetreten 
werden, und da es ſich um Auslegung eines Urteils 
handelt, iſt das Reviſionsgericht nicht an fie gebunden 
(RGE. Bd. 13 S. 404. Warneyer Erg. 1911 Nr. 11). 
Der erſte Richter hat „die Klage“ dem Grunde nach 
für gerechtfertigt erklärt. Nach dem Tatbeſtande des 
Urteils iſt die Klage ſowohl auf den Anſpruch wegen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


Nichtbewohnbarkeit der Kellerräume als auch auf den 
Anſpruch wegen falſcher Angabe der Verwaltungskoſten 
egründet und der entſcheidende Teil des Urteils ent⸗ 
ält keinen Zuſatz, aus dem zu entnehmen wäre, daß 
die Entſcheldung nur einen der beiden Anſprüche be⸗ 
treffe; der Urteilsausſpruch umfaßt deshalb beide An⸗ 
1 und beide find damit dem Grunde nach für 
gerechtfertigt erklärt. Allerdings erörtern die Ent⸗ 
ſcheidungsgründe nur den Anſpruch wegen der Keller⸗ 
räume, nicht auch den Anſpruch wegen der Ber: 
waltungskoſten. Soweit jedoch hinſichtlich des letz⸗ 
teren Anſpruchs eine Begründung der n 
fehlt, liegt nur ein Mangel des Urteils i. S. des § 55 

Nr. 7 ZPO. vor. Nach dem maßgebenden entſcheidenden 
Teil des Urteils iſt auch der Anſpruch wegen der Ber- 
waltungskoſten dem Grunde nach für gerechtfertigt er⸗ 
klärt. Die Reviſion macht daher mit Recht geltend, 
daß auf die Berufung des Beklagten auch diefer An⸗ 
ſpruch in die Berufungsinſtanz gekommen ſei und der 
Berufungsrichter ſich einer Entſcheidung hierüber hatte 
unterziehen müſſen. Der Kläger iſt auch durch die Unter⸗ 
laſſung dieſer Entſcheidung beſchwert, denn infolge der 
vom Berufungsrichter ausgeſprochenen Zurückverwei⸗ 
ſung der Sache muß über den Anſpruch wegen der 
Verwaltungskoſten noch in erſter Inſtanz weiter vers 
handelt und entſchieden werden und hiedurch können 
größere Koſten entſtehen. Daher iſt die Reviſion be⸗ 
züglich des Anſpruchs wegen der Verwaltungskoſten 
begründet. 

2. Aber auch die Entſcheidung des OLE. über den 
Anſpruch wegen der Nichtbewohnbarkeit der Kellerräume 
wird von der Reviſton mit Recht angefochten. Das 
OLG. weiſt den Anſpruch nur deswegen ab, weil der 
Kläger durch ein Abkommen vom 20. Sept. 1911 ſich 
des Anſpruchs begeben habe; es findet in dem Schrift⸗ 
ſtück einen allgemeinen Verzicht des Klägers auf alle 
Anſprüche, die ihm aus dem Tauſchvertrage mit dem Be⸗ 
klagten vom 4./ 16. Sept. 1911 zuſtänden. Dabei unter⸗ 
ſtellt es die Behauptung des Klägers als richtig, daß 
ihm der Beklagte beim Vertragsſchluſſe die Unbenutz⸗ 
barkeit der beiden Kellerräume zu Wohnungszwecken 
argliſtig verſchwiegen und ſogar erklärt habe, die Keller⸗ 
räume hätten zwar jetzt eine Zeitlang leer geſtanden, 
ſie ſeien aber nunmehr vermietet und würden demnächſt 
bezogen werden, und ferner, daß der Kläger erſt im 
November 1911 davon erfahren habe, daß die Keller- 
räume für Wohnungszwecke nicht freigegeben geweſen 
ſeien; man könne jedoch auch auf Anſprüche verzichten, 
von deren Daſein man nichts wiſſe, wenn nur der 
Wille auf einen derartig umfaflenden Verzicht gerichtet 
ſei. Dies iſt allerdings richtig; jedoch nur unter der 
Vorausſetzung, daß der Wille, einen Verzicht in ſolchem 
Umfange zu leiſten, auch deutlich ausgedrückt wird. 
In dem Schriftſtück vom 20. Sept. 1911 hat zunächſt 
der Beklagte in Abänderung des Tauſchvertrages 
gewiſſe Leiſtungen übernommen; dann haben die 
Parteien ſich einander zur Vorlegung der Zinsgquit⸗ 
tungen über bezahlte Hypothekenzinſen und der Be⸗ 
klagte ſich ferner dazu verpflichtet, die Auflaſſung 
ſeines Grundſtücks in P. zu erteilen. Die nun folgenden 
Erklärungen lauten: „Damit ſind ſämtliche Anſprüche 
er edigt, die zwiſchen den Vertragsteilen aus den be— 
zeichneten Verträgen einander zuſtanden. Herr von 3. 
(Kläger) insbeſondere erkennt an, das Grundſtück in 
P. heute eingehend beſichtigt zu haben und erklärt infolge⸗ 
deſſen, keinerlei Anſprüche aus dem baulichen Zuſtande 
des Grundſtücks noch ſonſtwie aus dem Vertrage ers 
heben zu können.“ Dieſe Erklärungen enthalten den 
Willen des Klägers, auf Anſprüche jeder Art, auch auf 
ihm noch nicht bekannte zu verzichten, nicht ſo zweifels⸗ 
frei, daß eine andere Auslegung, insbeſondere die An⸗ 
nahme eines beſchränkieren Verzichtwillens, ausge: 
ſchloſſen wäre. Namentlich laſſen die Worte: „zuſtanden, 
erledigt, infolgedeſſen, erheben zu können“ die Mög— 
lichkeit einer Auslegung dahin offen, daß der Kläger 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 69 


nur ſolche Anſprüche für erledigt hat erklären wollen 
und erklärt hat, über die vorher unter den Parteien 
verhandelt worden war oder die mit der vom Kläger 
an dem nämlichen Tage vorgenommenen Beſichtigung 
des Grundſtücks im Zuſammenhange ſtanden. Daher 
durfte das OLG. das Schriftſtück nicht dahin deuten, 
daß der Kläger darin auf ſämtliche Anſprüche gegen 
den Beklagten, auch auf die ihm noch unbekannten, 
verzichtet habe, ohne zuvor den vom Kläger angetretenen 
Zeugenbeweis darüber zu erheben, daß die Erklärungen 
des Klägers über ſeine Anſprüche gegen den Beklagten 
ſich nur auf die zwiſchen den Parteien vorher ent⸗ 
ſtandenen Streitigkeiten, namentlich wegen des baulichen 
Buftandes des Hauſes, bezogen hätten. — Das OLE. 
erörtert im Anſchluß an ſeine Ausführung, daß ein 
Berzicht auch Anſprüche umfaſſen könne, die dem Ver⸗ 
zichtenden unbekannt ſeien, weiter, ob der Wirkſam⸗ 
keit eines ſolchen umfaſſenden Verzichts hier etwa die 
Vorſchrift des § 476 BGB. entgegenſtehe, und verneint 
dies. Nach dieſer Vorſchriſt, die gemäß 8 515 BGB. 
auf Tuuſchverträge entſprechende Anwendung findet, 
iſt eine Vereinbarung nichtig, durch welche die Ver⸗ 
Rae des Verkäufers zur Gewährleiſtung wegen 
Mängel der Sache erlaſſen oder beſchränkt wird, wenn 
der Verkäufer den Mangel argliſtig verſchweigt. Eine 
ſolche zugunſten des Verkäufers getroffene Vereinbarung 
iſt verſchieden von einem Verzicht des Käuſers, der alle 
Anſprüche wegen Mängel der Sache umfaßt. Hat der 
Käufer eine derartig umfaſſende Verzichtserklärung ab⸗ 
gegeben, ſo kann er auch wegen argliſtig verſchwiegener 
Mängel einen Anſpruch gegen den Verkäufer nicht geltend 
machen, ſofern nicht die Verzichtserklärung nach den 
allgemeinen für Rechtsgeſchäfte geltenden Vorſchriften 
nichtig iſt oder durch Anfechtung nichtig wird. Hier 
kame daher 8 476 BGB. nur dann in Betracht, wenn 
in dem Schriftſtück vom 20. Sept. 1911 ein alle An⸗ 
ſprüche wegen Mängel des Grundſtücks in P. umfaſſender 
Verzicht des Klägers nicht enthalten, aber daraus eine 
Vereinbarung zwiſchen den Parteien i. S. des § 476 
BGB. zu entnehmen wäre. Das hat das OLG. nicht 
feſtgeſtellt. Es iſt daher ein näheres Eingehen auf 
die Frage der Vereinbarung ung Bemerkt mag 
nur werden, daß eine ſolche Vereinbarung nicht nur 
im Kaufvertrage, ſondern auch in einer ſpäteren Ab⸗ 
machung getroffen werden kann (vgl. Mot. z. I. Entw. Bd. 2 
S. 238), insbeſondere in einem Abkommen, in dem, 
wie hier, vor der Auflaſſung des verkauften Grund» 
ſtücks die Beſtimmungen des Kaufvertrages geändert 
werden. Hat der Verkäufer einen Mangel argliſtig 
verſchwiegen, ſo iſt auch eine ſolche nachträgliche Ver⸗ 
einbarung nach 8 476 BGB. nichtig, da fie der im Kauf⸗ 
vertrage getroffenen gleichſteht; eine Anfechtung der 
Vereinbarung oder des ganzen Abkommens durch den 
Käufer wegen argliſtiger Täuſchung iſt zur Herbei⸗ 
führung der Unwirkſamkeit nach dem Wortlaute des 
476 BGB. nicht erforderlich. Unzutreffend iſt die 
einung des OL G., das argliſtige Verſchweigen des 
Mangels müſſe in dieſelbe Gegenwart fallen, in welcher 
die Vereinbarung ſtattfinde, ein argliſtiges Verſchweigen 
in der Vergangenheit genüge nicht. Hat der Verkäufer 
beim Vertragsſchluß einen Mangel argliſtig verſchwiegen, 
ſo muß er bei einer ſpäteren Vereinbarung, wodurch 
ihm die Verpflichtung zur Gewährleiſtung erlaſſen wird, 
das Beſtehen des Mangels nunmehr aufdecken, widrigen⸗ 
falls er als den Mangel auch gegenwärtig argliſtig 
verſchweigend i. S. des 8 476 BGB. anzuſehen iſt. (Urt. 
des V. 35. vom 20. Okt. 1913, V 204/1913). E. 
3208 


III. 


Iſt eine Klage zuläſſig, die auf die Feſtſtellung des 
Nichtdeſtehens von Schadenserſatzanſprüchen aus § 823 
BGB. für die Vergangenheit und die Zukunft gerichtet 
iſt! Einfluß der e Erhebung der Schaden⸗ 
erſatzklage durch den Beklagten auf die Zuläſſigkeit der 


Feſtſtellnnasklage; kein Anſpruch auf ein Feſtſſellungs⸗ 
urteil, das, ohve einen beſtimmten Nechteſtreit zu ſchlichten, 
auf die Entiheidung einer reinen Rechtsfrage hinans⸗ 
laufen würde. Aus den Gründen: Der Kläger und 
der Beklagte ſind Nachbarn: dieſer iſt Eigentümer des 
Gutes Ka., jener hatte das Gut Ko. gepachtet und es 
nachmals eigentümlich erworben. In einem zu dem 
Gute Ko. gehörigen Wäldchen beſinden ſich wilde Ka⸗ 
ninchen. Wegen des durch dieſe ſeinem Gute im Herbſt 
und Winter 1908,09 angeblich zugefügten Schadens hat 
der Beklagte, geſtützt auf 8823 Abſ. 1 B88, Klage auf Ers 
ſatz eines Betrags von 2600 M gegen den Kläger erhoben: 
dieſer Anſpruch iſt durch Urteil vom 31. Oktober 1911 
dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden. 
Wegen weiterer gleicher Schäden, die ihm im Jahre 
1910/11 entſtanden ſeien, hat auf Antrag des Beklagten 
im April und im Auguſt 1911 je ein Beweisſicherungs⸗ 
verfahren ſtattgefunden. Der Kläger behauptet, die 
Kaninchen, die auf dem Gute des Beklagten Schaden 
angerichtet hätten, ſtammten nicht aus dem zum Gute 
des Klägers gehörigen Wäldchen; in dieſem fänden 
ſich Kaninchen nur in durchaus normaler Menge: um 
eine das normale Maß überſteigende Bermehrung zu 
verhindern, habe der Kläger die verſchiedenſten Maß⸗ 
regeln getroffen. Die Beweisſicherungsverfahren be⸗ 
zweckten offenbar, dieſen auch wegen des Schadens in 
Anſpruch zu nehmen, der dabei von den Sachverſtän⸗ 
digen feſtgeſtellt worden ſei und der fpäter noch ent⸗ 
ſtehen werde. Der Klagantrag geht dahin, feſtzuſtellen, 
daß der Kläger und die ſpäteren Beſitzer des Gutes Ko. 
dem Beklagten für Kaninchenſchaden auf dem Gute Ka. — 
abgeſehen von dem im Urteile vom 31. Oktober 1911 
behandelten Schaden — nicht erſatzpflichtig ſeien, weder 
für die Vergangenheit noch für die Zukunft, zum min⸗ 
deſten jedenfalls dann nicht, wenn ſie im bisherigen 
Umfang für die Vertilgung der Kaninchen ſorgten. 

Die Vorgerichte haben die Klage abgewieſen. Das 
OLG. bezeichnet die Anſprüche, deren Nichtbeſtehen die 
Kläger feſtgeſtellt wiſſen wollen, als Schadenserſatz⸗ 
anſprüche auf Grund des 8 823 Abſ. 1 B88 Es legt, was 
die Anſprüche für die Vergangenheit — d. h. bis zur letz⸗ 
ten mündlichen Verhandlung — anlangt, dar, daß den 
Klägern an der begehrten Feſtſtellung jegliches Inter⸗ 
eſſe abgehe, weil kein Zeitraum beſtehe, für welchen 
der Beklagte nicht entweder ſchon die Leiſtungsklage 
erhoben oder durch ſein Verhalten den Mangel einer 
Gefahr der Inanſpruchnahme des Klägers klargelegt 
hätte Was aber die Feſtſtellung der Anſprüche für 
die Zukunft anlange, ſo ſei ein Schadenserſatzanſpruch 
aus einer noch nicht geſchehenen unerlaubten Hand⸗ 
lung kein Rechtsverhältnis, über deſſen Beſtehen oder 
Nichtbeſtehen i. S. des 8 256 ZPO. das Gericht ſchon 
jetzt zu entſcheiden gezwungen werden könne. Dieſe 
Ausführungen find zutreffend und laſſen keinen Rechts⸗ 
irrtum erkennen. Was den ſchon entſtandenen Schaden 
anlangt, ſo hat die Reviſton das Urteil nur angegriffen, 
ſoweit es den Schaden betrifft, den der Beklagte im 
April 1911 durch Beweisſicherung hat feſtſtellen laſſen 
und im Laufe des gegenwärtigen Rechtsſtreits einge⸗ 
klagt hat. Sie macht geltend, das Feſtſtellungsintereſſe 
des Klägers könne nicht dadurch beſeitigt werden, daß 
der Beklagte eine beſondere Klage auf die Leiſtung er⸗ 
hebe; es komme vielmehr darauf an, ob bei der Klage⸗ 
erhebung das Feſtſtellungsintereſſe vorhanden geweſen 
ſei. Dieſe Anſicht iſt unzutreffend. In ſtändiger Recht⸗ 
ſprechung (val. Entſch. ZS. Bd. 71 S. 68 ff, Warneyer, 
Erg.⸗Bd. V Nr. 453, VI Nr 69) hat das RG. ausge⸗ 
führt, daß der Kläger den Anſpruch auf Feſtſtellung 
nicht aufrecht erhalten kann, wenn nachträglich der 
Gegner die Leiſtungsklage erhoben hat und nicht mehr 
befugt iſt, ſie zurückzunehmen, und daß jene Klage ab— 
gewieſen werden muß, wenn der Feſtſtellungskläger 
ſeinen Anſpruch aufrecht erhält. 

Was den in Zukunft entſtehenden Schaden anlangt, 
ſo mag dem Reviſionskläger zugegeben werden, daß er 


70 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


ein Intereſſe an der Feſtſtellung hat, daß ein Erſatz für 
Kaninchenſchaden überhaupt nicht gewährt zu werden 
brauche, gleichviel wie ſich der Grundeigentümer den auf 
feinem Grundſtück hauſenden Tieren gegenüber verhalte. 
Es fehlt aber hier an der weiteren Vorausſetzung des 8 256 
ZPO., daß das Nichtbeſtehen eines Rechts verhältniſſes 
feſtgeſtellt werden ſoll Das Rechtsverhältnis muß 
ſchon beſtehen: die Hoffnung auf ein künftig entſtehendes 
oder die Befürchtung eines ſolchen gewährt noch kein 
Recht auf richterlichen Schuß, ſofern nicht der künftige 
Anſpruch die Folge eines beſtehenden Rechtsverhält⸗ 
niſſes iſt (Gaupp⸗Stein, ZPO. (10) zu $ 256 unter II, 4). 
Das iſt hier nicht der Fall. Der Reviſionskläger glaubt 
in den „nachbarlichen Beziehungen“ ein Rechtsverhäͤlt⸗ 
nis finden zu können; allein das nachbarliche Verhält⸗ 
nis gibt nur den äußeren Anlaß zur Entſtehung des 
Schadens, für den der Beklagte unter gewiſſen Voraus⸗ 
ſetzungen vom Kläger Erſatz zu verlangen ſich für be⸗ 
rechtigt hält. Daß er deſſen Nachbar iſt, iſt rechtlich 
von nebenſächlicher Bedeutung; erheblich iſt nur, daß 
infolge eines vom Beklagten für ſchuldhaft gehaltenen 
Verhaltens des Klägers das Grundeigentum des Be» 
klagten — nach deſſen Annahme widerrechtlich — ver⸗ 
letzt werden wird. Ein Feſtſtellungsurteil, wie es der 
Kläger in erſter Linie begehrt, würde eine reine Rechts⸗ 
frage entſcheiden. Er überſieht aber auch — und das 
gilt beſonders für den beſchränkten Klagantrag —, 
daß der Beklagte ſich nur im Falle des Verſchuldens 
des Klägers oder einer Perſon, für die er einzuſtehen 
hat, zu einer Forderung auf Schadenserſatz für be⸗ 
rechtigt erachtet. Es iſt ausgeſchloſſen, ſchon jetzt aus⸗ 
zuſprechen, daß ein dem Beklagten künftig etwa ent- 
ſtehender Schaden im Hinblick auf ein künftiges, in 
ſeinen Grundzügen näher beſchriebenes Verhalten des 
Klägers nicht als ſchuldhaft verurſacht angeſehen 
werden könne und deshalb vom Kläger nicht zu er⸗ 
ſetzen ſei. Denn erſt ein neues Verſchulden bringt — 
nach der Auffaſſung des Beklagten — den Erſatzan⸗ 
ſpruch zur Entſtehung und ein Feſtſtellungsurteil würde 
keinen Rechtsſtreit ſchlichten, ſondern ebenfalls auf die 
Entſcheidung einer reinen Rechtsfrage hinauslaufen, 
wenn es ausſpräche, daß der Kläger wegen eines dem 
Beklagten an ſeinem Grundeigentum durch Kaninchen 
künftig zugefügten Schadens dann nicht erſatzpflichtig 
ſein würde, wenn er gewiſſe Maßnahmen zur Vertil⸗ 
gung oder zur Verhütung der Vermehrung der Kanin⸗ 
chen getroffen haben ſollte. Daß der Kläger ein recht⸗ 
liches Intereſſe daran hat, ſchon jetzt feſtgeſtellt zu 
ſehen, daß er dem Beklagten gegenüber überhaupt 
nicht verpflichtet ſei, irgendwelche Maßregeln zur Ver⸗ 
tilgung oder gegen die Vermehrung der wilden Ka⸗ 
ninchen zu treffen, mag keinem Zweiſel unterliegen, 
ebenſo, daß es ſich inſoweit um die Feſtſtellung eines 
Rechtsverhältniſſes handeln würde. Nach den zus 
treffenden, von der Reviſion auch nicht beanftandeten 
Ausführungen des OLG. wollte jedoch der Kläger nur 
feſtgeſtellt wiſſen, daß dem Beklagten Schadens⸗ 
erſatzanſprüche auf Grund von § 823 BGB. nicht ent⸗ 
ſtehen können; das Begehren einer Feſtſtellung jenes 
Inhalts kann im Klagantrag nicht gefunden werden. 
Ob es nicht Pflicht des OLG. geweſen wäre, auf eine 
Abänderung des Klagantrags hinzuwirken, kann dahin— 
geſtellt bleiben, da die Reviſion das nicht gerügt hat. 
(Urt. des VI. ZS. v. 23. Okt. 1913, VI 266/1913). E. 
3191 


B. Strafſachen. 
J. 

Beamte der bayeriſchen Unterſuchungsanſtalten für 
Nahrungs- und Genußmiitel als Hilfsbeamte der Staats⸗ 
anwaltſchaſt. Ablehnung dieſer Beamten als Sachver⸗ 
ſtändige.) Aus den Gründen: Unrichtig iſt es, 


1) S. dazu das Urteil des Reichsgerichts im Jahrg. 1913 Defer 
Zeitſchrift S. 23 und die Mitteilung von Dirtmann, edenda S. 106. 


— 
— 


daß das LG. die Ablehnung des Sachverſtändigen des⸗ 
halb zurückweiſt, weil Dr. Sch. nicht als Hilfsbeamter 
der Staatsanwaltſchaft, ſondern als Inſpektor der K. 
Unterſuchungsanſtalt für Nahrungsmittel und zwar 
in ſeiner Eigenſchaft als ſachverſtändiger Beamter dieſer 
Anſtalt das Gutachten abgegeben habe, in dem der 
Beſchwerdeführer eine ſtaatsanwaltliche Handlung er⸗ 
blickt. Denn durch die Min Bek. vom 19. Juli 1909 
ſind für den Vollzug des Weingeſetzes die ſachverſtändigen 
Beamten der öffentlichen Unterſuchungsanſtalten für 
Nahrungs und Genußmittel als Hilfsbeamte der Staats⸗ 
anwaltſchaft beſtellt worden. War alſo die Abgabe 
dieſes Guchachtens eine ſtaatsanwaltliche Handlung 
des Dr. Sch., ſo war ſeine Ablehnung als Sachver⸗ 
ſtändiger in der Hauptverhandlung berechtigt. Das 
Gutachten iſt nun zwar äußerlich von der Unterſuchungs⸗ 
anſtalt erſtattet und von deren II. Direktor unterzeichnet, 
allein es beginnt mit den Worten: „Zu den beiden 
Anklagepunkten hat auf Grund des Ergebniſſes der 
Vorunterſuchung Inſpektor Dr. Sch. Folgendes zu be⸗ 
merken:“ Der Unterſuchungsrichter hat die Anſtalt um 
„Mitteilung über den Stand der Sache“ und um Aus- 
kunft erſucht, bis wann der Eingang des zu erſtattenden 
Gutachtens“ zu erwarten ſei. Das Schreiben des Unter⸗ 
ſuchungsamtes bezeichnet ſich nicht als Zutachten und 
es iſt auch, insbeſondere ſoweit es ſich auf den Be⸗ 
ſchwerdeführer bezieht, kein techniſches Gutachten, ſondern 
ein Zuſammenfaſſen des Ergebniſſes der Vorunter⸗ 
ſuchung mit der Schlußäußerung: „Aus all dem An⸗ 
geführten dürfte es wohl kaum einem Zweifel unter⸗ 
liegen, daß ſowohl M., als auch St. an dem Bezug 
der Birnweine, an dem Verſchnitte der Birnweine mit 
Traubenweinen und dem Verkauf des Obſttrauben⸗ 
meines als Traubenwein gemeinſam mit L.teilgenommen 
haben.“ Hiernach iſt dem Verteidiger zuzugeben, daß 
Dr. Sch. als Verfaſſer des Schreibens anzuſehen iſt 
und daß dieſes eine Art von Aktenauszug war, der 
dazu dienen konnte, dem Staatsanwalt das Studium 
der Akten und die Anfertigung der Anklageſchrift zu 
erleichtern. Dr. Sch. iſt daher in dieſer Sache als 
Hilfsbeamter der Staatsanwaltſchaft tätig geweſen, 
und ſeine Ablehnung war gerechtfertigt, da es ſich um 
einen Grund handelt, der die Mitwirkung eines Richters 
nach dem Geſetz ausſchließt, einerlei ob die Beſorgnis 
einer Befangenheit anzuerkennen war oder nicht. (Urt. 
des I. StS. vom 20. Nov. 1913, 1 D 689 / 13). —— —ı. 
3207 


II. 

Wann darf ein Getränke als „Heidelbeerwein“ be: 
zeichnet werden?! Verfälſchung eines ſolchen Getränkes. 
Handelt der Herſteller fahrläſſig i. S. des tz 11 NN., 
wenn er die ihm von anderen gelieferten Stoſſe nicht 
prüft? Aus den Gründen: Heidelbeerwein iſt 
kein Wein i. S. des Weingeſetzes. Welche Anforde⸗ 
rungen an ein Getränke zu ſtellen find, um es als Heidel⸗ 
beerwein erklären zu können, iſt eine tatſächliche Frage. 
Eine geſetzlich feſtgelegte Begriffsbeſtimmung hierfür 
gibt es nicht und es kann insbeſondere dazu die ge⸗ 
ſetzliche Begriffsbeſtimmung für Wein (Traubenwein) 
nicht von rechtlichem Belang ſein. Die Strafkammer 
hat feſtgeſtellt, daß das Publikum bisher die beiden 
Arten der Herſtellung von Heidelbeerwein, nämlich die 
durch alfoholifhe Gärung und die „auf kaltem Wege“, 
„in Uebereinſtimmung mit einem großen Teile der Bros 
duzenten“ für normal gehalten und ſich bei der Aus⸗ 
wahl von Heidelbeerwein für das eine oder andere 
Erzeugnis nur nach dem Preiſe beſtimmen ließ. Gegen 
dieſe Feſtſtellung verſucht die Reviſion vergebens unter 
Berufung auf den Begriff „Wein“ geltend zu machen, 
daß als Heidelbeerwein nur ein ſolches Getränke zu 
bezeichnen ſei, das eine alkoholiſche Gärung durchge— 
macht habe. Erfolglos muß auch der Angriff bleiben, 
daß die Strafkammer bei der Frage, welche Anforde- 
rungen vom Publikum im Verkehr an ein als Heidel— 
beerwein zu bezeichnendes Getränk zu ſtellen ſind, von 


— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 71 


rechtlich verfehltem Geſichtspunkt ausgegangen fei. Die 
Strafkammer hat ihren Ausführungen die Anſchau⸗ 
ungen des „Tonfumierenden Publikums“ zugrunde ges 
legt. Wenn ſie ſagt, dieſes Publikum befinde ſich dabei 
„in Uebereinſtimmung mit einem großen Teile der Pro⸗ 
duzenten“, ſo iſt es zwar auffallend, daß die ſtrengeren 
Anſchauungen des anderen, offenbar größeren Teiles 
der Produzenten auf die Anforderungen des kaufenden 
und verbrauchenden Publikums ohne Einfluß geblieben 
ſein ſollten, aber das iſt eine Frage tatſächlicher Natur 
und rechtlich iſt es nicht ausgeſchloſſen, daß in Fällen 
der vorliegenden Art das kaufende und verbrauchende 
Publikum in ſeiner Allgemeinheit andere Anforderungen 
ſtellt, als die Produzenten und ſeine Anforderungen als 
maßgebend erachtet werden müſſen. 

Dagegen wird mit Recht die Begründung bean⸗ 
ſtandet, mit welcher die Strafkammer die Annahme 
einer Verfälſchung verneint hat. Wohl wird zunächſt 
auf Grund der Ausſagen eines Zeugen über die im 
Betriebe der Angeklagten übliche Herſtellung ausge⸗ 
führt, daß hiernach der Waſſerzuſatz nicht einmal 50 % 
betragen habe, alſo unter der vom Sachverſtändigen 
als zune ſhg bezeichneten Grenze geblieben ſei. Zweifel⸗ 
haft iſt, ob die Strafkammer das Gutachten der Sach⸗ 
verſtändigen über den zuläſſigen Waſſergehalt richtig 
verſtanden und nicht vielmehr Gehalt und Zuſatz ver⸗ 
wechſelt hat. Jedenfalls aber hat ſie nicht gegenſtänd⸗ 
lich feſtgeſtellt, welchen Waſſerzuſatz (zu den ſonſtigen 
Herſtellungsſtoffen) das im Betriebe der Angeklagten 
hergeſtellte Getränk tatſächlich enthalten hat, ſondern 
ſie hat nur dargelegt, welchen Waſſerzuſatz die Ange⸗ 
klagten bei der Herftellung des Getränks dem von ande⸗ 
ren Firmen gelieferten Rohbeerenſaft und den ſonſt 
verwendeten Stoffen geben ließen. Aus den weiteren 
Ausführungen des Urteils geht hervor, daß ſchon der 
den Angeklagten gelieferte und von ihnen verwendete 
Rohſaft „überſtreckt“ war, das hergeſtellte Getränk dem⸗ 
zufolge einen die zuläſſige Grenze überſchreitenden 
Waſſerzuſatz enthielt und daher gegenſtändlich verfälſcht 
war. Ein Berſchulden der Angeklagten und insbeſondere 
die Anwendbarkeit des 8 11 NM. verneint die Straf⸗ 
kammer bloß deshalb, weil die Angeklagten die Ueber⸗ 
ſtreckung des ihnen gelieferten Rohſafts nicht gekannt 
und bei dem Umſtand, daß ſie nur von ſoliden Firmen 
bezogen, keinen Grund gehabt hätten, die gelieferten 
Fruchtſäfte nachzuprüfen. Damit hat die Strafkammer 
den Begriff der N verkannt. Fahrläſſig 
handelt, wer durch Nichtanwendung der nach den ge⸗ 
gebenen Umſtänden gebotenen Sorgfalt einen rechts⸗ 
widrigen Erfolg herbeiführt. Die gebotene Sorg⸗ 
falt muß der Handelnde ſelbſt üben; er darf ſich nicht 
ſchlechthin auf die Sorgfalt anderer verlaſſen, deren 
er ſich zu oder bei ſeinem Handeln bedient, ſondern 
er hat, ſoweit ihm das nach den Umſtänden möglich 
iſt, die Tätigkeit ſolcher Perſonen nachzuprüfen oder 
zu überwachen. Den Angeklagten war es möglich, die 
Tätigkeit der Firmen, die ihnen zu ihren Zwecken liefer⸗ 
ten, nachzuprüͤfen und fie waren in ihrem Betriebe dazu 
auch verpflichtet. Jeder, der ſich gewerbsmäßig mit 
der Herſtellung uud dem Verkaufe von Nahrungs- oder 
Genußmitteln befaßt, hat ſich bei der Herſtellung über 
die Beſchaffenheit feines Erzeugniſſes zu unterrichten 
und zu vergewiſſern und dazu iſt ſelbſtverſtändlich auch 
eine Prüfung der von anderen gelieferten Stoffe er⸗ 
forderlich. Haben die Angeklagten ſich in dieſer Be⸗ 
ziehung auf die Redlichkeit derer verlaſſen, von denen 
ſie dieſe Stoffe bezogen hatten, ſo haben ſie die ihnen 
ſelbſt obliegende Sorgfalt nicht geübt und den hier⸗ 
durch herbeigeführten Erfolg zu verantworten. So⸗ 
weit Feilhalten und Verkauf in Frage kommt, haben 
die Angeklagten weiterhin auch die ihnen obliegende 
Pflicht verletzt, ſich fortdauernd über die Beſchaffenheit 
der den Gegenſtand ihres Geſchäftsbetriebs bildenden 
Erzeugniſſe unterrichtet zu halten. (Urt. des I. StS. 


vom 20. Nov. 1913, 1 D 797/13). 
3211 


— — n. 


III 


Berausſetzungen der erlaubten Zuckerung des Weins. 
Welchen Zweck muß der Zuckernde im Auge haben? Aus 
den Bründen: Das Urteil iſt dem Geſetz nicht ge⸗ 
recht geworden, weil es das Verfahren des Angeklagten 
auch inſoweit nicht beanſtandet, als er mit der Zuckerung 
anſcheinend die im Geſetz allein zugelaſſene Verbeſſerung 
des Weins nicht einmal gewollt hat; jedenfalls be⸗ 
gründet der Mangel ausreichender Feſtſtellungen in 
dieſer Richtung den Verdacht, daß irrig kein Gewicht auf 
die Zwecke gelegt wurde, die der Angeklagte mit der 
Zuckerung verfolgte. Die Zuckerung iſt nur zugelaſſen, 
wenn fie nach der Abſicht des Zuckernden dazu dienen ſoll, 
natürlichen Mängeln des Weins von ganz beſtimmter Art 
abzuhelfen; ſie muß ſich alſo in der Richtung dieſes Zwecks 
bewegen und andererſeits in den dadurch gezogenen 
Grenzen bleiben. Der Zweck der Zuckerung muß darin 
beſtehen, einen verhältnismäßig alkoholärmeren und 
ſäurereicheren Wein durch Vermehrung des Alkohol⸗ 
und Zuckergehalts⸗ oder durch Verminderung der über⸗ 
ſchießenden Säure einem Wein im Geſchmack gleich⸗ 
zuſtellen oder wenigſtens anzunähern, der aus Trauben 
gleicher Art und gleicher Herkunft in guten Jahrgängen 
ohne Zuſätze erzielt werden kann. Dem Zuckernden 
muß als Vorbild ein Wein der erwähnten Art vor⸗ 
ſchweben, dem er den zu zuckernden Wein im Geſchmack 
ganz oder wenigſtens teilweiſe gleichſtellen will, ſoweit 
dabei Alkohol⸗„Zucker⸗ und Säuregehalt in Frage kommen. 
Dieſem Zweck muß er deshalb auch ſeine Zuckerungs⸗ 
maßnahmen in überlegter und vernünftiger Weiſe an⸗ 
paſſen. Für den, der die Zuſammenſetzung vorbild⸗ 
lichen Welns, der in gleichen Lagen wie der zu zuckernde 
in guten Jahrgängen erzielt wird, überhaupt nicht 
kennt, der über das Moſtgewicht und über den natür⸗ 
lichen Säurerückgang der als Normalwein in Frage 
kommenden gleicher ger Weine guter Jahrgänge nicht 
unterrichtet iſt, noch mehr aber für den, der die Ver⸗ 
e nach ihren Urſachen oder nach 
ihrem Maße nicht überſieht, wird eine Zuckerung, wie 
fie das Geſetz zuläßt, kaum ausführbar, wenn nicht 
unmöglich ſein. Das entſpricht aber durchaus der Ab⸗ 
ſicht des Geſetzes, das den Begriff der Verbeſſerung 
genau begrenzen und beſtimmen wollte und davon aus⸗ 
ging, daß es ſich dabei nur um eine Ergänzung oder 
Verminderung ganz beſtimmter Beſtandteile in der Zu⸗ 
ſammenſetzung handeln dürfe, über deren Umfang und 
Bedeutung der Zuckernde unterrichtet ſein müſſe. Des⸗ 
halb hat auch das Geſetz offenbar die Zuckerung vor⸗ 
zugsweiſe in die Hände des erſten Erzeugers und nicht 
in die ſpäterer Erwerber legen wollen und die ur⸗ 
ſprünglich vorgeſehene örtliche Beſchränkung der Zucke⸗ 


rung verfolgte ausgeſprochen den Zweck, zu verhindern, 


daß außerhalb des engeren Ernteweinbaugebiets ge⸗ 
zuckert werde, weil nur innerhalb dieſes beſchränkten 
Gebiets Sicherheit dafür gegeben war, daß die bei der 
Zuckerung notwendige Kenntnis von der Beſchaffen⸗ 
heit des Weins in bezug auf Zucker-, Alkohol- und 
Säuregehalt in dem Sinne vorhanden war, daß der 
Zuckernde wußte, wie Weine des Weinbaugebiets be⸗ 
ſchaffen ſind, die in guten Jahrgängen erzielt werden. 
Die Verbeſſerungsbedürftigkeit eines Weins iſt deshalb 
nicht nach dem perſönlichen Geſchmack und ſonſtigen 
Anſchauungen und Zweckvorſtellungen des Zuckernden 
zu beurteilen, ſondern danach, wie ein Wein gleicher 
Art und Herkunft in guten Jahrgängen beſchaffen wäre. 
Nur dann, wenn dieſe Durchſchnittsbeſchaffenheit des 
guten Jahrgangs in bezug auf Zucker, Alkohol- oder 
Säuregehalt nicht vorhanden iſt, kann von einem natür⸗ 
lichen, alſo durch Witterungseinflüſſe oder ſonſtige 
Naturverhältniſſe begründeten „Mangel“ oder einem 
natürlichen ‚Uebermaß“, die Rede fein. Die Begriffe 
zwingen für ſich ſchon zu einem Vergleich mit einer 
anderen Sache und wer einem „Mangel“ oder einem 
„Uebermaß“ abzuhelfen beabſichtigt, der muß not— 
wendigerweiſe ein beſtimmtes Normalverhältnis in Be— 


— 


tracht ziehen. Wenn das Geſetz nur das ergänzen läßt, 
was dem Wein infolge der Ungunſt des Jahres, nament⸗ 
lich infolge ungenügender Reife der Trauben fehlt, 
dann muß die Abſicht, die auf Abſtellung der Mängel 
gerichtet ſein muß, auch lediglich auf eine ſolche Er⸗ 
gänzung gerichtet fein, die ſich begrifflich und dem Maße 
nach durch die fehlenden Beſtandteile beſtimmt. Das 
iſt nicht der Fall, wenn Weine, die nach Art und Her⸗ 
kunft als Naturweine auch im beſten Fall zuckerarm 
und fäurereich find, ohne jede Rückſicht hierauf gezuckert 
werden, nur um fie ſüß, alkohol haltig, haltbar oder 
voll zu machen. Der Zuckerer mag das unter Um⸗ 
ſtänden für Vorzüge und den hierauf berechneten Zucker⸗ 
zuſatz für eine VBerbeſſerung halten, im Sinne des Ge⸗ 
ſetzes iſt es eine ſolche nicht; nicht ſolche Veränderungen, 
mögen ſie vom Standpunkt des Geſchmacks oder wirt⸗ 
ſchaftlich nicht zu beanſtanden ſein, hat das Weingeſetz bei 
Freigabe der Zuckerung im Auge gehabt, ſondern aus⸗ 
ſchließlich eine genau begrenzte Abſtellung natürlicher 
Mängel, die der Wein nach Herkunft und Art nicht zu haben 
brauchte, wenn er inſoweit nicht abhängig wäre von den 
Einflüſſen der Witterung und ſonſtigen natürlichen Ver⸗ 
hältniſſen. Solchen „Mängeln“ abzuhelfen, muß die 
Abſicht des Zuckernden ſein. Das iſt aber in bezug 
auf den Angeklagten nicht nachgewieſen. Nur weil 
ihm der ſchon gezuckerte Wein immer noch „zu ſauer 
vorkam“ und „feine Kirchweihgäſte ſüßen Wein trinken 
wollten“, hat der Angeklagte nochmals Zucker zugeſetzt. 
Ob der Pfälzer Wein aus gleicher Lage und von 
aleicher Art nicht eben ſo ſauer ſchmeckte, ob nicht die 
Säure durch die frühere Zuckerung ſchon ſo herabge⸗ 
ſetzt war, daß ſie die der gleichartigen Weine nicht 
mehr überſtieg, ob alſo nicht inſoweit und in bezug 
auf Zuckergehalt der Wein von einer ſolchen Beſchaffen⸗ 
heit war, wie es ſeiner Eigenart als Pfälzer Wein 
aus beſtimmter Lage oder als Verſchnittwein Pfälzer 
Weine entſprach, oder was ihm umgekehrt daran ſehlte, 
darüber ſagt das Urteil nichts. Wenn dem Angeklagten 
etwa Pfälzer Wein gleicher Art aus beſten Sabraungen 
auch noch zu ſauer wäre, und nicht ſüß genug für feine 
Bäjte, ſo würde er dadurch gewiß nicht das Recht er⸗ 
langen, dieſen Wein, deſſen Säure ſeine Eigenart iſt, 
zu verändern und daraus einen Wein von einer Süße 
oder ſonſtigen Eigenſchaften herzuſtellen, wie ſie dem 
Pfälzer Wein nicht zukommen. Gerade dazu ſoll eben 
die Zuckerung nicht mißbraucht werden, um durch Er⸗ 
höhung des Zucker⸗ und Alkoholgehalts des Weins 
oder durch Minderung der Säure, die gerade für den 
Naturgeſchmack des Weins beſtimmend iſt, einen Wein 
anderer Art oder anderer Herkunft vorzutäuſchen. (Urt. 
des I. StS. vom 6. Nov. 1913, D 568/13). 
3209 


—— —n 


IV. 


Ueberſtreckung des Weines und Verkauf als eine ein: 
heitliche ſtraſbare Handlung. Aus den Gründen: 
Für die Herſtellung und den Verkauf von nachgemachten 
oder verfälſchten Nahrungs» oder Genußmitteln iſt in 
ſtändiger Rechtſprechung des Reichsgerichts anerkannt, 
daß regelmäßig Herſtellung und Verkauf beim Vor⸗ 
liegen des erforderlichen Vorſatzes eine einheitliche Straf: 
tat darſtellen. Die Herſtellung bildet nur den erſten, 
nicht ſelbſtändigen Teil der beabſichtigten einheitlichen 
Handlung, die ſich aus der Herſtellung und dem Ver⸗ 
kaufe zuſammenſetzt und, als ſolche erſt mit dem Ver⸗ 
kaufe vollendet wird (RGSt. Bd. 25 S. 101; Goltd A. 
Bd. 53 S. 289). Gleiches hat auch für die geſetzwidrige 
Herſtellung von Wein und deſſen Verkauf zu gelten 
und die Reviſion geht fehl, wenn ſie meint, die Ueber⸗ 
ſtreckung von Wein und der Verkauf dieſes Weines 
könnten nicht zu einer einheitlichen Straftat zuſammen— 
gefaßt werden. Weder aus dieſem Geſichtspunkt noch 
ſonſt unterliegt es einem rechtlichen Bedenken, daß die 
im Eröffnungsbeſchluſſe angeführten Einzelhandlungen 
als eine in Fortſetzung begangene einheitliche Straf— 


72 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


tat erachtet worden ſind. War nun aber eine einheit⸗ 
liche Straftat zum Gegenſtande der Anklage und danach 
der Aburteilung gemacht, fo hatte neben der Berur- 
teilung eine Freiſprechung nicht zu erfolgen, auch wenn 
ſich einzelne Teile der Anklage als unhaltbar erwieſen, 


alſo insbeſondere nicht hinſichtlich ſolcher Einzelhand⸗ 


lungen, die zwar nach der Anklage einen Beſtandteil 
der angenommenen Einheitstat bilden ſollten, in denen 
aber nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ein 
ſtrafrechtlicher Tatbeſtand nicht nachzuweiſen war (RGSt. 
Bd. 39 S. 146). Weiterhin war dann auch der 8 499 
StPO. nicht anzuwenden und ebenſowenig der 8 849 
Abſ. 1 StPO. (Entſch. Bd. 29 S. 106), ſondern der An⸗ 
geklagte war gemäß 8 497 St O. ſchlechthin zur Koſten⸗ 
tragung zu verurteilen. Fraglich könnte ſein, ob 
nicht etwa zu beanſtanden iſt, daß die Strafkammer 
das feſtgeſtellte Vergehen aus 83 Abſ. 1 Satz 1, 8 13 
Wein G. mit dem Vergehen aus 8 5 Abſ. 1 Wein®. zu 
einer einheitlichen Straftat vereinigt hat, obſchon nicht 
nachzuweiſen war. daß auch der als Naturwein ver⸗ 
kaufte gezuckerte Wein zu den überſtreckten Weinen ge⸗ 
hörte. Es kann dies aber unerörtert bleiben, da der 
Angeklagte durch dieſe Vereinigung keinesfalls beſchwert 
iſt. Selbſt wenn die Strafkammer in den Handlungen, 
die für eine Verurteilung ſchließlich noch in Betracht 
kamen, ſtatt einer fortgeſetzten Tat zwei ſelbſtändige 
Straftaten gefunden haben würde, hätte eine Frei⸗ 
ſprechung und eine Anwendung des 8 499 StPO. nicht 
einzutreten gehabt. (Urt. des I. StS. vom 1. Dez. 1913, 
1 D 833 / 13). 
3212 


-—- —ı. 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
1 


Welche Borſchriften gelten in Bayern für die Um: 
legung eines Grundbnchblattes für reale Gewerbeberech⸗ 
tianngen? (EG. BGB. Art. 74: AG. EBD. Art. 17; 
GO. § 83; DA. GrBAe. 55 510 ff., Art. 10 GrAnlG.). 
In dem beim Stadtmagiſtrat W. um 1826 angelegten Ka⸗ 
taſter der realen Gewerbe iſt der Beſitzer des Hauſes 
Nr. 334 in W. Georg M. als Inhaber der Bäckerei 
und des Bierſchankrechts vorgetragen, im Kataſter der 
radizierten Gewerbe iſt er als Inhaber einer Bier- 
brauerei- und Taferngerechtigkeit verzeichnet. Das Vier: 
ſchankrecht und die Taferngerechtigkeit gingen 1832 durch 
Kaufvertrag mit dem Hauſe, auf dem ſie ausgeübt wurden, 
auf den Bäcker Andreas R. in W. über. 1848 ver⸗ 
kaufte Andreas R. dieſes reale Bierſchank⸗ und Tafern⸗ 
recht an den Bierbrauer Michael O. in W. Der Stadt⸗ 
magiſtrat W. genehmigte, daß O. das Bierſchank⸗ und 
Tafernrecht auf ſeinen Garten, das jetzige Anweſen zum 
Nußbaum, übertrug. Die Uebertragung wurde in den 
Kataſtern eingetragen. Durch notarielle Verträge über⸗ 
gab 1877 Michael O. das Gartenanwefen an Julius 
St.; von dieſem ging es durch Kaufvertrag 1878 an 
die Eheleute H. und im Erbwege ſodann auf Frau H. 
allein über. Dieſe übergab es 1903 ihrem Sohne Au⸗ 
guſt H., der es 1905 an die Eheleute S. verkaufte. Letz⸗ 
tere verkauften das Anweſen notariell am 11. September 
1911 an einen Verein in N., der am 18. Dezember 1911 
als Eigentümer eingetragen wurde. In den Verträgen 
ſind die Wirtſchaftsgerechtſamen nicht erwähnt. Jedoch 
iſt in den Verträgen von 1911, 1903 und 1905 vereins 
bart, daß das Wirtſchaftsanweſen mit allen ſeinen Rechten 
übergehen ſoll. In den Kataſtern iſt die Reihe der 
Inhaber des realen Bierſchankrechts von Georg M. 
bis zum Verein fortgeſetzt. Mit notarieller Urkunde 
vom 2. November 1912 verkaufte der Verein an die 
Eheleute F. in W. und an die Eheleute K. ebendort 
das bisher zu dem Wirtſchaftsanweſen gehörige, im 
Grundbuch nicht eingetragene reale Bierſchankrecht. Auf— 
laſſung und Eintragungsbewilligung wurden erklärt 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 5 78 


und die Eintragung beantragt. Das GBA. lehnte ab, 
weil der Verein fein Eigentum an dem Realrechte nicht 
nachgewieſen habe. Die Beſchwerde wurde zurückge⸗ 
wieſen, weil zwar nachgewieſen ſein möge, daß der 
Bierbrauer Michael O. Inhaber eines realen Bier⸗ 
ſchankrechts war, der Uebergang dieſes Rechtes auf die 
Beſitznachfolger des O. aber nicht erwieſen ſei. Auf 
die weitere Beſchwerde hob das Obs G. die Entſchei⸗ 
dungen auf und wies das GBA. an, erneut zu prüfen 
und zu entſcheiden. 

Gründe: 1. Nach Art. 74 Eg. BOB. bleiben die 
landesrechtlichen Vorſchriften über die Gewerbeberech⸗ 
tigungen unberührt; der Erwerb, die Aufhebung, 
Uebertragung und Belaſtung dieſer Rechte iſt ſonach 
auch jetzt dem Landesrecht unterſtellt. Die Vorbehalte 
zugunſten der Landesgeſetze gelten auch für das Brund» 
buchweſen (8 83 8 O.). Nach bayeriſchem Rechte ſtehen 
die realen Gewerbeberechtigungen den Grundſtücken 
gleich, ſofern fie frei veräußerlich find. Dieſer Grund⸗ 
ſatz war früher anerkannt (vgl. Roth, Bayer. ZR. 1. Aufl. 
Bd. 2 8 118 Note 42, Rehm, Bayer. Not. 1893 zu 
Art. 14 Note 9, Obs Z. Bd. 9 S. 638). In der Geſetz⸗ 
gebung zur Ausführung des BG. iſt er zwar nicht 
ausdrücklich ausgeſprochen worden; im AG. G8. hat je⸗ 
doch Art. 17 die Ueberſchrift „Rechte, die den Grund⸗ 
ſtücken gleichſtehen“ und hieraus ergibt ſich, daß auch 
dieſes Geſetz davon ausgeht, daß auf reale nicht radi⸗ 
zierte Gewerbeberechtigungen die ſich auf Grundſtücke 
beziehenden Vorſchriften Anwendung finden. Für die 
rechtsgeſchäftliche Uebertragung von realen Gewerbe⸗ 
berechtigungen iſt mithin für die Zeit vor dem Inkraft⸗ 
treten des Liegenſchafts rechts des BG. nach Art. 14 
Not. vom 10. November 1861 ein notarieller Vertrag, 
ſeitdem die Auflaſſung und Eintragung in das Grundbuch 
(88 873, 925 8838.) erforderlich. Bei der Grundbuch⸗ 
anlegung mußten reale Gewerbeberechtigungen in das 
Grundbuch nicht eingetragen werden. Es iſt zwar in 
§ 195 DA. GB Ae. vorgeſchrieben, daß reale nicht radi⸗ 
zierte Gewerberechte, die, wie Wirtſchaftsgerechtſamen, 
auch jetzt noch von Bedeutung ſind, in einem Anhange 
zum Sachregiſter zu verzeichnen ſind. Allein damit 
gilt das reale Gewerberecht noch nicht als eingetragen. 
Wird es nach der Grundbuchanlegung veräußert oder 
belaſtet, ſo muß für das Recht nach Art. 17 Abſ. 2 AG. 
GO. ein Grundbuchblatt angelegt werden. Das kann 
ſo geſchehen, daß das Recht auf ein beſonderes Grund⸗ 
buchblatt eingetragen oder daß es im Titel des Blattes 
angeführt wird, das für das Grundſtück beſteht, mit 
dem das Recht verbunden iſt; in letzterem Falle liegt 
ein gemeinſchaftliches Grundbuchblatt für das Grund⸗ 
ſtück und das Gewerberecht vor. 

Hier iſt die reale Gewerbeberechtigung nicht ein⸗ 
getragen. Für den Bezirk des Amtsgerichts W. gilt 
das Grundbuch ſeit dem 1. Mai 1909 als angelegt. 
Seitdem konnte das Realrecht nurmehr durch Auf⸗ 
laſſung und Eintragung rechtsgeſchäftlich übertragen 
werden. Der Beſchwerdeführer behauptet, es am 11. Sep⸗ 
tember 1911, alſo nach der Grundbuchanlegung, er⸗ 
worben zu haben. Es kann dahingeſtellt bleiben, ob 
eine Auflaſſung des realen Gewerberechts ſtattgefunden 
hat. Jedenfalls iſt ſie nicht eingetragen worden. Der 
i iſt mithin gegenwärtig nicht der In⸗ 
haber des realen Gewerberechts. Er kann es alſo auch 
nicht weiterveräußern. Hieraus folgt jedoch noch nicht, 
daß ſein Antrag an das GBA. unbegründet iſt. Denn 
dieſer bezweckt ein zweifaches: er will, daß für das 
Gewerberecht ein Grundbuchblatt angelegt und daß auf 
dieſem Blatte die zwiſchen dem Beſchwerdeführer und 
den Käufern vereinbarte Uebertragung eingetragen wird. 
Auf den erſten Teil des Antrags, die Anlegung eines 
Orundbuchblattes, iſt nicht die GBO. anzuwenden. Dafür 
gelten vielmehr die Vorſchriften über die Grundbuch— 
anlegung, ſoweit ſie nicht eine Ausnahme enthalten 
oder eine ſolche ſich aus der Natur der Sache ergibt 
(vgl. Henle⸗Schmitt, Grundbuchweſen S. 273). Der 


Fall liegt nicht anders, als wenn ein Grundſtück nach⸗ 
träglich eingetragen werden ſoll, das bis zur Grund⸗ 
buchanlegung nicht eingetragen worden iſt. Die Vor⸗ 
ſchriften, durch welche die DA. G Ae. das Verfahren 
bei der Anlegung von Grund buchblättern für nicht ein⸗ 
getragene Grundſtücke regelt (88 510 ff.), ſind alſo ent⸗ 
ſprechend anzuwenden. Hiernach ſteht das GBA. der 
Frage, ob das Gewerberecht beſteht, anders gegenüber, 
als wenn die EBD. gelten würde. Es hat alle zus 
läſſigen Beweismittel zu benützen und entſcheidet 195 
freiem Ermeſſen. Es kann deshalb insbeſondere na 
freiem Ermeſſen prüfen, welche Bedeutung dem Um⸗ 
ſtande zukommt, daß das Gewerberecht ſowie die fort⸗ 
laufenden Uebertragungen von O. bis zu dem Be⸗ 
ſchwerdeführer in dem Kataſter eingetragen ſind ſowie 
daß es ſtändig ausgeübt worden iſt. Die Vorgerichte 
haben nur geprüft, ob durch die Urkunden der Ueber⸗ 
gang nachgewieſen iſt, während doch der das Anle⸗ 
gungsverfahren beherrſchende Grundſatz der Ermitte⸗ 
lung des Eigentümers von Amts wegen (8 2 BO. vom 
23. Juli 1898, DA. 88 510 ff.) auch in dem Verfahren 
der Anlegung eines Grund buchblattes für eine Gewerbe⸗ 
berechtigung entſprechend gilt. Der Grundbuchrichter 
iſt nicht auf die ihm von den Antragſtellern vorgeleg⸗ 
ten Nachweiſe beſchränkt, ſondern er hat alle Schritte 
zu tun, die zur Entſcheidung über das Vorhandenſein 
des Rechtes und die ren des Berechtigten erforder⸗ 
lich und geeignet ſind. Er hätte deshalb prüfen ſollen, 
ob nicht neben der Uebertragung des Eigentums an 
den Grundſtücken auch die Uebertragung der dort aus⸗ 
eübten Gewerberechte gewollt und nur aus Verſehen oder 
echtsunkenntnis nicht ausdrücklich beurkundet worden 
iſt. Bejahenden Falles hätte ihm Art. 10 OrBAnlG. vom 
18. Juni 1898 den Weg geboten, um dem wegen Nicht⸗ 
einhaltung der geſetzlichen Formvorſchriften bisher nur 
tatſächlich beſtehenden Zuſtande nachträglich auch die 
rechtliche Grundlage zu geben. (Beſchl. des I. ZS. vom 
28. Nov. 1913, Reg. III 55 / 1913). W. 
3205 


II. 


Auslegung der Art. 83 und 84 ue. in bezug anf 
eine durch den Ted der Frau aufgeldite Semeinſchaft 
des Zugewinſtes nach Bayer. LR. Berechnung der 
Gegenſtandsſumme eines Teſtaments nach Art. 111 Geb. 
Am 26. Januar 1911 ſtarb Fanny B., die Gattin des 
Kaufmanns B. Die Ehegatten B. hatten 1864 im Ges 
biete des Bayer. LR. geheiratet und dort ihren erſten 
ehelichen Wohnſitz genommen. Einen Ehevertrag haben 
ſie nicht geſchloſſen. Am 11. Juli 1898 errichteten ſie 
ein gemeinſames Teſtament. Darin iſt für den Fall, 
daß die Frau vor dem Manne ſtirbt, beſtimmt, daß 
Erben der Frau ihre vier Kinder ſein ſollen, daß aber 
ihr damals aus ihrem Eheeinbringen von 20 000 Gulden 
und den von ihr erſparten Wertpapieren beſtehendes 
Vermögen ausſchließlich ihrer Tochter Emma L. zu⸗ 
fallen fol. Des weiteren iſt (im 8 17) erwähnt, daß 
die Frau keinen Anſpruch auf die eheliche Errungen⸗ 
ſchaft macht, und beigefügt: „Sollte eines meiner Kinder 
trotzdem nach meinem Tode gegen meinen überlebenden 
Gatten Anſprüche hiewegen erheben, fo ſoll der über- 
lebende Ehegatte Haupterbe ſein und die Kinder nur 
den Pflichtteil erhalten.“ Das Teſtament wurde er⸗ 
öffnet; die Kinder erklärten ihrem Vater gegenüber, 
daß ſie die Ausgleichung des Ehegewinns nicht ver⸗ 
langen, der Vater nahm dieſe Erklärung an. Der reine 
Rücklaß wurde auf rund 45000 M angegeben. Der 
Gerichtsſchreiber berechnete die Teſtamentsgebühr nach 
einem Werte von 45 000 M. Die Reviſion beanſtandete 
dieſe Berechnung, weil zum Nachlaſſe auch der Anſpruch 
auf Ausgleichung des Ehegewinns gehöre; dieſer An⸗ 
ſpruch ſei in die Gegenſtandsſumme einzurechnen, über 
die im Teſtament verfügt iſt, es werde deshalb die Wert⸗ 
feſtſetzung nach Art. 43 Geb. angeregt. Der Gerichts- 


74 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


ſchreiber beantragte die Feſtſetzung des Nachlaßwerts. Bayer. LR. (Teil I Kap. 6 8 37), weil dieſe erbrechtlichen 


Das Nachlaßgericht ſetzte den Wert für die Berechnung 
der Teſtamentseröffnungsgebühr auf 45 000 feſt. 
Es nahm an, nach Art. 111 Geb. bemeſſe ſich die 
Gebühr nach der Gegenſtandsſumme, über die in dem 
Teſtamente verfügt iſt. Nach dem Bayer. LR. ſei der 
überlebende Ehemann nicht ſchuldig, ſeinen Kindern 
aus dem Errungenſchaftsvermögen einen Anteil als 
e zuzuweiſen, er behalte die ganze Errungen⸗ 
ſchaft. Nach dem zur Zeit der Teſtamentserrichtung gel⸗ 
tenden Rechte hätten daher die Erben gar keinen An⸗ 
ſpruch gegen den Witwer auf Ausgleichung des Ehe⸗ 
ewinns gehabt. Der 8 17 des Teſtaments ſei nur vor⸗ 
f orglich aufgenommen, um Streitigkeiten auszuſchließen. 
Das Ue®. gewähre allerdings in Art. 83 dem über⸗ 
lebenden Ehegatten und den Erben des vorverſtorbe⸗ 
nen Gatten einen Anſpruch auf Ausgleichung des Ehe⸗ 
gewinns; dieſe Vorſchrift könne aber nicht herange⸗ 
zogen werden, weil ſie bei der Teſtamentserrichtung 
noch nicht galt. Uebrigens gehöre a Anſpruch nicht 
a Nachlaſſe. Die Beſchwerde der Regierungsfinanz⸗ 
ammer wurde zurückgewieſen. Auch ihre weitere Be⸗ 
ſchwerde hatte keinen Erfolg. 

Gründe: Nach gemeinem Rechte gab es zwei 
Arten von Errungenſchaftsgemeinſchaft: die reine Er⸗ 
rungenſchaftsgemeinſchaft und die Gemeinſchaft des ehe⸗ 
lichen Zugewinſtes. Bei der reinen Errungenſchafts⸗ 
gemeinſchaft bildete die Errungenſchaft eine beſondere, 
ausgeſchiedene Vermögensmaſſe, es gab bei ihr drei 
Vermögensmaſſen, Vermögen des Mannes, Vermögen 
der Frau und das gemeinſchaftliche Vermögen; bei der 
Gemeinſchaft des Zugewinſtes war während der Dauer 
der Gemeinſchaft das gemeinſchaftliche Vermögen nicht 
ausgeſchieden, es gab nur zwei Vermögensmaſſen: Ver⸗ 
mögen des Mannes und Vermögen der Frau; die Er⸗ 
rungenſchaft wurde erft nach der Beendigung des Güter⸗ 
ſtandes feſtgeſtellt; abgeſehen von dem Vorbehaltsgute 
wurde das geſamte Vermögen der Ehegatten vereinigt, 
hievon die der Gemeinſchaft zur Laſt fallenden Ver⸗ 
bindlichkeiten abgezogen und die eingebrachten Güter 
der Ehegatten zurückgegeben, der Reſt bildete die Er⸗ 
rungenſchaft. Nach den meiſten Landesrechten gebührte 
von der ſo feſtgeſtellten Errungenſchaft jedem Ehe⸗ 
gatten die Hälfte, das UeG. nimmt an, daß es auch 
95 dem Bayer. LR. fo war (Bayer. LR. Teil I Kap. 6 
§ 38). Der übergeleitete Güterſtand des Bayer. LR. 
iſt in Art. 83, 84 Ue®. geregelt. Art. 83 beſtimmt, daß, 
wenn zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. die Er⸗ 
rungenſchaftsgemeinſchaft nach dem Bayer. LR. beſteht, 
an ihre Stelle der Güterſtand der Verwaltung und 
Nutznießung nach den Vorſchriften des BGB. tritt, daß 
aber, wenn die Verwaltung und Nutznießung des Mannes 
auf andere Weiſe als durch Ehevertrag endigt, jeder 
Ehegatte von dem andern die Ausgleichung des Ehe⸗ 
gewinns nach den bisherigen Vorſchriften verlangen 
kann, wie wenn keine Aenderung des Güterſtandes ein⸗ 
getreten wäre, daß der Anſpruch nicht übertragbar iſt 
und in einem Jahre verjährt. Damit iſt der Inhalt 
des aus dem Bayer. LR. übergeleiteten Güterſtandes 
feſtgelegt. Obwohl aljo der Güterſtand der Verwal⸗— 
tung und Nutznießung des BGB., in den der geſetzliche 
Güterſtand des Bayer. LR. übergeleitet wurde, keinen 
Anſpruch der Frau auf den Ehegewinn kennt und der 
geſetzliche Güterſtand des Bayer. LR. aufgehoben iſt, 
ſoll dennoch nach dem übergeleiteten Güterjtande 
jeder Ehegatte, alſo auch die Frau, einen ſolchen 
Anſpruch haben, „wie wenn keine Aenderung des 
Güterſtandes eingetreten wäre“; der Ehegewinn ſoll 
in der bisherigen, oben angeführten Wetſſe feſtgeſtellt 
und verteilt werden. Mit dem geſetzlichen Guͤterſtande 
des Bayer. LR. waren auch erbrechtliche Folgen ver— 
bunden; ſolche find auch für den übergeleiteten Güter— 
ſtand in Art. 84 UeG. geordnet. Allein dieſe kommen 
hier ebenſowenig in Frage als die aufgehobenen erb— 
rechtlichen Folgen des geſetzlichen Güterſtandes des 


Folgen nur für die geſetzliche Erbfolge maßgebend find, 
während es ſich hier um teſtamentariſche Beerbung 
handelt. Der Anſpruch des Ehegatten auf die Aus⸗ 
gleichung des Ehegewinns iſt fo, wie er in Art. 83 Vie. 
geordnet iſt, ein weſentlicher Beſtandteil des umge⸗ 
wandelten Güterſtandes, er entſteht kraft Geſetzes, er iſt 
ein perſönlicher Anſpruch des einen Ehegatten gegen 
den andern, gehört zu dem Vermögen des Ehegatten, 
infolgedeſſen zu ſeinem Nachlaß und iſt vererblich 
(Obs G. 4 S. 170). Daß er, um verwirklicht zu werden, 
geltend gemacht werden muß, hat er mit allen Fordes 
rungsanſprüchen gemein. Daß er vermöͤgensrechtlich 
und geldwertig iſt, bedarf keiner Darlegung. Das LE. 
nimmt an, der Anſpruch auf Ausgleichung des EChe⸗ 
gewinns nach Art. 83 Ue®. werde erſt dann ein geld⸗ 
wertes Recht, wenn er geſetzlich zuläſſig ſei und wenn 
ihn der berechtigte Ehegatte oder ſeine Rechtsnachfolger 
geltend machen. Es unterſcheidet alſo zwei Anſprüche, 
den Anſpruch auf Ausgleichung an ſich und den durch 
die Erhebung dieſes Anſpruchs erſt geborenen, geld⸗ 
werten Anſpruch auf Ausgleichung ſelbſt; es mißt der 
Erhebung des Anſpruchs eine beſondere Bedeutung, 
eine rechtſchaffende Wirkung zu, damit verkennt es die 
rechtliche Bedeutung des Anſpruchs nach Art. 83 Ue®. 

Allein die Entſcheidung iſt aus anderen Gründen 
aufrecht zu erhalten. Die Gebühr des Art. 111 Geb., 
um die es ſich hier handelt, iſt zu berechnen nach der 
Gegenſtandsſumme, über die in dem Teſtamente ver⸗ 
fügt iſt. Der Erblaſſer braucht in ſeinem Teſtamente 
nicht über ſein ganzes Vermögen zu verfügen, er kann 
auch nur über einen Teil verfügen. Dann wird die 
Gebühr des Art. 111 nur nach dem Werte dieſes 
Teiles berechnet. Gleichgültig iſt, welches dann das 
erbrechtliche Schickſal des anderen Teils iſt. Eine Zu⸗ 
weiſung des ganzen Ehegewinns an den Mann, die 
die Finanzkammer in den Teſtaments⸗Beſtimmungen der 
Frau B. erblicken will, iſt jedenfalls nicht erfolgt. Die 
Erblaſſerin hat ausdrücklich erklärt, daß ſie keinen An⸗ 
ſpruch auf Ausgleichung des Ehegewinns erhebe. Darin 
liegt ein Verzicht auf den Anſpruch ihrerſeits minde⸗ 
ſtens von Todes wegen, der Verzicht iſt zuläſſig (Henle⸗ 
Schneider, AG. Anm. 11 zu Art. 83 UeG.). Dabei han⸗ 
delt es ſich um einen Verzicht im weiteren Sinn, um 
die Erklärung, von einem Rechte keinen Gebrauch machen 
zu wollen, ohne daß damit die Uebertragung auf einen 
andern verbunden wäre. Es kann aber keinem Zweifel 
unterliegen, daß die Gebühr des Art. 111 für die in 
dem Teſtament enthaltene Uebertragung von Vermögen 
erhoben werden ſoll, daß das GebG. unter Verfügung 
Uebertragung verſteht. Da es ſich aber hier nur um 
die Aufgabe eines Rechtes handelt, kann die Gebühr 
des Art. 111 nicht erhoben werden. In dem Teſtament 
iſt weiter beſtimmt, daß der überlebende Ehemann 
Haupterbe ſein und die Kinder nur den Pflichtteil er⸗ 
halten ſollen, wenn trotz des von der Erblaſſerin er⸗ 
klärten Verzichts eines der Kinder gegen den überleben⸗ 
den Ehemann Anſpruch wegen des Ehegewinns erheben 
ſollte. Darin liegt eine „Verfügung“ über den Ans» 
ſpruch auf Ausgleichung des Ehegewinns i. S. des 
Art. 111 Geb. Das LG. ſpricht von einem Anſpruche, 
der „alsdann“ der Erblaſſerin oder an ihrer Stelle 
ihren Erben hinſichtlich der ehelichen Errungenſchaft 
„allenfalls“ zuſtehen würde. Ein ſolcher Anſpruch be— 
ſteht nicht. Die Erblaſſerin hat auf den Anſpruch in 
dem 8 17 des Teſtaments rechtsverbindlich verzichtet, 
ſie hatte alſo den Anſpruch nicht mehr. Die Kinder 
hatten ihn von ſich aus überhaupt nicht, denn er ſteht 
nur den Ehegatten gegeneinander zu, die Kinder hätten 
den Anſpruch nur von der Mutter erben können. Weil 
aber die Mutter den Anſpruch aufgegeben hatte, er 
alſo zur Zeit des Erbfalls nicht mehr zu ihrem Vermögen 
gehörte, haben ihn die Kinder nicht geerbt, ſie konnten 
ihn daher mit Ausſicht auf Erfolg gegen ihren Vater 
auch nicht geltend machen. Wollte man die Beſtimmung 


—— — nn 


des Teſtaments, daß unter Umſtänden der Ehemann 
Haupterbe und die Kinder auf den Pflichtteil geſetzt 
ſein ſollen, als teſtamentariſche Verfügung auch über 
den Anteil der Frau an dem Ehegewinn auffaſſen, ſo 
wäre ſie ungültig und könnte keine Gebührenpflicht be⸗ 
gründen (Obs GZ. Bd. 7 S. 594), weil dann die Erb⸗ 
laſſerin über einen vermeintlichen Vermögensbeſtand⸗ 
teil verfügt hätte, der ihr nicht zuſtand. Allein die 
Beſtimmung iſt gar keine teſtamentariſche Verfügung. 
Die Kinder hätten ihrem Vater, wenn auch nicht mit 
Ausſicht auf rechtlichen Erfolg, ſo doch tatſächlich durch 
die Erhebung des vermeintlichen Anſpruchs Schwierig⸗ 
keiten bereiten können. Um ſie davon abzuhalten, alſo 
gewiſſermaßen als Abſchreckungsmittel wurde offenſicht⸗ 
lich die Beſtimmung in das Teſtament aufgenommen, 
nicht um über den Ausgleichungsanſpruch zu verfügen. 
(Beſchl. des II. ZS. vom 10. Dez. 1913, Reg. V 26/1913). 


3206 W. 


B. Strafſachen. 


„Darf allgemein angeordnet werden, daß auch anderes 
Fleiſch als friſches Fal einer abermaligen amtlichen Be: 
ſchan unterworfen werde? Der Magiſtrat der Stadt A., die 


18. November 1904 
einen Schlacht- und Viehhof beſitzt, hat am 10. Februar 1905 


unter Bezugnahme auf die Art. 3 15 1 Ziff. 1, 74, 75 
und 145 Ziff. 2 P StGB. und den § 20 Abſ. 2 Fleiſch s. 
vom 3. Juni 1900 orts polizeiliche Vorſchriften über die 
Fleiſchbeſchau beſchloſſen. Der § 9 lautet: „Fleiſch von 
Rindvieh, Schweinen uſw., welches zum Zwecke der 
Berwendung zum menſchlichen Genuſſe eingeführt wird, 
iſt unmittelbar nach der Einfuhr dem Fleiſchbeſchauer 
zur Beſichtigung im Schlachtviehhofe vorzulegen und 
darf zuvor nicht in die Wohnungen der Empfänger, 
auf den Markt oder in die Verkaufsläden verbracht 
werden. Fleiſch i. S. dieſer Vorſchrift iſt nicht bloß 
das friſche, ſondern auch das zubereitete Fleiſch von 
Schlachttieren, alſo insbeſondere auch Fette und Würſte, 
Schinken und überhaupt geräuchertes Fleiſch, Speck. 
Wuüͤrſte und Schinken fallen unter dieſe Beſtimmungen 
nicht, wenn ſie nicht zum Wiederverkauf eingebracht 
werden.“ Die Gebühr für jede im Schlachtviehhofe 
vorzunehmende Beſchau des von auswärts in rohem 
Zuſtande eingeführten Fleiſches oder Fleiſchbeſtand⸗ 
teiles und Fleiſchfabrikates wurde auf zwei Pfennige 
für ½ kg feſtgeſetzt. Der Angeklagte W. bezog als 
Geſchäftsführer des Allgemeinen Konſumsvereins für 
die Stadt A. wiederholt von einer bayeriſchen Firma 
Rauchfleiſch und Wurſtwaren zum Weiterverkauf an 
die Mitglieder; er legte die bezogenen Waren dem Fleiſch⸗ 
beſchauer zur Beſichtigung im Schlacht viehhofenicht 
vor und zahlte die Beſchaugebühr nicht. Er wurde 
von der Anklage wegen einer Zuwiderhandluug gegen 
Art. 74 Abſ. 1 Ziff. 1 PStEB. und gegen den 8 Y der 
ortsp. Vorſchrift freigeſprochen, weil die ortsp. Vor⸗ 
er in 89 inſoweit unwirkſam ſei, als hierdurch die 

eſchau des in die Stadt eingeführten zubereiteten 

leiſches von Schlachttieren angeordnet wird. Die 

erufung und die Reviſion des Staatsanwalts wurden 
verworfen. 


Aus den Gründen des Urteils des Reviſions⸗ 
gerichts: Der Grund zur Erlaſſung des FleiſchBG. vom 
3. Juni 1900, ſein Zweck und die Bedeutung und Tragweite 
der für die Entſcheidung maßgebenden Geſetzesſtellen 
(88 20,24, 29) erhellen am deutlichſten aus der, Begründung 
des Geſetzentwurfs“ und den Verhandlungen des Reichs- 
tags (Verh. d. Reichst. S. 1079, 1081, 1082, 1089, 1090, 
1091, 1898 / 1900; II. Anl.⸗Bd. Aktenſtück Nr. 138 und V. 
Anl.⸗Bd. S. 3789, 3792). Grundlegend find folgende 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 75 


—— — — — —— — — — —— nn 


Vorſchriften des Geſetzes, wobei nach dem 84 als Fleiſch 
Teile von warmblütigen Tieren, friſch oder zubereitet 
zu verſtehen ſind, ſoferne ſie ſich zum Genuſſe für 
Menſchen eignen, und als Teile auch die aus warm⸗ 
blütigen Tieren hergeſtellten Fette und Würſte, andere 
Erzeugniſſe nur inſoweit gelten, als der Bundesrat 
dies anordnet. a) Das für den menſchlichen Genuß 
beſtimmte Fleiſch muß nach der Schlachtung des Tieres 
bei Vermeidung der im Geſetze ſelbſt angedrohten Strafe 
einer amtlichen Unterſuchung unterzogen werden. b) Die 
einmalige Unterſuchung genügt und gilt für das ganze 
Reichsgebiet. c) Verboten iſt die allgemeine Anordnung 
einer nochmaligen Unterſuchung von Fleiſch, welches 
der amtlichen Beſchau ſchon unterlegen hat. d) Aus⸗ 
nahmsweife darf das einmal amtlich unterſuchte Fleiſch 
einer nochmaligen Beſchau nur in den vom Geſetze vor⸗ 
geſehenen Fällen unterworfen werden ($ 20 Abſ. 1 und 2 
und 8 24). e) Die Fleiſchbeſchau iſt einheitlich für das 
geſamte Reichsgebiet geregelt. Die Bundesſtaaten dürfen 
nicht abweichende Beſtimmungen treffen. Sie können 
dagegen weitergehende Vorſchriften über die Fleiſch⸗ 
beſchau in den Fällen des § 20 Abſ. 2 und des § 24 
erlaſſen. 

Der 8 20 Abſ. 1 enthält den das Geſetz beherrſchenden 
Grundſatz, daß einmal amtlich unterſuchtes Fleiſch nicht 
mehr amtlich unterſucht werden darf und läßt eine 
Ausnahme nur für den Fall der Feſtſtellung darüber 
zu, ob das Fleiſch inzwiſchen verdorben iſt oder ſonſt 
eine geſundheitsſchädliche Veränderung erlitten hat. 
Daß das Geſetz in dem letzten Satz nur einen Aus⸗ 
nahmefall im Auge hatte, ergibt ſich aus der Saflung 
des Abſ. 1 einerſeits, aus der Beſtimmung des Nbf.: 
anderſeits. Wäre nämlich die Anſchauung richtig, daß 
auf Grund des § 20 Abf. 1 die allgemeine Nachbeſchau 
eines bereits amtlich unterſuchten Fleiſches zuläſſig ſei, 
fo hätte die Beſtimmung in Abſ. 1 keinen Sinn; der 
Geſetzgeber hätte bei ſolcher Auffaſſung die abermalige 
Beſchau nicht grundſätzlich verbieten dürfen, ſondern 
die Nachbeſchau im allgemeinen für zuläſſig erklären 
müſſen. Wäre ſchon nach dem Abſ. 1 die allgemeine 
Anordnung der Nachbeſchau des Fleiſches i. S. des § 4, 
mithin des friſchen oder zubereiteten Fleiſches zuläſſig, 
— zu letzterem gehören vornehmlich Schinken, Rauch⸗ 
fleiſch und Würſte —, ſo iſt nicht einzuſehen, wozu es 
noch des Abſ. 2 des 8 20 bedurft hätte, wornach friſches 
Fleiſch innerhalb der Gemeinde dem Beſchauzwang 
unterworfen werden kann. Was ſchon durch Abſ. 1 
erlaubt ſein ſoll, bräuchte nicht erſt durch Abſ. 2 ge⸗ 
ſtattet zu werden. Es iſt deshalb unzuläſſig, auf Grund 
des § 20 Abſ. 1 oder 2 bereits amtlich unterſuchtes 
zubereitetes Fleiſch allgemein einer nochmaligen Be⸗ 
ſchau zu unterwerfen; durch eine ſolche Anordnung 
würde die Ausnahme zur Regel. Die in dem § 20 
Abſ. 1 ausnahmsweiſe zugelaſſene abermalige amtliche 
Unterſuchung iſt nur zuläſſig, wenn die Polizeibehörde 
Grund zu der Annahme hat, daß das unterſuchte Fleiſch 
verdorben iſt oder ſonſt eine geſundheitsſchädliche Ver⸗ 
änderung erlitten hat. 

Durch § 20 Abf. 1 ſoll den Polizeibehörden das 
Recht der Kontrolle geſichert bleiben. Die Polizeibe⸗ 
hörde darf mithin an den Orten, wo das bereits amt⸗ 
lich unterſuchte Fleiſch feilgeboten oder verkauft wird, 
nachſchauen, ob ſolches Fleiſch ſeit der amtlichen Unter⸗ 
ſuchung nicht eine geſundheitsſchädigende Veränderung 
erlitten hat. Ergibt ſich dabei der Verdacht einer 
ſolchen Veränderung, dann iſt der Verfügungsberechtigte 
auf Auffordern verpflichtet, das beanſtandete Fleiſch 
neu amtlich unterſuchen zu laſſen. Unzuläſſig aber iſt 
es, allgemein zu verlangen, daß das amtlich unterſuchte 
Fleiſch an einen beſtimmten Ort und zur nochmaligen 
Unterſuchung gebracht werde. Der Geſetzgeber wollte der 
einmal vorgenommenen amtlichen Unterſuchung grund⸗ 
ſätzlich Gultigkeit für das ganze Reichsgebiet verſchaffen 
und eine nochmalige Beſchau ausſchließen. Deshalb 
kann auf Grund des 8 20 Abf. 1 keine allgemeine An⸗ 


76 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


— — . äq— — — — 


ordnung einer nochmaligen Unterſuchung von Fleiſch 
erlaſſen werden. 

In 8 20 Abſ. 2 und in § 24 find erſchöpfend die 
Fälle aufgezählt, in welchen die Bundesſtaaten weiter⸗ 
gehende Vorſchriften erlaſſen dürfen; eine ſinngemäße 
Anwendung auf andere Fälle iſt ausgeſchloſſen. Mithin 
dürfen auch auf Grund dieſer Beſtimmung nicht landes⸗ 
rechtliche Vorſchriften dahin erlaſſen werden, daß all⸗ 
17 80 ohne Rückſicht auf die in den SS 24 und 20 

bſ. 2 genannten Ausnahmefälle amtlich unterſuchtes 
Fleiſch nochmals zu unterſuchen ſei. 

Nach der Meinung des Staatsanwalts iſt der ſtraf⸗ 
rechtliche Schutz für Zuwiderhandlungen gegen die all⸗ 
gemeine Anordnung der Nachbeſchau in Art. 74 Abſ. 1 
Ziff. 2 PStSB. zu ſuchen. Iſt es an fi ſchon eine 
nicht unbedenkliche Auffaſſung, daß zur Sicherung des 
Vollzugs eines Reichsgeſetzes ohne weiteres das Straf⸗ 
recht der Bundesſtaaten in die Breſche treten ſoll, fo 
iſt ſie nach dem Grundſatze, daß Reichsrecht vor Landes⸗ 
recht geht, unzutreffend, wenn eine Sache durch ein 
Reichsgeſetz erſchöpfend geregelt iſt; bedroht in ſolchen 
Fällen das Reichsgeſetz ein Tun oder Unterlaſſen nicht 
mit Strafe, ſo kann das gleiche Tun oder Unterlaſſen 
nicht nach Landesrecht mit Strafe bedroht werden, es 
müßte denn durch das Reichsgeſetz die Erlaſſung landes⸗ 
rechtlicher Vorſchriften vorbehalten fein. Das Fleiſch B. 
enthält nur Vorbehalte nach dieſer ung in den 
88 24 und 20 Abſ. 2, aber nicht in dem § 20 Abſ. 1. 
Abgeſehen hievon geht die Bezugnahme auf Art. 74 
Abſ. 1 Ziff. 2 P StG. überhaupt fehl. Nur auf Grund 
der Ziff. 1 des Art. 74 können Vorſchriften über die 
Beſchau des Fleiſches erlaſſen werden, Ziff. 2 betrifft 
Vorſchriften über die Beſchau anderer verfäuflicher 
Nahrungsmittel, Eßwaren, d. h. ſolcher, die nicht von 
Fleiſch ſtammen. Die Ziff. 2 bezieht ſich gar nicht auf 
die Fleiſchbeſchau. In der Reviſionsbegründung iſt zu⸗ 
treffend ausgeführt, daß das durch die Ziff. 1 des Art. 74 
ſeinerzeit geſchaffene Recht zur Regelung der Fleiſch⸗ 
beſchau ſeit dem Inkraftſein des Fleiſch BZ. im weſent⸗ 
lichen ſeine Bedeutung verloren hat; die auf Grund 
des Art. 74 Abſ. 1 Ziff. 1 erlaſſenen oder noch zu er⸗ 
laſſenden Vorſchriften können nur inſoweit eine recht⸗ 
liche Wirkſamkeit beanſpruchen, als ſie ihre Grundlage 
in den SS 24 und 20 Abſ. 2 haben. (S. Beſchluß des 
Staats miniſteriums des Innern vom 3. Nov. 1902, abs 
gedr. bei Uſchold, Kommentar zum Fleiſch BG. S. 227). 

Die Zulaſſigkeit der allgemeinen Anordnung der 
Fleiſchnachbeſchau wird in der Reviſionsbegründung 
ſchließlich durch den Hinweis auf § 29 Fleiſch BG. und 
den 84 Abſ. 2 NM. zu retten verſucht. Nach $ 29 
Fleiſch8G. bleiben die Vorſchriften des NM. unbe⸗ 
rührt; nach dem 8 4 Abſ. 2 NM. bleiben landesrecht⸗ 
liche Beſtimmungen unberührt, welche der Polizei weiter⸗ 
gehende Befugniſſe als die in SS 2 und 3 bezeichneten 
geben. Nach dem 8 2 darf der Beamte nur die Räume 
betreten, in denen die Gegenſtände zur ſofortigen Vers 
äußerung bereit liegen; den Eintritt in die Aufbe- 
wahrungsräume, die nicht zugleich dem Verkehre dienen 
(Magazin, Keller, Speicher), geſtattet der § 2 nicht. 
Unter den Vorausſetzungen des § 3 darf der Beamte 
nicht nur in die Verkaufsräume, ſondern auch in die zur 
Herſtellung und Aufbewahrung der Waren beſtimmten 
Räume (Magazine, Keller, Speicher, Arbeitsräume) eins 
treten, aber nur während der im §2 bezeichneten Zeit, 
alſo wie nach §S 2 nur während der üblichen Geſchäfts— 
ſtunden oder ſolange die Räume dem Verkehre geöffnet 
find (von der Pfordten, Erl. z. NG. Anm. 2 und 3 
zu § 2, Anm. 2 zu § 3). Darnach muſſen behufs Aus» 
übung der nach dem NM. dem zuſtaͤndigen Beamten ein— 
geräumten Befugniſſe die Verkaufs- oder anderen Räume 
von dem Beamten aufgeſucht werden und es kann auf 
Grund dieſer geſetzlichen Beſtimmungen keine allgemeine 
Anordnung dahin erlaſſen werden, daß die Nahrungs-, 
Genußmittel⸗ und Gebrauchsgegenſtände, mithin auch 
Fleiſch oder Fleiſchwaren, aus den Verkaufs- oder ſon⸗ 


— —— — — — 


ne Räumen des Verfügungsberechtigten an einen 
anderen Ort, etwa in den Schlachtviehhof, zur Vornahme 
der Kontrolle gebracht werden. 

Nach den SS 2 und 3 dürfen die Beamten der Pos 
lizei von den Gegenſtänden, welche ſich in den ange⸗ 
gebenen Räumlichkeiten beſinden oder welche an öffent⸗ 
lichen Orten, ei Märkten, Plätzen, Straßen oder im 
Umherziehen verkauft oder feilgehalten werden, Proben 
zum Zwecke der Unterſuchung gegen Empfangsbeſchei⸗ 
nigung entnehmen. § 4 Abſ. 2 hat mithin nur die 
Bedeutung, daß den Beamten der Polizei bei der Vor⸗ 
nahme der Lebensmittelkontrolle in den bezeichneten 
Räumen, Orten uſw. landesrechtlich weitergehende Bes 
fugniſſe eingeräumt werden können; auch auf Grund 
des 8 4 darf nicht angeordnet werden, daß die Lebens⸗ 
mittel von den Räumen und Orten, Platzen, wo fie 
verkauft oder feilgehalten werden, ohne Zuſtimmung 
des Verfügungsberechtigten zum Zwecke der Kontrolle 
an einen von der Polizei beſtimmten Ort gebracht 
werden. Nach dem NM. iſt es geradezu verboten 
anzuordnen, daß Fleiſch oder Fleiſchwaren zum Zwecke 
der Unterſuchung in den Schlachtviehhof oder einen 
ſonſtigen von der Polizei beſtimmten Ort gebracht 
werden. (Urt. vom 22. Nov. 1913, Rev.⸗Reg. 539/1913). 

3218 Ed. 


Oberlandesgericht München. 


Streitwert eines Ründigungsprszeſſes (5 3.8 PO.) Die 
Kommanditgeſellſchaft Sch. & Cie. beſtand aus dem Kläger 
Dr. Sch. als perſönlich haftendem Geſellſchafter und der 
Beklagten als Kommanditiſtin; deren Einlage betrug 
30 000 M, wovon 20 000 M nach dem Eintritt in die Ge⸗ 
ſellſchaft (September 1912) bezahlt wurden und 10000 M 
in der erſten Hälfte des Jahres 1913 entrichtet werden 
. Am 25. April 1913 ließ die Kommanditiſtin 

urch ihren Anwalt den Geſellſchaftsvertrag außer⸗ 
ordentlich kündigen und Dr. Sch. zur Herauszahlung 
der 20 000 M aufzufordern. Daraufhin erhob dieſer 
gegen die Kommanditiſtin Klage mit dem Antrage feſt⸗ 
zuſtellen, daß der zwiſchen den Parteien beſtehende Ge⸗ 
ſellſchaftsvertrag zu Recht beſteht und die von der Be⸗ 
klagten erklärte außerordentliche Kündigung dieſes Ver⸗ 
tragsverhältniſſes unwirkſam iſt. Dieſer Rechtsſtreit 
wurde durch außergerichtlichen Vergleich erledigt und 
die Klage zurückgenommen. Das LG. ſetzte den Streit⸗ 
wert auf 30 000 M feſt, da dieſer Betrag dem Intereſſe 
des Klägers an der Feſtſtellung des Fortbeſtandes des 
Vertrages mit der Beklagten entſpreche. Hiergegen 
erhob der Kläger Beſchwerde, weil der Streitwert viel 
zu hoch feſtgeſetzt ſei; denn es ſollte ja nur die Frage 
entſchieden werden, ob bei einer Kommanditgeſellſchaft 
eine außerordentliche Kündigung des Geſellſchaftsver⸗ 
hältniſſes möglich iſt. Die Beſchwerde blieb erfolglos. 


Aus den Gründen: Indem der Kläger den 
Rechtsbeſtand des Geſellſchaftsvertrages und die Uns 
wirkſamkeit der außerordentlichen Kündigung der Be— 
klagten feſtgeſtellt wiſſen wollte, beabſichtigte er nicht 
einen theoretiſchen Ausſpruch darüber zu erwirken, ob 
bei einer Kommanditgeſellſchaft eine außerordentliche 
Kündigung zuläſſig iſt, ſondern er begehrte eine Feſt⸗ 
ſtellung dahin, daß die Beklagte nicht berechtigt iſt, 
die Ruckzahlung der Einlage zu 20000 M zu fordern 
und die Einzahlung der fälligen 10000 M zu verweigern. 
Das LG. hat deshalb den Streitwert mit Recht auf 
30000 M feſtgeſetzt. (Beſchl. vom 20. Okt. 1913, Beſchw.⸗ 
Reg. Nr. 659/13). N. 

3148 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. ö 77 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Erfüllungsort für den Wandelnnabanſpruch des Kän⸗ 
fers; Bereinbaruna des Gerichtsſtands für den Kaufber: 
traa (55 462 ff., 346 ff., 269 B., § 29 ZPO.) Der 
Kläger verlangte bei dem Landgericht A. ſeines Wohn⸗ 
ſitzes die Wandelung des mit N. in H. (Weſtfalen) ab⸗ 
geſchloſſenen Kaufvertrags über eine Maſchine und die 
Verurteilung des Beklagten N., Zug um Zug gegen 
Rücknahme der Maſchine an den Kläger die erhaltene 
Qehlung famt Zinſen und Auslagen zurückzugewähren. 

ie vom Beklagten vorgeſchützte Einrede der Unzu⸗ 
ſtändigkeit wurde zurückgewieſen. 


Aus den Gründen: Die Einwilligung in die 
Wandelung und die Rückgabe der geleiſteten Zahlung 
bildet den Hauptanſpruch, neben dem noch die Rück⸗ 
nahme der Maſchine und der Erſatz von Auslagen als 
Nebenforderung verlangt wird. Die ſtreitige Verpflich⸗ 
tung iſt an ſich da zu erfüllen, wo ſich die Handelsnieder⸗ 
laſſung des Beklagten befindet (8 269 B.). Da aber 
die Verpflichtungen aus der Wandelung Zug um Zug 
zu erfüllen find, hat der Kläger dem Beklagten die 
Maſchinen zurückzugeben und iſt dieſer nur gegen gleich⸗ 
zeitige Uebergabe der Maſchine zur Rückerſtattung der 
geleiſteten Zahlung und zur Befriedigung der Neben⸗ 
forderungen (Zinſen und Auslagen) des Klägers ver⸗ 
pflichtet, andrerſeits aber auch der Kläger nicht ver⸗ 
pflichtet, die Maſchine herauszugeben, wenn er nicht 
Zug um Zug dagegen . (8$ 467, 346, 
348 BEB.; Rechtſpr. Os. 6, 380 ff.). Da aber der 
Käufer dem Verkäufer die Sache nicht zurückzuſchicken 
braucht, die Auswechſelung gegen den Kaufpreis viel⸗ 
mehr am Wohnſitze des Käufers ſtattzufinden hat, wo 
ſich die Sache infolge des Kaufvertrags befindet, ſo iſt 
an dieſem Orte zu erſüllen (Seuff A. 64 Nr. 55). Nach 
829 3PO. wäre alſo das angegangene Gericht zuftändig. 
Es fragt ſich aber, ob nicht ein anderer Gerichtsſtand 
durch Vereinbarung zwiſchen den Parteien begründet 
wurde. In dem Beſtellſchein, der die Grundlage für 
die Ausführung des Vertrags zu bilden hat, befindet 
fi der vorgedruckte Vermerk: „Es ſoll als Erfüllungs⸗ 
ort — Gerichtsſtand — H. gelten.“ Ob der Kläger 
dieſe Vertragsbedingung anzuerkennen hat oder nicht, 
kann dahingeſtellt bleiben. Denn es folgt daraus noch 
nicht, daß das Gericht in H. nunmehr an die Stelle 
des an ſich zuſtändigen Landgerichts A. zu treten hat; 
der Beklagte hat keinen Beweis dafür gebracht, daß 
bei dem Vertragsſchluß der Wille vorhanden war und 
ausgedrückt wurde, das geſetzlich zuſtändige Gericht 
auszuſchließen. Das Intereſſe des Beklagten, ſeine 
Kunden auf Erfüllung ihrer Verpflichtungen am Ge⸗ 
richte ſeiner Niederlaſſung verklagen zu können, iſt offen⸗ 
ſichtlich: dieſe Möglichkeit erhielt der Beklagte jedoch 
auch durch die nur wahlweiſe Zuſtändigkeit jenes Ge⸗ 
richts. Jedenfalls aber bezog ſich die Vereinbarung 
naturgemäß nur auf die Erfüllung der im Beſtellſchein 
geregelten Vertragspflichten. Hier handelt es ſich jedoch 
gar nicht um die urſprüngliche Verpflichtung aus dem 
Vertrage; denn ſtreitig iſt nicht die vertragsmäßige 
Leiſtungspflicht des Verkäufers, ſondern deſſen Ver⸗ 
pflichtung zur Einwilligung in die Wandelung und 
zur Rückgabe des Empfangenen (Seuff A. 47 Nr. 55). 
Hätten die Vertragsteile für alle Klagen eine ausſchließ⸗ 
liche Zuſtändigkeit in H. ſchaffen wollen, ſo hätten ſie 
dies als Abweichung von dem geſetzlichen Gerichtsſtand 
unzweideutig ausdrücken müſſen (Seuff A. 52 Nr. 193; 
54 Nr. 248). Da dies nicht geſchehen iſt, muß ſich der 
Beklagte im geſetzlichen Gerichtsſtande verklagen laſſen. 
(Urt. des II. ZS. vom 27. Mai 1913, L 722/13). 

3208 Bir. 


Vücheranzeigen. 


Spiegel, Dr. Ludwig, o. ö. Profeſſor an der deutſchen 
Univerſität in Prag. Geſetz und Recht, Vorträge 
und Auffäbe zur Rechtsquellentheorie. 139 Seiten. 
1 und Leipzig 1913. Duncker & Humblot. 


Der alten Schule, die das Recht im weſentlichen 
in Geſetz und Gewohnheit zu finden glaubte, ſind Gegner 
erſtanden, die untereinander zwar mannigfach im Streite, 
ſich doch wohl in zwei Gruppen ſammeln laſſen: in 
voluntariſtiſche Gefühlsjuriſten und in ſoziologiſche 
Juriſten. Den Gefühlsjuriſten iſt Rechtsquelle der 
Rechtswille oder das Rechtsgefühl; das Recht erſchließt 
ſich nach ihnen demjenigen, der ſich in es einzufühlen 
verſteht. Bei den Soziologen ſind zwei Richtungen 
erkennbar. Die Angehörigen der einen halten das 
Recht für gleichbedeutend mit geſellſchaftlicher Zweck⸗ 
mäßigkeit, die freilich nur neben dem klaren Geſetze 
Beachtung finden könne. Die anderen ſehen eine mit 
dem Geſetze mindeſtens gleichberechtigte Rechtsquelle in 
der Geſellſchaft, inſoferne die Anſchauungen der maß⸗ 
gebenden Geſellſchaftsſchicht Recht ſein ſollen. Gemein⸗ 
ſam iſt ihnen allen mit ihrem Gegner, der hiſtoriſchen 
Schule, die Grundlage: die Rechtsquellenlehre. Die 
Neuerer ſuchen andere Quellen und verlangen etwa, 
daß die Rechtswiſſenſchaft ſich nicht auf die Quellen⸗ 
kunde beſchränken dürfe, aber ſie ſagen ſich von den 
Quellen nicht los. Es iſt merkwürdig, daß ein für 
die Rechtsfrage demgegenüber theoretiſch ziemlich gleich⸗ 
gültiger, wenn auch praktiſch bedeutſamer Umſtand die 
Aufmerkſamkeit der Kritiker beſonders auf ſich gezogen 
hat, der Umſtand nämlich, daß die Neuerer zum Teil 
ihre Anſchauungen auch auf Koſten der bisherigen bevor⸗ 
zugten Rechtsquellen gelten laſſen wollen, d. h. daß ſie 
zum Teil „Freirechtler“ find. Nun kann aber auch der 
geſetzestreueſte Juriſt den wichtigſten Satz, mit dem er 
arbeitet, aus keinem Geſetz herleiten, den Satz nämlich: 
das Geſetz iſt Rechtsquelle. Dieſer Satz mag ſich in 
Geſetzen finden, ſeine Geltung kann er nicht auf das 
Geſetz ſtützen; ſtützt ſich doch umgekehrt die Anerkennung 
des Geſetzes als Rechtsquelle auf ihn. Er iſt ein Er⸗ 
kenntnisſatz und daher nur beachtlich, wenn er richtig 
iſt. Das Geſetz iſt etwas Wirkliches; es bleibt wirklich, 
auch wenn es Irrtümer enthält. Wenn der Satz von 
der Rechtsquellennatur des Geſetzes als falſch dargetan 
wird, wird daher dem Geſetze kein Schaden zugefügt, 
ſondern ihm nur eine Eigenſchaft abgeſprochen, die 
ihm zu Unrecht zugeſchrieben wurde. Wichtiger als 
die Verſchiedenheit in den Anſchauungen über die zu 
bevorzugenden Quellen iſt es, daß auch die Neuerer 
am Rechtsquellengedanken feſthalten; auch ihnen iſt 
„Recht! che eine Herkunfts⸗ als eine Eigenſchafts⸗ 
bezeichnung. Jede Rechtsquellenlehre, die freirechtliche 
wie die der hiſtoriſchen Schule und die der Naturrechtler, 
ſucht im Recht etwas ſelbſtändig Vorhandenes, wie 
etwa in der Sitte. Die Erkenntnis des geltenden, des 
beſtehenden Rechts iſt das Ziel der Arbeit. Wenn man 
die Wiſſenſchaften, die das Beſtehende ermitteln wollen, 
Beſtandswiſſenſchaften nennt, ſo iſt auch die Rechts⸗ 
wiſſenſchaft eine Beſtandswiſſenſchaft. Freilich iſt das 
Beſtehende, womit ſie ſich befaßt, etwas Eigenartiges. 
Man kann es mit dem hergebrachten Ausdruck „Norm“ 
bezeichnen. Darunter wäre der allgemeine oder doch 
für einen Einzelfall entſcheidende Rechtsſatz zu ver⸗ 
ſtehen. Dieſe Norm hat die Eigenart, gleichzeitig als 
eine Richtſchnur für das Handeln des Einzelnen und 
als ein Erkenntnisſatz für den beurteilenden Richter 
angeſehen zu werden. Die Rechtsquellenwiſſenſchaft 
unterſcheidet ſich alſo von anderen Beſtandwiſſenſchaften 
dadurch, daß der Beſtand, den ſie feſtſtellen will, nicht 
nur in Tatſachen beſteht, ſondern daß der Erkenntnis- 
ſatz ſelbſt, mit dem dann gearbeitet wird, wie etwas 
Beſtehendes zu ermitteln verſucht wird; ſie ſcheidet 


18 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


jedoch dadurch nicht etwa aus dem Kreiſe der Beſtands⸗ 
wiſſenſchaften aus. Nun gibt es außer den Beſtands⸗ 
wiſſenſchaften aber noch eine andere Art von Wiſſen⸗ 
ſchaften. Als Beiſpiel kann man die Zweckwiſſen⸗ 
ſchaften anführen, d. h. die Wiſſenſchaften, die nicht 
nur etwas Beſtehendes ermitteln, ſondern die Be⸗ 
deutung eines Tatbeſtandes von einem beſtimmten 
Geſichtspunkt aus, hier dem der Zweckmäßigkeit, er⸗ 
kennen wollen. Man kann derartige Wiſſenſchaften 
Bedeutungswiſſenſchaften nennen. Es beſteht ziemlich 
unabhängig von den Schulgegenſätzen eine ſtarke Strö⸗ 
mung unter den Juriſten, die Rechtswiſſenſchaft als 
eine Bedeutungswiſſenſchaft zur Anerkennung zu bringen 
und ihr damit einen Dienſt zu erweiſen, wie er größer 
kaum gedacht werden kann. Alle Verſuche in dieſer 
Richtung müſſen aber ſcheitern, ſolange an der Rechts⸗ 
quellenlehre feſtgehalten wird. Denn dieſe Lehre iſt 
immer gleichbedeutend mit beſtandswiſſenſchaftlichen 
Gedankengängen und führt daher ſtets von Neuem zur 
Vermengung des Rechtlichen (der Bedeutungsfrage) 
mit dem Tatbeſtandlichen (dem rechtserheblichen Ver⸗ 
halten der Geſamtheit). Ein weiteres Hindernis für 
die Anerkennung der Rechtswiſſenſchaft als ſelbſtändige 
Bedeutungswiſſenſchaft beſteht darin, daß man nicht 
danach ſtrebt, die Selbſtändigkeit des Rechts heraus⸗ 
zuarbeiten, ſondern ſich darauf befchränkt, Zweckmäßig⸗ 
keitsgeſichtspunkte zu verwenden und damit das Recht 
uberhaupt in Wohlgefallen aufzulöſen. 

An dieſe Schickſalsfragen des Rechts und ſeiner 
Wiſſenſchaft rühren auch die Aufſätze und Vorträge 
Spiegels, und darin wird man, ungeachtet aller Einzel⸗ 
feinheiten, ihr Verdienſt zu finden haben. Spiegel 
arbeitet mit gefühlsmäßigen und ſoziologiſchen Er⸗ 
wägungen. . iſt er wohl ebenſowenig wie 
Gegner der Rechtsquellenlehre, die er nicht abſchaffen 
ſondern ergänzen will. Aber er ſteht der herrſchenden 
Lehre ſehr kritiſch gegenüber und hat den wichtigen 
Schritt von der rein genetiſchen Auffaſſung zur Be⸗ 
ſchreibung getan, der den Uebergang zur Bedeutungs⸗ 
wiſſenſchaft vorbereitet, wenn auch noch nicht vollzieht. 
Und von ſeinem Standpunkt aus trägt er ſoviele be⸗ 
gründete Bedenken gegen die herrſchenden Anſchauungen 
zuſammen, daß man aus dem Buche, über ſeinen eigenen 
Inhalt hinausgehend, den dringenden Rat zu vernehmen 
glaubt, ſich endlich nach einem Erſatz für die Rechts⸗ 
quellenlehre umzuſehen. 

Gleich der erſte Vortrag über das Erbe des ab⸗ 
ſolutiſtiſchen Staates führt mitten in die intereſſanteſten 
Probleme. War früher das Geſetz als Willensäußerung 
des abſoluten Herrſchers Rechtsquelle, ſo iſt es heute 
das Gleiche als Willensäußerung des Geſetzgebers. 
Der Willensträger hat gewechſelt, der Wille wird nach 
wie vor als Recht angeſehen. Der Staat iſt konſtitutionell 
geworden, das Recht iſt abſolut geblieben. Der zweite 
Vortrag (Jurisprudenz und Sozialwiſſenſchaft) ver— 
langt in lehrreichen Ausführungen die Befruchtung der 
Rechts = durch die Geſellſchaftswiſſenſchaft, der dritte 
(Entwürfe und Geſetze) behandelt aufſchlußreich das 
Gebiet der Geſetzestechnik. An zwei kritiſche Aufſätze 
(Savignys „Beruf“ und Gönners Gegenſchrift, und: 
Hatſcheks Betrachtungen über das kontinentale Rechts- 
quellenſyſtem) ſchließt ſich ſodann eine Abhandlung 
über den refere législatif oder die Anfrage bei Hof 
(zur Ausfüllung von Geſetzeslücken und Klärung von 
Zweifeln). Den Beſchluß macht ein bedeutender Bei— 
trag „zur Lückenlehre“. Nicht das Recht, nur das Geſetz 
kann Lücken haben. Worauf ſich das Recht nicht er— 
ſtreckt, das fällt nicht in eine Rechtslücke, ſondern aus 
dem Recht heraus. Von dieſem Standpunkt aus wird 
dann Zitelmanns Lückenlehre äußerſt feſſelnd beſprochen. 

Eine kurze Inhaltsangabe kann der Bedeutung 
des kleinen Buches nicht gerecht werden. Es enthält 
in jedem Teil eine Fülle geiſtvoller Bemerkungen und 
ſcharfſinniger Beobachtungen, und hat eine Eigenſchaft, 
die man bei einer Sammlung kleinerer Abhandlungen 


— 


ſelten findet: es läßt den Leſer, der einmal das Ganze 
aufgenommen hat, nicht mehr locker. Wie eine glänzende 
zuſammenhängende Darſtellung fordert es immer wieder 
dazu heraus, mit dem Leſen von neuem zu beginnen. 
München. Amtsrichter Sauerländer. 


Narbe, Dr. K., o. ö. Profeſſor und Vorſtand des Pſycho⸗ 
logiſchen Inſtituts der Univerfität Würzburg Grund⸗ 
züge der Forenſiſchen Pſychologie. 120 Seiten. 
München 1913, C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung 
(Oskar Beck). Geb. Mk. 4.—. 


Das Buch gibt die Vorleſungen wieder, die Pro⸗ 
feſſor Marbe während des erſten bayeriſchen Fortbil⸗ 
dungskurſes für Juſtizbeamte im Mai 1913 in Mün⸗ 
chen gehalten hat. Wir begrüßen freudig das Erſcheinen 
dieſer intereſſanten, lehrreichen Vorträge und zwar nicht 
bloß im Intereſſe derer, die ſie nicht gehört haben, 
ſondern gerade auch im Intereſſe der ſeinerzeitigen 
Hörer. Ihnen bietet das Buch die wünſchenswerte 
Möglichkeit zur Auffriſchung des Gedächtniſſes. Nichts 
wäre bedauerlicher, als wenn einer z. B. aus der Bor; 
leſung über die Pſychologie der Zeugenausſage nichts 
behalten hätte als den allgemeinen Eindruck, daß man 
den Zeugenausſagen mit Vorſicht oder gar mit Miß⸗ 
trauen gegenüberſtehen müſſe, ohne noch zu wiſſen, 
welcher Art denn die Irrtümer ſind, die man bei Zeugen 
beobachtet hat, nach welcher Richtung z. B. bei der 
Schätzung räumlicher und zeitlicher Entfernungen die 
Angaben von der Wirklichkeit abzuweichen pflegen. 

E. 


Lanaheinrich, Dr. Eruſt, K. Bezirksamtsaſſeſſor in Bad 
Kiſſingen. Kirchengemeinde ordnung für das 
Königreich Bayern vom 24. September 1912 mit den 
Vollzugsvorſchriften. Lief. 4 (Schluß). XII, 337 — 585 
Seiten. München, Berlin und Leipzig 1914, J. Schweitzer 
952 11 (Arthur Sellier). Mk. 5.80 (vollſtändig geb. 

.11.—). 


Die Ausgabe iſt jetzt durch das Erſcheinen der 
4. Lieferung abgeſchloſſen. Der Verfaſſer hat ſchon 
durch ſeine tief eindringende Abhandlung über die 
zivilrechtliche Bedeutung der RED. in dieſer Zeitſchrift 
(Jahrg. 1913) dargetan, daß er das Geſetz nicht aus⸗ 
ſchließlich vom Standpunkte des Verwaltungsbeamten 
aus betrachtet, ſondern daß er auch im bürgerlichen 
Rechte gut zuhauſe iſt. Seinen Erläuterungen darf 
gleichfalls nachgerühmt werden, daß fie dem Zuſammen⸗ 
hang des Geſetzes mit dem Reichsrecht und dem übrigen 
bayeriſchen Landesrechte überall gründlich un 
Langheinrich beſchränkt ſich nirgends auf den bei Aus⸗ 
gaben neuer Geſetze gebräuchlichen Abdruck von Aus- 
ſchnitten aus den Vorarbeiten, vermeidet es anderer⸗ 
ſeits aber auch, ſich in langatmige Streitfragen ein⸗ 
zulaſſen, ſondern gibt knapp und beſtimmt das zum 
Verſtändniſſe des ſchwierigen Geſetzes und zu ſeiner 


Anwendung im Leben Erforderliche. 
von der Pfordten. 


Feuchtwanger Ludwig, Der Eintritt Bayerns in 
das Reichsarmenrecht. 43 S. München⸗Leipzig, 
1 von Duncker & Humblot, Preis: geheftet 
Mk. 1.20. 


Der Auſſatz iſt aus einem Vortrag entſtanden, den 
der Verfaſſer am 26. Februar 1913 in der Münchner 
Volkswirtſchaftlichen Geſellſchaft gehalten hat; er bietet 
einen kurzen geſchichtlich kritiſchen Abriß über die Ent⸗ 
wickelung der ſtaatlichen Armenpflege feit der Refor⸗ 
mationszeit, behandelt dann in gleicher Weiſe das 
Armenrecht des Deutſchen Reiches von 1871 bis 1908, 
wobei insbeſondere die deutſche Sozialgeſetzgebung in 
intereſſante Beziehungen zur öffentlichen Armenpflege 
gebracht wird und ſchließt mit einer Würdigung des 
bayeriſchen Armenweſens für die Zeit vom Jahre 1869 
bis zum Erlaſſe des Geſetzes, welches den Eintritt 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. f 79 


— 


Bayerns in das Recht des Unterſtützungswohnſitzes 
anbahnt. Dem Politiker und Volkswirtſchaftler gibt 
das Büchlein einen guten geſchichtlichen Ueberblick über 
die Kräfte und Urſachen, die zur kommenden Entwick 
lung des Armenweſens geführt haben. W. 


Kauffmann, Dr. Nax, Privatdozent für Medizin an der 
Univerſität Halle. Das Verſchuldungsprin⸗ 
zip im Strafrecht. 70 S. Halle 1912, Verlag 
der Buchhandlung des Waiſenhauſes. 


Der Verfaſſer ſucht nach einem allgemeinen, Vor⸗ 
ſatz und Fahrlaſſigkeit umfaſſenden Schuldbegriff und 
findet ihn in dem „Wiſſen um die Verantwortlichkeit 
eines Verhaltens“. Dieſes Ergebnis der Abhandlung 
bedeutet kaum einen Fortſchritt in der Lehre von der 
ſtrafrechtlichen Schuld. Auch die Darſtellung befrie⸗ 
digt wenig. Einen breiten Raum nehmen Stellen aus 
rechtswiſſenſchaftlichen und philoſophiſchen Werken ein. 
Sie ftören öfters den Gedankengang. Die eigenen An⸗ 
ſichten des Verfaſſers find nicht immer mit der wün⸗ 
ſchenswerten logiſchen Schärfe entwickelt. 

München. II. Staatsanwalt Dr. Dürr. 


6. Giriſch, Dr. jur. et rer. pol., H. Hellmuth und H. 
achel bel. Handwörterbuch des bayer. Staats⸗ 
irchenrechts. Zweite, vollſtändig durchgearbeitete 

und vermehrte Auflage. 527 Seiten. München 1914, 
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 


Die 1. Auflage dieſes Buches erſchien im Jahre 
1911, alſo zu einer Zeit, da das bayer. Staatskirchen⸗ 
recht noch der Läuterung durch die Kirchengemeinde⸗ 
ordnung entbehrte und in ſeiner übergroßen Zahl von 
Quellen kaum zu überſehen war. Die 2. Auflage iſt 
jetzt, nachdem die Kirchengemeindeordnung Geſetz ge⸗ 
worden, nicht minder lebhaft zu begrüßen. Das Werk 
gibt in Geſtalt eines Wörterbuchs eine vollſtändige, 
kurz und überſichtlich gefaßte Darſtellung des geſamten 
bayer. Staatskirchenrechts. Einer ſeiner Hauptvorzüge 
iſt, daß es die Quellen erſchöpfend und zuverläſſig, 
nicht nur zuſammenfaſſend an der Spitze jeder Ab⸗ 
handlung, ſondern auch nach den einſchlägigen Sätzen 
der Darſtellung beſonders angibt. Der Theoretiker 
wie der Praktiker iſt dadurch in die Lage geſetzt, ſich 
im einzelnen Fall über Geſetz, Rechtſprechung und 
Literatur ſchnell und ſicher zu unterrichten. Beſonders 
ſchätzbare Dienſte wird das Buch für den unmittelbaren 
Vollzug der Kirchengemeindeordnung leiſten; die ge⸗ 
meinverſtändliche Darſtellungsweiſe macht es auch zur 
Beratung von Nichtjuriſten, namentlich der Kirchen 
verwaltungsvorſtände, ſehr geeignet. Den noch in der 
Vorbereitung ſtehenden jungen Juriſten wird das Buch 
längſt unentbehrlich fein. 

Bad Kiffingen. Bezirksamtsaſſeſſor Dr. Langheinrich. 


Kahn⸗Obermeher, Wehrbeitragsgeſetz mit den bayes 
riſchen Vollzugsvorſchriften. 250 Seiten. München 1914, 
J. Schweitzer (Arthur Sellier). Preis geb. Mk. 3.—. 

Die Eigenart dieſes in „Schweitzers blauen Text- 
ausgaben“ erſchienenen Kommentars liegt darin, daß 
er zurzeit der einzige iſt, der beſonders für bayeriſche 

Verhältniſſe berechnet iſt. Deshalb find nicht nur neben 

den Ausführungsbeſtimmungen des Bundesrates die 

bayeriſchen Vollzugsvorſchriften, die bekanntlich ſehr 
wichtige Paragraphen, z. B. über die Veranlagung der 
fortgeſetzten Gütergemeinſchaft und der Erbengemein- 
ſchaft, über die Einſchätzung des Ertragswertes uſw., 
enthalten, vollſtändig mit allen Formularen abgedruckt, 
we es iſt auch bereits in den Anmerkungen auf 

e verwieſen und es iſt überall an den zahlreichen 

Stellen, an denen das Landesſteuerrecht maßgebend 

iſt, alſo vor allem bei der Feſtſetzung des Einkommens, 

bei dem Veranlagungsverfahren und bei der Durch 
führung des Generalpardons, die bayeriſche Rechtslage 
eingehend berückſichtigt. Die Anmerkungen geben eine 


ſehr gediegene und recht ausführliche Erläuterung des 
ſchwierigen Geſetzes; fie beſchränken ſich nicht etwa, wie 
dies manchmal bei den raſch nach dem Erſcheinen eines 
neuen Geſetzes auftauchenden „Kommentaren“ der Fall 
iſt, auf eine Wiedergabe der Geſetzgebungsmaterialien. 
Lehrreich iſt es, den bekannten Kommentar von Dr. 
A. Hoffmann, dem wegen der Stellung ſeines Verſaſſers 
im Reichsſchatzamte eine beſondere Bedeutung zukommt, 
über einige Streitfragen mit der vorliegenden Aus⸗ 
gabe zu vergleichen. Nach Hoffmann ſollen die Er⸗ 
mäßigungsvorſchriften des § 33 nur anwendbar ſein, 
wenn die beiden Vorausſetzungen hinſichtlich des Ver⸗ 
mögens und des Einkommens nebeneinander vorliegen; 
nach ihm ſoll der Generalpardon möglichſt eng aus⸗ 
zulegen ſein. In beiden Punkten vertreten Kahn und 
Obermeyer — meiner Anſicht nach mit Recht — die 
gegenteilige Meinung. Nach den Ausführungen des baye⸗ 
riſchen Finanzminiſters im Landtage dürfte allerdings 
der Generalpardon in Bayern in noch weitergehendem 
Maße durchgeführt werden, als es nach der Anſicht 
der beiden Verfaſſer anzunehmen iſt. Insbeſondere 
dürfte auch einem Erben — entgegengeſetzt der S. 123 
ausgeſprochenen Meinung — die befreiende Wirkung 
des Generalpardons zugute kommen, wenn er inner⸗ 
halb der vom Geſetze beſtimmten Zeit berichtigende 
Angaben über die Vermögens⸗ und Einkommensver⸗ 
hältniſſe des Verſtorbenen freiwillig bei der zuſtän⸗ 
digen Stelle abgibt. Da auch die Ausſtattung, den 
weitverbreiteten „blauen“ Textausgaben entſprechend, 
recht gut iſt, kann das Buch allen Beitragspflichtigen, 
die in Bayern ihren Wohnſitz haben, für die Abgabe 
ihrer Bermögenserflärung empfohlen werden. 
München. Flnanzaſſeſſor Dr. Süß. 


Geſetzgebung und Berwaltung. 


Schulpflichtverordunngen. Die bayeriſchen Vor⸗ 
chriften über die Schulpflicht (ſ. Art. 58 Abſ. 3 PStGB.) 
nd durch die Verordnungen vom 22. Dezember 1913 
über die Schulpflicht und über die Berufsfortbildungs⸗ 
ſchulen (GVBl. 1913 S. 957, 966) mit Wirkung vom 
1. Januar 1914 nicht unerheblich geändert worden. 
Der ſachliche Inhalt der Reform bedarf hier keiner 
näheren Darſtellung. Es ſind zwei Arten von Fort⸗ 
bildungsſchulen vorgeſehen, die Volksfortbildungs⸗ 
ſchulen und die Berufsfortbildungsſchulen. Die Sonn⸗ 
tagsſchule iſt der Volksfortbildungsſchule gewichen. 
Dieſe iſt ein Teil der öffentlichen Volksſchule. Die 
Werktagsſchule heißt jetzt Volkshauptſchule. Die Bes 
rufsfortbildungsſchulen ſind gegenüber den öffentlichen 
Volksſchulen ſelbſtändige Unterrichtsanſtalten; „öffent⸗ 
lich“ i. S. der Verordnung ſind ſie, wenn ſie von einer 
Gemeinde errichtet ſind. Der Eintritt in eine Berufs⸗ 
fortbildungsſchule iſt an ſich freiwillig; weitgehende 
Ausnahmen geſtatten aber, ihren Beſuch zur Pflicht 
zu machen. 

Für die Rechtspflege kommt zunächſt das Ver⸗ 
hältnis der neuen Vorſchriſten zu Art. 56 und Art. 58 
P StB. in Betracht. Eine Angleichung des Wort⸗ 
lautes der geſetzlichen Vorſchriften an die neuen Ver⸗ 
hältniſſe war im Rahmen der Verordnungen ſelbſt⸗ 
verſtändlich nicht möglich. Damit hat aber das Geſetz 
ſeinen Inhalt nicht verloren. Bei ſachgemäßer Aus⸗ 
legung können vielmehr Schwierigkeiten nicht entſtehen. 
Der Richter hat im Einzel alle und nach den örtlichen 
Verhältniſſen zu prüfen, ob nach dem Sinne und Zwecke 
des Geſetzes der ſtrafbare Tatbeſtand erfüllt iſt. Selbſt⸗ 
verſtändlich iſt z. B. ein Fortbildungsſchüler nicht des⸗ 
halb bei dem Beſuche einer öffentlichen Tanzunter⸗ 
haltung ſtraflos, weil Art. 56 Abſ. 2 nut von „Sonn⸗ 
tagsſchulpflichtigen“ ſpricht, die Sonntagsſchule als 
ſolche aber beſeitigt iſt. Aehnliche Apweichungen 


80 


ächlichen Verhältniſſen kommen auch ſonſt vor und 
nd gerade auf dem Gebiete der Schule, wo das Fort⸗ 

bildungsſchulweſen eine örtlich verſchiedene Entwicklun 

genommen hat, nichts Neues. Die Praxis war ſich 

nie im Zweifel, daß an die Stelle der Sonntagsſchule 

auch ſtrafrechtlich die Schulgattung zu treten hat, durch 

erf 1 f. dem Wege der Verwaltungsorganiſation 

e f 


Das Nechunngsweſen bei den Strafanſtalten. Die 
Bekanntmachung vom 24. Dezember 1913, die Kaſſen⸗, 
Buchführungs⸗ und Rechnungsgeſchäfte der Strafan⸗ 
ſtalten betr. (JMBl. S. 755) bedeutet auf dem Wege 
zu der Neuordnung des Strafanſtaltsweſens, die be⸗ 
reits in der Denkſchrift zum Juſtizetat für die Finanz⸗ 
periode 1914/1915 angekündigt iſt, einen weſentlichen 
Schritt vorwärts. Bisher beſtand die Tätigkeit der 
ſog. Nebenbeamten bei den Strafanſtalten (zweiten Direk⸗ 
toren, Inſpektoren, e hauptſächlich in der Füh⸗ 
rung der Kaſſen⸗ uno Rechnungsgeſchafte. Zur Unter. 
ſtützung der Anſtaltsborſtände bei ihren vielſeitigen 
Dienſtgeſchäften und zu den eigentlichen Aufgaben 
eines höheren Strafanſtaltsbeamten konnten ſie nur in 
ganz beſchränktem Maße herangezogen werden; und 
je mehr ſich dieſe Aufgaben mit der Einführung der 
neuen Hausordnung, mit dem Uebergang von der be⸗ 
quemen Schablone in der Behandlung der Gefangenen 
zu der Zeit, Geduld, Ausdauer und Menſchenkenntnis 
erfordernden Individualiſierung und mit der Ausnützung 
der Arbeitskräfte der Gefangenen für öffentliche Zwecke, 
beſonders für Kulturunternehmungen aller Art, ſteigerten, 
deſto fühlbarer machte ſich das Bedürfnis, die Neben⸗ 
beamten von ihrer formalen, ihrer Vorbildung nicht 
entſprechenden Tätigkeit zu entlaſten und ihre Mit⸗ 
wirkung bei den Kaſſen⸗ und Rechnungsgeſchäften auf 
das unbedingt notwendige Maß en Diefem 
Bedürfniffe trägt die Bekanntmachung Rechnung. Sie 
überträgt die Beſorgung der eigentlichen Kaſſen⸗, Buch⸗ 
führungs⸗ und Rechnungsgeſchäfte den Buchhaltern, 
deren jede Strafanſtalt künftig zwei erhalten ſoll ($ 3). 
Einer der Buchhalter führt die Handkaſſe, die Kaſſe⸗ 
tagebücher und die Bank⸗ und Poſtſcheckkontogegen⸗ 
bücher, empfängt und leiſtet die Zahl ungen und ſtellt 
die Jahresrechnung, der andere Buchhalter führt die 
Kaſſehauptbücher unter Beiſchaffung, Prüfung und Ferti⸗ 
gung der Belege und beſorgt die Sollſtellung der Ein⸗ 
nahmen ($ 4). Die Tätigkeit des Nebenbeamten er⸗ 
ſtreckt ſich künftig nur noch auf die Leitung und Ueber⸗ 
wachung der Kaſſen⸗, Buchführungs⸗ und Rechnungs⸗ 
geſchäfte und der Rechnungsſtellung, auf die Führung 
der Hauptkaſſe und auf die Bearbeitung aller wichtigeren 
Berichte, Anträge und Aufſtellungen (8 1). 

Die Bekanntmachung enthält ferner eine Reihe 
formeller Vorſchriften über die Führung der Bücher 
und Nebenrechnungen, die das Buchführungs⸗ und Rech⸗ 
nungsweſen auf möglichſt zweckmäßige, einfache, klare 
und überſichtliche Formen zurückführen, allen veralteten 
Wuſt und alles überflüſſige Schreibwerk zu beſeitigen 
trachten und dabei auch manches Extrazöpfchen ab⸗ 
ſchneiden, das der einen oder anderen Strafanſtalt im 
Laufe der Jahre gewachſen war. 

Die Bekanntmachung vom 24. Dezember 1913, die 
Koſten der Unterbringung und Verpflegung in den 
Strafanſtalten betr. (JMBl. S. 751) enthält Ausfüh⸗ 
rungsvorſchriften zu der Verordnung vom 26. Juli 1913 
(GBl. S. 433). Als für weitere Kreiſe bemerkens— 
wert mag daraus hervorgehoben werden, daß jetzt 
endlich die Beitreibung der Koſten des Strafverfahrens 
und der Straſvollſtreckung dem nämlichen Rentamt 
übertragen iſt. Bisher lag die Beitreibung der Straf— 
vollſtreckungskoſten dem Rentamt ob, in deſſen Bezirk 


fan dem Wortlaute des Geſetzes und den tat⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 


der Schuldner ſeinen Wohnſitz hat, die Beitreibung 
der Koſten des Strafverfahrens dem Rentamt, in deſſen 
Bezirk das Gericht liegt, von dem das Urteil erſter 
Inſtanz erlaſſen wurde. Beide Rentämter waren un⸗ 
abhängig voneinander tätig; beide hatten die Ver⸗ 
mögensverhältniſſe des Verurteilten zu erforſchen, beide 
ſelbſtändig das Beitreibungsverfahren innerhalb ihrer 
Zuſtändigkeit durchzuführen. Dieſes überflüffige, ſchwer⸗ 
fällige und zeitraubende Nebeneinanderarbeiten zweier 
Behörden in einem Verfahren, das die Beitreibung 
der durch eine gerichtliche Entſcheidung einem Schuld⸗ 
ner überbürdeten Koſten bezweckt, iſt durch 8 4 der Be⸗ 
kanntmachung beſeitigt. Das Rentamt, in deſſen Be⸗ 
zirk das Gericht erſter Inſtanz liegt und dem die Bei⸗ 
treibung der Koſten des Strafverfahrens obliegt, hat 
künftig auch die Koſten der Strafvollſtreckung beizutreiben. 
8215 


Die Bekämpfung der e Krankheiten. 
Die Bek. vom 9. Mai 1911 (GBl. 426) über die Be- 
kämpfung übertragbarer Krankheiten, die auf der Srund⸗ 
lage des Art. 67 Abſ. 2 P StGB. für Bayern die recht⸗ 
liche Handhabe zur Bekämpfung der übertragbaren 
nicht im Reichsſeuchengeſetz vom 30. Juni 1900 behan⸗ 
delten Krankheiten bildet, wurde ergänzt durch die Bek. 
des Staatsminiſteriums des Innern über die Bekämp⸗ 
fung der übertragbaren Kinderlähmung (Poliomyelitis 
anterior acuta) vom 5 Januar 1914 (GBl. 2), die 
auch für piece Krankheit eine ähnliche Anzeigepflicht 
ſchafft, wie ſie auf Grund der Bek. vom 9. Mai 1911 
ſchon für eine Reihe von Krankheiten beſteht. Im Zu⸗ 
ſammenhang damit ſteht eine mit Bek. des Staatsmini⸗ 
ſteriums des Innern vom 4. Januar 1914 (GBl. 2) 
erfolgte Ergänzung der Dienſtanweiſung für die Leichen⸗ 
ſchauer, die dieſen die Anzeige von jedem Todesfall 
an dieſer Krankheit zur Pflicht macht. 
3216 


Sprachecke 
des Allgemeinen Dentſchen Sprachvereins. 


oder aber. Eine neue Sprachdummheit iſt jüngſt 
aufgekommen und macht natürlich glänzend Schule. 
„Die Frauen und Mädchen werden gebeten, entweder 
Hüte ohne Rand aufzuſetzen oder aber den Hut in der 
Kirchenbank abzunehmen.“ — „ . . . Unterſchied, ob 
man für ſich arbeitet oder aber für andere Leute um 
Lohn.“ — „Eine Ausfahrt oder ein Spaziergang oder 
aber ein Ritt durch den Tiergarten. — „Ju 
gendein altes, kleines Gaſthaus, oder aber die Wirt⸗ 
ſchaft, die du gewöhnlich beſuchſt.“ — . .. den Störer 
der parlamentariſchen Ordnung vornehm zu ignorieren 
oder aber Gewalt anwenden zu laffen.” — „ . » . ob 
er nur eine Mark oder aber mehr zu bezahlen habe.“ 
— „in Hypotheken oder aber in Staatspapieren ans 
zulegen.“ — „wo das nackte Felsgeſtein offen am Tage 
liegt oder aber in mächtigen Blöcken die Erde bedeckt.“ 
— Auch neue Sätze fängt man ſchon ſo an: „Oder 
aber wir gehen einer allgemeinen Zerſetzung entgegen.“ 
— Und ſo oderabert es ſich heute allenthalben; ein 
alleinſtehendes „oder“ findet man kaum mehr. Was 
das „aber“ bezwecken ſoll, iſt nicht klar; überflüſſig 
iſt es überall, ebenſo wie „auch“, das man ebenfalls 
immer häufiger neben „oder“ findet. Alſo weg mit 
dem Aber und dem Auch! „oder“ allein genügt voll« 
kommen. 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Nr. 4 u. 5 


München, den 20. Februar 1914. 


10. Jahrg. 


Herausgegeben von 


Th. von der Piordten 
K. 1. Staatsanwalt Im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtl:. 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


in Bayern 


Verlag von 
J. Schweitzer Verlag 
(Arthur Seller) 
Künchen, Berlin u. Leipzig. 


(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.) 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats //. 
un Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich : 
Mt. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
jede Poſtanſtalt. 


Nachdruck verboten. 


Zu § 22 Wi. 2 der Grundbuchordnung. 


Von Engen Krafft, Landgerichtspräſident in Landshut. 


Auf S. 381 des vorigen Jahrganges dieſer Zeit⸗ 
ſchrift iſt eine Entſcheidung des Oberſten Landes⸗ 
gerichts abgedruckt, die ſich mit der Frage befaßt, ob 
der Ehemann, der mit ſeiner Frau in vertragsmäßiger 
allgemeiner Gütergemeinſchaft nach BGB. lebt, für 
ſeine Frau wirkſam den Antrag ſtellen kann, daß ſie 
als Miteigentümerin eines Grundſtücks eingetragen 
werde, ehe er noch ſelbſt als Eigentümer eingetragen 
iſt, und ob $ 22 Abſ. 2 GBO. ein Hindernis bildet. 
Die Entſcheidung ſpricht ſich für die Wirkſamkeit 
des Antrags aus. Es ſoll hier nicht unterfucht 
werden, ob das Ergebnis richtig iſt, ſondern nur, ob 
die Begründung der Entſcheidung zutrifft. Meines 
Erachtens erheben ſich dagegen nicht allzuleicht zu 
beſeitigende Bedenken. 

Die Entſcheidung ſagt, die Zuſtimmung der 
Frau ſelbſt zur Eintragung ſei allerdings notwen⸗ 
dig, weil 5 22 Abſ. 2 GBO. entſprechend anzu⸗ 
wenden ſei und nicht eine Verwaltungshandlung | 
des Mannes hinſichtlich des Geſamtguts in Frage 
ſtehe; aber die Zuſtimmung ſei als vorliegend zu 
erachten, weil mit Rückſicht auf die Sachlage als 
offenkundig anzunehmen ſei, daß die Frau den 
Mann zur Erklärung ihrer Zuſtimmung ſtillſchwei⸗ 
gend bevollmächtigt habe. Und dies wird wieder 
daraus geſchloſſen, daß das ganze Intereſſe der 
Frau darauf gehe, daß ſie als Miteigentümerin 
eingetragen werde. 

Die Frage iſt nun nicht, was die Frau bei 
verſtändiger Würdigung der Sachlage tun würde, 
ſondern was ſie wirklich getan hat, nicht alſo, 
ob ſie unter jener Vorausſetzung Vollmacht erteilen 
würde, ſondern ob ſie dem Manne jene tatſächlich 
erteilt hat. Welchen Inhalt ſoll nun dieſe unter⸗ 
ſtellte Vollmacht haben? Gewiß kann ſie nicht eine 
Generalvollmacht ſein, denn zur Annahme einer 


Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a. 
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81 


ſolchen fehlt jeder Anhalt — alſo nur eine Voll⸗ 
macht, beim Grundbuchamt für die Frau zu be⸗ 
antragen, daß die Frau als Miteigentümerin eines 
vom Manne zu erwerbenden Grundſtücks oder un⸗ 
beſtimmter vom Manne zu erwerbender Grunbftüde 
eingetragen werde. Aber die Annahme einer ſolchen 
tatſächlich, wenn auch ſtillſchweigend erteilten 
Vollmacht ſetzt doch vor allem anderen voraus, 
daß die Frau von der Abſicht des Mannes, be⸗ 
ſtimmte Grundſtücke oder irgendwelche Grundſtücke 
zu erwerben, Kenntnis habe, oder ſich dieſe 
Abſicht mindeſtens als möglich vorſtelle. Wenn die 
Frau keine Ahnung davon hat, daß der Mann 
Grundſtücke erwerben wolle, wie ſollte ihr tatſäch⸗ 
licher Wille darauf gerichtet ſein, ihren Mann zum 
Antrag auf Eintragung ihres Miteigentums zu 
bevollmachtigen? Keine Erfahrung des täglichen 
Lebens ſpricht nun aber dafür, daß die Frau, deren 
Mann Grundftüde erwirbt, ſolche Kenntnis immer 
oder auch nur regelmäßig habe. 


Unterſtellt man indeſſen, daß ſie davon Kennt⸗ 
nis habe, woraus iſt zu ſchließen, daß ſie in dieſem 
Falle den Vollmachtswillen habe? Das Oberſte 
Landesgericht ſagt, weil das ganze Intereſſe der 
Frau auf Eintragung ihres Miteigentums gehe. 
Aber entſcheidend iſt doch nicht die objektive 
Sachlage, ſondern die Kenntnis der Frau 
hievon. Erſt wenn dieſe zu bejahen iſt, kann man 
allenfalls ſagen, daß die Frau den Vollmachts⸗ 
willen habe. Wer aber möchte behaupten, daß jede 
Frau ohne weiteres einen richtigen Einblick in die 
Rechtslage habe, die durch die Eintragung ihres 
Miteigentums im Grundbuch geſchaffen wird? Um 
dieſe Rechtslage überblicken zu können, dazu gehört 
ſchon ein tüchtiger Juriſt; ſelbſt der Verfaſſer der 
Motive zum BGB. hat ſie laut der hier beſprochenen 
Entſcheidung nicht völlig überſchaut — wie ſollte 
man das von einer Frau ohne weiteres voraus— 
ſetzen dürfen? Und ſelbſt wenn man dieſe Einſicht 
unterſtellen wollte, ſo lehrt doch die Erfahrung des 


82 


täglichen Lebens und insbeſondere das Rechtsleben, 
daß ſich die Menſchen ſehr häufig keineswegs von 
Gründen der Zweckmäßigkeit und Vernunft be⸗ 
ſtimmen laſſen, ſondern daß fie vielfach — viel⸗ 
leicht ſogar öfter — unzweckmäßig und unvernünftig 
handeln. Und ſodann lehrt die Erfahrung, daß 
ſich die Menſchen auch dann, wenn ſie der letztere 
Vorwurf durchaus nicht trifft, nicht ausſchließlich 
durch Gründe beſtimmen laſſen, die der Rechtslage 
entnommen find, ſondern vielmehr auch durch 
rechtsfremde Beweggründe. Beiſpielsweiſe iſt es in 
einem Falle wie dem hier in Frage ſtehenden ſehr 
wohl möglich, daß eine Frau, obwohl fie einen 
durchaus richtigen Einblick in die Rechtsfolgen der 
Eintragung ihres Miteigentums im Grundbuch 
hat, dieſe doch aus durchaus vernünftigen Gründen 
nicht will, z. B. weil ſie nicht wiſſen laſſen will, 
daß ſie mit ihrem Manne in Gütergemeinſchaſt 
lebe, und befürchtet, daß das durch die Eintragung 
ihres Miteigentums im Grundbuch bekannt werde. 
Man kann ſelbſtverſtändlich hiegegen nicht einwen⸗ 
den, daß derartige rechtsfremde Intereſſen nicht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. b. 


ſchutzwürdig ſind; denn ſelbſt zugegeben, daß das 


der Fall wäre, obwohl es ſich allgemein und im 
vorhinein ſicher nicht ſagen läßt, ſo kommt es nicht 
auf die Schutzwürdigkeit der von der Frau ins 
Auge gefaßten Intereſſen, ſondern ausſchließlich 
darauf an, ob die Frau den Willen der Bevoll⸗ 
mädtigung hat oder nicht; die Frage des Beweg⸗ 
grundes ſpielt hier gar keine Rolle. 

Richtig und durch die Erfahrung des täglichen 
Lebens beſtätigt iſt nun allerdings, daß die Frauen 
in der erdrückenden Mehrzahl der Fälle ihrer Ein⸗ 
tragung als Miteigentümerin im Grundbuch nach⸗ 
träglich zuſtimmen. Aber aus dieſer feſtſtehender⸗ 
maßen nach erlangter Kenntnis der 
Rechtsänderung erfolgten Zuſtimmung folgt 
doch nicht die Voll machtserteilung für eine Hand⸗ 
lung, die erſt in der Zukunft vorgenommen werden 
ſoll und von der gar nicht feſtſteht, daß der Frau 
ihr Bevorſtehen bekannt war. Auch läßt ſich ſehr 
wohl denken, daß die Frau gegen den Erwerb ge⸗ 
weſen iſt und deshalb durchaus nicht gewillt war, 
ihre Zuſtimmung zur Eintragung ihres Miteigen⸗ 
tums zu erteilen und daß ſie erſt nach dem Erwerb 
dahin belehrt worden iſt, daß ihr Widerſtand 
nutzlos ſei. Es kann alſo daraus, daß die Frauen 
nachträglich, wenn perſönlich gehört, ganz regel⸗ 
mäßig zuſtimmen, für die vorliegende Frage nichts 
geſchloſſen werden. 

„Endlich noch eins: Es iſt ein Grundſatz des 
Rechts, daß der Wille für ſich allein nichts bedeutet, 
ſondern nur der nach außen kundgegebene 
Wille. Aus welchen Tatſachen oder Erfahrungs- 
ſätzen will man nun aber für Fälle der vorliegenden 
Art allgemein ableiten, daß die Frau den etwa 
vorhandenen inneren Willen in einer für das Rechts⸗ 
leben ausreichenden Weiſe kundgegeben habe? 
Auch zu dieſer Annahme wird wiederum gehören, 
daß die Frau wenigſtens eine Vorſtellung von dem 


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Vorhaben ihres Mannes gehabt und daß ſie dar⸗ 
aufhin ihrem Willen, daß er ſie in der fraglichen 
Richtung vertrete, in irgendeiner Weiſe ſchlüſſigen 
Ausdruck gegeben hat. Für das eine wie für das 
andere dürfte der Anhalt fehlen. 


— — 


Jechtspflege und Irrenfürſorge. 


Bon Dr. Guſtab Kolb, Direktor der Heil⸗ und Pflege 
anſtalt Erlangen. 


Die Pſychiatrie iſt eine junge Wiſſenſchaft. 
Weit länger als die übrigen mediziniſchen Dis⸗ 
ziplinen hat ſie unter dem Drucke philoſophiſch⸗ 
ſpekulativer Betrachtungsweiſe zu leiden gehabt; 
erſt ſeit wenigen Jahrzehnten hat die exakte pfy⸗ 
chologiſche Forſchung, hat die pathologiſche Ana⸗ 
tomie und haben die Fortſchritte der Serologie 
wirklich wiſſenſchaftliches Arbeiten ermöglicht. 

Die Pſychiatrie hat die Fehler und die Vor⸗ 
züge dieſer Jugend: ein raſches Fortſchreiten, eine 
ſtarke Schaffenskraft ſind die Vorzüge, aus ihnen 
ergeben ſich die Nachteile eines raſchen Wechſels 
der Anſchauungen und einer gewiſſen Unüber⸗ 
ſichtlichkeit; wer außerhalb der Wiſſenſchaft ſteht 
— beſonders der Richter —, wird dieſe Nachteile 
um jo mehr empfinden, als naturgemäß die ein: 
zelnen Pſychiater dieſen Fortſchritten nicht gleich⸗ 
mäßig folgen, ſondern der eine langſamer, der 
andere raſcher. Er wird ſie um ſo ſchwerer emp⸗ 
finden, als faſt jede pſychiatriſche Schule ihre eigene 
verwickelte Namengebung hat, ja zuweilen mit 
gleichen Namen Vorgänge bezeichnet, die von den 
verſchiedenen Schulen als weſensverſchieden auf⸗ 
geſaßt werden. Unter Paranoia verſteht die 
Münchner Schule z. B. elwas ganz anderes als 
die frühere Göttinger und Berliner Schule. 

In praktiſcher Hinſicht bemerken wir eine raſch 
fortſchreitende Entwicklung der Irrenfürſorge, eine 
raſche, in weiten Kreiſen als beängſtigend emp⸗ 
jundene Zunahme der Zahl der in Irrenanſtalten 
verpflegten Kranken, eine Zunahme, die weſentlich 
raſcher erfolgt, als die Zunahme der Bevölkerung.“) 

Dieſes raſche Anwachſen der Krankenziffer hat 
im weſentlichen 4 Gründe: 

1. Die Geiſteskrankheiten nehmen etwas zu. 
Dieſe Zunahme iſt im weſentlichen bedingt durch 
das zunehmende Zuſammenſtrömen der Bevölkerung 
in Großſtädten (Lues, Alkohol, Wohnungsnot, 
Erwerbstätigkeit der Frau)), durch den zunehmenden 
Uebergang von der pſpychiatriſch geſunden land⸗ 
wirtſchaftlichen Tätigkeit zur Induſtrie. 


— 


1) Siehe dazu die Tafel I (Bayern) undjdie Tafel II 
(Mittelfranken) Seite 83. 

) Der Prozentſatz der Erwerbstätigen iſt von 1882 
bis 1907 von 35% auf 39.7% geſtiegen — im weſent⸗ 
lichen durch die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frau. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


Tafel I. Zunahme der in bayerifchen 
verpflegten Geiſteskranken (auf je 1 
Geſamtbevölkerung). 


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Tafel II. Die Zunahme der in den mittelfränkiſchen 
Kreisirrenanſtalten verpflegten Geiſteskranken. 


Ende 1846 1850 1855 1860 1865 1870 1875 1880 1885 1890 1895 1900 14905 1910 
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2. Die Lebensdauer der Geiſteskranken und 
Minderwertigen wird durch die neuzeitliche Irren⸗ 
fürſorge, durch die neuzeitliche ſoziale Geſetzgebung 
verlängert. 

3. Der Hauptgrund ift, daß in zunehmendem 
Maße auch leichtere Fälle unſeren Anflalten zu: 
geführt werden, da der neuzeitliche Verkehr, die 
zunehmende Bevölkerungsdichtigkeit, die verwickel⸗ 


rrenanſtalten 
er 


83 


teren Daſeinsbedingungen, die erhöhten Anforde⸗ 
rungen an die geiſtigen Fähigkeiten, der erſchwerte 
Kampf ums Daſein auch jene geiſtig nicht nor⸗ 
malen Menſchen immer häufiger den Anſtalten zu⸗ 
führen, die früher außerhalb der Anſtalten ge⸗ 
halten werden konnten. 

4. Der vierte Grund iſt darin zu ſuchen, daß der 
zunehmende Wohlſtand geſtattet, die erforderliche 
| Anzahl von Anſtaltsplätzen bereit zu ftellen. 

Daß dieſe Gründe die maßgebenden find, lehrt 
ein Blick auf die gegenwärtige Entwicklung der 
Irrenfürſorge in den verſchiedenen Ländern — die 
Entwicklung der Irrenfürſorge geht im weſent⸗ 
lichen parallel mit jenen oben angegebenen Er⸗ 
ſcheinungen.“) 

Ein Blick auf die Tafel III macht klar, daß 
ſich aus dieſen Verhältniſſen wichtige Folgen für 
die Rechtspflege ergeben müſſen: Nehmen wir an, 
die Psychiater in Galizien, wo auf etwa 2000 
Einwohner ein „ trifft, wollten nach 
denſelben Geſichtspunkten exkulpieren, wie ein Arzt 
in London, wo auf 186 Einwohner ein Anſtalts⸗ 
platz vorhanden iſt. Die Folge wäre, daß in einem 
Jahre ebenſoviele Rechtsbrecher exkulpiert würden, 
als es in Galizien Platze in Irrenanſtalten gibt. 
Entweder müßte man alle Exkulpierten laufen 
laſſen — oder man müßte nur ihretwegen neue 
Anſtalten bauen. Dann aber würde ſich die un⸗ 
natürliche, allem Rechtsempfinden Hohn ſprechende 
Folge ergeben, daß der Verbrecher Irrenanſtalts⸗ 
behandlung erhält, deren Segnungen vielen Tauſenden 
ebenſo der Behandlung bedürftigen, aber nicht ver⸗ 
brecheriſchen Geiſteskranken vorenthalten werden, 
d. h. der verbrecheriſche Geiſteskranke oder Minder⸗ 
wertige würde nur auf Grund ſeines ungeſetzlichen 
Handelns eine Vorzugsſtellung gegenüber dem nicht 
verbrecheriſchen Leidensgenoſſen erhalten. 

Wir haben damit ein wichtiges Geſetz erkannt: 
Die forenſiſch⸗pſychiatriſche Beurtei⸗ 
lung der Rechtsbrecher iſt bis zu einem 
gewiſſen Grade abhängig von dem 
Stande der Irrenfürforge des Landes. 

Daß den Anſtalten in zunehmendem Maße 
auch leichtere Falle zugehen, lehrt die Durchſicht 
der Grundbücher unſerer Anſtalten; in der 1846 
eröffneten Anſtalt Erlangen findet ſich 

1884 zum 1. Male Neuraſthenie, 

1891 zum 1. Male Hyſteriſches Irreſein, 

1898 zum 1. Male Degeneratives Irreſein, 

1900 zum 1. Male Alkoholismus chronicus 
als Diagnoſe. 

Die gleiche Folgerung ergibt ſich aus der Tat⸗ 
ſache, daß die durchſchnittliche Dauer des Auf⸗ 
enthaltes eines in unſere Anſtalten aufgenommenen 
Kranken langſam abnimmt — die in größerer 
Anzahl zugehenden leichter Kranken können im 
Durchſchnitt nach einer kürzeren Behandlungsdauer 
entlaſſen werden. 


) S. Tafel III (Seite 84). 


E: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


Tafel III. Auf je 1000 Einwohner treffen Geiſteskranke in Irrenanſtalten 


222 


York 


ER 


. 


Zur Tafel lll: In den Rubriken „Deutſches Reich“, „Schwelz“, „Oeſterreich“ ftellt die erſte Spalte die Durchſchnittsziffer für das ganze Gebiet dar. 


Dieſer Zugang auch von leichteren Kranken, 
ebenjo wie die allmählich fortſchreitende Anſamm⸗ 
lung von gebeſſerten, beruhigten, aber lebens— 
untüchtig gewordenen Kranken mußte allmählich 
eine Hebung des durchſchnittlichen geiſtigen Standes 
der Kranken zur Folge haben. Das mußte zu— 
nächſt die bauliche Entwicklung unſerer Seren: 
anſtalten beeinfluſſen — an Stelle der alten, durch 
Mauern und Gitter verwahrten, gefängnisähnlichen 
Anſtalt trat faſt überall die moderne Irrenanſtalt: 
freundliche Einzelgebäude, meiſt ohne Gitter, mit 
großem Arbeitsbetrieb, mit der Möglichkeit großer 


Bewegungsfreiheit — an Stelle des mechaniſchen 
Zwanges iſt Arbeit, individuelle Behandlung, Be⸗ 
wegungsfreiheit, Gewöhnung an Recht und Sitte 
getreten. 

In Eglfing und Haar haben Vocke und Neit: 
hardt techniſch, äſthetiſch und in ihren Einzelanlagen 
pſychiatriſch vorbildliche Anſtalten geſchaffen; unter 
der Leitung von Kundt und Haug iſt eine ſchöne 
Anſtalt in Mainkofen entſtanden, unter der Leitung 
Prinzings in Günzburg im Entſtehen begriffen, 
Homburg, Lohr, Wöllershof, Kutzenberg, Ansbach, 
Gaberſee ſind in dieſem Sinne erbaut. Dank einer ziel: 


bewußten Führung hat ſich unſere bayriſche Irren⸗ 
fürſorge in den letzten Jahren in erfreulichſter Weiſe 
entwickelt. 

Für unſer Verhältnis zur Rechtspflege mußten 
ſich aus alledem weſentliche Veränderungen ergeben: 

Während früher nur ein verſchwindend kleiner 
Bruchteil der Inſaſſen einen Geiſteszuſtand auf⸗ 
wies, der ſie noch fähig der freien Willensbeſtimmung 
erſcheinen ließ, iſt der Prozentſatz dieſer Kranken 
in raſch fortſchreitender Zunahme begriffen; wäh: 
rend die Kranken früher peinlich hinter Schloß 
und Riegel verwahrt wurden, trat ein zunehmend 
großer Prozentſatz in Berührung mit der Außenwelt. 
Es gibt Anſtalten, die 50 bis 60/0 ihrer Kranken 
vollkommene Bewegungsfreiheit in dem ja meiſt 
mehrere 100 Tagwerk großen Anſtaltsgebiet, 10 
bis 20 %/o ber Inſaſſen auch außerhalb des Anſtalts⸗ 
gebietes mit oder ohne Begleitung geſtatten.“) 

Während früher unſere Rechtspflege an der 
Schwelle der Irrenanſtalt gewiſſermaßen Halt 
machen konnte, iſt dieſe Schranke gefallen. Jedem 
Kranken, der nicht vollſtändig der freien Willens⸗ 
beſtimmung beraubt iſt, ſteht der Weg zum Richter, 
zum Rechtsanwalt offen. 

Die Vorteile, die unſeren Anftalten aus dieſem 
Verkehre erwachſen, können gar nicht hoch genug 
eingeſchätzt werden. Unſer Perſonal, an deſſen 
Geduld und Hingebung ja oft faſt unerträgliche 
Anforderungen geſtellt werden, fühlt ſich ſtets unter 
der Aufficht des Geſetzes, unſere Kranken werden 
daran gewöhnt, nicht den Weg roher Gewalt, ſon⸗ 
dern den des Rechtes zu gehen; ſie fühlen, daß 
ſie nicht mehr außerhalb des Kreiſes der Geſetze, 
ſondern daß ſie unter dem Schutze des Geſetzes 
ſtehen, dafür aber auch der ſtrafenden Hand des 
Geſetzes nicht unter allen Umſtänden entzogen find. 

Dieſer wachſende Zugang auch von leichten 
Kranken war ebenſo die Urſache als der Ausdruck 
einer Erſcheinung, die für das Verhältnis zwiſchen 
Rechtspflege und Pſychiatrie von größter Bedeu⸗ 
tung war. Die Auffaſſung des Begriffes „Geiſtes⸗ 
krankheit“ iſt in den letzten Jahrzehnten im Volks⸗ 
bewußtſein eine verfeinerte geworden; breite Schichten 
wiſſen, daß man nicht tobſüchtig zu ſein braucht, 
um in eine Irrenanſtalt zu kommen, wiſſen, daß 
unfinniges Benehmen nicht in allen Fallen von 
Geiſteskrankheit dauernd ſofort erkennbar in die 
Erſcheinung tritt. Bis in breite Schichten iſt die 
Erkenntnis gedrungen, daß es geiſtige Störungen 
gibt, welche die geiſtige Gemeinſchaft zwiſchen Ehe⸗ 
gatten mehr trennen als der geiſtige und leib⸗ 
liche Tod. 


9 Ich habe kürzlich einen Herrn, der ſeit über 4 Jahren 
in der Anſtalt iſt, in Begleitung eines Pflegers nach 
München reiſen laſſen, um eine kleine, von ihm in der An⸗ 
ſtalt gemachte Erfindung auszunützen. — An einem Garten⸗ 
feft in dem ½ Stunde von der Anſtalt Erlangen entfernten 
Sieglitzhof konnten 300 Kranke = über / (36%) der Geiſtes⸗ 
kranken der Anftalt Erlangen teilnehmen. — 16% der 
Verpflegten dürfen Spaziergänge außerhalb der Anſtalt 
unternehmen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 85 


Es lag nahe, daß ſich damit auch eine ver⸗ 
feinerte Auffaſſung des juriſtiſchen Begriffes der 
Ausſchließung der freien Willensbeſtimmung, der 
geiſtigen Gemeinſchaft, der Unfähigleit zur Be⸗ 
ſorgung der Angelegenheiten uſw. anbahnen mußte. 
Dieſe verfeinerte Auffaſſung kam zum Ausdruck in 
der Gefeßgebung?), in der Rechtſprechung'), in der 
Zunahme der Fälle, in denen das Vorliegen eines 
zweifelhaften Geiſteszuſtandes erkannt und die pſy⸗ 
chiatriſche Begutachtung angeordnet wurde.) 

Dieſe verfeinerte Auffaſſung entſpricht einer fort⸗ 
ſchreitenden Entwicklung unſeres ganzen Volkslebens 
und iſt von uns allen, beſonders von den Pſychiatern 
aufs Freudigſte begrüßt und gefördert worden. 

Auch unſere Wiſſenſchaft hat aus der Beobach⸗ 
tung der unſeren Anſtalten allmählich zugehenden 
leichteren Störungen eine Fülle von Erfahrungen 
und Fortſchritten geſchöpft — neben den ſchon lange 
bekannten, wenn auch meiſt anders benannten 
ſchweren Geiſteskrankheiten gelang es, weſensgleiche 
Züge auch unter den leichten Störungen zu finden 
und ſie zu kliniſchen Krankheitsgruppen zuſammen⸗ 
zufaſſen. Die verfeinerten Unterſuchungsmethoden 
geſtatteten uns den Nachweis auch leichterer Stoͤ⸗ 
rungen; ſie geſtatteten den ſtrengen Nachweis, daß 
der Rauſch, wiſſenſchaftlich geſprochen, eine vorüber⸗ 
gehende Geiſteskrankheit iſt, die in der Regel er⸗ 
hebliche Störungen mit ſich bringt; ſie geſtatteten 
den Nachweis der pathologiſchen Erſcheinungen bei 
dauerndem Alkoholgenuß. 

Und darin, daß etwa zu gleicher Zeit das Volks⸗ 
bewußtſein eine verfeinerte Auslegung der richter⸗ 
lichen Vorausſetzung des Begriffes der freien 
Willensbeſtimmung und die Wiſſenſchaft eine be⸗ 
trächtliche Erweiterung des wiſſenſchaftlichen 
Begriffes der Geiſteskrankheit brachten, lag eine ge⸗ 
wiſſe Gefahr; die Gefahr, daß nicht nur der Richter 
den Begriff des Ausſchluſſes der freien Willens⸗ 
beſtimmung, ſondern auch der Pſychiater den Be⸗ 
griff der Geiſteskrankheit, der krankhaften Störung 
der Geiſtestätigkeit weſentlich weiter faßt, ſo daß der 
gleiche Gedanke doppelt zur Wirkung gelangt. 

Es lag für den Pſychiater ja nahe, die leichteren, 
kliniſch als Krankheit gut abgegrenzten Zuſtände 
auch forenſiſch als Geiſteskrankheiten zu bezeichnen, 
ja ſogar ſchließlich aus der bloßen Tatſache des 
Nachweiſes pathologiſcher Züge den Ausſchluß der 
freien Willensbeſtimmung zu folgern. 

Die überwältigende Mehrzahl der Piychiater 
hat die darin liegende Gefahr raſch erkannt und 
bald vermieden. 


) Ich erinnere an die Einführung der Entmün⸗ 
digung wegen Geiſtesſchwäche. 

5 erinnere an die erweiterte Ausdehnung des 
Begriffes der Aufhebung der ehelichen Gemeinſchaft. 

1) Ich erinnere daran, daß in Preußen in den 
Jahren 1904 und 1905 durchſchnittlich 457, in den 
Jahren 1906 mit 1908 dagegen durchſchnittlich 576 Fälle 
zweifelhaften Geiſteszuſtandes zur Beobachtung einer 
Irrenanſtalt zugewieſen wurden. 


86 


— 


1215 wurden dabei von folgenden Erwägungen 
geleitet: 

1. Geſetzgeber und Rechtſprechung haben den 
Kreis der Zuftände begrenzt, die wir als krank⸗ 
hafte Störung der Geiſtestätigkeit bezeichnen dürfen. 

2. Die Zahl der Geiſteskranken und pſychopa⸗ 
thiſch minderwertigen Perſonen iſt ſehr groß; wir 
dürfen annehmen, daß in unſeren Kulturländern 
auf mindeſtens 200 Menſchen ein Geiſteskranker 
im engeren Sinne des Wortes, auf mindeſtens 
20 Perſonen eine geiſteskranke oder pſychopathiſch 
minderwertige Perſönlichkeit trifft. London hatte 
1906 auf 185 Einwohner, Irland 1906 auf 188 
Einwohner je einen anſtaltsverpflegten Geiſteskranken. 
Der Kanton Zürich hatte 1911 je einen anſtalts⸗ 
verpflegien Geiſteskranken auf 233, Hamburg 1911 
je einen auf 276, England 1906 je einen auf 
287 Einwohner.“) 

Zu diefen Geiſteskranken kommen die geiſtig ab⸗ 
normen Minderwertigen; wir werden uns ihre Zahl 
am beſten klar machen, wenn wir von der Kind⸗ 
heit ausgehen: Wir haben da 

a) die leicht Schwachſinnigen, die in den Städ⸗ 
ten unſere Hilfsklaſſen bevölkern. Ihre Zahl iſt 
mindeſtens auf 1 zu 100 zu ſchätzen. Sie bilden 
einen Teil der 

b) geiſtig nicht normalen Kinder, deren Koller 
im Kanton Appenzell auf je 23 Kinder eines nach⸗ 
weiſen konnte. Zu dieſen geiſtig nicht normalen 
Kindern kommen im jpäteren Lebensalter hinzu 

c) die Epileptiker, ſoweit die Krankheit nach 
dem Kindesalter beginnt oder offenbar wird und 
nicht zur Anſtaltsbehandlung führt: 

d) die zahlreichen, nicht in Anftalten befind⸗ 
lichen Trinker,) Berauſchten und die Menſchen mit 
pathologiſcher Alkoholreaktion; 

e) die große Zahl der aus den Anſtalten mit 
leichtem Defekt Entlaſſenen und derer, die früher 
leichte Störungen ohne Anſtaltsbehandlung durch⸗ 
machten ;'°) 

f) die große Zahl der durch Greiſenalter oder 
Gefaͤß veränderungen (Schlaganfall) pſychiſch Ge⸗ 
ſchwächten, die nicht in Irrenanſtalten gelangen; 

g) die pſychopathiſch Minderwertigen, ſoweit 
deren Störung im weſentlichen erſt nach Abſchluß 
der Schulzeit hervortritt; 

h) die in Anſtalten untergebrachten Geiſtes⸗ 
kranken, Epileptiker, Schwachſinnigen, Trinker. 

Dabei iſt allerdings zu berückſichtigen, daß die 
Mehrzahl der ſpäter Hinzukommenden aus den 
Kreiſen der nicht normalen Kinder hervorgehen 
wird und daß bei den älteren Schulkindern (unter 
dem Einfluſſe der Geſchlechtsreife) eine möglicher⸗ 
weile ſpaͤter in einzelnen Fällen zurücktretende pſy⸗ 
chopathiſche Minderwertigkeit hervortreten kann. 


2) Siehe dazu die Tafel III (S. 84). 
In Deutſchland mindeſtens 460000, darunter 
20 000 weibliche; auf etwa 40 Männer 1 Trinker. 
10) Ich erinnere an die Fieberdelirien, Alkohol⸗ 
delirien, leichte Störungen im Wochenbett. 


— ——— ꝗöt:Pã——— — — —— — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


Sichere Angaben über die Prozentzahl der 
Minderwertigen, gewonnen durch eine gleichmäßige 
Durchmuſterung der Bevölkerung, beſitzen wir nicht, 
immerhin konnte Cramer nachweiſen, daß ſich in 
Göttingen unter 1000 Studierenden 80 geiſtig 
Minderwertige befanden, d. h. auf 13 Studierende 
1 geiſtig Minderwertiger. Dieſe Prozentziffer gibt 
nur die Minderwertigen wieder, die ſelbſt die 
Sprechſtunde Cramers aufjuchten, vernadjläffigt die 
Zahl derer, welche andere Aerzte zu Rate zogen 
oder nicht zum Arzt gingen. 

Bei der Würdigung dieſer Ziffer iſt zu be⸗ 
rückſichtigen, daß die leichten Schwachſinnszuſtände 
wohl ſchon ausgeſchaltet ſind. Nach Büttner erreichen 
durchſchnittlich nur 20 °/0 der ins Gymnaſium Ein⸗ 
getretenen ihr Ziel. Es iſt ferner zu berüdfichtigen, 
daß es ſich bei den Studenten überwiegend um 
Elemente handelt, die einer Anzahl von Schädlich⸗ 
keiten weniger ausgeſetzt ſind, als der Durchſchnitt 
der Bevölkerung. Andererſeits iſt die Nachwirkung 
der Geſchlechtsreife und die Gefahr der vorwiegend 
einſeitig geiſtigen Betätigung zu würdigen. 

Gegen eine zu weit gehende Ausdehnung der 
Exkulpierung ſprach ferner der Umſtand, daß 

3. die Kriminalität der geiſtig abnormen Per⸗ 
ſönlichkeiten ganz weſentlich höher iſt, als dem 
Durchſchnitte der Bevölkerung entſprechen würde. 
Nach Mönckemöller litten von 200 noch nicht 
25 Jahre alten Zöglingen der Erziehungsanſtalt 
Lichtenberg bei Berlin mehr als die Hälfte an 
angeborenem Schwachſinn. ““) 

Cramer konnte unter 286 Zöglingen von 4 han⸗ 
noverſchen Fürſorgeerziehungsanſtalten 63°/o geiftig 
Abnorme; Rizor unter 789 Fürſorgezöglingen Weſt⸗ 
falens 691 Schwachſinnige; Knecht unter 172 
männlichen Fürſorgezöglingen in Pommern 437%, 
unter 73 weiblichen 66°/o geiſtig Minderwertige; 
Kluge 45—50 % defekte und abnorme Zöglinge; 
Thoma bei 620 badiſchen Zöglingen 51,9 geiftig 
Abnorme nachweiſen. 

Von 1793 entlaſſenen Fürſorgezöglingen der 
Provinz Sachſen haben ſich nur 58% Ä ber männ⸗ 
lichen, 79,4% der weiblichen ſeit 2 Jahren ſtraf⸗ 
frei gehalten. Ende 1908 befanden ſich von den 
in Fürſorgeerziehung befindlichen Jugendlichen in 
Preußen 9,3 eo im Strafvollzug; von der Be⸗ 
völkerung durchſchnittlich 1,3 ß = d. h. Fürſorge⸗ 
zöglinge etwa 7 mal mehr als dem Bevöͤlkerungs⸗ 
Durchſchnitt entſpricht. 

Von 8008 i. J. 1909 der Fürſorgeerziehung 
in Preußen überwieſenen Zöglingen waren 28,9% 
beſtraft, 21,1 °/o mit Gefängnis beſtraft. Für Ber: 
lin entfällt auf 296 Minderjährige zwiſchen 14 und 
18 Jahren bereits ein Fürſorgezögling. 

Bonhoeffer konnte unter 404 Vagabunden 
ein Drittel und unter ca. 190 Proſtituierten 
faſt ein Drittel allein an Schwachſinnigen nachweiſen. 
Unter den 190 von Bonhoeffer unterſuchten Proſti⸗ 


— —— —ä nn 


11) Siehe zum Folgenden Tafel IV (Seite 87). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


Tafel IV. Prozente der Abnormen unter der Bevölkerung, 
den Fürſorgezögling.. 50 Proſtituierten und in 
nſtalten. 


18 fürforgezöglinge froſtituierte 
taten 


der 
ı De und 
Hannes WefrtzenlPamimernl Bogen. |Sor*öfer} Millor] Sichel | An 
AG ; 
| 


Infaßen 


95 


H 
O 


5 


tuierten waren 68% geiftig nicht normal; “Müller: 
Köln fand 80 %% Minderwertige; Sichel⸗Frankfurt 
fand unter 152 Proftituierten 71,7% Perſonen ano: 
malen Geiſteszuſtandes. Andererſeits fand Thomſen 
in England unter 943 Gefangenen nicht weniger 
als 218 = 23,1 %ũ Fälle allein von angeborenem 
Schwachſinn. 

Unter den 3134 Büßern, welche in den 
Jahren 1902 mit 1905 durchſchnittlich in preu⸗ 
ßiſchen Zuchthäuſern untergebracht waren, befanden 
ſich allein durchſchnittlich 768 = 24,7 %% Gewohn⸗ 
heitstrinker und zwar bemerkenswerterweiſe bei den 
Männern 24,4%, bei den Frauen 24,5% , während 
im Bevölkerungsdurchſchnitt der Prozentſatz der 
weiblichen Trinker weit hinter dem der Männer 
zurückbleibt. 

Nach Sichard fanden ſich unter ſeinen Zucht⸗ 
hausſträflingen allein 29,5% Gewohnheitstrinker 
und zwar unter den Brandſtiftern 34%, unter 
den Sittlichkeitsverbrechern 36/0. Eine Durd: 
muſterung der Häftlinge der 3 brandenburgiſchen 
Landesarmen⸗ und Korrigenden anſtalten 
ergab unter 658 Häftlingen 42 Imbezille, 225 
Trinker, 140 Geiſteskranke, 189 = 28,7 % ÿaus⸗ 
geſprochen geiſteskranke, 201 = 30,5 %% 


—— — 4 — ¾l—l———— X— ——— 


87 


pſychopathiſch minderwertige, insgeſamt 
59,2 °/o geiſtig defekte Häftlinge. 

Nach Siemerling finden ſich unter ben ver: 
brecheriſchen Perſouen Geiſteskranke 10 mal ſo 
häufig als im Bevölkerungsdurchſchnitt. 

Nehmen wir das gleiche Verhältnis auch für die 
geiſtig Minderwertigen an, ſo würde auf 20 Rechts⸗ 
brecher ein Geiſteskranker, auf 2 ein geiſtig Minder⸗ 
wertiger treffen. 

Bonhoeffer und Aschaffenburg nehmen an, daß 
ſich unter den Rückfälligen 75% Minderwertige 
befinden — nach unſeren Ausführungen iſt dieſe 
Ziffer ſicher nicht zu hoch, ſie iſt vielleicht noch zu 
nieder gegriffen. 

Wir ſehen alſo, daß in den Kreiſen, aus denen 
erfahrungsgemäß die meiſten Rechtsbrecher hervor⸗ 
gehen, die geiſtigen Defektzuſtände auffallend ſtark 
vertreten ſind und wir ſehen, daß fich unter den 
Beſtraſten ein ſehr hoher Prozentſatz mit Defekt⸗ 
zuſtänden befindet. 

Die große Kriminalität der Berauſchten 
iſt ja allgemein bekannt, ich darf vielleicht nur 
daran erinnern, daß in Bayern über 11°/o aller 
Verurteilungen wegen Verbrechen und Vergehen 
auf Grund von ſtrafbaren Handlungen erfolgen, 
die im Zuſtande der Trunkenheit begangen wurden; 
ich darf erinnern, daß in Bayern von den Verur⸗ 
teilungen wegen ſchwerer Körperverletzung und 
Körperverletzung mit Todesfolge /s, von den 
Verurteilungen wegen Religionsvergehen und wegen 
Widerſtand die Hälfte, wegen e und 
gefährlicher Körperverletzung etwa /s wegen Hand⸗ 
lungen im Zuſtande der Trunkenheit erfolgte.“) 

Ich darf daran erinnern, daß von 249 Gefangenen, 
die 1906 im pommerſchen Bentralgefängnis Gollnow 
untergebracht waren, 170 68,3 / ihre Tat in der 
Trunkenheit oder infolge der Trunkſucht verübten. 

Alle die oben erwähnten Zuſtände, insbeſondere 
auch den Rauſch kann man als Geiſteskrankheit 


12) Aus den Veröffentlichungen der bayeriſchen Juſtiz⸗ 
ſtatiſtik für 1911 und 1912 ergibt ſich folgende Ueberſicht: 


Von den ſtrafbaren 


Verurteilungen 


e. e : e BEE 
überhaupt 76062 8571 
wegen 1 Körper⸗[ 14123 3303 
wegen Religtonsvergehen 71 32 u 
wegen Widerſtands u. dgl. | 1491 609 
0 Sachbeſchädigung 1 2269 651 . 


Dabei iſt zu berückſichtigen, daß dieſe Statiſtik ſich 
auf die Fälle beſchränkt, in denen der Einfluß des Alko⸗ 
holgenuſſes auf die ſtrafbare Handlung im Urteil feit- 
geſtellt wurde. Daneben kommen natürlich zahlreiche 
Fälle vor, bei denen dieſer Einfluß nicht mit Sicher⸗ 
heit ermittelt werden konnte. 


88 


im weiteſten wiſſenſchaftlichen Sinn des Wortes 
bezeichnen; wiſſenſchaſtlich geſprochen kann man bei 
ihnen faſt durchgehends die Fähigkeit zur freien 
Willeusbeſtimmung im weiteſten Sinne des Wortes 
unter den Umftänden, unter denen ſtrafbare Hand⸗ 
lungen vor ſich gehen, zum mindeſten nicht beweiſen. 

Würden wir dieſen wiſſenſchaftlichen Standpunkt 
für die Rechtſprechung annehmen, fo würden die 
gewohnheitsmäßigen Rechtsbrecher bald faſt aus⸗ 
nahmslos, die übrigen zu einem erheblichen Prozent: 
ſatz zu exkulpieren ſein. Praktiſch würde eine ſolche 
allgemeine Exkulpierung kaum andere Folgen haben, 
als daß an Stelle der Strafe eine ſichernde Ver⸗ 
wahrung treten müßte, die Strafanftalten vielleicht 
einen anderen Namen erhalten würden, im übrigen 
aber nach wie vor die Rechtsbrecher aufnehmen 
müßten. 

Wir modernen Pſychiater wünſchen naturgemäß 
auch den zahlreichen anomalen Rechtsbrechern zu 
helfen, wir ſehen aber den einzig möglichen Weg 
zu dieſer Hilfe nicht in der allgemeinen Exkulpierung, 
ſondern in der beſonderen Berückſichtigung im Straſ⸗ 
vollzug. Und damit glauben wir der Allgemein⸗ 
heit wie den pathologiſchen Verbrechern zu dienen: 
der Allgemeinheit, indem wir den tief im Volks⸗ 
bewußtſein wurzelnden Sühnegedanken nicht antaſten, 
den Rechtsbrechern, indem wir ihnen in der Regel 
die zeitlich begrenzte Strafe an Stelle der ſonſt 
zu erwartenden unabſehbaren Verwahrung erhalten. 

Wir meinen, man muß ſich doch ſtets fragen: 
Würden denn unſere pſychiatriſch geleiteten Anſtalten 
genügen, um in ihnen allen in jenem Umfange exkul⸗ 
pierten Rechtsbrechern eine Heilerziehung, eine Heil⸗ 
behandlung zuteil werden zu laſſen? 

Und da müſſen wir ſagen: Unſere Irrenfürſorge 
iſt im Vergleich zu England, Schottland, Irland noch 
quantitativ ſo wenig entwickelt, daß wir auf Jahr⸗ 
zehnte hinaus nicht daran denken können, in großem 
Umfange exkulpierte Rechtsbrecher aufzunehmen. 

Wenn wir in Deutſchland die quantitative 
Anſtaltsfürſorge Englands von 1906 erreichen 
wollen, müſſen wir in Deutſchland 80 000 neue 
Anſtaltsplätze zu den vorhandenen 133000 hinzu 
bereitſtellen; das bedeutet, 1 Krankenbett zu 6000 / 
angenommen, rund 500 Millionen Mark für Bau 
allein, die nur allmählich, im Laufe längerer Jahre 
bereitgeſtellt werden können. 

Man muß ſich weiter fragen, ob wir von einer 
Irrenanſtaltsbehandlung aller anomalen Rechts— 
brecher eine weſentlich größere Beſſerungswahr— 
ſcheinlichkeit in krimineller, eine erheblich beſſere 
Heilungs möglichkeit in medizinischer Hinſicht zu er: 
warten haben würden, als durch den Strafvollzug? 

Auch dieſe Frage iſt — abgeſehen von den 
Jugendlichen — im allgemeinen zu verneinen. 
In dem Alter, in dem die anomalen Verbrecher 
gewöhnlich ſtehen, kann die Anſtaltsbehandlung 
verhältnismäßig ſelten mehr leiſten als der neu: 
zeitliche, ärztlich beratene Strafvollzug, zumal 
die trotz aller Mahnungen immer zunehmende 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


Größe unſerer Irrenanſtalten eine individuelle Be⸗ 
handlung erſchwert. Uneingeſchraͤnkt zuzugeben ift, 
daß ein rückſichtslos und nur unter dem Geſichts⸗ 
winkel des Vergeltungsgrundſatzes geleiteter Straf⸗ 
vollzug für viele pſychopathiſch Minderwertige er⸗ 
hebliche Gefahren in ſich bergen würde. 
Andererſeits birgt auch die Irrenanſtaltsbehand⸗ 
lung für viele pſychopathiſch Minderwertige Gefahren 
und Nachteile in ſich. So, wie die Kranken unſerer 
Irrenanſtalten jetzt beſchaffen ſind und auch auf 
Jahrzehnte hinaus noch ſein werden, ſtehen die 
anomalen Verbrecher ſehr häufig geiſtig weit über 
unſeren übrigen Anſtaltsinſaſſen; dadurch erlangen 
ſie — die im Leben ſich aus eigener Kraft in der 
Regel kaum zu halten vermögen — in der Anſtalt 
eine gewiſſe beherrſchende Stellung, da unter Blinden 
der Einäugige König iſt. Der Krankenhauscharakter 
unſerer Anſtalten bringt es mit ſich, daß Beleidi⸗ 
gungen, Angriffe durch Irrenanſtaltsinſaſſen gegen 
Behörden, Aerzte, Angeſtellte meiſt ohne Gegen⸗ 
wehr hingenommen, vorgebrachte Beſchwerden 
ſtets verfolgt, die Wünſche, ſchon um des lieben 
Friedens willen, nach Möglichkeit erfüllt und die 
Rechtsbrecher ſo in bezug auf Unterkunft, Ver⸗ 
köſtigung, Vergnügungen, Behandlung, Erfüllung 
ihrer Wünſche, geſellſchaftliche Stellung, an An⸗ 
ſprüche gewöhnt werden, die ſie zum Kampfe ums 
Daſein vollends untüchtig machen; ihr meiſt ge⸗ 
hobenes Selbſtgefühl, ihre vielfach vorhandenen 
querulatoriſchen Neigungen ſteigern ſich, das Be⸗ 
wußtſein der ſicheren Straflofigkeit laßt die Hem⸗ 
mungen gegen verbrecheriſche Antriebe ſchwinden. 
Dazu kommt: Da die Pſpychopathen ihre aſo⸗ 
zialen Neigungen auch in der Anſtalt betätigen, 
zu Hetzereien, Komplotten, Fluchtverſuchen neigen, 
können ſie nicht alle dauernd entſprechend ihrem 
geiſtigen Zuſtand in den Abteilungen für leicht 
Erkrankte gehalten werden, die Verpflegung in den 
Abteilungen für ſchwer Kranke aber iſt in der Regel, 
beſonders in alten und überfüllten Anſtalten, für 
Pſychopathen weit ſchlechter als der Aufenthalt in 
einer nach neuzeitlichen Grundſaͤtzen geleiteten Straf⸗ 
vollzugsanſtalt. Zugegeben, daß der Pſychopath 
im Strafvollzug manches ſieht und hört, was nicht 
gut für ihn iſt — in der Irrenanſtalt wird das 
noch öfter der Fall ſein. Endlich ſcheint es, daß 
gerade die unabſehbare und auch durch Wohlver⸗ 
halten nicht ſicher abkürzbare Dauer des Aufent⸗ 
haltes in der Irrenanſtalt für die pſychopathiſchen 
Perſönlichkeiten vielfach etwas ſtark Aufregendes 
hat und ſchlechter vertragen und ſchwerer emp: 
funden wird, als eine zeitlich begrenzte Strafe. 
Nur andeutungsweiſe will ich davon reden, daß 
in einzelnen Fallen der Wunſch nach Exkulpierung 
einen gewiſſen Willen zur Krankheit auslöſen und 
ſo zur Entſtehung von ſog. Situationspſychoſen 
mitwirken, d. h. einen eine echte Geiſteskrankheit 
auslöſenden Umſtand bilden kann. 
Schließlich darf ich nicht unerwähnt laſſen, daß 
es für einen entlaſſenen Gefangenen zwar oft nicht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. b. 


leicht, für einen aus der Irrenanſtalt entlaſſenen 
Rechtsbrecher in der Regel aber noch ſehr viel ſchwerer 
iſt Arbeit zu finden, zumal da bei uns in Bayern 
wohl für entlaſſene Gefangene, nicht aber für ent⸗ 
laſſene Geiſteskranke Fürſorgeeinrichtungen beſtehen, 
zumal da wohl der Gefangene für feine Tätigkeit 
Lohn erhält und ſich beim Austritt im Beſitze einer 
wenn auch kleinen Summe ſieht, nicht aber der An⸗ 
ſtaltsinſaſſe. 

Alles in allem müſſen wir fagen: Für einen 
nicht kleinen Prozentſatz der minderwertigen Rechts⸗ 
brecher iſt der Strafvollzug gut und heilſam. 

Die Mehrzahl der Minderwertigen erträgt den 
Strafvollzug ohne Schaden. Ein Reſt von Minder⸗ 
wertigen erträgt den Strafvollzug, wenn der patho⸗ 
logiſchen Veranlagung bei der Durchführung des 
Strafvollzuges Rechnung getragen wird. 

Vereinzelte Pſychopathen find im Straſpollzuge 
nicht zu halten. 


— SS 


Der Entwurf zum StGB. hat den 
einzigen Weg eingeſchlagen, der allen dieſen Ver⸗ 
hältniſſen Rechnung trägt: 

Er behalt unter genauerer Faſſung die bis⸗ 
herigen Vorausſetzungen fürdie Unzurechnungs⸗ 
fähigkeit im weſentlichen bei, d. h. er erweitert 
den Kreis der zu Exkulpierenden im weſentlichen 
nicht unmittelbar, er erwahnt nur neben der krank⸗ 
haften Störung der Geiſtestätigkeit ausdrücklich die 
Geiſtesſchwäche, deren höhere Grade ſchon jetzt ja 
allgemein als krankhafte Störung der Geiftestätigfeit 
aufgefaßt werden; er verlangt Einſicht oder freie 
Willensbeſtimmung als Vorausſetzungen des ſchuld⸗ 
haften Handelns. Damit aber, daß er die untere 
Altersgrenze für ſchuldhaftes Handeln auf 14 Jahre 
erhöht, geſtattet er dem Richter und dem Pſychiater 
den Begriff beſonders der Geiſtesſchwaͤche weiter zu 
faſſen und er geſtattet nach den Motiven zum Ent⸗ 
wurf auch angeborene pathologiſche Veranlagung in 
größerem Umfange zu berüdfichtigen. 

„Nicht ſchuldhaft handelt, wer zur Zeit der 
Tat wegen Bewußtloſigkeit, wegen krankhafter 
Störung der Geiſtestätigkeit oder wegen Geiſtes⸗ 
ſchwäche unfähig iſt, das Ungeſetzliche der Tat ein⸗ 
zuſehen, oder ſeinen Willen dieſer Einſicht gemäß 
zu beſtimmen.“ 

Als wichtigſte Neuerung aber bringt der Ent⸗ 
wurf die Anerkennung der geminderten Zu⸗ 
rechnungsfähigkeit als obligatoriſchen Straf⸗ 
milderungsgrund, wenn die Fähigkeit aus einem 
der mediziniſchen Gründe in hohem Maße ver⸗ 
mindert war, außer bei ſelbſtverſchuldeter Trunkenheit. 

Todesſtrafe iſt beim gemindert Zurechnungs⸗ 
fähigen ausgeſchloſſen. An ihre Stelle tritt Zuchthaus. 

An Stelle des Zuchthauſes kann Gefängnis 
treten. Es kann auf das geſetzliche Mindeſtmaß der 
Strafart herabgegangen werden. In beſonders 
leichten Fällen kann von Strafe abgeſehen werden. 
Strafverſchärfungen find unzulaͤſſig. 


89 


Bei der Vollſtreckung von Freiheitsſtrafen gegen 
gemindert Zurechnungsſähige iſt deren Geiſteszuſtand 
zu berückſichtigen. Wenn dieſer es erfordert, find 
die Gefangenen in beſonderen Anſtalten oder Ab⸗ 
teilungen unterzubringen. 

Es iſt demnach die Beſtrafung der geiſtig 
Minderwertigen beibehalten, aber es ſind alle Vor⸗ 
kehrungen getroffen, die Möglichkeit einer Schädi⸗ 
gung des Minderwertigen durch die Strafe aus⸗ 
zuſchließen. 

Der großen und überaus unheilvollen Bedeu⸗ 
tung, welche die Trunkſucht und der Rauſch 
für die Kriminalität haben, iſt in einer Anzahl von 
Beſtimmungen Rechnung getragen. 

Selbſtverſchuldete Trunkenheit iſt kein Straf⸗ 
milderungsgrund. Damit iſt die Möglichkeit abge⸗ 
ſchnitten, ſich mildernde Umſtande anzutrinken. Sf 
die Trunkenheit jo ſtark, daß wegen Bewußtlofigkeit 
die Zurechnungsfähigkeit ausgeſchloſſen werden muß, 
ſo entgeht der Täter trotzdem nicht einer Strafe. 

Wer ſich durch eigenes Verſchulden in Trunken⸗ 
heit verſetzt, wird mit Gefängnis bis zu zwei 
Jahren beſtraft, wenn er in der Trunkenheit ein 
Verbrechen begeht, wegen deſſen er nicht be⸗ 
ſtraft werden kann. 

Wer ſich durch eigenes Verſchulden in Trunken⸗ 
heit verſetzt, wird mit Haft oder Geldſtrafe bis zu 
500 M beſtraft, wenn er in dieſem Zuſtand ein 
Vergehen begeht. 

Gegen den Zäter kann, wenn er auch ſonſt 
Neigung zu Ausſchweifungen im Trinken gezeigt 
hat, neben Verweis, Geldſtrafe und Freiheits⸗ 
ſtrafe von nicht mehr als 6 Monaten Wirts⸗ 
hausverbot für die Dauer von 3 Monaten bis 
zu einem Jahre erlaſſen werden. Gegen einen 
trunkſüchtigen Täter, der die Tat in der Trunken⸗ 
heit begangen hat, kann das Gericht neben einer 
Freiheitsſtrafe auf Unterbringung in einer Trinker⸗ 
heilanſtalt erkennen, wenn die Strafe erforderlich 
erſcheint, um ihn an ein geſetzmäßiges und ge: 
ordnetes Leben zu gewöhnen. 

Mit dem Wirtshausverbot, das ja auf dem 
Lande immer eine gewiſſe Wirkſamkeit haben wird, 
vor allem aber mit der Möglichkeit der Unter⸗ 
bringung in einer Trinkerheilanſtalt neben einer 
Freiheitsſtrafe iſt das Uebel an der Wurzel gefaßt 
— zur Strafe tritt die beſſernde und heilende 
Maßnahme ergänzend hinzu. 

Nach unſeren Erfahrungen iſt bei Trinkern 
im Durchſchnitt ein Erfolg nach einjähriger Heil⸗ 
ſtättenbehandlung zu hoffen; iſt nach zweijähriger 
Behandlung ein Erfolg noch nicht eingetreten, ſo 
iſt er in der Regel nicht mehr zu erwarten. 

Dieſen Tatſachen trägt der Entwurf durch Be⸗ 
ſchrankung des Aufenthaltes in der Heilanſtalt bis zur 
Erreichung des Zweckes der Maßnahme, höchſtens 
aber auf die Dauer von 2 Jahren Rechnung. 

Die Erfahrung hat gelehrt, daß der Trinker 
auch nach der Heilſtättenbehandlung häufig rück⸗ 
fällig wird, wenn er nicht an ſeiner Umgebung 


90 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


— . — 


einen Rückhalt hat, wenn ihm nicht in der Furcht Die Erfüllung dieſer zweiten, in ihrem Kerne 
vor erneutem Einſchreiten längere Zeit hindurch durchaus berechtigten Forderung ſcheint kinderleicht, 
wirkſame Hemmungen geſetzt werden. Dieſer Tat⸗ ſie iſt aber unendlich ſchwer. 
ſache trägt die Beſtimmung Rechnung, daß bei Sie iſt verhältnismäßig leicht bei den ausge⸗ 
einer Entlaſſung vor Ablauf von 2 Jahren be: ſprochenen Geiſteskrankheiten, wenngleich auch hier 
ſondere Verpflichtungen auferlegt, die Stellung | aus der häufig vorhandenen Neigung zu Rückfällen 
unter Schutzauſſicht angeordnet, die Entlaſſung ſich Schwierigkeiten ergeben; ſie iſt unendlich ſchwer 
widerrufen werden kann, bis die 2 Jahre um ſind. bei den Grenzzuſtänden. Hier lernten wir Fälle 
Statt Heilſtättenbehandlung kann auch nur Schutz⸗ | kennen, von denen wir jagen mußten: für gewiſſe 
aufſicht verfügt werden. | Gruppen von ſtrafbaren Handlungen ift der Mann 
Gehören die Jugendlichen auch ſtreng ge⸗ verantwortlich, für andere wieder ganz unzurech⸗ 
nommen nicht zur Pſychiatrie, jo mögen doch hier nungsfähig. Wir lernten Faͤlle kennen, in denen 
die vorgeſehenen Beſtimmungen kurz erwähnt werden, der Täter, der ſonſt nur das Bild einer dauern⸗ 
da gerade unter den jugendlichen Rechtsbrechern den Minderwertigkeit zeigte, nach Entdeckung der 
ſich viele Pſychopathen finden und da gerade die Für⸗ Tat oder in der Unterſuchungshaft, oder ein anderer 
ſorge für ſie die größten Beſſerungsausſichten bietet. während der Verhandlung vorübergehend ausge⸗ 
| 
| 


Die untere Grenze für das ſchuldhafte Handeln ſprochene geiftige Störungen zeigte; wir lernten 
iſt auf 14 Jahre hinaufgeſetzt. Falle kennen, in denen ein ſelbſt geringer Alkohol⸗ 
Nicht ſchuldhaft handelt der Jugendliche, wenn genuß, eine gemütliche Erregung hinreichten, die 
er wegen zurückgebliebener Entwicklung oder mangels ſonſt gegebene Zurechnungsfähigkeit auszuſchließen. 
geiſtiger oder ſittlicher Reife unfähig iſt, das Un⸗ Kurz, wir lernten Fälle kennen, deren Zurechnungs⸗ 
geſetzliche der Tat einzuſehen oder — eine ſehr fähigkeit zu verſchiedenen Zeiten, unter verſchiede⸗ 
danker swerte Erweiterung! — ſeinen Willen dieſer nen Umftänden, für verſchiedene ſtrafbare Hand⸗ 
Einſicht gemäß zu beſtimmen. Die Strafe für lungen ganz verſchieden beurteilt werden mußte. 
Jugendliche iſt in der gleichen Weiſe wie für Wann kann man da von Heilung ſprechen? 
Minderwertige zu mildern. Dem Richter iſt ein Wie kann man bei einem ſolchen Pſychopathen 
abſoluter Erſatz der Strafe durch Erziehungsmaß⸗ für längere Zeiträume verſprechen, daß er ſich nicht 
regeln ermöglicht, wenn er dieſe nach der Beſchaffen⸗ mehr gegen das Geſetz verfehlen wird? Und anderer: 
heit der Tat und nach dem Charakter und der bisheri⸗ ſeits — dürfen wir dieſe Menſchen, die vielleicht 
gen Führung des Jugendlichen für ausreichend erachtet. bisher nur kleine Verfehlungen begangen haben. 
Jugendliche Gefangene ſind von Erwachſenen deren Minderwertigkeit in ſehr vielen Fällen 
vollſtändig getrennt zu halten; ſie ſind, wenn ſie unheilbar und dauernd iſt, lebenslänglich ver⸗ 
eine Freiheitsſtrafe von 1 Monat und darüber zu wahren? Dürfen wir ſie vor allem dauernd ver⸗ 
verbüßen haben, in beſonderen, ausſchließlich für wahren, wenn fie durch den Aufenthalt in der 
fie beſtimmten Anſtalten oder Abteilungen unter: Irrenanſtalt geſchädigt werden, wenn fie der An⸗ 
zubringen, in denen fie bis zur Volljährigkeit be: ſtaltsverwahrung mit Nachdruck widerſtreben! 
laſſen werden können. Der Entwurf zum Strafgeſetzbuch bringt eine 
Gegen den für unzurechnungsfähig oder ge- Löſung, welche die Intereſſen der Allgemeinheit 
mindert zurechnungsfähig erklärten Jugendlichen wahrt, ohne dem Pſpchiater die Erfüllung der Pflich⸗ 
können Erziehungsmaßregeln eintreten, wenn dieſe | ten, die wir auch dem pathologiſchen Rechtsbrecher 
erforderlich ſind, um den Jugendlichen an ein geſetz⸗ gegenüber haben, unmöglich zu machen. 
mäßiges Leben zu gewöhnen. Auch kann er ge: Der Schutz der Allgemeinheit iſt ge⸗ 
gebenenfalls nach der Strafe bis zur Dauer von ſichert durch die Beſtimmung, daß das Gericht die 
3 Jahren und nicht über das 21. Lebensjahr hin- Verwahrung des wegen fehlender Zurechnungs⸗ 
aus unter Schutzaufſicht geſtellt werden. Be on oder außer alis Bes 
. eſetzten oder als gemindert zurechnungsfähig Ver⸗ 
Der Umſtand, daß in den letzten Dezennien urteilten nach Abbuͤßung der Strafe in einer öffent⸗ 
recht häufig Exkulpierte einer Irrenanſtalt entweder lichen Heil- und Pflegeanſtalt anordnen kann. 
gar nicht zugeführt oder aus ihr nach kurzer Zeit J 
s . Die Intereſſen des Kranken ſind gewahrt 
ll „ um 1 1 er dadurch, daß dieſe Maßnahme nicht obligatoriſch 
ungen zu begehen, erneut exkulpiert, erneut aufs |; J ; : 
genommen und wieder entlaſſen zu werden, hat it. dadurch, daß ihre Anordnung an die Voraus 
in weiten Kreiſen Beunruhigung hervorgerufen. 12) Dieſe Forderung iſt nichts anderes als die vom 


R Volke unbewußt gefundene Folge der wiſſenſchaftlichen Er- 
: Unter dem Eindrude ſolcher fich vorübergehend kenntnis. daß die Exkulpierung parallel gehen muß der 
hier oder dort häufender, durch Exkulpierte begange⸗ Entwicklung der Anſtaltsfürſorge. Da, wo die Exkul⸗ 
ner Delikte iſt die Forderung aufgeſtellt worden: | pierung der Entwicklung der Anſtaltsfürſorge voraneilt, 
Der geſunde Rechtsbrecher gehört in die Straf- | gelangen Perſonen in unſere Anſtalten, die jo weit über 


mn og: dem durchſchnutlichen geiſtigen Niveau der anderen An 
anftalt, der geiſteskranke aber jo lange in die Irren⸗ an eh: a e lanser Dauetude Werwak: 


anſtalt, bis er geheilt iſt oder nicht mehr zu ver: rung in der Anſtalt unmöglich iſt — und das widers 
brecheriſcher Betätigung neigt.“) ſtrebt dem Rechtsempfinden des Volkes. 


—— 


ſetzung gebunden ift, daß die öffentliche Sicherheit 
dieſe Verwahrung erfordert, dadurch, daß die Ver⸗ 
wahrung nur durch Gerichtsbeſchluß über 2 Jahre 
ausgedehnt werden und zunächſt nur für eine 
raͤumlich begrenzte Zeit verfügt werden darf, nach 
deren Ablauf neuer Gerichtsbeſchluß herbeizuführen 
iſt, und endlich dadurch, daß die Verwahrung durch 
Schutzaufſicht erſetzt werden kann. 

Mit der Schutzaufſicht hat der Entwurf 
zum Strafgeſetzbuch eine Einrichtung vorgeſchlagen, 
die — mutatis mutandis — auch für unſere Irren⸗ 
ſürſorge nicht eine Forderung, ſondern ich möchte 
ſagen, geradezu die Forderung des Tages darſtellt. 

Wie lagen bisher die Verhältniſſe? Der in der 
Irrenanſtalt ſorgfältigſt vor allen Schaͤdlichkeiten 
Behütete war mit dem Augenblicke der Entlaſſung 
vollſtändig auf ſich, auf die eigene Kraft angewieſen — 
ein gewaltiger Sprung, etwa wie von einem Gym⸗ 
naſium, das jeden Wirtshausbeſuch verbietet, zur 
akademiſchen Freiheit. Zugegeben, daß es in vielen 
Gegenden Deutſchlands Hilfsvereine für entlaſſene 
Geiſteskranke gibt, die z. B. in Heſſen, Baden, 
Rheinprovinz vorzügliches leiſten — in Heſſen 
verteilte der Verein 1911/12 36870 M Unter: 
ſtützungen — die genaue Kenntnis des Kranken, 
die ſich die Irrenanſtalt erwirbt, die Machtfülle, 
die ſich in der Irrenanſtalt dem Kranken gegen⸗ 
über verkörpert, kann ein Verein nie beſitzen — 
und uns in Bayern fehlen ſolche Vereine gänzlich. 

Sie zu erſetzen und zu ergänzen, bedürfen wir 
einer von unſeren Anſtalten ausgehenden freiwilligen 
irrenärztlichen Schutzaufſicht; dieſe ermöglicht uns, 
Kranke, die wir nicht in der Anſtalt zurückhalten 
konnen, weil fie nicht gemeingefährlich oder nicht 
entmündigt ſind, zu entlaſſen und trotzdem unter 
einer Aufficht zu behalten, die eine Gefährdung 
der Außenwelt wie des Kranken ausſchließt. Sie 
geſtattet auch dem unbemittelten Kranken nach der 
Entlaſſung ärztlichen Rat, ärztliche Hilfe, ärztlichen 
Rückhalt zu gewähren; ſie geſtattet dem Entlaſſenen 
durch finanzielle Unterſtützung, durch Nachweis von 
Arbeitsgelegenheit über die erſten ſchweren Monate 
nach der Entlaſſung hinwegzuhelfen; ſie ſichert im 
Falle erneuter Erkrankung, im Falle der Nicht⸗ 
einhaltung der vorgeſchriebenen Bedingungen, im 
Falle der Rückkehr zum Alkohol die ſofortige Zurück⸗ 
verbringung in die Anſtalt. Sie ermöglicht es, dem 
Gerichte den ſicheren Nachweis an die Hand zu 
geben, ob der Entlaſſene eine nach der Entlaſſung 
begangene Tat in willensunfreiem Zuſtande be⸗ 
gangen hat; ſie ermöglicht es, Dritte vor der 
Schädigung durch nicht ohne weiteres erkennbare 
Geiſteskranke oder Geiſtesſchwache zu bewahren; ſie 
ermöglicht, rechtzeitig die Entmündigung anzuregen; 
ſie wird vielfach die Verehelichung ſolcher Perſonen 
verhindern, bei denen ärztliche Bedenken beſtehen; 
ſie wird uns allmählich einen Einblick geben in 
die Häufigkeit pſychopathiſcher Erſcheinungen in der 
Bevölkerung; ſie wird uns erleichtern, Fühlung zu 
gewinnen mit anderen nicht in Anſtalten verpflegten 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 91 


Geiſteskranken, mit den Hilfsſchulen, mit der Für⸗ 
ſorgeerziehung, mit der Trinkerfürſorge, mit der 
Antialkoholorganiſation. 

Die Schutzaufſicht wird uns geſtatten, die Bil⸗ 
dung von Unterſtützungsbereinen für entlaſſene 
Kranke zu fördern und mit ihnen wie mit unſeren 
verdienten Amtsaͤrzten Hand in Hand zu arbeiten. 

Von der Schutzaufſicht des Entwurfes zum 
StGB. wird ſie ſich ſtets dadurch unterſcheiden, 
daß ſie eine freiwillige Leiſtung iſt, die nie ohne 
oder gar gegen den Willen der Beteiligten durch⸗ 
geführt werden darf, und dadurch, daß bei ihr der 
Schutz des Kranken die erſte, der Schutz der All⸗ 
gemeinheit erſt die zweite, wenn auch nicht weniger 
wichtige Aufgabe iſt. 

Sicher aber wird die irrenärztliche Schutzauf⸗ 
ſicht wertvolle Fingerzeige geben für die ſeinerzeitige 
Durchführung der geſetzlichen Schutzaufſicht und viel⸗ 
leicht wird ſie einmal einen Beſtandteil der geſetz⸗ 
lichen Schutzaufſicht über geiſtig Anomale bilden. 

Ich habe als erſter in Deutſchland dieſe Schutz⸗ 
aufficht über entlaſſene Geiſteskranke im organi⸗ 
ſatoriſchen Anſchluſſe an die Irrenanſtalt einge⸗ 
führt, übe ſie nunmehr ſeit über 6 Jahren und 
freue mich, daß die Forderung der Schutzauſſicht 
in unſeren Kreiſen raſch Boden gewinnt (Moeli, 
Leppmann, Binswanger, Fiſcher), wenn auch über 
die zwedmäßigfte Art der Ausführung noch nicht 
Einigkeit beſteht. 

In großzügiger und weitblickender Weiſe hat 
unſerer Anſtalt der mittelfränkiſche Landrat für 
1914 faſt 3000 M zur probeweiſen Durchführung 
der Schugauffiht nach dem Antrage des Herrn 
Oberbürgermeiſters Kutzer zur Verfügung geſtellt 
und die Armenpflegen Nürnberg, Fürth und Er⸗ 
langen haben uns im Bedarfsfalle zu weiteren 
Aufwendungen ermaͤchtigt. 

Neben der ſpezialärztlichen Fürſorge für die 
nicht in Irrenanſtalten untergebrachten Kranken 
und Minderwertigen ſind die wichtigſten Ziele 
unſerer Pſychiatrie die Entwicklung der Trinker⸗ 
fürſorge insbeſondere durch den Bau von Trinker⸗ 
beilftätten und die pſychiatriſche Beratung der Für⸗ 
ſorge für die Kinder und Jugendlichen. 

Daß das modernſte Werk der juriſtiſchen Geſetz⸗ 
gebung die Anwendung der Schutzaufſicht in ſo 
weitgehendem Maße vorſieht, daß es die Not⸗ 
wendigkeit der Trinker⸗ und der Jugendfürſorge 
ſo kräftig betont, daß es mit Nachdruck eine Be⸗ 
rückſichtigung der Grenzfälle fordert, daß es piy: 
chiatriſche Geſichtspunkte auch im Strafvollzug mit 
Nachdruck da in den Vordergrund rückt, wo es 
notwendig iſt, bringt auch uns Pſychiater unſeren 
Zielen näher. 

Richter und Arzt, Rechtspflege und Pſychiatrie 
unter ähnlichen Geſichtspunkten gleichen Zielen zu— 
ſtrebend — das iſt das erfreuliche Bild, das uns 
der Entwurf zum Strafgeſetzbuch zeigt. 


92 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


at die Hypothek auf einem im Miteigentum | 
nach Bruchteilen ſtehenden Grundſtücke eine 


Geſamthypothek? 


Bon Dr. Emil Höch ſtädter, Amtsrichter in München. 


Die Frage hat J.⸗R. Stillſchweig⸗Berlin in 
Nr. 1 der JW. 1914 S. 7ff. klar und erſchöpfend 
behandelt. Da ſie in der Praxis der Grundbuch⸗ 
aͤmter und der Vollſtreckungsgerichte nicht ſelten zu 
entſcheiden iſt, empfiehlt ſich ihre Beſprechung auch 
an dieſer Stelle unter Berückſichtigung der Ein⸗ 
richtungen des bayeriſchen Grundbuchweſens. 


Die rechtliche Natur der Hypothek an einem 
im Bruchteilseigentume ſtehenden Grundſtücke hat 
ſchon unter der Herrſchaft des bayeriſchen Hypo⸗ 
thekenrechtes Erörterungen in der Literatur und 
Rechtſprechung veranlaßt. Daß ideelle Anteile an 
Grundſtücken Gegenſtand geſonderter Belaſtung ſein 
können, war trotz des Fehlens ausdrücklicher Be⸗ 
ſtimmungen darüber im Hypothekengeſetze und in 
der Inſtruktion dazu allgemein anerkannt; ) vgl. 
Regelsberger, Bayer. HypRecht, zu 8 44 Anm. 4 
bis 6; Entſch. d. Oberſten LG. ä. S. IX, 103; 
XVI, 342. Dieſer Anſchauung entſprach auch 
Art. 158 SubhO., der in den ideellen Anteil des 
Schuldners an einem Grundſtücke die Zwangsvoll⸗ 
ſtreckung zuließ. Nur bis hieher aber reicht die 
Einigkeit in Literatur und Rechtſprechung; die 
Meinungsverſchiedenheiten beginnen, ſobald die 
Frage nach dem Weſen der Hypothek zu ergründen 
iſt, die auf dem ganzen Grundſtücke oder auf 
mehreren Anteilen ruht. Vorbehaltslos wird von 
keinem Schriftſteller dieſe Hypothek als Geſamt⸗ 
hypothek (Korreal⸗, Verband⸗, Solidarhypothek) 
anerkannt. Becher, Landeszivilrecht (1896) gibt 
im Bd. 1 S. 802 Anm. 13 eine Zuſammenſtellung 
der Literatur über die Frage der Totalhypothek!) 
und fährt dann, im weſentlichen mit Ortenau 
a. a. O. 8 156 Anm. 6 übereinſtimmend, fort: 
„Sind für die Anteile geſonderte Folien errichtet 
und dann noch Hypotheken auf ſämtlichen Anteilen 
beſtellt worden, jo liegen Verbandhypotheken vor.“ 
Es wird damit die Beurteilung der Totalhypothek 
für den einzelnen Fall abhangig gemacht von ihrer 
aͤußeren Erſcheinungsform im Hypothekenbuche, (die 
Einſchreibung erfolgte dort entweder auf den Sonder⸗ 
blättern der Anteile oder auf dem für das ganze 
Grundſtück angelegten Blatte), mithin von einer 
reinen Zufälligkeit, die zu der materiellrechtlichen 


1) Geſondert belaſten konnte aber — ebenſo wie 
nach jetzigem Rechte — den ideellen Teil nur deſſen 
Eigentümer, nicht der Eigentümer des ganzen Grund— 
ſtückes (8 33 HypGG. und die oben zit. Literatur). 

2) Der Ausdruck „Totalhypothek“ ſei im folgenden 
der Kürze halber für die Hypothek auf dem ganzen 
Grundſtücke oder auf mehreren ideellen Teilen beibehalten; 
er findet ſich auch bei Ortenau zu Art. 158 SubhoO. 


ſowie im früheren Preuß. HypRecht; vgl. den Aufſatz bas U 8 ü 
. Seuff Arch. 65858, JW. S. 47315) ganz die gleichen 


von J.⸗R. Stillſchweig. 


Beurteilung der Hypothekrechte nicht die mindeſten 
Beziehungen hatte. 

Dies war der Stand der bahyeriſchen Geſetz⸗ 
gebung, Rechtſprechung und Literatur in ſeinem 
weſentlichen Ergebniſſe, wie ihn das BGB. und die 
GBO. bei ihrem Inkrafttreten vorfanden. Eine 
Entſcheidung in der Frage der Totalhypothek hat 
das neue Recht nicht zur Folge gehabt, der Streit 
der Meinungen ſetzte ſich vielmehr fort und zwar 
im weſentlichen in denſelben Richtungen, die oben 
für das bayeriſche Recht angedeutet wurden, und 
die ſich — vgl. den Aufſatz von Stillſchweig — 
im weſentlichen auch für das Gebiet des preußi⸗ 
ſchen Rechtes herausgebildet hatten. 

Aus der reichen Literatur ſeien hier nur die 
Hauptrichtungen in Kürze angeführt. 

Güthe (GBO. 3. Aufl. Bd. 1 S. 983 Anm. 3), 
der die ganze Literatur über die Totalhypothekfrage 
zuſammenſtellt, läßt die Totalhypothek vorbehalts⸗ 
los als Geſamthypothek gelten; er iſt, ſoviel ich 
ſehe, der einzige Vertreter dieſer Anſicht. 

Staudinger — zu 8 1132 Anm. 4 — vertritt 
die herrſchende Meinung, indem er die Totalhypothek 
nur dann als Geſamthypothek behandelt, wenn die 
Anteile geſondert verpfändet worden ſind. Mit 
ihm geht neben anderen Planck zu $ 1132 1a, 
ferner von den für bayeriſches Recht ſchreibenden 
Schriftſtellern Henle⸗Schmitt zu 8 59 Anm. 2 und 
Meikel, GBO. zu 8 49 Anm. 2 a. 

Der ſoeben kurz umſchriebenen herrſchenden An⸗ 
ſchauung vermag ich mich nicht anzuſchließen, da 
ſie, ganz wie die Literatur zum bayeriſchen Hypo⸗ 
thekengeſetz, ein rein aͤußerliches Merkmal zum 
entſcheidenden Gefichtspunkte der Frage macht. 
Ich faſſe vielmehr — mit Güthe und Stillſchweig 
— die Totalhypothek als Geſamthypothek auf und 
betrachte dieſe Auffaſſung als die notwendige logiſche 
Folge aus der Regelung, die das Recht an ideellen 
Grundſtücksteilen im Geſetze gefunden hat. 

8 1008 BGB. ſpricht vom „Eigentum nach 
Bruchteilen“. Das Geſetz will, wie dieſe Faſſung 
andeutet und wie ſich auch aus den Mot. III, 438 
ergibt, das Eigentum am Bruchteil nicht als eine 
Abart des Eigentumsrechts, als etwas vom Eigen⸗ 
tume Abgeleitetes, ſondern als volles Eigen⸗ 
tum im eigentlichen Sinne betrachtet wiſſen. Auf 
das Miteigentum müſſen darum uneingeſchränkt 
und ohne irgendwelche Umdeutung die ſaͤmtlichen 
für das Eigentum an Grundſtücken geltenden Vor⸗ 
ſchriften Anwendung finden. Aus dieſem Satze 
in Verbindung mit $ 1114 BGB. iſt zu folgern, 
daß, wenn die Miteigentümer, ſei es jeder für 
ſich ſeinen Anteil, ſei es gemeinſchaftlich das ganze 
Grundſtück mit einer Hypothek belaſten, die Hypo⸗ 
thek jeden Anteil ſelbſtändig ergreift, eben weil 
jeder Anteil einen völlig ſelbſtaͤndigen Belaſtungs⸗ 
gegenſtand darſtellt. Soweit befinde ich mich in 
völliger Uebereinſtimmung mit dem Reichsgerichte, 
das in ſeiner Enſcheidung vom 16. Maͤrz 1910 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 93 


— rT̃—— LE, ͤ ́mũœ-wu— —ů—ꝛs—8—ů—ůů3ßv*—ĩ.ꝑ . ů—3—ßK5vK3—H0ͤ bNꝛÄ—“ðñ3⁊˙3rEL———ßxßÄx;˙ f ]¶V.nJu4—ů X— — 4 GE nn mn einen eenacnes ans . —— pP. r——————————— 
——ä—ä—ñ— . . ü.. —-—'—äö . b —öäẽͥ̃bſ—— üä—ẽ . .'. . ...' . ä' . — . . ͤ—p— t. ——ß—ii—— —— nn 


Sätze ausſpricht. Nun macht aber das RG. eine 
völlig unerwartete, m. E. nur aus vorgefaßter 
Scheu gegen die unmittelbare Anwendung der Ge⸗ 
ſamthypothekſätze auf die Totalhypothek erklärbare 
Schwenkung, indem es fortfährt: „- - . - - aller: 
dings nicht in dem Sinne, daß eine Geſamthypothek 
an den Anteilen entſtünde, denn die Hypothek iſt in 
dieſem Falle, wenn auch der Anteil für ſich einem 
Grundſtücke gleichzuſtellen iſt, doch nicht gemäß 
8 1132 an mehreren Grundſtücken ſondern als 
Einzelhypothek an dem einen Grundftüde beſtellt.“ 
Der daran unmittelbar anſchließende Satz: „Aber 
jeder Anteil haftet für die ganze Forderung und im 
Falle der Zwangsvollſtreckung kann der Gläubiger 
in voller Höhe Befriedigung aus dieſem Anteile 
verlangen“ läßt die Ablehnung der Geſamthypothek 
durch das Reichsgericht“) vollends als durchaus 
geſucht und darum wenig überzeugend erſcheinen. 

Meine Auffaſſung von der Totalhypothek als 
Geſamthypothok geſtattet, wie ſchon ihre Begrün⸗ 
dung ergibt, keine Unterſcheidung nach der Ent⸗ 
ſtehungsweiſe. Es liegt vielmehr in allen Fällen 
der Totalhypothek eine Geſamthypothek vor, mag 
die Hypothek von ſaͤmtlichen Miteigentümern in 
einem einheitlichen Rechtsgeſchäfte auf das ganze 
Grundſtück oder mag ſie von den einzelnen Mit⸗ 
eigentümern gleichzeitig oder nach und nach auf 
die einzelnen Anteile gelegt worden ſein,“) oder 
mag endlich die Totalhypothek ſich erſt nad: 
träglich durch Umwandlung des zur Zeit der 
Hypothekeintragung beſtehenden Alleineigentumes 
am Grundſtücke in ein Bruchteilseigentum er⸗ 
geben haben.“) 

Für die Grundbuchführung ergeben ſich aus der 
Behandlung der Totalhypothek als Geſamthypothek 
keinerlei Schwierigkeiten. Die auf mehreren oder auf 


2) Ueber die Frage, ob die Vorſchriften über die Ge⸗ 
ſamthypothek auf die Totalhypothek nicht wenigſtens ana⸗ 
log anzuwenden ſeien, gehen in der Literatur und Recht⸗ 
ſprechung die Anſichten ebenfalls auseinander; ich verweiſe 
vor allem auf die Entſch. des KG. vom 3. Oktober 1911, 
RIA. 11, ſowie auf den Kommentar der Reichsgerichts⸗ 
räte zu 8 1132 Anm. 4 (2. Aufl.). 

Y Ich verweiſe hier nochmals auf die ſchon oben 
angeführte Entſcheidung des KG. vom 3. Oktober 1911, 
in der das Ableiten von Unterſcheidungsmerkmalen aus 
der Faſſung der Belaſtungserklärungen als durchaus 
unhaltbar zurückgewieſen wird. 

8) Dem letztgenannten Entſtehungsgrunde der Ge⸗ 
ſamthypothek entſpricht in der Umkehrung deren En⸗ 
digung durch Wiedervereinigung der Grundſtücksanteile 
in einer Hand Ueber die umſtrittene Frage, ob bei der 
Einſteigerung eines Miteigentumsanteiles durch den 
Eigentümer des anderen Anteiles, der damit Allein⸗ 
eigentümer wird, die Sicherungshypothek nach 8 128 
Zw. auf dem Anteile oder auf dem ganzen Grund⸗ 
ſtücke einzutragen iſt, vergleiche Komm. der RR. zu 81114 
Anm. 4. Zu der weiteren hier auftauchenden Frage. 
ob nach Vereinigung aller Grundſtücksanteile in der 
Hand eines Eigentümers dieſer eine auf Anteilen laſtende 
Hypothek auf den noch hypothekfreien Grundſtücksteil 
ausdehnen kann, vgl. die Ausführungen bei Staudinger 

u 8 1114 Anm. 2, c, d und die dort aufgeführte 
iteratur. Ich halte die bejahende Entſcheidung des RG. 
für rechtlich wohl begründ bar und für durchaus zweckmäßig. 


allen ideellen Teilen beſtellte Hypothek wird entweder 
auf dem Blatte des ganzen Grundſtückes oder auf 
den für die einzelnen Anteile beſonders angelegten 
Blättern vorgetragen, im letzteren Falle unter Be⸗ 
obachtung des 8 49 GBO.; vgl. für das Formelle die 
Vorſchriften der Dienſtanweiſung f. d. G. 88 433; 
220; 190, 172, 173; 346. Da bei Belaſtung 
einzelner Anteile dieſe genau in ihrer Größe um⸗ 
ſchrieben ſein müſſen, wird die beantragte Ein⸗ 
tragung einer Hypothek auf älteren Blättern häufig 
zu einer vorherigen Berichtigung des Grundbuches 
durch Einſchreibung des Anteilsverhältniſſes führen. 
GBO. 8 48; Meikel zu 8 48 Anm. 5 (8 742 
BGB.). | 

Zu unterſuchen iſt nun noch, ob auf dem Ge⸗ 
biete des materiellen Rechtes die Behandlung der 
Totalhypothek als Geſamthypothek zu befriedigenden 
Ergebniſſen führt. Den klaren und erſchöpfenden 
Ausführungen Stillſchweigs in ſeinem mehrſach 
zitierten Auſſatze iſt in dieſer Richtung nicht viel 
hinzuzufügen. 

Der Haupteinwand der Gegner der Geſamk⸗ 
hypothek ſtützt ſich in der Regel auf die Behaup⸗ 
tung: es ſei unbillig, daß dem Glaͤubiger einer 
Einheitshypothek bei Verwandlung des Allein⸗ 
eigentums am Grundſtücke in Bruchteilseigentum 
durch die hier vertretene Anſchauung die Hypothek 
gegen ſeinen Willen in eine Geſamthypothek ver⸗ 
wandelt werde, und es bringe dieſe Verwandlung 
auch den Nachhypothekglaubigern ſowie den Mit⸗ 
eigentümern ſelbſt vielfach unerwartete Nachteile. 
(Den Nachweis ſolcher Härten ſucht u. a., auf 
viele Beiſpiele geſtützt, ein Aufſatz von Dr. M. Leo 
im Gruchots Beitr. Bd. 54 S. 257 ff. zu erbringen.) 
Die Gegner überſehen jedoch bei ihrer Beweis⸗ 
führung, daß es dem Eigentümer (und den Mit⸗ 
eigentümern) eines Grundſtücks jederzeit freiſteht, 
im Wege der amtlichen Vermeſſung mit anſchlie⸗ 
ßender Kataſtrierung und Grundbuchberichtigung 
ohne Zuſtimmung der Hypothekgläubiger das Grund⸗ 
ſtück in mehrere ſelbſtändige Grundſtücke zu zer⸗ 
legen, daß in dieſem Falle die Einheitshypotheken 
auf dem alten Grundſtücke zu Geſamthypotheken 
auf den neugebildeten Grundſtücken werden (un: 
beſtritten!), daß alſo ihr Widerſtand gegen die 
Auffaſſung der Totalhypothek als Geſamthypothek 
die von ihnen für die Beteiligten gefürchteten Nach⸗ 
teile nur dann abwendet, wenn mit der Teilung 
des Eigentumes nicht auch eine geometriſche Teilung 
des Grundſtückes erfolgt, ein Vorgang, der von 
dem Willen der zu Schützenden, wie oben dar⸗ 
gelegt, in keiner Weiſe abhängig, mithin rein zu⸗ 
fälliger Natur iſt. 

Daß die Vorſchrift des 8 1132 BGB. über 
die Geſamthaft, die das Weſen der Geſamthypothek 
ausmacht, auch für die Totalhypothek gilt, wird 
vom RG. ſelbſt — trotz ſeiner Gegnerſchaft gegen 
die hier vertretene Anſchauung — in der mehrfach 
angeführten Entſcheidung vom 16. März 1910 
anerkannt. Vorausſetzung des Rechtes des Gläu— 


94 ö Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


bigers, in den Bruchteil geſondert zu vollſtrecken, 
iſt naturgemäß, von der hier nicht in Betracht 
kommenden zweiten Alternative des 8 864 Abi. 2 
ZPO. abgeſehen, das Beſtehen der Gefamthypothek 
als ſolcher, m. a. W. das Beſtehen von Bruch⸗ 
teilseigentum; in dieſem Umfange wird dieſes Recht 
von ZPO. 8 864 Abſ. 2 (erfte Alternative) aus⸗ 
drücklich anerkannt. Ueber die Anwendung des 
5 112 ZwVG. und der 88 63, 64 dieſes Geſetzes 
vgl. Jaͤckel⸗Güthe, ZzwVG. 4. Aufl. zu den ge: 
nannten Geſetzesſtellen. 

Daß dem formellen Vollſtreckungsrecht das 
materielle Verteilungsrecht des Totalhypothekgläu⸗ 
bigers entſpricht, — BGB. 8 1132 Abſ. 2 — hat 
Stillſchweig überzeugend dargelegt. 

Die Anwendung der übrigen im BGB. ent: 
haltenen Vorſchriften (88 1172 — 1176. 1182) 
auf die Totalhypothek führt zu durchaus befriedi⸗ 
genden Ergebniſſen; auf die durch Beiſpiele er: 
läuterten Ausführungen Stillſchweigs, die keinerlei 
Ergänzung bedürfen, kann hier Bezug genommen 
werden. Als für die Grundbuchpraxis wichtig ſei 
nur der Fall der Anwendung des 8 1173 BGB. 
in der Form, in der er häufig verkommt, an einem 
Beiſpiele erläutert. A und B find zu gleichen 
Bruchteilen Eigentümer eines Grundſtückes und 
zugleich perſönliche Schuldner und Geſamtſchuldner 
einer dieſes belaſtenden Hypothekforderung zu 1000 
Mark: A zahlt von dieſer Hypothek 400 M an 
den Gläubiger C, der in der Form des 8 29 
GBO. Quittung über die Zahlung erteilt und 
Berichtigung des Grundbuches bewilligt; den Be⸗ 
richtigungsantrag ſtellt A. 

Die Anwendung des 8 1173 Abſ. 1 und 2 
mit 8 426 BGB., nach welch letzterer Vorſchriſt 
der Schuldner A vom Schuldner B in der halben 
Höhe des von ihm an den Gläubiger gezahlten 
Betrages Erſatz verlangen kann,“) ergibt folgende 
künftige Belaſtung des Grundſtückes: 


Anteil des A Anteil des B 


I. 600 600 M 
II. 200 M 200 M 
III. 200 A — 


J. Iſt die Reſtſorderung des Gläubigers C 
(vgl. 8 1176), II. iſt Eigentümerhypothek des A, 
III. iſt Eigentümergrundſchuld des A; I. und II. 
ind Total-(Geſamt⸗ Hypotheken. Als unbefrie: 
digend kann dieſes Ergebnis ſicher nicht bezeichnet 
werden; zuzugeben iſt den Gegnern nur, daß es 
ſehr unüberfichtlihe und ſchwer zu faſſende Ein: 
träge im Grundbuche notwendig macht. 

Der Anwendung der Satze des BGB. über 


5 f 0 t I 
bie Gefamtbypothef auf die Totalbppothek entſpricht Höhegrad erreichte die Agitation im Jahre 1909, als 


die Behandlung der Totalhypothek als Geſamthypo— 
thek auch im Zwangsverſteigerungsverfahren; über 
den Stand der Literatur zu dieſer Frage berichtet 
die Einleitung des oben angeführten Aufſatzes bei 
Gruchot 54 *. Weder bei der Feſtſetzung des 


u Bol. hierzu IDR. Bd. 10 S. 395 f. 


geringſten Gebotes noch bei der Regelung des Aus⸗ 
gebotes (Einzelausgebot und Geſamtausgebot) noch 
bei der Verteilung des Erlöſes führt die Heran⸗ 
ziehung der die Verſteigerung geſamtverhaſteter 
Grundſtücke betreffenden Vorſchriften zu irgend⸗ 
welchen weſentlichen Schwierigkeiten oder zu Här⸗ 
ten für die Beteiligten. Es wird deshalb auch faſt 
ausnahmslos in der Literatur des Zwangsverſteige⸗ 
rungsrechtes die mindeſtens analoge Anwendung 
der Geſamthypothekvorſchriften auf die Totalhypo⸗ 
thek vertreten. 

Ebenſowenig wie im Zwangsverſteigerungsrechte 
führt die von mir vertretene Auffaſſung der To⸗ 
talhypothek auf dem Gebiete des in der ZPO. 
geregelten Immobiliarvollſtreckungsrechtes (ZPO. 
83 864 871) zu Erſchwerungen oder Unbillig⸗ 
keiten. Dies gilt inſonderheit für die Anwen⸗ 
dung des § 867 Abſ. 2 ZPO. Beſteht Bruchteil⸗ 
eigentum und begehrt der Glaͤubiger auf Grund 
eines gegen alle oder mehrere Miteigentümer ge⸗ 
richteten Vollſtreckungstitels eine Zwangshypothek 
auf allen oder auf mehreren Anteilen, ſo wird die 
ſeinem Antrage entſprechende Hypothek allerdings 
eine Geſamthypothek; allein in dieſer Form, d. h. 
als Hypothek am Grundbeſitz mehrerer Schuldner, 
iſt die Zwangshypothek als Geſamthypothek zuläſſig 
(herrſchende Meinung, vgl. Gaupp⸗Stein zu 8 867 
Anm. V, 3); beſteht Alleineigentum am Grund⸗ 
ſtücke, jo wird die Zwangshypothek Einheitshypo⸗ 
thek auch dann, wenn die Bruchteile eines ehe⸗ 
maligen Miteigentumes infolge geſonderter Be⸗ 
laſtung noch eine gewiſſe Selbſtändigkeit haben, es 
kommt alſo in dieſem Falle $ 867 Abſ. 2 über: 
haupt nicht in Frage. 


Kleine Mitteilungen. 


Die Verhältniſſe der bayerifhen Notariatsgehilfen. 
Die Verhältniſſe des Kanzleiperſonals unſerer Nota⸗ 
riate ſind in den letzten Jahren fortgeſetzt Gegenſtand 
öffentlicher Erörterungen geweſen. Zwar hat die Staats⸗ 
regierung ſchon im Jahre 1902 und in der Folgezeit 
eingehende Vorſchriften über die Beſchäftigungszeit, 
Beurlaubung und die ſonſtigen Verhältniſſe der Ge⸗ 
hilfen erlaſſen, insbeſondere auch für minderjährige 
ein Mindeſtgehalt von 600 M, für volljährige ein ſolches 
von 900 M vorgeſchrieben. Aus der Behördeneigen⸗ 
ſchaft des Notariats leiteten die Gehilfen jedoch den 
Anſpruch ab, als Beamte in den Staatsdienſt über⸗ 
nommen und vom Staate beſoldet zu werden, einen 
Anſpruch, der natürlich unbefriedigt bleiben muß. ſo⸗ 
lange nicht die Notariate ſelbſt verſtaatlicht ſind. Den 


mit dem Inkrafttreten des Beamtengefetzes die Ge⸗ 
hälter der Staatsbeamten eine zum Teil nicht uner⸗ 
hebliche Erhöhung erfuhren. Aus der weiteren Ent⸗ 
wicklung mag folgendes von Intereſſe ſein. 

J. Um den fortgeſetzten Klagen über unzureichende 
Gehälter den Boden zu entziehen, wurden die Nota: 


riatskammern erſucht, ſelbſt die Gehaltsverhält⸗ 


Zeitſchrift ſür Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 95 


niſſe zu regeln und ſie tunlichſt den Gehaltsverhält⸗ 6. Nach oben ift der Notar bei der Gehaltsregce⸗ 
niſſen der Gerichtsbeamten anzugleichen. Dieſer An⸗ lung nicht gebunden; nach wie vor können ſich die Ge⸗ 
regung haben die Notariatskammern im Sommer v. J. hilfen durch beſonderen Fleiß und beſondere Tüchtig⸗ 
in durchaus befriedigender Weiſe entſprochen. Unter leit einen höheren Gehalt verdienen. g 
ihrer Leitung haben ſich die Notare auf folgende Grund⸗ Einzelne Mängel und Unvollkommenheiten, die 
ſätze geeinigt. dem großzügig aufgebauten Werke noch anhaften, werden 
1.x Den volljährigen Gehilfen wird künftig grund⸗ ſich in nicht zu ferner Zeit beſeitigen laſſen, ſobald 
ſätzlich ein Mindeſtanfangsgehalt von 1200 M, nach weitere Erfahrungen geſammelt find. Jedenfalls kann 
15 Dienſtjahren ein Mindeſtgehalt von 2250 M gewährt. man ſchon heute ſagen, daß die Notare mit dieſer Rege⸗ 
Der Gehalt wird alle 3 Jahre um 150 M erhöht, bis lung in der Hauptſache alles getan haben, was von 
ein Endgehalt von 3150 M erreicht wird. ihnen unter den obwaltenden Verhältniſſen billiger⸗ 
2. Die Zahlung eines Gehalts in dieſer Höhe ſetzt weiſe verlangt werden kann. Ich habe dieſe auf kolle⸗ 
voraus, daß die Erträgniſſe des Notariats es geſtatten gialer Vereinbarung beruhende Ordnung der Verhält⸗ 
alle Vorrückungen zu zahlen und daß überdies auch niſſe, die auch von den Gehilfen dankbar anerkannt 
die Leiſtungen der Gehilfen derart find, daß fie alle wird, an anderer Stelle als eine ſoziale Tat be 
Vorrückungsbeträge beanſpruchen können. zeichnet; ich kann dieſes Wort nicht laut und deutlich 
3. Die Leiſtungsſähigkeit des Notars wird in der genug wiederholen. 
Weiſe begrenzt, daß jeder Notar für Gehilfengehälter II. Mit den Gehaltsverhältniſſen haben auch die 
als Höchſtbetrag nur einen beſtimmten Prozentſatz Penſionsverhältniſſe der Gehilfen eine weſent⸗ 
ſeines Roheinkommens aufzuwenden braucht und zwar liche Verbeſſerung erfahren. Bisher haben die Nota⸗ 
bei einem Roheinkommen von riatsgehilfen von ihrem Penſionsverein Penſionen be⸗ 
7 000 — 10 000 M bis zu höchſtens 18%, zogen, die einem Drittel der Beamtenpenſion gleich⸗ 
10 001 13 000 1 „ „ x 22% kommen. Die Penſionen wurden aus der Staatskaſſe 
13 001 — 16 000 M „ „ u 24%, durch fortlaufende Unter haltsbeträge in der Höhe von 


16 00122 000 „ „ „ 25%, ½ ôder entſprechenden Beamtenpenſion ergänzt, fo daß 
22 00125 000 M „ „ „ 286%, die Geſamtverſorgung eines Gehilfen tatſächlich einer 
25 00130 000 „ „ „„ 28 vollen Beamtenpenſion gleichkam. Die vom Penſions⸗ 
30 001 —45 000 M 5 „ 30%, verein bezogene Penſion durfte jedoch den Betrag von 


Notare mit einem Roheinkommen von weniger als 525 M, der aus der Staatskaſſe gewährte Unterhalts- 
7000 M werden durch die Regelung überhaupt nicht | betrag den Betrag von 1050 M nicht überſchreiten, fo 
betroffen; für Notare mit einem Roheinkommen von daß der Höchſtbetrag der Geſamtverſorgung ſich nur 
mehr als 45000 M iſt ein Höchſtaufwandsbetrag nicht | auf 1575 M berechnete. 
feſtgeſetzt, ſie gewähren in jedem Falle ihren Gehilfen | Der Penſionsverein wurde nun in der Weiſe aus⸗ 
wenigſtens die Gehälter, die fie nach ihrem Dienſt⸗ geſtaltet, daß die Gehilfen künftig von ihm die ganze 
alter beanſpruchen können. Veerſorgung als Penſion beziehen, die nach Maßgabe 
Soweit die Erträgniſſe eines Notariats es nicht | des Beamtengeſetzes berechnet wird. Der Höchſtbetrag 
geſtatten, die dem Gehilfen zukommenden Vorrückungen der Geſamtverſorgung wurde von 1575 M auf 1800 M 
zu gewähren, wird auf zweifache Weiſe Abhilfe geſchaffen: erhöht. Auch die Witwen und Waiſen der Gehilfen, 
a) Durch ein von den Notariatskammern einge⸗ die bisher nur geringfügige Penſionen vom Penſions⸗ 
richtetes Stellenamt, deſſen Führung dem Notariat verein erhielten, haben künftig Anſpruch auf Penſionen 
Oettingen übertragen iſt, ſoll es jedem Gehilfen er⸗ in der Höhe der Beamten⸗Witwen⸗ und Waiſenpen⸗ 
| 


möglicht werden, eine Stelle zu erhalten, auf welcher ſionen. Doch darf die Witwenpenſion zunächſt den Be⸗ 
ihm weitere Vorrückungen gewährt werden können. trag von 600 M nicht überſchreiten, während die Waiſen⸗ 
b) Wenn einem Gehilfen die Erreichung einer | penfion nur bis zum 18. Lebensjahre gewährt wird. 
Stelle mit weiteren Vorrückungen im Gehalte nicht Daß die Hauptlaſt des Penſionsvereins von den 
rechtzeitig oder überhaupt nicht gelingt, wird ihm wenig⸗ Notaren getragen wird, ſei nur nebenbei erwähnt. 
ſtens die Hälfte des Unterſchieds zwiſchen dem ihm III. Damit zu all dem auch der äußere Glanz 
nach ſeinem Dienſtalter zukommenden Gehalt und ſeinem nicht fehle, wurde einem lange gehegten Wunſche der 
wirklichen Gehalt aus einer von den Notariatskammern Gehilfen entſprechend auch die Titelführung ge⸗ 
gegründeten Kaſſe als Zulage gewährt. regelt. Auf Grund allerhöchſter Entſchließung vom 
4. Bezüglich der Leiſtungsfähigkeit der Gehilfen 24. Dezember 1913 wurde geſtattet, daß die Notariats⸗ 
wird unterſchieden zwiſchen Gehilfen, die ſelbſtändig gehilfen vom vollendeten 23. Lebensjahre an den Titel 
zu arbeiten vermögen und ſolchen, die im weſentlichen eines Notariatsaſſiſtenten und, wenn ſie nach Vollen⸗ 
nur mit mechaniſchen Arbeiten, reinen Schreibarbeiten, dung des 21. Lebensjahres 15 Jahre als Gehilfen tätig 
Botengängen uſw. betraut ſind. Während die ſelbſtän⸗ geweſen ſind und ſelbſtändig zu arbeiten vermögen, den 
digen Gehilfen nach 15 Dienſtjahren von 1800 M ſofort Titel eines Notariatsbuchhalters führen. Die Führung 
auf 2250 M vorrücken, ſteigen die unſelbſtändigen Ge- des Titels iſt grundſätzlich nur mit Genehmigung des 
hilfen von 1800 M zunächſt auf 1950 M und erreichen Notars zuläſſig. Die Genehmigung darf nur erteilt 
mit 2100 M ihren Höchſtgehalt. | werden, wenn das dienſtliche oder außerdienſtliche Ber: 
5. Um den Uebergang zu erleichtern und den Ver⸗ halten des Gehilfen tadelfrei iſt. 
hältniſſen der Gerichtsſchreibereibeamten Rechnung zu | Ausnahmsweiſe dürfen den Titel Notariatsbuch— 
tragen, wurde der derzeitige Höchſtgehalt für einen halter aber auch diejenigen Notariatsgehilfen führen, 
ſelbſtändigen Gehilfen zunächſt auf 2550 M, der Höchſt⸗ die nach der Vollendung des 21. Lebensjahres wenig⸗ 
gehalt für einen unſelbſtändigen Gehilfen auf 1800 1 ſtens 12 Jahre Gehilfen find, tatſächlich die Stelle 
und der nächſte Vorrückungstermin auf 1. Juli 1916 eines erſten Gehilfen verſehen und vorzügliche Dienit: 
jeſtgeſetzt. leiſtungen aufzuweiſen haben. Die Genehmigung zur 


* 


Führung des Titels in die ſem Falle hat ſich das Juſtiz⸗ 
miniſterium vor behalten. 

Nicht unerwähnt darf ſchließlich bleiben, daß die 
Notariatsgehilſen ſeit dem vorigen Jahre auch an den 
allerhöchſten Ordensauszeichnungen teilnehmen. 

Damit hat auch das Dienſtver hältnis der Gehilfen 
nach außen und ihre ſoziale Stellung an Anſehen und 
Feſtigkeit gewonnen. So können die Gehilfen mit 
Befriedigung auf das zurückblicken, was ſie für ſich 
und ihren Stand erreicht haben. Mit Befriedigung 
dürfen aber auch die Notare ihr Werk betrachten, das 
in ehrender Weife Zeugnis ablegt für ihr ſoziales 
Empfinden und ihr Standesbewußtſein und das be⸗ 
weiſt, daß die Notare die Zeichen der Zeit verſtanden 
haben und gewillt find, das Notariat in feinen Grund- 
feſten zu ſichern. 

Miniſterialrat H. Schmitt in München. 


Hinderung des Vollzugs ungeſetzlicher Strafen durch 
richterliche Entſcheidung. Dieſer Grundſatz (vgl. dieſe 
Zeitſchrift 1913 S. 296) iſt jüngſt wieder in zwei richter⸗ 
lichen Entſcheidungen vertreten worden. | 

1. Der Angeklagte E. wurde am 23. September 
1913 vom Schöffengericht bei dem Amtsgericht A. 
wegen Körperverletzung zu einem Monat Gefängnis 
verurteilt. Die Strafe wurde durch die Amneſtie vom 
5. November 1913 erlaſſen. Am 6. November 1913 
hatte ſich E. vor dem Schöffengericht bei dem Amts⸗ 
gericht E. wegen Körperverletzung zu verantworten 
und er wurde hiewegen zu acht Monaten Gefängnis 
verurteilt. Da dem Gericht bei Erlaſſung des Urteils 
der Gnadenerlaß vom 5. November 1913 noch nicht 
bekannt war, wurde nach 8 79 StGB. unter Eins 
rechnung der am 23. September 1913 verhängten 
Strafe von einem Monat eine Geſamtſtrafe von acht 
Monaten vierzehn Tagen Gefängnis ausgeſprochen. 
Das Urteil wurde rechtskräftig. 

Nach dem Antrag des Amtsanwalts erließ das 
Amtsgericht E. auf Grund des 8 490 StPO. Beſchluß 
dahin, daß die Straſvollſtreckung aus dem Urteil vom 
6. November 1913 nur bezüglich der Gefängnisſtrafe 
von acht Monaten zu geſcheben habe, weil die ein⸗ 
gerechnete Strafe von einem Monat Gefängnis bereits 
erlaſſen war, als das auf die Geſamtſtrafe lautende 
Urteil gefällt wurde. 

2. Am 11. November 1913 wurde vom Land⸗ 
gerichte L. der Angeklagte S. wegen Betrugs i. R. 
zu drei Monaten Gefängnis verurteilt und unter Zu⸗ 
ſammenfaſſung mit einer Gefängnisſtrafe von acht 
Tagen, die am 23. April 1913 vom Schöffengericht bei 
dem Amtsgerichte R. ausgeſprochen worden war, wurde 
auf eine Geſamtſtrafe von drei Monaten zwei Tagen 
erkannt. Die Gefängnisſtrafe von acht Tagen war 
aber durch die Amneſtie vom 5. November 1913 er: 
laſſen geweſen. Als es zur Vollſtreckung des Urteils 
vom 11. November 1913 kam, erhob der Staatsanwalt 
Einwendungen nach 8490 StPO. und auf feinen Antrag 
ſprach das Landgericht aus, daß die Strafvollſtreckung 
aus dem Urteil nur bezüglich des Betrages von drei 
Monaten ſtatthaft ſei, da wegen Erlaſſes der acht 
tägigen Gefängnis ſtrafe die Bildung einer Geſamtſtrafe 
unzuläſſig war und jede Strafvollitredung, die ſich 
unmittelbar oder mittelbar auf die Verurteilung vom 
23. April 1913 gründet, ungeſetzlich und unzulaäſſig ſei. 

Dieſe Fälle zeigen aufs neue, daß die ausdehnende 


Zeitſchriſt für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


Auslegung des 8 490 StPO geeignet iſt, ein dringendes 
Bedürfnis der Rechtspflege zu befriedigen. Es iſt klar, 
daß eine erlaſſene Strafe nicht vollzogen werden darf, 
auch wenn ſie mit einer anderen Strafe zu einer 
Geſamtſtrafe verbunden iſt. Keine Straſvollſtreckungs⸗ 
behörde würde dies tun. Die Frage iſt nur, auf welche 
Weiſe abgeholfen werden kann. Die Vorausſetzungen 
der Wiederaufnahme des Verfahrens ſind nicht gegeben. 
Daß die Begnadigung in den Fällen der Sachlage 
nicht entſpricht, in denen der Verurteilte ein gutes 
Recht auf Schutz gegen ein offenbares Verſehen und 
eine ſachlich ungeſetzliche Strafvollſtreckung hat, iſt 
bereits früher in dieſer Zeitſchrift bemerkt worden. 
In den vorliegenden Fällen hätte ſogar eine im Gnaden⸗ 
weg erlaſſene Strafe nochmals aus Gnade erlaſſen 
werden müſſen. Dagegen eröffnet die neue Auslegung 
des 8 490 StPO. einen klaren, einfachen, zweckmäßigen 
Weg, auf dem dem Recht in allſeits befriedigender 
Weiſe Genüge geſchehen kann. Dieſe Auslegung kommt 
dem Verurteilten, dem beteiligten Gerichte, das zu ſeiner 
Genugtuung ein Verſehen ſelbſt verbeſſern kann, und 
dadurch der Rechtspflege im allgemeinen durch Er⸗ 
höhung ihres Anſehens zu gute. 
I. Staatsanwalt Weber in Landshut. 


Die Zertrümmerung der im Zwangswege erworbenen 
Landanweſen durch Güterhändler. Gegenüber den Aus⸗ 
führungen von R. A. Dr. Theilheimer in Nr. 23/1913 
dieſer Zeitſchrift, wonach das Güterzertrümmerungs⸗ 
geſetz vom 13. Auguſt 1910 auf die im Zwangsweg erwor⸗ 
benen Anweſen keine Anwendung finden ſolle, erlaube 
ich mir, darauf hinzuweiſen, daß ich in Nr. 6/1913 der 
Zeitſchrift für das Notariat in Bayern die gegenteilige 
Anſicht vertreten und zu begründen verſucht habe. 
Meine Begründung ſtützte ſich hauptſächlich auf die 
folgende Erwägung: 

Der Güterhändler hat das im Zwangswege ein⸗ 
geſteigerte Anweſen wenn auch nicht unmittelbar, ſo 
doch mittelbar durch ein Rechtsgeſchäft unter Le⸗ 
benden erworben, nämlich durch ſein Gebot, das den 
Zuſchlag an ihn ausgelöſt hat.) Ein Geſetz, das ans 
erkanntermaßen die Abſicht hat, die Güterzertrüm⸗ 
merungen einzuſchränken, darf nicht ſo ausgelegt werden, 
daß in einer nicht geringen Anzahl von Fällen ſeine 
Anwendung an einer, übrigens nicht einmal unbe⸗ 
ſtrittenen Begriffsbeſtimmung ſcheitert, und daß für 
die Beteiligten ein Weg geöffnet wird, auf dem ſie 
ohne beſondere Schwierigkeiten die Vorſchriften des 
Geſetzes umgehen können. 

Man kann in der Tat auch nicht einſehen, warum 
der den Güterzertrümmerungen ſo abgeneigte Geſetz⸗ 
geber gerade dieſe Art des Erwerbes hätte privilegieren 
wollen. Höchſtens das könnte man allenfalls, wenn 
auch nicht aus dem Geſetzestext, ſo doch aus den amt⸗ 
lichen Motiven zum Entwurf (Beil Bd. IX Nr. 852 der 
Vhdl. d. K. d. Abg. i. J. 1909/1910) herausleſen, daß 
der Erwerb im Zwangsverſteigerungsverfahren dann 

1) Anm. des Herausgebers: Ich halte dieſe 
Begründung nicht für zutreffend. Es iſt ſchon zweifel— 
haft, ob das Gebot in der Zwangsverſteigerung über— 
haupt ein Rechtsgeſchäft iſt. Jedenfalls iſt es aber 
nicht der Rechtsgrund für den Eigentumserwerb des 
Erſtehers. Der Rechtsgrund iſt der im Zuſchlags— 
beſchluſſe verkörperte Prozeßvorgang. Iſt der Zu— 
[lag rechtskräftig, jo kommt es auf die Gültigkeit 

es Gebots nicht mehr an. 


nicht unter das Geſetz fällt, wenn ihn der Güter⸗ 
händler außerhalb ſeines Geſchäftsbetriebs betätigt 
hat. Doch auch mit dieſer Einſchränkung iſt die Privi⸗ 
legierung nicht zu halten; denn es wäre dann nicht 
erklärlich, warum die Privilegierung nicht auch Platz 
greifen ſollte in den Fällen, in welchen der Güter⸗ 
händler ein Anweſen unmittelbar durch ein Rechts⸗ 
geſchäſt unter Lebenden außerhalb ſeines Geſchäfts⸗ 
betriebs (3. B. durch Annahme an Zahlungsſtatt für 
ein außerhalb des Geſchäftsbetriebs gewährtes Dar⸗ 
lehen) erworben hat. 

Ich komme demgemäß zu dem Schluß: Sowohl 
beim Erwerb eines Anweſens im Zwangsverſteigerungs⸗ 
verfahren, wie bei der Zertrümmerung des ſo er⸗ 
worbenen Anweſens finden die Vorſchriften des Güter⸗ 
zertrümmerungsgeſetzes Anwendung mit der aus dieſem 
Geſetz ſelbſt ſich ergebenden Einſchraͤnkung, daß das 
Vorkaufsrecht nach Art. 1 mit der A' izeigepflicht nach 
Art. 2 und das Rücktrittsrecht nach Art. 5! wegfallen, 
und zwar das Vorkaufsrecht auf Grund des gemäß 
Art. 41! anzuwendenden 8 512 BGB., und das Rück⸗ 
trittsrecht deshalb, weil das Geſetz ſeinem unzwei⸗ 
deutigen Wortlaut nach einen Vertrag zwiſchen dem 
Subhaſtaten und dem Güterhändler auf Uebertragung 
des Eigentums als Kauſalgeſchäft voraus ſetzen würde, 
und weil ein ſolcher Vertrag als Kauſalgeſchäft beim 
Erwerbe des Eigentums durch Zuſchlag im Zwangs⸗ 
verſteigerungsverfahren begrifflich nicht in Betracht 
kommen kann. 

Amtsrichter Dr. Zeitler in München. 


Ueber die polizeiliche Genehmigung ſtehender Licht⸗ 
ſpieltheater in Bayern. In meiner Abhandlung über 
die Konzeſſionspflicht der Kinematographentheater nach 
bayeriſchem Landesrecht!) hatte ich ausgeführt, daß die 
Verwaltungsbehörden in Bayern von den Inhabern 
ſtehender Kinematographentheater vielfach eine ge⸗ 
werbepolizeiliche Erlaubnis zur Eröffnung des Betriebes 
verlangen, daß ſie insbeſondere auch die Erlaubnis zur 
Eröffnung neuer Kinematographentheater verſagen, 
wenn ihrer Meinung nach ein Bedürfnis zur Eröffnung 
eines neuen Kinos nicht vorhanden iſt. Ich ſuchte ferner 
nachzuweiſen, daß dieſe Praxis der Verwaltungs⸗ 
behörden unzuläſſig ſei, da reichsrechtlich keine Kon⸗ 
zeſſionspflicht der ſtehenden Kinotheater beſtehe und 
die Beſtunmungen des bayeriſchen Landesrechtes, ſo⸗ 
weit ſie etwa an ſich eine derartige Konzeſſionspflicht 
aufſtellen, ſeit Inkrafttreten der Gewerbeordnung in 
dieſer Beziehung nicht mehr angewendet werden könnten. 

m Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung, 
iſt mir Staatsminiſter a. D. Ritter von Landmann 
in ſeiner Abhandlung über die polizeiliche Genehmigung 
ſtehender i in Bayern ) beigetreten. Er 
weiſt vor allem nach, daß die Art. 32 und 33 des 
bayeriſchen PStGB., auf welche die um 
behörden ihre Befugnis ſtützen, die Zulaſſung ſtehender 
Lichtſpieltheater zu verſagen, in Wirklichkeit nur die 
Ausübung des Gewerbes beſchränken; die Polizei darf 
danach die Genehmigung zur Eröffnung eines ſtehen⸗ 
den Kinotheaters nicht etwa mangels Bedürfniſſes ver⸗ 
ſagen, ſondern nur dann, wenn aus allgemeinen poli⸗ 
zeilichen Gründen auferlegte Bedingungen ſicherheits⸗ 


10 Hell gig in der ‚Zeitſchrift für Rechtspflege 
in Bayern“ 1913 S. 213 ff. 
) v. Landmann, ebendort S. 237 ff. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 97 


oder ſittenpolizeilicher Art von dem Kinobeſitzer nicht 
beachtet werden. Daß ſolche Beſchränkungen der Aus⸗ 
übung des Gewerbes zuläſſig ſind, iſt auch für die 
übrigen Bundesſtaaten unſtreitig. 

Daß entgegen dieſer Auffaſſung manche Ver⸗ 
waltungsbehörden in Bayern noch immer glauben, 
auf Grund des Art. 32 PtGB. die Zulaſſung zum 
Gewerbebetriebe verſagen zu können, zeigt ein Ver⸗ 
waltungsſtreitverfahren, das die Kinobeſitzer L. und R. 
in N. gegen den Stadtmagiſtrat N. angeſtrengt hatten. 

L. und R. beabſichtigten in N. ein ſtehendes Ki⸗ 
nematographentheater zu eröffnen; ein angeſtellter Re⸗ 
zitator ſollte während der Vorſtellungen des beſſeren 
Verſtändniſſes halber kurze Erläuterungen zu den 
Bildern geben, dagegen war nicht in Ausſicht genommen, 
die Vorführungen durch Geſang oder deklamatoriſche 
Vorträge zu begleiten. 

Mit Polizeiſenatsbeſchluß hat der Stadtmagiſtrat 
N. ihnen die polizeiliche Erlaubnis zur öffentlichen 
Veranſtaltung von Lichtſpielvorſührungen verſagt. In 
den Entſcheidungsgründen wurde auf 8 33 a GewO. 
und Art. 32 PStGB. Bezug genommen; 8 33 a GewO. 
ſchreibe in Ziff. 3 die Prüfung der Bedürfnisfrage vor; 
auch nach Art. 32 PStGB. ſei der Stadtmagiſtrat zur 
Würdigung der Bedürfnisfrage berechtigt. Werde dieſe 
Frage aufgeworfen, ſo könne ſie bei der Lage und 
Zahl der ſchon vorhandenen und genehmigten Betriebe 
nur verneint werden. 

Gegen dieſen Beſchluß wurde Beſchwerde an die 
Regierung, Kammer des Innern, eingereicht, in der be⸗ 
ſtritten wurde, daß es zuläſſig ſei, die Bedürfnisfrage 
bei der Eröffnung ſtehender Kinematograpbentheater 
zu prüfen. 

Die Regierung erteilte den Beſcheid, daß der Be⸗ 
ſchluß des Polizeiſenats außer Wirkſamkeit geſetzt und 
die Sache zur neuen Behandlung und Entſcheidung 
an die erſte Inſtanz zurückverwieſen werde. 

In den Entſcheidungsgründen wurde im weſent⸗ 
lichen folgendes ausgeführt: Bei der in Ausſicht ge 
nommenen Art des Betriebes könne 8 33 a Gew. 
nicht angewendet werden, da die Lichtſpielbilder nur 
durch eine redende Perſon kurz erläutert werden ſollten. 
Ebenſowenig könne die Würdigung der Bedürfnisfrage 
auf Art. 32 PStGB. geſtützt werden, da auf Grund 
dieſer Vorſchrift nur Anordnungen hinſichtlich der Art 
und Weiſe der Ausübung der kinematographiſchen Vor⸗ 
führungen getroffen werden könnten, ihre Zulaſſung 
aber nicht in Widerſpruch mit den Beſtimmungen der 
GewO. von der Prüfung und Bejahung der Bedürf⸗ 
nisfrage abhängig gemacht werden könne. Der Be⸗ 
ſcheid fährt fort:“ 

„Sollte die Art des Betriebes ſich in Zukunft — 
ſelbſtoerſtändlich vorausgeſetzt, daß derſelbe nach der 
in eigener Zuſtändigkeit, namentlich auch in bau⸗, feuer-, 
ſicherheits⸗ und geſundheitspolizeilicher Hinſicht vor⸗ 
zunehmenden Würdigung durch den Stadtmagiſtrat N. 
genehmigt worden ſollte — ſo geſtalten, daß die Vor⸗ 
ausſetzungen des 8 33a GewO. erfüllt fein werden, 
ſo hätte der Stadtmagiſtrat Veranlaſſung, auf dieſer 
Rechtsgrundlage ein neues Verfahren einzuleiten. Dies 
wäre insbeſondere dann der Fall, wenn durch die 
kinematographiſchen Darſtellungen von Handlungen 
und Ereigniſſen die optiſche Täuſchung hervorgerufen 
würde, als ob ſich der im bewegten Bilde wieder⸗ 


55 2 In unerträglichem Juriſtendeutſch. Der Heraus— 
geber 


98 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


gegebene Vorgang vor den Augen des Zuſchauers ab⸗ 
ſpielte (Reger, 4. Erg Bd. S. 197, Bd. 31 S. 278).“ 

Dem hier vertretenen Standpunkt kann man voll⸗ 
ſtändig beitreten, ſoweit es ſich um Aufhebung des 
Beſchluſſes des Stadtmagiſtrats bandelt. Dagegen iſt 
es mir zweifelhaft, ob die Auffaſſung haltbar iſt, die 
am Schluß des Beſcheides ausgedrückt iſt. Zwar iſt 
richtig erkannt, daß die Erklärungen, die der ſogenannte 
Rezitator in den Kinotheatern zu den einzelnen vor⸗ 
geſührten Bildern zu geben pflegt, nicht ein deklama⸗ 
toriſcher Vortrag i. S. des 8 33a GewO. find; auch 
muß zugegeben werden, daß unter Umſtänden aller⸗ 
dings die Mitwirkung von Perſonen bei der Vorführung 
von Films als die Veranſtaltung von geſanglichen oder 
deklamatoriſchen Vorträgen aufgefaßt werden kann, 
nämlich dann, wenn der Geſang oder der Vortrag die 
Hauptſache iſt, die linematographiſche Vorführung alſo 
nur die nebenſächliche Begleitung des Vortrages. In 
der großen Mehrzahl der Fälle wird das Verhältnis 
zwiſchen geſanglichem oder deklamatoriſchem Vortrag 
einerſeits, den kinematographiſchen Vorführungen an⸗ 
dererſeits aber gerade umgekehrt ſein. Sind aber die 
kinematographiſchen Vorführungen die Hauptſache, fo 
iſt es meines Erachtens unzuläſſig, für die mit den 
kinematographiſchen Vorführungen ein einheitliches 
Ganzes bildenden geſanglichen oder deklamatoriſchen 
Vorträge eine Konzeſſion zu verlangen: die geſang⸗ 
lichen und deklamatoriſchen Vorträge haben nämlich 
durch ihre Verſchmelzung mit den kinematographiſchen 
Vorführungen ihre Selbſtändigkeit verloren. Es gibt 
dann nicht mehr beſondere Vorträge und davon ver⸗ 
ſchiedene kinematographiſche Vorführungen, vielmehr 
iſt aus beiden eine höhere Einheit geworden, ein or⸗ 
ganiſches Ganzes, nämlich die von mir ſogenannte 
„kombinierte kinematographiſche Vorführung“. Eben⸗ 
ſowenig wie die einfache kinematographiſche Vorführung 
zurzeit noch einer Konzeſſionspflicht unterliegt, iſt dies 
aber auch bei den kombinierten kinematographiſchen 
Vorführungen der Fall.“ 

Dabei ſoll keineswegs verkannt werden, daß die 
Frage ſtreitig iſt, doch mag darauf hingewieſen werden, 
daß die Rechtſprechung überwiegend ſich in ähnlicher 
Weiſe geäußert hat.“) 

Daß nicht alle Kreisregierungen in Bayern die 
richtige Auffaſſung teilen, daß bei gewöhnlichen kine⸗ 
matographiſchen Vorführungen die Einführung einer 
Konzeſſionspflicht nicht zuläſſig ſei, ergibt ſich aus einer 
Entſcheidung des zweiten Senates des bayeriſchen Ver⸗ 


waltungsgerichtshofes (Nr. 15 II/ 13) vom 11. April 1913. 


E. hatte in L. ein ſtehendes Kino eröffnen wollen: 
der Stadtmagiſtrat hatte ihm aber die Genehmigung 
zur Eröffnung eines Kinos verſagt. Gegen den Wa: 


giſtratsbeſchluß legte E. Beſchwerde bei der Regierung 


ein, die aber verworfen wurde. Gegen dieſen Beſcheid 
beſchwerte ſich E. bei dem Verwaltungsgerichtshof. 
Durch die erwähnte Entſcheidung vom 11. April 1913 
wies auch der Verwaltungsgerichtshof die Beſchwerde 
zurück, aber nicht etwa. weil er die irrige Auffaſſung der 
Vorinſtanz billigte, ſondern nur, weil er ſich zur Entſchei⸗ 
dung über dieſe Beſchwerde nicht für zuſtändig erachtete. 


) Hellwig „Oeffentliches Kinematographenrecht“ 
(Preußiſches Verwaltungsblatt Bd. 34 S. 200%). 

) Das Oberlandesgericht Breslau, das Kammer— 
gericht und das Hamburger Schöffengericht vertreten 
die richtige Theorie. A. A. das Oberlandesgericht 
Dresden. Die ganze Frage hoffe ich an anderer Stelle 
eingehender behandeln zu können. 


In den Entſcheidungsgründen wurde im weſent⸗ 
lichen ſolgendes ausgeführt: 

„Die Vorinſtanzen ſtützen ihre Anſicht, daß eine 
Erlaubnis notwendig ſei, und die Verweigerung dieſer 
Erlaubnis nicht auf eine Beſtimmung der GewO. — die 
zweite Inſtanz hebt ausdrücklich hervor, daß die Ver⸗ 
anſtaltung nicht unter 8 33a GewO. falle und ein 
freies Gewerbe ſei —, ſondern auf Art. 32 Abſ. I Ziff. 2 
P StB. Die Regierung führt dazu unter Hinweis 
auf die in Regers Entſch. (Erg. Bd. 3 S. 389 und 4 
S. 197) abgedruckten Urteile des Oberſten Landesgerichts 
des näheren aus, daß dies den Beſtimmungen der GewO. 
nicht widerſpreche. Der Grundſatz der Gewerbefreiheit 
ſei dort nur in dem Sinne aufgeſtellt, daß die „Zus 
laſſung“ zum Betriebe eines Gewerbes nicht in weiterem 
Umfange beſchränkt werden dürfe, als die GewO. vor⸗ 
ſchreibt oder zuläßt. Hinſichtlich der „Ausübung“ des 
Gewerbes unterlägen jedoch auch die zum Betriebe 
zugelaſſenen Gewerbeberechtigten den allgemeinen Ge⸗ 
ſetzen und den auf Grund dieſer Geſetze im öffentlichen 
Intereſſe getroffenen Anordnungen. Die Ausübung 
des Gewerbes ſei in Bayern auf Grund jener landes⸗ 
geſetzlichen Beſtimmung im Zuſammenhalt mit 8 15 
der Zuſtändigkeitsverordnung vom 4. Januar 1872 
von ortspolizeilicher Erlaubnis abhängig. Die Ers 
laubnis könne nach Ermeſſen der Behörde unter Ve⸗ 
dingungen erteilt oder ganz verweigert werden und 
der Magiſtrat habe ſie hier in zutreffender Weiſe 
mangels eines Bedürfniſſes verweigert. Der über⸗ 
mäßigen Vermehrung fraglicher Unternehmungen und 
damit einer das öffentliche Wohl gefährdenden Zus 
nahme ihrer unerwünſchten Begleiterſcheinungen und 
Folgen müſſe rechtzeitig durch Verſagung der Erlaubnis 
entgegengetreten werden. 

Die Beſchwerde widerſpricht dem. Eine Erlaubnis 
ſei nicht, auch nicht auf Grund des Art. 32 P StGB. 
erforderlich. Die in der GewO. begründete Zulaſſung 
zum Betriebe des Gewerbes dürfe nicht nach freiem 
Ermeſſen der Polizeibehörden beſchränkt oder verhindert 
werden, es ſeien nur allgemeine polizeiliche Beſtim⸗ 
mungen, alſo ſicherheits⸗, geſundheits⸗, feuerpolizei⸗ 
liche Maßregeln, zuläſſig.“ 

Den 8 33a GewO. erachtete der Verwaltungs⸗ 
gerichtshof gleichfalls nicht ſür anwendbar. 

In Gewerbeſachen ſei nach Art. 8 Ziff. 8 VGH. 
der Verwaltungsgerichtshof zur Entſcheidung nur in 
den Fällen berufen, in denen das nach 88 20 und 21 
Gewd. vorgeſehene Verfahren nach den jeweils gelten⸗ 
den Beſtimmungen der GewO. einzutreten habe. 

Es fehle ſomit eine Vorſchrift, durch welche die 
gewerberechtliche Zuſtändigkeit des Verwaltungsge⸗ 
richtshofes begründet wäre. Auch ſonſt fehle es an 
einer geſetzlichen Beſtimmung, die den Verwaltungs⸗ 
gerichtshof für zuſtändig erkläre, darüber zu entſcheiden, 
ob die Vorinſtanzen die Verweigerung der Erlaubnis 
auf die landesgeſetzlichen Vorſchriften des Art. 32 
PStGB. ſtützen könnten. 

Da mithin die Möglichkeit fehlt, daß im Ver⸗ 
waltungsſtreitverfahren für Bayern einheitlich feſt⸗ 
geſtellt wird, daß die von einem Teil der bayeriſchen 
Verwaltungsbehörden bis auf den heutigen Tag ver⸗ 
vertretene irrige Geſetzauslegung beſeitigt wird, bleibt 
nur übrig, daß das Staatsminiſterium bei Beſchwerden 
der Geſuchſteller ſich mit der Frage befaßt und durch 
Verwaltungsanordnungen dafür forat, daß ſämtliche 
Verwaltungsbehörden Bayerns den Art. 32 PStGB. 
fo auslegen, wie es der Rechtſprechung und der Li⸗— 
teratur entſpricht. 

Gerichtsaſſeſſor Dr. Hellwig in Verlin-Friedenau. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 99 


— —— — — . — äÜ—i1Nů...... —— EEE :X — 


Aus der Rechtſprechung. 
Reichsgericht. 
A. Zivil ſachen. 
1 


Sind Tanks und Bsttiche Beſtandteile eines Brauerei⸗ 
arundſtäcks? Aus den Gründen: Das OLG. hat 
dem Eigentumsvorbehalte die Wirkſamkeit abgeſprochen, 
weil die Tanks und Bottiche weſentliche Beſtandteile des 
Grundſtücks oder des Brauereigebäudes geworden ſeien, 
ſo daß ein Sondereigentum an ihnen nicht mehr be⸗ 
ſtehen könne. Das Urteil ſtützt ſich auf folgenden Sach⸗ 
verhalt: Die Gegenſtände befanden ſich in Räumen, 
die aus einem früheren Eiskeller zu Lager⸗ und Gär⸗ 
räumen hergerichtet waren. Um die Aufnahme der 
Gegenſtände zu ermöglichen, mußten umfangreiche bau⸗ 
liche Veränderungen vorgenommen werden, namentlich 
mußte die Decke des früheren Eiskellers höher gelegt 
und mit Eiſenſchienen verſehen werden. Außerdem 
wurden Zwiſchenräume eingeriſſen und neue Wände 
aufgeführt, ſo daß Tanks und Bottiche in den Räumen, 
wo fie untergebracht find, ringsum mit Mauern um» 
geben find. Die Tanks ſtehen auf / m hohen Eiſen⸗ 
füßen und ſind mit dieſen durch eine Zementſchicht ver⸗ 
bunden. Die Vottiche ſitzen auf eiſernen Schienen und 
ſind mit dieſen ebenfalls durch Zement verbunden. 
Die Tanks und Bottiche aus den Räumen zu entfernen, 
iſt nur bei teilweiſem Niederreißen der Mauern mög⸗ 
lich. Tanks und Bottiche ſind zum Betriebe der 
Brauerei unbedingt notwendig, und die Einrichtung 
hat nach dem Willen des Herſtellers dauernd ſein 
ſollen. Sodann führt das OLG. aus: Nach der Ver⸗ 
kehrsanſchauung ſeien die Tanks und die Bottiche zu⸗ 
ſammen mit den Räumen, in denen ſie ſich befinden, 
Beſtandteile des Brauereigebäudes, ſie bildeten mit 
ihm ein einheitlich körperliches Ganzes. Deshalb ſeien 
fämtlide Vorausſetzungen des 8 93 BGB. gegeben; 
durch die Entfernung der Gegenſtände würde das 
Brauereigebäude in ſeinem Weſen geändert. Denn 
durch die Wegnahme würde das bisherige Ganze — 
die Brauerei — aufgehoben, die Gär⸗ und Lagerräume 
würden für den Brauereibetrieb unbrauchbar werden 
und in ihrem wirtſchaftlichen Werte Einbuße erleiden. 
— Die Fortnahme der Gegenſtände würde ferner auch 
ſolche Eingriffe in das Gebäude erfordern, daß die 
Beſchädigung einer Zerſtörung gleichkommen würde. 
— Außerdem hätten die Tanks und Bottiche aber auch 
als zur Herſtellung des Gebäudes eingefügte Sachen 
zu gelten (8 94 Abſ. 2 BGB.). 

Dieſe Ausführungen ergeben, daß das OLG. die 
Begriffe der Sache, der Beſtandteile überhaupt und der 
weſentlichen Beſtandteile insbeſondere verkennt und 
die Vorſchriften der 88 93, 94 Abſ. 2, 97, 98 BGB. 
irrig auffaßt. Zunächſt iſt nach der tatſächlichen Feſt⸗ 
ſtellung über die Lage und die Aufſtellung der Tanks 
und Bottiche fowie nach dem Weſen dieſer Gegenſtände 
überhaupt die Annahme unrichtig, daß die Gegenſtände 
i. S. des 8 94 Abſ. 2 BG. zur Herſtellung des zum 
Betriebe der Brauerei errichteten Gebäudes eingefügt 
ſeien. Unter Gegenſtänden, die zur Herſtellung eines 
Gebäudes eingefügt werden, ſind allerdings nicht aus⸗ 
ſchließlich Baumaterialien zu verſtehen. Nach den 
Mot. zu 8 783 Entw. I (8 94 Abſ. 2 d. Gef.) Bd. 3 
S. 44 wurde es abgelehnt, wie im 8 286 des ſächſ. 
GB. als Beſtandteile eines Gebäudes nur die Baus 
materialien zu bezeichnen, alſo die zur Herſtellung des 
Gebäudes als ſolchen notwendigen Gegenſtände, weil 
der Begriff der Baumaterialien ſchwer zu begrenzen 
ſei, unter Umſtänden recht zweifelhaft ſein könne, ob 
Türen, Fenſterflügel u. dgl. unter ihn fielen; durch 
die gegebene Vorſchrift ſollten alle zur Herſtellung des 
Gebäudes verwendeten und zu feiner dauernden Bil- 


dung beſtimmten Gegenſtände betroffen werden. Aber 
zur Herſtellung eines Gebäudes eingefügt iſt ein 
Gegenſtand, abgeſehen von der erforderlichen Art 
der Einbringung zwiſchen andere Gebäudeteile, nur 
dann, wenn ſeine Einbringung dazu mitgewirkt 
hat, daß das ihn als Gebäudeſtück in ſich ſchließende 
Gebäude als Baulichkeit hergeſtellt wurde. Dieſe 
Vorausſetzung iſt hier für die Tanks und Vottiche 
im Verhältnis zu dem Gebäude, in dem ſie ſich be⸗ 
finden, nicht gegeben. Sie ſind im Innern des Ge⸗ 
bäudes aufgeſtellt und dieſe Aufſtellung hat nicht dazu 
mitgewirkt, daß das Gebäude als Baulichkeit herge⸗ 
ſtellt worden iſt. Das OLG. meint augenſcheinlich, 
der Begriff des Gebäudes im 8 94 Abſ. 2 BGB. um⸗ 
faſſe auch ein für einen gewerblichen Vetrieb dauernd 
eingerichtetes Gebäude i. S. des 8 IE BGB., die Tanks 
und Bottiche ſeien hier Einrichtungsgegenſtände hin⸗ 
ſichtlich des zum Betriebe der Brauerei eingerichteten 
Gebäudes, des Brauhauſes, und daher ſeien ſie zur 
Herſtellung des Brauhauſes eingefügt. Dieſe Auf⸗ 
faſſung iſt unzutreffend. Ein eingerichtetes Gebäude 
i. S. des 8 98 BGB. kann allerdings zuſammen mit 
den Einrichtungsgegenſtänden eine einzige Sache bilden 
und es können auch die Einrichtungsgegenſtände we⸗ 
ſentliche Beſtandteile des Ganzen fein, nämlich in 
erſterer Hinſicht, wenn die Einrichtungsgegenſtände mit 
der Baulichkeit derart vereinigt ſind, daß das Ganze 
ein einziger Körper (8 90 BGB.) iſt, und in letzterer 
Hinſicht, wenn die Vorausſetzungen des 8 93 BG. 
vorliegen. Aber auch in dieſem Falle ſind die Ein⸗ 
richtungsgegenſtände nicht i. S. des 8 94 Abſ. 2 BGB. 
zur Herſtellung des Gebäudes, der Baulichkeit als 
ſolcher, eingefügt. Das eingerichtete Gebäude iſt viel⸗ 
mehr, auch wenn es eine einzige Sache bildet, hin⸗ 
ſichtlich des Umfangs der Beſtandteile und hinſichtlich 
der Erforderniſſe für die Eigenſchaft der Beſtandteile 
als weſentlicher eine anders geartete Sache wie das 
im 8 94 Abſ. 2 BGB. gemeinte Gebäude, das nur die 
zu ſeiner Herſtellung eingefügten Gegenſtände als 
wefentliche Beſtandteile in ſich ſchließt (RG. in JW. 
1911 S. 574 Nr. 4. Warneyer Rſpr. 1913 Nr. 80). 
Ferner ſind die Tanks und Bottiche nicht Einrichtungs⸗ 
gegenſtände in dem Sinne, daß ſie wegen dieſer Eigen⸗ 
ſchaft ohne weiteres als Teile des zum Brauereibe⸗ 
triebe dauernd eingerichteten Gebäudes zu gelten hätten. 
Sie ſind zum Betriebe der Brauerei beſtimmte Gerät⸗ 
ſchaften. Stehen ſolche Gerätſchaften zu dem Brauerei⸗ 
gebäude in einem dieſer Beſtimmung entſprechenden 
räumlichen Verhältniſſe, fo find fie nach 88 97, 98 BG. 
Zubehör, wenn fie nicht Beſtandteile des Brauerei⸗ 
betriebes find. Beſtandteile aber find ſolche Gerät⸗ 
ſchaften nur dann, wenn ſie mit dem Brauereigebäude 
derart vereinigt find, daß das Ganze ein einziger för» 
perlicher Gegenſtand iſt und ſie Teile, Stücke dieſes 
Körpers ſind. Hiervon geht auch der Berufungsrichter 
bei Darlegung ſeines erſten Entſcheidungsgrundes aus, 
der ſich nicht auf 8 94 Abſ. 2 BGB. ſtützt. Nicht bei⸗ 
zuſtimmen aber iſt ſeiner Anſicht, daß hier die Tanks 
und Bottiche nach ihrem Zweck und nach der Art ihrer 
Einbringung in das Brauereigebäude mit dieſem zu⸗— 
ſammen eine einzige Sache bildeten und daher Be⸗ 
ſtandteile dieſer Sache ſeien. Die Zweckbeſtimmung 
ergibt nicht, daß die Tanks und Bottiche Beſtandteile, 
nicht Zubehör der Brauereiſache ſind. Denn auch als 
Zubehör ſind ſie zum Betriebe der Brauerei beſtimmt. 
Ebenſowenig folgt die Beſtandteilseigenſchaft daraus, 
daß die Tanks und Bottiche ſich im Innern des Brauerei— 
gebäudes befinden, da ſie gerade auch zufolge dieſer 
Einbringung in einem ſolchen räumlichen Verhältniſſe 
zu der Brauereiſache ſtehen, wie es Vorausſetzung für 
die Annahme ihrer Zubehöreigenſchaft iſt. Für die 
Frage, ob hinſichtlich eines für einen gewerblichen Be— 
trieb dauernd eingerichteten Gebäudes die zu dem Be— 
triebe beſtimmten Gerätſchaften Zubehör oder Beſtandteile 
ſind, iſt vielmehr, wie in zahlreichen Entſcheidungen 


— 


8 138 Abſ. 1 B88. verſtoßenden Umſtand erblidt, 


100 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 
151 wurde (vgl. JW. 1911 S. 532 Nr. 2, 
1912 S. 128 Nr. 1; Warneyer Rſpr. 1909 Nr. 58, 59; 


1910 Nr. 97, 190; 1913 Nr. 80), entſcheidend, ob ſie 
nee bewegliche Gegenſtände geblieben find, 
auch nachdem fie zu dem eingerichteten Gebäude hinzu⸗ 
ebracht wurden, oder ob ſie ihre körperliche Selb⸗ 
tändigkeit derart verloren haben, daß ſie nur noch als 
Sachteile, als Stücke des etwa einen einzigen körper⸗ 
lichen Gegenſtand bildenden eingerichteten Gebäudes in 
Betracht kommen. Hier ſind die Tanks und Bottiche 
nicht unſelbſtändige Stücke des Brauereigebäudes, ſon⸗ 
dern ſelbſtändige e Gegenſtände. Sie ſtehen 
frei in Räumen des Gebäudes auf eiſernen Füßen und 
eiſernen Schienen, die mit dem Boden nicht verbunden 
ſind. Daß ſie, um ihnen eine größere Standhaftigkeit 
au geben, durch eine 2 cm ſtarke And mit 
en Unterlagen verbunden worden find, nimmt ihnen 
die körperliche Selbſtändigkeit ebenſowenig, wie daß 
bei ihrer Entfernung aus den Räumen, in denen ſie 
ſich befinden, Oeffnungen in den Wänden hergeſtellt und 
einige Veränderungen in der Einrichtung der Räume 
vorgenommen werden müßten, weil ſie wegen ihres 
großen Umfangs durch die Eingangstüren nicht hin⸗ 
ausgeſchafft werden könnten und weil der Art ihrer 
Aufſtellung die Einrichtung der Räume entſpricht. 
Sie ſind auch nach der Einbringung für ſich beſtehende 
bewegliche Sachen, eben Tanks und Vottiche, geblieben. 
Das Brauereigebäude und ſie bilden nicht einen ein⸗ 
zigen körperlichen Gegenſtand, ſondern eine Mehrheit 
ſelbſtändiger, nur für den Zweck des Brauereibetriebes 
zuſammengebrachter Sachen, alſo m. a W. nicht eine 
einzige Sache, ſondern nur eine wirtſchaftliche Einheit, 
und zwar in der Weiſe, daß die Tanks und Bottiche 
Zubehör der Brauhausſache ſind. Der Berufungs⸗ 
richter betont zwar wiederholt, nach der Verkehrs⸗ 
auffaſſung ſei das Ganze eine einzige Sache. Jedoch 
ift, da das OLG. über das Beſtehen einer Verkehrs⸗ 
auffaſſung keine Ermittelungen angeſtellt hat, unter 
der genannten Verkehrsauffaſſung nichts anderes zu 
verſtehen als die Anſchauung des OLG. Dieſe aber 
iſt vor allem deswegen irrig, weil eine Mehrheit von 
Sachen nur aus dem Grunde als eine einzige Sache 
erachtet wird, daß ſie gemeinſam dem Zwecke eines 
gewerblichen Betriebes dienen und die eine Sache ſich 
im Innern der anderen befindet. (Urt. des V. 38. 


vom 3. Dezember 1913, V 180/13). — — n. 
3239 
II. 
Schon die Mönlichleit der Häufung der Bertrags⸗ 


ſtrafen kann den Vertrag als fittenwidrig erſcheinen 
laſſen. Aus den Gründen: Nach der einwand⸗ 
freien Auslegung des Berufungsgerichts trifft $ 7 des 
Vertrags, wonach der Beklagte bei Nichterfüllung der 
im Vertrage von ihm übernommenen Verpflichtungen 
für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung eine 
ſofort fällige Vertragsſtrafe von 20 000 M zu entrichten 
hat, ohne daß die Klägerin einen Schaden nachzu— 
weiſen braucht, ſämtliche in den SS 1—6 genannten 
Verpflichtungen. Die Unſittlichkeit der Strafberedung 
wird nicht etwa nur in der ungewöhnlichen Höhe der 
Strafe erblickt, die das Jahreseinkommen des Be— 
klagten erheblich überſtieg. Es kommt noch etwas 
Weiteres hinzu, nämlich der Umſtand, daß die Strafe 
für jeden einzelnen Uebertretungsfall nicht nur des 
Wettbewerbsverbots, ſondern aller einzelnen Vertrags— 
verpflichtungen vereinbart worden iſt. Das genügt 
nach der Rechtſprechung des Senats (vgl. RG. 68, 229; 
JW. 13, 319°). Daß in dem erſten dieſer beiden Fälle 
zu der außerordentlich hohen Vertragsſtrafe noch die 
Verpflichtung des damaligen Beklagten mittels Ehren— 
worts zum Schutze der bloßen Vermögensintereſſen 
des damaligen Klägers hinzukam, ändert an der Sache 
nichts. Denn nicht erſt in dem Hinzukommen der 
ehrenwörtlichen. Verpflichtung hat der Senat den gegen 


ſondern bereits in der Beſtimmung, daß die hohe 
Strafe bei jeder Uebertretung der in dem damaligen 
Vertrage gegebenen höchſt umfaſſenden und ins ein⸗ 
zelne gehenden Verpflichtungen verwirkt ſein ſolle. 
Ganz abgeſehen davon läßt aber ſchon die bloße 
e der Strafenhäufung für jeden einzelnen 
Fall der Zuwiderhandlung die Bindung durch Vertrags⸗ 
1 als unſittlich erſcheinen mit Rückſicht darauf, 
aß das Jahreseinkommen des Beklagten ſich auf etwa 
15000 M belief. Denn dieſe Möglichkeit hätte dahin 
führen können, daß der Beklagte der Klägerin in kurzer 
Zeit einen Betrag ſchuldig geworden wäre, der ſein 
Jahreseinkommen ganz außerordentlich überſtiegen und 
ihn wirtſchaftlich zugrunde gerichtet hätte. Das wider⸗ 
ſpricht aber dem Gefühle aller gerecht und billig 
Denkenden. (Urt. d. III. 3S. vom 12. Dezember 1913, 
III 420/13). — a — 

3220 


III. 


Es kann vereinbart werden, daß der Vorbehalt des 
Rechts auf die Vertrags ſtrafe bei der Erfüllungsannahme 
nicht erforderlich fein ſoll. Aus den Gründen: 
Nach § 341 Abſ. 3 BGB. kann der die Erfüllung an⸗ 
nehmende Gläubiger die Vertragsſtrafe nur verlangen, 
wenn er ſich das Recht dazu bei der Annahme vor⸗ 
behält. Ein ſolcher Vorbehalt iſt von der Beklagten 
bei der Erfüllungsannahme nicht gemacht, er war 
aber auch nach 8 5 des Werkvertrags nicht erforderlich. 
Die Beſtimmung des 8 341 Abſ. 3 muß der Verein⸗ 
barung weichen, ſie iſt nicht zwingendes ſondern nach⸗ 
giebiges Recht. Sie dient dem Zwecke, Streitigkeiten 
darüber abzuſchneiden, ob in vorbehaltloſer Annahme 
ein Verzicht auf die Vertragsſtrafe gefunden werden 
muß. Solchen Streitigkeiten iſt aber von vornherein 
der Boden entzogen, wenn vertragsmäßig feſtſteht, 
daß dem Mangel des Vorbehalts die Bedeutung eines 
Verzichts nicht zukommen kann. Die Vertragsbeſtim⸗ 
mung läuft alſo dem Geſetzeszwecke nicht zuwider. 
In der Begründung zu 8 421 des Entwurfs eines 
BGB. iſt auch ausdrücklich geſagt, daß die Geſetzes⸗ 
vorſchrift nur inſoweit Anwendung finde, als nicht 
Vertrags vereinbarungen entgegenſtehen. (Für die Zus 
läſſigkeit ſolcher Vereinbarungen vgl. auch Planck Erl. 2 
Abſ. 2, Oertmann Anm. 3 d zu § 341 BEB., Staub» 
Könige Anm. 33 zu 8 348 HGB.). (Urt. des III. 3S. 
vom 20. Januar 1914, III 418/13). — a — 

3221 


IV. 


Umfang der UNeberwachungspflicht des Hanseigen- 
tümers, der fein Hans im ganzen vermietet hat. Die 
Beklagte hatte ihr Haus im ganzen vermietet, bei den 
ihr vertragsmäßig obliegenden Herſtellungsarbeiten 
war ein loſe auf dem Flur ſtehender Heizkörper vom 
Platze bewegt worden, war umgefallen und hatte den 
Kläger, ein dort ſpielendes Kind, verletzt. Aus den 
Gründen: Die Annahme des Berufungsgerichts, daß 
die Sorge für die Verkehrsſicherheit des Flurs vom 
Beginn des Mietverhältniſſes an auf den Mieter aus 
ſchließlich übergegangen ſei, trifft nicht zu. Aller⸗ 
dings geht regelmäßig beim Mieten eines ganzen 
Hauſes auch der Beſiß an den Treppen und Fluren 
und damit die Sorge für ihre Verkehrsſicherheit auf 
den Mieter über, da nur ihm die Verfügungsbefugnis 
über die Räume und die Beſtimmung über den Ber: 
kehr im Haufe zuſteht. Ob jedoch daneben noch dem 
Vermieter mit Rückſicht auf ſeine Verpflichtung, den 
Mietsgegenſtand dauernd in einem zu dem vertrags- 
mäßigen Gebrauche geeigneten Zuſtande zu erhalten, 
eine gewiſſe Pflicht zur Ueberwachung des Zuſtandes 
von Treppen und Fluren verbleibt und ob nicht ſchon 
aus dieſem Grunde der Flur im Mitbeſitze der Be⸗ 


— —— 


klagten geblieben iſt, kann hier auf ſich beruhen. Denn 
ein Mitbeſitz der Beklagten und eine Pflicht zur Ueber⸗ 
wachung des Flurs folgt ſchon aus der Tatſache, daß 
die Beklagte die Vornahme der Anſtreicher⸗ und 
Tapeziererarbeiten im Flur dem Mieter gegenüber 
vertraglich übernommen hatte und zur Zeit des Un⸗ 
falls noch ausführen ließ (wird näher dargelegt). 
(Urt. des III. ZS. vom 5. Dezember 1913, III 373/13). 
3222 — a — 


V. 


Anforderungen an die Beleuchtung bei einer klein⸗ 
ſtädtiſchen Gaſtwirtſchaft. Aus den Gründen: Der 
Wirt hat zwar für die hinreichende Beleuchtung 
der Gaſtwirtſchaftsräͤume und ihrer Zugänge zu ſorgen 
und haftet bei ſchuldhaftem Verſtoß gegen dieſe Pflicht 
allen dort Verkehrenden nach den Grundſätzen über 
unerlaubte Handlungen und feinen Gäſten gegenüber 
auch aus dem Gaſtaufnahmevertrage. In welchem 
Maße die Beleuchtung ſtattfinden muß, darüber laſſen 
ſich nicht allgemein geltende Grundſätze aufſtellen. 
Insbeſondere iſt der vom OL. aufgeſtellte Grundſatz 
zu beanſtanden, die Beleuchtung müſſe ſo hell ſein, daß 
alle im Wege befindlichen Hinderniſſe ohne Anſtrengung 
vom Gaſt erkannt werden könnten. Für das Maß der 
Beleuchtung bildet die Anſchauung des Verkehrs die 
Richtſchnur. Hiernach find bei kleineren, insbeſondere 
auch bei ländlichen und kleinſtädtiſchen Wirtſchaften 
im allgemeinen geringere Anforderungen an die Be⸗ 
leuchtung der Zugänge zu den Wirtſchaftsräumen zu 
ſtellen, weil ſich die an geringere Beleuchtung gewöhnte 
Bevölkerung mit größerer Sicherheit und Geſchicklich⸗ 
keit im Dunkeln fortzubewegen verſteht, als der an 
ein helles Licht gewöhnte Großſtädter. Die Beleuchtung 
der Wirtshauseingänge ſoll dazu dienen, den Wirts⸗ 
hausbeſuchern einen ſicheren und gefahrloſen Verkehr 
zur Wirtſchaft und aus der Wirtſchaft zu ermöglichen. 
Je größer die Verkehrshinderniſſe im Flur ſind, wie 
3. B. unverſchloſſene Türen, durch die man in den 
Keller ſtürzen kann, Stufen, die man nicht vermutet, 
Läufer, über die man ſtolpern kann, oder im Flur 
aufgeſtellte Gegenſtände, deſto heller muß die Beleuch⸗ 
tung ſein. Hier kommt in Betracht, daß B. ein kleiner 
Ort von 7000 Einwohnern iſt, daß es ſich um eine 
kleine Wirtſchaft handelt. — Dazu kommt, daß der die 
Wirtſchaft verlaſſende Kläger beim Oeffnen der Gaſt⸗ 
zimmertür zunächſt durch das Licht des Gaſtzimmers 
ſeinen Weg beleuchtet fand, und daß er ſich über den 
Hausausgang und die einzuſchlagende Richtung nicht 
im Unklaren befinden konnte, weil durch die geöffnete 
Haustür das Licht der Straßenlaterne zum Flur 

ereinſchien. Da ſich Verkehrshinderniſſe im kleinen 

lur nicht befanden und mit dem Vorhandenſein weg⸗ 
geworfener Fruchtreſte im Hausflur auch bei Anwen⸗ 
dung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht ge⸗ 
rechnet werden konnte, genügte unter den gegebenen 
Berhältniſſen die vorhandene Beleuchtung (Gaſtzimmer⸗ 
licht, Straßenlaterne), um gefahrlos den Ausgang zur 
Haustür zu gewinnen. (Urt. des III. ZS. vom 22. De⸗ 
zember 1913, III 361/13). — a — 

8228 


VI. 


Haftung des Vermieters für einen Unfall des Mie⸗ 
ters in olge Eisbildung auf dem bei ſtarker Kälte naß 
aufgewiſchten Treppenlinolenm. Aus den Gründen: 
Die Beklagte hatte ... die Verpflichtung, durch geeig⸗ 
nete Maßregeln der in der Eisbildung liegenden Ge⸗ 
fahr vorzubeugen. Die Sorgepflicht des Hauseigen⸗ 
tümers und Vermieters 2 den verkehrsſicheren Zus 
fand der dem Verkehr, insbeſondere der Mieter, zur 
Benutzung freigegebenen 9 richtet ſich nach den 
einzelnen Umſtänden, auch nach den Zeitverhältniſſen. 
Wie er außerhalb des Hauſes bei Glatteis zu ſtreuen 
verbunden iſt, ebenſo hat er dafür zu ſorgen, daß ſich 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


101 


innerhalb des Hauſes kein das Gehen gefährdendes 
Eis bilde. Eine Eisbildung auf den Treppen eines 
Hauſes, namentlich auf einem ohnedies glatten Lino⸗ 
leum, iſt für den Beſucher gefährlicher als eine ſolche 
auf dem Bürgerſteige. Bei Anwendung einiger Sorg⸗ 
falt konnte die Beklagte auch erkennen, daß die von 
ihr gebilligte Behandlung des Linoleums bei ſtrenger 
Kälte mangelhaft ſei und die Gefahr der Eisbildun 

und damit der Verletzung von Hausbeſuchern in ſich 
ſchließe. Die bei ſolcher Sachlage gebotenen Maßregeln 
hatte ſie von ſich aus in Ausübung ihrer Sorgepflicht 
zu treffen. Sie durfte ſich nicht darauf verlaſſen, daß 
ihre Magd der Kälte Rechnung tragen und in Abände⸗ 
rung der gewohnten Handhabung das Richtige vor⸗ 
nehmen werde. (Urt. des III. ZS. vom 3. Januar 1914; 
III 410/13). — a — 

8225 


VII. 


Beamtenhaftung des Notars, der die Erfüllung ihm 
perſönlich obliegender Pflichten feinem Sekretär über- 
laſſen hat. Aus den Gründen: Die Verantwortung 
des beklagten Notars folgt hier aus 8 839 BGB. uns 
mittelbar und hängt nicht davon ab, daß der Verletzte 
nicht auf andere Weiſe Erſatz erlangen kann. Der 
Notar hat die ihm kraft 1 Amtes obliegenden 
Pflichten in eigener Perſon zu erfüllen. Zu dieſen 
Pflichten aber gehört, daß er ſich bei der Beurkun⸗ 
dung eines Rechtsgeſchäfts vergewiſſert, daß der Inhalt 
der Urkunde dem wahren Willen des Erklärenden ent⸗ 
ſpricht, daß dieſer ſich der Bedeutung der beurkundeten 
Erklarung voll bewußt iſt. Dieſe Ueberzeugung muß 
ſich der Notar perſönlich verſchaffen. Wenn er ſich 
auch zur Vorbereitung der Verhandlung ſeiner Ge⸗ 
hilfen bedienen darf, ſo bleibt er doch verpflichtet, 
perſönlich feſtzuſtellen, daß ſeine Gehilfen ſachgemäß 
und erſchöpfend den Willen der Erſchienenen erkundet 
und ſie belehrt haben. Nur ausnahmsweiſe, bei ein⸗ 
facher Sachlage, oder wenn die Erklärenden rechts⸗ 
und geſchäftskundige Perſonen ſind, wird hierzu die 
a Verleſung der von dem Gehilfen entworfenen 
Urkunde genügen. Hier war das Verfahren des Notars 
unzuläſſig. Es handelte ſich um die Beurkundung von 
drei miteinander zuſammenhängenden Rechtsgeſchäften 
keineswegs einfacher Art, und die Kläger waren Land⸗ 
leute, bei denen er keine beſondere Rechts⸗ und Ge⸗ 
ſchäftskenntnis vorausſetzen konnte. Gleichwohl hat 
der Beklagte die ganze Vorbereitung der Verhandlung, 
die Erkundung des Willens der Vertragſchließenden 
und die Erteilung der gebotenen Auskunft ſeinem 
Sekretär überlaſſen, ſelbſt mit den Klägern überhaupt 
nicht verhandelt und ſich darauf beſchränkt, das vor⸗ 
bereitete Protokoll zu verleſen. Er hat es unterlaſſen, 
ſich davon zu überzeugen, ob die Kläger wußten, welche 
Bedeutung ein anhängiger Rechtsſtreit für die ihnen 
abgetretene Hypothek haben könne, und ob ſie Kenntnis 
hatten von dem bei der Hypothek eingetragenen Sperr⸗ 
vermerk. Dieſes Verhalten mag dadurch veranlaßt 
ſein, daß er meinte, ſich auf ſeinen Sekretär verlaſſen 
zu können. Aber es verſtieß gegen die Pflicht, die ihm 
ſein Amt auferlegte, und es kann auch keinem Zweifel 
unterliegen, daß er dieſe ſeine Pflicht, perſönlich den 
wahren Willen der Vertragſchließenden feſtzuſtellen, 
kannte, daß er ſich alſo bewußt war, nicht den Pflichten 
ſeines Amtes gemäß zu handeln. Es fällt ihm alſo 
nicht nur Fahrläſſigkeit zur Laſt. Ein bewußtes Zu⸗ 
widerhandeln des Beamten gegen die ihm Dritten 
gegenüber obliegende Amtspflicht genügt, um ſeine 
unmittelbare nicht bloß fubfidiäre Verantwortung zu 
begründen. Es iſt hierzu nicht etwa das Bewußtſein 
erforderlich, daß durch dieſe Pflichtverletzung ein Schaden 
für den Dritten entſtehen könne. Es iſt auch eine un— 
abweisbare Forderung, daß der zum perſönlichen 
Handeln verpflichtete Beamte unbeſchränkt für allen 
Schaden einſtehen muß, der dadurch entſteht, daß er 


102 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


—— —— — . ͤ .- l,ůꝛ— 


anderen zu tun überläßt, was er ſelbſt zu tun ver⸗ 
pflichtet war. Der Notar, der ſich zur Erfüllung der 
ihm obliegenden Amtspflicht eines Gehilfen bedient, 
tut dies auf ſeine Gefahr und Verantwortung, ohne 
den Verletzten auf die Möglichkeit eines anderweiten 
Erſatzes verweiſen zu können. (Urt. des III. ZS. vom 
19. Dezember 1913; III 419/13). — a — 
3228 


VIII. 


Abänderung eines durch Beweisbeſchlun ſeſtgeſtellten 
Eides ohne mündliche Verhandlung. Wirkung des ge⸗ 
leiſteten Eides. Aus den Gründen: Das BG. durfte 
für die Beklagten durch Beweisbeſchluß folgenden Eid 
feſtſtellen: „es iſt nicht wahr, daß ich dem Kläger eine 
Proviſion für den Nachweis eines Käufers oder eines 
Verwertungsintereſſenten hinſichtlich des.. Geländes. 
verſprochen habe,“ da die Parteien ausweislich der 
Eideszuſchiebung und der Eidesannahme über Norm 
und Erheblichkeit des Eides einig waren und der Eid 
ein ſelbſtändiges Angriffsmittel des Klägers enthielt 
Es unterliegt auch keinem Bedenken, daß das 
auf Antrag der Beklagten aus der Eidesnorm die 
Worte „eines Käufers oder“ ſtrich. Abgeſehen davon 
daß ſich hierdurch die Lage des Klägers nicht ver⸗ 
ſchlechterte, war die Abänderung nach § 469 ZPO. zu⸗ 
läſſig. Denn da die Beklagten für den Fall des Nach⸗ 
weiſes eines Käufers durch den Kläger dieſem einen 
Proviſionsanſpruch ohne weiteres zubilligen wollten, 
handelte es ſich bei der Streichung der drei Worte um 
die Berichtigung eines nach der derzeitigen Prozeßlage 
unerheblichen Umſtandes. Zuzugeben iſt dem Kläger, 
daß die Veränderung der Eidesnorm ohne vorherige 
mündliche Verhandlung einen Verſtoß des BG. gegen 
88 360, 128 ZPO. enthielt. Deshalb find a durch 
die Eidesleiſtung der Beklagten die im 8 463 3 
angegebenen Wirkungen nicht eingetreten, da die 1 75 
ſetzung für die Leiſtung des veränderten Eides, nämlich 
ein ordnungsmäßiger Beweisbeſchluß, nicht vorlag. 
Dieſe Grundlage wurde aber vom BG. nachträglich 
geſchaffen, indem es auf die Prozeßrüge des Klägers 
nach mündlicher Verhandlung die durch den früheren 
Beſchluß angeordnete Aenderung billigte. Hierin iſt 
nicht der vom BG. begangene Verſtoß nachträglich 
gutgeheißen, vielmehr iſt damit ein den Erforderniſſen 
des § 461 ZPO. entſprechender Beſchluß unter Wah 
rung der Vorſchriften über die mündliche Verhandlung 
gefaßt worden. Das BG. hat aber auch richtig damit 
gehandelt, daß es nicht nochmals die Eidesleiſtung 

anordnete. Es müſſen hier ähnliche Grundſaätze Platz 
greiſen, wie wenn zunächſt ein in unzuläſſiger Weiſe 
durch Beweisbeſchluß normierter Eid abgeleiſtet iſt 
und ſich ſchließlich herausſtellt, daß die Norm des 
bereits geleiſteten Eides für die Endentſcheidung maß— 
gebend ſein muß. Für dieſen Fall hat ſich eine ſtän⸗ 
dige Rechtſprechung mit Recht gegen die nochmalige 
Leiſtung des Eides ausgeſprochen. Dieſe würde auf 
einen mit der Heiligkeit des Eides unvereinbaren 
Formalismus hinauslaufen. Für den Gegner des 
Schwurpflichtigen ſehlt es auch ſchon deshalb an einem 
vernünftigen Grunde für die Wiederholung des Eides, 
weil die Vorſchriften des Strafgeſetzbuchs über die Ver— 
letzung der Eidespflicht und die Beſtimmungen der 
ZPO. über die Anfechtung eines Urteils wegen einer 
ſolchen Verletzung auch auf einen Parteieid Anwendung 
finden, deſſen Auferlegung nach den ſachlichen oder 
prozeſſualen Beſtimmungen nicht zuläſſig war. (Urt. 
des III. ZS. vom 22. Dezember 1913, III 362/13). 
3237 


— 4 — 


IX. 


Wenn in einem Zwangsvergleich der Gläubiger aus⸗ 
drüdlich anf den Teil ſeiner Forderung verzichtet, für | 
den er in dem Zuangsovergleiche feine Deckung erhält, 
fo verliert er damit fur dieſen Teil der Forderung die 


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Rechte aus einer für fie beſtehenden Hypsthekvormerkung. 

Haftung des Rechtsanwalts, der als Vertreter des Glän: 
digers einem ſolchen Zwangs vergleiche zuflimmt. Aus 
den Gründen: Die beklagten Rechtsanwälte, denen 
die Vertretung eines Gläubigers im Konkurs übertragen 
war, werden aus dem Dienſtvertrage, der eine Geſchäfts⸗ 
beforgung zum Gegenſtande hat, nach 88 675, 276 BG. 

auf Erſatz des durch ſchuldhafte Pflichtverletzung verur⸗ 
ſachten Schadens in Anſpruch genommen; für etwaiges 
Verſchulden des von ihnen mit der Vertretung im 
Zwangsvergleichstermine betrauten Referendars haften 
fie nach 8 278 BGB. Es kommt lediglich darauf an, 
ob die vorbehaltloſe Zuſtimmung zu dem Zwangs— 
vergleichsvorſchlage ſie zum Schadenserſatz verpflichtet. 
Der Schaden beſteht darin, daß der Kläger ſich für den 
durch die Vergleichsſumme nicht gedeckten Betrag ſeiner 
Forderung nicht mehr auf Grund der Vormerkung aus 
dem Grundſtücke befriedigen kann. Nach dem Reichs⸗ 
gerichtsurteile vom 15. November 1911 — abgedruckt 
in Entſch. 77, 403 — iſt dieſer Schaden durch jene Zu⸗ 
ſtimmung verurſacht. Dieſes im Löſchungsrechtsſtreit 
ergangene Urteil des V. 83S. ſchafft nicht Rechtskraft 
gegenüber den Beklagten, ſeinen Ausführungen iſt aber 
durchweg beizutreten. Sie gehen, der herrſchenden 
Meinung folgend (vgl. Jaeger, KO. [4] 8 173 Anm. 8), 
von der Vertragsnatur des Zwangsvergleichs aus. Der 
Zwangsvergleichsvertrag, fo wird dargelegt, könne die 
Ausnahmevorſchrift des 8 193 Satz 2 KO. ändern. Hier 
habe er den Inhalt gehabt, daß die Gläubiger 20 v. H. 
ihrer Forderungen erhalten und auf den Reſt verzichten 
ſollten. Der (jetzige) Kläger habe innerhalb des Zwangs⸗ 
vergleichsverfahrens keinen Vorbehalt gegenüber den 
anderen Konkursgläubigern, dem Gläubigerausſchuß 
oder dem Konkursgerichte gemacht. Der Inhalt des 
Vertrags, der die Vermutung der Vollſtändigkeit für 
ſich habe, entſcheide, vorherige Beredungen mit dem 
Gemeinſchuldner ſeien ohne Bedeutung. Zudem ſei der 
Gemeinſchuldner nicht der einzige Vertragsbeteiligte 
neben dem (jetzigen) Kläger geweſen, vielmehr hätten 
daran auch die übrigen Konkursgläubiger teilgenommen. 
Sie hätten von einem ſtillſchweigenden Vorbehalt des 
Abſonderungsrechts keine Kenntnis gehabt, der Vor— 
behalt hätte aber, um wirkſam zu werden, ihnen kund⸗ 
gegeben werden müſſen. Durch den beſtätigten Zwangs. 
vergleich habe der (jetzige) Kläger endgültig und vor» 
behaltlos auf den Reſt ſeiner Forderung verzichtet, 
für eine nicht beſtehende Forderung könne auch keine 
Vormerkung in Kraft bleiben. Die Richtigkeit dieſer 
Begründung unterliegt keinem Zweifel. Durch die Vor⸗ 
merkung hatte der Kläger ein — durch das Beſtehen 
des geſicherten Anſpruchs bedingtes — Recht auf Be⸗ 
friedigung aus dem Grundſtücke, alſo ein Abſonderungs⸗ 
recht erlangt (RG. 78, 71). Es kommt nicht ein Ver⸗ 
zicht auf das Recht aus der Vormerkung in Frage 
(dieſer hätte der Form des § 1168 Abſ. 2 bedurft), 
ſondern ein Verzicht auf die Forderung, der den Weg— 
ſall der Forderung und damit der zu ihrer Sicherung 
eingetragenen, mit ihr ſtehenden oder fallenden, Bors 
merkung zur Folge hatte. Wie zu entſcheiden wäre, 
wenn der Kläger nicht — durch vorbehaltloſe Zu— 
ſtimmung — ausdrücklich auf ſeinen Forderungsreſt 
verzichtet hätte, läßt der V. Senat mit Abſicht uner⸗ 


örtert, es braucht auch hier nicht unterſucht zu werden. 


Im Regelfalle läßt ja der die Zahlungspflicht auf einen 
Teil der Forderung beſchränkende Zwangsvergleich ein 
unvollſtändiges Recht, eine natürliche Verbindlichkeit 
übrig, die eine genügende Grundlage bildet für die 
Fortdauer von Pfandrechten, Hypotheken, Vormerkungen 


(IW. 1910 S. 29 und Urt. 1 490/03 vom 8. Februar 


| 
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1904, Jaeger Anm 5 zu 8193 KO.); doch kann ſelbſt⸗ 
verſtändlich der Gläubiger auch ſeine Rechte aus der 
natürlichen Verbindlichkeit aufgeben, und das geſchieht 
durch den ausdrücklichen Verzicht auf den Forderungs— 
reſt. Das angefochtene Urteil nimmt an, daß die 
ſchadenverurſachende vorbehaltloſe Zuſtimmungser⸗ 


klärung den Bellaglen nicht zum Verſchulden gereiche; 
der dagegen gerichtete Reviſionsangriff iſt begründet. 
Der Rechtsanwalt hat bei Wahrnehmung der Rechte 
des Dienſtberechtigten die im Verkehr erforderliche 
Sorgfalt anzuwenden. Dazu gehört, daß er die vom 
Auftraggeber oder für ihn zur Wahrung dieſer Rechte 
abzugebenden Willens erklärungen ſorgfältig auf ihre 
Tragweite prüft, ihre möglichen Folgen durchdenkt 
und ſorgſam auf Grund der Rechtskenntnis abwägt, 
die der Auftraggeber befugt war bei ihm vorauszu⸗ 
ſetzen. Das LG. begründet nun die Klagabweiſung 
damit, es ſei immer Frage des Einzelfalls, wieweit 
die Teilnahme eines Abſonderungsgläubigers an der 
Schließung des Zwangsvergleichs als ein Verzicht auf 
das dingliche Recht anzuſehen ſei. Die Beklagten hätten 
ſo wenig wie der Kläger einen Verzichtswillen gehabt 
und hätten ohne Verſchulden annehmen können, daß 
alle Beteiligten mit dem Vorbehalt des Abſonderungs⸗ 
rechts einverſtanden ſeien. Das OLG. fügt hinzu, daß 
nach einer früheren Rechtſprechung des RG.s es Sache tat⸗ 
ſächlicher Würdigung des Einzelfalls ſei, ob ein Ver⸗ 
zicht auf das Abſonderungsrecht angenommen werden 
könne. In den einſchlägigen Entſcheidungen iſt jedoch 
unterſucht, ob beſtimmte Handlungen der Gläubiger 
(Geltendmachung der ganzen Forderung — nicht bloß 
des Ausfalls — als Konkursforderung, Abſtimmung 
mit der ganzen Forderung, Empfangnahme des auf 
die ganze Forderung fallenden Vergleichsbetrages) als 
Verzicht aufzufaſſen find (fo in RG. 37, 17 VI 205/1907; 
16, 70; JW. 1896, 35 ; 1900, 344 1311/04, V 6/1900; 
RG. 64, 425). In der Begründung zum Geſetz vom 
17. Mai 1898 betr. Aenderung der KO. heißt es auf 
Seite 45: „Der Frage, wiefern die Teilnahme des 
Gläubigers an der Schließung des Zwangsvergleichs 
als Verzicht au das dingliche Recht anzuſehen ift, wird 
durch die Beſtimmung — jetzt 8 193 S. 2 — nicht 
vorgegriffen.“ Alles dies kommt hier nicht in Betracht, 
es handelt ſich nicht darum, ob durch ſchlüſſige Hand⸗ 
lungen die Beklagten auf das Abſonderungsrecht, rich⸗ 
tiger: auf den ganzen Forderungsreſt, verzichtet haben; 
ſie haben vielmehr darauf ausdrücklich verzichtet. Beim 
ausdrücklichen Verzicht iſt kein Raum fur die beim 
Verzicht durch ſchlüſſige Handlungen notwendige tat⸗ 
ſächliche Würdigung des Einzelfalls; die vom OLG. 
angeführte Rechtſprechung des RG., die ſich mit dem 
ausdrücklichen Verzichte nicht beſchäftigt, kann keinen 
Anhalt bieten für die Meinung der Beklagten, daß das 
Abſonderungsrecht fortbeſtehe. Sie konnten bei ſorg⸗ 
fältiger Prüfung der geſetzlichen Vorſchriften, ins⸗ 
beſondere der 88 64, 193 KO. und der §§ 648, 883 BGB., 
unter Beachtung allgemeiner Rechtsgrundſätze nicht ver⸗ 
kennen, daß durch den ausdrücklichen Verzicht die For⸗ 
derung und durch die Vernichtung der Forderung das 
Recht aus der Vormerkung erliſcht, und mußten die 
Frage, ob das Abſonderungsrecht vorbehalten ſei, ver⸗ 
neinen. Die Ausführungen des V. ZS. geben nicht 
etwa neue Rechtsgrundſätze. Daß der Zwangsvergleich 
ein Vertrag iſt, entſpricht, wie bemerkt, der herrſchen⸗ 
den Meinung. Daß Vertragſchließende nicht der Gemein⸗ 
ſchuldner und der einzelne Gläubiger, ſondern der Ge⸗ 
meinſchuldner und alle Konkursgläubiger ſind, ergibt ſich 
aus dem Weſen des Zwangsvergleichs und der Not⸗ 
wendigkeit grundſätzlicher Gleichſtellung aller Konkurs⸗ 
gläubiger (8 181 KO.). Endlich iſt die entſcheidende 
Bedeutung der ſchließlichen Vertragsgeſtaltung gegen⸗ 
über vorherigen Beredungen durch die Rechtſprechung 
längſt geklärt (RG. 52, 26). Nach alledem haben die 
Beklagten fahrläſſig gehandelt, wenn fie bei der Zus 
ſtimmung zum Zwangsvergleiche von der Meinung 
ausgegangen ſind, das Abſonderungsrecht ſei dem Kläger 
in rechtswirkſamer Weiſe vorbehalten. Bei der den 
Beklagten obliegenden Prufung handelt es ſich nicht 
um rechtlich zweifelhafte Fragen, denen gegenüber die 
Beklagten ohne Verſchulden ſowohl der einen als der 
anderen Meinung hätten folgen können. Ueber die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


Wirkung des ausdrücklichen Verzichts beſtehen keine 
verſchiedenen Anſichten; die Beklagten haben darin 
gefehlt, daß ſie ſeine Bedeutung nicht beachtet oder 
rechtlich unzutreffend bewertet haben. Ob ihr urfädh- 
liches Verſchulden mehr oder weniger ſchwer wiegt, 
kommt für die Frage nach ihrer Haftung nicht in Be⸗ 
tracht. Der Umſtand, daß im Löſchungsrechtsſtreit das 
OLG. das Abſonderungsrecht als fortbeſtehend ange⸗ 
nommen und dem ausdrücklichen Verzichte nicht die ihm 
zukommende Bedeutung beigemeſſen hat, mag für den 
Grad des Verſchuldens der Beklagten bezeichnend ſein, 
beſeitigt aber ſelbſtverſtändlich ihr Verſchulden nicht. 
Unter dieſen Umſtänden kann unerörtert bleiben, ob 
die Beklagten als vorſichtige Rechtsanwälte nicht ſchon, 
um dem Kläger nicht die Gefahr einer ungünſtigen 
Entſcheidung aufzubürden (Urt. III 231/98, III 651/1909), 
der Möglichkeit einer anderen Meinung als der ihrigen 
Rechnung tragen und den Vorbehalt hätten ausſprechen 
laſſen müſſen. (Urt. des III. ZS. vom 4. November 1913, 
III 266/1913). E. 
3214 


X. 


. Iſt der 8 406 BB. anwendbar, wenn im Ber: 
nern der Zwangs verſteiger ung die Forderang 
gegen den Erſteher auf die Blänbiger übertragen wird! 
Aus den Gründen: Dem Os. muß zugegeben 
werden, daß die Regel des § 406 BGB., wonach der 
Schuldner eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger 
zuſtehende Forderung auch dem neuen Gläubiger gegen- 
über aufrechnen kann, auf den Fall der Uebertragung 
der Forderung gegen den Erſteher nicht unmittelbar 
angewendet werden kann, und daß es ſich bei dieſer 
Uebertragung auch nicht um einen Fall der Uebertragung 
einer Forderung kraft Geſetzes i. S. des § 412 BGB. 
handelt. Allein dem $ 406 liegt, wie dem $ 404 BGB., 
der allgemeinere Rechtsgedanke zugrunde, daß die Rechts⸗ 
lage des Schuldners durch die Abtretung nicht ver⸗ 
ſchlechtert werden darf, insbeſondere auch nicht mit 
Bezug auf die Möglichkeit, mit ſeinen Forderungen an 
den bisherigen Gläubiger gegen die abgetretene Forde⸗ 
rung aufzurechnen. Und dieſer Rechtsgedanke darf und 
muß auf den Fall einer Uebertragung der Forderung 
gegen den Erſteher zur Vermeidung einer unbilligen 
Rechts verkürzung wenigſtens dahin angewendet werden, 
daß dem Erſteher eine Aufrechnungsmöglichkeit nicht 
dadurch entzogen werden kann, daß die Forderung 
anſtatt auf den eigentlich Berechtigten auf Grund einer 
unwirkſamen Abtretung an den Abtretungsempfänger 
übertragen wird. Hier insbeſondere iſt Folgendes zu 
erwägen: 

Allerdings konnte der Kläger (der Erſteher), ſo⸗ 
lange und ſoweit der Beklagte A. über die Forderung 
gegen ihn nicht durch Uebertragung gemäß 5 118 3G. 
die Verfügungsmacht erlangt hatte, auch dieſem Be⸗ 
klagten gegenüber nicht aufrechnen, dies auch dann nicht, 
wenn man in dem an die Stelle der Eigentümer⸗ 
grundſchuld getretenen Recht auf Befriedigung aus dem 
Verſteigerungserlöſe ein Pfandrecht an der Erlösforde⸗ 
rung gegen den Kläger als Erſteher erkennt und mit 
dem VII. 35. des Reichsgerichts (RG Z. 57, 108) ans 
nimmt, daß der Schuldner einer verpfändeten Forde⸗ 
rung an ſich berechtigt iſt, dagegen mit Forderungen 
aufzurechnen, die ihm gegen den Pfandgläubiger zu— 
ſtehen. Immerhin aber hatte er die rechtlich begründete 
Ausſicht, demnächſt A. gegenüber aufrechnen zu können, 
weil die Forderung (in der vollen Höhe der Eigentümer— 
grundſchuld) nach $ 118 an dieſen als den Berechtigten 
zu übertragen war. Durch die zu Unrecht erfolgte 
Uebertragung auf den Beklagten W. als vermeintlichen 
Rechtsnachfolger des A. würde ihm dieſe Aufrechnungs— 
möglichkeit entzogen ſein. Darf aber durch die Ueber— 
tragung einer Forderung die Rechtslage des Schuldners 
nach dem dem § 406 zugrunde liegenden Rechtsgedanken, 
insbeſondere hinſichtlich der Aufrechnungsmöglichkeit 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


— ñ—— 4 b — 2 ́uü-¹.bZ— — — 


nicht verſchlechtert werden, ſo muß dem Kläger die 
Möglichkeit offengelaſſen ſein, mit ſeinen Forderungen 
an A. gegen die übertragene Forderung auch dem Be⸗ 
klagten W. gegenüber aufzurechnen. — Die Ausnahmen, 
die der 8 406 in ſeinem zweiten Teile von der Regel 
in ſeinem erſten Teile macht, begründen nach dem 
vorliegenden Sachverhalt keine Einſchränkung. (Urt. 
des V. 3S. vom 20. Dez. 1913, V 201/13). — — — gn. 
3234 


B. Strafſachen. 
1 


Berihnitt von Traubenmaiſche mit Wein oder Moft. 
Aus den Gründen: Die Vermiſchung der vollen 
Traubenmaiſche mit Wein oder Moſt iſt nach der Entſch. 
Bd. 45 S. 215 ein nach 8 2 Wein. erlaubter Verſchnitt 
und nicht ein nach 84 Wein. verbotener Zuſatz von 
Stoffen. Auch ſolche Traubenmaiſche, die bereits einen 
Teil der Brühe abgegeben hat, ſonach aus teilweiſe 
entmoſteten Trauben beſteht, iſt zum Verſchnitt mit 
Wein oder Moſt verwendbar. Offengelaſſen wurde 
bisher, ob und bis zu welcher Grenze der Entmoſtung 
den Beſtandteilen der friſchen Traube die Eigenſchaft 
erhalten bleibt, als natürliches Erzeugnis des Wein⸗ 
ſtocks innerhalb der Kellerbehandlung zur Weinbereitung 
noch weiter ausgenützt zu werden. Für die Entmoſtung 
der friſchen Traube ſind an ſich keine Grenzen gezogen; 
wie ſie grundſätzlich mit allen ihren ſafthaltigen Be⸗ 
ſtandteilen den Ausgangsſtoff zur Weinbereitung bildet, 
ſo müſſen dieſe Beſtandteile ſämtlich zur Gewinnung 
des Safts grundſätzlich bis zur äußerſten Grenze bei 
der Moſtgewinnung herangezogen werden können. Die 
Rückſicht auf die Beſchaffenheit des zu erzeugenden Weins 
mag zu Einſchränkungen nötigen, das Geſetz fordert 
dieſe nicht. Vom Standpunkt des Geſetzes aus iſt die 
Maiſche, die einen Teil des Safts ohne Preſſung ab⸗ 
gegeben hat, nicht weniger tauglich zur Moſtgewinnung, 
als die volle Maiſche; und auch bei den folgenden 
Preſſungen, deren Zweck es iſt, den Saft aus allen 
Beſtandteilen der Traube auszuſcheiden, begründet es 
an und für ſich keinen Unterſchied, ob die Entmoſtung 
durch die vorausgehenden Preſſungen ſchon mehr oder 
weniger fortgeſchritten iſt; auch die ausgepreßte Maſſe, 
die nur nach vorgängiger Auflockerung von neuem 
Saft auf Druck hergibt, ſteht grundſätzlich der vollen 
Maiſche gleich, ſoweit ihre Eigenſchaft als zur Wein⸗ 
bereitung taugliches und verwendbares Erzeugnis des 
Weinſtocks in Frage kommt. Solange alſo die Ge— 
winnung von Saft durch die in der üblichen Keller— 
behandlung eingeführten Mittel möglich bleibt, handelt 
es ſich um die Bearbeitung der friſchen Traube zur 
Gewinnung von Moſt. Die bearbeitete Maſſe iſt, minde- 
ſtens ſolange dies zutrifft, kein dem Wein oder Moſt 
weſensfremder Stoff, fie iſt namentlich noch kein Rück⸗ 
ſtand der Weinbereitung. Wielange das der Fall iſt, 
ob namentlich die Maſſe ſolange nicht als völlig ents 
ſaftet zu gelten hat, als mittels der in der Kellerwirt— 
ſchaft eingeführten Hilfsmittel Traubenſaft in ſolcher 
Menge, wie ſie überhaupt praktiſch noch in Betracht 
kommt, aus der Treſtermaſſe zu holen iſt, das braucht 
auch hier nicht erörtert zu werden. Denn die Urteils— 
gründe führen mehrfach an, daß die von dem Ange— 
klagten verwendeten „Treſter“, nämlich die von den 
„Kämmen“ befreiten Beeren, Schalen und Kerne, ſonach 
ſafthaltige Teile der friſchen Traube, noch feucht ge— 
weſen ſeien, und es iſt betont, daß ihnen noch Trauben— 
ſaft angehaftet habe. Hiernach iſt es nicht aus 8 4 
Wein. zu beanſtanden, vielmehr vom Standpunkt des 
Geſetzes aus erlaubt, wenn der Angeklagte die er— 
wähnten noch ſafthaltigen Beſtandteile friſcher Trauben 
dem aus dieſen bereits zuvor gewonnenen Moſt zu— 
geſetzt hat. Wenn die Treſter“, wie das Urteil die 
angeführten, in dem feſtgeſtellten Zuſtand befindlichen 


Beſtandteile der Traubenmaiſche bezeichnet, während 
der zweitätigen Lagerung chemiſchen Veränderungen 
durch den Luftzutritt ausgeſetzt waren, worauf in der 
Reviſionsbegründung des Staatsanwalts hingewieſen 
wird, fo ſteht dieſe Tatſache für ſich allein ihrer Ber: 
wendbarkeit nicht entgegen. Solche natürliche Berändes 
rungen der „Treſter“ würden — deren Verwendbar⸗ 
keit als friſche, ſafthaltige Treſter im vorſtehenden Sinne 
ſtets vorausgeſetzt — nur dann von Bedeutung ſein, 
wenn ſie ſo durchgreifend und umgeſtaltend geweſen 
wären, daß aus dieſem Grunde die „Treſter“ als ver⸗ 
dorben oder ſonſt in ihrer Weſensart verändert und 
umgewandelt und deshalb als ein dem Wein fremder 
Beſtandteil angeſehen werden müßten. (Urt. des I. StS. 
vom 6. Nov. 1913, I D 592/13). 
3210 


II 


Begriff des weinähnlichen Getränkes. Verwendung 
von Tamarindeummd bei der Herſtellung eines weinähn: 
lichen Geträunkes. Aus den Gründen: Das L. 
hat die Frage, ob das aus dem Moſterſatzſtoff herge⸗ 
ſtellte Getränk dem Wein derart ähnlich iſt, daß es 
im Verkehr mit Wein verwechſelt werden kann, offen 
gelaſſen, weil der Angeklagte auf Grund eines Gut⸗ 
achtens angenommen hat, daß der nach ſeinem Rezept 
hergeſtellte Moſterſatz nicht mit Wein verwechſelt werde, 
und ihm deshalb das Bewußtſein gefehlt hat, daß ſein 
Moſterſatzſtoff zur Herſtellung eines Getränkes ver⸗ 
wendet werden könne, das Nachahmung von Wein ſei. 
Dieſe Feſtſtellung ſchließt die Beſtrafung aus 8 26 
Abſ. 1 Nr. 3 Wein. aus, ſoweit der Vertrieb des 
Moſterſatzſtoffes in Betracht kommt. Das LG. hat ſich 
allerdings auf den Nachweis beſchränkt, daß dem An⸗ 
geklagten der zu einem Vergehen gegen dieſes Geſetz 
erforderliche Vorſatz l gefehlt hat, als er ſich 
in Unkenntnis darüber befunden hat, daß das aus dem 
Moſterſatzſtoff hergeſtellte Getränk Eigenſchaften auf⸗ 
weiſt, die es als nachgemachten Wein erſcheinen laſſen, 
und nicht geprüft, ob dieſes Getränk weinähnlich iſt 
und ob in der zu ſeiner Herſtellung beſtimmten Miſchung 
Stoffe enthalten ſind, die nach den Beſtimmungen des 
Wein. und der Ausführungsbeſtimmungen des BR. 
zur Herſtellung weinähnlicher Getränke unzuläſſig ſind. 
Dazu bot indes der Sachverhalt keinen Anlaß. Aller⸗ 
dings ſchließt der Umſtand, daß der „Moſterſatz“, 
wenigſtens nach der Vorſtellung des Angeklagten, keine 
Nachahmung von Wein iſt, nicht aus, daß er doch wein⸗ 
ähnlich war, da nicht jedes weinähnliche Getränk eine 
Nachahmung von Wein zu ſein braucht, wie ſich aus 
8 10 Wein G. ergibt. Nach den Feſtſtellungen hat der 
Angeklagte den Moſterſatz als Erſatz für Obſtmoſt oder 
Apfelwein angeprieſen und der Sachverſtändige B. 
ihn als Nachahmung von Apfel- und Birnenwein bes 
zeichnet, und deshalb liegt die Annahme ſogar ſehr 
nahe, daß er ein weinähnliches Getränk iſt und der 
Angeklagte dieſe Eigenſchaft gekannt hat. Aber ſelbſt 
wenn dem ſo wäre, würde der Vertrieb des Moſterſatz⸗ 
ſtoffes nicht nach 8 26 Abſ. 1 Nr. 3 Wein. ſtrafbar 
ſein. Denn dadurch ſollen beſtimmte Verfehlungen 
gegen das WeinG. verhütet werden und zu dem Zweck 
iſt der Vertrieb gewiſſer Stoffe verboten, die bei der 
im Wein. geregelten Herſtellung von Getränken ver— 
wendet werden ſollen. Das Wein. befaßt ſich aber 
nur mit der Herſtellung ganz beſtimmter weinähnlicher 
Getränke, nämlich der in § 10 aufgeführten weinähn⸗ 
lichen Getränke aus Fruchtſäften, Pflanzenſäften oder 
Malzauszügen, andere weinähnliche Getränke, insbe⸗ 
ſondere auch Nachahmungen der in 8 10 bezeichneten, 
fallen abgeſehen von 89, der hier nicht in Betracht 
kommt, nicht unter das Wein. und deshalb iſt der 
Vertrieb der zu ihrer Herſtellung dienenden Stoffe 
auch nicht nach dem Wein. ſtrafbar. Dem entſpricht 
es, daß in den Ausführungsbeſtimmungen des BR. 
zu SS 10, 16 die Verwendung gewiſſer Stoffe nur bei 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


der Herſtellung der in 8 10 Wein. bezeichneten wein⸗ 
ähnlichen Getränke verboten iſt. (Vgl. RGSt. Bd. 46 
S. 256). Zu dieſen Getränken gehört das aus dem 
Moſterſatzſtoff des Angeklagten hergeſtellte Getränk 
nicht, da zu ſeiner Herſtellung Fruchtſäſte, Pflanzen⸗ 
ſäfte und Malzauszüge nicht verwendet werden. Daß 
Tamarindenmus kein Saft, alſo auch kein Frucht⸗ oder 
Pflanzenſaft i. S. des § 70 Wein. iſt, wurde bereits 
früher ausgeſprochen. Die Herſtellung von weinähn⸗ 
lichen Getränken aus Tamarindenmus fällt alſo nicht 
unter das Wein., ſolange fie nicht Nachahmung von 
Wein iſt. Daraus ergibt ſich, daß der Angeklagte auch 
dann nicht aus 8 27 Abſ. 1 Nr. 3 Wein. zu beſtrafen 
iſt, wenn das aus ſeinem Moſterſatzſtoff hergeſtellte 
Getränk weinähnlich iſt. (Urt. d. I. StS. vom 11. Dez. 
1913, I D 819/13). 
3232 


un, 


III 


Begriff des „Auffanfens“ von Tieren im Sinne der 
Borſchriſten zur Verhütung von Viehſeuchen. Aus den 
Gründen: Mit Recht iſt der Angeklagte für über⸗ 
führt erachtet worden, daß er ſich als Händler „mit 
Aufkaufen von Tieren“ entgegen dem Verbot der Bes 
hörde befaßt habe, und gemäß 8 74 Abſ. 1 Nr. 3 
Vieh. beſtraft worden, weil er in einer Ortſchaft 
innerhalb des Sperrbezirks dem Landwirt W. eine Kuh 
ohne vorgängige Beſtellung und außerhalb ſeiner ge⸗ 
werblichen Niederlaſſung und zwar im Auftrag des 
Landwirts S. abgekauft hat. In ſeinem zum Druck 
beſtimmten Urteil vom 30. Oktober 1913, 1 D 718,13, 
hat der Senat ſchon ausgeſprochen, daß dem Gebrauch 
des Worts: „Aufkaufen“ in 8 168 der Ausführungs⸗ 
vorſchriften des BR. gegenüber dem in 8 55 GewO. 
gewählten Ausdruck: „Ankaufen“ feine fachliche Be⸗ 
deutung zukommt, und daß der 855 GewO. deshalb 
zur Auslegung der Ausführungsvorſchriften heran⸗ 
gezogen werden darf, weil die GewO. als aushilfsweiſe 
Rechtsquelle zu gelten hat, ſoweit der Begriff des 
Handels im Umherziehen einer Erklärung bedarf, den 
die VBorſchriften des Vieh SGG. und die Ausführungs⸗ 
vorſchriften des BR. als gegeben aus der GewO. 
herübergenommen haben. Von dieſem Standpunkte 
aus iſt zwar zuzugeben, daß für das Verbot des 
Handels im Umherziehen nur ſolche Kaufverträge hin⸗ 
ſichtlich Klauenvieh in Betracht kommen, die der Händler 
zu Zwecken des Wiederverkaufs eingeht, wie ja auch 
in dem für den Begriff des Hauſierhandels grund« 
legenden $ 55 Abſ. 1 Nr. 2 GewO. nur das Ankaufen 
„zum Wiederverkauf“ als Erſcheinungsmerkmal dieſer 
Art von Handel hervorgehoben wird. Allein in dem 
hier vor allem ins Auge zu faſſenden wirtſchaftlichen 
Sinne kann nicht zweifelhaft ſein, daß auch der Kauf 
ein Aufkaufen bedeutet, den der Händler innerhalb 
ſeines Gewerbebetriebes im Auftrag eines andern, ſei 
es a feinen Namen, ſei es als offener Stellvertreter, 
abſchließt. Hat der Angeklagte aber auch bei dieſem 
Geſchäft den üblichen Gewinn zu erzielen geſucht, ſo 
kann angeſichts des Zwecks des Verbotes und des ihm 
unterliegenden Geſetzes kein Unterſchied ſein, ob der 
Angeklagte rechtlich Käufer der Kuh iſt, der ſich nur 
zum Voraus eines Wiederabnehmers verſichert hat, 
oder ob S. als Käufer zu gelten hat, und ob der Ge— 
winn des Angeklagten in dem Unterſchied zwiſchen 
Ankaufs⸗ und Verkaufspreis oder einer von ihm geltend 
zu machenden Ankaufsgebühr beſtand. Der Grund, 
weshalb Geſetz und Ausführungsvorſchrift unter be⸗ 
ſtimmten Vorausſetzungen das Verbot des Hauſier⸗ 
handels mit Vieh für zuläſſig erklären, kann, wenn 
beachtet wird, daß das Aufſuchen von Beſtellungen 
durch Händler ohne Mitführen von Tieren dem Auf— 
kaufen von ſolchen gleichgeſtellt iſt, nur der fein, daß 
nicht bloß den für die Seuche empfänglichen Tieren, 
ſondern auch der Perſon der mit ihnen umgehenden 
Händler die Fähigkeit der Seuchenverſchleppung bei— 


105 


— — — 


gemeſſen wird. Dieſe Gefahr iſt gegeben, mag der 
Händler im eigenen Namen und für eigene Rechnung 
oder im Auftrag eines andern Klauenvieh „auflaufen“. 
Auch die GewO. macht in dieſer Hinſicht keine Unter⸗ 
ſcheidung. In 8 55 daſelbſt gebraucht fie die Worte: 
„in eigener Perſon“ und in 8 60 d Abſ. 2 wird gejagt: 
„Wer für einen andern ein Gewerbe im Umherziehen 
zu betreiben beabſichtigt, unterliegt für ſeine Perſon 
den Beſtimmungen dieſes Geſetzes“. (Urt. des I. StS. 
vom 8. Dez. 1913, I D 771/13). 
3233 


— — — . 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
1 


uſtändigkeit zur Verbeſcheidung der Beſchwerde 
er weiteren Beſchwerde des Landes verſicherungs⸗ 
a ai ein Amtsgericht wegen Verweigerung der 
Nechtshilſe in einer älteren Sache (RBO. 88 115, 1571; 
GVG. 88 157—160; Art. 85 EG. RVO.). Das bayer. 
LBerfNl. erſuchte ein Amtsgericht, den Bauunternehmer 
K. über die Beteiligung einiger Perſonen an einem 
Neubau als Zeugen zu vernehmen. Das A. lehnte 
ab. Das LBerffl. legte Beſchwerde zum Os. ein. 
Das OLG. verwarf fie, weil es unzuſtändig ſei. Auf 
die weitere Beſchwerde hob das Ob. die Beſchluͤſſe 
auf und wies das AG. an, dem Erſuchen zu entſprechen. 

Gründe: Nach 8 144 Gewuverſc. vom 30. Juni 
1900 haben die öffentlichen Behörden den im Vollzuge 
dieſes Geſetzes an ſie ergehenden Erſuchen des Reichs⸗ 
verſicherungsamtes, der Landesverſicherungsämter, der 
Schiedsgerichte ſowie der Genoſſenſchafts⸗ und Sektions⸗ 
vorſtände zu entſprechen. Bei der Auslegung dieſer 
Vorſchrift entſtanden Zweifel, ob auch die Genoſſen⸗ 
ſchafts⸗ und Sektionsvorſtände in Unfallverſicherungs⸗ 
ſachen Zeugen und Sachverſtändige durch die Amts⸗ 
gerichte eidlich vernehmen laſſen können (Handb. der 
UBerf., 3. Aufl., Bd. 1 S. 640 Anm. 9). Daß aber 
dieſe Berechtigung den Gerichten der Verſicherungs⸗ 
inſtanzen zuſteht, blieb unbeſtritten und iſt auch in der 
Begr. zu 8172 Inv Verſc., dem Vorbilde des 8 144, 
anerkannt (Verh. des Reichst., 1. Seſſ. 1898/1900 
Anl Bd. 1 S. 747). Streit beſteht ferner über die Frage, 
welche Rechtsmittel den Verſicherungsbehörden und 
⸗trägern gegen Beſchlüſſe der Amtsgerichte zuſtehen, 
durch die das Rechtshilfeverfahren abgelehnt wird 
(Handbuch a. a. O.). Das Reichsgericht hat in den Be⸗ 
ſchlüſſen vom 7. Februar 1896 und 28. Februar 1912 
(JW. 1896 S. 1451, LZ. 1913 Sp. 85) hinſichtlich der 
Reichsverſicherungsgeſetze die entſprechende Anwendung 
der 588 157 ff. GVG. verneint, während es in den Be⸗ 
ſchlüſſen vom 19. September 1894 und 11. Oktober 
1906 (RG. 33, 423; 64, 179) bei ähnlicher Rechtslage 
hinſichtlich des 8 32 PatG. vom 7. April 1891 die 
88 157 ff. GBG. für entſprechend anwendbar erklärte. 
Dagegen hat ſich das Obs G. in dem Beſchluſſe vom 
2. Mai 1910 (n. Samml. Bd. 11 S. 316) für die ent⸗ 
ſprechende Anwendung des GVG. ausgeſprochen. Auch 
die erneute Prüfung gibt keinen Anlaß, davon abzu⸗ 
gehen. Mit Recht hat ſich die Entſcheidung in ihrer 
Begründung auf den Entwurf zur RVO. geſtützt. 
Zwar enthält der Entwurf keine ausdrückliche Beſtim⸗ 
mung über das Beſchwerderecht. Die Begründung zu 
8 128 (S. 68) läßt aber unbedenklich annehmen, daß 
ebenſo wie die bisher beſtrittene Berechtigung der 
Verſicherungsträger, die Amtsgerichte um eidliche Ver— 
nehmung von Zeugen und Sachverſtändigen anzugehen, 
ausdrücklich anerkannt wurde, auch die bisher beſtrittene 
Geltung der SS 157 ff. GVG. als ſelbſtverſtändlich 
vorausgeſetzt wurde. Die Annahme des OLG., daß 
der Geſetzgeber im 8 1571 RVO. dieſen Standpunkt 


und 
mtes 


106 


— — 


verlaſſen habe, trifft nicht zu. Zunächſt wird überſehen, 
daß die Beſtimmung im Abſ. 4 nicht bloß für das 
Feſtſtellungs verfahren gilt, ſondern nach 88 1652, 1701, 
1789 auf das Spruch⸗ und das Beſchlußverfahren an⸗ 
zuwenden iſt. Die Annahme läßt aber auch den Zweck 
außer Betracht, den der Geſetzgeber verfolgte. Hier⸗ 
nach ſollte das den Verſicherungsträgern und behörden 
in § 128 (8 115 d. Geſ.) gewährte Recht auf gerichtliche 
Rechtshilfe nicht erweitert, ſondern beſchränkt werden 
(Reichst Verh. Bd. 279 S. 5051, 5052). Zu einer Bes 
ſchränkung des Beſchwerderechts wäre aber kein Anlaß 
gegeben geweſen, wenn der Geſetzgeber in § 128 (8 115 
d. Geſ.) überhaupt kein Beſchwerderecht hätte einräumen 
wollen. Nur weil der Geſetzgeber davon ausging, daß 
nach 8 128 den Berfiierungsträgern und behörden 
das Beſchwerderecht nach dem GBG. zuſtehen ſollte, 
nahm er, wie ſich auch aus der Faſſung des Abſ. 4 
des 8 1571 ergibt, Anlaß, dieſes Recht zu beſchränken. 
Iſt ſohin auf das vorliegende Beſchwerdeverfahren 
8 160 GVG. anzuwenden, fo iſt die Zuſtändigkeit des 
Beſchwerdegerichts und, da in den Unfallverſicherungs⸗ 
geſetzen vom 30. Juni 1900 die Entſcheidung in letzter 
Inſtanz nicht dem Reichsgerichte zugewieſen iſt, auch 


die geRändigteit des ObL®. gegeben. (Beſchl. des 
1. 35. vom 9. Januar 1914, Reg. II 1/1913). W. 
3231 
II. 
Anslegun 


eines 05 und Erbvertrags, in dem 
Brantlente die allgemeine Gütergemeinſchaſt verein⸗ 
barten und für den Fall ihres beiderſeitigen kinderloſen 
Todes die Schweſter der Fran zur Erbin einſetzten, für 
den Fall des Berablebeus des Mannes aber keine ans⸗ 
drückliche Beſtimmung trafen. Wert des Beſchwerde⸗ 
genenftands im „ (BGB. 88 2084, 
133). D. errichtete 1901 mit feiner Braut Margarete 
Sch. einen notariellen Ehe⸗ und Erbvertrag. In Ziff. 1 
erklärten die Vertragſchließenden, daß fie „die all⸗ 
gemeine Gütergemeinſchaft einführen und durch Erb⸗ 
vertrag für den Fall kinderloſen Abſterbens des letzt⸗ 
verſterbenden Eheteils die Schweſter der Margarete 
Sch., die Marie H. und nach ihr deren Kinder als 
Erben einſetzen“. 1912 ſtarb D. kinderlos. Das Amts⸗ 
gericht erteilte der Margarete D. einen Erbſchein, durch 
den bezeugt wurde, daß Andreas D. auf Grund des 
Erbvertrags von IE Ehefrau ausschließlich beerbt 
worden iſt und daß als Nacherben die drei Kinder der 
verſtorbenen Marie H. berufen ſind. Gegen die Er⸗ 
teilung des Erbſcheins legten die nächſten Verwandten 
des Andreas D. Beſchwerde ein. Das Landgericht wies 
die Beſchwerde zurück und ſetzte den Wert des Bes 
ſchwerdegegenſtandes auf 1000 M feſt. Das Obe. 
wies auch die weitere Beſchwerde zurück; nur ſetzte es 
den Wert des Beſchwerdegegenſtandes auf 60 M bis 
120 M feſt. 


Gründe: Das LG. hat angenommen, daß bei 
Errichtung des Ehe- und Erbvertrags beide Teile 
willens waren, es ſolle beim Ableben des einen von 
ihnen der Ueberlebende Alleinerbe werden. Dieſe Ans 
nahme unterliegt keinem Bedenken. Die Beſchwerde— 
führer machen aber geltend: Der Wille der Erbein⸗ 
ſetzung genüge allein nicht, er müſſe vielmehr im Teſta⸗ 
ment oder Erbvertrag auch ausgedrückt ſein; denn 
außerdem liege keine Erbeinſetzung vor. Dies iſt zu— 
zugeben. Wie aber im allgemeinen bei der Auslegung 
einer Willenserklärung nicht deren buchſtäblicher Wort— 
laut entſcheidet, ſondern nach dem wahren Willen zu 
forſchen iſt, ſo auch bei einer letztwilligen Verfügung. 
Die Auslegung findet nur darin ihre Grenze, daß ſie 
in der Willenserklärung einen, wenn auch geringen 
Anhalt finden muß und daß ſie einem völlig unzwei— 
deutig erklärten Willen nicht geradezu zuwiderlaufen 
darf. Zur Feſtſtellung des Willens iſt es zuläſſig und 
nicht ſelten notwendig, auch die begleitenden Umſtände 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. b. 


zu berückſichtigen, ja es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß 
eine letztwillige Verfügung bezüglich eines weſentlichen 
Punktes inſoferne ſtillſchweigend erfolgt, als der Wille 
des Erblaſſers nur aus dem übrigen Teſtamentsinhalte 
entnommen wird. Bei der Auslegung iſt nicht bloß 
zu berückſichtigen, was ausgeſprochen iſt, ſondern auch. 
was ohne ausgeſprochen zu ſein, die e 
des Ausgeſprochenen bildet (vgl. Komm. v. RER. 8 208 
Anm., Planck, BGB., Erbrecht III. Abſchn., Tit. 1, 
Vorbem. 4, Recht 1905 S. 77). Prüft man an der Hand 
dieſer Grundſätze den Ehe» und Erbvertrag, fo iſt es 
zwar richtig, daß darin eine ausdrückliche Erbeinſetzung 
der Witwe fehlt, allein aus den übrigen Verfügungen 
im Zuſammenhalt mit den ſonſt bekannten Tatſachen 
muß entnommen werden, daß der Wille auf dieſe Erb⸗ 
einſetzung gerichtet war und daß der Wille auch kund⸗ 
gegeben wurde. Die eee haben bes 
ſtimmt, daß ſie für den Fall kinderloſen Abſterbens 
des letztverſterbenden Eheteils die Schweſter der Mar⸗ 
garete D. oder bei deren Vorableben ihre Kinder zu 
Erben einſetzen. Es wäre zwar denkbar und rechtlich 
möglich, daß damit nur die Erbeinſetzung in den Nach⸗ 
laß des letztverſterbenden allein angeordnet und daß 
im übrigen keine letztwillige Verfügung getroffen wurde; 
allein für eine Verfügung von ſolch beſchränktem Um⸗ 
fang iſt nicht der mindeſte Anlaß erſichtlich; auch 
würde ſie dazu führen, daß für den Fall des fpäteren 
Ablebens des Andreas D. zwar deſſen Nachlaß von 
der Schweſter ſeiner Ehefrau geerbt worden wäre, 
der Nachlaß der letzteren aber nicht der Marie H. allein, 
ſondern den geſetzlichen Erben der Margarete D. über- 
haupt zugefallen wäre. Der Auslegung des LG., daß 
die Erbfolge der Schweſter der Margarete D. in das 
Vermögen der Eheleute D. als eine Geſamtheit geht, 
muß daher beigepflichtet werden. Legt man dieſe Aus⸗ 
legung zugrunde, fo iſt die notwendige Vorausſetzung. 
daß ſich das Vermögen in der Hand des Ueberleben⸗ 
den vereint; denn nur dadurch kann der erbweiſe 
Uebergang des Vermögens beider Ehegatten auf den 
Erben des Letztverſterbenden herbeigeführt werden. 
Der Schluß, daß durch die Beſtimmung bezüglich der 
Beerbung des Letztverſterbenden zugleich auch bezüg⸗ 
lich der Beerbung des Erſtverſterbenden Anordnung 
getroffen ſei, muß daher gebilligt werden. Dieſer 
Schluß ſtimmt auch mit den Umſtänden des Falles 
überein. Das LG. hat mit Recht auf den großen Alters⸗ 
unterſchied zwiſchen den Vertragſchließenden hinge⸗ 
wieſen, der es nahelegte, für den Fall des Vorablebens 
des Ehemanns zugunſten der Witwe zu forgen. Dieſer 
Zweck wäre nur unvollkommen erreicht worden, wenn 
Margarete D. auf den ihr als Ehefrau geſetzlich zu⸗ 
kommenden Erbteil beſchränkt geblieben wäre, ander⸗ 
ſeits beſtand für Andreas D. zur Herbeiführung der 
geſetzlichen Erbfolge um ſo weniger ein Anlaß, als er 
nähere Verwandte (Eltern oder Geſchwiſter) nicht 
hinterließ. Die Erbeinſetzung der Witwe entſprach 
aber auch dem bis zum 1. Januar 1900 in H. gelten⸗ 
den Fuldaer Recht. Nach dieſem ging, wenn zwiſchen 
den Ehegatten Gütergemeinſchaft beſtand, im Falle 
des Todes des einen Ehegatten, wenn Abkömmlinge 
dieſes Ehegatten nicht vorhanden waren, deſſen Anteil 
an dem Geſamtgut auf den überlebenden Ehegatten 
über (Thomas, Syſtem aller Fuldaſchen Privatrechte 
8 316, vgl. auch UeG. Art. 67). Es lag daher nahe. 
daß die Ehegatten D. das, was bis zum Jahre 1900 
Geſetz war, durch Erbvertrag feſtſetzten. Durch den 
Hinblick auf den bisherigen Rechtszuſtand erklärt es 
ſich auch, daß der überlebende Eheteil nicht ausdrück⸗ 
lich eingeſetzt wurde; denn dieſe Erbeinſetzung galt 
als ſelbſtverſtändlich; ihren Willen, daß der über⸗ 
lebende Ehegatte Alleinerbe ſein ſolle, haben die Ehe— 
gatten aber im Erbvertrage genügend deutlich dadurch 
zu erkennen gegeben, daß ſie auf den Fall des Ablebens 
des Zuletztverſterbenden die Schweſter der Margarete 
D. zur Erbin des geſamten Vermögens beſtimmten. 


Zu beanſtanden iſt die Feſtſetzung des Wertes des 
Beſchwerdegegenſtandes; nicht der Wert des hinter⸗ 
laſſenen Vermögens bildet hier den Maßſtab; maß⸗ 
gebend iſt vielmehr nur das Intereſſe, das die Witwe 
daran hat, daß ihr bezüglich ihrer Anſprüche auf den 
Nachlaß ein Erbſchein erteilt werde; dieſes iſt weſent⸗ 
lich geringer, da durch den Erbſchein nur eine Ver⸗ 
mutung für das Erbrecht begründet wird (8 2365 
B B.). (Beſchl. des I. ZS. vom 2. Januar 1914, Reg. III, 
8 W. 

30 


B. Straffaden. 
I. 


Hundeabgabengeſetz. Die von den Gemeindeverwal⸗ 
a für die Anmeldung der Hunde befannt gegebenen 
Amtsſtunden find von den Hundebeſitzern bei Vermeidung 
der Beſtraſung einzuhalten. Der Stadtmagiſtrat A. 
hat im Amtsblatte die Amtsſtunden zur Anmeldung 
der Hunde bekanntgegeben. Sie wurden für die Stadt⸗ 
bezirke auf verſchiedene Tage und Stunden feſtgeſetzt. 
Weiter wurde bekannt gegeben, daß Anmeldungen aus 
anderen Bezirken nur angenommen werden, wenn 
Zeit verfügbar iſt, daß bei der Anmeldung die Abgabe 
zu entrichten ſei und gleichzeitig die tierärztliche Unter⸗ 
ſuchung ſtattfinde. Für den Stadtbezirk D, in dem der 
Angeklagte K. wohnt, wurde der 10. Januar 1913 zur 
Anmeldung beſtimmt. K. hat an dieſem Tage ſeinen 
Hund nicht angemeldet. Er wurde vom Sch. wegen 
einer Uebertretung nach 8 8 Abſ. 1 oberp. Vorſchr. 
zur Sicherung und Ueberwachung der Hundeabgabe 
vom 13. Juni 1911 verurteilt. Das Reviſionsgericht 
hob das freiſprechende Urteil des Berufungsgerichts 
auf und verwarf die Berufung gegen das Urteil des 
Schöffengerichts. 

Aus den Gründen: Auf Grund der in Art. 13 
H Abg. enthaltenen Ermächtigung hat das Miniſterium 
des Innern am 13. Juni 1911 zur Sicherung und 
Ueberwachung der Abgabe oberp. Vorſchriften erlaſſen 
(GBl. 1911 S. 907 ff.). Im §9 dieſer Vorſchriften 
werden die Regierungen und die Gemeindeverwal⸗ 
tungen ermädtigt, zur Sicherung und Ueberwachung 
der Hundeabgabe weitergehende ober⸗ und ortspolizei⸗ 
liche Vorſchriften zu erlaſſen. In § 40 Ziff. 2 der 
Vollzugsanweiſung des StM. d. Innern vom 13. Juni 
1911 (GBl. S. 909 ff.) iſt beſtimmt: „Als Zeitpunkt 
der Abgabenentrichtung beſtimmt die Gemeindever⸗ 
waltung den Zeitpunkt, in dem die Anmeldepflicht 
ſpäteſtens zu erfüllen iſt“ (ſ. die Erl. in 8 43 a. a. O.). 
Nach Art. 83 Abf. 1 Ziff. 1 PStGB. iſt zu beſtrafen, 
wer Hunde der durch ober⸗ oder ortspolizeiliche Vor⸗ 
ſchrift angeordneten und öffentlich bekannt gemachten 
Viſitation entzieht oder nicht rechtzeitig unterſtellt. 
Hierzu hat die Regierung von Schwaben am 21. Auguſt 
1911 oberp. Vorſchr. erlaſſen, in denen u. a. beſtimmt 
iſt: „... Soweit Abgabenpflicht beſteht, kann die 
Unterſuchung mit der abgabenrechtlichen Vorführung 
des Hundes verbunden werden. Alljährlich im Januar 
und Februar find die regelmäßigen Hundeunter⸗— 
ſuchungen vorzunehmen. Die Termine und Orte, an 
welchen fie ftattfinden, werden von den Diſtriktspolizei⸗ 
behörden im Benehmen mit den Tierärzten feſtgeſetzt. 
Die Hundeunterſuchungen werden durch den zuſtändigen 
Tierarzt gemeindeweiſe an dem hierfür feſtgeſetzten Orte 
und im Beiſein eines Vertreters der Ortspolizeibehörde 
vorgenommen. Hundebeſitzer, welche die rechtzeitige 
Vorführung ihrer Hunde verſäumt oder unterlaſſen 
haben, find der Diſtriktspolizeibehörde anzuzeigen“. 

Das H Abg. vom 14. Auguſt 1910 beſtimmt nur 
den Tag der Fälligkeit der Abgabe und überläßt es 
der Gemeindeverwaltung, den Zeitpunkt — nicht den 
Zeitraum — für die Entrichtung der Abgabe feſtzu⸗ 
ſetzen. Eine Beſchränkung der Gemeindeverwaltungen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. b. 107 


enthält das Geſetz nur inſofern, als im Art. 12 Abſ. 3 


die Staatsregierung ermächtigt wird, den Gemeinden 
nähere Anweiſungen über die Erhebung zu erteilen. 
Soweit ſolche Anweiſungen nicht ergangen ſind, iſt die 
Gemeindeverwaltung in der Beſtimmung des Zeit⸗ 
punkts für die Entrichtung der Abgabe unbeſchränkt. 
Wurde nun die Beſtimmung des Zeitpunkts für die 
Entrichtung der Abgabe aus Zweckmäßigkeitsgründen 
den mit ihrer Erhebung befaßten Gemeindeverwal⸗ 
tungen überlaſſen, ſo wäre es unverſtändlich, wenn 
das Geſetz ihnen gerade eine Regelung der Anmeldung 
und Abgabenentrichtung verwehren wollte, die für eine 
ichere und raſche Erledigung der Geſchäfte unerläßlich 
ſt. Ebenſowenig kann aus den oberp. Vorſchr. des 
St M. des Innern vom 13. Juni 1911 eine ro 
dieſer Befugnis entnommen werden. Abgeſehen davon, 
daß im 8 9 Abſ. 2 die Gemeindeverwaltungen ermäch⸗ 
tigt werden, noch weitergehende orts polizeiliche Vor⸗ 
ſchriften zu erlaſſen, ſo wird in 8 3 die Anmeldepflicht 
mit der nach Art. 83 Abſ. 1 Ziff. 1 PStGB. vorzu⸗ 
nehmenden Hundeunterſuchung in Verbindung gebracht, 
und im 8 40 Abſ. 1 Ziff. 2 VollzA. wird auf dieſen 
8 3 verwieſen. Dadurch wird bekräftigt, was ſich ſchon 
aus der Natur der Sache ergibt, daß ſowohl bei der 
Erlaſſung des Geſetzes wie bei der der oberp. Vorſchr. 
davon ausgegangen wurde, daß mit der Anmeldun 
der Hunde und der Entrichtung der Abgabe ſtets au 
die Unterſuchung verbunden wird. Erwägt man, welchen 
Aufwand an Perſonal die Vornahme der Hundeunter⸗ 
ſuchung erfordert, ſo kann man unmöglich annehmen, 
daß das Geſetz den Gemeinden die Maßnahmen ver⸗ 
wehren wollte, die einer nutzloſen Bereithaltung des 
Perſonals vorbeugen. Dazu kommt, daß ein zu be⸗ 
achtendes Intereſſe der anmeldepflichtigen Hundehalter 
an der Beſtimmung einer längeren Friſt für die Ans 
meldung nicht anerkannt werden kann. Eine ſolche 
Regelung enthielte nur eine ungerechtfertigte Bevor⸗ 
zugung der Orte mit größerer Einwohnerzahl, in denen 
die Anmeldungen nicht an einem Tage erledigt werden 
können, gegenüber den kleineren Orten, in denen die 
Entgegennahme der Anmeldungen und die Unter⸗ 
i der Hunde an einem Tage erledigt werden 
önnen. 

In der Bek. des Stadtmagiſtrats A. iſt klar aus⸗ 
geſprochen, daß die im Bezirke wohnenden Hundehalter 
an einem beſtimmten Tage ihrer Anmeldepflicht zu 
genügen haben. Es iſt verfehlt, wenn das LG. im 
Widerſpruche mit dem Wortlaute der Vorſchrift an⸗ 
nimmt, daß für jeden Hundehalter eine wirkſame An⸗ 
meldung an jedem der für die ſämtlichen Stadtbezirke 
beſtimmten Tage zugelaſſen werden ſollte. Dieſe An⸗ 
nahme kann auch nicht mit der Beſtimmung gerecht⸗ 
fertigt werden, nach der die Anmeldung von Hunden 
aus anderen Bezirken nur dann angenommen wird, 
wenn Zeit verfügbar iſt. Denn einmal iſt die Bedeutung 
dieſer Beſtimmung mit ihrer Anwendung auf nach⸗ 
trägliche Anmeldungen nicht erſchöpft. Die Beſtimmung 
gilt vielmehr auch für Anmeldungen, die vor dem 
geſetzlichen Termine vorgenommen werden und kommt 
ſomit den Hundehaltern entgegen, für die die Anmel⸗ 
dung an dem für ſie feſtgeſetzten Tage mit Unbequem⸗ 
lichkeiten verbunden wäre. Ferner kommt in Betracht, 
daß die Anmeldung und Unterſuchung unter allen 
Umſtänden nachgeholt werden muß, auch wenn die 
Anmeldung ohne Verſchulden des Hundehalters unter- 
blieb. Die Beſtimmung dient alſo weſentlich dazu, 
die freie Zeit der mit dem Geſchäfte befaßten Perſonen 
auszunützen und die auf die nachträglichen Anmel— 
dungen und Unterſuchungen noch zu verwendende Zeit 
möglichſt abzukürzen. Endlich ſpricht gegen die Aus— 
legung des LG., daß ein Recht auf die Annahme der 
Anmeldung aus einem anderen Bezirke nicht beſteht. 
Die Auslegung würde dazu führen, daß es dem Zufall 
überlaſſen bleibt, ob eine Anmeldung als rechtzeitig 
oder verſpätet anzuſehen iſt. Der Angeklagte mußte 


108 


demnach dafür forgen, daß fein Hund am 10. Januar 
1913 angemeldet wurde. Dieſer Pflicht iſt er nach den 
Feſtſtellungen des LG. nicht nachgekommen. Er hat 
alſo den zur Sicherung der Abgabe erlaſſenen Be⸗ 
ſtimmungen in SS 1 und 3 der oberp. Vorſchr. vom 
13. Juni 1911 zuwidergehandelt. Er kann die Verant- 
wortung nicht deshalb ablehnen, weil er den Hausmeiſter 
P. mit der Anmeldung beauftragte. Denn es war ſeine 
Pflicht, die Ausführung des Auftrags zu überwachen. 
Er hat ſich aber um die Ausführung nicht gekümmert. 
Ein Irrtum darüber, daß die Anmeldung ſpäteſtens 
an dem für ſeinen Bezirk feſtgeſetzten Tag vorgenommen 
werden müſſe, wäre ſelbſt verſchuldet, denn er konnte 
ſich bei der Behörde Aufſchluß erholen. (Urt. vom 
22. Nov. 1913, Rev.⸗Reg. 536/1913). Ed. 
3219 


II. 


Die Neviſien kann auf Verletzung des 3 415 StPO. 
geſtützt werden. Ein Vergleich im Privatklageverfahren 
verbraucht nicht die Strafklage zunngunſten anderer zur 
ene Berechtigter. Die Ehefrau K. erhob Privat⸗ 

age gegen die X., weil fie behauptet hatte, das Kind 
der Privatklägerin ſtamme nicht von dem Ehemann. 
Vor dem Eintritt in die Hauptverhandlung kam ein 
Vergleich zuſtande, wornach die Beklagte die Beleidi⸗ 
gungen widerrief und die Koſten übernahm. Das Ge⸗ 
richt erließ keinen Einſtellungsbeſchluß. — H., den die 
Beklagte als den Vater des Kindes bezeichnet hatte, 
erhob ſpäter gegen die X. wegen der Behauptung 
gleichfalls Privatklage. Das Sch. erklärte durch Urs 
teil unter Bezugnahme auf 8 415 StPO. die Straf⸗ 
verfolgung für unzuläſfig. Das L. verurteilte die 
Angeklagte. Die Reviſion der Angeklagten wurde ver⸗ 
worfen. ö 

Aus den Gründen: Die Reviſion verſtößt, in⸗ 
ſofern fie ſich auf den 8 415 StPO. gründet, nicht 
gegen den $ 380 StPO. 8 415 gehört nicht ausſchließ⸗ 
lich dem Prozeßrecht an; er ergänzt, ſoweit er den 
Grundſatz der ſachlichen Rechtskraft betont und er⸗ 
weitert, das Strafgeſetz, insbeſondere deſſen Vorſchriften 
über Antragsvergehen. Daß die Reviſion auf § 415 
geſtützt werden kann, iſt überwiegend anerkannt. Sach⸗ 
lich iſt fie unbegründet. Der Abſ. 2 des § 415, der 
nie gleichzeitig mit dem Abſ. 3 anwendbar iſt, läßt die 
Verfolgung des Privatklagerechts durch einen neben 
dem erſten Privatkläger Verletzten nur im Wege des 
Beitritts zu dem zuerſt anhängig gemachten Verfahren 
zu. Dieſe Beſchränkung dauert jedoch nur, ſolange jenes 
Verfahren anhängig iſt; die ſelbſtändige Verfolgung 
durch den anderen Verletzten wird wieder zuläſſig, ſobald 
das erſte Verfahren beendet iſt, nur darf es nicht durch 
eine Entſcheidung in der Sache ſelbſt beendet worden ſein 
(Abſ. 3). Dahingeſtellt kann hiernach bleiben, ob § 415 
Abſ. 2, der nach der hier feſtgehaltenen Auslegung nur 
eine Wirkung der Rechtshängigkeit betrifft, eine reine 
Verfahrensnorm iſt oder nicht. Der Vorbehalt bezüglich 
einer in der Sache ergangenen Entſcheidung betrifft 
grundſätzlich nur einen Ausſpruch, der ſich mit der 
Schuldfrage (im weiteren Sinne, unter Einbeziehung 
der Antragsfragen; vgl. indeſſen RGSt. 41 S. 155) 
befaßt; dieſer muß weſentlich Recht ſchaffen, nicht bloß 
von anerkennender Art fein. Eine rechtſchaffende Wirs 
kung kommt aber nur dem Urteil zu. Als Entſcheidung 
kann weder ein Vergleich im Privatklageverfahren, 
noch die als Beſtandteil eines ſolchen erklärte Zurück— 
nahme der Privatklage gelten (vgl. RGSt. 27, 216, 
217); beide beruhen auf dem Parteiwillen und erfolgen, 
wenn auch oft mit äußerlicher, ſo doch nie unter ent— 
ſcheidender Mitwirkung des Gerichts. Die Zurücknahme 
der Klage (nicht der „Vergleich“, ein der StPO. fremder 
Ausdruck) erledigt das Verfahren ohne weiteres, die 
ihr regelmäßig folgende beſchlußmäßige „Einſtellung 
des Verfahrens“ hat nur formelle Bedeutung (Löwe 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


— — — — — — 


Bem. 7 zu 8 431 StPO. Die Wirkung hat aber die 
Zurücknahme nur für den Privatkläger, dieſer kann 
die zurückgenommene Klage nicht von neuem erheben 
8 432 StPO.); das Recht eines andern Privatklage⸗ 
berechtigten ſteht dagegen unter der Vorſchrift des 
8 415 Abſ. 3 (Löwe Bem. 2 zu 8 432), ihn bindet die 
Zurücknahme nicht. Daß die Zurücknahme auch ohne 
förmlichen Einſtellungsbeſchluß das Verfahren — ins⸗ 
beſondere i. S. des 8 415 Abſ. 2 — erledigt, folgt aus 
der nur formalen Natur dieſes Beſchluſſes (RG St. 
46, 129). Verſehlt iſt auch die Aufſtellung, der Ber- 
gleich bilde eine „Sühne“ der Straftat und 8 415 
wolle die Verdoppelung der Sühne im Wege eines 
zweiten Verfahrens 1 Abgeſehen davon, daß 
Sühne im ſtrafrechtlichen Sinne nur die Verurteilung 
ſt — als „Ausſöhnung“ iſt Sühne ein prozeßrecht⸗ 
licher Begriff, ſ. 8 420 StPO. — ſpricht 8 415 Abſ. 3, 
der allein von der Rechtskraftwirkung handelt, dieſe 
Wirkung nur einer zugunſten des Beſchuldigten er⸗ 
Dane Entſcheidung zu. (Urt. vom 15. Mai 1913, 
ev.⸗Reg. Nr. 528/ù1913). Ed. 
3218 


III. 


Zuſtändigkeit für die Fier Pri der Roſten im 
Privatklageverſahren. Weder der Privatlläger noch der 
Angeklagte hat in dieſem Berfahren das Necht der wei⸗ 
teren Beſchwerde. In einem Privatklageverfahren 
wurde der Angeklagte vom Berufungsgerichte zu den 
Koſten der beiden Inſtanzen verurteilt. Auf den An⸗ 
trag des Privatklägers ſetzte der Gerichtsſchreiber des 
Amtsgerichts die Koſten feſt. Auf die „Beſchwerde“ 
des Privatklägers wies das Amtsgericht die Erinne⸗ 
rungen nach 8 104 ZPO. zurück. Auf die Beſchwerde 
des Privatklägers änderte die Strafkammer den 
Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß I. Inſtanz ab; gegen dieſen 
Beſchluß legte der Privatkläger neuerdings Beſchwerde. 
der Angeklagte die weitere Beſchwerde ein. Beide Be⸗ 
ſchwerden wurden als unzuläſſig verworfen. 


Aus den Gründen: Die StPO. enthält keine 
Vorſchriften über die Feſtſetzung der Koſten und Aus⸗ 
lagen des Privatklageverfahrens. Nach 88 495, 496 
Abſ. 2, 503 StPO. find die Vorſchriften der ZPO. 
(88 104 ff.) heranzuziehen, aber die Vorſchriften der 
StPO. bleiben im allgemeinen maßgebend. Die Koſten 
und Auslagen des Privatklageverfahrens werden durch 
das Gericht (nicht durch den Gerichtsſchreiber) der 
I. Inſtanz feſtgeſetzt. Gegen dieſen Beſchluß ſteht die 
einfache unbefriſtete Beſchwerde nach 8 346 StPO. 
offen. Der von dem LG. als Beſchwerdegericht er⸗ 
laſſene Beſchluß kann nach 8 352 StPO. nicht mit der 
weiteren Beſchwerde angefochten werden. Dies gilt 
für den Privatkläger und den Angeklagten (8 352 
Abſ. 2 StPO.). Zwar enthält die Entſcheldung des 
LG. für dieſen einen neuen ſelbſtändigen Beſchwerde⸗ 
grund, ſo daß ihm ein Beſchwerderecht zuſtehen würde, 
wenn 8 568 ZBO. entſprechend anzuwenden wäre. 
Allein die Vorſchriften der ZPO. werden nur auf das 
Verfahren über die Koſtenerſtattung in Privatklage⸗ 
ſachen entſprechend angewendet, das in der StPO. 
nicht geregelt iſt. Hinſichtlich der Zuläſſigkeit der 
weiteren Beſchwerde ſteht die ausdrückliche Vorſchrift 
des 8 352 Abſ. 2 StPO. entgegen, ſelbſt dann, wenn 
der Gegner erſt durch die Entſcheidung des LG. be⸗ 
ſchwert iſt. (Beſchl. vom 20. Nov. 1913, Beſchw.⸗Reg. 

892 ‘ 

Nr. 5 1913). Ed. 
3217 


Oberlandesgericht München. 
1 


Riß bränchliche Beuntzung eines Kraftwagens gele⸗ 
gentlich der Ausbeſſerung: Gehliſenhaftung (8 278 8008) 
Der Beſitzer eines Kraftwagens verbrachte dieſen auf 
Grund vorangegangener Beſprechung zu einem Auto⸗ 
mobilreparateur in deſſen Werkſtätte zur Ausbeſſerung; 
die Gehilfen benutzten die Abweſenheit des Meiſters 
auf einer kurzen Reiſe dazu, mit dem Wagen nach Feier⸗ 
abend eine Spazierfahrt zu machen; dabei wurde der 
Wagen 81 beſchädigt. Der Geſchäftsherr lehnte 
jeden Schadenserſatz ab, weil die Beſchädigung nicht in 
Ausübung der Ausbeſſerung, ſondern nur gelegentlich 
erfolgt ſei, ſeine Reiſe auch kein eigenes Verſchulden 
darſtelle; andererſeits habe auch der Kläger von einer 
früheren Eigenmächtigkeit der Gehilfen Kenntnis ge⸗ 
habt. Er wurde in zwei Inſtanzen verurteilt. 

Aus den Gründen: Unbeſtreitbar übernimmt 
der Werkunternehmer bei Ausbeſſerungsarbeiten, deren 
Gegenſtand vom Beſteller in die Werkſtätte gebracht 
wird, kraft Vertrags auch die Pflicht zur ordnungs⸗ 
mäßigen Verwahrung und insbeſondere zur Behütung 
vor mißbräuchlicher Benützung (ſog. „ſekundäre“ Unter⸗ 
laffungspftichten; vgl. Staudinger BGB. Bem. I 2b 

278, Vorbem. zu 8 688). Ebenſoweit er- 
ſtreckt ſich auch die Haftung des Meiſters für die Er⸗ 
füllungsgehilfen, alſo insbeſondere für die techniſchen 
Werkſtättegehilfen nach 8 278 BGB. In den Kommen⸗ 
taren find im Anſchluſſe an Staub HGB. Exk. zu 
8 58 (Bd. 1 S. 284) und Goldſchmidts Z. Bd. 10 S. 287 
allerdings meiſt nur ſolche Beiſpiele aufgeführt, bei 
denen ſich der Gehilfe in die Räume des Beſtellers be⸗ 
gibt und dort gelegentlich der Ausbeſſerung etwas be⸗ 
ſchädigt. Die mißbräuchliche Benützung von auszu⸗ 
beſſernden und zu dieſem Zwecke in die Werkſtätte des 
Werkmeiſters gebrachten Sachen iſt aber viel häufiger 
und wichtiger, als es hiernach ſcheinen könnte. Dies 
gilt nicht nur für Kraftwagen wegen der hier beſon⸗ 
ders ſtrengen deliktshaftung bei Beſchädigungen, ſondern 
auch für Schmuck, Kleider, Wäſche, Uhren und ähn⸗ 
liche vor oder nach der Ausbeſſerung leicht auf kurze 
Zeit benützbare Luxusſachen, zumal aan dieſer 
Gebrauchsdiebſtahl nicht geahndet wird. Da dieſe Fälle 
ſelbſtverſtändlich niemals mit der eigentlichen Aus⸗ 
beſſerungsarbeit in notwendigem Zuſammenhang ſtehen, 
5 tritt bei ihnen immer wieder die Grenzfrage zwiſchen 

eſchädigung „in Erfüllung“ oder „bei Gelegenheit der 
Erfüllung“ auf. Hält man aber feſt, daß die Vertrags⸗ 
haftung für Gehilfen überall da eintritt, wo der Werk⸗ 
meiſter ſelbſt aus dem Vertrage haften würde, wenn 
er die ſtreitige Handlung perſönlich vorgenommen hätte, 
und weiter, daß der Vertrag nicht nur die Verpflich⸗ 
tung zur ien Ausbeſſerung als ſolcher, ſondern 
auch zur wirkſamen Obhut und Verwahrung ſowie zur 
Sicherung gegen mißbräuchliche Benützung enthält, ſo 
kann kein Zweifel ſein, daß ſolche Fälle wie hier unter 
die abſolute und durch keinerlei eigenes Verſchulden 
bedingte Gehilfenhaftung aus 8 278 fallen. Gerade 
der Schutz vor den Folgen ſolchen Mißbrauchs iſt einer 
der Zwecke des 8 278. Wie der Geſchaͤftsherr ſich da⸗ 
gegen ſchützen will, iſt ſeine Sache und äußerſtenfalls 
eben ein Beſtandteil ſeiner Geſchäftsgefahr; jedenfalls 
wäre es weitaus unbilliger, den Werkbeſteller mit ie 
Gefahr zu belaſten. Auch daß die mißbräuchliche Fahrt 
— wie natürlich — erſt nach Feierabend vorgenommen 
wurde, kann den Beklagten nicht entlaſten; denn ſeine 
Verwahrerpflichten beſtanden ja auch nach Geſchäfts⸗ 
ſchluß fort. Der jetzt ſtreitige Fall liegt inſoweit ganz 
ähnlich wie der in RG. Bd. 63 S. 343, wo ſich die 
Malergehilfen nach Feierabend in einem Neubau an 
der Waſſerleitung die Hände reinigten und die Farb⸗ 
kübel ausſpülten, dabei aber den Waſſerhahn offen 
ließen, ſo daß über Nacht Decken und Fußböden im großem 
Umfang beſchädigt wurden; das Reichsgericht hat die 


____Beitfeift für Medhtspfiege in Bayern. 1914. Ne. 4 u. 5. 


109 


Haflung des Malermeiſters angenommen, weil ein naher 
und innerer Zuſammenhang mit der Arbeit ſelbſt be⸗ 
1 Mit Recht weiſt ferner der Kläger darauf hin, 
daß ſchon die vom Beklagten gegebene zuſagende Ant⸗ 
wort (er ſolle den Wagen nur ſchicken) den Abſchluß 
des dich daher der und Verwahrungsvertrags enthielt 
und ſich daher der Kläger nicht mehr darum zu kümmern 
brauchte, ob der Beklagte auch bei der Entgegennahme 
des Wagens in der Werkſtätte perſönlich mitwirkte 
oder überhaupt anweſend war. Es wäre Sache des 
Beklagten geweſen, wenn er bei der Sr bereits 
feine Reife vorhatte, die Ablieferung während feiner 
vorausſichtlichen Abweſenheit auszuſchließen oder, wenn 
die Notwendigkeit der Reiſe unvermutet eintrat, den 
Kläger noch einmal telephoniſch zu benachrichtigen, daß 
der Wagen jetzt nicht gebracht werden ſolle. Mangels 
ſolcher beſonderen Abmachungen aber hätte der Kläger 
auch dann den Anſpruch auf ordnungsmäßige Verwah⸗ 
rung und Schadenserſatz wegen Verletzung dieſer Pflicht 
gehabt, wenn er den Wagen ohne jede e Ver⸗ 
abredung in das offene Geſchäft des Beklagten ver⸗ 
bracht hätte; denn die dort mit dem Willen des Werk⸗ 
unternehmers anweſenden Gehilfen gelten als ermäch⸗ 
tigt, ſolche Ausbeſſerungen auch in Abweſenheit des 
Meiſters anzunehmen (vgl. RG. Z. Bd. 65 S. 295). Es 
kann deshalb auch von einem Mitverſchulden des Klägers 
keine Rede fein; denn er durfte glauben, daß der Bes 
klagte 1 Vorſorge gegen Wiederholung einer 
mißbräuchlichen Benützung bereits getroffen haben 
werde. Er hatte ja auch in der Tat eine wirkſame 
Abhilfe nämlich durch Wegnahme der Zündmagnete 
gefunden; daß er ſie damals wegen ſeiner Abweſen⸗ 
heit nicht ſelber ausüben konnte und auch nicht ander⸗ 
weitig Vorſorge traf, konnte der Kläger weder vorher⸗ 
ſehen, noch fällt es ihm zur Laſt, zumal da der Beklagte 
gar nicht behaupten kann, daß der Kläger oder deſſen 
mit der Ablieferung des Wagens beauftragter Bedienſte⸗ 
ter von der 5 des Beklagten überhaupt etwas wußte. 
Da hiernach § 278 BBB. zutrifft, bedarf es keiner wei⸗ 
teren Erörterung, ob den Beklagten ſelbſt ein Ver⸗ 
ſchulden zur Laſt fällt. Nur mag bemerkt werden, daß 
der Kläger mit Recht auf die allbekannte Gefährlich⸗ 
keit des Mißbrauchs gerade von Kraftwagen durch 
Dritte hinweiſt, die 10 zu Erörterungen über ge⸗ 
ſetzliche Maßnahmen im Kreiſe der Kraftwagenbeſitzer 
geführt hat. Es wäre hiernach überhaupt zweifelhaft, 
ob der Beklagte den Entlaſtungsbeweis nach 8 831 
BGB. hinſichtlich feiner Gehilfen noch führen könnte, 
wenn es — wie nicht — darauf ankäme. Insbeſondere 
iſt unklar geblieben, wem denn eigentlich der Schlüffel 
der Werkſtätte nach Feierabend anvertraut war und 
ob nicht die Ablieferung des Schlüſſels an eine dritte 
verläſſige Perſon außerhalb des Kreiſes der Gehilfen 
anzuordnen geweſen wäre. (Urt. vom 13. Juni 1913, 
L 282/13 J). N. 

3038 


II 


Erheblichkeit des Bertagungsgrunds (SS 227, 224 
3PO.). Gründe: Der Anwalt des Klägers begründet 
ſeinen ſchriftlichen Antrag auf Terminsverlegung da⸗ 
mit, er habe noch nicht genügende Information von 
ſeiner auswärtigen Partei erhalten; der Gegner hat 
der Verlegung widerſprochen. Ein 1 Grund 
dafür iſt auch tatſächlich nicht zu erſehen. Das Urteil 
wurde am 20. November 1913 verkündet; am 26. gl. M. 
erhielt der Kläger die Ausfertigung; am 29. gl. M. 
erfolgte die Zuſtellung; am 24. Dezember 1913 wurde 
die Berufung eingelegt und Termin auf 13. Februar 
1914 angeſetzt. Der Kläger hatte alfo ſeit Ende Nos 
vember Zeit, ſich die Berufungsbegründung zurecht zu 
legen und den Schriftſatz ſo zeitig abzugeben, daß auch 
dem Gegner und dem Gericht noch genügend Zeit zur 
Vorbereitung bleibt. Zudem handelt es ſich um eine 
einfache Sache ohne Beweisaufnahme in erſter Inſtanz 


mit den nämlichen Anwälten wie in der Vorinſtanz. Es 
beſteht alſo kein Grund, von der für den ordnungs⸗ 
mäßigen Geſchäftsbetrieb der Oberlandesgerichte wich⸗ 
tigen Regel abzuweichen, daß die Sache für den erſten 
Termin verhandlungsreif gemacht werden ſoll (vgl. 
88 518 Abſ. 3, 519 Abſ. 2, 520, 523, 272 ZPO.), wenn 
er wie hier, mit einem Zwiſchenraum von zehn Wochen 
ſeit der Urteilszuſtellung anberaumt iſt.) (Beſchl. vom 
28. Januar 1914, L 946/13). N. 
3224 


O berlandesgericht Nürnberg. 


Ausſchliezung des Mitglieds eines eingetragenen 
Vereins. Zuſtändigkeit der Hanptverſammlung oder det 
Schiedsgerichts. Nechtsungültigkeit des n 
beſchluſſes wegen eined Mangels des Verfahrens (88 133, 
157, 32 fl., 55 ff. 383.). Aus den Gründen: Nach 
den Satzungen des beklagten Vereins haben ſich mit 
der Ausſchließung eines Mitglieds zwei Organe zu be⸗ 
faſſen. Zunächſt muß ein Ausſchußbeſchluß darüber 
vorliegen, daß die Ausſchließung des Mitglieds bei 
der Hauptverſammlung zu beantragen iſt, ſodann iſt 
über dieſen Ausſchließungsantrag zu entſcheiden. Dies 
iſt in zweifacher Weiſe möglich; entweder entſcheidet 
das nach den Satzungen zu berufende Schiedsgericht 
ohne Berufung an die Hauptverſammlung oder es ent⸗ 
ſcheidet die Hauptverſammlung ſofort endgültig. Das 
Schiedsgericht iſt zuſtändig, wenn das vom Ausſchuß⸗ 
antrag verſtändigte, auszuſchließende Mitglied die Ein⸗ 
berufung des Schiedsgert ts innerhalb 14 Tagen ver⸗ 
langt; die Hauptverſammlung iſt zuſtändig, wenn das 
Mitglied die Einberufung des Schiedsgerichts nicht ver⸗ 
langt. Welches Organ zu entſcheiden hat, ſteht hier⸗ 
nach erſt feſt, wenn die Friſt für die Anrufung des 
Schiedsgerichts unbenützt verſtrichen iſt; erſt dann kann 
das Verfahren zur Einberufung der Hauptverſammlung 
eingeleitet werden, das nach den Satzungen mit der 
rechtzeitigen ſchriftlichen Einladung der Mitglieder unter 
Bekanntgabe der Tagesordnung beginnt. Vor Ablauf 
der Friſt beſteht ein für die Hauptverſammlung ge⸗ 
eigneter Ausſchußantrag überhaupt noch nicht und kann 
daher den Mitgliedern als Gegenſtand der Tagesordnung 
einer Hauptverſammlung auch noch nicht bekannt ge⸗ 
geben werden. Nach dem Zwecke der Satzungsvorſchrift 
fol das ſchiedsgerichtliche Verfahren der nut 
durch die Hauptverſammlung nebſt deren Vorbereitung 
ſchlechthin vorgehen; beide Verfahren ſollen nicht neben⸗ 
einander laufen, was auch in den entſprechenden Fällen 
des ſtaatlichen Prozeßrechts gilt. Nach dem Sinne der 
Satzungen iſt die Angelegenheit, ſobald es das be— 
treffende Mitglied verlangt, in dem engen Kreiſe des 
nur aus 5 Perſonen beſtehenden Schiedsgerichts zu ent⸗ 
ſcheiden, ſtatt die mehr oder weniger breite Oeffent— 
lichkeit der Hauptverſammlung zu beſchäftigen; ſchon 
in der Bekanntgabe der Tagesordnung läge der erſte 
Teil der Anrufung der Hauptverſammlung zur Ent— 
ſcheidung über den Ausſchußantrag. Mit gutem Grunde 
ordnen daher die Satzungen an, daß dieſer Antrag 
„vorher“ dem Mitgliede bekannt zu geben iſt, alſo be— 


1) Anberaumung des erſten Verbandlungstermins alsbald nach 
Ablauf der zweiwoͤchentlichen Einlaſſungsfriſt (SS 61 Abſ. 2. 523 3PO.) 
bat bei den Ox. wenig Wert, weil dier ja nur in den ſeltenſten 
Fällen der Sieger 1. Inſtanz Verſäumnisurteil gegen ſich ergeben 
läßt und auch Vergleichsanregungen verfruht waren. Die ZBO. jept 
als Regel die Verbindung der Begrundung mit der Berufungsein— 
legung voraus (3 520 Abſ. 2 und batte bis zum Jabre MO auch eine 
ſachgemäße Vorſchrift fur rechtzeitige Beantwortung (S 484 d. F.): letz⸗ 
tere wurde aber durch die Novelle von 1s aufscboden und ſeildem 
die Begründung durch geſonderten Schrifiſatz und damlt deren Ver— 


zögerung immer bäufiger, fo daß entweder obne Beantwortungs— 


ſchrift verdandelt oder bierwegen der erſte Termin vertagt werden 
muß. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


vor Schritte zur Einberuſung der Hauptverſammlung 
geſchehen. Selbſt wenn aber die Faſſung Zweiſel zu⸗ 
ließe, ſo hätte doch jene Auslegung Platz zu greifen, 
die den Rechten des von der i sound bedrohten 
Mitglieds Rechnung trägt, ſobald der Wortlaut der 
Vorſchrift nach ihrem Sinn und Zwecke dieſe Aus⸗ 
legung zuläßt und der gegenteilige Wille des Vereins, 
des Verfaſſers der Satzungen, keine unzweideutige 
Faſſung gefunden hat oder hätte finden können. 


Hiernach hat der beklagte Verein gegen die Satzungen 
verſtoßen; denn der Ausſchließungsantrag des Aus⸗ 
ſchuſſes vom 18. Dezember 1912 wurde ſchon am 24. 
gleichen Monats auf die Tagesordnung der Haupt⸗ 
verſammlung vom 24. Januar 1913 geſetzt, allen Mit⸗ 
dia ſofort angezeigt, aber dem Kläger erit am 
Januar 1913 bekannt gegeben und trotzdem ſchon 
in der genannten Hauptverſammlung entſchieden. Des⸗ 
halb iſt es bedeutungslos, daß der Kläger noch recht⸗ 
zeitig vor jener Hauptverſammlung die Einberufung 
eines Schiedsgerichts hätte verlangen können; denn 
der Kläger brauchte ſeine Maßnahmen nicht auf das 
ſchon vorher unrichtig geſtaltete Verfahren des beklagten 
Vereins oder ſeines Ausſchuſſes zu gründen. Es kann 
ihm auch ein Verſtoß gegen Treu und Glauben nicht 
deshalb zur Laſt gelegt werden, weil er in zuläſſiger 
Weiſe das mit Mängeln behaftete Ausſchließungsver⸗ 
fahren durch die ordentlichen Gerichte nachprüfen ließ. 
Die ſachliche Prüfung der Richtigkeit oder Zweckmäßig⸗ 
keit des Vereinsbeſchluſſes durch das Gericht iſt ohnehin 
nicht mehr verlangt worden und könnte auch nach der 
vorherrſchenden Anſicht nicht erfolgen, weil hierin ein 
Eingriff in das Selbſtverwaltungsrecht des Vereins 
liegen würde. Mit Recht hat ſohin das Landgericht 
beim Vorhandenſein der Vorausſetzungen des 8 256 
PO. für den Feſtſtellungsanſpruch des Klägers die 
Rechtsungültigkeit des Ausſchließungsbeſchluſſes der 
Hauptverſammlung vom 24. Januar 1913 wegen der 
dargelegten Mängel des Verfahrens ausgeſprochen. 
(Urt. des II. 35. vom 1. Dezember 1913, L an 
3237 —t. 


Landgericht München J. 


35 906, 1004 B88. $ 26 Gew. Haftung des 
Eiſenbahnſiskus für Brandſchäden infolge Funkenwurſs. 
Aus den Gründen: (Das Urteil ſtellt feſt, daß ein 
ſtarker Funkenwurf ftattgefunden hat und daß dadurch 
ein Brand entſtehen konnte). Der Beklagte hat für den 
Brandſchaden auf Grund eines allgemeinen Rechtsſatzes 
zu haften, der die Bahn verwaltung in ſolchen Fällen 
auch ohne eigenes Verſchulden für haftpflichtig erklärt. 
Von der Regel, daß die Schadenserſatzpflicht grundſätzlich 
ein Verſchulden vorausſetzt, läßt die feſtſtehende Recht⸗ 
ſprechung, insbeſondere die des Reichsgerichts, u. a. 
eine Ausnahme zu in den Fällen, wo dem Verletzten 
durch Sondervorſchriften die Befugnis entzogen iſt, 
widerrechtliche Eingriffe in ſein Eigentum abzuwehren 
und dadurch dem Schaden vorzubeugen; dies trifft 
namentlich bei dem im öffentlichen Intereſſe geregelten, 
behördlich genehmigten Eiſenbahnbetrieb zu, weil dem 
Grundeigentümer durch die landespolizeiliche Genehmi— 
gung der Bahnanlage die Möglichkeit entzogen iſt, auf 
Einſtellung des Betriebs oder auf Unterlaſſung der 
das Maß des § 906 BGB. überſchreitenden Einwir⸗ 
kungen zu klagen. (RG R Komm. § 906 N. 13, Vorbem. 2 
vor $ 219; Vorbem. 1 vor § 823; Staudinger $ 906 
IV 2 f.). Dieſer Rechtsgrundſatz wird aus den Grund— 
gedanken der SS 903 ff., 1001 BG B. und aus der früheren 
Praxis gefolgert; er hat auch in 8 26 GewO. Ausdruck 
gefunden, iſt aber durch die Rechtſprechung erweitert 
worden. Er beanſprucht allgemeine Geltung auf dem 
Gebiete des bürgerlichen Rechts, ohne Rückſicht darauf, 


— — — — 


ob in einzelnen Staaten von der Befugnis des Art. 125 
CG. B., den § 26 GewO. auch auf die Eiſenbahnen 
uſw. zu erſtrecken, Gebrauch gemacht worden iſt oder 
nicht. Es gilt alſo auch für die bayeriſchen Eiſen⸗ 
bahnen und zwar neben dem durch Art. 80 AG. BGB. 
für anwendbar erklärten 8 26 Gew. 


Nicht ſtichhaltig iſt der Einwand des Beklagten, 
es müſſe ein Verſchulden der Eiſenbahn nachgewieſen 
werden, weil für einen in der Vergangenheit liegenden, 
d. h. ſchon vor der Klageerhebung eingetretenen Schaden 
Erſatz verlangt werde. Allerdings wird in der Recht⸗ 
ſprechung ſolches . (vgl. RG RKomm. 8 906 
N. 13; Landmann Gew. [6] I § 247; Recht 1909, 
1938; 1910, 431; Warn R. 12, 343; abw. Gruch. 51, 
154 ff.). Die Behauptung gilt aber nur für 826 GewO.; 
auf Grund ne Vorſchrift kann nach der herrſchenden 
Meinung allerdings ohne Nachweis eines Verſchuldens 
nur für die Zukunft, d. i. für die Zeit nach der Klage⸗ 
erhebung, auf Schadenserſatz (z. B. für die erhöhte 
Gefährdung und dadurch hervorgerufene Entwertung 
des anliegenden Grundſtücks) geklagt werden. Im 
Gegenſatz dazu gewährt aber der obenerwähnte all⸗ 
gemeine Rechtsſatz eine weitere Schadenserſatzpflicht 
ohne Nachweis des Verſchuldens auch für den der Ver⸗ 
gangenheit angehörigen Schaden. Der tiefere Grund 
liegt darin, daß der Grundeigentümer wegen der ſtaat⸗ 
lichen Genehmigung rechtswidrige Eingriffe in ſein 
Eigentum nicht abwehren kann; durch die Gewährung 
einer vom Nachweiſe des Verſchuldens unabhangigen 
Schadenserſatzklage ſoll ihm eine Gegenleiſtung ver⸗ 
ſchafft werden. Dieſer Grund trifft gerade bei Schädi⸗ 
gungen durch Funkenflug zu. Funkenflug iſt eine alltäg⸗ 
liche, dem Eiſenbahnverkehr anhaftende Erſcheinung, 
die die Technik bisher nicht vollſtändig beſeitigen konnte. 
Er bildet ſtets eine unzuläſſige Einwirkung i. S. des 
§ 906 BGB. und iſt bei geringen Entfernungen — wie 
hier — auch ſtets gefährlich (Bay ZfR. 1911, 244; 
Egers . 28, 292; JW. 10, 61 Der Beklagte gibt 
ſelbſt zu, daß die Herſtellung von Einrichtungen un⸗ 
möglich iſt, welche den Funkenflug und feine Shädlichen 
Folgen ausſchließen. Der Grundeigentümer hat alſo 
kein Mittel, ſich im Voraus dagegen zu wehren. Es 
bleibt ihm nichts übrig, als zu warten, bis ein Schaden 
entſtanden iſt. Regelmäßig wird er erſt dann mit der 
Erſatzklage hervortreten. Die Rechtſprechung hat denn 
auch ſtets ſolche Klagen zugelaſſen, ohne den Nachweis 
eines Verſchuldens zu fordern (vgl. RGRKomm. 
8 906 1 und Staudinger a. a. O.: RG. 58, 130; JW. 10, 
61918; 04, 360 1e; Recht 04, 617; WarnR. 13, 226). 
Inſofern geht der Schutz des Grundeigentümers gegen 
Funkenflug nach jenem allgemeinen Rechtsgrundſatz 
weiter als der Schutz des $ 26 GewO. Es iſt nicht 
anzunehmen, daß durch Art. 80 AG. BGB. in Bayern 
der bisherige Rechtszuſtand zum Nachteil der Grund⸗ 
eigentümer geändert werden ſollte. Schon nach früherem 
Recht war auch in Bayern als Erſatz für die ausge⸗ 
ſchloſſene Klage auf Betriebseinſtellung eine an den 
Nachweis eines Verſchuldens nicht geknüpfte Entſchädi⸗ 
gungsklage, nicht aber die in 8 26 GewO. zugelaſſene 
Klage auf Herſtellung von Schutzvorrichtungen zuläſſig; 
nur dieſer verſchiedenen Behandlung der Anlagen der 
Verkehrsunternehmen vor anderen gewerblichen An⸗ 
lagen ſollte der Art. 80 ein Ende machen (Henle⸗ 
Schneider zu Art. 80). Die Eiſenbahn kann ſich gegen 
die Gefahren des Funkenflugs wohl nur durch die Be⸗ 
gründung von Dienſtbarkeiten ſchützen, in denen die 
Grundeigentümer auf künftige Erſatzanſprüche vers 


zichten (EgersE. 26, 208). (Urt. der I. 3K. vom 26. Nov. 


2729/12) 
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Hipp in München. 


1913, A 
3223 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 


Vücheranzeigen. 


Zweites Jahres⸗Supplement 1910/1911 (Band XXII) zu 
Meyers Großem Kouverſations⸗Lexikon, ſechſte, gänzlich 
neubearbeitete und vermehrte Auflage. 1005 Seiten 
Toxt mit 994 Abbildungen, Karten und Plänen im 
Text und auf 90 Bildertafeln (darunter 9 Farben⸗ 
drucktafeln und 7 ſelbſtändige Kartenbeilagen) ſowie 
3 Textbeilagen. (Verlag des Bibliographiſchen In⸗ 

ſtituts in Leipzig und Wien). In Halbleder gebunden 

Mk. 10.— oder in Prachtband Mk. 12.—. 


Das Beſtreben des Verlags von Meyers Großem 
Konverſations⸗Lexikon, dieſes bedeutende Werk auch 
weiter mit der unaufhaltſam vorwärts drängenden 
Zeit Schritt halten zu laſſen, kommt durch die Heraus⸗ 
gabe eines zweiten Jahres⸗Supplements (Band XXIII) 
zum Ausdruck, deſſen vielſeitiger Inhalt einmal vieles 
inzwiſchen Veraltete ergänzt, berichtigt und fortführt, 
uns ſodann aber auch durch eine beträchtliche Reihe 
völlig neuer Artikel überraſcht. Ein enzyklopädiſches 
Jahrbuch für den Zeitraum 1910/1911 könnte der 
XXIII. Band mit Recht genannt werden. Zeitgemäß 
wie die Textgeſtaltung iſt auch das umfangreiche und 
anſchauliche Bildermaterial, das entweder in den Text 
eingefügt oder auf beſonderen Tafeln in ein⸗ und mehr⸗ 
farbiger Ausführung beigegeben iſt. Von ſchwarzen 
Tafeln ſeien 1 erausgegriffen die Illuſtrationen zu den Ar⸗ 
tikeln: „Ballonphotographie“, „Unterſeeboote“, „Feuer⸗ 
meldeanlagen“, „Reklamebeleuchtung“, „Waſſerbau“, 
„Kirchenbauten“, „Univerſitätsbauten“,, Moderne Grab⸗ 
mäler“, „Elektrochemiſche Apparate“, „Konſervierungs⸗ 
apparate“. Eine ſehr intereſſante Zuſammenſtellung 
bieten die 4 Tafeln „Selbſtbildniſſe von Künſtlern des 
15.—20. Jahrhunderts“, nicht minder die Gruppentafeln 
mit Borträten hervorragender Geologen, Botaniker, 
Zoologen, Chemiker, engliſcher und franzöſiſcher Dichter 
der Gegenwart. Ganz hervorragend gelungen ſind die 
farbigen Taſeln und die 7 neuen Karten. Kein Beſitzer 
des Hauptwerkes ſollte ſich die Anſchaffung auch des 
wohlgelungenen zweiten Jahres⸗Supplements entgehen 
laſſen, deſſen Nutzen und praktiſche Bedeutung auch 
als ſelbſtändiges Buch ohne weiteres einleuchtet. 


Stanb's Kommentar zum Handelsgeſetzbuch. Neunte Auf⸗ 
lage bearbeitet von Heinrich Könige, Reichsgerichts⸗ 
rat in Leipzig, Albert Pinner, Juſtizrat in Berlin, 
Dr. Felix Bondi, Juſtizrat in Dresden. Zweiter Band. 
VII, 1416 Seiten. Berlin 1913, J. Guttentag, Ver⸗ 
lagsbuchhandlung. Mk. 22.50. 


Im Jahrgang 1912 S. 244 iſt der 1. Band der 
9. Auflage angezeigt worden. Dem uneingeſchränkt an⸗ 
erkennenden Urteile, das durch den 2. Band nach jeder 
Richtung beſtätigt wird, muß noch beigefügt werden, 
daß ein mit peinlicher Sorgfalt bearbeitetes Verzeich⸗ 
nis der Geſetzesſtellen und ein gründliches Verzeichnis 
959 der Wortfolge die Brauchbarkeit des Buches er⸗ 

öhen. 


Schweitzers Bayeriſcher Finanzkalender 1914. Heraus⸗ 
gegeben von Dr. Unten Schlecht, K. Rentamtmann 
in Garmiſch. München und Berlin 1914, J. Schweitzer 
Verlag (Arthur Sellier). Mk. 2.50. 


Der Kalender ähnelt in der Einteilung und Aus⸗ 
ſtattung dem Termin-Kalender für bayeriſche Juriſten. 
Er enthält Aemterverzeichniſſe, Tabellen, wichtige 
Vorſchriften u. dgl. Von praktiſchem Wert iſt neben 
der Ueberſicht über die Beſetzung der Rentämter ſeine 
Rentämterbeſchreibung. Sie gibt einen Ueberblick über 
die politiſchen und wirtſchaftlichen Verhältniſſe, ins⸗ 
beſondere über die Lebensmittel- und Mietpreiſe, an 
jedem einzelnen Amtsſitze und erwähnt die örtlichen 
Sehenswürdigkeiten und Naturſchönheiten. 


112 


— 


Knitſchky, weil. Dr. jur. W. C. Die Geſetzgebung 
des Deutſchen Reiches. Fünfte vermehrte und 


1 


verbeſſerte Auflage von Otte Nndorff, Oberlandes⸗ 


gerichtsrat in Hamburg. XXIV, 1024 Seiten. Berlin 
1913, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H. 


Die Ausgabe ſammelt die in zahlloſen Geſetzen 
und Verordnungen verſtreuten Vorſchriften des öffent⸗ 
lichen und des privaten Seerechts, erläutert ſie durch 
kurze Verweiſungen und Anmerkungen und führt die 
Ergebniſſe der Rechtſprechung, ſowie die ſeerechtliche 
Literatur an. Sie kann wegen der ſorgfältigen und 
erſchöpfenden Behandlung des Stoffes nur empfohlen 
werden. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Das Bayeriſche Zentralpolizeiblatt erſcheint jetzt 
unter dem Namen „Bayerifches Polizeiblatt“). Der 
Name wurde gleichzeitig mit dem Plane für das Blatt 
geändert. Der neue Plan vom 16. Januar 1914, der 
im Juſtizminiſterialblatt mit Bekanntmachung vom 
23. Januar 1914 (S. 6) veröffentlicht wurde, bringt 
neben weſentlichen Verbeſſerungen der Stoffanordnung 
und der Sprache, insbeſondere der Ausmerzung der 
zahlreichen Fremdwörter, die der alte Plan enthielt, 
einige nicht unwichtige ſachliche Neuerungen. Künftig 
können auch Ausſchreiben von Armenpflegſchaftsräten 
zur Ermittelung des Aufenthalts von Perſonen, die 
ſich der geſetzlichen Unterhaltspflicht entziehen, im 
Bayeriſchen Polizeiblatt veröffentlicht werden. Ferner 
wurden im Hauptblatt zwei neue Abteilungen geſchaffen, 
die Abteilung 6 zur Bekanntgabe der von der Polizei⸗ 
direktion München beanſtandeten Bildſtreifen für Licht⸗ 
ſpiele und die Abteilung 5 für Ausſchreiben gegen 
Jugendliche. Sie iſt beſtimmt 
a) für Ausſchreiben gegen Jugendliche, die aus einer 

Erziehungs⸗ oder Beſſerungsanſtalt entlaufen ſind, 

in der ſie auf Anordnung einer Behörde unter⸗ 

gebracht waren, oder die nach Anordnung einer 

Behörde in einer ſolchen Anſtalt unterzubringen ſind, 
b) für Ausſchreiben gegen entlaufene Jugendliche, wenn 

befürchtet wird, daß ſie ſtrafbare Handlungen be⸗ 


gehen. 

Die Schaffung dieſer Abteilung 5 iſt beſonders zu 
begrüßen. Früher mußten Ausſchreiben gegen Jugend» 
liche, wenn der Jugendliche nicht gegen Einrückungs⸗ 
gebühr als vermißt ausgeſchrieben werden konnte, 
in Abteilung 1 (Haftbefehle) oder in Abteilung 3c 
(Bemerkenswerte Notizen über Gaunerweſen) veröffent⸗ 
licht werden. 

Zweckmäßig iſt auch, daß nach dem neuen Plane 
die halbjährigen Inhaltsverzeichniſſe durch viertel- und 
ganzjährige erſetzt werden und im Auguſt jeden Jahres 
ein Rückſtandsverzeichnis ausgegeben wird, das die noch 
nicht widerrufenen Haftbefehle und Steckbriefe der letzten 
5 Jahre in Verbrechens⸗ und Vergehensfällen enthält. 


Die Mitteilungen der Staatsanwälte, Amtsanwälte 
und Gerichte. Den Staatsanwälten, Amtsanwälten 
und Gerichten find im Laufe der Jahre fo viele Mit: 
teilungen vorgeſchrieben worden, daß es dem einzelnen 
Beamten kaum mehr möglich war, alle in Betracht 
kommenden Vorſchriften zu überſehen. Eine Beſſerung 
trat dadurch ein, daß $ 20 der Dienſtvorſchriften für 
die Staatsanwaltſchaft vom 29. Oktober 1910 den 
Staatsanwälten bei den Landgerichten zur Pflicht machte, 
ein Verzeichnis der Mitteilungen zu führen, die im 
Strafverfahren und in nicht ſtrafrechtlichen Sachen ge— 
macht werden müſſen, und dieſe Vorſchrift in $ 28 der 
vorläufigen Geſchaftsanweiſung für die Amtsanwälte 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 


1914. Nr. 4 u. 5 


vom 21. September 1912 und in 8 28 der Dienſtvor⸗ 
ſchriften für die Amtsanwälte vom 29. November 1913 
übernommen wurde. Allein bei der Fülle und Un⸗ 
überſichtlichkeit des Stoffes werden die Verzeichniſſe, 
die hiernach von den einzelnen Staatsanwälten und 
Amtsanwälten angelegt werden mußten, manche Lücken 
aufgewieſen haben. 

Nun hat das St Min. der Juſtiz die Mitteilungen zu⸗ 
ſammengefaßt, die in Strafſachen den Staatsanwälten bei 
den Landgerichten, den Amtsanwälten und den Gerichten 
und in nicht ſtrafrechtlichen Sachen den Staatsanwälten 
bei den Landgerichten obliegen. Zunächſt geſchah dies 
in ſyſtematiſcher Weiſe durch die Bekanntmachung vom 
29. November 1913 JMBl. S. 694. Dabei wurden 
verſchiedene Mitteilungen erlaſſen, darunter einige, die 
ſehr häufig zu machen waren. Auch wurden viele ältere 
Vorſchriften unter Uebernahme ihres Inhalts in die 
Bekanntmachung aufgehoben. Die Bekanntmachung 
brachte ſo eine weſentliche Vereinfachung des Mitteilungs⸗ 
weſens und eine bedeutende Geſchäftserleichterung. Sie 
kündigte aber noch an, daß den Staatsanwälten und 
Amtsanwälten alphabetiſch geordnete Verzeichniſſe der 
Mitteilungen überſandt werden würden. Dies iſt in⸗ 
zwiſchen geſchehen. Die Verzeichniſſe ſind nach dem 
Muſter angelegt, das den Staatsanwälten und Amts⸗ 
anwälten für ihre Verzeichniſſe vorgeſchrieben war 
(ſ. IM Bl. 1910 S. 971). Der Inhalt der maßgebenden 
Vorſchriften iſt möglichſt erſchöpfend wiedergegeben. 
Zahlreiche Verweiſungen erleichtern die Benützung des 
Verzeichniſſes. Sie können natürlich nach den Be⸗ 
dürfniſſen der Praxis noch vermehrt werden. Hierfür 
und für Nachträge iſt genügend Raum vorgeſehen. Es 
iſt immer nur die rechte Seite bedruckt, die linke iſt 


aber mit dem Vordruck verſehen. 
3235 


Die Seamunbögenguife und die polizeilichen Perſonal⸗ 
akten. Eine Bek. des Staatsminiſteriums des Innern 
vom 23. Januar 1914 (Bayeriſche Staatszeitung Nr. 29 
vom 5. Februar 1914, MA Bl. S. 38) trifft Anordnungen 
darüber, wie bei der Führung der polizeilichen Perſonal⸗ 
akten und bei der Ausſtellung von Leumundszeugniſſen 
Strafen behandelt werden ſollen, deren Löſchung im 
Strafregiſter durch einen allerhöchſten Gnadenerweis 
angeordnet iſt (vgl. JM Bl. 1913 S. 91). Solche Strafen 
ſind in den Perſonalakten der Ortspolizeibehörden 
gleichfalls zu löſchen. Sie ſind ferner in Leumunds⸗ 
zeugniſſen nicht mehr zu erwähnen, außer wenn das 
Zeugnis von einer Behörde gewünſcht wird, die auch 
Auskunft über gelöſchte Vorſtrafen verlangen kann 
und um deren Angabe ausdrücklich erſucht hat. 


Die Behandlung der Akten in Dennabiaungäfaden. 
Eine Bek. vom 27. Januar 1914 (JMBl. S. 15) löſt 
den Zweifel, ob die Vorſchriften der Bek. vom 6. Mai 
1911 über die Aktenführung in Begnadigungs- und 
Strafaufſchubsſachen ($ 7 und 8 25 Abſ. 2) auch für 
die Aktenſtücke gelten, welche die bedingte Begnadigung 
betreffen. Sie ordnet aus Gründen der Zweckmäßigkeit 
an, daß auch dieſe von den Gerichtsakten abgeſondert 
und gemeinſam mit den übrigen auf Begnadigungs⸗ 
und Strafaufſchubsgeſuche erwachſenen Aktenſtücken in 
einem Hefte verwahrt werden. Die Bek. vom 14. De⸗ 
zember 1908, die bedingte Begnadigung betr. (JM Bl. 
S. 285), erleidet dadurch einige Aenderungen. Im $ 10 
Nr. 11 fällt der 2. Halbſatz „und nimmt ...... zu 
den Akten“ weg (ſ. a. 8 11 Abſ. 2, 8 12 Nr. 7, 8 13 
Nr. 7, wo die Vorſchriften des 8 10 für anwendbar 
erklärt ſind). 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ur. 6. 


ür. 6. Muäünchen, den den 15. März 1914. 


10. Jahrg. 


Jeitſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 
. I. Staatsanwalt im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtiz. 


in Bayern 


Verlag von 
J. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zellier) 
Münden, Berlin u. Leipzig. 


Genufferts Blätter für Rechtsau wendung 3d. 79.) 


Die Beitichrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /. 
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/ oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
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113 


Die Zuſtellung von Beſchlüſſen im amts- 3 496 I angewiesen. Iſt nun daraus, daß in 


gerichtlichen Verfahren. 


Bon Dr. Nichard Kann, Rechtsanwalt am Kammergericht 
zu Berlin. 


Die Frage, ob der über den Widerſpruch des 
Schuldners gemäß § 900 III ZPO. ergehende Be⸗ 
ſchluß, auch wenn er verkündet worden iſt, von 
Amts wegen zugeſtellt werden muß oder ob der 
Zuſtellungsbetrieb in dieſem Falle dem Partei⸗ 
betriebe überlaſſen bleibt, iſt von Dittrich!) im 
erſteren, von Seuf fert“)! im letzteren Sinne beant⸗ 
wortet worden. Ich ſelbſt habe in meinem Kom⸗ 
mentar die letztere Anſicht vertreten.“) Ich will 
verſuchen, ſie näher zu begründen. 

Den Ausgangspunkt der Unterſuchung muß die 
Frage bilden, ob und inwieweit die Novelle von 
1909 denn überhaupt in die Vorſchriften über die 
Zuſtellung der Beſchlüſſe eingegriffen hat. Dabei 
ſcheint mir nun ſoviel ſicher zu ſein, daß eine auf 
die Zuſtellung von Beſchlüſſen bezügliche ausdrück⸗ 
liche Vorſchrift in den Beſtimmungen der Novelle 
nicht enthalten iſt. Wenn Seuffert eine ſolche in 
der in § 496 J enthaltenen Verweiſung auf den 
8 317 J erblickt, jo kann ich ihm inſoweit nicht 
folgen. § 317 I handelt nur von der Zuſtellung 
von Urteilen. Allerdings wird auch in dem die Zu⸗ 
ſtellung der Beſchlüſſe regelnden $ 329 auf 83171 
verwieſen. Daraus folgt aber nicht, daß die in 
8 496 I enthaltene Verweiſung den $ 329 II mit⸗ 
umfaßt. 

Mangels einer ausdrücklichen Beſtimmung ſind 
wir alſo für unſere Frage auf die Auslegung des 


7 Loe „ Jahrgang dieſer Zeitſchrift S. 37. 

) Eben 

) Die gleiche Anſicht vertritt außer den von Dittrich 
angeführten Autoren auch Neukamp zu 8 900. Dagegen 
lehren Skonietzki⸗Gelpcke, Note 5 zu 8 329, daß alle 
verkündeten Beſchlüſſe des Amtsgerichts von Amts 
wegen zuzuſtellen ſeien. 


| 


496 I nur Urteile von der Zuſtellung von 
Amts wegen ausgenommen worden find, zu ent⸗ 
nehmen, daß für Beſchlüſſe das Gegenteil gelten 
ſoll, daß mithin alle amtsgerichtlichen Be⸗ 
ſchlüſſe von Amts wegen zuzuſtellen ſind? 
Sehen wir näher zu. Mit den Worten: „Die 
Zuſtellung erfolgt . .. von Amt wegen“ gibt 
8 496 eine Vorſchrift über die Form der Zu: 
ſtellung. Darüber, in welchen Fällen die in 
8 496 angeordnete Zuſtellungsform angewendet 
werden ſoll, fehlt es dagegen an einem Ausſpruch. 
Das wird ganz deutlich, wenn man die entſprechen⸗ 
den Vorſchriften des 8 32 Gew. daneben hält, der 
ja bekanntlich dem $ 496 als Vorbild gedient hat: 

„Die Zuſtellungen in dem Verfahren vor den 
Gewerbegerichten erfolgen von Amts wegen. 

Urteile und Beſchlüſſe, gegen welche ein Rechts⸗ 
mittel ſtattfindet, find den Parteien zuzuſtellen, 
ſoweit dieſe nicht auf die Zuſtellung verzichten. 
Sonſtige Urteile und Beſchlüſſe ſind einer Partei 
nur zuzuſtellen, wenn fie nicht in Anweſenheit 
derſelben verkündet find . 

Wahrend alſo das Gewerbegerichtsgeſetz außer 
der dem § 496 J entſprechenden Vorſchrift über 
die Form der Zuſtellungen auch eine Beſtimmung 
darüber gibt, welche Urteile und Beſchlüſſe 


in dieſer Form zuzuſtellen find, enthält ſich die 


Amtsgerichtsnovelle einer ſolchen Anordnung. 

Dieſe Betrachtung führt ſomit zu dem Ergebnis, 
daß die Novelle von 1909, da ſie für das amts⸗ 
gerichtliche Verfahren zwar eine Vorſchrift über 
die Form der Zuſtellung gegeben, es aber unter⸗ 
laſſen hat, vorzufchreiben, daß dieſe Form, ſei es 
auf alle, ſei es auf gewiſſe amtsgerichtliche Be⸗ 
ſchlüſſe anzuwenden iſt, hinſichtlich der Zuſtellung 
der amtsgerichtlichen uk alles 
beim alten gelaſſen hat. Alſo: 

1. Nicht verkündete Beſchlüſſe des Amts⸗ 
gerichts waren ſchon nach dem Recht vor der Novelle 


114 


(8 329 III) in der Regel beiden Parteien von Amts 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


wegen zuzuſtellen. In den Fallen aber, in welchen bis⸗ 
her ein Beſchluß, ſei es kraft ausdrücklicher Beſtim⸗ 
mung, ſei es nach dem Sinn des Geſetzes von Amts 


wegen nur dem Antragſteller, nicht auch dem 
Antragsgegner zuzuſtellen war, findet auch nach 


| 


2. Was die verkündeten Beſchlüſſe be 
trifft, ſo gilt — mangels einer entgegenſtehenden 
Vorſchrift der Novelle — auch im Amtsgerichts⸗ 
verfahren der in den 88 329 II, 312 II ZPO. aus: 
geſprochene Grundſatz der Nichtzuſtellung. Den 
8 496 I mit Skonietzki⸗Gelpcke dahin auszulegen, 


dem Recht der Novelle keine Zuſtellung von Amts daß nunmehr alle verkündeten Amtsgerichts⸗ 


wegen an den Antragsgegner ſtatt. 
zweifelhaft der Beſchluß, durch welchen das Amts⸗ 
gericht ein Arreſtgeſuch zurückweiſt oder vor⸗ 
gängige Sicherheitsleiſtung für erforderlich erklärt, 
„dem Gegner nicht mitzuteilen“ ($ 922 III). Das 
iſt auch, wenn ich recht ſehe, bisher von keiner Seite 
bezweifelt worden. — Ebenſo iſt der Beſchluß des 
Amtsgerichts, durch welchen ein Arreſt ange⸗ 
ordnet wird ($ 922 II), dem Antragsgegner nicht 
zuzuſtellen. Es iſt klar, daß der Arreſtgläubiger 
das höchſte Intereſſe daran hat, Zuſtellung und 
Vollziehung des Arreſtes in einem Akt vornehmen 
zu können. Um ihm dieſe Möglichkeit im amts⸗ 
gerichtlichen Verfahren nach der Novelle zu fichern, 
bedarf es nun aber keineswegs, wie Flechtheim“ 
meint, des Hinweiſes auf die beſondere Natur des 
Arreſtprozeſſes oder gar der Annahme, daß der 
Novellengeſetzgeber den 8 922 II überſehen habe. 
Vielmehr ergibt ſich das gewünſchte Ergebnis ein⸗ 
fach daraus, daß die Novelle in die beſtehende 
Ordnung der Zuſtellung der Beſchlüſſe überhaupt 
nicht eingegriffen hat. — Desgleichen iſt der nicht 
verkündete amtsgerichtliche Beweisſicherungs⸗ 
beſchluß dem Antragsgegner nicht zuzuſtellen.“) 
Dieſe Zuſtellung kann nach dem Sinne des 8 491 
nicht wohl von Amts wegen, ſondern nur von der 
Partei betrieben werden: „Der Beweisführer iſt 
verpflichtet, ſofern es nach den Umſtänden des Falles 
geſchehen kann ... Der Richter hat die Be: 
weisaufnahme zu veranſtalten, ohne prüfen zu 
dürfen, ob der Dritte, den der Beweisführer ge⸗ 
laden hat, der richtige Gegner iſt, ja ob überhaupt 
eine Ladung erfolgt iſt. Unter Umſtänden kann 
der Antragſteller auch ein Intereſſe daran haben, 
auf die bereits angeordnete Beweisſicherung zu ver⸗ 
zichten, ohne daß der Gegner etwas davon erfährt, 
daß ein ſolches Verfahren eingeleitet worden iſt, 
fo wenn das Gericht nur einem — für den An: 
tragſteller wertloſen — Teil des Antrags ſtatt⸗ 
geben will und dieſer es unter ſolchen Umſtänden 
vorzieht, die ganze Angelegenheit nicht erſt auf— 
zurühren. 

Desgleichen iſt in den Fällen, in welchen nicht 
verkündete Beſchlüſſe überhaupt nicht zuzu⸗ 
ſtellen, ſondern in einfacherer Form bekannt zu 
machen waren, z. B. durch Aushändigung der Ur— 
ſchrift an den Antragſteller (fo gemäß § 829 ZPO.), 
durch formloſe Mitteilung uſw., durch die Novelle 
nichts geändert worden. 

) JW. 10, 471. 

) Ebenſo Skonietzki-Gelpcke Note 1, Struckmann— 
Koch Note 1, Förſter⸗Kann Note 1; a. M. Hellwig 
Syſtem 1, 741, Stein Note J, Seuffert Note 1. 


| 


So ift une beſchlüſſe zuzuſtellen ſeien, verbietet ſich ſchon 


durch die Erwägung, daß dann das Amtsgericht 
mit einem Wuſt von überfläffigen und geradezu ſach⸗ 
widrigen Amtszuſtellungen belaſtet werden würde. 
Ich kann mich in dieſer Beziehung auf die von 
Seuffert gegebenen Beiſpiele berufen. Die Frage 
kann ſomit überhaupt nur für Beſchlüſſe aufgeworſen 
werden, bei welchen die Zuſtellung nötig iſt, um die 
Friſt zur ſofortigen Beſchwerde in Lauf zu ſetzen. 
Sie muß aber auch für dieſe verneinend ausfallen. 
Da es an einer ausdrücklichen Vorſchrift fehlt, ſo 
könnten für die Amtszuſtellung nur innere Gründe 
in Betracht kommen. Ein Amtsintereſſe an der 
Herbeiführung der Rechtskraft eines Beſchluſſes be⸗ 
ſteht aber ebenſowenig wie — abgeſehen vom Fall 
des $ 625 ZPO. — bei Urteilen. Es iſt vielmehr 
in der Mehrzahl der Fälle für das Gericht ganz 
gleichgültig, ob die Friſt zur ſofortigen Beſchwerde 
in Lauf geſetzt worden iſt oder nicht. So ins⸗ 
beſondere im Fall des § 900 III, wenn der Wider⸗ 
ſpruch des Schuldners für begründet erachtet 
worden iſt. Hier iſt für das Gericht die Angelegen⸗ 
heit zunädhft erledigt: es iſt Sache des Gläubigers. 
ob er weitere Schritte unternehmen und allenfalls 
Sache des Schuldners, ob er, ſelbſt wenn der Gläu⸗ 
biger ſich nicht rührt, die formelle Rechtskraft des 
Beſchluſſes herbeiführen will. Was nun ſchließlich 
den Fall der Zurückweiſung des Wider⸗ 
ſpruchs gemäß 8 900 III betrifft, jo iſt hier 
freilich die Zuſtellung des Beſchluſſes nötig, damit 
das Verfahren ſeinen Fortgang nehmen kann. Daraus 
folgt aber ebenfalls nichts dafür, daß die Zuſtellung 
von Amts wegen zu bewirken iſt. Vielmehr führt auch 
hier wieder die Vergleichung mit der Urteilszuſtellung 


zum gegenteiligen Ergebnis: auch Zwiſchenurteile 


und bedingte Endurteile, von deren Rechtskraſt die 
Fortſetzung des Verfahrens abhängt, ſind nichts⸗ 
deſtoweniger im Parteibetriebe zuzuſtellen. Irgend⸗ 
ein Grund, die Zuſtellung verkündeter Beſchlüſſe 
anders zu behandeln, ſcheint mir bei dem Schweigen 
des Geſetzes nicht gegeben zu ſein. 


leber Strafvollſtreckung. 


Von Edmund Fumian, Amtsrichter in Straubing. 


Der Strafvollzug, beſonders die Vollſtrek⸗ 
kung von Freiheitsſtrafen, iſt von einſchneiden⸗ 
den Folgen für den Betroffenen begleitet. Pein⸗ 
liche Genauigkeit iſt darum geboten und nirgends 


treten die Wirkungen von Verſehen für deren Ur: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 115 


beber jo ſtark in die Erſcheinung wie hier. Irrtümer d) im Privatklageverfahren der Privatkläger 
find aber umſo leichter denkbar, als nicht nur in und der Widerklaͤger — hier ſei neben 88 414 ff., 
den meiſten Fällen ein raſcher Entſchluß nötig wird 430 StPO. beſonders auf die Fälle verwieſen, 
und nicht Zeit zur gemütlichen Erwägung bleibt, wo nach Nebengeſetzen die Privatklage zuläſſig iſt 
ſondern auch das ganze Gebiet mit ſtreitigen oder | (ſ. Löwe Vorbem. zum V. Buch) —, 
doch recht kitzligen Fragen überſät iſt. e) wer als Nebenkläger zugelaſſen wurde oder 
Wenn ich im folgenden einige Leitſätze der werden kann (88 435, 441 StPO.). 
Strafvollſtreckung hervorhebe, jo geſchieht dies in Außer dem Falle des § 435 II a. a. O. kann 
der Hoffnung, daß damit manchem die Bahn ge⸗ ſich als Nebenkläger anſchließen: 
ebnet wird, der ſich in den Stoff erſt einarbeiten a) wer als Privatkläger auftreten kann (ſ. oben); 
muß. Zur eingehenden Behandlung der Streit⸗ b) wer Buße beanspruchen kann (5 443 a. a. O.); 
fragen, zur Erörterung bekannter Begriffe oder hierüber ſ. d. Zitate bei Löwe zu 8 443. Die 
zur Entwicklung einer förmlichen Lehre über die haufigſten Fälle find die der 88 188 und 231 StGB. 
Vollſtreckung fehlt hier der Raum. In ſolchen Fällen müſſen daher die Voraus⸗ 
I. Der grundlegende Satz iſt der, daß die ſetzungen der Vollſtreckbarkeit auch hinſichtlich dieſer 
Vollſtreckung von Strafurteilen von deren Rechts⸗ Perſonen vorliegen; dabei ſind beſonders auch die 
se =. (8 Ei W 1 §§ 195, 196, 232 Abi. 3 StGB. zu beachten. 
8 rechtskräftige Urteil keiner Beſtätigung (anders II. Je nach dem Umfange der Rechtskraft iſt 
MSIED. 5 416). Nur der Vollzug von Todes- das Urteil unter Umſtänden nur teilmeife voll⸗ 
urteilen iſt an gewiſſe weitere Vorausſetzungen ſtreckbar. Wenn von einem Urteil, das einen zu⸗ 
gebunden (8 485 StpO.) . ſammengeſetzten Ausſpruch enthält, nur der eine 
Rechtskräftig iſt ein Urteil, gegen das über: Teil angefochten iſt, kann es im übrigen vollſtreckt 
haupt kein (ordentliches) Rechtsmittel zugelaſſen werden, jo z. B. wenn neben einer Strafe eine 
(3. B. erſtinſtanzielles Urteil des Reichsgerichts, Vorſorgemaßregel ausgeſprochen wird, wie Ein 
5 136 GVG.) oder das nicht mehr mit einem ziehung, Ueberweisung uſw. Dasſelbe iſt der Fall, 
ſolchen anfechtbar iſt. Daher find ſofort vollfired- | wenn mehrere Strafen geſondert nebeneinander er: 
bar die bereits erwähnten Urteile, ſowie die Ur⸗ kannt find. Anders bei Geſamtſtrafen; hievon 
teile des RG.s und des Oberſten Landesgerichts wird unten noch die Rede fein. 
als Revifionsinſtanz.) Daraus ergibt ſich, daß Umfaßt das Urteil mehrere Angeklagte, ſo iſt 
eine Vollſtreckung nicht zuläſſig iſt, ſolange ein für die Vollſtreckung maßgebend, wem gegenüber 
Rechtsmittel läuft; eine Ausnahme hievon bilden das Urteil rechtskräftig iſt. Gegen ihn iſt die 
die Beſtimmungen der 88 386 und 360 StPO. Vollſtreckung zuläſſig, auch wenn von Mitverurteilten 
Die Strafvollſtreckung ſetzt alſo voraus, daß ein Rechtsmittel eingelegt wurde und dieſes zu einer 
entweder ein Rechtsmittel nicht zuläſſig oder die Aenderung oder Aufhebung des Urteils auch gegen⸗ 
Rechtsmittelfriſt fruchtlos verſtrichen oder der Rechts⸗ über den übrigen führen kann, die kein Rechts: 
mittelzug erſchöpft, das ergriffene Rechtsmittel zurück: mittel einlegten. Dies iſt freilich beftritten (. Löwe 
genommen oder endlich auf Einlegung verzichtet | 8 481). Die Vollſtreckung hängt hier nicht etwa 
worden iſt. Wo eine Umwandelung in Frage davon ab, daß der Verurteilte damit einverſtanden 
ſteht, iſt zu prüfen, ob die Vorausſetzung hiefür iſt; denn das Einverſtändnis iſt kein Erfordernis 
(Uneinbringlichkeit der Geldſtrafe) gegeben iſt. des Strafvollzugs, eine unzuläſſige Vollſtreckung 
Berechtigt zur Einlegung von Rechtsmitteln ſind | aber würde auch nicht durch die Zuftimmung des 
in erſter Linie der Staatsanwalt und der Be: Verurteilten zuläſſig. 
ſchuldigte. An Stelle des Staatsanwalts tritt Der häufigſte Fall wird die Aburteilung mehrerer 
mitunter eine andere Behörde (jo in Forſtrüge⸗ Beſchuldigter wegen einer gemeinſchaftlich verübten 
ſachen nach Art. 114 ForſtGG. das Forſtamt); in Tat ſein. Z. B. A und B find bezichtigt, gemein: 
beſtimmten Verfahren genießen andere Behörden ſchaftlich (aber ohne ſonſtige Erſchwerungsgründe) 
ähnliche Rechte (vgl. 55459 ff. insbeſ. 468 StPO., den C körperlich mißhandelt zu haben. Sie werden 
5 13 GG.). aus 88 223 a, 47 StGB. verurteilt. Gegen A 
Ein Rechtsmittel können ferner ergreifen: | wird das Urteil rechtskräftig, B ergreift Berufung 
a) der Verteidiger, allerdings nicht gegen den und wird freigeſprochen. Damit iſt auch der An⸗ 
ausdrücklichen Willen des Beſchuldigten (8 339 klage gegen A wegen eines Vergehens aus § 223 a 


StPO.), a. a. O. der Boden entzogen. Es bleibt allenfalls 
b) der geſetzliche Vertreter des Beſchuldigten noch 8 223 a. a. O., wenn Strafantrag geſtellt iſt. 
(8 340 a. a. O.), Nach dem früher Geſagten könnte aber die Strafe 
c) der Ehemann der Beſchuldigten ($ 340 gegen A inzwiſchen vollzogen werden. Trotz den hier⸗ 
a. a. O.), aus ſich ergebenden Bedenken wird man doch an der 


| Möglichkeit des Strafvollzugs gegen Mitverurteilte 


1) Hinſichtlich der Erſchöpfung des Rechtszugs feſthalten müſſen. Sonſt dürfte man auch nicht 
ſ. 88 338 ff., 354 ff., 374 ff. StPO. vollſtrecken, wenn einer der Mitangeklagten unbe— 


116 


kannten Aufenthalts und das Verfahren gegen die 
übrigen durchgeführt iſt. Solche Verzögerungen 
wären mit dem Zwecke der Strafvollitredung un: 
vereinbar. 

In der Praxis wird nicht ſelten ein Straf⸗ 
aufſchub über den ungewiſſen Zwiſchenzuſtand hin⸗ 
weghelfen. 8 79 der bayeriſchen Dienſtvorſchriften 
für die Staatsanwaltſchaft beſtimmt: „Hat von mehre⸗ 


ren Verurteilten nur ein Teil Revifion eingelegt, jo | 


kann der Staatsanwalt gegen die anderen die Straf⸗ 
vollſtreckung einleiten. Iſt aber mit der Möglich⸗ 
keit zu rechnen, daß $ 397 StPO. zur Anwendung 
kommen wird, jo ſoll der Staatsanwalt die Voll: 
ſtreckung in der Regel aufſchieben, es müßte denn 
ſein, daß ſie infolge beſonderer Umſtände, z. B. 
wegen Fluchtgefahr, geboten iſt.“ 

III. Der Vollzug der Freiheitsſtrafe ge⸗ 
ſchieht durch eine beſonders geſtaltete Freiheitsent⸗ 
ziehung. Die Geſamtheit aller Maßregeln, wo⸗ 
durch dieſes Ergebnis herbeigeführt wird, iſt die 
Strafvollſtreckung (RGRſpr. 4, 26, Entſch. 
30, 135). 

Strafvollitredungsbehörde im Sinne des $ 483 
StPO. find der Staatsanwalt und der Amtsrichter, 
denen die Herbeiführung und Ueberwachung des 
Vollzugs obliegt. Weiterhin werden noch der 
Gerichtsſchreiber und insbeſondere die Beamten der 
Gefängniſſe und Strafanſtalten tätig. Letztere haben 
5 e der Freiheitsentziehung ſelbſt zu 

ewirken. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


| 


6. Mai 1911 über das Verfahren in Begnadigungs⸗ 
und Strafaufſchubsſachen (JM Bl. S. 155 ff.) den 
Begriff der Strafhaft auf als der Haft ſeit der 
Aufnahme in die Strafanſtalt oder das Gefängnis, 
wo der Verurteilte die Strafe zu verbüßen hat 
(ſ. 8 11 Abſ. III und BayziR. 1911 S. 293). 
Damit iſt aber auch der Uebergang zum Begriff 
der Strafhaft i. e. S., der Strafverbüßung gegeben. 
Der Unterſchied zwiſchen beiden liegt darin, daß 
bei erſterem Begriffe nur der Zuſtand, bei letzterem 
neben dieſem auch die Wirkung ausgedrückt wird. 

Die Strafverbüßung ſetzt aber voraus, daß 

a) ſich die Freiheitsentziehung auf ein verur⸗ 
teilendes Erkenntnis ſtützt, 

b) daß fie dem Willen der Strafvollſtreckungs⸗ 


behörde entſpricht. 


Ueber die Geſtaltung dieſer enthält das Reiche: | 


recht nur einzelne Richtlinien. Die Erlaſſung der 
eigentlichen Vorſchriften iſt der Landesgeſetzgebung 
vorbehalten, die an den Bundesratsbeſchluß vom 
28. Oktober 1897 gebunden iſt (Abdruck ſ. Nr. 45 
des Zentralbl. f. d. Deutſche Reich von 1897). In 
Bayern gelten zurzeit für die Gerichtsgefängniſſe 
die Hausordnung vom 3. Januar 1910 (JMBl. 
S. 25) und für die Strafanſtalten die Hausordnung 
vom 20. September 1907 (JM Bl. S. 309).“) Die 
künftige Geſetzgebung wird wohl dem Bedürfniſſe 
nach einem Reichs⸗Strafvollzugsgeſetze Rechnung 
tragen. Die Verquickung ſolcher Vorſchriften mit 
dem materiellen Strafrechte, wie ſie der Vorent⸗ 
wurf und der Gegenentwurf zu einem neuen Straf— 
geſetzbuch vorſehen, oder auch mit dem Prozeß⸗ 
rechte iſt unangebracht. 

Aus dem Geſagten ergibt ſich der Begriff der 
Strafhaft i. w. S. Sie iſt eine beſonders geſtaltete 
Freiheitsentziehung an hiefür beſtimmten Orten. 
Daraus ergibt ſich, daß eine andere Verwahrung 


Zu a. Fehlt das Erkenntnis, ſo kann man 
nicht vom Vollzug einer Strafe ſprechen. Das 
StGB. gebraucht allerdings in 8 345 auch für ſolche 
Fälle den Ausdruck „Vollſtreckung einer Strafe“. 
Dort iſt aber der Begriff anders auszulegen wie 
in 8 483 StPO. Es iſt erforderlich, daß das 
Erkenntnis (im Rahmen dieſer Abhandlung: das 
Urteil) noch zurecht beſteht, alſo nicht etwa aufge⸗ 
hoben oder abgeändert ift (vgl. $ 399 ff. StPO.), 
daß weiterhin die Wirkungen noch fortdauern, nicht 
etwa die Strafe erlaſſen oder der Strafanſpruch 
des Staats durch Verjährung der Vollſtreckung er⸗ 
loſchen iſt.“) 

Wie betont, iſt die erſte Vorausſetzung des 
Strafvollzugs die Rechtskraft der Entſcheidung. 
Trotzdem iſt eine Freiheitsentziehung, die dieſem 
Grundſatze zuwider vor dem Eintritte der Rechts⸗ 
kraft erfolgt. Strafhaft i. e. S. Das gleiche gilt, 
wenn eine für den Uneinbringlichkeitsfall erkannte 
Freiheitsſtrafe vollſtreckt wird, obwohl die Unein⸗ 
bringlichkeit gar nicht gegeben, ja vielleicht die Bei⸗ 


treibung gar nicht verſucht worden iſt (SI 28 ff. 


StGB.; 88 491 StPO.; JIMBek. vom 24. Sep: 
tember 1879 88 21 ff., IM Bl. 1436). 


Eine beſondere Gefahr in letzterer Richtung liegt 


nicht vor, da ſich der Verurteilte jederzeit durch 


Erlegung des Geldbetrags befreien kann. 


Nicht anders, wenn Hinderniſſe nicht beachtet 
wurden, die dem Strapvollzuge zeitweiſe oder auch 


dauernd entgegenſtehen, z. B. Strafaufſchub, Ge⸗ 


| 


nicht als Strafhaft gelten kann, z. B. die irr⸗ 


tümliche Aufnahme 
Polizeigewahrſam. 
In dieſem Sinne ſtellt auch die JM Bek. vom 


eines Strafgefangenen in 


) Erläutert von Degen und Dr. Klimmer (.Die 


Strafvollſtreckung in den bayeriſchen Gerichtsgefäng— 
niſſen und Strafanſtalten“, J. Schweitzer Verlag Arthur 
Sellier), München und Berlin 1911). 


währung einer Bewährungsfriſt uff. (val. BayObLG. 
5, 247; 7, 343; BIjRA. Bd. 67 S. 189). 

Man braucht alſo in ſolchen Fallen nicht auf 
eine fingierte Strafvollſtreckung oder anzurechnende 
Haft ulm. zurückzugreifen oder gar an eine noch— 
malige Vollſtreckung zu denken. Ebenſowenig iſt 
es zuläſſig, die an erſter Stelle erkannte Geldſtraſe 
noch beizutreiben. Die Strafe iſt verbüßt. 

Allerdings wird dieſer Satz auf eine Probe ge— 
ſtellt, wenn nämlich eine Strafe verſehentlich auf 


) Ueber die Vollſtreckbarkeit bei Wiederaufnahme 
und Wiedereinſetzung |. SS 400 und 47 Stp;pO. 


Grund eines anfechtbaren Urteils vollſtreckt, das 
Erkenntnis aber im Rechtsmittelwege aufgehoben 
oder gemindert wird. Dieſer Fall iſt an ſich 
weſentlich von dem verſchieden, wo der Erfolg durch 
Wiederaufnahme eines rechtskräftig geſchloſſenen 
Verfahrens erreicht wird. Die Behandlung iſt aber 
in beiden Fällen gleich. Hier wie dort entfallen 
die Wirkungen der Strafverbüßung mit der Auf⸗ 
hebung des Erkenntniſſes. 

Zu b. Erforderlich iſt ferner eine Anordnung 
der Strafvollſtreckungsbehörde (5483 StPO.), gleich" 
viel in welcher Form ſie vorliegt. 

Eine Vollſtreckung ohne dieſe oder gar gegen 
den Willen der Strafvollſtreckungsbehörde iſt keine 
Strafverbüßung (RGRſpr. 4, 26). Sie wird es 
aber durch eine hierauf gerichtete Willensaͤußerung 
der Strafvollſtreckungsbehörde. Diele iſt auch noch 
möglich, wenn die Freiheitsentziehung ſchon beendet 
iſt. Der Strafanſpruch des Staates iſt dann aller⸗ 
dings ſchon getilgt; es bedarf deshalb keiner Vor⸗ 
ladung zum Strafantritt mehr, Eine Verſtändi⸗ 
gung des Verurteilten vom Sachverhalt und den 
getroffenen Verfügungen iſt dagegen nicht zu um⸗ 
gehen. Wenn alles nach der Regel läuft, ſind 
ſolche Fälle ja nicht denkbar. Das Verſehen findet 
aber namentlich durch verſtümmelte Telegramme 
und Hörfehler am Telephon überallhin den Weg. 


IV. Die Strafzeit deckt ſich in der Regel 
mit der Strafhaft. Doch begegnet ihre Berechnung 
und Feſtſtellung öfters Schwierigkeiten. Im Regel⸗ 
falle find die Grenzpunkte Aufnahme und Entlaſſung. 

Iſt aber die Aufnahme der tatſächliche Eintritt 
in das Gefängnis oder die Erklarung der Auf: 
nahme durch den dienſthabenden Beamten? Das 
Letztere iſt richtig. Gewöhnlich werden ja der Ein⸗ 
laß und die Aufnahme zeitlich zuſammenfallen. 
Mitunter kann aber ziemlich viel Zeit dazwiſchen⸗ 
liegen, ſo wenn die Perſönlichkeit erſt feſtgeſtellt 
werden muß oder wenn zweifelhaft iſt, ob die Ver⸗ 
fügung der Strafvollſtreckungsbehörde noch wirkſam 
iſt ust, Da dieſe Prüfung 0 e vorausgeht 

5 erichtsgefängniſſe Ä 
(1. 8 1 Haus O. f. d. Strafanſtalten ). fällt die 
Zeit der vorläufigen Verwahrung nicht unter die 
Strafzeit (dagegen Degen : Dr. Klimmer). Der vor: 
läufig Verwahrte iſt nicht Strafgefangener und wird 
auch nicht als ſolcher behandelt. Sonſt müßte man 
auch dann, wenn z. B. jemand wegen mangelnder 
Belege vorläufig verwahrt und zurückgewieſen wurde, 
ſpäter aber nach Ergänzung des Mangels Aufnahme 
fand, die erſte vorläufige Verwahrung auf die Straf: 
zeit anrechnen. Das geſchieht wohl nirgends. 

Die Aufnahme muß nicht ausdrücklich erklärt 
werden. Sie iſt erklärt, wenn die Zurückweiſung 
nicht unverzüglich erfolgt. Die Beurkundung der 
Aufnahme iſt kein weſentliches Erfordernis, wenn 
auch vorgeſchrieben und ein Beweismittel. 


Das nämliche gilt für die Entlaſſung. Zur 
Strafvollſtreckung gehören daher nicht Maßregeln, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


117 


die nur zur Herbeiführung des Vollzugs dienen 
und ihn ſichern; umgekehrt wird aber der Lauf der 
Strafzeit, ſofern ſie nicht durch eine Verfügung 
unterbrochen wird, nicht dadurch geſtört, daß der 
5 vom Straforte anderswohin verbracht 
wird. 


V. Eine große Anzahl von Verurteilten kann 
ſich nicht bequemen, freiwillig die Strafe anzutreten 
oder zieht es vor, ſich unſichtbar zu machen, ſo 
daß nur der Verſuch bleibt, mit einem Vorführungs⸗ 
oder Haftbefehl ihrer habhaft zu werden. Hier 
ſoll der Kürze halber nur vom Haftbefehl nach 
8 489 StPO. geſprochen werden. Dieſe Haft 
iſt keine Unterſuchungshaft i. S. der 88 482, 112 ff. 
StPO., die anrehnungsfähig wäre. Aber auch 
von einer Strafhaft iſt nicht die Rede. Deshalb 
findet in der Regel keine Anrechnung ſtatt (OLG. 
München 10, 66). 

1. So wird als Strafhaft nicht angerechnet 
die Zeit von der Verhaftung nach 8 489 a. a. O. 
bis zur Einlieferung an den Strafort, gleichviel 

a) ob ſie auf den Transport allein entfällt 
oder aber auch inzwiſchen eine Verwahrung 
in einem anderen Gefängnilfe oder etwa einem 
für kranke Gefangene beſtimmten Gefängniſſe erfolgt 
(OLG. München 3, 596; 10, 146), 

b) ob der Verhaftete ſich vorher auf freiem Fuße 
befand, ſich zum Strafantritt meldete, aber mangels 
eigener Barmittel in die Strafanſtalt verſchubt 
werden mußte (desgl. 3, 446; 2, 137), oder 

c) von einem Strafort an den anderen über⸗ 
ſtellt wurde (desgl. 4, 280, 463; BayOb“ G. 3, 407), 
oder endlich 

d) vom Arbeitshaus in eine Strafanſtalt ver⸗ 
bracht wurde (OLG. München OLG. M.)] 4, 464). 

2. Angerechnet wird dagegen u. a. 

a) die Zeit, die — ohne daß ein Haft⸗ 
befehl nach 8 489 StPO. vorliegt — ein 
Verurteilter auf dem Transporte aus einer Straf⸗ 
anſtalt in eine andere zur Verbüßung einer weiteren 
Freiheitsſtrafe zubringt; es wird ſo angefehen, als 
ob die zweite Strafe ſich unmittelbar an die erſte 
angeſchloſſen hätte. 

Dieſer Fall und der unter 1 c berühren ſich; 
der weſentliche Unterſchied liegt darin, daß dort 
ein Haftbefehl nach 8 489 StPO. erlaſſen wurde 
(OLG. M. 3, 431; Bay Obs. 1, 112). 

Angerechnet wird ferner 

b) regelmäßig die Zeit, die darauf verwendet 
wird, den Strafgefangenen, deſſen Strafhaft nicht 
unterbrochen wird, zur Erledigung eines anderen 
Verfahrens in ein anderes Gerichtsgefängnis zu 
verbringen und dort zeitweilig zu verwahren (OLG. 
M. 1, 268). 

c) Die Dauer des Aufenthalts des Verurteilten 
in einer Krankenanſtalt (Heilanſtalt uſw.), wohin 
er nach Strafantritt und ohne Unterbrechung der 
Strafhaft verbracht wurde; ausgenommen iſt der 
Fall, daß ein Verurteilter die Krankheit abſichtlich 


Wenn der Verurteilte nur in die Kranken⸗ 


abteilung des Gefängnifjes verbracht wird, verſteht 
es ſich von ſelbſt, daß die Strafhaft fortläuft. Das 
Ob“ G. ſcheint die Anwendung des 8 493 StPO. 
auch auf andere Fälle ausdehnen zu wollen, z. B. 
wenn ein Strafgefangener ſich einer fingierten Tat 
an einem weit entfernten Orte bezichtigt, um bei 
der Verſchubung die Flucht verſuchen zu können. 
Dies wäre nicht richtig. Hier kann allein die 
Strafunterbrechung Wandel ſchaffen. 

d) Die Zeit, die ein Strafgefangener aus einem 
ihm nicht anzurechnenden Grunde in einem zur 
Verbüßung ſeiner Strafe nicht beſtimmten Ver⸗ 
wahrungsorte verbringt, z. B. bei Ueberfüllung 
des zuftändigen Straforts (OLG. M. 4, 450). 

Ein Geſetz mit mathematiſchen Formeln gibt 
es nicht. Die Berufung auf den toten Buchſtaben 
tötet den Geiſt der Vorſchrift, bringt Härte ſtatt 
Gerechtigkeit, Unrecht ſtatt Strenge. So muß auch 
und namentlich in der Strafvollſtreckung die Aus: 
legung ſich mitunter vom Buchſtaben loslöſen. 


So kann es ſein, daß die Aufnahme des Ver⸗ 
urteilten am Straforte ohne ſein Verſchulden ver⸗ 
zögert wird, der Transport ſich unnötig in die 
Länge zieht uſw. In dieſen Fällen iſt die Ver⸗ 
wahrung von dem Zeitpunkte an auf die Strafe 
anzurechnen, in dem die Aufnahme unter gewöhn⸗ 
lichen Verhältniſſen hatte erfolgen können: Vor⸗ 
ausſetzung iſt, daß die Verzögerung nicht durch 
den Verurteilten ſelbſt, etwa durch einen Flucht⸗ 
verſuch, herbeigeführt wurde. 

Das OLG. München hat einen engherzigen 
Standpunkt eingenommen; dieſe Anſchauung iſt 
indes zumeiſt abgelehnt worden (Bay Ob G. 9, 157; 
13, 233 und die dort. Zit.).“) 

Stellung muß gegen den Satz genommen werden, 
daß der Haftbefehl des 8 489 StPO. auch ſtill⸗ 
ſchweigend erlaſſen werden könne, insbeſondere dann 
als erlaſſen zu gelten habe, wenn die Strafvoll- 
ſtreckungsbehörde den Verurteilten nach Eintritt der 
Rechtskraft des Urteils im Gefängniſſe zurückbehält 
(BliR A. Bd. 64 S. 433). Es gibt keine ſtill⸗ 
ſchweigend erlaſſenen Haftbefehle, ebenſowenig wie 
es eine ſtillſchweigend betätigte Strafvollſtreckung 
gibt. Es beſteht auch kein Bedürfnis nach einer 
Erleichterung in dieſer Richtung. Die einſchneidende 
Maßregel iſt der paar Zeilen wert. Wenn jemand 
nach Rechtskraft des Urteils — ohne Erlaß eines 
Haftbefehls nach 8 489 StPO. — im Gefängniſſe 
zurückbehalten wird, ſo gilt dies als Strafverbüßung 
(f. oben). (Schluß folgt). 


) In dieſem Sinne iſt auch die in BliR A. Bd. 67 


S. 189 angeſchnittene Frage zu beantworten. 


zwangsweiſe ne auf Grund 
des § 1134 BER. 


Von Rechtsanwalt Dr. Fritz Nockſtroh 
in Berlin⸗Niederſchönhauſen. 

In der Rechtslehre herrſcht allgemein grund⸗ 
ſaͤtzliche Uebereinſtimmung darüber, daß es zuläſſig 
iſt, dem Eigentümer unter den Vorausſetzungen des 
5 1134 BGB. die Verwaltung feines Grundſtücks 
zu nehmen und einen Verwalter einzuſetzen. Streit 
beſteht aber darüber, ob der Prozeßrichter den Ver⸗ 
walter zu beſtellen und deſſen Stellung abzugrenzen 
hat, oder ob ſeine Verfügung die Grundlage einer 
vom Vollſtreckungsrichter nach den Vorſchriften des 
Zwangsverſteigerungsgeſetzes einzuleitenden und fort: 
zuführenden Zwangsverwaltung bildet. Da es im 
freien Ermeſſen des die Anordnung erlaſſenden Rich⸗ 
ters ſteht, die Maßregeln anzuordnen, die er zur 
Erreichung des Zwecks für erforderlich hält, ſo iſt 
es zulaͤſſig, daß er in der Verfügung den Verwalter 
benennt und ſeine Stellung abgrenzt. Er kann auch 
die Herausgabe des Grundſtücks an den Verwalter 
anordnen, kann ſagen, in welcher Weiſe die Heraus⸗ 
gabe geſchehen ſoll, und kann die Geſchäfte aufzählen, 
die der Verwalter führen ſoll. Es fragt ſich nur, 
ob er dies tun muß, und wie zu verfahren iſt, 
wenn er es unterlaſſen hat. 

Es muß unterſchieden werden zwiſchen dem 
Erlaß des Urteils oder der einſtweiligen Verfügung 
und dem Vollzuge. Der Erlaß liegt dem Prozeß⸗ 
gericht ob, der Vollzug dem Vollſtreckungsgericht. 
Lindemann (Recht 1903 S. 204 ff.) meint nun, 
eine Verfügung, die ſich auf die Anordnung einer 
Verwaltung beſchränke, ſei eine bloße Form; einen 
greifbaren Inhalt erhalte ſie erſt durch die Be⸗ 
ſtimmung des Verwalters und die Bezeichnung ſeiner 
Befugniſſe; ohne dieſe Bezeichnung ſei die Rechts⸗ 
ſtellung des Verwalters völlig unbeſtimmt; falls 
das Amtsgericht als Vollſtreckungsgericht über dieſe 
Befugniſſe befinden wollte, würde es ſich in unzu⸗ 
läſſiger Weiſe an die Stelle des Gerichts der einſt⸗ 
weiligen Verfügung ſetzen, das allein zu ermeſſen 
habe, welche Maßregeln nach Lage des Falls er⸗ 
forderlich ſeien. Derartige Maßnahmen des Amts: 
gerichts würden nicht einen Vollzug, ſondern eine 
Ergänzung der unvollſtändigen richterlichen An⸗ 
ordnung darſtellen. Man müſſe deshalb von dem 
Prozeßgericht auch die Ernennung des Verwalters 
und die Begrenzung ſeiner Befugniſſe verlangen. 

Dieſe Ausführungen gehen fehl. Wenn das 
Prozeßgericht beſtimmt: die Verwaltung des Grund⸗ 
ſtücks wird auf Grund von $ 1134 Abſ. 2 BGB. 
angeordnet, ſo darf ſich der Vollſtreckungsrichter 
nicht damit begnügen, zu ſagen, dies ſei ihm nicht 
beſtimmt genug, er lehne deshalb ein Einſchreiten 
ab, laſſe alſo den Antragſteller — wenigſtens für 
eine gewiſſe Zeit — ſchutzlos, ſondern er muß aus 
dem Sinn der Worte und dem Zuſammenhang der 
Geſetzesbeſtimmungen ergründen, was der Prozeß— 


richter mit ſeiner Anordnung hat ſagen wollen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


Da ſich im Geſetz keine Vorſchriſten über eine 
auf Grund des § 1134 Abſ. 2 BGB. angeordnete 
zwangsweiſe Verwaltung finden, ſo muß verſucht 
werden, ihr Weſen und die für ſie anzuwendenden 
Vorſchriften durch Heranziehung ähnlicher Fälle feſt⸗ 
zulegen. Wenn man erwägt, daß die Beſtellung 
eines Verwalters auf Grund des § 1134 Abi. 2 
BGB. die Verhütung einer infolge der Einwirkung 
des Eigentümers zu beſorgenden Verſchlechterung 
des Grundſtücks bezweckt, ſo kann man nicht um⸗ 
hin, $ 1134 Abſ. 2 BGB. auf eine Linie zu ſtellen 
mit den 88 1052, 1054, 1070, 2128 BGB., 
94 3VGG. Bei allen dieſen Vorſchriften handelt 
es ſich um die Sicherung der an einem Grundftüd 
berechtigten Perſonen, und in allen Fällen iſt geſagt, 
daß die Verwaltung nach den Vorſchriften des 
Zwangsaverſteigerungsgeſetzes zu führen iſt. Die An⸗ 
ordnung des Verfahrens und die Beſtellung des 
Verwalters erfolgt in allen dieſen Fällen nach 
Lage der Sache immer durch das Vollſtreckungs⸗ 
gericht. Ich ſehe deshalb keinen Anlaß. weshalb 
bei der Beſtellung eines Verwalters auf Grund 
des 8 1134 Abſ. 2 BGB. anders verfahren werden 
ſoll. Das Prozeßgericht ordnet an, daß die Ver⸗ 
waltung zuläſſig iſt und daß ſie einzutreten hat. 
Der Vollſtreckungsrichter vollzieht dieſe Anordnung. 
indem er das Verfahren einleitet und den Verwalter 
benennt. Die Beſugniſſe des Verwalters ergeben 
ſich aus einer entſprechenden Anwendung des Zwangs⸗ 
verſteigerungsgeſetzes. 

Die Anſicht Lindemannzs iſt auch aus prak⸗ 
tiſchen Rückſichten nicht haltbar. In der Regel 
wird die zwangsweiſe Verwaltung durch einſtweilige 
Verfügung angeordnet. Die einſtweilige Verfügung 
ſoll dem Antragſteller auf möglichſt ſchnellem Wege 
Schutz gewähren. Falls nun das Landgericht den 
Verwalter in ſeiner Verſügung zu benennen hätte, 
müßte es erſt durch Nachfrage bei dem Amtsgericht 
des Ortes, in dem das Grundſtück liegt, feſtſtellen, 
wer zur Uebernahme der Verwaltung befähigt und 
bereit iſt. Selbſt wenn der Antragſteller bereits 
eine Perſon als Verwalter benennen ſollte, müßte 
erſt feſtgeſtellt werden, ob dieſe geeignet iſt. Vor 
allen Dingen würde ſich die Prüfung auch darauf 
zu erſtrecken haben, ob nicht zu befürchten iſt, daß 
der vom Antragſteller benannte Verwalter einſeitig 
nur die Intereſſen des ihn benennenden Hypotheken⸗ 
gläubigers vertreten wird. Seine Beſtellung wäre 
dann verfehlt. Auch der Grund, daß das Amts⸗ 
gericht als Vollſtreckungsgericht keinen Ueberblick 
über die Sachlage habe, iſt m. E. nicht durch⸗ 
ſchlagend. Gerade das Gegenteil iſt der Fall. Das 
Vollſtreckungsgericht ſoll nicht entſcheiden, ſon⸗ 
dern die bereits erlaſſene Verfügung vollziehen. 
Der Antragſteller legt ihm eine Entſcheidung vor, 
nach der auf Grund von $ 1134 Abſ. 2 BGB. 
die Verwaltung des Grundſtücks angeordnet wird. 
Der Vollſtreckungsrichter entnimmt hieraus, daß 
die Beſorgnis beſteht, durch die Einwirkung des 
Eigentümers könne das Grundſtück in einer die 


| 


119 


Hypothek gefährdenden Weiſe verſchlechtert werden, 
und daß deshalb zur Erhaltung des Grundſtücks 
in ſeinem bisherigen Beſtande eine Verwaltung ein⸗ 
zuleiten iſt, die ſich durch entſprechende Anwendung 
der Vorſchriften des Zwangsverſteigerungsgeſetzes 
regelt. Er kann dann ſeine Maßnahmen viel beſſer 
treffen, als das vielleicht weit entfernte Landgericht. 
Er weiß, wer ſich für eine Verwaltung der be⸗ 
zeichneten Art am beſten eignet. Er kennt — 
vorausgeſetzt, daß es ſich um ein kleines Amtsgericht 
handelt — wahrſcheinlich das Grundſtück, den Eigen⸗ 
tümer und den Hypothekengläubiger. Er iſt alſo 
in der Lage, viel zweckentſprechender den Verwalter 
zu beſtimmen und zu unterweifen, den er zu be⸗ 
aufſichtigen und mit dem zuſammen er zu arbeiten 
hat als das Landgericht. Ins Einzelne gehende An⸗ 
ordnungen des Prozeßgerichts würden dieſen nur 
bei der Durchführung der Verwaltung behindern. 


Zu all dem kommt noch hinzu, daß Lindemann 
überſehen hat, was geſchehen ſoll, wenn der in der 
Verfügung des Prozeßgerichts benannte Verwalter 
wegfäallt, ſei es, daß er ſtirbt oder daß er fein Amt 
niederlegt oder nach Erlaß der einſtweiligen Ver⸗ 
fügung, aber vor Antritt ſeines Amtes ſeine Er⸗ 
klaͤrung zurückzieht, durch die er ſich zur Ueber⸗ 
nahme des Amtes bereit erklärt hat. Soll jetzt 
das Vollſtreckungsgericht einen neuen Verwalter 
beſtellen oder ſoll die einſtweilige Verfügung hin⸗ 
fällig ſein und der Antragſteller bis zum Erlaß 
einer neuen ohne Schutz gelaſſen werden? M. E. 
kann die Frage nur in erſterem Sinne beantwortet 
werden. Daraus ergibt ſich aber, daß die Be⸗ 
ſtellung des Verwalters durch das Vollſtreckungs⸗ 
gericht auch von vornherein zulaͤſſig iſt. 

Belanglos erſcheint mir auch der Einwurf 
Lindemanns (Recht 1908 S. 635), daß es fraglich 
ſei, ob das Vollſtreckungsgericht das auf einer einſt⸗ 
weiligen Verfügung beruhende Verfahren auf⸗ 
heben dürfe, falls der zur Fortſetzung erforderliche 
Geldbetrag nicht vorgeſchoſſen werde oder ob es 
an das Gericht der einſtweiligen Verfügung be⸗ 
richten müſſe, daß das Verfahren mangels des er⸗ 
forderlichen Koſtenvorſchuſſes nicht durchgeführt 
werden könne. Auch wenn man ſich der Anſicht 
Lindemanns anſchließt, bleibt die hier angeregte 
Frage beſtehen. Sie erledigt ſich aber dadurch, 
daß das Vollſtreckungsgericht über den Vollzug 
ſelbſtändig zu beſchließen hat. Vorausſetzung für 
ein Tätigwerden des Vollſtreckungsgerichts und ſeines 
Gehilfen — des Verwalters — iſt, daß die Koſten 
vorhanden find. Iſt dies nicht der Fall, ſo ſtellt 
das Vollſtreckungsgericht ſeine Tätigkeit ein. (Vgl. 
auch 8 934 3p O.). 

Puſch (in Gruchot Bd. 45 S. 314 ff.), der der⸗ 
ſelben Anſicht iſt wie Lindemann, geht davon aus, 
daß der Arreſt die Befriedigung des Gläubigers 
wegen einer Geldforderung im Wege der Zwangs— 
vollſtreckung in bewegliches und unbewegliches Ber: 
mögen nicht herbeiführen, ſondern nur ſichern will, 


120 


und daß ebenſo die einftweilige Verfügung die 
ſpätere Zwangsherbeiführung einer geſchuldeten „In: 
dividualleiſtung“ nur vorbereiten will. Er kommt 
zu dem Schluß, daß auf den Vollzug der einſt⸗ 
weiligen Verfügung entſprechend anzuwenden ſind 
die Vorſchriften über die Zwangsvollſtreckung und 
die über den Arreſtvollzug, daß aber von der An⸗ 
wendung die Vorſchriſten auszuſchließen ſind, die 
nur für den Arreſtvollzug beſtimmt und in dem 
dem Arreſt eigentümlichen Sicherungszwecke be⸗ 
gründet find. Er jagt: die Sequeſtration nach den 
88 848, 855 ZPO. ſei als ein Zwiſchenabſchnitt 
des Zwangsvollſtreckungsverfahrens geregelt, dazu 
beſtimmt, die Zwangsvollſtreckung in die heraus⸗ 
zugebende Sache nach den für die Zwangsvollſtreckung 
in unbewegliche Sachen geltenden Vorſchriſten zu 
ermöglichen, fie fer aber keine Zwangsverwaltung 
im Sinne des Zwangsverſteigerungsgeſetzes. Auch 
die nach 8857 ZPO. zuläffige Verwaltung ſei nicht 
nach den Sondervorſchriften für die Zwangsverwal⸗ 
tung der unbeweglichen Sachen zu führen. Die Vor⸗ 
ſchriften über die Zwangsvollſtreckung ſeien daher 
zwar entſprechend anzuwenden, die Beſtimmungen 
aber, welche nur die Zwangsvollſtreckung wegen | 
Geldforderungen bewirken ſollten, inſonderheit die 
Sondervorſchriften über die Zwangsverwaltung von 
Grundſtücken ſeien auszuſcheiden. Die Vollſtreckung 
habe nach dem 3. Abſchnitte des 8. Buches der 
Zivilprozeßordnung ſtattzufinden, da es ſich bei der 
eine Sequeſtration anordnenden einſtweiligen Ver⸗ 
fügung nicht um einen Schuldtitel handle, der vom 
Schuldner die Zahlung eines Geldbetrages erheiſche. 
Da indeſſen die Vorſchriften über die Zwangsvoll⸗ 
ſtreckung entſprechend anwendbar ſeien, ſei es ſtatt⸗ 
haft, ſoweit der 3. Abſchnitt nicht genügenden An⸗ 
halt über die Art der Vollſtreckung im einzelnen 
gebe, die maßgebenden Beſtimmungen der Abſchnitte! 
und 2 inſoweit heranzuziehen, als ſie nicht aus⸗ 
ſchließlich für die Zwangsvollſtreckung wegen Geld⸗ 
forderungen beſtimmt ſeien. | 
Demzufolge ift er der Anſicht, daß der Richter | 
nicht nur die Sequeftration anordnen dürfe, da 
die Verfügung mit ſolchem Inhalte nicht voll: 
ſtreckungsfähig ſei. Er müſſe vielmehr den Inhalt 


— 


ſeiner Verfügung ſo geſtalten, daß er vollſtreckbar 
Die Richtſchnur gebe ihm der 3. Abſchnitt 
des 8. Buches. In Betracht kämen beſonders die 
83 883, 885 ZBO., wonach der Gerichtsvollzieher, 
wenn der Schuldner eine Sache herauszugeben, zu 
überlaſſen oder zu räumen habe, die Sache weg⸗ 
nehme, den Schuldner aus dem Beſitze ſetze und 
den Gläubiger in den Beſitz einweiſe. (Ebenſo | 
auch Heinze im 3Bl G. Bd. 4 S. 204, 402 ff., 
der jedoch nicht näher ſagt, worin die Beſtimmung 
des Inhalts der einſtweiligen Verfügung liegen ſoll.) 
Infolgedeſſen will Puſch, weil in der Zivilprozeß 
ordnung über die Stellung des Sequeſters nichts 
geſagt iſt, in dieſer Beziehung das Zwangsver— 
ſteigerungsgeſetz anwenden. 

Es iſt ohne weiteres zuzugeben, daß der Richter 


lei. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


in der von Puſch vorgeſchlagenen Weiſe verfahren 
kann. Er muß es aber nicht tun. Nach Puſch 
wäre eine nur die zwangsweiſe Verwaltung an⸗ 
ordnende Verfügung nicht vollſtreckbar. Sie muß 
vielmehr nähere Angaben über die Art der Voll⸗ 
ſtreckung enthalten. Puſch will nun aber ſelbſt 
auf die Stellung des Sequeſters das Zwangsver⸗ 
ſteigerungsgeſetz angewendet wiſſen. Es ſpricht 
nichts Erhebliches dagegen, daß dies nicht auch für 
feine Beſtellung zuläffig iſt. Die Beſtellung des 
Verwalters iſt doch im Hinblick auf die verant⸗ 
wortliche Tätigkeit, die er ſpäter auszuüben hat, 
und in der ihn das Vollſtreckung gericht be: 
aufſichtigt, nicht ſo beſonders wichtig, daß es 
erforderlich wäre, noch eine Trennung vorzu⸗ 
nehmen. 


Die Anwendung des 3. Abſchnitts des 8. Buches 
der Zivilprozeßordnung paßt auch nicht für Fälle 
der vorliegenden Art. Es handelt ſich dort um 
die Vollſtreckung zur Erwirkung der Herausgabe 
einer Sache und zur Erwirkung von Handlungen 
und Unterlaſſungen. Das Urteil oder die einſt⸗ 
weilige Verfügung muß alſo dahin lauten, daß 
der Beklagte eine Sache herausgeben oder eine 
Handlung vornehmen oder eine ſolche unterlaſſen 
ſoll. Hier aber geht der Schuldtitel auf Anord⸗ 
nung der zwangsweiſen Verwaltung. Der Verwalter, 
an den das Grundſtück herauszugeben iſt, iſt nicht 
„Gläubiger“, ſondern wird amtlich tätig infolge 
der Anordnung des Gerichts. 


Auf einem Trugſchluß beruht auch die Folgerung, 
daß das Zwangsverſteigerungsgeſetz deshalb nicht 
angewendet werden könne, weil es die Vollſtreckung 
wegen einer Geldforderung bezwecke, hier es ſich 
aber darum handle, die Zwangsvollſtreckung in die 
herauszugebende Sache nach den für die Zwangs⸗ 
vollſtreckung in unbewegliche Sachen gegebenen Vor⸗ 
ſchriften zu ermöglichen. Die gemäß 8 1134 Ab}. 2 
BGB. angeordnete zwangsweiſe Verwaltung dient 
gar nicht dazu, die Zwangsvollſtreckung in die 
herauszugebende Sache zu ermöglichen. Die Zwangs⸗ 
vollſtreckung als ſolche iſt möglich. Der Eigentümer 
ſchafft ja nicht das Grundſtück beijeite. Die zwangs⸗ 
weiſe Verwaltung dient vielmehr nur dazu, das 
Grundſtück in ſeinem Beſtande zu erhalten. Der 
Gläubiger ſoll nicht davor geſchützt werden, daß 
das Grundſtück ihm entzogen wird, ſondern davor, 
daß ſein Anſpruch möͤglicherweiſe nicht ganz be 
friedigt wird. Es handelt ſich alſo nicht um die 
Sicherung der Zwangsvollſtreckung wegen Heraus— 
gabe des Grundſtücks, ſondern um die Sicherung 
der Zwangsvollſtreckung zur Beſriedigung wegen 
eines einer Geldforderung gleichſtehenden Hypo— 
thekenanſpruchs. Die Vorſchriſten der Zwangs— 
vollſtreckung wegen Geldforderungen und damit die 
des Zwangsverſteigerungsgeſetzes ſind alſo ſehr 
wohl anwendbar. 

§ 857 3PO. kann außer Betracht bleiben. Er 
bezieht ſich ausdrücklich auf die Zwangsvollſtreckung 


in Vermögensrechte, die nicht Gegenſtand der 
Zwangsvollſtreckung in das unbewegliche Ver⸗ 
mögen ſind. 

Dieſelben Gründe, die gegen Puſch ſprechen, 


treffen auch auf die Ausführungen von Heinze 


(a. a. O.) zu. 

Staudinger (Bd. III S. 770), Planck (Bd. III 
S. 574), Seuffert (Bd. II S. 685) und der Kom⸗ 
mentar der Reichsgerichtsräte (Bd. I S. 1061) 
z. B. wollen die Vorſchriften des Zwangsverſteige⸗ 
rungsgeſetzes nur dann entſprechend angewendet 
wiſſen, wenn dies vom Prozeßgericht beſtimmt iſt. 
Sie ſprechen ſich aber nicht darüber aus, wie das 
Verfahren gehandhabt werden ſoll, wenn das 
Prozeßgericht keine Vorſchriften gegeben hat. Da 
dann überhaupt nichts vorhanden wäre, wonach 


der Vollſtreckungsrichter fich richten könnte, wäre | 


das Urteil oder die einſtweilige Verfügung hin⸗ 
fällig und nicht vollſtreckbar — gewiß ein uner⸗ 
wünſchtes Ergebnis. Geſetzt aber den Fall, daß 
der Prozeßrichter allgemeine mit denen des Zwangs⸗ 
verſteigerungsgeſetzes nicht übereinſtimmende An⸗ 
weiſungen gegeben hat, ſo können doch Fälle während 
der Verwaltung eintreten, an die der Prozeßrichter 
nicht gedacht hat, und auf die die gegebenen An⸗ 
weiſungen nicht paſſen? Was ſoll dann geſchehen? 
Soll eine Ergänzung der einſtweiligen Verfügung 
beantragt werden oder ſoll die Verwaltung auf⸗ 
gehoben oder ſollen jetzt die Beſtimmungen des 
Zwangsverſteigerungsgeſetzes entſprechend angewen⸗ 
det werden? 

Hieraus ergibt ſich ſchon, daß man in der 
Praxis nur zu einem befriedigenden Ergebnis 
kommen könnte, wenn der Prozeßrichter ein für 
alle Mal bei einer derartigen Entſcheidung hinzu⸗ 
ſetzte: „Auf die Einleitung und die Durchführung 
der Verwaltung ſind die Vorſchriſten des Zwangs⸗ 
verſteigerungsgeſetzes entſprechend anzuwenden. Dies 
würde ſchließlich ſo ſelbſtverſtändlich werden, daß 
man auch, wenn die Formel weggelaſſen wäre, zu 
der Annahme gelangen müßte, der Prozeßrichter 
habe ſtillſchweigend die Vorſchriften des Zwangs⸗ 
verſteigerungsgeſetzes angewendet wiſſen wollen. 

ch komme mithin zu dem Ergebnis, daß im 
Zweifel die Vorſchriften des Zwangsverſteigerungs⸗ 
geſetzes auf die zwangsweiſe Verwaltung entſprechend, 
d. h. inſoweit anzuwenden ſind, als ſich nicht Ab⸗ 
weichungen daraus ergeben, daß die Zwangsver⸗ 
waltung zur Befriedigung, die zwangsweiſe Ver⸗ 
waltung aber nur zur Sicherung dient. Aus prak⸗ 
tiſchen Gründen halte ich es ſogar für empfehlens⸗ 
wert, daß der Prozeßrichter, wenn nicht etwa im 
Einzelfall beſondere Gründe für eine andere Re⸗ 
gelung vorliegen, nur die Verwaltung anordnet 
und ſich enthält, Einzelheiten für den Vollzug 
zu geben. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


Kleine Mitteilungen. 


Die Vollſtreckung von Freiheitsſtrafen an der Stelle 
nneinbringlicher Reſtbeträge von Geldſtraſen. Auf dieſen 
Gegenſtand und die damit verknüpfte bekannte Streit⸗ 
frage iſt neuerdings durch die Mitteilungen von wei⸗ 
| land Amtsgerichtsrat Krackhardt in Nr. 13 diefer Zeit⸗ 

ſchrift vom Jahre 1913 und von Landgerichtsdirektor 
Dr. Goebel in Nr. 18 des gleichen Jahrgangs die 
Aufmerkſamkeit insbeſondere der Strafvollſtreckungs⸗ 
beamten gelenkt worden. Die Fälle, wo die Streit⸗ 
frage auftritt, ſind häufig, daher mögen bei der Wich⸗ 
tigkeit der Sache noch folgende Bemerkungen unter 
ausdrücklicher Beziehung auf den Inhalt der beiden 
Mitteilungen geſtattet ſein. Es iſt den Ausführungen 
| K.s durchweg zuzuſtimmen bis auf die, daß der Staat 
nicht den unzureichenden Teilbetrag der Geldſtrafe ver⸗ 
einnahmen und zugleich einen Tag Freiheitsſtrafe voll⸗ 
ſtrecken könne, daß daher die Staatskaſſe im Falle der 
| Vollſtreckung der Freiheitsſtrafe den eingezahlten Bes 
trag zurückzuerſtatten habe. Mit gutem Grund hat 
Dr. G. die Zurückerſtattung als unzuläſſig bezeichnet. 
Aber noch ein weiterer Grund ſpricht für die Unzu⸗ 
läſſigkeit. Nach 8 28 Abſ. IV StGB. kann ſich der Ver⸗ 
urteilte durch die Erlegung des Strafbetrags, ſoweit 
dieſer durch die erſtandene Freiheitsſtrafe noch nicht 
getilgt iſt, von der letzteren frei machen. Es müßte 
nun ein Verurteilter, wenn er 3. B. einen aus 6 M 
umgewandelten Tag Haft zu / verbüßt hatte und den 
Reſt der Verbüßung durch Erlegung des noch nicht 
getilgten Reſtbetrags abwenden wollte, nicht 1.50 M, 
ſondern nach der gerade von K. vertretenen Anſicht 
volle 6 M erlegen. Ebenſowenig aber als hier die 
teilweiſe geſchehene Verbüßung der Freiheitsſtrafe rück⸗ 
gängig gemacht werden kann, darf umgekehrt im Falle 
der Vollſtreckung der eintägigen Haftſtrafe ein Teil⸗ 
betrag zurückerſtattet werden, der etwa mit 4.50 M 
ſchon einbezahlt geweſen wäre. Wenn hierin eine Un⸗ 
billigkeit liegt, ſo gibt es dagegen kein geſetzliches Mittel. 
Im übrigen kann den Ausführungen Dr. ©.3 nicht 


— 


1 
L 


zugeſtimmt werden. Er ſagt zu dem von K. mitges 
teilten Beiſpiel: „Die 4 M bilden eine Einheit und 
ſovielmal dieſe Einheit nicht bezahlt wird, ſoviel 
Tage ſind an der Freiheit zu entgelten. Geſetz und 
Urteil beſtimmen nicht, wie die Gegner meinen, wann 
ein Tag Freiheitsſtrafe wegfallen, ſondern wann er 
eintreten ſoll, nämlich nur dann, wann ein Einheits⸗ 
betrag ausfällt.“ Allein wenn es richtig wäre, daß 
die 4 M eine Einheit bildeten, fo wäre dies doch in 
dem Sinne zu verſtehen, daß ſie ein unteilbares Ganze 
wären, daß daher die Bezahlung von 1 M den Ein⸗ 
heitsbetrag unberührt ließe, und der Verurteilte hätte 
noch einen Tag zu verbüßen, eben weil der Einheits⸗ 
betrag als unteilbares Ganze noch nicht bezahlt wäre. 
| Der Einheitsbetrag ift nun aber eine Fiktion, die das 
[Strafgeſetzbuch nicht kennt. es kennt nach 5 29 nur 
einen Maßſtab von 1-15 M und von 3 15 M für die 
Umwandlung von Geldſtrafen in Freiheitsſtrafen von 
einem Tag. Dr. G. meint weiter, „die Rechtslage in dem 
Beiſpiel K.s ſei keine andere, als wenn ſchon im Urteile 
erkannt wäre: 50 M oder für 3M ein Tag Gefängnis, es 
könne keinen Unterſchied machen, ob die nicht reſtlos 
teilbare Geldſtrafe durch Urteil feſtgeſetzt oder ob ſie 
durch Teilzahlung auf dieſen krummen Betrag gelangt 
ſei. Die Gegner würden Bedenken tragen, in dieſem 
Falle 17 Tage zu vollſtrecken“. Sicherlich würden ſie 


122 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


nicht 17 Tage vollſtrecken. Denn es beſteht zwiſchen 


den beiden von Dr. G. angeführten Fällen in der Tat 
ein großer Unterſchied. Im erſten Falle muß 8 29 
StGB. angewendet werden, der vorſchreibt, was bei 
der Umwandlung in Geldſtrafe zu beobachten iſt. Hier⸗ 
nach dürfen die 50 M nur in 16 Tage Gefängnis um⸗ 
gewandelt werden, weil, was doch ganz unbeſtritten 
iſt, der Reſtbetrag, der nur 2 M beträgt, außer Bes 
tracht bleiben muß. Im zweiten Fall iſt aber 8 29 
StGB. nicht anwendbar, weil hier eine durch den Willen 
des Verurteilten nach der Umwandlung geſchaffene 
Rechtslage gegeben iſt. Wenn Dr. G. in einer An⸗ 
merkung beifügt, er habe einmal den erſten Fall in der 
Weiſe erledigt, daß er dem Verurteilten, als er die 
Erſatzfreiheitsſtrafe habe antreten wollen, „ins Ge⸗ 
wiſſen geredet“ habe, ob er nicht wenigſtens 2 .\/ zahlen 
wolle, und er habe dann nach der Bezahlung von 2 M 
nun die 16 Tage Gefängnis vollſtreckt, ſo war ange⸗ 
ſichts des 8 29 StGB. kein Grund geweſen, dieſe Be⸗ 
zahlung zu veranlaſſen, ſondern es hätten ohne weiteres 
nur die 16 Tage vollſtreckt werden können. Falls das 
Urteil aber auf 51 M oder für 3M 1 Tag Gefängnis 
gelautet hätte und der Verurteilte hätte 1 M gezahlt, 
dann hätte er wegen des aus 3 M verbleibenben Reſt⸗ 
betrags nicht 16, ſondern 17 Tage verbüßen müſſen. 
Dr. G. kann ſich auch nicht, wie er tut, für die von 
ihm vertretene Anſicht auf ein Urteil des OLG. 
München (E. VII S. 24) berufen, es trifft den ſtreitigen 
Punkt nicht. Denn es hat aus Anlaß der Umwand⸗ 
lung einer nach Art. 16 des bayer. Geſetzes vom 10. März 
1879, betr. die Beſteuerung des Gewerbebetriebs im 
Umherziehen ausgeſprochenen Geldſtrafe von 108.30 M 
nur, und zwar gelegentlich, bemerkt, daß Bruchteile 
bei der Umwandlung nicht anzurechnen ſind. Und dies 
iſt ja unbeſtritten. 

Der Meinung Dr. G.s, daß es ſich bei der von 
ihm vertretenen Anſicht nicht beſtreiten laſſe, daß der 
Verurteilte zuweilen einen Vorteil habe, aber er ſei 
klein, da es ſich immer nur um einen Tag handele, 
iſt entgegenzuhalten. daß es ſich zunächſt nicht um 
die Freiheitsſtrafſe handelt, ſondern um den Geldbetrag 
und dieſer kann unter Umſtänden verhältnismäßig be⸗ 
deutend ſein. Wenn, um keinen beſonders kraſſen Fall 
zu wählen, eine Geldſtrafe von 10 ½ in 1 Tag Haft 
umgewandelt iſt und der Verurteilte zahlt davon 1 M, 
fo handelt es ſich um 9M, die er ſich zu bezahlen er: 
ſpart, und die der Staatskaſſe verloren gehen; da 
gegen nichtzahlungswillige Verurteilte in den meiſten 
Fällen die Geldſtrafen nicht beigetrieben werden können. 
Der Fall, wo die Geldſtrafe überhaupt nicht in Frei⸗ 
heitsſtrafe umgewandelt werden kann, darf nicht, wie 
Dr. G. tut, herangezogen werden, denn hier will eben 
das Geſetz nicht haben, daß der Verurteilte, wenn er 
zahlungsunfähig iſt, eine Freiheitsſtrafe verbüße und 
der Vorteil für den Verurteilten iſt daher vom Ges 
ſetze gewollt. 

Der Anregung, die Dr. G. im Schlußabſatz gibt, 
kann wohl keine Folge gegeben werden. Wenn nach 


2. ———t-rt . —— 7r ——.. —. — ——..——— 


Zuſtändigkeit zur Behandlung des Nachlaſſes eines 
in Dentſchland verſtorbenen, aber im Gebiete eines Ge: 
richtskenſuls wohnhaften Deutſchen. In München ver⸗ 
ſtarb der deutſche Kaufmann X, der zur Zeit ſeines 
Todes ſeinen Wohnſitz in Saloniki hatte. Saloniki 
iſt der Sitz eines deutſchen Konſuls mit Konſularge⸗ 
richtsbarkeit. X war in die Matrikel dieſes Konſuls 
eingetragen. Es entſtand die Frage, welche Behörde 
für die Verrichtungen des Nachlaßgerichts zuſtändig ſei. 

Gemäß 8 731 FGG. beſtimmt ſich die örtliche Zus 
ſtändigkeit der Nachlaßgerichte grundſätzlich nach dem 
Wohnſitz, den der Erblaſſer zur Zeit des Erbfalls hatte. 
In Ermangelung eines inländiſchen Wohnſitzes 
aber iſt nach dieſer Vorſchrift das Gericht des Sterbe⸗ 
ortes zuſtändig. Nach dem Wortlaut des 8 731 FGG. 
ſcheint alſo das Amtsgericht München das zuſtändige 
Nachlaßgericht zu ſein. Dieſem Ergebnis ſteht aber 
Folgendes entgegen: Durch $ 21 Nr. 1 KonſGG. war 
X als Deutſcher der Konſulargerichtsbarkeit unter⸗ 
worfen. 8 7 Nr. 2 KonſGG. verleiht dem Konſul die 
Zuſtändigkeit für die durch Reichsgeſetze den Amts⸗ 
gerichten übertragenen Angelegenheiten der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit. Der Konful iſt daher in ſeinem Amts⸗ 
bezirke für Nachlaßſachen ebenſo zuſtändig wie inner⸗ 
halb des Reichs die Amtsgerichte (vgl. BaygfR. 
1905, 429 = 318 G. 6, 376). Ebenſo wie diefe hat 
er als Nachlaßrichter BGB. und FGG. anzuwenden 
(8 19 Nr. 1 KonſGG.). Dieſe Vorſchriften rechtfer⸗ 
tigen eine ausdehnende Auslegung des Begriffes „In⸗ 
land“ im Sinne des 8 731 §8GG. Das Gericht des 
Sterbeortes kann nur dann zuſtändig ſein, wenn der 
Gerichtsſtand des Wohnſitzes die Zuſtändigkeit eines 
deutſchen Nachlaßgerichts nicht ergeben würde. Hatte 
der Erblaſſer zur Zeit des Erbfalls ſeinen Wohnſitz 
im Bezirke eines Gerichtskonſuls, ſo ergibt aber auch 
die Regel, daß der Wohnſitz des Erblaſſers zur Zeit 
des Todes entſcheidet, die Zuſtändigkeit eines deutſchen 
Nachlaßrichters, nämlich des Konſuls. Es iſt deshalb 
anzunehmen, daß der Begriff „Inland“ im Sinne des 
§ 731 FGG. den Bezirk eines deutſchen Gerichtskon⸗ 
ſuls dann umfaßt, wenn der Erblaſſer der deutſchen 
Konſulargerichtsbarkeit unterworfen iſt. Ebenſo, wie 
der Nachlaß eines im Reich wohnenden Erblaſſers 
auch dann von dem Amtsgericht des Wohnſitzes zu 
behandeln iſt, wenn der Erblaſſer außerhalb des Wohn⸗ 
ſitzes verſtirbt, ſo kann auch der Nachlaß eines im 
Konſulargerichtsbezirk wohnenden und der Konſular⸗ 
gerichtsbarkeit unterworfenen Erblaſſers der Zuſtän⸗ 
digkeit des Konſuls nicht dadurch entzogen werden, 
daß der Erblaſſer außerhalb des Konſulargerichtsbe⸗ 


Zzirkes ſtirbt. Denn der Konſul ſteht ja als Nachlaß⸗ 


| 


dem Geſetz nur auf volle Tage erkannt werden kann, 


ſo folgt daraus, daß volle Tage auch für die Voll— 
ſtreckung gelten, wenn ſich keine entgegengeſetzten Be— 
ſtimmungen finden laſſen. Nicht darauf kommt es an, 
daß keine beſonderen Vorſchriften bekannt ſind, die zur 


Vollſtreckung nach vollen Tagen nötigen, ſondern daß 


ſolche nicht bekannt ſind, die die Vollſtreckung nach 
Teilen von Tagen zulaſſen. 
Amtsgerichtsdirektor Tiſch in Neuſtadt a. d. H. 


| 


richter den Amtsgerichten durchaus gleich. (Vgl. auch 
8 18 KonſOG., der aber nur von der Sicherung 
des Nachlaſſes handelt.) Somit war in dem erör⸗ 
terten Falle der deutſche Konſul in Saloniki der aus⸗ 
ſchließlich zuſtändige Nachlaßrichter. 

Rechtspraktikant Werner in München. 


Feſtſtellnng des Wertes von Anweſen, die teilweiſe 
bebaut und teilweiſe unbebaut find, im Hinblick auf die 
Stempelbefreiung nach Tarif 11 letzter Abſatz der Spalte 2 
des Reichsſtempelgeſetzes. Nach dem letzten Abſatze der 
Spalte 2 des Tarifs 11 zum Reichsſtempelgeſetze vom 


15. Juli 1909 ſind Grundſtücksübertragungen auf An⸗ 


trag von der Stempelpflicht dann befreit, wenn der 


ſtempelpflichtige Betrag bei bebauten Grundſtücken 
20000 M, bei unbebauten Grundſtücken 5000 M nicht 
über ſchreitet und der Erwerber weder den Grund⸗ 
ſtückshandel gewerbsmäßig betreibt noch ein Jahres⸗ 
einkommen von mehr als 2000 M hat. Bei dem Ver⸗ 
kauf von ländlichen Anweſen kommt es fehr häufig 
vor, daß das Anweſen nur teilweiſe überbaut iſt, daß 
es nicht aus einer zuſammenhängenden Grundfläche 
beſteht und daß die bebaute Fläche weniger wert iſt 
als 20000 M, während der unbebaute Teil des An⸗ 
weſens die im Geſetz hinſichtlich der Steuerbefreiung 
für unbebaute Grundſtücke feſtgeſetzte Wertsgrenze von 
5000 M überſteigt. In ſolchen Fällen entſteht die Frage, 
ob der Strafrichter bei der behufs der Strafbemeſſung 
vorzunehmenden Feſtſetzung der vorenthaltenen Ab⸗ 
gabe (8 88 RStempG. Tarif 11 lit. a und d) den bes 
bauten und den unbebauten Teil des Anweſens aus⸗ 
einanderhalten und zugunſten des Angeklagten den 
Wert dieſer Fläche abziehen muß, falls bezüglich des 
bebauten Teils auch die ſonſtigen geſetzlichen Voraus⸗ 
ſetzungen der Steuerbefreiung vorliegen. 

Das Reichsgericht hat in einem Urteile vom 


18. September 1 D 355. 13 
30. Dfiober 1913 in der Sache VII. 2451 ausgeſprochen, 


daß es keinem Bedenken unterliegt, wenn der Richter 
in ſolchen Fällen den Verkaufsgegenſtand als eine 
wirtſchaftliche Einheit anſieht, der als Ganzes 
dem landwirtſchaftlichen Betriebe dient, und wenn er 
deshalb das Anweſen, mag es auch tatſächlich und recht⸗ 
lich eine Mehrheit von einzelnen bebauten und unbe⸗ 
bauten Grundſtücken ſein, einheitlich betrachtet und 
dem bebauten Beſitz zuweiſt, deſſen wirtſchaftlichen Mit⸗ 
telpunkt die Gebäude bilden. Dabei hob das Reichs⸗ 
gericht hervor, daß die in Frage ſtehende Befreiungs⸗ 
vorſchrift in der Abſicht geſchaffen ſei, die kleineren 
Grundſtücksumſätze zu begünſtigen; bei einem Geſamt⸗ 
werte von 25300 M, der für den zu entſcheidenden Fall 
in Betracht kam, laſſe ſich aber nicht mehr von einer 
unbedeutenden Grundſtücksübertragung ſprechen (vgl. 
RG Z. 78, 291). 

In Uebereinſtimmung mit dieſer Geſetzesauslegung 
hat die bayeriſche Regierung entgegen der früheren 
Praxis angeordnet, daß die Finanzbehörden ländliche 
Anweſen, die teilweiſe bebaut, teilweiſe unbebaut ſind, 
auch dann als ein Ganzes behandeln und Stempelfreiheit 
gewähren ſollen, weun der unbebaute Teil zwar mehr 
als 5000 M, das Ganze aber nicht 20000 M wert iſt. 
Der Bundesrat hat die bayeriſche Finanzverwaltung 
ermächtigt, auf Antrag die Stempelabgaben, die bisher 
zuviel entrichtet wurden, wieder zurückzuerſtatten. Bis⸗ 
her wurde nämlich in ſolchen Fällen der Stempel aus 
dem Werte des unbebauten Teiles erhoben. Kl. 


Aus der Aechtſprechung. 


Reichsgericht. 
A. Grundbuchſachen. 


Kann die Verpfändung des Nacherbeurechts in das 
Grund buch eingetragen werden? (GD. 55 19, 22, 40, 52). 
Im Grundbuche iſt für Ida D. eine Buchhypothek von 
50 000 M als mütterliches Erbgut eingetragen. Die 
Beſchwerdeführerin W. iſt hinſichtlich dieſer 50 000 A. 


Nacherbin. Letzteres iſt im Grundbuche vermerkt. Die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


| 


Beſchwerdeführerin verpfändete zur Sicherung eines 
Darlehns ihre Anſprüche als Nacherbin, auch die an | nur fagen, (und auch dies nur als Ordnungsvorſchrift), 


123 


der Hypothek, und beantragte die Eintragung der Ver⸗ 
pfändung. Das GBA. lehnte ab, das LG. wies die 
Beſchwerde zurück. Die weitere Beſchwerde hat das 
Bayeriſche Obs. dem Reichsgerichte vorgelegt. Es 
führt aus, daß es die weitere Beſchwerde zurückweiſen 
würde, hieran jedoch durch den Beſchluß des Kammer⸗ 
gerichts vom 4. März 1912 (abgedr. im Jahrb. Bd. 42 
S. 228 ff.) gehindert ſei. Das Kammergericht habe dort 
nämlich das durch Pfändung begründete Pfandrecht 
an dem Nacherbenrechte für eintragbar erklärt. Das 
Ob. ſtellt feſt, daß der Gläubiger die Verpfändung 
angenommen und ebenfalls die Eintragung ſeines 
Pfandrechts beantragt hat. Das RG. hob den Beſchluß 
des LG. auf und wies das GBA. an anders zu 
verfügen. 

Gründe: Die Vorausſetzungen des 8 79 EBD. 
liegen vor. Denn die Antwort auf die Frage läßt 
ſich nur aus den reichsgeſetzlichen Vorſchriften über das 
Grundbuchrecht entnehmen, und es iſt unzweifelhaft, 
daß die Rechtsauffaſſung, der das Obs. folgen möchte, 
von der ebenfalls auf weitere Beſchwerde ergangenen 
Entſcheidung des Kammergerichts abweicht. Deſſen 
Entfcheidung betraf zwar nur den Fall, daß die Ein⸗ 
tragung eines durch Pfändung begründeten Pfand⸗ 
rechts an einem eingetragenen Nacherbenrechte begehrt 
war, während hier das Pfandrecht rechtsgeſchäftlich 
entſtanden iſt. Indeſſen die Abweichung bleibt ohne 
Tragweite hinſichtlich der Frage, ob einem Antrag auf 
Eintragung eines Pfandrechts am eingetragenen Rechte 
eines Nacherben ftattzugeben iſt. Im Ergebniſſe war 
dem Kammergerichte beizutreten, wenn auch nicht ſeiner 
Begründung gefolgt werden konnte. 

Beide Gerichte nehmen an, daß das Nacherben⸗ 
recht zwar ein bereits vorhandenes, veräußerliches und 
daher auch pfändbares oder verpfändbares Vermögens⸗ 
recht iſt, daß es jedoch bis zum eintretenden Falle nur 
erbrechtliche, dagegen nicht auch ſachenrechtliche Wir⸗ 
kungen äußert. Demgemäß verneinen beide, daß die 
Eintragung des Rechtes des Nacherben gemäß 8 52 
GBO. ein Recht am Grundſtück oder an der zur Erb⸗ 
ſchaft gehörenden Hypothek begründet. Beide haben 
auch zur Beantwortung der zu entſcheidenden Frage 
einen gleichen Weg eingeſchlagen. Sie gehen nämlich 
von § 40 der GBO. aus. Sie find jedoch bei Berück⸗ 
ſichtigung dieſer Vorſchrift zu verſchiedenen Endzielen 
gelangt. Das Kammergericht meint, von der Ein⸗ 
tragung eines Pfandrechts am Nacherbenrechte werde 
nicht der Nacherbe betroffen, ſondern das eingetragene 
Recht des Vorerben, und die Eintragung des Pfand⸗ 
rechts ſei daher zuläſſig, weil jenes Recht des Vorerben 
jedenfalls ein eingetragenes Recht i. S. des 8 40 ſei. 
Das Ob. dagegen iſt der Anſicht, daß von der Ein⸗ 
tragung des Pfandrechts nicht das Recht des Vorerben 
ſondern das Recht des Nacherben betroffen werden 
würde, und daß aus dieſem Grunde die Eintragung 
nicht erfolgen könne, weil das Recht des Nacherben 
„nicht eingetragen“, ſondern nach § 52 „nur vermerkt 
ſei“ und dieſer Vermerk nicht die Bedeutung habe, 
eine dingliche Berechtigung des Nacherben buchmäßig 
erkennbar zu machen. Dem Ob“. ift darin beizu⸗ 
treten, daß von der Eintragung des Pfandrechts nicht 
das Recht des Vorerben, ſondern das Recht des Nach⸗ 
erben betroffen wird; nicht zuzugeben iſt aber, daß 
dieſe Annahme auch zu dem angenommenen ÜErgeb- 
niſſe führt. 

Bei der Prüfung der Frage, ob das Pfandrecht 
an einem gemäß 8 52 GBO. eingetragenen Nacherben⸗ 
rechte eintragbar iſt, darf man überhaupt nicht von 
§ 40 Abſ. 1 GBO. ausgehen. Vielmehr ſteht im Vorder⸗ 
grunde die Frage der Eintragungsfähigkeit des Pfand- 
rechtes, und über die Eintragungsfähigkeit gibt 8 40 
niemals Auskunft. Denn er ſoll überhaupt nicht die 
Vorausſetzungen der Eintragbarkeit an ſich beſtimmen; 
er ſetzt vielmehr die Eintragbarkeit voraus und will 


daß die an ſich zuläſſige Eintragung „nur erfolgen 
ſoll, wenn derjenige, deſſen Recht durch ſie betroffen 
wird, als der Berechtigte eingetragen iſt'. Demnach 
fol 840 Abſ. 1 nur hindern, daß Eintragungen vor⸗ 
genommen werden, ohne daß das Recht des Betroffenen 
bereits eingetragen wurde. Und ſomit würde auch 
hier 8 40 nur inſoweit angewendet werden können, 
als die Frage auftauchte, ob der Eintragung des Pfand⸗ 
rechts, ſeine Eintragungsfähigkeit vorausgeſetzt, der 
Hinderungsgrund des 5 40 entgegenſtünde. Die Frage 
nun, ob das Pfandrecht an ſich eintragbar iſt, muß 
aus folgenden Gründen bejaht werden. Beiden Bes 
richten iſt darin zuzuſtimmen, daß durch die Eintragung 
des Rechtes des Nacherben für dieſen kein Recht am 
Grundſtücke oder an der zur Erbſchaft gehörenden 
Hypothek entſteht. Demgemäß wäre es auch unzu⸗ 
läſſig, das Nacherbenrecht ſelbſtändig und unabhängig 
von der Eintragung des Vorerben einzutragen. Daß 
ihm eine ſolche Eintragungsfähigkeit fehlt, iſt auch 
ſchon nebenher in dem Beſchluſſe des Senats RG. 61 
S. 379 ausgeſprochen worden. Der 852 GBO. ſieht 
auch nur vor, daß „bei der Eintragung des Vorerben 
zugleich das Recht des Nacherben von Amts wegen 
einzutragen iſt“. Anderſeits aber läßt ſich angeſichts 
dieſer Vorſchrift nicht leugnen, daß, wenn die Ein⸗ 
tragung erfolgt, es ſich um eine gewöhnliche Eintragung 
handelt. Von einem bloßen „Vermerke“ zu reden, wie 
das Ob. will, gibt $ 52 keinen Anlaß, zumal dem 
Geſetz eine Unterſcheidung zwiſchen „Eintragungen“ 
und „Vermerken“ fremd iſt. Sollte auch im Einzelfalle 
der Ausdruck „vermerkt“ gebraucht ſein, ſo läge doch 
eine Eintragung im geſetzlichen Sinne vor. Weiter 
läßt ſich aber gemäß 352 auch nicht beſtreiten, daß 
bei der Eintragung des Rechtes des Nacherben Gegen⸗ 
ſtand der Eintragung „das Recht des Nacherben ift“, 
mithin das Recht, welches das Geſetz dem Nacherben 
überhaupt beilegt, wie es insbeſondere gemäß § 2113 
BGB. nach außen wirkt. Endlich aber iſt unzweifelhaft, 
daß das Geſetz die Eintragung des Rechtes des Nach⸗ 
erben gerade vorſchreibt, um das Vorhandenſein ſeines 
Rechtes öffentlich kund zu tun, als Gegenmittel gegen 
die Gefahren, die dem Nacherben ohne die Eintragung 
infolge der Grundſätze vom gutgläubigen Erwerbe 
entſtehen würden. 


in Geſtalt einer Verfügungsbeſchränkung zu Laſten des 
Vorerben; er kann das Recht des Nacherben nicht 
durch Verfügungen beeinträchtigen, die gemäß 8 2113 
dem Nacherben gegenüber unwirkſam fein würden. In- 
deſſen trotz dieſes eingeſchränkten Zweckes der Ein— 
tragung iſt nach dem Geſetze Gegenſtand der Eintragung 
das Recht des Nacherben als ſolches. Auch die Bor: 
merkung begründet nach der Anſicht des Reichsgerichts 
kein Recht am Grundſtücke (RG. 65, 261; SL, 288), 
ſichert vielmehr nur einen Anſpruch, und trotzdem iſt 
ſie eine buchmäßige Eintragung. Behält man im Auge, 
daß Gegenſtand einer Eintragung nach 8 52 GBO. 
„das Recht des Nacherben“ iſt, und hält man zugleich 
daran feſt, daß dieſes Recht wirkſam veräußert und 
verpfändet werden kann (RG. 80, 377 ff.; Gruch. 52, 
630), dann entſteht auch im Falle einer Veräußerung 
oder Verpfändung eine dergeſtalt veränderte Rechts— 


Freilich äußert ſich hiernach das 
eingetragene Recht des Nacherben nach außen hin nur 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 


6. 


lage nicht im Einklang ſtände; der unveränderte Buch⸗ 
inhalt würde vielmehr den Anſchein erwecken, als gälte 
die Verfügungsbeſchränkung noch ausſchließlich zu⸗ 
gunſten des Nacherben, was nicht mehr zuträfe; dieſer 
irreleitende Inhalt des Grundbuchs könnte gerade zu 
den Unzuträglichkeiten führen, denen gegenüber den 
Grundſätzen vom gutgläubigen Erwerbe die Eintragung 
vorbeugen foll (§ 892 BGB.). Alſo kann es nur dem 
Willen des Geſetzes entſprechen, wenn der Grundbuchs⸗ 
inhalt der veränderten Rechtslage wieder angepaßt 
und dazu eine neue Eintragung geſtattet wird. Denn 
darüber läßt ſich nicht ſtreiten, daß das Geſetz den 
Grundbuchinhalt mit der wirklichen Rechtslage in 
Uebereinſtimmung halten will, und daß es zu dem 
Ende auch einen beſonderen Rechtsbehelf, den der 
Grundbuchberichtigung gewährt. Sofern eine Unrichtig⸗ 
keit im dinglichen Rechtszuſtande in Frage ſteht, gibt 
das Geſetz den Rechtsbehelf in der Vorſchrift des 8 894 
BGB.; ſoweit es ſich um ſonſtige Unrichtigkeiten handelt, 
ſei es, daß ein Rechtsverhältnis von vornherein un⸗ 
richtig beurkundet worden, fei es, daß das richtig be⸗ 
urkundete Rechtsverhältnis durch nachträgliche rechts⸗ 
geſchäftliche Vorgänge geändert wurde, namentlich alfo 
durch Uebertragungen oder Verpfändungen, geſtattet 
das Geſetz die Berichtigung nach den formalen Regeln 
der GBO., wie der § 22 der Berichtigung auch aus 
drücklich gedenkt. Demgemäß würde auch die Eintragung 
der Abtretung oder der Verpfändung des Rechtes des 
Nacherben nur eine nach der EBD. zugelaſſene Be: 
richtigung des Buchinhaltes ſein. Das Geſetz bietet 
keinen Anhalt dafür, daß ſolche Berichtigungen aus⸗ 
ſchließlich bei Eintragungen zuläſſig wären, durch die 
ein Recht am Grundſtücke begründet worden iſt. 8 19, 
der die Eintragung von der Bewilligung des Betroffenen 
abhängig macht, enthält keine ſolche Einſchränkung, 
ebenſowenig der § 22, der gegenüber dem 8 19 eine 
Ausnahme vorſieht. Auch hier iſt zum Vergleich an 
die Vormerkung zu denken. Wird der durch eine Vor— 
merkung geſicherte Anſpruch abgetreten, dann geht jene 
als Nebenrecht des Anſpruchs (RG. 52, 11) auf den 
Rechtsnachfolger über, und die Eintragung des Wechſels 
in der Perſon des Berechtigten iſt unbedenklich ſtatt⸗ 
haft. So wird man auch den Eintrag des Rechtes 
des Nacherben als ein Nebenrecht dieſes Rechtes auf⸗ 
faſſen können und die grundbuchmäßige Kundbar⸗ 
machung der Veränderung in der Perſon des Berech⸗ 
tigten für ſtatthaft halten dürfen. 

Bei dieſer Auffaſſung könnte es ſich nur noch 
fragen, ob die Eintragungsbewilligung der Beſchwerde⸗ 
ſührerin, die dem GBA. und dem LG. allein vorlag, 


ausreichend war. Auch das iſt zu bejahen. Denn hier 


fällt der Umſtand ins Gewicht, daß nach richtiger An⸗ 
ſicht die Beſchwerdeführerin und nur dieſe i. S. des § 19 
GBO. von der Eintragung betroffen iſt. Nach der 
Anſchauung des Geſetzes wird von einer Eintragung 


ſtets (SS 13, 19, 40 GBO.) nur das Recht betroffen, 
das durch ſie rechtlich verändert wird, mithin — ſieht 


lage: Das Recht ſteht nun uberhaupt nicht mehr dem 


Nacherben zu, ſondern ſeinem Rechtsnachfolger, oder 
es kann doch, bei einer bloßen Verofändung, von dem 
Nacherben nicht mehr für ſich ausgeübt werden, ſo— 
lange das Pfandrecht beſteht. Insbeſondere konnte 
fortan nicht mehr der Nacherbe, ſondern nur noch ſein 
Rechtsnachfolger oder fein Pfandgläubiger von den Be: 
fugniſſen aus 8 2113 BGB. Gebrauch machen (G3. 
80, 377 ff.); demgemäß wären nur noch die Letztge— 
nannten ſchutzbedürſftig, nicht der Nacherbe, wenigſtens 
nicht allein. Endlich aber ergäbe ſich. daß jetzt der 
Buchinhalt, falls man der Veränderung nicht durch 
eine Eintragung Rechnung trüge, mit der neuen Rechts— 


man auf die Perſon des Berechtigten — ſtets nur, 
wer der Inhaber des Rechtes war (RGZ. 61. 379). 
Sind nun ſowohl das Recht des Nacherben wie das 
des Vorerben eingetragen, dann wird infolge einer 
Abtretung oder einer Verpfändung des erſteren immer 
nur dieſes rechtlich verändert; der Vorerbe kann auch 
nicht hinſichtlich des Rechts des Nacherben als der 
Berechtigte oder Mitberechtigte angeſehen werden. Nur 
mittelbar und tatſächlich kann der Vorerbe von der 
Aenderung betroffen werden, inſofern als es für ihn 
wirtſchaftlich einen Unterſchied machen mag, ob er fort— 
an bei Verfügungen an die Zuſtimmung des Rechte: 
nachfolgers des Nacherben gebunden iſt (8 2113 BGB.), 
oder ob er noch mit dem Nacherben ſelbſt zu tun hat. 
Eine ſolche nur tatſächliche Veränderung der Sachlage 
macht ihn aber nicht zum „Betroffenen“. Mit Unrecht 
hält das Kammergericht den vorliegenden Fall für 
anders geartet, als den einer Uebertragung oder einer 


Berpfändung des Hypothekenrechts. Allerdings ift die 
Hypothek ein Recht am Grundſtücke, während das ein⸗ 
getragene Recht des Nacherben dem Vorerben gegen⸗ 
über nur eine Verfügungsbeſchränkung bedeutet. Aber 
es iſt nicht einzuſehen, wie dieſer Unterſchied zu einer 
verſchiedenen Beurteilung der Frage führen könnte, 
welches Recht betroffen wird. Wenn ein Wechſel in 
der Perſon des Hypothekengläubigers, wie auch das 
Kammergericht annimmt, i. S. des Geſetzes nur den 
alten Hypothekengläubiger und nicht den Eigentümer 
und nicht „auch dieſen“ trifft, fo liegt das auch hier 
allein daran, daß leidender Teil rechtlich nur der alte 
Hypothekengläubiger iſt, und daß die tatſächlichen oder 
wirtſchaftlichen Folgen des Wechſels für den Eigen⸗ 
tümer auch hier zur Erfüllung der Vorausſetzung in 
den 88 13, 19, 40 GBO. nicht ausreichen. Wird das 
Recht des Nacherben abgetreten oder verpfändet, dann 
wird der Beſtand der darin enthaltenen Verfügungs⸗ 
beſchränkung rechtlich nicht verändert; die Rechtslage 
des Vorerben bleibt nach wie vor die nämliche; daher 
kann auch bei ihm keine Befugnis zur Einwilligung 
in die Grundbuchberichtigung in Frage kommen. Viel⸗ 
mehr ſtand dieſe Befugnis gemäß § 19 GBO. der 
Beſchwerdeführerin und ihr allein zuſtand. 

Das einzige Bedenken gegen die Anwendbarkeit 
des 8 19 könnte in der Frage liegen, ob das Geſetz 
unter dem Worte „Recht“ nicht dennoch — der früheren 
Ausführung entgegen — nur ein dingliches Recht ver⸗ 
ſteht, und ob es demgemäß nicht auch die Befugnis 
zur Einwilligung i. S. des 8 19 ſtets allein dem zu⸗ 
ſpricht, der hinſichtlich eines dinglichen Rechtes der Be⸗ 
troffene iſt. Auch dieſes Bedenken iſt jedoch nicht 
ſtichhaltig. Mag das Geſetz auch regelmäßig bei dem 
Ausdruck „Recht“ im Gebiete des Liegenſchaftsrechtes 
nur ein Recht dinglicher Art im Auge haben, ſo ſchreibt 
es doch in 8 52 GBO. ausdrücklich die Eintragung 
des „Rechtes“ des Nacherben vor und legt mithin 
auch dieſem Rechte mittelbar die Eigenſchaft eines ein⸗ 
getragenen Rechtes bei. Daher iſt es nicht folgewidrig. 
wenn man dem eingetragenen Nacherben die Befugnis 
zugeſteht, die ſonſt gemäß § 19 dem betroffenen 
Berechtigten gebührt. Jedenfalls aber muß die ans 
geführte Vorſchrift hier entſprechend angewendet 
werden. Es läßt ſich ſchwerlich annehmen, daß das 
Geſetz ausſchließlich bei dinglichen Rechten die Befugnis 
hätte gewähren wollen, die Eintragung von Rechts⸗ 
änderungen zu bewilligen und herbeizuführen. Das 
entſpräͤche nicht feiner Abſicht, eine ſtete Uebereinſtim⸗ 
mung zwiſchen dem Buchinhalt und der wirklichen 
Rechtslage zu ſchaffen. Auch dem Vormerkungsberech— 
tigten wird, wer in der Vormerkung kein dingliches 
Recht erblickt, das Recht nicht abſprechen wollen, im 
Falle der Abtretung des geſchützten Anſpruchs die 
Eintragung des Perſonenwechſels zu bewilligen. (Beſchl. 
des V. 35. vom 14. Januar 1914, Reg. vB 9/1913). 

2248 W. 


B. Zivilſachen. 
I 


Wie iſt das Zurüdbehaltungsreht im Prozeſſe zu be: 
handeln? Aus den Gründen: Die Entſcheidung des 
OLG. beruht auf Geſetzes verletzung, weil es auf die Gel⸗ 
tendmachung des Zurückbehaltungsrechts die Klage abge— 
wieſen und angenommen hat, es ſei Sache des Klägers, 
die „Liquidſtellung“ der Anſprüche der Beklagten zu 
betreiben. Schon vor Einführung des BGB. beſtand 
die Wirkung der „Retentionseinrede“ darin, daß zur 
Erfüllung Zug um Zug zu verurteilen, nicht aber die 
Klage abzuweiſen war. In dem Urteile des RG. vom 
17. Dezember 1884, V 34/84, heißt es, das Retentions— 
recht ſchütze nur gegen eine unbedingte Verurteilung, 


Zeitſchrift für Recht pflege in Bayern. 1 


125 


914. Nr. 6. 


es müſſe ſein Umfang ermittelt und der Beklagte zur 
Leiſtung gegen Befriedigung des feſtgeſtellten Gegen⸗ 
anſpruchs verurteilt werden (JW. 1885 S. 77 Nr. 39, 
vgl. 1893 S. 317 Nr. 43). Aehnlich hat ſich der Senat 
am 20. Mai 1895 ausgeſprochen (JW. 1895 S. 327 
Nr. 14). Das BGB. enthält in § 274 die ausdrückliche 
Vorſchrift: Gegenüber der Klage des Gläubigers hat 
die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts nur 
die Wirkung, daß der Schuldner zur Leiſtung gegen 
Empfang der ihm gebührenden Leiſtung zu verurteilen 
iſt. Welche Leiſtung dem Schuldner gebührt, hat der 
Schuldner darzutun. Das ergibt ſich aus allgemeinen 
Regeln und aus der Faſſung des 8 273. Auf Grund 
der Zurückbehaltungseinrede darf demnach nicht der 
Antrag auf Klagabweiſung geſtellt werden, vielmehr 
hat der Beklagte in ſeinem Antrage auszudrücken, 
welche Leiſtung er ſelbſt begehrt, und den Antrag da⸗ 
hin zu ſtellen, daß er zu der von dem Kläger bean⸗ 
ſpruchten Leiſtung nur gegen Empfang der von ihm 
ſelbſt verlangten Leiſtung verurteilt werde. Da das 
LG. an mehreren Stellen von „Liquidſtellung ſpricht, 
ſcheint es auf den Satz, „Liquidität“ des Anſpruchs des 
Schuldners ſei nicht erforderlich, Gewicht gelegt zu 
haben. Allein dieſer Satz hat nur die Bedeutung, daß 
„Liquidität“ keine ſachliche Vorausſetzung für das Zurück⸗ 
behaltungsrecht iſt, nicht den Sinn, daß bei Geltend⸗ 
machung im Prozeß die „Liquidſtellung“ nicht zu er⸗ 
folgen hätte oder daß es Sache des Gegners wäre, 
fie zu betreiben. Auch bei der Aufrechnung iſt „Liqui⸗ 
dität' der aufzurechnenden Forderung kein ſachliches 
Erfordernis; wer aber gegen eine Klageforderung auf⸗ 
rechnen will, hat feine Forderung „liquid“ zu ſtellen. 
(Vgl. §§ 145 Abſ. 3, 302, 322 Abſ. 2, 529 Abſ. 3 ZPO.). 
Die prozeſſualen Vorſchriften über die Behandlung des 
Aufrechnungseinwands gelten übrigens nicht für die 
Zurückbehaltungseinrede, insbeſondere iſt die Entſchei⸗ 
dung über einen zur Verweigerung einer Leiſtung ver⸗ 
wendeten Gegenanſpruch nicht der Rechtskraft fähig 
(RG. Z 8, 364; 15, 421). Auch in dieſem Punkte ſcheint 
das OLG. von einer irrigen Auffaſſung auszugehen, 
da es auf die von der Beklagten erhobene Klage hin⸗ 
weiſt. Der von der Beklagten zur Beitreibung ihrer 
Forderung eingeleitete Prozeß wird durch die Geltend⸗ 
machung des Zurückbehaltungsrechtes in dem gegen- 
wärtigen Rechtsſtreite nicht berührt. Wenn in dem 
gegenwärtigen Rechtsſtreit die Zurückbehaltungseinrede 
verworfen würde, weil die Beklagte einen zur Zurück⸗ 
haltung der Leiſtung berechtigenden Gegenanſpruch 
nicht erwieſen habe, oder wenn die Beklagte verurteilt 
würde, gegen Empfang einer geringern als der von 
ihr eingeklagten Summen die Zuſtimmung zur Grund— 
buchberichtigung und zur Auszahlung der hinterlegten 
Beträge zu erteilen, ſo ſtünde dies der Fortführung 
des von ihr angeſtrengten Prozeſſes nicht im Wege. 
(Urt. d. IV. ZS. vom 29. November 1913, IV 571/13). 
3244 


— — = n. 


II. 


Schenkung von Todes wegen an die Ehefran. Was 
iſt Gegenſtand der Schenkung, wenn der Mann ein Grund: 


ſtück für ſich kauft, es aber unmittelbar der Fraun auf: 


gelaſſen wird? Widerruf der Schenkung wegen groben 
Undanks. Wie geſtaltet ſich im Falle des Widerrufs 
der RNückgabeauſpruch des Mannes? Die Streitsteile 
verheirateten ſich im Oktober 1905. Im Oktober 1907 
hat K. der beklagten Ehefrau ein Grundſtück aufge— 
laſſen, wobei fie die eingetragene Hypothek von 2500 M 


übernahm und 5500 M als Hypothek für den Reſtkauf⸗ 


preis eintragen ließ. Der Kaufpreis wurde mit 10000 M 
angegeben. Im Januar 1911 verließ die Beklagte den 
Kläger und lebt ſeitdem von ihm getrennt. Der Kläger 
behauptet, er ſei der Käufer des Grundſtücks geweſen 
und habe die Anzahlung von 2000 M aus eigenen 
Mitteln geleiſtet. Er habe das Grundſtück auf den 
Namen ſeiner Frau eintragen laſſen, weil er befürchtet 


126 


habe, vor ihr zu ſterben, und weil er ihr deswegen 
den Beſitz des Grundſtücks gegenüber ſeinen Kindern 
erſter Ehe habe ſichern wollen. Er behauptet deshalb in 
erſter Reihe Scheingeſchäft, in zweiter Reihe Schenkung, 
die er wegen groben Undanks der Beklagten wider⸗ 
rufe. Sie habe ihn ohne Grund verlaſſen und in ſeiner 
Abweſenheit ſeine geſamte Wohnungseinrichtung mit⸗ 
genommen. Der Klagantrag geht auf Verurteilun 

der Beklagten, darein zu willigen, daß im Grundbu 

des Grundſtücks der Kläger an Stelle der Beklagten als 
Eigentümer eingetragen werde. Das L. hat die Klage 
abgewieſen. Auf die Berufung des Klägers wurde 
. nach dem Klagantrag verurteilt. Das RG. 
ob auf. | 

Aus den Gründen: Zutreffend ftellt das OLE. 
feſt, daß bei dem beſtrittenen Geſchäft der Kläger ſeine 
Abſicht zu ſchenken verwirklicht habe, daß daher jeden⸗ 
falls eine Schenkung vorliege. Eine ſofort vollzogene 
Schenkung von Todes wegen unterliegt nach § 2301 
Abſ. 2 BGB. auch hinſichtlich des Widerrufs den Vor⸗ 
ſchriſten über Schenkungen unter Lebenden. Die bes 
ſtrittene Schenkung iſt auch jedenfalls vollzogen worden 
und was die hiezu und zur Grundſtücksübereignung 
notwendigen Formen anlangt, fo find dieſe nach 88 518, 
313 Satz 2 BBB. unzweifelhaft gewahrt. Zweifel kann 
aber darüber beſtehen, was Gegenſtand der Schenkun 
geweſen iſt. Unhaltbar iſt die Anſicht des OsG., da 
das Grundſtück ſelbſt der Beklagten vom Kläger ge 
ſchenkt worden ſei. Der Kläger iſt niemals Eigentümer 
dieſes Grundſtücks geweſen, es iſt durch Auflaſſung 
unmittelbar von K. auf die Beklagte übergegangen. 
Es wäre denkbar, daß der Kläger das Grundſtück ſofort 
formlos für die Beklagte als Dritte nach 8 328 BGB. 
gekauft, als beauftragter oder unbeauftragter Geſchäfts⸗ 
führer für fie 2000 M Anzahlung geleiſtet und ſchen⸗ 
kungsweiſe auf Rückerſtattung dieſer Auslage verzichtet 
hat. In dieſem Schulderlaß wäre dann die Schenkung 
zu finden, auf die zwar der Schenkung bei Verzichten 
auf künftige Rechte verneinende 8 517 BGB. nicht ans 
gewendet werden könnte, die aber ſelbſt bei gültigem 
Schenkungswiderruf nicht zu einer Klage auf Rückgabe 
des Grundſtücks berechtigen würde. Nach dem Beweis⸗ 
ergebniſſe liegt aber die Auffaſſung näher, daß der 
Kläger das Grundſtück zunächſt formlos für ſich gekauft, 
die Anzahlung von 2000 M ſelbſt geleiſtet, feine Kaufs⸗ 
rechte, beſchwert mit den übrigen Käuferverpflichtungen, 
formlos an ſeine Ehefrau abgetreten hat und daß dies 
alles durch unmittelbare Auflaſſung an die Beklagte 
und durch Eigentumsüberſchreibung auf ſie geheilt 
worden iſt. In dieſem Falle wären die von der Ver: 
pflichtung, 2000 M anzuzahlen, befreiten Kaufsrechte 
der Gegenſtand der Schenkung und — gültigen Wider⸗ 
ruf vorausgeſetzt — könnten ſie und könnte nach ihrer 
Verwirklichung durch Grundſtücksübereignung das 
Grundſtück ſelbſt gemäß 8 818 Abſ. 1 BGB. mit der 
Klage aus grundloſer Bereicherung zurückgefordert 
werden (8 531 Abſ. 2 BGB.). 

Mit Recht wird auch die Begründung bekämpft, 
womit der Vorderrichter den Widerruf der Schenkung 
zugelaſſen hat. Er läßt dahingeſtellt, ob grober Un— 
dank der Beklagten ſchon in ihrem Wegzuge vom Kläger 
zu finden ſei, erblickt ihn aber darin, daß ſie dabei 
faſt die geſamte Wohnungseinrichtung, darunter viele 
Sachen des Klägers, mit ſich fortgenommen hat. Dieſe 
Begründung verſtößt gegen 8 530 Abſ. 1 BGB. Hier⸗ 
nach kann eine Schenkung widerrufen werden, wenn 
ſich der Beſchenkte durch eine ſchwere Verfehlung 
gegen den Schenker groben Undankes ſchuldig macht. 
Die Mitnahme von Hauseinrichtungsgegenſtänden des 
Klägers für ſich allein iſt nicht ohne weiteres eine 
ſchwere Verfehlung, wie ſie das Geſetz verlangt. Sie 
iſt im Zuſammenhange mit dem Wegzuge der Beklagten 
zu beurteilen. Hatte die Beklagte, wie ſie behauptet, 
wichtigen Anlaß, ihren Mann zu verlaſſen, ſo muß die 
Mitfortnahme ſeiner Sachen in mildem Lichte erſcheinen 


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2 = 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


und kann nicht als ſchwere Verfehlung i. S. des § 530 
Abſ. 1 BGB. angeſehen werden. 

Für alle Fälle greift die Reviſion — und zum Teil 
mit Recht — auch den Klagantrag und den Urteilsſatz 
des OLG. an. Der Klagantrag entſpricht mehr einer 
hier nicht in Frage kommenden Grundbuchberichtigungs⸗ 
klage aus 8 894 BGB. Er hätte einfach auf Auflaſſung 
des Grundſtückes gerichtet werden ſollen. Indeſſen iſt 
auf dieſen Mangel kein ausſchlaggebendes Gewicht 
zu legen (RG. 54, 378; JW. 1905 S. 290/16). Da⸗ 
gegen iſt es ein Rechts verſtoß gegen 88 812 iR daß der 
Kläger die Einwilligung der Beklagten in die Ueber⸗ 
eignung des Grundſtücks verlangt und das OLE. fie 
zuſpricht, ohne daß dabei die Belaſtung der angeblich 
geſchenkten Kaufsrechte mit der Hypothekübernahme 
von 2500 M und mit der Hypothekbeſtellung von 5500 M 
durch die Beklagte berückſichtigt wird. Dieſe Laſten 
muß der Kläger auf ſich nehmen und die Beklagte 
davon befreien, falls ihm das Grundſtück aufgelafien 
werden muß. Einer beſonderen Zurüdbehaltungsein- 
rede der Beklagten bedurfte es nicht (vgl. RZ. 54, 
137; JW. 1911 S. 583/24). (Urt. des V. 3S. vom 
13. Dezember 1913, V 399/13). 

3241 


— — 2 n. 


III. 

Iſt 8 2094 BGB. anwendbar, wenn der Erblaſſer 
ſeine Fran und ein erwartetes Kind je zur Hälfte zu 
Erben einſetzt, das Kind aber tot geboren wird? Kann 
eine ſolche letztwillige n wegen Irrtums an: 
gefochten werden und was iſt die Felge der Anfechtung ? 
Die Klägerin iſt die Witwe, der Beklagte ein Bruder 
des verſtorbenen B. B. hat ein Teſtament errichtet 
und darin verfügt: „Zu Erben meines Nachlaſſes ſetze 
ich ein meine Ehefrau zu einer Hälfte und das zu er⸗ 
wartende Kind zur andern Hälfte.“ Das Kind wurde 
nach dem Ableben des Erblaſſers tot geboren. Der 
Beklagte hat das Teſtament angefochten. Die Witwe 
hat gegen ihn auf Feſtſtellung geklagt, daß fie alleinige 
Erbin geworden ſei. Das LG. gab der Klage ſtatt. 
Das OLG. dagegen ſtellte feſt, daß Erben ſeien die 
Klägerin zu ¼, der Beklagte und feine Schweſtern zus 
ſammen zu /. Das RG. hob auf. 

Aus den Gründen: Das OLG. hat ausgeführt: 
Der Erblaſſer habe, indem er ſeine Frau und das zu 
erwartende Kind zu je / als Erben eingeſetzt habe, 
mehrere Perſonen in der Weiſe eingeſetzt, daß ſie die 
geſetzliche Erbfolge ausſchlöſſen. Demgemäß wäre, da 
das Kind totgeboren, alſo als Erbe weggefallen ſei, 
der Erbteil des Kindes der Klägerin angewachſen 
(8 2094 BGB.). Die Anfechtung des Teſtaments auf 
Grund des § 2078 fei teilweiſe begründet. Der Erb⸗ 
laſſer habe wiederholt die Abſicht geäußert, bei kinder⸗ 
loſer Ehe ſeine Geſchwiſter einzuſetzen. Habe er nicht 
beabſichtigt, bei kinderloſer Ehe ſeine Geſchwiſter ganz 
zu übergehen, ſo ſei der in dem Teſtament ausgedrückte 
Wille nur ſo zu verſtehen, wenn der Erblaſſer damit 
gerechnet habe, das Kind werde lebend geboren. Daß 
eine Totgeburt nicht ausgeſchloſſen fei, möge er ge— 
wußt haben; der Ausgang der erſten Entbindung habe 
genügend Anlaß dazu gegeben. Dennoch ſei für ihn 
eine ſolche Möglichkeit nicht beſtimmend geweſen; er 
hätte ſich ſonſt mit dem Notar beraten und dieſer hätte 
vorausſichtlich nicht unterlaſſen, für den Fall der Tot⸗ 
geburt eine Verfügung zu entwerfen. Von dem An⸗ 
wachſungsrecht ſei nicht die Rede geweſen. Habe der 
Erblaſſer auch die Möglichkeit einer Totgeburt bedacht 
und das Teſtament auch hierfür vorgeſehen, ſo müſſe 
er ſich in der irrigen Annahme befunden haben, die 
geſetzliche Erbfolge trete wegen der Hälfte des Kindes 
ein. In jedem Falle habe eine nach 8 2078 maß» 
gebliche irrige Annahme des Eintritts eines Umſtandes 
den Erblaſſer geleitet. Bei Kenntnis der Sachlage hätte 
er für den Fall der Totgeburt zugunſten der Geſchwiſter 
Vorſorge getroffen. Die Anfechtung beſeitige im Zweifel 


— —— —y— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


nur die einzelne vom Irrtum betroffene Verfügung. 
Die Klägerin hätte der Erblaſſer ohnehin auf die Hälfte 
eingeſetzt. Daraus, daß er ſie über die geſetzliche Ver⸗ 
teilung hinaus gegenüber dem Kinde bevorzugt habe, 
ſei zu ſchließen, daß er dies um ſo mehr getan hätte, 
wenn fie neben Geſchwiſtern erbte. Möglicherweiſe 
habe er die freie Hälfte der Klägerin und ſeinen Ge⸗ 
ſchwiſtern zugedacht. Jedenfalls komme dieſes Ergebnis 
ſeinem vermutlichen Willen am nächſten. Würde auch 
die Einſetzung der Klägerin befeitigt, fo erbte fie nur 
die Hälfte. Die Folge der Anfechtung fei, daß der 
Erblaſſer nur über die Hälfte wirkſam verfügt habe. 
Die Umſtände ergäben, daß die zweite Hälfte der 
Klägerin nicht ganz zugedacht geweſen ſei. Für 8 2089 
BEL. fei kein Raum. Auch 8 2094 greife nicht Platz. 
Es ſei erſichtlich, daß die geſetzliche Erbfolge nicht habe 
ausgeſchloſſen ſein ſollen und daß der Klägerin nicht 
der ganze Nachlaß zugedacht geweſen ſei. 

Dieſe Ausführungen geben zu Bedenken Anlaß. 
Der Reviſion des Beklagten läßt ſich allerdings nicht 
beitreten, wenn geltend gemacht wird, die Anwendung 
des 8 2094 BG. komme nicht in Frage; der Erb⸗ 
laſſer habe nicht mehrere Erben in der Weiſe einge⸗ 
ſetzt, daß fie die geſetzliche Erbfolge ausſchlöſſen; die 
Einſetzung des Ungeborenen ſei unwirkſam. Dieſe Rüge 
kann der Reviſion des Beklagten keinen Erfolg ver⸗ 
ſchaffen: denn wenn die Ausführungen der Reviſion 
richtig wären, fo wäre die Entſcheidung des OL. nach 
8 2088 Abſ. 1 zutreffend. Es iſt aber dem OLG. darin 
beizutreten, daß die Erbeinſetzung eines Ungeborenen 
zur Anwendung des 8 2094 führen kann. B. hat 
mehrere Erben in der Weiſe eingeſetzt, daß ſie die ge⸗ 
ſetzliche Erbfolge ausſchloſſen. Der zu der zweiten 
Hälfte Eingeſetzte iſt nicht Erbe geworden, iſt alſo als 
Erbe weggefallen. Die in § 2094 Abſ. 1 Satz 1 bes 
ſtimmten ie ſind damit gegeben. Es 
liegt kein Grund vor, dieſen Fall anders zu behandeln 
als den Fall, daß ein Erblaſſer jemand als Erben 
einſetzt, der zur Zeit des Erbfalls nicht am Leben iſt. 
Bei der e eines Ungeborenen kommt nur 
die Beſonderheit in Betracht, daß die nach dem Erb⸗ 
fall eintretende Geburt eines lebenden Kindes als vor 
dem Erbfall N gilt, wenn es vor dem Erbfall er⸗ 
zeugt wurde (8 1923). Dagegen iſt zu beanſtanden, 
daß das OLG. ſich nicht darüber ausgeſprochen hat, 
ob der Erblaſſer die Anwachſung ausgeſchloſſen habe, 
(8 2094 Abſ. 3), obwohl der Beklagte dies geltend 
gemacht hatte. Zwar heißt es an einer Stelle, die 
Umſtände ergäben, daß die zweite Hälfte der Klägerin 
nicht ganz zugedacht geweſen ſei, und an einer andern, 
es ſei erſichtlich, daß die gefetzliche Erbfolge nicht habe 
ausgeſchloſſen werden ſollen. Aber es iſt nicht geprüft, 
ob der Erblaſſer die Anwachſung ausgeſchloſſen hat, 
wenn nicht ausdrücklich ſo doch ſtillſchweigend. 

Die beiden in 8 1 des Teſtamentes enthaltenen 
Verfügungen ſind angefochten worden; ſowohl die 
Erbeinſetzung des Kindes als auch die Erbeinſetzung 
der Klägerin ſoll nach der Meinung des Beklagten als 
nichtig anzuſehen ſein. Die Anfechtung der Erbein⸗ 
ſetzung der Klägerin hat das OLG. nicht für begründet 
erklärt. Inſoweit hat der Beklagte das Berufungs⸗ 
urteil angegriffen. Seinem Angriff iſt Erfolg zu ge⸗ 
währen. Die Anfechtung iſt auf § 2078 geſtützt. Das 
Os G. hat angenommen, daß der Erblaſſer bei der Er. 
richtung des Teſtaments im Irrtum geweſen ſei; der 
Erblaſſer Dre entweder angenommen, das Kind werde 
lebend geboren, oder er habe, wenn er die Möglichkeit 
einer Totgeburt bedacht habe, angenommen, in dieſem 
Falle trete in Anſehung der dem Kind ausgeſetzten 
Hälfte des Nachlaſſes die geſetzliche Erbfolge ein. Für 
die Beurteilung der Reviſionsangriffe des Beklagten 
iſt von der dem Beklagten günſtigen Auffaſſung des 
OLE. auszugehen, daß der Erblaſſer irrig angenommen 
oder erwartet habe, das Kind werde lebend geboren 
werden. Es iſt möglich, wegen eines ſolchen Irrtums 


— nn 


127 


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des Erblaſſers die Erbeinſetzung der Klägerin nach 
8 2078 Abſ. 2 anzufechten. Daher war zu prüfen, ob 
der Erblaſſer nicht durch die irrige Annahme oder Er⸗ 
wartung, das Kind werde lebend geboren werden, be⸗ 
ſtimmt worden ſei, die Klägerin als Erbin zur Hälfte 
einzuſetzen. Dieſe Frage hat das Os G. nicht entſchieden. 
Zwar führt das OLG. aus, der Erblaſſer hätte die 
Klägerin ohnehin auf die Hälfte eingeſetzt; daraus, 
daß er ſie dem Kinde gegenüber bevorzugt habe, ſei 
zu ſchließen, daß er ſie um ſo mehr bevorzugt hätte, 
wenn ſie neben Geſchwiſtern erbte. Allein dieſe Er⸗ 
wägungen haben das OLG. nicht dazu geführt, aus⸗ 
uſprechen, daß der Erblaſſer durch die bezeichnete irrige 
nnahme zu der Erbeinſetzung der Klägerin nicht be⸗ 
ſtimmt worden ſei. Bei ſeinen Erwägungen hat das 
OLG. auch die 88 1931, 1932 nicht beachtet. Wenn 
der Erblaſſer ſeine Ehefrau bevorzugen wollte, ſo hatte 
er nur dann einen Anlaß, ſie als Erbin zur Hälfte 
des Nachlaſſes einzuſetzen, wenn er die Erbfolge eines 
Abkömmlings ins Auge faßte. Wurde die Erbin auch 
egenüber miterbenden Geſchwiſtern des Erblaſſers zur 
älfte des Nachlaſſes als Erbin eingeſetzt, ſo wurde 
fie nicht bevorzugt, ſondern benachteiligt (vgl. 8 1932). 
Daß der Erblaſſer gedacht hätte, die Klägerin erhalte, 
wenn ſie mit ſeinen Geſchwiſtern erbe, zu der ihr teſta⸗ 
mentariſch zugewendeten Hälfte des Nachlaſſes noch 
einen Teil als geſetzliche Erbin, ſie werde alſo unter 
allen Umſtänden durch die Erbeinſetzung bevorzugt, hat 
das OLG. nicht angenommen. Denn nach feiner Auf⸗ 
faſſung dachte der Erblaſſer nicht an den Eintritt einer 
Totgeburt und an den Eintritt einer geſetzlichen Erb⸗ 
folge, falls für ihn die Annahme beſtimmend war, das 
Kind werde lebend geboren. 
ür die Anfechtung der Erbeinſetzung der Klägerin 
läßt ſich die Annahme des OLG. nicht verwerten, daß 
die Anfechtung eines Teils der letztwilligen Verfügung 
auch begründet ſei, wenn der Erblaſſer die Möglichkeit 
einer Totgeburt bedacht habe, weil er ſich in dieſem 
Falle in einem Irrtum über den Eintritt der geſetz⸗ 
lichen Erbfolge befunden habe. Dagegen wendet ſich 
gegen dieſen Teil des Berufungsurteils mit Recht die 
Anſchlußreviſion der Klägerin. Wenn der Erblaſſer 
die Möglichkeit einer Totgeburt bedacht hat, ſo war 
er in dieſem Punkte nicht in Irrtum, iſt alſo nicht 
durch die irrige Annahme oder Erwartung, das Kind 
werde lebend geboren, zu ſeiner Verfügung beſtimmt 
worden. Der Irrtum beſtand alsdann nach der Auf⸗ 
faſſung des OLG. nur darin, daß der Erblaſſer an⸗ 
nahm, es werde die geſetzliche Erbfolge hinſichtlich der 
einen Hälfte des Nachlaſſes eintreten, wenn das Kind 
tot geboren werde. Dieſer Irrtum könnte wohl den 
Erblaſſer beſtimmt haben, eine Verfügung für den Fall 
zu unterlaſſen, daß es zu einer Totgeburt komme, 
es iſt aber unmöglich anzunehmen, daß der Erblaſſer 
durch einen ſolchen Irrtum zu der von ihm getrof⸗ 
fenen Verfügung beſtimmt worden ſei, alſo beſtimmt 
worden ſei, die Erbeinſetzung des Kindes anzuordnen. 
Inſoweit hat das OLG. den § 2078 Abſ. 2 unrichtig 
angewendet. Aber auch inſoweit iſt die Anwendung 
des 8 2078 Abſ. 2 zu beanſtanden, als das OLG. die 
Annahme des Erblaſſers, das Kind werde lebend ge⸗ 
boren werden, in Verbindung mit der Tatſache, daß 
das Kind nicht lebend geboren wurde, für genügen 
erachtete, den Tatbeſtand des 8 2078 Abf. 2 hinſichtlich 
der Erbeinſetzung des Kindes feſtzuſtellen. Wer jemand 
zum Erben einſetzt, geht in der Regel davon aus oder 
rechnet damit, daß der Eingeſetzte wirklich Erbe werde. 
Fällt der Eingeſetzte als Erbe weg, ſo läßt ſich nicht 
darauf allein, daß der Erblaſſer angenommen habe, 
der Eingeſetzte werde Erbe werden, die Feſtſtellung 
gründen, der Erblaſſer ſei durch die irrige Annahme 
des Nichteintritts des den Wegfall des Erben begrün⸗ 
denden Ereigniſſes zu der Erbeinſetzung beſtimmt worden. 
Bei der neuen Verhandlung wird auch die An— 
wendung des § 2078 Abſ. 1 BGB. in Betracht zu ziehen 


128 


fein, falls das OLG. etwa die Ueberzeugung gewinnen 

ſollte, der Erblaſſer habe die letztwillige Verfügung 

nur für den Fall treffen wollen, daß das Kind lebend 

geboren werde, ſeinen Willen aber nicht richtig aus⸗ 

gedrückt. (Urt. des IV. 35. vom 10. November 1913, 

IV 351/13). 
3243 


IV. 


Keine Einrede der Nechtshängigkeit wegen eines beim 
ausländiſchen Gerichte ſchwebenden Rechtsſtreits, wenn 
ausſchließlicher inländiſcher Gerichtsſtand vereinbart 
war. Aus den Gründen: Der Wortlaut des ſchrift⸗ 
lichen Vertrages läßt ſehr wohl die oberlandesgericht⸗ 
liche Auslegung zu, daß die vereinbarte Zuſtändig⸗ 
keit der Gerichte in M. ausſchließlich ſei. Der Zu⸗ 
ſammenhang mit der Vereinbarung des Erfüllungs⸗ 
orts, der nur als ausſchließlicher gemeint fein kann, 
und der Unterwerfung der Rechtsbeziehungen der 
Parteien unter das deutſche Recht legen eine ſolche 
Auslegung ſogar nahe. JW. 1912, 79 2˙ ſteht nicht ent⸗ 
gegen, denn dort war lediglich eine Vereinbarung 
über den Erfüllungsort getroffen. Hatten aber die 
Streitteile die ausſchließliche Zuſtändigkeit der Gerichte 
in M. vereinbart, fo war nach § 328 Nr. 1 ZPO. 
dem etwa in Mailand ergehenden Urteile die Aner⸗ 
kennung zu verſagen. Die Tatſache des Schwebens 
des Rechtsſtreits vor dem Gerichte in Mailand konnte 
alſo, wie das BG. in Uebereinſtimmung mit der Recht⸗ 
ſprechung des RG. zutreffend ausführt, die Einrede 
der Rechtshängigkeit nicht begründen. Nicht begründet 
iſt der Zweifel, ob die Vorausſetzungen des § 328 I 
ZPO. nicht nur dann gegeben ſeien, wenn die Unzuſtän⸗ 
digkeit der ausländiſchen Gerichte aus den deutſchen 
Geſetzen ſich unmittelbar ergebe, eine lediglich 
auf Parteivereinbarung beruhende ausſchließliche Zu⸗ 
ſtändigkeit eines inländiſchen Gerichts alfo nicht in Be⸗ 
tracht komme. Haben die Parteien die nach deutſchem 
Prozeßrechte zuläſſige Vereinbarung eines beſtimmten 
inländiſchen Gerichtsſtandes als eines ausſchließlichen 
getroffen, ſo iſt damit die Unzuſtändigkeit der aus⸗ 
ländiſchen Gerichte „nach den deutſchen Geſetzen“ ge⸗ 
geben. Das RG. hat für den der Nr. 1 8 328 380. 
entſprechenden 8 661 Nr. 3 der älteren Faſſung der 
ZPO. angenommen, daß auch eine durch Parteiver⸗ 
einbarung begründete Zuſtändigkeit der ausläns 
diſchen Gerichte zu berückſichtigen ſei (RG. 7, 407, 408; 
37, 373; 65, 329, 331). Es liegt kein Grund vor, die 
Parteivereinbarung anders zu behandeln, welche die 
Zuſtändigkeit der ausländiſchen Gerichte ausſchließt. 
(Urt. des III. 35. vom 7. Januar 1914, III 383/13). 

3250 — 4 — 
V. 

Feſtſtellungsintereſſe bei der negativen Feſtſtellungs⸗ 
klaae. Aus den Gründen: Die Frage, ob die Ans 
maßung eines Forderungsrechts für denjenigen, dem 
gegenüber ſie erfolgt, das rechtliche Intereſſe an der 
alsbaldigen Feſtſtellung des Nichtbeſtehens dieſes For⸗ 
derungsrechts begründet (S 256 ZPO.), läßt ſich nur 
unter Berückſichtigung der Lage des einzelnen Falles 
entſcheiden. Es iſt davon auszugehen, daß bei der zur 
negativen Feſtſtellungsklage herausfordernden ernſt— 
lichen Rechtsberühmung allemal die Wahrſcheinlichkeit 
eher für als gegen die Annahme eines Intereſſes des 
Klägers an der alsbaldigen Feſtſtellung iſt. Hier kann 
das Vorhandenſein dieſes Intereſſes aber auch nicht 
zweifelhaft fein. Die beiden Poſten, die die Forderung 
ergeben ſollen, und die nach Behauptung des Klägers 
unrichtig ſind, werden ſich von Jahr zu Jahr durch 
die Bilanzkonto-Aufſtellungen foriſchleppen. Daß da— 
durch die Möglichkeit einer Aufklärung der Richtigkeit 
dieſer Poſten nicht erleichtert ſondern erſchwert wird, 
leuchtet ohne weiteres ein. Allerdings iſt ja der Be— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


klagte für die Richtigkeit der Poſten beweispflichtig. 
Aber ein Intereſſe des Klägers an der alsbaldigen 
Aufklärung läßt ſich nicht etwa aus dieſem Grunde 
verneinen, zumal ſich nicht überfehen läßt, ob nicht 
bei der Erörterung über die Poſten Umſtände in Be. 
tracht kommen, für die der Kläger beweispflichtig 
iſt. Der Kläger hat auch darauf hingewieſen, daß 
durch weiteren Zeitablauf die Klarſtellung des Sach⸗ 
verhalts inſofern erſchwert werde, als ihm dadurch 
das Beweismittel der Ausſagen zweier Zeugen ver⸗ 
loren gehen könne, von denen der eine in hohem Alter 
ſtehe, während das Erinnerungsvermögen des anderen 
im Laufe der Jahre ſicherlich nachlaſſen werde. Auch 
dieſer Geſichtspunkt iſt beachtlich. Allerdings kann 
nicht alleiniger Zweck der Feſtſtellungsklage die Siche⸗ 
rung des Beweiſes ſein, und die Feſtſtellungsklage iſt 
nicht der regelmäßige Erſatz für die Beweisſicherung, 
aber die Gefahr des Verluſts von Beweismitteln kann 
zur Begründung des Feſtſtellungsintereſſes mit ver⸗ 
wendet werden. (Es wird weiter ausgeführt, daß die 
ſachliche Entſcheidung dieſes Rechtsſtreits zur Erſparung 
von Koſten diene, und daß ſie auch inſofern im In⸗ 
tereſſe des Klägers liege). (Urt. d. III. ZS. vom 7. Ja⸗ 
nuar 1914, III 316/1913). — a — 
3254 


C. Straffaden. 
I 


Liebesbrieſeals rechts⸗ und beweiserhebliche Urkunden. 
Aus den Gründen: Der verheiratete Angeklagte 
hat ſich einem Mädchen unter falſchem Namen mit der 
Vorſpiegelung genähert, ſie heiraten zu wollen. Er 
hat dies nur „der Zerſtreuung halber“ getan und hat 
vor und nach dem Eheverſprechen zur Aufrechterhaltung 
der Täuſchung über ſeine Perſon mit dem Mädchen 
unter dem falſchen Namen Briefe gewechſelt, worin er 
ſeine Liebe beteuert und den Wunſch nach baldiger 
Heirat ausſpricht. Der Angeklagte behauptet, eine Ur» 
kundenfälſchung liege nicht vor, weil er ſich von vorn⸗ 
herein unter jenem falſchen Namen vorgeſtellt und durch 
die Führung des Namens in den Briefen nur das ans 
genommene Inkognito“ gewahrt habe. Der Tatbeſtand 
der Urkundenfälſchung wird aber dadurch nicht aus⸗ 
geſchloſſen, daß ſich der Täter ſchon vorher einen falſchen 
Namen beigelegt hat und nur die Täuſchung über den 
Namen des wahren Ausſtellers unterhalten will. Fehl 
geht ferner die Ausführung, daß die Briefe nicht beweis⸗ 
erheblich für Rechtsverhältniſſe ſeien, weil ſie nur ein⸗ 
ſeitige und nicht ernſtgemeinte ungültige Eheverſprechen 


des verheirateten Angeklagten enthielten. Da ein ein⸗ 


ſeitiges Eheverſprechen durch die Erklärung des anderen 
Teils zum Verlöbnis werden kann, ſo kommt auch der 
durch das einſeitige Eheverſprechen geſchaffenen Lage 
die Bedeutung eines Rechtsverhältniſſes zu. Darauf 
aber, ob das vorliegende Eheverſprechen ernſtgemeint 
und ob ſeine Erfüllung möglich war, kommt es nicht 
an für die abſtrakt zu prüfende Frage, ob eine Ur⸗ 
kunde, die ein Eheverſprechen enthält, für Rechtsver⸗ 
hältniſſe beweiserheblich iſt. (Urt. d. V. Sts. vom 
20. Januar 1914, 5 D 840/1913). 
3260 


— — —n. 


II. 


„Feſtlegung“ der Hunde auf Grund des Viehſenchen⸗ 
geſezes. Aus den Gründen: Soweit es ſich um 
die Verurteilung aus SS 74, 40 Vieh SG. handelt, geht 
der Beſchwerdeführer davon aus, Zweck des Geſetzes 
ſei, die Hunde wegen der Anſteckungsgefahr mit fremden 
Hunden nicht in Berührung kommen zu laſſen. Dieſer 
Ausgangspunkt iſt unrichtig. Das ViehS. ſchützt 
Rechtsgüter und zwar in erſter Linie die wichtigſten: 
Leben und Geſundheit der Menſchen. Das Feſtlegen 
der Hunde, das unter den Vorausſetzungen des § 40 


— — — — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


nach geſetzlicher Vorſchrift polizeilich angeordnet werden 
muß, ſoll daher vor allem verhindern, daß Menſchen 
durch frei ſich bewegende Hunde gebiſſen werden. Hier⸗ 
bei iſt von der Erfahrung ausgegangen, daß Hunde, die 
von der Seuche befallen ſind, einen unbezwinglichen 
Freiheitsdrang und eine große Beißwut haben und 
daß ſie daher, wenn ſie nicht rechtzeitig feſtgelegt werden, 
1 beißen können, bevor der Ausbruch der Seuche 
bei ihnen erkannt iſt. Dieſer Gefahr ſoll die Feſtlegung 
vorbeugen. Als eine Verſchärfung der Maßregel des 
Feſtlegens tritt die Anordnung hinzu, die in 8 114 
Abſ. 3 der BRV. vom 7. Dezember 1911 vorgeſehen 
it (RGBl. 1912 S. 8 [AllgVBO.]). Danach kann an⸗ 
geordnet werden, daß die angeketteten oder eingeſperrten 
Hunde ſo abgeſondert werden, daß fremde Hunde mit 
ihnen nicht in Berührung kommen können. Während 
die Feſtlegung ſchlechkhin angeordnet werden muß und 
ſich die Verpflichtung zu dieſer Anordnung unmittelbar 
auf das Geſetz, nämlich auf 8 40 Abſ. 1 ViehSG. gründet, 
iſt die dem 8 114 Abſ. 3 a. a. O. entſprechende An⸗ 
ordnung dem pflichtmäßigen Ermeſſen der ausführen⸗ 
den Polizeibehörde überlaſſen; auch beruht ſie nicht 
auf 8 40 Vieh SG., ſondern auf der in § 19 Abſ. 1. 4 
daſelbſt erteilten geſetzlichen Ermächtigung, wie in $ 114 
Abſ. 3 AllgBO. beſonders hervorgehoben iſt. Der 
Geſichtspunkt, den der Beſchwerdefuührer als den für 
§ 40 Vieh. allein maßgebenden anſieht, hat m. a. W. 
unmittelbare Bedeutung und Geltung erſt für die An⸗ 
ordnung aus 8114 Allg BO. Dadurch wird nicht aus⸗ 
geſchloſſen, daß auch ſchon die Feſtlegung bis zu einem 
gewiſſen Grade die Berührung von Hunden mit anderen 
Hunden hindern und inſoweit bereits demſelben Zwecke 
dienen wird, wie die Anordnung aus S 114 AllgBO. 

Der Bundesrat hat in den Ausf. den geſetzlichen 
Begriff der Feſtlegung durch die Hinzufügung: „(An⸗ 
tettung oder Einſperrung)“ erläutert. Damit hat er 
den Begriff der Feſtlegung dem Sinne und Zwecke des 
Geſetzes und vernünftiger Berückſichtigung der gegebenen 
Lebensverhältniſſe entſprechend beſtimmt. Der Ange⸗ 
klagte hat danach das Gegenteil von dem getan, was 
er nach den maßgebenden Rechts vorſchriften zu tun hatte. 
Er ließ ſeinen Hund in ſeinem Hauſe und dem an⸗ 
ſtoßenden Garten frei umherlaufen, ſo daß der Hund 
nicht nur mit den Hausbewohnern, ſondern auch mit 
allen den Perſonen in Berührung kommen konnte, die 
Haus oder Garten betraten. Nicht ein übriges hat der 
Angeklagte getan, wenn er ſtrenge Anweiſung gab, 
den Hund anzuketten, bevor die Haustüre geöffnet wurde, 
ſondern unzulängliches. Denn das Geſetz fordert in 
den ſich aus „Ankettung und Einſperrung“ ergebenden 
natürlichen Grenzen fortdauernde und tatſächliche Ver⸗ 
hinderung ungewollter Berührungen von Menſchen 
mit Hunden. Davon iſt nicht die Rede, wenn der 
Hundebeſitzer die Ankettung nur vorübergehend bei 
Eintritt beſonderer Umſtände vornehmen läßt, ihre tat⸗ 
ſächliche Vornahme auch jedesmal von der Gewiſſen⸗ 
haftigkeit und Aufmerkſamkeit abhängig macht und 
ſich im übrigen mit der Erwartung begnügt, daß die 
Dinge ſtets den Verlauf nehmen werden, den er wünſcht 
und vorausſetzt. Auch der Hinweis, daß Haus und 
Garten von außen nicht ohne weiteres geöffnet werden 
konnten, iſt bedeutungslos. (Urt. d. V. StS. vom 
11. November 1913, VD 503/1913). 


3261 


—— -n. 


III. 


Kein Berichtigungs verfahren, wenn die Geſchworenen 
die Frage nach der Strafbarkeitseinſicht verneinen und 
zugleich die Frage nach mildernden Umſtänden bejahen. 
Aus den Gründen: Das Gericht hat die Berichtigung 
des Spruches angeordnet, da es ihn für undeutlich und 
unvollſtändig erachtete. Die Geſchworenen hatten die 
Fragen 4 und 7 verneint, in denen gefragt war, ob 
die Angeklagten Br. und E. die Strafbarleitseinſicht 
beſeſſen haben, und zugleich die Fragen 5 und 8 nach 


— ü A——̃ꝛ3ßů3ßL«¶ꝗL.3.1 1 


129 


mildernden Umſtänden bejaht. Das Gericht führt aus. 
es habe aus der Art der Antworten die Ueberzeugung 
gewonnen, daß die Geſchworenen die Fragen 4 und 7 
nicht verſtanden und deshalb die an ſie geſtellten 
Fragen unbeantwortet gelaſſen haben. Der Reviſions⸗ 
angriff muß Erfolg haben. Das Gericht durfte es nicht 
als einen Widerſpruch auffaſſen, wenn die das Vor⸗ 
handenſein mildernder Umſtände betreffenden Neben⸗ 
fragen bejaht wurden. Zwar waren die Geſchworenen 
durch die Art der Frageſtellung darauf hingewieſen, daß 
dieſe Nebenfrage nur zu beantworten ſei, wenn ſowohl 
die Hauptfrage als auch die auf die Einſicht gerichtete 
erſte Nebenfrage bejaht wurden, und da dieſe Vorauss 
ſetzung nicht oder doch nur hinſichtlich der Hauptfrage 
gegeben war, ſo bedurfte die zweite Nebenfrage keiner 
Antwort. Allein es begründete weder einen Wider⸗ 
ſpruch, noch eine Undeutlichkeit und Unvollſtändigkeit, 
wenn die Geſchworenen gleichwohl auch die zweite 
Nebenfrage prüften und bejahten. Dies hat in einem 
on Falle der III. Strafſenat dargelegt (RESt. 
27 S. 392). Auf dieſes Urteil wird verwieſen. Die 
Bejahung der mildernden Umſtände läßt nicht auf eine 
Undeutlichkeit oder Unvollſtändigkeit ſchließen. Das 
Schwurgericht hält allerdings die Bejahung der Frage 
für rechtlich und tatſächlich zutreffend. Daraus würde 
höchſtens folgen, daß die Geſchworenen zu einer an⸗ 
deren Auffaſſung gelangt ſind, als das Schwurgericht. 
Sie würden ſich dabei aber vollſtändig im Rahmen 
der ihnen allein zuſtehenden Befugniſſe zur Beurteilung 
der Schuldfrage gehalten haben. Sie mögen in deren 
Beurteilung tatſächlich oder rechtlich geirrt haben, haben 
aber nicht die Fragen mißverſtanden und die wirklich 
geſtellten Fragen unbeantwortet gelaſſen. Die Nach⸗ 
prüfung der Frage, aus welchem Grunde die Ge⸗ 
ſchworenen zur Verneinung der Fragen 4 und 7 ge⸗ 
langt ſind, ſtand dem Gericht nicht zu, am wenigſten 
in der Weiſe, daß es ſelbſt die Beweisfrage prüfte und 
annahm, die Geſchworenen hätten die Fragen 4 und 7 
nicht verſtanden und ſie deshalb unbeantwortet ge⸗ 
laſſen oder unrichtig beantwortet. Durch die Verkün⸗ 
dung des erſten Spruches, der weder widerſpruchsvoll 
noch undeutlich oder unvollſtändig war, hatte der Be⸗ 
ſchwerdeführer das Recht erlangt, dieſem Spruche ge⸗ 
mäß abgeurteilt zu werden. Die Verneinung der Ein⸗ 
ſicht mußte nach 8 56 Abſ. 1 StGB. zur Freiſprechung 


führen. (Urt. des V. Sts. vom 5. Dezember 1913, V 
D 773/13). ä 
3262 


IV. 


Iſt es zuläſſig, daß ein Verteidiger einen Zeugen, 
der nach Belehrung durch den Vorfitzenden ſich des Zeug: 
niſſes entſchlagen hat, noch darüber belehrt, was er als 
Zeuge bekunden fol? Muß der Vorſitzende dem Ber: 
teidiger eine ſolche Belehrung geſtatten? Aus den 
Gründen: Nachdem die Zeugin, eine Schweſter des 
Angeklagten, mit dem Gegenſtande der Unterſuchung 
und der Perſon des Angeklagten bekannt gemacht und 
über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt, erklärt 
hatte, daß ſie ſich nicht vernehmen laſſe, bat der Ver⸗ 
teidiger, die Zeugin darüber belehren zu dürfen, was 
ſie eigentlich bekunden ſolle. Dieſer Bitte gab der Vor⸗ 
ſitzende nicht ſtatt, weil er ein ſolches Verfahren für 
prozeßordnungswidrig halte; auf ſeine Anregung be⸗ 
ſchloß das Gericht, das Verfahren des Vorſitzenden ſei 
nicht zu beanſtanden. Mit dieſem Beſchluß hat das 
Gericht die auf die Sachleitung bezügliche Anordnung 
des Vorſitzenden, daß der Verteidiger die Zeugin nicht 
ſeinem Wunſche gemäß belehren dürfe, gebilligt. Ein 
Anlaß zu dieſer Entſcheidung des Gerichts lag nach 
§ 237 Abſ. 2 StPO. nicht vor, weil die Anordnung 
des Vorſitzenden noch nicht beanſtandet war. Wenn 
ſie gleichwohl auf Anregung des Vorſitzenden erlaſſen 
wurde, offenbar weil eine Beanſtandung durch den 
Verteidiger erwartet wurde, ſo iſt dadurch der An— 


130 


"gellagte nicht beſchwert. Nach 3 237 Abſ. 1 StPO. 
ſteht dem Vorſitzenden die Leitung der Verhandlung 
und die Aufnahme des Beweiſes zu. Dazu gehört auch 
die in 8 51 Abſ. 2 StPO. vorgeſchriebene Belehrung 
der Zeugen über ein Zeugnisverweigerungsrecht. Eben⸗ 
ſo iſt es Sache des Vorſitzenden, dem Zeugen gemäß 
§ 68 StPO. vor feiner Vernehmung den Gegenſtand 
der Unterſuchung und die Perſon des Beſchuldigten zu 
bezeichnen. Nach beiden Richtungen iſt die Zeugin 
vom Vorſitzenden aufgeklärt worden. Damit iſt dem 
Geſetz genügt. Eine Belehrung des Zeugen darüber, 
„was er eigentlich bekunden ſolle“, iſt mit gutem Grund 
vom Geſetz nicht vorgeſchrieben. Der Angeklagte und 
der Verteidiger haben kein Recht, eine ſolche Belehrung 
zu verlangen, und der Verteidiger hat kein Recht darauf, 
daß der Vorſitzende ihm geſtattet, ſie ſelbſt dem Zeugen 
zu erteilen. Allerdings iſt es nicht etwa nach dem 
Geſetz unzuläſſig, daß der Vorſitzende dem Verteidiger 
eine ſolche Erlaubnis erteilt, und wenn die Strafkammer 
ſich darüber im Irrtum Den und deshalb den 
Antrag des Verteidigers abgelehnt hätte, wäre ihr 
Beſchluß nicht zu billigen. Für einen ſolchen Irrtum 
liegt aber kein genügender Anhalt vor. Der Ausdruck 
„prozeßordnungswidrig“ nötigt dazu nicht. Er kann auch 
in dem Sinne gebraucht ſein, daß im gegebenen Fall das 
Verlangen des Verteidigers prozeßordnungswidrig fei, 
nämlich weil die gewünſchte Belehrung Sache des Vor⸗ 
ſitzenden und bereits von dieſem ſachgemäß erteilt ſei, 
ſo daß das Verlangen des Verteidigers als unange⸗ 
meſſene und deshalb unzuläſſige Einmiſchung in die 
nach 8 237 StPO. dem Vorſitzenden zuſtehende Sach⸗ 
leitung erſcheine. So verſtanden wäre der Ausdruck 
„prozeßordnungswidrig“ nicht zu beanſtanden, und ob 
in dieſem Sinne das Verlangen des Verteidigers prozeß⸗ 
ordnungswidrig war, iſt eine Ermeſſensfrage, die in 
der Reviſionsinſtanz nicht nachgeprüft werden kann. 
(Urt. d. I. StS. vom 8. Dezember 1913, 1 D 699/1913). 
3247 E. 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


Bedeutung der Nachlaßverwaltung. Nechnung über 
die r und die Vergütung des Nachlaßverwalters, 
Zunſtändigkeit zu ihrer Berbeiheidung und Verfahren 

iebei. (BG. SS 1975, 1915, 1962, 1835, 1836, 1837, 
840—1843, 1892, 1987; GG. 88 20, 75). Ein Nach⸗ 
laßverwalter veräußerte Grundſtücke an die Pappen⸗ 
fabriken H. Der Käufer focht den Kaufvertrag an. In 
der Berufungsinſtanz ſchloß der Nachlaßverwalter mit 
dem Käufer einen Vergleich. Das Nachlaßgericht lehnte 
am 26. Juni 1908 die Genehmigung des Vergleichs 
ab, weil er dem Wohle der Gläubiger zuwiderlaufe. 
In einer Gegenvorſtellung vom 27. Juni 1908 erklärte 
der Nachlaßverwalter: „Wenn das Gericht den Ver⸗ 
gleich nicht genehmigen könne, ſo bitte er die Akten 
der höheren Inſtanz vorzulegen“. Das Nachlaßgericht 
hat hierauf keine Verfügung getroffen. Am 29. Oktober 
1908 erneuerten der Nachlaßverwalter und der Prozeß— 
gegner den Vergleich mit einigen Aenderungen. Als der 
Nachlaßverwalter die Abrechnung über die Einnahmen 
und Ausgaben vorlegte und damit einen Anſpruch auf 
Vergütung für die Fuͤhrung ſeines Amtes im Betrage 
von ! bis 2% der Nachlaßmaſſe verband, ſetzte das Nach— 
laßgericht das Honorar des Nachlaßverwalters „eins 
ſchließlich aller Auslagen“ auf 6000 MH feſt. In einer 
weiteren Verfügung führte das Nachlaßgericht aus, 
daß der dem Nachlaßverwalter nach Abzug der Ge— 
richtskoſten verbleibende Reſt 4792.41 M betrage und 
daß. dieſer Reſt dem Nachlaßverwalter für ſein auf 


N 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


6000 M einſchließlich der Auslagen feſtgeſetztes Honorar 
gebühre, daß aber von den 5451.61 M betragenden 
Koſten und Auslagen für den Prozeß mit den Pappen⸗ 
fabriken H. nur ein Betrag von 900 M als die Nach⸗ 
laßmaſſe treffend anerkannt werde, während die übrigen 
Auslagen und insbeſondere 700 M, die der Nachlaß⸗ 
verwalter auf Grund des Vergleichs besen nicht die 
Nachlaßmaſſe treffen, weil der Vergleich durch das 
Nachlaßgericht nicht genehmigt wurde. Gegen die Ver⸗ 
fügung vom 8. November 1913 legte der Nachlaßver⸗ 
walter Beſchwerde ein. Das LG. verwarf ſie als un⸗ 
zuläſſig. Auf die weitere Beſchwerde hob das Obs. 
den Beſchluß des LG. und die Verfügungen des Nach⸗ 
laßgerichts auf und verwies die Sache zurück. 
Gründe: Die Nachlaß verwaltung iſt nach § 1975 
BGB. eine Aeg ſchaft zum Zwecke der Befriedigung 
der Nachlaßgläubiger. Auf eine Pflegſchaft ſind nach 
8 1915 B88. und 8 75 GJ. vorbehaltlich beſonderer 
Vorſchriften die Vorſchriften für die Vormundſchaft ent⸗ 
ſprechend anzuwenden. Vormundſchaftsgericht iſt nuch 
8 1962 BGB. das Nachlaßgericht. Nach dem hiernach 
anwendbaren 8 1837 BGB. hat das Nachlaßgericht die 
geſamte Tätigkeit des Nachlaßverwalters zu beauf⸗ 
ſichtigen. Ohne ſeine Genehmigung kann der Nachlaß⸗ 
verwalter nach 8 1821 Nr. 1 BGB. über ein zum Nach⸗ 
laſſe gehöriges Grundſtück nicht verfügen und nach 
8 1822 Nr. 12 BGB. keinen Vergleich in einem Rechts⸗ 
ſtreite ſchließen, deſſen Gegenſtand den Nachlaß betrifft 
und den Wert von 300 M überfteigt. Der Nachlaß⸗ 
verwalter hat dem Nachlaßgericht nach 8 1840 bis 1843 
BGB. jährlich und nach 8 1892 BB. am Schluſſe 
ſeiner Verwaltung Rechnung zu legen. Das Nachlaß⸗ 
gericht hat die Rechnung zu prüfen und ſie, ſoweit er⸗ 
forderlich, ergänzen und berichtigen zu laſſen. Die Ab⸗ 
nahme der Schlußrechnung hat es durch Verhandlung 
mit den Beteiligten zu vermitteln und, ſoweit die Rech⸗ 
nung als richtig anerkannt wird, das Anerkenntnis zu 
beurkunden. Der Nachlaßverwalter kann nach 8 1987 
BGB. eine angemeſſene Vergütung verlangen. Die 
Vergütung wird unter Ausſchluß des Prozeßwegs durch 
das Nachlaßgericht feſtgeſetzt (8 1836 BGB.; Nachl O. 
85 Abſ. 2; vgl. Planck, BGB. 3. Aufl. Bem. 8 zu 
1987, n. Samml. 4 S. 474 und 6 S. 749). Macht 
der Nachlaßverwalter Aufwendungen, ſo kann er deren 
Erſatz nach 8 1835 BGB. verlangen. Ueber die Erſatz⸗ 
anſprüche des Nachlaßverwalters kann das Nachlaß⸗ 
gericht nicht entſcheiden; über die zu erſtattenden Auf⸗ 
wendungen entſcheidet im Streitfalle das Prozeßgericht. 
(Vgl. n. Samml. 3 S. 182, OL GRſpr. 8 S. 361.) Das 
Nachlaßgericht kann zu dem Erſatze von Aufwendungen 
nur in dem Sinne Stellung nehmen, daß es die Auf⸗ 
nahme einer Auslage in die Rechnung billigt oder be⸗ 
anſtandet und gegebenenfalls zwiſchen dem Nachlaß: 
verwalter und den Erben zu vermitteln ſucht. Es 
empfiehlt ſich deshalb nicht, den Beſcheid über die 
Auslagen mit dem Beſcheid über die Vergütung für 
die Führung feines Amtes zu verbinden (vgl. Planck, 
Bem. 10 zu $ 1836 und KG Jahrb. 29 A 23). 
Das LG. hat dieſe rechtlichen Grundlagen der An⸗ 
ſprüche des Nachlaßverwalters richtig erkannt, hat aber 
die Entſcheidung des Nachlaßgerichts nicht richtig be⸗ 
urteilt. Es iſt nicht richtig, daß das Nachlaßgericht 
die Vergütung des Nachlaßverwalters geſondert feſt⸗ 
geſetzt hat. Es hat „das Honorar des Nachlaßver⸗ 
walters einſchließlich aller Auslagen“ auf 6000 M feſt⸗ 
geſetzt. In der angefochtenen Verfügung hat es die 
frühere Verfügung zwar teilweiſe geändert. Aber es 
hat bemerkt, daß der Aktivreſtbetrag von 4792.41 M 
dem Nachlaßverwalter für ſein auf 6000 & einſchließlich 
der Auslagen feſtgeſetztes Honorar gebühre, daß jedoch 
von den 5451.61 M betragenden Koſten und Auslagen 
des Verwalters auf den Prozeß mit den Pappenfabriken 
nur 900 M anerkannt werden, die übrigen Auslagen 
und insbeſondere die Vergleichsſumme von 700 M das 
gegen nicht. Hiemit iſt keine Scheidung zwiſchen der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. | 131 


Sergütung und den Auslagen des Nachlaßverwalters 
getroffen, endgültig über den Erſatz einiger Auslagen 
des Verwalters entſchieden und doch die Unklarheit 
nicht behoben worden, welche Vergütung dem Nach⸗ 
laßverwalter gebühre. Die Mängel der zuſammen⸗ 
haͤngenden nachlaßgerichtlichen Verfügungen find hier⸗ 
nach folgende: Eine gefonderte gun über die Ver⸗ 
gütung des Nachlaßverwalters iſt nicht erlaſſen worden, 
unklar bleibt, auf welchen Betrag die Vergütung des 
Nachlaßverwalters für ſich allein feſtgeſetzt iſt, unklar 
bleibt 1 0 ob das Nachlaßgericht die Rechnung des 
Nachlaß verwalters vorſchriftsmäßig geprüft hat. Sicher 
iſt, daß es die Vorſchrift nicht befolgt hat, zur Abnahme 
der Rechnung die Beteiligten, d. h. die Erben, zur Ver⸗ 
handlung mit dem Verwalter vorzuladen, zwiſchen 
ihnen zu vermitteln und ein etwaiges Anerkenntnis der 
Beteiligten zu beurkunden. Es hat vielmehr über wenig⸗ 
ſtens einen Teil der Auslagen des Nachlaßverwalters 
endgültig entſchieden, ohne die Beteiligten zu hören. 
Dazu kommt noch, daß das Nachlaßgericht den Erſatz 
eines Teiles der Auslagen ausſchließen wollte, weil es 
den vom Nachlaßverwalter mit den Pappenfabriken 
geſchloſſenen Vergleich nicht genehmigte; dabei berück⸗ 
ſichtigte es aber nicht, daß die Erklärung des Nach⸗ 
laßverwalters vom 27. Juni 1908 als Beſchwerde 
gegen die Verfügung vom 26. Juni 1908 aufzufaſſen 
iſt, durch welche die Genehmigung des Vergleichs ab⸗ 
gelehnt wurde, und daß eine Entſcheidung über dieſe 
Beſchwerde bis jetzt nicht herbeigeführt wurde. 

Das LG. hat die Beſchwerde des Nachlaßver⸗ 
walters als unzuläſſig verworfen. Die vom Nachlaß⸗ 
verwalter angefochtenen Verfügungen haben den An⸗ 
ſpruch des Nachlaßverwalters auf Erſatz der Aufwen⸗ 
dungen verneint, die ihm durch den Vergleich mit den 
Pappenfabriken erwachſen ſind. Auf den Erſatz der 
Aufwendungen hat der Nachlaßverwalter nach 8 1835 
ein Recht. Eine Entſcheidung, die ihm den Erſatz ab⸗ 
ſpricht, beeinträchtigt daher das Recht des Nachlaßver⸗ 
walters, er iſt deshalb nach 8 20 GG. zur Beſchwerde 
berechtigt. Dieſes Recht iſt auch nicht deshalb aus⸗ 
geſchloſſen, weil das Nachlaßgericht nicht zu einer end⸗ 
gültigen Entſcheidung über den Erſatz der Auslagen 
zuſtäͤndig war. Denn ſoweit ihm die Zuſtändigkeit 
fehlte, durfte es keinen Ausſpruch über die Berechti⸗ 
gung oder Nichtberechtigung des Anſpruchs des Nach⸗ 
laßverwalters erlaſſen. Die Beſchwerde des Nachlaß⸗ 
verwalters war alſo nicht unzuläſſig. (Beſchl. des 
1. 38S. vom 9. Januar 1914, Reg. III 115/1913). 

3250 W 


B. Strafſachen. 
I. 


Nhat ber dea Die Verjährung hindert nicht die 
10 Pires der geſchützten Vögel; 8 1 der BO. vom 
19. Oktober 1908 trifft entgeltliche Verträge jeder Art. 
Das eee t hat die Einziehung geſchützter, 
von dem Angeklagten teils felbſt gefangener, teils durch 
Tauſch erworbener Vögel und der Fangwerkzeuge ver⸗ 
verfügt. Die Straftat ſelbſt war verjährt. Die Re⸗ 
viſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Die Verjährung ſteht der 
ln nicht im Wege. Der 87 Abſ. 2 BogSh®. 
vom 30. Mai 1908 iſt dem § 42 StGB. nachgebildet; 
es iſt daher die Annahme gerechtfertigt, daß für ihn 
die gleichen rechtlichen Grundſätze gelten. Für 8 42 
Sto. findet ſich zwar mehrfach die Anſchauung ver⸗ 
treten, daß er nur Platz zu greifen hat, wenn die 
Strafverfolgung tatſächlich unausführbar iſt, nicht auch 
dann, wenn Strafausſchließungsgründe vorliegen oder 
Verjährung eingetreten iſt. Dieſe Anſchauung findet 
aber in dem Wortlaute des Geſetzes keinen Anhalt; 


2 wÜAA2A2A2y ⁵ðx2L Ä Se a TTT. T— —— ——..... Te armen 


— —— — — 


es ſteht deshalb auch die überwiegende Mehrzahl der 
Rechtslehrer auf dem Standpunkte, daß die Verjährung 
der Strafverfolgung der Einziehung nicht im Wege ſteht. 
Auf dieſem Standpunkt ſteht einmütig die Rechtſprechung 
(vgl. RG Rechtſpr. 8, 617; 9, 15; NESt. 14, 382; OLG, 
München St. 5 S. 369). Hievon abzugehen beſteht 
kein Anlaß. 

Allerdings ſpricht 8 1 der BO. vom 19. Oktober 
1908 nur von dem Ankaufe, dem Verkauf und dem 
Feilbieten von Vögeln; aus dem Zwecke der VO., der 
offenſichtlich dahin geht, der Vernichtung der einhei⸗ 
miſchen Vogelwelt vorzubeugen, geht aber hervor, daß 
nicht nur Kaufgeſchäfte in dem engeren bürgerlich⸗ 
rechtlichen Sinne verboten, daß vielmehr entgeltliche 
Verträge jeder Art getroffen werden ſollten. Wollte 
man das Verbot auf Kaufgeſchäfte beſchränken, ſo wäre 
es nahezu wirkungslos, da gerade auf dieſem Gebiet 
andere Erwerbsarten, insbeſondere der Tauſch, eine 
ſehr große Rolle ſpielen. Es iſt daher dem LG. darin 
beizupflichten, daß es die von ihm feſtgeſtellte Erwerbs⸗ 
art — Annahme an Zahlungs Statt für gelieferte 
Schneiderarbeiten — als unter das Verbot fallend er⸗ 


achtet hat. (Urt. vom 8. November 1913, Rev.⸗Reg. 
480 / 1913). Ed. 
3258 


II. 


Der Bermund iſt nach 8 153 Gew. ſtrafbar, 
wenn er fein Mündel durch Anwendung der in dieſen 
. mann Mittel zur Teilnahme an einem 

treik zu beſtimmen ee Der Angeklagte hat als 
Vormund feine Mündel durch ehrverletzende Aeuße⸗ 
rungen zu beſtimmen verſucht, ſich am einem Ausſtande 
zu beteiligen; er wurde wegen eines Vergehens nach 
8 153 GewO. verurteilt; feine Berufung und Reviſion 
wurden verworfen. 

Ausden Gründen des Reviſionsurteils: 
Es iſt zu prüfen, ob der Angeklagte innerhalb der 
Grenzen gehandelt hat, die ihm das Geſetz bezüglich 
der Sorge für die Perſon und das Vermögen der 
Mündel geſteckt hat. Das LG. iſt davon ausgegangen, 
daß der Vormund auf die Erziehung nicht ſo einwirken 
darf, daß er dadurch gegen ein geſetzliches Verbot ver⸗ 
ſtößt; dieſe Anſchauung entſpricht dem Geſetze. Der 
Angeklagte hatte als Vormund das Recht, den Mündel 
zu ermächtigen, in Dienſt oder Arbeit zu treten; dieſes 
Recht konnte ausdrücklich oder ſtillſchweigend ausgeübt 
werden. Die Ermächtigung konnte der Angeklagte aller⸗ 
dings zurücknehmen oder einſchränken. Wollte er ſie 
zurücknehmen, fo ſtand es ihm frei, den Vertrag zwiſchen 
ſeinem Mündel und deſſen Arbeitgeberin ordnungsgemäß 
zu kündigen, aber er durfte nicht durch ein nach dem 
Geſetze verbotenes Mittel — 8 153 GewO. — den 
Mündel beſtimmen, ſich an dem Streik zu beteiligen, 
zu dieſem Zwecke das Vertragsverhältnis zu löſen, 
und fo durch unzuläſſige Mittel auf den Mündel zwecks 
Aufgabe des Arbeits- oder Dienſtverhältniſſes einwirken. 
Hierin liegt ein Mißbrauch des Rechts des Angeklagten. 
Nach der Feſtſtellung des LG. iſt der Angeklagte bei 
ſeinem Vorgehen überhaupt nicht als Vormund, ſondern 
unter Mißbrauch feiner vormundſchaftlichen Stellung 
nur als Agitator für den Ausſtand aufgetreten; er wollte 
nicht in Erfüllung ſeiner Fürſorgepflicht als Vormund 
das von feinen Mündeln eingegangene Arbeits verhältnis 
beendigen, ſondern deren Teilnahme am Streik veran⸗ 
anlaſſen; er wollte die Mädchen ſeinen agitatoriſchen 
Zwecken dienſtbar machen. Gegen dieſe Feſtſtellung 
beſtehen keine Bedenken. (Wird näher ausgeführt.) 
(Urt. vom 1 November 1913, Rev.⸗Reg. 526/1913). 

3252 Ed. 


132 


Oberlandesgericht München. 


Wiedereinſetzung in den vorigen Stand; VBerſchul⸗ 
den eines ſenſt als zuverläſſig eryrsbten Nanzleiange⸗ 
ſtellten fällt dem Rechtsanwalt nicht zur Laſt; der mit 
der Behandlung des Gerichtseinlauſs beauftragte Be⸗ 
amte iſt verpflichtet, einen bei ihm . heit: 
ſatz auf Beſtimmung und Inhalt zu prüfen (98 233 
Abſ. I, 232 Abf. II, 238 Abſ. III 398 0.). Aus den 
Gründen: Es iſt glaubhaft gemacht, daß der ein⸗ 
geſchriebene Brief, in dem Rechtsanwalt A dem Rechts⸗ 
anwalt B den Auftrag gab, Berufung einzulegen, in 
der Kanzlei des Rechtsanwalts B am 3. Februar mit 
der Mittagspoſt zugeſtellt wurde, daß die Berufungs⸗ 
einlegung ſofort gefertigt wurde und daß nach⸗ 
mittags etwas 300 4 Uhr der Kanzliſt D mit dem 
Austragen dieſes Schriftſatzes und des übrigen Gerichts⸗ 
auslaufes beauftragt wurde. Der Buchhalter C hatte 
den D noch ausdrücklich darauf hingewieſen, daß am 
3. Februar die Berufungsfriſt ablief, und ihm einge⸗ 
ſchärft, daß er den Schriftſatz beim OL. einreichen 
müſſe; er ließ ſich von ihm beſtätigen, daß er das 
Einlaufzimmer des OLG. genau kenne. D hat am 
3. Februar gegen ½ 5 Uhr irrtümlich den Berufungs⸗ 
ſchriftſatz in das auf dem gleichen Stockwerk wie das 
Einlaufzimmer des OLG. liegende Einlaufzimmer des 
LG. getragen und dort in das Einlauffach gelegt. Der 
Sekretär des LG. hat den Schriftſatz aus dem Ein⸗ 
lauffach an ſich genommen und den Eingangsvermerk 
und ſein Handzeichen daraufgeſetzt. Es iſt ferner glaub⸗ 
haft gemacht, daß der Kanzliſt D ſonſt ſtets zuver⸗ 
läſſig war. Unter dieſen Umſtänden trifft den Rechts» 
anwalt B kein Verſchulden an der Verſäumung der 
Friſt; er hat vielmehr die von ihm zu erwartende 
Sorgfalt angewandt. Er durfte annehmen, daß der 
als zuverläſſig erprobte D den Schriftſatz auftrags⸗ 
gemäß in das Einlaufzimmer des Os. bringen werde 
und konnte nicht an einen Irrtum denken, nachdem 
der Kanzliſt ausdrücklich verſichert hatte, daß er dieſes 
Zimmer genau kenne. 

Der Sekretär des LG. war verpflichtet, den in 
ſein Einlauffach gelangten Schriftſatz auf ſeine Be⸗ 
ſtimmung und ſeinen Inhalt zu prüfen. Dabei mußte 
er bemerken, das der Schriftſatz nicht für das LG., 
ſondern für das OSG. beſtimmt war, daß er eine Be⸗ 
rufungseinlegung enthielt und daß die Berufungsfrift 
am gleichen Tage ablief. Unter dieſen Umſtänden 
mußte er den Rechtsanwalt ſofort von dem unrichtigen 
Einlauf benachrichtigen. Es wäre dann noch möglich 
geweſen, den Schriftſatz rechtzeitig beim Os. einzu⸗ 
reichen. Der Rechtsanwalt durfte erwarten, daß der 
Beamte, zu deſſen Aufgabe die Entgegennahme des 
Einlaufs he einen etwaigen Fehler alsbald bes 
merken und ihn davon Kenntnis geben würde. Hier⸗ 
nach muß angenommen werden, daß der Beklagte durch 
unabwendbare Zufälle verhindert worden iſt, die Not⸗ 
friſt einzuhalten. Sein Wiedereinſetzungsantrag iſt 
daher begründet. ($ 233 Abſ. 1, 8 232 Abſ. 2 3p O.). 
Gemäß 8 238 Abſ. 3 ZPO. fallen die Koſten der Wieder⸗ 
einſetzung dem Beklagten zur Laſt. Hierüber wird 
jedoch nicht in dieſem Zwiſchenurteil, ſondern in dem 
Endurteil entſchieden. (Vgl. Skonietzki, Komm. z. ZPO. 
Anm. 6 zu 8 238 Anm. 4 zu 891). (Urt. d. IV. 38. 
vom 21. Mai 1913, L 104/13). H. 


3259 


Vücheranzeigen. 


Hager, Dr. P. und Dr. C. Bruck, Regierungsräte, Reichs⸗ 
geſetzüber den Verſicherungs vertrag nebſt 
dem zugehörigen Einführungsgeſetze. 3. Auflage. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 


— nn —L—·̃— 


438 Seiten. Berlin 1913, J. Guttentag, Berlags- 
buchhandlung, G. m. b. H. Geb. Mk. 6.— 


Bekanntlich iſt eine überreichliche Zahl von Aus⸗ 
gaben des Geſetzes über den Verſicherungsvertrag er⸗ 
ſchienen. Die „grüne Ausgabe“ iſt eine von den wenigen, 
die ſich gehalten und durchgeſetzt hat. Dieſer Erfolg 
ſpricht für ihren Wert. Er iſt wohlverdient, weil ſich 
die Ausgabe nicht mit einer bloßen Stoffſammlung 
begnügt, ſondern ſich durch ſüſtematiſchen Aufbau der 
Erläuterungen dem Kommentar nähert. — F. — 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Der Nechtshilfe⸗ und „ mit 
Bulgarien iſt durch die Verträge vom 29. September 
1911 auf eine neue Grundlage geſtellt worden. Die 
Bek. vom 14. Februar 1914 (JMBl. S. 21) bringt die 
1 der Bek. vom 28. Dezember 1908 (JM Bl. 
1909 S. 2) und vom 8. April 1911 (JMSBl. S. 113) 
auf den neuen Stand. 8. 


Der Auslieſerungsverkehr mit Panama (vgl. dieſe 
Zeitſchrift 1913 S. 96) kann ſich nun auf eine allgemeine 
Gegenſeitigkeitserklärung ſtützen. Das Nähere enthält 
die Bek. vom 14. Februar 1914 (J Ml. S. 21). 8. 


Sprqgchecke 
des Allgemeinen Deutſchen Sprachvereins. 


Ein gemeingefährliches Wert. Niemand tut heut⸗ 
zutage noch etwas, ſondern ſeitens jemandes wird 
etwas getan — ſo will's der Modeſtil. Hier ein paar 
Beifpiele aus neueſten Zeitungen: „Der Antrag wurde 
ſeitens der Berſammlung einſtimmig angenommen 
Hierin kann nur ſeitens der Schule dauernde Abhilfe 
geſchaffen werden .... Eintrittskarten gelangen koſten⸗ 
frei den Verſendung ſeitens der Geſchäftsſtelle in der 
Taubenſtraße .... Seitens der Polizei wurden ſofort 
die nötigen Maßnahmen getroffen .... Hierauf wird 
ſeitens der Verwaltungsſtellen wie ſeitens des Bundes⸗ 
rats hingearbeitet werden“ uff. Allgemein erkennt man 
an, daß der häufige Gebrauch der Leideform der 
Sprache alles Leben, alle Friſche und Anſchaulichkeit 
raube. Und in den gegebenen Beiſpielen iſt der Räuber 
überall nur das böſe Wort ſeitens. Wie einfach, 
wie anſchaulich und lebendig lauten dieſelben Sätze 
in der Tätigkeitsform: „Die Berfammlung nahm 
den Antrag einſtimmig an .... Nur die Schule kann 
hierin dauernde Abhilfe ſchaffen .... Eintrittskarten 
verſendet koſtenfrei die Geſchäftsſtelle in der Tauben⸗ 
ſtraße .... Die Polizei traf ſofort die nötigen Maß⸗ 
nahmen .... Die Verwaltungsſtellen wie der Bundes⸗ 
rat werden hierauf hinarbeiten“. Uebrigens ſtehen für 
einzelne nicht hierhergehörige Fälle anderer Art für 
ſeitens bekanntlich auch noch die Wörtchen von und 
durch zur Verfügung. Deshalb gelte die einfache 
Regel: Schreibe niemals „ſeitens“ — „werft 
das Scheuſal in die Wolfsſchlucht!“ Und das neuer⸗ 
dings ebenſo beliebte greuliche Modewort „zwecks“ 
werft hinterdrein! Als ob es in der deutſchen Sprache 
kein zu, zur und zum mehr gäbe. O. Sarrazin (Berlin). 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Seller) München und Berlin. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ur. 7. 


München, den 1. April 1914. 


10. Jahrg. 


Zeitſchrift für Nechtapflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


K. I. Staatsanwalt im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtiz. 


in Bayern 


Verlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zellier) 
Münden, Berlin u. Leipzig. 


(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8». 79.) 


Die Zelitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats //. 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis viertel jährlich : 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
jede Poſtanſtalt. 


Unwirtiomteit und Nichtigkeit des Nechtz⸗ 
geſchäfts. 


Bon Oberlandesgerichtsrat Dr. Wilhelm Silberſchmidt 
in Zweibrücken. 


Das Rechtsgeſchäft, die von der Rechtsordnung 
zugelaſſene und geordnete Willenserklärung, mittels 
deren der Parteiwillen eine rechtliche Wirkung zu 
erreichen ſucht (ogl. Motive z. Entw. eines BGB., 
Guttentag 1, 126), hat manchmal überhaupt keinen 
Erfolg in der Außenwelt, dann ſpricht man von 
Wirkungslofigkeit (ogl. Schachian, Die relative 
Unwirkſamkeit der Rechtsgeſchäfte, Berliner Diſſ. 
1910, 179) oder wenigſtens nicht die beabſichtigte 
Wirkung, die Geſchaftswirkung, dann ſpricht man 
von der Unwirkſamkeit des Rechtsgeſchäfts. In beiden 
Fällen wird lediglich die Tatſache der mangelnden 
Wirkung ſeſtgeſtellt. Fragt man nach dem Grunde 
des Wirkungsausfalls, ſo kann er in den die Wirkung 
verneinenden Vorſchriften der das Rechtsgeſchaͤft be⸗ 
herrſchenden Rechtsordnung liegen oder in dem die 
Wirkung tatſäachlich beſchränkenden oder verneinen⸗ 
den Inhalt der Willenserklärung. Im erſteren 
Falle handelt es ſich um Mängel der Geltungs⸗ 
vorausſetzungen, durch welche die Ungültigkeit des 
Rechtsgeſchäſts herbeigeführt wird und zwar ent⸗ 
weder ſofort und unter allen Umſtänden, bei Nichtig⸗ 
keit des Rechtsgeſchäfts, oder erſt ſpäter, auf die 
Anfechtung einer beſtimmten Perſon hin. Im 
zweiten Falle handelt es ſich um Mängel der Wirk: 
ſamkeitsvorausſetzungen, die zur völligen, zeitweiſen 
oder teilweiſen Unwirkſamkeit führen können und 
zwar auch wieder jedermann gegenüber oder nur 
gegenüber beſtimmten Perſonen. Iſt endlich ein 
Rechtögeichäft, wie es die Rechtsordnung vorgeſehen 
und geordnet hat, im Einzelfalle nicht zuſtande 
gekommen, dann kann es ſich nur um einen Fall 
der Ungültigkeit handeln, wenn z. B. eine mündliche 
Willenserklärung vorliegt, ſtatt der vorgeſchriebenen 
gerichtlichen, oder um den Mangel jeder rechtlich 


Nachdruck verboten. 


Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a. 
Anzelgengebübr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile 
oder deren Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗ 


anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


133 


bedeutſamen Willenserklärung, in welchem Falle 
überhaupt kein Rechtsgeſchäft, alſo auch kein un⸗ 
gültiges oder unwirkſames, vorliegt. So bleibt als 
Hauptgegenſatz der Mangel der Geltungsvoraus⸗ 
ſetzungen gegenüber dem Mangel der Wirkungs⸗ 
vorausſetzungen oder die Ungültigkeit und als ihr 
Gegenſatz die Unwirkſamkeit, hier im engeren oder 
eigentlichen Sinne verſtanden. 

Dieſer Gegenſatz hat ſchon im gemeinen Rechte 
beſtanden und Windſcheid z. B. führt in 8 82 
Anm. 1 ſeines Lehrbuchs aus, daß der Sprach⸗ 
gebrauch mit ungültig vorzugsweise dasjenige 
bezeichnet, was nicht anerkannt wird, obgleich es 
anerkannt ſein möchte. Eine erhöhte Bedeutung 
hat der Gegenſatz aber erlangt, als der Begriff der 
Unwirkſamkeit in das BGB. und ſeine Nebengeſetze, 
insbeſondere das HGB., die KO. und das AnfG. 
Eingang fand und es ſich darum handelte, ſeinen 
Sinn im Einzelfalle feſtzuhalten. 

Darüber hat ſich dann eine ganze Literatur 
gebildet. Die Ableitung der Unwirkſamkeit aus 
den „Wirkſamkeitsvorausſetzungen“ ging zunaͤchſt 
von Zitelmann aus. Vgl. „Die Rechtsgeſchäfte 
im Entw. eines BGB.“ 1 (1889), 30 und „Das 
Recht des BGB. Allgemeiner Teil“ (1900), 92 
und 101. Die weitere Ausführung erfolgte in 
mehreren Diſſertationen über den Begriff der Un⸗ 
wirkſamkeit, von Figge (Roſtock 1902), Mark⸗ 
wald (Roſtock 1903), Alexander (Berlin 1903), 
Oettinger (Berlin 1904) und Schachian a. a. O. 
Zitelmann und insbeſondere Strohal, „Ueber 
relative Unwirkſamkeit“, Sonderabdruck aus der 
Feſtſchrift zur Jahrhundertfeier des Oeſt ABGB. 
1911, die letzte und bedeutendſte Arbeit über dieſen 
Gegenſtand (vgl. inzwiſchen Fiſcher, „Konverſion 
unwirkſamer Rechtsgeſchäfte“ aus der Feſtſchrift für 
Ad. Wach 1913, 183 ff., und André, Einfache, 
zuſammengeſetzte, verbundene Rechtsgeſchäfte, in den 
Feſtgaben der Marburger Juriſtiſchen Fakultät für 
Enneccerus 1913), knüpfen die urſprüngliche 


Nichtigkeit unmittelbar an einen Mangel in der 


134 


— — — 


rechtsgeſchaftlichen Errichtungsvorausſetzung, Zitel⸗ 
mann daneben die |päter eintretende Nichtigkeit 
an den Ausfall einer nachholbaren Wirkſamkeits⸗ 
vorausſetzung und an den Eintritt einer vernichtenden 
Tatſache. Schachian (S. 181) und früher ſchon 
Figge (S. 37) laſſen die Nichtigkeit aus dem 
Mangel in den „Geltungsvorausſetzungen“ folgen, 
Alexander aus dem Mangel in den auch von 
Zitelmann benannten „Begriffserforderniſſen“ 
(S. 8). Diejenigen Fälle der Unwirkſamkeit i. w. S., 
bei denen es an Erſorderniſſen zum Zuſtandekommen 
des Geſchäfts nicht fehlte und die ſchon Gradenwitz, 
„Ungültigkeit obligatoriſcher Rechtsgeſchäfte“ 1887 
(S. 301), unter dem Begriff der Ungültigkeit i. e. S. 
zuſammengefaßt hatte, vereinigten, an den Mangel 
in den „Wirkungsvorausſetzungen“ anknüpfend 
Alexander (S. 14), Schachian (S. 186), früher 
ſchon Markwald (S. 34) und Figge (S. 37) 
unter dem Begriff der Unwirkſamkeit i. e. S., 
während Oettinger (S. 23) eigentlich unwirkſam 
diejenigen Rechtsgeſchäfte nennt, die unwirkſam ſind, 
ohne daß fie nichtig und trotzdem fie nicht nichtig 
ſind. Und ebenſo bildet Strohal (S. 5) die 
Gruppe der Unwirkſamkeit i. e. S., indem er von 
den Fällen der Unwirkſamkeit i. w. S. die der 
Nichtigkeit und Anfechtung abzieht. 

Mit vollem Rechte haben aber Leonhard, 
BGB. 1 (1900), 440 und nach ihm Alexander 
(S. 65) dieſe Begriffsbildungen folange als be⸗ 
deutungslos erklärt, „als ſie nicht von einem Rechts⸗ 
anwendungsbedürfniſſe hervorgetrieben ſind“. Dieſes 
Bedürfnis beſteht nunmehr und es erfordert vor 
allem zu prüfen, nicht allein, wie nach den Regeln 
der Denkkunſt die Begriffe: Gültigkeit, Ungültigkeit, 
Wirkſamkeit und Unwirkſamkeit gebildet, ſondern 
ob und wie fie in den einzelnen Geſetzen angewendet 
werden. Dabei wird im Auge zu behalten ſein, 
ob denn der Gegenſatz in den Geltungs⸗ und Wirk⸗ 
ſamkeitsvorausſetzungen der einzige mögliche Gegen⸗ 
ſatz iſt. Es wird darauf zu achten ſein, ob nicht 
auch im Bereiche der Geltungsvorausſetzungen der 
Begriff der bloßen Unwirkſamkeit und im Bereiche 
der Wirkſamkeitsvorausſetzungen auch der Begriff 
der Ungültigkeit denkbar und üblich iſt. Letzteres 
wird allerdings auszuſchließen ſein, weil der Begriff 
„Unwirkſamkeit“ nach ſeiner Bildung die tatſächliche 
Geltung vorausſetzt. Um ſo mehr wird aber die 
erſtere Frage der Beantwortung bedürfen. Dabei 
wird auszugehen fein von dem römiſch⸗ rechtlichen 
Ungültigkeitsbegriff, der Nichtigkeit, und wird zu 
prüfen ſein, wie er ſich unter der Einwirkung der 
neueren Geſetzgebung und der Wiſſenſchaft geſtaltet 
hat, ob nicht Veränderungen und insbeſondere 
Abſchwächungen des Begriffs eingetreten ſind und 
ob nicht Veranlaſſung beſtand, manchmal vor den 
ſtrengen Folgen der Nichtigkeit die Augen zu ver⸗ 
ſchließen und nur die Frage der Wirkſamkeit des 
Rechtsgeſchäfts im Auge zu behalten. 

I. Der Hauptſitz der Streitfrage iſt für uns 
natürlich das BGB. Wie es ſich zu dem Begriff 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


der Unwirkſamkeit ſtelle, wurde auch bisher ſchon 
erörtert und verſchieden beantwortet. Alexander 
ſieht einen „ſcharffinnigen, bis in die Einzelheiten 
durchgeführten Unterſchied zwiſchen nichtig und un⸗ 
wirkſam, deſſen Behandlung eine bewußte Syſte⸗ 
matik erkennen läßt“ (S. 63), Oettinger findet 
die Begriffe der Unwirkſamkeit im w. und im e. S. 
„ſcharf umgrenzt“ und „klar und folgerichtig bis 
in die letzten Ausläufer und Einzelheiten hinein“ 
durchgeführt, nur ſei es nicht geglückt, „die Begriffe 
in die entſprechenden Ausdrucksformen zu gießen“ 
(S. 49). Gegen die Behauptung, daß das der 
deutſchen Sprache nicht möglich ſei (Mitteis, 
Zur Lehre von der Ungültigkeit in Jherings 
Jahrb. 28, 87, und Bähr in der KrVISchr. 30, 
323), wendet er ſich mit Jakobi (Die fehlerhaften 
Rechtsgeſchäfte im Arch ZivPrax. 86, 109) in ſcharfen 
Ausdrücken und mit Recht wird von Alexander 
(S. 66) auf das Loblied Bezug genommen, das 
Ihering (Zweck im Recht 2, XX) dem Tiefſinn 
der deutſchen Sprache widmet. Dagegen erklärt 
Schachian (S. 187), daß in unſerer Frage „die 
ſchwankende Terminologie des Geſetzes von einem 
einheitlichen Leitgedanken nicht durchdrungen iſt 
und daß die ſyſtematiſche Behandlung der mangel⸗ 
haften Rechtsgeſchäfte „abſeits von der Ausdrucks⸗ 
weiſe des BGB. ihren eigenen Weg gehen“ muß. 
Das kann für die Rechtsanwendung ſicher nicht 
das Richtige ſein, umgekehrt muß die Sprache und 
der Sinn des Geſetzes im Vergleiche mit der Denk⸗ 
und Ausdrucksweiſe ſeiner Vorgänger unterſucht und 
danach der Aufbau der Begriffe verſucht werden. 

1. Dabei findet ſich ziemlich übereinſtimmend 
und insbeſondere auch noch bei Strohal (S. 1f.) 
und Fiſcher (S. 205) die Behauptung, der von 
den Römern überlieferte Rechtsſtoff ſei zur Heraus⸗ 
arbeitung einer abgerundeten und durchſichtigen 
Unwirkſamkeitslehre wenig geeignet geweſen. Das 
mag richtig ſein, ſoweit eine Darſtellung nach den 
heutigen Begriffen erſtrebt wird. Fragen wir 
aber, welche Stellung das römiſche Recht dem mangel⸗ 
haften Rechtögeichäft gegenüber eingenommen hat, 
dann muß geſagt werden: Wie das Rechtsgeſchäft 
des alten römiſchen Rechts „den Charakter ſchärfſt 
ausgeprägter Individualität an ſich trägt“ 
(Ihering, Geiſt des römiſchen Rechts 3 (1888, 
177), ſo auch die Gegenwirkung gegen das fehler⸗ 
hafte Rechtsgeſchäft. Wie dort Begründung und 
gerichtliche Geltendmachung des Rechts engſtens 
zuſammenhängen (ebenda S. 137), wie bei letzterer 
alles ſich um die litiscontestatio dreht, bei dem 
Rechtsgeſchäft aber der Augenblick der Vornahme 
über den Tatbeſtand und die Wirkſamkeit des 
Rechtsgeſchäfts (ebenda S. 152), das an ſich Ein⸗ 
heit der Handlung, der Zeit und des Raumes er⸗ 
fordert, entſcheidet, wie in dieſem Augenblick die 
Rechts⸗ und Handlungsfähigkeit der Parteien, z. B. 
auch die Genehmigung des Vormunds, die Eig⸗ 
nung der Sache, die rechtliche Möglichkeit des Ge⸗ 
ſchäftsinhalts vorhanden ſein müſſen und Bedingung 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 135 


— . % 042 ee ee nn nn 
— — —— — . —— —— 


und Befriſtung nur beſchränkt zugelaffen find, fo 
einfach geſtaltet ſich die Wirkung, wenn dieſe Vor⸗ 
ausſetzungen nicht gegeben ſind. Sind die Er⸗ 
richtungserforderniſſe, um die es ſich allein handeln 
kann, im Augenblick des Rechtsgeſchäfts nicht vor⸗ 
handen, dann iſt es unheilbar nichtig. Aehnlich 
wie bie litiscontestatio das bisherige Rechts⸗ 
verhältnis zerſtört und nur das aus dem Rechts⸗ 
ſtreit ſich ergebende Urteil an die Stelle ſetzt, Ver⸗ 
urteilung oder Abweiſung, ſo tritt beim Mangel 
der Errichtungsvorausſetzungen des Rechtsgeſchäfts 
an die Stelle der durch dieſes beabſichtigten Wir⸗ 
kung die Nichtigkeit. Dieſe römiſch⸗ rechtliche Nichtig⸗ 
keit hat auch heute noch ihre ganz beſonderen Kenn⸗ 
zeichen. Das Recht verweigert dem Geſchäft die 
Anerkennung; dieſes iſt für das Recht nicht vor⸗ 
handen, ohne daß dies erſt ausgeſprochen werden 
müßte; jedermann kann ſich darauf berufen, daß 
es nicht vorhanden iſt; mit dem Hauptgeſchäft ent⸗ 
fallen alle Beſtärkungen und Nebengeſchäfte. Wie 
die Parteien für gewiſſe Falle die Strafe der 
Nichtigkeit vereinbaren, ſo iſt ſie tatſächlich eine 
Strafe der verletzten Rechtsordnung, auch wenn 
ſie von Amts wegen und wenn ſie auf Anfechtung 
eines Berechtigten eintritt. 

2. Im ſpateren römiſchen Recht und im ge⸗ 
meinen Recht iſt der Grundſatz der Konzentration 
verlaſſen worden (vgl. Jhering a. a. O. 3, 166); 
an den Vorſchriften über die Nichtigkeit ſelbſt hat 
ſich aber wenig geändert. 

3. An dieſe Beſtimmungen, insbeſondere wie 
fie Windſcheid damals vertrat, ſchloß ſich eng 
der I. Entwurf des BGB. an. Der 6. Titel des 
4. Abſchnitts im I. Buche trug die Auſſchrift „Un⸗ 
erlaubte Rechtsgeſchäfte“). Der 7.: „Ungültigkeit 
der Rechtsgeſchäfte“. In letzterem ſprach § 108 aus: 

Ein nichtiges Rechtsgeſchäft wird in Anſehung 
der gewollten rechtlichen Wirkungen ſo an⸗ 
geſehen, als ob es nicht vorgenommen wäre; 

09: 


Ein nichtiges Rechtsgeſchäſt wird nicht dadurch 
gültig, daß die Gründe der Nichtigkeit ſpäter 
wegfallen 

und die Motive bemerkten (1, 117) hiezu, daß, 
ſoweit in den ſog. Konvaleszenzfällen ein Nachlaß 
von dem Vorhandenſein des Tatbeſtandes zur Zeit 
der Vornahme des äußeren Aktes zugeſtanden iſt, 
zur Wahrung jenes Grundſatzes das Rechtsgeſchäft, 
dem es an dem nachholbaren Erfordernis gebricht, 
nicht als nichtig, ſondern als unwirkſam be⸗ 
handelt wird. 

Für dieſe Fälle ging man alfo davon aus, 
daß eine Milderung der ſtrengen Nichtigkeits⸗ 
vorſchriften geboten ſei und da man deshalb nach 
Heilung des Fehlers das Rechtsgeſchäft anerkennen 
wollte, behandelte man, zur Wahrung des Grund— 
ſatzes, das Rechtsgeſchäft vorher nicht als nichtig, 
ſondern nur als unwirkſam. Zur Aufſchrift des 
7. Titels war in den Motiven (1, 216) die Un⸗ 
wirkſamkeit als der Fall dargeſtellt, in dem das 


— 


Rechtsgeſchäft ohne die beabſichtigten rechtlichen 
Wirkungen iſt, ſei es, wie bei der Nichtigkeit von 
vornherein, ſei es dem Willen der Parteien gemäß 
beim Eintritt eines beſtimmten Ereigniſſes. Hier 
aber ſoll die Unwirkſamkeit auch von vornherein 
eintreten, aber, im Gegenſatz zur Nichtigkeit, nicht 
für immer, ſondern bis zum Eintritt eines be⸗ 
ſtimmten Ereigniſſes. 

Die Auffaſſung der Motive lehnt ſich offen⸗ 
ſichtlich an die Aufhebung des Konzentrations⸗ 
grundſatzes im ſpaͤteren römiſchen Recht an. Nicht 
zu vergeſſen iſt dabei auch, daß Windſcheid, 
das maßgebende Mitglied der Kommiſſion, durch 
das franzöſiſche Recht durchgegangen war und im 
Jahre 1847 ein Buch „Zur Lehre des Code Na⸗ 
poleon von der Ungültigkeit der Rechtsgeſchäfte“ 
geſchrieben hatte. In ihm ſpricht er ſich in weit⸗ 
gehender Weiſe für eine gemilderte Nichtigkeit aus. 
Er unterſcheidet (S. 69 f.) mit der Geſetzgebungs⸗ 
ſektion des Tribunats actes radicalement nuls, 
insbeſondere die der Kinder und die auf einer 
cause illicite beruhenden, und auf der anderen 
Seite die nicht unbedingt rechtsun verbindlichen, die 
infolge Zwangs, Betrugs und Irrtums eingegangenen 
Akte und die ohne Genehmigung abgeſchloſſenen 
Rechtsgeſchäfte der Jugendlichen, Ehefrauen uſw., 
welch letztere Akte durch eine innerhalb 10 Jahren 
zu erhebende action en nullité ou en rescision, 
die der restitutio in integrum entſprechen ſollte, 
für nichtig erklärt werden mußten; die Verjährung 
und nachträgliche Genehmigung ſchließen die Er⸗ 
hebung dieſer Klage aus. Im Gegenſatz zu dieſen 
unbedingt ungültigen oder in gewiſſen Fallen für 
ungültig zu erklaͤrenden Rechtsgeſchäften ſtellt 
Windſcheid (S. 140) die vom Rechte in keiner 
Weiſe mißbilligten Rechtsgeſchäfte, die von Anfang 
an gültig durch eine Selbſtbeſchränkung des Willens 
oder durch ein ſpäter eintretendes, ein weſentliches 
Erfordernis des Beſtandes nicht hinwegnehmendes 
Ereignis ihre Kraft verlieren und er macht 
(S. 52) darauf aufmerkſam, daß Ungültigkeit haufig 
unbeſtimmt läßt, ob Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit 
vorliege. So werden die unter Windſcheids Mit⸗ 
wirkung und Einfluß entſtandenen Beſtimmungen 
des I. Entwurfs BGB. verſtändlicher werden. 

Trotz der Milderungen fand man den Begriff 
der Nichtigkeit im I. Entwurf überſpannt (Fiſcher 
in Ihe rings J. 29, 329 f., vgl. auch Zuſammen⸗ 
ſtellung der gutachtlichen Aeußerungen durch das 
RA. 6, 128 f.), die 88 108 und 109 des Ent: 
wurfs teils überflüſſig teils in der Faſſung mangel⸗ 
haft und ſo fielen ſie und zugleich die Ueberſchriften 
der Titel. Damit wurde auf jede Begriffsbeſtim⸗ 
mung der Nichtigkeit im BGB. verzichtet. Dieſes 
hat dann in noch weit höherem Maße, als es 
ſchon im Entwurf geſchehen war, der wiederholt 
vorgeſchlagenen „praktiſchen Behandlung“ folgend, 
von dem farbloſen Begriff der Unwirkſamkeit Ge⸗ 
brauch gemacht und es der Auslegung überlaſſen, 
im einzelnen Falle den Sinn zu ermitteln. 


136 


II. Bei dieſer Unterſuchung über den Sinn 
und die Tragweite der Beſtimmungen des geltenden 
Rechts muß der gleiche Weg eingeſchlagen werden, 
den Windſcheid bei ſeiner Abhandlung „über 
die Ungültigkeit der Rechtsgeſchäfte im C. c.“ ge: 
gangen iſt: es muß die Ausdrucksweiſe und der 
Sprachgebrauch des Geſetzes geprüft und danach 
der Wille des Geſetzes erſorſcht werden. Dabei 
wird ſich dann ergeben, welche Bedeutung dem 
Begriff der Nichtigkeit innerhalb des Rahmens der 
Unwirkſamkeit zukommt. Ausſcheiden können dabei 
die für die Rechtsanwendung völlig klarliegenden 
und dem Gebiete der Gültigkeit überhaupt nicht 
angehörenden Fälle, in denen eine Wirkung des 
Rechtsgeſchäfts entfällt, weil es an einer Willens⸗ 
erklaͤrung fehlt oder weil dieſe ſelbſt überhaupt 
keine oder wenigſtens keine rechtsgeſchäftliche Wir⸗ 
kung (vgl. RZ. 68, 324 und 79, 305) herbei⸗ 
führen wollte. Letzterer Fall liegt insbeſondere 
dann vor, wenn die Beteiligten die von der Rechts⸗ 
ordnung an ſich gewährleiſtete Rechtswirkung aus⸗ 
drücklich ausſchließen oder wenn einer Willens⸗ 
aͤußerung die Rechtsordnung den bezweckten Rechts⸗ 
erfolg verſagt und dies den Beteiligten bekannt iſt. 

Sieht man von dieſen Fällen ab, dann tritt 
die Bedeutung der Nichtigkeit innerhalb der Un⸗ 
wirkſamkeit immer mehr hervor. 

1. Selbſtverſtändlich beruht die Unwirkſamkeit 
auf Nichtigkeit immer dann, wenn das Geſetz dieſe 
Nichtigkeit ausdrücklich ausſpricht; vgl. die Zuſammen⸗ 
ſtellung bei Crome, Syſtem des deutſchen bürger⸗ 
lichen Rechts 1, 346. Es ſind das ſaͤmtlich Tat⸗ 
beſtände, die vom Geſetz als fehlerhaft erachtet und 
mißbilligt, deshalb aber auch jeder Rechtswirkung 
beraubt werden. 

Eine beſondere Art der Nichtigkeit iſt die Ehe⸗ 
nichtigkeit. Nur ihre ſchwerſte Art, wenn die Form 
des § 1317 BGB. nicht gewahrt und die Ehe 
nicht in das Heiratsregiſter eingetragen wurde, 


wenn alſo eine Eheſchließung überhaupt nicht vor⸗ 


liegt, enthält unbedingte und unheilbare Nichtigkeit. 
Sonſt muß, ſolange nicht die Ehe durch Tod oder 
Richterſpruch aufgelöſt iſt, die Nichtigkeit erſt auf 
Klage, wie im franzöſiſchen Recht, ausgeſprochen 
und ſie kann in gewiſſen Fällen geheilt werden. 
Vgl. 83 1323 —1329 BGB. und auch Wind: 
ſcheid a. a. O. S. 80. 

2. Wie letzterer dann weiter (S. 4f.) feſtſtellt, 
welche Fälle im C. c. denen der ausdrücklich er⸗ 
Härten Nichtigkeit gleichſtehen und insbeſondere die 
Faſſung: „ne peut“ hervorhebt, ſo iſt auch im 


Zeutſchrift far Rechtspflege in Bahern. 1914. Kr. 7. 


| 


S. 2, 1947, 2180 Abſ. 2 S. 2, 2202 Abſ. 2 
S. 2, bei denen es zum Teil heißt, daß die An⸗ 
nahme unter einer Bedingung unwirkſam iſt. 
Dieſe Unwirkſamkeit führt ebenſo zur Nichtigkeit wie 
die Tatſache, daß eine Bedingung, die nicht bei⸗ 
geſetzt werden „kann“, doch beigeſetzt wird. Denn 
die Beiſetzung einer Bedingung zu einem „be: 
dingungsfeindlichen Rechtsgeſchäft“ verſtößt gegen 
ein geſetzliches Verbot (vgl. Schachian S. 186 
Anm. 14 gegen Figge S. 32) und iſt deshalb 
gemäß $ 134 BGB. nichtig, wobei dann die 
Nichtigkeit die ganze Erklärung, der die Bedingung 
beigeſetzt wurde, umfaſſen würde, ſei es, weil es 
eine einheitliche Erklärung iſt, ſei es gemäß § 139 
BGB. (André S. 24). Freilich hat das Geſetz 
in dieſen Fällen, in denen es mehr darauf ankam, 
den Inhalt beſtimmter Erklärungen zu begrenzen, 
den Ausdruck „Nichtigkeit“ abſichtlich vermieden 
und man wird auch dem ausgeſprochenen Verlangen, 
dieſe Fälle ausdrücklich unter die Nichtigkeit ein⸗ 
zureihen (Enneccerus, Lehrbuch 6. Aufl. 1, 
497, Fiſcher a. a. O. S. 8) nicht beipflichten 
können. Jedenfalls ſteht aber das feſt, daß, wenn 
das Geſetz ausſpricht, daß ein beſtimmtes Handeln 
nicht erfolgen kann, die trotzdem vorgenommene 
Handlung regelmäßig nichtig iſt (Crome, Syſtem 
1, 347) und daß die in dieſen Fallen und in 
ahnlichen (vgl. SS 111, 174, 344, 1253, 1398, 
1831, 1950) ausgeſprochene Unwirkſamkeit der 
Nichtigkeit ſehr nahe ſteht oder ſie mitumfaßt. 
So erklart $ 344, wenn das Gefetz das Verſprechen 
einer Leiſtung für unwirkſam anſehe, auch die für 
den Fall der Nichterfüllung vereinbarte Vertrags⸗ 
ſtrafe für unwirkſam; hier kommen die Fälle der 
Nichtigkeit in erſter Linie in Betracht, im I. Ent⸗ 
wurf lautete der entſprechende 5 424: für unwirkſam 
oder für anfechtbar. Ob aber eine Erklärung, 
z. B. daß ein Erbſchaftsteil angenommen werde, 
nach 8 1950 mit allen Beifügungen als nichtig 
zu betrachten iſt oder nur als unwirkſam, mag 


dahingeſtellt bleiben. Noch weniger kann ſchlechthin 


deutſchen Rechte Nichtigkeit ſtets dann anzunehmen, 
wenn ein dahingehender Wille des Geſetzes feſtzu⸗ tragsmäßige Verfügungen getroffen wurden, die 


ſtellen iſt. Wenn dieſes insbeſondere z. B. in 
8 1317 ausſpricht, daß die Erklärung nicht unter 
einer Bedingung oder einer Zeitbeſtimmung ab— 
gegeben werden kann, fo iſt die Folge der Ueber— 
tretung nach $ 1324 (heilbare) Nichtigkeit. Aehn⸗ 
lich verhält es ſich bei den §8§ 388 S. 2, 925 
Abſ. 2, 1598 Abſ. 2, 1724, 1742, 1768 Abſ. 1 


| 
| 


Nichtigkeit in den Fällen angenommen werden, in 
denen eine mit „darf nicht“ aufgeſtellte Anordnung 
übertreten wird; hier handelt es ſich meiſt um die 
Uebertretung von „Soll“-Vorſchriſten, die zum 
Schadenserſatz verpflichtet, vgl. 88 52 Abſ. 2, 627 
Abſ. 2, 671 Abſ. 2. So wird jeder Einzelfall 
geprüft werden müſſen; dabei werden ſich zahlreiche 
Fälle finden, in denen das Geſetz Nichtigkeit an⸗ 
drohen will, ohne es ausdrücklich auszuſprechen. 
Am meeiſten tritt dies hervor in $ 2298, wonach. 
wenn in einem Erbvertrage von beiden Teilen ver⸗ 


Nichtigkeit einer dieſer Verfügungen die Un— 
wirkſamkeit des ganzen Vertrags zur Folge hat, 


verglichen mit dem ähnlichen § 139, nach dem der 


nichtige Teil eines Rechtsgeſchäfts unter Umſtänden 
das ganze Rechtsgeſchäft nichtig macht, und mit 
88 2085, 2195 ſowie 2161. (Schluß folgt). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


Prüfungspflicht des Kegiſterrichters in 
Geſchmacksmuſterſachen. 


Bon Oberamtsrichter Franz Simeon in Augsburg. 


Die Vorſchrift im 8 10 RG. vom 11. Ja⸗ 
nuar 1876 betr. das Urheberrecht an Muſtern 
und Modellen (Muft®.) beſtimmt manchen, der 
Prüfungspflicht des Regiſterrichters in Geſchmacks⸗ 
muſterſachen einen geringeren Umfang beizumeſſen, 
als ihr in Wahrheit zukommt. Bei näherer Unter⸗ 
ſuchung zeigt ſich, daß der Regiſterrichter eine 
Reihe von formellen und ſachlichen Umſtänden zu 
prüfen hat, ehe er die Anmeldung und Muſter⸗ 
niederlegung oder ſpätere auf den Muſterſchutz be⸗ 
zügliche Anträge als zuläſſig erachten und die 
Eintragung in das Muſterregiſter vornehmen darf. 
Läuft beim Amtsgericht, welches das Handels⸗ 
regiſter führt (3 9 Muft®., 8 125 FGG., Bayer. 
JMBek. v. 14. Dezember 1899, die Führung des 
Muſterregiſters betr. $ 1), ein Antrag ein, jo ift 
Folgendes zu berüdfichtigen. 


I. Bei Neuanmeldungen. 


1. Die örtliche Zuſtändigkeit des angegangenen 
Regiſtergerichts iſt zu prüfen. Zuſtändig iſt zur 
Entgegennahme der Anmeldung und des Mufters, 
des Modells oder der Abbildung 

a) wenn der Anmeldende eine im Inland 
eingetragene Firma beſitzt, das Regiſtergericht ſeiner 
Hauptniederlaſſung, allenfalls einzigen Nieder⸗ 
laſſung (8 9 Abſ. 2 Muſt G.); beſitzt er im In⸗ 
lande nur eine Zweigniederlaſſung, das Regiſter⸗ 
gericht der Zweigniederlaſſung (8 9 Abſ. 3 Muft®.; 
RG. 41, 82; JW. 1909 S. 396); 

b) wenn der Anmeldende keine im Inlande 
eingetragene Firma befitzt, das Regiſtergericht 
ſeines Wohnfiges (8 9 Abſ. 2 und 3 MuſtG.);“) 

c) wenn der Antragſteller Niederlaſſung oder 


Wohnſitz im Inlande nicht hat, das Handelsgericht 


(Amtsgericht) Leipzig (8 9 Abf. 3 Muft®.). 
Erfolgt beim örtlich unzuſtändigen Regiſter⸗ 
gerichte die Anmeldung, ſo iſt ſie zurückzuweiſen. 
Eine Anmeldung und Muſterniederlegung beim 
örtlich unzuſtändigen Gerichte iſt wirkungslos, da 
die Zuſtändigkeit des 8 9 Muft®. ausſchließlich iſt.“) 


) Auf aus ländiſche Urheber, welche im Deut⸗ 
ſchen Reiche ihre gewerbliche Niederlaſſung nicht haben, 
findet das Muft®. keine . ſoweit nicht 
Fr ae anderes beſtimmen (8 16 Abſ. 2 und 3 

ut®.). 

18) Dambach, Muſterſchutzgeſetz 8 I Anm. 2; Als 
feld, Komm. zu den Geſetzen über das gewerbliche Ur⸗ 
heberrecht, S. 342 8 9 Anm. 2 MuſtG. 88 7 und 32 
FGG. können hier nicht herangezogen werden. Das 
Muſterregiſter und deſſen Führung gehören zwar zu 
den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 
Anmeldung und Niederlegung des Muſters ſind aber 
nach 88 7 und 9 Muft®. einem beſtimmten Gerichte 
5 vorzunehmen. Auf Handlungen und Er⸗ 

ärungen, die einem Gerichte gegenüber vorzunehmen 
find, bezieht ſich 8 7 JGG. nicht (ſ. auch Schneider 


137 


Das Regiſtergericht hat weiter zu beachten, 
wer die Anmeldung entgegenzunehmen hat, ob ſie 
bei mündlicher Vornahme vom Regiſterrichter allein 
oder auch vom Gerichtsſchreiber des Regiſtergerichts 
zu Protokoll genommen werden kann. 

Letzteres iſt der Fall, da das Muſterregiſter 
von den mit der Führung des Handelsregiſters 
beauftragten Gerichtsbehörden geführt wird (8 9 
Muft®., 8 1 d. ReichskBek. vom 29. Februar 
1876 über die Führung des Muſterregiſters), für 
das Muſterregiſter, ſoweit beſondere Beſtimmungen 
nicht getroffen find, die für das Handelsregiſter 
erlaſſenen Beſtimmungen über Anmeldung uſw. 
entſprechende Anwendung finden (ſ. auch 8 8 der 
oben erwähnten Bayer. IMBek. vom 14. De: 
zember 1899) und die Anmeldungen zum Handels⸗ 
regiſter zu Protokoll des Gerichtsſchreibers erfolgen 
können (8 128 GG., 8 51 der Bayer. MBek. 
vom 24. Dezember 1899, die Führung des Handels⸗ 
regiſters betr.). 

2. Hinſichtlich der Perſon des Antragſtellers 
hat der Regiſterrichter zu prüfen 

a) ob der Antragſteller geſchäftsfähig iſt; — 
die Anmeldung eines Muſters iſt ein Rechts⸗ 
geſchäft, das einer Behörde gegenüber vorzunehmen 
iſt. Geſchäftsunfähige können daher nicht an⸗ 
melden (88 104, 105 BGB.), in der Geſchäfts⸗ 
fahigkeit Beſchränkte nur nach 88 106, 107, 111, 
114 BGB.; 

b) die Perſönlichkeit des Antragſtellers; ſie iſt 
nachzuweiſen 

a) bei mündlicher Anmeldung: wenn der An⸗ 
tragſteller nicht dem Gerichte bekannt iſt, durch 
einen bekannten und glaubhaften Zeugen (8 5 der 
ReichskBek. vom 29. Februar 1876); 

8) bei ſchriftlicher Anmeldung: durch amtliche 
Beglaubigung der Echtheit der Unterſchrift des 
Antragſtellers) durch eine zur Führung eines 
öffentlichen Siegels berechtigte Perſon unter Bei⸗ 
drückung dieſes Siegels (8 5 wie vor). Solche 


Perſonen find z. B. die Notare, die Gerichts- 


ſchreiber, wenn ſie nach Landesrecht zur Beur⸗ 
kundung und Beglaubigung zuſtändig ſind, die 


388. 87 Anm. 1, JW. 1909 S. 396; RG. 71, 107). 
Anmeldung und Niederlegung ſind die weſentlichen 
Erforderniſſe zur Erlangung des Muſterſchutzes. Die 
Eintragung in das Muſterregiſter iſt ein an ſich be⸗ 
deutungsloſer 105 (87 Muft.; RGSt. Entſch. 
vom 30. Oktober 1906; Bay ZfR. Bd. 3 S. 66; Dam⸗ 
bach, Muſterſchutzgeſetz $ 7 Anm. 4; die Motive zu 87 
Muit®. ſprechen zwar von der Eintragung als Be⸗ 
dingung des Schutzes. Das Geſetz verlangt aber nur 
Anmeldung und Niederlegung). Durch die Eintragung 
in das Muſterregiſter des unzuſtändigen Gerichts können 
daher Anmeldung und Niederlegung bei ihm nicht 
rechtswirkſam werden. 

2) S. Schneider JGG. 8 128 Anm. 2; Birkenbihl, 
FGG. 8 128 Anm. 4; anders Rausnitz JGG. S 128 


nm. 5. 

2) Erfolgt die Anmeldung mit Firmenunter⸗ 
ſchrift, dann wird die Beglaubigung ſich darüber aus— 
zuſprechen haben, wer die Firmenunterſchrift abge⸗ 
geben hat. 


Gemeindebehörden (die Bürgermeiſter und deren 
Vertreter), die Polizeikommifſäre; 

c) die Vertretungsbefugnis der erſchienenen 
Perſon, wenn ſie nicht in eigenem Namen An⸗ 
trag ſtellt. Wird für eine Firma“) oder Geſell⸗ 
ſchaft angemeldet, ſo iſt zu unterſuchen, ob der 
Anmeldende der Firmeninhaber oder vertretungs⸗ 
berechtigter Geſellſchafter, Geſchaͤftsführer, Vorſtand 
iſt. Sind mehrere Vertreter vorhanden, ſo brauchen 
nur ſo viele die Anmeldung vorzunehmen, als zur 
Vertretung der Geſellſchaft nach Geſellſchaftsver⸗ 
trag oder Geſetz ausreichen. 

Da die Prokura zu allen Arten von gericht⸗ 
lichen und außergerichtlichen Geſchaͤften und Rechts⸗ 
handlungen ermächtigt,“) die der Betrieb eines 
Handelsgewerbes mit ſich bringt, und Schöpfung 
von Muſtern und Schutzerwerb für ſie in einem 
Geſchäfte hierunter fallen, ſo werden auch der Ein⸗ 
zelprokuriſt, die Geſamtprokuriſten, Vorſtand und 
Prokuriſt (je nachdem fie vertretungsberechtigt find) 
Muſteranmeldungen für die Firma vornehmen 
können. — Der Handlungsbevollmaͤchtigte wird 
in der Regel beſonderer Vollmacht bedürfen, da 
Muſteranmeldung in den meiſten Fällen nicht eine 
Rechts handlung ſein wird, die der Betrieb eines 
Handelsgewerbes gewöhnlich mit ſich bringt. 

Meldet ein Bevollmächtigter an — was nach 8 13 
3GG., 8 8 der Bayer. JM Bek. vom 14. Dezember 
1899, die Führung des Muſterregiſters betr., 8 50 
der Bayer. JMBek. vom 24. Dezember 1899, die 
Führung des Handelsregiſters betr., 8 12 HGB. 
zuläſſig iſt —, ſo wird eine Einzelvollmacht oder eine 
allgemeine Vollmacht vorzulegen ſein, die erkennen 
laßt, daß fie ſich auch auf Geſchmacksmuſter⸗An⸗ 
meldungen erſtreckt. Die Vollmacht wird mindeſtens 
die gleiche Form haben müffen wie die ſchriſtliche 
Anmeldung — Unterſchriftsbeglaubigung in der in 
9 5 der ReichskBek. (ſiehe IJ 2 b p) angegebenen 
Form.“) 

Liegt ein Mangel bei einem der unter a, b, c 
angegebenen Nachweiſe vor, iſt die Anmeldung zu⸗ 
rückzuweiſen und die Annahme des Muſters zu ver: 
weigern, weil dann keine „Anmeldung“ i. S. des 
Geſetzes vorliegt. 

3. Zu unterſuchen iſt weiter, ob die Vorſchriften 
über Inhalt und Form der Anmeldung und Muſter⸗ 
Niederlegung (8 9 Abſ. 4 MuſtG., 88 6 ff. der 


Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


ReichskBek. vom 29. Februar 1876) eingehalten 


| 


) Nach dem der ReichskBek. vom 29. Februar | 


1876 beigegebenen Formular des Muſterregiſters als 
zuläſſig behandelt. 

) Auch ungewöhnlichen und ſelten vorkommenden, 
Staub, Komm. z. HGB. § 49 Anm. 1. 

e) Nachträgliche Vorlegung der vor der Anmeldung 
erteilten Vollmacht iſt ſtatthaft. Nachträglich erteilte 
Vollmacht macht die Anmeldung nicht wirkſam (§ 180 
BGB.), kann aber, wenn den übrigen Erforderniſſen 
entſprochen iſt, erneute Vornahme der Anmeldung ſein 
(ſiehe auch Kohler, Muſterrecht S. 94). Erklärt der 
Anmeldende, daß mehrere die Urheber ſeien, dann 
müſſen ſämtliche Miturheber anmelden oder der Ans 
meldende von den übrigen Miturhebern Vollmacht 
beſitzen. 


find, 
a) ob es ſich um offene oder verfiegelte Nieder: 
legung handelt, 

b) ob die Muſter und Modelle einzeln oder in 
größerer Zahl in Paketen, offenen oder verfiegelten,“) 
niedergelegt werden, 

c) ob bei verfiegelter Niederlegung auf dem Paket 
die Zahl der Muſter, die es enthält, angegeben iſt 
und dieſe Angabe beim einzelnen Paket 50 Muſter 
= Modelle oder Abbildungen ſolcher nicht über: 

eigt, 

d) ob das einzelne Paket mit Muſtern nicht 
mehr als 10 kg wiegt, 

e) ob die begehrte Dauer der Schutzfriſt nach 
dem Geſetze verlangt werden kann. Zuläſſig iſt 
einſchließlich Ausdehnung jeder Zeitraum von 1 bis 
zu 15 Jahren, auch Bruchteile über ein Jahr. Bei 
Bruchteilen über ein Jahr wird jedoch die Gebühr 
für jedes angefangene Jahr voll berechnet (8 12 
Mut.) 


f) ob die Anmeldung die Angabe enthält, ob 
das Muſter oder Modell far Flächenerzeugniſſe oder 
für plaſtiſche Erzeugniſſe beſtimmt iſt. Die An⸗ 
meldung eines und desſelben Muſters uf. für Flaͤchen⸗ 
erzeugniſſe und für plaſtiſche Erzeugniſſe iſt un⸗ 
zuläffig (8 6 Abſ. 2 Muft®., 8 6 der ReichskBek. 
vom 29. Februar 1876). Enthält ein Muſter 
plaftiſche und Flachenornamente (z. B. eine eigen⸗ 
tümlich geformte Schachtel und ein Bild auf ihr) 
und ſollen beide geſchützt werden, dann iſt jeder 
Teil für ſich, alſo die Schachtel als plaſtiſches Er⸗ 
zeugnis, das Bild als Fläͤchenerzeugnis, je unter 
der betreffenden Niederlegung, anzumelden, or) 

g) ob an den einzelnen Muſtern uſw. oder auf 
jedem Kuvert oder Paket, das die Muſter oder 
Abbildungen enthält, die Fabriknummern oder die 
Geſchäftsnummern angegeben ſind, unter welchen 
die Muſter in den Geſchaäftsbüchern des Urhebers 
oder ſeines Rechtsnachfolgers eingetragen ſind 
(ReichskBek. vom 29. Februar 1876 8 7 Abi. 2). 
Jeder Gegenſtand, der ſich als einzelnes Muſter 
darſtellt, muß eine eigene Nummer haben. Wenn 
für ein Muſter mehrere Bilder (3. B. Aufnahmen 


von verſchiedenen Seiten) übergeben werden, werden 


ſie alle mit der gleichen Geſchaͤſtsnummer zu ver: 
ſehen ſein, 

h) ob das Muſter (Modell) oder eine Abbildung 
niedergelegt wird. 

In allen den genannten Fällen iſt die Anmel⸗ 
dung zurückzuweiſen, wenn es an den vorgeſchrie⸗ 
benen Erſorderniſſen fehlt (z. B. wenn ein nicht 
verſiegeltes Paket als verſchloſſen niedergelegt werden 

64) Offene Pakete zuläſſig, Jahrbuch des Kammer⸗ 
gerichts Bd. 32 Abt. B Nr. 1 (Entſch. vom 5. April 1906). 
Die Zuſammenfaſſung in Pakete kann auch noch vor 
dem Regiſtergericht erfolgen. — Hinſichtlich der Ge 
bührenbewertung: Niederlegung als Paket nur auf 


3 Jahre, dann nur als einzelne Muſter. 
6b) Siehe Alfeld a. a. O. 86 Anm. 3e S. 333. 


Heitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


ſoll, die Zahl der Muſter oder die Nummern nicht 
angegeben find, Zahl und Gewicht überſchritten 
wird, eine nicht zuläſſige Schutzfriſt, Schutz als 
plaſtiſches und Flächenerzeugnis verlangt wird, 
nicht das Muſter oder eine Abbildung ſondern nur 
eine Beſchreibung des zu ſchützenden Muſters hinter⸗ 
legt werden ſoll (ſ. RG. 49, 181). 

Hat der Anmeldende nicht angegeben, ob das 
Muſter für Flächenerzeugniſſe oder für plaſtiſche 
Erzeugniſſe beſtimmt iſt, ſo iſt er zur nachträglichen 
Beibringung der Erklärung mit dem Bemerken 
aufzufordern, daß das Muſter vor Abgabe dieſer 
Erklärung nicht eingetragen werden könne (8 6 der 
Reichsk Bek. vom 29. Februar 1876).°) Kommt er 
innerhalb angemeſſener Friſt der Aufforderung nicht 
nach, dann wird auch hier unter Rückſendung des 
Muſters der Antrag mangels ordnungsmäßiger 
Anmeldung abzuweiſen ſein. 

4. Daneben iſt die Eigenſchaft des Angemeldeten 
als Geſchmacksmuſter zu prüfen. Der eingereichte 
Gegenſtand muß ſo geartet ſein, daß er den Be⸗ 
griff des Geſchmackmuſters erfüllen kann. Beſteht 
die Möglichkeit, daß das Angemeldete und Nieder⸗ 
gelegte eine gewerbliche Formgeſtaltung iſt, Muſter⸗ 
eigenſchaft ea) hat und einen aͤſthetiſchen Zweck verfolgt, 
beſtimmt und geeignet iſt den Geſchmack, den For⸗ 
men finn anzuregen, dann kann die Anmeldung nicht 
zurückgewieſen werden.) Ergibt ſich aber aus der 
Aufſchrift des verſchloſſen eingereichten Muſterpakets, 
aus der Bezeichnung der darin enthaltenen Gegen⸗ 
ſtände oder bei Beſichtigung der als Geſchmacks⸗ 
muſter eingereichten Gegenſtände ſofort klar, daß der 
Gegenſtand der Anmeldung kein Geſchmacksmuſter 
iſt, ſo iſt die Entgegennahme der Anmeldung ab⸗ 
zulehnen. Das iſt z. B. der Fall, wenn für reine 
Naturerzeugniſſe, Nahrungs⸗ oder Genußmittel,“ 
ein Verfahren) der Geſchmacksmuſterſchutz begehrt 
wird, oder wenn für ein Zeichen durch Anmeldung 
zum Muſterregiſter Markenſchutz angeſtrebt wird. 

Begründet iſt dieſe Prüfungspflicht über Weſen 
und Eigenſchaft des angemeldeten Gegenſtandes in 


60) Auch in dieſem Falle wird als Zeitpunkt (Tag 
und Stunde) der Anmeldung erſt der Augenblick an⸗ 
zunehmen ſein, in dem die geforderte Ergänzung beim 
zuſtändigen Amtsgericht einläuft. Erſt, wenn dem Ge⸗ 
ſetze und der auf Grund des § I Mujt®. erlaſſenen 
Reichskdek. vom 29. Februar 1876 entſprochen iſt, 
kann die Anmeldung als geſetzlich zuläſſig entgegen⸗ 
genommen werden. Das Gleiche wird gelten, wenn 
der Regiſterrichter bei ſonſtigen Mängeln der An⸗ 
meldung nachträgliche Beibringung des Fehlenden ver⸗ 
langt und nicht ſofort die mangelhafte Anmeldung 
abweiſt. 
6d) Vorbild für die Form von Induſtrieerzeug⸗ 
niſſen iſt. 

) Auch wenn es naheliegt, daß das Muſter eher 
Gebrauchszwecken dient. 

6) Siehe Kohler Muſterrecht S. 78; RG. 46, 1; 
Allfeld a. a. O. S. 374. 

) RGeEntſch. vom 27. Mai 1905, DJ Z. 1905 S. 813, 
Kohler a. a. O. S. 48 u. 114, oder für etwas, was nicht 
Gegenſtand des Sehens iſt. (Jahrbuch von Neumann 
Bd. 7 S. 1155). 


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139 


88 7 ff. Muft®., wonach eben nur ein Muſter oder 
Modell angemeldet, niedergelegt und eingetragen 
werden ſoll. 

8 10 Muft®. ſteht nicht entgegen. Er ſchließt 
nur die Prüfung der Berechtigung des Antrag⸗ 
ſtellers als Urheber oder Rechtsnachfolger von ſolchen 
und die Prüfung der Richtigkeit der angemeldeten 
Tatſachen aus. Solche Tatſachen ſind Neuheit und 
Eigentümlichkeit des Muſters (8 1 Abi. 2 MuſtG.) 
und Nichtverbreitung eines nach dem Muſter ge⸗ 
fertigten Erzeugniſſes.) Schlechthin alle Umſtände, 
welche bei der Anmeldung vorzubringen find, hat 
810 Muft®. nicht im Auge. Die Motive zu $ 10 
Mut. (Bd. III S. 79 der Stenogr. Berichte über 
die Verhandlungen des Reichstags 1875/76) er: 
wähnen als Grund dafür, daß keine causae co- 
gnitio ſtattfinde, nur, daß das Regiſtergericht nicht 
mit Privatſtreitigkeiten zu behelligen ſei. Für Be⸗ 
achtung eines offenfichtlichen Nichtmuſters und feine 
Zurückweiſung trifft dieſer Grund nicht zu. 

Schließlich kann es nicht Abſicht des Geſetzes 
ſein, daß der Regiſterrichter wie eine Maſchine alles, 
was der Antragſteller daherbringt, ohne jede Prüfung 
als Muſter entgegennimmt und einträgt. 

5. Endlich hat der Regiſterrichter zu prüfen, 
ob das Muſter nicht nach ſeiner Art oder Form, 
durch den dargeſtellten Gedanken oder in ſeiner Ver⸗ 
wertung die guten Sitten, das Geſetz oder das Recht 
verletzt. Das Muft®. enthält zwar keine ähnliche Be: 
ſtimmung wie 8 1 Abſ. 2 Nr. 1 PatG. 1) oder 
wie 8 4 Nr. 8 Waren 3G. ), trotzdem find für den 
Schutz der Muſter und Modelle ſowie der Gebrauchs⸗ 


muſter die gleichen Grundſätze maßgebend.) Die 


Aehnlichkeit der Rechtsgebiete verlangt die gleiche 
Behandlung. Auch Geſchmacksmuſter, die Geſetz 
oder gute Sitten verletzen, können Rechtsſchutz nich 
erlangen. 

Während bei den übrigen Urheberrechtsgeſetzen 
der Schutz regelmäßig mit der Vollendung des 
Schöpfungsvorgangs gegeben iſt und ohne Rück⸗ 
ſicht auf Geſetz und Sittenwidrigkeit beſtehen kann, 
iſt bei den Geſetzen über das gewerbliche Urheber: 
recht mit der Schöpfung des Muſters zwar ein 
übertragbares Recht vorhanden, der geſetzliche 


10) Auch dieſe Frage wird der Regiſterrichter na⸗ 
türlich dann nicht unbeachtet laſſen können, wenn der 
Anmeldende ſelbſt ſagt, ein nach dem Muſter gefertigtes 
Erzeugnis ſei ſchon verbreitet oder das Muſter ſei nicht 
neu oder er ſei nicht der Urheber oder deſſen Rechts⸗ 
nachfolger. 

1) Erfindungen, deren Verwertung den Geſetzen 
oder den guten Sitten zuwiderlaufen würde, ſind von 
der Patenterteilung ausgenommen. 

12) Die Eintragung in die Zeichenrolle iſt zu ver⸗ 
ſagen für Warenzeichen, die Aergernis erregende Dars 
ſtellungen oder ſolche Angaben enthalten, die den 
tatſächlichen Verhältniſſen nicht entſprechen und die 
Gefahr einer Täuſchung begründen. 

10 Für Gebrauchsmuſter ähnlich Allfeld, Komm. zu 
den Geſetzen über das gewerbliche Urheberrecht S. 377 
(81 Anm. 6e GebrMuſtG.), für Gebrauchs- und Ge⸗ 
ſchmacksmuſter: Kohler, Muſterrecht S. 77 ff. 


140 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


Schutz, die Ausübung des Rechts nach dem Ge⸗ 
ſetze iſt aber von der mitwirkenden Tätigkeit einer 
Behörde abhaͤngig: Anmeldung und Eintragung 
in die Rolle des Patentamts, Anmeldung und 
Niederlegung des Muſters bei Gericht. Die ſtaat⸗ 
liche Behörde kann und darf aber eine Geſetzes⸗ 
verletzung und Sittenwidrigkeit, die durch Erfin⸗ 
dungen oder Muſter verübt werden, durch Ein⸗ 
tragung oder Entgegennahme der Anmeldung nicht 
unterſtützen und darf Gegenſtänden nicht den Anſchein 
eines Schutzes verſchaffen, den fie nicht genießen; 
am wenigſten dürſen das die Gerichte, die zum 
Schutze des Rechtes und zur Ausübung der Rechts⸗ 
pflege berufen find. Es iſt daher die Anmeldung 
von Muſtern zurückzuweiſen, die Geſetz⸗ und Sitten⸗ 
widrigkeiten in ſich bergen und bei denen dieſe 
Eigenſchaft infolge offener Uebergabe oder ſonſt⸗ 
wie vom Regiſtergericht erkannt werden kann. 
Hierher gehören z. B. Muſter, welche eine Gottes⸗ 
läfterung, eine Beleidigung des Kaiſers, des Landes⸗ 
herrn, unzüchtige nach 8 184 StGB. ſtrafbare 
Darſtellungen uſw. enthalten, dann ſolche, durch 
welche unlauterer Wettbewerb, ſtrafbare Reklame 
verübt wird. 


Häufig kommt es vor, daß Etiketten, Muſter 
für Packungen angemeldet werden, auf denen die 
Worte „Marke ... . geſetzlich geſchützt“ oder 
„Unter Nr. .. geſetzlich geſchützt“ in einer Weiſe 
angebracht ſind, daß niemand an den Schutz der 
Etikette oder Packung denkt, daß vielmehr ange⸗ 
nommen wird, eine Marke, ein Warenzeichen oder 
ein Herſtellungs verfahren fei geſchützt; das geſetzes⸗ 
unkundige Publikum wird ſogar glauben, die mit 
der Etikette verſehene, in der Packung enthaltene 
Ware genieße wegen beſonderer Güte, Reinheit 
oder Brauchbarkeit geſetzlichen Schutz.)!“ 

In den meiſten Fällen dieſer Art läßt Inhalt 
und Anordnung der Aufſchrift keinen Zweifel, daß 
der Antragſteller beabſichtigt, beim Publikum den 
vorerwähnten Glauben zu erwecken und den An⸗ 
ſchein eines beſonders günſtigen Angebots hervor⸗ 
zurufen. Solche Etiketten und Packungen find für 
einen größeren Kreis von Perſonen beſtimmte Mit⸗ 
teilungen. Sie werden — wenn, was regelmäßig 
der Fall, Zeichen⸗ oder Patentſchutz nicht beſteht 
— als unrichtige Angaben über geſchäftliche Ver⸗ 
hältniſſe im Sinne des 8 4 UnlWG. vom 7. Juni 
1909 zu erachten ſein. Wenn der Tatbeſtand 
dieſer Vorſchrift nicht vollſtändig erfüllt iſt, wird 
doch häufig eine gegen die guten Sitten verſtoßende 
Irreführung des Publikums vorliegen. Auch bei 


10) Z. B. „Eiernudeln, Marke Auguſta, geſetzlich 
geſchützt“, darunter oder um die Worte ein bildlicher 
Schmuck und vielleicht eine Anpreiſung der Nudeln, 
oder „Weineſſig, reines Gärungsprodukt, Marke Alta 
unter Nr. . . geſetzlich geſchützt' und daran anſchließend 
eine Anpreiſung des Weineſſigs unter Hinweis auf das 
Gutachten eines Chemikers. 

1%) S. Beſchl. des LG. Augsburg vom 17. Oktober 
1912 (HR. 5/1912). 


anderen Fällen von Sittenwidrigkeit, die im Ge⸗ 
ſchmacksmuſter oder deſſen Verwertung zum Aus⸗ 
druck kommen, wird die Anmeldung zurückzuweiſen 
ſein. Dasſelbe Schickſal wird Geſchmacksmuftern 
zuteil werden müſſen, welche offenſichtlich in das 
Perſönlichkeitsrecht eines anderen eingreifen, z. B. 
deſſen Recht am eigenen Bilde, das Namenrecht 
und das Firmenrecht verletzen.“) 

II. Bei Anträgen auf Verlängerung 
der Schutzfriſt iſt zu prüfen: 

1. Die örtliche Zuſtändigkeit des angegangenen 
Gerichts. Hat der urſprüngliche Anmelder in⸗ 
zwiſchen ſeinen Wohnſitz, ſeine Hauptniederlaſſung 
oder ſeine Zweigniederlaſſung (wenn nur eine ſolche 
im Inlande beſtand) geändert, ſo bleibt das Re⸗ 
giſtergericht, deſſen Zuſtändigkeit bei der Anmel⸗ 
dung gegeben war, auch für die Entgegennahme 
und Eintragung des Antrags auf Schutzfriſtver⸗ 
längerung zuſtändig. Der in der freiwilligen Ge⸗ 
richtsbarkeit in anderen Faͤllen geltende Grund: 
ſatz, daß die einmal begründete Zuſtändigkeit nicht 
durch die ſpaͤtere Veränderung der Umſtände be 
rührt wird, auf denen ſie beruht, wird auch hier an⸗ 
zuwenden fein, da das Muft®. keine abweichende 
Beſtimmung hält. Wurde die Neuanmeldung und 
Niederlegung vom unzuſtändigen Gerichte entgegen⸗ 
genommen und wird dann eine Verlängerung der 
1 bei dieſem beantragt, ſo iſt der Antrag ab⸗ 
zuweiſen. Da kein Muſterſchutz beſteht (ſ. oben J 1), 
kann auch keine Verlängerung verlangt werden. 

2. Die Geſchäftsfähigkeit, Perſönlichkeit und 
Vertretungsbefugnis des Antragſtellers. Hierfür 
gilt das oben 12 Geſagte. Hervorgehoben werden 
ſoll nur das Folgende: 

Auch der Antrag auf Ausdehnung der Schutz⸗ 
friſt ſowie jede andere Anmeldung, auſ welche eine 
Eintragung oder ein Vermerk im Regiſter zu er⸗ 
folgen hat, bedarf bei ſchriftlicher Einreichung der 
im 8 5 der ReichskBek. vom 29. Februar 1876 
vorgeſchriebenen Beglaubigung.) Sie find „An: 
träge auf Eintragung in das Muſterregiſter“ i. S. 
des genannten § 5. 8 5 iſt allgemein voraus⸗ 
geſchickt und bezieht ſich ſowohl auf 8 6 wie auf 
89 der ReichskBek. vom 29. Februar 1876. Es 
kann nicht angeführt werden, die Eintragung der 
Verlängerung brauche nicht beantragt zu werden. 
Bei der Neuanmeldung braucht die Eintragung 
auch nicht beantragt zu werden. Der Eintrag 
erfolgt auch hier von Amts wegen. Es genügt 
die Anmeldung und Niederlegung des Muſters !°) 

16) Vgl. hierzu Seuff A. Bd. 66 Nr. 110; Recht 1907 
S. 500; Bay 3fR. 1909 S. 79 und 99ff.; 8 12 808.; 
829, 37 11 HGB.; 8 16 Unl WG. 

17) Anderer Anſicht KG. Entſch. vom 3. Mai 1912 
(ſ. RIA. Bd. XII S. 122 ff.). 

15) Wenn daneben die ſachlichen Vorausſetzungen 
vorliegen, daß das Muſter neu und eigentümlich, ein 
hiernach gefertigtes Erzeugnis noch nicht verbreitet 
iſt, daß der Anmeldende der Urheber oder deſſen Rechts⸗ 


nachfolger iſt, und das Regiſtergericht die Anmeldung 
und Niederlegung für zuläſſig erachtet. Zur Erhaltung 


— —— —— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 141 


zur Erlangung des Schutzes. Der Schutz tritt 
ebenſo wie die Ausdehnung der Schutzfriſt ein, 
auch wenn die Eintragung nicht ſtattfände.“) — 
Wegen der Oeffentlichkeit des Muſterregiſters hat 
der Anmeldende an der Eintragung in beiden 
Fällen das gleiche Intereſſe. — Die Beglaubigung 
hat den Zweck, die Perſon des Antragſtellers außer 
Zweifel zu ſtellen. Das Bedürfnis hiernach be⸗ 
ſteht auch bei dem Antrage auf Schutzfriſtaus⸗ 
dehnung. Es iſt nicht einzuſehen, warum nur bei 
der Neuanmeldung, nicht aber bei anderen An⸗ 
tragen Beglaubigung notwendig fein fol. Auch 
ſonſt bedürſen alle Anmeldungen zum Regiſter⸗ 
gericht (z. Handelsregiſter, Genoſſenſchaftsregiſler, 
Vereinsregiſter, Güterrechtsregiſter) der Beglaubi⸗ 
gung. Dieſer immer wieder ausgedrückte Grund⸗ 
fatz ſpricht ebenfalls für meine Auslegung des $ 5 
der ReichskBek. vom 29. Februar 1876. 

Ein nicht beglaubigter Antrag auf Ausdehnung 
der Schutzfriſt iſt daher abzuweiſen, auch wenn 
dadurch das Recht verloren gehen ſollte, Ver⸗ 
längerung zu verlangen. Hat Uebergang des Rechts 
des Urhebers flattgefunden und beantragt der 
Rechtsnachfolger die Ausdehnung der Schutzfriſt, 
ſo hat ſich der Antragſteller durch Erbſchein, Vor⸗ 
legung einer in öffentlicher Urkunde enthaltenen Ver⸗ 
fügung oder durch Nachweis des Vertrags betreffend 
die Uebertragung des Urheberrechts als Berechtigter 
auszuweiſen, denn Veränderungen in der Perſon 
des Rechtsinhabers brauchen nicht zum Muſter⸗ 
regiſter angemeldet und eingetragen zu werden. 
Für das Regiſtergericht gilt zunächſt der einge⸗ 
tragene urſprünglich Anmeldende als Berechtigter 
(ſ. außerdem unter 

Iſt das Muſter für eine Firma eingetragen, 
ſo wird man zwar bei Veräußerung des Geſchäfts 
mit der Firma annehmen müſſen, daß das Muſter⸗ 
recht mit veräußert iſt; doch iſt es ratſam den: 
jenigen, der zur Zeit der Anmeldung und Nieder⸗ 
legung Firmeninhaber war, über den Rechtsüber⸗ 
gang einzuvernehmen. 

Die Verlängerung der Schutzfriſt iſt bekannt 
zu machen ($ 9 Abf. 6 MuſtG., § 9 Abſ. 2 der 
ReichskBek. vom 29. Februar 1876). 

Der Regiſterrichter muß ſich dabei ſchlüſſig 
machen, ob er die Verlängerung für den Einge⸗ 
tragenen oder den anmeldenden Rechtsnachfolger 
bekannt zu machen hat. Nach dem Muſterbeiſpiel 
der ReichskBek. vom 29. Februar 1876 iſt aus⸗ 
zuſchreiben: 

„In das Muſterregiſter iſt eingetragen: bei 
Nr. . . . N. N. hat für das unter Nr. . .. ein⸗ 
getragene muſter die Verlängerung der 
Schutzfriſt bis auf ... Jahre angemeldet.“ 


des Schutzes gehört noch Verfertigung der nach den 
Muſtern hergeſtellten Erzeugniſſe im In lande (8 16 
Abſ. 3 Muft®.). 

10) S. auch Allfeld, Komm. zu d. Geſ. über das 
gewerbliche Urheberrecht Anm. 2 zu 8 13 MuſtG. S. 348 
und oben Anm. la. 


Da die Bekanntmachung der Wahrheit ent⸗ 
ſprechen muß, ſo iſt die Perſon des Erwerbers, der 
anmeldet, und hiermit die Uebertragung des Muſter⸗ 
rechts zu veröffentlichen. Weil grundſätzlich nur 
Eingetragenes zu veröffentlichen iſt, ſo wird auch 
im Regiſter ein Vermerk über die Uebertragung 
des Muſterrechts zu machen ſein. Im Antrag des 
Rechtsnachfolgers auf Verlängerung der Schutz⸗ 
friſt wird der Antrag auf Vermerk des Rechts⸗ 
übergangs im Muſterregiſter liegen. Die Spalte 
„Bemerkungen“ iſt die geeignete Stelle des Re⸗ 
giſters, in die der Vermerk aufzunehmen iſt. 

Verhalten des Regiſtergerichts gegenüber An⸗ 
trägen von Pfandgläubigern auf Ausdehnung 
der Schutzſriſt ſiehe unten VI und VII. 

3. Die Frage, ob die begehrte Ausdehnung der 
Schutzfriſt zuläſſig iſt. Nach 8 8 Mufl®. wird der 
Schutz 1 bis 3 Jahre vom Tage der Anmeldung 
an gewährt. Ausdehnung auf höchſtens 15 Jahre 
kann ſtattfinden. Die Ausdehnung der Schutzfriſt 
kann bei der Anmeldung, bei Ablauf der drei⸗ 
jährigen und bei Ablauf der zehnjährigen Schutzfriſt 
verlangt werden. Nach dem Wortlaute des 8 8 
MuſtG. können daher zweifellos folgende Ber: 
längerungen begehrt werden: 

a) bei Anmeldung: Jede Ausdehnung über die 
regelmäßige dreijährige Friſt bis zu einer Geſamt⸗ 
ſchutzfriſt (einſchließlich der dreijährigen) von 15 

ahren; 

b) bei Ablauf der bei der Anmeldung verlangten 
dreijährigen Schutzfriſt: Verlangerung um jeden 
Zeitraum bis um höchſtens 12 Jahre, alſo bis auf 
eine Geſamtſchutzfriſt von höchſtens 15 Jahren; 

c) bei Ablauf der bei der Anmeldung über die 
regelmäßige dreijährige Schutzfriſt hinaus auf zu⸗ 
ſammen 10 Jahre gewährten Schutzfriſt: Ver⸗ 
längerung um jeden Zeitraum bis um höchſtens 
5 Jahre, alſo bis auf eine Geſamtſchutzfriſt von 
höchſtens 15 Jahren; 

d) bei Ablauf der Schutzfriſt, die bei Ablauf 
der dreijährigen Friſt bereits auf 10 Jahre ver⸗ 
längert worden iſt: Ausdehnung um jeden Zeitraum 
bis um höchſtens 5 Jahre, alſo auf eine Geſamt⸗ 
ſchutzfriſt von höchſtens 15 Jahren. 

Die genannten Fälle finden im Geſetze ohne 
weiteres ihre Rechtfertigung. Die zweimalige Ver⸗ 
längerung (d) iſt nach dem Geſetze zuläſſig, weil 
ſie im Einklang ſteht mit den für die Gebühren⸗ 
abſtufung beſtehenden Zeiträumen und weil das 
Geſetz nicht fagt, daß die urſprünglich begehrte 
Schutzfriſt nur einmal verlängert werden dürfe. 

Das Reichsgericht (RGZ. 46 S. 93 ff.) erachtet 
mit Rückſicht auf die Entſtehungsgeſchichte der Ver⸗ 
längerungszeitpunkte“) die Ausdehnung zu anderen 


10) Genannte Entſcheidung erwähnt hier den Antrag 
zu dem Bericht der X. Kommiſſion über den Entwurf 
(Nr. 98 und 106 der Druckſachen des Reichstags II. Legis⸗ 
laturperiode 3. Seſſion 1875). Die Beſtimmung über 
die Verlängerungszeitpunkte iſt auf Initiative des 


142 


Zeitpunkten, z. B. bei Ablauf einer urſprünglich 
auf 6 Jahre verlangten Schutzfriſt für unzuläſſig. 
Durch das Geſetz ſeien in völlig abſchließender Weiſe 
die Zeitpunkte beſtimmt, zu welchen eine Ausdehnung 
und eine weitere Ausdehnung der Schutzfriſt nach⸗ 
geſucht werden könnten. Der Annahme, daß bei 
Erlaß der Beſtimmung niemand an abweichende 
Fälle gedacht habe, mangele jeder Anhalt. 

Ob dies richtig iſt, iſt fraglich. Es ſcheint 
vielmehr im Reichstage nicht an alle Fälle gedacht 
worden zu ſein, welche der Wortlaut des ai 
zuläßt und welche er ausſchließt. Der Beiſatz über 
die Verlängerungszeitpunkte iſt im Verhaltnis zu 
den übrigen Beſtimmungen über die Ausdehnung 
der Schutzfriſt zu eng gefaßt und dürfte dem Willen 
des Geſetzgebers nicht gerecht werden. Iſt doch z. B. 
kein Zeitpunkt zur Verlängerung für den Fall 
vorgeſehen, daß bei der Anmeldung eine Schutz⸗ 
friſt von ein oder zwei Jahren begehrt wurde. Die 
Worte des 8 8 Abſ. 1 Muſt G., daß der Schutz 
ein bis drei Jahre nach Wahl des Urhebers gewährt 
werden kann, ſagen nicht, daß, wenn der Urheber 
die Wahl auf ein Jahr ausgeübt hat, er noch 
Verlängerung auf drei Jahre verlangen kann. 
Gleichwohl iſt anzunehmen, daß auch bei Ablauf 
dieſer kürzeren Friſt eine Verlängerung nach dem 
Geſetze nicht ausgeſchloſſen ſein ſollte, denn die 
Gründe, die den Beiſatz über die Verlängerungs⸗ 
zeitpunkte veranlaßt haben, treffen bei dieſem Fall 
nicht zu.“!) In der Praxis wurde auch zugelaſſen, 
daß eine urſprünglich dreijährige Friſt mehrmals, 
immer wieder bei Ablauſ einer weiteren dreijährigen 
Friſt um drei Jahre verlängert wurde.“) Jeden⸗ 


Reichstags in das Geſetz aufgenommen worden. Die 
Aufnahme erſolgte, um die Schutzfriſt in organiſche 
Verbindung mit den Gebühren zu bringen und damit 
nicht jemand die zuerſt beantragte Friſt zu häuſig, etwa 
14mal, verlängern laſſen könne. Letzteres ſei ungebühr⸗ 
lich und mache auch das Muſterregiſter unüberſichtlich. 
(Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Reichs⸗ 
tags 1875-1876 Bd. 1 S. 611, Bd. 3 S. 386). 

) In der Literatur (Dambach, Muſterſchutzgeſetz 
88 Anm. 3, Alfeld a. a. O. 88 Anm. 3 S. 341) wird 
auch in dieſem Falle die Ausdehnung zugelaſſen. Die 
Verlängerung bis zu drei Jahren, wenn zunächſt nur 
eine kürzere Friſt begehrt wurde, kann nach Dambach 
und Allfeld bis zu deren Ablauf in jedem Augenblick 
verlangt werden. Der Abgeordnete, welcher den Abſ. 3 
des § 8 beantragt hat, hat ſelbſt die Verlängerung in 
den erſten drei Jahren im Auge gehabt. Denn er ſagt, 
wenn ſein Antrag angenommen werde, könne die 
Friſt fünfmal verlängert werden, nämlich in den erſten 
drei Jahren jedes Jahr, dann beim Ablaufe des dritten 
Jahres und dann beim Ablaufe des zehnten Jahres. 
(Stenogr. Bericht 1875/76 Bd. I S. 611). Daß dies 
nur eine viermalige Verlängerung bedeutet, hat er 
überſehen. Daß das Geſetz mit 88 Abſ. 1 eine Friſt 
auf Bruchteile über ein Jahr nicht ausſchließt, hat er 
dabei auch nicht berückſichtigt (ſ. a. Dambach a. a. O. 
8 8 Note 4, Allfeld a. a. O. 8 8 Note 2). 

22) Dem Wortlaute des Geſetzes dürfte es nicht 
widerſtreiten, wenn eine urſprünglich auf länger als 
drei Jahre, z. B. ſechs Jahre begehrte und eingetragene 
Schutzfriſt dei Ablauf von drei Jahren nach der An— 
meldung über die ſechs Jahre hinaus etwa bis auf im 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


falls find die Gründe nebenſächlich, die für die im 
Geſetze hervorgehobenen Verlängerungszeitpunkte 
angeführt werden. Die Bedürfniſſe des Handels 
und Verkehrs drängen zu kurzen Friſten und zur 
Möglichkeit der Verlängerung bei Ablauf, weil ſich 
nicht vorausſehen läßt, wie lange ein Muſter zug⸗ 
kräftig bleibt. Eine Abänderung des Geſetzes oder 
ausdehnende Auslegung in der Rechtſprechung ſoll⸗ 
ten dieſen Bedürfniſſen Rechnung tragen. 


Solange aber die oberen Gerichte“) am Wort: 
laute des Geſetzes feſthalten, wird der Regiſterrichter 
ihrer Geſetzesauslegung folgen müſſen. Die Ent⸗ 
gegennahme des Antrags und die Eintragung der 
Verlängerung haben keine rechtſchaffende Wirkung. 
Die Verlängerung der Schutzfriſt tritt, wenn die 
geſetzlichen Vorausſetzungen gegeben ſind, kraft Ge⸗ 
ſetzes, nicht infolge richterlicher Verfügung ein.) 
Das erkennende Gericht entſcheidet erſt, ob im ein⸗ 
zelnen Fall Muſterſchutz beſteht, wenn er beſtritten 
wird. Es iſt daher dem Antragſteller nicht gedient, 
wenn der Regiſterrichter den Beſtimmungen über 
Ausdehnung der Schutzfriſt eine weitergehende Aus⸗ 
legung gibt als die Obergerichte und Verlängerungs⸗ 
anträge zuläßt, deren Zuläſfigkeit dieſe Gerichte 
verneinen. 

Anträge auf Ausdehnung der Schutzfriſt, die 
nach den geſetzlichen Verlängerungszeitpunkten ge⸗ 
ſtellt werden, find abzuweiſen. Rechtzeitig geſtellt 
iſt der Antrag, wenn er bei dem Amtsgerichte, das 
Regiſtergericht iſt, an dem Tage einläuft, mit deſſen 
Ausgang die Schutzfriſt endigt.“) 

4. Die Zahlung der Gebühr für die Ausdehnung 
der Schutzfriſt. Zur Erlangung des Schutzes iſt 
nach 87 MuſtG. nur Anmeldung und Niederlegung 
verlangt, aber nicht bloß die Talſache des Schutz⸗ 
begehrens und die tatſächliche Niederlegung des 
Muſters, ſondern auch die Enigegennahme der An⸗ 
meldung und Niederlegung durch das Regiſtergericht. 
Das Regiſtergericht muß von der Anmeldung Kennt⸗ 
nis nehmen, ſie auf die Erfüllung der vom Regiſter⸗ 


ganzen zehn Jahre verlangt wird. Aehnlich wird bei 
Ablauf der zehnjährigen Friſt Verlängerung einer vor⸗ 
her über zehn Jahre hinaus erlangten Schutzfriſt bis 
zur geſetzlichen Höhe von fünfzehn Jahren begehrt 
werden können. 

) 283. 46 S. 93 ff., OLG. Karlsruhe Entſch. vom 
10. März 1903, ſ. Recht 1903 S. 459 Nr. 240. 

2) Der Grundſatz der 88 1, 7, 10 Muft®. iſt nach 
Geiſt und Anlage des Geſetzes auf die Verlängerung 
en analog anzuwenden; ſiehe auch RZ. 46 


25) Die Schutzfriſt endigt mit Ablauf des Tages 
des letzten Monats, welcher ſeiner Zahl nach dem Tage 
der Anmeldung entſpricht (SS 187 Abſ. 1, 188 Abſ. 2 
BGB.). Gegebenenfalls finden 88 188 Abſ. 3 und 189 
BGB. Anwendung. Iſt der letzte Tag ein Sonntag 
oder Feiertag, dann wird dem Verlängerungsantrag 
auch die Beſtimmung des 8 193 BGB. zugute kommen. — 
Erheblich früher einlaufende Anträge werden als vers 
früht zurückzugeben ſein. Sonſtige vorzeitig eingelaufene 
Anträge werden (abgeſehen von der Zahlung der Ge⸗ 
bühr ſiehe II4) wirkſam fein, wenn fie bei Ablauf der 
Schutzfriſt noch beſtehen. 


gericht zu beobachtenden Erforderniſſe (ſiehe oben I) 
prüfen und ſich ſchlüſſig machen, ob die Anmeldung 
zuläſſig oder abzuweiſen iſt.“) 

Ebenſo iſt es bei dem Antrage auf Ver⸗ 
längerung der Schutzfriſt. Auch hier gehört zur 
Wirkſamkeit des Antrags, daß das Regiſtergericht 
nach Prüfung der geſetzlichen Erforderniſſe den 
Antrag für zuläſſig erachtet. 

12 Erfordernis für den Verlängerungs⸗ 
antrag iſt — außer ordnungsmaßiger urſprüng⸗ 
licher Anmeldung und Niederlegung (. am Schluſſe 
bei „Oeffnung der Muſterpakete“), und Einhaltung 
des geſetzlichen Zeitpunkts zur Antragſtellung ſowie 
Ordnungsmäßigkeit des Ausdehnungsantrags ſelbſt 
(I 1 und 2) — die Zahlung der Gebühr. Wenn 
die Gebühr auch nicht als Entgelt für den Schutz, 
ſondern für die mit der Einregiſtrierung und Auf⸗ 
bewahrung verknüpfte Mühewaltung entrichtet 
wird (Motive zu 8 11 des Entw.; Sten. Ber. 


über die Verhandlungen des Reichstags 1875 bis 


1876 Bd. 1 S. 610 und Bd. 3 S. 79), fo iſt 
in 8 8 des Geſetzes doch vorgeſehen, daß gegen 
Zahlung der geſetzlich beſtimmten Gebühr die Aus⸗ 
dehnung der Schutzfrift verlangt werden kann. 
Dieſer Geſetzesſtelle läßt ſich auch unter Heran⸗ 
ziehung des 8 12 Muft®. kein anderer Sinn geben, 
als daß die Verlängerung der Friſt eben nur be: 
anſprucht werden kann, wenn gleichzeitig die Ge⸗ 
bühr bezahlt wird.“) Wer nicht zahlt, iſt nicht 
berechtigt zu verlangen. Die Wirkſamkeit des 
Ausdehnungsantrags iſt alſo von der Zahlung der 
Gebühr abhängig. Die Kehrſeite dieſer Einſchrän⸗ 
kung iſt die Befugnis des Regiſtergerichts die Zu⸗ 
laſſung des Antrags von der Zahlung der Gebühr 
abhängig zu machen.“) Wird die Gebühr dann 
nicht alsbald bezahlt, ſo iſt der Verlängerungs⸗ 
antrag abzuweiſen. 

Bei Anmeldung und Niederlegung mehrerer 
Muſter in Paketen kann ſelbſtverſtändlich die Ver⸗ 
längerung der Schutzfriſt auch nur für einzelne der 
niedergelegten Muſter begehrt werden. Der An⸗ 
trag auf Beſchraͤnkung der Schutzfriſt kommt dem 
Verzicht auf das Schutzrecht gleich. Letzteres ſiehe 
unter IV. (Schluß folgt). 

#6) Der geſetzliche Schutz wird nicht erlangt, wenn 
das Regiſtergericht die mitwirkende Tätigkeit verweigert, 
weil es die Erforderniſſe der Anmeldung und Nieder⸗ 
legung nicht erfüllt erachtet. Der Antragſteller muß 
ihn ſich im Wege der Beſchwerde erſt erwirken (ſiehe 
unten VIII 15 

11) S. hiefür KGEntſch. vom 19. Juli 1905 (Recht 
1906 S. 76 Nr. 140; RJ A. Bd. VI S. 122); Obs G. 
vom 16. Oktober 1901 (Samml. Bd. II S. 625); dagegen 
RG. Z. 46, 93 ff. am Schluſſe. 

38) Die Bayer. MBel. vom 23. März 1900 (JM Bl. 
1900 S. 613) ordnet an: Wird eine Verlängerung der 
Schutzfriſt beantragt, ſo iſt die Eintragung in das 
Muſterregiſter von der vorherigen Einzahlung der Ge⸗ 
bühr abhängig zu machen. Aehnlich Preuß MO. 
vom 21. Februar 1900. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 143 


leber Etrafvollſtreckung. 


Bon Edmund Fumian, Amtsrichter in Straubing. 


(Schluß.) 

VI. Strafzeitberechnung. Gewöhnlich iſt 
die Berechnung nur eine Addition. Einfach iſt auch 
die Berechnung bei Straſunterbrechungen, wo für 
den Reſt der Zeitpunkt des urſprünglichen Beginns, 
d. h. die Geſamtdauer maßgebend bleibt, welche 
ſich bei ununterbrochener Vollſtreckung vom Tag 
des urſprünglichen Beginns an berechnet haͤtte 
(OLG. M. 2, 561). In dem hier behandelten Fall 
hatte A 1 Mt. Gefängnis und 10 Tg. Haft zu er⸗ 
ſtehen; er trat die Strafe am 9. Februar 1883 
vorm. 65) Uhr an; am 27. Februar 1883 nachm. 
2 Uhr erfolgte die Strafunterbrechung und am 
19. Auguſt 1883 vorm. 8 / Uhr der Antritt des 
Reſtes. Die Gefaͤngnisſtrafe wäre verbüßt geweſen 
am 9. März 1883 vorm. 6 ½ Uhr. Die Zeit bis 
dorthin beträgt kalendermäßig 28 Tg. Davon 
waren verbüßt 18 Tg. und 8 Std., jo daß die 
noch zu verbüßende Dauer 9 Tg. 16 Std. aus⸗ 
machte. Das Strafende fiel ſonach auf 29. Auguſt 
1883 morgens 12 ½ Uhr (nicht 28. Auguſt, wie 
die Entſcheidung verſehentlich angibt). 

Das Schreckensgeſpenſt iſt die Berechnung der 
Strafzeit bei Geſamtſtrafen. Ueberein⸗ 
ſtimmend wird anerkannt, daß die Einzelſtrafen 
in einem Urteile, das mehrere Straftaten behandelt 
und gemaͤß $ 74 StGB. eine Geſamtſtrafe ausſpricht, 
für ſich nicht vollſtreckt werden können, weil ſie 
keine Selbſtändigkeit beſitzen. Wird daher ein ſolches 
Urteil auch nur teilweiſe angefochten, ſo iſt eine 
Vollſtreckung im übrigen nicht möglich; das gleiche 
gilt bei teilweiſer Unterwerfung (Bay Ob“ G. 3, 51; 
5,213; 10,70; RGSRſpr. 2, 187; Entſch. 25. 809). ) 

Dagegen iſt unrichtig, anzunehmen, daß eine 
früher erkannte Strafe (Einzel⸗ oder Geſamtſtraſe), 
die nach 8 79 StGB. oder $ 492 StPO. zur Bil⸗ 
dung einer Geſamtſtrafe verwendet wurde, bis zur 
Rechtskraft des fpäteren Urteils oder Beſchluſſes 
nicht vollſtreckt werden dürfe. Die Ueberſchrift, unter 
der die Entſcheidung des Ob“ G. vom 12. Januar 
1905 (Amtl. Sammlung 5, 213) in Bay 3fR. 1905 
S. 109 mitgeteilt wird, ſagt zuviel. In jener Ent⸗ 
ſcheidung iſt die Rede nur von Einzelſtrafen eines 
Urteils, die in dieſem ſelbſt gebildet wurden. Steht 
die Bildung einer Geſamtſtrafe in Ausſicht, ſo kann 
es unter Umſtänden angezeigt ſein, die Vollſtreckung 
der Einzelſtrafe aufzuſchieben; dagegen muß eine 
begonnene Straſvollſtreckung nicht unterbrochen 
werden (RGRſpr. 5, 133, Autogr. JME. vom 
25. Januar 1907 Nr. 46 369). Schwierigkeiten 
können entſtehen, wenn gegen einen Strafgefangenen 
eine Geſamtſtrafe zu bilden iſt, das Urteil aber 
erſt nach Verbüßung der Einzelſtrafe rechtskräftig 
wird. Gegen A wurden z. B. rechtskräftig 3 Wochen 


) Bol. jedoch auch KG. in Goltd Arch. 56, 339 und 
die Begründung zu RG. 39, 275 f. (Anm. des Heraus- 
gebers). 


144 


Gefängnis erkannt, die er feit 1. Januar 1913 
vorm. 8 Uhr verbüßt. Am 18. Januar 1913 wird 
er wegen einer anderen Straftat unter Einbeziehung 
jener erſten Strafe zur Geſamtgefängnisſtrafe von 
4 Wochen verurteilt. Der Amtsanwalt verzichtet 
auf ein Rechtsmittel, der Angeklagte unterwirft ſich, 
iſt aber minderjährig; das Urteil wird erſt mit 
dem Ablaufe des 25. Januar 1913 rechtskräſtig. 
Die 3 Wochen Gefängnis endeten aber bereits am 
22. Januar 1913 vorm. 8 Uhr. Beſteht Flucht⸗ 
verdacht, ſo iſt mit einem Haftbefehl abgeholfen, 
der ſich an die Vollſtreckung der erſten Strafe 
anſchließt. Die Unterſuchungshaft wird nach 8 482 
StPO. angerechnet. Das Ergebnis entſpricht alſo 
der regelmäßigen Abwickelung. 

Beträgt die Geſamtſtrafe weniger als der Zeit⸗ 
raum vom Antritt der erſten Strafe bis zum Ein⸗ 
tritt der Rechtskraft des |päteren Urteils, jo iſt der 
Verurteilte freizulaſſen. Angenommen z. B. das 
Urteil vom 18. Januar 1913 ſpräche eine Ge⸗ 
ſamtſtrafe von 23 Tagen aus; das Strafende 
fiele dann auf den 24. Januar 1913 vormittags 
8 Uhr, während das zweite Urteil erſt am 
25. Januar 1913 nachts 12 rechtskräftig wird. 
Hier müßte A am 24. Januar 1913 vorm. 8 Uhr 
freigelaſſen werden. Liegen die Vorausſetzungen 
für die Verhaftung nicht vor, ſo muß in Faͤllen 
ſolcher Art die Entlaſſung mit Ende der erſten 
Strafe erfolgen und der noch nicht verbüßte Teil 
der Geſamtſtrafe nachträglich vollſtreckt werden. 

Das die Geſamtſtrafe ausſprechende Urteil wird 
durch die inzwiſchen erfolgte Verbüßung der erſten 
Strafe nicht berührt, weil für die Anwendung des 
§ 79 StGB. der Tag der Verkündung des letzten 
Urteils, nicht aber deſſen Rechtskraft maßgibt 
(RGE. 32, 8). 

Für den Strafort kommt es nicht darauf an, 
zu welcher Strafe jemand verurteilt wird, ſondern 
welche Strafe er noch zu erſtehen hat. A hat z. B. 
2 Monat Gefängnis erhalten, die er ſeit 1. Ja⸗ 
nuar 1913 vorm. 8 Uhr verbüßt. Mit Urteil 
vom 20. Februar wird unter Einbeziehung dieſer 
Strafe auf eine Geſamtgefängnisſtrafe von 4 Mo⸗ 
naten erkannt, die an ſich in einer Strafanſtalt 
zu vollziehen wäre. Infolge Rechtmittelverzicht iſt 
das Urteil ſogleich rechtskräftig. Nun iſt aber nur 
mehr ein Strafreſt zu vollſtrecken, der weniger als 
3 Monate beträgt, daher in einem Gerichtsgefängnis 
zu verbüßen iſt (vgl. Art. 23 ff. AG. StPO., ſ. a. 
die Bek. v. 28. Januar 1903, JM Bl. ©. 42). 

Die bis zur Rechtskraft des letzten Urteils 
verbüßte Strafe iſt abzuziehen, allenfalls nach Um⸗ 
wandlung ($ 21 StGB.), wenn das ſpätere Urteil 
eine höhere Strafart ausſpricht. Dieſe Anordnung 
ſoll das Urteil bereits enthalten, ob im verfügenden 


Teile oder in den Gründen, iſt gleichgültig (beſtritten). 


Die Anordnung wird ſich indes nicht darauf er— 
ſtrecken, daß die bis dorthin verbüßte Strafe tat: 
ſächlich umgewandelt und abgerechnet wird, ſondern, 
daß z. B. ausgeſprochen wird, „die bis zum Ein⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


tritte der Rechtskraft verbüßte, gemäß § 21 StGB. 
in Zuchthaus umzuwandelnde Gefängnisſtrafe iſt 
abzurechnen“ (RGRſpr. 5, 132). Enthält das 
Urteil einen ſolchen Ausſpruch nicht, ſo darf der 
Vollſtreckungsbeamte ſelbſtverſtändlich nicht darüber 
hinweggehen (BayOb G. 2, 186; 1, 114; RG. 
Entſch. 2, 198; 8, 63; Rſpr. 5, 130; 8, 4). 

Die Berechnung der Strafzeit ſelbſt iſt ſehr 
umſtritten. 

1. Das bayer. Oberſte Landesgericht geht 
davon aus, daß die Strafvollſtreckung nur auf Grund 
eines rechtskräftigen Entſcheids ſtattfinden könne, 
daher der Beginn des Vollzugs der Geſamtſtrafe 
auf einen anderen Zeitpunkt als den der Rechtskraft 
des letzten Urteils nicht verlegt werden dürfe. 
Darnach iſt 

a) die geſamte Strafzeit vom Eintritt der Rechts⸗ 
kraft des letzten Urteils ab feſtzuſetzen, 

b) die bisher verbüßte Strafe nach Tagen und 
Tagesbruchteilen zu berechnen, 

c) der nach b gewonnene Betrag vom berech⸗ 
neten Strafende zu rück zurechnen, allenfalls nach 
Umwandlung gemäß $ 21 StGB. 

Daraus ergibt ſich das Strafende. (OLG. M. 
2, 415; BayObLG. 2, 186; 3, 91; 4, 4 und 
die dort. Zit.; 7, 200; 9, 267, 273). 

2. Nach dem Reichsgerichte iſt die Strafe 
als einheitlich zu betrachten und ſoll deshalb auch 
der Vollzug ſo in die Erſcheinung treten; wie die 
Einzelſtrafe in die Geſamtſtrafe, ſo geht der Vollzug 
der Einzelſtrafe in die Vollſtreckung der Geſamt⸗ 
ſtrafe über. 

Hiernach wird der Beginn der Geſamtſtrafe 
auf den Straſantritt verlegt (ſ. Gerichtsſaal 65, 32; 
BlfRA. 70, 471; Bay ZfR. 1906, 80; 1905, 304). 

Die Berechnung des BayObLG. iſt umſtänd⸗ 
licher und bringt unerfreuliche Ueberraſchungen mit 
ſich, ſo daß der Praktiker ſie nicht ungern ſcheiden 
jähe. Sie iſt aber logiſch und im Geſetze begründet 
(8 481 StpoO.). 

Auch bei der Strafzeitberechnung nach den 
Grundſätzen des RG.s find Schwierigkeiten nicht zu 
vermeiden; ſo wenn „der Ueberleitung des Straf⸗ 
vollzugs“ der Umſtand entgegenſteht, daß die Einzel⸗ 
ſtrafe verbüßt iſt, ehe das letzte Urteil rechtskräftig 
wird, oder wenn dies eine höhere Strafart ausſpricht. 

VII. Unterſuchungshaft. Als Unter⸗ 
ſuchungshaft (= UH.) im weiteſten Sinn wird be 
zeichnet die Freiheitsentziehung, die „aus Anlaß 
einer präſumptiv verübten ſtrafbaren Handlung 


gegen den Urheber derſelben zum Zwecke und während 


| 


| 
| 


der Unterſuchung von der dazu berufenen Behörde 
ins Werk geſetzt iſt“, gleichviel ob ein Haftbefehl 
vorliegt oder nicht (Oppenhoff Note 1 zu § 60 
StGB., BayObLG. 2, 193). 

Den Kern bildet die UH. nach 88 112—126 
StPO. Aber auch ſie intereſſiert hier nur ſoweit, 
als fie mit Fragen der Straſfvollſtreckung zu: 
ſammenhängt. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


Für dieſe Haft iſt Vorausſetzung ein Haftbefehl; 
er wird auch bei Ueberweiſung an die Landespolizei⸗ 
behörde nicht überflüſſig (Os G. M. 7, 424; Bay ZfR. 
1907 S. 365). 

Der Haftbefehl wird entweder in Abweſenheit 
des Beſchuldigten erlaſſen und iſt dann zuzuſtellen 
(8 35 Abſ. 2 StPO.) oder in feiner Anweſenheit 
und iſt dann zu verkünden (8 35 Abſ. 1 StPO.). 
Auf Bekanntgabe kann verzichtet werden, da die 
Gründe, welche für den Ausſchluß eines ſolchen 
Verzichts in anderen Fällen ſprechen — vgl. z. B. 
RG. Rſpr. 1, 118; Entſch. 31, 398 —, hier nicht 
zutreffen. Ein Verzicht auf Verkündung iſt aller⸗ 
dings nicht recht denkbar. 

Die Wirkſamkeit der Verhaftung hangt von 
ordnungsmäßiger Bekanntmachung nicht ab (RG. 
Rſpr. 8, 424). 

Die Vollſtreckung beſteht in einer Freiheits⸗ 
entziehung beſonderer Art (8 116 StPO.). Der 
Beginn der US. richtet ſich nach der behördlichen 
Verfügung (Invollzugſetzung) in Verbindung mit 
der tatſächlichen Verwahrung als Unterſuchungs⸗ 
gefangener. Bei Ergreiſung auf Grund eines bereits 
erlaſſenen Haftbefehls Steckbriefe) beginnt die UH. 
mit dieſem Zeitpunkt. 

Vielfach beſteht die Uebung, andere Gerichte 
um „Vollſtreckung“ eines Haftbefehls zu erſuchen. 
Dies iſt nicht richtig. Die Vollſtreckung kann ohne 
weiteres unmittelbar veranlaßt werden (88 36, 159, 
187 StPO.). Die Bekanntgabe aber iſt nicht 
Gegenſtand gerichtlicher Rechtshilfe (RG. 26, 338). 

Grundſatzlich iſt nicht ausgeſchloſſen, daß meh⸗ 
rere Haftbefehle nebeneinander vollſtreckt werden. 
Dies widerſpricht aber dem Sinne des Geſetzes. 
Findet eine Verwahrung bereits ſtatt, ſo iſt keine 
Flucht oder Kolluſionsgefahr mehr gegeben. Prak⸗ 
tiſch führt dies auch zu Unzuträglichkeiten. An⸗ 
genommen, es ſeien die in mehreren Strafverfahren 
erlaſſenen Haftbefehle gleichzeitig vollſtreckt und der 
Angeklagte in jedem dieſer Verfahren verurteilt 
worden; wie ſteht es nun mit der Reihenfolge des 
Strafvollzugs? Es liegt die Gefahr doppelter An⸗ 
rechnung der US. nach 8 60 StGB. nahe. Die 
Praxis hat ſich daher meiſt für den Anſchluß⸗ 
haftbefehl entſchieden. 

Bei Verbindung von Strafverfahren iſt wegen 
der einzelnen Handlungen nur ein (gemeinſamer) 
Haftbefehl zuläſſig. Er muß ſich aber nicht auf 
alle Handlungen erſtrecken; ſo können bei einzelnen 
die Vorausſetzungen fehlen (vgl. 8 113 StPO.). 
Die gegenteilige Anſchauung würde z. B. im Falle 
des 5 126 StPO. zur unmittelbaren Geſetzes⸗ 
umgehung führen; man dürfte nur wegen der 
einzelnen Handlungen geſonderte, im Anſchluß an⸗ 
einander vollziehbare Haftbefehle erlaſſen. Anders, 
wenn erſt ſpäter die Anſchuldigung wegen einer 
weiteren Tat hinzutritt und die Verfahren ver⸗ 
bunden werden. Umfaßt ein ſolcher gemeinſamer 
Haftbefehl Straftaten verſchiedener Qualifikation, 
ſo iſt bei Ablauf der Friſt des $ 126 StPO. hin⸗ 


— 


145 


ſichtlich eines Teils eine teilweiſe Aufhebung nicht 
nötig; ſie wird in der Praxis auch nicht geübt.“) 

Daß UH. und Strafhaſt nicht nebeneinander 
vollzogen werden können, ergibt ſich aus der Ver⸗ 
ſchiedenheit beider. Die Abgrenzung beider gegen⸗ 
einander richtet ſich nach der Willensäußerung der 
beteiligten Behörden und den auf Grund dieſer 
getroffenen Anordnungen. Solange eine Willens⸗ 
kundgebung der zuſtändigen Behörde nicht vorliegt, 
bleibt der bisherige Zuſtand. Auf die Form der 
Kundgabe kommt es nicht an (OLG. M. 7, 426; 
3, 142; 2, 403). 

Jedoch iſt eine zweifelhafte Erklärung zur Unter⸗ 
brechung nicht zureichend; es genügt auch nicht die 
bloße Erklärung, daß von einem gewiſſen Zeitpunkt 
an die UH. als us zu gelten habe und 
umgekehrt (OLG. M. 1, 135). 

Die Entſcheidung in A 2, 456, der auch 
Löwe folgt, ift nicht annehmbar. Nicht darauf 
kommt es an, daß der Wille der zuſtändigen Be⸗ 
hörde auf Aufrechterhaltung des Zuſtandes bewieſen 
werden müſſe. Vielmehr muß er angenommen 
werden, ſolange ſich nicht das Gegenteil ergibt 
OLG. M. 1, 268; 2, 392). Die von Löwe an⸗ 
geführten Entſcheidungen des OLG. M. 3, 142, 
579 7, 424 ſprechen nicht für die dort vertretene 
Anſchauung. Die Entſch. 3, 579 trifft überhaupt 
nicht zu. Die beiden anderen nehmen aber zur 
Grundlage, daß der Wille der zuſtändigen Behörde 
auf Unterbrechung der bisherigen Haft gehe. Das⸗ 
ſelbe gilt für die Abgrenzung mehrerer Haftbefehle 
gegeneinander. Daraus ergibt ſich, daß dann, 
wenn eine Strafe vollſtreckt werden ſoll, die laufende 
UH. unterbrochen werden muß, außer es handelt 
ſich um die in derſelben Sache verhängte Haft 
(BayObLG. 7, 352). Wird die Strafe ohne dieſe 
Anordnung vollftredt, jo gilt dies trotzdem als 
Strafverbüßung (BayObLG. 5, 248); im Zweifels⸗ 
fall iſt die dem Angeklagten günftigfte Auslegung 
zu wählen. 

VIII. Zur Anwendung des 8 60 StGB. 
Der Begriff der UH. iſt im vorigen Abſchnitt be⸗ 
ſprochen worden; darnach tft anrechnungsfähig die 
Freiheitsentziehung, welche gegen den Beſchuldigten 
durch eine zur Strafverfolgung berufene Behörde 
zwecks Förderung der Unterſuchung verhängt wird 
(OLG. M. 10, 153). 

Sonach iſt nicht nur anrechnungsfähig die UH. 
der 88 112— 126, 128 StPO., ſondern auch die der 
88 229, 235, 370 a. a. O. und die Zeit der Gefangen⸗ 
haltung auf Grund vorläufiger Feſtnahme nach 
8 127 a. a. O., ſowie die Zeit, während derer 
ein aus dem Arbeitshaus zur Aburteilung in ein 
Gerichtsgefängnis Ueberſtellter in dieſem verwahrt 
wird, oder die Zeit einer Verwahrung nach 88 135, 
230 StPO. 

Nicht e kann werden (a. M. Olshauſen) 


) Hinsichtlich der Aufhebung überhaupt vgl. 88 123, 
126, 130 StBD. 


146 


die Zeit der Vorführung nach 88 133, 134, 229 ®, 
235, 370, 427 StPO. Hier liegt keine Freiheits⸗ 
entziehung vor. die man bei weiteſter Ausdehnung 
des Begriffes UH. als ſolche bezeichnen könnte. 
Die Freiheitsbeſchränkung iſt auch nicht das Ziel 
der Handlung, vielmehr eine Begleiterſcheinung. 
Denn die Vorführung läßt ſich ohne die Beſchränkung 
der Freiheit des Vorzuführenden nicht bewirken. 
Hier beſteht auch kein Anlaß zur Anrechnung, da 
der Beſchuldigte ohne Zwangsmaßregeln dieſelbe 
Zeit hätte aufwenden müſſen. 

Erfolgt eine Vorführung im Anſchluß an eine 
vorläufige Feſtnahme oder waͤhrend der Dauer 
einer U., jo iſt die Zeit anzurechnen, da die 
Verwahrung noch ſortdauert. Ebenſo dann, wenn 
ſich an die Vorführung eine Verwahrung anſchließt 
und eine Abgrenzung nicht möglich iſt; z. B. im 
Falle des 8 135 StPO. (vgl. hiezu das RG. vom 
14. Juli 1904, die Entſchädigung für unſchuldig 
erlittene UH. betr., wo als UH. die Haft der 88 112, 
114, 125, 128“, 129, 131, 229, 235, 370 StPO. 
angeſehen wird, dagegen nicht die Vorführung, 
allerdings auch nicht die vorläufige Feſtnahme, 
außer es ſchließt ſich die Verhaftung daran). Anrech⸗ 
nungsfähig iſt ſelbſtverſtändlich nur die UH. vor 
der Urteilsverkündung (OLG. M. 2, 415) ſowie 
die Haft, welche der Verurteilte in dem Straf: 
verfahren erlitt, das zur Verurteilung führte (OLG. 
M. 2, 111; 3, 579; 10, 236; RG. 31, 245). 

Dieſe Vorausſetzung if bei Verbindung von 
Strafverfahren auch dann gegeben, wenn die Ver⸗ 
urteilung wegen einer anderen Handlung erfolgt, 
als der, wegen derer die Haft verhängt iſt, und 
bezüglich dieſer das Verfahren eingeſtellt wird (RG. 
Entſch. 30, 182: Rſpr. 3, 126; 4, 850). 

Unter allen Umſtänden muß aber ein gemein⸗ 
ſchaftliches Verfahren vorliegen; dieſes wird nicht 
ſchon dadurch geſchaffen, daß nach 8 8 79 StGB. 
eine früher erkannte Strafe zur Bildung der Ge⸗ 
ſamtſtrafe verwendet wird. Eine im früheren Ur⸗ 
teile angeordnete Anrechnung iſt natürlich zu be⸗ 
achten (BayziR. 1905 S. 513; RG. 31, 244). 

Die Anrechnung iſt an ſich auch bei der Ver⸗ 
urteilung wegen einer Straftat möglich. wegen 
derer doppelte Haft vorliegt, d. h. in einem 
Falle, in dem die U. gleichzeitig in zwei Unter⸗ 
ſuchungen verhängt iſt. Hier iſt bei dem ſpä⸗ 
teren Urteilsſpruch zu beachten, ob und wieweit 
etwa ſchon im vorangehenden Erkenntniſſe von der 
Befugnis des 8 60 a. a. O. Gebrauch gemacht wurde 
(RGRſpr. 4, 850). 

Der Ausſpruch über Anwendung des § 60 a. a. O. 
muß ſich im Urteile finden; eine nachträgliche Er⸗ 
gänzung iſt ausgeſchloſſen. Der rechtskräſtige Aus⸗ 
ſpruch iſt aber auch dann zu beachten, wenn er, 
von Schreibfehlern abgeſehen, unrichtig iſt. 

Durch die angerechnete UH. gilt der entſprechende 
Strafteil als verbüßt. 

Ueber die Art der Anrechnung beiteben zwei 
Anfichten: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


| 


a) Es liegt eine vorweggenommene Strafhaft vor. 
Es wird zunächſt berechnet, wieviel die anzurechnende 
UH. ausmacht und dies von der Strafe abgezogen; 
der Reſt iſt zu vollſtrecken. Bei Anrechnung der 
vollen Haft wird als Strafbeginn der Anfang der 
UH. betrachtet (ſ. BayziR. 1907 S. 167). 

b) Die Strafzeit iſt von dem Eintritt der Rechts⸗ 
kraft des Urteils zu berechnen und von dem hier⸗ 
nach ſich ergebenden Strafende die Dauer der an⸗ 
zurechnenden UH. zurückzurechnen (RG. 29, 76; 
O8. M. 2, 415; 3, 136; BlfRA. 72, 377). 

Die erſte Meinung bringt die einfachere Be⸗ 
rechnung, die letztere iſt überzeugender begründet. 

Die Anrechnung geſchieht zum vollen Werte 
ohne . nach 8 21 StB. (BayObLG. 
6, 170 

Auch gibt es keine Ausſcheidung auf die Einzel⸗ 
ſtrafen einer Geſamtſtrafe (8 74 StGB.). Iſt aber 
eine Strafe, auf welche nach dem Urteil UH. an⸗ 
zurechnen iſt, in einem ſpäteren Urteile aufgegangen, 
das eine höhere Strafart ausſpricht, ſo muß 
die Umwandlung der (durch die UH. ganz oder 
teilweiſe verbüßten) Strafe und damit die nur ver⸗ 
haͤltnismäßige Anrechnung der UH. eintreten. Da⸗ 
bei wird die UH. nicht in der vollen Höhe berück⸗ 
ſichtigt, in der ſie auf die Einzelſtrafe anzurechnen 
wäre, ſondern nur nach dem Verhältniſſe der Einzel⸗ 
ſtrafe zur Geſamtſtrafe. Angenommen es iſt auf 
2 Mt. Gefängnis erkannt. Ein ſpäteres Urteil 
erkennt, unter Einſatz von 1 Mt. 10 Tg. Gefängnis 
für die neue Tat, auf eine Geſamtgefängnisſtrafe 
von 3 Monaten. Auf die neuerkannte Straſe 
ſoll die in dieſer Sache erlittene UH. (von 2 Mt.) 
angerechnet werden. Selbſtverſtändlich find nicht 
2 Mt. für verbüßt zu erachten, auch nicht 1 Mt. 
10 Tg., ſondern nur der entſprechende Teil (RG. 
in BayZ3fR. 1905 S. 513). 

IX. Die Nachhaft des 8 482 StPO. 
8482 StPO. beſtimmt, daß auf die zu vollſtreckende 
Freiheitsſtrafe unverkürzt diejenige UH. anzurechnen 
ſei, welche der Angeklagte erlitten hat, ſeit er auf 
Einlegung des Rechtsmittels verzichtete oder das 
eingelegte Rechtsmittel zurücknahm oder ſeitdem 
die Rechtsmittelfriſt verſtrich, ohne daß er eine Er⸗ 
klaͤrung abgab. 

Der Begriff der UH. iſt oben unter VII er: 
örtert. Deshalb iſt auch das dort Geſagte ent⸗ 
ſprechend anzuwenden. Hieher gehört auch der Fall, 
daß ein aus dem Arbeitshaus zur Aburteilung in 
ein Gefängnis überſtellter Angeklagter in dieſem ver⸗ 
wahrt wird (BayObLG. 2, 192; OLG. M. 3, 442). 

In 8482 St BD. iſt nicht die Rechtskraft des Ur: 
teils ins Auge gefaßt, ſo daß die Beſtimmung auch 
Anwendung findet, wenn der Staatsanwalt ein erfolg: 
loſes Rechtsmittel einlegte oder ein Rechtsmittel 
einlegte und dann zurücknahm (BayObLG. 4, 70). 
Der Satz gilt auch für die Berufungsinſtanz und 
im Falle der Zurückverweiſung der Sache ans Erſt⸗ 
gericht. 

Der Zweck der Vorſchrift ergibt, daß ſie un⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 147 


anwendbar wird, wenn der Angeklagte ſelbſt die 
Verzögerung der Vollſtreckbarkeit herbeiführte, z. B. 
ſich zuerſt dem Urteile unterwarf, dann aber die Er⸗ 
klaͤrung (erfolglos) widerrief und eine Entſcheidung 
des Obergerichts veranlaßte (BayObLG. 4, 370; 70). 

Eine Lücke des Geſetzes iſt es, daß die An⸗ 
wendung des $ 482 a. a. O. verſagt, wenn vom 
8 ae ein erfolgreiches Rechtsmittel eingelegt 
wurde. 

Im übrigen iſt das zu 8 60 StGB. (Ziff. VIII) 
Geſagte entſprechend anzuwenden. Eine Anrechnung 
findet daher z. B. dann nicht ſtatt, wenn ein Ur⸗ 
teil, das eine Geſamtſtraſe ausſpricht, auch nur teil⸗ 
weiſe angefochten wird (Bay Obs G. 3, 51; 5, 214) 
oder die UH. in einem anderen Strafverfahren ver: 
büßt wurde (OLG. M. 2, 111). Dagegen iſt die 
Anrechnung auch bei Doppelhaft möglich. Sie 
erfolgt ganz, nicht erſt nach Umwandlung (Bay Obe. 
6, 172). Auch in den Fällen des $ 79 StGB. 
gilt das Geſagte. Die rechtliche Natur der Ver⸗ 
wahrung von dem Eintritte der Rechtskraft des 
Urteils an bis zur Einlieferung am Strafort iſt 
beſtritten (BaygfR. 1906 S. 411). Um eine 
Strafhaft handelt es ſich nicht (vgl. oben Ziff. III); 
jedoch iſt die Verwahrung als Strafe anzurechnen. 
Von hervorragender Bedeutung iſt die Streit⸗ 
frage nicht. 

Erwähnt ſei ſchließlich noch die in BlfRA. 64, 
433 beſprochene Frage, ob namlich dann, wenn 
vom Staatsanwalt ein Rechtsmittel gegen ein Ur⸗ 
teil eingelegt wurde, dem der Beſchuldigte ſich 
unterwarf, der Verurteilte weiter in Haft behalten 
werden darf, obwohl die nach 8 482 StPO. an: 
zurechnende Haft die erkannte Strafe erreicht hat. 
Folgt man dem Sinne des Geſetzes, wornach die 
Verlängerung der UH., die ohne Zutun des An⸗ 

eklagten eintritt, ihm nicht zum Nachteil gereichen 

ſolle (ſ. Materialien z. StPO. Bd. 3 Abſ. 1 S. 292), 
ſo wird die Entſcheidung nicht ſchwer fallen. Der 
Praktiker wird ſich auch nie befinnen, in ſolchen 
Fällen die Freilaſſung zu verfügen. Der in 8123 
StPO. ſich ſpiegelnde Grundſatz findet auf das ganze 
Strafvollzugsſyſtem Anwendung. Wie durch ein 
Rechtsmittel die ſofortige Entlaſſung bei Freiſpre⸗ 
chung nicht verzögert werden darf, ſo iſt auch im Falle 
der Verurteilung die Verwahrung unhaltbar, ſo⸗ 
bald die anrechnungsfähige UH. die Strafdauer er⸗ 
reicht. Ein Unterſchied in der Anrechnungsfähig⸗ 
keit der UH. nach 8 60 StGB. und 8 482 StPO. 
beſteht überhaupt nicht. In beiden Fällen handelt 
es ſich um eine gleichgeartete Haft (ſ. oben). Zur 
Anrechnung geeignet iſt ſowohl die Haft bis zum 
Urteil (nach 8 60) als von dem Augenblicke, da 
das Urteil für den Beſchuldigten unanfechtbar ge⸗ 
worden iſt (nach 8 482). Ob eine Anrechnung 
erfolgt, beſtimmt ſich in erſterem Falle nach dem 
auf richterliches Ermeſſen geſtützten Urteilsſpruch, 
in letzterem nach einem beſtimmten Tun oder Laſſen 
des Verurteilten. 

Die Wirkung ſelbſt iſt in beiden Fällen gleich. 


Daß nach 8 482 StPO. Anrechnung erfolgt und 
erfolgen muß, ſteht ſchon vor dem Eintritte der 
Rechtskraft feſt. Es läßt ſich Tag für Tag und 
Stunde für Stunde verfolgen, in welchem Verhältnis 
die erkannte Strafe zu der erlittenen Haft ſteht. 
Und find ſich beide gleich gekommen, ſo iſt eben 
die Strafe verbüßt. 

Nun ſpielt allerdings die Frage herein, ob das 
Urteil nicht zuungunſten des Angeklagten abge⸗ 
aͤndert werden wird. Allein dieſe Möglichkeit iſt 
nicht zu beachten. Es liegt ein richterlicher Macht⸗ 
ſpruch vor. Diefer ſchafft zunächſt Recht und iſt 
demgemäß zu achten (8 123 StPO.). Er gibt 
Maß für die Zuläſſigkeit einer weiteren Ver⸗ 
wahrung. Iſt die (zunächſt maßgebende) Strafe 
verbüßt, ſo beſteht kein Grund mehr zur Fortdauer 
der Haft.) Wollte man der hier abgelehnten An⸗ 
ſchauung folgen, jo kaͤme man dazu, den Landſtreicher, 
der 6 Tage zuerkannt erhielt und ſich dem Urteil 
ſofort unterwarf, lange über dieſe Zeit hinaus in 
Haft zu behalten, weil der Amtsanwalt die Strafe 
nicht für genügend erachtete, ein Rechtsmittel ein⸗ 
legte und wirklich auch erreichte, daß gegen den 
Häftling ſtatt 6 Tage 14 Tage Haft erkannt wurden; 
wenn nicht die Berufung erfolglos war, was auch 
möglich wäre. 


Aus der Nechtſprechung. 
Reichsgericht. 
A. Zivil ſachen. 


1 


Beſtehen des Bertragsverhältniſſes trstz verweigerter 
Vollziehung des Bertragsentwurfs. Aus den Gründen: 
Die Reviſion macht geltend, es habe zwiſchen den Par⸗ 
teien überhaupt kein Vertrags verhältnis ſondern nur 
ein tatſächliches Verhältnis beſtanden, da der Kläger 
die Unterzeichnung des ſchriftlichen Vertragsentwurfs 
verweigert habe, weil er die von dem Geſchäftsführer 
der Beklagten als unerläßlich aufgeſtellte Bedingung 
des Verzichts auf Nebengeſchäfte nicht habe eingehen 
wollen. Dieſer Angriff iſt nicht gerechtfertigt. Das 
OLG. ſtellt feſt, daß die Parteien trotz der Unterſchrifts⸗ 
verweigerung des Klägers den Inhalt des Vertrags⸗ 
entwurfs als maßgebend ihren Leiſtungen zugrunde 

elegt haben, daß der Geſchäftsführer dem Kläger er⸗ 
flark hat, wenn er nicht unterſchriebe, bleibe ihm nichts 
anderes übrig, als daß er ſich vorläufig an ſeinen 
Vertragsentwurf halte, und daß der Kläger im weſent⸗ 
lichen die ihm nach dem Entwurfe obliegende Tätig⸗ 
keit entfaltet hat. Wenn das OLG. auf Grund dieſer 
Feſtſtellungen annimmt, daß trotz der Verweigerung 
des Abſchluſſes eines förmlichen ſchriftlichen Vertrags 
ein vorläufiger Vertrag zwiſchen den Parteien unter 
den vom „ geſtellten Bedingungen zu⸗ 
ſtandegekommen iſt, und daß alſo nicht etwa die ganze 


7) Die Wiederverhaftung iſt möglich, wenn das 
Urteil umgeſtoßen wird. Unzuläſſig iſt es aber, daß 
das Berufungsgericht ohne weitere Grundlage die 
Wiederverhaftung anordnet, als weil die Abänderung 
des Urteils in Ausſicht ſteht. 


148 


Zeit von mehr als zwei Jahren hindurch nur ein tat» 
ſächliches Verhältnis beſtanden hat, ſo iſt das nicht 
irrig. (Urt. d. III. ZS. v. 10. Februar 1914, III 458/13). 
3297 — — 


II. 


Verwandlung einer prozefiunlen Sicherheit in eine 
Hinterlegung nach 8 372 568. Aus den Gründen: 
Die Vollſtreckungsgegenklage (§ 767 ZPO.) ai darauf 
gegründet, daß der Kläger von feiner Urteilsſchuld, 
derentwegen der Beklagte gepfändet hat, durch Hinter⸗ 
legung des Schuldbetrags gemäß 8 378 BGB. befreit 
worden ſei. Daß die Einwendung der Hinterlegung die 
Vollſtreckungsgegenklage begründen kann, iſt nicht 
zweifelhaſt. Vorausſetzung iſt, daß der Schuldner zur 
Hinterlegung nach $ 372 BGB. befugt war, und daß er 
mit ſchuldbefreiender Wirkung hinterlegt hat. Die erſte 
Vorausſetzung iſt gegeben. (Wird ausgeführt). Die 
Hinterlegung erblickt der Kläger darin, daß er hin⸗ 
ſichtlich der zur Abwendung der Zwangsvollſtreckung 
geleiſteten Sicherheit nachträglich gegenüber der Hinter⸗ 
legungsſtelle auf das Recht der Rücknahme verzichtet 
habe (8$ 378, 376 BGB.). Demgegenüber hat das OLG, 
ausgeführt, daß eine Hinterlegung zum Zwecke einer 
prozeſſualen Sicherheitsleiſtung durch nachträglichen 
Verzicht auf das Recht der Rücknahme nicht die Eigen⸗ 
ſchaft einer Hinterlegung i. S. der 88 372 ff. BGB. 
annehmen könne. Ein Schuldner, der eine prozeſſuale 
Sicherheit geleiſtet habe, müſſe vielmehr zunächſt von 
neuem hinterlegen, ehe er die geleiſtete Sicherheit 
zurückfordern könne. Durch Verweiſung des Gläubigers 
auf die geleiſtete Sicherheit könne er ſich nicht befreien. 
Dieſe Ausführungen geben zu Bedenken Anlaß. Sieht 
man zunächſt davon ab, daß urſprünglich zur Leiſtung 
einer prozeſſualen Sicherheit hinterlegt wurde, ſo wurde 
der Kläger durch den Verzicht auf Rücknahme des 
Hinterlegten in Höhe des hinterlegten Betrages von 
ſeiner Verbindlichkeit befreit, auch wenn der Verzicht 
der Hinterlegung nachgefolgt iſt. Daß die Sicherheit 
urſprünglich zur Abwendung der Zwangsvollſtreckung 
geleiſtet iſt, könnte nur dann die ſchuldbefreiende Wir⸗ 
kung des Verzichts hindern, wenn die prozeſſuale Sicher⸗ 
heitsleiſtung eine andere Forderung des Beklagten 
ſicherte. Nun hat der Kläger die Sicherheit geleiſtet 
auf Grund eines nach 8 769 ZPO. erlaſſenen amts- 
gerichtlichen Beſchluſſes, der die Einſtellung der gegen 
den Kläger vom Beklagten eingeleiteten Zwangsvoll⸗— 
ſtreckung gegen eine Sicherheit angeordnet hatte. Die 
Sicherheit haftete alſo dem Beklagten für das Intereſſe, 
das er an einer ſofortigen Durchführung der eingeſtellten 
Zwangsvollſtreckung hatte. (Gaup-Stein & 769 I, 
§ 7071.1). Der Beklagte erwarb zugunſten feiner 
möglichen Intereſſeforderung gemäß § 233 BGB. ein 
geſetzliches Pfandrecht an der Forderung auf Rück⸗ 
erſtattung, die der Empfangsberechtigte gegen die Hinter— 
legungsſtelle hatte. Allein der Beklagte hat nicht be— 
haupten können, daß ihm durch die Einſtellung der 
Zwangsvollſtreckung ein Schaden erwachſen ſei, deſſen 
Erſatz er aus dem Pfandgegenſtand decken müſſe. War 
aber keine ſolche Forderung gegeben, ſo ſtand auch der 
Umwandlung der urſprünglich prozeſſualen Sicherheit 
in eine Hinterlegung gemäß § 372 BGB. kein Hinder— 
nis entgegen. (Urt. d. III. 3S. vom 30. Januar 1914, 
III 421/13). 

3299 


III. 


Schadensteilung bei beiderſeits verſchuldeter Unmög: 
lichkeit. Aus den Gründen: Die Reviſion macht 
geltend, daß ſelbſt wenn man mit dem OLG. annehme, 
die Unmöglichkeit der Erfüllung des Vertrags ſei durch 
den Mangel der polizeilichen Spielerlaubnis hervor— 
gerufen worden und dieſe Unmöglichkeit ſei von beiden 
Teilen zu vertreten, daraus doch nicht die Teilung des 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


Schadens, ſondern nur die zeitliche Begrenzung des 
Schadenserſatzanſpruchs des Klägers bis zu dem Zeit⸗ 
punkt folge, wo die polizeiliche e in Kraft 
getreten ſein würde. Dieſer Angriff iſt unbegründet. 
Die Polizeibehörde ging davon aus, daß der Kläger 
einer Erlaubnis bedürfe, um in H. als Schauſpiel⸗ 
unternehmer auftreten zu können. Sie hätte den Kläger 
am Weiterſpielen gehindert, wenn er nicht alsbald eine 
Spielerlaubnis erwirkt hätte. Das war aber nicht ſo 
ſchnell möglich, wie es zur ununterbrochenen Fortfegung 
der vom Kläger vertraglich zugeſagten Leiſtungen hätte 
geſchehen müſſen. Hierin findet das O8. einen von 
beiden Vertragsteilen zu vertretenden Umſtand, der 
die Unmöglichkeit der dem Kläger obliegenden Leiſtun 
herbeiführte. Es wendet daher auf den 2 
die Grundſätze der Schadensteilung an ($ 254 BGB.). 
Das iſt nicht irrtümlich. In der Rechtſprechung des 
RG. iſt bereits angenommen worden, daß dieſe Grund» 
15 auch im Falle der teils von der einen teils von 
er anderen Partei zu vertretenden Unmöglichkeit der 
der einen Partei obliegenden Leiſtung anzuwenden 
find. Bei Beantwortung der Frage, weſſen ers 
ſchulden als das die Geſetzesanwendung beſtimmende 
anzuſehen iſt, und ob ſich hiernach eine vollſtändige 
oder teilweiſe Anwendung der Vorſchriften des § 325 
oder der des $ 324 BGB. rechtfertigt, find die aus 
8 254 ſich ergebenden 191 70 ( Rechtsgrundſätze ent⸗ 
.) 


ſcheidend. (RG. 71,1 (Urt. des III. 38S. vom 
6. Februar 1914, III 291/13). — — 
8301 
IV. 


VBerſtößzt gegen die guten Sitten, wer einem anderen 
Mittel zum Spiel gewährt? Die Schuld des Beklagten 
an den Kläger iſt dadurch entſtanden, daß letzterer dem 
Beklagten Spielmarken zu 5500 M ausgehändigt hat. 
Das LG. nahm an, daß die Aushändigung der Marken 
zu Zwecken des Spiels und nicht zur Bezahlung von 
Speiſen und Getränken in den Klubräumen erfolgt 
ſei, es erachtete eine ſolche Handlung als gegen die guten 
Sitten verſtoßend und hat daher die Klage abgewieſen. 
Dagegen führte das BG. aus, Darlehen zu Spiel⸗ 
zwecken ſeien im allgemeinen ſelbſt dann gültig, wenn 
ſie von einem Spieler dem anderen gewährt würden, 
hier en aber der Kläger weder als Mitſpieler noch 
als Bankhalter Teil genommen, auch habe er nicht 
die Spielleidenſchaft des Beklagten in einer gegen die 
guten Sitten verſtoßenden Weiſe ausgenutzt, ſeine An⸗ 
ſprüche ſeien daher klagbar. Das RG. hob auf. 

Aus den Gründen: Daß durch Spiel keine Ber: 
bindlichkeit begründet wird, iſt in 8 762 BGB. beſtimmt. 
Auf Darlehen, die jemand zu Spielzwecken gibt, iſt 
die Vorſchrift nicht auszudehnen, ein ſolches Darlehen 
kann aber gegen die guten Sitten verſtoßen unde daher 
gemäß 8 138 BGB. nichtig fein. Ein anderes Rechts⸗ 
geſchäft, durch das ſich der Spieler die nötigen Mittel 
zum Spiele verſchafft, iſt ebenſo wie ein Darlehen zu 
behandeln, es kann daher auf ſich beruhen, ob in der 
Auslieferung der Spielmarken ohne unmittelbare Gegen⸗ 
leiſtung ein Darlehen oder ein Kauf mit Stundung 
des Preiſes zu finden iſt. Im Anſchluſſe an die bis⸗ 
herige Rechtſprechung (RG. 67, 355) iſt anzunehmen, 
daß ein an dem Spiele nicht Beteiligter ſich nicht ſchon 
dadurch gegen die guten Sitten vergeht, daß er es 
einem anderen durch Gewährung von Vermögenswerten 
ermöglicht, an einer Spielbank weiter zu ſpielen, um 
einen Verluſt wett zu machen, beſondere Umſtände 
können aber auch ein ſolches Geſchäft als unſittlich 
erſcheinen laſſen. Ob ſolche Umſtände gegeben ſind, 
iſt nicht hinreichend geklärt, insbeſondere iſt es zweifel⸗ 
haft, ob der Kläger überhaupt einem Unbeteiligten 
gleichgeſtellt werden darf. Unterſtellt man, daß er 
bei der Aushändigung der Spielmarken nicht für den 
Klub ſondern auf ſeine Rechnung gehandelt hat, ſo 
wird wieder ſeine Stellung als Kaſſierer von Bedeutung, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


es beſteht die Möglichkeit, daß er dem Beklagten die 
Marken überließ, um dem Klub Vorteile zu ver⸗ 
ſchaffen. Wie der Senat in einem Urteile vom 31. Ja⸗ 
nuar 1910, Rep. VI 131/08, ausgeſprochen hat, verſtößt 
es gegen die guten Sitten, wenn ein Klub, der haupt⸗ 
ſächlich zu dem Zwecke gegründet iſt, ſeinen Mitgliedern 
ein Slückſpiel mit hohen Einſätzen zu ermöglichen, 
dieſen Darlehen aus der Klubkaſſe während des Spieles 
gibt, um ihre Spielluſt anzuregen oder ſie zur Fort⸗ 
ſetzung des Spiels bei Verluſt in den Stand zu ſetzen. 
Gewährt nun an Stelle des Klubs deſſen Kaſſierer der⸗ 
artige Darlehen, ſo wird die Sachlage der Regel nach 
nicht anders zu beurteilen ſein. Daß der Kläger von 
dem Weiterſpielen des Beklagten für ſich einen unmittel⸗ 
baren Vermögensvorteil erwartete, iſt zur Anwendung 
des 8 138 BGB. nicht unbedingt erforderlich. 
Anders wäre zu urteilen, wenn die Angaben des 
Klägers über den tatſächlichen Hergang richtig ſind. 
Danach hätte der Beklagte den Klubdiener zu dem 
Kläger mit dem Erſuchen geſchickt, ihm für 3600 M 
Spielmarken zu verabfolgen. Der Kläger habe die 
Marken dem Diener in der Annahme übergeben, Be⸗ 
klagter werde dieſem ſofort das Geld einhändigen, 
was Beklagter aber nicht getan habe. Als Beklagter 
dann fernere Marken verlangt habe, habe Kläger das 
abgelehnt, weil er grundſätzlich keine Marken auf 
Kredit abgebe, auch habe er die weiteren Marken erſt 
gegeben, nachdem ihm Beklagter drei Anweiſungen auf 
die Bank für Handel und Induſtrie über zuſammen 
1900 M eingehändigt habe, die Kläger für gut gehalten 
haben will. Beklagter habe aber bei der genannten 
Bank kein Guthaben gehabt. Sollten dieſe Behaup⸗ 
tungen zutreffen, ſo hätte der Beklagte ohne Zweifel 
die letzten 1900 M durch argliſtige Täuſchung erlangt, 
möglicherweiſe aber auch die 3600 M, insbeſondere 
dann, wenn in der Entſendung des Dieners die Vor⸗ 
ſpiegelung zu finden wäre, Beklagter werde dem Diener 
ſofort Geld gegen die Marken geben. Alsdann hätte 
Kläger gegen den Beklagten einen Anſpruch aus un⸗ 
erlaubter Handlung, $ 826 BGB., der nicht dadurch 
beeinflußt wird, daß Beklagter das ſo Erlangte zu 
Spielzwecken verwenden wollte und dem Kläger dieſer 
Umſtand bekannt war. (Urt. d. VI. ZS. vom 11. Des 
zember 1913, VI 441/13). 
3289 


—  —n. 


V 


ftung der Gemeinde für Berkehrsſicherheit bei 
Stratzenarbeiten. Aus den Gründen: Die Ge⸗ 
meinden können, wenn ſie auf den Verkehrsſtraßen 
ihres Ortsbezirks Straßenarbeiten vornehmen laſſen, 
die den Verkehr hindern oder gefährden, die Sorge 
für die Verkehrsſicherheit nicht auf die Unternehmer 
abwälzen, denen ſie die Ausführung übertragen haben; 
auch wenn die Unternehmer die Sicherheitsvorkehrungen 
vertragsmäßig übernommen haben, bleibt den Ge⸗ 
meinden die Verpflichtung, ſich ſelbſt darum zu kümmern, 
ob die Unternehmer genügende Einrichtungen treffen; 
die Regelung des Verkehrs auf den öffentlichen Straßen 
und die Anordnung der für die Sicherheit des Ver⸗ 
kehrs erforderlichen Maßregeln iſt eigenſte Pflicht der 
Gemeinden, deren fie ſich nicht entſchlagen können. 
Wenn demnach die Beklagte ſelbſt tüchtige und zu⸗ 
verläſſige Unternehmer für die Vornahme der Straßen⸗ 
arbeiten ausgewählt hat, denen ſie im allgemeinen 
zutrauen durfte, daß ſie die Verpflichtung gewiſſenhaft 
erfüllen würden, für die Verkehrsſicherung, insbeſondere 
für die Beleuchtung zu ſorgen, mußte ſie doch durch 
ihre eigenen Organe eine zweckmäßige Aufſicht üben. Das 
iſt nicht ausreichend geſchehen. Wie das OLG. feſtſtellt, 
waren der weſtliche wie der öſtliche Bürgerſteig der Straße 
aufgeriſſen, auch der weſtliche Teil des Straßendammes 
noch unfertig und unbegehbar. Auf dem weſtlichen 
Bürgerſteige lagerten, zumal an der Unfallſtelle, Pflaſter⸗ 
ſtoffe, die den Verkehr hinderten. Zur Beleuchtung 


149 


dienten an Stelle der für die Dauer des Umbaues der 
Straße weggenommenen Gaslaternen Petroleumlater⸗ 
nen, die in 80 m Entfernung voneinander angebracht 
waren und die Straße nur ungenügend beleuchteten, 
deren verkehrsgefährlicher Zuſtand gerade eine Ver⸗ 
beſſerung der Beleuchtung anſtatt einer Verminderung 
erfordert hätte. Dieſer i hatte ſchon vor dem 
Unfall eine Reihe von 5 gedauert und war in 
den Tagesblättern wiederholt beſprochen worden; 
das mußte den Vertretern der Stadtgemeinde bei 
ordnungsmäßigen Verwaltungseinrichtungen zur Kennt⸗ 
nis gelangen. Es kann fraglich fein, ob der Stadt» 
bauinſpektor, der mit der Bauleitung und der Auf⸗ 
ſicht über die Straßenbauarbeiten betraut war, ein 
verfaſſungsmäßiger Vertreter der Beklagten im all⸗ 
gemeinen nach 8 36 BGB. oder ein beſonderer Ver⸗ 
treter nach 8 30 BGB. war. Das OLG. begründet 
ſeine Annahme damit, daß er durch die Verwaltungs⸗ 
beſtimmungen der Stadt zu ſeiner Tätigkeit berufen 
und innerhalb ſeines Geſchäftskreiſes zu ſelbſtändi⸗ 
gem Handeln befugt geweſen ſei; es hat aber nicht 
auf beſtimmte Satzungen oder Verwaltungsbeſtim⸗ 
mungen verwieſen (vgl. RSC. 74, 21 und 250). Es 
kommt hierauf jedoch nicht an. Wenn ein ordnungs⸗ 
widriger und verkehrsgefährlicher Zuſtand einer öffent⸗ 
lichen Straße längere Zelt hindurch beſtand und in den 
Tagesblättern des Ortes über ede Beſchwerde geführt 
wurde, dann kann das Fortbeſtehen des Zuſtandes 
ſeine Erklärung nur in einer Verſäumung der Auf⸗ 
ſichtspflichten durch die Vertreter der beklagten Stadt⸗ 
gemeinde finden, und dieſe Verſäumung begründet die 
Haftung der letzteren für den durch den ordnungs- 
widrigen 17 5 hervorgerufenen Unfall nach 88 823, 
31, 89, 276 BGB., ohne daß es noch der Feſtſtellung 
der Einzelperſon des ſchuldhaft handelnden Vertreters 
bedarf, weil eben nach der Sachlage das Verſchulden 
irgendeines Vertreters W muß. (Urt. d. VI. ZS. 


vom 19. Januar 1914, VI 523/13). — — —ı. 
8294 
VI. 
Wann geht auf den Bauherrn das Eigentum au 


Bauteilen über, die der Banhandwerker in einen Ren: 
bau liefert? Aus den Gründen: Der Rechtsbegriff 
der Uebergabe i. S. des 8 929 BGB. iſt nicht verkannt, 
und ob die Klägerin und G. einig waren, daß das 
Eigentum an den gelieferten Türen und Fenſtern auf 
ihn übergehe, iſt reine Tatfrage. Vergeblich nun 
ſich die Reviſion auf das Urteil des 7. ZS. vom 6. April 
1911, VII 513/1910. Auch dieſes Urteil fußt nur auf 
den tatſächlichen Feſtſtellungen des Untergerichts, die 
mit denen im gegenwärtigen Fall zwar Aehnlichkeit 
haben, ſich aber nicht decken. Der 7. ZS. ſpricht keines⸗ 
wegs aus, daß, falls nichts Gegenteiliges bedungen 
ſei, das Eigentum an den von dem Unternehmer zu 
einem Neubau gelieferten Türen und Fenſtern erſt 
dann auf den Bauherrn übergehe, wenn ſie eingehängt 
und vollſtändig eingepaßt ſeien, ſondern nur: daß 
darin, daß die Türen auf das Baugrundſtück geſchafft 
wurden, noch keine Beſitzübertragung auf den Baus 
herrn und in der Aufforderung des Tiſchlers an den 
Bauherrn zur Reſtzahlung nach Lage des Falls nicht 
notwendig eine Einigung über den Eigentumsübergang 
der Türen 7 8 werden mußte. Der 7. ZS. ſteht 
alſo ebenfalls auf dem hier vertretenen Standpunkt, 
daß die Frage weſentlich tatſächlicher Natur ſei, in 
welchem Zeitpunkt das Eigentum an Bauteilen, die 
der Bauhandwerker in einen Neubau liefere, auf den 
Bauherrn übergehe, und ihre Beantwortung von dem 
ausdrücklich erklärten oder aus ſchlüſſigen Handlungen 
ermittelten Vertragswillen der Parteien abhänge. Es 
iſt auch nicht etwa behauptet worden, daß in den be— 
teiligten Geſchäftskreiſen oder in B. eine beſtimmte 
Uebung in dieſer Hinſicht herrſche, die zur Auslegung 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


—— — lĩ 4 ͤ ü j —— ny... ˙ 5XX—2—ͤ . .—.—— F—2—..ů ůͤ«ßX85ßX[éæT ͤ˙3ßÄ3—́ — ̃ — 


5 een des Parteiwillens herangezogen werden 
nnte. 

u Unrecht rügt die Reviſion Verletzung der 88 631, 
641, 644 BGB., weil das Eigentum an dem Werk vor 
ſeiner Abnahme auf den Beſteller nicht übergehen könne, 
hier aber die Abnahme durch G. nicht feſtgeſtellt ſei. 
Der dingliche Eigentumsübergang der von dem Unter. 
nehmer hergeſtellten Sache fällt mit der Abnahme des 
Werks nicht zuſammen. Wenn auch nach Umſtänden 
die Abnahme ein Anzeichen für den Eigentumsüber⸗ 
gang, der letztere ein Anzeichen für die Abnahme bie 
kann, fo iſt anderſeits möglich, daß das Werk abge⸗ 
nommen wird, bevor das Eigentum übergeht, das 
Eigentum vor der Abnahme auf den Beſteller über⸗ 
gehen kann. Grundſätzlich haben daher Abnahme und 
Eigentumsübergang nichts miteinander zu tun, und 
das BG., das nur unterſuchte, ob das Eigentum über⸗ 
gegangen ſei, brauchte ſich nicht mit der Erörterung 
zu befaſſen, ob G. die Türen und Fenſter auch abge⸗ 
nommen habe. (Urt. d. VI. 35. vom 19. Januar 1914, 


VI 57011913). 5 
3280 
VII. 
VBermerkung für einen Aufpruch auf othet: 
beſtellung ans An Vertrage zu 17 85 Er A 8 


den Gründen: Eine Vereinbarung zwiſchen dem 
Bürgen und dem e durch die ſich dieſer 
jenem zur Beſtellung einer Hypothek zugunſten des 
Gläubigers verpflichtet, kann nach den Vorſchriften 
über die Verträge zugunſten Dritter (83 328 ff.) nicht 
nur für den Bürgen, ſondern auch für den Gläubiger 
einen Anſpruch auf Beſtellung der Hypothek zugunſten 
des Gläubigers erzeugen, wenn der Bürge nicht als 
Vertreter des Gläubigers ſondern im eigenen Namen 
gehandelt hat. Dieſer Anſpruch des Gläubigers kann 
auch gemäß 88 883 ff. durch eine Vormerkung geſichert 
werden, da er auf Einräumung eines Rechts an einem 
Grundſtücke gerichtet iſt. Denn der 8 883 ſetzt nur 
einen Anſpruch auf eine der angeführten dinglichen 
Rechtsänderungen voraus und überläßt den ſonſtigen, 
in erſter Reihe den ſchuldrechtlichen Beſtimmungen 
die Entſcheidung der Frage, wann ein Anſpruch ge⸗ 
geben iſt. 8 873 Abſ. 2, der nur den dinglichen Ver⸗ 
trag, die ſog. Einigung, regelt, iſt nicht anwendbar 
auf einen ſchuldrechtlichen Vertrag, durch den die Ver⸗ 
pflichtung zu einer dinglichen Rechtsänderung begründet 
wird. (RG. 48, 133; 50, 77: Gruchot 46 S. MI). 
(Urt. d. III. ZS. vom 23. Januar 1914, III 465/1913). 
3264 — a — 


VIII. 


Bernehmung von Streitgenofien als Zeugen. Aus 
den Gründen: Nur der kann Zeuge ſein, der im 
Rechtsſtreite nicht ſelbſt Partei iſt, wer alſo weder für 
ſich noch als geſetzlicher Vertreter für einen anderen 
ein Recht verfolgen und dazu Parteihandlungen vor⸗ 
nehmen kann. Wo Streitgenoſſen die Partei bilden, 
iſt aber jeder Streitgenoſſe nicht nur der Gegenpartei, 
ſondern auch den Mitgenoſſen gegenüber Partei. Des⸗ 
halb kann ein Streitgenoſſe auch dann nicht als Zeuge 
vernommen werden, wenn die beweisdürftige Tatſache 
bloß das Recht des anderen Streitgenoſſen angeht (vgl. 
RG. 29, 370). Infolgedeſſen kann ein Streitgenoſſe, 
gegen den durch Zwiſchenurteil der 1. Inſtanz nach 
§ 304 ZPO. der Klagegrund rechtskräftig für gerecht⸗ 
fertigt erklärt worden iſt, ſelbſt dann nicht als Zeuge 
in der Berufungsinſtanz vernommen werden, wenn er 
an dem gegen ſeinen Mitgenoſſen weiterbetriebenen 
Verfahren über den Grund des Anſpruchs ſelber nicht 
mehr beteiligt iſt. Denn er hat noch am Verfahren 
über den Betrag teilzunehmen, iſt alſo noch Partei 
geblieben. Hier liegt der Fall allerdings umgekehrt. 
Denn gegen den Streitgenoſſen R. iſt durch das land⸗ 


gerichtliche Urteil die Klage rechtskräftig abgewieſen; 
er iſt damit endgültig zur Sache aus dem Rechtsſtreit 
ausgeſchieden. Nur die Koſtenentſcheidung iſt vorbehalten 
worden. Dieſes landgerichtliche Verfahren unterliegt 
allerdings begründeten Bedenken. Mit der Abweiſung 
der Klage gegen R. war nämlich der Rechtsſtreit 
zwiſchen dem Kläger und ihm völlig ſpruchreif und 
nach § 91 3PO. wäre in einer der Sachlage angepaßten 
Faſſung auszuſprechen geweſen, daß der Kläger als 
die gegen R. völlig unterliegende Partei die durch 
den Rechtsſtreit wider 17 verurſachten Koſten zu tragen 
habe. Anſtatt alſo bloß in der Sache die Klage gegen 
R. durch Teilurteil abzuweiſen, hätte das LG., wie 
8 300 Abſ. 1, 2 ZPO. vorſchreibt, als Endentſcheidung 
ein zugleich auch den ſpruchreifen Koſtenpunkt mit⸗ 
erledigendes Endurteil erlaſſen ſollen. Jedoch kann 
dieſer Berftoß gegen 8 300 ZPO., der übrigens auch 
durch den Beſchluß des OL. rechtskräftig beſtätigt 
worden iſt, in der Reviſionsinſtanz nicht behoben 
werden. Daher muß hier davon ausgegangen werden, 
daß R. am Verfahren über die Koſten 1. Inſtanz noch 
beteiligt iſt. Die Entſcheidung hängt ſomit von der 
Frage ab, ob R. bei dieſer Sachlage auch noch im Be⸗ 
rufungs verfahren zwiſchen dem Kläger und W. Partei 
iſt und daher als Entlaſtungszeuge ſeines Streit⸗ 
genoſſen W. nicht zu vernehmen war. Dieſe Frage 
muß bejaht werden. Geht man davon aus, daß die 
Parteieigenſchaft prozeßrechtlich grundſätzlich erſt im 
Zeitpunkt endigt, in dem der Rechtsſtreit ganz rechts⸗ 
kräftig entſchieden iſt, ſo kann ein Streitgenoſſe als 
Partei nicht ausſcheiden, ſolange auch nur ein Teil 
des Rechtsſtreits noch rechtshängig iſt. Dies gilt auch 
hier, wo der Rechtsſtreit gegen R. noch zum Koſten⸗ 
punkt in 1. Inſtanz 1 und rechtshängig iſt. 
(Urt. d. VI. 38S. vom 27. Nov. 1913, VI 410/1913). 
3291 —— n. 


IX. 

Ob die Unorbuung einer He- Is a 
det war, hat der Prszeßrichter nicht zu prüfen. Aus 
den Gründen: Der die Pflegſchaft als Vormund⸗ 
ſchaftsrichter behandelnde Beklagte hat dem Pfleger 
eine Vergütung von 5000 M für die Pflegſchaftsführung 
aus dem vom Pfleger ſelbſt für die Pflegſchaft erſt er⸗ 
worbenen Vermögen bewilligt. Der Pfleger hatte dieſe 
Summe daraufhin aus dem Vermögen entnommen. 
(Die Vorausſetzung für die durch ein Teſtament ver⸗ 
anlaßte Pflegſchaft war, wie ſich ergab, ſchon bei Ein⸗ 
leitung der Pflegſchaft weggefallen geweſen). Darauf 
hob der Beklagte die Pflegſchaft auf. Die abgewieſene 
Klage fordert von Vormundſchaftsrichter und Pfleger 
als Geſamtſchuldnern die 5000 M. Die Reviſion kann 
keinen Erfolg haben. Ob die Pflegſchaft von Anfang 
an ſachlich begründet oder ungerechtfertigt war, iſt von 
einer vormundſchaftlichen Inſtanz nicht entſchieden. 
Der Beklagte hat nur die Vormundſchaft aufgehoben. 
Der Prozeß richter aber hat über die Geſetzmäßigkeit 
einer Vormundſchafts⸗ oder Pflegſchaftseinleitung über⸗ 
haupt nicht zu entſcheiden. Dazu find allein die vor⸗ 
mundſchaftlichen Inſtanzen zuſtändig. (JW. 1891, 434; 
1903 Beil. 64 Nr. 147; RG. 33, 414; 34, 416). Maß⸗ 
gebend iſt allein der rechtliche Beſtand der Pflegſchaft. 
Dieſer berechtigte und verpflichtete den Beklagten, dem 
Pfleger eine angemeſſene Vergütung zu bewilligen. Die 
Klägerin bemängelt die Höhe der Vergütung. Darüber 
zu befinden, ſteht jedoch allein den Vormundſchafts⸗ 
behörden, nicht dem Prozeßrichter zu. Eine Beſchwerde 
gegen die Höhe hat die Klägerin bei den vormundſchaft⸗ 
lichen Inſtanzen bisher nicht erhoben. Eine ſolche Be» 
ſchwerde ſteht ihr immer noch offen, es iſt ohne Belang, 
daß die Pflegſchaft inzwiſchen aufgehoben worden iſt. 
(Urt. des III. 35. vom 3. Februar 1914, III 202/13). 


3281 


X. 


Strafandrohung zur N N poſitiven Tuns. 
Aus den Gründen: bat der Beklagten 
bei Meidung einer Geldstrafe Ar zu 100 M für jeden 
Tag geboten, eine beſtimmte Maſchine nicht durch eine 
Firma P. verwenden zu laſſen. Das ausgeſprochene 
Verbot gilt nach Klagantrag und Urteil einer ver⸗ 
meintlichen Unterlaſſung nach 8 241 Satz 2 880. In 
Wahrheit handelt es ſich jedoch um keine Unterlaſſung 
ſondern um eine Leiſtung i. S. des 8 241 Satz 1 888. 
Denn die Verurteilung iſt angeſtrebt und auch erfolgt, 
weil die Beklagte ihrer Vertragspflicht zuwidergehandelt 
und dadurch die Entſtehung eines vertragswidrigen Zu⸗ 
ſtandes (nämlich das Arbeiten der Maſchine bei P.) 
ſchuldhaft ermöglicht hat. Durch die Strafandrohung 
ſoll die Beklagte gezwungen werden, die Weiterbenutzung 
der Maſchine bei P. zu verhindern. Das iſt der Sinn 
der Strafdrohung. Es wird der Beklagten alſo ein 
Tun, eine Einwirkung auf die Firma P., angeſonnen. 
Auf einen ſolchen Fall findet 8 890 ZPO. keine An⸗ 
wendung. Er gut nur, wenn der Schuldner einer Ver⸗ 
pflichtung zuwiderhandelt, eine Handlung zu unter⸗ 
laſſen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden. 
Soll nicht eine Unterlaſſung oder Duldung erzwungen, 
ſondern der Schuldner zum Tun angehalten werden, 
fo kommen die 88 887, 888 ZPO. in Betracht. Dieſe 
beiden Vorſchriften erklären jedoch das Prozeßgericht 
1. Inſtanz für zuſtändig, wenn ein Urteil vorliegt, 
wodurch dem Schuldner die Verpflichtung zur Vor⸗ 
nahme einer Handlung auferlegt iſt, und wenn es ſich 
um die Vollſtreckung dieſes Urteils handelt. In dem 
Urteil ſelbſt kann die Strafe nicht angedroht werden 
(RG Z. 34, 173, JW. 1909, 24, 23). Hieraus folgt die 
Abweiſung des Anſpruchs auf die 5 en nn. 
(Urt. d. III. ZS. vom 10. Februar 1914, III 462/13). 

3296 —a— 


B. Strafſachen. 
I. 


f re (88 1, 2 und 27 Nr. 1 PoſtG.). 1. Zum 
ex reer Bote“. 2. Die Beförderung poſtzwangs: 
b egenſtände, die ein bezahlter Angeſtellter fi 
eſchäſtsherrn bewirkt, ift 85 notwendig 
elörderung „gegen Beza lung des 8 1 PoſtG. 
1 dar Ort gilt als 1 einer Zeitung ? 
Mi nn eines doppelten Urſprungsertes; kaun der 
Verleger beſtimmen, welcher Ort als une elten 
el? 4. Liegt eine Verletzung des Poſtzwangs darin, 
einem Boten, der gegen Bezahlung poſtzwangs⸗ 
ichtige Gegenſtände beſstbert, ſolche unentgeltlich auch 
noch von einem anderen Abſender mitgegeben werden? 
Aus den Gründen: Die politifche, wöchentlich 
ſechsmal erſcheinende Zeitung „F. V.“, die von der in 
G. anfäffigen G. m. b. H. „Bereinsbruderei für G. und 
Umgebung“ herausgegeben wird, wurde in St. druck⸗ 
fertig gemacht in der Druckerei der „S. T.“, G. m. b. H., 
von der die politiſche, gleichfalls ſechsmal wöchentlich 
E nende Zeitung „S. T.“ verlegt wird. Die Schrift⸗ 
leitung der „F. B.- lag in den Händen des Ange⸗ 
klagten H., der damals ſeinen Wohnſitz in G. hatte 
und die Redaktionsgeſchäfte teils vorbereitend dort, 
teils endgültig vor dem Druck in St. in den Geſchäfts⸗ 
räumen der Geſellſchaft „S. T.“ beſorgte. Der An⸗ 
geklagte L. war bei der ech „F. V.“ mit der 
Buchführung und Expedition betraut, hatte ſeinen Wohn⸗ 
ſitz gleichfalls in G. und wurde in der maßgebenden 
Zeit ſogar in den einzelnen Zeitungsnummern als 
„Verleger“ bezeichnet. Zwiſchen den beiden Geſell— 
ſchaften „FJ. B.“ und „S. T.“ war vereinbart, daß 
letztere Geſellſchaft gegen Vergütung den Druck der 
„F. B.“ und ihre Expedition zu beſorgen hatte. Die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


151 


Nummern der „F. V.“, die im Wege des Poſtzeitungs⸗ 
vertriebs zu verſchicken waren, durchſchnittlich nur 50 
bis 70 Stück täglich, wurden nach dem Druck von der 
Expedition der „S. T.“ unmittelbar an das Poſtamt 
Nr. 1 in St. abgeliefert, bei dem durch die Geſellſchaft 
„F. V.“ die dieſe Zeitung als „in St. erſcheinend“ an⸗ 
gemeldet worden war. Auch das nach 855 der württemb. 
Poſt O. vom 21. Mai 1900 erforderliche „Pflichtexemplar“ 
kam dieſem Poſtamt unmittelbar von der Expedition 
der „S. T.“ zu, deren Vorſtand der Angeklagte Sch. 
war. Dieſer beſorgte auch als Bevollmächtigter der 
„F. B.“ die Abrechnung mit der Poſt. Ein weiterer 
Teil der in St. gedruckten Nummer der „F. B.“ wurde 
von der Expedition der „S. T.“ für zwei Städte 
und nebſt ihrer Umgebung durch expreſſen Boten 
unmittelbar verſandt. Auch hier handelt es ſich um 
eine unweſentliche Zahl von Blättern. Der größte Teil 
der Leſer der „FJ. V.“ aber befand fi in G. und neun⸗ 
zehn dieſer Stadt benachbarten Ortſchaften, die alle 
innerhalb des zweimeiligen Umkreiſes von G. Im. 8. 
Die für ſie beſtimmten Zeitungsnummern nahm H. 
täglich nach Beendigung ſeiner ſchri tleitenden Tätigkeit 
in St. in Bunde und Pakete verſchnürt von dort als 
Handgepäck auf der Eiſenbahn mit nach G., wo ſie L. 
zur Weiterbeförderung an die Bezieher ent ſegennahm. 
1. Das 88. nahm an, daß die Verſchickung und 
Beförderung der „F. B.“ von St. nach G. durch H. 
der Vorſchrift der 88 1 und 2 Poſtch. nicht entſprochen habe, 
weil St. und nicht G. der Urſprungsort der Zeitung ge⸗ 
weſen ſei und H. nicht als expreſſer Bote gelten könne, 
und verurteilte die Angeklagten L., Sch. und H. aus 
8 27 Nr. 1 Boft®. Dies begegnet nach jeder Richtung 
rechtlichen Bedenken. Nicht zu beanſtanden iſt die An⸗ 
nahme des Gerichts, daß H. kein expreſſer Bote i. S. 
des 8 2 Boft. und damit kein zugelaſſener Beförderer 
poſtzwangspflichtiger Gegenſtände geweſen ſei, weil er 
die Blätter nur gelegentlich ſeiner Rückreiſe von St. 
in anderer als in einer ausſchließlichen Botentätigkeit 
mitgenommen habe, und weil er neben den Nummern 
der „F. B.“ auch ſolche der „S. T.“ bei ſich führte. 
Von dieſem der ſtändigen Rechtſprechung des Reichs⸗ 
gerihts entſprechenden Standpunkt abzugeben, beſteht 
ein Anlaß. Wenn aber 
2. das 8G. meint, H. habe ſich dieſer feiner Bes 
förderungstätigkeit „gegen Bezahlung“ durch feine 
Dienſtherrin, die Gefellſchaft „FJ. B.“ unterzogen, fo 
fehlt hiefür die erforderliche "tatfächliche Grundlage. 
H. bezog für ſeine ſchriftleitende Tätigkeit einen be⸗ 
ſtimmten Gehalt, der nicht erhöht 1 als H. be⸗ 
gann, die Nummern der „F. V.“ von St. nach G. als 
Handgepäck mit ſich zu führen. Erſichtlich hat er auch 
weitere Anſprüche an die Geſellſchaft nicht gemacht. 
Daraus iſt aber noch nicht zu folgern, daß er für ſeine 
geſamte Tätigkeit für die „J. V.“, wozu auch die Be⸗ 
förderung der Zeitung von St. nach G. gehört habe, 
bezahlt worden ſei. Freilich liegt bei einem Ange⸗ 
ſtellten, der für den Dienſtherrn neben anderen Dienſt⸗ 
leiſtungen poſtzwangspflichtige Gegenſtände befördert, 
eine Bezahlung der Beförderung auch dann vor, wenn 
ſein Lohn oder Gehalt ſich zugleich auf die anderen 
Dienſte bezieht, die er ſeinem Auftraggeber zu leiſten 
Dat, und der auf die befördernde Tätigkeit entfallende 
nteil am Lohne ſich zahlenmäßig nicht nachweiſen 
läßt. Vorauszuſetzen iſt hierbei aber ſtets, daß 
Angeſtellte durch ſeinen Dienſtvertrag, ſei es von vorn⸗ 
herein oder infolge ſpäteren Uebereinkommens vers 
pflichtet iſt, ſich der Beförderung poſtzwangspflichtiger 
Gegenſtände zu unterziehen. Verſteht er ſich hierzu 
freiwillig in einer den Dienſtvertrag nicht berührenden 
Weiſe, ſo daß er das Recht hat, jederzeit zu wider⸗ 
rufen und dieſe Tätigkeit wieder einzuſtellen, ſo kann 
von einer entgeltlichen Leiſtung nicht die Rede ſein. 
Das LG. mußte daher umſomehr auf die Frage ein- 
gehen, ob H. zur Beförderung der Nummern der „F. 
B.“ von St. nach G. durch Vertrag ſich verpflichten 


152 


wollte und verpflichtet war, als dieſe Tätigkeit auch 
nicht die entfernteſte 8 a zu ſeiner Tätigkeit als 
Schriftleiter der Zeitung hatte, und keine Rechtsver⸗ 
mutung dafür beſteht, daß jede Tätigkeit eines Ange⸗ 
ſtellten im Intereſſe des Dienſtherrn eine nach Vertrag 
zu fordernde und bezahlte iſt. 

3. Allein abgeſehen hiervon iſt rechtlich unhaltbar 
auch der Ausgangspunkt des Urteils, daß St. aus⸗ 
ſchließlich der Urſprungsort der 2 V.“ geweſen ſei. 
Wäre, wenigſtens was die von H. aus St. nach G. 
verbrachten Zeitungsblätter anlangt, St. nur Druckort, 
G. aber Urſprungsort i. S. des erſten Abſ. des 81 
Poſt G., dann läge inſoweit eine verbotene Verſchickung 
und Beförderung poſtzwangspflichtiger Gegenſtände 
nicht vor. Wie der erk. Senat in ſeinem Urteil vom 
19. April 1894 (RG. 25, 279) ausgeſprochen hat, find 
die gedruckten Bogen ſtrafrechtlich und vom Standpunkt 
des Poſtgeſetzes aus En nicht den Beſtimmungen über 
die Beförderung von Zeitungen unterworfen, bevor 
ſie der Verleger zur Verbreitung entläßt. Letzteres 
trifft aber für die von H. nach G. verbrachten Zeitungs⸗ 
nummern unbedingt zu. Bis dahin waren ſie aus 
dem Dunkel der Herſtellungsſtätte — Redaktion, 
Druckerei und Expedition — noch keineswegs in die 
Welt zu den Leſern herausgetreten. L. nahm die Blätter 
in G. als Vertreter des Verlags entgegen und ſeine 
Aufgabe war es nun, ſie den Beziehern zugänglich zu 
machen. Solange ſie in ſeiner Hand waren, befanden 
ſie ſich noch in einer der Herſtellungsſtätten und es 
beſtand die Möglichkeit, die hier allerdings nie zur 
Wirklichkeit wurde, die Herausgabe der Zeitung wenig⸗ 
ſtens in dem hier in Rede ſtehenden Umfange noch zu 
unterbinden, die Blätter gar nicht oder in verändertem 
Zuſtande in die Leſerkreiſe hinausgelangen zu laſſen. 
Der Sitz des Verlags und der Mittelpunkt ſeines Ge⸗ 
ſchäftskreiſes war G. Und alle die Nummern der „F. 
V.“, die von St. als dem Druckort und in gewiſſem 
Sinne dem Redaktionsorte nach G. in den Gewahrſam 
des Verlags gelangt ſind, waren noch innerhalb der 
Berfügungsgewalt des Verlags; ſolange die weitere 
Beförderungstätigkeit durch L. nicht begonnen hatte, 
waren ſie noch nicht in die Oeffentlichkeit der Geſchäfts⸗ 
welt getreten und für den Leſerkreis „erſchienen“. St. 
mag neben G. auch ein Urſprungsort der Zeitung ge⸗ 
weſen ſein und zwar für die Nummern, die im Auf⸗ 
trag und nach dem Willen des Verlags von dort un⸗ 
mittelbar den Beziehern im Wege des Zeitungspoſt⸗ 
betriebs oder auf andere Weiſe zugeführt wurden. Das 
LG. hat jedoch überſehen, daß eine Zeitung mehrere 
Urſprungsorte nach 8 1 Abſ. 1 Pojt®. haben kann, 
wie es der erk. Senat in ſeiner ſchon erwähnten Entſch. 
vom 19. April 1894 dargelegt hat. Auch dem vom 
LG. aufgeſtellten Satz, daß der Wille des Verlegers 
beſtimmend fei, ob und wo die Zeitung erſcheinen folle, 
kann in dieſer Allgemeinheit und in dem ihm beige⸗ 
legten Sinn nicht beigetreten werden. Freilich hängen 
die Umſtände, unter denen die Zeitung hergeſtellt werden 
und an die Leſer gelangen ſoll, von ſeinem Willen 
ausſchließlich ab. Aber nur dieſe Umſtände ſind für 
die vom Richter zu treffende rechtliche Schlußfolgerung 
maßgebend, welcher Ort als Urſprungsort zu gelten 
hat, nicht auch der etwa vorhandene, dieſe Umſtände 
mißachtende Wille des Verlegers, daß ein anderer als 
der aus den Begleitumſtänden ſich ergebende Ort als 
Urſprungsort ſeiner Zeitung gelten ſolle. Hierin 
würde ſich nur ein nicht zu beachtender Rechtsirrtum 
verbergen. 

4. H. hat nun allerdings neben den Nummern der 
„F. V.“ auch ſolche der „S. T.“ für deren Bezieher 
in G. und Umgebung von St. nach G. als Handgepäck 
auf der Eiſenbahn mitgeführt. Auch dieſe Beförderung 
wird von dem LG. als ein Eingriff in die Rechte der 
Poſtverwaltung angeſehen, und ſie hat H. als Be— 
förderer, L. und Sch., die vom 1. Januar 1911 ab die 
Mitnahme der Blätter der „S. T.“ veranlaßt haben, 


—— 4 —ü—u4——?7LEt . ͤ Dwöͤ— 


Zeitſchrift far Rechtapflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


als Berſchicker ſtrafrechtlich haftbar gemacht. Auch 
hier aber macht ſich ein Rechtsirrtum geltend. Das 
Gericht ſagt, es ſei bedeutungslos, daß H. von der 
Geſellſchaft „S. T.“ für die Mitnahme ihrer Zeitungs⸗ 
nummern keine beſondere Vergütung erhalten habe, 
weil ein expreſſer Bote von anderen poſtzwangspflichtige 
Sendungen auch nicht unentgeltlich mitnehmen dürfe. 
Dieſer Satz iſt für die hier zu entſcheidende Frage ohne 
Belang. Er iſt überhaupt nur ſoweit als richtig an⸗ 
zuerkennen, als ein bezahlter Bote, der auch poſt⸗ 
zwangspflichtige Gegenſtände anderer aus Gefälligkeit 
mitbefördert, die Eigenſchaft eines expreſſen Voten 
nach 8 2 Poſt . verliert, da er zwei Abſendern dient. 
Dadurch werden die Verſchickung und die Beförderung 
der ie Gegenſtände zu unerlaubten 
und nach 8 27 Nr. 1 Bojt®. ſtrafbaren Handlungen, 
aber doch nur, ſoweit ſie „gegen Bezahlung“ erfolgen. 
Unentgeltliches Befördern oder Verſchicken verſchloſſener 
Briefe und politiſcher Zeitungen verſtößt nicht gegen 
den Poſtzwang. Hat alſo von zwei Abſendern poſt⸗ 
zwangspflichtiger Begenftände nur der eine Abſender 
den Boten bezahlt, dieſer aber die Sachen des anderen 
Abſenders unentgeltlich mitgenommen, ſo iſt der zweite 
Abſender und der Bote hinſichtlich dieſer Gegenſtände 
aus 8 27 Nr. 1 Boft®. nicht ſtrafrechtlich verantwortlich, 
da inſoweit kein Verſchicken und kein Befördern „gegen 
Bezahlung“ vorliegt. Die Tatſache, daß der erſte Ab⸗ 
ſender den Boten bezahlt, ändert hieran nichts. Die 
Bezahlung ſowie das Verſchicken und Befördern müſſen 
in einem unmittelbaren Zuſammenhang ſtehen. H. 
hat für die Mitnahme der Nummern der „S. T.“ nach 
G. von der Geſellſchaft „S. T.“ keine Bezahlung er⸗ 
halten; weder er noch ſeine Mitangeklagten L. und 
Sch. haben ſich inſoweit gegen 8 27 Nr. 1 Boft®. ver⸗ 
fehlt, gleichgültig, welche ſtrafrechtliche Folgen etwa 
aus der Beförderung der Nummern der „F. B.“ von 
St. nach G., die wenigſtens nach der Annahme des 
LG. gegen Bezahlung erfolgt iſt, für ſie erwachſen 
konnten. Daß übrigens auch dieſe Beförderung zu⸗ 
läſſig war, iſt bereits dargetan. (Urt. des I. JS. vom 
15. Dezember 1913, 1 D 776/13). E. 
9270 


II. 


Zu $ 200 G86.: Die Neviſien kann nicht an 
die Mitteilung von Geſchwerenen über den Hergang 
ei der Beralung und Abſtimmung geſtützt werden. 
Aus den Gründen: Nachdem bereits der Spruch 
der Geſchworenen nach § 308 StPO. kundgegeben und 
nach dem Schlußworte zur Straffrage das Urteil vom 
Gerichte beraten worden war, beantragte der Vertei⸗ 
diger nach 8 309 StPO. zu verfahren, da ihm mitge⸗ 
teilt worden ſei, daß die Geſchworenen während ihrer 
Beratung das Strafgeſetzbuch verlangt hätten, ihnen 
darauf bedeutet worden ſei, daß ſie ſich hierwegen in 
das Sitzungszimmer zurückzubegeben und eee 
Antrag an den Vorſitzenden zu ſtellen hätten, und 
daraufhin mit verneinendem Ergebniſſe von den Ges 
fhmorenen darüber abgeſtimmt worden ſei, ob das 
geſchehen ſolle. Während das Gericht über dieſen An⸗ 
trag des Verteidigers beriet, wendete ſich der Obmann 
der Geſchworenen an den Staatsanwalt mit der Bitte, 
zu vermitteln, daß er das Wort erhalte, um bezüglich 
der Abſtimmung über das Verlangen nach einem Straf⸗ 
geſetzbuch Aufklärung zu geben. Nach Wiedereintritt 
des Gerichts trug der Staatsanwalt diefem die Bitte 
des Obmanns vor und der Verteidiger beantragte, ihr 
zu entſprechen. Nach weiterer Beratung verkündete 
das Gericht Beſchluß dahin: „Der Antrag des Ber- 
teidigers wird zurückgewieſen, da keiner der Fälle des 
§ 309 StPO. vorliegt.“ Die Reviſion bezeichnet nun 
den 8 306 StPO. als verletzt, weil mehrere Geſchworene 
bei ihrer Beratung erklärt hätten, einer nochmaligen 
Rechtsbelehrung zu bedürfen, und hierüber abgeſtimmt 
worden ſei, während nach § 306 StPO. eine weitere 


au ne 


2 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


Belehrung ſchon dann zu beantragen geweſen wäre, 
wenn auch nur einer der Geſchworenen eine ſolche für 
erforderlich gehalten habe. Ferner wird als verletzt 
bezeichnet der § 243 Abſ. 2 StPO., weil der Antrag 
des Verteidigers, den Obmann zu hören, nicht bes 
ſchieden worden ſei. Dieſe Angriffe der Revifion 
können keinen Erfolg haben. Gemäß 8 200 GBG. find 
die Geſchworenen verpflichtet, über den Hergang bei 
der Beratung und Abſtimmung Stillſchweigen zu bes 
obachten. Wenn der Verteidiger ſich gleichwohl hierüber 
von einem Geſchworenen eine Mitteilung machen ließ, 
ſo war das geſetzwidrig und es iſt jede Nachprüfung 
ausgeſchloſſen, ob die Mitteilung richtig iſt, da der 
$ 200 GG. es unmöglich macht, die maßgebenden 
Perſonen darüber zu vernehmen. Aus dieſem Grunde 
konnte auch der Obmann der Geſchworenen mit ſeiner 
beabſichtigten Erklärung nicht gehört werden. Sie 
ſollte ſich nicht etwa a den Inhalt des kundgegebenen 
Spruches beziehen, ſondern ausſchließlich auf den Her⸗ 
gang bei der Beratung und Abſtimmung n 
durfte der Obmann nach $ 200 GG. keinen Aufſchluß 
geben. Danach iſt aber auch der Antrag des Vertei⸗ 
digers, den Obmann zu hören, geſetzwidrig geweſen 
und durch die Nichtberückſichtigung dieſes Antrages 
das Geſetz nicht verletzt; keinesfalls konnte von einer 
Verletzung des § 243 Abſ. 2 StPO. die Rede fein, da 
der Antrag kein Beweisantrag i. S. dieſer Geſetzes⸗ 
ſtelle war. Mittelbar iſt übrigens dieſer Antrag mit 
dem Beſchluß au Zurückweiſung des Antrags auf Ans 
wendung des 8 309 StPO. abgelehnt, wenn das auch 
nicht wörtlich zum Ausdruck kam. (Urt. des I. StS. 
vom 4. Dezember 1913, 1 D 760/13). E. 
3274 


Oberſtes Landesgericht. 


A. Zivilſachen. 
I 


Uebernimmt bei einem Kaufpertrage der Käufer die 
ee ganz oder zum Teile, jo erhöht ſich der 
eis, aus dem Gebühren und Zuwachs ſtener zu 
chten find, um die übernommene Zuwachsſtener 
(ZumSt®. 88 1, 24, 29; BGB. 8 449; Geb. Art. 186 
Abſ. 2). Laut notarieller Urkunde verkaufte die Aktien⸗ 
geſellſchaft J. M. einen Bauplatz an B. um 22 070 M. 
Die Koſten ſowie die Gebühren und Steuern einſchließ⸗ 
lich der Reichswertzuwachsſteuer übernahmen die Ver⸗ 
tragsteile je zu /. Der Notar ſetzte die Gebühren 
aus 22 070 M an. Nach der Vermeſſung wurde eine 
Erhöhung des Kaufpreiſes um 225.60 M vereinbart. 
Auch aus dieſem Betrage wurden die Gebühren be⸗ 
rechnet. Die . ordnete die Nach⸗ 
holung von 38,40 M Gebühren an (20.90 M nach 
Art. 146 GebG., 10.40 M örtliche Beſitzveränderungs⸗ 
abgabe und 7.10 M Reichsſtempelabgabe), weil der von 
dem Käufer übernommene Betrag der Zuwachsſteuer 
als eine weitere Leiſtung für die Ueberlaſſung des 
Crundſtücks dem Kaufpreis zuzurechnen ſei. Die Ber 
ſchwerde wurde vom LG. zurückgewieſen. Auch die 
weitere Beſchwerde hatte keinen Erfolg. 

Gründe: Das LG. hat zutreffend angenommen: 
Darin, daß der Käufer die Zuwachsſteuer oder einen 
Teil dem Verkäufer gegenüber übernimmt, liege eine 
Gegenleiſtung, die der Käufer an den Verkäufer zu 
bewirken hat; dieſe Leiſtung bilde alſo einen Teil des 
Kaufpreiſes und damit der Gegenſtandsſumme i. S. des 
Art. 145 Geb. Nach § 29 ZuwSt®. hat die Zuwachs— 
ſteuer zu entrichten, wem das Eigentum vor dem die 
Steuerpflicht begründenden Vorgange zuſtand. Nur 
wenn die Steuer von dem Veräußerer nicht beigetrieben 
werden kann, haftet der Erwerber für ſie bis zum Be- 


— — — — — . — — 


153 


trage von 2% des Veräußerungspreiſes (Abſ. 2 des 
ad: der Erwerber ift aber ſelbſtverſtändlich dem 

eräußerer gegenüber erſatzberechtigt. Gegenſtand der 
Zuwachsſteuer iſt der bei dem Uebergange des Eigen⸗ 
tums feſtzuſtellende Wertzuwachs, der ohne Zutun des 
Eigentümers entſtanden ft (8 1). Schuldner iſt der 
Veräußerer. Verpflichtet ſich der Erwerber, dem Ver⸗ 
äußerer den Steuerbetrag ganz oder teilweiſe zu er⸗ 
ſetzen oder für ihn zu zahlen, ſo iſt dies eine weitere 
Gegenleiſtung für die Ueberlaſſung des Grundſtücks. 
Der Erwerber übernimmt eine dem Veräußerer ob- 
liegende Leiſtung und um den Wert dieſer Leiſtung 
erhöht ſich das Maß ſeiner Aufwendungen auf den 
Erwerb des Grundſtücks. Unrichtig iſt die Annahme 
der Beſchwerdeführerin, die Verpflichtung zur Zahlung 
der Zuwachsſteuer entſtehe erſt durch und infolge des 
Veräußerungsvertrags und die Uebernahme einer ſolchen 
Verpflichtung, insbeſondere einem Dritten, hier dem 
Staate, gegenüber könne nicht Teil der Kaufpreisver⸗ 
einbarung ſein. Die Verpflichtung zur Zahlung der 
Zuwachsſteuer entſteht nicht durch und infolge des Ber⸗ 
äußerungsvertrags, die Zuwachsſteuer wird nur bei 
dem Eigentumswechſel für den ſeit dem letzten Eigen⸗ 
tumsübergang ohne Zutun des Eigentümers ent⸗ 

andenen Wertzuwachs fällig. Zahlen muß ſie der 

eräußerer. Der Erwerber 1 nicht dem Fiskus gegen⸗ 
über, ſondern dem Veräußerer gegenüber die Ver⸗ 
pflichtung zur teilweiſen Zahlung der Steuer über⸗ 
nommen. Unzutreffend iſt auch die Behauptung, der 
von dem Erwerber zu leiſtende Betrag komme nicht 
in das Vermögen des Verkäufers, ſondern in das Ver⸗ 
mögen des Staates. Denn durch die Leiſtung des 
Erwerbers an den Staat wird das Vermögen des 
Veräußerers um den von dem Erwerber gezahlten 
Betrag der Steuer vermehrt. 

Wenn der Käufer dem Verkäufer gegenüber eine 
dieſem obliegende Verpflichtung zur Zahlung eines 
Unterhändlerlohns oder einer Vertragsſtrafe über⸗ 
nimmt, ſo ſind dieſe Leiſtungen bei der Bewertung dem 
Kaufpreis ebenſo zuzurechnen (vgl. JW. 1892 S. 344“), 
wie die von dem Erwerber übernommene Zuwachs⸗ 
ſteuer. Die Annahme, ſolche Leiſtungen könnten keinen 
Kaufpreisbeſtandteil bilden, kann auch nicht daraus 
gefolgert werden, daß der Kaufpreis nicht ermäßigt 
wird, wenn umgekehrt der Verkäufer dem Käufer ob⸗ 
liegende Leiſtungen übernimmt. Denn in dieſen Fällen 
bildet eben, wenn nichts anderes vereinbart iſt, der 
vereinbarte Kaufpreis die Gegenleiſtung für die Lei⸗ 
ſtungen des Verkäufers. Verfehlt iſt deshalb auch der 
Hinweis darauf, daß, wenn der Verkäufer die Ver⸗ 
pflichtungen übernimmt, die nach 8 449 BGB. an ſich 
den Käufer treffen — nämlich die Koſten der Auflaſſung, 
der Eintragung und der Beurkundung — dieſe Leiſtungen 
nicht eine Ermäßigung des . ſeien. Dazu 
kommt, daß die im 8 449 BGB. erwähnten Koſten und 
die Zuwachsſteuer verſchieden ſind. Erſtere entſtehen 
9 die Veräußerung, an ihnen ſind der Käufer und 
der Verkäufer gleichmäßig beteiligt; übernimmt der 
Verkäufer einen Teil der Koſten des Verkaufs, ſo handelt 
er auch in ſeinem eigenen Intereſſe. Die Zuwachs⸗ 
ſteuer ſoll aber gerade den bisherigen Eigentümer, den 
Veräußerer, mit Rückſicht auf den unverdienten Wert⸗ 
zuwachs treffen. Der Erwerber wird durch dieſen 
Wertzuwachs nicht berührt; die Uebernahme der Zu⸗ 
wachsſteuer durch ihn kann daher nur als eine Gegen⸗ 
leiſtung für das Grundſtück aufgefaßt werden. Wenn 
die Zahlung der Zuwachsſteuer von dem Erwerber 
übernommen wird, iſt nach $ 24 Zuw StG. ein nach 
den ſonſtigen Vorſchriften des Geſetzes berechneter 
Steuerbetrag dem Veräußerungspreiſe hinzuzuzählen 
und hiernach die Steuer feſtzuſetzen. Der Geſetzgeber 
iſt alſo auch hier von der Erwägung ausgegangen, 
das die Uebernahme der Zuwachsſteuer durch den Er— 
werber den Veräußerungspreis erhöht und daß die 
übernommene Zuwachsſteuer und der angegebene Ver— 


154 


äußerungspreis den Wert des Grundſtücks darſtellen. 
a 1 1 treffen aber auch für die Bewertung 
nach Art. 146 Geb. zu. Es handelt fi ſomit hier 
nicht um eine Verbindlichkeit, welche nur Bedingung 
(Nebenbeſtimmung) des Hauptvertrags iſt (Art. 186 
Abſ. 2 Geb.), ſondern um eine den Kaufpreis erhöhende 
weitere Leiſtung. (Beſchl. des II. 3S. vom 29. Des 
zember 1913, Reg. V 45/1913). W. 
3302 
II. 


Haftet der Bater eines minderjährigen dermögensd- 
leſen Kindes für die Gebühren uud Anglagen in einem 
Nechtsſtreite des Kindes? (BGB. 8 1654, ENG. 8 92). 
Aus den Gründen: Ueber die Auslegung des 
8 1654 BGB. herrſcht Streit. Noch in dem Beſchluſſe 
des OLG. Hamburg v. 11. Juni 1912 (Seuff A. Bd. 68 
Nr. 17, OL Rſpr. Bd. 25 S. 287) wird die Auffaſſung 
bekämpft, nach dem § 1654 habe der Vater die Koſten 
eines für das Kind geführten Rechtsſtreits nur zu 
tragen, wenn er Vermögen des Kindes in Händen hat. 
Der Streit iſt nicht neu. Schon unter der Herrſchaft 
des PreußLR. wurde der Satz aufgeſtellt, der Vater 
habe die Koſten eines für das Kind geführten Rechts⸗ 
ſtreits aus eigenen Mitteln zu tragen, ſoweit das von 
ihm vertretene Kind Vermögen nicht beſitzt (vgl. Dern⸗ 


burgs Lehrbuch des PreußprR. III 8 55 N. 21). | 


Sydow (Der. Z. 1860 S. 107) ſprach dagegen die An⸗ 
ſicht aus, daß der Vater zwar als Mießbraucher des 
unfreien Vermögens die Koſten eines Rechtsſtreits über 
die Subſtanz des Vermögens aus dieſem vorſchießen 
müſſe, daß er im übrigen aber nicht perſönlich haftbar 
werde, ſofern er für das Kind prozeſſiert. Dernburg 
a. a. O. billigt die letztere Meinung hauptſächlich des⸗ 
halb, weil eine der Vorſchrift des LR. Teil II Tit. I 
a (Verpflichtung des Mannes in Anſehung der 
ie Frau treffenden Prozeßkoſten) entſprechende Be⸗ 
ſtimmung für die Kinder nicht getroffen ſei. 
Auch in dem 8 1654 BGB., der in Satz 2 die 


Haftung des Vaters nach den für den Güterſtand der 


Verwaltung und Nutznießung geltenden Borfchriften 
der SS 1384 1386, 1388 beſtimmt, iſt gerade der 
8 1387 nicht erwähnt, der die unbedingte Verpflichtung 
des Mannes zur Tragung der Koſten eines Rechts⸗ 
ſtreits der Frau aufſtellt. Dies rechtfertigt den Schluß, 
daß der Geſetzgeber keine von dem Vorhandenſein eines 
der Nutznießung des Vaters unterliegenden Vermögens 
unabhängige Verpflichtung zu begründen gedachte. 
Aber auch in dem ſonſtigen Inhalte des 8 1654 tritt 
der Wille des Geſetzgebers erkennbar zutage. Weil 
dem Vater kraft der elterlichen Gewalt die Nutznießung 
an dem Vermögen des Kindes zuſteht, hat er auch die 
Laſten zu tragen (Satz 1). Dazu gehören die Koſten 
eines Rechtsſtreits für das Kind, ſofern ſie nicht dem 
freien Vermögen zur Laſt fallen (Satz 3). Immer ift 
es alſo die Nutznießung, die wie von Vorteilen, ſo 
auch von Nachteilen für den Vater begleitet iſt. Den 
Vater trifft die Verpflichtung zur Tragung von Pro— 
zeßkoſten für das Kind nicht, wenn es an einem ſeiner 
Nutznießung unterworfenen Vermögen fehlt. So hat 
auch das Reichsgericht in dem Beſchluſſe vom 22. Ja⸗ 
nuar 1912 entſchieden, wobei es den aus der Ent— 
ſtehungsgeſchichte für eine andere Auslegung des 
§ 1654 entnommenen Schlußfolgerungen angeſichts des 
klaren Wortlauts jede Bedeutung verſagt (RGSt. 45, 
407; Bay 3fR. 1912 S. 194). Der Anſicht des Reichs⸗ 
gerichts und ihrer Begründung hat ſich auch das OLG. 
München in dem Beſchluſſe vom 12. Dezember 1912 
1912 (Seuff A. Bd. 68 Nr. 101) angeſchloſſen und 
ſeine frühere gegenteilige Meinung aufgegeben. Auf 
den gleichen Standpunkt hat ſich das Kammergericht 
in feinem Gutachten vom 20. Juni 1913 geſtellt (vgl. 
PreußJ M Bl. S. 451 ff.). (Beſchl. des II. ZS. vo 

9. Februar 1914, Reg. I. 88,1912). W. 

3277 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


B. Strafſachen. 
I 


Vorausetzungen für die Nechtsgültigkeit einer nad 
dem Art. 67 Abf. 2 P StG B. angeordneten Naßregel. Ein 
Bezirksamt erließ folgende Verfügung: „Die durch 
die land wirtſchaftliche Berſuchsſtation vorgenommene 
Unterſuchung der Brunnen folgender Perſonen hat er⸗ 
geben, daß A Waſſer Beimengungen zeigen, die 
nur von Berunreinigungen durch menſchliche oder 
tieriſche Ausſcheidungen herrühren können und daher 
geſundheitsſchädlich ſind. Es wird deshalb im Ein⸗ 
vernehmen mit dem Bezirksarzte gemäß Art. 67 Abſ. 2 
P StG. jede weitere Benützung des Waſſers dieſer 
Brunnen als Trinkwaſſer und als Gebrauchswaſſer im 
Haushalt und im Gewerbebetriebe verboten.“ Das 
wurde den Brunnenbeſitzern mit dem Bemerken er⸗ 
öffnet, daß ſie im Falle einer Uebertretung Strafan⸗ 
zeige und Unbrauchbarmachung der Brunnen zu ge⸗ 
wärtigen haben. Die Angeklagten benützten trotzdem 
das Waſſer nach wie vor. Die Angeklagten wurden 
von dem B. freigeſprochen, weil der Vorſchrift des 
Art. 67 Abſ. 2 PStGB. zuwider in dem Verbote die 
Krankheiten nicht benannt ſind. Die Reviſion des 
Staatsanwalts wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Art. 67 en 
ſpricht allgemein von Sicherheitsmaßregeln und nicht 
bloß von ſolchen, die durch Polizeivorſchriften im engeren 
Sinne — Art. 1 Abſ. 1 PSt GB. — angeordnet werden. 
Es fallen alſo darunter auch polizeiliche Anordnungen, 
Gebote oder Verbote an einzelne Perſonen oder in 
beſtimmten Fällen (Art. 1 Abſ. 3 PStEB.) Auch für 
ſolche Anordnungen gilt 8 21 Abſ. 2 BO. v. 4. Januar 
1872. Die Verfügung des BezA. iſt nicht eine diſtrikts⸗ 
polizeiliche Vorſchrift i. S. des Art. 1 Abſ. 1 PStœ ., 
ſondern ein Verbot an al Perſonen in einem 
beſtimmten Falle, für das keine beſondere Art der Be 
kanntmachung vorgeſchrieben iſt (Obs SSt. 7 S. 326). 
Nach Art. 15 PStGGB. iſt zu prüfen, ob fi die An⸗ 
ordnung innerhalb des Rahmens des Art. 67 Abſ. 2 
PStGB. bewegt. Daß die Anordnung des Bez. 
dazu beſtimmt war, der drohenden Gefahr des Ein⸗ 
tritts oder der Verbreitung einer anſteckenden oder 
epidemiſch auftretenden Krankheit zu begegnen, kann 
aus ihrem Inhalte nicht entnommen werden. Denn 
die Anordnung hebt nur hervor, daß das Waſſer ge⸗ 
ſundheitsſchädlich ſei. Dieſer Umſtand allein würde 
aber das Verbot nicht rechtfertigen. Selbſt wenn es 
eine ausgemachte Sache wäre, daß Waſſer, das ſo ver⸗ 
unreinigt iſt, wie das in den Brunnen der Angeklagten. 
eine anſteckende Krankheit erzeugen kann, und daß die 
Kenntnis dieſer Tatſache allgemein verbreitet iſt, ſo 
zwänge das nicht zu der Annahme, daß die Vorſchrift 
nur zu dem in Art. 67 Abſ. 2 P StB. bezeichneten 
Zweck erlaſſen ſein kann. Es wird eben im Hinblick 
auf den tiefen Eingriff in die Verhältniſſe der Be⸗ 
troffenen davon ausgegangen werden müſſen, daß auch 
die Erheblichkeit der Gefahr für die Erlaſſung eines 
ſolchen Verbots maßgebend iſt. Das StM. des Innern 
und das StM. f. VA. haben im e mit 
den übrigen Staatsminiſterien am 9. Mai 1911 Vor⸗ 
ſchriften zur Bekämpfung weiterer als der im R. v. 
30. Juni 1900 über die Bekämpfung gemeingefährlicher 
Krankheiten bezeichneten gemeingefährlichen Krank⸗— 
heiten erlaſſen und zwar das StM. des Innern auf 
Grund des Art. 67 Abſ. 2 PSt B. und des §21 Abſ. 2 
der VO. vom 4. Januar 1872. In den SS 8—23 find 
die Schutzmaßregeln aufgeführt, die zur Verhütung der 
Weiterverbreitung gemeingefaͤhrlicher Krankheiten ge— 
troffen werden können. Nach 87 Abſ. 2 können im 
einzelnen Falle von den Diſtriktspolizeibehörden nach 
Antrag des Bezirksarztes auf Grund des Art. 67 
Abſ. 2 PStGB. weitergehende Maßregeln erlaſſen 
werden. Nach Abſ. 4 haben jedoch der Bezirksarzt bei 
ſeinen vorläufigen Anordnungen und bei ſeinen An— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


155 


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trägen, die Diſtriktspolizeibehörden bei ihren Anord⸗ 
nungen ſich auf unbedingt notwendige Maßregeln zu 
beſchränken, um eine Weiterverbreitung der Krankheit 
zu verhindern; unter keinen Umſtänden darf durch An⸗ 
wendung zu weit gehender Maßregeln unnötig in die 
perſönlichen und wirtſchaftlichen Verhältniſſe einge⸗ 
griffen werden. Es wird daher erwartet werden 
dürfen, daß der Amtsarzt zur Begründung ſeines An⸗ 
trags mindeſtens die Tatſachen ausreichend und zweifels⸗ 
frei feſtſtellt, mit denen er nach dem Geſetze gerecht⸗ 
fertigt werden kann, und daß andererſeits die Diſtrikts⸗ 
polizeibehörde nicht unterlaſſen wird, den Grund und 
den Zweck ihrer Anordnungen den hievon Betroffenen 
ſo vollſtändig und beſtimmt bekannt zu machen, daß 
kein Zweifel hierüber möglich iſt. Wird trotzdem 
weder in dem Antrage des Arztes noch in der An⸗ 
ordnung der Behörde erwähnt, daß die Anordnung 
gerade zum Schutze gegen den Eintritt einer an⸗ 
ſteckenden Krankheit uſw. für geboten erachtet wird, 
ſo muß das Bedenken entſtehen, ob die Behörde nicht 
in irriger Auslegung des Art. 67 Abſ. 2 PSt B. ihre 
Befugnis über die geſetzlichen Grenzen ausgedehnt hat. 
Es muß daher mindeſtens gefordert werden, daß in 
der Anordnung ihr Zweck ſo beſtimmt gekennzeichnet 
iſt, daß jeder Zweifel darüber ausgeſchloſſen iſt, ob 
die Anordnung innerhalb der geſetzlichen zuläſſigen 
Grenzen erlaſſen iſt. Das wird am ſicherſten Pr 
Angabe der Krankheit ſelbſt erreicht werden. Do 

wird hierin nicht die einzige Möglichkeit zu finden fein, 
vielmehr werden die Umſtände entſcheiden. (Urt. v. 
30. Dez. 1913, Rev.⸗Reg. Nr. 657/13). Ed. 

3283 
II. 


Neiſeksſten der Gendarmen bei Wahrnehmung eines 
gerichtlichen Termins. Der Gendarm H. in W. reiſte 
zur Wahrnehmung des auf 11. Juli 1913 vormittags 
10% Uhr in Augsburg anberaumten Termins ſchon 
am 10. Juli dorthin und traf am 11. Juli wieder in 
W. ein; er verlangte als Zeuge neben der Reiſekoſten⸗ 
entſchädigung zu 9 M 20 Pf für zweitägigen Aufwand 
4 M und für Uebernachten 2 M. Die Strafkammer 
bewilligte an Reiſekoſten 9 M 20 Pf und 2 M für ein» 
tägigen Aufwand, da er unter teilweiſer Benützung 
des Eilzugs für die Sue die Reife an einem Tage 
hätte machen können. H. legte Beſchwerde ein, weil 
er als Gendarm einen Eil⸗ oder Schnellzug zur Wahr⸗ 
nehmung eines gerichtlichen Termins nicht benützen 
dürfe. Die Beſchwerde wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Nach der Entſchl. des 
StM. des Innern vom 10. Juni 1897 und nach der 
Bek. der StM. der Juſtiz und der Finanzen vom 
21. Juli 1899 (JM Bl. 1899 S. 331 ff.) erhalten die 
Gendarmen für die Dienſtreiſen zur Wahrnehmung 
gerichtlicher Termine ak ihres Dienſtbezirks 
„gleichviel, ob die Reife zu Fuß oder unter Benützung 
eines Transportmittels erfolgt, eine Marſchkoſten⸗Ent⸗ 
ſchädigung von 5 Pf für jeden angefangenen km des 
Hinweges und des Rückweges und als Entſchädigung 
eine Zulage von 2 M täglich, ferner im Falle unver⸗ 
meidlichen Uebernachtens außerhalb des Dienſtbezirks 
eine eee von 2 M bei Reiſen in 
Bayern, von 3 bei Reiſen außerhalb Bayerns“. 
Das StM. der Finanzen hat im Einvernehmen mit 
den StM. der Juſtiz und des Innern die Entſchl. vom 
11. Nov. 1903 Nr. 25868 erlaſſen, daß „durch die Ges 
währung der — oben bezeichneten — Kilometergebühr 
die gleichzeitige Vergütung von Barauslagen für die 
Benützung eines Transportmittels ausgeſchloſſen wird 
und daß daher Gendarmen, die aus Anlaß von aus⸗ 
wärtigen zeugſchaftlichen Vernehmungen die Eiſenbahn 
benützen, die Koſten der Eiſenbahnfahrt, zu welchen 
auch eine etwaige Ausgabe für Schnellzugszuſchlag 
gehört., aus der ihnen zukommenden Kilometergebühr 
zu beſtreiten haben“. In der Entſchl. vom 11. Nov. 


1903 heißt es weiter: „Sollten Gendarmen aus be⸗ 
ſonderen Gründen genötigt fein, einen Schnellzug zu 
benützen, der nur I. und II. Wagenklaſſe führt und 
demnach die Kilometergebühr zur Deckung der Fahrt⸗ 
ausgabe nicht hinreichen, ſo ſtünde kein Hindernis im 
Wege, daß das Gendarmerie⸗Korps⸗ Kommando in 
ſolchen Fällen behufs Erwirkung einer höheren Ver⸗ 
gütung an das StM. des Innern berichtet.“ 

Die in der Entſchl. vom 11. Nov. 1903 vertretene 
Auffaſſung ſteht im Einklange mit dem Wortlaut und 
Zwecke der bezeichneten Entſchl. vom 10. Juni 1897 und 
der Bek. vom 21. Juli 1899; ſie wird getragen durch 
die auch für die Bendarmen noch geltende Vorſchrift 
des 8 16 VO. vom 11. Februar 1875, die Aufrechnung 
der Tagegelder und Reiſekoſten bei auswärtigen Dienſt⸗ 
geſchäften der Beamten und Bedienſteten des Zivil⸗ 
ſtaatsdienſtes betreffend (GVBl. S. 105), wornach „alle 
auswärtigen Dienſtgeſchäfte raſch und mit möglichſter 
Zeitabkürzung durchzuführen, unnötige Hin⸗ und Her⸗ 
reiſen ſtrengſtens zu vermeiden und ſoweit möglich 
jederzeit mehrere auswärtige Geſchäfte bei einer Reiſe 
zu verbinden find“. Darnach haben die Gendarmen 
die aus Anlaß zeugſchaftlicher Vernehmungen auszu⸗ 
führenden auswärtigen 1 unter Benützun 
von Eil⸗ oder Schnellzügen vorzunehmen, falls dadur 
die Reiſen in kürzerer Zeit zurückgelegt werden können 
als durch Benützung von Perſonenzügen. Sollte aus 
einem beſonderen Anlaß (insbeſondere dann, wenn 
die Benützung eines Eil⸗ oder Schnellzugs notwendig 
iſt, in den Zügen aber Wägen III. Kl. nicht mitgeführt 
werden) ein Eil⸗ oder Schnellzug I. oder II. Kl. be⸗ 
nützt werden müſſen, ſo haben die Gendarmen An⸗ 
ſpruch darauf, daß ihnen die durch die Kilometergebühr 
nicht gedeckte Mehrausgabe zur Zahlung aus der 
Staatskaſſe angewieſen werde. Da H. unter teilweiſer 
Benützung des Eilzugs die Hin⸗ und Rückreiſe an einem 
Tage hätte ausführen können und hiedurch die Marſch⸗ 
koſtenentſchädigung von 9 M 20 Pf bei weitem nicht 
verbraucht wurde, iſt die Entſcheidung der Strafkammer 


zutreffend. (Beſchl. vom 22. Nov. 1913, Beſchw.⸗Reg. 
Nr. 373/1913). Ed. 
3251 


Oberlandesgericht München. 


Wirkung der Rechtskraft. Der ee H. 
war bei St. in Miete. Da er den Mietzins nicht 
zahlte, behielt St. bei ſeinem Auszug einen zwei⸗ 
räderigen Handkarren zurück. H. verlangte im Klag⸗ 
wege von St. die Herausgabe, weil der Karren für 
ihn unentbehrlich ſei. Das AG. wies aber ſeine Klage 
durch Verſäumnisurteil ab und überbürdete ihm die 
Koſten des Rechtsſtreits; das Verſäumnisurteil wurde 
rechtskräftig. St. ließ auf Grund dieſes Urteils ſeine 
Koſten feſtſetzen und auf Grund des Koſtenfeſtſetzungs⸗ 
beſchluſſes den Karren pfänden. Auf Einwendungen 
hob jedoch das AG. die Pfändung als unzuläſſig al 
weil der Karren für den Schuldner unentbehrlich jet. 
Auf Beſchwerde des Gläubigers beſeitigte das LG. den 
amtsgerichtlichen Befchluß; es nahm an, daß H. zu⸗ 
folge des rechtskräftigen Verſäumnisurteils den Ein⸗ 
wand der Unentbehrlichkeit nicht mehr vorſchützen könne. 
H. legte die weitere ſofortige Beſchwerde ein, weil der 
amtsgerichtliche Rechtsſtreit das Vermieterpfandrecht, 
das gegenwärtige Verfahren aber ein Vollſtreckungs⸗ 
pfandrecht betreffe, die Rechtskraft des Verſäumnis⸗ 
urteils könne ſeinen Einwendungen gegen die Art und 
Weiſe der Zwangsvollſtreckung nicht entgegengehalten 
werden. Auf weitere Beſchwerde wurde der Beſchluß 
des Amtsgerichts wieder hergeſtellt. 

Gründe: Dem LG. iſt darin beizupflichten, daß 
auch die klagabweiſenden Verſäumnisurteile (8 330 
8PO.) inſoweit der Rechtskraft fähig find, als über 


156 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 


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den durch die Klage geltend gemachten Anſpruch ent⸗ 
ſchieden iſt (8 322 ZPO.). Die dem amtsgerichtlichen 
Berfäumnisurteile zugrunde liegende Klage e 
aber die Herausgabe des Karrens nicht gegenüber 
einem vom Gläubiger erwirkten Vollſtreckungspfand⸗ 
rechte (88 803, 804 ZPO.), ſondern gegenüber dem von 
ihm geltend gemachten Vermieterpfandrechte (8 559 
BGB.). Nur in dieſem ee iſt zwiſchen den Par⸗ 
teien durch das rechtskräftige Verſäumnisurteil feſt⸗ 
geſtellt worden, daß kein Herausgabeanſpruch des 
Klägers beſteht. Dem Gläubiger ſteht nach wie vor 
frei, auch wegen der Koſten der Rechtsverfolgung 
(SS 1257, 1210 Abſ. 2 BGB.) fein Vermieterpfandrecht 
zur Geltung zu bringen; er muß nur hiebei die geſetz⸗ 
lichen Vorſchriften beobachten, die teils zu ſeinen 
Gunſten, teils zum Vorteile des Schuldners für die 
Verwertung der Pfandſache gegeben find (88 1257, 
1228, 1233 ff. BGB.). erſchafft er ſich neben ſeinem 
Vermieterpfandrechte noch ein Pfändungspfandrecht, 
8 muß er ſich dem letzteren gegenüber alle Einwen⸗ 
ungen gefallen laſſen, die dem Schuldner gegen eine 
Zwangsvollſtreckung zuſtehen, er kann ſich nicht zu 
ihrer Zurückweiſung auf ein Urteil berufen, das aus⸗ 
ſchließlich einen ſein Vermieterpfandrecht betreffenden 
Herausgabeanſpruch des Schuldners erledigte. Der 
Schuldner handelt nicht argliſtig, wenn er ein Voll⸗ 
ſtreckungspfandrecht abwehrt und gleichwohl die Aus⸗ 
übung des Vermieterpfandrechts dulden muß, denn 
dieſe unterliegt Vorſchriften, die auch dem Schuldner 
in mancher Hinſicht eine günſtigere Rechtsſtellung als 
beim Vollſtreckungspfandrecht einräumen. Durch Aus⸗ 
übung eines unzuläſſigen Vollſtreckungspfandrechts darf 
ihm dieſe . nicht geſchmälert werden. 
(Beſchl. des IV. 35. v. 10. Februar 1914, Beſchw.⸗Reg. 
82/14). D. 
3280 


Vücheranzeigen. 


Weißenhern, Bankdepotgeſetz 8 8 mit beſonderer 
Berückſichtigung des kaufmänniſchen Zurückbehal⸗ 
tungsrecht. 8°. 76 S. München 1914, J. Schweitzer 
Verlag (Arthur Sellier). Preis Mk. 2.20. 


Die Monographie bietet mehr als der Titel vers 
ſpricht. Denn der Verfaſſer beſchränkt ſich nicht darauf, 
in begrüßenswerter Weiſe eine ſyſtematiſche Gliede— 
rung des Inhalts des 8 8 des Geſetzes zu geben, ſondern 
bietet eine ſyſtematiſche Darſtellung des ganzen Inhalts 
des Depotgeſetzes, wobei er unter Darlegung der wirt— 
ſchaftlichen Bedeutung des Depotvertrages (S. 12) die 
verſchiedenen Arten des Depots nicht nur aufzählt, 
ſondern auch erläutert (S. 14 ff., 23). Er unterſtellt 
(S. 13) in Uebereinſtimmung mit Staub und Rieſſer 
den „Schranffachvertrag“ den Regeln des Verwahrungs— 
vertrags; dieſe Auffaſſung dürfte den dabei in Betracht 
kommenden Beſonderheiten nicht ganz entſprechen. Der 
abweichenden Auffaſſung Heinricis (ſ. auch Bacharach 
bei Holdheim 1913 S. 257) dürfte der Vorzug zu geben 
ſein. Streitfragen z. B. S. 17, 28, 33 (Bedeutung des 
kaufmänniſchen Zurückbehaltungsrechts), 61 (Einfluß des 
Konkurſes des Provinzbankiers) werden unter ein— 
gehender Berückſichtigung der Literatur und Recht— 
ſprechung behandelt. Insbeſondere iſt wegen Hervor— 
hebung und Begründung des Zuſammenhangs von 
befonderem und allgemeinem Recht dem jungen Ju— 
riſten, der den hier in Frage kommenden Erſcheinungen 
des wirtſchaftlichen und Rechtslebens noch fremd gegen— 
überſteht, die Monographie beſonders zu empfehlen. 

München. Juſtizrat Dr. Heinrich Frankenburger. 


Eltzbacher, Dr. Paul, Schutz vor der Oeffentlich⸗ 
keit. Rede bei Uebernahme des Rektorates der Handels⸗ 
Hochſchule Berlin. 48 Seiten. Berlin 1913, Verlag 
von Franz Vahlen. Preis Mk. 1.—. 


Schutz der (oder durch die) Oeffentlichkeit und 
Schutz vor der Oeffentlichkeit — zwei im heutigen 
Rechtsleben beliebte Schlagworte, von denen jedes eine 
berechtigte Forderung ausdrückt; nur darf dieſe nicht 
überſpannt werden. Verfaſſer betont die Notwendig⸗ 
keit einer Verſtärkung des Rechtsſchutzes unſeres Privat⸗ 
lebens vor der Oeffentlichkeit, beſchränkt ſich aber auf 
zwei Wege zu dieſer Verſtärkung: Oeffentliche Mittei⸗ 
lungen aus dem Privatleben entgegen den guten Sitten 
ſeien zu verbieten und mit Strafe zu bedrohen; 8 847 
BGB. ſei ſo zu erweitern, daß bei dieſer und allen 
anderen unerlaubten Handlungen auch der ideelle Schaden 
zu erſetzen ſei. Dem zivilrechtlichen Abänderungsvor⸗ 
ſchlag iſt beizuſtimmen, weniger dem ſtrafrechtlichen, 
er m. E. faſt ebenſo unglücklich iſt wie das ſog. In⸗ 
diskretionsdelikt des Kommiſſionsentwurfs zu einem 
Deutſchen StGB. von 1913. Iſt denn heutzutage alles 
Heil beim Strafrichter? — Dr. Doert. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Die Beiträge zur Kranken-, Invaliden⸗ und Ange⸗ 
ſtelltenverſicherung. Die gem. MinBel. vom 3. Februar 
1914 (JMBl. S. 17) regelt nur die Frage, wie die 
Beiträge für die im Dienſt oder Betrieb des Staates 
beſchäftigten Verſicherungspflichtigen zu zahlen, der 
auf die Verficherungspflichtigen treffende Anteil ein⸗ 
zuziehen und der auf die Staatskaſſe treffende Anteil 
zu verrechnen iſt. Als Grundſatz wird dabei aufgeſtellt, 
daß die der Staatskaſſe zur Laſt fallenden Beiträge 
jeweils auf den gleichen Etatstitel zu verrechnen find, 
wie die Belohnung des Beſchäftigten ſelbſt, alſo z. B. 
bei Aushilfsſchreibern und Hilfsaufſehern auf den Etat 
für Geſchäftsaushilfe, bei einem Hilfsheizer auf den 
Etat für Geſchäftsbedürfniſſe oder Geſchäftsaushilfe. 
Mit Rückſicht hierauf mußte die Vorſchrift im Schluß⸗ 
ſatze der Ziff. IV der Bekanntmachung vom 29. De⸗ 
zember 1912 (JMBl. S. 354) aufgehoben werden. 

Bei der Verrechnung wird als Regel vorausgeſetzt, 
daß nur der geſetzlich beſtimmte Anteil an den Bei⸗ 
trägen auf die Staatskaſſe übernommen wird. Ab⸗ 
weichende Anordnungen können für den Geſchäftsbereich 
der Juſtizverwaltung nur vom Miniſterium getroffen 
werden; ſoweit ſolche ſchon beſtehen, bleiben ſie bis 
auf weiteres wirkſam. 


Vertretung des Neichsſiskus. Im Zentralblatt für 
das Deutſche Reich Nr. 11 des laufenden Jahres wurde 
eine neue Nachweiſung derjenigen Behörden und Per: 
ſonen bekannt gegeben, die im Geltungsbereich der 
Preußiſchen Militärverwaltung bei der Pfändung des 
Dienſteinkommens von Offizieren, Sanitätsoffizieren 
(Militärärzten), Veterinäroffizieren und von Beamten 
der Militärverwaltung, ferner bei der Pfändung der 
Penſionen dieſer Perſonen und der Pfändung der aus 
Militärfonds fließenden Gebührniſſe der Hinterbliebenen 
von Perſonen des Soldatenſtands und von Beamten 
der Militärverwaltung den Reichs⸗(Militär⸗) Fiskus 
als Drittſchuldner im Sinne der 88 829 ff. ZPO. ver 
treten. Ebendort wurde eine Ergänzung der für den 
Geſchäftsbereich der K. Sächſiſchen Militärverwaltung 
geltenden Nachweiſung bekannt gegeben, die im Zen— 
tralblatt 1906 S. 1245 veröffentlicht iſt. 


3275 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten. 
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ur. 8. 


Zeitſchrift für 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


Regierungsrat im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtiz. 


München, den 15. April 1914. 


in Bayern 


10. Jahrg. 


Rechtspflege 


Verlag von 
J. Schweitzer Verlag 
(Arthur Sellier) 
Münden, Berlin u. Leipzig. 


(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.) 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /. 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich : 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
jede Poſtanſtalt. 


Eigentumsverhältniſſe beim dan 
auf der Grenze. 
Bon Reichsgerichtsrat 8. Buſch in Leipzig. 


In der Abhandlung „Eigentum am Ueberbau“ 
auf S. 58 ff. dieſer Zeitſchrift verteidigt Schmitt gegen⸗ 
über der herrſchenden Lehre die von Staudinger 
(Riezler) in Erl. 7 zu 8 94 vertretene Anſicht: es ſei 
nicht aus 8 95 Abſ. 1 Satz 2, ſondern aus 8 93 in 
Verbindung mit 8 94 Abſ. 2 zu entnehmen, daß 
der über die Grenze ſeines Grundſtücks Bauende 
im Falle des 8 912 BGB. Eigentümer des ganzen 
Gebäudes ſei, und es ſei weiter aus 88 93, 94 
Ab}. 2 zu folgern, daß auch dann, wenn die Voraus⸗ 
ſetzungen des 8 912 Abſ. 1 BGB. nicht gegeben 
ſeien, der Bauende Eigentümer des Ueberbaues 
werde. Aus dieſem „Leitſatz“ zieht Schmitt ferner 
Folgerungen, die ſich dahin zuſammenfaſſen laſſen, 
daß ſtets, wenn ein Gebäude auf der Grenze zwiſchen 
zwei Grundſtücken errichtet werde, das Eigentum 
am ganzen Gebäude in einer Hand vereinigt ſei. 
Hierzu iſt jedoch zunächſt zu bemerken, daß für den 
Fall eines Baues auf zwei aneinanderliegende, dem 
nämlichen Eigentümer gehörende Grundſtücke auch 
Staudinger (Kober) in Erl. I 2a zu 5912, Erl. 1a 5 
zu 8 946 in Uebereinſtimmung mit der Rechtſprechung 
des Reichsgerichts (Entſch. Bd. 65 S. 361; 70 S. 201; 
72 S. 272) annimmt, es werde das Gebäube, in 
der Regel wenigſtens, Beſtandteil beider Grundſtücke 
nach realen Teilen und, wenn bei einer Zwangs⸗ 
verſteigerung die Grundſtücke verſchiedenen Perſonen 
zugeſchlagen würden, erwerbe jeder mit dem ihm 
zugeſchlagenen Grundſtück auch den darauf ſtehenden 
Teil des Gebäudes als weſentlichen Beſtandteil ge: 
mäß 98 94 Abſ. 1, 946 BGB. zum Alleineigentum. 
Der Leitſatz und die daraus gezogenen Folgerungen 
entſprechen aber auch überhaupt nicht den vom BGB. 
der Verbindung von Sachen mit einem fremden 
Grundſtück beigelegten Wirkungen. Im römischen 
Recht galt der Grundſatz „superficies solo cedit“ 


Nachdruck verboten. 


. Leitung und Geſchäftsſtelle: München. Ottoſtraße 1a. 
J] Anzeigengebübr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile 
oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗ 


% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


157 


in voller Strenge: alle mit einem fremden Grund⸗ 
ſtück feſt verbundenen Sachen, insbeſondere auch 
Gebäude oder Gebäudeteile, gingen in das Eigen⸗ 
tum des Grundſtückseigentümers über, gleichviel ob 
der Verbindende wußte, daß das Grundſtück ihm 
nicht gehörte, oder er das Grundſtück für ſein eigenes 
hielt, und gleichviel ob er ein Recht zur Verbindung 
hatte oder er unberechtigt die Verbindung vornahm 
(vgl. Wolff, Bau auf fremdem Boden, S. 6; Hagena, 
Grenzüberbau, S. 2). Auch für den Fall des Grenz⸗ 
überbaues gab es eine Ausnahmebeſtimmung nicht. 
Demgemäß wurde der Ueberbau Eigentum des Eigen⸗ 
tümers des überbauten Grundſtücks, während der. 
andere Gebäudeteil im Eigentum des Ueberbauenden 
ſtand (vgl. Enneccerus⸗Wolff, BGB. Bd. 2 S. 143, 
Hagena a. a. O.). In einigen neueren Geſetzge⸗ 
bungen (vgl. Pr. ALR. 89 340, 34119, Württemb. 
BauO. von 1872 Art. 72) dagegen wurde für dieſen 
Fall umgekehrt dem Ueberbauenden nicht nur der 
Ueberbau, ſondern auch der überbaute Grund und 
Boden zum Eigentum zugewieſen, ſofern ähnliche 
en vorlagen, wie fie $ 912 Abi. 1 
BGB. erfordert (vgl. Wolff a. a. O. S. 20). Auf 
dieſe Geſetzgebungen Bezug nehmend bemerken die 
Motive zu 88 857 ff. (88 912 ff. BGB.) Bd. 3 
S. 283: „Wenn die ſtrenge Durchführung 
der Eigentumskonſequenzen zu einer Tren⸗ 
nung von Sachverbindungen führen würde, welche 
die verbundenen Sachen zerſtört, ſo kann das bürger⸗ 
liche Recht im öffentlichen Intereſſe an der Ver⸗ 
hütung einer derartigen wertvernichtenden Zerſtörung 
einen genügenden Anlaß finden, die regelmäßigen 
Eigentumskonſequenzen zu modifizieren. Die 
Vorſchriften des Entwurfes über die weſentlichen 
Beſtandteile (88 784 — 786; jetzt 8 94 Abſ. 1 Satz 2, 
8 95 BGB., Art. 65 EG.), und über Verbindung, 
Vermiſchung und Verarbeitung (88 890 — 897; 
jetzt 88 946— 951 BGB.) enthalten derartige Modi: 
fikationen. Bei dem Bau auf fremdem Grund und 
Boden gibt die Durchführung des Eigen: 
tumsanſpruches den Anlaß zur wirtſchaftlich 


158 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


ſchädlichen Auseinanderreißung weſentlicher Beſtand⸗ 
teile vermöge des jus tollendi (8 936 Abi. 3; 
jetzt 8 997 BGB.). Die Verhütung dieſes Re: 
ſultates durch Behandlung des Bauenden als Spezi⸗ 
fikanten und Umkehrung des Satzes superficies 
solo cedit bleibt ausgeſchloſſen, weil man hierdurch 
mit den Grundprinzipien des Im mobi⸗ 
liarrechts in Widerſpruch treten würde. Aber 
in dem Falle des Grenzüberbaues, in welchem 
die ſtrenge Geltendmachung der Eigentums⸗ 
konſequenzen mit beſonderen Härten verbunden 
ſein würde, iſt eine Abhülfe möglich. 
In den Mitteln der Abhülfe geht der Entwurf nur 
ſoweit, als das Bedürfnis erfordert.“ — Beurteilt 
man von der in dieſer Bemerkung dargelegten Auf⸗ 
faſſung aus die angezogenen Geſetzesſtellen und 
zieht man ferner in Betracht die Vorſchriften des 
8 923 BGB. über den Grenzbaum ſowie die Be⸗ 
merkung der Motive dazu Bd. 3 S. 277: „Aus 
dem Begriffe der Grenze ergibt ſich, daß dieſelbe, 
indem ſie die feſten kohärrierenden Beſtandteile der 
Grundſtücke, Erdboden, Geſtein, Gebäude, durch⸗ 
ſchneidei, die auf beiden Seiten der Grenze liegen⸗ 
den Stücke dem einen und dem anderen 
Grundſtücke zuteilt, daß alſo die Eigentümer 
der ſo zugeteilten Stücke trennungsberechtigt ſind“, 
jo laßt ſich deutlich erkennen, welche Wirkungen 
nach BGB. die Verbindung von Sachen, insbe⸗ 
ſondere von Gebaͤuden, mit ſremden Grundſtücken 
hinſichtlich der Eigentumsverhaltniſſe hat: Das 
BGB. ſteht grundſätzlich auf dem Standpunkt des 
römiſchen Rechtes, daß das Verbundene, mag es 
auch ein Gebaͤude oder ein Teil eines Gebäudes 
ſein, Eigentum des Eigentümers des fremden Grund⸗ 
ſtücks wird. Dies folgt freilich nicht oder doch nicht 
allein aus 8 93 BGB. Aus der hier gegebenen 
Beſtimmung in Verbindung mit $ 94 Abſ. 1 
Satz 1 BGB. ergibt ſich zwar, daß Sachen, die 
mit einem Grundſtück feſt verbunden und alſo weſent⸗ 
liche Beſtandteile des Grundſtücks geworden find, 
nicht im Sondereigentum ſein können; dagegen nicht, 
in weſſen Eigentum das Ganze ſteht (vgl. Mot. 
Bd. 3 S. 357). In letzterer Hinſicht enthält $ 946 
die maßgebende Beſtimmung. Daraus iſt im Zu— 
ſammenhalt mit 88 93, 94 Abſ. 1 Satz 1 zu ent: 
nehmen, daß ſich das Eigentum an dem fremden 


Grundſtück auf jene verbundenen Sachen erſtreckt 
Sachverbindung S. 108, Waller in Jur. Woch. 1909 


und das bisherige Eigentum an den Sachen unter⸗ 
geht. Ob bewegliche Sachen je für ſich allein oder 
zuſammen mit anderen Sachen dem Grundftüd 


einverleibt werden, macht nach dem Geſetz hinſichtlich 


Erſtreckung des Eigentums keinen Unterſchied. Daher 


werden, wenn auf fremdem Grundſtück ein Gebäude 


oder ein Gebaͤudeteil errichtet wird, ſämtliche Bau⸗ 
mittelſtücke und ſomit auch das Gebäude oder der 
Gebäudeteil, die daraus hergeſtellt worden ſind, im 
Ganzen Eigentum des Grundſtückseigentümers. 
Ferner wirkt die vereinigende Kraft des Eigentums 
bei jedem Grundſtück bis zu deſſen Grenzlinien der: 
geſtalt, daß alle im obigem Sinne mit dem Grund— 


ſtück innerhalb dieſer Grenzlinien verbundenen Sachen 
jenem Eigentum unterliegen, und zwar find dabei 
die Grenzlinien, da das Recht des Eigentümers eines 
Grundſtücks gemäß § 905 ſich auf den Raum über 
der Oberflache und auf den Erdkörper unter der 
Oberfläche erſtreckt, ſenkrecht in die Höhe und in 
die Tiefe gerückt zu denken. Dies hat auch, wenn 
jemand ein Gebäude auf der Grenze zwiſchen zwei 
ſremden Grundſtücken, die verſchiedenen Perſonen 
gehören, errichtet, von den mit den einzelnen Grund⸗ 
ſtücken bis zu der Grenze verbundenen Baumittel⸗ 
ſtücken und ſonach von den auf den einzelnen Grund⸗ 
ſtücken ſtehenden Gebäudeteilen zu gelten. Zwar 
beſtimmt § 947, daß, wenn bewegliche Sachen mit: 
einander dergeſtalt verbunden werden, daß fie weſent⸗ 
liche Beſtandteile einer einheitlichen Sache werden, 
die bisherigen Eigentümer Miteigentümer dieſer 
Sache werden, ſowie, daß, wenn eine der Sachen 
als die Hauptſache anzuſehen iſt, ihr Eigentümer 
das Alleineigentum erwirbt, und die zur Herſtellung 
jenes Gebäudes auf der Grenze eingefügten und 
miteinander verbundenen Baumittelſtücke find nach 
8 94 Abſ. 2 weſentliche Beſtandteile des ſich als 
eine einheitliche Sache darſtellenden Gebäudes. Aber 
im Augenblick der Verbindung mit den Grund⸗ 
ſtücken find die Baumittelſtücke gemäß 8 94 Ab}. 1 
Satz 1 aus beweglichen Sachen zu Grundftüdsteilen 
geworden; daher können auf ſie, wiewohl ſie wieder⸗ 
um miteinander vereinigt werden und aus ihnen 
ein Gebäude, eine einheitliche Sache, hergeſtellt wird, 
die nur die Verbindung beweglicher Sachen mit⸗ 
einander betreffenden Beſtimmungen des 8 947 keine 
Anwendung finden. Demnach ſteht in dem ge⸗ 
nannten Falle das auf der Grenze errichtete Ge⸗ 
bäude weder im Eigentum desjenigen, der mit den 
ihm gehörig geweſenen Baumittelſtücken das Ge⸗ 
bäude erbaut hat, noch im Miteigentum der beiden 
Grundſtückseigentümer, noch, wenn fi etwa auf 
einem der beiden Grundſtücke der größere Teil des 
Gebäudes befindet, im Alleineigentum des Eigen: 


tümers dieſes Grundſtücks, ſondern jeder der beiden 


Grundſtückseigentümer iſt Alleineigentümer des auf 
ſeinem Grundſtück ſtehenden Gebaͤudeteils bis zur 
Grenzlinie (vgl. RGE. Bd. 65 S. 363; 70 S. 201, 
Jur. Woch. 1911 S. 211, 366, Planck Anm. 4 zu 
894, Tobias im Arch ZivPrax. Bd. 94 S. 424; and. 
Mein. Heilborn, Die rechtsgeſtaltende Kraft der 


S. 747, die in einem ſolchen Falle Miteigentum 
der Grundſtückseigentümer annehmen, auch die Ur: 
teile der Oberlandesgerichte in Rechtſpr. Bd. 13 
S. 311, in Jur. Woch. 1912 S. 1037). 

Eine Ausnahme von dem oben aufgeſtellten 
Grundſatze gilt nach BGB. nur, wenn mit einem 
fremden Grundſtück Sachen zu einem vorüber⸗ 
gehenden Zweck oder Gebäude oder andere Werke 
in Ausübung eines Rechtes an dem Grundſtück 
von dem Berechtigten verbunden worden find, 
weil dann gemäß § 95 Abſ. 1 das Verbundene 


nicht Beſtandteil des Grundſtücks wird und daher 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


— — 


$ 946 nicht Platz greift. Deshalb gehört, wenn 
ein Gebäude auf der Grenze zwiſchen zwei fremden 
Grundſtücken von jemandem nur zu einem vorüber⸗ 
gehenden Zweck (3. B. von einem Pächter der beiden 
Grundſtücke nur für die Dauer des Pachtverhält⸗ 
niſſes, vgl. RGE. 55, 284; 59, 20; 63, 421; 
Jur W. 1904 S. 336 Nr. 1, 1912 S. 129 Nr. 2) 
errichtet wird, das ganze Gebäude dem Erbau⸗ 
enden, gleichviel ob die Grundſtücke im Eigentum 
verſchiedener Perſonen oder der nämlichen Perſon 
ſtehen. Ferner iſt, wenn der Eigentümer eines 
Grundſtücks, dem zugleich ein dingliches Recht am 
fremden Nachbargrundſtück (z. B. ein Nießbrauchs⸗ 
recht) zuſteht, in Ausübung ſeines Eigentums und 
des Rechtes ein Gebäude auf der Grenze der beiden 
Grundſtücke errichtet hat, er der Eigentümer des 
ganzen Gebäudes, gleichviel ob auf ſeinem Grund⸗ 
ſtück und auf dem Nachbargrundſtück das Ge⸗ 
bäude zu gleichen Teilen ſteht oder ob auf dem 
einen oder dem anderen Grundſtück ſich der größere 
Teil des Gebäudes befindet. Denn der Gebäudeteil 
auf dem Nachbargrundſtück iſt nicht Beſtandteil 
des Grundſtücks, daher kommt dieſer Grund und 
Boden für das Eigentum am Gebäude rechtlich 
ebenſowenig in Betracht, wie z. B. beim Hinüber⸗ 
bauen eines Erkers in den Luftraum über einem 
Nachbargrundſtück, und das Gebäude iſt mit dem 
Grundſtück des Erbauenden, wenn auch nur zum 
Teil, feſt verbunden, alſo gemäß 8 94 Abſ. 1 Satz 1 
weſentlicher Beſtandteil dieſes Grundſtücks. Gleiches 
gilt auch dann, wenn ein Bau auf der Grenze 
nach Maßgabe des § 912 Abi. 1 ſtattgefunden 
hat. Denn auch in dieſem Falle trifft auf den 
Gebäudeteil, der auf dem Nachbargrundſtück er⸗ 
richtet worden iſt, 8 95 Abſ. 1 Satz 2 unmittel⸗ 
bar zu. Zwar ſpricht 8 912 Abſ. 1 nur aus, 
daß bei Vorliegen gewiſſer Vorausſetzungen der 
Nachbar den Ueberbau zu dulden hat. Aber daraus 
folgt nicht, daß dem Nachbar lediglich eine die Ab⸗ 
wehr des Eingriffs gemäß 88 903, 1004 aus⸗ 
ſchließende Beſchränkung ſeines Eigentums auf⸗ 
erlegt worden und die Befugnis des Bauenden zum 
Halten des Gebäubeteild auf dem Nachbargrund⸗ 
ſtück nur als die Kehrſeite der Eigentumsbe⸗ 
ſchränkung zu erachten iſt (wie Schmidt in Bayr. 
Not. 1907 S. 53 meint). Vielmehr iſt, da die 
Duldungspflicht eine Anlage betrifft und dadurch 
das Nachbargrundſtück dauernd zugunſten des je⸗ 
weiligen Eigentümers des anderen Grundſtücks in 
ähnlicher Weile belaſtet iſt, wie wenn eine Grund: 
dienſtbarkeit mit dieſem Inhalt gemäß $ 1018 
beſtellt worden wäre, die genannte Befugnis als 
ein beim Vorliegen eines gewiſſen Tatbeſtandes 
kraft Geſetzes entſtehendes Recht an dem fremden 
Nachbargrundſtück anzuſehen. Dieſes Recht iſt 
zwar nicht (mit Wolff a. a. O. S. 132) als ge⸗ 
ſetzliche Grunddienſtbarkeit aufzufaſſen, da es hin⸗ 
ſichtlich der Vorausſetzungen und der Fortdauer 
(ogl. § 914 Abſ. 1) feinen eigenen Regeln folgt, 


auch nicht (mit Enneccerus⸗Wolff a. a. O. S. 145) 


159 


als ein Teil des Eigentumsinhalts, da das Eigen⸗ 
tum ſich nicht über die Grundſtücksgrenzen hinaus 
erſtrecken kann; wohl aber (mit den Mot. 3, 283, 
Planck Anm. 4 zu 8 95) als ein eigenartiges ge⸗ 
ſetzliches Recht mit einem einer Grunddienſtbarkeit 
ähnlichen Inhalt. Es entſteht in dem der Grenz⸗ 
überſchreitung nachfolgenden Zeitpunkt, bis zu dem 
der Nachbar mit Wirkſamkeit Widerſpruch erheben 
konnte. Iſt demnächſt der hinüberreichende Ge⸗ 
bäudeteil auf dem Nachbargrundſtlück errichtet, To 
iſt er, wie die Mot. 3, 387 mit Recht bemerken, 
im Sinne des $ 95 Abſ. 1 Satz 2 in Ausübung 
eines Rechtes an einem fremden Grundſtücke von 
dem Berechtigten mit dem Grundſtücke verbunden 
worden (vgl. RGE. 72, 272; 83, 142). Liegt 
aber auch nur eine der aus § 912 Abſ. 1 ſich er- 
gebenden Vorausſetzungen für die Entſtehung des 
Rechtes nicht vor, iſt der Bauende nicht Grund⸗ 
ſtückseigentümer, ſondern z. B. nur Nießbraucher, 
oder iſt das Errichtete nicht ein Gebäude, ſondern 
z. B. nur eine Mauer (vgl. Mot. 3, 284 gegen 
Enneccerus⸗Wolff a. a. O. S. 143, die 8 912 ent⸗ 
ſprechend anwenden wollen), oder fällt dem Bau⸗ 
enden Vorſatz oder grobe Fahrläſfigkeit zur Laſt 
oder hat der Nachbar vor oder ſofort nach der 
Grenzüberſchreitung Widerſpruch erhoben, und iſt 
auch ſonſt nicht ein Fall gegeben, auf den eine 
der Beſtimmungen des § 95 Abſ. 1 anzuwenden 
iſt, ſo wird der auf dem Nachbargrundſtück er⸗ 
richtete Teil des Baues Eigentum des Nachbars 
und ſteht der andere Bauteil und nur dieſer im 
Eigentum des Bauenden, ſo daß das Ganze durch 
eine auf der Grenzlinie errichtet zu denkende 
Schnittfläche dem Eigentumsrechte nach geteilt iſt. 
Das Geſetz hat, wie die oben angeführten Be⸗ 
merkungen der Motive klar ergeben, von dem 
Grundſatz des 8 946, daß die mit einem fremden 
Grundſtücke feſt verbundenen früher beweglichen 
Sachen von dem Eigentum am Grundftüd er⸗ 
griffen werden, weitere Ausnahmen, als die aus 
§ 95 Abſ. 1 und § 912 Abf. 1 folgenden, nicht 
zulaſſen wollen, insbeſondere auch nicht hinſichtlich 
Bauten auf der Grenze. Soweit der Verbindende 
zufolge des Grundſatzes einen Rechtsverluſt er⸗ 
leidet, ſtehen ihm die Rechtsbehelfe aus 8 951 zu. 
Dieſe Auffaſſung hat den Vorzug, daß auch bei 
ſolchen Bauten auf der Grenze, auf welche die ge⸗ 
nannten Ausnahmebeſtimmungen keine Anwendung 
finden, die Eigen tumsverhältniſſe ſich mit Sicher⸗ 
heit feſtſtellen laſſen, während, wenn man (mit 
Schmitt a. a. O.) das Eigentum am ganzen Bau 
dem Grundſtück zuweiſen wollte, auf dem der 
Hauptteil, der oft nur unſicher zu beſtimmen ſein 
wird, ſich befindet, die Eigentum sverhältniſſe ins 
Ungewiſſe geſtellt würden. Allerdings beſtehen bei 
derartigen Bauten zufolge der Teilung des Eigen⸗ 
tums Schwierigkeiten, namentlich hinſichtlich der 
Begrenzung der Verfügungsmacht bezüglich der 
einzelnen Teile (vgl. RGE. 70, 206). Aber ſolche 
Schwierigkeiten würden, auch wenn man (mit Heil⸗ 


160 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


born und Waller a. a. O.) Miteigentum der Nach⸗ 1. Was zunächſt dieſe unklagbaren Anſprüche 
barn an den Bauten annehmen wollte, nicht minder betrifft (vgl. Reichel in Ihering s J. 59, 432), 
gegeben fein, beſonders in Anbetracht deſſen, daß jo kann 

der Grund und Boden bis zur Grenze auch nach a) wie bei Spiel, Wette und Differenzgeſchäft 
dieſer Anſicht im Alleineigentum eines jeden der | (83 762 — 764) der Schutz des Gläubigers auf die 
Nachbarn ftehen würde. — Hervorzuheben iſt an: soluti retentio beſchränkt und eine Verbindlichkeit 
dererſeits jedoch, daß die Anſicht (Schmidt, BayRot 3. ausgeſchloſſen oder 


S. 54), auch bei Vorliegen der Vorausſetzungen des i ; ER er. 
8912 Abſ. 1 falle der Ueberbau in das Eigentum des |; a 7 en m ed 
Nachbars, ebenſowenig zutreffend iſt, wie die An⸗ e eee Inte, Dei 5 a 
ſicht (S chmitt a. a. O. S. 60) daß e 118 GewO. verſagt oder die Geltendmachung, wie 
Ueberbau den Hauptteil des Gebäudes bilde, das bet erlauben Börſengeſchaften von Nichtkaufleuten 
Vue 1 an des on werde. 8 ed 9 5 — 56 Vörſ. G. beſchränkt fein, 
ielmehr gehört, wenn ſämtliche Vorausſetzungen f 5 
des 8 912 Abſ. 1 gegeben find, gemäß obigen 19 wie 2 58 19 an 1001 BGB. ſowie 
Ausführungen, insbeſondere weil der Grund und 5 50 Abſ. 2 ZPO. das Klagerecht entzogen fein, 
Boden des Nachbargrundſtücks rechtlich wegzudenken zeitweilig oder dem nicht rechtsfähigen Verein. 
und nicht nur der mit dem anderen Grundſtück Hiernach handelt es ſich auch in dieſen Fällen 
unmittelbar verbundene Gebäudeteil ſondern auch der Unwirkſamkeit oder verringerten Wirkſamkeit 
der mit dieſem zu einer einzigen Sache vereinigte | um Mängel in den Geltungsvorausfetzungen, die fich 
Ueberbau Beſtandteil des anderen Grundſtücks iſt, als Abſchwächungen des weiteſtgehenden Mittels, 
das ganze Gebäude dem Bauenden, auch dann, der Nichtigkeit, darſtellen. Eine weitere ſolche Ab⸗ 
wenn ſich auf ſeinem Grundſtück nur der kleinere ſchwächung iſt 
Teil befindet (vgl. Enneccerus⸗Wolff a. a. O. S. 144; 2. die Heilung der Nichtigkeit, die wir ſchon 
RGE. 83, 142, wo jedoch die Frage in letzterer bei der Ehenichtigkeit getroffen haben, und die ebenſo 
Hinſicht unentſchieden gelaſſen iſt). in 88 313 S. 2, 518 Abſ. 2, 566 S. 2, 766 
S. 2 uſw. BGB. vorgeſehen iſt. 
Holder hat ganz allgemein (Komm. S. 240) 
2 1 als 8 
agegen hat ſich vielfacher Widerſpruch erhoben 
Unwirksamkeit und Nichtigleit des Jechts⸗ und das, was bereits ausgeführt wurde, zeigt die 
geſchäfts. bene 1 5 um = 
von Hellmann (Gutachten aus dem Anwaltsſtan 
Von e W S. 489 f.) geteilt wurde. Alexander (S. 65) 
5 mit Recht die Heilbarkeit auf einzelne 
Schluß). unwirkſame Rechtsgeſchäfte. Aber man wird all⸗ 


— UÜ— — ũ — — — — 


III. Die Rechtsordnung verfügt die Nichtigkeit gemein ſagen können, daß die der Geltung nach 
für den Fall, daß die von ihr für die Wirkung unwirkſamen Rechtsgeſchäfte ſich zuſammenſetzen aus 
des Rechtsgeſchäfts aufgeſtellten Bedingungen nicht nichtigen und aus ſolchen, bei denen die Nichtigkeit 
eingehalten oder ſonſtige Vorſchriften übertreten in der einen oder andern Richtung abgeſchwächt 
werden. Es kann ſich dabei um geſtattende, ge- wurde. Man hat die unwirkſamen Rechtsgeſchäfte 
bietende und verbietende Geſetze handeln, das Rechts⸗ eingeteilt in abſolut und relativ unwirkſame, die 
geſchäft kann an ſich verboten werden oder nur in letzteren wieder nach der ſachlichen oder der perſön⸗ 
beſtimmten Teilen oder gegenüber beſtimmten Per- lichen Richtung; vgl. Schachian S. 208, dagegen 
ſonen (vgl. Sterio, Delle nullitä delle obliga- Strohal S. 13 f. und wieder Fiſcher S. 7f. 


zioni im Archivio giuridicho, Bd. 56 [1896] Für die Rechtsanwendun 

g von Bedeutung iſt 
S. 181 f.). Als Abwehrmaßregel kann die Un: auch hier insbeſondere das Verhältnis zur Nichtig⸗ 
wirkſamkeit von Verletzungen des Geſetzes ausge- feit. Da dieſe begriffsgemäß nicht zugunſten der 
ſprochen 58 Aber 1 Geſetz muß deshalb einen Perſon eintreten, für andere aber entfallen 
nicht in jedem Falle die Nichteriſtenz oder die kann, iſt mit dem Begriff der relativen Nichtigkeit 
Nichtigkeit eines entgegenſtehenden Rechtsgeſchäfts wenig anzufangen (vgl. Fräb in 8Bl§ G. 12, 620). 
ausſprechen. Es kann ſich mit einer auf das Dagegen laſſen ſich ſämtliche in Frage kommenden 
Verlangen beſtimmter Perſonen auszuſprechenden, Fälle unter die Begriffe der aufſchiebend und auf⸗ 
mit einer auf eine gewiſſe Zeit oder auf einen Teil löſend bedingten Nichtigkeit einreihen. 
des Geſchäfts beſchränkten, durch gewiſſe Umſtände 
bedingten Nichtigkeit begnügen, es kann die unheil- A. Aufſchiebend bedingte Nichtigkeit 
bare Nichtigkeit auf eine heilbare ermäßigen und 1. durch Anfechtung. 
es kann ſich auch mit einer Unwirkſamkeit begnügen, a) Während die Nichtigkeit ipso jure erfolgt, 
die nur in der Unklagbarkeit des an ſich erwor- kennt das bürgerliche Recht Tatbeſtände, in denen 
benen Anſpruchs beſteht. erſt auf Veranlaſſung eines andern dieſe Folge 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


eintritt; wird das Rechtsgeſchäſt von dem Betreffen⸗ 
den angefochten, was durch Erklärung gegenüber 
dem Gegner zu geſchehen hat, ſo wird es als von 
Anfang an nichtig betrachtet (8 142). Die wichtigſten 
Anwendungsfälle find Irrtum, Betrug und Be⸗ 
drohung (88 118— 124, 2078 uſw.), „Anfechtbarkeit 
eines Geſchäfts iſt nach dem BGB. diejenige 
Mangelhaftigkeit ſeines Inhalts, deren Hervor⸗ 
kehrung lediglich von dem Willen des Berechtigten 
abhängt.“ Bruck, Bedeutung der Anfechtbarkeit 
für Dritte (1900, S. 30). 

b) Nach 8 29 der KO. und 8 1 des AnfG. 
können Rechtshandlungen eines Schuldners als den 
Glaͤubigern gegenüber unwirkſam angefochten wer: 
den. Zugleich wurde durch die Novelle von 1898 
die KO. dahin abgeändert, daß es in den 88 7, 
13, 15, 221 Abſ. 2 jetzt durchweg heißt: „den 
Gläubigern gegenüber unwirkſam“ ſtatt: „nichtig“ 
oder „nicht mit verbindlicher Kraft“. Tatſächlich 
find es heilbare Nichtigkeiten, vgl. Strohal S. 64. 
Bei dieſer Anfechtung handelt es ſich aber nicht um 
eine rechtsgeſchaͤftliche Willenserklärung, ſondern um 
die Erhebung eines Anſpruchs, durch welchen eine 
Rechtshandlung des Schuldners ihrem wirtſchaft⸗ 
lichen Erfolge nach entkräftet werden ſoll. Nach 
den preußiſchen Vorbildern der beiden Geſetze vom 
8. und 9. Mai 1855 wurden die Rechtshandlungen 
„als ungültig“ angefochten, nach Förſter, Theorie 
und Praxis des Preuß. Privatrechts 1, 534, iſt 
dieſe Ungültigkeit nur Unwirkſamkeit. Sie ergriff 
aber den vollen Rechtsbeſtand der angefochtenen 
Handlung und dem Erwerber mußte ſeine Gegen⸗ 
leiſtung erſtattet werden, abweichend von der gemein: 
rechtlichen Actio Pauliana. Den preußiſchen Ge⸗ 
ſetzen folgend ergreifen auch die Reichsgeſetze die 
Rechtshandlungen ſelbſt. Sie haben zunächſt an 
Stelle des Wortes „ungültig“ das Wort „unwirk⸗ 
ſam“ geſetzt, wie man es ſchon im preußiſchen Recht 
verſtanden hatte, zugleich aber den Angriff gegen 
den Rechtsbeſtand der angefochtenen Handlung ab⸗ 
geſchwächt. Die Novelle von 1898 hat dann dieſen 
Anfechtungsbegriff mit dem des BGB. weiter aus⸗ 
zugleichen geſucht. Vgl. Voß, „Ueber den Begriff 
Unwirkſamkeit in 8 29 KO. und 8 1 Anf®.”, 
Iherings J. 51 (1907), 413 f., und „Die Wechſel⸗ 
beziehungen zwiſchen Schuldanfechtungsrecht und 
Veräußerungsverbot“, 23. 1910, 520 f., 591 f. 
Umgekehrt wollte Klöppel bei Gruchot 32, 639 
im BGB. den Begriff der Anfechtung nur im 
Sinne des AnfG. gebraucht wiſſen. Die Unwirk⸗ 
ſamkeit des Anf®. und der KO. ſtellt ſich hiernach 
aber auch als eine durch die Anfechtung auſſchiebend 
bedingte, abgeſchwächte Nichtigkeit dar. 

c) Eine Verbindung der Anfechtung durch 
Klage und durch rechtsgeſchäftliche Erklarung ent: 
hält die Regelung der Ehelichkeitsanfechtung in 
88 1596, 1597 BGB. Auch hier iſt die Nichtig⸗ 
keit der Ehelichkeit durch die Anfechtung aufichtebend 
bedingt. Aehnliches gilt für die Anfechtung von 
Patenten, Generalverſammlungsbeſchlüſſen uſw. 


161 


2. Durch Geltendmachung ſonſtiger Schutzrechte. 

Dem Anfechtungsvorbehalt fehr nahe ſteht der 
Fall, wenn das Geſetz eine Rechtshandlung einem 
beſtimmten Berechtigten gegenüber für unwirkſam 
erklärt; dies trifft für die 88 135, 136, 506, 574, 
1124 und 1126 zu. Die einzelnen Fälle ſind 
zum Teil ſehr beſtritten und im ganzen wird man 
auch die Anſicht vertreten können, daß nicht der 
Geſchützte die Unwirkſamkeit geltend machen muß, 
ſondern daß ſie zu ſeinem Schutze ſofort eintritt 
und nur durch die auflöſende Bedingung ſeines 
Verzichts oder ſonſtigen Wegfalls behoben wird. 
Vgl. Fräb S. 621. 


a) Zu 88 135, 136 beſteht nahezu Ueberein⸗ 
ſtimmung, daß die Unwirkſamkeit nicht unheilbare 
Nichtigkeit ſein muß, ſondern nur ſoweit reicht, als 
es eben die Rückſicht auf den Geſchützten erheiſcht. 
Vgl. Strohal S. 43. Nach deſſen anſprechender 
Löſung iſt die Verſügungsmacht des Betroffenen 
ſo ſehr geſchwächt, daß er dem Anſpruch des Ge⸗ 
ſchützten nicht zu nahe treten kann und daß ihm 
bei jeder Verfügung ſoviel Rechtsmacht übrig bleibt, 
daß er dem Geſchützten wieder zu ſeinem Rechte 
verhelfen kann. Wenn der Schutz des Veräuße⸗ 
rungsverbots mit einer Anfechtung des Verpflichteten 
nach KO. oder AnfG. zuſammenfällt, dann vermag 
die Unwirkſamkeit, auf die der Anfechtungskläger 
ſich berufen kann, der Unwirkſamkeit der verbots⸗ 
widrigen Veräußerung unter Umftänden nicht die 
Wage zu halten. Voß in 23. 3, 766. 

b) Die 88 506, 574, 1124 und 1126 ſprechen 
ebenfalls Unwirkſamkeit gegenüber einem Berech⸗ 
tigten aus und bedürfen hier keiner beſonderen 
Beſprechung. Vgl. auch RG. 59, 1777. 

c) Dem 8 135 ſehr nahe ſteht 

a) $ 883 II, der nach eingetragener Bor: 
merkung eine Verfügung inſoweit für unwirkſam 
erklärt, als ſie den geſchützten Anſpruch vereiteln 
oder beeinträchtigen würde. Bei unbeweglichen 
Sachen geht der Schutz des § 135 überhaupt durch 
die 88 883 Abſ. 2 und 888 hindurch, denen aber 
der allgemeine Grundſatz entnommen werden kann, 
daß, wer einen Gegenſtand gegen ein ihm bekanntes 
Veraͤußerungsverbot erworben hat, gezwungen 
werden kann, das zur Verwirklichung des verletzten 
Anſpruchs Erforderliche vorzukehren. Vgl. Dern⸗ 
burg, Bürgerliches Recht 3. Aufl. 1, 416, und 
Knoke, Zur Lehre vom relativen Veraͤußerungs⸗ 
verbot in der Feſtgabe für Güterbock S. 427. 
Nur wird durch 8 883 Abſ. 2 eine ſachenrechtliche 
Sicherung erreicht. Die Ausdrucksweiſe in § 883 
Abſ. 2 iſt wieder nachgebildet 

5) der in 8 161 Abſ. 1 BGB., der eigentlich 
an die Spitze der aufſchiebend bedingten Nichtigkeit 
zu ſtellen wäre. Bei einer Verfügung über einen 
Gegenſtand unter aufſchiebender Bedingung iſt jede 
weitere Verfügung über denſelben Gegenſtand 
während der Schwebezeit inſoweit unwirkſam, als 
ſie die von der Bedingung abhängige Wirkung 


162 


— 


vereiteln oder beeinträchtigen würde. Nun bezeichnet 
Riezler bei Staudinger Ziff. 6 zu $ 161 die 
Unwirkſamkeit als von Amts wegen eintretende 
Nichtigkeit, ſonſt wird fie vielfach (vgl. Raape, 
Das geſetzliche Veräußerungsverbot S. 140) als 
abſolute Unwirkſamkeit bezeichnet und dann müßte 
dasſelbe für die gleichliegenden Fälle, insbeſondere 
5 883 U gelten. Tatſächlich iſt aber auch hier 
abſichtlich in der dehnbaren Weiſe, wie wir es 
bisher beobachtet haben, eine Milderung des Nichtig⸗ 
keitsbegriffs ſo vorgenommen worden, daß die Ver⸗ 
fügung nicht ſchlechthin nichtig, ſondern nur gerade 
inſoweit unwirkſam iſt, als ſie das Recht des Be⸗ 
rechtigten beeinträchtigt. Aehnlich verhält es ſich 

7) in 8 505 mit der „dem Vorkaufsberechtigten 
gegenüber unwirkſamen“ Bedingung des Vorkaufs⸗ 
verpflichteten, dem Strohal S. 31 eine dem Geſetz 
nicht ganz entſprechende gute Meinung unterzulegen 
ſcheint: das Geſetz wollte es ihm unmöglich machen, 
das vereinbarte Vorkaufsrecht anzutaſten; 

d) über die 88 573, 1123 Abſ. 1 und 1124 
Abſ. 2 mit der „dem Hypothekengläubiger gegen: 
über unwirkſamen Verfügung“ vgl. RGZ. 59, 177. 

3. Durch den Eintritt beſtimmter Ereigniſſe: 

a) Durch Verzeihung wird die Entziehung des 
Pflichtteils unwirkſam, die Verfügung wird dadurch 
unmittelbar nichtig (8 2337); 

b) durch den Wegfall der eingeſetzten Perſonen 
wird die Erbeinſetzung und das Vermaͤchtnis 
(88 1923, 2160), durch den Tod eines Ehegatten 
der Widerruf des gemeinſchaftlichen Teſtaments 
ne vgl. 8 2271 Abi. 2, ähnlich 88 2298 

Abſ. 2, 2289. Die letztwillige Verfügung zugunſten 
eines Ehegatten wird durch Auflöſung der Ehe 


unwirkſam ($ 2077), das Vermächtnis eines be: | 
ſtimmten Gegenſtands durch deſſen Wegfall vor 


dem Erbfall (8 2169). 
4. Durch Zeitablauf: 


Eine beſtimmte letztwillige Verfügung wird 
30 Jahre nach dem Eintritte des Erbfalls un⸗ 
wirkſam ($ 2044), ebenſo die Einſetzung eines Nach⸗ 
erben (3 2109), die Betrauung eines Teſtaments⸗ 
vollſtreckers (3 2210). Das nach 88 2249 — 2251 
errichtete Teſtament gilt als nicht errichtet, wenn 
der Erblaſſer 3 Monate nach der Fertigſtellung 
noch lebt (S 2252 Abſ. 1). 

In allen dieſen Fällen handelt es ſich um volle 
Nichtigkeit. 

B. Auflöſend bedingte Nichtigkeit. 

1. Nach 8 161 Abſ. 2 find die Verfügungen 
desjenigen, deſſen Recht mit dem Eintritt der Be⸗ 
dingung endigt, inſoweit unwirkſam, als ſie die 
von der Bedingung abhängige Wirkung vereiteln 
oder beeinträchtigen würden. Hier gilt das zu 
A2cP Geſagte. 

2. Auch auf das, was zu 4 2 a ausgeführt 
wurde, kann verwieſen werden. Dem Verzicht 
geſchützter Perſonen ſteht das Erlöſchen ihres Rechts 
gleich. 


der Vornahme des Rechtsgeſchäfts zurück. 
aber RGZ. 65, 248). 


—— — ͤ wu — 


Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


3. Den Grundſätzen unter 1 entſprechen die⸗ 
jenigen in 88 2113, 2115, wonach die Wirkſam⸗ 
keit der Verfügungen des Vorerben endigt, ſoweit 
ſie bei Eintritt der Nacherbſchaft das Recht des 
Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Vgl. RG. 
81, 367 und Warneyer Erg.⸗Bd. 5 n. 59. 

In dieſen Fällen handelt es ſich zwar um auf: 
löſende Bedingungen, die Unwirkſamkeit der Ver⸗ 
fügungen iſt aber aufſchiebend bedingt durch den 
Eintritt des Ereigniſſes, welches die aufloͤſende 
Bedingung für das zugrunde liegende Rechtsver⸗ 
hältnis bildet. 

4. Wirkliche Fälle auflöſend bedingter, alſo 
heilbarer Nichtigkeit find: 

a) Die Aufhebung des Konkurſes für Ver⸗ 
jügungen des Gemeinſchuldners, der Nachlaßver⸗ 
waltung für ſolche des Erben uſw. (88 6 und 7 KO., 
88 1984 und 2211 BGB.); 

b) das große Gebiet der ſog. Konvaleszenzfälle, 
in denen im Anſchluß an die ſpätere Entwickelung 
des römiſchen Rechts, das den urſprünglichen Grund⸗ 
ſatz der Konzentration fallen ließ (vgl. oben 12 
und Kuhlenbeck, Von den Pandekten z. BGB. 
1, 330) und an die Grundjäße des franzöͤfiſchen 
Rechts (vgl. Windſcheid, Ungültigkeit S. 197. 
und Hachenburg, Das franzöſiſch⸗badiſche Recht 
S. 130—135) die an und für ſich beſtehende Un⸗ 
wirkſamkeit durch ein ſpäteres Ereignis behoben 
wird: durch die Zuſtimmung, Genehmigung, Ein⸗ 
willigung einer berechtigten Perſon oder dadurch, 
daß der Verfügende ſelbſt das Recht zur Erteilung 
der Genehmigung uſw. erwirbt (vgl. Kohler, Lehr⸗ 
buch 1 8 248). Von beſonderer Bedeutung find 
dabei die 88 182—185 BGB., nach 8 184 Ab]. 1 
insbeſondere wirkt die nachträgliche Zuſtimmung 
oder Genehmigung im Zweifel auf den . 
(Vgl. 
In anderen Fällen wird 
der Mangel des Verſprechens durch Bewirkung der 
Leiſtung ($$ 518, 766), der Mangel der Geburt 
vor dem Erbfall durch die Erzeugung (8 1923 
Abſ. 2), der Mangel der Unmöglichkeit durch be⸗ 
abſichtigte Auswege (88 308, 2171) uſw. geheilt. 

Wie in dieſen Fällen die ſtrengen Nichtigkeits⸗ 
vorſchriften abſichtlich gemildert wurden, iſt bereits 
oben unter J 2 ausgeführt worden. Welche Be⸗ 
deutung aber doch der Nichtigkeit im Gebiete der 
Unwirkſamkeit zukommt, dürfte aus den Darlegungen. 
wie ſie unter III erfolgten, hervorgegangen ſein. 

IV. Einen beſonderen Prüfftein in dieſer Be 
ziehung bilden die 88 139, 140 und 141 BGB. 

1. 8 139 läßt der Nichtigkeit eines Teils des 
Rechtsgeſchäfts das ganze folgen, wenn nicht an⸗ 
zunehmen iſt, daß es auch ohne den nichtigen Teil 
vorgenommen ſein würde. Dabei iſt es gleichgültig, 
ob man für den $ 139 ein beſonderes zuſammen⸗ 
geſetztes Rechtsgeſchäft fordert (RGZ. 78, 120) oder 
ob man davon ausgeht, daß bei einem durchaus 
einheitlichen Rechtsgeſchäft für den Ausnahmefall 
kein Platz iſt. Dagegen kann innerhalb des einen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


Rechtsgeſchäfts nach Perſonen (vgl. z. B. RG. 71, 
201) und ſelbſt nach einzelnen Zeitabſchnitten 
(RG. 82, 125) unterſchieden werden. Die Frage 
aber, welche hier den Ausſchlag zu geben hat, iſt 
die: wie verhält ſich das unwirkſame Rechtsgeichäft 
im Tatbeſtand des 8 139? Auf die ähnlichen 
Geſetzesbeſtimmungen im Erbrecht wurde bereits 
hingewieſen. Im übrigen iſt zu jagen: Selbſt⸗ 
verſtändlich muß das infolge Anfechtung nichtig 
gewordene Geſchäft unter 8 139 fallen (R&B. 62, 
187). Es iſt ausgeſprochen worden, daß das wegen 
Verſagung der vormundſchaftlichen Genehmigung 
unwirkſam gewordene Rechtsgeſchäft nicht dem nich⸗ 
tigen gleichſtehe (OLG. 22, 144). Mit Recht iſt 
aber das Gegenteil von André S. 31 und jetzt 
RS}. 82, 125 erklärt worden. Ob, wie André 
meint, auch die Vornahme der Wandlung hinſichtlich 
gekaufter Waren die Wirkung des 8 139 für ſonſtige 
Teile des Rechtsgeſchäfts äußere, mag dahingeſtellt 
bleiben und wird Tatfrage ſein. Zu 8 476 BGB. 
ſpricht RGZ. 62, 122 das Gegenteil aus, weil hier 
die volle Wirkung der Vertragsklage aufrecht er⸗ 
halten werde, und ROZ. 71, 203 ſcheidet, ob Be⸗ 
klagter das Rechtsverhältnis als von Anfang an 
nichtig oder erſt Später erloſchen gegen ſich gelten 
laſſen müſſe. Fiſcher kommt in ſeinen Unter: 
ſuchungen zu 8 140 auch für $ 139 mit Recht zum 
Schluß, daß da, wo wirklich Teile des Rechtsgeſchäfts 
in Zuſammenhang mit dieſem unwirkſam werden 
(alſo nicht z. B. in den Fällen der 88 2044 Abi. 2, 
2109, 2210, 2337), die Unwirkſamkeit der Nich⸗ 
tigkeit gleichſtehe, bei allgemeiner Unwirkſamkeit 
ſchlechthin, in bezug auf einzelne geſchützte Perſonen 
hinſichtlich dieſer, endlich bei Schwebezuſtänden, ſo⸗ 
bald feſtſteht, daß die Wirkung nicht eintritt. Vgl. 
Fiſcher S. 7— 11; auf 8 2085 wendet auch RG3. 
63, 27 den § 139 an. 

2. 8 140 läßt bei einem an ſich nichtigen Rechts⸗ 
geſchäft, wenn es den Erforderniſſen eines andern, 
nicht nichtigen Rechtsgeſchäfts entſpricht, das letztere 
gelten, wenn anzunehmen iſt, daß es bei Kenntnis 
der Nichtigkeit gewollt ſein würde. Daß bei nach⸗ 
träglicher Einbuße der Wirkſamkeit $ 140 nicht in 
Frage kommt, wird auch hier zugegeben, im übrigen 
beſteht über die Einordnung der unwirkſamen Rechts⸗ 
geſchäfte unter $ 140 lebhafter Streit. Fiſcher 
(S. 20) bejaht die Frage in derſelben Weiſe wie 
zu 8 139, ebenſo ein Erkenntnis von Kiel bei 
Neumann, Jahrbuch 1910 zu $ 140. Dagegen 
hat Leonhard, Allgemeiner Teil S. 430 f. die 
Anwendung des 8 140 ſtreng auf die nichtigen 
Geſchäfte beſchränkt und das Reichsgericht nimmt 
in RGZ. 79, 308 den gleichen Standpunkt ein; 
in einem Falle, in dem die Nichtigkeit der Ver⸗ 
pfändung durch Unterlaſſung der Anzeige des 
Gläubigers an den Schuldner eingetreten war, 
ſprach das Reichsgericht aus, daß die Anwendung 
des 8 140 auf ſolche unwirkſame Geſchäfte den 
erheblichſten Bedenken unterliege. Der Fall ſteht 
allerdings den Fällen der nachträglichen Einbuße 


r ⁰¹ü A d ⁵ x A w —— . V 


163 


der Wirkſamkeit ſehr nahe. Gerade von dem hier 
vertretenen Standpunkte aus, der die eigentliche 
Nichtigkeit als Gegenwirkung des Geſetzes gegen 
ſeine Verletzung und Mißachtung auffaßt, kann 
man es verſtehen, daß das Geſetz eine Milderung 
beſonders da anbefehlen will, wo es ſelbſt auch die 
Nichtbeachtung des Rechtsgeſchäfts anordnet, nicht 
1 wo dieſes aus anderen Gründen wirkungslos 
eibt. 


3. Aehnlich dürfte es ſich mit 8 141, der die 
Beſtätigung des nichtigen Geſchäfts betrifft, ver⸗ 
halten. Es handelt ſich um die erneute Vornahme 
des unheilbar nichtigen Rechtsgeſchäfts unter Ver⸗ 
meidung des Nichtigkeitsgrunds; das trifft natürlich 
* unwirkſame Rechtsgeſchaͤfte nur ausnahms⸗ 
weiſe zu. 


V. In der neueſten Zeit hat mit der Frage 
„Sind alle Rechtsgeſchäfte eines Geiſteskranken 
nichtig?“ Danz in der JW. 1913, 1016 f. das 
Wort zur Auslegung des 8 105 BGB. ergriffen. 
Wenn ſich ergibt, daß ein Kaufmann ſeit Jahren 
geiſteskrank war, könnten zu ſeinem Schaden eine 
große Reihe von für ihn vorteilhaften Rechtsge⸗ 
ſchäften der Nichtigkeit anheimſallen. Der Zweck 
des § 105 ſei doch nur Schutz des Kranken, ſo aber 
könnten die Geſunden ſich auf ſeine Koſten bereichern. 
So lange der Geiſteskranke ſo gehandelt habe, wie 
ein verſtaͤndiger Menſch gehandelt hätte, müſſe das 
Geſchäft auch nach 8 105 aufrecht erhalten werden. 
Schon anderen Abhilfemitteln in der gleichen Frage 
gegenüber hatte Krückmann (Recht 1913, 422, 
vgl. 551) darauf hingewieſen, daß bisher alle Ju⸗ 
riſten mit der eiſernen Lehre groß geworden ſind, 
die Rechtsgeſchäfte der Geiſteskranken ſeien nichtig; 
trotzdem trat er dafür ein, dem Geiſteskranken 
Rechtsbeſitz an der Stellung des Geiſtesgeſunden 
einzuräumen, und zwar denen gegenüber, die mit 
ihm ſchon lange vor der Erkrankung ununterbrochen 
in Geſchaͤftsverbindung geſtanden hatten. 


In kaum einer Frage wird es ſo deutlich 
hervortreten, in welcher „Umwertung aller Werte“ 
wir zurzeit begriffen ſind. Und doch handelt es 
ſich hier nur um die Fortſetzung der Entwickelung 
von der Nichtigkeit zur bloßen Unwirkſamkeit. Wenn 
man anerkennt, daß das Recht für jede Willens⸗ 
erflärung eines Geichäftsunfähigen die Anerkennung 
verſagt, dann iſt eine Prüfung auf den Zweck nicht 
mehr möglich und nur auf dem Wege des 8 140 
BGB. ware eine „Konverſion“ denkbar. Tatſächlich 
haben auch Rud. Leonhard und die Schrift⸗ 
leitung des Bankarchivs (1913, 143; vgl. auch 
Dr. Wolff in JW. 1914, 121 ff.) die beiden Vor⸗ 
ſchläge als die Auslegungsfreiheit überſchreitend 
abgelehnt. Und auch Stampe, der die Freirechtslehre 
weſentlich vertieft hat, laßt (Arch ZivPrax. 108, 53) 
die latente Geiſteskrankheit als causa-Mangel die 
weiteren Geſchäfte beinfluſſen und die „ungerecht⸗ 
fertigte Bereicherung“ begründen; er ſpricht (S. 147) 
auch geradehin aus, daß Geſchaftsunfähige (53 101, 


164 


105) kein Grundgeſchaſt ſelbſtändig zuſtande 
bringen können. 

Ob es ſich geſetzgeberiſch empfiehlt, nur den 
entmündigten und 
zu ſchützen, bleibe dahingeſtellt. Das, was hier 
ausgeführt werden ſollte, iſt folgendes. Unſere 
Rechtsordnung fordert, wenn ſie ein Rechtsgeſchäft 
anerkennen ſoll, gewiſſe Sicherheiten hinſichtlich der 
Perſonen und ihres Willens, hinſichtlich der Form 
und des Inhalts ihrer Erklärungen und Leiſtungen 
und verſagt, wenn ihren Anforderungen nicht ent⸗ 
ſprochen wird, jede Wirkung. Neben dieſen Fällen 
wahrer und unheilbarer Nichtigkeit, welche die 
Grundlage der Lehre bilden, haben ſich Fälle ein⸗ 
gebürgert, in denen ein beſchrankterer, oft nur 
vorübergehender Schutz und auch nicht allgemein, 
ſondern nur zugunſten gewiſſer Perſonen erforderlich 
erſchien. In dieſen Fällen iſt genügend erſchienen, 
eine meiſt heilbare Unwirkſamkeit einzuführen, die 
ſich als Abſchwächung der urſprünglichen Nichtig⸗ 
keit darſtellte. So hat ſchließlich doch wohl Hölder 
Recht behalten, wenn er (Arch ZivPr. 73, 104) 
erklärte, daß es ſich im Gebiete der Ungültigkeit 
nur um die Gegenſaätze zwiſchen gänzlicher und teil⸗ 
weiſer ſowie zwiſchen unbedingter und bedingter 
Ungültigkeit handle. 


Prüfungspflicht des Legiſterrichters in 
Geſchmacksmuſterſachen. 


Von Oberamtsrichter Franz Simon in Augsburg. 
(Fortſetzung.) 

III. Bei Anmeldung der Uebertragung 
des Urheberrechts an Geſchmacksmuſtern 
iſt zu prüfen die Frage: 

1. ob der Rechtsübergang überhaupt einzutragen 
iſt. Nach 83 Muft®. geht das Recht des Urhebers 
auf die Erben über und kann durch Vertrag oder 
Verfügung von Todes wegen auf andere übertragen 
werden. 

Der Uebergang des Rechts iſt von der Ein⸗ 
tragung in das Muſterregiſter nicht abhängig ge: 
macht.“) Nicht einmal Anmeldung des Rechts: 
übergangs iſt im Muft®. vorgeſehen. Nachdem 
das Muſterregiſter beſteht, die Uebertragung des 
Rechts am Muſter geſetzlich geregelt iſt und das 
Muſterregiſter öffentlich und da iſt, über den Schutz 
und deſſen Inhaber Aufſchluß zu geben, ſo kann 
aus dem Schweigen des Geſetzes nicht entnommen 
werden, daß eine ſolche Eintragung nicht zuläſſig 
iſt. Die Analogie des Gebrauchsmuſterſchutz- und 
des Patentgeſetzes, welche Vermerke über Aenderung 


) RG. vom 28. November 1885 (Bolze, Praxis 
des Reichsgerichts in Zivilſachen Bd. 2 S. 72); Allfeld 
a. a. O. 83 Muft®. Anm. 2 S. 319. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


en offenbaren Geiſteskranken 


— .. — 4 nn — 


in der Perſon des Rechtsinhabers auf Antrag“) 
zulaſſen, ſpricht dafür, daß ſolche Vermerke in 
gleicher Weiſe beim Uebergang des Urheberrechts 
an Geſchmacksmuſtern ar Antrag zuzugeſtehen 
find. °') Ein weiterer Grund für die Eintragung 
eines ſolchen Vermerks ift oben unter II 2 angegeben. 

Der Vermerk wird bei dem betreffenden Re⸗ 
giſtereintrag in der Spalte „Bemerkungen“ zu 
machen ſein. 

2. Wer der Antragſteller iſt, ob er geſchäfts⸗ 
fähig, ob gegebenenfalls ſeine Vertretungsbefugnis 
nachgewieſen iſt, ob die Form der Anmeldung ge⸗ 
wahrt iſt, ob das angegangene Gericht zuſtändig 
ft. Hier gilt entſprechend das unter I 2, III 
und 2 Geſagte; 

3. ob der Antragſteller berechtigt iſt oder ob 
er für den Berechtigten anmeldet. In dieſer Rich⸗ 
tung iſt der Rechtsübergang nachzuweiſen 

a) bei Erbfolge: durch Vorlage eines Erbſcheins 
oder einer in öffentlicher Urkunde enthaltenen Ver⸗ 
ſügung von Todes wegen und beglaubigter Abſchrift 
des Protokolls über die Eröffnung der Verfügung; 

bei Uebernahme durch einen von mehreren Erben: 
durch Vorlage des Auseinanderſetzungsvertrags oder 
der Zuſtimmung der übrigen Erben; “) bei Erb⸗ 
recht des Fiskus (8 1936 BGB.): durch Vor⸗ 
lage des Beſchluſſes über Feſtſtellung des Erbrechts 
des Fiskus ($ 1966 BGB.); 

b) bei Vertrag: durch Nachweis des Abſchluſſes. 
Da im MuſtG. über die Form der Uebertragung 
beſondere Vorſchriften nicht enthalten find, jo finden 
gemäß 8 413 BGB. die Vorſchriſten über die 
Forderungsübertragung Anwendung. Nach 8 398 
BGB. geht das Recht durch formloſe Vereinbarung 
zwiſchen dem bisherigen Berechtigten und dem 
neuen Erwerber ohne Rückficht auf den Rechts⸗ 
grund über. Es wird daher die Uebertragung 
vermerkt werden können auf Grund Vorlage einer 
amtlich beglaubigten“) Beftätigung oder mündlichen 
Erklärung des bisher Berechtigten oder Vorlage 
des hinſichtlich der Unterſchrift amtlich beglaubigten“) 
ſchriftlichen Vertrags, woraus ſich die Uebertragung 
ergibt. 

Bei Verſteigerung auf Grund vorhergegangener 
Verpfändung oder Pfändung des Muſterrechts fiehe 
die Ausführungen unter VI, VII. 


c) bei Zuwendung als Vermächtnis durch Ber: | 


fügung von Todes wegen: durch Vorlage der Ber: 
fügung und der Abtretungserklärung des Erben 
(S$ 2174, 413, 398 BGB.), mündlich oder in 
beglaubigter “?) Form. 

20) Wenn die Aenderung in beweiſender Form zur 
Kenntnis des Patentamts gebracht wird (Pat. vom 
7. April 1891 $ 19 Abſ. 2, GebrMuſtG. vom 1. Juni 
1891, 83 Abſ. 4 und § 22 der Kaiſ. Ausf O. z. Pat 
u. GebrMuſt. vom 11. Juli 1891). 

21) S. auch Alljeld a. a. O. 83 Anm. 2 S. 318 und 
Kohler, Muſterrecht S. 137. 

22) In beglaubigter Form, wenn nicht öffentliche 
Urkunde vorliegt, nach Analogie des Patentrechts (f. 
Alfeld a. a. O. S. 194, PatG. 8 19 Anm. Sb). 


| —— — — 
5 * 
4. 1 RR 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


d) bei Uebertragung auf Grund erfolgreicher 
Anfechtung des Rechts eines eingetragenen Muſter⸗ 
rechtsinhabers. 

Das Muſterrecht entſteht als übertragbares 
Recht ſchon mit der Schöpfung des Muſters, als 
ausübbares Vollrecht erſt mit der Anmeldung und 
Niederlegung. Meldet ein anderer als der Urheber 
unberechtigt das Muſter zur Eintragung an, dann 
kann der Urheber oder deſſen Rechtsnachfolger klage⸗ 
weiſe verlangen, daß der nichtberechtigte Einge⸗ 
tragene das Muſterſchutzrecht auf den Berechtigten 
überträgt und Umſchreibung im Muſterregiſter be⸗ 
willigt.) Der Berechtigte, der den Umſchreibungs⸗ 
vermerk beim Regiſtergericht beantragt hat, hat das 
in letzterem Sinne ergangene rechtskräftige Urteil 
vorzulegen ($ 894 ZPO.). 

4. ob die Einſchreibung des Vermerks zu ver⸗ 
öffentlichen iſt. Wenn der Uebergang des Rechts 
eingetragen wird, wird er auch zu veröffentlichen 
ſein. Im Mufß. find nur Eintragung der Neu⸗ 
anmeldung und der Ausdehnung der Schutzfriſt aus⸗ 
drücklich erwähnt, daher auch nur hinſichtlich dieſer 
Veröffentlichungen verfügt. Die Rechtſprechung er⸗ 
achtet dieſe Veröffentlichungen nicht als die einzigen. 
Sie verlangt z. B. Veröffentlichung bei Eintragung 
des Verzichts auf den Schutz.) Hieraus und aus 
der analogen Anwendung des $ 10 HGB. ergibt 
ſich, daß alle Eintragungen im Muſterregiſter, auch 
der Rechtsübergang zu veröffentlichen find.“) Siehe 
auch den oben II 2 angegebenen Grund. 

Für Eintragung von Lizenz⸗ und Nutznießungs⸗ 
rechten an Muſterrechten ſowie derart beſchränkten 
Rechtsübertragungen, daß fie Lizenz: oder Nub- 
nießungsrechten gleichkommen, iſt im Muſterregiſter 
kein Raum. Das Muſft. enthält hierüber nichts. 
Auch in den Patent⸗ und Gebrauchsmuſterſachen 
werden in der Rolle Uebertragungen nicht vermerkt, 
die nur die Ausübung des Rechts betreffen.) Ein 
Antrag auf Eintragung eines ſolchen Nahm wäre 
abzulehnen. 


IV. Bei Anmeldung des Verzichts auf 
das Muſterrecht ſind zu prüfen die Fragen: 

1. Iſt eine Verzichtserklärung bezüglich des 
Geſchmacksmuſterrechts entgegenzunehmen und ein⸗ 
zutragen? Das MuſtG. enthält weder über die 
Zuläſſigkeit eines Verzichts noch über ſeine Form 
eine Beſtimmung. 

Auf den erworbenen Geſchmacksmuſterſchutz kann 
aber verzichtet werden. Die Fortdauer des durch 
Benützung einer ſtaatlichen Einrichtung gewonnenen 


0 Siehe auch 1 a. a. O., MuſtG. 87 Anm. 1, 
8 3 Anm. 2 S. 334 und 318; Kohler, Muſterrecht S. 91. 
9 Kammergerichtsentſch. vom 19. Juli 1905 (Recht 
1906 S. 76 Nr. 140); Obs. (Sammlg. Bd. II ©. 625) 
vom 16. Oktober 1901. 
9 Wr a) Koſten des Antragſtellers ſiehe auch 
ote 
“ Siehe Alfeld a. a. O. PatG. § 6 Note 5 S. 116, 
5 § 7 Note 4 S. 416; Kohler, Muſterrecht 


| 
| 


165 


Muſterſchutzes kann niemandem aufgezwungen 
werden. Sie hängt vom Willen des Berechtigten 
ab.““) Der Verzicht erfolgt durch öffentliche Er: 
klärung“) oder durch 1 des Berechtigten 
gegenüber dem Regiſtergericht. 

2. Wer iſt der Verzichtende, it er geſchäftsfähig? 
Iſt das Muſterrecht, auf das er verzichten will, 
bei dem angegangenen als zuſtändigem Gerichte 
eingetragen???) Iſt nachgewieſen, daß der Ber: 
zichtende der regiſtermäßige Inhaber des Muſter⸗ 
rechts oder deſſen Rechtsnachfolger iſt? In welcher 
Weiſe iſt der Verzicht anzumelden? Dieſe Fragen 
beantworten ſich entſprechend III 2 und 3. 

3. Was hat auf die Anmeldung des Verzichts 
zu geſchehen? Der Verzicht iſt in der Spalte 
„Bemerkungen“ des Muſterregiſters bei dem be⸗ 
treffenden Muſter und, wenn mehrere Muſter unter 
einer Nummer des Regiſters vorgetragen ſind, unter 
Benennung des oder der betreffenden Muſter, auf 
das oder die ſich der Verzicht bezieht, nach ihrer 
Geſchäfts⸗ oder Fabriknummer einzutragen.“) 

4. Iſt die Eintragung des Verzichts zu ver⸗ 
öffentlichen? Mit Rückſicht auf die Bekanntmachung 
der Anmeldung und Eintragung wird auch der 
Vermerk des Verzichts im Reichsanzeiger zu ver⸗ 
öffentlichen ſein.“) 

Ueber Rückgewähr der Gebühr bei Verzicht auf 
die Schutzfriſt ſiehe die mehrerwähnten Entſchei⸗ 
dungen des Kammergerichts und des Oberſten 
. 

V. Bei Antrag auf Löſchung iſt Perſon, 
Geſchäftsfähigkeit, Berechtigung des Antragſtellers 
zu prüfen. 

Der Antrag wird nur zuläſſig ſein, wenn der 
Antragſteller ein von ihm erwirktes rechtskräftiges 
Urteil vorlegt, welches das Muſterrecht als nichtig 
erklärt oder den Eingetragenen zur Löſchungsbe⸗ 
willigung verurteilt. Ob eine Nichtigkeitsklage oder 
Löſchungsklage i im Geſchmacksmuſterrecht zuzulaſſen 
iſt,“) hat der Regiſterrichter nicht zu prüfen. Wenn 


6) Siehe hierher auch 8 8 der Bayer. MBek. vom 
14. Dezember 1899 betr. Führung des Muſterregiſters, 
„ vom 19. Juli 1905 (Recht 1906 


21) Siehe Allfeld a. a. O. 8 11 san 1 des Mufte. 
©. 340; Kohler, Muſterrecht S. 113 
9) Siehe die daemecgercchtsentſc. unter Note 36 


und oder Muſterrecht S. 1 
we) 


Auf ein wegen Nasa et des Gerichts 
unwirkſames (ſiehe 11) Muſterrecht gibt es natürlich 
keinen Verzicht. Ein Löſchungsvermerk hinſichtlich des 
gegenſtandsloſen Eintrags wird beantragt und ein⸗ 
geſchrieben werden können. 

4) Löſchung des bisherigen Eintrags durch „Rot 
unterſtreichen“ findet nicht ftatt, da durch den Vermerk 
die Aufhebung des Rechts genügend ausgedrückt iſt 
und eine förmliche Löſchung des ganzen Eintrags auch 
bei Beendigung des Muſterrechts durch Zeitablauf nicht 
ſtattfindet. 

4) Siehe Bolze, Praxis des Reichsgerichts in Zivil» 
ſachen Bd. IV Nr. 196, Entſch. vom 27. April 1887; 
Allfeld a. a. O. S. 337 MuſtG. 8 7 Anm. 4; dagegen 
Kohler. Muſterrecht S. 129 und die dort angegebenen 
Entſcheidungen Note 2—4. 


ihm ein auf Nichtigkeit oder Löſchung lautendes mit 
Rechtskraftzeugnis verſehenes Urteil unterbreitet 
wird, iſt dieſes für ihn maßgebend. 

Mit Rückſicht auf die Oeffentlichkeit des Muſter⸗ 
regiſters wird auf Antrag des Siegers die rechts⸗ 
kräftige Feſtſtellung der Nichtigkeit oder die rechts⸗ 
kräftige Verurteilung zur Löſchungsbewilligung in 
die Spalte „Bemerkungen“ einzutragen“) und die 
Eintragung auf Koſten des Antragftellers *!*) im 
Reichsanzeiger zu veröffentlichen ſein. 

(Fortſetzung folgt). 


Kleine Nitteilungen. 


Weber die Gültigkeit von ſogenaunten Scheinab⸗ 
tretungen. Das Reichsgericht hat neuerdings zwei 
bedeutſame Entſcheidungen gefällt. In der einen von 
ihnen (JW. 1913 S. 317) behandelt es die Frage, 
ob eine Abtretung, die nur vorgenommen wird, um 
den Abtretenden als Zeugen auftreten zu laſſen, wegen 


Verſtoßes gegen bie guten Sitten und gegen ein Ver. wenn der Abtretende mit der „unbedingten“ Mögliche 


botsgeſetz nichtig ſei. Die Frage wurde verneint. Das 
Reichsgericht ſtützt ſich zur Begründung ſeiner Anſicht 
zunächſt darauf, daß das Geſetz keine Beſtimmung 
kennt, die eine nur zu dem angegebenen Zwecke vor⸗ 
genommene Abtretung verböte. Mache man aber von 
einem geſetzlichen Rechte Gebrauch, ſo könne — ſo 
meint das Reichsgericht — von einem Verſtoße gegen 
§ 138 BGB. keine Rede ſein. Ebenſo liege kein Verſtoß 
gegen 8 134 BGB. vor, weil die durch die Abtretung 
herbeigeführte Vernehmung des Abtretenden als Zeuge 
nirgends im Geſetz verboten ſei; die ZPO. verbiete 
nur die Vernehmung der Prozeßpartei als Zeugen; 
ja im 8 393 Abſ. 1, 4 ZPO. werde ſogar die Zeugen⸗ 
vernehmung des Abtretenden ohne Rückſicht auf den 
Grund der Abtretung porausgeſetzt. 

Dieſe Begründung erſcheint bei näherem Zuſehen 
etwas dürftig. Ganz zweifellos iſt, daß ſich die Ver⸗ 
tragsteile durch eine ſolche Abtretung gegenüber der 
andern Partei eine für den Prozeß günſtigere Lage 
verſchaffen wollen, durch deren Ausnützung ſie dann 
auch Sieger zu bleiben hoffen. Wenn auch der Ab⸗ 
tretende nicht beeidigt zu werden braucht und ſomit 
die Bewertung ſeiner Ausſage dem richterlichen Er⸗ 
meſſen unter ſtellt wird, ſo wird doch trotzdem die Lage 
des Erwerbers erheblich verbeſſert. Denn gänzlich 
wird der Richter die Ausſage des Abtretenden kaum 
unbeachtet laſſen, und überdies können ſich die Ab⸗ 
tretenden ein vollgültiges Beweismittel dann ver⸗ 
ſchaffen, wenn ſie auf das Zeugnis von nahen Ver⸗ 
wandten des Abtretenden Bezug nehmen, deren Be⸗ 
eidigung nach der Abtretung nicht abgelehnt werden 
kann. Ob eine ſolche Handlung gegen die guten Sitten 
verſtößt, läßt ſich nicht mit einem einfachen Hinweis 
darauf entſcheiden, daß die Parteien nur von einem geſetz⸗ 
lichen Rechte Gebrauch machen. Hat doch das Reichsgericht 
ſelbſt neuerdings die Gültigkeit von gewiſſen Sicherungs- 


412) Analog 89 Abſ. 6 MuſtG.: Art. 39, 39a bayer. 

GebG. 8 89 GKG. unbeſchadet deſſen etwaiger Erſatz— 

anſprüche. — Die auf die Eintragung und Veröffent— 

lichung entſtehenden Koſten gehören nicht zu den 

Zwangsvollſtreckungskoſten (Gaupp-Stein, Komm. z. 
PO. 8 788 Anm. J. Vorbem. III vor 8 704). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


ı 
I 
1 


übereignungen verneint, bei denen der Schuldner feine 
ſämtlichen zukünftigen Außenſtände übereignete, ob⸗ 
wohl nirgends ein geſetzliches Verbot beſteht, künftige 
Forderungen abzutreten. Noch bedenklicher iſt die 
Meinung, daß keine Umgehung des Geſetzes vorliege. 
Freilich verbietet das Geſetz nur die Vernehmung der 
Prozeßpartei als Zeugen. Aber warum? Doch nur 
deshalb, weil nach dem Willen des Geſetzgebers der 
am Vertrag und am Rechtsſtreit am meiſten Beteiligte 
nicht als Zeuge für ſeine eigenen Behauptungen ver⸗ 
nommen werden ſoll! Dieſe Abſicht wird durch die 
vorgenommene Schiebung bewußt vereitelt, und man 
kann daher wohl ſagen, daß eine Abtretung zur 
Umgehung des Geſetzes vereinbart iſt, die nur die 
Vernehmung des Abtretenden als Zeugen bezweckt. 
Man wird ſich alſo mit dem vom Reichsgericht ver⸗ 
nn Standpunkt nicht ohne weiteres befreunden 
önnen. 

Entſchiedene Billigung verdient hingegen eine andere 
Entſcheidung des Reichsgerichts (JW. 1913 S. 370), 
die ſich über die Frage ausläßt, ob es ſittenwidrig fei, 
eine Forderung nur deshalb abzutreten, damit der Er⸗ 
werber im Armenrecht klage. Die Frage wird vom 
Reichsgericht bejaht, und zwar nicht nur für den Fall, 


leit gerechnet hat, daß Kläger (der Erwerber) unter⸗ 
liegen werde, ſondern ſchon dann, wenn er überhaupt 
mit der Möglichkeit des Unterliegens gerechnet bat. 
Der Grund, aus dem ſich das Reichsgericht auf die ſen 
Standpunkt geſtellt hat, iſt leicht erſichtlich! Durch 
die Abtretung wird es dem Gegner unmöglich gemacht, 
im Falle ſeines Sieges ſeine Koſten erſtattet zu er⸗ 
halten. Die andere Partei — d. h. der Abtretende — 
führt alſo den Prozeß ohne eigene Gefahr auf Koften 
des Gegners. Die vom Reichsgericht ausgeſprochenen 
Grundſätze ſind m. E. auch auf den Fall anzuwenden, 
daß die klagende Partei zahlungsunfähig iſt, ohne im 
Beſitz des Armenrechts zu fein; denn bekanntlich hat 
ja an und für ſich die Bewilligung des Armenrechts 
auf die Erſtattung der Koſten des Gegners keinen Einfluß. 

Es nimmt Wunder, daß dieſe Entſcheidung von 
demſelben Senat gefällt iſt, wie die zuerſt angeführte. 
Man hätte, nach den Gründen dieſer Entſcheidung zu 
urteilen, eigentlich annehmen müſſen, daß das Reichs⸗ 
gericht zu dem entgegengeſetzten Ergebniſſe hätte kommen 
müſſen. Denn es beſteht ebenfalls kein geſetzliches Ver⸗ 
bot, ſeine Forderung an eine zahlungsunfähige Partei 
abzutreten, damit dieſe im Armenrecht klage. Und 
wenn der Abtretende nur mit der Möglichkeit rechnet, 
daß der Erwerber im Rechtsſtreit unterliegen werde, 
ſo iſt die Unſittlichkeit ſeiner Handlungsweiſe kaum 
größer, als dann, wenn eine Forderung abgetreten 
wird, damit ſich der Erwerber ein ihm nach dem Geiſte 
55 ZPO. nicht zuſtehendes Beweismittel verſchaffen 
önne. 

Rechtsanwalt Dr. Pfeiffer in Hirſchberg i. Schl. 


Der 8243 HGB. bei der gemiſchten wirtſchaſtlichen 
Unternehmung. (Nachtrag zu S. 17/18 Nr. 1 dieſer 
Zeitſchrift von 1914.) Weil man zugeben muß., daß 
8 243 HGB. die Abordnung von Mitgliedern des 
Aufſichtsrates einer Aktien-Geſellſchaft durch die öffent⸗ 
lichrechtliche Körperſchaft zur Geltendmachung ihres 
Einfluſſes und Wahrung ihrer Intereſſen unmöglich 
macht, ſo ſoll dieſer Zweck dadurch erreicht werden, 


— — — ͥ — 


— 


daß die zwei in Ausſicht genommenen Vertragsfirmen 
den Kreiſen Unterfranken und Oberfranken eine Option 
bis zu 60 %ñ des jeweiligen Aktien⸗Kapitals der für 
das Unternehmen der Elektrizitäts⸗Ueberlandzentrale 
zu bildenden Aktien⸗Geſellſchaft einräumen. 

In einem anderen Vertrage iſt der öffentlichen 
Körperſchaft eine Option bis zu 50% + 1 des jewei⸗ 
ligen Aktien⸗Kapitals zugeſprochen. 

Durch ſolchen Aktienbeſitz könnten die bei der 
Aktien⸗Geſellſchaft beteiligten öffentlichen Körper⸗ 
ſchaften die Wahl der von ihnen gewünſchten Ver⸗ 
treter als Mitglieder des Aufſichtsrates bei den Ge⸗ 
neralverſammlungen ſichern, wobei jedoch die im Schluß⸗ 
ſatze des 8 243 HGB. erforderten / des bei der Be⸗ 
ſchlußfaſſung vertretenen Grundkapitals wohl zu be⸗ 
achten ſind. 

Aber dieſer Umweg erfordert ein außerordentlich 
großes Opfer der Beteiligung am Aktienkapital. Dieſes 
Opfer wird noch dadurch vergrößert, daß der Siche⸗ 
rungszweck fordert, daß die Körperſchaft, ſolange die 
gemiſchte Unternehmung beſteht, niemals Teile ihres 
Aktienbeſitzes veräußert. 

Es haben Körperſchaften auch ſchon einen anderen 
Umweg eingeſchlagen. Sie ließen ſich in ihrem mit 
der Unternehmerfirma abgeſchloſſenen Vertrag zu⸗ 
ſichern, daß von der zu bildenden Betriebs⸗Aktien⸗ 
Geſellſchaft in der Generalverſammlung eine beſtimmte 
Zahl von Aufſichtsratsmitgliedern nach Vorſchlag der 
Körperſchaft gewählt werden ſollen. Eine ſolche Be⸗ 
ſtimmung in die Satzungen der Aktiengeſellſchaft auf⸗ 
zunehmen, geht nicht an. Die Generalverſammlung 
iſt in der Aufſichtsratswahl unbeſchränkt und kann in 
der geſetzlich ſreien Wahl nicht durch ſolche Satzungs⸗ 
Vorſchriften eingeengt, beſchränkt und gebunden werden. 
Jene in den Ausführungsverträgen etwa ſtehenden 
Wahlzuſagen wären jedenfalls rechtsunwirkſam. 

Mag nun aber auch die öffentliche Körperſchaft 
bei dem erſtbeſprochenen Umwege unter Ausnützung 
ihres 50% und mehr des Aktienkapitals überſteigen⸗ 
den Aktienbeſitzes in der Generalverſammlung ihre 
Männer in den Aufſichtsrat ſelbſt wählen laſſen oder 
trägt man bei geringerer Aktienbeteiligung der Körper⸗ 
ſchaft in der Generalverſammlung tatſächlich ihren 
Vorſchlags⸗Wünſchen Rechnung, jo gewähren beide 
Umwege nur einen recht unvollkommenen Notbehelf. 

In der Generalverſammlung können nur beſtimmte 
Perſonen als Mitglieder des Aufſichtsrates gewählt 
werden. Die Kreis⸗Regierung kann nicht ihren „je⸗ 
weiligen Referenten“ wählen laſſen. Wechſel im Re⸗ 
ferat, Beförderungen oder Verſetzungen außerhalb des 
Kreiſes könnten an der durch Wahl in der General⸗ 
verſammlung geſchaffenen Eigenſchaft als Mitglied des 
Aufſichtsrates nichts ändern. Der einmal gewählte 
Aufſichtsrat müßte trotz Referatswechſels und trotz Be⸗ 
rufung auf andere Stellung als Mitglied des Auf⸗ 
ſichtsrates bis zum Ablauf ſeiner Wahlperiode tätig 
bleiben oder es muß für einen Widerruf ſeiner Wahl 
nach 8 243 Abſ. 4 HGB. Sorge getragen werden. 

Aehnliche Verwickelungen ergeben ſich, wenn in 
dem einen oder anderen Falle ein Mitglied des Land⸗ 
rats der Kreisgemeinde in den Aufſichtsrat gewählt 
wird. Iſt die Wahlperiode für den Landrat abge— 
laufen und das bewußte Auſſichtsratsmitglied tritt in 
den neuen Landrat nicht wieder ein, ſo muß man ent⸗ 
weder den Herrn gleichwohl als Aufſichtsrat weiter 
tätig ſein laſſen bis zum Ablauf der für ihn in dieſer 
Eigenſchaft laufenden Wahlperiode, oder Niederlegung 


Zeitſchrift für für Rechtspflege in Bayern. 1 1914. Nr. 8. 


167 


und Widerruf nach 8 243 Abſ. 4 HGB. werden not⸗ 
wendig. In letzteren Fällen find außerordentliche 
Generalverſammlungen für Widerruf und Ergänzungs⸗ 
Neuwahl notwendig. 

Die da und dort vorgeſchlagenen Umwege zur 
Sicherung des Einfluſſes und der Intereſſen der 
mit Aktiengeſellſchafts⸗ Unternehmerfirmen paktierenden 
Kreisgemeinden bieten ihnen recht unvollkommene Not⸗ 
behelfe. 

Geh. IR. Dr. Full, Rechtsanwalt in Würzburg. 


Sind verkündete amtsgerichtliche Beſchlüſſe im Partei- 
betrieb oder von Amts wegen znzuſtellen? Dieſe Frage 
habe ich in Nr. 2 dieſes Jahrganges aufgeworfen und 
in bejahendem Sinne beantwortet. Meine Abhandlung 
hat zwei Gegner auf den Plan gerufen: Herrn Geheimrat 
Prof. Dr. v. Seuffert und Herrn Rechtsanwalt Dr. Kann, 
die in der Begründung ihres gegenteiligen Stand⸗ 
punktes allerdings nicht ganz einig gehen und mich ſchon 
aus dieſem Grund nicht recht zu überzeugen vermochten. 
Ich habe nicht die Abſicht, eine Widerlegung der Anſicht 
dieſer beiden bekannten Autoren zu verſuchen, zumal 
ich mich mit meiner Veröffentlichung eigentlich nicht 
in den Streit der Meinungen miſchen wollte, ſondern 
nur den Zweck verfolgte, im Intereſſe der Rechtsſicher⸗ 
heit den gegenwärtigen Standpunkt des Münchener 
Vollſtreckungsgerichts darzulegen und zu begründen. 

Wenn ich trotzdem noch einmal das Wort ergreife, 
ſo geſchieht es nur deshalb, weil ich faſt den Eindruck 
gewonnen habe, als ob mir in den Erörterungen 
Seufferts und Kanns die Anſicht unterſtellt würde, daß 
alle verkündeten amtsgerichtlichen Beſchlüſſe der Zu⸗ 
ſtellung von Amts wegen bedürften, beiſpielsweiſe alſo 
auch Beweisbeſchlüſſe und ſonſtige Beſchlüſſe prozeß⸗ 
leitender Art. Es liegt mir daran, feſtzuſtellen, daß 
ich dieſe Anſicht für falſch halte; ich habe ſie auch 
niemals vertreten; meine Frageſtellung lautete nicht: 
„Sind alle verkündeten amtsgerichtlichen Beſchlüſſe 
von Amts wegen zuzuſtellen?“, ſondern fie lautete: 
„Sind verkündete amtsgerichtliche Beſchlüſſe (scil. 
ſoweit zu ihrer Zuſtellung überhaupt ein praktiſches 
Bedürfnis beſteht!) im Parteibetrieb oder von 
Amts wegen zuzuſtellen?“ In dieſem Sinn und 


in keinem anderen wollte ich meine Ausführungen ver⸗ 


ſtanden wiſſen. 8 496 Abſ. 1 ZPO., auf den ich meine 
Beweisführung aufbaue, ſpricht ſich ja auch in keiner 
Weiſe darüber aus, was alles zugeſtellt werden muß, 
ſondern nur darüber, in welcher Weiſe die etwa 
erforderlichen Zuſtellungen auszuführen ſind. 
Amtsrichter Dittrich in München. 


Aus der Nechtſprechung. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
J. 

Der „Selbſtkoſtenpreis“ iſt keine Eigenſchaft eines 
Grundſtücks. Aus den Gründen: Die auf 8 463 
BGB. geſtützte Klagbegründung iſt vom OLG. ſchon de8: 
halb abgewieſen worden, weil die Angabe des Selbſt— 
koſtenpreiſes die Zuſicherung einer Eigenſchaft des Grund— 
ſtücks nicht in ſich ſchließe. Dieſe Auffaſſung iſt nicht 


168 


irrtümlich. Unter den Eigenſchaften der Kaufſache im 
Sinne von 88 459 Abſ. 2, 463 BGB. find nach der 
feſtſtehenden Rechtſprechung des Reichsgerichts (RG. 
2, 1; 59, 243; 61, 84) allerdings nicht nur die natür⸗ 
lichen Beſcha e ſondern auch tatſächliche 
oder rechtliche Berhältniffe zu verſtehen, die zufolge 
ihrer Beſchaffenheit und ihrer vorausgeſetzten Dauer 
nach den Verkehrsanſchauungen einen Einfluß auf die 
Wertſchätzung der Sache ausüben. Als ſolche Ver⸗ 
hältniſſe ſind z. B. die Höhe der Brandverſicherung, 
die Steuerbeträge und die Mieterträge anerkannt 
worden. Das Weſen der Eigenſchaft iſt aber abge⸗ 
ſprochen dem Wert und Marktpreis der Sache, da dieſer 
nur das Ergebnis der Schätzung ſämtlicher für die 
Wertſchätzung maßgebender Eigenſchaften der Sache, 
nicht aber ſelbſt eine Eigenſchaft iſt (NEL. 64, 269; 
JW. 1906, 378). Verſchieden von dem Werte der 
Sache iſt der Selbſtkoſtenpreis des Verkäufers. Er kann 
allerdings einen Maßſtab für die Wertbemeſſung bilden; 
Sacheigenſchaft iſt er aber nicht, weil aus ihm keine 
gegenſtändliche und dauernde Grundlage für die Be⸗ 
meſſung des Sachwerts zu entnehmen iſt. Er ſagt nur, 
was die Vertragsparteien auf Grund ihrer Schätzung 
zur Zeit des Vertrags und auf Grund der beſonderen 
Sachlage als angemeſſenen Preis erachtet haben. Der 
Verkehrsauffaſſung würde es nicht entſprechen, in dem 
Selbſtkoſtenpreis ein den natürlichen Eigenſchaften ent⸗ 
ſprechendes Verhältnis zu erblicken. Der Hinweis der 
Reviſion darauf, daß Bier zwiſchen der Zahlung des 
Selbſtkoſtenpreiſes und dem Kauf nur eine kurze Zeit 
verfloſſen ſei, liegt neben der Sache; entſcheidend iſt, 
ob der Selbſtkoſtenpreis nach ſeinem Weſen und ſeiner 
Bedeutung eine Eigenſchaft iſt. (Urt. des V. 35. vom 
7. Februar 1914, V 454/13). 
3306 


— — — . 


II. 


Der Kutſcher als Erfüllungsgehilfe deſſen, der den 
Arzt über Land ruft. Aus den Gründen: Ein 
Vertragsverhältnis zwiſchen dem Kläger (dem bei der 

ahrt zu Schaden gekommenen Arzt) und dem Be⸗ 
lagten iſt damit begründet, daß der den Arzt über 
Land Rufende die Unkoſten der Fahrt zu tragen hat, 
wenn der Arzt mit eigenem oder von ihm beſchafftem 
Geſpanne der Beſtellung Folge leiſtet. Der Beſteller, 
der es übernimmt, den Arzt mit ſeinem Geſpanne zu 
dem Kranken abholen zu laſſen, verpflichtet ſich damit 
zu einer Gegenleiſtung für die ärztliche Tätigkeit. Dem⸗ 
nach iſt auch der Kutſcher, durch den er den Arzt 
abholen läßt, ſein Erfüllungsgehilfe. Daß der 
Beklagte nicht ſelbſt zu fahren verpflichtet war, ſteht 
dem nicht entgegen. Der 8 278 BGB. gilt nicht nur 
für ſolche Leiſtungen, die grundſätzlich von dem Schuld⸗ 
ner perſönlich zu bewirken ſind, er iſt auch anwendbar, 
wenn der Schuldner die von ihm übernommene Ver⸗ 
pflichtung nicht ſelbſt erfüllen kann oder zu erfüllen 
braucht (vgl. RG.Z. 55, 335; 59, 22; 62, 119; 64, 321; 
65, 17: 73, 148; 78, 239). (Urt. d. III. ZS. vom 20. Ja⸗ 
nuar 1914, III, 451/13). — a — 

3266 


III. 


Sittenwidriger, weil Beſtechung vorſehender Agentur: 
vertrag. Aus den Günden: Den Agenturvertrag 
zwiſchen den Parteien hat das OLG. mit Recht wegen 
Verſtoßes gegen die guten Sitten ($ 138 BGB.) für 
nichtig erklärt. Nach ſeinen Feſtſtellungen war der 
Vertrag gerade geſchloſſen, um mit Hilfe der dem 
Kläger befreundeten Beamten die Beklagte bei der aus— 
ländiſchen Regierung einzuführen. Der Kläger ſollte 
dieſen Freunden einen Teil des Ueberpreiſes verſprechen, 
damit ſie auf die Uebertragung der Lieferungen an die 
Beklagte hinwirkten. Die Teilung des Ueberpreiſes 


—  — 


— — ——!̃— L—. RE a N ñ— — — —— ——— ——— — — ä — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


zwiſchen dem Kläger und „ſeinen Freunden, die ihm 
zur Erlangung des Kontrakts behilflich ſind“, war auch 
in dem Vertrage ausdrücklich vorgeſehen. Dieſe Um⸗ 
ſtände rechtfertigen die Entſcheidung, daß der ganze 
Vertrag nach Beweggrund, Inhalt und Zweck gegen 
die guten Sitten verſtößt, ohne Rückſicht darauf, ob 
wirklich den Beamten Geſchenke gegeben worden und 
dadurch die Vertragsſchlüſſe erzielt find. Es iſt des⸗ 
halb ohne Bedeutung, daß dies nicht feſtgeſtellt worden 
iſt. Ebenſo unbegründet iſt die Rüge, das OL. habe 
nur das deutſche StEB. (8 331) angeführt und nicht 
geprüft, welche Anſchauungen in dem ausländiſchen 
Staate herrſchen. Das StB. dieſes Staates bedroht 
ebenſo wie der 8 331 mit Strafe einen Beamten, der 
ein Geſchenk für eine in den Kreis ſeiner Dienſtver⸗ 
pflichtungen einſchlagende n annimmt, auch 
wenn dieſe nicht pflichtwidrig iſt. Uebrigens entſcheidet 
die deutſche Auffaſſung über die Frage, ob der Vertrag 
gegen die guten Sitten verſtößt. (Urt. d. III. ZS. vom 
6. Februar 1914, III 474/13). 
3287 


IV. 


Rücktritt vom Werkvertrage wegen wiſſentlich un: 
wahrer Angaben des Unternehmers. Aus den Grün⸗ 
den: Die Beklagten haben eine Befugnis zum Rück- 
tritt vom Vertrage auch daraus hergeleitet, daß die 
Kläger ihnen VBohrberichte mit wiſſentlich unwahren 
Angaben zugeſandt hätten. Nach dieſen Berichten ſollte 
eine Tiefe von 16 m erreicht geweſen ſein, während 
in Wahrheit nur 3 m mit dem Spaten gegraben wären. 
Das OLG. hält diefe Behauptung der Beklagten für 
unerheblich, weil es ſich höchſtens um eine Uebertreibung 
des Geleiſteten gehandelt habe und irgendwelche Nach⸗ 
teile daraus für die Beklagten nicht entſtanden ſeien. 
Dieſer Rechtsauffaſſung kann nicht beigetreten werden. 
Sind die Behauptungen der Beklagten richtig, dann 
haben die Kläger ihnen wahrheitswidrig mitgeteilt, 
daß die eigentlichen Bohrarbeiten begonnen und bis 
zu einer gewiſſen Tiefe ausgeführt ſeien. Das Aus⸗ 
heben einiger Meter mit dem Spaten iſt noch nicht 
ein Beginn ſondern nur eine geringfügige Vorbereitun 
der wirklichen Bohrarbeiten. Eine ſolche wiſſentlich 
falſche Mitteilung aber konnte nach den Umſtänden 
des Falles einen Rücktritt der Beklagten von dem Ber- 
trage auch dann rechtfertigen, wenn ſie keinen unmittel⸗ 
baren Nachteil für fie zur Folge hatte. Die Beklagten, 
die von dem Bohrorte weit entfernt wohnten, mußten 
ſich auf die Zuverläſſigkeit und Redlichkeit der Kläger 
verlaſſen können. Im Bohrvertrage war den Klägern 
die Verpflichtung auferlegt, vom Beginn der Arbeiten 
regelmäßige, forgfältige Aufzeichnungen und Bohrpro⸗ 
file anzufertigen und den Beklagten zuzuſenden. Jede 
abſichtlich verſchuldete oder durch grobe Nachläſſigkeit 
verurſachte Nichterfüllung der im Vertrage übernom⸗ 
menen Verpflichtungen ſollte den anderen Vertragsteil 
berechtigen, die Auflöſung zu verlangen. Die abſicht⸗ 
liche Täuſchung über den Beginn der Bohrarbeiten 
war danach nicht ein unerheblicher Umftand. Waren 
aber die Beklagten zum Rücktritt berechtigt, ſo konnten 
die eingeklagten Anſprüche nicht dem Grunde nach für 
gerechtfertigt erklärt werden. Die Erwägung des OLE, 
daß die Kläger doch jedenfalls berechtigt geblieben 
wären, die Gegenleiſtung für den bereits geleiſteten 
Teil der Arbeiten zu fordern, kann die Entſcheidung 
des OLG. nicht rechtfertigen. Denn dieſer Anſpruch 
wäre ein ganz anderer als der dem Grunde nach für 
gerechtfertigt erklärte. Daß den Klägern irgendein 
Anſpruch aus dem der Klage zugrundeliegenden Rechts⸗ 
verhältnis zuſteht, genügt zum Erlaß eines Zwiſchen⸗ 
urteils nach 8 304 ZPO. nicht. (Urt. d. III. ZS. vom 
30. Januar 1914, III 486/13). — a — 


328 6 


— . — — - “ — 
1 4 Par .. Bu 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 169 


V. 


ee der Widerruflichkeit des Mäfllerant: 
trags. Aus den Gründen: Die freie Widerruflich⸗ 
keit des dem Mäkler erteilten Auftrags kann durch den 
Willen der Parteien ausgeſchloſſen werden. Dieſer 
Wille kann ſich auch aus den Umſtänden ergeben. Hier 
hat der Beklagte der Klägerin den Alleinverkauf ſeines 
Gutes übertragen, nachdem ihr Geſchäftsführer dem 
Beklagten auf ſein an die Klägerin gerichtetes Geſuch 
um Berſchaffung eines Darlehens wiederholt erklärt 
hatte, ſie werde ihm das Darlehen nur beſchaffen, wenn 
er ſich verpflichten wolle, ihr den Alleinverkauf des 
Gutes zu übertragen und ihr die Vergütung auch dann 
zu zahlen, wenn das Gut durch ſeine, des Beklagten, 
Bemühungen oder die dritter Perſonen zum Verkaufe 
käme. Darauf hat der Beklagte nach Unterzeichnung 
des Scheines das Darlehen von der Klägerin erhalten. 
Die Einräumung des Alleinverkaufs bildete alſo die 
Gegenleiſtung für die Gewährung des Darlehens. 
Der Beklagte hatte gegen Gewährung des Darlehens 
die Verpflichtung übernommen, der Klägerin auch im 
Falle des Selbſtabſchluſſes die Vergütung zu zahlen. 
(Urt. d. III. 8S. vom 23. Januar 1914, III 385/13). 
32868 — a — 


VI. 


Mietvertrag ohne ziffermätzige Feſtſetzung des Miet: 
zinfed. Aus den Gründen: Das 86. fü der An⸗ 
ſicht, daß die Parteien einen Mietvertrag ſchließen 
wollten und geſchloſſen haben, obgleich ſie die Höhe 
des Mietzinſes einer weiteren Einigung vorbehielten. 
Den Sinn dieſes Vorbehalts verſteht das B. dahin, 
daß die Höhe des Mietzinſes nach billigem Ermeſſen 
feſtgeſetzt werden ſollte, wenn keine Einigung erfolgen 
werde. Die Beſtimmung des 8 154 BGB., wonach ein 
Vertrag nicht geſchloſſen iſt, wenn über einen Punkt 
eine Vereinbarung erſt noch getroffen werden ſoll, iſt 
deshalb nach ſeiner Meinung nicht anzuwenden. Die 
Reviſion macht geltend, wenn die Parteien die Höhe 
des Mietzinſes ausdrücklich ſpäterer Vereinbarung vor⸗ 
a hätten, fo fei damit unzweideutig ausgedrückt, 
daß ſpäter die Höhe des Mietzinſes nur durch den 
übereinſtimmenden Willen beider Parteien feſtgeſetzt 
werden könne. Dieſer Angriff iſt verfehlt. Nach § 154 
BB. iſt der Vertrag nur im Zweifel nicht ge 
ſchloſſen, wenn die Parteien einen Punkt künftiger 
Vereinbarung vorbehalten haben. Nach den Umſtänden 
des Falles können die Parteien gewollt haben, daß 
der Vertrag auch ohne eine Vereinbarung über den 
vorbehaltenen Punkt als geſchloſſen anzuſehen ſei. 
Das iſt die Ausnahme von § 154 BGB. und der Fall 
des § 155. Alsdann iſt der vorbehaltene Punkt nach 
den allgemeinen geſetzlichen Regeln zu ergänzen. (RZ. 
60, 178). Daß der Parteiwille dahin ging, den Miet⸗ 
vertrag auch ohne eine ziffermäßige Feſtſetzung des 
Mietzinſes zu ſchließen und dieſe Fiuſczung den all⸗ 
8 geſetzlichen Regeln zu überlaſſen, belegt das 

G. mit einer Reihe von Tatſachen. (Wird 8 80. habe 
Berechtigt iſt der Einwand der Reviſion, das BG. habe 
den 8 315 BGB. dadurch verkannt, daß es ihn auf 
den Fall anwenden wollte, wo jeder von beiden Par⸗ 
teien die Ausfüllung einer Lücke des Vertrages zu⸗ 
ſtehen fol. Der § 315 beſchränkt ſich auf den Fall, 
in dem nach dem Parteiwillen durch einen der Ver⸗ 
tragſchließenden die Leiſtung beſtimmt werden ſoll. 
Sollen alle Bertragſchließenden die Leiſtung beſtimmen, 
ſo bedeutet dies, daß die Beſtimmung nur durch Willens⸗ 
übereinſtimmung beider Teile erfolgen ſoll. Auf dieſem 
Verſehen beruht jedoch das Urteil nicht. Das BG. ſtellt 
feſt, daß die Parteien eine Feſtſetzung der Höhe des 
Mietzinſes nach billigem Ermeſſen i. S. des § 315 
wollten. Alsdann hat aber nicht jeder Teil zu be⸗ 
ſtimmen, ſondern es ſteht nach $ 316 BGB. die Be⸗ 


1 
ſtimmung im Zweifel dem zu, der die Gegenleiſtung 
zu fordern hat, wenn, wie hier, der Umfang der Gegen⸗ 
leiſtung in Frage kommt. Danach hätte hier der Ver⸗ 
mieter die Höhe des Mietzinſes beſtimmen dürfen und 
nach billigem Ermeſſen beſtimmen müſſen. Das Er⸗ 
gebnis iſt alſo dasſelbe wie das des BE. (Urt. des 
III. 38S. vom 23. Januar 1914, III 442/1913). 
3265 — a — 


VII. 


1. Wird ein wegen Formmangels nichtiges Schen: 
kungsverſprechen nach 8 518 Abſ. 2 oder § 607 Abf. 2 
BG. dadurch gültig, daß der Schenkende in einem 
Schuld ſchein den verſprschenen Betrag als Darlehen zu 
ſchulden bekennt? 2. Wie verteilt ſich die Beweislaſt 
kia eie der Begründung einer Schuld, wenn der Glän⸗ 
iger einen Anſpruch anf ein ſchriſtliches Darlehens⸗ 
bekeuntnis ſtützt und zugibt, kein Darlehen gegeben zu 
haben? Aus den Gründen: 1. Das OLG. ſcheint 
zu unterſtellen, es ſei zwiſchen dem Beklagten und ſeiner 
Frau — der Erblaſſerin der Kläger — ein Vertra 
eſchloſſen worden, durch den der Beklagte ihr 3500 
ſchenkweiſe verſprochen habe, und er ſcheint weiter an⸗ 
zunehmen, daß dieſer Vertrag zur Gültigkeit an ſich 
der im 8 518 Abſ. 1 Satz 1 BB. für vertragsmäßige 
Schenkungsverſprechen vorgeſchriebenen Form bedurft 
hätte, daß aber der Mangel der Form nach 8 518 Abſ. 2 
durch Begründung der Schuld als einer Darlehensſchuld 
geheilt ſei. Wenigſtens faßt die Reviſion die Ausführung 
des Os G.'s in dieſer Weiſe auf, da fie Verletzung des 
8 518 USB. rügt, weil ein formloſes Schenkungsver⸗ 
ſprechen nicht dadurch gültig werde, daß es in die Form 
eines Darlehensverſprechens gekleidet ſei. Der Reviſion 
iſt auch beizuſtimmen, daß aus jenem rechtlichen Geſichts⸗ 
punkt ſich die Gültigkeit des Darlehnsverſprechens nicht 
ergibt. Der Zweck der Formvorſchrift im 8 518 Abſ. 1 
Satz 1 BGB. iſt, den Schenkgeber vor Uebereilung bei 
VBermögenszuwendungen zu ſchützen, die er nicht ſofort 
als ſolche empfindet. Wenn der Schenkgeber auf Grund 
des Schenkungsverſprechens einen Schuldſchein über ein 
Darlehen ausſtellt, ſo liegt wiederum nur ein Verſprechen 
vor. Die verſprochene Leiſtung iſt dadurch nicht i. S. 
des 8 518 Abſ. 2 BG. bewirkt. Dieſe Beſtimmung 
fordert eine Leiſtung der Art, daß eine Forderung für 
den, der beſchenkt werden ſoll, nicht beſtehen bleibt 
(RG. Bd. 71 S. 291, 292). Die Gültigkeit des Bekennt⸗ 
niſſes eines eee, in dem hier fraglichen 
Schuldſchein iſt auch aus § 607 Abſ. 2 BGB. nicht zu 
entnehmen. Zwar kann nach dieſer Vorſchrift eine Schuld 
aus anderem Grunde durch Vereinbarung zwiſchen 
Gläubiger und Schuldner in eine Darlehensſchuld um⸗ 
geſchaffen werden. Aber, wie aus den Worten: „wer 
Geld... aus einem anderen Grunde ſchuldet“ ſich er⸗ 
gibt, iſt Vorausſetzung hierfür, daß eine Schuld aus 
anderem Grunde beſteht (RG. Bd. 76 S. 60), und eine 
Schuld aus einem wegen Formmangels nichtigen Schen⸗ 
kungsverſprechen beſteht nicht. Die vorerwähnte Aus⸗ 
führung des OLG. läßt ſich freilich auch fo verſtehen, 
daß durch Ausſtellung des Schuldſcheins über eine Dar⸗ 
lehensſchuld bereits eine die Erblaſſerin der Kläger 
bereichernde Zuwendung aus dem Vermögen des Be⸗ 
klagten erfolgt ſei, alſo eine fog. Real⸗Schenkung oder 
vollzogene Schenkung i. S. des 8 516 BGB. vorliege, 
wie etwa beim Ae Erlaß einer Schuld 
ſchon durch den Erlaß (RG. Bd. 53 S. 296, Bd. 76 S. 61), 
bei ſchenkweiſer Abtretung einer Forderung ſchon durch 
die Abtretung (RG. in JW. 1907 S. 73 Nr. 3) eine 
den Empfänger bereichernde Zuwendung aus dem Ver⸗ 
mögen des Schenkgebers u Aber die Zuwendung 
ſoll hier darin beſtanden haben, daß eine Forderung 
des Beklagten gegen den Schenkgeber begründet wurde 
durch ein vom Schenkgeber abgegebenes Verſprechen, 
und auf eine ſolche Zuwendung iſt die Beſtimmung des 
§ 518 Abſ. 1 Satz 1 BGB. anzuwenden, wonach das 


170 


* 


Verſprechen der dort vorgeſchriebenen Jorm bedarf. 
Dies erhellt auch daraus, daß ſelbſt für ein ſchenkweiſe 
erteiltes Schuldverſprechen oder Schuldanerkenntnis 
der in den 88 780, 781 bezeichneten Art im 8 518 Abſ. 1 
Satz 2 BGB. die für Schenkungsverſprechen vorge⸗ 
ſchriebene Form gefordert iſt, wiewohl es ſelbſtändig 
für ſich beſteht und eine Leiſtung i. S. der Vorſchriften 
über die Rückforderung einer ungerechtfertigten Be⸗ 
reicherung iſt (8 812). Die ed des OLG. iſt 
daher rechtsirrig, aan wie fie zu deuten iſt. 

2. Unzutreffend iſt die Rüge der Reviſion: es ſei 
die Beweislaſt verkannt; da der Beklagte kein Darlehen 
erhalten habe, ſei der Schuldſchein ohne Wirkung, ſo 
lange nicht die Kläger den Beweis führten, daß dem 
Schuldſchein ein anderer Rechtsgrund beiwohne. Das in 
dem Schuldſchein abgegebene Bekenntnis des Empfangs 
des Darlehens begründet zugunſten des Gläubigers 
die Vermutung für das Beſtehen der aus dem Schuld⸗ 
ſchein ſich ergebenden Darlehensforderung. Dieſe Ver⸗ 
mutung wird nach der 5 3 des 
Reichsgerichts (vgl. RGE. Bd. S. 235, Bd. 57 
S. 322; Warneyer Rſpr. 1909 Nr. 358 1910 Nr. 428; 
1912 Nr. 161; 1913 Nr. 90) nicht ſchon dadurch wider⸗ 
legt, daß der Gläubiger zugibt, das Darlehen nicht bar 
gegeben zu haben. Denn ein Darlehen kann nach 8 607 
Abſ. 2 BGB. auch in der Weiſe zuſtande kommen, 
daß zur Valutierung andere Schuldbeträge verwendet 
werden, vorausgeſetzt, daß, wie oben dargelegt, eine 
Schuld in dieſer Hinſicht beſteht. Beruft ſich der Gläu⸗ 
biger hierauf, ſo hat nicht er den Beweis zu führen, 
da ihm das Darlehensbekenntnis zu ſtatten kommt, 
ſondern der Schuldner den Gegenbeweis zu erbringen. 
Dies muß hier umſomehr gelten, als der Beklagte eine 
dem Schuldſchein entſprechende Zahlung ſeines Vor⸗ 
mundes an die Gläubigerin, die Erblaſſerin der Kläger, 
als ohne rechtliche Verpflichtung geleiſtet zurückfordert. 
Anderſeits aber müſſen die Kläger ihre Angaben über 
die Begründung der Forderung ihrer Erblaſſerin gegen 
den Beklagten auch gegen ſich gelten laſſen und ſie 
können ſich für das Beſtehen der Forderung nicht auf 
das vom Beklagten in dem Schuldſchein abgegebene 
Schuldbekenntnis berufen, wenn aus ihren Angaben 
zu entnehmen iſt, daß ein Schuldverhältnis rechtlich 
nicht begründet worden ee. RG. bei Warneyer Rſpr. 
1908 Nr. 506). (Urt. des V. 35. vom 6. Dez. 1913, 
v 304/1913). E. 

3271 


VIII. 


Können Nückprall des Regens und Winddrnck als 
Einwirkung vom Nachbargrundſtück ans gelten? Aus- 
den Gründen: Als irrig wird von der Reviſion 
die Ablehnung der Anwendung des 8 907 BGB. bes 
mängelt, ſofern ſie damit begründet iſt, daß weder 
in dem Rückprall des Regens noch in dem Winddruck 


eine ſinnenfällige Einwirkung vom Nachbargrundſtücke 


her zu erblicken ſei. Wenn der Regen von den hohen 
Wänden des Rathauſes zurückſpringe, ſo handle es ſich 
nicht mehr um eine rein „negative Einwirkung, ſondern 


Zeitſchrift für ir Rechtspflege in Bayern. 1914. 


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um eine unmittelbare Zuführung. Das gleiche gelte 


auch von dem Winddruck, der die Oefen und Herde 
rußen laſſe. Es handle ſich dabei um einen ganz anderen 
phyſikaliſchen Vorgang als in dem vom Reichsgericht 


Nentſchiedenen Falle (JW. 1909 S. 161 Nr. 10), wo ein 


Gebäude einer Windmühle den Wind aus den Flügeln 
genommen hatte; dort ſei die Luftbewegung allerdings 
überhaupt gar nicht auf das Windmühlengrundſtück 
gelangt geweſen, während ſie hier von dem Grundſtücke 
der Beklagten auf das der Kläger zurückgeworfen werde. 
Dieſe Angriffe ſind unbegründet. Das OLG. hat nicht 
darin Unrecht, daß die Vorſchrift des 8 907 BGB. fireng 
auszulegen ſei, weil er eine Ausnahme, eine Beſchrän— 
kung des Eigentümers in der Ausübung ſeiner Rechte 
enthalte. Regel iſt und bleibt der Grundſatz des 8 903 
BGB., daß der Eigentümer einer Sache mit der Sache 


| 


Nr. 8. 


nach Belieben verfahren kann, ſoweit nicht das Geſetz 
oder Rechte Dritter Augen nſtehen. Der Eigentümer 
eines Grundſtücks, deſſen Recht ſich nach 8 905 BGB. 
auch auf den Raum über der Oberfläche erſtreckt, kann 
beliebig hoch bauen, ſoweit er nicht durch ein geſetz⸗ 
liches oder baupolizeiliches Verbot oder durch ein be⸗ 
ſonderes Recht Dritter gehindert iſt. Zum Bau eines 
1 6 aber gehören Mauern, Wände und Dach. Da⸗ 
durch gerade werden bewohnbare und benützbare, ge⸗ 
ſchloſſene Räume geſchaffen und werden dieſe Räume 
ſowie deren Bewohner und ihre Habe vor Wind und 
Wetter geſchützt. Das darf der bauende Eigentümer 
tun, mag es gleich einem Nachbar unbequem oder ſo⸗ 
gar nachteilig ſein. Eine Ausnahme von der Regel 
der freien Befugnis des Eigentümers enthält der 8 907 
BGB., der in gewiſſem Zuſammenhang mit dem die 
Ausſchließungsbefugnis des Eigentümers beſchränken⸗ 
den 8 906 BGB. ſteht. Der 8 907 gewährt einen vor⸗ 
beugenden Schutz gegen eine „unzuläſſige Einwirkung“, 
die der Beſtand oder die Benutzung einer Anlage auf 
das Nachbargrundſtück zur Folge hat. Wie dieſer Be⸗ 
griff zu beſtimmen und zu begrenzen ſei, iſt in dem 
Urteile des V. 38S. (RG. 51, 251) dargelegt. Dabei 
kommt es nicht ausſchließlich auf den Gegenſatz von 
„poſitiven“ und „bloß negativen“ Einwirkungen an und 
es kann dahingeſtellt bleiben, ob man hier das angeb⸗ 
liche „Zurückwerfen“ des Regens und Windes durch 
die Mauern des Rathauſes als etwas nur „negativ“ 
wirkendes bezeichnen darf. Das weſentliche iſt viel⸗ 
mehr folgendes. Das Abprallen des Windes und des 
Regens iſt ein Naturvorgang, der an ſich nicht von 
dem Neubau ausgeht, ſondern auf dem Walten der 
Naturgeſetze beruht, ohne daß dabei der Neubau anders 
als abwehrend mitwirkt. Wenn freilich das mit dieſem 
Bau der natürlichen Luftbewegung entgegengeſtellte 
Hindernis durch das Menſchenwerk des höheren Hauſes 
geſchaffen iſt, ſo kann doch darin unmöglich eine Zu⸗ 
führung oder Zuleitung von Stoffen, geſchweige von 
Beſtandteilen aus dem Bauwerk auf das Nachbargrund⸗ 
ſtück erblickt werden. Und keinesfalls ſteht hier eine 
unmittelbare unzuläſſige Einwirkung in Frage. Die 
Abhaltung oder auch Ablenkung von Wind und Nieder- 
ſchlägen wird ohne weitere, beſondere Veranſtaltung 
nur durch das Daſein des Gebäudes, der höheren 
Giebelwand, bewirkt. Dieſe natürliche und unvermeid⸗ 
liche Folge eines geſetzlich und baupolizeilich erlaubten 
Bauens muß fi der Nachbar gefallen laſſen. Von 
einer Anwendung des 8 907 BGB. kann in einem ſolchen 
Falle keine Rede ſein. Sonſt würde ſchließlich, wenn 
niemand höher bauen dürfte, als das Nachbar aus iſt, 
das Bauen wenigſtens in geſchloſſener Bauweiſe über⸗ 
haupt nicht mehr möglich ſein. (Urt. d. VI. ZS. vom 
27. November 1913, VI 493/13). — —— n 
3293 


IX. 


Auslegung eines Teſtaments; die Be egeihuung einer 
Perſon als Erbe ſteht der Annahme nicht entgegen, daß 
fie uur den Pflichtteilsanſpruch haben ſolle. In 81 
des Teſtaments erklärt der Erblaſſer, er ernenne zu 
ſeinen „Erben“ ſeine 8 Kinder, darunter auch den Kläger, 
ſowie einen weiteren Sohn namens Walter. In 82 
iſt geſagt, das Vermögen werde den Kindern unter 
den in 8 4 angegebenen Beſtimmungen „vermacht“. 
In 8 4 heißt es dann, der Kläger werde „bis auf 
die Hälfte des Pflichtteils', Walter bis auf den 
Pflichtteil enterbt und die beiden Söhnen entzogenen 
„Erbteile“ ſollten auf ihre 6 Geſchwiſter zu gleichen 
Teilen übergehen. In 88 iſt geſagt, dasjenige von 
den 6 nicht auf den Pflichtteil oder die Hälfte des Pflicht- 
teils geſetzten Kindern, das es unternehme, das Te 
ſtament oder ſeine Nachträge in irgendeiner Weiſe an— 
zugreifen, werde bis auf den geſetzlichen Pflichtteil 
enterbt. 


Aus den Gründen: Das OG. legt das Te⸗ 
ſtament dahin aus, daß der Kläger von der Erbfolge 
gänzlich ausgeſchloſſen ſein und nur einen Anſpruch 
auf Zahlung einer dem vierten Teile des Wertes ſeines 
geſetzlichen Erbteils entſprechenden Geldſumme, alſo 
einen Pflichtteilsanſpruch, haben ſolle. Bei dieſer Aus⸗ 
legung berückſichtigt es, daß das Teſtament unter der 
Herrſchaft des Märkiſchen Provinzialrechts errichtet fei 
und daß es bei Märkiſchen Teſtamenten allgemein üblich 
geweſen ſei, alle Pflichtteilsberechtigten vorweg als 
Erben zu bezeichnen, auch dann, wenn der eine oder 
der andere Pflichtteilsberechtigte lediglich mit einer be⸗ 
ſtimmten Sache oder Summe bedacht wurde, ſo daß 
alſo inſoweit die Erbeinſetzung nur eine formelle habe 
ſein ſollen (honor institutionis). Einen beſonderen Hin⸗ 
weis auf eine ſolche Bedeutung des 8 1 findet das OLG. 
in 8 2 des Teſtaments, in dem offenbar damit erſt die⸗ 
jenigen Beſtimmungen eingeleitet würden, die die eigent⸗ 
liche Verfügung über den Nachlaß beträfen. Unter⸗ 
ſtützt ſieht es ſeine Anſicht durch die Faſſung des 84, 
da die Wendung „enterbe ich bis auf“ genau dem Wort⸗ 
laute der betreffenden Beſtimmung in 8 8 entſpreche, 
darüber aber kein Zweifel beſtehen könne, daß einem 
Kinde, das das Teſtament angreife und für dieſen Fall 
auf den Pflichtteil geſetzt ſei, die Rechtsſtellung eines 
Erben nicht eingeräumt ſein ſolle. Dieſe Auslegung 
iſt rechtlich durchaus möglich. Der Umſtand, daß der 
Erblaſſer den Kläger in 8 1 des Teſtaments „zum 
Erben“ ernennt, daß er in 84 von feinem „Erbteil“ 
ſpricht und daß er auch Da wiederholt dieſe Wörter 
für alle ſeine Kinder gleichmäßig gebrauchen mag, nötigt 
„ zu der Annahme, daß auch der Kläger wirk⸗ 
licher Erbe ſein ſolle, läßt vielmehr ſehr wohl die Auf⸗ 
faſſung zu, daß er gleichwohl nur einen Geldanſpruch 
haben ſolle. Bei der Auslegung eines Teſtaments kommt 
es eben nicht auf den Wortlaut einzelner Beſtimmungen, 
„ darauf an, was der Inhalt der letztwilligen 

e in ihrer Geſamtheit als wahren, wenn auch 
unvollkommen ausgedrückten Willen des Erblaſſers 
ergibt (vgl. die 88 133, 2087 BGB.). Die Reviſion 
beruft ſich demgegenüber auf ein Urteil des Se⸗ 
nats vom 22. November 1906 dafür, daß die Erben⸗ 
ſtellung aus dem Wortlaute eines Teſtaments ſogar 
gegen den Willen des Erblaſſers hervorgehen könne; 
in dieſem Urteile iſt allerdings geſagt, ein Pflichtteils⸗ 
berechtigter könne auch gegen den Willen des Erblaſſers 
Erbe werden. Die Entſcheidung bezieht ſich aber, was 
die Reviſion überſieht, ausſchließlich auf den Sonder⸗ 
fall des 8 2306 Abſ. 2 in Verbindung mit Abſ. 1 Satz 1 
BGB., auf den Fall nämlich, daß ein Pflichtteilsbe⸗ 
rechtigter als Nacherbe, alſo doch immerhin als Erbe, 
eingeſetzt iſt und der ihm hinterlaſſene Erbteil die Hälfte 
des geſetzlichen Erbteils nicht überſteigt. In dieſem 
Falle geht die Berufung zur Nacherbſchaft von Geſetzes 
wegen in eine Berufung zur unmittelbaren Erbfolge 
über. Wie aber daraus für den vorliegenden, gänzlich 
anderes gearteten Fall etwas zugunſten der Reviſion 
ſollte hergeleitet werden können, iſt nicht erſichtlich. 
Die Auslegung, die das OLG., ſoweit die rechtliche 
Stellung des Klägers in Frage kommt, den Beſtim⸗ 
mungen des Teſtaments in ihrer Geſamtheit gibt, ver⸗ 
letzt weder geſetzliche Auslegungsregeln noch läßt ſie 
ſonſt erkennen, daß fie irgendwie von Rechtsirrtum be= 
einflußt wäre. Die 88 2 und 8 des Teſtaments ins⸗ 
beſondere, die das Gericht zur Unterſtützung feiner Auf: 
[offung heranzieht, laſſen ſich fo verwerten, wie fie 

as Gericht verwertet; jedenfalls gibt die Art der Ver⸗ 
wertung zu Bedenken rechtlicher Art keinen Anlaß. 
(Urt. des IV. 35. vom 3. November 1913, IV a 

3269 ; 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


—nn— . —————— — —— p — ⏑p——— ß —— . ' nn nn — — ů— 


B. Strafſachen. 
I. 


Macht fi der gegen Proviſion arbeitende Agent 
einer Ber Gerungsgeſelf aft des Betrugs ſchuldig, wenn 
er durch Ser le en Abſchluß ven Berfiherungs: 
verträgen herbeifüährt, bei denen die Verſicherungsnehmer 
für ihre Verpflichtung zur Prämienzahlung einen ent⸗ 
ſprechenden Gegenwert durch die Verpflichtung der Ber: 

cherungsgeſellſchaft jur Entſchädigung erhalten? Welche 
Bedeutung kommt hier der Möglichkeit zu, daß die Ber: 
ſicherungs nehmer den Bertrag aufecht en und ihnen dadurch 
Koſten erwachſen? Aus den Gründen: Die Ver⸗ 
ſicherungsnehmer erhielten für ihre e zur 
Prämienzahlung einen entſprechenden Gegenwert durch 
die Verpflichtung der Verſicherungsgeſellſchaft zur Ent⸗ 
. bei Haftpflichtfällen. Inſofern war alſo 
eine Vermögensbeſchädigung der Verſicherungsnehmer 
i. S. des 8 263 StGB. nicht gegeben und zwar auch 
nicht etwa für die Zeit, ſolange die Verſicherungspolice 
noch nicht ausgeſtellt war; denn die Verpflichtung zur 
Prämienzahlung konnte für das Vermögen der Ver⸗ 
ſicherungsnehmer immer nur unter der Vorausſetzung 
der Gegenleiſtung Bedeutung haben und auch die Mög⸗ 
lichkeit einer Anfechtung kann hier nicht von Belang 
ſein, wie ſich aus folgendem ergeben wird. Daß die 
Verſicherungsnehmer ihre Willenserklärung und damit 
den Verſicherungsvertrag jeweils wegen Irrtums an⸗ 
fechten konnten (8 119 BGB.), dann aber ihnen ihre 
urkundlichen Verſicherungsanträge die gerichtliche Gel⸗ 
tendmachung der Anfechtung erſchwerten und ihnen 
durch dieſe Geltendmachung Unkoſten erwuchſen, kann 
nämlich für das Tatbeſtandsmerkmal der Vermögens⸗ 
beſchädigung nach dem feſtgeſtellten Sachverhalt deshalb 
nicht in Betracht kommen, weil es an dem urſaäͤchlichen 
Zuſammenhang zwiſchen der Täuſchung der Verſiche⸗ 
rungsnehmer und dem für dieſe mit der e 
verbundenen Vermögensſchaden fehlt. Wenn die Ver⸗ 
ſicherungsnehmer durch die von der Geſellſchaft ihnen 
gegenüber eingegangenen Verpflichtungen für ihre Lei⸗ 
ſtungen einen vollen Gegenwert erhielten, ſonach durch 
den Abſchluß des Verſicherungsvertrags an ihrem Ver⸗ 
mögen nicht geſchädigt worden waren, dann liegt die 
Urſache für den Vermögensſchaden, der ihnen ſpäterhin 
etwa aus der Anfechtung erwuchs, in einer Betätigung 
des freien Willens der Verſicherungsnehmer ſelbſt. 
Daran wird durch den Umſtand nichts geändert, daß 
das Anfechtungsrecht der Verſicherungsnehmer von 
vornherein durch das Vorhandenſein eines dem Gegner 
zu Gebote ſtehenden urkundlichen Gegenbeweismittels 
beeinträchtigt war, da trotz des Beftehens des Anfech⸗ 
tungsrechts beim Ausgleich von Leiſtung und Gegen- 
leiſtung der Geſamtwert des Vermögens der Verſiche⸗ 
rungsnehmer infolge des Abſchluſſes der Verſicherungs⸗ 
verträge keine Aenderung erfuhr (RG. Bd. 16 S. 1). 
Anders läge die Sache nur dann, wenn ein Verſiche⸗ 
rungsnehmer nach feinen beſonderen Verhäͤltniſſen, 
ſoweit dieſe dem Angeklagten bekannt waren, die Ueber⸗ 
nahme der Verpflichtungen aus dem Verſicherungsver⸗ 
trage als eine Laſt hätte empfinden müſſen, die durch 
den Wert der Rechte aus dem Verſicherungsvertrage 
nicht in ihrer vollen Höhe ausgeglichen worden wäre, 
ſo daß er zur Beſeitigung dieſer Mehrbelaſtung ſeines 
Vermögens von dem Anfechtungsrechte hätte Gebrauch 
machen müſſen. Aber auch dann wäre die für den Tat⸗ 
beſtand des 8 263 StB. maßgebende Vermögensbe⸗ 
ſchädigung keineswegs allein in den Koſten des Ans 
fechtungsprozeſſes, ſondern in der unverhältnismäßigen 
Belaſtung des Verſicherungsnehmers und der damit 
verbundenen Vermögensminderung zu finden, die der 
Angeklagte durch Täuſchung verurſacht hätte, und die 
Koſten des Anfechtungsprozeſſes könnten dabei nur in— 
ſofern in Betracht kommen, als fie mit der Vermögens- 
minderung und der Zwangslage zuſammenhängen 
würden, die von dem Angeklagten durch Täuſchung 


172 


— —— —E—P02— — = 


des Verſicherungsnehmers verurſacht worden wäre. 
Nach den Feſtſtellungen des Urteils iſt aber eine ſolche 
Vorausſetzung in keinem der vorliegenden Fälle gegeben. 
Dagegen kommt betrügeriſches Handeln des Beſchwerde⸗ 
führers aus einem anderen Geſichtspunkt in Frage. Der 
Angeklagte hat der Verſicherungsgeſellſchaft in jedem 
Falle die unwahre Tatſache vorgeſpiegelt, daß ein [ad 
lich in Ordnung gehender Verſicherungsantrag vorliege, 
und hat damit zugleich die Tatſache unterdrückt, daß 
der urkundliche Antrag nicht dem wahren Willen des 
Antragſtellers entſprach und deshalb anfechtbar war; 
er hat dadurch die Verſicherungsgeſellſchaft in Irrtum 
verſetzt, zur Ausſtellung einer dem formell vorliegenden 
Verſicherungsantrag entſprechenden Police beſtimmt und 
ür ſich ſelbſt einen Anſpruch auf Proviſion begründet, 
er ſelbſtverſtändlich nach ſeiner Abſicht für ihn ver⸗ 
wirklicht werden ſollte und vielleicht auch alsbald und 
noch vor der Anfechtung des Verſicherungsver⸗ 
trags verwirklicht worden iſt. Hiermit war aber 
die Geſellſchaft an ihrem Vermögen beſchädigt, da ſie 
die Anfechtung des Verſicherungsvertrags zu erwarten 
hatte, mit der Anfechtung das angefochtene N häft 
als von Anfang an nichtig anzuſehen war (8 142 BGB.), 
auf das Obſiegen des materiellen Rechtes im Rechts⸗ 
ſtreit gerechnet werden muß und demzufolge der Pro⸗ 
viſionsanſpruch des Angeklagten ungerechtfertigt und 
die Verſicherungsgeſellſchaft an ihrem Vermögen ge⸗ 
ſchädigt iſt. (Urt. des I. StS. vom 24. November 1913, 
I D 748/1913). E. 

3246 

II. 

3352 Sts. ift nicht anwendbar, wenn ein Bes 
amter überhaupt kein Necht zur Gebührenerhebung hat. 
Aus den Gründen: Die Vorſchrift des 8 352 ſchließt 
wegen ihrer allgemeinen Faſſung einen Zweifel über ihre 
Tragweite allerdings nicht aus (RG. 19, 30 insbeſ. 35 ff.). 
Mit Rückſicht auf die Entſtehungsgeſchichte und nach dem 
Wortlaut muß aber daran feſtgehalten werden, daß 
von einem eigennützigen übermäßigen Gebührenbezug 
nur geſprochen werden kann, wenn ein Beamter, dem 
das Recht zur Erhebung von Gebühren als Rechts⸗ 
anſpruch kraft ſeiner Dienſtbefugniſſe zuſteht, die Be⸗ 
richtigung nicht geſchuldeter Gebühren einzelnen Per⸗ 
fonen anfinnt. 8 352 erwähnt nicht lediglich einen 
Beamten, der Gebühren „erhebt“, ſondern einen ſolchen, 
der Gebühren „zu erheben hat“. Die Faſſung weiſt 
darauf hin, daß dem Beamten ein Anſpruch kraft 
eigenen Rechts zukommen und die Gebühr unmittelbar 
zu feinem Vorteil erhoben werden muß (RG. 19, 30 
insbeſ. S. 37). (Urt. des I. Sts. vom 11. Dezember 
1913, 1 D 824/1913). E. 

3273 
III. 


JR ein Kaufmann fo krank, daß er die Bilanz auch 
unter Mitwirkung einer Hilfskraft nicht ziehen kann, fon: 
dern durch einen anderen ziehen laſſen müßte, fo kaun er für 
die Unterlaſſung nicht geftraft werden. Aus den Grün⸗ 
den: Bedenklich iſt die Anſicht, daß der Angeklagte trotz 
Erkrankung die Bilanz durch einen Angeſtellten habe fer⸗ 
tigen laſſen können. Die Bilanzziehung liegt dem Inhaber 
des Handelsgewerbes ob. Er muß die Bilanz auch unter⸗ 
zeichnen. Die Uebertragung dieſes Geſchäfts ſeinem 
ganzen Umſang nach auf einen Dritten iſt nicht zu⸗ 
läſſig. War der Angeklagte aber infolge einer ſchweren 
Gehirnerſchütterung in dem Grad, wie der Beweis⸗ 
antrag behauptet, erkrankt, ſo war er möglicherweiſe 
nicht imſtande, einen Angeſtellten mit ihrer Anfertigung 
zu beauftragen und deſſen Tätigkeit ſo zu leiten und 
zu überwachen, daß er die Zuſammenſtellung prüfen, 
ſie als richtig genehmigen und unterzeichnen konnte. 
Deshalb mußte auf die Art der Erkrankung näher ein⸗ 
gegangen werden, beſonders darauf, ob ſie ſo unter⸗ 

eordneter Art war, daß ſie die Bilanzziehung unter 
Mitwirkung einer Hilfskraft ermöglichte (RG. Entſch. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. N 


Bd. 1 S. 49, Rechtſpr. Bd. 7 S. 730). War aber der 
Angeklagte tatſächlich außerſtande, die Bilanz zu fer⸗ 
tigen, ſo konnte er nicht beſtraft werden. Set des 
I. StS. vom 11. Dezember 1913, 1 D 1025/13). 

3245 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Großeltern haben gegen die Anordunng Der Bene: 
erziehung über einen Enkel in der Negel kein Beſchwer 
recht (Zw. Art. 4, 12; 388. SS 20, 57 Abſ. 1 Ziff. 9, 
Abf. 2). Die Eheleute H. legten gegen die vom Be: 
ſchwerdegerichte beſtätigte Anordnung der Zw. des 
minderjährigen ehelichen Kindes ihrer ehelichen Tochter 
die ſofortige weitere Beſchwerde ein. Sie wurde als 
unzuläſſig verworfen. 

Gründe: In der Rechtslehre wird angenommen, 
daß nur die im Art. 4 Zm&®. aufgeführten Beteiligten 
auf die ſofortige Beſchwerde beſchränkt find, den übrigen 
Beteiligten aber die einfache Beſchwerde zuſteht. Hier⸗ 
durch würde jedoch der Zweck des Geſetzes vereitelt, 
einerſeits möglichſt rafch die Angelegenheit zu erledigen 
und andrerſeits die immerhin mißliche Aufhebung einer 
tatſächlich eingeleiteten ZmE. zu vermeiden. Es wird 
deshalb an der Anſicht feſtgehalten, daß eine die Zwé. 
anordnende Verſügung nur von den im Art. 4 bes 
zeichneten Perſonen und nur mit der ſofortigen Be⸗ 
ſchwerde angefochten werden kann und daß eine Ent⸗ 
ſcheidung des L. über eine ſolche Verfügung nur mit 
der ſofortigen weiteren Beſchwerde angefochten werden 
kann. In der weiteren Beſchwerde wird die Berech⸗ 
tigung der Großeltern darauf geſtüͤtzt, daß fie nach 
88 1601 ff. BGB. u. U. unterhaltspflichtig find und 
daß die Anordnung der Zw. eine die Sorge für die 
Perſon des Minderjährigen betreffende Angelegenheit 
enthält und die Großeltern ein berechtigtes Intereſſe 
haben, eine ſolche Angelegenheit wahrzunehmen. Die 
weitere Beſchwerde behauptet alſo, daß durch die An⸗ 
ordnung der Zw. wegen der Unterhaltspflicht der 
Großeltern deren eigenes Recht verletzt wird. Die Bes 
ſchwerde wird alfo inſoweit auf den nach Art. 12 Zw eG. 
anwendbaren 8 20, im übrigen auf den 8 57 Abſ. 1 
Nr. 9 FJ. gegründet. Allein die Unterhaltspflicht 
der Großeltern wird durch die Anordnung der Zw. 
nicht berührt. Denn wenn Großeltern gegenüber einem 
Enkel unterhaltspflichtig ſind, iſt es auf ihre Unter⸗ 
haltspflicht ohne Einfluß, wo ſich der Enkel befindet; 
es kommt alfo auch nicht in Betracht, ob er in Zw. 
genommen iſt. Anders wäre es nur, wenn die Groß⸗ 
eltern dem Enkel den Unterhalt ſtatt in Geld in Natur 
gewähren dürften. Dies 10 aber nach § 1612 Abſ. 1 
BGB. nicht der Fall. Daß nach der Abſicht des Ge- 
95 das Beſchwerderecht der Großeltern nicht auf ihr 

nanzielles Intereſſe an dem Unterhalte des Kindes 
geſtützt werden kann, iſt auch daraus abzuleiten, daß 
von dem Ausſchuſſe der AbgK. beantragt worden war, 
in den Abſ. 3 des Art. 4 wegen der der Staatskaſſe 
nach dem Art. 8 Abſ. 2 obliegenden Verpflichtung auch 
die Kreisfiskalate als Vertreter des Fiskus aufzunehmen, 
daß aber dieſer Antrag abgelehnt wurde. Die Unter⸗ 
haltspflicht der Großeltern iſt allerdings inſofern 
von Bedeutung, als aus ihr das berechtigte 5 
abgeleitet werden kann, auf Grund deſſen der $ 
Abſ. 1 Nr. 9 FGG. die in ihm verliehene Beſchwerde⸗ 
berechtigung gewährt. Allein da es ſich hier um die 
ſofortige Beſchwerde handelt, kann das Veſchwerderecht 
auf $ 57 Abſ. 1 Nr. 9 FGG. wegen des 8 57 Abſ. 2 
überhaupt nicht geſtützt werden. (Beſchl. d. I. 85. vom 
30. Januar 1914, Reg. III 6/1914). W. 

3805 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


173 


— — — ũ—ueͤñ— — —— — — ͤ — 


II. 


8 des gelöihten Eintrags einer 
durch Konkurs anigelöften G. m. b. H. Dauer und Anſ⸗ 
gaben des Lianidationsverfahrens. Im i 
iſt die Firma „Süddeutſche G. Warenfabrik m. b. H.“ ein» 
getragen. Am 2. April 1912 wurde über ihr Ver⸗ 
mögen Konkurs eröffnet. Das Verfahren wurde durch 
Zwangs vergleich erledigt. Die Fortſetzung wurde nicht 
beſchloſſen. Am 30. November 1912 meldete der frühere 
Geſchäftsführer P. zur Eintragung an, daß er nunmehr 
Liquidator ſei. Auf weitere Anmeldung wurde am 
30. April 1913 das Erlöſchen der Firma eingetragen. 
A ftellte ſich heraus, daß zwiſchen der Firma 
D. als Klägerin und der Süddeutſchen G. Warenfabrik 
m. b. H. als Beklagten ein Rechtsſtreit über die 
Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung mehrerer 
Forderungen anhängig war. Darauf eröffnete das 
Regiſtergericht dem P., daß es die Eintragung des 
Erlöſchens der Firma tilgen und die früheren Ein⸗ 
träge der Geſellſchaft und des Liquidators wiederher⸗ 
ſtellen werde, wenn nicht Widerſpruch erhoben werde. 
Der Widerſpruch des P. wurde zurückgewieſen; ebenſo 
die ſofortige Beſchwerde. Auch feine ſofortige weitere 
Beſchwerde hatte keinen Erfolg. 


Gründe: Die G. m. b. H. wird durch den Kon⸗ 
kurs aufgelöſt (GmbHG. 8 60 Nr. 4). Ihre Liqui⸗ 
dation findet erſt nach der Beendigung des Konkurs⸗ 
verfahrens ſtatt. Das LG. hält die Liquidation noch 
nicht für beendet, weil noch ein Rechtsſtreit zwiſchen 
der G. m. b. H. und einem Gläubiger ſchwebt und es 
nicht ausgeſchloſſen ſei, daß der G. m. b. H. hieraus 
ein Anſpruch gegen die Klagepartei, wenn auch vielleicht 
nur auf Koſtenerſtattung, erwachſe oder daß ſich noch 
eine Verpflichtung gegen die Klägerin ergebe. Die 
Liquidation ſei daher nicht erledigt. Der Beſchwerde⸗ 
führer glaubt, daß kein Anlaß zur Wiederherſtellung 
der Einträge beſtehe, da der ah nur noch ge: 
ringfügige Gegenſtände a und eine Schädigung 
der Gegenpartei ſchon dadurch ausgeſchloſſen ſei, daß 
der Kaufmann H. ſich den nichtbevorrechteten Gläu⸗ 
bigern gegenüber für die Zwangsvergleichsquote ver⸗ 
bürgt habe. 

Die G. m. b. H. tritt mit der Beendigung des Kon⸗ 
kurſes in Liquidation. Durch die Auflöſung iſt nur 
der Erwerbstätigkeit ein Ziel geſetzt, nicht aber ver⸗ 
ſchwindet ſie hinſichtlich begründeter Rechtsverhältniſſe 
aus dem Verkehr; dieſe Rechtsverhältniſſe müſſen viel⸗ 
mehr im Konkursverfahren abgeſchloſſen werden und, 
falls ſie darin nicht vollſtändig erledigt werden, im 
nachfolgenden Liquidations verfahren. Nach 8 70 
mbH. haben die Liquidatoren die laufenden Ge⸗ 
ſchäfte zu beendigen, die Verpflichtungen der Geſell⸗ 
ſchaft zu erfüllen, die Forderungen einzuziehen und 
das Bermögen in Geld umzuſetzen. Zur Beendigung 
laufender Geſchäfte gehört auch die Erledigung ſchwe⸗ 
bender Prozeſſe. Solange der Rechtsſtreit noch ſchwebte, 
war alſo die Aufgabe der Liquidatoren, daher auch 
die Liquidation nicht beendigt. Daß ſich der Kauf⸗ 
mann H. den Konkursgläubigern verbürgt hat, kommt 
nicht in Betracht; denn zunächſt haftet immer noch die 
Süddeutſche G. Warenfabrik m. b. H. der Klägerin, 
wenn auch nur mit der Vergleichsquote, für ihre An⸗ 
ſprüche; die Klägerin kann nicht gezwungen werden, 
ihre Anſprüche aufzugeben und gegen den Bürgen mit 
neuer Klage vorzugehen. Die Berufung auf die Ent⸗ 
ſcheidung des Senats vom 26. März 1903 (n. S. 4 
S. 226) geht fehl. Es handelte ſich dabei nicht um 
eine G. m. b. H. ſondern um eine Einzelfirma. Bei 
dieſer wird allerdings die Firma als ſolche bedeutungs⸗ 
los, wenn der Inhaber den Geſchäftsbetrieb endgültig 
eingeſtellt und die Handelsniederlaſſung aufgehoben 
hat; für die Verbindlichkeiten haftet nach wie vor der 
Geſchäftsinhaber perſöͤnlich. Bei der G. m. b. H. da⸗ 
gegen iſt die juriſtiſche Perſon auch nach Einſtellung 


des Geſchäftsbetriebs Träger der Rechte und Verpflich⸗ 
tungen und findet nach Auflöſung der Geſellſchaft die 
Liquidation ſtatt (8 66 GmbH.). Die Geſellſchaft 
hört mit dem Eintritte der Liquidation nicht auf, nur 
ihre Art und ihr Zweck werden verändert (Staub, 
mbH. 8 60 Anm. I. 1). (Beil. des J. ZS. v. 
16. Januar 1914, Reg. III, 107/1913). W. 
3276 


B. Strafſachen. 
I. 


Verpflichtet anch ein Tormlojer Kanſvertrag zur An: 
zeige nach Art. 2 6836.7 Aus den Gründen: Die 
Anzeigepflicht nach Art. 2 G8. hängt nicht von dem 
Vorhandenſein eines nach bürgerlichem Rechte gültigen 
Kaufvertrags, eines notariellen Kaufvertrags ab. Das 
G38., das mit feinen Vorläufern, insbeſondere dem 
GrE®., ein Ganzes bildet, bekämpft volkswirtſchaftliche 
Schäden und Gefahren (v. Braun, 38.2. Aufl. S. XII), 
ſeine Maßregeln gehören daher weſentlich dem öffent⸗ 
lichen, dem Polizeirecht an. Auch die Organe, deren 
es ſich bedient, ſind teils öffentliche (Diſtriktsverwal⸗ 
tungsbehörden, Gemeindeausſchüſſe), teils ſolche, deren 
gemeinnützigen Zwecken ein Vorzug vor den eigen⸗ 
ſüchtigen Beſtrebungen der Güterhändler zukommen 
fol. Für die Darlehenskaſſenvereine uſw. (f. Art. 1 
Abſ. 18388.) iſt insbeſondere die Ausübung des Vor⸗ 
kaufes weniger ein Recht, als eine ſoziale Aufgabe; 
e ſollen den Bauernſtand gegen die Ausbeutung durch 
en gewerbsmäßigen Güterhandel ſchützen. 
Unbegründet iſt der Einwand, daß die Anzeige⸗ 
pflicht des Art. 2 in enger nung zum Art. 1 ſtehe, 
daß fie entſprechend dem 8 510 BGB. ein Gegenſtück 
des Vorkaufsrechtes bilde und daher ſtets ein Assen 
begründetes Vorkaufsrecht vorausſetze. Die Anzeige⸗ 
pflicht des Güterhänblers, die erſt recht eine wirtſchafts⸗ 
polizeiliche Einrichtung iſt, beruht nicht allein auf dem 
Art. 2; ihre auf den allgemeinen Vorbehalt in Art. 17 
geſtützte Regelung durch die Bek. vom 24. Auguſt 1910 
verfolgt weitergehende und mehrerlei Zwecke: zunächſt 
die Sicherung der Ausübung von Vorkaufsrechten (8 1), 
ſodann die polizeiliche Ueberwachung der en 
merungen ($ 2), endlich beſondere Schutzmaßnahmen 
in bezug auf Waldgrundſtücke, Bodenzinsbelaſtung, 
Abmarkung uſw. (88 7, 9 u. a.). Beſonders die An⸗ 
zeige nach § 1 (Art. 2 des Geſ.) ſoll den Perſonen des 
Art. 1 die Entſchließung über ihr pflichtmäßiges Ein⸗ 
greifen bei einem Güterhandel ermöglichen; dieſem 
Zwecke dienen die im Geſetze genannten Erforderniſſe 
der Anzeige; deren Ergänzung durch Angabe der no⸗ 
tariellen Urkunde hat erſt die Vollzugsbekanntmachung 
hinzugefügt. Dem Zweck iſt nun ſchon dann genügt, 
wenn die weſentlichen Beſtandteile eines Kaufes, die 
Einigung über deſſen Gegenſtand, den Kaufpreis und 
die Zahlungsbedingungen vorliegen. Auch bei einem 
nicht notariell beurkundeten Gutskaufe iſt die Anzeige 
nicht unwichtig, da ſie das Einſchreiten der Behörde 
gegen die ſpätere Zertrümmerung ermöglicht. Denkbar 
iſt übrigens, daß z. B. der Darlehenskaſſenverein, der 
auf dieſem Wege gewiſſe Abmachungen mit dem Güter⸗ 
händler erfährt, im unmittelbaren Verkehr mit dem 
verkaufsluſtigen Bauern oder auch im Zivilrechtswege 
ſeine Anſprüche auf den Vorkauf ſichert. Zu beachten 
iſt ferner, daß die Anzeigepflicht doppelt iſt: der Güter⸗ 
händler hat von dem Anweſenserwerb und von der 
beabſichtigten Zertrümmerung je eine Anzeige zu er⸗ 
ſtatten. Wäre ihm nun erlaubt, die erſtere durch ein 
formloſes Erwerbsgeſchäft zu umgehen, 8 entfiele mit 
der hierauf bezüglichen Anzeige für die nach Art. 1 
Abſ. 1 Beteiligten regelmäßig die Möglichkeit, ihre 
Rechte und die Intereſſen des Anweſensverkäufers wahr⸗ 
zunehmen. 
Sowohl nach bürgerlichrechtlichen Grundfätzen, als 


auch nach dem öffentlichen Recht, insbeſondere dem 
Gebührenrecht, iſt die Umgehung der rechtmäßigen 
Geſchäftsform. hier des Kaufvertrags, zu unlautern 
Zwecken durch die Auslegung hintanzuhalten, derzufolge 
das umgangene, durch andere Formen verdeckte Ge⸗ 
ſchäft maßgebend bleibt. Nach den hier maßgebenden 
öffentlichrechtlichen Geſichtspunkten muß, was die Par⸗ 
teien unter ſich als Kauf vereinbart haben und fort⸗ 
K laſſen wollen, auch hinſichtlich der polizeilichen 
nzeigepflicht als Kauf gelten, zumal wenn auch noch 
die Vollmacht durch den Ausſchluß der Schranke in 
8181 BGB. und durch den, ſei es ganz ausgeſchloſſenen 
oder durch die hohe Anzahlung erſchwerten Widerruf 
die Kaufabſicht verrät (vgl. Obs Z. Bd. 12 S. 332 
gi 10 und v. d. Pfordten in Bay ZfR. 1911 S. 304). 
er Güterhändler fol nicht nur den Bevollmächtigten 
hervorkehren dürfen, wenn die Anzeigepflicht in Frage 
kommt. Aehnliche Umgehungen bekämpfen denn auch 
das 836. und das Er&d. mehrfach (Art. 1 Abſ. 3, 
Art. 6, 8, 12 88., Art. 19 Halbſ. 1 Gr.). Aus 
§ 2 Abſ. 3 der VollzBek. kann nicht abgeleitet werden, 
daß hiemit die Umgehung unſchädlich gemacht ſei; denn 
§ 2 bezieht ſich auf die zweite, auf die ſog. Zertrüm⸗ 
merungsanzeige des Güterhändlers, die mit dem Vor⸗ 
kaufsrechte nichts zu tun hat. Wertlos iſt ferner der 
Hinweis des Beſchwerdeführers auf das Rücktrittsrecht, 
das nach der im Vergleiche zu Art. 1—4 G3. weiter 
gehaltenen Faſſung der Art. 5 ff. den Beteiligten auch 
gegenüber einem Scheingeſchäfte, ja ſelbſt bei einer 
unwiderruflichen Vollmacht des Güterhändlers gewahrt 
bleibe. Um dieſe Frage handelt es ſich überhaupt nicht, 
ſondern nur um das Vorkaufsrecht und um den Um⸗ 
fang der hierauf bezüglichen Anzeigepflicht. Die letztere 
ſoll es auch den Vorkaufsberechtigten ermöglichen, das 
Vorhandenſein ihres Rechtes zu prüfen; es ſoll dieſe 
ame nicht dem Güterhändler allein überlaffen 
eiben. 

Die dreitägige Anzeigepflicht nach Art. 2 GG. 
beginnt mit dem Abſchluß des privaten Kaufvertrages, 
der übrigens gegebenenfalls durch die Ausſtellung der 
Vollmacht noch formell beſtätigt und zeitlich feſtgelegt 
iſt (vgl. a. Sturm, BlAdmPr. Bd. 62 S. 229). Die Wich⸗ 
tigkeit der hier in Frage ſtehenden volkswirtſchaftlichen, 
alſo öffentlichen Intereſſen war der Anlaß, die Aus⸗ 
übung des Vorkaufsrechtes durch ſtrenge Strafe (Ver⸗ 
gehensſtrafe) gegen eine Vereitelung zu ſchützen; der 
zivilrechtliche Schutz, der daneben im Wege eines 
Schadenserſatzanſpruches denkbar iſt (v. Braun, G38. 
Bem. 2 zu Art. 8), hat engere Grenzen. Soll aber der 
Strafſchutz nicht zeitweilig verſagen, ſo muß er neben 
der Anzeigepflicht bei regelmäßigen, formgerechten 
Gutsankäufen auch jene bei formloſen mitumfaſſen, 
wenn der Güterhändler gerade durch die Weglaſſung 
der Form den ihm günſtig ſcheinenden Selbſterwerb 
beibehalten, aber deſſen Nachteile umgehen und vers 
meiden will. Begreiflicherweiſe will ja der Bauer, 
der ſich einem Güterhändler anvertraut, nicht nur einen 
möglichſt hohen Kaufſchilling erzielen, ſondern auch 
möglichſt bald und ohne eigene Gefahr in den Beſitz 
des Erlöſes gelangen. Dieſem Streben dient die Form 
des Anweſensverkaufes an den Güterhändler, ſie war 
deshalb bis zur Einführung des G3. die allgemein 
herrſchende; das iſt auch in der geſamten Anlage des 
Geſetzes ausgedrückt. Daß der Erwerb regelmäßig in 
der Form Rechtens geſchieht, mag im Geſetze wohl 
ſtillſchweigend vorausgeſetzt fein, es iſt aber nicht aus— 
drücklich angeordnet. Der Vorwurf einer ausdehnen— 
den Geſetzesauslegung durch das OLG. iſt daher uns 
begründet. Der Angeklagte hat durch ſein Geſamt— 
verhalten bewieſen, daß er ſich der Anzeigepflicht be— 
wußt war und daß ſeine Veranſtaltungen gerade darauf 
hinausgingen, ſich den ihm durch das G3. auferlegten 
Verpflichtungen zu entziehen. (Urt. v. 31. Januar 1914, 
Rev.⸗Reg. Nr. 702/1913). Ed. 

3307 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


II. 

Unter welchen Boransſetzungen if ein mit der Aus⸗ 
übung eines Gewerbes verbundener ruheſtörender Lärm 
nach $ 360 Nr. 11 StG. firafbar? Der Angeklagte, 
ein Wirt, hat die polizeiliche Erlaubnis zum Betriebe 
einer zur Wirtſchaft gehörigen Kegelbahn, in der die 
Gäſte häufig über Mitternacht hinaus kegelten. Iſt 
das in der Kegelbahn befindliche, durch eine einfache 
Vorrichtung zu öffnende und zu ſchließende Oberlicht — 
der Schacht — offen, fo dringt der Lärm des Kegelns 
nach außen, ſo daß die Nachbarſchaft in der Nachtruhe 
geſtört wurde. Da der Angeklagte trotz Verwarnung 
das Oberlicht nicht ſchloß, wurde er nach $ 360 Nr. 11 
StG. beſtraft. Seine Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Das B. hat in Ueber⸗ 
einſtimmung mit der Rechtslehre und Rechtſprechung 
zutreffend unterſchieden zwiſchen dem Lärm, der bei 
Ausübung eines polizeilich genehmigten Gewerbes oder 
bei une polizeilich geſtatteter Anlagen oder Ein⸗ 
richtungen nicht vermieden und darum nicht als Ruhe⸗ 
ſtörung i. S. des 8 360 Nr. 11 StG. erachtet werden 
kann, und dem Lärm, der ohne Beeinträchtigung des 
gewerblichen Betriebs hintangehalten werden kann und 
der nach 8 360 Nr. 11 StGB. ſtrafbar iſt, wenn nichts 
geſchieht, um ihn zu vermeiden oder zu mindern. Es 
iſt ſchon in der Begr. des Entw. (vom Jahre 1869) 
der GewO. bemerkt, daß die Faſſung des § 1 Abſ. 1, 
indem ſie an die Perſon des Gewerbetreibenden, nicht 
an den Betrieb anknüpft, dem Mißverſtändniſſe vor⸗ 
beugen ſoll, als ſeien „bei der Ausübung der Gewerbe 
durch die nach den Beſtimmungen des Geſetzes dazu 
verſtatteten (I!!! der Herausgeber) Perſonen die allge⸗ 
meinen feuer-, ſicherheits⸗, ſitten⸗, preß⸗ uſw. polizeilichen 
Beſtimmungen nur inſoweit zu beachten, als dieſelben 
in dem Geſetz ausdrücklich vorbehalten find“. Unter 
den „allgemeinen polizeilichen Beſtimmungen“, welchen 
trotz des Grundſatzes des $ 1 Abſ. 1 GewO. auch Ge⸗ 
werbetreibende unterworfen bleiben, ſind jene polizei⸗ 
lichen Beſtimmungen zu verſtehen, welche aus allge⸗ 
meinen, polizeilichen Rückſichten ergehen, alſo wegen 
der Sicherheit des Staats, der öffentlichen Ordnung, 
des öffentlichen Verkehrs uſw. Eine allgemeine wegen 
der öffentlichen Ordnung und Geſundheit erlaſſene 
Vorſchrift iſt 8 360 Nr. 11 StGB., wonach bei Ver⸗ 
meidung der Beſtrafung ruheſtörender Lärm nicht erregt 
werden darf. Das LG. hat einwandfrei feſtgeſtellt, 
daß der durch das Kegeln verurſachte, durch den offenen 
Lichtſchacht nach außen gedrungene Lärm das gewöhn⸗ 
liche Maß über Gebühr überſchritt und die Allgemein» 
heit, insbeſondere die zahlreichen Inwohner des Nach⸗ 
barhauſes, beläſtigen und in ihrer nächtlichen Ruhe 
ſtören konnte. Bedenkenfrei iſt auch feſtgeſtellt, daß der 
Angeklagte durch mühe- und koſtenloſes, die Kegelgäſte 
nicht beläſtigendes Schließen des Oberlichts das Dringen 
des Lärmens nach außen ohne Beeinträchtigung des 
Gewerbebetriebes hätte vermeiden können. Das RG. 
und das Ob“. haben ſtets die Auffaſſung vertreten, 
daß zur Ruheſtörung und zum groben Unfug i. S. des 
§ 360 Nr. 11 StGB. wohl ein vorſätzliches Tun gehört, 
daß aber in bezug auf den Erfolg Vorſätzlichkeit nicht 
gefordert wird, vielmehr auch fahrläſſiges Verſchulden 
ausreicht. Nach den Feſtſtellungen wollte der Angeklagte, 
daß bei offenem Oberlicht gekegelt werde; darin erſchöpft 
ſich fein vorſätzliches Tun. Es iſt eine Erfahrungs⸗ 
tatſache, daß das Kegeln in unmittelbarer Nähe be— 
wohnter Gebäude, ſofern der Lärm in ſeiner vollen 
Wirkung nach außen dringt, ganz beſonders geeignet 
iſt, die nächtliche Ruhe der Anwohner zu ſtören, andere 
unerträglich zu beläſtigen und namentlich leidende 
Perſonen an ihrer Geſundheit zu ſchädigen. Indem 
das LG. dem Angeklagten zumutet, daß er bei einiger 
Ueberlegung ſich der Wirkung ſeines Tuns bewußt 
geworden wäre, hat es an fein Einſichtsvermögen keine 
überſpannten Forderungen geſtellt. (Urt. vom 10. Ja⸗ 

Ed. 


nuar 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 701/1913). 
3254 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Schiedsgericht oder Schiedsgutachten? Schiedsrichter 
in eigener Sache. Einrede und Nichtigkeit des Schieds⸗ 
vertrags (55 1025 fl., 274 ff. 35 O., 84 317 fl., 138 888.) 
Aus den Gründen: Es kann dahingeſtellt bleiben, 
ob die Satzungen des beklagten Vereins, wornach die 
verſtärkte Vereinsverwaltung den dem Mitgliede zu 
vergütenden Brandſchaden feſtſtellt und wornach gegen 
dieſe Feſtſtellung die Beſchwerde an die unter Aus⸗ 
ſchluß des Rechtswegs entſcheidende Generalverſamm⸗ 
lung zuſteht, uberhaupt einen Schiedsvertrag nach 
ss 1025 ff. ZPO. und nicht bloß eine Einigung über 
ein Schiedsgutachten (88 317 ff. BGB.) bedeuten. Ein 
wirklicher Schiedsvertrag läge vor, wenn die Ent⸗ 
ſcheidung des Rechtsſtreits durch Schiedsrichter mittels 
Ausſpruchs der Zahlungspflicht des beklagten Vereins 
vereinbart wäre. Um die bloße Vereinbarung eines 
Schiedsgutachtens würde es ſich handeln, wenn nur 
die Frage, ob und welcher Schaden entſtanden iſt, durch 
Schiedsmänner in einer für die Entſcheidung des ordent⸗ 
lichen Gerichts bindenden Weiſe beantwortet werden 
ſollte (JW. 1909, 199 1; 1902, 636; RG Z. 29, 319; 
45, 350; 67, 71; Os GRſpr. 21,117 u. a.). Geht man 
von dem Beſtehen eines eigentlichen Schiedsvertrags 
aus, ſo muß fofort auch deſſen Nichtigkeit feſtgeſtellt 
werden. Der den Mitgliedern im Brandfalle zuſtehende 
Entſchädigungsanſpruch ſoll zunächſt durch die ver⸗ 
ſtärkte Vereinsverwaltung und auf Beſchwerde durch 
die Generalverſammlung feſtgeſetzt werden. Beide Or⸗ 
gane beſtehen ſatzungs⸗ und begriffsgemäß nur aus 
Vereins mitgliedern, es find ihnen auch ſonſt wichtige 
Aufgaben der Vereins verwaltung zugewieſen, die Brand⸗ 
entſchädigung iſt aus dem Vermögen des Vereins und 
durch Umlagenerhebung bei den Mitgliedern zu decken. 
In jedem Brandſchadensfalle iſt ſohin der ganze Verein 
wie jedes einzelne Mitglied unmittelbar vermögens⸗ 
rechlich beteiligt und hat ein dem Entſchädigungsbe⸗ 
rechtigten entgegengeſetztes Intereſſe. Es verſtößt nun 
gegen den oberſten, im öffentlichen Rechte wurzelnden, 
unverzichtbaren Grundſatz jeder Rechtſprechung, daß 
Parteien oder ihre Organe Richter, ſei es auch nur 
Schiedsrichter, in eigener Sache ſeien. Schieds verträge 
ſolcher Art ſind wegen Verſtoßes gegen die guten 
Sitten nach 8 138 BGB. nichtig, ohne daß der Haupt⸗ 
vertrag ſelbſt nichtig zu fein brauchte (DJ Z. 1903, 549; 
OL GRfpr. 3, 159; 21, 124; 19, 168; RG. 29, 319; 
37, 427; 73, 431). Was der Beklagte zur Bekämpfung 
dieſes allgemein herrſchenden Grundſatzes mit dem 
Hinweis auf Entſcheidungen über Anfprüche des Staates 
durch die ſtaatlichen Gerichte vorgebracht hat, wider⸗ 
legt ſich mit der einfachen Verweiſung auf das Staats⸗ 
recht. Wenn der Staat als Träger der Juſtizhoheit 
durch ſeine unabhängigen, unbeteiligten Richter die 
Rechtspflege verſieht und wenn vor dieſen Richtern 
auch der Staat als Inhaber von Vermögensrechten 
Recht zu nehmen hat, ſo iſt nicht der Staat ſelbſt 
Richter in eigener Sache. Seine Parteiſtellung vor 
den Gerichten entſpricht den befonderen Vorſchriften 
der Verfaſſung und der Prozeßgeſetze (Bayr. Berfürf. 
Tit. VIII § 5; EG. ZPO. 8 4: ZPO. 8 18). Dieſe be⸗ 
ſonderen Verhältniſſe geben keiner Partei die Befugnis 
ſich ſelbſt Recht zu ſprechen, ſei es auch nur im Wege 
des Schiedsvertrags. 


Geht man davon aus, daß kein wirklicher Schieds⸗ 
vertrag beſteht, ſo handelt es ſich nicht mehr um die 
Einrede des Schiedsvertrags oder überhaupt um pro⸗ 
zeßhindernde Einreden i. S. des 8 274 3PO. Es find 
vielmehr, wie bei der Berufung auf ein der Selbſt— 
verwaltung des Vereins unterliegendes Sonderrecht 
eines Mitglieds oder wie bei der Behauptung eines 
bindenden Schiedsgutachtens, allgemeine Einwendungen 
gegen die Entſchädigungsforderung des Klägers in 
Frage, dieſe Einwendungen ſind auf Grund der Ent⸗ 


175 


ſcheidung über die Hauptſache zu würdigen, da fie nicht 
zu den Einreden nach § 274 1 Nr. 2 und 3 ZPO. zählen 
(RG. 37, 427; Recht 1906 S. 433 ff.). (Urt. des 
It. 86. vom 9. Juli 1913, L. 151/13). - r. 


Oberlandesgericht Augsburg. 


Gebührenpflicht des Verweiſungsbeſchluſſes nach 8697 
390. Aus den Gründen: Es iſt zunächſt zu erörtern, 
ob für den ohne mündliche Verhandlung erlaſſenen Ver⸗ 
weiſungsbeſchluß des AG. nach 8 697 ZPO., mag er auf 
Antrag des Gläubigers oder des Schuldners erlaſſen fein, 
die /10 Gebühr aus 8 26 GK. angeſetzt werden darf. 
Die herrſchende Meinung bejaht das (vgl. Baupp-Stein, 
O., 10. Aufl. zu 88 697 und 505, Neumiller, ZPO., 
./&. Aufl. zu 88 697 und 505, Sydow⸗Buſch, GKG., 
9. Aufl. zu 8 18 Nr. 4, 326 Nr. 5, 8 30 Nr. 5, ORG. 
Köln in der Zeitſchr. für Deutſche Juſtizſekretäre 1912 
. 98, Rittmann, G., 5. Aufl., Anm. 6, § 26 II 
Anm. 8, OL GRſpr. XVII S. 218, XXIII S. 202, XXV 
S. 281). Für die Gebührenfreiheit des Verweiſungs⸗ 
beſchluſſes hat ſich LER. Gerſtlauer in der BaygfR. 
1913 S. 366 ausgeſprochen, ferner das Kammergericht 
(Os GRſpr. XXVII S. 128) und das Os G. Stettin ebenda 
XXVS. 144 (vgl. auch Bay ZfR. 1913 S. 460). Der Senat 
entſcheidet ſich ier die herrſchende Meinung. 

Eine verſchiedenartige Behandlung des Verwei⸗ 
ſungsbeſchluſſes, je nachdem er auf Antrag des Gläubi⸗ 
gers oder des Schuldners oder beider ergeht, würde 
nicht im Sinne der Nov. zur ZPO. von 1909 liegen. 
Wenn das beabſichtigt geweſen wäre, hätte es der 
Geſetzgeber ausdrücken müſſen. Der Verweiſungsbeſchluß 
iſt ferner nicht nur eine prozeßleitende Verfügung, ſon⸗ 
dern eine Entſcheidung i. S. des 8 18 Nr. 3 GKG. (vgl. 
Buſch⸗Sydow, GKGG., 9. Aufl. zu 8 18). Das A. hat 
„B. zu prüfen, ob nicht für den Anſpruch nach 8 23 
GBG. das AG. Br zuſtändig und deshalb 
eine Verweiſung an das LG. ausgeſchloſſen iſt. Es iſt 
weiter z. B. vorgekommen, daß der Beklagte bei der 
Einlegung des Widerſpruchs zwar die Verweiſung an 
das LG. beantragte, jedoch nicht an das vorgeſetzte LG., 
ondern an ein anderes, weil für dieſes der vereinbarte 
Gerichtsſtand beſtehe. Der Zweck der Novelle von 1909 
konnte nun nicht ſein, für den Verweiſungsbeſchluß, 
der ohne mündliche Verhandlung ergeht, eine volle Ge⸗ 
bühr aus 8 18 GKG. einzuführen. Den von der herr⸗ 
ſchenden Meinung abweichenden Ausführungen (vgl. 
insbeſ. die Abhandlung von Gerſtlauer) iſt zuzugeben, 
daß die herrſchende Meinung unhaltbar iſt, ſoweit ſie 
die Gebührenpflicht auf 8 26 Abſ. 1 Nr. 2 GKG. ſtützt. 
Eine Berückſichtigung der Unzuſtändigkeit des Gerichts 
„von Amts wegen“ i. S. des § 26 Abſ. 1 Nr. 2 liegt 
nicht vor; denn wenn im Mahnverfahren weder der 
Gläubiger bei Anbringung des Geſuchs noch der Schuld⸗ 
ner beim Widerſpruch den Verweiſungsantrag ſtellt, 
fo hat das AG. vorläufig nichts „von Amts wegen“ 
zu beſchließen, ſondern es muß weitere Anträge in der 
öffentlichen Sitzung abwarten. Das ergibt ſich ſchon 
durch einen Vergleich der Nr. 1 und der Nr. 2 des 8 26 
GKG. Nr. 1 bezieht ſich auf die prozeßhindernden Ein⸗ 
reden, die von den Parteien vorgebracht ſind, Nr. 2 
bezieht ſich auf alle prozeßhindernden Einreden, ſoweit 
die Parteien auf ſie nicht verzichten können, d. h. auf 
ſolche, die das Gericht von Amts wegen zu berückſich⸗ 
tigen hat, auch wenn ſie nicht vorgebracht ſind. Vor⸗ 
gebrachte prozeßhindernde Einreden können immer nur 
unter Nr. 1 fallen. Wenn nun der Beklagte bei der 
Einlegung des Widerſpruchs ſofort die Verweiſung an 
das LG. beantragt, ſo bringt er damit die Einrede der 
ſachlichen Unzuſtändigkeit des AG. (8 23 Abſ. 1 Nr. 1 
GVG.) vor. Das GKG. unterſcheidet nicht, ob die Ein⸗ 
rede in der Hauptverhandlung oder außerhalb in dem 
neu eingeführten ſchriftlichen Verfahren (8 697 IT ZPO.) 
vorgebracht wird. Falls nun der Gläubiger ſofort bei 


der Einreichung des Geſuches um Zahlungsbefehl den 
Verweiſungsantrag ſtellt, für den Fall, daß der tan 
Widerſpruch einlegt, fo nimmt er dem Schuldner im 
vorhinein die Einrede der Unzuſtändigkeit ab, und er⸗ 
klärt ſich mit der Verweiſung an das LG. einverſtanden. 
Auch dieſer Fall darf daher unter 8 26 Abſ. 1 Nr. 1 
gebracht werden. Denn wie ſchon bemerkt, wird eine 
verſchiedenartige Bewertung, je nachdem der Verwei⸗ 
ſungsantrag vom Gläubiger oder Schuldner geſtellt iſt, 
nicht den Abſichten des bbb gerecht. Wenn der 
Geſetzgeber den Verweiſungsbeſchluß nach 8 697 ZPO. 
gebührenrechtlich ebenſo behande n wollte, wie die Fälle 
des 8 47 Abſ. 1 Nr. 3 GK G., fo hätte er den Fall des 
8 697 ZPO. bei der Novelle von 1909 dort aufführen 
müſſen. Gerade daraus, daß dies nicht geiehen ift, 
läßt ſich ein Beweisgrund dafür entnehmen, daß zwar 
das Verfahren abgekürzt und vereinfacht werden, daß 
aber keine Schädigung der Staatskaſſe eintreten ſollte. 
Bei der Neuregelung des e 
wurde z. B. ausdrücklich beſtimmt (ſ. 8 47 Abſ. 1 Nr. 5a 
KG.), daß die Entſcheidungen über die Erinnerungen 
gegen den Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß des Gerichts⸗ 
ſchreibers gebührenfrei ſind. Wenn eine Partei den Ver⸗ 
weiſungsantrag ſtellt und dann die Sache vor der Ent⸗ 
ſcheidung durch das LG. durch Zurücknahme oder Ver⸗ 
gleich erledigt wird, werden die Parteien allerdings in 
der Regel gebührenrechtlich ungünſtiger behandelt, als 
wenn fie vor dem AG. weiter verhandelt hätten; das 
können ſie aber durch ſtillſchweigende oder ausdrückliche 
Vereinbarung der amtsgerichtlichen Zuſtändigkeit ver⸗ 
meiden. (Beſchl. d. I. ZS. v. 25. Februar 1914, Beſchw.⸗R. 
II 6/1914). — - —n. 


3303 


Büreranzeigen. 


UAnsführungsbeſtimmungen vom 15. September 1913 zum 
0 eſetze. 126 Seiten auf Dünndruckpapier. 


Ansführungsbeſtimmungen des Bundesrats vom 8. No⸗ 
vember 1913 zum Geſetze über einen einmaligen anßer⸗ 
ordentlichen Wehrbeitrag (Wehrbeitraggeſetz) vom 
3. Juli 1913. 62 Seiten. München, C. H. Beck'ſche 
Verlagsbuchhandlung (Oskar Beck). Mk. —.40. 


Die beiden Heftchen ſollen als Ergänzung zu den 
Textausgaben des Reichsſtempelgeſetzes und des Wehr⸗ 
beitragsgeſetzes dienen, die ohne Vollzugsvorſchriften 
im C. H. Beck'ſchen Verlage erſchienen ſind. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Geſchäftsvereinfachung. Eine Juſtizverwaltung ſtößt 
immer auf gewiſſe Schranken, wenn ſie Erleichterungen 
und Vereinfachungen der Geſchäfte einführen will. Die 
äußeren Formen des dienſtlichen Verkehrs können zwar 
einfach und zweckmäßig geſtaltet werden, damit iſt aber 
im weſentlichen nur der Staatsanwaltſchaft, den Auf 
ſichtsbehörden und allenfalls den Richtern der frei⸗ 
willigen Gerichtsbarkeit gedient. Eine durchgreifende 
Entlaſtung der Prozeßrichter kann nur die Geſetzgebung 
bringen, indem ſie z. B. noch weitere Geſchäfte dem 
Gerichtsſchreiber zur ſelbſtändigen Erledigung überweiſt, 
die Eröffnungs⸗ und Ueberweiſungsbeſchlüſſe beſeitigt, 
die ſchriftliche Faſſung der Urteilsgründe in beſtimmten 
Fällen erläßt uſw. Bis das geſchieht, muß mit kleinen 
Mitteln weitergearbeitet werden. Uebrigens können 
Vorſchriften der Juſtizverwaltung allein nicht viel 
nützen, ſie bleiben allzu leicht auf dem Papiere ſtehen. 
Die Hauptſache wird immer ſein, daß der einzelne 
Beamte darüber nachdenkt, wie er jedes Geſchäft mög— 


AZlettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8 


lichſt einfach, raſch und in knappſter Form erledigen 
kann, und daß er entſchloſſen mit altem Formelkram 
aufräumt. 

So geht denn auch die neueſte Bekanntmachung 
des Staatsminiſteriums der Juſtiz über Geſchäftsver⸗ 
einfachung vom 18. März 1914 (JMBl. S. 25) von der 
richtigen Erkenntnis aus, daß die Juſtizverwaltung 
augenblicklich viel Neues nicht ſchaffen kann, ſondern 
daß eben ein möglichſt weitgehender Gebrauch von den 
Erleichterungen gemacht werden muß, die bisher ſchon 
eingeführt wurden. In der Tat hat das Juſtizmini⸗ 
ſterium für den Geſchäftskreis, in den es fördernd und 
regelnd eingreifen kann, nämlich auf den Gebieten der 
Dienſtaufſicht und der Juſtizverwaltung im engeren 
Sinne, vieles getan, um Arbeit, Schreibwerk und Koſten 
zu erſparen und den Geſchäftsgang zu beſchleunigen. 
Es ſei nur daran erinnert, daß es zahlreiche Verrich⸗ 
tungen den äußeren Behörden übertragen hat, die früher 
dem Miniſterium vorbehalten waren, und daß damit 
eine Maſſe von Berichten, von Aktenverſendungen uſw. 
weggefallen iſt. Was in dieſer Hinſicht allein im Jahre 
1913 geſchehen iſt, ergeben die Mitteilungen im Jahr⸗ 
gang 1913 dieſer Zeitſchrift S. 260 (Nr. 3000), S. 344 
(Nr. 3066), S. 363 (Nr. 3086) und die Abhandlung auf 
S. 471 (unter VI, VII) (ſ. a. die Abhandlung im Jahr⸗ 
gang 1914 S. 12 ff.). Das JMBl. für 1914 enthält 
wieder zwei Bekanntmachungen, die nach dieſer Richtung 
wirken ſollen (Bek. vom 17. Februar 1914 S. 24 und 
vom 21. Februar 1914 S. 33). 

Die neue Bekanntmachung vom 24. März 1914 
verweiſt auf die bisher erlaſſenen Vorſchriften über 
Vereinfachung des dienſtlichen Verkehrs, Entlaſtung der 
Richter von Schreibarbeit und Abfaſſung der Urteile. 
Sie erläutert und ergänzt dieſe in einigen Punkten und 
trifft Anordnungen, um ihre vollſtändige Durchführung 
zu ſichern. Sie will vor allem dafür ſorgen, daß ſie 
allen Beamten durchaus geläufig werden und daß auch 
5 eee rechtzeitig mit ihnen vertraut gemacht 
wird. 


3311 


Ueber die Ermittelung früherer Beſtrafungen der 
Angeklaaten und der Zengen hat das Juſtizminiſterium 
am 25. März ds. 38. (JM Bl. S. 35) eine neue Bekannt⸗ 
machung erlaſſen. Sie bringt die Bekanntmachung vom 
25. Juni 1908 (JMBl. S. 131) in Erinnerung und 
mahnt zu beſonderer Vorſicht bei der Verwertung von 
Strafen, die im Strafregiſter gelöſcht ſind. Solche Strafen 
ſollen im Strafverfahren tunlichſt unberückſichtigt bleiben, 
weil ſonſt die Löſchung von Strafen in der Haupt⸗ 
ſache ihren Zweck fach und Daß die Feſtſtellung ge⸗ 
löſchter Strafen vielfach unbedenklich unterbleiben kann, 
folgert die Bekanntmachung aus dem Zwecke der Er⸗ 
mittelung der Vorſtrafen und der Bedeutung der Löſchung 
von Strafen. Abgeſehen von den Fällen, in denen 
beſondere ſtrafrechtliche Folgen an die Tatſache ge⸗ 
knüpft ſind, daß der Angeklagte wegen gleicher oder 
ähnlicher Verfehlungen vorbeſtraft iſt, dient die Feſt⸗ 
ſtellung von Beſtrafungen dazu, ein richtiges Bild von 
der Perſönlichkeit des Beſtraften zu erhalten. Durch 
die Löſchung einer Strafe im Strafregiſter wird aber 
anerkannt, daß die Strafe infolge der ſonſtigen guten 
Führung des Beſtraften für die Beurteilung ſeiner 
Perſönlichkeit keine oder nur mehr geringe Bedeutung hat. 

Für den Fall, daß ſich die Notwendigkeit ergibt, 
Strafen eines Angeklagten oder Zeugen durch ſeine 
Befragung zu ermitteln, ſtellt die Bekanntmachung zur 
Erwägung, ob es nicht genügt, nur nach Strafen zu 
fragen, die noch nicht gelöſcht ſind. 

3313 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ur. 9. 


München, den 1. Mai 1914. 


10. Jahrg. 


Zeitschrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


Regierungsrat im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtiz. 


in Bayern 


Verlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Sellier) 
Künchen, Berlin u. Leipzig. 


(Senfferts Blätter für Rechtsau wendung 82.79.) 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich 
Mk. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
jede Poſtanſtalt. 


Nachdruck verboten. 


Jer Vorentwurf zu einem | 
Strafvollzugsgeſetz. 
Bon Minifterialrat Dr. Karl Meyer in München. 


Die „Zeitſchriſt für Rechtspflege in Bayern“ hat 
ſich wiederholt mit Fragen des Straſvollzugs be⸗ 
ſchäftigt. So hat in letzter Zeit Strafanſtalts⸗ 
direktor Leybold hier ſolche Fragen erörtert.“) 
Sie werden immer aktueller; denn zugleich mit dem 
Entwurf eines neuen StGB. ſoll, wenn möglich), 
auch der Entwurf eines Strafvollzugsgeſetzes dem 
Reichstag vorgelegt werden. 


Die verſchiedenen Freiheitsſtrafen erhalten ihren 
Inhalt erſt durch die Art des Vollzugs. Das 
geltende StGB. iſt der Aufgabe, die Strafarten 
in ihrer verſchiedenen Schwere voneinander zu 
ſondern und das Weſen des in ihnen dem Ver⸗ 
urteilten aufzuerlegenden Strafübels zu umgrenzen, 
nur ungenügend gerecht geworden. Es kennt weder 
eine zureichende Individualiſierung der Strafzu⸗ 
meſſung noch eine zureichende Individualiſierung 
des Strafvollzugs. Schon in den 70 er Jahren 
wurde ein Strafvollzugsgeſetz erwogen. Im Reichs⸗ 
Juſtizamt wurde nach Beratung in einer Kommiſſion 
von acht Praktikern, in der Bayern durch Direktor 
Streng⸗ Nürnberg (ſpäter Hamburg) vertreten 
war, der Entwurf eines Strafvollzugsgeſetzes vom 
19. Mai 1879 aufgeſtellt. Er begegnete finanziellen 
Bedenken und kam über den Bundesrat nicht hinaus. 
Die Wünſche nach Vereinheitlichung des Straf⸗ 
vollzugs verſtummten nicht. Ihnen kamen die 
Grundſätze des Bundesrats vom 28. Oktober 1897 
entgegen, die bei dem Vollzuge gerichtlich erkannter 
Freiheitsſtrafen bis zur weiteren gemeinſamen Rege⸗ 
lung zur Anwendung kommen. Eine völlige Ein⸗ 
heitlichkeit konnte hierdurch nicht erreicht werden. 
Nach der Denkſchrift vom 22. Februar 1907 über 


) Jahrg. 1913 S. 392 ff. 


Leitung und Geſchäftsſtelle: 


München, Ottoſtraße 1a. 
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/ oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
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177 


die Beſchäftigung der Gefangenen in den zum Voll⸗ 
zuge gerichtlicher erkannter Freiheitsſtrafen be⸗ 
ſtimmten Anſtalten gelten in den Bundesſtaaten 
59 Vorſchriften über den Strafvollzug (Dienſtan⸗ 
weiſungen, Gefängnisordnungen, Hausordnungen, 
u. dergl.“) 


Durch die Reform des Strafrechts, die neben 
den Strafen auch die ſichernden Maßnahmen bringen 
wird, iſt die Sachlage weſentlich verändert. Schon 
der Vorentwurf hatte ſich mit Fragen des Straf⸗ 
vollzugs weitaus mehr als das geltende Recht befaßt; 
er hatte Einzelvorſchriften über den Vollzug der 
Freiheitsſtrafen und über ihre Differenzierung ge⸗ 
geben und ſich grundſätzlich zur Durchführung des 
Einzelhaftſyſtems entſchloſſen. Dabei ſah der Vor⸗ 
entwurf die Ergänzung ſeiner Vorſchriften nicht 
in einem Strafvollzugsgeſetz, ſondern in den Aus: 
führungsvorſchriſten des Bundesrats und den Ver: 
waltungsvorſchriften der Einzelſtaaten vor.“) Bor: 
ſchriften über den Vollzug der ſichernden Maß⸗ 
nahmen, insbeſondere des Arbeitshauſes, traf er 
nicht. 

Die zweite Kommiſſion, die ſich der Mitarbeit 
des auf dem Gebiete des Strafvollzugs beſonders 
erfahrenen Erſten Staatsanwalts Klein, des 
Vertreters des Generalſtaatsanwalts in Berlin, 
zu erfreuen hatte, hat die Vorſchriften des Vor⸗ 
entwurfs über den Strafvollzug noch eingehender 
geſtaltet, zum Teil modifiziert und weiter ausge⸗ 
baut. Sie hat an dem Einzelhaftſyſtem feſtge⸗ 
halten, jedoch das Strafenſyſtem geändert, der Haft 
wieder ihre alte Stellung als Freiheitsſtrafe für 
Uebertretungen gegeben, die Einſchließung als 
custodia honesta wieder eingeführt und für ſie 
Beſchäftigungszwang geſchaffen. Die hauptſächlich⸗ 
ſten Aenderungen gegenüber dem Vorentwurf habe 


) Nr. 89 der Reichstagsdruckſachen, 12. Leg.⸗Per. 
1 ff 


I. Seſſion 1907 S. 5 


) Vorentwurf 88 15 ff., 823, Begründung ©. 63 ff. 


178 


ich hier zuſammengeſtellt.“) Ich darf darauf ver: 
weiſen. Inzwiſchen iſt auch eine ſyſtematiſche Zu⸗ 
ſammenſtellung der Beſchlüſſe der Strafrechts⸗ 
kommiſſion erſchienen.) Die Kommiſſion hat auch 
für einzelne ſichernde Maßnahmen, wie das Ar⸗ 
beitshaus, im Geſetze ſelbſt Vollzugsbeſtimmungen 
gegeben. Sie hat zwar eine Ergaͤnzung der geſetzlichen 
Beſtimmungen durch Ausführungsvorſchriften vor⸗ 
geſehen, iſt aber grundſätzlich davon ausgegangen, 
daß der nächſte weitere Ausbau in einem Straf⸗ 
vollzugsgeſetz zu erfolgen habe, zu dem dann im 


einzelnen Ausführungsvorſchriſten zu treten haben. 


In Uebereinſtimmung mit dem Vorentwurf hat 
die Strafrechtskommiſſion weder die unbeſtimmte 
Verurteilung, die in gewiſſem Sinne eine Ab⸗ 
dankung des Strafrichters bedeuten würde, noch 
das Progreſſivſyſtem d. h. einen Strafvollzug mit 
allgemeinen feſtgelegten Stufen übernommen, zu 
dem ſich der Oeſterreichiſche Entwurf“) und der 
Gegenentwurf (8 50) entſchloſſen haben. 

Wie es heißt, ſoll nach der Fertigſtellung des 
Entwurfs eines Einführungsgeſetzes zum StGB., 
die in dieſem Hochſommer zu erwarten iſt, an die 
Aufſtellung eines Strafvollzugsgeſetzes herangetreten 
werden, das auch die ſichernden Maßnahmen zu 
umfaſſen hat. Während für die Strafrechtskommiſſion 
der Vorentwurf mit ſeiner ausführlichen Begründung 
als Vorarbeit vorlag, wären für die Beratungen der 
Kommiſſion, die ſeinerzeit das Strafvollzugsgeſetz 
aufzuſtellen hat, Materialien nicht vorhanden ge⸗ 
weſen, wenn nicht der Verein der deutſchen 
Strafanſtaltsbeamten einen förmlichen Vor⸗ 
entwurf zu einem Reichsgeſetze über den Vollzug 
der Freiheitsſtrafen und ſichernden Maßnahmen 
mit eingehender Begründung fertiggeſtellt hätte.“) 
Dieſe Vorarbeit nennt ſich beſcheiden Geſetzesvor⸗ 
ſchläge, iſt aber in Wirklichkeit der Vorentwurf 
zu einem Strafvollzugsgeſetze. Sie iſt umſomehr 
zu begrüßen, als ſie den Fortgang der geſetzgebe⸗ 
riſchen Arbeiten gerade auf dieſem Gebiete beſonders 
erleichtern und vereinfachen wird. Die Aufmerk⸗ 
ſamkeit auf dieſen Entwurf, der auch die nächſte 
Tagung der Strafanſtaltsbeamten in Hamburg 
beſchaͤftigen wird, auch hier zu lenken und hierüber 
eine kurze Ueberſicht zu geben, iſt der Zweck dieſer 
Zeilen. 

Der Entwurf umfaßt 73 Paragraphen. Er 
iſt nach den Beſchlüſſen des Vereins in einer 
Kommiſſion, die in zweiter Leſung erweitert wurde 
und der von bayeriſchen Praktikern Oberregierungs⸗ 
rat Michal angehörte, aufgeſtellt worden. Die 
Geſamtbearbeitung hatte Erſter Staatsanwalt 


) Jahrg. 1913 S. 97 ff. u. S. 409 ff. 
a Ebermayer, Der Entwurf eines deutſchen StGB. 


S. 3 ff. 
) Die Vorſchriften finden ſich in dem Entwurf 
einer Novelle zur StPO. SS 548 ff., insbeſondere 8 565. 
*) Geſetzesvorſchläge mit Einleitung und Be— 
gründung, Sonderheft A und B zu Bd. 47 der Blätter 
für Gefängniskunde, Heidelberg 1913. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


Klein übernommen. Der Entwurf ſchließt fich 
an das Syſtem der Freiheitsſtrafen und der 
ſichernden Maßnahmen des Strafgeſetzentwurfs 
an, bildet alſo eine Ergänzung dieſes Entwurfs. 
Die geſetzliche Regelung geht davon aus, daß die 
Vollzugsbehörde überall durch das Geſetz in den 
Stand geſetzt ſein ſoll, zu erkennen, wozu ſie direkt 
verpflichtet iſt und wozu fie ermächtigt if. Er 
gänzungen durch reichs⸗ und landesrechtliche Aus⸗ 
führungsvorſchriften ſind vorgeſehen. Der Entwurf 
hält in erſter Linie an dem Vergeltungscharakter 
der Strafe feſt, verwirklicht die neuzeitlichen Auf⸗ 
gaben des Strafvollzugs, möglichſte Beſſerung des 
Gefangenen durch Seelſorge, Unterricht uſw., ſtrebt 
ferner die ſoziale Brauchbarkeit des Gefangenen 
nach der Entlaſſung an und betont in ſeinen Vor⸗ 
ſchriften insbeſondere die ſittlich erziehliche Kraft 
der Arbeit. Die Vorſchläge ſtehen auf dem der 
Individualiſierung des Straſvollzugs; ſeine ſpezial⸗ 
präventive Aufgabe ſetzt die Anpaſſung der Be⸗ 
handlung an die körperliche und geiſtige Eigenart 
des Gefangenen voraus. Der Entwurf fchlägt in 
Uebereinſtimmung mit dem Strafgeſetzentwurf nicht 
das eigentliche Progreſſivſyſtem vor. Wohl aber 
trägt er dem Progreſſivgedanken und dem Er⸗ 
ziehungsgedanken, um den Gefangenen auf den 
Wiedereintritt in die Freiheit vorzubereiten, inſo⸗ 
weit Rechnung, als er eine allmähliche Milderung 
des regelmäßigen Strafzwangs zuläßt ($ 23). Für 
den Strafvollzug an Jugendlichen und vermindert 
Zurechnungsfähigen find beſondere Beſtimmungen 
getroffen. 

Die acht Abſchnitte des Entwurfs teilen ſich 
wieder in Unterabteilungen. In dieſem allgemeinen 
Ueberblick kann ich daraus nur einzelnes erwähnen. 
Die Vorſchriften über Anſtalten (Straf⸗ und Siche⸗ 
rungsanſtalten) und über Anſtaltsverwendung (88 1 
bis 11) wollen eine möglichſt ſtrenge Scheidung 
der Gefangenen ermöglichen. Sie ſchreiben in 8 1 
Abſ. 1 vor, daß bei Neubauten Zuchthaus⸗, Ge⸗ 
fängnis-⸗ oder Einſchließungsabteilungen, auch 
Zuchthaus⸗ und Haſtabteilungen, nicht mehr in 
einer Anſtalt vereinigt werden dürfen. Auch für 
den Vollzug der Arbeitshaus⸗ und Sicherungshaft 
ſind mindeſtens baulich abgeſonderte Anlagen vor⸗ 
zuſehen. In den Beſtimmungen über die Auf: 
nahme (88 12 bis 17) iſt für den Erkennungsdienſt 
die wünſchenswerte geſetzliche Feſtſtellung vorge⸗ 
ſchlagen, daß für die Zwecke dieſes Dienſtes 
Meſſungen, Abbildungen und ſonſt erforderliche 
Feſtſtellungen vorgenommen werden dürfen. Für 
die zuläſſigen Formen der Verwahrung (Einzel⸗ 
und Gemeinſchaftshaft, 88 18 bis 21) iſt der Satz 
vorangeſtellt, daß bei der Anordnung der Haftform 
auf die Perſönlichkeit, die Tat und das Vorleben 
des Gefangenen Rückſicht zu nehmen iſt. Der Voll⸗ 
zug ſoll regelmäßig mit der Einzelhaft beginnen. 
Die Leitmotive für die eingehenden Vorſchriften 
über die Behandlung, die in §§ 22 bis 49 ein: 
ſchließlich der Sondervorſchriften für Jugendliche 


_Beitfehrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. ö 179 


Beſtimmungen über Seelſorge, Geſundheits⸗ und Räume und Einrichtungen eine angemeſſene Friſt 
Bildungsfürſorge, über Beköſtigung, Bekleidung zu beſtimmen. Mit dem Inkrafttreten des Straf: 
und Lagerung, über Verkehr und über Arbeit | vollzugsgeſetzes, das gleichzeitig mit dem StGB. 
bringen, find eingangs in 8 22 umſchrieben. Dar: in Wirkfamkeit treten ſoll, ſoll auch eine einheit⸗ 
nach find mit der Zufügung des in und | liche Vollzugsſtatiftik beginnen. 
der Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung Wenn ich damit dieſe kurze Ueberſicht über 
geiſtige und fittlihe Hebung, Erhaltung der Ge⸗ den ausgezeichneten Vorentwurf ſchließe, jo möchte 
ſundheit und Arbeitskraft, gleichmäßig in der Einzel: ich doch noch dem Wunſche Ausdruck geben, daß unter 
und Gemeinſchaftshaft, anzuſtreben. Dieſe Ziele den vielfachen geſetzgeberiſchen Reſormarbeiten, die 
ſollen mit Strenge, Gerechtigkeit und Menſchlich⸗ mit der Reform des Strafrechts zuſammenhängen. 
keit ſowie unter Beachtung der Perſönlichleit, der es insbeſondere dem Entwurf eines Strafvollzugs⸗ 
Tat und des Vorlebens der Gefangenen verfolgt geſetzes beſchieden ſein möge, Geſetz zu werden. 
werden. In dieſen Vorſchriften und namentlich Der Vorentwurf der deutſchen Strafanſtaltsbeamten 
in denen über den Arbeitszwang tritt beſonders | wird dann ſeinen reichlichen Anteil an dieſem Er⸗ 
die Differenzierung in den einzelnen Freiheits⸗ folge haben. 
ſtrafen hervor. Ich darf hierzu auf die Darlegungen 
in der Begründung S. 44 ff. verweiſen. Des 
1 0 freien 9 15 are | 

S iſt als Leitſatz vorangeſtellt, daß bei der Ber: vs ö 
wertung der Arbeitskraft der Gefangenen das Zur Jechtſprechung über die Kommun⸗ 
1 des 1 10 freien en mauern.“ 
überhaupt im weiteſtem Maße zu ſchonen iſt. In 
den Vorſchriften über Disziplinar⸗ und Ordnungs⸗ Bon Rechtsanwalt Dr. Georg Nützel in München. 
ſtrafen (88 50 bis 52) iſt von der körperlichen Selten hat wohl in den letzten Jahren eine 
Züchtigung als Disziplinarmittel abgeſehen, in zunächſt juriſtiſche Frage den Grund: und Haus: 
Uebereinſtimmung mit dem Rechtszuſtande in beſitzer Münchens ſo ſehr beſchäftigt, wie die Rechts⸗ 
Bayern, der nach Art. 27 Abſ. 3 AG. StPO. verhältniſſe an Kommunmauern. Iſt doch neuer: 
die körperliche Züchtigung als Disziplinarmittel ge: dings mit Bezug hierauf ſogar die Rede vom 
gen Gefangene ausſchließt. Dagegen wurden bei „Bauernſchreckim Hausbau“. Ich verzichte 
noch ſchulpflichtigen Jugendlichen die Schulſtrafen bewußt auf geſchichtliche oder lehrhafte Erörle⸗ 
des am Ort der Strafverbüßung geltenden Rechts | rungen. Die nachſtehenden Ausführungen ſind 
als Ordnungsſtrafen zugelaſſen (5 51 Abſ. Ii, hauptſächlich für die tägliche Praxis beftimmt. 
Im Gegenſatze zur Begründung des Vorentwurfs) | Meinen Ausführungen liegen ausſchließlich Ent⸗ 
und in Uebereinſtimmung mit der des Gegenent⸗ ſcheidungen der Münchener Gerichte (Landgericht 
wurfs®) fieht der Entwurf (88 55— 58) ) in der Münden I und Oberlandesgericht München) zu⸗ 
vorläufigen Entlaſſung einen Beſtandteil des Straf- grunde, die ich in meiner Praxis geſammelt habe. 
vollzugs und bringt dies durch ihre Herübernahme Die Tatbeſtände find nicht erdacht, ſondern dem 
in das Strafvollzugsgeſetz zum Ausdruck. Er 1 Leben entnommen. 
dabei auf dem Standpunkt, daß von der Ein⸗ Fall I. Etwa bis zu den Jahren 1910/11 
richtung, die er auf lebenslängliche . hat die Münchener Rechtſprechung wohl ziemlich 

rn 


nicht ausdehnt, in allen Fällen, in denen fie nach übereinſtimmend Alleineigentum des Erbauers 
dem Geſetz zuläſſig iſt, auch in der Tat Gebrauch der Kommunmauer angenommen. 
gemacht werden ſoll, ſo daß ſie als wichtiges Beiſpiel: 
Milderung a 1 8 Schlußſtein ſeiner Die ee 

Zum Scluffe darf ich noch auf die bejon- 
deren Beſtimmungen über den Vollzug der 
ſichernden Maßnahmen, Arbeitshaus und Siche⸗ 
rungshaft, verweilen (88 59 — 68). Daran ſchließen 
ſich in 8 69 beſondere Vorſchriften Über Schutzfür⸗ 
ſorge und Schutzaufſicht und in 88 70— 73 Zu⸗ 
ſtändigkeits⸗ und Schlußbeſtimmungen, die Aus⸗ 
führungsvorſchriften des Bundesrats und der 
Landesbehörden vorſehen. Sie ermächtigen auch 
den Bundesrat, für die Uebergangszeit zur Be⸗ 
ſchaffung der fehlenden Anſtalten, Abteilungen, 


— — 


Pl.⸗Nr. 395 
A errichtet das | 
sur 1901. 


Pl.⸗Nr. 395'/s 
B baut 1909 an die 
Kommunmauer an. 


items mins 


| 


eingeſteigert von C vor 
dem Anbau des B, 
ane verſteigert 
904. 


Das LG. München I (IV. 3K.) hat in einem 
nicht mit Berufung angefochtenen Urteil ar 
6. Dezember 1910 dem Ablöſungsanſpruch des C 


on Bd. 1 S. 96. 
S. 82 


°) 1) y Die ie wörtlich wiedergegebenen Auszüge aus Ur— 
10) Begr. S. 69. 


teilen hat der Herausgeber ſprachlich überarbeitet. 


180 


gegen B ſtattgegeben. Gründe: Alleineigentümer 
der Kommunmauer ſei C. B habe kein Eigentum 
an der auf ſeinem Grundbeſitz ſtehenden Mauer⸗ 
hälfte erlangt. Der Ablöſungsanſpruch wurde nach 
dieſem Urteil abgeleitet aus 88 742, 748 BGB.; 
Art. 68 AG. BGB. Falls die Vorſchriften über 
die Gemeinſchaft nicht anwendbar ſein ſollten, ſei 
der Ablöſungsanſpruch nach 88 812, 951 BGB. 
begründet. Abzulöſen ſei der Betrag der ſeiner⸗ 
zeitigen Baukoſten, alſo die Hälfte der im Jahre 
1901 entſtandenen Baukoſten. 

Hauptvertreter dieſer „Beſtandteils⸗Lehre“ war 
der verſtorbene Notar Pfirſtinger in ſeiner (im 
Buchhandel vergriffenen) Schrift: „Die Kommun⸗ 
mauer nach dem jetzt in Bayern geltenden Recht“ 
(1905, Eigentum uud Verlag des Verfaſſers, S. 15): 
„In Fällen ſolcher Art (wie im Beiſpiel des Falles I) 
iſt der Eigentümer des zuerſt gebauten Hauſes 
alleiniger Eigentümer auch des auf Nachbargrund 
ſtehenden Teiles der Grenzmauer, gleichviel, ob die 
Grenzmauer vor oder nach dem 1. Januar 1900 
hergeſtellt worden iſt. Als maßgebend kommen 
in Betracht die 88 93, 94, 95 BGB.“ 

Zutreffend iſt die frühere Münchener Recht⸗ 
ſprechung (Fall I, Beſtandteils⸗Lehre) in einem 
ſpaͤter unter Fall II angeführten Urteil des LG. 
München I (V. 3k.) vom 5. Dezember 1911, 
P. R. Nr. 2172/1911, zuſammengefaßt. Dieſes 
Urteil hat bewußt mit der früheren Rechtſprechung 
gebrochen, die noch im Urteil vom 6. Dezember 
1910 vertreten iſt. In dem Urteil heißt es u. a.: 


„Die überwiegende Meinung der früheren Recht⸗ 
ſprechung läßt ſich in folgende Leitſätze zuſammenfaſſen: 
Bei einer Kommunmauer iſt der über die Grenze ge⸗ 
baute Teil kein Teil des Grundſtücks, auf dem er ſteht, 
ſondern ein Teil des Gebäudes, ſolange nur das eine 
Haus ſteht. Wird an die Kommunmauer angebaut, 
ſo wird ſie zu einer Grenzeinrichtung i. S. des 8 921 
BGB.; die Eigentumsverhältniſſe an der auf der 
Grenzlinie ſtehenden Mauer werden durch den Anbau 
verändert; ſie iſt von nun ab nicht nur weſentlicher 
Beſtandteil des zuerſt errichteten Gebäudes, ſondern 
auch des zuletzt errichteten; das Eigentum wird durch 
die Grenze „realiter“ geteilt. Die Koſten der Er⸗ 
richt ung der Kommunmauer müſſen nach dem Anbau 
gemeinſchaftlich bezahlt werden. Zahlungspflichtig iſt, 
wer den Anbau ausführen ließ, forderungsberechtigt, 
wer zur Zeit des Anbaues an die Mauer deren Eigen- 
tümer iſt. Grund der Erſatzpflicht iſt die Bereicherung 
($ 812 BGB.). 


Fall II. 


418827 . 


1 


Pl.⸗Nr. 10 454 Pl.⸗Nr. 10 451 


= A errichtet das = A iſt auch Eigentümer 
= Gebäude 1905. | 87 dieſer Pl. Ar. | 
= T | — * 
IIA 5 

* 


zwangsweiſe verſteigert 
23. Juli 1907, einge⸗ 
ſteigert von B (Ehefrau 
des A), Umſchreibung 
im Grundbuch 
9. Oktober 1907. 


zwangsweiſe verſteigert, 
eingeſteigert von (' 
20. Juli 1907, Umſchrei— 
bung im Grundbuch 
17. Oktober 1907. 
C baut 1910 an. 


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— — — ——— ä — — 4 ——ͤ 


B klagt gegen C auf Zahlung der Ablöſungs⸗ 
ſumme. Die Klage hat das LG. München I (V. 3K.) 
mit Urteil vom 5. Dezember 1911, P. R. Nr. 
2172/1911, abgewieſen. 


Gründe: „. .. Das Reichsgericht, dem ſich das 
Gericht anſchließt, hat neuerdings (Jur W. 1911 S. 212, 
366) ausgeſprochen, daß im Falle der Bebauung zweier 
aneinander grenzender Grundſtücke mit einem einheit⸗ 
lichen Gebäude jedem der Grundſtücke der in ſeinen 
Grenzen ſtehende Teil des Gebäudes zufällt. Der Er⸗ 
bauer der Kommunmauer wird se nicht Alleineigen⸗ 
tümer, die beiden Nachbarn werden nicht Miteigen⸗ 
tümer, ſondern jeder hat Sondereigentum an dem auf 
feinem Boden ſtehenden Teil der Kommunmauer. Dem⸗ 
zufolge kann der Ablöſungsanſpruch nicht auf Mit⸗ 
eigentum und Gemeinſchaft gegründet werden, ſondern 
nur auf die Vorſchriften über die ungerechtfertigte Be⸗ 


reicherung. 
Die weitere Folge dieſer Auffaſſung iſt, daß der 
Bereicherungsanſpruch nicht erſt durch den Anbau an 


die Kommunmauer, ſondern ſchon durch die Errichtung 
entſteht. Denn ſchon in dieſem Zeitpunkte ſteht feſt, 
daß der Nachbar des Erbauers durch Erwerb des Eigen⸗ 
tums an dem auf ſeinem Grunde ſtehenden Teil der 
Mauer ohne Gegenleiſtung auf Koſten des Erbauenden 
einen Vermögenszuwachs erfahren hat (88 946, 951, 
812 B.). Der Bereicherungsanſpruch iſt in der Regel 
ein perſönlicher Anſpruch zwiſchen dem Erbauer der 
Kommunmauer und dem Nachbarn zur Zeit der Bau⸗ 
führung. Er geht auf die Geſamtrechtsnachfolger über, 
während er im Falle einer Einzelrechtsnachfolge auf 
den Rechtsnachfolger übertragen werden muß (Staus 
dinger 6 921 Anm. IV 2 ab). 

Geht man von dieſen Grundſätzen aus, ſo konnte 
hier durch die Aufführung der Kommunmauer kein 
Ablöſungsanſpruch entſtehen, weil der Erbauer Eigen- 
tümer der beiden Flächen war und keinen Bereicherungs⸗ 
1 1 55 gegen ſich felbft erwerben konnte (vgl. RG. 65. 

362). 


Dieſe Auffaſſung des LG. München I iſt be: 
ſtätigt im Urteil des OLG. München vom 1. Mai 
1912 (IV. 3 S.) B. R. Nr. 76 L IV / 1912. Die 
Gründe ſagen: 


„Nach den Grundſaäͤtzen der 88 93, 94 Abſ. 1, 946 
BGB. bildet ein Gebäude einen weſentlichen Beſtand⸗ 
teit des Grundſtückes, auf dem es ſteht; erſtreckt es 
ſich über die Grenze eines Grundſtücks hinaus, fo wird 
es durch die Grenzlinie geteilt, ſo daß jeder Gebäude⸗ 
teil weſentlicher Beſtandteil des Grundſtückes iſt, auf 
dem er ſteht. Dieſer Grundſatz gilt auch für Grenz⸗ 
mauern. Nach SS 95 BGB. gibt es allerdings Fälle, 
in denen ein Gebäude nicht weſentlicher Beſtandteil 
des Grundſtücks iſt, auf dem es ſteht. Nach 8 95 BG. 
wird ein in Ausübung eines dinglichen Rechtes aus⸗ 
geführter Ueberbau nicht Beſtandteil des Grundſtückes, 
auf dem er ſteht, ſondern Beſtandteil des berechtigten 
Grundſtückes. Aber gerade die Ausnahmefälle laſſen 
erkennen, daß es im übrigen bei der Regel bleiben 
muß. Auch läßt ſich eine andere Meinung mit den 
Beſtimmungen der SS 946 ff. über die Verbindung bes 
weglicher Sachen miteinander oder mit Grundſtücken 
nicht in Einklang bringen. Insbeſondere kann der 
Anbau an die Grenzmauer keine Trennung des Eigen⸗ 
tums nach Mauerhälften herbeiführen. Geht man ba» 
gegen von dem oben feſtgeſtellten, vom Reichsgericht 
ſtändig feſtgehaltenen Grundſatze aus (RG. 65 S. 361 ff., 
70 S. 201, Jur W. 1911 S. 212 und 366), fo war hier 
die Grenzmauer weſentlicher Beſtandteil der Grund— 
ſtücke Pl.⸗Nr. 10451 und 10454 inſoweit, als fie auf 
deren Grund und Boden ſtand.“ 


Auch der II 35. des OLG. Mürchen hat ſich 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


in dem Urteil vom 15. März 1913 B. R. L 681/12 
zu dieſer Sondereigentumslehre bekannt. 


FTD TI TS 


— 


Pl.⸗Nr. 164/15, 
Bauplatz, 
Eigentümer B. 


A erbaut 1908 auf 
Pl.⸗Nr. 164 ½8 das 
Anweſen Nr. 4. 


E 8 — 


verkauft an Eheleute D, 
dieſe bauten 1910 an die 
Kommunmauer an. 


E erhob Klage gegen die Eheleute D; die Klage 
wurde abgewieſen. 


Gründe: „Das B. geht davon aus, daß 
jedes Grundſtück gegen das Nachbargrundſtück eine 
feſte Grenze haben muß; es beſtimmt in 8 93, daß 
weſentliche Beſtandteile einer Sache nicht Gegenſtand 
beſonderer Rechte ſein können, und in 8 94, daß zu 
den weſentlichen Beſtandteilen eines Grundſtücks die 
mit dem Grund und Boden feſt verbundenen Sachen, 
insbeſondere Gebäude gehören. Dieſe Vorſchrift wird 
wiederholt in 8 946, wornach ſich das Eigentum an 
einem Grundſtück auf bewegliche Sachen erſtreckt, die 
mit dem Grundſtück fo verbunden werden, daß fie weſent⸗ 


verkauft an C; 
C verkauft 1908 an E. 


licher Beſtandteil werden. Hiernach gehört eine auf 


der Grenze zweier Grundſtücke errichtete Mauer in⸗ 
ſoweit zu jedem der beiden Grundſtücke, als fie auf 
ihnen ſteht; das Eigentum an jedem Grundſtücke er⸗ 
ſtreckt ſich auf den auf ihm ſtehenden Mauerteil (vgl. 
Jur W. 1911 S. 211“ und S. 366). Hier wurde die 
auf Pl.⸗Nr. 164 ⅛ͤ1s errichtete Hälfte der Grenzmauer 
mit der Erbauung weſentlicher Beſtandteil dieſes Grund⸗ 
ſtücks und damit Eigentum des B. Die Eheleute D 
erwarben mit Pl.⸗Nr. 164 ꝰ16 auch die daraufſtehende 
Mauerhälfte; der für das Grundſtück vereinbarte Kauf⸗ 
preis bildet auch ein Entgelt für die Mauerhälfte. Sie 
find alſo nicht auf Koſten des Klägers oder eines feiner 
Rechtsvorgänger A und C bereichert. 

Der Grundſatz, daß ein Gebäude weſentlicher Bes 
ſtandteil des Grundſtückes iſt, auf dem es ſteht, erleidet 
nach 88 95, 912 BB. Ausnahmen. Ein in Ausübung 
eines Rechtes an einem fremden Grundſtücke oder nur 
zu vorübergehendem Zwecke errichtetes Gebäude wird 
nicht Beſtandteil des Grundſtücks, auf dem es ſteht, 
ebenſowenig ein vom Erbauer ohne Vorſatz oder grobe 

ahrläſſigkeit über die Grenze gebauter Gebäudeteil. 

eine dieſer Ausnahmen liegt vor. Uebrigens würde 
es dem Kläger auch nichts nützen, wenn die Grenz⸗ 
mauer mit der Erbauung weſentlicher Beſtandteil des 
ſpäter von ihm erworbenen Hauſes Nr. 4 geworden 
wäre. Denn der von ihm aufgeſtellte, auch von mehreren 
Schriftſtellern und OLG. verteidigte Satz (vgl. Sächſ. 
Arch. S. 385 ff., Jur W. 1912 S. 491, 1037, 1039), daß 
der übergebaute Teil der Grenzmauer mit dem Anbau 
durch den Nachbarn aufhört, weſentlicher Beſtandteil 
des zuerſt gebauten Hauſes zu ſein und weſentlicher 
Beſtandteil des angebauten Hauſes wird und damit 
Eigentum des Eigentümers dieſes Hauſes, hat keine 
Stütze im Geſetz. Insbeſondere iſt die Annahme 
unrichtig, daß der übergebaute Teil weſentlicher Be⸗ 

andteil des angebauten Hauſes wird. Die Begründung, 
aß jedes Haus 4 Umfaſſungsmauern haben müſſe, 
trifft inſoferne nicht zu, als eine fremde Mauer als 
Stütze und Abſchluß benützt werden kann. Ob das 
auf Grund eines dinglichen Rechtes geſchieht oder 
nicht, iſt gleichgültig. Ebenſowenig kann die Schluß⸗ 
folgerung überzeugen, nach dem Anbau ſei es ſo 
anzuſehen, als wenn die beiden Grundſtücke gleichzeitig 
bebaut worden wären. Sie iſt nicht zwingend, da zwei 


| a 


| 


181 


verſchiedenartige Fälle ohne Grund gleichgestellt werden. 
Hat ſich aber durch den Anbau das Eigentum an dem 
übergebauten Mauerteil nicht geändert, dann iſt jeden⸗ 
falls der Anſpruch des Klägers auf Erſatz des Wertes 
dieſes Teiles unhaltbar. Der Beklagte wäre höchſtens 
durch den Mitbeſitz der Grenzmauer bereichert.“ 


Noch in jüngſter Zeit iſt dieſe Auffaſſung vom 
LG. München I (VI. 3K.) in einem Urteil vom 
21. Oktober 1913 (C 3527/13) vertreten worden. 
In den Gründen heißt es u. a.: „Dieſe Anſicht 
entſpricht dem neueſten Stand der Rechtſprechung 
in Kommunmauerfragen.“ 


Fall III. Ich beſpreche nun die zwei Urteile 
des II. ZS. des OLG. München vom 17. Januar 
1914, die ſoviel Aufſehen erregt haben. 


a) 


— 
| 


Hs.⸗Nr. 31 
erbaut von A. | 


B | 
1 1 
— \UEROHESE 
* 
verkauft den rn, 
an C, dieſer baut 191 


an die Kommunmauer 
an (Anweſen Nr. 32). 


Zwiſchen A und C wurde am 10. Juli 1912 
folgender ſchriftlicher Vertrag geſchloſſen: „Für 
die Ablöſung der Hälfte der Rommunmauer ſchuldet 
C dem A 2472.67 M; C verpflichtet ſich, dieſen 
Betrag bei Vollendung des Rohbaues und des 
Dachſtuhles an A zu bezahlen.“ C hat ſpäter feine 
Erklärung wegen Irrtums erfolglos angefochten. 
Der Klage des A auf Ablöſung der vereinbarten 
Summe haben das LG. und das OLG. (II. ZS. B. R. 
L488 / 1913) ſtattgegeben mit folgender Begründung: 

„Zuzuſtimmen iſt der vom nun ftändig 
vertretenen Anſicht, daß ein gemäß § 912 BB. zu dul⸗ 
dender Ueberbau außer den im Geſetz erwähnten Fällen 
auch gegeben iſt, wenn der Bauende zwar wiſſentlich, aber 
mit Einwilligung des Nachbars über die Grenze gebaut 
hat (RG. Z. 52 S. 15 ff., 74 S. 87 ff.; Sächſ. Arch. 1911 
S. 391). Nach der herrſchenden Meinung, die den 
Wortlaut und den Sinn des 8 912 BGB. für ſich hat, 
fällt der Ueberbau, der vom Nachbar geduldet werden muß, 
in das Eigentum des Bauenden. 0 912 BGB. 
enthält ſonach eine Ausnahme von dem Grundſatz des 


0 


AI 


94 BGB. Das iſt jedoch nicht zwingendes Recht. 
Der Bauende und der Nachbar können vereinbaren, 
daß der zu überbauende Gebäudeteil Eigentum des 
Nachbars werden fol. Es beſteht kein Grund, einer 
ſolchen Vereinbarung die Wirkſamkeit zu verſagen.“ 

b) 
me 
: 9 34 8 5 
= von A erbaut 1911. = 
snuinunsiau tit Uniti F e 

* 
verkauft den Vauplatz 
1912 an C. 


182 


Es wurde eine ſchriftliche Vereinbarung zwiſchen 
A und C über die Ablöſung der Kommunmauer 
getroffen, wie im Falle a. C hat ebenfalls feine 
Erklärung erfolglos wegen Irrtums angefochten. 
Der Klage des A gegen C auf Ablöſung wurde 
ſtattgegeben. Das OLG. München gibt im Urteil 
(B. R. L 336/13) folgende Begründung: 


„Der Sinn des Vertrages iſt, daß der Beklagte 
gegen die Zahlung der . das Eigen⸗ 
tum an der auf ſeinem Grund und Boden vom Kläger 
errichteten RHommunmauerhälfte und damit das Recht 
erlangen ſollte, an ſie anzubauen. Wäre die Annahme 
des Beklagten richtig, daß dieſer Mauerteil mit der 
Errichtung in das Eigentum des B als des Eigen⸗ 
tümers des damit bebauten Grundſtückes fiel und mit 
dem Grundſtücke auf C überging, dann wäre der Ber: 
trag nichtig. Denn der Kläger hätte eine rechtlich 
unmögliche Leiſtung übernommen (vgl. RG. 78 S. 431). 

Dieſe Meinung iſt aber nicht zutreffend. Der Be⸗ 
klagte beſtreitet mit Unrecht die Anwendbarkeit des 
8 912 und des 8 95 Abſ. I Satz 2 BGB. auf den vom 
Kläger vollzogenen Ueberbau ſeiner Abſchlußmauer. 
Mit dem Reichsgericht (RZ. 52 S. 15 ff., 74 S. 87 ff., 
Sächſ. Arch. 1911 S. 391) iſt vielmehr anzunehmen, 
daß ein zwar vorſätzlich, aber mit Einwilligung des 
Nachbars vorgenommener Ueberbau zu dulden iſt, alſo 
unter $ 912 BGB. fällt und daß das Eigentum an dem 
überbauten Gebäudeteil dem Bauenden gehört. 
Schon daraus ergibt ſich, daß unter § 95 Abſ. 1 Satz 2 
BGB., wornach ein in Ausübung eines Rechtes an 
einem fremden Grundſtück auf dieſem errichtetes Ge⸗ 
bäude nicht zu den Beſtandteilen dieſes Grundſtückes 
gehört, auch die Ausübung perſönlicher Rechte fällt. 
Der Kläger, der mit Einwilligung des B feine Kommun⸗ 
mauer zur Hälfte auf deſſen Grundſtück errichtete, wurde 
alſo Eigentümer der ganzen Mauer. 

Der Beklagte wendet ein, daß der Vertrag auch 
bei dieſer Annahme nichtig ſei, weil der Vertrag dem 
Formzwang des 8 313 BGB. unterlag und weil er 
gemäß § 93 BGB. das Eigentum an der auf feinem 
Grundſtücke ſtehenden Mauerhälfte nicht erwerben konnte, 
wenn die Kommunmauer weſentlicher Beſtandteil des 
vom Kläger errichteten Hauſes wurde. Zwar war 
der vom Kläger über die Grenze gebaute Mauerteil 
weſentlicher Beſtandteil des vom Kläger errichteten 
Gebäudes und damit des Grundſtückes des Klägers, 
weil er nicht weſentlicher Beſtandteil des Grundſtückes 
wurde, auf dem er ſteht. Aber daraus ergeben ſich 
nicht die vom Beklagten gezogenen Schlußfolgerungen. 
Legt man dem 8 95 Abſ. 1 Satz 2 BGB. die Bedeutung bei, 
daß unter „Ausübung eines Rechtes an einem fremden 
Grundſtück“ auch die Ausübung obligatoriſcher 
Rechte zu verſtehen ſei, dann iſt aus ihm zu folgern, 
daß die Beteiligten die Rechtsverhältniſſe an dem über: 
gebauten Gebäudeteil durch Vertrag regeln können 
(vgl. Jur W. 1914 S. 40 Sp. 1 unten), ſoferne ſie nur 
die in SS 93, 94 BGB. enthaltenen Grundſätze unan— 
getaſtet laſſen. Die dem übergebauten Teil gegebene, 
ſachliche, d. h. den Verhältniſſen der beiden Grundſtücke 
angepaßte Beſtimmung entſcheidet darüber, ob der 
Ueberbau weſentlicher Beſtandteil des Gebäudes iſt, 
zu dem er gehört, oder des Grundſtückes, auf dem er 
ſteht (ſ. a. RG. 61 S. 192). Dieſe Beſtimmung kann 
von Anfang an oder ſpäter vereinbart werden, wenn 
es das Bedürfnis der Grundſtücke fordert. Es kann 
auch von Anfang an beitimmt werden, daß die über— 
gebaute Mauerhälfte zunächſt weſentlicher Beſtand— 
teil des zuerſt gebauten Gebäudes ſein, mit dem An 
bau eines Gebäudes durch den Nachbar aber weſent— 
licher Beſtandteil dieſes Gebäudes und damit des 
Grundſtückes werden ſoll, auf dem ſie ſteht. Es beſteht 
auch kein Hindernis, nachträglich einem übergebauten 
Gebäudeteil die Beſtimmung zu geben, daß er einem 


___Beifeeft fue Rechtspflege in Bayern. 1914. ur. 2 


— — — — 


— ——ñ—Ii —— —ü—ꝛ— 
a 
* 


anzubauenden Gebäude als weſentlicher Beſtandteil 
dienen ſoll. 

In dieſen Fällen geht das Eigentum am Ueber⸗ 
bau mit dem Anbau auf den Eigentümer des Grund⸗ 
ſtücks über, auf dem er ſteht. $ 313 BB. gilt für 
ſolche Vereinbarungen nicht, da ſie keine Verpflichtung 
enthalten, Eigentum an einem Grundſtück zu übertragen. 
Der urſprüngliche Eigentümer des Ueberbaues kann 
. eine Entſchädigung dafür verlangen, 

aß er ihn dem Dienſte des Nachbargrundſtückes widmet 
und den Anbau geſtattet. Denn mit dem Anbau er⸗ 
leidet er einen Rechtsverluſt. 


In dieſen beiden zuletzt genannten Urteilen 
fällt m. E. zunächſt auf, 


1. daß dem Geſetze das gerade Gegenteil der 
Anſicht entſprechen ſoll, die der gleiche Senat 
in den grundlegenden Fragen im Urteil vom 
15. März 1913 vertreten hat; 


2. daß in beiden Urteilen vom 17. Januar 1914 
zwar auf das Urteil vom 15. März 1918 
Bezug genommen wird, aber nicht mit der 
naheliegenden Begründung, der Senat gebe 
die frühere Rechtsanſchauung auf. Es heißt 
vielmehr im Urteil B. R. L 488/13: „Das 
frühere Urteil des Senats (d. i. das Urteil 
vom 15. März 1913) paßt auf den hier ent⸗ 
ſchiedenen Fall nicht. Es liegt ihm ein ganz 
anderer Tatbeſtand zugrunde.“ In dem 
Urteil, B. R. L 336/13 heißt es: „Diele 
Meinung wird durch das einen anderen Tat⸗ 
beſtand behandelnde Urteil des Senats in 
Sachen Chr. /. P. nicht geſtützt.“ 


Wenn man von der vom OLG. nicht als er⸗ 
heblich erachteten ſchriftlichen Vereinbarung über 
die Ablöſungspflicht der Beklagten abfieht, iſt der 
Tatbeſtand der Urteile vom 17. Januar 1914 nicht 
verſchieden vom Tatbeſtand des Urteils vom 15. März 
1913, wohl aber die grundſäͤtzliche Rechtsauffaſſung. 
Es bleibt abzuwarten, wie der gleiche Senat in 
anderen Fällen urteilt oder ob ich vielleicht das 
Urteil nicht richtig verſtanden habe. 

Schlußfolgerung: Nach Fall iſt Eigen: 
tümer der Kommunmauer, (ſolange noch nicht an⸗ 
gebaut iſt), der jeweilige Hauseigentümer. Es iſt 
gleichgültig, ob er die Mauer ſelbſt erbaut hat, 
oder ob er der Rechtsnachfolger des Erbauers iſt, 
alſo das Anweſen gekauft, eingetauſcht, eingeſteigert 
hat (Pfirſtinger S. 28, 29). Baut der Platzeigen⸗ 
tümer an, ſo vollzieht ſich von ſelbſt der Eigen⸗ 
tumsübergang auf den Platzeigentümer; dieſer wird 
Eigentümer der auf ſeinem Grund und Boden 
ſtehenden Mauerhälfte. Ablöſungsberechtigt iſt der 
jeweilige Eigentümer des Hauſes, an das der Nach⸗ 
bar anbaut. Der Ablöſungsanſpruch bleibt alſo 
nicht beim Erbauer der Kommunmauer (Pfirſtinger 
S. 30). Ablöſungspflichtig iſt, wer anbaut. Dieſe 
Lehre iſt von den Münchener Gerichten feit längerer 
Zeit aufgegeben zugunſten der im Falle II ver: 
tretenen. 

Hiernach iſt ablöſungsberechtigt der Erſterbauer. 
Iſt er noch im Zeitpunkte des Anbaus Eigentümer 


des zuerſt erbauten Hauſes, fo ift er auch forderungs⸗ 
berechtigt, es ſei denn, daß er ſeinen Ablöſungs⸗ 
anſpruch übertragen oder verpfändet hat, oder daß 
er ihm weggepfändet worden iſt. Iſt im Zeit⸗ 
punkte des Anbaues der Hauseigentümer eine andere 
Perſon als der Erbauer der Kommunmauer, ſo 
iſt regelmäßig ſorderungsberechtigt (Gläubiger) der 
Erſterbauer, außer wenn ein 
rechtsnachfolge vorliegt (3. B. der jetzige Eigentümer 
iſt der Alleinerbe des Erbauers geworden). Dieſe 
Lehre hat ſich in München in den beteiligten Kreiſen 
wohl eingebürgert. Sie iſt wiſſenſchaftlich, wie wir 
geſehen haben, trefflich zu begründen und führt 
wirtſchaftlich zu einem befriedigenden Ergebniſſe, 
namentlich dann, wenn die beteiligten Kreiſe die 
Rechtsgrundſätze kennen und ſie bei Abſchluß von 
Rechtsgeſchaften beobachten. Es müßte z. B. der 
Notar bei Abſchluß eines Kauf⸗ oder Tauſchver⸗ 
trages die Beteiligten fragen, ob der Kommun⸗ 
mauerablöſungsanſpruch mit übertragen werden ſoll 
oder nicht, ob er noch zu Recht beſteht oder ver⸗ 
pfändet oder gepfänbet iſt ulm. Der Notar fragt 
ja auch nach Bodenzinſen, Grunddienſtbarkeiten uſw. 
Es find in jüngſter Zeit mehrere großenteils erfolglose 
Verſuche gemacht worden, auf Grund dieſer Lehre alte 
anſcheinend längſt vergeſſene oder erloſchene Anſprüche 
wiederaufleben zu laſſen. Vor Monaten erſchienen 
in biefigen Tageszeitungen Anzeigen: „Kommun⸗ 
mauern zu kaufen geſucht!“ Es haben auch manche 
Erſterbauer von Kommunmauern ihre Ablöſungs⸗ 
anſprüche an Kapitaliſten übertragen. Sie hatten an 
ihre „Ablöſungsanſprüche“ vielfach gar nicht mehr ge⸗ 
dacht, weil fie die Häufer längſt verkauft, vertauſcht 
oder durch Zwangsverſteigerung verloren hatten. 
Ganz vorſichtige Kläger haben ſich auch vom An⸗ 
bauenden noch die Anſprüche übertragen laſſen, 
welche dem, der angebaut oder abgelöſt hatte, gegen 
den Eigentümer des „kommun“ erbauten Hauſes 
auf Rückgewähr der angeblich zu Unrecht empfangenen 
Ablöfungsſumme zuſtanden. 

Dieſe Klagen hatten in der Regel keinen Er⸗ 
folg; viele wurden wieder zurückgezogen. Vielfach 
konnte der Beklagte mit Erfolg gegen die Klage⸗ 
forderung des übertragenden Erſterbauers mit „Aus⸗ 
fall“⸗ oder ſonſtigen Forderungen aufrechnen und 
der Beklagte mußte ſich dieſe Aufrechnung gefallen 
laſſen (8 404 BGB.). Der zweiten Uebertragung 
wurde in der Regel mit Erfolg die Einrede ent⸗ 
gegengeſetzt, daß die Ablöſungsſumme nicht „ohne 
rechtlichen Grund“ i. S. des $ 812 BGB. bezahlt 
worden ſei, ſondern auf Grund der damals herrſchen⸗ 
den Rechtsüberzeugung (Fall I). Endlich ſcheiterten 
die Klagen zumeiſt an der Beſtimmung in $ 818 
BGB., da „die Bereicherung nicht mehr vorhanden 
war“. 

Die in den Urteilen vom 15. März 1913 und 
17. Januar 1914 behandelten Fälle betreffen die 
wichtigſten Fragen des Kommunmauerrechtes. Viel: 
leicht in 50 aller Fälle hat der Platzeigentümer 
ſeit der Errichtung der Kommunmauer gewechſelt. 


Fall der Geſamt⸗ 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 183 


Es iſt dann der Anbauende ſtets ein anderer als 
der Eigentümer des Bauplatzes im Zeitpunkte der 
Errichtung der Kommunmauer. Bei Annahme 
der Rechtsanficht im Falle II entfällt der Ablöſungs⸗ 
anſpruch des Eigentümers des kommun erbauten 
Hauſes, 

a) weil der Platzeigentümer den Platz mit der 
Kommunmauer erworben und das Entgelt für die 
Kommunmauer mit dem Kaufpreis für den Bau⸗ 


platz bezahlt haben wird, 


b) weil der Eigentümer des kommun erbauten 
Hauſes in der Regel eine andere Perſon ſein wird, 
als der Erſterbauer, es ſei denn, daß er ſich den 
Ablöſungsanſpruch vom Erſterbauer ausdrücklich 
hat übertragen laſſen. 

Anders im Falle der Annahme der Ueberbau⸗ 
lehre, wenn ich die Entſcheidungen vom 17. Januar 
1914 recht verſtehe. Bei ihr iſt der Eigentümer 
des kommun erbauten Hauſes auch Eigentümer 
des Ueberbaues und kann vom Platzeigentümer die 
Ablöſung verlangen: Dr 

a) auch wenn der derzeitige Eigentümer des 
kommun erbauten Hauſes eine andere Perſon iſt, 
als der Erſterbauer, 

b) auch wenn der derzeitige Bauplatzeigentümer, 
der jetzt anbauen will, den Bauplatz ſchon mit der 
daraufſtehenden Kommunmauer gekauft, eingetauſcht 
hat uſw. 

Nun find durch die unter Fall III geſchilderte 
Rechtſprechung die beteiligten Kreiſe wieder in 
Unruhe verſetzt worden. Dieſe Lehre kehrt im Er⸗ 
gebniſſe zurück zur Pfirſtingerſchen „Beſtandteils⸗ 
lehre“ (Fall I). Wie dort vollzieht ſich von ſelbſt 
„mit dem Anbau der Uebergang des Eigentums 
am Ueberbau auf den Eigentümer des Grundftüds, 
auf dem er ſteht.“ Ich will von einer juriſtiſchen 
Prüfung abſehen und nur auf einen beſtimmten 
Fall hinweiſen. 

Wie iſt zu entſcheiden, wenn die Kommun⸗ 
mauer nicht in ihrer ganzen Tiefe zum Anbau 
benützt wird? Dann bleibt der Erſterbauer Allein⸗ 
eigentümer der nicht angebauten Mauer, während 
am angebauten Teil der Anbauer Eigentum erwirbt. 
Das gleiche gilt für den vertikal nur teilweiſen An⸗ 
bau. Täglich kommt es vor, daß der Anbauer 
nicht die ganze Höhe der Kommunmauer benützt. 
Soweit dieſe alſo frei ohne Anbau des Nachbars 
in die Luft hinausragt, iſt ſie nach der „Ueberbau⸗ 
lehre“ Eigentum des Erſterbauers; ſoweit ange⸗ 
baut iſt, ſteht ſie im Sondereigentum der Nachbarn. 
Ein unklares und unbefriedigendes Ergebnis! 

Wie ſoll ſich bei dieſer widerſprechenden Recht⸗ 
ſprechung z. B. der Platzeigentümer verhalten, der 
anbauen will? Soll er ſich zur „Sondereigen: 
tums⸗Lehre“ oder zur „Ueberbau⸗Lehre“ bekennen? 
In der Regel iſt dem Bauluſtigen jede Lehre 
gleichgültig, er hat an andere wichtigere Sachen zu 
denken. Der Anwalt, den er befragt, gibt, auch 
wenn er glänzend unterrichtet iſt, zwei Entſchei⸗ 


184 


— 


dungsmöglichkeiten bei gleichen Tatbeſtänden. In 
der Regel wird der Bauluſtige die Lehre wählen, 
die ihm am günſtigſten iſt, weil das Baugeld oft 
zum Bauen zu knapp iſt und oft zur Ablöſung der 
Kommunmauer nicht mehr ausreicht. 

Wie verhält fich der Hauseigentümer, an deſſen 
Mauer ein vielleicht nicht zahlungsfähiger Nachbar 
anbaut? Iſt das Haus bis zum Dachſtuhl ge⸗ 
diehen, dann kann der Hauseigentümer keinen ſog. 
„Bauinſtand“, keine einſtweilige Verfügung mehr 
erwirken, wornach dem Anbauenden der Anbau 
bei Meidung einer Strafe verboten wird, falls er 
nicht die Ablöſungsſumme hinterlegt oder zahlt. 
Dann hat auch vielfach der Hauseigentümer alle 
Ausfichten auf Ablöſung der Kommunmauer durch 
den Nachbarn verloren. 

Soll der Hauseigentümer den Antrag auf einſt⸗ 
weilige Verfügung wagen? Dieſe Frage iſt ver⸗ 
ſchieden zu beantworten, je nachdem man ſich der 
„Ueberbau⸗Lehre“, oder bei inmitte liegendem Eigen: 
tumswechſel der „Sondereigentums⸗Lehre“ anſchließt. 
Auch prozeſſual gibt es Schwierigkeiten. Wird doch 
nach der Anſchauung mancher Zivilkammern dem Er⸗ 
werber eines Ablöſungsanſpruches (wichtig für Fall II) 
das Verbietungsrecht, alſo das Recht auf einſtweilige 
Verfügung und „Bauinſtand“ nicht zugeſtanden, weil 
dieſer Anſpruch gewiſſermaßen dingliche Eigenſchaft, 
ein jus ad rem vorausſetze, was beim Erwerber 
nicht zutreffe.“) Soll der erfahrene Anwalt Hinter: 
legung wegen Ungewißheit des Gläubigers empfehlen 
($ 372 BGB.) allenfalls unter Verzicht auf Rück⸗ 
nahme? (3 376 Nr. 1 BGB.) ? Er wird bei der 
heutigen Geldknappheit nur ein Schütteln des 


) Neuerdings hat der IV. ZS. des OLG. Mün⸗ 
chen mit Beſchluß vom 5. Mai 1913, Beſchw.⸗Reg. 275/13, 
ſich dahin ausgeſprochen, „es ſtehe auch dem Zeſſionar 
dieſer Verbietungsanſpruchzu; im Zweifel müſſe als 
Abſicht der Parteien angenommen werden, daß mit 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


der Abtretung des Ablöſungsanſpruchs (Ablöſungs⸗ 


ſumme) auch der Verbietungsanſpruch des Hauseigen⸗ 
tümers mit übertragen werden ſolle, da der Empfänger 
ſonſt ein wirtſchaftlich faſt wertloſes Recht erwerbe.“ 
Das gleiche gilt natürlich auch für den Pfändungs⸗ 
pfandgläubiger, der den Ablöſungs⸗ und Ver⸗ 
bietungsanſpruch gepfändet und ſich zur Einziehung 
hat überweiſen laſſen ($$S 829, 835, 851, 857 ZPO. 
Der gleiche Beſchluß trifft noch eine weittragende 
materiell⸗ rechtliche Entſcheidung. Zwiſchen dem 
Eigentümer des kommun erbauten Hauſes und der Platz⸗ 
eigentümerin war vor Unterzeichnung des Bauplanes 
auf der Lokalbaukommiſſion vereinbart worden, daß 
die Kommunmauerablöſungsſumme ſofort bei Bau⸗ 
beginn durch die Platzeigentümerin zu zahlen fei. Die 
Beklagte zahlte nicht. Das OLG. entſcheidet: 

„Nach der in München herrſchenden, durch die 
Vorſchriften in Art. 68 AG. BGB. beeinflußten Ver⸗ 
kehrsauffaſſung iſt eine ſolche Vereinbarung im Zweifel 
dahin zu verſtehen, daß die Anbauende ſich auch 
verpflichtete, an die vom Kläger errichtete Kommun— 
mauer nicht eher anzubauen, als bis ſie 
die ganze Ablöſungsſumme beglichen 
hat. Der Kläger braucht daher den Anbau erſt zu 


— . ——— —— — FE 


geſtatten, wenn die Ablöſungsſumme gezahlt iſt und 


kann der Beklagten den Anbau ‚unterjagen, bis fie 
dieſer Pflicht nachgekommen iſt.“ 


| 


Kopfes hervorrufen, der Klient wird weiter an die 
Weltfremdheit der Juriſten einſchließlich der An⸗ 
wälte glauben, unbefriedigt von dannen ziehen und 
ſich denken: „Das ſchöne Geld ſoll ich bei 2% 
Zins auf die K. Filialbank legen!“ 

Dutzende von Fragen wären noch zu beſprechen, 
die juriſtiſch und techniſch bedeutungsvoll find; fie 
würden aber den Rahmen dieſer Abhandlung über: 
ſchreiten. 

Nur ein paar Worte über die Rechtsbehelfe: 
Neben der Klage als ordentlichem Rechtsbehelf 
kommen nur einſtweilige Verfügungen in 
Betracht. Dieſe ſind in bezug auf den Streit⸗ 
gegenſtand (Ablöſungs⸗ und Verbietungsanſpruch) 
zuläſſig, wenn zu beſorgen iſt, daß durch eine Ver⸗ 
änderung des beſtehenden Zuſtandes (Anbau) die 
Verwirklichung des Rechtes auf Ablöſung vereitelt 
oder weſentlich erſchwert werden könnte ($ 985 ZPO.). 
Es wird dem Ablöſungsgläubiger leicht fein, dieſe 
Beſorgnis dem Gericht „glaubhaft zu machen“, 
(88 936, 920 Abſ. II, 294 ZPO.). In der Regel 
baut bei Spekulationsbauten der Baumeiſter nicht 
mit eigenem Geld, ſondern mit fremdem (Bau⸗ 
kapital), das vielfach knapp bemeſſen iſt. Nach 
der Erfahrung iſt häufig die Vollſtreckung in das 
übrige Vermögen des Anbauenden ausſichtslos und 
nur durch den Zwang, entweder die Ablöſungs⸗ 
ſumme zu zahlen oder den Anbau zu unterlaſſen, 
erhält der Gläubiger die Ablöſungsſumme. 

Auch die Vorausſetzungen des 8 940 3PO. 
werden regelmäßig bei Errichtung von Spekulations⸗ 
bauten vorliegen (Regelung eines einſtweiligen Zu⸗ 
ſtandes in bezug auf ein ſtreitiges Rechtsverhält⸗ 
nis)! Die Regelung, nämlich die Zahlung oder 
Hinterlegung der Ablöſungsſumme, iſt zur Ab: 
wendung weſentlicher Nachteile, nämlich des Ver⸗ 
luſts der Ablöſungsſumme, oder aus anderen Gründen 
nötig. 

Der Arreſt iſt in der Regel kein geeigneter 
Rechtsbehelf. 

a) Es wird dem Arreſtkläger ſchwer werden, 
dem Gericht glaubhaft zu machen, daß der Arreſt⸗ 
beklagte damit umgeht, ſein Vermögen dem Yu: 
griff der Gläubiger zu entziehen. 

b) Die Möglichkeit, in das Vermögen des 
Arreſtbeklagten zu vollſtrecken, iſt durch die Bau⸗ 
führung nicht größer geworden; denn das Bau: 
kapital iſt nach dem Darlehensvertrag regelmäßig 
„nicht übertragbar, nicht verpfaͤndbar und nicht 
pfändbar“ (zulaſſig nach 88 399 BGB., 851 ZPO.). 

Damit entfällt für die Regel jede Möglichkeit, 
durch einen Arreſtantrag den Ablöſungsanſpruch 
zu verwirklichen. 

Wie iſt dem beklagten Uebelſtande zu begegnen? 
Da geſetzgeberiſche Maßnahmen ſo gut wie ausſichts⸗ 
los ſind, iſt eine Hilfe nur von der Rechtſprechung 
zu erwarten. Zu verlangen und zu wünſchen wäre 
wenigſtens, daß nur eine Zivilkammer und ein 
Zwilſenat zur Entſcheidung von Kommunmauer— 
ſtreitigkeiten zuſtaͤndig wäre, damit endlich die Recht: 


Zeitſchrift für Rechtspftege in Bayern. 1914. Nr. 9. 185 


ſprechung einheitlich würde. Iſt doch am LG. 
München 1 z. B. nur eine Zivilkammer mit Ehe⸗ 
ſcheidungsſachen und nur eine Handelskammer mit 
„unlauteren Wettbewerbsſachen“ betraut. Zudem iſt 
eine Sonderbeſchäftigung für die rechtliche Beurteilung 
von Kommunmauerſtreitigkeiten auch ſür den Richter 
ſehr erwünſcht, wie ja auch das Publikum in rich⸗ 
tiger Erkenntnis dieſer Umſtände die Warnehmung 
ſeiner Rechte Juriſten anvertraut, bei denen es 
eine ſolche Sonderkenntnis vorausſetzt. Mein Vor⸗ 
ſchlag könnte auf Grund der Geſchäftsverteilung 
der Gerichte erreicht werden.“) 

Im übrigen iſt ein oberſtrichterliches Urteil 
vermutlich alsbald zu erwarten. Es iſt mir bisher 
noch kein Urteil des BayOb“ G. oder des RG. be⸗ 
kannt geworden, das einen Münchener Kommun⸗ 
mauerablöſungsanſpruch nach dem Rechte des BGB. 
entſchieden haͤtte. Die Kommunmauerablöſungs⸗ 
anſprüche liegen faſt ausnahmslos unter der Re⸗ 
vifionsſumme, weil die Erbauungskoſten der ganzen 


Kommunmauer ſchwerlich über 8000 M betragen 


und in Kommunmauerprozeſſen immer nur die 
halben Erbauungskoſten ſtreitig ſind. Nunmehr 
iſt am Landgericht München I ein revifibler Kom⸗ 
munmauerrechtsſtreit mit einem typiſchen Tatbeſtand 
anhängig: Kommunmauer erbaut nach dem 1. Ja- 
nuar 1900 und vor 1. Mai 1905 (Anlegung des 
Grundbuchs !). Das kommun erbaute Haus wurde 
mehrfach verſteigert und kam ſchließlich durch Kauf 
(Einzelrechtsnachfolge) in den Befitz der jetzigen 
Klägerin. Der Bauplatz wurde nach Errichtung 
der Kommunmauer verkauft und vom jetzigen Be⸗ 
klagten bebaut. 


Prüfungspflicht des Kegifterrichters in 
Geſchmacksmuſterſachen. 


Von Oberamtsrichter Franz Simon in Augsburg. 
(Schluß). 

VI. Bei Zwangsvollſtreckung in das 
Geſchmacksmuſterrecht hat ſich der Regiſter⸗ 
richter ſchlüſſig zu machen, welche Tätigkeit er auf 
eine an ihn gelangte Vollſtreckungsverfügung zu 
entfalten hat. 

1. Vorlage eines Pfändungsbeſchluſſes hinſicht⸗ 
lich eines Muſterrechts. Das Geſchmacksmuſterrecht 
unterliegt als übertragbares einen Vermögenswert 
enthaltendes Recht (8 3 MuſtG.) der Zwangsvoll⸗ 


2) Nach Vollendung dieſer Abhandlung leſe ich in 
Nr. 158 und 159 der Münch. N. N., daß durch Präſidial⸗ 
beſchluß die Geſchäftsverteilung des Oberlandesgerichts 
München mit Wirkung vom 1. Januar 1915 dahin geändert 
wurde, daß die aus dem Bezirk des OLG. einkommenden 
Berufungen und Beſchwerden in allen Rechtsſtreitig⸗ 
keiten über die Benützung und Entſchädigung von 
Grenzmauern dem II. ZS. zugewieſen werden. 


ſtreckung. “) Die Zwangsvollſtreckung kann ſtatt⸗ 
finden, ſobald das Muſterrecht durch Anmeldung 
und Niederlegung des Muſters beim zuſtändigen 
Regiſtergerichte als Schutzrecht entſtanden iſt, “) 
und vollzieht ſich nach 8 857 ZPO. Die Pfändung 
iſt bewirkt mit der Zuſtellung des gerichtlichen Ge⸗ 
bots an den Schuldner (den Inhaber des Muſter⸗ 
rechts), ſich jeder Verfügung über das Recht zu 
enthalten (8 857 Abſ. 3 ZPO.). Eine Vorſchrift 
über Vermerk der Pfändung im Regiſter beſteht 
für das Geſchmacksmuſter ſo wenig wie für das 
Gebrauchsmuſter und Patent.) 

Einen dem Regiſtergerichte etwa zugeſtellten Pfän⸗ 
dungsbeſchluß oder die Mitteilung einer Pfaͤndung 
unter Bezugnahme auf den Beſchluß wird das 
Regiſtergericht als Beilage zu den Akten über die 
Anmeldung und Niederlegung nehmen oder nach 
Vormerkung zu den Akten zurückgeben. Der An⸗ 
trag auf Eintragung der Pfändung iſt zurückzu⸗ 
weiſen, da hierfür im Muſterregiſter kein Raum iſt. 

2. Antrag eines Pfandgläubigers auf Verlänge⸗ 
rung der Schutzfriſt. Durch die Pfändung erwirbt 
der Gläubiger ein Pfandrecht an dem gepfändeten 
Muſterrecht (88 857, 829, 804 ZPO.). Auch im 
Verhältniſſe zum Schuldner hat das Pfandrecht die 
Wirkungen eines Vertragspfandrechts nach BGB. 
(Gaupp⸗Stein, Komm. z. $ 804 Anm. III ZPO.). 
Dem Inhaber des Pfandrechts ſtehen daher Rechte nur 
nach 58 1273 ff. BGB. zu. Das Pfandrecht umfaßt 
aber das Muſterrecht in ſeinem Beſtande und Um⸗ 


| fang zur Zeit der Pfändung und ergreiſt etwaige 


Nebenrechte. Als Nebenrecht wird zwar die Be⸗ 
fugnis, Verlängerung der Schutzfriſt zu verlangen 
nicht bezeichnet werden können, dennoch iſt ſie etwas 
aͤhnliches. Sie liegt im Muſterrecht und wird von 
der Pfändung mit erfaßt. Sie iſt, wenn das Recht 
zum Muſterregiſter angemeldet und das Recht hier⸗ 
mit Vermögensſtück geworden, dem Verkehre über: 
geben iſt, nicht mehr perſönliches Recht des Urhebers 
oder ſeines Rechtsnachfolgers. Wie der Pfandgläu: 
biger einer Forderung zur Erhaltung ſeines Pfand⸗ 
rechts tätig werden und manche auf die Forderung 
bezügliche Rechte ausüben kann (3. B. Wechſel pro⸗ 
teſtieren, bei Feſtſtellungsintereſſen auf Feſtſtellung 
der Forderung klagen kann), ſo wird hier der 
Pfandglaͤubiger Ausdehnung der Schutzfriſt begehren 
können. Dieſes Ergebnis entſpricht auch allein den 
Bedürfniſſen der Praxis. Es iſt im Intereſſe des 
Gläubigers und ohne Nachteil für den Schuldner. 
Es ginge unter Umſtänden der Pfandgegenſtand 
durch Ablauf der Schutzfriſt verloren, wenn nur 
auf Grund Vereinbarung mit dem Inhaber des 


) Siehe Gaupp⸗Stein, Komm. z. ZPO. 10. Aufl. 
§857 Anm. II3; Kohler, Muſterrecht S. 42; Wertheimer, 
Die Zwangsvollſtreckung in gewerbl. Schutzrechte (LZ. 
1908 S. 279, 352 ff.); Lehmann ſiehe Neumanns Jahrb. 
Bd. 7 S. 1154; Jaeger, Komm. z KO. §1 Anm. 10; z. T. 
abweichend Allfeld a. a. O. S. 319 Muft®. 8 3 Anm. 3. 

) Siehe für letzteres Alfeld a. a. O. S. 1168 6 


| Anm. 5 Pat. 


186 


Muſterrechts oder auf Ueberlaſſung des Muſter⸗ 
rechts durch das Gericht im Wege der Befriedigung 
vom Pfandgläubiger die Verlängerung beantragt 
werden konnte.“) 


3. Antrag des Konkursverwalters auf Ver⸗ 
längerung der Schutzfriſt. Hinſichtlich eines in die 
Konkursmaſſe gefallenen Geſchmacksmuſterrechts““) 
wird der Konkursverwalter auf Grund ſeiner Ver⸗ 
waltungs⸗ und Verfügungsbefugnis (KO. 88 6 und 
117) Verlängerung der Schutzfriſt beantragen können. 

4. Antrag des Pfandſchuldners und Rechts⸗ 
inhabers auf Verlängerung der Schutzfriſt. Der 
Schuldner kann auch nach Pfändung ſeines Ge⸗ 
ſchmacksmuſterrechts auf ſeine Koſten den Antrag 
auf Ausdehnung der Schutzfriſt ſtellen, denn das 
Verfügungsverbot erſtreckt ſich nur auf Handlungen, 
die das Recht des Gläubigers beeinträchtigen, nicht 
auf ſolche, die, wie der Verlängerungsantrag, es 
ſtärken und erhalten (Gaupp⸗Stein a. a. O. 8 829 
Anm. VI I). 

5. Verzicht auf das Muſterrecht nach deſſen 
Pfändung. Iſt dem Regiſtergerichte ein Beſchluß 
über Pfändung des Muſterrechts nebſt Nachweis 
über Zuſtellung an den Schuldner mitgeteilt und 
es läuft danach eine Verzichtserklarung bezüglich 
desſelben Muſterrechts zum Vermerk im Regiſter 
ein, dann wird der Antrag abzuweifen ſein, wenn 
nicht nachgewieſen wird, daß die Pfändung nicht 
mehr beſteht. Denn das zur Kenntnis des Regiſter⸗ 
gerichts gelangte ordnungsgemäß erlaſſene Ver⸗ 
fügungsverbot wird das Regiſtergericht zu berück⸗ 
ſichtigen haben. 

6. Vorlage eines Ueberweiſungsbeſchluſſes hin⸗ 
ſichtlich des gepfändeten Muſterrechts. Wäre eine 
Ueberweiſung des Muſterrechts vom Vollſtreckungs⸗ 
gerichte beſchloſſen und es würde dem Regiſtergerichte 
der ſonſt ordnungsgemäß erlaſſene und zugeſtellte 
Ueberweiſungsbeſchluß mit dem Antrag auf Vermerk 
des Rechtsübergangs vorgelegt, ſo wäre der Antrag 
abzuweiſen. 


Ueberweiſung an Zahlungs Statt iſt ausge⸗ 
ſchloſſen, weil das Geſchmacksmuſterrecht keinen 
Nennwert hat. 

Ueberweiſung zur Einziehung, wenn ſie über⸗ 
haupt zuläſſig!“) iſt, bewirkt nicht den Rechtsüber⸗ 
gang. Der Schuldner bleibt Inhaber des A 


% Für das Antragsrecht des Bandgtäubigers 
auch Wertheimer a. a. O., LZ. 1908 S. 353. — Die 
Gebühren und Auslagen wird in dieſem Falle der 
antragjtellende Pfandgläubiger (gemäß analoger An— 
wendung der SS 12 Abſ. 2, 9 Abſ. 6 MuſtG., 8 8 der 
ReichskBek. vom 29. Februar 1876) zu tragen haben. 
Wie weit er Erſatz vom Pfandſchuldner verlangen kann, 
wird ſich nach den Vorſchriften über die Geſchäftsführung 


ohne Auftrag beſtimmen. Auf Grund der SS 857, 829 


3PO. wird ſich eine Verpflichtung des Schuldners 
zum Verlängerungsantrag und zur Gebührenzahlung 
nicht konſtruieren laſſen. 


) Jäger, Komm. z. KO. § 1 Anm. 10. 


t 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


Es iſt daher kein Eintrag in das Muſterregiſter 
zu machen. 

7. Antrag auf Eintragung des Rechtsübergangs 
nach durchgeführler Zwangsvollſtreckung. Das 
Pfandrecht wird nach Gehör des Schuldners (8 844 II 
ZPO.) auf Anordnung des Vollſtreckungsgerichts 
durch Veräußerung des Rechts, in der Regel durch 
Verſteigerung, auch Verkauf aus freier Hand, Ueber⸗ 
laſſung des Rechts zum 5 an den 
Glaͤubiger in Anrechnung auf ſeine Forderung 
verwirklicht. 

In allen dieſen Fallen wird der Erwerber des 
Rechts, wenn er den Rechtsübergang im Regiſter 
vermerkt haben will, ihn durch Vorlage des Pfän⸗ 
dungsbeſchluſſes mit Zuſtellungsnachweis. des Ver: 
ſteigerungs⸗ oder ſonſtigen Veräußerungsprotokolls 
und des Beſchluſſes des Gerichts, welches die Ver⸗ 
aͤußerung anordnet, nachzuweiſen haben.) Ein: 
trag und Bekanntmachung wie oben III 

Alle auf die Pfändung von Nießbrauchsrechten 
oder Lizenzrechten bezüglichen Anmeldungen find 
zurückzuweiſen, da dieſe Rechte ſelbſt nicht ver⸗ 
merkt werden. 


VII. Bei Verpfändung eines Geſchmacks⸗ 
muſterrechts. Das Geſchmacksmuſterrecht unter⸗ 
liegt als übertragbares Vermögensrecht der Ver⸗ 
pfändung (83 MuſtG.; 8 1273 BGB.). Das 
Pfandrecht wird der äußeren Form nach gemäß 
den für die Uebertragung des Rechts geltenden 
Vorſchriften beſtellt (S 1274 BGB.); da nach dem 
MuſtG. keine beſondere Form für die Uebertragung 
vorgeſchrieben iſt, durch formloſen Vertrag ($ 413, 
398 BGB.). 

Mangels geſetzlicher Vorſchrift und weil ſich 
am Inhaber des Muſterrechts nichts ändert, iſt 
die Verpfändung in das Muſterregiſter nicht zu 
vermerken. Wenn dagegen das Recht nach Ver⸗ 
einbarung von Gläubiger und Schuldner veräußert 
iſt oder die Befriedigung aus dem Rechte gemäß 
8 1277 BGB. ſtattgefunden hat, dann kann der 
Erwerber Vermerk des Rechtsübergangs beantragen. 
Der Regiſterrichter hat den Rechtsübergang zu 
prüfen. Zu dieſem Zwecke hat der Antragſteller 
unter Nachweis der Verpfändung den vollſtreckbaren 
Titel, die Anordnung des Gerichts über die Ver⸗ 
wertung des Rechts und die etwa vorhandene Ur⸗ 
kunde über die Verſteigerung oder ſonſtige Ver⸗ 
äußerung vorzulegen. Mangels genügender ur: 
kundlicher Nachweiſe wird der Regiſterrichter hier 
wie bei der Pfaͤndung den Pfandgläubiger, den 
eingetragenen Rechtsinhaber und den Verſteigerer 
uſw. vernehmen. 


7) Bei Verwertung durch den Konkursverwalter 
wird der Konkurseröffnungsbeſchluß und der Vertrag 
zwiſchen dem Konkursverwalter und dem Erwerber des 
Muſterrechts, allenfalls auch die Veräußerung im Wege 


der Zwangsvollſtreckung oder des Pfandverkaufs (8 127 


KO., 


4% Vgl. hierüber Gaupp-Stein, Komm. z. Zü O. 8857 


Anm. VI. Verneinend Wertheimer a. a. O. 


S. 354. | 


ſ. auch VII) nachzuweiſen ſein. Die Konkurs⸗ 
eröffnung ſelbſt wird ſo wenig wie die Pfändung im 
Regiſter vermerkt. 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 187 


Der Rechtsübergang wird bei Antrag in der 
Spalte „Bemerkungen“ eingetragen und bekannt 
gemacht wie oben III. Für Antrag auf Ver⸗ 
längerung der Schutzfriſt gilt das unter VI 2 
Geſagte. 


VIII. Bei Beſchwerde gegen eine Ber: 
fügung des Regiſtergerichts in Geſchmacks⸗ 
muſterſachen iſt nach Prüfung der Zuſtändig⸗ 
keit zu unterſcheiden, ob ſich die Beſchwerde auf 
das Recht ſelbſt oder die zu erhebende Gebühr 
bezieht. Erſterenfalls find für die Beſchwerde 
die Beſtimmungen für das Handelsregiſter ent⸗ 
ſprechend anzuwenden (Bayer. MBek. vom 14. De⸗ 
zember 1899 die Führung des Muſterregiſters betr. 
88; Muft®. 8 9 Abſ. 1). Die Beſchwerde iſt 
die der freiwilligen Gerichtsbarkeit und die einfache 
Beſchwerde, da es ſich hier nicht um Fälle der 
ſofortigen Beſchwerde des FGG. handelt (e. contr. 
98 125—161 FGG., 8 19 GG.). Sie ſteht dem 
abgewieſenen Antragſteller oder deſſen geſetzlichen 
Vertreter gegen alle abweifenden Beſchlüſſe in Ge⸗ 
ſchmacksmuſterangelegenheiten zu ($ 20 JGG.). 
Andere, deren Rechte dadurch verletzt werden, daß 
der Anmeldung ſtattgegeben wird, haben kein Be⸗ 
ſchwerderecht.) Sie werden im Klagewege ver: 
ſuchen müſſen, Schutz ihrer Rechte zu erlangen.“) 

Die Beſchwerde iſt, wenn ihr nicht abgeholfen 
wird, an die Kammer für Handelsſachen des über⸗ 
geordneten Landgerichts zu leiten (§ 30, 125 FGG.; 
99 MuſtG.; 8 8 der Bayer. MBek. vom 14. De: 
zember 1899, die Führung des Muſterregiſters 
betr.). 

Betrifft die Beſchwerde die zu erhebenden Ge⸗ 
bühren, ſo find in Bayern die Beſtimmungen des 
Geb. i. d. F. vom 13. Juli 1910 anzuwenden 
(Bayer. MBek. vom 14. Dezember 1899 8 9 
Abſ. 2). Die erſte Einwendung gegen einen Ge: 
bührenanſatz wird Erinnerung nach Art. 44 GebG. 
ſein. Gegen die gemäß Art. 44 Geb. erlaſſene 
Entſcheidung greift Beſchwerde nach Art. 46, 48 ff. 
GebG. Platz. 


— 


) Wird dem Antrage auf Vermerk der Pfändung, 
der Verpfändung, der Lizenz⸗ oder Nutznießungsrechte, 
eines Rechtsübergangs, der Nichtigkeitserklärung ſtatt⸗ 
gegeben, dann wird auch dem eingetragenen Urheber 
das Beſchwerderecht zuzugeſtehen ſein. 

) Ueber Anfechtungs⸗ und Nichtigkeitsklage ſiehe 
Kohler, Muſterrecht S. 134 ff., S. 127ff.; Allfeld a. a. O., 
97 Anm. 1 Muftd. S. 334, aber ebenda 8 7 Anm. 4, 
ſ. auch oben Anm. 41 und 33. 

Y Erachtet das Beſchwerdegericht die Erforderniſſe 
des Schutzes für erfüllt und wird die abweiſende Ent⸗ 
ſcheidung des Regiſtergerichts auf die Beſchwerde auf: 
gehoben, ſo iſt der Schutz mit der früheren Anmeldung 
eingetreten, ſoweit die zu prüfenden Erforderniſſe der 
Anmeldung und Niederlegung eines Muſters in Be⸗ 
tracht kommen. Trotzdem kann der Schutz in Wirklichkeit 
nicht beſtehen, weil z. B. das Muſter nicht neu oder 
ſchon verbreitet iſt. 


Oeffnung der verſiegelt niedergelegten 
Muſter und Muſterpakete. 


Ohne Antrag hat das Regiſtergericht auf Grund 
Geſetzes (8 9 Abſ. 5 MuſtG.) die verfiegelt nieder⸗ 
gelegten Muſter und die verſiegelt übergebenen 
Muſterpakete zu eröffnen. Hierbei hat der Regiſter⸗ 
richter das Folgende zu beachten: 

1. Iſt der Zeitpunkt zur Eröffnung gekommen,“) 
find drei Jahre nach der Anmeldung oder bei 
kürzerer Schutzfriſt dieſe abgelaufen? Für die Friſt⸗ 
berechnung ſind die 88 187 Abſ. 1, 188 Abſ. 2 
BGB. maßgebend. Die Friſt beginnt mit dem 
Tage, an dem die Anmeldung beim zuſtändigen 
Amtsgerichte ordnungsmäßig einläuft oder zu deſſen 
Protokoll erklärt wird. Dieſer Tag wird bei Be⸗ 
rechnung der Friſt nicht mitgerechnet. Mit Ab⸗ 
lauf des Tages des letzten Monats, der durch 
ſeine Zahl dem Anmeldungstage entſpricht, endigt 
die Friſt. Bei Bruchteilen eines Jahres und 
29. Februar eines Schaltjahres ſiehe auch 8 188 
Abſ. 3 BGB. 

2. Liegt bei Oeffnung auf Grund des 8 11 
Muft®. ein Antrag des eingetragenen Urhebers 
oder Rechtsnachfolgers, des Straf⸗ oder Zivilgerichts, 
der Staatsanwaltſchaft oder eines Schiedsgerichts auf 
Eröffnung des verfiegelten Muſters vor? Antrag 
einer anderen Privatperſon als des eingetragenen 
Urhebers oder feines Rechtsnachfolgers genügt nicht 
und wäre abzuweiſen. 

3. Sind die Siegel des Kuverts oder Pakets 
unverſehrt? (Bayer. JMBek. vom 14. Dezember 
1899, 8 7). 

4. Sind in der Umhüllung die auf ihr an⸗ 
gegebenen und angemeldeten Muſter oder Ab⸗ 
bildungen der Muſter enthalten? Da der Muſter⸗ 
ſchutz durch Anmeldung und Niederlegung der Muſter 
(oder der Abbildung) erworben wird, wird ein im 
Paket enthaltenes Muſter Schutz nicht genießen, 
wenn der Schutz ausdrücklich nur für beſtimmte 
Muſter in der Anmeldung beanſprucht wird und 
dieſes Muſter (ſeiner Beſchreibung oder Nummer 
nach) in der Anmeldung nicht genannt iſt. Es 
fehlt dann an einer geſetzlichen Vorausſetzung des 
Schutzes. 

Wenn nur auf dem Pakete die Geſchäftsnummern 
angegeben ſind, im Pakete aber die einzelnen Muſter 
(oder Abbildungen) keine Nummern tragen, und 
im Pakete eine größere Zahl von Muſtern vor⸗ 
handen iſt, als Nummern auf dem Pakete angegeben 
ſind, dann fragt es ſich, ob ſich Anmeldung und 
Schutz auf ſämtliche im Paket enthaltenen Muſter 
oder nur auf eine Anzahl Muſter (Abbildungen) 
und welche Muſter erſtrecken. Die Entſcheidung, 
ob und wie weit Muſterſchutz in dieſen und ähn⸗ 
lichen Fällen“) entſtand, wird dem Prozeßgerichte 


) Prüfung des Kontrollverzeichniſſes (8 11 der 
ReichskBek. vom 29. Februar 1876, 8 7 der Bayer. 
JMBek. vom 14. Dezember 1899). 

*) Z. B. Unterſchiede zwiſchen den Nummern auf 
dem Paket und auf den Muſtern ſelbſt. 


obliegen. Das Regiftergericht wird nur den Befund 


in dem über die Eröffnung aufzunehmenden Pro⸗ 
tokolle genau feſtzuſtellen haben. Wird aber Ver⸗ 
längerung der Schutzfriſt beanſprucht und der Inhalt 
des gleich danach eröffneten Pakets ſtimmt mit der 
Aufſchrift auf ihm und mit der Anmeldung °°) 
nicht überein, ſo wird der Regiſterrichter zu prüfen 
haben, ob er die Verlängerung einzutragen hat oder 
nicht. Wenn mangels der formellen Vorausſetzungen 
der Anmeldung oder Niederlegung Schutz nicht ent⸗ 
ſtanden iſt, dann wird er den Muſtern nicht durch 
Eintragung der Ausdehnung den Anſchein des 
Schutzes geben dürfen. 

Ift der Gegenſtand des Muſters weſentlich ab: 
weichend von dem verſchloſſen niedergelegten Muſter 
auf dem Paket und in der Anmeldung angegeben, 
ſo wird der Antrag auf Verlängerung abzuweiſen 
ſein, da mangels Anmeldung kein Schutz erlangt 
wurde. 

Handelt es ſich nur um eine unweſentliche Ab⸗ 
weichung in der Bezeichnung des Gegenſtandes, ſo 
wird die Verlängerung unter Aufrechterhaltung 
der bisherigen Eintragung eingeſchrieben werden 
können. 

Stimmen die Fabrik- oder Geſchäftsnummern 
in der Anmeldung und auf den hinterlegten Muſtern 
nicht, wohl aber die Bezeichnung des Gegenſtandes 
mit den niedergelegten Muſtern (Abbildungen) über: 
ein, ſo daß die Gleichheit des Gegenſtandes feſtſteht, 
für den der Muſterſchutz begehrt wird, dann wird der 
Verlängerungsantrag zugelaſſen werden können.“) 

Enthält das Paket außer den angemeldeten 
und auf dem Paket angegebenen weitere jelbftändige 
Muſter oder ſind auf dem Paket und in der An⸗ 
meldung Muſter angegeben, die im Pakete nicht 
enthalten find, ſo iſt der Antrag auf Ausdehnung 
der Schutzfriſt für die weiteren oder die nicht ent⸗ 
haltenen Muſter abzulehnen, weil Schutz mangels 
einer geſetzlichen Vorausſetzung nicht erlangt war.“)“ 


ss), Stimmt die Aufſchrift des Pakets nicht mit der 
Anmeldung überein, dann wird der Richter die Be⸗ 
richtigung der Aufſchrift oder Anmeldung ſofort bei der 
Anmeldung veranlaſſen. 

4) Ob die Anmeldung und Niederlegung noch 
neuerlich erfolgen kann, wenn Schutz begehrt wird, 
wird davon abhängen, ob die übrigen geſetzlichen 
Vorausſetzungen für eine Neuanmeldung nach Angabe 
des Antragſtellers noch gegeben ſind. 

5) Gemäß 8 10 Abſ. 4 MuſtG. und 8 7 der 
ReichskBek. vom 29. Februar 1876 ift die Angabe der 
Fabrik- oder Geſchäftsnummer zwar Erfordernis der 
Anmeldung. Wenn aber eine Fabriknummer angegeben 
und nur in der Bezeichnung geirrt iſt, ſo wird das 
Regiſtergericht keinen genügenden Anlaß zur Abweiſung 
haben, wenn ſonſt das Muſter deutlich und richtig be— 
ſchrieben iſt. 

de) S. Bayer. MBek. vom 23. März 1900, die Be⸗ 
rechnung von Gebühren für die Eintragung und Nieder— 
legung von Muſtern und Modellen nach dem Geſetze 
vom 11. Januar 1876 betr. (IM Bl. 1900 S. 613), 
welche beſtimmt: „Für die Gebührenberechnung in 
denjenigen Fällen, in denen bei Niederlegung vers 
ſiegelter Pakete von vornherein ein Schutz über 3 Jahre 
hinaus in Anſpruch genommen wird, ſind zunächſt die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


! 
4 
! 
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War die Anmeldung fo gefaßt, daß der Schutz 
für ſämtliche im Paket enthaltene Muſter gefordert 
und die Zahl der Muſter und deren Nummern 
aus der Aufſchrift des Pakets nicht erſichtlich war, 
ſo war ſchon die Anmeldung abzuweiſen, weil 8 9 
Abſ. 4 MuſtGG. und 8 7 Abſ. 2 der ReichskBek. 
vom 29. Februar 1876 nicht beobachtet waren. 

Iſt in dieſem Falle trotzdem die Anmeldung 
und Niederlegung entgegengenommen worden, dann 
wird das Regiſtergericht dem Verlängerungsantrag 
ſtattgeben, wenn auf ihm beſtanden wird, denn 
es iſt immerhin zweifelhaft, ob der Schutz nicht 
doch entſtanden iſt. Jedenfalls liegt eine ſich auf 
alle Muſter beziehende Anmeldung, Niederlegung 
und Entgegennahme durch das Gericht vor. Es 
kann hier dem Prozeßgerichte die Entſcheidung 
überlaſſen werden, ob die mangelnde Zahl: und 
Nummernangabe die Entſtehung des Schutzes hin⸗ 
derte. Das Regiſtergericht wird hier den Ver⸗ 
längerungsantrag nicht abweiſen, ſelbſt wenn mehr 
als 50 Muſter in dem geöffneten Pakete enthalten 
waren, ſondern nur die Gebühr für die über 
50 vorgefundenen Muſter einfordern.) Kommen 
bei Eröffnung der verfiegelt hinterlegten Muſter 
oder Muſterpakete Muſter, Modelle oder Abbil⸗ 
dungen von ſolchen zum Vorſchein, welche Geſetz⸗, 
Sitten⸗ oder Rechtswidrigkeiten enthalten, dann 
iſt ein hierauf bezüglicher Antrag auf Schutzfriſt⸗ 
verlängerung aus dem oben 1 5 aufgeführten Grunde 
abzuweiſen. 

Das Regiſtergericht wird richtig und zweck⸗ 
mäßig verfahren, wenn es über die Zuläſſigkeit des 
Antrags auf Ausdehnung der Schutzfriſt erſt nach 
der Eröffnung entſcheidet, die ja faſt durchweg 
alsbald nach einem Verlängerungsantrag zu ge: 
ſchehen hat. 


Kleine Nitteilungen. 


Haftung für unrichtige Angaben im Handelsteil 
der Tageszeitungen. Im Handelsteil einer Tageszeitung 
war eine Notiz erſchienen, daß in der Verwaltung einer 
Aktiengeſellſchaft ſtarke Streitigkeiten zutage getreten 
ſeien, die zu Beſchuldigungen ſtrafrechtlicher Art und 
zu mehreren Prozeſſen geführt hätten; damit ſtehe im 
Zuſammenhang, daß ſich die demnächſt ſtattfindende 
Generalverſammlung mit der Abberufung eines Auf⸗ 
ſichtsratsmitgliedes zu befaſſen haben werde. Die Di⸗ 
rektion der Aktiengeſellſchaft ſandte ſofort eine Berich⸗ 


Angaben des Hinterlegers über die Zahl der in den 
Paketen befindlichen Muſter zugrunde zu legen. Ergibt 
es ſich bei der Oeffnung der Pakete, daß die Zahl der 
im Pakete befindlichen Muſter zu niedrig angegeben 
worden war, ſo wird derjenige Betrag, der an Gebühr 
zu wenig entrichtet war, nachträglich eingefordert.“ 
Hieraus folgt nicht, daß Schutz erlangt war, denn 
die Gebühr wird für die mit der Eintragung, Nieder⸗ 
legung und Aufbewahrung verbundene 8 
erhoben (Motive zu § 11 Muft®.; Sten. Ber. 1875 / 7 
Bd. 3 S. 79). 


tigung ein; dieſe wurde in einer der nächſten Nummern 


veröffentlicht, aber mit dem Zuſatze, daß der Gewährs⸗ 
mann der Zeitung ſeine Mitteilungen in vollem Um⸗ 
fang aufrecht erhalte. Nun erhob die Aktiengeſellſchaft 
Klage gegen den Verlag der Zeitung und beantragte, 
dieſen zu verurteilen: 1. die weitere Verbreitung der 
Notiz zu unterlaſſen; 2. in einer Reihe von Zeitungen 
durch Inſerat bekannt zu geben, daß die Notiz in jeder 
Beziehung unrichtig ſei: 3. einen Schadenserſatz von 
100 000 MH zu zahlen. In zwei Inſtanzen wurde die 
Klage abgewieſen; das Reichsgericht verwies aber die 
Sache zur neuen Verhandlung zurück.) Das Beru⸗ 
fungsgericht hatte den erſten Antrag der Klage des⸗ 
halb für unbegründet erachtet, weil keine Tatſachen 
behauptet waren, aus denen ſich entnehmen ließ, daß 
eine Gefahr der Wiederholung der Notiz beftand; in 
dieſer Hinſicht trat ihm das Reichsgericht bei. Zu den 
beiden weiteren Anträgen hatte das Berufungsgericht 
ausgeführt, daß die Veröffentlichung der Notiz wohl 
geeignet war, den Kredit der Aktiengeſellſchaſt zu ge⸗ 
fährden und Nachteile für ihrer Erwerb bherbeizu⸗ 
führen, ſomit auch einen Anſpruch auf Schadenserſatz 
zu begründen, daß aber die Redaktion des Handels⸗ 
teils ein berechtigtes Intereſſe daran gehabt habe, auf 
Vorgänge und Verhältniſſe innerhalb der Aktiengeſell⸗ 
ſchaft hinzuweiſen, die für die Beurteilung ihrer Ge⸗ 
ſchäftslage und die Bewertung ihrer Aktien von Wichtig⸗ 
keit waren; der Handelsteil einer Zeitung von der 
Bedeutung der hier in Rede ſtehenden gehöre zu der 
Fachpreſſe und dieſer ſei die Befugnis einzuräumen, 
auf ihrem Gebiete aufklärend und belehrend zu wirken. 
Dieſe Ausführungen erklärte das Reichsgericht für 
unrichtig. Wohl alle größeren Tageszeitungen haben 
einen Handelsteil, in welchem Vorgänge des Erwerbs⸗ 
lebens beſprochen werden, die für den Leſerkreis von 
Intereſſe ſein können; der Redakteur dieſes Teils ſteht 
aber zu den Abonnenten in keiner anderen Beziehung 
als der Redakteur des muſikaliſchen und literariſchen 
Teils. Die politiſche Tageszeitung wendet ſich nicht 
an einzelne Fachkreiſe, ſondern an das Publikum als 
ſolches; ſie will deſſen Intereſſen dienen und darum 
möglichſt alle Gebiete berühren, die für irgendwelche 
Kreiſe von Bedeutung ſein können. Im beſonderen 
Maße gilt das für den Handelsteil, der bei der heu⸗ 
tigen Geſtaltung der wirtſchaftlichen Verhältniſſe für 
ſehr viele Leſer von der erheblichſten Bedeutung iſt 
und nicht allein die mit dem Handel beruflich befaßten 
Perſonen intereſſiert. Die Veröffentlichungen dieſes 
Teiles werden darum von vielen Perſonen geleſen, 
denen alle ſachlichen Vorkenntniſſe fehlen; dadurch 
unterſcheidet er ſich weſentlich von den Fachblättern, 
die ſolche Vorkenntniſſe vorausſetzen, die ſich demnach 
nur an beſtimmte Kreiſe wenden und zu dieſen in eine 
beſondere Beziehung treten. Daß die Leſer der Zeitung 
ein Intereſſe daran haben mögen, über Vorgänge auf 
wirtſchaftlichem Gebiete unterrichtet zu werden, reicht 
nicht hin, um eine beſondere Beziehung zu dem be⸗ 
ſprochenen Vorgange herzuſtellen, die dieſes Intereſſe 
zu einem berechtigten im Sinne des Geſetzes gemacht 
und damit die Schadenserſatzpflicht für die durch die 
Veröffentlichung der Notiz entſtandenen Nachteile aus⸗ 
geſchloſſen hätte (BGB. 8 824 Abſ. 2). Sonach war 
die Haftung des Verlags begründet, wenn ein Ver⸗ 
ſchulden nachgewieſen wurde. Feſtgeſtellt war, daß 


a Zivilſenat, 11. Dezember 1913 (JW. 1914 


S. 


— —ꝗ—ͤ— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 189 


—ññññññ —22᷑Z24 — . — — —— — — 


weder der Gewährsmann, noch der Redakteur des 
Handelteils, noch endlich der Geſchäftsführer des Ver⸗ 
lags die Unwahrheit der Notiz kannte, hinſichtlich des 
Geſchäftsführers außerdem, daß er auch gar nicht mit 
der Möglichkeit einer Unrichtigkeit rechnen konnte. Die 
Klage war auch damit begründet worden, daß für den 
Handelsteil eine beſondere Kontrolle hätte eingerichtet 
werden müſſen, um die Aufnahme von falſchen Nach⸗ 
richten zu verhindern. Hiezu erklärte das Reichsgericht, 
daß das eine Ueberſpannung der an die Verleger zu 
ſtellenden Anforderungen bedeuten würde, daß dieſe 
vielmehr nur zur Beſtellung eines geeigneten Redak⸗ 
teurs verpflichtet ſind. Die Aktiengeſellſchaft hatte be⸗ 
ſtritten, daß der Redakteur des Handelsteil als geeignet 
anerkannt werden könne und hatte dafür Beweis an⸗ 
geboten, daß der Geſchäftsſührer des Verlags ſelbſt 
aus ſolchen Gründen die Entlaſſung des Redakteurs 
beabſichtigt gehabt habe. Wenn das zutraf, war bei 
der Beſtellung des Redakteurs oder bei ſeiner Belaſſung 
in ſeiner Stellung nicht mit der im Verkehr erforder⸗ 
lichen Sorgfalt verfahren worden und der Ver⸗ 
lag haftete für den Schaden, den der Redakteur in 
der Ausübung feiner Redaktionstätigkeit vorſätzlich oder 
fahrläſſig einem anderen zufügte. Ein ſolches Verſchulden 
des Redakteurs war von der Klage namentlich darin 
gefunden worden, daß er die Berichtigung erſt 
verſpätet veröffentlichte und daran die Bemerkung 
knüpfte, der Gewährsmann halte ſeine Mitteilung auf⸗ 
recht. Das Reichsgericht erklärte hiezu, daß die Be⸗ 
richtigung nach dem Preßgeſetz in der nächſten zum 
Druck noch nicht abgeſchloſſenen Nummer hätte ver⸗ 
öffentlicht werden müſſen und daß eine Verzögerung 
auch nicht durch Ermittlungen über die Richtigkeit der 
Notiz entſchuldigt worden wäre. Der Zuſatz, daß der 
Gewährsmann ſeine Mitteilung aufrecht erhalte, kam 
einer Wiederholung dieſer Mitteilung gleich; er war 
noch nicht durch die Tatſache gerechtfertigt, daß der 
Gewährsmann eine ſolche Erklärung abgab, zumal 
wenn der Gewährsmann nicht als zuverläſſig galt, 
wie in der Klage behauptet war. 

Mit völliger Klarheit läßt ſich der Sachverhalt 
aus dieſer Begründung des Urteils nicht entnehmen: 
es geht aus ihr insbeſondere nicht hervor, um welche 
Zeitung es ſich handelt. Das iſt nicht gleichgültig; 
das Reichsgericht deutet ſelbſt an, daß unter Umſtänden 
der Handelsteil einer Zeitung wegen der Bedeutung 
ſeines Inhalts und deſſen formeller Geſtaltung zu einem 
wahren Fachblatt werden kann. Der Angelpunkt der 
Meinungsverſchiedenheiten iſt aber hier, wie in vielen 
anderen, die Verhältniſſe der Preſſe berührenden Ur⸗ 
teilen die Abgrenzung des Begriffs der berechtigten 
Intereſſen. Die beiden Vorinſtanzen hatten ihn 
weiter gefaßt als das Reichsgericht, ein Vorgang, der 
ſich ſchon mehrfach wiederholt hat. Nur Schritt für 
Schritt hat das Reichsgericht eine allmähliche Aus⸗ 
dehnung dieſes Begriffes zugeſtanden; eine Reihe von 
Urteilen der Untergerichte, die weniger ängſtlich vor⸗ 
gingen, verfielen vorher der Aufhebung. Es braucht 
nur daran erinnert zu werden, wie lang es dauerte, 
bis das Recht der Tagespreſſe, öffentliche Angelegen⸗ 
heiten zu beſprechen, unter dieſem Geſichtspunkt an⸗ 
erkannt wurde. Die Entwicklung ſteht im engſten 
Zuſammenhang mit den verſchiedenſten Auffaſſungen 
über die Beziehungen des Einzelnen zur Geſamtheit. 
Legt man das Schwergewicht auf die Intereſſen des 
Einzelnen, ſo wird man die Befugnis der Preſſe ſehr 
eng abgrenzen, ungeſtraft Dinge zu behaupten, die 


1% 


dieſen Intereſſen zuwiderlaufen; betont man dagegen 
mehr die Intereſſen der Geſamtheit und ſieht die Preſſe 
als im Dienſte der Geſamtheit ſtehend an, ſo kommt 
man zu anderen Ergebniſſen. Das Reichsgericht wird 
wohl nochmal Gelegenheit erhalten, zu der Frage Stel⸗ 
lung zu nehmen, denn das Urteil, das nun auf Grund der 
neuen Verhandlung ergeht, wird vorausſichtlich wieder 
angefochten werden, zumal da das Reichsgericht in ſeinem 
jetzigen Urteil manche Fragen ausdrücklich offen gelaſſen 
hat. In einem Urteil vom 2. Januar 1905 hat der 
gleiche Senat die Abweiſung einer Klage gebilligt, die 
darauf geſtützt war, daß in einem Konverſationslexikon 
vor Geheimmitteln gewarnt und unter den als minder⸗ 
wertig bezeichneten Mittel auch ein vielverbreitetes 
Haarwaſſer angeführt worden war, und das damit 
begründet, es ſei das gute Recht eines literariſchen 
Unternehmens, das ſich die große und verdienſtliche 
Aufgabe ſtelle, auf allen Gebieten des menſchlichen 
Wiſſens eine der allgemeinen Durchſchnittsbildung zu⸗ 
gängliche und entſprechende Unterweiſung zu geben, 
auch auf dem Gebiete des Geheimmittelweſens auf⸗ 
klärend und belehrend einzugreifen.“) Auf dieſes Urteil 
hatte ſich der beklagte Verlag auch im vorliegenden 
Falle berufen: das Reichsgericht bemerkte aber, daß 
mit einem ſolchen wiſſenſchaftlichen Unternehmen ſich 
der Handelsteil einer Zeitung nicht vergleichen laſſe, 
noch viel weniger die hier in Betracht kommende, nicht 
wiſſenſchaftliche, ſondern rein tatſächliche Notiz. 
Amtsgerichtsrat Riß in München. 


Aus der Lechtſprechung. 
Reichsgericht. 
A. Regiſterſachen. 


„Findet gegen die Ablehnung der Eintragung eines 
wirtſchaftlichen Vereins die ſoſertige den Vorſchriften 
der ZBO: folgende Beſchwerde nach 4 60 Abſ. 2 588. 
oder die einfache und unbefriſtete Beſchwerde aus 9 19 
366. ſtatt? Sind die 33 28 und 199 F686. hieran 
anwendbar? Der Vorſtand des Sparvereins R. meldete 
den Verein zur Eintragung an. Das AG. wies die 
Anmeldung zurück, weil der Hauptzweck auf einen wirt⸗ 
ſchaftlichen Geſchäftsbetrieb gerichtet und deshalb die 
Eintragung nach SS 21, 22 BGB. ausgeſchloſſen ſei. 
Die ſofortige Beſchwerde wurde als unbegründet zurück— 
gewieſen. Gegen dieſen Beſchluß legte der Verein weitere 
Beſchwerde ein. Das Ob G. hat fie gemäß § 28 Abſ. 2 
FGG. dem Reichsgerichte vorgelegt. Dieſes verwarf 
das Rechtsmittel als unzuläſſig. 

Gründe: Das Obe G. möchte die weitere Be: 
ſchwerde für zuläſſig und begründet erachten. Es iſt 
der Anſicht, daß in den Fällen, in denen die Anmeldung 


Zeuſchriſt für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


eines Vereins wegen des wirtſchaftlichen Zweckes zurück⸗ 


gewieſen wird, nicht die ſofortige, den Vorſchriften der 
ZPO. folgende Beſchwerde aus 8 60 Abſ. 2 BGB., 
ſondern die einfache unbefriſtete Beſchwerde aus 8 19 
FGG. gegeben fei. Es ſieht ſich aber an einer Entſcheidung 
in dieſem Sinne gehindert, weil das Reichsgericht ent— 


ſchieden hat, daß § 60 Abſ. 2 BGB. auch Platz greife, | 


wenn die Anmeldung eines Vereins aus dem hier in 
Frage kommenden Grunde zurückgewieſen wird (RG3. 
47 S. 386, Jur W. 1803 Beil. S. 113 Nr. 248). Das 
Ob. verkennt nicht das Gewicht der für die Anficht 


) Siehe dieſe Zeitſchrift Jahrg. 1905 S. 129. 


des Reichsgerichts ſprechenden Gründe, dem die über: 
wiegende Zahl der Rechtslehrer, das Kammergericht 
Jahrb. 20 S. A 8, 26 S. A 3, 27 S. A 237, 39 S. A 144, 
4 S. A 163) und bisher auch das Obs. ſelbſt (vgl. 
Samml. 11 S. 729) gefolgt ſind. Andererſeits erwägt 
es, daß durch die ausgedehnte Anwendung des 5 
Abſ. 2 BGB. und damit des 8 568 Abſ. 2 ZPO. für 
das Vereinsrecht das im Gebiete der freiw. Gerichtsb. 
beſtehende Beſchwerderecht geſchmälert und die durch 
die Vorſchrift in 8 28 Abſ. 2 JG. angeſtrebte Ein⸗ 
heitlichkeit der Rechtſprechung gefährdet werde. Dieſem 
Ergebniſſe gegenüber ſchließt ſich das Obs. der Auf⸗ 
faſſung an, die in dem Beſchluſſe des OS. Dresden 
vom 3. Juni 1903 (38 lG. 5 S. 760) niedergelegt, 
vom Reichsgericht aber mißbilligt iſt. Es hält dafür, 
daß dieſer Auffaſſung bei dem am Zuſammenhang 
zwiſchen 8 60 Abſ. 2 BGB. und 8 60 Abſ. 1 ſowie den 
dort angeführten 88 56—59 geſetzliche Bedenken kaum 
entgegenſtänden und findet ebenſowenig in der Ent⸗ 
Nebungsgefäichte einen Anhalt für die Annahme, daß 
er Geſetzgeber in 8 60 auch die Zurückweiſung der 
Anmeldung wegen des wirtſchaftlichen Zweckes des 
Vereins habe miteinbeziehen wollen. 

Ueberwiegende Gründe ſprechen für die Beibehaltung 
der reichsgerichtlichen Auffaſſung. Neben der Zwie⸗ 
ſpältigkeit des Rechtsmittels, die ſich ergeben würde, 
wenn je nach dem Grunde der Zurückweiſung die ſo⸗ 
fortige Beſchwerde nach der ZPO. oder die einfache 
unbefriſtete Beſchwerde nach dem FGG. gegeben wäre, 
kommt in Betracht, daß kein durchſchlagender Grund 
erſichtlich iſt, der den Geſetzgeber beim Erlaſſe des B88. 
beſtimmt haben könnte, die Fälle der Zurückweiſung 
wegen une der Erforderniſſe der 88 56—59 und 
wegen eines Mangels der hier in Rede ſtehenden Art 
verſchieden zu ordnen. Im Gegenteil. In der Kom⸗ 
miſſion für die 2. Leſung des Entwurfs des BGB. war 
ein Antrag geſtellt worden, der die jetzt in 8 73 Abſ. 1 
Satz 2 und 3 ſowie in 8 73 Abſ. 2 BB. enthaltenen 
Vorſchriften des damaligen 8 57 ſtreichen und in Ver⸗ 
bindung mit den Beſtimmungen über die Anfechtung 
der ein Eintragungsgeſuch zurückweiſenden Beſchlüſſe erſt 
in dem FGG. treffen wollte (vgl. Prot. Bd.] S. 570/71). 
Die Mehrheit hielt es jedoch für erforderlich, die in 
den Entwurf aufgenommenen Beſtimmungen „wenig⸗ 
ſtens vorerſt“ darin zu belaſſen, und ſpäter wurde 
auch dem damaligen 8 54 die jetzt in 8 60 Abſ. 2 BGB. 
enthaltene Vorſchrift beigefügt (vgl. Prot. Bd. VI S. 117). 
Es iſt nahezu ausgeſchloſſen, daß die Kommiſſion zwar 
Wert darauf gelegt hätte, bei Zurückweiſung einer An⸗ 
meldung wegen Fehlens der Erforderniſſe der SS 56 
bis 59 ein Rechtsmittel zu gewähren und die Art der 
Anfechtung zu klären, daß fie aber für die weit wichtigeren 
Fälle einer Zurückweiſung wegen des wirtſchaftlichen 
Zweckes des Vereins alles dem ungewiſſen Schickſale 
des zu jener Zeit noch nicht ausgearbeiteten FG. hätte 
überlaffen wollen. Nach der damaligen Lage ſollte ſich 
vielmehr die im jetzigen 8 60 getroffene Regelung ſicher 
auf alle Fälle der Zurückweiſung erſtrecken. Bei dieſer 
„wenigſtens vorerſt“ getroffenen Regelung iſt es dann 
geblieben. Dabei war man ſich bewußt, daß das A. 
eine Anmeldung nicht bloß zurückweiſen kann, wenn 
den Erforderniſſen der jetzigen 88 56—59 nicht genügt 
iſt, ſondern auch aus anderen Gründen und insbefondere 
dann, wenn der Zweck des Vereins auf einen wirt⸗ 
ſchaftlichen Geſchäftsbetrieb gerichtet iſt. Auch das FG. 
hat es bei der Vorſchrift im 8 60 BGB. belaſſen. In 
der Denkſchrift zu dem Entw. zu dieſem Geſetze iſt zu 
dem Abſchnitt über die Vereinsſachen ausdrücklich be> 
merkt, für einzelne Fälle habe bereits das BGB. (SS 60,73) 
das Beſchwerdeverfahren durch Verweiſung auf die 
Vorſchriften der ZPO. geregelt, dieſe Beſtimmungen 
würden ſelbſtverſtändlich durch die allgemeinen Be⸗ 
ſtimmungen über das Beſchwerdeverfahren in den SS 18 
bis 27 des Entw. nicht berührt. 

Das Obe G. hat die weitere Beſchwerde dem Keichs⸗ 


41⁰1⁰2 


ericht auf rund des 8 28 Abſ. 2 J. ern 
indet aber auf dieſe Beſchwerde 8 60 Abſ. 2 BB. 
nwendung und folgt ſie deshalb den Vorſchriften der 
3PO., fo fragt ſich, ob das Reichsgericht zu einer Ent⸗ 
ſcheidung überhaupt zuſtändig iſt. Auf dieſe Frage 
iſt es in ſeinen früheren Beſchlüſſen nicht eingegangen. 
Sie iſt in der Rechtslehre ſtreitig. Das Kammergericht 
und bisher auch das Obs. Haben fie ſtets bejaht. 
Das Obs. äußert jetzt aber Bedenken. Es meint, 
die SS 28, 199 J. hätten nur die weitere Beſchwerde 
des FG. im Auge, und verweiſt auf die ſoeben mit⸗ 
geteilte Bemerkung in der dem Entwurfe zu ha 
Geſetze beigegebenen Denkſchrift. Dieſe Bedenken find 
nicht durchſchlagend. Die Anſicht, daß die 88 28, 199 
GG. auch in den Fällen der 88 60, 73 BGB. gelten, 
at das Kammergericht eingehend begründet. Der Be⸗ 
gründung mag nicht in allen Einzelheiten beizupflichten 
ſein, im Ergebniſſe muß ihr aber zugeſtimmt werden. 
Ueberwiegende Gründe ſprechen dafür, daß das FG. 
die 88 28, 199 auf alle weiteren Beſchwerden in der 
freiw. Gerichtsb. angewandt wiſſen will, auch auf die 
nach den 88 60, 73 BGB. den Vorſchriften der ZPO. 
folgenden. Auffallend ift allerdings, daß die erwähnte 
Stelle in der Denkſchrift zum Entw. des F686. unter 
den allgemeinen Beſtimmungen über das Beſchwerde⸗ 
verfahren, durch die für die Fälle der 88 60, 73 BGB. 
die durch Verweiſung auf die ZPO. gegebenen beſonderen 
Vorſchriften „ſelbſtverſtändlich“ nicht berührt würden, 
auch den dem jetzigen 8 28 JGG. entſprechenden 8 27 
des Entw. nennt. Entſcheidende Bedeutung kann dem 
indeſſen nicht beigemeſſen werden. Die Bemerkung in 
der Denkſchrift hat im Geſetze ſelbſt keinen Ausdruck 
gefunden und kann deshalb nicht ohne weiteres im 
einzelnen maßgebend fein. Sind aber die 588 28, 199 
JG. auch in den Fällen der 88 60, 73 BGB. anwendbar, 
ſo kann die Entſcheidung des Reichsgerichts nur auf 
Berwerfung der weiteren Beſchwerde lauten. Sie iſt 
unzuläſſig, weil ſie nicht innerhalb der geſetzlichen Friſt 
eingelegt iſt (8 577 Abſ. 2 ZPO.) und weil die land⸗ 
gerichtliche Entſcheidung keinen neuen ſelbſtändigen 
Beſchwerdegrund enthält 6 568 Abſ. 2 ZPO.). (Beſchl. 
d. IV. 38S. v. 14. Februar 1914, IV B 6/1913). 
3325 


B. Zivilſachen. 
L 


Anwendungsgebiet des 3 427 BGB. Aus den 
Gründen: Zu beanſtanden iſt die Anwendung des 
8 427 BOB. auf den Fall einer auf nichtigen Verträgen 
beruhenden Bereicherung. Wenn ſich Mehrere durch 
Vertrag gemeinſchaftlich zu einer teilbaren Leiſtung 
verpflichten, ſo haften ſie gemäß 8 427 im Zweifel als 
Geſamtſchuldner. Dieſer Fall kann hinſichtlich der 
Herausgabe einer grundlos empfangenen Leiſtung vor⸗ 
liegen, wenn die Herausgabe⸗ oder Rückgabe⸗Verpflich⸗ 
tung auf einer ausdrücklichen oder ſtillſchweigenden 
Vertragsbeſtimmung beruht. Aber in Fällen, wo es 
zu einer tatſächlichen Vermögensverſchiebung gekommen 
iſt, ohne daß in irgendeinem Zeitpunkt eine Vertrags⸗ 
pflicht beſtand, kann 8 427 für den Bereich der 88 812ff. 
nicht angewendet werden (vgl. JW. 1909 S. 274 Nr. 8). 
(Urt. des IV. 35. vom 2. Februar 1914, IV 521/13). 

3318 


— — — n. 


II. 


Borausſetzungen des Anſpruchs auf den Notweg. 
Aus den Gründen: Der Haupteinwand des Klägers 
gegen die Einräumung der Notwege iſt der, daß das 
Bedürfnis nach dem Wege erſt durch eine Aenderung 
der Benutzungsart der Grundſtücke der Beklagten und 
folgeweiſe durch eine willkürliche Handlung der Be— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


191 


klagten hervorgerufen worden ſei. Das BG. hat ihn 
mit Recht verworfen. Im 8 918 Abſ. 1 BGB. iſt der 
Anſpruch auf den Notweg nur ausgeſchloſſen, wenn 
durch eine willkürliche Handlung des Eigentümers die 
frühere Verbindung mit einem öffentlichen Wege auf⸗ 
gehoben wird. Davon iſt hier nicht die Rede, da die 
frühere Verbindung fortbeſteht und nur infolge der 
anderweitigen Benutzung der Grundſtücke unzureichend 
geworden iſt. Inbetreff der Benutzung verlangt 8 917 
BGB. nur eine „ordnungsmäßige“ Benutzung. Damit 
iſt, wie von der Kommiſſion 55 die 2. Leſung (Prot. 
Bd. III S. 1523) unter Ablehnung entgegenſtehender 
Anträge ausdrücklich feſtgeſtellt worden iſt, eine von 
der früheren Benutzungsart abweichende Art der Be⸗ 
nutzung keineswegs ausgeſchloſſen. Freilich ſoll nicht 
jede willkürliche Aenderung des Gebrauchs den An⸗ 
ſpruch begründen, vielmehr „objektiv und nach ver⸗ 
nünftigem Ermeſſen erwogen werden, ob die geplante 
Benutzung den wirtſchaftlichen Bedürfniſſen entſpricht“. 
Das hat aber das BG. getan. Es hat feſtgeſtellt, 
daß die neue Benutzung infolge der 8 rittenen 
Bebauung und der Nähe der Großſtadt, der Natur 
der Grundſtücke und ihrer Lage an einem ſchiffbaren 
Fluſſe nicht nur nicht widerſpricht, ſondern durch die 
neuen Verhältniſſe wirtſchaftlich geradezu geboten 55 
Der Kläger ſelbſt benutze ſeine angrenzenden Grund⸗ 
ſtücke in derſelben Weiſe und habe ſelbſt vorgetragen, 
daß die Örundftüde jetzt einen 100 fachen Ertrag lieferten 
(vgl. Planck Anm. 1, Staudinger Anm. II 2, Biermann 
Anm. 1, Turnau⸗Förſter Anm. J Abſ. 3 zu 8917 BGB.). 
(Urt. des V. 35. vom 21. Februar 1914, V 370/13). 

3320 


———ın. 


III. 


Mitverſchulden des Neiſenden, der fi beim Gehen 
und Stehen während der Eiſenbahnfahrt nicht mit den 
Händen feſthält. Aus den Gründen: Von einem 
mitwirkenden Verſchulden des Klägers kann nach An⸗ 
ſicht des OLG. nicht geſprochen werden: es bezeichnet 
es als eine Ueberſpannung des von den Reiſenden zu 
verlangenden Maßes an Sorgfalt, wollte man fordern, 
daß ſie bei jedem Aufſtehen von ihrem Platze, alſo bei 
jedem Bewegen im Abteil während der Fahrt ſich mit 
den Händen feſthalten, um der Gefahr zu begegnen, 
bei einem Stoße des Wagens hinzuſtürzen. Die Be⸗ 
gründung iſt in dieſer allgemeinen Faſſung bedenklich. 
Wer die Eiſenbahn beſteigt, um darin eine Fahrt zurück⸗ 
zulegen, weiß und hat ſich bewußt zu ſein, daß er in⸗ 
folge der Bewegung des Zuges Erſchütterungen, Rucken 
u. dgl. ausgeſetzt iſt, die beim Aufſtehen, Gehen und 
ſonſtigen Bewegungen im Wagen den Reiſenden ins 
Schwanken und zu Fall bringen und ſo Unfälle ver⸗ 
anlaſſen können. Dem hat der Reiſende Rechnung zu 
tragen, ſich im beſonderen während der Fahrt mit der 
erforderlichen Vorſicht zu bewegen und dabei feſtzu⸗ 
halten, widrigenfalls ihn der Vorwurf des Selbſtver⸗ 
fchuldens i. S. der 88 254, 276 BGB. trifft. Das gilt 
unzweifelhaft ebenſowohl vom Verkehr in den Wagen⸗ 
abteilen wie in den dazu gehörigen Aborten. Indeſſen 
iſt nicht zu verkennen, daß das Maß der Anforderungen 
weſentlich von den Umſtänden des Augenblicks abhängt, 
in dem die Bewegung geſchieht. Hier geht das OLG. 
davon aus, daß der Unfall ſich kurz nach der Abfahrt 
des Zuges ereignet hat, als dieſer mithin noch keine 
erhebliche Geſchwindigkeit angenommen hatte. Der 
Kläger hat beim Herumdrehen, im Begriff den Abort 
zu verlaſſen, den Ruck verſpürt, infolgedeſſen wurde 
er nach vorn und dann zurückgeſchleudert. Das OLG. 
hat für dieſen Augenblick und unter den angeführten 
Umſtänden keine Verletzung der im Verkehr erforder— 
derlichen Sorgfalt darin erblickt, daß ſich der Kläger 
nicht feſtgehalten hat. Das iſt nicht irrig. (Urt. d. 
VI. ZS. vom 29. Januar 1914, VI 584/13). 

3292 


———ı. 


192 


IV. 


Umgehung des Wettbewerböverbstt. Aus den 
Gründen: Das 88. hält nicht nur für erwieſen, 
daß S. ſeine Mittel dazu verwandte, daß von ſeinem 
Bruder eine Fabrik errichtet wurde, die der Beklagten 
Konkurrenz machte. Es nimmt auch an, er habe in 
der verſchiedenſten Weiſe bei dem Betriebe dieſer 
Konkurrenzfabrik mitgewirkt derart, daß ſein 
Verhalten als eine der Berfehrsfitte widerſprechende 
Umgehung ſeiner Vertragspflicht darſtellte. Nach 
der e des BG. hat er feine Vorräte und 
zur Herſtellung von Fliegenfängern dienenden Ein» 
richtungsgegenſtände ſeinem Bruder überlaſſen. Er 
hat veranlaßt, daß ſeine mit der Herſtellung vertraute 
Schwägerin in die Dienſte des auf den Namen ſeines 
Bruders geführten Unternehmens trat. Er war ſelbſt 
häufig in der Fabrik anweſend, hat ſich dort haupt⸗ 
ſächlich mit dem Verſand der Waren, aber auch mit 
Abſte uns von Mängeln, alfo mit der Fabrikation 
befaßt. Er hat nach Ablauf der Geltung des Wett⸗ 
bewerbsverbots die Fabrik wieder auf ſeinen Namen 
geführt, ſeinem Bruder Hauptbeſtandteile der Fliegen⸗ 
fänger, nämlich Leim und Teller, geliefert und das 
Alleinvertriebsrecht an den hergeſtellten a 
ausgeübt. Mag auch die eine oder andere dieſer Tat⸗ 
ſachen nicht von entſcheidender Bedeutung ſein, ſo ſtellen 
ſie doch, in Verbindung mit der Hergabe der Geld⸗ 
mittel zum Betriebe des Unternehmens, in ihrer Ge⸗ 
ſamtheit eine Umgehung des vertragsmäßigen Wett⸗ 
bewerbsverbots dar, die nach Treu und Glauben einer 
unmittelbaren Zuwiderhandlung gegen dieſes Verbot 
gleichzuſtellen iſt. (Urt. d. III. ZS. vom 3. Januar 1914, 
III 309/1913). — a — 

32⁵⁵ 
v 


Ausübung öffentlicher Gewalt. Aus den Gründen: 
Das OLG. hat feſtgeſtellt, daß der Schutzmann M. ſich 
bei ſeinem Einſchreiten ſeiner Eigenſchaft als Schutz⸗ 
mann bewußt geweſen iſt und als Beamter gehandelt 
hat. Dies hat es damit begründet, daß M. noch in 
derſelben Nacht auf dienſtlichem Anzeigevordruck 
Strafanzeige gegen den Kläger wegen tätlichen An⸗ 
griffs und Beleidigung dienſtlich erſtattet und darin 
angegeben hat, er habe den Kläger mehrfach aufge⸗ 
fordert weiterzugehen und den Unfug zu unterlaſſen, 
der Kläger ſei geflohen. Es hat weiter angeführt, 
daß M. bei ſeiner Vernehmung ausdrücklich betont 
aan er fei zum Waffengebrauche kraft feines Amtes 

efugt geweſen, da er eine fremde Perſon gegen andere 
habe ſchützen müſſen. Schließlich hat das OLG. darauf 
hingewieſen, daß auch der Polizeipräſident der Staats⸗ 
anwaltſchaft die Auskunft erteilt habe, M. habe in 
Ausübung ſeines Amtes gehandelt, worauf die Staats⸗ 
anwaltſchaft gegen den Kläger Anklage wegen Wider⸗ 
ſtands gegen die Staatsgewalt erhoben habe. Hier⸗ 
nach wollte M., der dienſtfrei war, aber Dienſtkleidung 
mit Mütze trug, in Ausübung feines Amtes als Schuß» 
mann handeln. Es lag ein Anlaß zu amtlichem Hans» 
deln für ihn vor, da er von Frau B. zur Abwehr 
der Beläſtigungen des Klägers um Hilfe angegangen 
war. Sein amtliches Eingreifen iſt auch dadurch in 
die Erſcheinung getreten, daß er der Aufforderung der 
Frau B. entſprechend gegen den Kläger vorgegangen 
iſt und von ſeiner Dienſtwaffe Gebrauch gemacht hat. 
(Urt. des III. 38S. vom 24. Februar 1914, III 491/13). 

3315 — 3 — 

VI. 

Wann hat die Zuſtimmung zum Ehebruch als zurück⸗ 
genommen zu gelten? Aus den Gründen: Das 
BG. geht von der Erwägung aus, daß bei Prüfung 
der Frage, ob ein beſtimmtes Verhalten eines Ehe— 
teils als Zuſtimmung zum Ehebruch des andern Teils 


aufzufaſſen ſei, zu unterſuchen iſt, ob der Zuſtimmende | 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9 


— — — — T En 


ſich das Verhalten des andern Teils zu eigen mache 
in dem Sinne, daß dieſes Verhalten feine eheliche Ge 
ſinnung nicht beeinträchtige und ihm die Ehe nicht 
unerträglich mache. Daraus folgert das BG., daß ums 
gekehrt auch bei Prüfung der Frage, ob die Zuſtim⸗ 
mung zurückgenommen ſei, ausſchlaggebendes Gewicht 
darauf gelegt werden müſſe, wie das mu 

Verhalten auf das eheliche Empfinden des anderen 
Teils wirke. Dem iſt nicht beizupflichten. Die Zu⸗ 
ſtimmung kann wirkſam auch dann zurückgenommen 
werden, wenn dem Zurücknehmenden das ehebrecheriſche 
Treiben des andern Teils innerlich vollſtändig gleich⸗ 
gültig iſt und ihm an ſich die Fortdauer der Ehe nicht 
unerträglich machen würde. Es kommt inſoweit aus⸗ 
ſchließlich auf die Willenskundgebung des Zurückneh⸗ 
menden an, nicht auf feine innere Geſinnung. (Urt. des 
IV. ZS. vom 24. Januar 1914, IV 494/13). 

3319 


VII. 


97390. kann nicht auf perſönliche Dienstbarkeiten 
angewendet werden. Aus den Gründen: Der Ber⸗ 
treter des Beklagten meint, daß die Vorſchrift des 
87 3PO. anzuwenden ſei, wonach bei Streitigkeiten 
über Grunddienſtbarkeiten der Betrag maßgebend fein 
oll, um den die Grunddienſtbarkeit den Wert des 
ienenden Grundſtücks mindert, dann, wenn dieſer Be⸗ 
trag ur iſt, als der Wert, den die Dienſtbarkeit 
für das herrſchende Grundſtück hat. Allein eine Grund⸗ 
dienſtbarkeit kann hier nicht in Frage kommen, weil 
es an einem herrſchenden Grundſtücke fehlt. An dieſem 
Erforderniſſe mag für das gemeine Recht (RZ. 14 
S. 215) nicht immer Ken feſtgehalten fein, und des⸗ 
halb kann dahingeſtellt bleiben, ob für beſonders ge⸗ 
artete Fälle des gemeinen Rechts eine entſprechende 
Anwendung des 87 ſtatthaft erſcheinen kann (RS. 29 
S. 406). Nach dem BGB. (8 1118) find Grunddienſt⸗ 
barkeiten nur ſolche, die dem einen Grundſtücke gegen 
das andere zuſtehen. Den Grundgerechtigkeiten ähn⸗ 
lich ſind die ſog. geſetzlichen Dienſtbarkeiten, und bei 
dieſen iſt eine entſprechende Anwendung des 8 7 un⸗ 
bedenklich (ROZ. 67 S. 81). Hierüber hinaus aber 
die Vorſchrift auch auf perſönliche Dienſtbarkeiten an⸗ 
zuwenden, iſt nicht zuläſſig, da die Vorſchrift des 87 
eine vereinzelte Ausnahmevorſchriſt iſt. (Urt. des V. Z S. 
vom 11. Februar 1914, V 426/13). 

3321 


VIII. 


Unrichtige Zurüdverweilung der Sache an das Land: 
gericht. Aus den Gründen: Das OLE. hat das klag⸗ 
abweiſende Landgerichtsurteil dahin abgeändert: „Der 
Klaganſpruch iſt dem Grunde nach inſoweit gerecht⸗ 
fertigt, als die Klägerinnen den angemeſſenen Preis 
für 4000 kg Dampf für den Arbeitstag fordern. Zur 
weiteren Verhandlung und Entſcheidung über den Be⸗ 
trag wird der Rechtsſtreit an das LG. zurückverwieſen.“ 
Die Reviſion rügt Verletzung der 88 538 Abſ. 1 Nr. 3, 
304 ZPO.: Das OLG. habe Zurückverweiſung an das 
LG. in weiterem Umfange verfügen müſſen. Denn 
zum Verfahren über den Grund gehöre nicht mehr die 
Feſtſtellung der beſtimmten Zahl des Mehrverbrauchs 
an Dampf. Dieſe Feſtſtellung ſei Sache des Betrags⸗ 
verfahrens. Die Rüge iſt abzulehnen. Nach den vom 
RG. in RZ. 56, 187; 59, 427; 61, 411; 73, 65; 77, 
396 und JW. 1905, 215 zu §8 538 ZPO. gegebenen 
Erläuterungen durfte das OLG. die Sache überhaupt 
nicht an das LG. zurückverweiſen. Der Zweck der durch 
Abänderungsgeſetz vom 17. Mai 1898 der Nr. 3 hin⸗ 
zugefügten Worte „oder die Klage abgewieſen iſt“ war 
nur, daß der geſamte Prozeßſtoff in 1. Inſtanz entſchieden, 
alſo für keinen Teil des Prozeßſtoffs die 1. Inſtanz aus⸗ 
geſchaltet werden ſoll. Das LG. hat über Grund und 
Betrag verhandelt und entſchieden, alſo irgend einen 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


193 


—— GGP¹5. . • äut&W—lů 1 — 4 ůͤů3s«—t¹öͤ ð— —xßö«—i3 ͤßö8ß8—ßX—˖& 7—ͤ —ꝛ᷑:! —kj —— 1 — 


Teil des Prozeßſtoffs gerade nicht vorbehalten (RG. 
77, 398), fo daß eine Beſchränkung des OLG. auch einen 
von der 1. Inſtanz vorerſt allein abgeurteilten Teil 
des Prozeßſtoffes (NE. 61, 411 f.) und eine erſtmalige 
Berhandlung und Entſcheidung des BE. über einen 
vorher von ihm noch nicht entſchiedenen Teil nicht 
mehr möglich iſt. Die vom OLG. verfügte Zurück⸗ 
verweiſung der Sache bat zur Folge, daß über den 
Betrag zum zweiten Male in der 1. Inſtanz verhandelt 
und entſchieden wird. Dieſer Irrtum des OLG. ſchließt 
die Revifionsrüge aus: war der Rechtsſtreit überhaupt 
nicht zurückzuverweiſen, ſo kann die Reviſion nicht als 
Geſetzesverletzung rügen, daß der Rechtsſtreit noch in 
weiterem Umfange als geſchehen hätte zurückverwieſen 
werden ſollen. Dem Irrtum kann von Amts wegen 
nicht abgeholfen werden, und die Kläger haben die 
unrichtige Wiederholung des Betragsverfahrens in 
1. Inſtanz nicht Arta Reviſion vielmehr überhaupt 
nicht eingelegt. (Urt. d. III. ZS. vom 3. Februar 1914, 
III 452/13). ö — a — 
3300 


C. Straffaden. 


Serfälſchung von Aufrechunngsbeſcheinigungen nach 
§ 1419 NEO. Wirkung der Rechtskraft von Straf⸗ 
deſcheiden der Berſicherungsämter. Aus den Gründen: 
1. Die Aufrechnungsbeſcheinigungen, die nach 8 1419 
RBO. bei der Zurückgabe von Verſicherungskarten den 
Karteninhabern ausgehändigt werden, find felbſtändige 
öffentliche Urkunden und keineswegs nur „Anhängſel 
der Quittungskarten“. Die Verfälſchung ſolcher Auf⸗ 
rechnungsbeſcheinigungen fällt nicht unter 8 1495 Abf. 2 
RBO. Dieſe Vorſchrift bezieht ſich vielmehr ebenfo 
wie 8 1495 Abſ. 4 ausſchließlich auf die Verfälſchung 
von Quittungskarten. Die Verfälſchung einer ſolchen 
Beſcheinigung kann darum auch dann als Urkunden⸗ 
fälſchung beſtraft werden, wenn ſie nicht in der Abſicht 
begangen worden iſt, dem Täter oder einem anderen 
einen Bermögensvorteil zu verſchaffen oder anderen 
einen Schaden zuzufügen. 

2. Der Beſchwerdeführer meint, daß der Beſcheid 
des Berſicherungsamts, durch den auf Grund des 
8 1495 Abſ. 1 oder 2 eine Geldſtrafe verhängt wird, 
die Eigenſchaft eines Urteils habe, deſſen Vorhanden⸗ 
fein die ſpätere Verurteilung wegen A ee 
durch das Gericht hindere. Das iſt irrig. Eine ſolche 
Eigenſchaft kommt jenem Beſcheide nicht zu. Er ver⸗ 
braucht nicht die Strafklage wegen Urkundenfälſchung. 
Die Akten ergeben übrigens, daß der Angeklagte vom 
Verſicherungsamt nicht wegen der hier in Rede ſtehenden 
Verfälſchung auf Grund des 8 1495 RVO. in Strafe 
genommen worden iſt. Die Strafverfügung iſt gegen 
den Angeklagten auf Grund der 88 1428, 1488 RVO. 
erlaſſen worden, weil er als Arbeitgeber nicht für 
ſeinen Dienſtboten die vorgeſchriebenen Verſicherungs⸗ 
marken verwendet hatte. Die Beſtrafung durch das 
Schwurgericht aber iſt erfolgt, weil der Angeklagte 
fpäterbin die Fälſchung begangen hat, um die Unter⸗ 
laffung zu verdecken. Es kann alſo nicht die Rede 
davon ſein, daß es ſich in beiden Fällen um eine und 
dieſelbe Tat 199 15 hätte. (Urt. d. V. StS. vom 
20. März 1914, VD 1138/13). — — n. 

3333 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


Löſchung einer altrechtlichen Verfügnngsbeſchränkung 
im Grundbuch (Art. 189 EG. BGB.). Im Grundbuch 
ſteht in Abt. 2 folgender Eintrag vom 28. November 1872: 
„Die Beſitzer haben ſich verpflichtet, in dem auf dem 
Bauplatze Pl.⸗Nr. 2 ½ zu errichtenden Gebäude nie 
eine Wirtſchaft zu führen.“ Die Verpflichtung war zu⸗ 


die Beſchränkung des Eigentümers in 


aunſten des Wirtes Wolfgang R. begründet worden. 
Am 6. Auguſt 1913 beantragten die gegenwärtigen 
Eigentümer die Löſchung des Eintrags. R. ſei ge⸗ 
ſtorben und damit ſei die Dienſtbarkeit erloſchen. Dem 
Antrage war eine pfarramtliche Sterbeurkunde bei⸗ 
gefügt. Das GA. lehnte die Löſchung ab: die Be⸗ 
ſchwerde war ohne Erfolg. Das Obs G. wies auch die 
weitere Beſchwerde zurück. 

Gründe: Eintragungen von Verfügungsbeſchrän⸗ 
kungen der hier in Frage ſtehenden Art waren unter 
dem Hypo. nicht ſelten. Die e 
kungen mußten unter den in 88 25, 26 Hyp®. be⸗ 
ſtimmten Rechtsfolgen eingetragen werden 22 
Z. 7 HypG.). Ihre fortdauernde Gültigkeit iſt durch 
Art. 168 EG. BGB. gewährleiſtet. Nach dem gemäß 
Art. 189 &. 8B. hier anzuwendenden Preuß R. konnte 
oppelter Weiſe 
erfolgen, ſowohl zugunſten eines beſtimmten Grund⸗ 
ſtücks (LR. T. I Tit. 21 88 11 und 12) als auch zu⸗ 
gunſten einer beſtimmten Perſon (T. J Tit. 2 88 122 bis 
130 mit T. I Tit. 19 $ 1). Letzteren Falles konnte die 
Beſchränkung entweder nur der Perſon des Erwer⸗ 
bers zuſtehen oder auch als ein veräußerliches und 
vererbliches Recht begründet werden. Ob hier die Ver⸗ 
V einer beſtimmten Perſon oder 
einer beſtimmten Sache zuſtehen ſollte, läßt der Wort⸗ 
laut nicht entnehmen. Die Eintragung iſt aber damit 
nicht unſtatthaft; ihre Bedeutung iſt aus den begrün⸗ 
denden Urkunden, auch aus ſonſtigen Beweismitteln 
zu entnehmen. Die Behauptung der weiteren Beſchwerde, 
daß im Zweifel das Eigentum des Verpflichteten nicht 
weiter beſchränkt werden dürfe als bei ſtrenger Aus⸗ 
legung der Willenserklärung nach deren Wortlaut, 
findet zwar in T. I Tit. 21 § 8 eine ſcheinbare Bes 
gründung, es kommt aber in Betracht, daß hier der 
Wortlaut keineswegs klar iſt, ſondern daß gerade 
Zweifel beſtehen. Obwohl die Annahme naheliegt, daß 
die Beſchränkung nur zugunſten des Wolfgang R. ver⸗ 
einbart wurde, bleibt doch die Möglichkeit, daß ſie zu⸗ 
gunſten eines beſtimmten Grundſtücks zugeſtanden wurde, 
und hiefür ſpricht, daß Wolfgang R. auf dem von ihm 
zur Zeit des Verkaufes innegehabten Hauſe eine Gaſt⸗ 
wirtſchaft betrieb, daß das Wirtſchaftsverbot augen⸗ 
ſcheinlich den Vorteil dieſes Wirtſchaftsbetriebes be⸗ 
zweckte und daß die Käufer ſich verpflichteten, „nie“ 
eine Wirtſchaft zu führen. (Beſchl. des I. JS. vom 
6. Februar 1914, Reg. III 113 / 1913). W. 

3326 


B. Strafſachen. 


e für die formelle Gültigkeit einer erts⸗ 
polizeilichen Vorſchriſt. Was verſteht man unter Ber: 
trieb i. S. des 5 20 Abſ. 2 Fleiſchbs. 7 Nur der Vertrieb 
frifchen Fleiſches darf dem Beſchanzwang innerhalb der 
Gemeinde unterworſen werden; darüber hinausgehende 
ortspolizeiliche Vorſchriſten find ungültig. Der Magi⸗ 
ſtrat der Stadt K. hat auf Grund des § 20 Abſ. 2 
Fleiſchb. und des Art. 74 P StB. eine von der Re⸗ 
gierung für vollziehbar erklärte und in den beiden 
Blättern zu K. veröffentlichte ortspolizeiliche Vorſchrift 
erlaſſen: „8 1. Friſches Fleiſch, welches in den Stadt⸗ 
bezirk eingeführt wird, unterliegt dem Beſchauzwang 
innerhalb der Stadtgemeinde. 8 2. Uebertretungen 
dieſer Vorſchrift werden gemäß Art. 74 PStGB. bes 
ſtraft“. Der Angeklagte, feine Hausfrau und K. ließen 
zur Verwendung in ihrem Haushalt auf gemeinſchaft⸗ 
liche Rechnung und Gefahr friſches, vereinbarungs⸗ 
gemäß vom Angeklagten beſtelltes Fleiſch aus H. kommen, 
verteilten und verwendeten es in dem Haushalte, legten 
den ſie treffenden Betrag nebſt Porto und Auslagen 
zuſammen und ſendeten den Kaufpreis an den Verkäufer 
in H. Die Vorinſtanzen verurteilten den Angeklagten 
wegen Uebertretung der ortspolizeilichen Vorſchrift. Er 
wurde von dem Reviſionsgerichte freigeſprochen. 


194 


Aus den Bründen: Die Vorgerichte haben die 
Beſtätigung des Stadtmagiſtrats K., daß die ortspolizei⸗ 
liche Vorſchrift in den beiden Blättern zu K. verkün⸗ 
det worden iſt, als genügenden Nachweis der Bekannt⸗ 
machung nach Art. 11 Abſ. 1 P StB. erachtet. Dieſe 
Annahme iſt nicht richtig. Wird die ortspol. 
Vorſchrift in der Form des 8 1 Nr. 1 der Minck. vom 
28. Mai 1862, die Form der Verkündigung orts⸗ und 
diſtriktspol. Vorſchriften betr., durch Einrücken in das 
im Gemeindebezirk erſcheinende Lokalamtsblatt bekannt 
gemacht, ſo muß zur Prüfung der formellen Gültigkeit 
der Vorſchrift das Amtsblatt feſtgeſtellt und die Num⸗ 
mer des Amtsblatts vorgelegt werden; erſcheint die 
Bekanntmachung in einer Sonderausgabe als Beilage 
des Hauptblatts, ſo muß im Hauptblatt darauf verwieſen 
werden. (Abſ. 1 der MinE. v. 27. Dezember 1901, Vers 
kündung ortspol. Vorſchr. betr., MA Bl. S. 3; ObsSt. 
Bd. 5 S. 310). Der Nachweis iſt gegebenenfalls von 
Amts wegen zu erholen. Der Senat hat aber keinen 
Anlaß dazu, da auch bei 3 Gültigkeit der ortspol. 
Vorſchrift das angefochtene Urteil nicht aufrecht er⸗ 
halten werden kann. 

Der Senat hat ſich in dem Urteile vom 22. Novem⸗ 
ber 1913 (ſ. dieſe Zeitſchr. 1914 S. 75) damit beſchäftigt, 
unter welchen Vorausſetzungen und in welchem Um⸗ 
fange gegenüber dem Fleiſchbcg. landesgeſetzliche Vor⸗ 
ſchriften über die Fleiſchbeſchau erlaſſen werden können. 
Darnach kann insbeſondere auf Grund des 8 20 Abſ. 1 
keine allgemeine Nachbeſchau des Fleiſches angeordnet 
werden; der 8 20 Abſ. 1 geſtattet nur der Polizeibe⸗ 
hörde, in Einzelfällen die nochmalige Unterſuchung des 
verdächtigen Fleiſches anzuordnen, um ſich Gewißheit 
über die vermuteten Eigenſchaften des Fleiſches zu 
verſchaffen. Dagegen kann in den Fällen des 8 20 
Abſ. 2 und des 8 24 Fleiſchbs. und unter den daſelbſt 
bezeichneten Vorausſetzungen eine allgemeine Anord⸗ 
nung der Nachbeſchau auf dem Wege der Landesgeſetz⸗ 
gebung erlaſſen werden. 8 24 kommt hier nicht in 
Betracht. 

§ 20 Abſ. 2 hat nicht einen ſtrafrechtlichen Inhalt, 
ſondern gibt nur die Ermächtigung, auf Grund Landes⸗ 
rechts innerhalb der vorgezeichneten Grenzen Vor⸗ 
ſchriften zu erlaſſen. Ueberſchreiten dieſe Vorſchriften 
die Grenzen der Befugniſſe, fo find fie teilweiſe oder 
ganz ungültig; daraus ergibt fi, daß die in der 
Polizeivorſchrift enthaltene Bezugnahme auf das Geſetz 
die Gültigkeit nicht ſichern kann, wenn aus ihrem In⸗ 
halte hervorgeht, daß in Wirklichkeit eine durch das 
Ermächtigungsgeſetz nicht zugelaſſene Anordnung ge⸗ 
troffen wird. (Ob LGSt. Bd. 3 S. 115, Bd. 11 S. 99). 
§ 20 Abſ. 2 FleiſchbG. beſchränkt die landesrechtlichen 
Vorſchriften unter gewiſſen dort bezeichneten Voraus⸗ 
ſetzungen insbeſondere auf den Vertrieb friſchen Fleiſches. 

Für den Begriff „Vertrieb“ iſt mangels einer geſetz⸗ 
lichen Begriffsbeſtimmung der allgemeine Sprachge⸗ 
brauch maßgebend. Darnach iſt „Vertrieb“ eine ent⸗ 
geltliche Veräußerung; kein Vertrieb liegt vor, wenn 
der Gegenſtand ohne Entgelt abgegeben oder überhaupt 
nicht veräußert wird. Es ſcheiden daher alle die Fälle 


Heitfehrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


— 4 k§x 
— — . ů —— — 


aus, in denen die Ware z. B. verſchenkt oder im eigenen 


Haushalte, zum Selbſtbedarf, zum eigenen Nutzen vers 
wendet wird. Wer mithin Fleiſch einführt und es nicht 
entgeltlich veräußert, der vertreibt es nicht und kann 
demnach nicht verpflichtet werden, ſolches Fleiſch noch» 
mals beſchauen zu laſſen. Die Grundlage, nach dem 820 
Abſ. 2 FleiſchbG. Vorſchriften zu erlaſſen, bildet Art. 74 
Abſ. 1 PStBB. Der Magiſtrat der Stadt K. hat jedoch 
die ihm geſetzten Schranken überſchritten, indem er 
unterſchiedslos eingeführtes friſches Fleiſch dem Be— 
ſchauzwang unterwirft, ohne Rückſicht darauf, ob es 
zum Vertrieb eingeführt wird oder nicht. Darnach iſt 
die ortspol. Vorſchrift ungültig, da ſie nicht aus ein— 
zelnen, etwa teilweiſe mit dem § 20 Abſ. 2 FleiſchbG. 
zu vereinbarenden Teilen beſteht. Sie kann auch nicht 
dahin ausgelegt werden, daß wenigſtens der Vertrieb 


friſchen Fleiſches dem Beſchauzwang unterworfen werden 
ſollte. Die Vorſchrift iſt nämlich einerſeits in ihrem 
Inhalte ſo klar und beſtimmt, daß für eine Auslegung 
kein Raum iſt. Anderſeits ſpricht 8 20 Abſ. 2 allge⸗ 
mein von Beſchränkungen und erwähnt von dieſen nur 
beſonders den Beſchauzwang, fo daß aus der Bezug⸗ 
nahme der Vorſchrift auf 8 20 Abf. 2 nicht entnommen 
werden kann, welchen der zuläſſigen Beſchränkungen 
der Vertrieb eingeführten friſchen Fleiſches unterworfen 
werden ſollte. Durch die ortspol. Vorſchrift iſt ange⸗ 
ordnet, was geſetzlich nicht zuläſſig iſt, dagegen nicht 
angeordnet, was geſetzlich zuläſſig iſt. Es trifft zu, 
was das OLG. Jena in dem Urteile vom 5. Juni 1894 
ausführt (Jelinek, Geſetz, Geſetzesanwendung und Zweck⸗ 
mäßigkeitserwägung ©. 217 Anm. 63; Thür. Bl. Bd. 42 
S. 148): „Es kann vom Publikum nicht gefordert werden, 
daß es unterſucht, ob eine nach ihrem Inhalte ungültige 
polizeiliche Verordnung gültig fein würde, wenn ſie ſich 
auf einen engeren Tatbeſtand beſchränkt haben würde, 
der in ihr gar nicht gekennzeichnet iſt, und daß es 
dann die Verordnung innerhalb dieſer engeren Brenzen 
beachte“. Bei dieſer Rechtslage iſt es nicht notwendig 
auf die Frage einzugehen, ob in dem Tun des Ange⸗ 
klagten überhaupt ein Vertrieb des Fleiſches zu er⸗ 


blicken iſt. (Urt. vom 31. Januar 1914, Rev.⸗Reg. 
Nr. 719/1913). Ed. 
3308 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Bertragsmäßiges „Brenz, Au⸗ und Auſbaurecht“; 
wofür und von wem wird die Eutſchädigung geſchuldet, 
die im Falle des Anbanens entrichtet werden ſoll? Ab⸗ 
tretbarkeit der Entſchädigungsſerderung. Konkurseröfl- 
nung, Simanpöberfieigernng und Jmangövergleid bei Dem 
Aubanenden vor Vollendung des Unbaues. Der notarielle 
Bertrag vom 17. November 1902, durch den die Ehe⸗ 
leute St. als Eigentümer der aneinandergrenzenden 
Bauplätze Pl.⸗Nr. 55 und 55½¼ das Grundſtück Pl.⸗Nr. 55 
an die Eheleute R. verkauften, enthielt u. a. folgende 
Beſtimmung: „Die Käufer verpflichten ſich, bei dem 
Neubau auf Pl.⸗Nr. 55 die Mauer fo auf die Grenze 
zu ſtellen, daß die eine Hälſte der Mauerſtärke auf 
Pl.⸗Nr. 55 und die andere Hälfte auf Pl.⸗Nr. 55½¼ zu 
ſtehen kommt. Die Parteien räumen ſich nun gegen⸗ 
feitig das Brenz, An⸗ und Aufbaurecht an allen Grenzen 
zwiſchen den beiden Grundſtücken ein. Hierbei wird 
ausdrücklich beſtimmt, daß der Späterbauende dem Erſt⸗ 
bauenden die Hälfte der Herſtellungskoſten der benützten 
Mauer, den Kubikmeter zu 20 M berechnet, zu erſetzen 
hat. Vorſtehende Grunddienſtbarkeit gilt ſelbſtverſtänd⸗ 
lich auch für die beiderſeitigen Rechts⸗ und Beſitznach⸗ 
folger. Auf Eintrag im Hypothekenbuch wird verzichtet.“ 
Mit notarieller Urkunde vom 20. Auguſt 1904 über⸗ 
trugen die Eheleute R., die bereits eine jenem Vertrage 
entſprechende Giebelmauer errichtet hatten, „ihre An⸗ 
ſprüche auf Entſchädigung, welche die Eigentümer des 
Nachbargrundſtücks Pl.⸗Nr. 55% bzw. deren jeweilige 
Rechts⸗ und Beſitznachfolger an die Eheleute R. et das 
An⸗ und Aufbauen an die Giebel mauer zu leiften haben”, 
an den Kaufmann O. Am 17. Oktober 1904 erſteigerten 
die genannten Eheleute St. gemeinſchaftlich das Anweſen 
Pl.⸗Nr. 55 in der Zwangsverſteigerung gegen die Ehe⸗ 
leute R. Mit Notariatsurkunde vom 10. Mai 1905 
wurde Pl.-Nr. 55 ¼ an J. verkauft. In Ziff. VII dieſes 
Vertrages heißt es: „Von den hinſichtlich des Kauf⸗ 
grundſtücks beſtehenden An- und Aufbaurechten hat der 
Käufer Kenntnis und tritt in ſie ein.“ Mit Notariats⸗ 
urkunde vom 26. Oktober 1910 traten die Eheleute St. 
als Eigentümer der Pl.-Nr. 55 den Anbauentſchaͤdi⸗— 
gungsanſpruch an O. ab; J. hatte damals bereits bis 
zur Höhe des erſten Stockwerks an die Grenzmauer 
angebaut. Am 2. November 1910 wurde das Konkurs⸗ 
verfahren über das Vermögen des IJ. eröffnet, in deſſen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


Verlauf am 18. Juli 1911 fein Anweſen Pl.⸗Nr. 55˙/ 
im Zwangswege von den Eheleuten S. erſteigert wurde. 
Im Verſteigerungstermine wurde eine Zuſchrift des O. 
bekannt gegeben, worin er die Vertragsbeſtimmung 
vom 17. November 1902 ſowie die erwähnten Ueber⸗ 
tragungen der Anbauentſchädigungsforderungen mit⸗ 
teilte; die Verſteigerungsbedingungen enthielten davon 
nichts. Das Konkursverfahren wurde durch einen die 
Gläubiger mit 10% ihrer Forderungen befriedigenden 
Zwangsvergleich beendigt. Darnach kaufte am 9. Juli 
1912 J. das Anweſen Pl.⸗Nr. 55 ½ von den Eheleuten 
S. zurück. In der Kaufsurkunde verpflichtete ſich J. 
etwaige Anbauentſchädigungen zur Regelung zu über⸗ 
nehmen. Er vollendete ſodann den bei Eröffnung des 
Konkursverfahrens bis zum erſten Stockwerk gebrachten 
Anbau. Der Klage des O. gegen J. auf Erſatz der 
halben Koſten für die Herſtellung der Grenzmauer gab 
das LG. ſtatt, die Berufung des Beklagten wurde als 
unbegründet zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Dem Erſtrichter iſt darin 
beizupflichten, daß dem Zwangsverſteigerungsverfahren 
hinſichtlich der Pl.⸗Nr. 55 ¼ kein weiterer Einfluß auf 
die Entſcheidung beizulegen iſt. Eigentümer der Grenz⸗ 
mauer waren und blieben zunächſt die Käufer der 
Pl.⸗Nr. 55. Wie ſich in der Zukunft die Eigentums⸗ 
verhältniſſe dieſer Mauer geſtaltet haben, ob die 
übergebaute Mauerhälfte durch den Anbau weſent⸗ 
licher Beſtandteil wurde und ob dies ſofort mit 
Beginn des Anbaues oder erſt mit deſſen Vollendung 
eingetreten iſt, kann hier vollſtändig dahingeſtellt 
bleiben. Die Entſchädigung ſollte keine Vergütung für 
den Eigentumserwerb an der auf Pl.⸗Nr. 55½ über⸗ 
e Mauerhälfte ſein. Ob der Anbauende die 

auer bei ſeinem Anbau in ihrer ganzen Fläche be⸗ 
nützen würde, war zur Zeit des Vertrags vom 17. No⸗ 
vember 1902 noch nicht beſtimmt, ſonſt würde die Ver⸗ 
tragsbeſtimmung keinen Sinn haben, daß der Kubikmeter 
der benützten Mauer mit 20 M berechnet werden ſollte; 
es kann nicht ohne weiteres angenommen werden, da 
das Eigentum an der übergebauten Mauerhälfte nur 
ſoweit auf den Anbauenden übergehen ſollte, als er 
die Mauer zum Anbau benützen würde, ein übrig— 
bleibender Teil alſo im Eigentum des zuerſt Bauenden 
verbleiben und demgemäß nur der Preis für den Eigen⸗ 

tumserwerb bemeſſen werden ſollte, ſoweit eben an⸗ 
gebaut werden würde. Nach dem Willen der Vertrags⸗ 
ſchließenden iſt eine gegenſeitige Grunddienſtbarkeit 
vereinbart worden, kraft deren der erſtbauende Eigen⸗ 
tümer der Pl.⸗Nr. 55 die Grenzmauer in ihrer halben 
Stärke auf das Nachbargrundſtück Pl. Nr. 55 / bauen 
darf, dagegen der Eigentümer von Pl.-Nr. 55 an 
dieſe Mauer ſein Haus anbauen darf. Es handelt ſich 
nicht um zwei Mauerhälften, ſondern um eine Mauer; 
nicht von zwei Mauerhälften, ſondern nur von der 
Hälfte der Mauerſtärke war im Vertrage die Rede und 
das hatte nur zu bedeuten, daß eine Mauer errichtet 
werden ſollte, die für beide Nachbarhäuſer eine Mauer⸗ 
wand ſein, für beide die Trennmauer ſein ſollte. Es 
iſt nicht einzuſehen, weshalb die Vereinbarung einer 
ſolchen gegenſeitigen Grunddienſtbarkeit nicht rechts— 
wirkſam fein ſollte. Danach diente alſo Pl.⸗Nr. 55% 
der Pl.⸗Nr. 55 dadurch, daß die halbe Mauerdicke des 
auf Pl.⸗Nr. 55 gebauten Hauſes auf Pl.⸗Nr 55 ¼ ſtehen 
durfte, Pl.⸗Nr. 55 der Pl.⸗Nr. 55½¼ dadurch, daß das 
auf dieſem Grundſtück zu erbauende Haus an die Mauer 
angebaut werden durfte, die trotz des Ueberbaues auf 
die Pl.⸗Nr. 55 / in ihrem ganzen Umfange Beſtandteil 
der Pl.⸗Nr. 55 geblieben war; die Einräumung des 
Anbaurechts auf die zu Pl.⸗Nr. 55 allein gehörige 
Mauer war der Inhalt der der Pl.⸗Nr. 55½ beſtellten 
Grunddienſtbarkeit. Was die Entſchädigungspflicht des 
Anbauenden anlangt, ſo iſt allerdings in der Literatur 
ſtreitig, ob eine Entſchädigungspflicht des Eigentümers 
des herrſchenden Grundſtücks für die Ausübung der 
Grunddienſtbarkeit mit deren Weſen überhaupt verein— 


195 


bar iſt. Der wirtſchaftliche Zweck derartiger Vertrags⸗ 
beſtimmungen iſt, daß jeder Teil mehr Raum für ſein 
Wohnhaus gewinnt, dadurch, daß er ſeinen Grund und 
Boden um eine halbe Mauerſtärke mehr ausnützen kann, 
ſowie der, daß er für eine Mauerwand ſeines Hauſes 
an Koſten ſpart. Es entſpricht nur der Billigkeit, daß 
jeder Teil für dieſe Vorteile auch zu den Koſten beiträgt. 
Es iſt nicht eine Vergütung für die Ausübung der 
Grunddienſtbarkeit im ſtrengen Sinne des Wortes 
vereinbart, ſondern das ganze Zuſtandekommen des 
Grunddienſtbarkeitsvertrags beruht auf dem Gedanken, 
daß die gleiche Vorteile ſchaffenden Koſten auch gleich⸗ 
mäßig getragen werden ſollten. Unter dieſen Umſtänden 
kann die Entſchädigungspflicht des Anbauenden der 
Annahme von Grunddienſtbarkeiten nicht hinderlich ſein 
und die nach dem Willen der Vertragsſchließenden gleich⸗ 
falls dinglichen Charakter tragende Entſchädigungs⸗ 
pflicht iſt begründet. Was die Abtretbarkeit der Ent⸗ 
ſchädigungsforderung anlangt, ſo hat die Abtretung 
durch R. an O. vom 20. Auguſt 1904 außer Betracht 
zu bleiben. Wie der erk. Senat ſchon mehrmals ent⸗ 
ſchieden hat — Urteil vom 5. Juli 1912 — wird der 
urſprünglich dinglich mit dem Eigentum verbundene 
ae auf Entſchädigung zu einem perſönlichen und 
fomit ohne gleichzeitige Uebertragung des Eigentums 
abtretbaren erſt dann, wenn angebaut wird. Dies war 
am 20. Auguſt 1904 noch nicht der Fall, wohl aber 
am 26. Oktober 1910 (Abtretung durch die Eheleute 
St. an O.). Damals hatte der Beklagte bereits bis zum 
erſten Stockwerke angebaut. Die Bemängelung der 
rechtlichen Wirkſamkeit dieſer Abtretung iſt unbegrün⸗ 
det. Richtig iſt, daß eine Forderungsabtretung erſt 
dann möglich iſt, wenn der abzutretende Anſpruch 
obligatoriſch iſt. Abgetreten wurde die Forderung, 
die ihre Entſtehung im Vertrage vom 17. November 
1902 hatte; dort aber iſt die Forderung zwar nicht 
ziffermäßig, aber doch inſoferne in ihrer Höhe be⸗ 
ſtimmt, daß ſie ſpäter genau berechnet werden konnte. 
Das genügt zur Abgrenzung der hier abgetretenen 
Forderung; ein Zweifel an dem Zuſammenfallen der 
abgetretenen Forderung mit der aus dem Vertrage 
vom 17. November 1902 ſtammenden konnte nicht vor⸗ 
liegen. Aber auch die Perſon des Schuldners war ge⸗ 
nügend beſtimmt. Nach der Entſch. des RG. im Recht 
1909 Nr. 3321 iſt die Bezeichnung der Perſon des Schuld⸗ 
ners zur wirkſamen Abtretung einer Forderung nicht er⸗ 
ſorderlich, wohl aber muß ein beſtimmter Schuldner 
vorhanden fein. Eine Forderung war bei dieſer Ab» 
tretung ſchon entſtanden; anzunehmen war mangels 
entgegenſtehender Anhaltspunkte, daß der damalige 
Anbauende J. auch den Anbau vollenden werde, wie 
es in der Tat ja auch ſpäter der Fall war. Aber auch 
für den Fall, daß nicht J., ſondern ein Rechtsnachfolger 
im Eigentum an BI.- Ir. 55'/ den Anbau vollenden 
würde, war immer der jeweilige Eigentümer der Schuld⸗ 
ner, da die Entſchädigungsforderung nach wie vor gegen 
jeden anbauenden Eigentümer an Pl.⸗Nr. 55 ¼ beſtehen 
blieb. — Zu prüfen iſt noch der Einwand des Beklagten, 
daß allerhöchſtens eine Befriedigung der eingeklagten 
Forderung zu 10% beanſprucht werden könnte. Auch 
dieſer Einwand iſt unbegründet. Maßgebend iſt, zu 
welchem Zeitpunkt die Entſchädigungs forderung fällig 
war. Eine noch nicht fällige Forderung konnte im 
Konkurs über das Vermögen des Beklagten nicht be— 
rückſichtigt werden. Zur Zeit des Zwangsvergleichs 
war aber die Forderung noch nicht fällig. Auch hier 
iſt wieder der Wille der Vertragsſchließenden vom 
17. November 1902 maßgebend. Ueber den Zeitpunkt 
der Fälligkeit enthält dieſer Vertrag nichts. Wie die 
Erfahrung zeigt, werden bei derartigen Grenzmauer— 
Anbauverträgen häufig Beſtimmungen vereinbart, daß 
die Entſchädigung bereits im Laufe des Anbauens 
ſtufenweiſe zu bezahlen iſt, z. B. „von Gebälk zu Ge— 
bälk“ oder „nach dem Fortſchreiten des Baues und der 
ſtockweiſen Benützung der Giebelmauer“. In dem Ver— 


196 


trage vom 17. November 1902, den die Parteien vor 
dem rechtskundigen Notare geſchloſſen haben, iſt gerade 
die Anbauvereinbarung beſonders eingehend und aus⸗ 
führlich niedergelegt worden, es iſt aber kein Wort 
davon erwähnt, daß bereits im Laufe des Anbauens 
ein Teil der Entſchädigungsforderung zu zahlen ſein 
ſollte. Im Konkurs J. iſt eine Anbau⸗Entſchädigungs⸗ 
forderung nicht angemeldet worden; die Entſchädigung 
ſoll nach dem Vertrag nach der Kubikmeterzahl des zum 
Anbau benutzten Teiles der Mauer berechnet, alſo 
offenbar bei Vollendung des Anbaues durch Ausmeſſung 
der benützten Mauerfläche feſtgeſetzt werden. Das Gericht 
folgert hieraus, daß die Vertragſchließenden die Ent⸗ 
ſchädigungsforderung erſt mit Vollendung des Anbaues 
fällig werden laſſen wollten, denn ſonſt wäre die Fällig⸗ 
keit, ein hervorragend wichtiger Punkt des Vertrags, 
in der Urkunde ſicherlich anderweit geregelt worden. 
Der Zwangsvergleich hat ſonach auf die Höhe der 
Entſchädigungsforderung keinen Einfluß und dieſe iſt 
in der eingeklagten Höhe berechtigt. (Urt. des I. ZS. 
vom 27. Juni 1913). ') E. 

3272 


Aus der RNechtſprechung 
des bayeriſchen Verwaltungsgerichtshofs. 


Zu den Koften der Zwangserziehung i. S. des 
Art. 8 Zw&rz®. gehören nur ſolche, die auf die Zwangs⸗ 
erziehung ſelbſt erwachſen; Abgrenzung gegenüber den 
von der Armenpflege zu tragenden Koſten. Drei Zwangs⸗ 
zöglinge waren wegen Erkrankung aus ihrem Er⸗ 
ziehungsheim — der eine aus einer Familie, die beiden 
andern aus Anſtalten — zur ärztlichen Behandlung 
in nur hierzu beſtimmte Krankenanſtalten gebracht 
worden, ohne daß die Zwangserziehung aufgehoben 
oder die Zöglinge vorläufig aus der Zwangserziehung 
entlaſſen worden wären (Art. 6 Abſ. und III ZwErzG.). 
Die Heimatgemeinde beanſpruchte, daß ihr von den 
hierdurch entſtandenen Koſten wie von allen anderen 
während des Vollzugs der Zwangserziehung entitans 
denen Koſten nach Art. 8 Abſ. III ZwErzGg. /s von 
dem Diſtrikt und / vom Staat erſetzt würden. Der 
VGH. hat dieſen Anſpruch für unbegründet erklärt 
in Uebereinſtimmung mit Englert, ZwErzG. Anm. 3 
zu Art. 8 S. 85/6; a. M. von der Pfordten Anm. 1 
Abſ. II zu Art. 8 S. 53. 

Weſentlicher Inhalt der Gründe: Gegen 
den Anſpruch der Heimatgemeinde ſprechen der Wort— 
laut des Art. 8 Abſ. I („die Koſten der Zwangser— 
ziehung“) und die Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes. 
Die Begründung des Geſetzentwurfs weiſt darauf hin, 
daß ſchon nach Art. 36 Abſ. III Armen. die heimat- 
liche Armenpflege verlangen konnte, daß von ihr unters 
ſtützte Kinder, deren Erziehung vernachläſſigt wurde, dem 
Armenpflegſchaftsrate zur beſſeren Unterbringung und 
Erziehung überlaſſen wurden (AbgKVerh. 1599/1900 
Beil. Bd. 2 S. 849 ff.); die Koſten trug hier ſelbſtver— 
ſtändlich die Armenpflege. Allerdings kann ſich für die 
Gemeinden eine höhere Belaſtung daraus ergeben, daß 
nun nach den Vorſchriften des ZwErzG. auf Anordnung 
des Vormundſchaftsgerichts die Diſtriktsverwaltungsbe— 
hörde die Unterbringung in einer Familie, einer Er— 
ziehungs- oder Beſſerungsanſtalt verfügt, ohne daß 
der heimatlichen Armenpflege ein entſcheidender Ein— 
fluß eingeräumt wäre. Allein das Geſetz ſoll auch bei 
der Familie und der Gemeinde das Gefühl der Ver— 


1) Die Begrundung der Entſcheidung iſt wohl nicht ganz Des 
denkenfrei; wir kommen vielleicht darauf zurück. 
Der Herausgeber. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 


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— — 


antwortlichkeit nicht mindern, ſondern im Gegenteil 
die Gemeinden veranlaſſen, auf eine gute Erziehung 
hinzuwirken (Begründung a. a. O. S. 853). Nur „fos 
weit es mit dieſem Grundgedanken verträglich er⸗ 
ſcheint, kann den Gemeinden die Abwälzung der 
Koſten auf breitere Schultern ermöglicht werden“. 
Hiermit wurde die teilweiſe Uebernahme der Zwangs⸗ 
erziehungskoſten auf den Staat und den Diſtrikt be⸗ 
gründet. Bedenken hiegegen wurden in den Landtags⸗ 
verhandlungen nicht laut. Allerdings wurde auf die 
Belaſtung der Gemeinden durch das Geſetz hingewieſen 
und die Uebernahme der Koſten auf den Staat oder 
doch eine den Gemeinden günſtigere Verteilung bean⸗ 
tragt. Demgegenüber wurde verſchiedentlich betont, 
daß mit dem Geſetze den Gemeinden nicht Laſten ab⸗ 
genommen werden ſollen, die ihnen nach dem Armen⸗ 
geſetze obliegen, und Art. 8 in der Faſſung des Entwurfs 
angenommen (AbgKVerh. 1901/1902 Sten Ber. Bd. 7 
S. 205 ff., beſonders S. 209, 220, 223, 228, 280 ff., 
RRKVerh. 1901/1902 Sten Ber. Bd. 2 S. 136 /7). Die 
hier in Frage ſtehenden Koſten ſind nicht für den 
eigentlichen Zweck der Zwangserziehung entſtanden, 
ſondern während einer tatſächlichen Unterbrechung der 
Erziehung, außerhalb der Familie oder der Anftalt, 
wo der Zwangserziehungsbeſchluß vollzogen wurde: 
fie find verurſacht durch eine Hilfeleiftung, die ihrer 
Natur nach in das Gebiet der Armenpflege fällt, und 
können nicht als „Koſten der Zwangserziehung“ an⸗ 
geſehen werden (vgl. auch §§ 50 und 3 Abſ. 3 Vollz.⸗ 
Bek. vom 28. Juni 1902). 1191 des III. S. vom 
18. Wär 1914, Amtl. Samml. 1914 S. I ff.). E 

3334 


Bücheranzeigen. 


Soergel, Dr. H. Th., K. Bayer. Hofrat. Rechtſpre⸗ 
chung 1913 zum geſamten Zivil⸗ Handels⸗ und 
Prozeßrecht des Reiches und der Bundesſtaaten enth. 
die Literatur zu 385 Geſetzen unter Mitwirkung von 
Landrichter Dr. Scherling in Naumburg und Land» 
richter Dr. Karl Becker in Düſſeldorf. 14 Jahrgang. 
1175 Seiten. Stuttgart 1914, Deutſche Verlagsan⸗ 
ſtalt. Gebd. Mk. 10.60. 


Wir verweiſen auf die Empfehlung des vorher⸗ 
gehenden Jahrgangs auf S. 175/1913. Die Samm- 
lung iſt insbeſondere wegen der erſchöpfenden Behand⸗ 
lung des bayeriſchen Landesrechts ſehr brauchbar. Im 
übrigen ſind ihre Anlage und ihre Vorzüge bekannt. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Das Poſtſcheckgeſez vom 26. März 1914 wird im 
RGBl. Nr. 18 S. 85 ff. veröffentlicht. Es tritt am 
1. Juli 1914 in Kraft. Ohne die Vollzugsvorſchriften 
kann es nicht wohl erläutert werden, zumal da es in 
811 gewiſſe Vorbehalte für den inneren Verkehr im 
Königreich Bayern enthält. Nach dem Erſcheinen der 
bayeriſchen Ausführungsvorſchriften wird vorausſicht— 
lich in dieſer Zeitſchrift eine Abhandlung über das 
Geſetz veröffentlicht werden, die insbeſondere feine Be» 
deutung für die Rechtspflege klarlegen wird. 

3335 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


— —᷑ —ꝛůů— — Se — nn — 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 


Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


— — — — — 


Ar. 10. 


München, den 15. Mai 1914. 


10. Jahrg. 


Beitfhrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


Regierungsrat im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtiz. 


in Bayern 


Verlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zellier) 
Künchen, Berlin u. Leipzig. 


(Seufferts Blatter für Rechtsau wendung 3d. 79.) 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /. 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich : 

k. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
lede Poſtanſtalt. 


Nachdruck verboten. 


Re drei Hauptfragen des 
Kommunmauerrechts.) 


Bon Juſtizrat Dr. Karl Buhmann, Rechtsanwalt in 
München. 


I. Wer iſt Eigentümer des über die Grenze 
gebauten Kommunmauerteiles? 


Dieſe Abhandlung geht von dem Vorhandenſein 
zweier nebeneinander liegender Bauplätze 1 und 2 
aus, deren Eigentümer A und B ſind. A baut 
kommun. Es ſtehen ſich folgende, miteinander 
unvereinbare Anſchauungen gegenüber: 

1. A wird Eigentümer der ganzen Kommun⸗ 
mauer, alſo auch des über die Grenze gebauten 
Mauerteiles (Breit, Das Recht der gemeinſchaft⸗ 
lichen Brandmauern, bei Arthur Roßberg, ſowie 
Breit SächſA. 1911 S. 385; RG3. 72, 272 
und JW. 1910 S. 60. Weiter Staudinger BGB. 
8 921 Anm. IV — dort eine umfaſſende Literatur: 
zuſammenſtellung — und RGRK. § 921 Anm.). 

Zu 1 gibt es 3 Spielarten. Die eine geht dahin, 
daß A Eigentümer des übergebauten Mauerteiles 
bleibt (Rhein A. 105, 49 ff.; 108, 260 ff. Anm.), 
auch wenn B anbaut; die zweite geht dahin, daß 
B mit dem Anbau Eigentümer des übergebauten 
Mauerteiles werde (Rhein A. 108, 373 ff.; OLG. 
Breslau in JW. 1911 S. 511); eine dritte 
Meinung nimmt an, daß nach dem Anbau Mit⸗ 
eigentum zwiſchen A und B eintrete (vgl. Crome 
8 397 S. 299). 


2. Das Eigentum teilt ſich mit der Errichtung 
der Kommunmauer in 2 Hälften zwiſchen A und B 
(Wein in BayZiR. 1913 S. 23 und 24; RG. 70, 


— 


) I. Wer iſt Eigentümer des über die Grenze ge⸗ 
bauten Mauerteiles? — II. Iſt die Kommunmauer 
eine Grenzeinrichtung? — III. 
Kommunmauer einen Ablöſungsanſpruch? 
Schuldner? 


Hat der Erbauer der 
Wer iſt 8 i | 
ganz beſonderen wirtſchaftlichen Geſichtspunkte aus: 


5 Zeitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a. 
J] Anzeigengebübr 30 Pfg. für die balbgeſvaltene Petitzeile 

/ oder deren Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
% anzeigen 20 Big. Beilagen nach Uebereinkunft. 


197 


200; JW. 1911 S. 211 und 356; Buſch in 
Bayzſgt. 1914 S. 157 ff.). 

Die Anhänger der ſog. Kommunmauerüberbau⸗ 
lehre, die ſich zur Begründung ihrer Anſchauung 
auf 8 95 Abſ. 1 Satz 2 BGB. und auf eine analoge 
Anwendung des 8 912 BGB. berufen, geben ſelbſt 
zu, daß 8 94 BGB. das Eigentum an unbeweg⸗ 
lichem Vermögen grundſätzlich regelt und daß eine 
andere Geſtaltung des Eigentums an unbeweg⸗ 
lichem Vermögen auf Grund Parteiwillens an 
ſich ausgeſchloſſen und nur zuzulaſſen iſt, wenn 
das Geſetz ſelbſt dem Parteiwillen einen ausdrück⸗ 

lichen Einfluß auf die Geſtaltung des Eigentums 
einräumt. 

Es wird deshalb niemanden einfallen, zu bes 
haupten, daß unter der Herrſchaft des BGB. durch 
Parteiwillen ſuperfiziariſches Eigentum ge⸗ 
ſchaffen oder das Eigentum an einem Gebäude in 
horizontaler Richtung mit dinglicher Wirkung ge⸗ 
teilt werden könne. 

Richtig iſt, daß das BGB. in zwei Fällen 
| die allgemeinen Regeln über Grundſtückseigentum 
durchbrochen hat. Die eine Ausnahme enthält 8 912 
BGB., die andere 8 95 BGB. Dem 8 912 BGB. 
liegt die Annahme zugrunde, daß A eine falſche 
Vorſtellung von der richtigen Grenze hat, ſich alſo 
über den Flaͤcheninhalt feines eigenen Grundſtücks 
irrt. Der Ueberbau nach § 912 BGB. hat die 
Wirkung, daß A ohne eine darauf abzielende Willens: 
richtung Eigentum an einem auf fremden Grund 
| und Boden errichteten Gebäude erwirbt, alſo kraft 
59 und ohne jeden Vorgang im Grundbuch 

(ebenſo Buſch Bay3fR. 1914 S. 159). 

Iſt bei A der Wille darauf gerichtet, Eigen⸗ 

tum an einem Gebaͤude auf fremdem Boden und 


Grund mit der Errichtung des Gebäudes zu er: 


! 


| halten, jo kann wohl 8 95 BGB., niemals aber 
9 912 BGB. angewendet werden. 


Daß 8 912 BGB. eine einzigartige, von einem 


198 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


gehende und daher jeder Ausdehnung unfähige 8.95 Abſ. 1 Satz 2 BGB. Hier taucht zunäaͤchſt 
die Frage auf, ob unter einem Recht an fremdem 


Ausnahmebeſtimmung iſt, ergeben die Motive zum 
Grenzüberbau (83 587 —860). Sie lehnen es aus⸗ 
drücklich ab, die Grundſaͤtze der Spezifikation und 
eine Umkehrung des Satzes „‚superficies solo cedit“ 
im Immobiliarrechte zuzulaſſen, weil eine ſolche 
Zulaſſung mit den Grundſätzen des Immobiliar⸗ 
rechts in Widerſpruch treten würde. 

Die Motive fahren wörtlich weiter: 

„Aber im Falle des Grenzüberbaues, in welchem die 
ſtrenge Geltendmachung der Eigentumskonſequenzen 
mit beſonderen Härten verbunden ſein würde, iſt eine 
Abhilſe möglich, welche dem einen Teil große Vorteile 
verſchafft, ohne den anderen Teil in einigermaßen er⸗ 
heblicher Weiſe zu ſchädigen. In den Mitteln der Ab⸗ 
hilfe geht der Entwurf nur ſoweit, als das Bedürf⸗ 
nis es erfordert. Der Entwurf gibt nur ein geſetz⸗ 
liches Recht auf Duldung des Ueberbaues und regelt 
die Erwerbung des Rechtes und des geſetzlichen Rechts 

des duldenden Teiles auf rentenartiges Entgelt.“ 

Aus den Worten: „Nur ſoweit“ im Zu: 
ſammenhang mit den in den Motiven ausgedrückten 
Abſichten des Geſetzgebers läßt ſich folgern, daß 
jede analoge Anwendung des $ 912 BGB. aus⸗ 
geſchloſſen ſein muß, insbeſondere aber eine, die 
ſtatt des geſetzlichen Tatbeſtandes die Parteiabſicht 
und Vereinbarung, auf fremdem Grund und Boden 
Gebäudeeigentum zu erwerben, zum Ausgangspunkt 
nimmt (zum gleichen Ergebnis kommt Buſch a. a. O.). 

Schon die ſyſtematiſche Einſtellung des 8 912 
BGB. in den Abſchnitt „Eigentum“ und in den 
Titel „Inhalt des Eigentums“ (ſtatt „Erwerb des 
Eigentums“) ſollte den Anhängern der Kommun⸗ 
mauerüberbaulehre zu Bedenken Anlaß geben (sgl. 
auch Schmitt in BayziR. 1914 S. 59 J). Zudem 
beſteht vom Standpunkt der ratio legis aus nicht 
das leiſeſte Bedürfnis, den bewußten und gewollten 
Ueberbau dem unbewußten und unverſchuldeten 
Ueberbau hinſichtlich des Eigentums am über⸗ 
gebauten Mauerteil gleichzuſtellen. 

Iſt der Ueberbau bewußt rechtswidrig oder 
grobfahrläſſig vorgenommen worden, ſo ſchafft der 
Beſeitigungsanſpruch eine gerechte Strafe, iſt er 
mit ausdrücklicher oder ſtillſchweigender Geneh— 
migung des B, alſo auf Grund Vertrages erfolgt, 
ſo iſt ein beſonderer geſetzlicher Schutz des A nicht 
vonnöten, weil der Schutz im Abſchluß des Ver: 
trages ſelbſt liegt. 

Der Geſetzgeber kann auch gar nicht daran 
gedacht haben, dem bewußt (im Sinne der Ein: 
holung oder Annahme einer nachbarlichen Geneh— 
migung) Ueberbauenden einen beſonderen geſetz⸗ 
lichen Schutz angedeihen zu laſſen; ſonſt hätte er 
doch eine ſolche mit den Motiven in Widerſpruch 
ſtehende Abſicht irgendwie ausdrücken müſſen. Die 
analoge Anwendung des § 912 BGB. auf den 
vertragsmäßig vereinbarten Ueberbau iſt demnach 
nur möglich, wenn man dem Wortlaut des § 912 
und deſſen Sinn und Bedeutung Gewalt antut 
(A. M. Abele in LZ. 1914 S. 836). 


Nicht viel überzeugender wirkt die Berufung 


— 2 —— — 


Grund und Boden auch obligatoriſche Rechte ge⸗ 
meint ſein können oder nur dingliche. Die letztere 
Anſchauung vertreten vor allem Staudinger BGB. 
3 95 Anm. 36 und RGRKomm. zu 8 95 Anm. 5. 
Die Literatur für und gegen dieſe Anſchauung 
iſt bei Staudinger zuſammengeſtellt. 

Befremdend wirkt bei den beiden Kommen⸗ 
taren die Folgewidrigkeit, die darin liegt, daß ſie 
unter Rechten im Sinne des $ 95 Abſ. 1 Satz 2 
BGB. nur dingliche Rechte verſtehen, gleichwohl 
aber bei Erörterung des Kommunmauerrechtes die 
Meinung zu vertreten ſcheinen, daß der Kommun⸗ 
mauerüberbau Eigentum des Erbauers wird. (Stau⸗ 
dinger BGB. § 921 Anm. VI 1 und RGRKomm. 
8 921 Anm. 2). 

Zu der Streitfrage hier weiter Stellung zu 
nehmen iſt deshalb überflüſſig, weil die Berufung 
auf 8 95 Abſ. 1 Satz 2 BGG. nicht geeignet iſt, 
die Frage nach dem Eigentum an dem auf Grund 
Vereinbarung errichteten Kommunmauerüberbau 
zu löſen. Denn unter einem dinglichen Rechte 
an einem Gebäude, das auf fremdem Grund und 
Boden ſteht, verſteht man, wenn es ein vereinbartes 
Recht ſein ſoll (darüber beſteht allſeits Einig⸗F 
keit), nur die Dienſtbarkeit, den Nießbrauch und 
das Erbbaurecht (ſ. auch Schmitt in Bay3fR. 1914 
S. 61 VI und Abele a. a. O.), alſo Rechte, die neben 
der Vereinbarung auch noch des Eintrags im Grund: 
buch zu ihrer dinglichen Wirkung bedürfen. Die vor⸗ 
ſtehende Aufzählung der dinglichen Rechte an Ge⸗ 
bäuden auf fremdem Grund und Boden, ſoweit 
Vereinbarung in Betracht kommt — (das Recht aus 
$ 912 BGB. iſt ein nicht vereinbartes Recht dieſer 
Art) — iſt erſchöpfend und andere ſolche vereinbarte 
Rechte ſind im bürgerlichen Rechte aus grund⸗ 
ſaͤtzlichen Erwägungen (f. die oben angeführten Mo⸗ 
tive zu $ 912 BGB.) abſichtlich nicht zugelaſſen. 

Die Anhaͤnger der Kommunmauerüberbau⸗ 
lehre behaupten auch gar nicht und können nicht 
behaupten, daß bei der Vereinbarung der Er⸗ 
richtung einer RKommunmauer eine dingliche Wir: 
kung beabſichtigt ſei, weil fie zugeben müſſen, daß 
vereinbarte dingliche Rechte an einem auf fremden 
Grund und Boden ſtehenden Gebaͤude zur ding⸗ 
lichen Wirkung nicht nur der Vereinbarung, ſondern 
auch grundſätzlich des Vollzuges im Grundbuch 
bedürfen. 

Es wird deshalb geſagt, daß unter einem Ge⸗ 
bäuderecht auf fremdem Grund und Boden i. S. 
des § 95 Abſ. 1 Satz 2 BGB. auch ein nur obli⸗ 
gatociſch vereinbartes Gebäuderecht zu verſtehen 
ſei. Dieſe Begründung trägt den Widerſpruch in 
ſich ſelbſt, weil ſie den maßgebenden Willen der 
vertragsſchließenden Teile in das Gegenteil ver⸗ 
kehrt. Dieſer Wille iſt auf eine dauernde und ding— 
liche Wirkung gerichtet. 

Aus dem Vorgetragenen ergibt ſich als Fol⸗ 


der Anhaͤnger der Kommunmauerüberbaulehre auf gerung, daß A und B mit der Errichtung der 


— — — — — — 


Kommunmauer auch deren Eigentümer gemäß 
8 94 BGB. je zur Hälfte werden, weil keine der 
Ausnahmevorſchriften des 8 912 oder des $ 95 
Abſ. 1 Satz 2 BGB. vorliegt und Analogie aus 
grundſätzlichen Erwägungen gegenüber dinglichen 
Rechtsvorſchriften ausgeſchloſſen ſein muß. 

Dieſe Auffaſſung vertreten das RG. in ROZ. 
70, 200, JW. 1911 S. 211 und S. 366 und 
Planck Anm. 4 zu 8 94. 

In den angegebenen 1 Ent- 
ſcheidungen iſt ausgeführt, das BGB. ſtehe, wie 
fich aus den 88 93, 94 Abi. 1 und 946 BGB. 
ergebe, in den Geſetzesmaterialien ausgeſprochen 
und vom RG. in ſtändiger Rechtſprechung an⸗ 
erkannt ſei, grundſätzlich auf dem Standpunkt, 
daß ein Bau als weſentlicher Beſtandteil zu 
dem Grundſtücke nur ſoweit gehöre, als er feſt 
mit ihm verbunden ſei, alſo darauf ſtehe; es 
ſei an dieſem 1 insbeſondere auch bei 
einer Grenzeinrichtung feſtzuhalten (vgl. auch noch 
RG. 65, 363; 31, 396 und 53, 310; ferner 
insbefondere Buſch in Bay ZR. 1914 S. 159 ff.; 
ferner für Grenzeinrichtungen auch Staudinger 
BGB. 8 921 Anm. II a). 

Die den gegenteiligen Satz aufſtellende und 
weitere Ausnahmen von 88 95 und 912 BGB. 
an ſich zulaſſende Entſcheidung des RG. 72, 72 
behandelt einen Fall aus dem Rheiniſchen Rechts⸗ 
gebiet, bei welchem die Kommunmauer vor dem 
dem Jahre 1900 errichtet war und der als Aus⸗ 
gangspunkt daher den code civil hatte. 

Die anſcheinend gleichfalls die gegenteilige 
Meinung vertretenden Entſcheidungen in RG. 
74, 89 und 83, 143 betreffen Sonderfälle aus 
dem eigentlichen Anwendungsgebiet des $ 912 
BGB., wie ihre Begründung ergibt. 

- Zu welcher Künſtelei die gegenteilige Auf: 

faſſung in der Geſetzauslegung führt, beweiſen am 
ſchlagendſten die Ausführungen Breits S. 134 fl. 
Breit unterſcheidet einen „normalen“ (zunächſt 
einſeitig nützlichen) Ueberbau und einen „nicht 
normalen“ (beiderſeits nützlichen) Ueberbau. Diele 
Unterſcheidung iſt willkürlich, weil das Geſetz ſie 
nicht kennt. Sie iſt auch rechtlich nicht haltbar, 
weil die rechtliche Natur eines nach 8 912 BGB. 
zu beurteilenden Ueberbaues nicht durch nachtraͤg⸗ 
liche Ereigniſſe willkürlich geändert werden kann. 

Liegt ein vereinbarter Ueberbau vor, ſo iſt er 
als beiderſeits nützlich gewollt, jo daß der 8 912 
BGB. von Anfang an auszuſcheiden hat. 

Das Urteil des Oberlandesgerichts München 
vom 17. Januar 1914 (ſiehe BayziR. 1914 S. 181 
und LZ. 1914 S. 837) dahingehend, daß zwiſchen 
A und B ein Uebereinkommen in dem Sinne als 
abgeſchloſſen zu gelten habe, daß mit dem An⸗ 
bau B Eigentümer des übergebauten Mauerteiles 
wird und daß dieſes Abkommen nicht dem Beur⸗ 
kundungszwang des $ 313 BGB. unterliege, iſt 
rechtlich unhaltbar und verſagt völlig im Falle 


Zieitſchrift für Rechtspflege ! in Bayern. 1914. Nr. 10. 


199 


der Sondernachfolge. Die übliche Kommunmauer⸗ 
vereinbarung zwiſchen A und B geht vom Stand⸗ 
punkte der Ueberbaulehre nicht dahin, daß B zur 
Erwerbung der Kommunmauerhälfte verpflichtet 
iſt, ſondern daß A zur Ueberlaſſung verpflichtet iſt. 
Die Anſchauung des OLG. München verſagt 
vollſtändig, wenn Sondernachfolger des A oder B 
in Frage kommen, mit denen keine Vereinbarung 
getroffen iſt. Wie ſtellt man ſich ohne Grund⸗ 
buch⸗Eintrag (einer Dienſtbarkeit) eine bindende 
Verpflichtung des Sondernachfolgers des A dem B 
oder deſſen Sondernachfolger Y gegenüber vor? 
Die Ueberbaulehre zwingt folgerichtig zur gegen⸗ 
teiligen Meinung, daß der Erbauer und ſein Sonder⸗ 
nachfolger zum Abreißen der Mauer dem Sonder⸗ 
nachfolger des B gegenüber berechtigt ſind. 


II. Iſt die halbſcheidig gebaute Mauer 
(Kommunmauer) Grenzeinrichtung? 


Die Eigentumstrennungslehre iſt vom Stand⸗ 
punkte des Geſetzes aus die einzig mögliche. Aber ſie 
würde wirtſchaftlich nicht als befriedigende Löͤſung 
der Kommunmauerfrage angeſehen werden können, 
wenn A und B als Eigentümer der auf ihren 
Grundſtücken liegenden Mauerhälften über fie frei 
verfügen (fie niederreißen) könnten. (S. Schmitt 
in Bay 3fR. 1914 S. 60 VI). 

Im Verhältnis zwiſchen A und B iſt mit 
Rückſicht auf die vor der Kommunmauererrichtung 
getroffene Vereinbarung eine ſolche unbeſchränkte 
Verfügung zwar ausgeſchloſſen, möglich würde ſie 
aber mit dem Augenblicke des Eintritts einer 
Sondernachfolge werden. Es bedarf aber keiner 
Konſtruktion, keiner Fiktion und ebenſowenig des 
Mittels der Künſte der raffinierten Geſetzesaus⸗ 
legung im Sinne der Ausſprüche Steins (23. 1914 
S. 313), um dieſe unerwünſchte Folge zu beſeitigen 
und zu einem wiſſenſchaftlich ſowie wirtſchaftlich 


befriedigendem Ergebniſſe zu gelangen, wenn man 


die Kommunmauer als Grenzeinrichtung behandelt. 

Sie iſt es nach dem Willen der vertrags⸗ 
ſchließenden Nachbarn, nach der Verkehrsauffaſſung, 
nach ihrer äußeren Geſtaltung und nach ihrem 
Zweck. Sie iſt auch hiezu geeignet. Die Frage 
nach dem Eigentum des übergebauten Mauerteiles 
löſt ſich mit der Annahme der Grenzeinrichtung 
von ſelbſt (. Staudinger $ 921 BGB. Anm. IIa 
„Jeder Angrenzer gilt als Eigentümer bis zur 


Grenze. Auf der Grenze als Ideallinie kann nichts 
mehr ſtehen “). 
Am beſten iſt die Grenzeinrichtungslehre 


mit lehrreichen geſchichtlichen Ausführungen auch 
in bezug auf das Kommunmauerrecht ſelbſt dar⸗ 
geſtellt im Sächſiſchen Archiv, 6 Jahrgang (1911) 
S. 415 (Urteil des Landgerichts Dresden). 
Die Begründung dieſer Entſcheidung bewegt ſich 
in Anlehnung an das Urteil des Oberlandes— 
gerichts Dresden vom 14. Dez. 1909 Nr. 284,08 
nach der Richtung, daß die über die Grenze ge— 


200 


baute Giebelmauer zwar nicht ohne weiteres eine 
den Vorteilen beider Grundſtücke dienende Ein⸗ 
richtung im Sinne des $ 921 BGB. ſei, daß fie 
ſich aber eigne, eine ſolche zu werden, und es auch 
tatſächlich werde, wenn der Nachbar anbaue. 

Dieſer Grundſatz entſpricht ſicher vollſtändig 
der Verkehrsauffaſſung in den Rechtsgebieten, in 
denen früher die kommune Bauweiſe geſetzliche 
Grundlage hatte oder ſonſt gang und gaͤbe war 
mit der Erweiterung, daß die Verkehrsauffaſſung 
die Kommunmauer als Grenzeinrichtung ſchon 
im Augenblicke der Erbauung betrachtet. Die 
Grenzeinrichtungslehre greift auf die urſprünglich 
allgemein angenommene, dann aber vielfach be⸗ 
kaͤmpfte Vertragslehre (vgl. Staudinger BGB. 
§ 921 Anm. 10 und die dort angeführte Literatur, 
ſowie das vorerwaͤhnte Urteil des Landgerichts 
Dresden) zurück und wird dem Erfordernis des 
Schutzes der beiderſeitigen Rechtsnachfolger in jeder 
Beziehung gerecht. 

Die Nachbarn gehen bei Errichtung und Ge⸗ 
nehmigung des Kommunmauerüberbaues von vorne⸗ 
herein davon aus, daß ſie unter Belaſſung der 
unſtreitigen Grenze eine ihnen nützliche Einrich⸗ 
tung und noch dazu eine Grenzeinrichtung ſchaffen 
wollen. Ueber den Umſtand, daß mit der Kom⸗ 
munmauereinrichtung gleichzeitig eine Grenzein⸗ 
richtung geſchaffen wird, ſprechen ſich die Nachbarn 
ebenſowenig aus, als darüber, daß ſie eine beider⸗ 
ſeits nützliche Einrichtung ſchaffen wollen. Dieſe 
Wirkung wird ebenſo als ſelbſtverſtändlich betrachtet, 
wie die bedingte Ablöſungspflicht, über die gleich⸗ 
falls keine ausdrückliche Verabredung getroffen zu 
werden pflegt. A würde andernfalls nicht kommun 
bauen, B den Ueberbau nicht genehmigen. Daß 
die Kommunmauer nicht nur dem A zu nützen 
geeignet und dem B künſtighin zu nützen be: 
ſtimmt iſt, ſondern als Grenzzeichen ſofort zu 
dienen beſtimmt und geeignet iſt, iſt unſchwer 
beweisbar. 

Um einer verſchiedentlich geäußerten irrigen 
Meinung vorweg entgegenzutreten (Ziel, Die ge⸗ 
meinſchaftliche Giebelmauer und der Giebelent⸗ 
ſchädigungsanſpruch nach dem BGB. bei Otto 
Wiegand, Leipzig 1911), iſt zu betonen, daß die 
Grenzeinrichtung nicht als Scheidemerkmal für 
Dritte, ſondern nur für die Nachbarn ſelbſt be⸗ 
ſtimmt ſein kann. Andernfalls würde eine Grenz⸗ 
ſcheidemauer dann keine Grenzeinrichtung ſein können, 
wenn die Grenze nicht mitten durch die Mauer 
ginge. Das Erfordernis der Halbſcheidigkeit für 
eine Grenzeinrichtung als ſolche kann weder aus 
dem Geſetzestert noch aus den Motiven entnommen 
werden. Die Notwendigkeit der Erkennbarkeit für 
Dritte (vom Standpunkte des Parteiwillens aus) 
kann in überzeugender Weiſe nicht dargetan werden. 
Es müßten ſonſt Grenzeinrichtungen an nicht zus 
gänglichen oder für Dritte unſichtbaren Stellen 
ihre Eigenſchaft verlieren. Nicht einmal die Sicht⸗ 
barkeit der Grenzlinie für die Nachbarn ſelbſt iſt 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


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— 4 NL EEE 


eine notwendige Eigenſchaft der Grenzmauer, denn 
in vielen Fällen iſt die Grenzlinie an Stirn⸗ und 
Rückſeile durch Quermauern verbaut und daher 
für jedermann unſichtbar. In allen ſolchen Fällen 
iſt die Grenze nach der Vertikalrichtung nur durch 
Meſſung in horizontaler Richtung feſtzuſtellen. 
Eine unmittelbare Feſtſtellung der Grenzlinie iſt 
bei undurchſichtigen Grenzzeichen phyſiſch, abgeſehen 
von der Scheitellinie, ausgeſchloſſen, wenn es ſich 
um eine Mauer handelt. Die Kommunmauer 
wird durch den Willen der Beteiligten Grenz⸗ 
einrichtung, und zwar in ihrer Mitte, weil die 
halbſcheidige Bauweiſe vereinbart iſt. Genau dieſe 
Mitte ſoll die Grenze anzeigen und damit den 
tatſächlichen und rechtlichen Verfügungsbereich eines 
jeden Nachbarn bezeichnen. Die Kommunmauer 
iſt auch geeignet als Grenzfeſtſtellungszeichen (durch 
Meſſung zur Mitte) zu dienen, ebenſo, wie beiſpiels⸗ 
weiſe die halbſcheidig gebaute Gartengrenzmauer, 
welche innerhalb eines Mauervierecks zwei Gärten 
voneinander trennt. 

Gleichgültig muß nach dem Sinn und Wort⸗ 
laut des Geſetzes auch ſein, ob durch die Mauer 
der Bauplatz des B von einem Hauſe des A oder 
von einem Teich oder einer ſonſtigen Anlage ge⸗ 
ſchieden wird. Gleichartigkeit der beiderſeitigen 
Dienſamkeit iſt nach 8 921 BGB. nicht er⸗ 
fordert. 

Daß das Hauptaugenmerk des Nachbarn beim 
Kommunbau auf künftige wirtiſchaftliche Vorteile 
gerichtet iſt, naͤmlich auf Erſparung von Baukoſten 
und auf beiderſeitige Raumgewinnung, ſchließt 
keineswegs die Beſtimmung der Kommunmauer 
aus, als Grenzeinrichtung zu dienen. Es iſt kein 
im Geſetz begründetes Erfordernis der Grenzein⸗ 
richtung, daß ſie allein oder hauptſächlich als Grenz⸗ 
einrichtung zu dienen beſtimmt oder geeignet iſt. 
Alle nur denkbaren Haupt⸗ und Sonderzwecke kann 
die Grenzeinrichtung verfolgen. Der Zweck der 
Mauer als Grenzeinrichtung zu dienen, kann der 
letzte und nebenſächlichſte, ja nur ganz zufällig 
mitgewollte Zweck ſein und doch iſt die Mauer 
eine Grenzeinrichtung. Man denke an eine auf 
die Grenze geſetzte Mauer, die in erſter Linie 
beſtimmt iſt, ein Freskogemaͤlde als aͤſthetiſchen 
Abſchluß für eine Parkanlage zu tragen oder eine 
Hecke, die niemals gepflanzt worden waͤre, wenn 
nicht die Nachbarn ſich gegenſeitig den Einblick in 
ihre Grundſtücke hätten verwehren wollen. Bei der 
Kommunmauer iſt, abgeſehen von dem Vorgeſagten, 
die Beſtimmung, als Grenzeinrichtung zu dienen, 
nicht einmal nebenfaͤchlich, ſondern neben der Nüͤtz⸗ 
lichkeit mitgewollter Hauptzweck. 

Das ergibt ſich gerade aus der Tatſache des 
halbſcheidigen Mauerbaues, weil die halbſcheidig 
gebaute Mauer als Zeichen des Grenzbereiches 
und der Verfügungsgewalt eines jeden Nachbars 
nicht nur horizontal der Bodenfläche, ſondern der 
ganzen Höhe nach als Scheidung z. B. anliegender 
Wohnräume zu dienen beſtimmt iſt. 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


Die einen gegenteiligen Standpunkt einneh⸗ 
mende Entſcheidung des RG. in RG3Z3. 70, 204 
entſpringt einer formaliſtiſchen weder dem Partei⸗ 
willen noch den praktiſchen Verkehrsbedürfniſſen 
Rechnung tragenden Geſetzesauslegung. 

(Schluß folgt.) 


Etraferlaß und Etrafmilderung 
im Nienſtſtrafverfahren des bayeriſchen 
Veamteugeſetzes. 


Bon Oberpoftinfpektor Korzendorſer in Regensburg. 


1. Das bayerische . vom 16. Auguſt 
1908 behandelt in den Art. 105 mit 169 das 
Dienſtſtrafverfahren. In dieſen Vorſchriften iſt 
nirgends davon die Rede, daß eine rechtskräftige 
Dienſtſtrafe gemildert oder erlaſſen werden kann. 
Nur im Art. 110 iſt die Gewährung eines Unter⸗ 
haltsbeitrags an einen entlaſſenen Beamten oder 
an ſeine Familie oder feine Hinterbliebenen könig⸗ 
licher Entſchließung vorbehalten. Dabei ſoll der 
Unterhaltsbeitrag die Hälfte des Betrages nicht 
uͤberſchreiten, den der Beamte oder feine Hinter: 
bliebenen als Ruhegehalt, Witwen⸗ oder Waiſengeld 
zu beanſpruchen hätten, wenn der Beamte im Zeit⸗ 
punkte der Dienſtentlaſſung in den Ruheſtand ge⸗ 
treten oder geſtorben wäre. Aus dem Fehlen weiterer 
Beſtimmungen darf man aber nicht den Schluß 
ziehen, daß alle rechtskraͤftigen Dienſtſtrafen auch 
vollzogen werden müßten und für einen Gnaden⸗ 
akt des Königs kein Raum wäre. 


2. Das Dienſtſtrafrecht iſt das Recht des Staates, 
die Beamten wegen Verletzung ihrer Amtspflichten 
zu beſtrafen. Es beruht auf dem Dienſtverhältnis 
des Beamten zum Staat. Nicht als Inhaber der 
öffentlichen Zwangsgewalt, ſondern als Inhaber der 
Dienſtgewalt kann der Staat gegen die Beamten 
einſchreiten, die ihre Dienſtpflichten verletzen. Eine 
Verpflichtung zum Einſchreiten beſteht nicht. Das 
Dienſtſtrafrecht iſt nicht eine Ergänzung des all⸗ 
gemeinen Strafrechts. Strafrechtspflege und Be⸗ 
amtendisziplin ſind nach den Motiven zum BG. 
(Verh. d. Abg. 1907/08 Beil. III S. 109 zu Art. 
115) völlig ſelbſtändige Gebiete, die begrifflich in 
keinem inneren Zuſammenhang ſtehen. Von dieſem 
Grundſatz iſt nur in zwei Fällen — aus Zweck⸗ 
mäßigkeitsgründen — abgegangen worden. Art. 115 
BG. beſtimmt, daß ein Dienſtſtrafverfahren wegen 
eines Dienſtvergehens weder eingeleitet noch fort⸗ 
geſetzt werden darf, wenn der Staatsanwalt wegen 
der nämlichen Tatſachen in einem ſtrafrechtlichen Ver: 
fahren die öffentliche Klage erhoben hat oder wenn 
in einem militärgerichtlichen Verfahren die Anklage 
verfügt worden iſt. Art. 116 des BG. ſchreibt vor, 


201 


daß im Falle einer Freiſprechung durch die Straf⸗ 
gerichte ein Dienſtſtraſverfahren nur inſoferne ſtatt⸗ 
finden darf, als die Tatſachen an ſich und ohne 
ihre Beziehung zu dem geſetzlichen Tatbeſtande der 
ſtrafbaren Handlung. auf die das Strafverfahren 
ſich erſtreckte, ein Dienſtvergehen enthalten. 

Dieſe aus Zweckmaͤßigkeitsgründen getroffenen 
Anordnungen ändern an dem oben dargelegten 
Verhältnis des Dienſtſtrafrechts zum Strafrechte 
nichts. Es iſt hier nicht der Ort, naͤher auf die 
rechtliche Natur der Dienſtſtrafe und des Dienſt⸗ 
ſtrafverfahrens einzugehen. Die hier wiedergegebene 
Anſchauung vertritt Laband (Staatsrecht des Deut⸗ 
ſchen Reichs 1912 Bd. IJ S. 484), Reindl (Kommen: 
tar z. bayer. Beamtengeſetz 1911 S. 505), Woerner 
(Das Disziplinarverfahren in Bayern 1910 S. 12). 
Anderer Meinung iſt Piloty a 17 0 Baye⸗ 
riſches Staatsrecht 1913 Bd. I S. 788). Nach 
ihm iſt es irrig, das Dienſtſtrafrecht als Ausfluß 
der Dienſtgewalt zu betrachten. Denn in dieſem 
Falle müßten die Dienſtſtrafen ſtets vom Vorgeſetz⸗ 
ten verhängt werden, nicht aber, wie im bayeriſchen 
Beamtengeſetz, teilweiſe von den Disziplinarge⸗ 
richten. Dieſer Einwand iſt nicht ſtichhaltig; denn 
er berückſichtigt nicht den Entwicklungsgang des 
bayeriſchen Disziplinarſtrafverfahrens. Vor Er: 
laſſung von Geſetzen dienſtſtrafrechtlichen Inhalts, 
insbeſondere vor Erlaſſung der Staatsdienerprag⸗ 
matik vom 1. Januar 1805 übte der Staat die 
Dienſtgewalt völlig uneingeſchränkt aus. Der Be⸗ 
amte, der jederzeit entlaſſen werden konnte, mußte 
ſich jeder Strafe fügen. Im Laufe der Zeit hat 
der Staat den zeitgemäßen Anſchauungen Rechnung 
getragen und ſich in der Ausübung der Dienſt⸗ 
gewalt ſelbſt geſetzliche Schranken gezogen, insbe⸗ 
ſondere im Beamtengeſetz die Verhängung ſchwererer 
Strafen über unwiderrufliche Beamte eigenen Ge⸗ 
richten, den Disziplinargerichten, übertragen. Die 
Grundlage auch dieſer geſetzlichen Beſtimmungen 
blieb — wie ſich aus dem Geſetz ergibt — die 
aus dem Dienſtverhältnis entſpringende Dienſt⸗ 
gewalt. Nach wie vor haben die den Beamten 
vorgeſetzten Behörden die Entſcheidung, ob ſie wegen 
eines Dienſtvergehens die Einleitung des Dienſt⸗ 
ſtrafverfahrens beantragen wollen und damit das 
Disziplinargericht in Tätigkeit ſetzen wollen. Ebenſo 
kann die Behörde — bis zur Erlaſſung des Urteils 
der Disziplinarkammer — den Antrag zurück⸗ 
nehmen, worauf das Verfahren einzuſtellen iſt. Am 
deutlichſten aber ergibt ſich das Dienſtſtrafrecht als 
Ausfluß der Dienſtgewalt aus der Beſtimmung 
des Art. 114 BG. Hiernach iſt das Dienſtſtraf⸗ 
verfahren einzuſtellen, wenn der Beſchuldigte um 
Entlaſſung aus dem Staatsdienſt unter Verzicht 
auf Titel und Dienſtabzeichen, ſowie auf Dienſt⸗ 
einkommen, Ruhegehalt und Hinterbliebenenver⸗ 
ſorgung nachſucht. Alſo ſchon bei einſeitiger 
Aufkündigung des Amtes durch den Beamten ver⸗ 
zichtet der Staat auf die Weiterverfolgung eines 
Disziplinarverfahrens. Anderer Meinung iſt Reindl 


202 


(a. a. O. S. 538). Er verlangt als Vorausſetzung 
der Einſtellung des Verfahrens die Entlaſſung des 
Beamten, alſo die Genehmigung des Entlaſſungs⸗ 
geſuches. Gegen dieſe Anſicht ſpricht vor allem 
der Wortlaut des Geſetzes. Art. 114 richtet ſich 
an das Disziplinargericht. Er ſetzt die Bedingungen 
feſt, unter denen das Gericht, ohne weiteren An⸗ 
trag der Behörde, das Verfahren einſtellen muß. 
Ob und wann die dem Beamten vorgeſetzte Be⸗ 
hörde dem Entlaſſungsgeſuch ſtaltgeben muß, ſagt 
Art. 10. Im übrigen iſt die Streitſrage von 
keiner großen Bedeutung; denn die Einſtellung 
des Verfahrens iſt auf das Entlaſſungsgeſuch nur 
zu verfügen, wenn die Bedingungen für die ſo⸗ 
fortige Genehmigung des Entlaſſungsgeſuches ge⸗ 
geben ſind. Es fallen alſo wohl in den meiſten 
Fällen die Genehmigung des Entlaſſungsgeſuches 
durch die vorgeſetzte Behörde und die Einſtellung 
des Verfahrens durch das Disziplinargericht zeit⸗ 
lich zuſammen. 

3. Sind die Urteile der Disziplinargerichte 
rechtskraͤftig, dann müſſen fie von den zuſtändigen 
Verwaltungsbehörden vollzogen werden (BG. 
Art. 163). Da aber die Urteile keinerlei Zeit⸗ 
beſtimmung darüber enthalten, wie lange ihre 
Folgen beſtehen ſollen, ſo können die Behörden 
den Beſtraften wieder befördern, ihn wieder auf 
ſeine frühere Amtsſtelle zurückverſetzen, einen Ent⸗ 
laſſenen wieder aufnehmen. Dieſe Verfügungen 
ſind keine Gnadenverfügungen der Verwaltungs⸗ 
behörden, ſie dürfen deshalb vorgenommen werden, 
weil ſie durch das Geſetz nicht ausdrücklich ver⸗ 
boten ſind und weil durch den Vollzug der Strafe 
die Strafmacht für den einzelnen Fall aufgebraucht 
iſt und die Verwaltungsbehörde dem Beamten 
gegenüber wieder ihre uneingeſchränkte Verfügungs⸗ 
gewalt erhält. Die Behörden werden aber aus 
Gründen der Dienſtzucht ſolche Verfügungen nicht 
alsbald nach Erlaſſung der Urteile treffen. Sind 
dieſe Urteile doch auf ihren Antrag hin erlaſſen 
worden. Reindl (a. a. O. S. 521) iſt der An⸗ 
ſicht, daß die ſpätere Wiederanſtellung eines in⸗ 
folge Disziplinarurteils aus dem Dienſte entlaſſenen 
Beamten nicht ausgeſchloſſen iſt, aber doch „wohl“ 
nur auf Grund eines Begnadigungsaktes des 
Königs erfolgen könne, da ſonſt die kraft Geſetzes 
eintretende Wirkung des Disziplinarurteils, näm⸗ 
lich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, 
durch einen Anſtellungsakt einer zur Anſtellung 
an ſich zuſtändigen Dienſtbehörde wieder beſeitigt 
werden könne. Bei Beförderung eines vorher 
durch Urteil in eine niedrigere Dienſtklaſſe ver: 
ſetzten Beamten ſcheint er dies nicht zu verlangen 
(a. a. O. S. 201, 197). Dieſe verſchiedene Art 
der Behandlung der beiden rechtlich gleichen Fälle 
iſt nicht begründet. Ich halte hier, wie ich bereits 
ausgeführt habe, einen Gnadenakt des Königs 
nicht für notwendig. Selbſtverſtändlich iſt, daß 


ein Beamter, dem die bürgerlichen Ehrenrechte 


oder die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter 


Z3Zieeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


aberkannt wurde, erſt nach Ablauf der Zeitdauer 
der Ehrenſtrafe oder nach einer Begnadigung durch 
den König wieder angeſtellt werden kann. 

4. Können ſo die Wirkungen der Dienſtſtrafen 
durch Maßnahmen der Verwaltungsbehörden auf⸗ 
gehoben werden, ſo kann auch der Vollzug der 
Urteile durch königliche Entſchließung gemildert 
oder erlaſſen werden. In Art. 110 Abſ. 3 BG. 
iſt, wie ich ſchon im Anfang meiner Ausführungen 
erwähnte, von der Möglichkeit geſprochen, daß 
durch königliche Entſchließung einem entlaſſenen 
Beamten oder ſeiner Familie ein Unterhaltsbeitrag 
bewilligt werden kann. In dieſer Beſtimmung 
ſoll nicht etwa das Recht des Königs begründet 
werden, die Disziplinargerichtsſtrafen zu mildern. 
Es wird hier nur erwähnt, um es zu beſchraͤnken, 
wenn in dieſer „Sollvorſchrift“ überhaupt eine Be⸗ 
ſchränkung der königlichen Gewalt erblickt werden 
kann. Das Recht des Königs, die Disziplinargerichts⸗ 
ſtrafen zu mildern oder aufzuheben, iſt begründet in der 
dem Staatsoberhaupt zuſtehenden Dienſtgewalt. 
Daran iſt durch das Beamtengeſetz nichts geändert 
worden. Die Aufgabe dieſes Rechtes müßte im 
Geſetze ausdrücklich ausgeſprochen worden ſein. 
Dieſes Recht iſt kein Teil des dem König 
ſonſt zuſtehenden Begnadigungsrechtes. Denn unter 
Begnadigung verſteht man nach allgemeiner An⸗ 
ſicht die Beſeitigung der Rechtsfolgen einer Straf⸗ 
tat durch Verfügung der Staatsgewalt. Da es 
ſich aber beim Dienſtſtrafrecht nicht um das all⸗ 
gemeine Strafrecht handelt, darf man nicht das 
dem König zuſtehende Begnadigungsrecht im Straf⸗ 
verfahren ohne weiteres auf das Dienſtſtrafrecht 
übertragen. Reindl vertritt (a. a. O. S. 684 
Bem. 4, S. 581 Anm. 3 und 4) die Meinung, 
daß der König das Recht der Begnadigung im 
Disziplinarſtrafverfahren gemäß Tit. VIII 8 4 
der Verfaſſungsurkunde habe. Denn nach dieſer 
Verfaſſungsbeſtimmung könne der König in „ſtraf⸗ 
rechtlichen Sachen“ Gnade erteilen, die Strafe 
mildern oder erlaſſen. Daß hier unter „ftraf: 
rechtlichen“ Sachen auch disziplinarſtrafrechtliche 
Sachen zu verſtehen ſeien, könne um ſo weniger 
einem Zweifel unterliegen, als auch in Art. XII 
des Miniſterverantwortlichkeitsgeſetzes vom 4. Juni 
1848 ausdrücklich geſagt ſei, daß der König be⸗ 
züglich der in Art. IX dieſes Geſetzes vorgeſehenen 
Strafen von dem Rechte der Begnadigung keinen 
Gebrauch machen werde. Dieſe Anſicht widerſpricht 
einmal der auch von Reindl vertretenen Lehre, 
daß Dienſtſtrafrecht und Strafrecht nichts mit⸗ 
einander zu tun haben. Noch weniger zwingt zu 
dieſer Anſicht der Umſtand, daß im Miniſterverant⸗ 
wortlichkeitsgeſetze von Begnadigung die Rede iſt. 
Denn zur Zeit der Erlafjung des Geſetzes im 
Jahre 1848 war das Disziplinarrecht vom Kriminal⸗ 
recht noch nicht ſo ſcharf getrennt wie heute (fiehe 
Staatsdieneredikt). Zudem iſt es ſehr wahrſchein⸗ 
lich, daß der Geſetzgeber des Jahres 1848 das 
Miniſterverantwortlichkeitsgeſetz für ein Geſetz ftra]: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


203 


rechtlicher Natur hielt und deshalb mit dem Be⸗ 
griff der Begnadigung arbeitete. 


5. Es bleibt nun noch die Frage zu erörtern, 
ob die Verwaltungsbehörden rechtskräftige Ord⸗ 
nungsſtrafen erlaſſen können. Darüber beſteht 
kein Zweifel, daß jede Behörde eine Ordnungs⸗ 
ſtrafverfügung, die ſich als gänzlich unbegründet 
herausſtellt, auch nach der Rechtskraft und nach 
dem Vollzug wie jede andere Verfügung wieder 
aufheben kann, es müßte denn ſein, daß bei einer 
Geldſtrafe die Behörde mit Rückſicht auf die Ein⸗ 
zahlung an die hiezu beſtimmte Kaſſe zur Rück⸗ 
zahlung der Geldſtrafe nicht zuſtändig wäre. 

Dagegen find die Behörden nicht zuſtändig, 
Ordnungsſtrafen im Wege der Gnade zu erlaſſen. 
Hiezu fehlt ihnen die geſetzliche Ermächtigung. 


Beitreibung von Wechfelforderungen. 
Von Dr. Albert Bittinger, Landgerichtsrat in München. 


Als ein Mittel zur raſcheren und billigeren Bei⸗ 
treibung hat man die Vollſtreckbarkeit proteſtierter 
Wechſel vorgeſchlagen. Mit Recht hat man ein⸗ 
gewendet, daß von vorneherein nur ſolche prote⸗ 
ſtierte Wechſel in Betracht kommen könnten, bei 
denen die Echtheit der Unterſchrift des Wechſel⸗ 
ſchuldners feſtſteht, alſo wohl durch ſein Aner⸗ 
kenntnis beim Proteſt. Es wäre ſonſt in der Tat 
die Verlockung für Wechſelfälſcher und die Gefahr 
für jedermann allzu groß. 

Daß unſer Verfahren zur Feſtſtellung und 
Beitreibung von Anſprüchen im allgemeinen der 
Vereinfachung und Beſchleunigung bedarf, wird 
nicht leicht in Abrede geſtellt werden; bedarf aber 
gerade der Wechſelanſpruch im Verhaͤltnis zu anderen 
noch einer weiteren Beſchleunigung über das Maß 
des geltenden Rechtes hinaus? Soll ſeine Bevor⸗ 
zugung noch weiter entwickelt werden? 


Bei einer großen Menge von Wechſeln und 
gerade von Wechſeln über hohe Beträge ſcheint 
dieſes Bedürfnis recht fraglich. Das iſt die Flut 
von Wechſeln, die im Verkehr der großen Unter⸗ 
nehmen und der Banken, beſonders auch im inter⸗ 
nationalen Verkehr, fortwährend geräuſchlos unter⸗ 
wegs iſt. Die Proteſtierung eines ſolchen Wechſels 
iſt verhältnismäßig ſelten, noch ſeltener die gericht⸗ 
liche Geltendmachung. Wenn nicht außergewöhn⸗ 
liche Ereigniſſe die geſamte Geſchäftslage oder eine 
einzelne Firma betreffen, ſo verläuft alles glatt; 
in Anbetracht möglicher Kriſen eine noch ſchärfere 
Ordnung einzuführen, als ſie ohnedies zu Gebote 
ſteht, wird kaum im Intereſſe dieſer Kreiſe liegen. 

Eine andere Gruppe von Wechſeln, welche die 
Gerichte zahlen⸗ und auch verhältnismäßig weit 
häufiger beſchaftigen, find die Kundenwechſel, ent: 


weder ſolche, die vom Groſſiſten auf ſeinen Ab⸗ 
nehmer gezogen und, manchmal als einfache Tratten, 
in den Verkehr gebracht werden, oder ſolche, die 
der Abnehmer auf ſeine eigenen Kunden gezogen 
und ſeinem Groſſiſten in Zahlung gegeben hat. 
Wenn ſolche Wechſel Not leiden, ſo wird die be⸗ 
währte Unterſcheidung zu machen ſein zwiſchen 
Schuldnern, die wohl zahlen möchten, es aber 
nicht auf der Stelle — der haͤufigere Fall — 
oder überhaupt nicht können, und Schuldnern, die 
nicht zahlen wollen. Bei den erſteren, die frei⸗ 
lich gutwillig die Echtheit ihres Akzeptes beim 
Proteſt anerkennen würden, würde der vernünſtige 
Glaͤubiger auch mit der Vollſtreckbarkeit des 
proteſtierten Wechſels nur an Koſten ſparen; auf 
den kleinen Zeitunterſchied kann es da kaum an⸗ 
kommen, wenn man bedenkt, daß bei gutem Willen‘ 
die Wechſelklage ſchon vorbereitet ſein und dem 
Gericht vorgelegt werden kann unmittelbar nach 
der Feſtſtellung, daß der Wechſel vergeblich praͤ⸗ 
ſentiert worden iſt. Darüber ließe ſich allerdings 
reden, ob nicht die Einlaſſungsfriſten zum Teil 
noch kürzer bemeſſen werden könnten als in 
8 604 30. 

Der böswillige Wechſelſchuldner, dem es um 
Schikane oder Verſchleppung zu tun iſt, würde es 
ſchleunig lernen, bei der Proteſterhebung nicht an⸗ 
weſend zu ſein, ſo daß er eine ausdrückliche Er⸗ 
klärung über die Echtheit ſeines Akzeptes nicht 
abzugeben bräuchte, oder die Echtheit zunächſt ein⸗ 
mal zu beſtreiten. Da, wo die Vollſtreckbarkeit 
des proteſtierten Wechſels am wichtigſten waͤre, 
würde ſie zumeiſt verſagen. 

Was die Wechſel über mehr als 600 M an- 
langt, ſo zeigt ſich hier beſonders deutlich, wie 
wenig der unbedingte Anwaltszwang am Platz iſt. 
Bei der Mehrzahl aller Wechſelſachen ſpricht für 
ihn nur die eine Erwägung, daß, aͤhnlich wie bei 
der Mehrzahl der Beleidigungsklagen, die ver⸗ 
hältnismäßig gute Honorierung des Anwalts für 
durchſchnittlich ſehr leichte Arbeit einen Ausgleich 
ſchafft gegenüber ſolchen Sachen, bei denen Arbeit 
und Honorar ſich umgekehrt verhalten. Wer aber 
von Wechſeln überhaupt etwas verſteht, und nur 
ſolche Leute ſollten Wechſel unterſchreiben, der kann 
auch ein gedrucktes Wechſelklage⸗Formular richtig 
ausfüllen und in der Sitzung den richtigen 
Antrag ſtellen; wenn ausnahmsweiſe die Sache 
kontradiktoriſch und obendrein ſchwierig wird, iſt 
immer noch Zeit für das Auftreten des Anwalts. 
Und wiederum an den zahlloſen Verſaͤumnisurteilen 
in Wechſelſachen wird beſonders deutlich, wie un⸗ 
nötig es iſt, daß Antrag und Entſcheidung in 
öffentlicher Sitzung,) „auf Grund mündlicher 
Verhandlung“ vor ſich gehen und daß die häu⸗ 
figen geringfügigen Zuvielforderungen an Zinſen 


1) Die Geſchäftswelt freilich kümmert ſich ſehr 
darum, gegen welche Firmen Verſäumnisurteile, und 
gerade in Wechſelſachen, ergehen. 


204 geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


und Speſen — oft nur Pfennigbeträge, aber 
eben doch ungerechtfertigt — nur durch ein kontra⸗ 
diktoriſches Teilurteil erledigt werden können, wenn 
einmal die übliche Verſtändigung zwiſchen Gericht 
und Anwalt nicht zuwege gebracht werden ſollte. 

Die Praxis gibt übrigens dem Wechjelgläubiger 
ein ſchneidiges Mittel an die Hand, indem ſie aus 
dem Wechſel die Klage nach 8 257 ZPO. zuläßt; 
ein gewiſſes Widerſtreben iſt hier freilich nicht un⸗ 
begründet, denn der Wechſel iſt regelmäßig zum 
Umlauf beſtimmt und nichts ſteht im Weg, daß 
der Inhaber ihn nach erwirktem Urteil immer noch 
in den Verkehr bringt; der noch jo zahlungsfahige 
und zahlungswillige Wechſelſchuldner aber iſt un⸗ 
bedingt genötigt, den Verhandlungstermin wahr⸗ 
zunehmen, wenn er nicht koſtenfällig werden will. 
Dem Geſchaͤftsmann allerdings iſt es insbeſondere 
dann nicht zu verdenken, wenn er von 8 257 ZPO. 
dieſen Gebrauch macht und nicht erſt auf 8 259 
zurückgreift, wenn er, wie jo oft, auf ſeinen Ab⸗ 
nehmer eine Reihe von nach und nach fälligen 
Wechſeln gezogen hat und ſchon einer der erſten 
Not leidet. 

Eine weitere Gruppe bilden diejenigen Wechſel, 
bei denen die Wechſelverpflichtung nicht im regel⸗ 
mäßigen Geſchäftsbetrieb des Schuldners, ſondern 
gelegentlich übernommen iſt. Dieſe Gruppe liefert 
den größten Teil der kontradiktoriſchen Wechſel⸗ 
prozeſſe und hieher gehören beſonders die Wechſel⸗ 
forderungen der Geldgeber bei Darlehens⸗ und ähn⸗ 
lichen Geſchäften, der Erteiler von Lizenzen, der 
Beſteller von Generalvertretungen. Der wahre 
Herr des Geſchäftes erſcheint hier oft nicht als 
Traſſant, ſondern als Indoſſant und oft klagt er 
nicht ſelbſt, ſondern ein Strohmann für ihn. Leute, 
die ſich nur mit Vor⸗ und Zunamen bezeichnen, 
und dies weder aus Stolz noch aus Beſcheidenheit, 
„Kaufleute“ ohne Firma und ohne Geſchäftsräume, 
„Hausbeſitzersehegattinnen“, „Privatiers“ ſind oft 
die Kläger, Beſitzer überſchuldeter Häuſer, alte 
Dienſtboten, Offiziere a. D., allerlei Künſtler, Kauf⸗ 
leute ohne Firma und Geſchäft, allerhand Ehefrauen 
und Söhne ſind oft die Beklagten. Die Einrede 
geht zumeiſt gegen das Kauſalgeſchäft und häufig 
iſt ſie begründet. Aber auch Fälſchungen ſpielen 
nicht ganzen ſelten herein. Solche Prozeſſe bedürfen 
gewiß keiner größeren Beſchleunigung als ſie im 
großen und ganzen ſchon das geltende Recht er⸗ 
möglicht. Wohl aber bedürfen ſie des gerade hier 
oft unbeliebten perſönlichen Erſcheinens der Parteien, 
vor allem zur Vermeidung des zugeſchobenen Eides. 
(Immer wieder wird unzuläſſigerweiſe der Eid 
ſchlechtweg darüber zugeſchoben, „daß der Beklagte 
die Unterſchrift auch nicht genehmigt hat“, vgl. 


ROL G. VII 394.) Wenn ſich die Parteien aus 
freien Stücken ſchon zum erſten Termin einfinden, ift : 


da viel Zeit und Umſtändlichkeit zu ſparen. Wie 


gefährlich aber gerade hier die Vollſtreckung ſchon 
aus dem proteſtierten Wechſel wäre, ſpringt in die 


Augen. 


— 
— 


Bei ſolchen Prozeſſen wirft gelegentlich ein 
Handelsrichter die Frage auf, ob dieſe Leute nicht 
beſſer der Wechſelfähigkeit entbehren würden. Nun 
beſteht keine Ausſicht, daß die Wechſelgeſetzgebung 
in dieſer Richtung rückwärts geändert werden könnte; 
die bewußte öffentliche Meinung würde wunder 
glauben, welche Entrechtung des ſteuerzahlenden 
Volkes da wieder im Werk ſei. In der Tat aber 
kann der dem Unerfahrenen jo gefährliche Wechſel 
außerhalb des ſich kaufmaͤnniſch abſpielenden Ber: 
kehrs kein Bedürfnis ſein. Der Scheck, das ſchrift⸗ 
liche Schuldanerkenntnis, die vollſtreckbare Nota⸗ 
riatsurkunde wären inſoweit ein beſſerer Erſatz. 
Nicht einmal der herkömmliche Solawechſel bei der 
genoſſenſchaftlichen Kreditgewährung dürfte not⸗ 
wendig ſein. 


Alſo Vereinfachung und Beſchleunigung auch 
für Wechſelſachen wie überhaupt, nicht aber auf 
dem Weg der Vollſtreckbarkeit des proteſtierten 
Wechſels!“) 


Kleine Mitteilungen. 


Zuläſſigkeit der Widerklage trotz Unzuläſſigkeit der 
Aufrechnung? Nicht ſelten wird im Prozeß vom Be⸗ 
klagten gegenüber einer Forderung, die er an ſich nicht 
beſtreitet, im Weg der Widerklage eine Gegenforde⸗ 
rung in gleicher Höhe geltend gemacht, weil einer Auf⸗ 
rechnung Geſetz oder Vertrag entgegenſteht. Bei 
näherer Betrachtung erweiſt ſich dieſe Widerklage als 
unzuläſſig, da ſie nichts anderes als eine Umgehung 
des geſetzlichen oder vereinbarten Ausſchluſſes der Auf⸗ 
rechnung iſt. 

1. Grundſätzlich iſt zu verneinen, daß dem Be⸗ 
klagten die Rechtsbehelfe der Aufrechnung und der 
Widerklage wablweiſe nebeneinander zuſtehen. 

Es iſt davon auszugehen, daß beide rechtsbegriff⸗ 
lich vollkommen verſchieden find.) Die Aufrechnung 
iſt ein Verteidigungsmittel, fie iſt darauf gerichtet, die 
klagsweiſe geltend gemachte Forderung als erloſchen 
anſehen zu laſſen (8 389 BGB.), den Klaganſpruch 
zu verneinen. Die Widerklage iſt eine ſelbſtändige, 
lediglich zum Zweck gemeinſamer Verhandlung mit 
der Klage verbundene Klage, ſie macht neben dem 
Klaganſpruch einen anderen Anſpruch in umgekehrter 
Richtung geltend.“ 


2) Bei dieſem Anlaſſe ſei folgende Beobachtung 
mitzuteilen geſtattet. Es kommt vor, daß eine Bank 
einen von ihr diskontierten Wechſel an eine Reihe ihrer 
Filialen weitergibt, daß die letzte Filiale proteſtieren 
läßt und nun beim Regreß dem Vormann der Bank 
Proviſionen auch wegen der Indoſſamente an die Fi⸗ 
lialen berechnet werden. Offenbar zu Unrecht, denn 
ein Regreß iſt nur unter verſchiedenen Rechtsſubjekten 
möglich; für einfache Verrechnungen unter Filialen 
desſelben Handelsgeſchäftes fällt die Proviſion nach 
Art. 573 WO. nicht an. 


1) Gaupp⸗Stein 10. Aufl. Anm. VI 3a zu § 145. 
2) a. a. O. Anm. I zu § 33, VI I zu $ 145. 


2 
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1 
1 
1 
1 
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1 
1 


- Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


Wie der Begriff, ſo ſind auch die Vorausſetzungen 
beider prozeſſualer Vorgänge völlig verſchieden. Die 
Vorausſetzungen der Aufrechnung richten ſich, auch 
wenn ſie im Prozeß erklärt wird, nach den Grund⸗ 


ſätzen des bürgerlichen Rechts;) 8 387 BGB. fordert 


nur Gleichartigkeit der Leiſtungen dem Gegenſtand 
nach, nicht rechtlichen Zuſammenhang (Konnexität) 
zwiſchen ihnen.“) Dagegen ſtellt das Geſetz für die 
Widerklage das Erfordernis des Zuſammenhangs auf.“) 

Dieſer Unterſchied findet ſeine innere Berechtigung 
darin, daß Aufrechnung und Widerklage, auf ein anderes 
Ziel gerichtet, eine andere Wirkung hervorbringen. 
Erweiſt ſich die Aufrechnung als begründet, ſo wird 
die Klage abgewieſen; dringt die Widerklage durch, 
ſo wird der Kläger im Urteilsſatze ausdrücklich zur 
Leiſtung verurteilt.“) Die Vorausſetzungen für das 
F ſind leichter als die des Angriffs⸗ 
mittels. 

Da die Aufrechnung ſich nur dem Klaganſpruch 
entgegenſtellt, ſo kann ſie ſich — von der vorſorg⸗ 
lichen Aufrechnung abgeſehen — nur richten gegen 
den im übrigen nicht beſtrittenen Anſpruch bis zu dem 
Betrag, der klagsweiſe begehrt wird. Soweit ſie zu⸗ 
läſſig iſt, ſchließt ſie die Widerklage aus; denn für 
dieſe fehlt dem Beklagten das Rechtsſchutzbedürfnis.“) 
Widerklage kann alſo, ſofern die prozeſſualen Voraus⸗ 
ſetzungen überhaupt gegeben find, erhoben werden 
a) gegenüber einer an ſich beſtrittenen Klagforderung 
ohne Rückſicht auf deren Höhe, b) gegenüber einer an 
ſich nicht beſtrittenen Klagforderung, inſoweit die Gegen⸗ 
forderung dieſe überſteigt. Erweiſt ſich im Fall a) auch 
die Klage als begründet, ſo iſt die Widerklage inſoweit 
als vorſorgliche Aufrechnung aufzufaſſen, da, wie noch 
zu erörtern ſein wird, eine Geldleiſtung Zug um Zug 
nur als Aufrechnung in Erſcheinung treten kann. 

a und Widerklage ſchließen ſich alſo 
grundſätzlich a 

2. Da die Unzuläffialeit der Widerklage an Stelle 
der Aufrechnung daraus gefolgert iſt, daß für jene 
neben dieſer weder Raum noch Bedürfnis ſei, ſo fragt 
es ſich, ob nicht das Gegenteil für den Fall gelten 
müſſe, daß die Aufrechnung ſelbſt gegenüber der klags⸗ 
weiſe geltend gemachten Forderung unzuläſſig iſt. Bei 
Bejahung dieſer Frage würde alſo an Stelle der un⸗ 
zuläſſigen Aufrechmmg die Widerklage treten, und 
zwar entgegen dem entwickelten Grundſatz gegenüber 
dem an ſich nicht beſtrittenen Anſpruch des Klägers 
in deſſen Betrag. 

a) Keine Unzuträglichkeiten würden für die ſach⸗ 
liche Entſcheidung dann erwachſen, wenn die Wider⸗ 
klage ſich als unbegründet erweiſt; denn ob die Klage 
nun gerechtfertigt iſt oder nicht, keinesfalls wird die 
Entſcheidung über ſie von der nicht begründeten Wider⸗ 

8 145. 


klage beeinflußt. 
zu 
zu 8 387; Staudinger 


) d. a. O. Anm. VI 1 
) RGRKomm. Anm. 
5./6. Aufl. Anm. I 2d, IV zu 8 387; Planck 3. Aufl. 
Anm. 5 5 33 8 57705 Oertmann 2. Aufl. Anm. 2 zu 8 387. 
1515 ‚, vgl. Warneyer Rſpr. 1908 S. 440 
Nr. 550 1910 S. 498 Nr. 473, 1911 S. 108 Nr. 99. 
A. M. Gaupp⸗Stein Anm. II zu § 33, der RG. 46, 
426 und 51, 322 m. E. zu unrecht für ſeine Anſicht 
in Anſpruch nimmt; ebenſowenig ſteht Warneyer 1908 
S. 541 Nr. 662 entgegen. 
6) Gaupp⸗Stein Anm. I zu § 33, VI 1 zu 8 145. 
= 505 a. O. Anm. zu 8 33; Warneyer 1908 S. 440 
r. 


205 


b) Wird aber der Widerklage ftattgegeben, fo 
wäre zunächſt der Fall denkbar, daß die Klage, hin⸗ 
ſichtlich deren der zugrunde liegende Sachverhalt zwar 
nicht beſtritten, aber auch kein formelles Anerkennt⸗ 
nis abgegeben worden iſt, abgewieſen werden müßte. 
Da ein bloßes Anerkenntnis (8 307 ZPO.), das den 
Richter im allgemeinen) der rechtlichen Beurteilung 
enthebt, nicht vorliegt, ſondern nur ein ſtillſchweigendes 
oder ausdrückliches Geſtändnis (88 138, 288 3 PO.) 
ſo kann der Richter aus Rechtsgründen, deren ſich der 
Beklagte gar nicht bewußt geweſen iſt,“) dazu gelangen, 
die Klage nicht für begründet zu erachten. Jura novit 
curia. i) 

Wenn mim andernteils die Widerklage dem Ge⸗ 
richt tatſächlich und rechtlich begründet erſcheint, ſo 
wird die Klage abgewieſen, der Widerklage ſtattgegeben. 
Damit wird dem Beklagten und Widerfläger, der ja nur 
den Klaganſpruch abwehren will, etwas zugeſprochen, 
was er gar nicht begehrt hat, und ſo gegen den Grund⸗ 
ſatz der Verhandlungsmaxime — me eat judex ultra 
petita partium — verſtoßen (8 308 ZPO.) 

c) Ferner zeigt ſich im regelmäßigen Fall der Be⸗ 
gründung beider Klagen die Unzuläſſigkeit der Wider⸗ 
klage. Wenn dasſelbe Urteil in Ziff. I dem Kläger 
eine beſtimmte Summe zuſpricht und in Ziff. II dem 
Beklagten einen gleich hohen Anſpruch gegen den Kläger 
gewährt, ſo iſt damit im Erfolg eine Forderung der 
andern zum Zweck der Aufrechnung gegenübergeſtellt. 
Geldleiſtungen Zug um Zug lönnen nur den Sinn 
einer Aufrechming haben.“) 

Die Widerklage fällt alſo, ungeachtet ihrer Be⸗ 
zeichnung, gar nicht unter dieſen Begriff, ſie iſt in 
Wirklichkeit Aufrechnung, da im Sinne des 8 388 BGB. 
erklärt iſt, daß der Beklagte dem Kläger nichts mehr 
ſchuldig ſein wolle.“) 

3. Eine abweichende Auffaſſung müßte auch zu 
5 gelangen, die unmöglich zutreffend ſein 
önnen. 

Dies gilt zunächſt von der Entſcheidung in der 
Hauptſache, und zwar ſowohl für den Ausſchluß der 
Aufrechnung durch Vertrag als für den infolge geſetz⸗ 
lichen Verbots. 

a) Eine Vereinbarung über den Ausſchluß der 
Aufrechnung kann zweifellos rechtswirkſam getroffen 
werden.“) Da der Erfolg einer Widerklage derſelbe 
wäre, den ohne den Vertrag die Aufrechnung erzielen 
würde, ſo lönnte der Beklagte den gültigen Vertrag 
durch eine prozeſſuale Maßnahme der Wirkſamkeit be⸗ 
rauben. Wer auf Aufrechnung verzichtet hat, braucht 
ſich nur auf die Summe, die er auch nach ſeiner eignen 
Anſicht ſchuldig iſt, verklagen zu laſſen, und er iſt 
praktiſch ſeines Aufrechnungsverzichts ledig. Es könnte 
alſo allein die Tatſache eines Rechtsſtreits einen wirk⸗ 
ſamen Vertrag aus der Welt ſchaffen. 


5 3 a Gaupp⸗Stein III zu 8 307; auch RG. 

9 G ienſteln, Bay f R. 1912 S. 34. 

10) Gaupp⸗Stein Vorbem. II 4 vor 8 128; Anm. 
III 3 zu 8 253; III zu § 368; II 1a zu § 288; Oert⸗ 
mann, 8PRecht § 2 S. 6; vol. von der Pfordten, 
Bay ZR. 1911 S. 9173: Krafft, Bay gf. 1912 S. 59. 

11) a Rſpr. 1908 S. 440 Nr. 550. 

) RG. 59, 211; Gaupp⸗Stein Anm. I zu $ 33. 

18) ne Anm. 1 zu §387; Staudinger Anm. II 
zu $ 387; Vorbem. 1 vor 8 393; Planck Anm. 3 zu 
8 387; Oertmann 2. Aufl. Vorbem. 2 vor 8 387. 


206 


b) Nicht anders verhält es ſich mit dem vom Reichs⸗ 
gericht in der Entſcheidung vom 24. April 1908) un⸗ 
entſchieden gelaſſenen Fall, daß ein geſetzliches Ver⸗ 
bot (85 390 ff. BGB.; 88 221, 320 HGB.: 8 19 GmbH.; 
8 22 GenG.; 8 26 Geſetz über die privaten Verſiche⸗ 
rungsunternehmungen vom 12. Mai 1901) der Auf⸗ 
rechnung entgegenſteht. Es würde bedeutungslos werden 
in dem Augenblick, da es im Rechtsſtreit zur Geltung 
kommen ſollte. 

4. Auch abgeſehen von der Entſcheidung in der 
Hauptſache würde die Zulaſſung der Widerllage in 
dieſen Fällen Unſtimmigkeiten ergeben. 


a) Gemäß 85 ZPO. findet bei Bewertung des 
Streitgegenſtands eine Zuſammenrechnung der Klage 
und Widerklage nicht ſtatt. Das gilt aber nicht hin⸗ 
ſichtlich der Gebühren. Sofern beide Klagen nicht 
denſelben Streitgegenſtand betreffen, werden für die 
Gebührenbewertung beide Klagen zuſammengerechnet 
(8 11 SRG. 8 10 GO. f. RA.). “) Gerichts⸗ und An⸗ 
waltsgebühren müßten ſonach bei Gegenüberſtellung 
einer gleich hohen Gegenforderung durch Widerklage 
aus einer doppelt ſo hohen Summe berechnet werden 
als im Fall der Aufrechnung. 


b) Der gleiche Grundſatz der Zuſammenrechnung 
der Höhe der Klage und Widerklage gilt für die Reviſions⸗ 
ſumme.“) Würde ſonach einem den Betrag von nur 
2000 M überſteigenden Klaganſpruch eine gleich hohe 
Gegenforderung gegenübergeſtellt, ſo lönnte der Pro⸗ 
zeß in die Reviſionsinſtanz kommen, ſofern eine 
Partei durch die Entſcheidung hinſichtlich der Klage 
und der Widerklage beſchwert iſt. Dies wird aber 
nicht nur in dem obenerörterten ſeltenen Fall, daß 
die Klage, deren Tatbeſtand nicht beſtritten iſt, ab⸗ 
gewieſen und der Widerklage ſtattgegeben wird, praktiſch 
werden können, ſondern vor allem auch dann, wenn 
der Beklagte unter Abweiſung der Widerklage ver⸗ 
urteilt wird. 

Auch hier zeigt ſich ſonach die Wirkung, daß eine 
prozeſſuale, ins Belieben einer Partei geſtellte Maß⸗ 
nahme eine zwingende geſetzliche Vorſchrift umgehen 
könnte. 

e) Endlich führt auch die Koſtenentſcheidung die 
Unrichtigkeit der abweichenden Auffaſſung vor Augen, 
da hier die Widerklage zu einer unbegründeten Be⸗ 
laſtung des Beklagten führen würde. Dringt er mit 
der Aufrechnung durch, ſo erreicht er die Klagab⸗ 
weiſung und damit die Verurteilung des Gegners in 
die Streitkoſten, 8 91 ZPO. Wird aber feiner Wider⸗ 
klage gegenüber der ebenfalls als begründet erachteten 
Klage ſtattgegeben, ſo hat jede Partei im gleichen 
Betrag teils obgeſiegt, teils iſt ſie unterlegen; die 
notwendige Folge iſt gemäß 8 92 ZPO. die Aufhebung 
der Koſten gegeneinander. 

5. Es muß ſonach allgemein als Norm gelten, 
daß eine Gegenſorderung, die nicht zur Aufrechnung 
verwendet werden darf, auch nicht zum Gegenſtand 
einer Widerklage gemacht werden kann. Eine ſolche 


140 Warneyer Rſpr. 1908 S. 440 Nr. 550. 

) Gaupp⸗Stein Anm. III zu 8 5; Merzbacher, 
SD. f. RA. 2. Aufl. Anm. 4 zu 85 30. 

0) Gaupp⸗Stein Anm. V 2 zu § 546; Reiſenegger— 
Schmidt, ERG. 2. Aufl. Anm. 4 zu § 11; RG. 7, 388 
(V. 3 S.); JW. 190 S. 505 Nr. 5. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


Widerklage iſt vielmehr unzuläſſig, wie dies das Reichs 

gericht, allerdings ohne nähere Begründung, in ſeiner 

Entſcheidung vom 6. Juli 1894) auch ausgeſprochen hat. 
Rechtsanwalt Dr. Berlin in Nürnberg. 


Unerwünſchte Nebenwirkung einer Polizeivorſchrift. 
5 12 b der ſittenpolizeilichen Vorſchriften der Polizei⸗ 
direktion München, die auf Grund des 8 361 Nr. 6 StGB. 
erlaſſen find, verbietet den unter ſitten polizeiliche Auf⸗ 
ſicht geſtellten Frauensperſonen den Verkehr mit Manns⸗ 
perſonen, welche an den Erträgniſſen der Unzucht teil⸗ 
nehmen oder welche dem Unzuchtsgewerbe dadurch 
Vorſchub leiſten, daß fie die unter Aufſicht Geſtellte 
auf der Straße in größerer oder geringerer Entfernung 
begleiten oder in ihrer Wohnung zu ihrem Schutz ſich 
bereit halten. Die Faſſung dieſer Vorſchrift weiſt hin 
auf die beiden Begehungsformen der Zuhälterei, die 
ausbeutende und die kuppleriſche, und ſtrebt die Unter⸗ 
drückung des Zuhälterunweſens mittelbar an, wie es 
die ſtrengere Strafbeſtimmung des 8 181 a StGB. un» 
mittelbar bezweckt. Allein die Erreichung dieſes Zieles 
vereitelt das Beſtehen der angeführten Kontrollvor⸗ 
ſchrift in gewiſſer Richtung ſelbſt, inſoferne ſie die Be⸗ 
ſtrafung des Zuhälters erheblich erſchwert ja häufig 
unmöglich macht, inſoweit die Zuhälterdienſte einer 
öffentlichen Dirne geleiſtet werden. 

Der Zuhälter geſteht erfahrungsgemäß ſo ſelten 
wie ein gewerbsmäßiger Wilderer. Seine Ueberführung 
hängt gewöhnlich von dem Zeugnis der ausgebeuteten 
oder beſchützten Dirne ab. Dieſe aber kann die Aus⸗ 
kunft auf ſolche Fragen verweigern, deren Beantwor⸗ 
tung ihr die Gefahr ſtrafgerichtlicher Verfolgung zu⸗ 
ziehen würde (3 54 StPO.). Die hier einſchlägigen 
Fragen erſchöpfen ſich meiſtens darin, ob der Ange⸗ 
klagte von der Dirne den Lebensunterhalt ganz oder 
teilweiſe bezog oder ihr in bezug auf die Ausübung 
des unzüchtigen Gewerbes Schutz gewährte oder ſonſt 
förderlich war. Dadurch aber kommt das Recht, die 
Beantwortung einzelner Fragen zu verweigern, tat⸗ 
ſächlich einer Verweigerung des ganzen Zeugniſſes 
gleich. Allerdings kann der Richter aus der Verweige⸗ 
rung der Beantwortung einer beſtimmten Frage die 
entſprechenden Schlüſſe ziehen z. B. in einem Ehe⸗ 
ſcheidungsprozeß, wenn der Zeuge die Beantwortung 
der Frage über den Geſchlechtsverkehr mit einer der 
Parteien verweigert, annehmen, daß ein ſolcher ſtatt⸗ 
gefunden hat. Allein im Falle des 8 181 a StGB. 
wird eine entſprechende Schlußfolgerung auf Schwierig⸗ 
keiten ſtoßen, auch wenn die richterliche Ueberzeugung 
über das Ergebnis der Beweisaufnahme noch ſo frei 
geſchöpft wird (8 260 SiPO.). Denn um feſtzuſtellen, 
daß der Angeklagte von der Proſtituierten ganz oder 
teilweiſe den Lebensunterhalt bezogen hat, muß der 
Richter die einzelnen Zuwendungen nach Art, Höbe 
und Zeitdauer kennen; das gleiche gilt von den ein⸗ 
zelnen Handlungen, in welchen eine Förderung des 


unzüchtigen Gewerbes erblickt werden ſoll. 


Die Verweigerung der Antwort auf die bezeich— 
neten Fragen iſt nur dann ungerechtfertigt, wenn der 


„Zeugin die Gefahr ſtrafgerichtlicher Verfolgung nicht 


mehr droht, wenn ſie alſo wegen der Uebertretung 


| 


| nach dem angeführten 8 12b bereits rechtskräftig ab» 
geurteilt oder wenn deren Verfolgung verjährt iſt. 


9 JW. 1894 S. 427 Nr. 23. 


Beide Ausnahmen treffen in Wirklichkeit felten zu, weil 
die Dirne regelmäßig bis zur Verhaftung ihres Zu⸗ 
hälters, ja wenn er auf freiem Fuß bleibt, oft bis zum 
Tage der Hauptverhandlung ihn mit ihrem Huren⸗ 
lohn unterſtützt oder ſich von ihm Schutz gewähren 
läßt. Und ſelbſt wenn ſie inzwiſchen wegen der Ueber⸗ 
tretung abgeurteilt worden iſt, hat ſie es in der Hand, 
durch Einlegung aller zuläſſigen Rechtsbehelfe ſich den 
Schuß des 8 54 StPO. möglichſt lange zu erhalten 
und damit der Aburteilung ihres Zuhälters entgegen⸗ 


zuarbeiten. 
Landgerichtsrat Hümmer in München. 


Aus der Lechtſprechung. 
Reichsgericht. 
Zivilſachen. 


1 


Beſtimmbarkeit der Leiſtung beim Grundſtückskaufe 
(SS 313, 315 BGB.). Der Gutsbeſitzer M. hat dem 
Beklagten ein notarielles Angebot gemacht, worin er 
dieſem anbot, ihm „eine ihrer Größe und ihren Grenzen 
nach von dem Käufer nach deſſen Wahl zu beſtim⸗ 
mende Parzelle bis zum Höchſtbetrag von 5 Morgen 
ſowie nach Bedarf außerdem zur Errichtung einer Seil⸗ 
bahn einen Streifen von 1 m Breite, welcher dieſes an 
der Bahn gelegene vorbeſchriebene Terrain mit dem 
Steinbruche des Käufes verbindet, für 1800 M für den 
Morgen erworbener Fläche“ zu verkaufen, dem Käufer 
auch die Befugnis einräumt, neben dieſem Streiſen nach 
ſeiner Wahl je ein „Meter Terrain anliegend zu dem⸗ 
1 Preiſe und zu denſelben Bedingungen“ zu kaufen, 

em Käufer auch eine näher beſtimmte Wegegerechtigkeit 
einzuräumen. Der Beklagte hat dieſes Angebot notariell 
angenommen und dies dem M. mitgeteilt. Nach Emp⸗ 
fang dieſer Mitteilung hat M. durch notariellen Vertrag 
die Beſitzung an den Kläger verkauft und ihm auf- 
gelaſſen. Als der Beklagte von dieſem Verkauf erfuhr, 
erwirkte er eine einſtweilige Verfügung, auf Grund 
deren eine Vormerkung zur Sicherung ſeines Anſpruchs 
auf Uebereignung der Flächen und Einräumung der 
Grunddienſtbarkeit im Grundbuch eingetragen wurde. 
Mit der Klage verlangt der Kläger die Einwilligung 
des Beklagten in die Löſchung der Vormerkung, da der 
ihr zugrunde liegende Vertrag wegen Unbeſtimmtheit 
der Leiſtung des Verkäufers nichtig ſei. Die Klage 
wurde abgewieſen, die Berufung blieb erfolglos. Das 
RG. verwarf die Reviſion. 

Gründe: Auf dem Grundbuchblatt des jetzt dem 
Kläger gehörenden Grundſtücks ſteht noch aus der Zeit 
vor ſeinem Eigentumserwerb eine Vormerkung zur 
Sicherung von Anſprüchen auf Einräumung gewiſſer 
Rechte für den Beklagten aus dem von dieſem recht⸗ 
zeitig angenommenen Angebot des M. Der Kläger 
verlangt die Einwilligung in die Löſchung, da infolge 
Unbeſtimmtheit der Leiſtung kein wirkſamer Vertrag 
zwiſchen M. und dem Beklagten zuſtande gekommen 
ſei. Träfe das zu, ſo würde die Vormerkung aller⸗ 
dings trotz ihrer Eintragung mit dem durch ſie zu 
ſichernden Anſpruch hinfällig ſein, denn wenn der Ver⸗ 
trag keine Verpflichtung zur Eigentumsübertragung be⸗ 
gründen würde, der Anſpruch alſo nicht rechtsbeſtändig 
wäre, ſo wäre für eine Vormerkung kein Raum und 
der Anſpruch auf Löſchung begründet. Das BG. ver⸗ 
neint jedoch mit Recht die Annahme des Klägers von 
der Ungültigkeit des zwiſchen dem Beklagten und M. 
geſchloſſenen Vertrags. Der Angriff der Reviſion iſt 
inſofern nicht völlig klar, als ſie erklärt, die Be⸗ 


jahung der Frage durch das B., ob zwiſchen M. und 
dem Beklagten gemäß 8 315 BGB. ein bindender Ver⸗ 
trag zuſtande gekommen ſei, nicht zu beanſtanden, dann 
aber auf Umwegen doch dieſe Auffaſſung bekämpft. 
Sie will anſcheinend ſagen, daß ein wirkſamer Vertrag 
mit Hilfe des $ 315 BGB. allerdings hätte zuſtande 
kommen können, dazu aber erforderlich geweſen wäre, 
daß der Beklagte die ihm zuſtehende, nach billigem Er⸗ 
meſſen zu treffende Beſtimmung der Leiſtung in einer 
der Vorſchrift des 8 313 BGB. entſprechenden Form 
bis zur Eintragung der Vormerkung oder doch bis zur 
Auflaſſung an den Kläger getroffen hätte. Da dies 
nicht geſchehen ſei, ſei ein endgültig bindender Vertrag 
gemäß 88 313, 315 BGB. zwiſchen dem Beklagten und 
M., der eine Vormerkung rechtfertigen könnte, vor der 
Auflaſſung nicht zuſtande gekommen, fo daß $ 883 Abſ. 2 
BGB. nicht anwendbar ſei. Dieſe Auffaſſung iſt irrig. 
Es handelt ſich im weſentlichen um einen Kauf⸗ 
vertrag. Ein ſolcher un fobald er die Ueber⸗ 
eignung von Grundſtücken betrifft, die Beobachtung 
der im § 313 BGB. vorgeſchriebenen Formen. Dieſem 
Formzwang unterliegen alle Vereinbarungen, aus denen 
ſich nach dem Willen der Beteiligten der Veräußerungs⸗ 
vertrag zuſammenſetzen fol. Dieſer Zwang erſtreckt 
ſich daher nur auf getroffene Vereinbarungen. Hier 
dagegen wird bemängelt, daß es im Vertrag an wich⸗ 
tigen Vereinbarungen fehle, daß die Unbeſtimmtheit 
der vereinbarten Leiſtung das Zuſtandekommen des 
Vertrags verhindert habe, ſo daß der Gläubiger alſo 
keine Leiſtung fordern könne, oder auch, daß nach 
154 Abſ. 1 BGB. der Vertrag im Zweifel nicht ge⸗ 
ſchloſſen ſei. Ein wirkfamer Kaufvertrag verlangt 
insbeſondere die ausreichende Beſtimmtheit der Kauf⸗ 
ſache und des Kaufpreiſes. Aber es genügt fchon eine, 
wenn auch nur nach billigem Ermeſſen mögliche, Be⸗ 
ſtimmbarkeit. Dieſem Zwecke dient $ 315 BGB.; von 
dem das BG. zutreffend ausgeht mit feiner Ausführung, 
daß die dem Käufer obliegende Leiſtung, was die Lage 
und Größe der Flächen angeht, ausreichend teils be⸗ 
ſtimmt, teils mit Hilfe des 8 315 BGB. beſtimmbar 
ſei. Das gleiche muß aber für den Kaufpreis gelten, 
da für den Morgen ein beſtimmter Betrag ausgeworfen 
iſt. Fehlt es ſomit dem Vertrag nicht an dem Er⸗ 
ſordernis der ausreichenden Beſtimmtheit oder Be⸗ 
ſtimmbarkeit, ſo iſt ein wirkſamer, den Erforderniſſen 
des 8 313 BGB. entſprechender Kaufvertrag zuſtande 
gekommen. Dann aber kann auch kein Bedenken be⸗ 
ſtehen gegen die Zuläſſigkeit der Sicherung der darin 
begründeten Anſprüche durch eine Vormerkung, denn 
der 8 883 BGB. ſagt nicht, daß an die Beſtimmtheit 
des Inhaltes der Vormerkung ſtrengere Anforderungen 
zu ſtellen ſeien als an die des zu ſichernden Anſpruchs. 
Damit fällt aber der Hauptangriff der Reviſion, daß 
ein durch eine Vormerkung zu ſichernder Anſpruch noch 
nicht vorhanden war, als die Auflaſſung an den Kläger 
erfolgte, weil der Beklagte bis dahin die in ſein 
billiges Ermeſſen geſtellte Entſcheidung noch nicht ge⸗ 
troffen hatte. Die Reviſion irrt aber auch darin, daß 
auch dieſe dem Beklagten überlaſſene Entſcheidung dem 
Formzwange des 8 313 BGB. unterliege. Für ſie ges 
nügt eine formloſe Erklärung, da es ſich bei der nach⸗ 
folgenden näheren Beſtimmung nicht um eine der Form 
bedürftige Abänderung, ſondern nur um eine im Ver⸗ 
trage bereits vorgeſehene, nach S 315 BGB. außer⸗ 
halb des Vertrags zuläſſige und daher formfreie Er⸗ 
gänzung handelt. (Urt. des V. ZS. vom 28. Februar 
1914, V 437/13). 
3324 


— — —n. 


II. 


Ausſchliezßung aus einem Aerzte⸗Verein; der Aus: 
geſchloſſene kann mit dem Antrage klagen, den Aus: 
ſchließungsbeſchluß für unwirkſam zu erklären, auch wenn 
er vor der Ausſchließung feinen Austritt erklärt hat. 
Wann verſtößt das ſog. Verkehrs⸗Berbot gegen die 


208 


guten Sitten? Aus den Gründen: 1. Obwohl bie 
Kläger infolge des wirkſamen Austritts nicht mehr 
Mitglieder der Vereins waren, als ſie ausgeſchloſſen 
wurden, hält das BG. fie für berechtigt, darauf zu 
klagen, daß die Unwirkſamkeit der Ausſchließung feſt⸗ 
eſtellt werde. Die Ausſchließung aus einem Vereine 
ange in der Regel einen Makel an; auf die Aus⸗ 
ſchließung der Kläger treffe dies beſonders zu, weil 
nach der Vereinsſatzung der Ausſchluß nur wegen 
ſtandesunwürdigen Verhaltens erfolgen könne. Hier 
bedeute alſo die Ausſchließung eine Brandmarkung der 
Kläger als ſtandesunwürdiger Aerzte. Sie ſei ge⸗ 
eignet, die Kläger nicht nur vor ihren Berufsgenoſſen, 
ondern auch vor haft Mitbürgern herabzuſetzen und 
amit ihre aalen aftliche ng zu untergraben 
und fie wirtſchaftlich zu ſchädigen. Die Wirkungen der 
Ausſchließung reichten alſo bis in die Gegenwart und 
die Kläger hätten daher ein rechtliches Intereſſe an 
der Feſtſtellung la Unwirkſamkeit. Im Ergebniſſe 
ſtehen dieſe Ausführungen im Einklange mit der reichs⸗ 
gerichtlichen Rechtſprechung. An ihr iſt feſtzuhalten 
ungeachtet der Bedenken, die jüngſt geltend gemacht 
worden ſind (Lenel, DIL. 1913 S. 84; Heinsheimer, 
amtalieo [mare und Ausſchließung S. 64 ff.). Wird 
die Unwirkſamkeit einer dem Austritte nachfolgenden 
Ausſchließung zivilgerichtlich feſtgeſtellt, ſo hat dies 
weder, wie Heinsheimer a. a. O. S. 66 meint, die Be⸗ 
deutung einer die Fortdauer der Mitgliedſchaft aus⸗ 
e Entſcheidung, noch auch iſt das Weſentliche 
er Feſtſtellung der Zeitpunkt, in dem die Mitglied⸗ 
ſchaft geendet hat. Das Urteil ſpricht vielmehr nur 
em Vereine das Recht ab, ſich dem Kläger gegenüber 
auf den Standpunkt zu ſtellen, er ſei nach der Satzung 
verpflichtet, ſich eine ſolche Maßregelung gefallen zu 
laſſen. Es entzieht dem Vereine die Befugnis, ſich 
dem früheren Mitgliede gegenüber auf den Aus⸗ 
ſchließungsbeſchluß zu berufen, ſchneidet ihm daher 
insbeſondere für das Privatklage⸗Verfahren, das die 
widerſprechenden Schriftſteller dem nachträglich Aus⸗ 
geſchloſſenen allein 1 5 halten wollen, die Berufung 
darauf ab, daß die ehrenrührige Ausſchließung in der 
Wahrnehmung berechtigter Intereſſen geſchehen ſei, 
und kann in einem ſolchen Verfahren auch zu einer 
Ausſetzung nach 8 261 StPO. führen. Von der zurück⸗ 
liegenden Ausſchließung können daher Wirkungen unter 
den Parteien ausgehen, die in die Gegenwart reichen. 
Die Frage ihres Beſtehens kann deshalb auch das Bes 
ſtehen eines Rechtsverhältniſſes betreffen und den 
nn einer Entſcheidung i. S. des 8 256 ZPO. 
en. 

2. Die Entſcheidung, daß der Verein das gegen die 
Kläger erlaſſene Verkehrsverbot aufzuheben und die 
Aufhebung der „Geſellſchaft der Aerzte“ tn M. mitzu⸗ 
teilen hat, iſt bedenkenfrei (SS 826, 249 BGB.). Die 
Vorausſetzungen des 8 826 find durch die Handlungen 
des Vereins erfüllt. Das BG. ſtellt feſt, daß die Kläger 
empfindlich in der Ausübung ihres ärztlichen Berufs 
und damit in ihrer geſellſchaftlichen Stellung ſowie in 
ihren Erwerbsausſichten dadurch betroffen ſind, daß 
das von dem Verein erlaſſene Verkehrsverbot von den 
anderen Aerzten in L. und von den Aerzten in M. 

reng befolgt wird ..., daß weiter die an der Be⸗ 
chlußfaſſung der Mitgliederverſammlung beteiligten 
Vereinsmitglieder ſowie die an der Hinausgabe des 
Beſchluſſes beteiligten Vertreter des Vereins nicht nur 
die ſchädigende Wirkung des Verkehrsverbots voraus— 
geſehen, ſondern ſogar ſchlechtweg mit der Abſicht ge» 
handelt hätten, die Kläger wirtſchaftlich zu ſchädigen 
und ſie vor der Oeffentlichkeit zu brandmarken, und 
daß endlich der beklagte Verein bei dieſem Verhalten 
darauf ausgegangen ſei, den Klägern ſeinen Willen 
aufzuzwingen, fie nämlich zu nötigen, ihre Bahnarzt— 
Stellen aufzugeben. Das BG. führt weiter aus, der 
beklagte Verein habe unter Ausnützung der Macht 
ärztlicher Organiſationen zu einem ehrverletzenden 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


— ——— — ę—— — —L———— — — —e— 


Gewaltmittel nur gegriffen, um ein Ziel zu erreichen, 
das erlaubt geweſen ſei, weil es ſich für den be⸗ 
klagten Verein darum gehandelt habe, einer Ber⸗ 
elendung des ärztlichen Standes durch eine in der Ein⸗ 
richtung der ! liegende Schmälerung 
freier ärztlicher Berufstätigkeit vorzubeugen. Das 
ſchließt aber die Annahme der Sittenwidrigkeit des 
gegen die Kläger gerichteten Vorgehens nicht aus. Selbſt 
ein billigenswertes Beſtreben wird ſittenwidrig, wenn 
ein Berufsverein, um für die Berufsgenoſſen wirt⸗ 
ſchaftliche Vorteile zu erlangen, andere ſeinen Satzungen 
nicht unterworfene Berufsgenoſſen ſeinem Willen ge⸗ 
fügig zu machen ſucht und dieſes Ziel mit Mitteln 
verfolgt, die darauf berechnet find, bis zur Unterwerfung 
unter den Vereinswillen die Gemaßregelten planmäßig 
in ihrer Berufstätigkeit zu beeinträchtigen, ihre peiel 
ſchaftliche Stellung zu erſchüttern und fie in ihrem 
Ehrempfinden zu verletzen. Es braucht hier nicht unter⸗ 
ſucht zu werden, ob ſich in anderen Fällen, wenn eine 
e Einwirkung auf die Willensentſchließungen 
er Betroffenen nicht erhellt, mit der Rechtſprechung 
des VI. 8 S. (RG. 64, 155 ff.; 79, 17 ff.) je nach dem 
Grade der geplanten Schädigung und ihrem Verhält⸗ 
niſſe zu dem das Einſchreiten veranlaſſenden Ver⸗ 
halten der Gemaßregelten annehmen ließe, die Maßre⸗ 
gelung ſei dem Vereine erlaubt. Jeder Strafbefugnis 
und damit auch der Brandmarkung durch den Verein 
waren die Kläger durch den Austritt entrückt, weshalb 
auch nicht zu prüfen iſt, ob die Kläger ſtandesunwürdig 
oder ſatzungswidrig gehandelt haben. Die Sitten⸗ 
widrigkeit eines Vorgehens, durch das ein Arzt in 
ehrverletzender Weiſe und unter Erſchütterung ſeiner 
Stellung planmäßig von dem für die Ausübung ſeiner 
Berufstätigkeit erforderlichen beruflichen Verkehre mit 
anderen Aerzten abgeſchnitten wird und ſo gezwungen 
werden ſoll, im Intereſſe der Verbeſſerung der Er⸗ 
werbsbedingungen anderer Aerzte eine ärztliche An⸗ 
a aufzugeben, kann 432 wegen ihrer inneren 
erwandtſchaft mit der durch 8 253 StB. unter Straf⸗ 
drohung geſtellten Handlung (vgl. RGSt. 32, 335) 
nicht bezweifelt werden .. (Urt. des IV. 38S. vo 
29. Januar 1914, IV 567/1913). V. 
8328 


III. 


3 120 a Gew. als „Schutzgeſetz“. Aus den 
Gründen: Der Anſpruch auf Schmerzensgeld iſt be⸗ 
rechtigt. Zwiſchen den Streitteilen beſtand ein Lehr⸗ 
vertrag, der den Beklagten verpflichtete und be⸗ 
rechtigte, den Kläger im Sattlereibetriebe zu unter⸗ 
weiſen und zu beſchäftigen, auch an der gefährlichen 
Krempelmaſchine. Wenn die Schadenserſagpflicht des 
Beklagten nur aus dieſem Vertragsverhältniſſe begründet 
wäre, dann würde der Anſpruch auf Schmerzensgeld 
ausgeſchloſſen fein. (S$ 253, 618 Abſ. 3 BGB., Urteile 
NE. III 338/06, 96/07). Die vertragliche Haftung ſchließt 
aber die außervertragliche nicht aus. Die Vertrags⸗ 
verletzung kann zugleich eine unerlaubte Handlung ſein 
(RG. III 89/07, 347/11; JW. 1912, 339; SeuffArch. 61 
Nr. 80; Gruchot 50, 984; JW. 1907, 830; „Recht“ 1912 
Nr 1467). Das iſt hier der Fall. Der $ 120 a GewO., 
wonach der Gewerbeunternehmer u. a. die Vorrichtungen 
herzuſtellen hat, die zum Schutze der Arbeiter — auch 
der Lehrlinge — gegen gefährliche Berührungen mit 
Maſchinen oder Maſchinenteilen oder gegen andere in der 
Natur der Betriebsſtätte oder des Betriebes liegende 
Gefahren erforderlich ſind, iſt ein „den Schutz eines 
anderen bezweckendes Geſetz“. Wer dagegen verſtößt, 
haftet gemäß § 823 Abſ. 2 BGB. nach den Vorſchriften 
über unerlaubte Handlungen. Bei Verletzung der durch 
S 120 a vorgeſchriebenen Pflichten iſt alſo die Anwen⸗ 
dung des $ 847 BGB. nicht ausgeſchloſſen (JW. 1117, 
830). (Urt. d. III. ZS. v. 17. März 1914, III 501/139. 

3332 


Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


IV. 


Berufung des Shegatten auf auten Glauben im Falle 
des 5 1567 Abſ. 2 Nr. 1568. Aus den Gründen: 
Das OLG. ſieht als erwieſen an, daß nach Erlaß des 
Urteils vom 24. März 1911 der Prozeßbevollmächtigte 
der Beklagten dieſer erklärt habe, ſie könne zunächſt 
eine Aufforderung des Klägers abwarten, ehe ſie zu 
ihm zurückzukehren brauche, und daß eine ſolche Auf⸗ 
forderung innerhalb des entſcheidenden Jahres nicht 
ergangen ſei. Mit Rückſicht hierauf meint das OsG., 
es laſſe ſich nicht feſtſtellen, daß die Beklagte in bös⸗ 
licher Abſicht dem Urteile keine Folge geleiſtet habe, 
und zwar um ſo weniger, als es ſich hier nicht um eine 
willkürliche und unbeſtimmte Meinung der Beklagten, 
ſondern um eine ihr von ihrem Rechtsbeiſtand erteilte 
Auskunft gehandelt habe, der ſie habe vertrauen können. 
Die Reviſion bezeichnet dieſe Ausführung mit Recht als 
irrtümlich. Damit Scheidung auf Grund des § 1567 
Abſ. 2 Nr. 1 BGB. erfolgen kann, iſt allerdings er⸗ 
forderlich, daß der zur Herſtellung der häuslichen Ge⸗ 
meinſchaft rechtskräftig verurteilte Ehegatte ein Jahr 
lang nicht nur gegen den Willen des anderen Ehe⸗ 
gatten, ſondern auch in böslicher Abſicht dem Urteile 
nicht Folge geleiſtet hat. Es iſt ihm deshalb unbe⸗ 
nommen, im Scheidungsverfahren Gründe dafür an⸗ 
zuführen, daß er ſich trotz des Urteils mit Recht von 
der häuslichen Gemeinſchaft fernhalte. Die Rechts⸗ 
kraft des Herſtellungsurteils und deſſen Zweck, dem ab⸗ 
trünnigen Ehegatten die Rechtswidrigkeit ſeiner Weige⸗ 
rung zum Bewußtſein zu bringen, nötigen indeſſen 
dazu, im Scheidungsverfahren dem Beklagten die Be⸗ 
rufung auf ſolche Tatſachen zu verſagen, die er ſchon 
im Herſtellungsſtreite geltend gemacht hat oder geltend 
machen konnte (8 616 ZPO.). Solche Tatſachen können 
daher im Scheidungsverfahren wegen böslicher Ver⸗ 
laſſung vom Beklagten zur Begründung des Rechts, 
die Herſtellung der Gemeinſchaft zu verweigern, nur 
in Verbindung mit neuen Ereigniſſen zu deren Unter⸗ 
ſtützung geltend gemach} werden (ſ. Motive zum I. Entw. 
eines BGB. IV S. 590). Der gute Glaube des Be⸗ 
klagten, zur eee der e berechtigt 
zu ſein, iſt im Scheidungsverfahren gleichfalls zu be⸗ 
rückſichtigen, da auch er das Tatbeſtandsmerkmal der 
böslichen Abſicht ausſchließt. Indeſſen zwingen die 
Rechtskraft und der Zweck des Herſtellungsurteils auch 
hier dazu, die Berufung auf guten Glauben nur zu⸗ 
zulaſſen, wenn er ſich auf Tatſachen ſtützt, deren Geltend⸗ 
machung dem beklagten Ehegatten noch geſtattet iſt (f. 
Motive a. a. O.). Um einen Fall, in dem der zur Her⸗ 
ſtellung der häuslichen Gemeinſchaft verurteilte Ehe⸗ 
gatte vorbrächte, er ſei zur weiteren Fernhaltung trotz 
des Urteils berechtigt geweſen, handelt es ſich freilich 
hier nicht. Die Beklagte behauptet nicht, ſie ſei be⸗ 
rechtigt geweſen, dem Urteile keine Folge zu leiſten, 
ſondern führt nur an, ſie habe geglaubt, daß ſie ihm 
erſt nachzukommen brauche, wenn der Kläger ſie inner⸗ 
halb des entſcheidenden Jahres dazu auffordere. Was 
ſie geglaubt haben will, war unrichtig. Denn der Ehe⸗ 
gatte, der ein Herſtellungsurteil erwirkt hat, iſt, minde⸗ 
tens unter gewöhnlichen Verhältniſſen, keineswegs ges 
nötigt, den anderen Ehegatten zur Befolgung des Urteils 
noch beſonders aufzufordern, ſondern dieſem liegt es 
0 weiteres ob (vgl. das Urteil des Senats vom 

Juni 1910 IV 549/09, Bay ZfR. 1910 S. 407), ſeiner⸗ 
ſeits die zur Herſtellung der häuslichen Gemeinſchaft 
erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten. 
Trotzdem ließe ſich bei der Beklagten allenfalls von 
einem Fehlen böslicher Abſicht und davon ſprechen, 
daß „eine aus böſem Willen hervorgegangene Zer— 
reißung der häuslichen Gemeinſchaft“ nicht gegeben ſei. 
Allein es geht nicht an, im Falle des 8 1567 Abſ. 2 
Nr. 1 dem beklagten Ehegatten die Berufung auf einen 
guten Glauben zu geſtatten, der nur auf eine unrichtige 
Auffaſſung von der Bedeutung und der Tragweite des 


209 


Urteils hinausläuft, mag er auch auf einer nach Erlaß 
des Herſtellungsurteils erteilten vertrauenswürdigen 
Auskunft eines Rechtsverſtändigen beruhen. Vielmehr 
iſt der Reviſion darin beizupflichten, daß der ganze 
Zweck des Herſtellungsurteils in Frage geſtellt würde, 
wenn man das zuließe. Wie dieſer Zweck in Ver⸗ 
bindung mit der Rechtskraft dazu nötigt, zur Recht⸗ 
ertigung der Weigerung häuslicher Gemeinſchaft die 
nführung neuer Umſtände zu fordern, ſo zwingt er 
auch dazu, die bloße Berufung auf eine unrichtige Auf⸗ 
faſſung von der Bedeutung und der Tragweite des 
Herſtellungsurteils ganz auszuſchließen, wenn keine 
neuen Weigerungsgründe geltend gemacht werden, 
Run für die Berechtigung der Weigerung lediglich 
er bereits abgeurteilte oder als abgeurteilt geltende 
Tatbeſtand (8 616 ZPO.) in Frage kommt. (Urt. d. 
IV. ZS. v. 2. Februar 1914, IV 564/13). —--—n. 
8817 


V. 


Borausſetzungen für die Auwendung des 5 323 ZBO. 
Aus den Gründen: Das BG. erkennt an, daß 
die Klage aus 8 323 ZPO. nicht gegeben fein würde, 
wenn durch die im früheren Unterhaltsprozeſſe der 
Parteien ergangenen Urteile nur über den Anſpruch 
der Frau auf Gewährung von Unterhalt für die Dauer 
des Beſtehens der Ehe oder des Getrenntlebens der 
damaligen Ehegatten entſchieden worden wäre. Es 
meint aber, daß in jenen Urteilen keine ſolche zeitliche 
Begrenzung enthalten und daß deshalb die Klage aus 
8 323 zuläſſig ſei. Es weiſt indes die Klage ab, weil 
ſich die Verhältniſſe nicht weſentlich geändert hätten. 
Der Ausgangspunkt des BG. iſt richtig, nicht aber die 
Auffaſſung von der Bedeutung der früheren Urteile. 
Es braucht zunächſt kaum hervorgehoben zu werden, 
daß der Unterhaltsanſpruch der geſchiedenen Ehefrau 
von dem für die Dauer der Ehe beſtehenden weſentlich 
verſchieden iſt. Dieſer erliſcht mit der Scheidung, jener 
entſteht erſt in dieſem Zeitpunkte und nur unter der 
Vorausſetzung, daß der Mann für den allein ſchuldigen 
Teil erklärt iſt. Er erfordert ferner im Gegenſatze zu 
dem während der Ehe gegebenen Bedürftigkeit der Frau. 
Das Maß des der geſchiedenen Frau gebührenden Unter⸗ 
111 richtet ſich endgültig nach der Lebensſtellung des 

annes zur Zeit der Eheſcheidung, während für den 
Unterhaltsanſpruch während des Beſtehens der Ehe 
die Verhältniſſe des Mannes maßgebend ſind. Vor der 
Scheidung der Ehe ſind die klagebegründenden Tat⸗ 
achen für den dem unſchuldigen Teile zuſtehenden 

nſpruch nicht gegeben, und es iſt daher rechtlich aus⸗ 
geſchloſſen, ſchon während Beſtehens der Ehe über einen 
zukünftigen Unterhaltsanſpruch des Ehegatten aus 
8 1578 BGB. zu entſcheiden. Trotzdem kann die Mög⸗ 
lichkeit nicht geleugnet werden, daß die Richter des 
Vorprozeſſes aus Rechtsirrtum der Klägerin den Unter⸗ 
haltsanſpruch auch für den Fall der Scheidung haben 
zuerkennen wollen. In dieſem Falle würden allerdings 
die Urteile des Vorprozeſſes der jetzigen Entſcheidung 
zugrunde zu legen ſein, weil ſie rechtskräftig ſind. 
Die dahingehende Annahme des BG. kann aber nicht 
gebilligt werden. (Wird näher ausgeführt.) Es ergibt 
ſich beſtimmt, daß die Frau früher nur den Anſpruch 
aus den §8 1360, 1361 BGB. erhoben hat, und daß 
ihr auch nur dieſer zugeſprochen worden iſt. Den 
Umſtand, daß die Urteilsformel keine zeitliche Ein⸗ 
ſchränkung enthält, hat das BG. mit Unrecht für ſeine 
Auffaſſung verwertet. Aus der Formel allein iſt nicht 
zu erſehen, welcher Anſpruch den Gegenſtand der Ent— 
ſcheidung gebildet hat, und es muß deshalb auf die 
Entſcheidungsgründe zurückgegangen werden. Anderer 
ſeits werden aber darum nicht die übrigen Ausfüh— 
rungen in den Entſcheidungsgründen von der Rechts⸗ 
kraft betroffen. Selbſt wenn alſo die Ausführungen 
des früheren Urteils dahin verſtanden werden müßten, 


das Urteil, wodurch der Frau die Rente zugebilligt ift, 
würde an und für ſich auch nach Scheidung der Ehe 
bei Beſtand bleiben und der Mann müſſe auch in dieſem 
alle den Weg des 8 323 ZPO. befchreiten, fo könnte 
ich das BG. hierauf nicht für die Zuläſſigkeit der Klage 
aus § 323 berufen. Eine der Rechtskraft fähige Ent⸗ 
ſcheidung über die Fortdauer des Unterhaltsanſpruchs 
über das Beſtehen der Ehe hinaus würde damit nicht 
getroffen ſein. Dann aber iſt für die Anwendung des 
8 323 kein Raum. Die Vorſchrift bezieht ſich nicht auf 
den Fall, wenn der rechtskräftig zuerkannte Anſpruch 
nachträglich infolge einer fog. rechtsvernichtenden Tat⸗ 
ſache erliſcht. Der Geltendmachung ſolcher Tatſachen 
ſteht die Rechtskraft überhaupt nicht entgegen. Der 
§ 323 will aber eine Ausnahme von der regelmäßigen 
Rechtskraftwirkung begründen und er greift nur dann 
ein, wenn innerhalb des Rahmens des rechtskräftig 
zuerkannten Anſpruchs durch nachträgliche Veränderung 
der Umſtände eine Sachlage geſchaffen wird, welche die 
getroffene Entſcheidung für die Zeit ſeit Eintritt dieſer 
neuen Tatſache als unrichtig erſcheinen läßt. An ſich 
würde in ſolchem Falle die Rechtskraft fortwirken, aus 
Billigkeitsrückſichten iſt aber eine Beſeitigung im Wege 
der Klage zugelaſſen. (Urt. des IV. 3S. vom 5. Ja⸗ 
nuar 1914, IV 477/13). — — = n. 
3279 


VI. 


Inwieweit kann ein nach 8 539 ZBO. erlaſſenes 
Urteil mit der Neviſion angefochten werden? Inwie⸗ 
weit iſt das Untergericht an ein ſolches Urteil gebunden? 
Aus den Gründen: Gegen Urteile, die von einem 
OLG. auf Grund des § 539 ZPO. erlaſſen werden, iſt 
die Reviſion allerdings zuläſſig, da ſolche Urteile End⸗ 
urteile und nicht Zwiſchenurteile ſind, indem auch ſie 
den Rechtsſtreit für das BG. erledigen. Mit der Reviſion 
kann zwar nicht geltend gemacht werden, daß das BG. 
von dem ihm durch 8 539 eingeräumten Ermeſſen einen 
ungeeigneten Gebrauch gemacht habe, die Art der Aus⸗ 
übung dieſes Ermeſſens iſt vielmehr der Nachprüfung 
durch das Reviſionsgericht entzogen. Wohl aber kann 
die Reviſion darauf geſtützt werden, daß das Verfahren 
im erſten Rechtszug gar nicht an einem weſentlichen 
Mangel gelitten habe und daß es deshalb der Auf⸗ 
hebung und Zurückverweiſung an der Grundlage fehle. 
Auf der anderen Seite iſt es ausgeſchloſſen, ein ſolches 
Urteil, das keine ſachliche Entſcheidung gibt, ſondern 
ſie ablehnt, aus ſachlichen Gründen im Rechtszuge der 
Reviſion zu bekämpſen. Sachlich kann ein nach 8 539 
ergangenes Urteil keiner der Parteien zur Beſchwerde 
gereichen. Nun finden ſich freilich hier im Berufungs⸗ 
urteil auch fachliche Erörterungen, aber die Entſchei⸗ 
dung beruht nicht auf ihnen, ſondern allein auf einem 
prozeſſualen Grunde. Die ZPO. enthält keine aus- 
drückliche Beſtimmung darüber, daß und inwieweit in 
den Fällen der SS 538, 539 das Gericht des erſten 
Rechtszugs an das Urteil des BG. gebunden iſt. In⸗ 
deſſen kann kein Zweifel beſtehen, daß die in $ 565 
Abſ. 2 für das Verhältnis des BG. zu einer aufhebenden 
Entſcheidung des Reviſionsgerichts gegebene Vorſchrift 
auch in den Fällen der SS 538 und 539 entſprechend 
anzuwenden iſt (vgl. Seuff Arch. 56 S. 113). Das er⸗ 
gibt ſich aus der formellen Rechtskraft des Berufungs— 
urteils und aus der Stellung des untergeordneten zum 
übergeordneten Gericht. Auch würde ſonſt ein end— 
loſes Hin⸗ und Herſchieben zwiſchen dem erſten und 
dem zweiten Gerichte möglich ſein. Die Aufnahme der 
ausdrücklichen Vorſchrift des § 565 Abſ. 2 geſtattet für 
die Fälle der SS 538, 539 keinen Schluß aus dem Gegen— 


ſatze. Aber wie im Falle des S 565 Abſ. 2, jo beſchränkt gegen die Vertragspflichten und gegen die im Verkehr 


ſich auch hier die Bindung des unteren Gerichts darauf, 
daß es die der Aufhebung zugrunde gelegte rechtliche 
Beurteilung auch ſeiner Entſcheidung zugrunde zu legen 
hat. Hier wie dort binden dagegen rechtliche Aus— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


führungen, die im aufhebenden Urteile nur nebenher 
laufen, auf denen aber die Entſcheidung ſelbſt nicht 
beruht, das untere Gericht nicht, und das gilt ins⸗ 
beſondere von Erwägungen, in denen das obere Ge⸗ 
richt dem unteren ausdrücklich beitritt. Wird daher 
ein Urteil wegen eines Mangels im Verfahren auſ⸗ 
gehoben, ſo hat das Gericht des erſten Rechtszugs zwar 
in bezug auf das Verfahren der rechtlichen Auffaſſung 
des BG. zu folgen, im übrigen jedoch iſt es frei. Trifft 
das zu, ſo kann ein ſolches Urteil, auch wenn es ſach⸗ 
liche Erörterungen enthält, im Wege der Reviſion ſach⸗ 
lich nicht angegriffen werden, auch dann beſchwert es 
vielmehr die Parteien ſachlich nicht. Die Frage, ob 
das Verfahren im erſten Rechtszug an einem weſent⸗ 
lichen Mangel litt oder nicht, iſt nicht von dem Stand⸗ 
punkte, den das BG. ſachlich einnimmt oder gar ein⸗ 
nehmen müßte, ſondern vom Standpunkte des erſten 
Richters aus zu beurteilen. (Urt. des IV. 3S. vom 
19. Januar 1914, IV 569/13). ———ı. 
3316 


VII. 


Erſatzzuſtellung oder öffentliche Zuſtellung? Kein 
Verſchulden des Rechtsauwallb. Aus den Gründen: 
Es braucht nicht entſchieden zu werden, ob die Aus⸗ 
führungen des OLG. darüber zutreffend find, daß die 
Erſatzzuſtellung unzuläſſig Wohn ſei, der Schuldner 
am Tage der Zuſtellung keine Wohnung am Zuſte llungs⸗ 
orte gehabt, ſie vielmehr erkennbar aufgegeben habe. 
Denn jedenfalls trifft weder den beklagten Rechts⸗ 
anwalt ein Verſchulden noch den Bureauvorſteher, für 
deſſen Verſehen der Anwalt nach § 278 BGB. zu haften 
hätte. Eine Außerachtlaſſung der erforderlichen Sorg⸗ 
falt war es nicht, daß hier die Aufgabe der Wohnung 
und damit die Unzuläſſigkeit der Erſatzzuſtellung nicht 
erkannt iſt, mag man nun davon ausgehen, daß der 
Rechtsanwalt auch in ſolchen beſonders gearteten Fällen 
die Prüfung der Zuſtellungsfrage dem Bureauvorſteher 
überlafien könne, oder verlangen, daß er fie ſel bſt 
prüft. Es lag weiter nichts vor, als daß der Schuld⸗ 
ner ins Ausland geflüchtet war. Das Nichterkennen 
der Vorausſetzungen für die öffentliche oder die Zu⸗ 
ſtellung im Auslande und der Unzuläſſigkeit der Erſatz⸗ 
zuſtellung war unter dieſen Umſtänden nicht fahrläffig. 
Der Prüfende konnte erwägen, daß die Wohnung auch 
bei längerer Abweſenheit des Inhabers ihrer Beſtim⸗ 
mung erhalten bleiben kann, ſofern nur die Kückkehr 
zu erwarten iſt (Stein II zu 8 180 der ZPO.). Auch 
wenn der Schuldner ins Ausland „geflüchtet“ war, 
konnte auch der ſorgfältig und gewiſſenhaft die Ver⸗ 
hältniſſe Abwägende ſchuldlos zu der Auffaſſung ge⸗ 
langen, daß die Abſicht des Schuldners, zurückzukehren 
und die Ausſicht auf deren Verwirklichung nicht aus⸗ 
geſchloſſen ſeien. Es durfte damit gerechnet werden, 
daß das Flüchtigwerden des Inhabers nicht ſchlechthin 
die Inhaberſchaft aufhören läßt (Skonietzki 2 zu 8 181 
ZPO.) Das LG. Metz wirft in einer vom OLG. Colmar 
(Jur. Wſchr. f. Elſ.⸗Lothr. 16 S. 12) gebilligten Ent⸗ 
ſcheidung mit Recht die Frage auf, in welcher Lage 
wohl der Gläubiger wäre, der beantworten müßte, 
ob Flucht und Aufgabe der Wohnung oder vorüber- 
gehende Abweſenheit vorliege, und kommt zutreffend 
zu dem Schluß, daß die Antwort „möglichſt lange zu- 
gunſten des Beſtehenden“ lauten müſſe. Wenn der, 
der hier die Zuſtellung veranlaßt hat, von derfelben 
Erwägung ausging, und der Flucht des Schuldners 
die im Intereſſe der Rechtsſicherheit unerwünſchte Be⸗ 
deutung einer Wohnungsaufgabe nicht beimaß, To 
verſtieß eine ſolche Würdigung der Tatſachen nicht 


erforderliche Sorgfalt. (Urt. des III. 35. vom 
20. Februar 1914, III 483/13). 


3314 ie 


VIII. 


Mangelhafter Tatbeſtand. Aus den Gründen: 
Der Tatbeſtand des angefochtenen Urteils enthält nach 
einer eingehenden Darſtellung des Sach- und Streits 
ſtandes den Satz: „Wegen des Vorbringens der Par⸗ 
teien im übrigen wird auf die vorbereitenden Schrift⸗ 
ſätze Bezug genommen“. Dadurch wird der geſamte 
Inhalt aller Schriftſätze 2. Inſtanz von zuſammen 
etwa 260 Seiten Teil des Tatbeſtandes. Dieſer bildet 
demnach nicht „eine gedrängte Darſtellung des Sach⸗ 
und Streitſtandes“, wie ſie der § 313 Abſ. 1 Nr. 3 
erfordert. Durch die zu weit gehende Bezugnahme 
wird auch die Nachprüfung des Urteils weſentlich 
„ ja zum Teil unmöglich gemacht. Ob und 
wie die Behauptungen, deren Nichtberückſichtigung oder 
unrichtige Würdigung die Reviſion rügt, in der Schluß⸗ 
verhandlung vorgetragen und ob die von der Reviſion 
angegriffenen Feſtſtellungen mit dem Parteivorbringen 
im Einklange ſtehen, läßt ſich nur jebr ſchwer und 
zum Teil überhaupt nicht feſtſtellen. Letzteres deshalb, 
weil der Inhalt der vorbereitenden Schriftſätze mit⸗ 
einander oder mit der Darſtellung im Tatbeſtande in 
Widerſpruch ſteht. (Wird ausgeführt). Danach recht⸗ 
fertigt ſich die Aufhebung des Urteils wegen Verſtoßes 
gegen § 313 Abſ. 1 Nr. 3 ZPO. (Urt. d. III. 38S. vom 
16. Januar 1914, III 292/13). 

3267 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


Aus welchen Gründen kaun bei ſtreitigen na 
verhältniſſen eine Geſellſchaft m. b. H. das Negiſtergericht 
die Verfügung bis nach der Entſcheidung des Nechts⸗ 
ſtreits ans ſetzen ? (§ 127 FGG.). Auf die Anmeldung 
des Ingenieurs Fritz E. als alleinigen Geſchäftsführers 
wurde die Firma V.⸗F.⸗Geſellſchaft m. b. H. am 12. Fe⸗ 
bruar 1913 in das Geſellſchaftsregiſter eingetragen. 
Die Stammeinlagen gingen auf Fritz E. über, der 
alleiniger Geſellſchafter wurde. Am 29. April 1913 
wurde eine notarielle Urkunde errichtet, wonach Fritz 
E. ſeine Geſchäftsanteile auf die Firma A.⸗S.⸗L. in 
London übertrug. Am 26. Juli 1913 meldete E. zur 
Eintragung an, daß er ſein Amt als Geſchäftsführer 
niedergelegt habe. Dieſe Anmeldung wurde aber zurück⸗ 
gewieſen, weil die geſetzlichen Vorausſetzungen nicht 
erfüllt waren. Am 13. September 1913 meldete der 
Kaufmann Leo C. in B. an, daß E. als Geſchäftsführer 
ausgeſchieden, er ſelbſt beſtellt und daß der Sitz der 
Geſellſchaft nach B. verlegt worden ſei. Dem Vollzuge 
der Anmeldung widerſprach Fritz E.: Er habe zwar am 
29. April 1913 ſeine Geſchäftsanteile an die A.⸗S.⸗L. 
abgetreten, er habe aber den Vertrag ſofort wegen 
Irrtums und Täuſchung angefochten. Gegen die A.⸗S.⸗L. 
a. er auf Feſtſtellung geklagt, daß die Anteile der 

⸗F.⸗Geſellſchaft noch ihm zuſtehen. Das Regiſter⸗ 
gericht ſetzte der A.⸗S.⸗L. die Verbeſcheidung der Anmel⸗ 
dung des Leo C. bis zur Entſcheidung des Prozeßgerichts 
über die Inhaberſchaft der Geſchäftsanteile der V.⸗FJ⸗ 
Geſellſchaft gemäß 8 127 JGG. aus. Auf die Beſchwerde 
der A.⸗S.⸗L. hob das LG. dieſe Verfügung auf. Gegen 
dieſen Beſchluß legte Fritz E. weitere Beſchwerde ein, 
die zurückgewieſen wurde. 

Gründe: Nach 8 127 FGG. kann das Regiſter⸗ 
gericht die Entſcheidung ausſetzen, bis über das Rechts⸗ 
verhältnis im Rechtsſtreit entſchieden iſt, wenn eine 
Verfügung von der Beurteilung eines ſtreitigen Rechts⸗ 
verhältniſſes abhängig iſt. Gleiche Befugnis hat das 
Beſchwerdegericht. Ob es zweckmäßig ſei, das Ver⸗ 
fahren auszuſetzen, iſt Tatfrage. Die weitere Beſchwerde 
wäre nur begründet, wenn das LG. von irrigen recht» 
lichen Vorausſetzungen ausgegangen wäre. Dies iſt 
nicht der Fall. Das LG. hat unter Bezugnahme auf 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


211 


die Entſcheidung des Kammer. vom 18. März 1901 
(Jahrb. 21 S. 240) angenommen, daß die Ausſetzung 
des Verfahrens nicht ſchon dadurch gerechtfertigt iſt, 
daß ein ſtreitiges Rechtsverhältnis die Entſcheidung 
beeinfluſſe, ſondern daß die ſofortige Erledigung des 
Eintragungsantrags von ſo ſchwerwiegender Bedeutung 
ſein muß, daß zur Vermeidung der i weſent⸗ 
licher Intereſſen die Ausſetzung geboten iſt. Daß dies 
der Fall ſei, hat es verneint. Es hat auch noch darauf 
hingewieſen, daß Leo C. der einzige Geſchaͤftsführer 
iſt und daß für die Geſellſchaft erhebliche Nachteile 
erwachſen können, wenn ſeine Beſtellung der Wir⸗ 
kung des öffentlichen Glaubens entbehrt. Gegen dieſen 
Standpunkt iſt nichts einzuwenden. Das Regiſter⸗ 
gericht darf von der Ausſetzungsbefugnis des 8 127 
nicht ohne triftige Gründe Gebrauch machen. Ver⸗ 
langt ein ſtreitiges Rechtsverhältnis eine wichtige un⸗ 
aufſchiebliche Verfügung, ſo muß das Regiſtergericht 
ſelbſt das ſtreitige Rechtsverhältnis prüfen. Das iſt 
hier umſomehr nötig, als keine Gewähr dafür beſteht, 
daß Fritz E. ſeine äußerlich noch beſtehende Geſchäfts⸗ 
führereigenſchaft nicht zum Nachteile der Geſellſchaft 
mißbraucht. (Beſchl. des I. ZS. vom 23. Januar 1914, 
Reg. III 2/1914). W. 
3304 


B. Strafſachen. 
1 


Der Inhaber eines Wandergewerbeſcheins bedarf 
neben dem Druckſchriftenverzeichnis noch des Legitima⸗ 
tionsſcheins nach 3 43 Abſ. 1 GewO. zur Ausübung 
der daſelbſt bezeichneten Betriebsart. Die in M. woh⸗ 
nende M. iſt im Beſitze eines Wandergewerbeſcheins 
und eines genehmigten Verzeichniſſes von Druckſchriften, 
insbeſondere von Anſichtskarten, die ſie in der Stadt 
R. auf öffentlichen Plätzen gewerbsmäßig im Umher⸗ 
ziehen verkaufte. Sie wurde nach 8 148 Ziff. 5 GewO. 
verurteilt, weil fie die nach 8 43 Gew. erforderliche 
Erlaubnis der Ortspolizeibehörde R. nicht erholt hatte. 
Ihre Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Irrig iſt die Annahme 
des LG., daß ſich aus 8 56 Abſ. 1 GewO. die An⸗ 
wendbarkeit des 8 43 auf den Gewerbebetrieb im Um⸗ 
herziehen ergibt. Die Gew. ſelbſt kennt keine ſach⸗ 
lichen Beſchränkungen des ſtehenden Gewerbebetriebs, 
d. h. ſie enthält keine Beſtimmungen, durch welche ge⸗ 
wiſſe Waren vom Feilbieten im ſtehenden Gewerbe⸗ 
betriebe ganz oder teilweiſe ausgeſchloſſen ſind; § 56 
Abſ. 1 hat nur Beſchränkungen im Auge, die dem 
ſtehenden Gewerbebetrieb nach dieſer Richtung durch 
andere reichs⸗ oder landesgeſetzliche Beſtimmungen auf⸗ 
erlegt werden. 8 43 enthält keine ſachlichen Beſchrän⸗ 
kungen i. S. des 8 56 Abf. 1, er macht nur den da⸗ 
ſelbſt bezeichneten Gewerbebetrieb von dem 5 
perſönlicher Eigenſchaften des Gewerbetreibenden ab⸗ 
hängig, fo daß der § 56 Abſ. 1 keine Handhabe für die 
Anwendbarkeit des § 43 Abſ. 1 auf den Gewerbebetrieb 
im Umherziehen bildet. 

Dagegen iſt aus nachſtehenden Gründen 8 43 auf 
dieſen Gewerbebetrieb anwendbar. Er iſt aus ſicher⸗ 
heits⸗ und ſittenpolizeil ichen Rückſichten weiteren und 
ſtrengeren Beſchränkungen unterworfen, als der ſtehende. 
Daraus ergibt ſich, daß der ſtehende Betrieb nicht 
ſchlechter geſtellt ſein kann als der Gewerbebetrieb im 
Umherziehen und daß Erſchwerungen des erſteren 
auch den letzteren treffen, wenn nicht die Gew. 
eine Ausnahme enthält. Die GewO. enthält keine 
Beſtimmung des Begriffs „ſtehender Gewerbebetrieb“, 
wohl aber eine ſolche des Begriffs „Gewerbebetrieb 
im Umherziehen“ (8 55); fie ſieht alle Betriebsformen 
als ſtehende Gewerbe an, die nicht ausdrücklich als 
Gewerbebetrieb im Umherziehen bezeichnet ſind. Die 
GewO. behandelt in Tit. LI das ſtehende Gewerbe, in 
Tit. III den Gewerbebetrieb im Umherziehen; daraus 


212 


folgt aber noch nicht, daß die unter dem einen Titel 
aufgeführten Beſtimmungen grundfäglich von der An⸗ 
wendung auf den anderen ausgeſchloſſen ſind. Stehen 
Wortlaut und Zweck nicht entgegen, ſo wird die gegen⸗ 
ſeitige Anwendbarkeit gegeben ſein, wenn ſie ſich aus 
der Natur der Sache ergibt. Dies wird der Fall ſein, 
wenn die in verſchiedenen Titeln behandelten Stoffe 
im weſentlichen gleich ſind und nur in einem Titel 
eine geſetzliche Vorſchrift enthalten iſt. Die auf der 
äußeren und inneren Anordnung des Stoffes beruhende 
Stellung einer Vorſchrift iſt nur ein untergeordnetes 
Auslegungsmittel. 

43 GewO. betrifft den fog. „fliegenden Buch⸗ 
handel“; er iſt zwar unter Tit. II untergebracht, aber 
die Eigenart dieſes Gewerbebetriebs, der Wortlaut und 
Zweck und die Entſtehungsgeſchichte erfordern die An⸗ 
wendbarkeit auf den Gewerbebetrieb im Umherziehen. 
8 43 (8 41 des Entw.) entſtand aus der Erwägung, 
daß gerade bei Preßerzeugniſſen der Vertrieb durch 
Ausbieten und Ausrufen auf öffentlichen Straßen und 
durch öffentlichen Anſchlag einer beſonderen Auſſicht 
bedarf, weil er den ſtädtiſchen Verkehr beläſtigen und 
die öffentliche Ordnung gefährden kann. Dieſe Er⸗ 
wägungen wurden auch vom Reichstage gebilligt (Sten.⸗ 
Ber. 1869, 1, 426, 430; 2, 1091) und waren maßgebend 
bei Schaffung der Gewerbenovelle vom 1. Juli 1883, 
der eine Verſchärfung der Veſtimmungen über den 
Gewerbebetrieb im Umherziehen betraf. (Reichst Dr. 
1882/83 Anl.⸗Bd. 5 S. 15). Danach iſt der fliegende 
Buchhandel (d. i. der Hauſierhandel mit Druckſchriften 
an dem Wohnort oder dem Orte der gewerblichen 
Niederlaſſung des Buchhändlers) kein eigentlicher ſtehen⸗ 
der Gewerbebetrieb, ſondern ſteht auf einer Stufe mit 
dem Gewerbebetriebe im Umherziehen und die Einfügung 
des § 43 unter den Tit. II will ſagen, daß dieſe Vor⸗ 
ſchrift auch das ſtehende Gewerbe entgegen ſeiner 
ſonſtigen Vewegungsfreiheit trifft. 8 43 iſt ſonach eine 
Sondervorſchrift, die durch die Eigenart der Verbreitung 
von Druckſchriften veranlaßt iſt und Störungen der 
öffentlichen Ordnung und Beläſtigungen verhindern 
ſoll. Da dieſe Gefahren ebenſo durch den anſäſſigen 
wie durch den wandernden Gewerbetreibenden hervor⸗ 
gerufen werden können, muß 8 43 die beiden umfaſſen. 

Zu dem gleichen Ergebniſſe führt der Vergleich 
des § 43 mit den 88 5 und 30 Abſ. 2 Preß G., dem 
Art. 37 Pol StB. und den Art. 12 und 13 AG StPO. 
Nach 8 5 Pre. und § 43 Abſ. 6 GewO. kann die 
nicht gewerbsmäßige öffentliche Verbreitung von Druck⸗ 
ſchriften durch die Ortspolizeibehörde aus denſelben 
Gründen verboten werden, aus denen nach 8 43 Abſ. 2 
GewO. die gewerbsmäßige öffentliche Verteilung von 
Druckſchriften unterſagt werden kann. § 5 PreßG. und 
die bezeichneten landesrechtlichen Beſtimmungen treffen 
jedermann; durch die Aufnahme der Vorſchriften des 
$ 43 Abſ. 2 GewO. in 8 5 PreßG. und durch die in 
8148 GewO. enthaltene Androhung der gleichen Strafe 
für die Verfehlungen gegen die beiden Vorſchriften iſt 
die Wechſelbeziehung hergeſtellt. Es iſt deshalb ſelbſt⸗ 
verſtändlich, daß die gleichen für die gewerbsmäßige 
öffentliche Verbreitung von Druckſchriften geltenden 
Vorſchriften des § 43 Abſ. 1 ebenfalls jeden treffen, 
der 1 Zweig des Gewerbes betreibt. Der Inhaber 
eines Wandergewerbeſcheines bedarf daher neben dem 
Druckſchriften verzeichnis noch des Legitimationsſcheines 
nach $ 43 Abſ. 1 Gew., falls er die daſelbſt bezeich⸗ 
nete Betriebsart ausüben will. (Urt. vom 3. März 1914, 
Rev.⸗Reg. Nr. 43/1914). Ed. 

3327 


II. 

Begiun und Dauer der Impfpflicht und der ſtraf⸗ 
rechtlichen Berantwortlichkeit der geſetzlichen Vertreter. 
Die am 10. Mai 1898 geborne, eheliche Tochter Johanna 
des Angeklagten X beſucht ſeit der am 1. Mai 1911 
erfolgten Entlaſſung aus der Werktagsſchule die Sonn: 
tagsſchule; ſie iſt der Wiederimpfung entzogen geblieben, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


die 1910 auf Auffordern des Bezirksamts hätte vor⸗ 
genommen werden ſollen. Der Angeklagte wurde daher 
zweimal auf Grund des 8 14 Abſ. 2 ImpfG. beſtraft. 
Durch eine zugeſtellte Verfügung des Bezirksamts wurde 
er aufgefordert, bei Meidung wiederholter Strafe ſeine 
Tochter alsbald dem Bezirksarzt zur Impfung vor⸗ 
zuführen. Nach fruchtloſem Ablaufe der Friſt teilte 
der Angeklagte dem Bezirksamte mit, daß ſich ſeine 
Tochter wegen ihres Abſcheus vor der Impfung nicht 
impfen laſſe. Das Sch. verurteilte nach 8 14 Abſ. 2 
ImpfG., das LG. ſprach frei, da zwar die Tochter 
auch als Beſucherin der Sonntagsſchule nach baye⸗ 
riſchem oo. ögling einer öffentlichen Lehranſtalt 
i. S. des § 1 Abſ. 2 ImpfGG. und daher wiederimpf⸗ 
pflichtig ſei, aber für ihre Weigerung ſich impfen zu 
laſſen nicht das Verhalten des Angeklagten beſtimmend 
war, der als Impfgegner von der Impfung abgeraten 
hat. Das Urteil wurde aufgehoben. 

Aus den Gründen: Aus den 88 1, 3 und 4 
Ampf®., nicht minder aus der Begründung des Entw. 
im allgemeinen und zu 8 1 (RTVerh. 3. Anl.⸗Bd. 1874 
S. 23 ff.) ergibt ſich, daß für die Frage, ob jemand 
wieder geimpft werden ſoll, die Feſtſtellung notwendig 
iſt, ob er in ſeinem 12. Lebensjahr Zögling einer öffent⸗ 
lichen Lehranſtalt oder Privatſchule war, oder nur 
eine Sonntags- oder Abendſchule i. S. des § 1 Impf®. 
beſuchte. Nicht die Zugehörigkeit zu einer öffentlichen 
Lehranſtalt oder Privatſchule allein, ſondern ſie und 
das 12. Lebensjahr zuſammen begründen die Pflicht zur 
Wiederimpfung; wer ſonach im Laufe ſeines 12. Lebens⸗ 
jahres nicht Zögling einer öffentlichen Lehranſtalt oder 
Privatſchule iſt, ſondern nur eine Sonntags⸗ oder 
1 i. S. des Impf G. beſucht, oder z. B. wegen 
Krankheit oder aus anderen Gründen einer Schule 
überhaupt ferne geblieben iſt, der iſt nicht wiederimpf⸗ 
pflichtig und wird es nie wieder. Wer alſo im 12. Lebens⸗ 
jahre nicht wiederimpfpflichtig war, wird es nicht des⸗ 
wegen, weil er ae Zögling einer öffentlichen Lehr⸗ 
anſtalt oder Privatſchule war oder iſt. Beſteht aber 
die Impfpflicht, dann dauert ſie ohne Rückſicht auf das 
Lebensalter und den Austritt aus der Schule bis zu 
ihrer Erfüllung fort, d. i folange, bis mit Erfolg wieder⸗ 
geimpft wurde oder bis zur 3. erfolgloſen Wieder⸗ 
impfung (Bl AdmPr. 29 S. 6, 7 und 19). Die Impf⸗ 
pflicht nach 8 1 Nr. 1 beginnt im Laufe des auf das 
Geburtsjahr folgenden Jahres, die Impfpflicht nach 81 
Nr. 2 (Wiederimpfungspflicht) im Laufe des Jahres, 
in welchem das Kind 12 Jahre alt wird und Zögling 
einer öffentlichen Lehranſtalt oder AN iſt, und 
jede dieſer Pflichten dauert nach SS 3, 4 und 14 Impf@. 
und 8 1626 BGB. folange, als das Kind minderjährig 
iſt. In der Begr. d. Entw. iſt dies ausdrücklich hervor⸗ 
gehoben. 

In Bayern erſtreckt ſich die mit der Vollendung 
des 6. Lebensjahres beginnende Pflicht zum Beſuche 
der Volksſchule auf die Dauer von 10 Jahren, von 
denen 7 auf den Beſuch der Werktagsſchule, ſonach 
einer öffentlichen Lehranſtalt treſſen. Da mithin das 
12. Lebensjahr regelmäßig in die Zeit des Beſuchs der 
Werktagsſchule fällt — von den hier nicht zu erörternden 
Fällen des $ 13 ImpfG. abgeſehen — iſt in Bayern jeder 
zwölfjährige Werktagsſchüler impfpflichtig. Johanna X 
hat in ihrem 12. Lebensjahre die Werktagsſchule be⸗ 
ſucht; in dieſem Jahre begann die Impfpflicht und 
dauerte bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres 
(S 2 BGB., $ 14 ImpfG.). Es iſt deshalb nicht not⸗ 
wendig, auf die Frage näher einzugehen, ob der der⸗ 
zeitige Beſuch der Feiertagsſchule durch die nun 15 Jahre 
alte Johanna X einen Einfluß auf die Wiederimpf⸗ 
pflicht hat. Richtig iſt übrigens die Anſchauung des 
BG., daß in Bayern die Feiertagsſchule (ſeit 1. Ja- 
nuar 1914 Fortbildungsſchule genannt) öffentliche Lehr⸗ 
anſtalt iſt. Es hat daher mit Recht — wenn auch 
aus nicht zutreffenden Gründen — die Impfpflicht der 
Johanna X angenommen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 213 


Da wegen des Alters minderjähriger Perſonen die 
Erfüllung der Pflicht von ihnen nicht verlangt werden 
kann, iſt durch 88 12 und 14 Ampf®. den geſetzlichen 
Vertretern die Erfüllung der Pflicht auferlegt worden; 
kommen ſie ihr nicht nach, ſo werden ſie nach 8 14 
Abſ. 2 beſtraft. Die Strafe ſoll zugleich die geſetz⸗ 
lichen Vertreter zwingen, ihre Kinder impfen zu kaſſen. 
Das Geſetz legt ſomit den geſetzlichen Vertretern ein 
Gebot auf. Indem es die Impfung der Kinder an⸗ 
ordnet, iſt ſie deren perſönliche Angelegenheit ge⸗ 
worden; für die perſönlichen Angelegenheiten ſeines 
Kindes hat nach 88 1626, 1627, 1630 und 1631 BG. 
der Vater kraft ſeiner elterlichen Gewalt zu ſorgen. 
Zu den vornehmſten Pflichten der Eltern gehört die 
Pflicht der Erziehung ihrer Kinder, die Sorge für die 
körperliche, gelftige und ſiitliche Ausbildung. Zur ſitt⸗ 
lichen Ausbildung gehört die Gewöhnung an die Be⸗ 
folgung der Geſetze, die Abhaltung von Zuwiderhand⸗ 
lungen. Die Pflicht der Eltern, für die Perſon des 
Kindes zu ſorgen, erfordert ſonach ein Tun, ein Ein⸗ 
wirken auf das Kind, das nach dem 8 1631 Abſ. 2 BG. 
nötigenfalls durch Zuchtmittel gezwungen werden kann 
oder ſoll, etwas zu tun oder zu unterlaſſen. Unter: 
laſſen die Eltern die ihnen obliegende Pflicht, ſo können 
fie u. U. für die Handlungen oder Unterlaſſungen ihrer 
Kinder zivilrechtlich wie ſtrafrechtlich verantwortlich 
gemacht werden (1. 8 B. 8 832 BGB.; 8 361 Nr. 4 
und 9 StGB.; Art. 58, 81 P St.; 8 6 Vogel Sch.). 
Bon demſelben Gedanken iſt auch das ImpfG. bes 
herrſcht. Die 88 12, 14 legen den Eltern die Pflicht auf, 
kraft ihrer elterlichen Gewalt alle geſetzlich zuläffigen 
Mittel aufzuwenden, um ihr Kind der Impfung zu⸗ 
zuführen. 8 14 Abſ. 2 knüpft die Beſtrafung der ge⸗ 
ſetzlichen Vertreter ſchon an die Feſtſtellung, daß das 
Kind ohne geſetzlichen Grund trotz amtlicher Aufforde⸗ 
rung innerhalb der Friſt nicht geimpft worden iſt. 
Die nicht erfolgte Irref n allein bildet ſonach den 
äußeren Tatbeſtand des § 14 Abſ. 2, er iſt ein reines 
„Unterlaſſungsdauerdelikt“. Da das Mädchen ohne ge⸗ 
ſetzlichen Grund trotz amtlicher Aufforderung nicht 
innerhalb der Friſt geimpft worden iſt, liegt der äußere 
Tatbeſtand vor. 

Die Beſtrafung nach 8 14 Abſ. 2 ſetzt ein vor⸗ 
br oder fahrläffiges Verſchulden voraus. Nach 

en Feſtſtellungen wußte der Angeklagte, daß er inner⸗ 
halb der vorgeſetzten Friſt ſein Kind impfen laſſen 
ſollte, und daß er keinen geſetzlichen Grund zur Unter⸗ 
laſſung hatte. Er hat jedoch pflichtwidrig nichts ge⸗ 
tan, um die e zu ermöglichen, er hat ſogar 
ſeiner Tochter von der Impfung abgeraten. Läge 
ſchon in dem untätigen Verhalten des Angeklagten 
gegenüber dem geſetzlichen Gebote ein vorſätzliches, 
ſtrafbares Verſchulden, ſo iſt dies um ſo mehr bei ſeinem 
tätigen Mitwirken zur Nichtbefolgung des Gebotes ge⸗ 
an Der Angeklagte könnte ſich von Strafe nur 

efreien, wenn er nachweiſt, daß er trotz Anwendung aller 
durch die väterliche Gewalt eingeräumten Mittel die 
Impfung nicht herbeiführen konnte. Dieſe Unmöglich⸗ 
keit würde ihn jedoch dann nicht befreien, wenn ſie 
die Folge ſeines bisherigen pflichtwidrigen Verhaltens 
gegenüber ſeiner Tochter und dem Geſetze wäre. (Urt. 
v. 21. März 1914, Rev.⸗Reg. 78/1914). Ed. 

3338 


III. 


Wer ohne behördliche Genehmigung eine Brücke 
baut, iſt 3 dem Waſſergeſetze, nicht nach dem $ 367 
Nr. 15 StGB. ſtrafbar. Das BG. nahm an, daß gegen 
den, der eine Brücke ohne die nach Art. 78 WG. er⸗ 
orderliche Genehmigung herſtellt, nicht Art. 202 Nr. 2 

G., ſondern § 367 Nr. 15 StGB. anzuwenden ſei, 
da eine Brücke ein Bau i. S. der letzteren Vorſchrift 
ſei und darum die landesrechtliche Vorſchrift des 
Art. 202 Nr. 2 WG. der reichsgeſetzlichen Vorſchrift zu 


weichen habe. Dieſe Anſchauung erachtete das Re⸗ 
viſionsgericht als irrig. 

Aus den Gründen: Unter „polizeilicher Ge⸗ 
nehmigung“ i. S. des § 367 Nr. 15 StG. iſt nur 
eine ba u polizeiliche Genehmigung zu verſtehen, wie 
fie in 8 6 BauO. vom g. Küguft 1510 vorgeſehen iſt, 
nicht eine polizeiliche Genehmigung überhaupt. 8 367 
Nr. 15 StGB. bezweckt den Schutz der landesrechtlichen 
baupolizeilichen Vorſchriften; das iſt ſchon aus der 
Eigenſchaft der als Täter bezeichneten Perſonen „Bau⸗ 
herr, Baumeiſter oder Bauhandwerker“ zu entnehmen 
und ergibt ſich aus der Art der unter Strafe geſtellten 
Tat: „Ausführen eines Baues ohne polizeiliche Ge⸗ 
Ben und „eigenmädtiges Abweichen von dem 
durch die Behörde genehmigten Bauplan“. Sie kann 
nur angewendet werden, wenn es ſich um Bauten 
handelt, zu deren Ausführung eine baupolizeiliche Ge⸗ 
nehmigung nach Landesrecht vorgeſehen iſt. Der Tat⸗ 
beſtand des 8 367 Nr. 15 ſetzt den Mangel dieſer Ge⸗ 
nehmigung oder ein Zuwiderhandeln voraus. Wann 
eine baupolizeiliche Genehmigung einzuholen iſt, be⸗ 


: 17. Februar 1901 
ſtimmt allein die BauO. vom 3. Auguſt 1910 Die Er⸗ 


laubnis, von deren Einholung das WG. die Errichtung 
von Bauten oder Anlagen abhängig macht, hat nie 
die Bedeutung einer baupolizeilichen Genehmigung i. 
S. des 8 367 Nr. 15 a. a. O., ſondern ſtets den einer 
waſſerpolizeilichen. Der Unterſchied tritt klar hervor 
in dem Inhalte der Vollzugsvorſchriften über die Be⸗ 
handlung und Verbeſcheidung der baupolizeilichen und 
waſſerpolizeilichen Geſuche. Wenn eine Erlaubnis 
nach dem Waſſerrechte vorgeſchrieben iſt, kann außer⸗ 
dem noch, wie eine gewerbepolizeiliche, ſo auch eine 
baupolizeiliche Erlaubnis in Frage kommen. In den 
Vorfchriften über die Behandlung ſolcher Fälle iſt 
zwiſchen der baupolizeilichen und waſſerpolizeilichen 
Erlaubnis ſcharf unterſchieden (ſ. 8 51, 8 106 =: 2, 
8 115 Abſ. 3 VollzB. z. WG.). Zur Errichtung einer 
Brücke iſt eine baupolizeiliche Genehmigung nicht er⸗ 
forderlich; denn ſie iſt kein Gebäude und keine bau⸗ 
liche Anlage i. S. der BauO. (Urt. v. 10. März 1914, 
Rev.⸗Reg. Nr. 64/1914). Ed. 
3339 


Oberlandesgericht Bamberg. 


Der Berweiſungsbeſchluß nach 3 697 350. if nicht 
gebührenpflichtig.) Aus den Gründen: Der Ver⸗ 
weiſungsbeſchluß des A. iſt ohne mündliche Verhand⸗ 
lung erlaſſen worden. Er iſt keine gebührenpflichtige 
Entſcheidung i. S. der 88 18 Nr. 3 und 26 Nr. 1 oder 2 
GKG. Daß die Vorſchriften in Nr. 1 und 2 des 8 26 
GKG. auf einen Gerichtsbeſchluß nach 8 6977 ZPO. 
nicht unmittelbar anzuwenden find, iſt ſelbſt in dem 
Regierungsbeſcheid hervorgehoben, der durch die Ge⸗ 
bührenreviſion veranlaßt wurde. Der amtsgerichtliche 
Beſchluß hat weder eine prozeßhindernde Einrede er⸗ 
ledigt (8 26 Nr. 1), noch von Amts wegen die Unzu⸗ 
ſtändigkeit ausgeſprochen (826 Nr. 2). Das AG. über- 
weiſt nicht von Amts wegen, ſondern nur auf Antrag 
einer Partei ohne Gehör des Gegners. Der Antrag 
kann mit dem Geſuch um Zahlungsbefehl verbunden 
werden, der Schuldner kann ihn beim Widerſpruch 
anbringen und beide Teile können auch nachher auf 
Verweiſung antragen. Ohne einen Antrag aber unter⸗ 
bleibt ſie. Der Beſchluß entſcheidet nicht einen Streit 
über die Zuſtändigkeit. Unter den Parteien beſteht 
kein Streit, wenn eine die Verhandlung der Sache 
vor dem geſetzlich zuſtändigen Landgerichte beantragt. 


1) Siehe dle gegenteilige Entſcheidung des OLG. Augsburg in 
Bay 3fR. Jahrg. 1914 S. 170. 


214 


— m nn 


Der Verweiſungsbeſchluß nach § 697? ZPO. iſt dem⸗ 
nach regelmäßig formal, er entſcheidet nicht ſachlich. 

Durch die Novelle vom 1. Juni 1909 wurde das 
Mahnverfahren außerordentlich begünſtjgt. Zweck des 
Geſetzes iſt, dem Mahnverfahren möglichſten Eingang 
zu verſchaffen und den Rechtsſuchenden lichſe haufig 
daß ſie von ihm auch in den Fällen möglichſt häufig 
Gebrauch machen, die zur Zuſtändigkeit des LG. ge⸗ 
hören. Dieſer Abſicht würde es zuwiderlaufen, wenn 
die einfache Maßnahme des Ueberweiſungsbeſchluſſes, 
die doch nur einen rein formalen Ausſpruch enthält, 
ber /1⸗Gebühr des § 26 GKG. unterworfen fein ſollte 
und wenn ſo das Mahnverfahren erheblich verteuert 
würde. Eine ſolche Verteuerung würde es erſchweren, 
nicht vereinfachen und erleichtern; ſie kann deshalb 
nicht gewollt ſein. Würde der Ueberweiſungsbeſchluß 
mit der /1e-⸗Gebühr zu bewerten fein, ſo müßte dies 
die Partei davon abhalten, einen Antrag nach 8 697° 
3PO. zu ſtellen, ein Ergebnis, das mit der ſonſtigen 
Abſicht des Geſetzes nicht in Einklang zu bringen iſt. 
Daß der Verweiſungsbeſchluß nach 5 697? ZPO. nicht 
widerruflich iſt, nimmt ihm nicht die Eigenſchaft einer 
nur prozeßleitenden Anordnung und er wird deswegen 
auch nicht zu einer ſachlichen Entſcheidung, da er ja 
in der Sache ſelbſt nichts entſcheidet. Der Verweiſungs⸗ 
beſchluß enthält auch keine Entſcheidung über einen 
Nebenſtreitpunkt. Er geht auf den Anſpruch nicht ein, 
er ſpricht auf Wunſch der Partei nur aus, daß das 
ordentliche Prozeßverfahren bei dem AG. nicht weiter 
geführt werden kann, ſondern daß der Rechtsſtreit nach 
der im Geſetze geordneten Zuſtändigkeit ($ 23 GVG.) 
bei dem LG. zu verhandeln iſt. Hienach kann auch 
eine entſprechende Anwendung des § 26 GKG. nicht in 
Frage kommen. Es fehlt an einer ausdrücklichen Ve⸗ 
ſtimmung des GKG., durch welche die Erhebung einer 
beſonderen Gebühr vorgeſehen wäre. Eine ſolche Ge⸗ 
vühr kann daher nicht erhoben werden (OS GRſpr. 27 
S. 128, 129 und Bay ZfK. 1913 S. 366). (Beſchl. vom 
20. März 1914). H. 

3336 


O berlandesgericht Nürnberg. 


Koſten des Verfahrens bei Zurücknahme des Un: 
trags auf einſtweilige Verfügung wegen Berände⸗ 
rung der Umſtände. Befugnis des Bezirksamts zur 
ſtaaisaufſichtlichen Prüfung gemeindlicher Verträge anf 
Lieferung von elektriſchem Strom? (SS 271, 93 ZPO.; 
Art. 1, 159, 112 GemO.). Aus den Gründen: 
1. Die Zurücknahme des Antrags auf einſtweilige 
Verfügung wegen Veränderung der Umſtände ſteht 
nicht der Zurücknahme einer Klage gleich, ſie hat darum 
auch nicht die im 8 271 3 PO. vorgeſehene Folge, daß 
der Antragſteller die Koſten des Verfahrens zu tragen 
hat. Vielmehr iſt zunächſt 8 93 ZPO. entſprechend 
anzuwenden, da der Antragſteller den Antrag zur 
Hauptſache zurückgezogen hat, ſobald er die Veränderung 
der Umſtände erfuhr. Es würden hienach die Koſten 
dem Antragsgegner zur Laſt fallen. Vorausſetzung 
hierfür wäre aber, daß urſprünglich dem Antragſteller 
die rechtliche Befugnis zum Antrag auf einſtweilige 
Verfügung zugeſtanden hätte. Dies iſt zu verneinen, 
mithin fallen dem Antragſteller ſelbſt gemäß § 91 ZPO. 
die Koſten des erſten Rechtszugs und damit auch die 
Koſten der Berufung des Antragsgegners zur Laſt. 

2. Das Bezirksamt war nicht zuſtändig, in dem 
Vertrage des Antragsgegners über die Lieferung des 


Zeitſchrift für Rechtspflege 


elektriſchen Stroms an die Gemeinde D. einzelne Be⸗ 


dingungen von Staatsaufſichts wegen zu ſtreichen. Es 
gibt keine geſetzliche Vorſchrift, die dieſe in das Selbſt— 
verwaltungsrecht der Gemeinden einſchneidende Be— 
fugnis erteilt. 
„das Recht der Selbſtverwaltung nach Maßgabe der 
Geſetze“ gewährleiſtet. 


Nach Art. 1 GemO. iſt den Gemeinden 


Soweit nicht das Geſetz aus- 


in Bahern. 


1914. Nr. 10. 


drücklich eine Beſchränkung feſtſetzt, iſt ihnen alſo 
gleich den übrigen ae Perſonen des BG. 
auch auf bürgerlich⸗rechtlichem Gebiete die Rechtsfähig⸗ 
keit volljähriger natürlicher Perſonen geſichert, mithin 
auch Vertragsfreiheit. Eine Gemeindekuratel, wie ſie 
noch das bis 1869 in Bayern gültige Gemeindeedikt 
(in 8 21) kannte, iſt der GemO. nicht mehr bekannt. 
Zwar findet ſich die Auffaſſung, daß eine Gemeinde 
ſreiwillig einer ſtaatlichen Stelle eine Art Kuratel ein⸗ 
räumen könne, indem ſie die Wirkſamkeit ihrer Hand⸗ 
lung von einer Genehmigung abhängig macht, wo 
ſtaatsaufſichtliche Genehmigung an fi} nicht nötig wäre 
(vgl. Fiſcher, Bayer. Gem., 4. Aufl. der GemO. von 
Lindner⸗Hauck). Hier ſind aber keine Anhaltspunkte 
dafür gegeben, daß die Gemeinde D. ihren Bertrag 
einer ſolchen Staatskuratel freiwillig unterſtellt, alſo 
die ſtaatsaufſichtliche Genehmigung gleichſam als Ver⸗ 
tragsbedingung gewollt hatte. Im Geſetze findet ſich 
der Umfang der Staats aufſicht über die Gemeinden 
in den Art. 154 169 GemO. feſtgeſtellt; hier käme nur 
etwa Art 159 Abſ. I Nr. 5 in Betracht. Hiernach 
ſind die Gemeinden an die Genehmigung gebunden 
„bei Gründung von Gemeindeanſtalten, aus welchen 
der Gemeinde eine dauernde Haftungsverbindlichkeit 
erwächſt, und bei Uebernahme einer ſolchen Verbindlich⸗ 
keit für ſonſtige Anſtalten“. Unter den Begriff der Ge⸗ 
meindeanſtalten i. S. des Art. 159 wie des Art. 112 Abſ. 1 
Nr. 5 fallen allerdings Elektrizitäts werke (BSH. 28, 80). 
Indes handelt es ſich in den Verträgen nicht um die 
Gründung von Elektrizitätswerken für die Gemeinden, 
ſondern nur um das Recht, die gemeindlichen Wege, 
Straßen, Plätze, Brücken zur Verlegung von ober⸗ und 
unterirdiſchen Leitungen zu benützen, wogegen die Ge⸗ 
meinde ſich und den Hausbeſitzern einen möglichſt 
günſtigen Stromtarif ſichert. Mag man ſelbſt öffent⸗ 
liche Wege zu den Gemeindeanſtalten im weiteren Sinne 
zählen (VGH. 8, 17 und Kahr, GemO. [1.) Fußn. 13 
zu Art. 47 im Gegenſat zu BlAdmpPr. 57, 53), fo 
war auch unter dieſem Geſichtspunkte keine ſtaats⸗ 
aufſichtliche Genehmigung geboten. Auch die Bek. des 
StM. des Innern vom 21. Mai 1908, betr. Beratung 
für elektriſche Anlagen, und vom 8. Juni 1910, betr. 
elektriſche Ueberlandzentralen (MA Bl. 1908, 261 und 
1910, 391) laſſen nur den Schluß zu, daß auch die 
Staatsregierung die ſtaatsaufſichtliche Genehmigung zu 
ſolchen Verträgen nicht für nötig erachtet. In jenen 
Bekanntmachungen iſt immer nur davon die Rede, 
daß den Gemeinden etwas „dringend empfohlen“ oder 
„nahegelegt“ wird, den Bezirksämtern aber aufgetragen 
wird, „in dieſem Sinne zu wirken“. Die neueſte Ent⸗ 
ſchließung des StM. des Innern vom 6. Februar 1913 
(a. a. O. 1913, 147), betr. die Elektrizitätsverſorgung 
auf dem Lande, die der Bildung privater, auch ge⸗ 
noſſenſchaftlicher Ueberlandwerke nach Kräften entgegen⸗ 
tritt, weiſt die Bezirksämter nur an, „durch Aufklärung 
und Belehrung dahin zu wirken, daß die Gemeinden 
genoſſenſchaftlichen Beſtrebungen auf dieſem Gebiete 
keinen Vorſchub leiſten“ und „den Gemeinden eine zu⸗ 
wartende Stellung anzuraten“, bis die Verhandlungen 
mit den größeren Ueberlandwerken zu einem der Staats⸗ 
regierung erwünſchten Abſchluß gelangt ſeien. (Urt. 
des I. 35. vom 17. Januar 1914, L 379/13). 


3310 Br. 


Aus der Rechtſprechung 
des Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte. 


Die Verwaltungsbehörden find zur Entſcheidung 
über einen Anſpruch aus dem Kirchen⸗ und Pfarr⸗ 
verband auch dann zuſtändig, wenn der Kläger auß- 
drücklich erklärt, feinen Anſpruch nicht aus die ſem Ber⸗ 
bande, ſondern aus einem privatrechtlichen Vertrag 
abzuleiten. Aus den Gründen: Durch den ſog. 


Beitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


215 


mn ͤ— . Tr mn — 


Scharlgarten in B. führte ſeit langen Jahren ein Fuß⸗ 
weg über eine an der ſüdöſtlichen Ecke der Friedhof⸗ 
mauer angebrachte Stiege zum Friedhof und zur 
Kirche. Am 18. Januar 1903 beſchloß die Kirchen⸗ 
verwaltung B., die verfallene Stiege ſollte nicht mehr 
erneuert und die Oeffnung in der Mauer geſchloſſen 
werden. Eine Verſammlung der Angehörigen der 
Kirchengemeinde und der Grabſchaft B. genehmigte 
am 25. Januar 1903 den Beſchluß unter der Bedingung, 
daß der ſeitherige Weg durch den Scharlgarten an 
der Nordſeite neben der Pfarrergaſſe einen Meter breit 
angelegt werde. In einer Verſammlung der Kirchen⸗ 
verwaltung vom 1. Juni 1903 erklärte der als Ver⸗ 
treter der Ortſchaften H., T. und R. augedogene Bauer 
S., ſich mit der Anlegung des am 25. Januar bes 
ſchloſſenen nur einen Meter breiten Weges begnügen 
zu wollen, und die Kirchenverwaltung ſicherte zu, an 
der Nordoſtecke des Friedhofs eine neue Oeffnung in 
die Mauer brechen und dort als Fortſetzung des 
Weges eine Stiege anlegen zu laſſen. Allein das ge⸗ 
ſchah nicht, wohl aber wurde der alte Aufgang zu⸗ 
gemauert. Am 12. Auguſt 1911 erhoben die 22 durch 
RA. H. vertretenen „Grabſchafts⸗ und Kirchengemeinde⸗ 
angehörigen von B.“ Klage gegen die dortige Kirchen⸗ 
ſtiftung zum AG. E. und beantragten, die Beklagte 
ſchuldig zu ſprechen den früheren Aufgang wieder her⸗ 
zuſtellen oder einen neuen entſprechend dem Beſchluß 
vom 1. Juni 1903 zu errichten. Das AG. wies die 
Klage wegen Unzuläſſigkeit des Rechtswegs ab; die 
Berufung wurde aus dem gleichen Grunde zurückge⸗ 
wieſen. Nun ſtellten die Kläger den nämlichen An⸗ 
trag bei dem Bezirksamt. Sie erklärten, die Her» 
ſtellung der Stiege nicht als Kirchengemeindemitglieder 
— nicht auf Grund des Kirchen⸗ oder Pfarrverbandes — 
zu beanſpruchen, auch nicht aus einer allgemeinen Be⸗ 
nützungsbefugnis ihr Recht abzuleiten; ſie hätten viel⸗ 
mehr einen privatrechtlichen Anſpruch auf Grund des 
Vertrags zwiſchen der Kirchenſtiftung und den durch 
den Bauern S. vertretenen Perſonen. Da die Gerichte 
die Zuläſſigkeit des Rechtsweges verneint hätten, 
müßten ſie die Verwaltungsbehörden um Abhilfe an⸗ 
gehen. Bezirksamt und Kreisregierung erklärten ſi 
gleichfalls für unzuſtändig. Nach Art. 10 Ziff. 1 
BH. liege bei Anſprüchen und Verbindlichkeiten 
aus dem Kirchen⸗ und Pfarrverband eine Verwaltungs⸗ 
ſtreitſache vor. Hier aber ſei der Anſpruch gegen die 
Kirchenſtiftung nicht aus dieſem Verband abgeleitet. 
Der Anſpruch auf eine beſtimmte Art der Benützung 
eines der Kirchenſtiftung gehörigen Friedhofs könne 
unter Umſtänden auch auf ein Rechtsverhältnis des 
bürgerlichen Rechtes gegründet werden. Das ſei hier 
geſchehen und dürfe bei der Prüfung der Zuſtändigkeit 
nicht außer acht gelaſſen werden. Wenn jemand einen 
Anſpruch aus dem Kirchen⸗ oder Pfarrverbande nicht 
erheben wolle, wie dies hier erklärt worden ſei, könne 
man ihm einen ſolchen auch nicht aufdrängen. 
Maßgebend iſt die Natur des behaupteten Rechts⸗ 
verhältniſſes, nicht die behauptete Natur des Rechts⸗ 
verhältniſſes. Auch der behauptete Rechtstitel iſt für ſich 
allein nicht entſcheidend, ſofern er ſeiner Art nach ſo⸗ 
wohl dem bürgerlichen als dem öffentlichen Recht an⸗ 
gehören kann. Die tatſächliche Unterlage für die Ent⸗ 
ſcheidung bildet das Vorbringen des Klägers (v. Seydel, 
BayStR. (3) 1, 416 mit Anm. 11 und 12; Reger⸗ 
Dyroff, BHG. Anm. 1a und b zu Art. 13; Kompͤch. 
Erk. vom 3. Juli 1901, Samml. S. 271; VGH. 14, 
109; 17, 285; 18, 282). Hier gründet ſich die Klage 
in tatſächlicher Beziehung auf die Beſchlüſſe der Kirchen⸗ 
verwaltung und der Kirchengemeindeverſammlung vom 
18. Januar, 25. Januar und 1. Juni 1903; ſie erblickt 
in dem Ergebnis eine zwiſchen den Kirchengemeinde— 
angehörigen und Grabſchaftsbeſitzern einerſeits und 
der Kirchen verwaltung andererſeits zuſtande gekommene 
Einigung, auf Grund deren die Kläger als Teilnehmer 
der Vereinbarung entweder die Wiederherſtellung des 


—— — . 9 —99——ᷓ—ç—ß—ß—ß———.9—ꝗ—..——————————————ßç—jC.ä—18.Kç2çꝗ : 22 ͤ ³ÜAu2 —aꝛꝝỹ⁊2˖ 324 nn, a rn nn nn m nn re 


früheren Zuſtandes oder die Ausführung des Be⸗ 
ſchluſſes vom 1. Juni 1903 fordern könnten. Der ſeit 
unvordenklicher Zeit“ über den Scharlanger führende 
Fußweg, an deſſen Ende die Stiege in die Kirchhof⸗ 
mauer mündete, wird als ein den Klägern „von jeher 
als Kirchenweg“ dienender Steig bezeichnet. Dieſe 
Begründung des Klaganſpruchs führt dazu, das ſtreitige 
Rechtsverhältnis als dem öffentlichen Rechte ange⸗ 
hörend zu erachten. Es handelt ſich um den Zugang 
zum kirchlichen Friedhof und zur Kirche, alſo um die 
Benützung kirchlicher Anſtalten und Einrichtungen 
(KirchengemO. Art. 12). Das Recht auf dieſe Benützung 
beanſpruchen die Kläger als Kirchengemeindeangehörige 
und Grabſchaftsbeſitzer; ſie leiten es alſo aus ihrer Zuge⸗ 
hörigkeit zum Kirchen⸗ und Pfarrverband ab. Anſprüche 


ſolcher Art fallen aber unter die in Art. 10 Ziff. 13 


VGH. in erſter Reihe aufgeführten Angelegenheiten 
(Reger⸗Dyroff a. a. O. Anm. 5 zu Ziff. 13; VGH. 13, 
543). Daß die Kläger ſich auf einen Vertrag berufen, 
kann an der Natur des Rechtsverhaͤltniſſes nichts 
ändern; denn der Rechtstitel des Vertrags gehört nicht 


nur dem bürgerlichen Recht an, ſondern ebenſogut 


dem öffentlichen Rechte (VGH. 18, 282). Belanglos 
iſt auch der Hinweis der Kläger darauf, daß die zu 
ihren Gunſten von der Kirchenſtiftung eingegangene 
Verpflichtung ſich auf ein Privatrecht, das Eigentum 
der Kirchenſtiftung, beziehe. Die Aab der die 
Kirchenſtiftung und die Kirchengemeinde vertretenden 
Organe geben genügend zu erkennen, daß dieſe Körper⸗ 
ſchaften dabei nicht als Privatrechtsſubjekte gehandelt 
und Verbindlichkeiten übernommen haben, ſondern als 
die berufenen Hüter von Einrichtungen und Anſtalten, 
die kirchlichen Zwecken und Bedürfniſſen dienen 
(KompX8H. Erk. vom 19. April 1884, Samml. S. 83). 
Die Kläger haben ſich zwar dagegen verwahrt einen 
Anſpruch des öffentlichen Rechts zu verfolgen und 
ausdrücklich einen privatrechtlichen Anſpruch behauptet. 
Allein nicht die rechtliche Auffaſſung des Klägers, nicht 
die Bezeichnung des Anſpruchs in der Klage iſt für 
die Zuläſſigkeit des Rechtswegs entſcheidend, ſondern 
allein die Natur des erhobenen Anſpruchs (RG. in 
JW. 1909 S. 690 Nr. 20). (Erk. vom 30. März 1914, 
Reg. f. KK. Nr. 73). E. 
3310 


Büreranzeigen. 


Oberhänſer, Ang., Prokuriſt der Weingroßhandlung 
Eckel & Cie., München, Weingeſetz vom 7. April 
1909 mit den geſamten Materialien und den Aus» 
führungsbeſtimmungen des Bundesrates. Mit einem 
Anhang, enthaltend 1. Die Materialien zur Reblaus⸗ 
geſetzgebung und über die Bekämpfung der Reb⸗ 
ſchädlinge, 2. Bibliographie über das Werden und 
Weſen des Weines und die Weingeſetzgebung. 92 S. 
München 1914, Guſtav Lammers. Kart. Mk. 1.50. 


Das Büchlein enthält den Text des Weingeſetzes 
und der Bundesratsbekanntmachung vom 9. Juli 1909 
(ohne die Anlagen), en. auf die Reichstags⸗ 
verhandlungen uſw. und einige hundert Titel von 
Kommentaren und einſchlägigen Abhandlungen, teils 
nach Stoffen, teils nach Jahrgängen, teils alphabetiſch 
geordnet. Das Werkchen iſt eine fleißige Zuſammen⸗ 
ſtellung. Es enthält keine Erläuterungen, auch nicht 
etwa die Materialien ſelbſt, ſondern nur Angaben, 
wo dieſe zu finden ſind, worauf ausdrücklich hingewieſen 
ſei, da dies aus dem Titel nicht deutlich erſichtlich iſt. 

München. Landgerichtsrat Zoeller. 


Krech, Dr. Johannes, Kaiſ. Geh. Regierungsrat, Grund— 
buchordnung vom 24. März 1897. 4. Aufl. VIII, 
158 S. München 1914 (C. H. Beck'ſche Verlagsbuch⸗ 
handlung Oskar Beck). Gebd. Mk. 1.50. 

Die neue von Landrichter Fritz Krech in Naum— 


216 


— 
— m 


burg a. S., dem Sohne des bisherigen Herausgebers, 
bearbeitete Auflage weiſt die alten ze auf und 
bedarf an fi} keiner Empfehlung mehr. Sie iſt nach 
dem neueſten Stande der Reichs⸗ und Landesgeſetz⸗ 
gebung und der Rechtſprechung ergänzt und um 25 Seiten 
ſtärker geworden. In der den Erläuterungen voraus⸗ 
. Zuſammenſtellung der in ſämtlichen deutſchen 
undesſtaaten zu der Grundbuchordnung erlaſſenen 
Verfügungen der Landesjuſtizverwaltungen hätten bei 
Bayern auch die Bek. vom 2. November und 30. De⸗ 
ember 1910 (JMBl. 1910 S. 983, 1911 S. 40) und 
ie Bek. vom 16. November 1911 (JMBl. S. 345), 
bei Württemberg die Verfügung vom 2. Januar 1913 
(JMBl. S. 1) Aufnahme finden follen; die letzte Ver⸗ 
fügung hätte auch bei 83 GBO. erwähnt werden ſollen. 
München. Minifterlalrat H. Schmitt. 


Ueberreiter, Dr. fie: Franz Jsſeph, Die rechtlichen 
Berhältniſſeder Ortsſtraßen, beſonders 
in Bayern. 2. rag erlag Gebrüder Mem⸗ 
minger, G. m. b. H. in 


Es handelt ſich um die Diſſertationsſchriſt des 
jetzigen Bürgermeiſters von Weilheim und Landtags» 
abgeordneten Dr. Ueberreiter, die in zweiter Auflage er⸗ 
ſcheint. Das Büchlein bietet eine gute Ueberſicht der 
Literatur über das Straßenrecht der größeren deutſchen 
Bundesſtaaten. Das eigentliche Thema nimmt aber 
einen verhältnismäßig kleinen Raum ein und iſt nicht 
tief und erſchöpfend genug behandelt. Beſonders zu 
bedauern iſt es, daß die zweite Auflage ein unveränderter 
Neudruck der vor etwa 7 Jahren erſchienenen erſten 
ne ift und daß fie nicht nach dem jetzigen Stand 
der Geſetzgebung, Literatur und Rechtſprechung um⸗ 
gearbeitet wurde. Der Praktiker vermißt insbeſondere 
die Berückſichtigung der Novelle zur Bauordnung vom 
3. Auguſt 1910 und eine nähere Behandlung der Recht⸗ 
ſprechung des VGH. über die Ba e 
und über die Bereitſtellung der Diſtrikts⸗ und Gemeinde⸗ 
wege für den ſtaatlichen Automobilverkehr. Immer⸗ 

in bietet die Schrift gerade in Bayern, wo die geſetz⸗ 
iche Regelung des Straßenweſens immer dringender 
wird, für den Verwaltungsbeamten und Politiker eine 

ülle von Anregungen und eine reiche Fundgrube von 
wiſſenſchaftlichem und geſetzgeberiſchem Material. W. 


Doerr, Dr. Friedrich, Deutſches Kolonialſtraf⸗ 
prozeßrecht. VII, 185 S. Leipzig 1913 (C. L. 
Hirſchfeld). 

Eine klar und überſichtlich geſchriebene ſyſtematiſche 
Darſtellung, die wegen des Vergleichs mit den Prozeß⸗ 
vorſchriften des Mutterlandes auch für den von Wert 
iſt, der ſich mit den kolonialrechtlichen Vorſchriften 
nicht amtlich zu befaſſen hat. — f — 


Eichelsbacher, Dr. iur. et rer. pol., Franz, Der 
wang zu religiöſer Betätigung in 
amilie und Schule. 2. Auflage. Verlag Ge⸗ 

ns Memminger, G. m. b. H. in Würzburg. Preis 


Der Verfaſſer behandelt die Frage der religiöſen 
Kindererziehung nach bayeriſchem Staatsrecht in an» 
genehmer und anregender Form. Er ſucht den Nach— 
weis zu führen, daß die einſchlägigen geſetzlichen Be— 
ſtimmungen nur die äußerliche Zugehörigkeit zu einer 
Konfeſſion regeln wollen, daß man daraus aber keinen 
Zwang zu irgendwelcher religiöſer Betätigung ab— 
leiten könne und dürfe. Er ſtellt als Hauptgrundſatz 
die verfaſſungsmäßig gewährleiſtete Gewiſſensfrei— 
heit in den Vordergrund und lehnt daraus jeden 


ürzburg. Preis Mk. 2.—. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 


ſtaatlichen Zwang auf religiöfe Betätigung ab, ſoweit 
nicht eine beſondere Verfaſſungsbeſtimmung ſelbſt den 
Grundſatz der Gewiſſensfreiheit durchbricht. In dem 
jetzigen Streite um den freireligiöſen Unterricht iſt die 
Schrift von großem Intereſſe. Wenn man auch den 
Gedankengängen nicht überall folgen will, ſo iſt doch 
die gewandt und ohne Beziehung zu dem Tagesſtreit 
gehaltene Schrift ungemein anregend und geeignet, 
über die geſetzlichen und oberſtrichterlichen Grundlagen 
der herrſchenden Praxis aufzuklären. W. 


Kleinfeller, Georg, o. 5. Profeſſor der Rechte an der 
Univerſität Kiel. Lehrbuch des Deutſchen Kon⸗ 
kurs rechts. Für das akademiſche Studium. 226 S. 
Berlin 1912, Franz Vahlen. Mk. 4.50, geb. Mk. 5.40. 


Als ein Leitfaden des deutſchen Konkursrechts 
kann die Schrift empfohlen werden; den Anforderungen 
an ein Lehrbuch würde ſie nicht genügen. Ein Behr: 
buch iſt Hellmanns Werk m: freilich wird es 
von den Studierenden ebenſo ſelten durchgearbeitet 
werden wie Hellwigs Lehrbuch für das Zivilprozeß⸗ 
recht. Mit Bedacht bietet Kleinfeller nur eine Ueber⸗ 
ſicht über den ſehr ausgedehnten Stoff und ſeine 
zerſtreuten Quellen, ſowie eine Einführung in die 
Grundfragen des Konkursrechts. Dazu war er durch 
eine bisherige Arbeit als Kommentator der KO. be⸗ 
onders berufen. Auf den Inhalt einzu 1 fehlt 

er Raum. Es genüge die Bemerkung. daß Kleinfeller 
im Konkursverwalter den geſetzlichen Vertreter des 
Gemeinſchuldners ſieht (S. 24 f.). Die Begründung iſt 
aber nicht überzeugend. Kleinfeller verkennt die Schwierig⸗ 
keit nicht, die ſich für ſeine Anfchauung ergibt, wenn 
der Gemeinſchuldner mit dem Konkursverwalter darüber 
ſtreitet, ob ein Gegenſtand zur Maſſe oder zum konkurs⸗ 
freien Vermögen gehört. Die Löſung findet auch er 
nur darin, daß „hier der Konkursverwalter dem Ge⸗ 
meinſchuldner als Partei kraft eigenen Rechts gegen⸗ 
über“ ſteht! 


Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Das Geſetz Über die Folgen der Verhind 
wechſel⸗ und Er Handlungen im Ans lan 
vom 13. April 1914 wird im RGBl. Nr. 21 auf S. 107 
veröffentlicht. Es wurde veranlaßt durch die geſetz⸗ 
lichen „Moratorien“, die 1912 in den Balkanſtaaten 
wegen der Kriegsereigniſſe erlaſſen wurden. Man 
wurde dadurch auf die Gefahr aufmerkſam, daß die 
Rückgriffsrechte des Gläubigers gegen die Vorindoſſanten 
und gegen den Ausſteller verloren gehen können, wenn 
infolge eines Moratoriums in einem ausländiſchen 
Staate ein Wechſel oder Scheck nicht rechtzeitig vor⸗ 
gelegt oder proteſtiert werden kann. 0 Pa 
kann nach dem Geſetze vom 13. April 1914 künftig 
durch Kaiſerliche mit Zuſtimmung des Bundesrats zu 
erlaſſende Verordnungen vorgebeugt werden. Die Ver⸗ 
ordnung kann geſtatten, daß die verſäumte wechſel⸗ 
oder ſcheckrechtliche Handlung unverzüglich nach Wegfall 
des Hinderniſſes nachgeholt wird, (alſo die Friſt für 
die Vornahme der Handlung verlängern); ſie kann 
aber auch beſtimmen, daß nach einer gewiſſen Friſt 
Rückgriff genommen werden darf, ohne daß die Hand⸗ 
lung vorgenommen zu werden braucht. 

3341 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten 
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ar. 11. 


Zeitſchrift für Arth 


in Bayern 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


Regierungsrat im K. Baner. 
Staats miniſterium der Juſtiz. 


Ur. 111. Wiaünchen, Di den 1. 1. Juni 1914. 1914. 


10. I“. Jahrg. 


tspflege 


Berlag von 
J. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zellier) 
Münden, Berlin u. Leipzig. 


[(Seufferts Slätter für Rechtsanwendung 8d. 79.) 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich 
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
jede Poſtanſtalt. 


Nachdruck verboten. 


Etraferlaß und Etrafmilderung 


im Dienſtſtrafverfahren des bayeriſchen 
Veamtengeſetzes. 
Von Miniſterialrat Dr. Max Reindl in München. 


Unter dieſer Ueberſchrift hat Oberpoſtinſpektor 
Korzendorfer in Nr. 10 dieſes Jahrgangs (S. 201) 
Darlegungen veröffentlicht, die mir in vielen Punkten 
nicht zutreffend, in manchen auch recht bedenklich er⸗ 
ſcheinen. Die praktiſche Bedeutung der Frage mag 
es rechtfertigen, auf die Ausführungen Korzen⸗ 
dorfers näher einzugehen. 

1. Korzendorfer meint, in dem Beamtengeſetze 
ſei, abgeſehen von der Vorſchrift in Art. 110 Abſ. 3, 
nirgends eine Beſtimmung dahin euthalten, daß 
eine rechtskräftige Dienſtſtrafe gemildert oder er⸗ 
laſſen werden könne. Aus dem Fehlen einer ſolchen 
Beſtimmung dürfe man aber nicht den Schluß 
ziehen, daß alle rechtskräftigen Dienſtſtrafen auch 
vollzogen werden müßten und für einen Gnaden⸗ 
akt des Königs kein Raum wäre. Bis hierher 
ſtimme ich ihm zu. Wenn er aber dann weiter 
die Anficht vertritt, dieſes Recht des Königs, die | 
„Disziplinargerichtsſtrafen“ — richtiger Dienſt⸗ 
ftrafen überhaupt — zu mildern oder aufzuheben, | 
ſei kein Teil des ihm ſonſt zuſtehenden Begnadi⸗ 
gungsrechts, ſondern ſei begründet in der „dem 
Staatsoberhaupt zuſtehenden Dienſtgewalt“, ſo kann 
ich ihm hierin nicht folgen. Die Begründung dieſes 
Satzes hat er ſich erlaſſen und ſie kann auch nicht 
durch feine, lediglich eine petitio principii ent⸗ 
haltende Behauptung erſetzt werden, daß an diefem | 
Recht durch das BGG. nichts geändert worden jei, | 
weil ſeine Aufgabe im Geſetze nicht ausdrücklich 
ausgeſprochen worden ſei. Ich geſtehe, daß mir 
für dieſe Lehre von dem Inhalt der „Dienſt⸗ 
gewalt“ das rechte Verſtändnis fehlt. 

Die Dienſtgewalt iſt die durch den Abſchluß 
des öffentlichrechtlichen Dienſtvertrages für den 


1 


den 


walt. 


— 


L“ ung und Geſchäftsſtelle: München. Ottoſtraße 12 

bübr 30 Pig. für die balbgeſpaltene Petitzeile 
8 . Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
% anzeigen 20 Pfa. Beilagen nach Uebereinkunft. 


217 


Dienſtherrn. d. h. den Staat, vertreten durch 
»ig. über den Staatsdiener begründete Ge⸗ 
Dieſe Dienſtgewalt reicht nicht weiter, als 
ſie ſich aus der Natur des Dienſtvertrages und 
aus den geſetzlichen Beſtimmungen ergibt. Ein 
Ausflu; dieſer Dienſtgewalt iſt die Dienſtſtraf⸗ 
gewalt. Aber auch eine ſolche hat der König 
gegenüber dem Beamten nur, ſoweit als fie durch 
das Geſetz nicht beſchränkt und beſonderen Ge⸗ 
richten übertragen iſt. Er kann daher die von den 
Gerichten kraft ihrer geſetzlichen Befugniſſe ver⸗ 
hängten Dienſtſtrafen auch nur ſoweit ändern oder 
aufheben, als ihm dies durch Geſetz ausdrücklich 
eingeräumt iſt. Denn an das Geſetz iſt auch der 
1 gebunden und der verfaſſungsmäßig be⸗ 
ſchränkte Herrſcher hat ein Gnadenrecht nur da, 
wo, und in den Grenzen, in welchen es ihm ge⸗ 
ſetzlich beigelegt iſt (ogl. Seydel 2. Aufl. Bd. II 
S. 589 Anm. 8). In keiner geſetzlichen Vorſchrift 
iſt aber ein derartiger Inhalt der Dienſtgewalt 
feſtgeſetzt. Der König kann alſo nicht „kraft ſeiner 
Dienſtgewalt“ die von den Disziplinargerichten ver⸗ 
hängten Dienſtſtrafen einfach erlaſſen oder in eine 
mildere Strafe umwandeln.“) Damit wäre die durch 
die Einrichtung der Disziplinargerichte erfolgte ge⸗ 
ſetzliche Beſchränkung der Dienſtgewalt des Königs 
wieder illuſoriſch gemacht. Im übrigen tritt mit 


den Disziplinarurteils der Verluſt des Amtes und 
aller aus dem Beamtendienſtverhältniſſe ſich er⸗ 
gebenden Rechte von ſelbſt kraft Geſetzes 
ein (vgl. meinen Kommentar S. 520, 521, 683, 


1) Der König kann nicht einmal nach Erlaſſung 
des Verweiſungsbeſchluſſes „kraft feiner 
Dienſtgewalt“ die Zurücknahme des Antrags auf Ein⸗ 
leitung des Disziplinarverfahrens verfügen, wenn der 
nun nicht ausdrücklich zuſtimmt (Art. 151 Abſ. 2 

BG.) . Dies ſcheint Korzendorfer zu überſehen, wenn 
er ausführt, daß die Behörde bis zur Erlaſſung des 
Urteils der Disziplinarkammer den Antrag zurück- 
nehmen kann. 


218 


684), jo daß mit dieſem Augenblicke auch die Dienſt⸗ 
gewalt über den Beamten von ſelbſt ihr Ende 
erreicht hat. Es kann daher in dieſem Falle auch 
kein Recht auf Erlaß oder Milderung der Strafe 
aus der gar nicht mehr beſtehenden Dienſtgewalt 
abgeleitet werden. N 

Würde ſich das Recht, Dienſtſtrafen im Wege 
der Gnade zu erlaſſen oder zu mildern, ſchon 
aus der Dienſtgewalt des Herrſchers über den 
Beamten ergeben, ſo waͤre auch nicht verſtändlich, 
warum dieſes Recht in 8 118 des Reichsbeamten⸗ 
geſetzes dem Kaiſer, der doch die gleiche Dienſt⸗ 
gewalt über die Reichsbeamten hat wie der König 
über die Staatsbeamten, noch ausdrücklich ein⸗ 
geräumt wurde. 

Kann ſomit das Recht des Königs, gegenüber 
Dienſtſtrafen Gnade zu üben, nicht ſchon aus ſeiner 
„Dienſtgewalt“ abgeleitet werden, jo muß man 
einen anderen Rechtsgrund hiefür ſuchen. Und 
dieſer Rechtsgrund kann nur in Tit. VIII 8 4 
VerfUrk. gefunden werden. Hiernach kann der 
König „in ſtrafrechtlichen Sachen Gnade er⸗ 
teilen, die Strafe mildern oder erlaſſen“. Dieſe 
Anſchauung wird von mir (Kommentar S. 581 


(Bayer. Staatsrecht Bd. 1 S. 808 und Anm. 108 
daſelbſt) vertreten. 
ein, ſie widerſpreche der auch von mir vertretenen 
Lehre, daß Dienſtſtrafrecht und allgemeines Straf⸗ 
recht nichts miteinander zu tun hätten, und ſie 
könne auch nicht, wie ich getan habe, mit dem 
Hinweis auf den Umſtand begründet werden, daß 
das Miniſter⸗Verantwortlichkeitsgeſetz die Begnadi⸗ 
gung ausſchließe; denn zur Zeit der Erlaſſung 
dieſes Geſetzes im Jahre 1848 ſei das Disziplinar⸗ 
recht vom Kriminalrecht „noch nicht ſo ſcharf“ 
getrennt geweſen wie heute und es ſei zudem „ſehr 
wahrſcheinlich“, daß der Geſetzgeber des Jahres 1848 
das Miniſter⸗Verantwortlichkeitsgeſetz für ein Ge⸗ 
ſetz „ſtrafrechtlicher Natur“ gehalten und deshalb 
mit dem Begriffe der Begnadigung „gearbeitet“ habe. 

Was Korzendorfer hier einwendet, iſt zunächſt 
nicht richtig; wäre es aber richtig, ſo würde es 
gerade das Gegenteil von dem beweiſen, was er 
damit dartun will. 

Schon das Staatsdieneredikt der IX. VerfBeil. 
weiß wohl zu unterſcheiden zwiſchen „Disziplinar⸗ 
ſtrafen“ und den „wegen eines gemeinen Verbre— 
chens erkannten Kriminalſtrafen“ (§ 9 der IX. Verf: 
Beil.) und Art. XIII Ziff. 1 des Miniſter⸗Ver⸗ 
antwortlichkeitsgeſetzes ſagt ausdrücklich, daß durch 
das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof, in dem 
die in Art. IN bezeichneten Strafen der Dienſt— 
entlaſſung und der Dienſtentſetzung ausgeſprochen 
werden können, die „zuſtaͤndige Wirkſamkeit der 
ordentlichen Gerichte bezüglich der etwa konkur— 
rierenden gemeinen oder Amtsverbrechen oder Ver— 
gehen“ nicht ausgeſchloſſen werde. In beiden Ge— 
ſetzen iſt alſo zwiſchen Disziplinarrecht und all— 
gemeinem Strafrecht ſchon „ſcharf“ unterſchieden, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


und woher Korzendorfer ſeine Wiſſenſchaft darüber 


ſchöpft, daß der Geſetzgeber des Jahres 1848 das 
Miniſter⸗Verantwortlichkeitsgeſetz „ſehr wahrſchein⸗ 
lich“ für ein Geſetz „ſtrafrechtlicher Natur“ ge⸗ 
halten habe, weiß ich nicht; jedenfalls hat er für 
eine ſolche „Wahrſcheinlichkeit“ nicht den mindeſten 
Beweis erbracht. 

Hat aber das Miniſter⸗Verantwortlichkeitsgeſetz 
die in Art. IX bezeichneten Dienſtſtrafen ausdrück⸗ 
lich von den wegen der gleichen Handlung etwa 
verwirkten kriminellen Strafen unterſchieden und 
hat es weiter wegen dieſer in Art. IX vor⸗ 
geſehenen Dienſtſtrafen das Recht des 
Königs zur Begnadigung ausdrücklich ausgeſchloſſen, 
ſo muß es der Anſicht geweſen ſein, daß dem König 
das Recht der Begnadigung an ſich auch hinſicht⸗ 
lich der Dienſtſtrafen zuſtehe, daß alſo in Tit. VIII 
8 4 VerfUrk. unter „ſtrafrechtlichen Sachen“ nicht 
bloß kriminelle, ſondern auch Dienſtſtrafſachen zu 
verſtehen ſeien. Dieſer Schluß iſt m. E. ſo zwingend, 
daß man darüber nicht hinwegkommen kann. Nicht 
darauf aber, ob Dienſtſtrafrecht und allgemeines 
Strafrecht voneinander verſchiedene Gebiete find, 


und auch nicht darauf, ob heute mehr oder minder 
Anm. 3 und 4, S. 684 Bem. 4) und von Piloty ſcharf als früher zwiſchen dieſen beiden Gebieten 


j 
| 
| 
| 
t 
| 


unterſchieden wird, ſondern darauf, was Tit. VIII 


Korzendorfer wendet dagegen $ 4 Berflirk. unter „ſtrafrechtlichen Sachen“ ver: 


ſtanden wiſſen will, kommt es allein an; und in 
dieſer Dinfiht kann m. E. kein Zweifel beſtehen. 
Im übrigen ſpricht für die Anſicht, daß nach dem 
Sprachgebrauch des Tit. VIII 8 4 Verflürk. der 
Ausdruck „ſtrafrechtliche Sachen“ auch die dienſt⸗ 
ſtrafrechtlichen Sachen umfaſſe, auch noch die 
Ausdrucksweiſe in Tit. VII § 26 VerfUlrk. in der 
Faſſung des Geſetzes vom 6. Juli 1908 (GVBl. 
S. 352), alſo eines Geſetzes aus einer Zeit, wo 
man gewiß ſchon „ſo ſcharf wie heute“ zwiſchen 
Disziplinarrecht und allgemeinem Strafrecht unter⸗ 
ſchieden hat. Nach dieſem Geſetze darf wahrend 
der Verſammlung des Landtags ohne Einwilligung 
der betreffenden Kammer gegen ein Mitglied des 
Landtags eine „Strafverfolgung“ weder eingeleitet 
noch fortgeſetzt werden. Daß hier unter „Straf⸗ 
verfolgung“ auch die Verfolgung im Dienſtſtraf⸗ 
verfahren zu verſtehen ſei, iſt in der Begrün⸗ 
dung des Geſetzentwurfes und in den Verhand⸗ 
lungen der geſetzgebenden Körperſchaften hierüber 
ausdrücklich ſeſtgeſtellt (f. Verh. AbgK. 1908 Beil.; 
Bd. III S. 279 und Sten B. Bd. V S. 81. Verh. 
der Reichs RK. 1908 Sten B. Bd. 1 S. 463, 464 
und meinen Kommentar S. 582 Bem. 7) und 
auch in der Praxis der Disziplinargerichte bereits 
anerkannt worden. 

Selbſt wenn es aber richtig iſt, was Korzen⸗ 
dorfer behauptet, daß nämlich zur Zeit der Er⸗ 
laſſung der Verfaſſungs-Urkunde und des Muiſter⸗ 
Verantwortlichkeitsgeſetzes zwiſchen Dienſtſtrafrecht 
und allgemeinem Strafrecht noch nicht ſo ſcharf 
unterſchieden wurde und demnach die Dienſtſtraf⸗ 
ſachen noch als eine Art krimineller Strafen an— 


geſehen wurden, jo würde daraus doch logiſcher⸗ 
weiſe zu folgern ſein, daß eben auch Tit. VIII 
84 Verfllrk. unter „ſtrafrechtlichen Sachen“ auch 
die „dienſtſtrafrechtlichen Sachen“ mitverſtanden 
wiſſen wollte. Die Beweisführung Korzendorfers 
ſpricht demnach gerade gegen und nicht für ſeine 
Auffaſſung. 

Hiernach kann alſo der König kraft des ihm 
in Tit. VIII 8 4 Verflurk. eingeräumten Begnadi⸗ 
gungsrechts jede Dienſtſtrafe erlaſſen oder mildern, 
demnach eine Geldſtrafe“) ganz oder teilweiſe er⸗ 
laſſen, eine Strafverſetzung erlaſſen oder auf eine 
mildere Strafe — auf Geldſtrafe oder bei Degra⸗ 
dierung auf einfache Strafverſetzung — zurück⸗ 
führen, endlich die Strafe der Dienſtentlaſſung 
erlaſſen oder in Strafverfegung (in ihren beiden 
Formen) oder in Geldſtrafe umwandeln. Dagegen 
iſt das Begnadigungsrecht bei Dienſtentlaſſung in⸗ 
ſoferne eingeſchränkt, als durch Art. 110 Abſ. 3 
BG. eine bloße Milderung der Wirkungen 
der Entlaſſung in bezug auf Ruhegehalt und Hinter⸗ 
bliebenenverſorgung nur in den im Geſetze ausdrück⸗ 
lich zugelaſſenen Fällen und in dem vom Geſetze 
ausdrücklich zugelaſſenem Maße ſtattfinden darf (s. 
meinen Kommentar S. 528, Piloty Bd. I S. 808, 
809 und Anm. 109 daſelbſt). Daß dieſe Beſchrän⸗ 
kung eine Einſchränkung des Begnadigungsrechts und 
nicht, wie Korzendorfer meint, eine Beſchränkung 
der dem König zuſtehenden Dienſtgewalt iſt, er⸗ 
2157 aus den vorſtehenden Ausführungen von 
elbſt.“) f 

2. Neben dem Rechte des Königs. Dienſtſtrafen 
zu erlaſſen oder zu mildern, nimmt Korzendorfer 
auch noch für die Verwaltungsbehörden die Be⸗ 
fugnis in Anſpruch, „die Wirkungen der Dienſt⸗ 
ſtrafen durch ihre Maßnahmen wieder aufzuheben“. 
Zwar müßten, ſo meint er, die Verwaltungsbe⸗ 
hörden die Urteile der Disziplinargerichte voll⸗ 
ziehen.) Da aber die Urteile keinerlei Zeitbe⸗ 
ſtimmung darüber enthielten, wie lange ihre Folgen 
beſtehen ſollen, ſo könnten die Behörden den Be⸗ 
ſtraften wieder befördern, ihn wieder auf ſeine 
frühere Amtsſtelle zurückverſetzen, einen Entlaſſenen 
wieder aufnehmen. Dieſe Verfügungen ſeien keine 


) Beim Verweis verbietet ſich die Möglichkeit der 
Begnadigung nach der Natur der Strafe wenigſtens 
für die Fälle, in denen der Verweis ſchon vollſtreckt 
iſt (Piloty Bd. I S. 808). 

) Denn einmal hat der König über den im Zeit⸗ 
punkte der Rechtskraft des Disziplinarurteils aus dem 
Beamtenverhältniſſe bereits ausgeſchiedenen Beamten 
überhaupt keine Dienſtgewalt mehr, ſodann aber kann 
der König nicht kraft feiner Dienſtgewalt Pen⸗ 
ſionen oder Unterhaltsbeiträge an Beamte oder ehe⸗ 
malige Beamte gewähren, wo das Geſetz den Anſpruch 
ſchl er oder Unterhaltsbeitrag ausdrücklich aus» 

ießt. 

) Das iſt inſoferne nicht ganz zutreffend, als im 
Falle der Strafentlaſſung die Wirkung der Entlaſſung 
mit der Rechtskraft des Urteils von ſelbſt eintritt, ohne 
daß es eines Vollzugs durch die Verwaltungsbehörde 
bedürfte (ſ. meinen Komm. S. 520, 521, 683, 684). 


| Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


219 


Gnadenverfügungen der Verwaltungsbehörden, ſie 
dürften deshalb vorgenommen werden, weil ſie durch 
das Geſetz nicht ausdrücklich verboten ſeien und 
weil durch den Vollzug der Strafe die Strafmacht 
für den einzelnen Fall aufgebraucht ſei und die 
Verwaltungsbehörde dem Beamten gegenüber wieder 
ihre uneingeſchränkte Verfügungsgewalt erhalte. 
Freilich würden — fo fügt er einſchraͤnkend hinzu — 
die Behörden aus Gründen der Dienſtzucht ſolche 
Verfügungen „nicht alsbald“ nach Erlaſſung der 
Urteile treffen; ſeien dieſe Urteile doch auf ihren 
Antrag hin erlaſſen worden. 

An dieſen Ausführungen iſt manches Wahre, 
aber auch viel Irrtümliches; ihre Schwäche liegt 
darin, daß ſie das Weſen und die Wirkung der 
einzelnen Disziplinarſtrafen nicht genügend aus⸗ 
einanderhalten und daß ſie endlich die Ausübung 
des den Verwaltungsbehörden zuſtehenden Rechts 
der Ernennung, Verſetzung und Beförderung der 
Beamten mit dem Rechte der Strafmilderung oder 
Strafaufhebung in einen unzuläſſigen Zuſammen⸗ 
hang bringen. 

Unrichtig iſt zunächſt ſchon der allgemeine Satz, 
daß „die Wirkungen der Dienſtſtrafen (richtiger 
Disziplinarſtrafen) durch Maßnahmen der Ver⸗ 
waltung wieder aufgehoben werden können“. 
Selbſt wenn nämlich beiſpielsweiſe ein durch Dis⸗ 
ziplinarurteil entlaſſener Beamter von der Ver⸗ 
waltungsbehörde nach Eintritt der Rechtskraft des 
Urteils ohne weiteres ſofort wieder angeſtellt würde, 
ſo wären damit doch noch nicht die Wirkungen 
der Strafe aufgehoben. Denn dieſe Anſtellung 
kann nur eine Neuanſtellung ſein und es kann dabei 
dem wieder Angeſtellten die frühere Dienſtzeit weder 
für die Bemeſſung des Gehalts noch für die Be⸗ 
rechnung der penſionsfähigen Dienſtzeit oder der 
Zeit der Widerruflichkeit angerechnet werden (. 
meinen Kommentar S. 522); es werden nur neue 
Rechte erworben, die in dem Verluſte aller bis⸗ 
herigen Rechte liegende Wirkung der Strafe kann 
aber durch dieſe Maßnahme der Verwaltungsbe⸗ 
hörde nicht mehr aufgehoben oder befeitigt werden. 
Oder wenn ferner ein zur Strafe auf ein anderes 
Amt von gleichem Rang und Gehalt oder von 
niedrigerem Rang und Gehalt verſetzter Beamter 
nach Vollzug der Strafe wieder auf ſeine frühere 
Amtsſtelle zurückverſetzt oder befördert würde, ſo 
wäre damit die Wirkung der Disziplinarſtrafe, 
nämlich die Tatſache der erfolgten Strafverſetzung 
oder Degradierung und ihr Einfluß bei etwaigem 
ſpäteren Dienſtvergehen ſowie der Verluſt des An⸗ 
ſpruchs auf Umzugsgebühren und bei Degradierung 
die Minderung des Gehalts bis zur Zeit der Wirk⸗ 
ſamkeit der Beförderung in die frühere Amtsftelle, 
noch nicht aufgehoben. 

Nicht ganz zutreffend iſt ferner auch der Satz 
Korzendorfers, daß mit dem Augenblicke des Voll⸗ 
zugs der Strafe die Verwaltungsbehörde „dem 
Beamten gegenüber wieder ihre uneingeſchränkte 
Verfügungsgewalt erhalte“. Beſteht ſchon eine 


220 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


uneingeſchraͤnkte Verfügungsgewalt der Verwal: ohne daß dadurch gegen eine geſe A Vor⸗ 
tungsbehörde gegenüber dem Beamten überhaupt ſchrift verſtoßen würde. Aber die Verwaltungs⸗ 
nicht, ſo kann hievon vollends dann keine Rede behörde würde gegen die von ihr für die Aus⸗ 
ſein, wenn der Beamte infolge des Urteils zur übung ihres Verſetzungs⸗ und Beförderungsrechts 
Strafe entlaſſen worden iſt, weil mit dem Ein⸗ zu beobachtenden Verwaltungsanordnungen und 
tritte der Entlaſſung jede Gewalt gegenüber dem Verwaltungsgrundſätze handeln, wenn fie eine 
Entlaſſenen von ſelbſt erloſchen iſt und daher auch ſolche Verſetzung oder Beförderung lediglich 
nicht wieder voll in Wirkſamkeit treten kann. deshalb vornehmen würde, um dadurch die 

Unrichtig erſcheint endlich die Meinung, daß Wirkungen der durch das Disziplinarurteil aus⸗ 
der Verwaltungsbehörde Verfügungen der vor⸗ geſprochenen Strafe möglichſt abzuſchwächen und 
liegenden Art?) ſchon deshalb erlaubt ſeien, weil zu paralyſieren. Das Ermeſſen der Verwaltungs⸗ 
ſie im Geſetze nicht ausdrücklich verboten ſeien. behörden bei Ausübung ihres Anſtellungs⸗, Ver⸗ 
Denn nicht alles, was im Geſetze nicht ausdrücklich ſetzungs⸗ und Beförderungsrechts iſt kein völlig 
verboten iſt, iſt damit der Verwaltungsbehörde freies; andere Rückſichten als dienſtliche dürfen 
auch ſchon erlaubt. Zwar kann eine Verfügung weder für die Ausübung noch für die Nichtaus⸗ 
der Verwaltungsbehörde, weil im Geſetze nicht ver⸗ übung dieſes Rechtes beſtimmend ſein, namentlich 
boten, nach außen rechtswirkſam fein, aber fie ift | alfo nicht die Abſicht, durch die Ausübung des 
damit der Behörde nicht auch ſchon geſtattet. Das Verſetzungs⸗ oder Beförderungsrechts dem Be⸗ 
Nähere hierüber wird im nachſtehenden noch zu ſtraften Wohltaten oder Gnaden zu erweiſen und 
erörtern ſein. | dadurch die durch die zuftändigen Disziplinar⸗ 

Um zu einer richtigen Beurteilung der Sache gerichte verhängten Disziplinarſtrafen in ihren 
zu kommen, wird man m. E. die Falle der Straf: Wirkungen möglichſt abzuſchwächen. Ein ſolcher 
verſetzung und der Strafentlaſſung auseinander: Gebrauch von dem ihr zuſtehenden Anſtellungs⸗ 
halten müſſen. und Beförderungsrecht würde die Verwaltungs⸗ 

Was zunächſt die Strafverſetzung anlangt, behörde dienſtlich verantwortlich machen wie jede 
ſo beſteht fie in der Entfernung aus dem bis- andere ſchuldhafte Verletzung der Dienſtpflicht. 
herigen Amt durch Verſetzung auf ein anderes Aufheben könnte übrigens die Verwaltungs⸗ 
Amt von gleichem Rang und Gehalt oder auf behörde auch durch eine noch ſo raſch nach dem 
ein anderes Amt mit geringerem Rang und Gehalt. Strafvollzug erfolgende Verſetzung oder Beför⸗ 
Mit dem Vollzuge dieſer Verſetzung iſt dem Urteile derung die Wirkungen der Strafe nicht, wie bereits 
Genüge getan. An der Beamteneigenſchaft dargelegt wurde. 


des Verſetzten und an ſeinen ſonſtigen Beamten: Anders wird ſich die Sache geſtalten bei ſtraf⸗ 
rechten ändert ſich nichts. Der zur Strafe verſetzte weiſer Entlaſſung des Beamten. Nach Art. 110 
Beamte iſt auf ſeiner neuen Amtsſtelle, mag dieſe Abſ. 1 BG. hat die Dienſtentlaſſung den Verluſt 
nun von gleichem Rang und Gehalt oder von des Titels und der Dienſtabzeichen ſowie des An- 
geringerem Rang und Gehalt ſein, für die Folge ſpruchs auf Dienſteinkommen, Ruhegehalt und 
wie jeder andere Inhaber dieſes Amtes zu be- Hinterbliebenenverſorgung von Rechts wegen zur 
handeln. Er rückt deshalb auch in ſeiner neuen Folge. Sie tritt mit der Rechtskraft des Urteils 
Amtsſtelle nach Maßgabe der Vorſchriften des von ſelbſt ein, ohne daß es eines Vollzugs der 
Art. 28 Abſ. 2, 3 BG. in höhere Dienſtalters⸗ Entlaſſung durch die Verwaltungsbehörde bedarf 
ſtufen vor, er kann auch, wie jeder andere Beamte, (ſ. meinen Kommentar S. 520, 521, 683, 684). 
wenn die Vorausſetzungen für eine Be- Ihre Wirkung beſteht darin, daß der Beamte 
förderung nach den hierüber beſtehenden nicht bloß, wie bei der Strafverſetzung, fein bis⸗ 
Verwaltungsgrundſätzen gegeben ſind, heriges Amt verliert, im übrigen aber Beamter 


befördert werden und zwar auch dann, wenn er mit allen Rechten bleibt, ſondern daß er aus dem 
auf eine Amtsſtelle von niedrigerem Rang und Beamtendienſtverhältnis überhaupt 
Gehalt verſetzt worden war. Die Zuläſſigkeit einer ausſcheidet; ſie iſt die Entfernung aus dem Be⸗ 
ſolchen Beförderung ergibt ſich aus der Fortdauer amtenſtand wegen Unwürdigkeit. Ihre Wirkung 
der Beamtenrechte des zur Strafe Verſetzten und iſt alſo nicht erſchöpft mit dem Augenblick ihres 
ſie it in Art. 30 Abs. 5 BG. auch ausdrücklich Eintritts, ſondern fie beſteht in der Herbeiführung 
anerkannt (( meinen Kommentar S. 197, 201 | eines dauernden Zuſtandes. Zwar verliert, wie 
und 517). Nun beſtehen allerdings keine geſetz⸗ Piloty (Bd. I S. 805) zuzugeben iſt, der Ent: 
lichen Vorſchriſten darüber, daß die Beförderung laſſene nicht die Fähigkeit, als Beamter wieder 
eines zur Strafe verſetzten Beamten erſt nach Ab- angeſtellt zu werden, aber er iſt durch das allein 
lauf einer beſtimmten Zeit ſeit dem Vollzug der hiezu zuſtändige Disziplinargericht für unwürdig 
Strafe vorgenommen werden dürfe; ſie könnte erklärt worden, weiterhin Beamter zu ſein. Seine 
daher auch ſchon unmittelbar darnach erfolgen. Wiederanſtellung iſt, wenn ſie erfolgt, zwar nicht 

ia ee ee ie rechtlich ungültig, aber ſie iſt deshalb nicht auch 
en 1 1 oder . | ſchon rechtlich zuläſſig. Denn wenn das Geſetz 
des Beſtraften. einzig und allein dem Disziplinargericht die Be⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


fugnis einräumt, auszuſprechen, daß der Beamte 
nicht mehr würdig iſt, länger ein ſtaatliches Amt 
zu verwalten, ſo kann es nicht zugleich einer Ver⸗ 
waltungsbehörde das Recht einräumen, ſich über 
dieſen Ausſpruch, kaum daß er ergangen iſt, 
einfach hinwegzuſetzen und den Beamten gleich⸗ 
wohl für geeignet zu erklären, eine ſtaatliche Be⸗ 
amtenſtelle wieder einzunehmen. Das wäre ein 
innerer Widerſpruch, der mit den Grundſätzen über 
die Rechtskraft der Disziplinarurteile und deren 
Bindung für die Verwaltungsbehörden nicht ver⸗ 
einbar wäre. Eine ſolche Verwaltungsmaßnahme 
würde daher der Abſicht und dem Zwecke des Ge⸗ 
ſetzes entgegenhandeln, ſie wäre, auch wenn ſie 
nicht rechtlich ungültig iſt, doch eine Abweichung 
vom Geſetz, ſie wäre die Gewährung von Gnade 
ſtatt Recht, demnach ein reiner Gnadenakt. 
Daß auf dieſem Standpunkt auch der Geſetzgeber 
des BG. ſteht, geht aus den Motiven zu Art. 57 
BG. (ſ. Sonderabdruck S. 145) hervor, wo von 
einer im Wege der Gnade erfolgenden Wieder⸗ 
anſtellung eines im Straf: oder Disziplinar: 
verfahren entlaſſenen Beamten die Rede iſt. 

Iſt aber die Wiederanſtellung eines im Dis⸗ 
ziplinarverfahren rechtskräftig entlaſſenen Beamten 
ein Gnadenakt, ſo kann ihn nur der König, und 
zwar kraft des ihm in Tit. VIII § 4 VerflUlrk. 
eingeräumten Rechts üben, nicht aber auch jede 
zur Anſtellung von Beamten zuſtändige Verwal⸗ 
tungsbehörde. 

Selbſt wenn man aber annimmt, daß die 
Wiederanſtellung des ſtrafweiſe im Disziplinar⸗ 
verfahren Entlaſſenen kein Gnadenakt iſt, ſo wird 
man gleichwohl dieſe Wiederanſtellung nicht in die 
Kompetenz der an ſich zur Anſtellung zuſtändigen 
Verwaltungsbehörde legen dürfen, ſondern von 
ausdrücklicher königlicher Ermächtigung abhängig 
machen müſſen. Denn die Anſtellung der Be⸗ 
amten iſt ausſchließliches Recht des Königs. Die 
Behörden ſind hiezu nur ſoweit befugt, als ihnen 
dieſe Befugnis ausdrücklich übertragen iſt. Es 
iſt aber ausgeſchloſſen, daß die Uebertragung 
dieſer Zuſtändigkeit unbeſchränkt iſt in dem 
Sinne, daß die Verwaltungsbehörden hiebei nach 
völlig freiem Ermeſſen handeln und, wie bereits 
oben bemerkt, andere als rein dienſtliche Rück⸗— 
ſichten walten laſſen und ſich über den gerichtlich 
feſtgeſtellten Tatbeſtand der Unwürdigkeit des Be⸗ 
werbers einfach hinwegſetzen dürfen. Das wäre 
ein Mißbrauch des ihnen übertragenen Anſtellungs⸗ 
rechts, wofür ſie dienſtlich verantwortlich wären. 
Wollen ſie alſo eine Anſtellung vornehmen, zu 
der ſie kraft der ihnen übertragenen Anſtellungs 
befugnis nicht ermächtigt ſind, ſo müſſen ſie die 
ausdrückliche Genehmigung deſſen erholen, von dem 
ihr Recht ausgeht, alſo die Ermächtigung des 
Königs. Zu welchen Folgen würde es auch 
führen, wenn beiſpielsweiſe eine Eiſenbahndirektion 
die Befugnis für ſich in Anſpruch nehmen wollte, 
einen Beamten der Klaſſe 17 der Gehaltsordnung, 


221 


der auf ihren eigenen Antrag oder auf den einer 
anderen Eiſenbahndirektion durch Disziplinarurteil 
aus dem Dienſte entlaſſen wurde, wieder — wenn 
auch, gewiſſermaßen anſtandshalber, erſt nach Ab⸗ 
lauf einer beſtimmten Friſt — in der Klaſſe 17 
als Beamten anzuſtellen? Oder wenn gar bei⸗ 
ſpielsweiſe eine Eiſenbahndirektion fich für berechtigt 
halten würde, einen Beamten der Klaſſe 13 der 
Gehalts O., der auf Antrag des Miniſteriums durch 
Disziplinarurteil aus dem Dienſte entlaſſen wurde, 
nach Rechtskraft des Urteils als Beamten der 
Klafſe 17 wieder anzuftellen?‘) Da märe der 
Willkür Tür und Tor geöffnet und ich glaube 
kaum, daß dieſe Eiſenbahndirektion gute Geſchäfte 
machen würde, wenn ſie ſich zur Begründung ihres 
Vorgehens mit Korzendorfer einfach darauf berufen 
würde, daß ſie dieſe Anſtellung habe vornehmen 
dürfen, „weil ſie durch das Geſetz nicht ausdrück⸗ 
lich verboten ſei, weil durch die eingetretene Ent⸗ 
laſſung die Strafmacht des Dienſtherrn für den 
einzelnen Fall aufgebraucht ſei und ſie jetzt wieder 
uneingeſchränkte Verfügungsgewalt gegenüber dem 
Entlaſſenen gehabt habe“. 


3. Korzendorfer berührt weiter noch die Frage, 
ob die Verwaltungsbehörden rechtskräftig verhängte 
Ordnungsſtrafen erlaſſen können. Er verneint 
dieſe Frage, weil den Verwaltungsbehörden die 
geſetzliche Ermächtigung fehle, ſolche Strafen 
im Wege der Gnade nachzulaſſen. Das iſt richtig, 
auch von niemandem je bezweifelt worden, weil 
das Recht, in ſtraf⸗ und dienſtſtrafrechtlichen 
Sachen Gnade zu erteilen, ausſchließlich dem Könige 
ſelbſt zuſteht. Vom Standpunkte Korzendorfers 
aus iſt ſeine Entſcheidung aber nicht folgerichtig. 
Denn wenn das Recht, Dienſtſtrafen zu mildern 
oder zu erlaſſen, wie er annimmt, ein Ausfluß 
der Dienſtgewalt des Königs als Dienſtherrn des 
Beamten iſt, ſo müßte in der den Behörden 
übertragenen Dienſtgewalt über den Beamten 
mangels einer beſonderen Einſchraͤnkung auch das 
Recht, Ordnungsſtrafen zu erlaſſen, enthalten jein. 
Jedenfalls könnte aber dann der König, wie er 
auch im übrigen die Ausübung ſeiner Dienſtgewalt 
den untergebenen Behörden übertragen kann, auch 
die Ausübung der in ſeiner Dienſtgewalt ent⸗ 
haltenen Befugnis zum Nachlaß von Ordnungs— 
ſtrafen an die Behörden übertragen, ohne daß es 
hiezu einer beſonderen geſetzlichen Ermächti⸗ 
gung bedürſte. 

4. Korzendorfer hat ſich ſchließlich auch noch 
mit der Frage beſchäftigt, ob eine Behörde) eine 
Ordnungsſtrafverfügung, die ſich „als gänzlich 
unbegründet herausſtellt“, auch nach der Rechts⸗ 


e) Auch dieſer Fall müßte nach Korzendorfers An— 
ſicht und deren Begründung für zuläſſig erachtet werden. 

1) Ob er hierunter nur jene Behörde, die die 
Ordnungsſtrafverfügung erlaſſen hat oder auch die ihr 
vorgeſetzte Behörde im Auge hat, und welche Behörde 
hiezu berechtigt ſein ſoll, wenn das Verfahren zwei 
Inſtanzen beſchäftigt hat, ſagt er nicht. 


222 


„22. . 


kraft und nach dem Vollzuge wieder aufheben 
könne. Er hält die Bejahung der Frage, wie bei 
jeder anderen Verfügung einer Verwaltungsbehörde, 
für zweifelsfrei, „es müßte denn ſein, daß bei einer 
Geldſtrafe die Behörde mit Rückſicht auf die Ein- 
zahlung an die hiezu beſtimmte Kaſſe zur Rück⸗ 
zahlung der Geldſtrafe nicht zuſtändig wäre“. 

Schon dieſe Einſchränkung iſt nicht recht ver⸗ 
ſtändlich. Denn wenn die Behörde, welche eine 
Geldſtrafe im Ordnungsſtrafverfahren verhängt 
hat, dieſen Strafbeſcheid als gänzlich unbegründet 
wieder aufheben kann, ſo muß ſie doch auch die 
Befugnis haben, die Rückzahlung der in dieſem 
Beſcheide unbegründeterweiſe verhängten Geldftrafe, 
gleichviel an welche Kaſſe dieſe Strafe eingezahlt 
wurde, zu verſügen. Denn die Kaſſe iſt zur Ver⸗ 
einnahmung dieſes Betrages nur auf Grund einer 
Anweiſung der Behörde, die die Strafe verfügt 
hat, berechtigt und daher verpflichtet, den Betrag 
wieder zurückzuerſtatten, wenn die Anweiſung zu 
Unrecht erfolgt iſt; ſonſt würde ja eine ungerecht⸗ 
fertigte Bereicherung deſſen vorliegen, dem die 
Geldſtrafe zugefloſſen iſt. 

Aber abgeſehen hievon ſcheint mir die ganze 
Frage überhaupt nicht jo zweifelsfrei zu fein, wie 
Korzendorfer meint. M. E. iſt ein im Ordnungs⸗ 
ſtrafverfahren erlaſſener Strafbeſcheid nicht jeder 
anderen Verfügung einer Verwaltungsbehörde gleich⸗ 
zuſtellen. Das Ordnungsſtrafverfahren unterſcheidet 
ſich von dem Disziplinarverfahren nicht hinſichtlich 
ſeiner rechtlichen Natur, ſondern nur hinſichtlich 
der Strafarten und hinſichtlich des Verfahrens; 
es iſt alſo ebenſowenig eine Sache des reinen Ver⸗ 
waltungsermeſſens wie das Disziplinarverfahren. 
Zwar wickelt es ſich nicht in den geſetzlich vor⸗ 
geſchriebenen ſtrengen prozeſſualen Formen des Dis⸗ 
ziplinarverfahrens ab, aber doch in einem auf Grund 
geſetzlicher Ermächtigung (Art. 117 Abſ. 4 BG.) 
von der Staatsregierung durch die Verordnung vom 
10. Dezember 1908 (GVBl. S. 1041) und die ge: 
meinſame Miniſterial⸗Bekanntmachung vom 22. Of: 
tober 1909 (GVBl. S. 737) näher geregelten Ver⸗ 
fahren. Darnach iſt auch der im Ordnungsſtraf— 
verfahren ergangene Strafbeſcheid der Rechtskraft 
fähig, die eintritt, wenn der Beſtraſte nicht binnen 
2 Wochen nach Eröffnung des Strafbeicheides Be: 
ſchwerde eingelegt oder wenn die Beſchwerdeinſtanz 
die rechtzeitig eingelegte Beſchwerde verworfen hat. 
Warum hier, abweichend vom Disziplinarurteil, 
die Rechtskraft des Beſcheides nur die Wirkung 
haben ſoll, daß er unabänderlich iſt zuungunſten, 
nicht aber auch unabänderlich zugunſten des Be— 
ſtraften, iſt nicht einzuſehen. Zum mindeſten 
müßten doch die Gründe, aus denen eine rechts— 
kräftig gewordene und bereits vollzogene Straf— 
verfügung „als gänzlich unbegründet“ wieder auf— 
gehoben werden kann, im Geſetze oder in einer 
Anordnung der Staatsregierung, ähnlich wie im 
Falle der Wiederaufnahme des Verfahrens bei 
rechtskräftigen Disziplinarurteilen, näher feſtgelegt 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


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fein, zudem der Unterſchied zwiſchen „unbegründet“ 
und „gänzlich unbegründet“ tatſächlich und recht⸗ 
lich nicht haltbar iſt. Legt man aber die Ent⸗ 
ſcheidung, ob ein bereits rechtskräftig gewordener 
Strafbeſcheid unbegründet war oder nicht, in das 
freie Ermeſſen der nachträglich ſich mit dem Stra]: 
beſcheide befaſſenden Verwaltungsbehörde, ſo könnte 
ſich hieraus ein Zuſtand der Rechtsunſicherheit und 
der Rechtsverwirrung ergeben, der gerade auf dieſem 
Gebiete ſehr bedenklich wäre. Man denke beiſpiels⸗ 
weiſe nur an den Fall, daß die mit der Sache be⸗ 
faßten Beamten der betreffenden Behörde inzwiſchen 
gewechſelt haben und daß diejenigen Beamten, welche 
ſpäter mit der Angelegenheit zu tun haben, zu einer 
entgegengeſetzten Auffaſſung über die Schuld des 
Beſtraften gelangen als diejenigen, welche bei der 
Erlaſſung des Strafbeſcheides mitgewirkt haben. 
Mir ſchwebt dabei ein der Wirklichkeit entnommener 
Fall vor: Eine Mittelſtelle hat einen Beamten 
wegen Verfehlung gegen beſtimmte Dienſtvorſchriften 
mit einer Geldſtrafe belegt. Der Beamte hat die 
Einlegung der Beſchwerde unterlaſſen und den 
Strafbetrag eingezahlt. Die Strafverfügung wurde 
während der Beurlaubung des Vorſtandes der 
Stelle von ſeinem Stellvertreter erlaſſen. Einige 
Monate darauf kommt die Angelegenheit anläß⸗ 
lich der Frage der Beförderung des Beamten zur 
Kenntnis des Vorſtandes der Stelle, der zu der 
Ueberzeugung gelangt, daß dem Beamten eine Ver: 
fehlung gegen die Dienſtvorſchriften nicht zur Laſt 
gelegt werden könne und der Strafbeſcheid daher 
unbegründet war. Soll er jetzt befugt ſein, die 
rechtskräftig gewordene und bereits vollzogene Straf⸗ 
verfügung wieder aufzuheben? Und ſoll er dazu 
— was nach der von Korzendorfer für ſeine Mei⸗ 
nung angeführten Begründung angenommen werden 
müßte?) — auch dann befugt ſein, wenn der Be⸗ 
amte die Einlegung der Beſchwerde nicht unter⸗ 
laſſen, ſeine eingelegte Beſchwerde vielmehr von 
der Beſchwerdeinſtanz verworfen worden wäre? 
Ich glaube beides verneinen zu ſollen. Gehen 
wir noch weiter. Wenn es wahr iſt, daß ein rechts⸗ 
kräftig gewordener Ordnungsſtrafbeſcheid von der 
Behörde, die ihn erlaſſen hat, wie jede andere 
Verfügung wieder aufgehoben werden kann, wenn 
er ſich nach ihrer Meinung als unbegründet heraus: 
ſtellt, ſo muß es auch wahr ſein, daß jede der 
Strafbehörde vorgeſetzte Verwaltungsbehörde den 
rechtskräftigen Strafbeſcheid der erſteren wieder als 
unbegründet ebenſo aufheben kann, wie jede andere 
Verwaltungsverfügung derſelben. Das würde aber 
nicht nur dem dem Ordnungsſtrafverfahren zugrunde 
liegenden Gedanken, ſondern auch der Anordnung 
in 54 Abſ. 2 Satz 2 und 3 der gem. Min Bek. 
vom 22. Oktober 1909 widerſprechen, wonach 


) Denn ob die Rechtskraft des Strafbeſcheides 
der Verwaltungsbehörde dadurch eingetreten iſt, daß 
der Beamte keine Beſchwerde einlegte, oder dadurch. 
daß die eingelegte Beſchwerde verworfen wurde, kann 
doch füglich keinen Unterſchied begründen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 223 


die höhere Behörde an dem Strafbeſcheide der Dieſe Beſtimmungen find dispofitiver Natur und 
unteren Behörde nur mehr dann etwas ändern, gelten auch gegen den Rechtsnachfolger, der ſie 
ihn alſo, wenn fie ihn für unbegründet hält, nur nicht kennt. (Siehe 8 746 Anm. I und 8 922 
mehr dann aufheben kann, wenn fie binnen 2 Wochen Anm. II BGB. bei Staudinger.) 
nach dem Tage, an dem ſie von dem Ausgange 81010 BGB. kann auf ein Kommunmauer⸗ 
des Verfahrens in erſter Inſtanz Kenntnis er- rechtsverhältnis nicht Anwendung finden, weil er 
halten hat, dem Beſchuldigten eröffnet hat, daß gemeinſchaftliches Eigentum vorausſetzt (fiehe Stau⸗ 
fie das Verfahren an ſich ziehe. dinger, BGB. 8 1010 Anm. 1 d), während an der 
Hiernach wird m. E. dahin zu entſcheiden ſein, Kommunmauer nur getrenntes Eigentum und 
daß die Verwaltungsbehörde, welche im Ordnungs⸗ nur gemeinſchaftliches Benützungsrecht nach den 
ſtrafverfahren einen Strafbeſcheid erlaſſen hat, ihn | Sondervorichriften der 88 921, 922 BGB. über 
nur dann als unbegründet wieder aufheben darf, ä beſteht. 
wenn er, gleichviel ob der Beſchuldigte Beſchwerde Die 88 921 und 922 BGB. regeln zwiſchen 
eingelegt hat oder nicht, noch nicht rechtskräftig den beiden Nachbarn: 
geworden und im Falle der Einlegung der Beſchwerde a) die Benützungsberechtigung an der Grenz⸗ 


die letztere noch nicht der Beſchwerdeinſtanz vor⸗ einrichtung, 
gelegt worden iſt (vgl. auch meinen Kommentar b) die Verpflichtung zur Tragung der Unter⸗ 
S. 553 a. E.), daß ferner die höhere Behörde den haltungskoſten, 


c) das Recht auf Beſtandserhaltung und die 
Verpflichtung hierzu. 

Bezüglich der Punkte a und b iſt nach der 
Verkehrsauffaſſung als gewollt anzunehmen, daß 
die Nachbarn vom Geſetz abweichende Beſtim⸗ 
mungen in dem Sinne haben treffen wollen, daß 
das Mitbenützungsrecht des B durch Anbau von 
der vorherigen Erſtattung der halben Mauerher⸗ 


rechtskräftigen Strafbeſcheid der 1 Behörde 
nur mehr in der in 8 4 Abſ. 2 Satz 2 und 3 
der gem. Min Bek. vom 22. Oktober 1909 vor⸗ 
geſehenen Friſt und Form als unbegründet außer 
Wirkſamkeit ſetzen darf. 


— — — ——— 


Die drei Hauptfragen des 1 ſein a daß B 5 

1 nterhaltungskoſten erſt von der Benützung der 

Lommunmauerrechts 9 Kommunmauer zum Anbau an mitzutragen hat. 

Bon Juſtizrat Dr. Karl Buhmann, Rechtsanwalt in Der Ablöſungsanſpruch, deſſen Befriedigung 
| München. Vorbedingung des Benützungsrechts des B durch An⸗ 
(Schluß.) bau iſt, ift kein aus dem Gemeinſchaftsverhäͤltnis ſelbſt, 


III. Hat der Erbauer der Kommunmauer ſondern nur ein aus deſſen Vorbedingung fließen⸗ 
einen Ablöſungsanſpruch? der Anſpruch. Er iſt ein ausſchließlich auf Geld ge⸗ 

Wer iſt Schuldner? a . 3 5 172 ie ie 0 

Mit der Annahme, daß die Kommunmauer aftsverhältnis ergebenden Berechtigungen und Ser: 
Geengeinihtung iR, ue de ae bie zaleiden mc ann eln zufammenbüngt. „A fc Di 
e nicht nur über die Beziehungen zwiſchen Kosten der mit Genehmigung des B hergeſtellten 


A und B. ſondern auch zwiſchen deren beider: | fommunmauer dor gegen die Verpflichtung des 


. Aan tt l ge daß die 88 921, 922, B. dieſe Koften im Falle der Benützung durch An⸗ 


i B zum Anbau nicht ver⸗ 
ſowie 88 746 ff. BGB. die dinglichen Rechts⸗ bau zu erlegen, wobei E z 
wirkungen des vereinbarten Gemeinſchaftsverhält⸗ pflichtet iſt. Der F ruht, 
niſſes regeln. Dies hat zur Folge, daß alle Rechte er iſt befriſtet und bedingt (pactum sui generis, 
und Pflichten aus dem Gemeinſchafts verhältnis, am nächſten verwandt dem Auftragsvertrag). 
| 


b lle abweichend vom G wi Er iſt als ein in ſeinen Grundlagen genügend 
1 5 0 eee feſtſtellbarer künftiger Anſpruch auch abtretbar und 


pfändbar (RGZ. 55, 334, 404; 67, 166; JW. 1913 
an lung hulger (X un 5 D S. 132). Er entſteht im Augenblick der Errich⸗ 
Die dingliche Wirkung aller Rechte und tung der Kommunmauer als bedingter und betagter 


ichten zwiſchen A und B in bezug auf das Ge⸗ Anſpruch. Er wird klagbar (actio nata est) im 
8 ſprechen klar 3 a 88 746, Augenblick der Benützung der Kommunmauer durch 
749 und 751 BGB. (ſiehe hierzu Staudinger, den ne Anbauer, gleichgültig wer er jet. 
BGB. Einleitung zur „Gemeinſchaft“ IIa Anm. 11 Es iſt ganz unverſtändlich, wenn man dieſen 


. rein obligatorischen auf eine Geldzahlung gerichteten 
u 3 751; RGORRomm. a e eee Anſpruch mit dem Schickſal des Eigentumsrechts 
1) Bungard, „Die Kommunmauer“, In.⸗Diſſert., 


an der Kommunmauerhälfte ſelbſt in untrennbare 
erſchien bei Noske in Borna⸗Leipzig 1913, kommt, gleich⸗ 
falls von der Grenzmauerlehre ausgehend, in bezug 1 jetzt, 1 155 vom OSG. Nürnberg 
auf die Perſon des Schuldners zu einer der hier ver⸗ (in BayZfR. 1914 S 19 ff.) geſchieht. 
tretenen Anſchauung entgegengeſetzten Lehre. Wenn A und B vereinbaren, eine Gartenmauer 


224 


als Grenzzeichen zu errichten, welche A zunächſt 
auf feine Koſten durch Baumeiſter M erbauen laſſen 
ſoll und deren Herſtellungskoſten B dem A zur 
Hälfte in Ratenzahlungen erſetzen will, ſo wird 
niemand auf den Gedanken kommen, daß A mit dem 
Verluſt ſeines Grundſtückes und damit der halben 
Grenzeinrichtung den Erſatzanſpruch verliert. Dafür, 
daß dies bei einem Kommunmauerbau anders ſein 
ſoll, iſt kein innerer Grund erfindlich. 

Die Unhaltbarkeit der entgegengeſetzten An⸗ 
ſchauung tritt ferner insbeſondere hervor im Falle 
der Zwangsoverſteigerung, bei welcher der Ab⸗ 
löſungsanſpruch auf den Erſteher übergehen ſoll, 
der nichts davon weiß, daß A kommun gebaut 
hat, z. B. weil er aus einem Gebiete kommt, in 
welchem die kommune Baudweiſe nicht bekannt iſt. 

Aus dem Vorgetragenen ergeben ſich für A 
und B und für deren Sondernachfolger X und * 
wichtige, allerdings von der erwähnten Anſchauung 
vielfach abweichende Folgerungen. 

1. B baut während der Eigentumszeit des A an. 

Nach dem der Verkehrsauffaſſung entſprechen⸗ 
den Vertragswillen hat B die Koſten der bereits 
auf feinem Grund ſtehenden Mauerhälſte zu er: 


ſetzen, um ſich damit die e für die 


Mitbenützung der Kommunmauer durch Anbau 
zu verſchaffen. In welchem Zeitpunkte die Mauer⸗ 
einrichtungskoſten zu erſetzen ſind, iſt beſtritten. 
In München beſteht eine durch die Vorſchriften 
des Art. 68 AG. BGB. beeinflußte Verkehrsauf⸗ 
faſſung dahin, daß bei Beginn des Anbaus Zahlung 
zu leiſten iſt (vgl. Beſchl. d. OLG. München vom 
5. Mai 1913 Beſchw.⸗Reg. Nr. 275/13). 

2. Der Anbau erfolgt nicht mehr durch Bſondern 
durch einen Sondernachfolger Y. 

Ein Vertragsverhältnis zwiſchen A und V liegt 
nicht vor. Aber auf Y als Sondernachfolger iſt 
kraft der gemeinſchaftsrechtlichen Normen (BGB. 
88 922 und 741 ff.) der bedingte Anſpruch auf 
Mitbenützung der Grenzeinrichtung übergegangen, 
bedingt durch Erſatzleiſtung. Leiſtet Y den Erſatz, 
ſo erwirbt er unbedingtes Mitbenützungsrecht. Bei 
A verbleibt auf Grund des Gemeinſchaftsrechtes 
die Verpflichtung zur Duldung des Anbaues gegen 
Bezahlung der halben Mauerkoſten. 

Die Zahlungspflicht hat V. nicht B. Bis zur 
Benützung durch den Anbau iſt für die Eigentümer 
des Nachbargrundſtücks der hinübergebaute Mauer— 
teil nicht wertſteigernd, ſondern wertmindernd 
(Schmitt a. a. O. S. 59 J). Dieſe Wertminderung 
wird ſtändig, wenn die Bebauung des Nachbar— 
grundſtückes durch ein Gebaͤude dauernd behindert 
wird (3. B. durch eine Dienſtbarkeit auf Bauverbot, 
durch Errichtung eines Parks uſw.); eine Grundſtücks— 
wertſteigerung durch Errichtung einer Rommunmauer 
auf die Nachbargrundſtücke anzunehmen, iſt willkür— 
lich. Die Tatſache der Kommunmauererrichtung 
hat eine Wertſteigerung erſt zur Folge im Augen— 
blick der Benützung der Kommunmauer durch Anbau. 

3. Wechſelt das Eigentum des Anweſens Nr. 1 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


— — ——T— —. 8 


auf X und baut alsdann B an, ſo geht vor allem 
der Erſatzanſpruch des A, wenn nicht Gegenteiliges 
zwiſchen A und X vereinbart war (alfo insbeſondere 
beim zwangsweiſen Eigentumswechſel) auf X nicht 
über, weil, wie oben ausgeführt iſt, der Erſatzanſpruch 
kein aus dem Gemeinſchaftsrecht fließender oder 
„verdinglichter“ Anſpruch iſt. 

Das Mitbenützungsrecht des B durch Anbau 
bleibt bedingt, bedingt durch die Bezahlung des 
Ablöſungsanſpruchs an A. X kann den Anbau 
nicht verwehren, wenn B die Bedingung für das 
Mitbenützungsrecht erfüllt. Allerdings kann X 
den Anbau durch B geftatten, ohne auf Zahlung 
des Ablöſungsanſpruchs durch B an A zu dringen. 
In dieſem Falle bleibt der Erſatzleiſtungsanſpruch 
des A gegen B beſtehen, weil zwiſchen dieſen beiden 
vereinbart iſt, daß B die Koſten der Errichtung 
der im Augenblick der Erbauung bereits Eigen⸗ 
tum des B gewordenen Mauerhälfte bei (Beginn 
der) Benützung durch Anbau zu zahlen hat. B 
zahlt das, was er früher bekommen hat, was aber 
erſt jetzt für ihn Wert beſitzt, wenn er die von 
A erbaute Kommunmauer zum Anbau benützt. 
(Gl. M. Abele LZ. S. 833). 

4. Schwieriger zu löſen iſt die letzte Möglich⸗ 
keit, wenn namlich nach Wechſel des Eigentums 
von A auf X und von B auf V der letztere anbaut. 

Vertragliche Beſtimmungen beſtehen nicht 
zwiſchen Y und X, ebenſowenig zwiſchen Y und A. 

Da aber der Mitbenützungsanſpruch des Y 
auf die Grenzeinrichtung infolge ſeiner dinglichen 
Natur auch auf Y nur als bedingter Anſpruch 
übergegangen iſt, ſo iſt X zur Duldung des An⸗ 
baues vor Erfüllung der Bedingung gegenüber 
dem A nicht gezwungen. 

1 kann aber auch, und dies wird wohl die 
Regel ſein, auf Erfüllung der Bedingung ver⸗ 
zichten. A kann in dieſem Falle gegen X nur 
einen Anſpruch erheben nach den Vorſchriften über die 
ungerechtfertigte Bereicherung (88 812,822 BGB.). 

Eine Bereicherung des V liegt tatſächlich vor. 
Vor der Benützung der Kommunmauer durch An: 
bau hat die auf dem Grundſtück 2 ſtehende Mauer⸗ 
hälfte einen Verkehrswert weder für B noch für Y, 
weil die Frage offen ſteht, ob und wann die Mauer 
zum Anbau benützt wird. Die Verkehrsauffaſſung 
geht vielfach dahin, daß gerade die durch den 
Mauerüberbau eintretende Minderung der benutz⸗ 
baren Bodenfläche zunächſt eine Wertsminderung 
bedeutet, wenn auch ausnahmsweiſe das Gegenteil 
der Fall ſein kann. Der Ueberbau erhält für B 
oder Y erſt Wert im Augenblick des Anbaues; 
denn ſie erſparen ſich jetzt die Herſtellungskoſten der 
an ſich notwendigen Umfaſſungsmauer. Y wird bei 
Erwerb des Grundſtückes 2, gleichgültig, ob zur 
Zeit des Erwerbes A oder X Eigentümer des Ge— 
bäudes 1 war, für die auf dem Grundſtücke 2 be: 
ſtehende Mauerhälfte nichts bezahlen, weil er weiß, 
daß er bei Benützung der Mauer durch Anbau 
an A entweder nach den Ausführungen unter Ziff. 2 


— —— • öViöʃe ü R—— —— — — — — 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


oder wegen ungerechtfertigter Bereicherung Zahlung 
leiſten muß. 

Abele führt a. a. O. S. 834 zuerſt richtig aus, 
daß A zur Geltendmachung eines Bereicherungs⸗ 
anſpruchs nachweiſen muß, daß B Vorteile von 
dem Bau hat, denn ſoweit ihn B nicht benützt, 
iſt die Mauerhälfte für B wertlos, ja ſogar nach⸗ 
teilig, weil fie einen Hof oder Garten ſchmälern 
kann. Abele ſetzt ſich aber dann ſofort mit ſich 
ſelbſt in Widerſpruch, wenn er weiter ausführt, 
daß B auch im Falle des Eigentumswechſels der 
Bereicherte bleibt, weil in der Möglichkeit des An⸗ 
baues ein wirtſchaftliches Gut für die Zukunft 
liegt, das nicht mit Null bewertet werden kann. 
Ein wirtſchaftliches Gut ſtellt die Kommunmauer⸗ 
hälfte erſt im Augenblicke des Anbaues und in⸗ 
folge des Anbaues dar, bis dahin ſchmälert der 
Kommunbau wirtſchaftlich den B. 

Der Erſatzleiſtungsanſpruch des A gegen Y 
läßt ſich auch auf 8822 BGB. ſtützen; denn Y hat 
bei Erwerb des Bauplatzes 2 für die Mauer zu⸗ 
nächſt kein Entgelt geleiſtet. Faßt man den Begriff 
der unentgeltlichen Zuwendung im 8822 BGB. 
nicht, wie es allerdings meiſtens geſchieht, im Sinne 
einer ſubjektiv gewollten Schenkung, ſondern 
im Sinne einer objektiv ohne Entgelt gemachten 
Zuwendung auf — (die Ueberlaſſung der Kommun⸗ 
mauer iſt keine Schenkung, ihre Benützung iſt vom 
Erſatz des Erſtellungswertes abhängig) — fo iſt Y 
gleichfalls auf Koſten des A bereichert. Jedenfalls 
ſteht der Wortlaut des 8 822 BGB. einer ſolchen 
Auslegung nicht entgegen, ſie entſpräche auch der 
Billigkeit. (A. M. Abele a. a. O. S. 834). 

Würde man der Meinung ſein können, daß 
der bedingte Erſatzleiſtungsanſpruch ein im Ge⸗ 
meinſchaftsverhältnis begründeter und von ihm 
untrennbarer Anſpruch ſei, jo würde die Ding⸗ 
lichkeit des Erſatzleiſtungsanſpruchs aktiv und paſſiv 
auf X und V übergeben. 

Dieſe Löſung iſt gleich unbefriedigend, wie die 
Löſung derer, die ſagen, daß mit dem Verluſte 
des Eigentums des A an ſeinem Gebäude auch 
der Kommunmauerablöſungsanſpruch überhaupt 
verloren gehe. Dieſe letzte vielfach vertretene An⸗ 
ſchauung ergibt ſich folgerichtig aus dem in RG. 
70, 202 niedergelegten allerdings völlig unhalt⸗ 
baren Standpunkte, daß die Kommunmauer nie⸗ 
mals (ſelbſt nach dem Anbau nicht) eine Grenz⸗ 
einrichtung ſein könne. Wirtſchaftlich befriedigend 
und dem praktiſchen Bedürfniſſe entſprechend kann 
nur die Rechtsanwendung ſein, bei der dem A 
als dem Erbauer der Kommunmauer auch im Falle 
der zwangsweiſen Entäußerung ſeines Anweſens 
der Kommunmauerablöſungsanſpruch verbleibt und 
bei der auch im Falle einer zwangsweiſen Ent: 
aͤußerung des Nachbargrundſtückes des B derjenige, 
welcher von dem Kommunbau durch Anbau ſpäter 
Nutzen zieht, d. i. der den Anbau ausführende 
Sondernachfolger Y des B, für dieſen auf Koſten 
des A geſchaffenen Vorteil Zahlung leiſten muß. 


225 


— nn 


Eine gegenteilige Meinung vertreten heißt den wirt⸗ 
ſchaftlich Schwachen auf Koſten des wirtſchaftlich 
Stärkeren benachteiligen und gegen den Zug der 
Zeit arbeiten. 

Einzelne Fälle (wie z. B. Teilbenützung, ſtufen⸗ 
weiſer Anbau, Zeitpunkt der Fälligkeit des Ab⸗ 
löſungsanſpruches, Zuläſſigkeit des Einfluſſes an⸗ 
derer Verkehrsauſfaſſung) im Rahmen einer Zeit: 
ſchriſt zu behandeln, würde zu weit führen. (Siehe 
Nützel, Bay ZfR. 1914 S. 188). 


Nichtigkeit oder Aufechtbarkeit der Verträge 


mit ſog. Automatenfirmen. 
Von Rechtsanwalt Dr. Otte Hipp in München. 


Am 30. Juni 1913 endete in Koblenz ein 
umfangreicher Strafprozeß gegen Inhaber und 
Reiſende verſchiedener Automatenfirmen, der zur 
Verurteilung mehrerer Reiſender führte, während 
die Firmeninhaber freigeſprochen wurden. Um 
das Ergebnis dieſes Strafprozeſſes abzuwarten, 
waren zahlreiche Zivilprozeſſe ausgeſetzt worden, 
die zum Teil durch dieſe Automatenfirmen als 
Kläger, zum Teil gegen fie als Beklagte anhängig 
gemacht waren. Nur für eine beſchränkte Anzahl 
von Fällen hat der Strafprozeß ein brauchbares 
Ergebnis geliefert. Schon vorher waren wohl die 
meiſten Prozeſſe zugunſten der Automatenfirmen 
entſchieden worden und danach fanden viele Ge⸗ 
richte keinen Weg, um dem offenkundig unlauteren 
Geſchaͤftsgebaren dieſer Firmen bürgerlich⸗rechtlich 
entgegenzutreten. Und doch muß das Geſetz eine 
Handhabe bieten, um dem geſunden Rechtsempfinden 
gegenüber den Anſprüchen dieſer Firmen Geltung 
zu verſchaffen. | 

Der gewöhnliche Tatbeſtand darf als bekannt 
vorausgeſetzt werden. Sehr redegewandte Reiſende 
wiſſen kleinere Geſchäftsleute unter Verwendung 
eines gedruckten Beſtellſcheins zur Annahme irgend⸗ 
eines Warenautomaten zu beſtimmen, dabei ſind 
unter langfriſtiger Dauer des Vertragsverhäͤltniſſes 
un verhältnismäßig große Mengen für die Füllung 
des Apparates abzunehmen. Nach der Abnahme 
einiger Teillieferungen hat der Beſteller gewöhn⸗ 
lich die erſte Lieferung noch nicht verbraucht; die 
nachgelieferten Füllungen werden durch die lange 
Lagerung ſchlecht und unverkäuflich; bei Zurüd: 
weiſung einer der regelmäßigen Nachlieferungen 
ſtellt die Firma Klage und erreicht oft die Verur⸗ 
teilung des Beſtellers. In dem zweifellos auch 
bei den Gerichten vorhandenen Beſtreben, den Be⸗ 
ſteller gegen unlauteres Geſchäftsgebahren zu ſchützen, 
wird häufig ein falſcher Weg eingeſchlagen, indem 
der Nachweis äußerer Umſtände verlangt wird, 
aus denen ſich dann die Berechtigung der An— 
fechtung des Vertrages nach $ 123 BGB. ergeben 


226 


ſoll. Dieſer Weg mag richtig und brauchbar fein, 
wenn genügende Beweiſe insbeſondere für den Vor⸗ 
gang bei der Beſtellung und für das Verhalten 
des Reiſenden vorhanden find (RGRKomm. Anm. 4 
8 123). Dieſe Fälle find aber ſelten; die Reiſenden 
lieben es nicht ihre Geſchaͤfte in Gegenwart von 
Zeugen abzumachen. Will man dem Rechtsſchutz⸗ 
bedürfnis des Beſtellers gerecht werden, ſo muß 
die Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit aus inneren 
Merkmalen des Vertrags ſelbſt hergeleitet werden, 
ein Weg, den leider die Gerichte noch ſehr ſelten 
einſchlagen. Faſt ausnahmslos werden ſich 
bei all dieſen Verträgen, die ſämtliche nach faſt 
gleichlautenden Formblättern geſchloſſen werden, 
zahlreiche einzelne Umſtände zuſammenſtellen laſſen, 
aus deren gemeinſamem Auftreten die Anfechtbarkeit 
oder Nichtigkeit gefolgert werden kann. Zunächſt 
wird zweiſellos durch dieſe Verträge in dem Be⸗ 
ſteller eine falſche Vorſtellung von dem Inhalt 
des Vertrages hervorgerufen, da ſich wohl kein 
Beſteller rechneriſch über den Vertragsinhalt klar 
wird. Die Verträge enthalten nämlich eine Rech⸗ 
nungsaufgabe, die an ſich zwar nicht ſchwierig iſt, 
aber im Augenblick der Beſtellung und beim Durch⸗ 
leſen nicht gelöſt werden kann, ja dem Beſteller 
gar nicht zum Bewußtſein kommt. Um zu wiſſen, 
was der Vertrag für ihn wirtſchaftlich bedeutet, 
müßte der Beſteller durch Zuſammenzählen und 
Vervielfältigen ausrechnen, wie viele Jahre er bei 
vierteljähriger Annahme von X⸗Stück Füllungen 
an den Vertrag gebunden iſt, der die Abnahme 
von ſo und ſoviel Tauſend Füllungen vorſieht. 
Es find alſo die Tragweite und die Folgen des 
Geſchäfts für den Beſteller verſchleiert, dazu kommt, 
daß gewöhnlich in dieſen Verträgen die Umſtände, 
die dem Beſteller günſtig zu ſein ſcheinen, durch 
den Druck hervorgehoben werden, dagegen klare, 
beſtimmte Angaben über die Verpflichtungen des 
Beſtellers ſorgſan umgangen werden. Berückſichtigt 
man endlich noch die Lebensverhältniſſe und den 
Bildungsgrad der großen Mehrzahl der Beſteller 
— durchwegs kleiner Gewerbetreibender, die ſelbſt 
bei aufmerkſamem Durchleſen den Vertrag nicht 
richtig auffaſſen und ſeine wirtſchaftliche Tragweite 
nicht erkennen können — berückſichtigt man ferner, 
daß in dem Vertrag gerade die wichtigſten Be⸗ 
ſtimmungen, die Verpflichtungen der Beſteller ent⸗ 
halten, verſchleiert oder doch nur angedeutet ſind, 
ſtatt klar und deutlich die Verpflichtungen des 
Kunden hervorzuheben, ſo ergibt ſich aus dem 
Gebrauch der üblichen Formblätter mit innerer 
Notwendigkeit ihr Zweck. Wenn die Verfertiger 
dieſer Vertrage den Vertragsinhalt offenſichtlich 
verſchleiern und trotz der Kenntnis der bürgerlichen 
Stellung und der Bildung ihres Kundenkreiſes 
keine zweifelsfreien und allgemein verſtändlichen 
Angaben über Zeit des Vertrages, Höhe des Preiſes, 
Mängelrügen, Zahlungsweiſe u. dgl. machen, ſo iſt 
kein anderer Grund hierfür denkbar, als daß die 
Kunden über all dieſe wichtigen Punkte bei der 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


Beſtellung abſichtlich im unklaren gelaſſen werden 
ſollen. Dieſe Annahme wird noch durch eine ganze 
Anzahl weiterer Vertragsbeſtimmungen unterftüßt. 
Der ſtets „gratis“ gelieferte Automat muß vom 
Beſteller gebrauchsfähig erhalten werden; er geht 
erſt nach ſo langer Zeit in den „Befitz“ (meiſt 
wird der Ausdruck „Befitz“, nicht „Eigentum“ ge: 
braucht!) des Beſtellers über, daß er dann kaum 
mehr gebrauchsfähig ſein wird; oft findet ſich dann 
noch die Beſtimmung, daß während der „Befitz⸗ 
zeit“ die Füllungen nur von dem Lieferanten des 
Automaten bezogen werden dürfen, alſo auch zu 
einer Zeit, in der vielleicht das Eigentum an dem 
Automaten ſchon auf den Beſteller übergegangen 
iſt. Die Beſtimmungen über Mängelrüge find 
in der Regel vollſtändig wirkungslos, ſchon mit 
Rückſicht auf die meiſt vereinbarte Nachnahme⸗ 
ſendung. Regelmäßig iſt auch die liefernde Firma 
berechtigt nach Belieben andere Füllungen und 
Packungen zu wählen. Schließlich iſt noch be⸗ 
eichnend, daß faſt ſtets ein mehrfacher Gerichts⸗ 
fand vereinbart wird; augenſcheinlich zu dem Zweck 
um nicht durch Häufung der Prozeſſe an einem 
beſtimmten Gericht dieſes Gericht allmählich auf 
das Geſchäftsgebaren der Firma aufmerkſam zu 
machen und dadurch eine vorſichtigere Abwägung 
der Anſprüche der Firma herbeizuführen. Er⸗ 
wähnenswert iſt auch die in den Verträgen ge⸗ 
bräuchliche, in auffälligem Druck beigefügte Be⸗ 
merkung: „Vor Unterſchrift leſen“ und die vor⸗ 
gedruckte Beſtätigung des Beſtellers, daß er den 
Vertrag vor der Unterſchrift geleſen habe. Beſſer 
als durch dieſe Bemerkung kann die Argliſt dieſer 


Verträge nicht enthüllt werden. 


Stellt nun das Gericht all dieſe immer wieder⸗ 
kehrenden einzelnen Umſtände und die etwa nach 
den Beſonderheiten des einzelnen Falles ſich er⸗ 
gebenden weiteren Tatſachen zuſammen, führt es 
insbeſondere das in dem Vertrag enthaltene Rechen⸗ 
beiſpiel ziffermäßig aus, ſo iſt damit eine der 
ſtrengſten Rechtsanwendung genügende Grundlage 
gegeben, um den Vertrag als anfechtbar oder nichtig 
zu erklären. In vielen Fällen wird eine Anfech⸗ 
tung nach $ 123 BGB. vorliegen. Aber auch 
wenn eine ſolche nicht rechtswirkſam erklärt worden 
iſt, kann den Beſtellern durch Anwendung des 
8138 Abſ. 1 BGB. richtiges Recht gewährt werden. 
Denn bei dieſen Verträgen laſſen ſich genügend 
ſachliche Merkmale dafür finden, daß das Be: 
ſchäft nach Inhalt und Zweck gegen die guten 
Sitten verſtößt (RG. 69, 146; 72, 218). Dazu 
wird faſt immer ſchon die Feſtſtellung genügen, 
wie der Kleingewerbetreibende, in ſeinen Mitteln 
beſchränkte Beſteller in der wirtſchaftlichen Be⸗ 
wegungsfreiheit durch dieſe langfriſtigen, läſtigen 
Verträge gehemmt wird (RG. 76, 78; insbeſ. 
Staub, Exk. zu 8346 Anm. 2 und die Ausführungen 
über analoge Verträge Anm. 16, OL GRſpr. 4, 
208). Es iſt überflüſſig, hier noch die wirt⸗ 


ſchaftliche Seite naͤher auszuführen; die erhebliche 


Belaſtung des Beſtellers, das vollſtändige Fehlen 
einer Gefahr bei der liefernden Firma, der äußerſt 
geringe Gewinn des Beſtellers gegenüber dem ſehr 
erheblichen Nutzen der Lieferanten, all das wird 
zweckmäßig im Urteil ziffermäßig nachgerechnet. 
Läßt ſich etwa noch durch Sachverſtändige nach⸗ 
weiſen, daß die Füllungen ſchlecht und unverhältnis⸗ 
mäßig teuer find, jo iſt das noch eine gute 
Unterſtützung des bereits vorhandenen Stoffs, um 
das Geſchäftsgebaren gewiſſer Firmen gerecht zu 
würdigen. Nach Treu und Glauben im Verkehr 
widerſprechen ſolche Verträge dem Sittlichkeitsemp⸗ 
finden eines jeden gerecht denkenden Menſchen und 
ſind daher nichtig: ſie gewähren dem Lieferanten 
einen bedeutenden und gefahrloſen Gewinn, ander⸗ 
ſeits bedrücken ſie die Beſteller, die bei ihren klein⸗ 
bürgerlichen Lebensverhältniſſen wirtſchaftlich ge⸗ 
radezu beengt werden. Zudem müſſen die Verträge 
nach der Art ihres Zuſtandekommens und wegen der 
abfichtlichen Verſchleierung des Inhalts beim Ver⸗ 
tragsſchluß als argliſtig bezeichnet werden. 

Dem kann auch nicht der Einwand entgegen⸗ 
geſetzt werden, das nichtige Geſchäft ſei etwa nach 
8 141 BGB. dadurch neu vorgenommen worden, 
daß der Beſteller einzelne Sendungen angenommen 
habe. Es kommt vor, daß ein Kunde in ſeiner Un⸗ 
kenntnis des Sachverhalts die erſten Sendungen an⸗ 
genommen und ſich dann erſt geweigert hat, eine ſpä⸗ 
tere Sendung anzunehmen. Es mag auch ſein, daß er 
von dieſer Weigerung wieder abſteht, weil ihm die 
liefernde Firma mit einer Klage droht und dabei 
auf die den Beſteller treffenden großen Koſten 
aufmerkſam macht. Dazu beſtimmt ihn häufig 
ſeine wirtſchaftlich ſchwächere Lage oder die Hoff: 
nung durch eine gütliche Vereinbarung mit der 
Firma vom Vertrage loszukommen. Aber in ſolchen 
Vorgängen liegt noch nicht ein ſtillſchweigendes 
Einverſtändnis mit den urſprünglichen Vertrags⸗ 
beſtimmungen und keine nachträgliche Annahme, 
geſchweige denn eine Neuvornahme des Geſchäfts, 
ganz abgeſehen davon, daß auch eine Neuvornahme 
nur wirkſam wäre, wenn das Geſchaft feinen un⸗ 
3 abgeſtreift hätte (Warneyer 1911 

. 388). 


Auch ohne den in den wenigſten Fällen mög⸗ 
lichen Nachweis, daß ſich der Reiſende bei der 
Entgegennahme der Beſtellung unter Haftung ſeines 
Auftraggebers einer unerlaubten Handlung ſchuldig 
gemacht hat, läßt ſich auf dieſer Grundlage das 
Geſchäftsgebaren unlauterer Firmen wirkſam be⸗ 
kämpfen und der Richter wird Urteile finden, die dem 
geſunden Rechtsempfinden des Volkes genügen. Er⸗ 
freulich iſt, daß ſchon einige Gerichte dieſen Weg 
als gangbar erkannt und eingeſchlagen haben. 
(Vgl. z. B. ein rechtskräftiges Urteil des LG. 
Nürnberg vom 23. Oktober 1913, 299/11). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


Kleine Mitteilungen. 


Zu Art. 9 Abſ. 1 Ziff. 2 Gebs. Die halbe 
Gebühr iſt auch dann zuerheben, wenn das 
Verfahren nach 8 144 3VG. durchgeführt 
wird, nachdem der Verteilungstermin (8 105 
ZVG.) bereits begonnen hatte. Aus einem 
Beſchluſſe des Vollſtreckungsgerichts, der vom Be⸗ 
ſchwerdegericht (Beſchluß des LG. München I vom 
27. Januar 1914, Beſchw.⸗Reg. Nr. 46/1914 VII) be⸗ 
ſtätigt wurde, ſei folgendes mitgeteilt: 

Ein Anweſen wurde auf Betreiben des X zum 
Zwecke der Gemeinſchaftsteilung verſteigert und der 
Y um das Bargebot von 7000 M zugeſchlagen; nach den 
Verſteigerungsbedingungen blieben Rechte in Höhe von 
24 613 M beſtehen. Das Vollſtreckungs gericht beſtimmte 
Termin zur Erlösverteilung nach 8 105 BIO. auf 
8. März 1913; dieſer wurde mehrmals verlegt. Im 
Termine vom 4. April 1913 fand ſich beim Aufruf der 
Sache nur der Vertreter der Erſteherin ein, und be⸗ 
antragte Vertagung. Durch ſofort verkündeten Be⸗ 
ſchluß wurde der Termin antragsgemäß auf 12. April 
1913 vertagt. Inzwiſchen legte die Erſteherin die Nach⸗ 
weiſe gemäß 8 144 3VG., — abgeſehen von den Ge⸗ 
richtskoſten zu 44 M für den Verteilungstermin — vor. 
es wurde der Termin vom 12. April aufgehoben, und 
in der Folge nach 8 144 ZVG. verfahren. Der rech⸗ 
nungsführende Sekretär hatte zunächſt für das Vertei⸗ 
lungsverfahren als Gerichtskoſten den Betrag von 
60 M Gebühr und 6 M Pauſchale angeſetzt. Später 
überſandte er dem Antragſteller noch eine Koſtenrech⸗ 
nung über 44 M, nämlich 40 M Gebühr und 4 M Baus 
ſchale als weitere Koſten des Verteilungsverfahrens. 
Dagegen erhob der Antragſteller Erinnerungen mit 
dem Antrage, den rechnungsführenden Sekretär zur 
Abſetzung der Beträge von 40 M und 4 M anzuweiſen, 
da kein Verteilungsverfahren ſtattgefunden habe. 

Nach Art. 9 Abſ. 1 Ziff. 2, Art. 22 Ziff. 3 GebG. 
werden im Verfahren der Zwangsverſteigerung 
zwecks Gemeinſchaftsteilung „für das Verteilungsver⸗ 
fahren“ */ıo der Sätze des 88 GKG. erhoben; findet 
aber nach 8 144 3G. kein Verteilungsverfahren ſtatt 
oder wird nach 8 143 ZPO. dieſes Verfahren nach 
der Beſtimmung des Verteilungstermins, aber vor 
deſſen Beginn eingeſtellt, ſo werden nur /10 der Sätze 
des 8 8 erhoben. Gemäß Abſ. 2 des Art. 9 wird die 
Gebühr im Falle der Erteilung des Zuſchlags nach 
dem Meiſtgebote berechnet. Bei der Wertklaſſe des 
vorliegenden Falls (30 —32 000 M) beträgt die /io⸗Ge⸗ 
bühr 100 M, die /io⸗Gebühr 60 M, die Pauſchſätze bes 
ziffern ſich auf 10 M und 6 M (Art. 22, 7 Geb., 
8 80 b HRG.) Die nachgeforderten Beträge von 40 M 
und 4M bilden den Unterſchied zwiſchen der °/ıos und 
der /1o⸗Gebühr nebſt Pauſchſatz aus der genannten 
Wertklaſſe. Schuldner der Gebühren gegenüber der 
Staatskaſſe iſt, ſoweit ſie nachzuerheben ſind, mangels 
Uebertragung der Forderung gegen den Erſteher 
(8 118 3G.) der Antragſteller (Art. 22, 19 Abſ. 1 
Geb., vgl. Schmidt, GebG. Art. 19 Anm. 3, Steiner, 
BVG. 2. Aufl. S. 263 Anm.). 

Was den Gebührenanſatz im gegebenen Falle be⸗ 
trifft, ſo iſt Folgendes zu bemerken. Es wurde ein ge⸗ 
richtlicher Teilungsplan entworfen und auf der Ge⸗ 
richtsſchreiberei zur Einſicht der Beteiligten nieder- 
gelegt; der Verteilungstermin war vorher durch Zu⸗ 
ſtellung den Beteiligten mitgeteilt worden (ZUG. 
88 105, 106). Der Termin vom 4. April 1913 nahm 


228 


durch den Aufruf der Sache feinen Anfang (BO. 
88 220 Abſ. 1, 864, 869). Das gerichtliche Verteilungs⸗ 
verfahren wurde dann allerdings nicht durchgeführt, 
da im Termine felbft der Plan nicht aufgeſtellt und 
erörtert, und ſeine Ausführung nicht angeordnet wurde 
(vgl. 88 113 ff., 117 f. Z3VG.). Jene Durchführung 
des Verteilungsverfahrens ift aber nicht notwendige 
Vorausſetzung der Gebührenpflicht nach Art. 9 Abſ. 1 
Ziff. 2 S. 1 GebG. Dieſe Vorſchrift beſtimmt, daß 
„für das Verteilungsverfahren“ die halbe Gebühr des 
88 GKG. zu erheben iſt; in Satz 2 a. a. O. find nur 
zwei Ausnahmen zugelaſſen, nämlich für den Fall, daß 
nach 8 144 ZVG. überhaupt kein Verteilungsver fahren 
ſtattfindet, oder daß nach 8 143 ZVG. letzteres nach 
der Beſtimmung des Verteilungstermins, aber vor dem 
Beginne eingeſtellt wird. Dagegen trifft das Geſetz 
eine derartige Unterſcheidung wie im Falle des 8 143 
ZVG. nicht für den Fall des 8 144 Z3VG.; demnach 
iſt hier für das gerichtliche Verteilungsver fahren als 
ſolches ſtets die halbe Gebühr zu entrichten, mag es 
ganz oder teilweiſe durchgeführt worden ſein, alſo 
insbeſondere dann, wenn es nach dem Aufruf des Ber: 
teilungstermins eingeſtellt wird und in der Folge das 
Verfahren nach 8 144 ZVG. ſtattfindet. Dieſe Rechts⸗ 
anſicht findet eine Stütze durch den Vergleich der neuen 
Faſſung des Art. 9 Abſ. 1 Ziff. 2 GebG. mit der des 
früheren Art. 10 Abſ. 1 Ziff. 2, welche lautete: „In den 
Zwangsverſteigerungen werden erhoben ... 2. für das 
Verteilungsverfahren der volle Betrag, und, wenn 
dasſelbe „vor dem Beginne des Verteilungstermins“ 
erledigt wird, °/ıo jener Sätze.“ 

De lege ferenda wäre wohl folgende Aenderung 
des Art. 9 Abſ. 1 Ziff. 2 GebG. vorzuſchlagen: „In 
dem Verfahren der Zwangsverſteigerung werden er⸗ 
hoben . .. 2. für das Verteilungsverfahren fünf Zehnteile 
iener Sätze. Wird aber das Verfahren nach 8 143 
oder 8 144 83VG. durchgeführt, ſo werden nur drei 
Zehnteile erhoben, es ſei denn, daß der Teilungsplan 
bereits nach 8 106 ZIG. auf der Gerichtsſchreiberei 
niedergelegt worden iſt.“ 

Amtsrichter Diemayr in München. 


Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens wegen 
Unzuſtändigkeit des Gerichts. Die Ablehnung der Er⸗ 
öffnung oder die Nichteröfſnung des Hauptverfahrens 
(88 202, 209 Ab. 2 StPO.) enthält eine materielle 
Erledigung der Strafſache: gegen dieſe Art der 
Erledigung gewährt 8 209 Abſ. 2 StPO. dem An⸗ 
kläger das Recht der ſofortigen Beſchwerde. Rechts- 
kräftige Ablehnung hindert nach 8 210 StPO. regel⸗ 
mäßig die Wiederaufnahme der Klage. 

Die Nichteröffnung des Hauptverfahrens bat aber 
nur das örtlich und ſachlich zuſtändige Gericht 
zu beſchließen — abgeſehen von den Fällen, in denen nach 
§ 207 StPO. auch ein ſachlich unzuſtändiges Land— 
gericht das Hauptverfahren vor einem anderen Gericht 
eröffnen kann. Im übrigen kann ein örtlich oder ſach⸗ 
lich unzuſtändiges Gericht die Eröffnung des Haupt⸗ 
verfahrens in dieſem materiellen Sinne nicht mit der 
Wirkung ablehnen, daß die Klage nur auf Grund 
neuer Tatſachen oder Beweismittel wieder aufgenommen 
werden könnte ($ 210 StPO.). Vielmehr muß ein 
ſachlich unzuſtändiges Gericht nach 8 207 StPO. ver: 
fahren und ein örtlich unzuſtändiges ſich auf ſeine Un: 
zuſtändigkeitserllärung beſchränken. Wird ſtatt deſſen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


formell die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen 
Unzuſtändigkeit des Gerichts abgelehnt, fo kommt die ſem 
Beſchluſſe die Bedeutung einer materiellen Erledigung 
der Sache nicht zu und iſt deshalb nicht die ſofortige 
Beſchwerde des 8 209 Abſ. 2 StPO., ſondern die ein⸗ 
fache, friſtloſe Beſchwerde gegeben. 

Dagegen wird eingewendet, daß 8 209 Abſ. 2 
StPO. zwiſchen den Gründen der Ablehnung, d. b. 
zwiſchen formeller und materieller Ablehnung, nicht 
unterſcheide. Allein die Stellung des 8209 weiſt darauf 
hin, daß bloß die materielle Ablehnung gemeint ſein 
kann. Inſofern iſt Löwe, StPO. 8 209 Note Ad, 
beizupflichten. Eigentümlich muß es aber berühren, 
daß derſelbe Löwe — und zwar auch in der von 
Roſenberg beſorgten Neuauflage 1913 — an einer 
anderen Stelle (N. 5b zu 88 16-18 StPO.) wieder 
das Gegenteil hiervon behauptet Zwei entgegengeſetzte 
Anſichten können ſich alſo je auf Löwe berufen. Solche 
Widerſprüche in einem von einem einzigen Verſaſſer 
hergeſtellten und von einem einzigen Bearbeiter neu 
herausgegebenen Werke ſollten aber doch vermieden 
werden; ſie wären ſchließlich weniger gefährlich, wenn 
nicht gerade dieſer Kommentar in der Praxis z. Zt. 
faſt die ausſchließliche Herrſchaft beſäße. Vgl. Seuff Bl. 
f. RA. 1913 S. 125 - 127, wo ich ebenfalls auf einen 
in der Neuauflage ſtehengebliebenen Irrtum Löwes 
hingewieſen habe, auf den nicht ſattelfeſte Juriſten 
leicht hereinfallen. 

II. Staatsanwalt und Privatdozent Dr. Doerr 
in München. 


Aus der Lechtſprechung. 
Reichsgericht. 
Zivilſachen. 

I. 


Waun hört der Gläubigerverzug auf? Aus den 
Gründen: Das BGB. enthält keine ausdrückliche 
Vorſchrift über die Beendigung des Gläubigerverzugs. 
Im 8 262 des I. Entw. war beſtimmt: „Der Verzug 
des Gläubigers hört für die Zukunft mit dem Zeit⸗ 
punkt auf, in welchem er das Verſäumte nachgeholt 
und ſich zugleich zum Erſatze der in 8 261 bezeichneten‘ 
(d. h. der dem Schuldner durch das erfolgloſe Anbieten 
ſowie durch Aufbewahrung und Erhaltung des Gegen⸗ 
ſtandes der Leiſtung entſtandenen) „Mehraufwendungen 
bereit erklärt hat“. Die 2. Komm. ſtrich dieſe Vor⸗ 
ſchrift, weil ſie ſelbſtverſtändlich ſei, ſoweit darin aus⸗ 
geſprochen werde, daß der Verzug des Gläubigers 
aufhöre, wenn er das Verſäumte nachhole, im übrigen 
teils bedenklich, teils unnötig ſei. Beim Fehlen einer 
ausdrücklichen Vorſchrift iſt das Aufhören des Verzugs 
nach den Folgerungen aus der Natur des Verzugs zu 
beſtimmen. Daraus ergibt ſich, daß der Gläubiger ſich 
bereit erklären muß, die dem Schuldner obliegende 
Leiſtung als ſolche, d. h. als auf Grund des Vertrags 
zu machende Leiſtung anzunehmen. Bei einem durch 
Entlaſſung des Arbeitnehmers begründeten Annahme: 
verzuge des Arbeitgebers iſt mithin die Beſeitigung 
der Folgen des Annahmeverzugs jedenfalls nur dann 
anzunehmen, wenn der Arbeitgeber die Folgen der Ent— 
laſſung dem Schuldner gegenüber wieder beſeitigt, 
ſoweit das überhaupt möglich iſt, alſo ſich ihm gegen— 
über unzweideutig auf den Standpunkt ſtellt, daß er 
die Dienſte des Schuldners als vertragsmäßige, d. h. auf 


————— — 


— — 


—— —— 


Grund des noch beftehenden Vertrags zu leiſtende, 
annehmen zu wollen erklärt. Er muß alſo klar zu er⸗ 
kennen geben, daß die Entlaſſung zu Unrecht erfolgt 
ſei. In dieſem Sinne iſt hier das Schreiben der Be⸗ 
klagten nicht zu verſtehen. Sie erklärt ſich darin be⸗ 
reit, den Kläger unter den Bedingungen des früheren 
Vertrags „wieder anzuſtellen“, nicht aber, das frühere 
Vertrags verhältnis fortzuſetzen. Das kann auch dahin 
verſtanden werden, daß ſie ein neues Vertragsver⸗ 
hältnis mit dem Kläger unter den Bedingungen des 
früheren Vertrags eingehen will. Wäre der Kläger 
darauf eingegangen, ſo hätte hieraus gegen ihn ge⸗ 
folgert werden können, daß er ſelbſt den früheren Ver⸗ 
trag als aufgehoben behandelt habe. (Urt. des III. ZS. 
vom 10. März 1914, III 497/13). 
3331 


— 4 — 


II. 


Berbindung von Gegenſtänden mit einem Grund⸗ 
ſtücke durch den Pächter. „Borübergehender Zweck“ i. S. 
des 3 95 863. Aus den Gründen: Der Berufungs⸗ 
richter nimmt an: Die von H. auf der gepachteten 
Grundfläche errichteten Baulichkeiten und Maſchinen 
ſeien nicht zu Beſtandteilen der Grundfläche geworden, 
ſondern im Rechtsſinne bewegliche Sachen geblieben. 
Die Reviſion meint, das BG. gründe dies darauf, daß 
es den $ 95 Abſ. 1 Satz 2 BGB. für wenigſtens ſinn⸗ 
gemäß anwendbar erachte. Das LG. legt jedoch dar, 
daß die Baulichkeiten und die Maſchinen nach 8 95 
Abſ. 1 Satz 1 BGB. nicht zu Beſtandteilen geworden 
ſeien, weil ſie nur zu einem vorübergehenden Zwecke 
mit dem Grund und Boden verbunden worden ſeien. 
Allerdings bemerkt es dabei, es ſei anzunehmen, daß 
der Geſetzgeber auch die von einem dinglich Berech⸗ 
tigten mit einem Grundſtücke verbundenen Gebäude 
und Werke als nur zu einem vorübergehenden Zwecke 
verbunden habe angeſehen wiſſen wollen, und daß nur 
zur Beſeitigung von Zweifeln in dieſer Hinſicht der 
Satz 2 in den Abſ. 1 des 8 95 eingefügt worden 
ſei. Ob dies zutreffend iſt, kann dahingeſtellt bleiben. 
Jedenfalls beruht auf dieſer Anſicht die Entſcheidung 
nicht. Denn das BG. erklärt zuvor ſelbſt, die Klägerin 
könne ſich auf Satz 2 des Abſ. 1 des 8 95 nicht be» 
rufen, weil das Pachtrecht des H. gegenüber der Grund⸗ 
ſtückseigentümerin nicht ein dingliches Recht an dem 
Grundſtück i. S. dieſer Vorſchrift ſei. Die Darlegung 
aber, daß nach $ 95 Abſ. 1 Satz 1 BGB. die Baulich⸗ 
keiten und Einrichtungen nicht Beſtandteile geworden 
ſeien, läßt keine Geſetzesverletzung erkennen. In der 
Regel iſt anzunehmen, daß. wenn ein Pächter Gegen⸗ 
ſtände mit dem gepachteten Grundſtück verbindet, dies 
zu einem vorübergehenden Zweck i. S. des 8 95 Abſ. 1 
Satz 1, Abſ. 2 BGB. geſchieht, indem der Wegfall der 
Verbindung ſpäteſtens mit der Beendigung der Pacht- 
zeit von vornherein vom Pächter beabſichtigt worden 
iſt. Ob die Pachtzeit kürzer oder länger dauert, macht 
keinen Unterſchied. Maßgebend iſt vielmehr für die 
Annahme der Verbindung zu einem vorübergehenden 
Zweck, daß der verbindende Pächter die verbundenen 
Sachen nicht dauernd auf dem Grundſtück hat laſſen 
wollen, ſondern die Verbindung nur in einer zeit⸗ 
lichen Begrenzung beabſichtigt hat, die ſpäteſtens mit 
dem Ablauf der Pachtzeit endete. Daher ſteht hier 
der Annahme der Verbindung zu einem vorübergehenden 
Zweck nicht entgegen, daß der Pachtvertrag auf 25 Jahre 
geſchloſſen war, die verpachtende Stadt ſich auch ver: 
pflichtet hatte, nach Ablauf dieſer Pachtzeit auf Ver— 
langen des Pächters einen neuen Pachtvertrag auf 
25 Jahre zu ſchließen, und daß H. gehofft hat, er 
werde auch nach 50 Jahren die Pachtung wieder be— 
kommen. Dies um fo weniger, als nach § 5 des Pacht⸗ 
vertrages ausdrüdlich ein Recht der Vorpächterin vor: 
geſehen war, in gewiſſen Fällen ſogar die ſofortige 
Aufhebung des Vertrages und die Räumung des Pacht⸗ 
grundſtücks zu verlangen, und dann dem Pächter bei 


Zeitſchrift für Rechtspftege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


Rückgewähr des Grundſtücks kein Anſpruch auf Ver⸗ 
gütung wegen etwaiger Einrichtungen zuſtehen ſollte. 
Auch ſtellt das BG. feſt, daß man davon ausgegangen 
iſt, H. habe die Anlagen nur für die Dauer des Pacht⸗ 
vertrages angebracht, und daß H. zwar das Fabrik⸗ 
gebäude feß in Eiſenbeton errichtet hat, weil er ge⸗ 
hofft hat, die Pachtung auch nach 50 Jahren wieder 
zu bekommen, daß er aber nicht daran gedacht hat, 
die Anlagen auch nach Beendigung des Pachtverhält⸗ 
niſſes auf dem Grundſtücke zu laſſen. Aus den Fest. 
ſtellungen ergibt ſich, daß H. bei Errichtung des Fabrik- 
gebäudes und Anbringung der Einrichtungen ſich vor⸗ 
geſtellt hat, dieſe Anlagen würden fortdauernd zu feiner 
freien Verfügung ſtehen und er werde ſie ſpäteſtens 
bei Beendigung des Pachtverhältniſſes früher oder ſpäter 
vom Grundſtück entfernen. Daraus folgt, daß nach 
der Abſicht des H. die Verbindung nur vorübergehend 
fein ſollte. Die Urteile RG. 62, 411; 63, 422, auf 
welche die Reviſion ſich bezieht, betreffen Gegenſtände, 
die dem Grundſtückseigentümer unter Eigentumsvor⸗ 
behalt geliefert waren, und haben hier keine Bedeutung. 
Allerdings wird bei einem Pachtverhältnis die Ver⸗ 
bindung von Sachen mit dem Grundſtück nicht immer 
als nur vorübergehend gewollt ſein, vielmehr kann 
die Abſicht darauf gerichtet fein, die Verbindung dauernd 
beſtehen zu laſſen. So z. B. wenn der Pächter eine 
Ausſaat vornimmt oder wenn die Verbindung zur 
Erfüllung einer dem Pächter dem Verpächter gegen⸗ 
über obliegenden Verpflichtung, wie der Inſtandſetzung 
oder Inſtandhaltung, erfolgt. Aber gerade bei be⸗ 
ſonders wertvollen Sachen von dauerndem Beſtande 
wird die Verbindung, wenn ſie nicht etwa in Erfüllung 
einer Verpflichtung aus dem Pachtvertrage vorge⸗ 
nommen wird, zu vorübergehendem Zweck bewirkt 
ſein, ſo auch die Verbindung von Gebäuden und Ein⸗ 
richtungen, da nicht die Abſicht des Pächters beſtehen 
wird, dieſe Sachen auf dem Grundſtück auch nach Be⸗ 
endigung der Pachtzeit zu belaſſen. (Urt. d. V. ZS. vom 
25. März 1914, V 527/13). 
3853 


— —— . 


III. 


Bertrag mit dem Nechtsanwalt als Werkvertrag; 
Einrede der Wandlung. Aus den Gründen: Das 
vertragliche Verhältnis zwiſchen dem Rechtsanwalt und 
ſeinem Klienten iſt regelmäßig ein Dienſtvertrag nach 
88 611 ff. BGB. (RG. 57, 107) oder, wie RG St. 39, 121 
ſich ausdrückt: ein Dienſtvertrag, der zugleich eine Ge⸗ 
ſchäftsbeſorgung zum Gegenſtande hat (8 675 BGB.). 
Hier hat der unter den Parteien geſchloſſene Vertrag 
jedoch einen beſonderen Inhalt. Unter den Parteien 
war ausgemacht, daß der Kläger in ſeiner Eigenſchaft 
als Rechtsanwalt gegen Erſatz der geſetzlichen Gebühren 
den bereits zwiſchen dem Beklagten und dem Chineſen J. 
ſchriftlich abgeſchloſſenen Vertrag über Ausbeutung 
einer Kohlengrube in die dem chineſiſchen Berggeſetze 
vom 20. Sept. 1907 entſprechende Geſtalt bringen ſolle. 
Zu dieſem Zweck ſollte der Kläger auch mit dem deut— 
ſchem Konſulat verhandeln. Dieſer Vertrag war ein 
Werkvertrag nach SS 631ff., der zugleich eine Geſchäfts⸗ 
beſorgung zum Gegenſtand hatte. Der Kläger verſprach 
einen beſtimmten durch ſeine Arbeit zu erreichenden Er⸗ 
folg, nämlich die Herſtellung eines nach chineſiſchem Rechte 
brauchbaren Vertrags gegen Entrichtung der geſetz⸗ 
lichen Vergütung und die Beſorgung der dazu nötigen 
Verhandlungen mit dem deutſchen Konſulat. Darüber, 
daß die Annahme eines Werkvertrags auch hinſichtlich 
der Tätigkeit eines Rechtsanwalts möglich iſt, ſiehe 
RG. 52, 367. Auch die Rechtslehre iſt für eine ſolche 
Auffaſſung unter beſonderen Umſtänden eingetreten. 
(Friedländer, RAO. Anm. 128 vor 8 30, RG RKomm. 
vor 8 611 Ziff. 26). JW. 1905, 502° läßt die Frage 
dahingeſtellt, verweiſt aber darauf, daß die dort an— 
geführten Schriftſteller, die als die große Mehrzahl 
bezeichnet werden, ſich mehr oder weniger beſtimmt 


für die Annahme eines Werkvertrags ausgeſprochen 
haben, wenn ein durch Arbeits- oder Dienſtleiſtung 
herbeizuführender Erfolg den Inhalt des Vertrags 
bildet. Der verſprochene Erfolg war hier nicht die 
Erlangung der behördlichen Genehmigung des vom 
Kläger herzuſtellenden Vertrags. Auf ein Verlangen, 
daß die Gebühren nur dann ſollten gefordert werden 
können, wenn die behördliche Genehmigung erteilt 
werde, würde ein Rechtsanwalt niemals eingehen können. 
Eine andere Auslegung würde den Grundfätzen von 
Treu und Glauben mit Rückſicht auf die Verkehrsſitte 
widerſprechen. Nach SS 633, 634 BGB. kann der Be⸗ 
ſteller wandeln, wenn das Werk mit Fehlern behaftet 
iſt, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhn⸗ 
lichen oder dem nach dem Vertrage vorausgeſetzten 
Gebrauch aufheben oder mindern. Dieſen Fall will 
der Beklagte hier als gegeben behaupten. Er hat zwar 
nur die Zahlung verweigert, alſo rein äußerlich die 
Einrede des nichterfüllten Vertrags vorgeſchützt. Allein 
es ſteht feſt, daß der Vertrag überhaupt nicht' mehr 
erfüllt werden ſoll, für die bloß verzögerliche Einrede 
des nicht oder nicht gehörig erfüllten Vertrags iſt des⸗ 
halb kein Raum. Der Beklagte muß ſich für einen 
Rechtsbehelf entſcheiden, der eine endgültige Regelung 
der Beziehungen herbeiführt, er behauptet, das vom 
Kläger abgelieferte Werk ſei wegen juriftifcher Ver⸗ 
ſtöße unbrauchbar und wertlos. Es könne daraufhin 
eine behördliche Genehmigung niemals erreicht werden. 
Dieſes Vorbringen, das den Bekl. zur endgültigen 
Zahlungsweigerung berechtigen ſoll, enthält die Ein⸗ 
rede der Wandlung nach $ 634 BGB. Dieſe Einrede 
iſt nicht begründet, dem vom Kläger gelieferten Werke 
haftet kein Fehler an. (Wird ausgeführt). (Urt. d. 
III. ZS. v. 17. März 1914, III 468/13). — a — 
3330 


IV. 


Auſechtung des Mietvertrags wegen argliftiger 
Täuſchung. Offenbarungspflicht des Vermieters. Aus 
den Gründen: Die Anfechtung wegen argliſtigen 
Verſchweigens von Mängeln der Mietſache wird durch 
die Sondervorſchriften des Mietrechts über die Rechte 
des Mieters wegen Mängel der Mietſache nicht aus⸗ 
geſchloſſen. Nach der Rechtſprechung des RG. unterliegt 
ein Kaufvertrag über eine beſtimmte Sache der Ans 
fechtung wegen argliſtiger Täuſchung über Mängel der 
Kaufſache gemäß § 123 BGB. und nicht, wie die Er⸗ 
füllung eines Gattungskaufs durch Lieferung einer 
mangelhaften Sache, deren Mängel der Verkäufer arg— 
liſtig verſchwiegen hat, nur den Gewährleiſtungsan— 
ſprüchen der SS 459 ff. (vgl. RG Z. 62, 126; 70, 429, JW. 
12, 340; 13, 88; Warneyer 13 Nr. 190). Ebenſo ſtehen 
auch der Anwendung des 8 123 auf den Fall der arg— 
liſtigen Täuſchung über Mängel der Mietſache die Vor— 
ſchriften der SS 537 ff. nicht entgegen. Das von der 
Reviſion betonte Intereſſe des Vermieters, nicht des 
Betruges geziehen zu werden, rechtfertigt die abweichende 
Anſicht nicht. Wer ſich der argliſtigen Täuſchung ſchuldig 
macht, verdient keine beſondere Begünſtigung (vgl. 
außerdem § 540). Mit der Rechtſprechung (vgl. RG. 62, 
149; 69, 15; 77, 314; JW. 14, 138) und der Rechtslehre 
ſteht es im Einklange, wenn das BG. den Bell. fur 
verpflichtet erklärt, auch ohne Frage der Klägerin dieſe 
auf den Mangel (Vorhandenſein eines Bäckereibetriebes) 
aufmerkſam zu machen. Es nimmt nicht etwa allgemein 
eine Offenbarungspflicht des Vermieters hinſichtlich der 
ihm bekannten Mängel der Mietwohnung an, ſondern 
erklärt für erforderlich, daß das Verſchweigen der Mängel 
den Grundſätzen von Treu und Glauben widerſpricht, 
und daß der Mieter nach der Verkehrsanſchauung unter 


Zeitſchrift für Rechtspfleg 


e in Bayern. 1914. Nr. 11. 


den gegebenen Umſtänden die Mitteilung erwarten darf. 


Die beſonderen Umſtände, die den Bekl. zum Hinweis 


auf den Bäckereibetrieb verpflichteten, findet das BG. 


in der Erheblichkeit der durch ihn verurſachten Uebel— 
ſtände, über die ſich frühere Inhaber der Wohnung, 


1 — ze} 


andere Hausgenoſſen und Nachbarn beſchwert haben, 
ferner in der dem Bekl. bekannten Tatſache, daß wegen 
der Bäckerei viele Mietluſtige vom Mieten Abſtand 
genommen hatten. Endlich in dem in den Mietverträgen 
feſtgelegten Gebrauchszwecke der Wohnung, der Er⸗ 
richtung eines vornehmen Penſionats, deſſen Betrieb 
die Vermietbarkeit jedes einzelnen Zimmers, unbedingte 
Ruhe der zu vermietenden Räume und Freiheit von 
üblen Gerüchen und von ungewöhnlicher Hitze erfordere. 
Die durch die Bäckerei verurſachten Uebelſtände würden 
die Wohnung zu dem vertragsmäßigen Gebrauch un⸗ 
tauglich machen oder doch in ihrem Gebrauchswert 
erheblich beeinträchtigen. In dieſen Ausführungen iſt 
keine Ueberſpannung der Pflichten des Vermieters zu 
finden. (Urt. d. III. ZS. vom 13. März 1914, III 495/13). 
3329 — a — 


V 


Bertragshaftung wegen Unfalls des Kurgaſtes durch 
alatten 5 im . Aus den Gründen: 
Das BG. hat als erwieſen angeſehen, daß der Fuß⸗ 
boden der Wandelhalle des Kurhauſes ſo glatt iſt, daß 
ein jeder, der beim Gehen über ihn nicht die größte 
Vorſicht anwendet, in Gefahr iſt, auszugleiten und hin⸗ 
zuſtürzen. Hieraus ergibt ſich aber nicht, wie die Reviſion 
meint, daß das BG. der A Stadt die Verwendung 
von Marmor als Fußbodenbelag vorwerfen will. Es 
nimmt nur, und zwar mit Recht, eine Verpflichtung 
der Beklagten an, die durch die Glätte eines ſolchen 
Fußbodenbelags für den Verkehr entſtehende Gefahr 
durch geeignete Mittel auszuſchließen. Dieſer Ver⸗ 
pflichtung iſt die Beklagte auch nicht etwa deshalb 
enthoben, weil es ſich hier um einen Prachtbau handelt. 
(Recht 1910 Nr. 3764). Die Beklagte konnte die mit 
der Glätte des Marmorfußbodens verbundene Gefahr 
des Ausgleitens und Fallens dadurch ausſchließen, daß 
ſie den Boden genügend mit Teppichen bedeckte. Sie 
hat nun zwar in den Hauptverkehrsrichtungen Läufer 
von 1,25 m Breite gelegt. Dieſe Breite hält das BG. 
jedoch ohne Rechtsirrtum für nicht ausreichend an 
Stellen mit beſonders ſtarkem Verkehr, wie in der Nähe 
der Wirtſchaft, wo der Kläger ſich befand, als er fiel. 
Aus der Wirtſchaft konnte oft gleichzeitig eine größere 
Anzahl von Perſonen kommen, die nicht Sinterelnande 
fondern nebeneinander den Läufer begehen und daher 
ihnen entgegenkommende Perſonen um des bequemen 
Ausweichens willen leicht dazu veranlaſſen können, 
von dem nur für zwei Perſonen nebeneinander Raum 
bietenden Läufer auf den Marmorboden zu treten. 
Allerdings iſt auch an ſolchen Stellen mit ſtärkerem 
Verkehr und in einem Falle wie dem eben angenomme⸗ 
nen die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß alle auf 
dem Wege von und zu der Wirtſchaft befindlichen 
Perſonen aneinander vorübergehen, ohne den Läufer 
zu verlaſſen. Auf dieſe Möglichkeit kann ſich die Be⸗ 
klagte aber nicht berufen, da ſich der Verkehr erfahrungs— 
mäßig nicht in einer ſolchen ſtreng geregelten Form 
abſpielt. Mag auch anzunehmen ſein, daß der Kläger, 
wenn er den ihm aus der Wirtſchaft entgegenkommen⸗— 
den Perſonen unzweideutig ſeinen Willen zu erkennen 
gegeben hätte, den Läufer nicht zu verlaſſen, dieſe 
Perſonen dadurch veranlaßt haben würde, einzeln 
hintereinander an ihm vorbeizugehen, mag alſo für 
den Kläger eine unvermeidliche Notwendigkeit zum 
Betreten des Marmorfußbodens nicht vorgelegen haben, 
ſo hat doch das BG. ohne Rechtsirrtum ein Mitver⸗ 
ſchulden des Klägers verneint. Mit einer außerordent— 
lichen Glätte des Fußbodens war nach der Feſtſtellung 
des BG. nicht zu rechnen. Selbſt wenn ſich nun der 
Kläger nach der allgemeinen Erfahrung ſagen mußte, 
daß Marmorfußboden eine gewiſſe Glätte hat und beim 
Begehen größere Vorſicht erfordert als ein aus Dielen 
beſtehender Fußboden, ſo liegt doch kein Verſchulden 
darin, daß der Kläger nicht ſofort dieſe Erwägung an— 
ſtellte, als er zum Zwecke des Ausweichens zur Seite 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


231 


— — — 


und auf den Marmorfußboden trat. Ganz abgeſehen 
davon iſt aber auch gar nicht feſtgeſtellt, daß der Kläger 
ſich beim Betreten des Marmorfußbodens irgendwie 
unvorſichtig benommen hätte. Gegangen iſt er auf dem 
Marmorfußboden überhaupt nicht, vielmehr ſofort beim 
Auftreten auf den Marmorboden gefallen. (Urt. des 
III. ZS. vom 10. Februar 1914, III 473/13). 
3232 


— 8 — 


VI. 


Unrichtig datiertes eigenhändiges Teſtament. Aus 
den Gründen: Das Os. ſtellte die tatſächliche Uns 
richtigkeit des im Teſtament angegebenen Datums feſt. 
Es hält das Teſtament aber für gültig. Es führt aus: 
Auch wenn man dem Reichsgerichte darin beipflichten 
wolle, daß dem eigenhändigen Teſtament im Falle der 
Unrichtigkeit des Datums regelmäßig die rechtliche 
Wirkſamkeit zu verſagen ſch wenn nicht das richtige 
und nur verſehentlich falſch beurkundete Datum aus 
dem ſonſtigen Inhalte des Teſtaments ohne weiteres 
erkannt werden könne, ſo müſſe doch dieſem Rechtsſatze 
dann die Anerkennung verſagt werden, wenn im ein⸗ 
zelnen Falle trotz der Unrichtigkeit des Datums die 
Intereſſen zweifellos gewahrt ſeien, deren Wahrung 
das angebliche Erfordernis der Richtigkeit des Datums 
dienen ſolle. Das Erfordernis ſolle einen Schutz gegen 
abſichtliche oder unbeabſichtigte Verſchleierungen für 
Fälle ſchaffen, in denen Ort und Zeit der Errichtung 
des Teſtaments auf ſeine Gültigkeit von Einfluß ſein 
könnten. Hier jedoch ſei ein ſolcher Schutz gegenſtandslos, 
da die Teſtamentsfähigkeit des Erblaſſers im Zeitpunkte 
der tatſächlichen Vollendung des Teſtaments, die geſetz⸗ 
liche Zuläſſigkeit der Errichtung eines eigenhändigen 
Teſtaments am Orte der tatſächlichen Vollendung des 
Teſtaments und der Mangel ſpäterer letzwilliger Ver⸗ 
fügungen, die die Fortdauer der Gültigkeit des Teſtaments 
in Frage ſtellten, vollſtändig außer Zweifel ſeien. Ab⸗ 
geſehen von dieſen der Lage des Falles zu entnehmenden 
Erwägungen könne aber überhaupt nicht anerkannt 
werden, daß die Richtigkeit der Orts⸗ und Zeitangabe 
im eigenhändigen Teſtamente regelmäßig die Voraus⸗ 
ſetzung ſeiner Gültigkeit ſei. Die in 8 2231 Nr. 2 BGB. 
vorgeſchriebene Angabe des Ortes und des Tages der 
Erklärung ſolle ohne Rückſicht auf ihre Richtigkeit nur 
der möglichſt ſicheren Abgrenzung vollendeter letztwilliger 
Verfügungen von unfertigen, nur als Entwürfe an⸗ 
zuſehenden, eine ſpätere Teſtamentserrichtung nur vor⸗ 
bereitenden Niederſchreibungen dienen. Die Datierung 
ſei Angabe zwar nicht eines beliebigen, aber auch nicht 
notwendig des Ortes und Tages, an denen, wohl aber 
desjenigen Ortes und Tages, für die das Teſtament 
errichtet ſei, ſo daß es trotz ſeiner etwaigen Errichtung 
an einem andern Tage oder einem andern Orte dieſelbe 
Geltung haben ſolle, wie wenn es an jenem Tage oder 
Orte errichtet worden ſei. 

Geht man jedoch einmal mit der bisherigen Recht⸗ 
ſprechung des Senats davon aus, daß der nach 8 2231 
Nr. 2 BG B. zur Gültigkeit des eigenhändigen Teſtaments 
erforderlichen Angabe des Ortes und des Tages der 
Errichtung die rechtliche Bedeutung, nicht einer Willens⸗ 
erklärung, ſondern eines Zeugniſſes zukommt und daß 
ſie deshalb bei Meidung der Nichtigkeit des Teſtaments 
der Wahrheit entſprechen muß, ſo iſt es ausgeſchloſſen, 
von dem Erforderniſſe der Richtigkeit des Datums ab— 
zuſehen, wenn im einzelnen Falle die Intereſſen nicht 
gefährdet ſind, zu deren Wahrung das Geſetz dieſes 
Erfordernis auſſtellt. Die gegenteilige Annahme würde 
zu einer unerträglichen Rechtsunſicherheit führen und 
ſchon deshalb ſelbſt dann abzulehnen ſein, wenn $ 2231 
Nr. 2 B88. inſoweit nicht als eigentliche Formvorſchrift 
anzuerkennen ſein ſollte, als er die ſachliche Richtigkeit 
der Orts⸗ und Zeitangabe fordert. Es kann ſich daher 
nur noch fragen, ob die Ausführungen des OLG. dem 
Senate Veranlaſſung bieten, von ſeiner bisherigen 
ſtändigen Rechtſprechung abzugehen und anzunehmen, 


daß die Gültigkeit des eigenhändigen Teſtaments von 
der Richtigkeit der Orts⸗ und Zeitangabe unabhängig 
I Diefe Frage muß verneint werden. Alle Bedenken, 
enen das OLG. in Anlehnung an die Darlegungen 
von Hölder (IheringsJ. Bd. 52 S. 311) und Strohal 
(Erbrecht Bd. I § 21a S. 107 ff.) Ausdruck gibt, find 
bereits früher in der Rechtslehre hervorgetreten. 
Sie find vom Senate ſchon berückſichtigt worden und 
können feine Anſicht nicht erſchüttern. (Urt. d. IV. 38. 
v. 7. März 1914, IV 33/13). 

3355 


Nachſchrift des Herausgebers. Das Urs 
teil des OLG. Jena, über deſſen Schickſal in der Re 
viſionsinſtanz hier berichtet wird, hatte ein gewiſſes 
Aufſehen erregt, weil das OLG. bewußt die Bahn 
einer neuzeitlichen Rechtsanwendung betreten hatte. 
Ob das in beſonders glücklicher Weiſe geſchehen war, 
mag unerörtert bleiben. Man kann im Einzelpunkte 
verſchiedener Meinung ſein, ohne deshalb das gute 
Recht der Grundanſicht zu verkennen. Deshalb darf 
auch die mißbilligende Entſcheidung des Reichsgerichts 
nicht dazu führen, daß ſich die Untergerichte nicht mehr 
neue Pfade zu gehen getrauen. Es wird nie von einem 
Tage zum andern Frühling. 


— —— . 


VII. 


Eigenhändiges Teſtament, das Lücken für ſpätere 
Anordnungen läßt und bei dem die Unterſchrift auf einer 
leeren Seite ſteht. Beweislaſt. Auf einem Briefbogen, 
und zwar auf der erſten, zweiten und dritten Seite, 
hatte die Erblaſſerin einzelne Verfügungen nieder⸗ 
geſchrieben; auf der erſten Seite ſtanden Ort und Tag. 
Auf der vierten Seite, in der Mitte der untern Hälfte, 
ſteht der Name der Erblaſſerin. Die vierte Seite iſt 
im übrigen unbeſchrieben. ö 

Aus den Gründen: Das OLG. hat ausgeführt, 
die Urkunde enthalte die Angabe des Ortes und des 
Tages der Errichtung ſowie die Unterſchrift der Erb⸗ 
1 Sodann heißt es: „Hiernach entſpricht die 
Urkunde der in 8 2231 Nr. 2 8B. geforderten Form 
und es iſt nach den für Teſtamente geltenden Aus⸗ 
legungsregeln (vgl. auch 88 2086 und 2084 BGB.) 
davon auszugehen, daß eine wirkſame letztwillige Ver⸗ 


fügung vorliegt. Sache der Beklagten iſt es, der den 


Formvorſchriften entſprechenden Urkunde gegenüber 
den Beweis zu erbringen, daß es ſich nicht um ein 
gültiges Teſtament, ſondern um einen unwirkſamen 
Aufſchrieb handle.“ Wenn die Entſcheidung auf dieſen 
Sätzen beruhte, fo wäre fie aufzuheben. Es ergibt ſich 
jedoch aus den übrigen Ausführungen, daß die Be⸗ 
gründung dahin zu verſtehen iſt: Es liegt ein Schrift⸗ 
ſtück vor, das ſich als Erklärung des letzten Willens 
darſtellt. Den in § 2231 Nr. 2 beſtimmten Erforder⸗ 
niſſen iſt genügt. Die Schrift zeigt Lücken, die die Ab⸗ 
ſicht ſpäterer Ergänzung der Anordnungen erkennen 
laſſen; auch erſtrecken ſich die Anordnungen nicht über 
den ganzen Nachlaß. Das iſt jedoch nicht von Be⸗ 
deutung. Trotz Vorbehalts einer Ergänzung ſind die 
einzelnen Anordnungen wirkſam. Auch iſt aus den 
Lücken in der Schrift und aus dem Mangel einer über 
den ganzen Nachlaß ſich erſtreckenden Verfügung nicht 
zu folgern, daß die ganze Niederſchrift nur ein Ent⸗ 
wurf ſein ſollte. Dagegen ſpricht die Art, wie die 
einzelnen Verfügungen gefaßt und geſchrieben ſind, die 
Angabe des Datums, die Ueberſchrift „Mein letzter 
Wille“ und vor allem die Unterſchrift mit den ſämt⸗ 
lichen Vornamen. Das genügt mangels entgegen⸗ 
ſtehender Tatſachen zu der Annahme, daß die Erb— 
lajjerin wollte, die niedergeſchriebenen Beſtimmungen 
ſollten jedenfalls gelten und wirkſam ſein, möchten 
weitere noch getroffen werden oder nicht. Wird die 
Begründung ſo verſtanden, ſo iſt die Entſcheidung be— 
denkenfrei. 


Di 


Die Reviſion rügt Verletzung des § 2231 Nr. 2, 
weil ſich die Unterſchrift der Erblaſſerin auf einer leeren 
Seite befinde, daher das auf den vorhergehenden Seiten 
Niedergeſchriebene nicht decke. Die Rüge iſt nicht be⸗ 
gründet. Das BG. hat feſtgeſtellt, daß die Erblaſſerin ihren 
Namen als Unterſchrift zu den auf den erſten 3 Seiten 
des Schriftſtücks befindlichen Verfügungen geſchrieben 
hat. Da die Unterſchrift ſich am Schluſſe befindet, 
deckt ſie die ganze auf dem Briefbogen befindliche Nieder⸗ 

chrift. Der an ſich auffällige Umſtand, daß die Unter⸗ 
(BE auf einer im übrigen leeren Seite ſteht, findet 
ſeine Erklärung in der Abſicht der Erblaſſerin, die ge⸗ 
troffenen Anordnungen ſpäter zu ergänzen. Die An⸗ 
wendung des 8 2231 Nr. 2 iſt nicht zu beanſtanden. 
Die zweite Rüge, es ſei die Beweislaſt verkannt, kann 
keinen Erfolg haben, weil die Begründung des Be⸗ 
rufungsurteils anders aufzufaſſen iſt, als die Reviſion 
angenommen hat. Es iſt nicht verkannt, daß der 
Kläger den Beweis zu führen hatte, die Erblaſſerin 
habe ihm durch ein gültiges Teſtament das Vermächtnis 
ausgeſetzt; das BG. hat aber angenommen, daß dieſer 
Beweis geführt ſei und daß es Sache der Beklagten 
ſei, Gegenbeweis zu erbringen und darzutun, daß und 
aus welchen Gründen die den Formvorſchriften ent⸗ 
ſprechende, letztwillige Anordnungen enthaltende Ur⸗ 
kunde kein gültiges Teſtament ſei. Der Reviſion iſt 
zuzugeben, daß für die Frage, ob das Schriftſtück als 
Teſtament oder als Entwurf anzuſehen iſt, die Aus⸗ 
legungsregel des $ 2084 überhaupt nicht, die Vorſchrift 
des 8 2086 nicht unmittelbar anwendbar ift. Die Er⸗ 
forderniſſe eines gültigen Teſtaments bemeſſen ſich nach 
den Vorſchriften der 88 2229 ff. Die in 88 2231, 2238 
bezeichnete Erklärung des Erblaſſers muß letztwillige 
Anordnungen zum Gegenſtand haben. Bringt ein 
Erblaſſer den Entwurf eines Teſtaments zu Papier, 
ſo fehlt ihm der Wille, durch das Niederſchreiben eine 
letztwillige Anordnung zu treffen. § 2086 ſetzt voraus, 
daß ein Teſtament vorliegt. Durch § 2086 ſoll ver: 
hütet werden, daß der formgerecht erklärte Wille eines 
Erblaſſers, der die Anordnungen ſpäterhin zu ergänzen 
beabſichtigt, wegen des Vorbehalts der Ergänzung ohne 
weiteres als unwirkſam angeſehen wird. Macht aber 
der Vorbehalt der Ergänzung die getroffene Anordnung 
nicht von der beabſichtigten Ergänzung abhängig, ſo 
läßt ſich auch daraus, daß ein Erblaſſer Anordnungen 
unter dem Vorbehalt der Ergänzung niedergeſchrieben 
hat, nicht ſchließen, daß er noch nicht den Willen ge⸗ 
habt habe, letztwillig zu verfügen, alſo ein Teſtament 
zu errichten. Inſofern läßt ſich alſo § 2086 auch bei 
der Frage in Betracht ziehen, ob eine Schrift eine Ers 
klärung des letzten Willens enthält oder ob ſie nur 
ein Entwurf iſt. Hier hat die Erblaſſerin zwar eine 
Ergänzung ihrer Verfügungen nicht ausdrücklich vor— 
behalten, aber ſie hat in dem Schriftſtücke Raum frei⸗ 
gelaſſen, um ſpäter ergänzende Anordnungen hinein- 
zuſchreiben. Damit hat ſie den Vorbehalt der Er⸗ 
gänzung ausgedrückt. Das macht gemäß $ 2086 die 
tatſächlich getroffenen Verfügungen nicht unwirkſam. 
(Urt. des IV. 3S. vom 26. Februar 1914, IV 603/13). 
8354 


— — n. 


VIII. 


Inwieweit kaun gegenüber einer Klage aus 8 717 
3 O. eingewendet werden, daß der Geſchadigte Kechts. 
dehelſe zur Einſtellung der Vollſtreckung nicht benützt 
hade? Kann 3 831 86 B. auf das Verhältnis des Auf⸗ 
traggebers zum prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt 
angewendet werden ? In einem fruheren zwiſchen den 
nämlichen Streitteilen mit umgekehrten Parteirollen 
geführten Rechtsſtreit war ſtreitig, ob der jetzige Kläger 
die in feiner Wiriſchaft erzeugte Milch zu einem be— 
ſtimmten Preiſe an die Beklagten liefern müſſe. Das 
LG. hatte damals den jetzigen Kläger durch ein vor— 
läufig vollſtreckbares Urteil verurteilt, die Milch zu 


Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 11. . 


| 
Ä 


liefern; dagegen hat das OLG. die Klage abgewieſen. 
In der Zeit bis zum Urteil des OLG. hatte der jetzige 
Kläger die Milch an den Beklagten geliefert. Er be⸗ 
hauptet nunmehr, er habe einen Schaden von 4348 M 
erlitten, weil er an einer vorteilhafteren Verwendung 
der Milch gehindert worden ſei und verlangt Erſatz 
auf Grund des 8 717 Abſ. 2 ZPO. Die Vorgerichte 
wieſen ab. Das RG. hob auf. 

Aus den Gründen: Das OLG. ſpricht dem 
Kläger einen Erſatzanſpruch ab, weil der Schaden vor⸗ 
wiegend durch ſein Verſchulden verurſacht worden ſei; 
er habe verſäumt, die von der Prozeßordnung gewährten 
Rechtsbehelfe zu benützen, durch welche die Einſtellung 
der Zwangsvollſtreckung aus dem vorläufig vollſtreck⸗ 
baren Urteil des LG. im Vorprozeſſe hätte herbeigeführt 
werden können. Dabei läßt es das OLG. dahingeſtellt, 
ob das Verſchulden dem Kläger perſönlich oder einem 
ſeiner Rechtsanwälte zur Laſt zu legen ſei, weil der 
Kläger für ein Verſchulden ſeiner Rechtsanwälte auf 
Grund des 8 831 BGB. einzuſtehen habe. 

Mit Recht beſtreitet die Reviſion, daß in dem Ver⸗ 
halten des Klägers oder ſeiner Anwälte ein Verſchulden 
zu finden ſei. Zwar iſt zuzugeben, daß der Schuldner, 
gegen den eine Zwangsvollſtreckung aus einem nur 
vorläufig vollſtreckbaren Titel ſtattfindet oder bevor⸗ 
ſteht, unter Umſtänden ſchuldhaft handelt, wenn er 
verſäumt, die Rechtsbehelfe zur Abwendung der 
Vollſtreckung zu gebrauchen; dies wird insbeſondere 
der Fall ſein, wenn der Verurteilte das Urteil durch 
Geltendmachung ſolcher Umſtände bekämpfen kann, die 
dem Gegner nicht bekannt ſind, oder wenn bei der 
Entſtehung des Schadens Urſachen mitwirken, deren 
Bedeutung der Gegner nicht überſehen kann. Solches 
liegt aber hier nicht vor, und auch die ſonſtigen Um⸗ 
ſtände laſſen kein Verſchulden des Klägers erkennen. 
Der Kläger hatte im Vorprozeſſe ſchon in der 1. Inſtanz 
beantragt, es möge ihm geſtattet werden, durch Sicher⸗ 
heitsleiſtung die Vollſtreckung abzuwenden; dieſer An⸗ 
trag konnte jedoch keinen Erfolg haben, da die damaligen 
Kläger ſich zur Sicherheitsleiſtung erboten, um die 
Vollſtreckbarkeit herbeizuführen; zu einem Antrag auf 
Abwendung der Vollſtreckung gemäß 8 712 30. fehlte 
es an der Vorausſetzung, der Gefahr eines nicht zu 
erſetzenden Nachteils. Nachdem die damaligen Kläger 
erreicht hatten, daß das Urteil gegen Sicherheitsleiſtung 
für vorläufig vollſtreckbar erklärt wurde, kam nur noch 
in Frage, ob durch einen Antrag beim Gerichte 2. In⸗ 
ſtanz die Einſtellung der Vollſtreckung hätte erreicht 
werden können. Das OLG. nimmt ſelbſt an, daß. 
wenigſtens nach der Anſchauung des Klägers, nur 
wenig Ausſicht auf Erfolg eines ſolchen Antrags vor: 
handen geweſen ſei. Jedenfalls hätte ſich der Kläger 
durch den Antrag der Gefahr ausgeſetzt, die dadurch 
erwachſenden Koſten tragen zu muͤſſen. Zudem war 
ſehr fraglich, ob es dem Kläger möglich war, der 
Vollſtreckung durch Erwirkung eines Beſchluſſes auf 
Einſtellung zuvorzukommen; denn die Hinterlegung 
der Sicherheit, die Zuſtellung des Urteils und die Ein⸗ 
leitung zur Zwangsvollſtreckung konnte unter Um— 
ſtänden innerhalb ganz kurzer Zeit erfolgen, ohne daß 
der Kläger inzwiſchen noch Kenntnis vom jeweiligen 
Stande der Sache zu bekommen brauchte. Auf der 
anderen Seite behauptet der Beklagte gar nicht, daß 
er durch Unterlaſſung der Vollſtreckung aus dem land— 
gerichtlichen Urteil in die Gefahr geraten wäre, nach 
Erledigung des Prozeſſes für die etwaigen Erſatzan— 
ſprüche beim Kläger keine Deckung erlangen zu koͤnnen. 
Es iſt rechtlich nicht zu billigen, wenn der Beklagte es 
ſeinem Gegner als Verſchulden anrechnen will, daß er 
es unterlaſſen habe, Mittel von zweifelhafter und möys 
licherweiſe ihm ſelbſt nachteiliger Wirkung anzuwenden. 
um ihn an der Ausführung von Schritten zu ver— 
hindern, die er mit vollem Bedacht und mit voller 
Kenntnis der Sachlage unternahm. Eine ſo weit gehende 
Rückſicht auf die Intereſſen des Gegners verlangt 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 233 


8254 Abſ. 2 BGB. von dem durch einen Schaden Be⸗ 
drohten nicht. 

Es ſoll noch bemerkt fein, daß die vom OLG. 
vorgenommene Anwendung des 8 831 BGB. auf die 
Tätigkeit eines als Prozeß bevollmächtigten beſtellten 
Rechtsanwalts rechtlich verfehlt iſt. (Urt. des IV. 38. 
vom 15. Dezember 1913, IV 369/13). 

3242 


— — — . 


B. Strafſachen. 


J. 

„Ankündigen“ und „Aupreiſen“ i. S. des 5 184 Abſ. 1 
Nr. 3 StSB. Aus den Gründen: Es iſt feſtge⸗ 
ſtellt, daß der Angeklagte die Frauendouchen mit anderen 
Gegenſtänden durch ſeine Reiſenden, Drogiſten und Klein⸗ 
handlungen angeboten hat und daß er ſie insbeſondere 
dem Drogiſten H. in E. hat anpreiſen laſſen. Die Urteils⸗ 
gründe bieten keinen Anhalt dafür, daß das LG. an⸗ 
genommen hätte, die Ankündigung und Anpreiſung an 
die Drogiſten und Kleinhandlungen ſei um deswillen 
eine Ankündigung und Anpreiſung an das Pu⸗ 
blikum, weil die Drogiſten und Kleinhändler nach dem 
Willen des Angeklagten von den Reiſenden wahllos 
beſucht worden ſeien, alſo kein beſtimmter, abgeſchloſſener 
Perſonenkreis ſeien, ſondern eine Mehrzahl unbeſtimmt 
welcher und wie vieler Perſonen, mithin ſelbſt „das 
Publikum. Das LG. geht vielmehr anders vor. Es 
ſieht nicht in dem Anbieten (Ankündigen und Anpreiſen) 
an die Drogiſten und Kleinhändler für ſich allein das 
Ankündigen und Anpreiſen an das Publikum, ſondern 
darin, daß den Kleinhändlern und Drogiſten die Gegen- 
ſtände zum Zwecke des Weiterverbreitens an das Pu⸗ 
blitum angeboten und geliefert wurden und daß fie 
auch wirklich die Gegenſtände durch Ausſtellen in ihren 
Schaufenſtern dem Publikum anprieſen. Dieſe Tatſache 
— fo ſagt das LG. —: „ift dem Angeklagten zuzu⸗ 
rechnen, da das in ſeiner Abſicht lag, als er die Spritze 
durch ſeine Reiſenden den Kleinhandlungen anpreiſen 
ließ.“ Mit Recht macht die Reviſion geltend, daß da⸗ 
mit nicht genügend dargetan iſt, daß der Angeklagte 
dem Publikum die Gegenſtände angeprieſen hat. Ge⸗ 
wiß iſt nach 8 184 Abſ. 1 Nr. 3 StGB. nicht nur zu 
beſtrafen, wer perſönlich einen zu unzüchtigem Gebrauche 
beſtimmten Gegenſtand dem Publikum ankündigt oder 
anpreiſt, ſondern auch, wer ſich zur Ankündigung oder 
Anpreiſung eines Anderen bedient. Der Angeklagte 
könnte darum unter Umſtänden ſehr wohl als Täter 
verantwortlich gemacht werden, wenn er im eigenen 
Intereſſe, um das Publikum auf die Gegenſtände auf⸗ 
merkſam zu machen und ihren Abſatz zu fördern, die 
Kleinhandlungen veranlaßt hätte, die Douchen in den 
Schaufenſtern auszuſtellen, oder wenn er dazu gar be⸗ 
ſondere Ausſtellungsſtücke geliefert hätte. Nach dieſer 
Richtung reichen aber die Feſtſtellungen des LG. nicht aus. 
Sie laſſen vielmehr die Möglichkeit offen, daß der An⸗ 
geklagte ſelbſt nicht dem Publikum ankündigen und an⸗ 
preifen,fondern nur den Drogiſten und Kleinhändlern ver- 
kaufen wollte und daß er ſich hiervon nicht abhalten ließ, 
trozdem ihm bekannt oder doch nicht unwahrſchein⸗ 
lich war, daß die Kleinhändler es an Anpreiſungen 
gegenüber dem Publikum der ihnen drohenden Strafe 
ungeachtet nicht würden fehlen laſſen. Dieſer Sach⸗ 
verhalt würde die Verurteilung des Angeklagten 
als Ankündigers der Gegenſtände nicht rechtfertigen. 
Die Verurteilung auf Grund dieſes Sachverhalts 
würde den Grundſätzen über die Täterſchaft nicht ent⸗ 
ſprechen, die verlangen, daß als Täter einer vorſätzlichen, 
nicht durch Unterlaſſung, ſondern durch Begehung ſich 
vollendenden Straftat nur betrachtet wird, der ſie mit 
dem Willen, ſie als eigene Tat zu verüben, allein oder 
mit Hilfe anderer verwirklicht. Die Verurteilung auf 
Irund ſolchen Sachverhalts würde aber auch die Grenzen 
nicht einhalten, die § 184 Abſ. 1 Nr. 3 geſteckt hat, 
indem er nicht das Verbreiten der zu unzüchtigem Ges 


brauch beſtimmten Gegenſtände, ſondern nur die An⸗ 
kündigung und en e gegenüber dem Publikum 
unter Strafe geſtellt hat. Denn das Ergebnis der 
Anwendung des 8 184 Abſ. 1 Nr. 3 auf einen ſolchen 
Sachverhalt wäre, daß der Verkauf an Kleinhändler 
unterſagt wäre, was nicht in den Zwecken des Geſetzes 
lag. (Urt. d. V. StS. vom 7. April 1914, V D 213/14). 

8352 


— — —n. 


II. 


Erlaubte Zuderung. Aus den Gründen: Die 
Zuckerung von Wein iſt nur erlaubt, wenn ſie in der 
Abſicht einer Verbeſſerung des Weines erfolgt, wie ſie das 
Geſetz allein zuläßt. Das Geſetz geſtattet die Zuckerung 
nur, um natürlichen Mängeln an Zucker und Alkohol 
oder einem Uebermaß an Säure inſoweit abzuhelfen, als 
es der Beſchaffenheit des aus Trauben gleicher Art 
und Herkunft in guten Jahrgängen ohne Zuſatz ge⸗ 
wonnenen Erzeugniſſes entſpricht. Ein Wein, der im 
Naturzuſtand oder dem vermeintlichen Naturzuſtand 
dem Eigentümer oder Verbraucher „zu rauh oder zu 
ſauer ſcheint“, darf nicht deshalb allein gezuckert werden; 
das darf nur geſchehen, wenn der an der gleichen Stelle 
gewachſene Wein in guten Jahrgängen ohne Zuſätze, 
ſoweit Zucker⸗ und Säuregehalt in Frage kommen, 
anders beſchaffen iſt und deshalb anders ſchmeckt, und 
nur inſoweit um eine Gleichſtellung oder eine An⸗ 
näherung an die Beſchaffenheit dieſes Weins aus guten 
Jahrgängen, ſeinen Zucker⸗ und Säuregehalt, zu er⸗ 
reichen. Wenn das angefochtene Urteil hinſichtlich des 
Weins, der das Vorbild für den mit der Zuckerung 
zu erzielenden Weins ſein ſoll, keine Feſtſtellungen trifft 
oder nicht treffen kann, ſo iſt der Tatbeſtand nicht er⸗ 
ſchöpfend feſtgeſtellt und es liegt die Annahme nahe, daß 
auch der Angeklagte keine Vorſtellung von dieſem Wein 
gehabt, und ſeine Abſicht, einen weniger ſauren und 
rauhen Wein zu gewinnen, nicht ſo geſtaltet war, wie es 
das Geſetz verlangt. Der Umſtand allein, daß nach den 
Urteilsfeſtſtellungen erſichtlich keine Mengevermehrung 
über die geſetzliche Grenze hinaus eingetreten iſt, kann den 
Angeklagten nicht vor Strafe ſchützen. Dieſe kann viel⸗ 
mehr, ſei es zufolge vorfätzlicher, ſei es zufolge fahr⸗ 
läſſiger Verſchuldung verwirkt fein, wenn der Ange⸗ 
klagte entweder die Grenzen überſchritten hat, die ſich 
aus der Beſchaffenheit des Weins ergeben können, oder 
wenn er nicht von der Verbeſſerungsabſicht geleitet 
war, die das Geſetz allein als berechtigt anerkennt. 
(Urt. d. I. StS. v. 26. März 1914, D 81/14). — — —n. 

3348 


III. 


Verhältnis zwiſchen 8 284 StGB. und 88 3, 6 
Nenn Wetts. Aus den Gründen: Die Annahme, 
daß in Tateinheit mit einem Vergehen nach 8 284 StGB. 
ein Vergehen nach 88 3, 6 Renn Wett. vorliege, und 
zwar ſowohl in der Richtung, daß der Angeklagte ges 
ſchäftsmäßig Wetten vermittelte (5 6 Nr. 2 und 8 3), 
wie auch in der Richtung, daß er ein „Wettunternehmen“ 
betrieb (8 6 Nr. 1 und $ 1), und die Anwendung des 
873 StGB. find irrtümlich. Das LG. hat in denſelben 
Handlungen ein Vergehen des gewerbsmäßigen Glücks— 
ſpiels i. S. des 8 284 StGB. gefunden. Auf Grund 
des 3 284 kann eine höhere Strafe verhängt werden 
als auf Grund des 86 Renn Wett. In dieſem Falle 
tritt aber 8 6 Renn Wett. zufolge der in ihm ent— 
haltenen ausdrücklichen Selbſtbeſchränkung als „ſub— 
ſidiäres“ Geſetz zurück. Soweit es ſich um das Ver⸗ 
mitteln von Wetten handelt, kommt noch hinzu, daß 
dieſes begrifflich da ausgeſchloſſen iſt, wo eine un— 


mittelbare Beteiligung an den Wetten ſelbſt vorliegt. 


— — 


(Urt. d. V. StS. vom 17. April 1914, V D 1149,13). 
3351 


— — — . 


234 


— — — U —:ę — — 


Oberlandesgericht München. 


1 


„ Anzuläſſigkeit der Pfändung künftiger oder unbe: 
ſtimmt W AnENe: Forderungen (§ 851 ZPO.). Der 
Agent H. beantragte für ſein vollſtreckungsreifes Gut⸗ 
haben von 282 M gegen den Schreiner H. Pfändung 
aller Anſprüche, die dem H. auf Grund von Vollſtreckungs⸗ 
aufträgen gegen die Gerichtsvollzieherei in M. auf Her⸗ 
ausgabe von Erlöſen uſw. zuſtehen oder zuſtehen werden. 
Das AG. gab dem Antrag ſtatt, auf Beſchwerde wies 
rf 925 8G. ab; die weitere Beſchwerde blieb ohne 

rfolg. 

Aus den Gründen: Es kann dahingeſtellt 
bleiben, ob die im Beſchluß des Vollſtreckungsgerichts 
ausgeſprochene Pfändung eine Forderungspfändung 
nach 8 829 3PO. oder eine Anſpruchspfändung nad) 
8 847 ZPO. iſt, da zu letzteren die Pfändung gewöhn⸗ 
licher Geldforderungen (auch eines regulären Depots) 
nicht zählt und nur entſcheidend iſt, ob durch die 
Einziehung unmittelbare Befriedigung eintritt (Neu⸗ 
miller, ZPO. zu 8847 Abſ. 1). Denn auch nach 8 847 
PO. find nur ſolche Anſprüͤche auf Herausgabe oder 
Leiſtung körperlicher Sachen pfaͤnd bar, die im übrigen 
den für 8 829 Abſ. 1 ZPO. zutreffenden Vorausſetzungen 
entſprechen (Gaupp⸗Stein, ZPO. 10. Aufl., I zu 8 847). 
Beſtritten iſt, ob künftige Forderungen und Anſprüche 
pfändbar ſind. Der Senat ſchließt ſich der Meinung 
an, daß ſie nur inſoweit gepfändet werden können, als 
ihr Entſtehungstatbeſtand ſchon irgendwie in die Wirk⸗ 
lichkeit getreten iſt, ſei es, daß ſchon eine rechtliche 
Grundlage in einem Vertragsverhältnis gegeben, oder 
daß eine ſonſtige greifbare Unterlage rechtsbegründender 
Art vorhanden iſt. Ein ſolcher Fall liegt nicht vor; 
die bloße Möglichkeit, daß der Schuldner die Gerichts⸗ 
vollzieherei irgendwann einmal mit Beitreibung von 
Forderungen beauftragen könne, zählt nicht hieher. 
Ebenſo hat das LG. mii Recht die Pfändung etwa ſchon 
beigetriebener Beträge als unzuläſſig erachtet, weil es 
an einer genügenden Kennzeichnung der Anſprüche 


mangelt. (Bejchl. v. 31. Dezember 1913, Beſchw.⸗Reg. 
Nr. 820,13). N. 
3343 


II 


Formelle Erforderniſſe einer gerichtlichen Wertfeft: 
ſetzung; Streitwert eines Arreſts; Anwaltsdeſchwerde 
(55 16 GKG. 3,6 ZPO.; 12 RAG O.). Auf einem Arreſt⸗ 
befehl des LG. P. war neben dem Aktenzeichen ein Streit⸗ 
wert von 500 4 vermerkt. Der Anwalt des Arreſt⸗ 
klägers beantragte in einem als Beſchwerde bezeichneten 
Schriftſatz, den Wert „anders feſtzuſetzen, da die Arreſt⸗ 
forderung 1860 M betrage. Das L. beſchloß, „der 
Beſchwerde nicht abzuhelfen“. Das OL. änderte die 
landgerichtliche Streitwertsfeſtſetzung gebührenfrei auf 
1860 M ab. 

Aus den Gründen: Da die beantragte andere“ 
Feſtſetzung nach der Begründung offenbar eine Erhöhung 
bezweckt, fo liegt eine Beſchwerde des Anwalts im 
eigenen Namen nach $ 12 RAG O. vor und mangelt es 
an einem Gegner (RGZ. 12, 362; JW. 1900 S. 124). 
Auch ein Feſtſetzungsbeſchluß des Untergerichts liegt 
vor. Allerdings iſt die bloße Wertangabe am Rande 
des Arreſtbefehls durch den Vorſitzenden oder Bericht⸗ 
erſtatter (vgl. Im Bl. 1880 S. 331) kein ſolcher Be⸗ 
ſchluß (Seuff Bl. Bd. 74 S. 594; Bay Fin Bl. 14 S. 26). 
Sie kann ihn auch nicht erſetzen, wenn gerichtliche Feſt⸗ 
ſetzung nach § 16 GKG. nötig iſt, wie z. B. gerade hier, 
wo das Untergericht offenbar von 83 380. Gebrauch 
machen will. Durch den Beſchluß aber, der Abhilfe 
auf die Beſchwerde verweigert, iſt mittelbar der Wert 
feſtgeſetzt und der Beſchwerdeweg eröffnet.“) — Sachlich 

1) Eigentlich lag eine unzuläſſige Norausbeſchwerde vor, die zu 
verwerfen geweſen wäre; der Vorlagebeſchluß war ſelbſtverſtändlich 
den Parteien nicht zugeſtellt. In der Beſchwerdeſache 115/14 nabm der 


Zettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


iſt die Beſchwerde begründet. Nach der überwiegenden 
Meinung ift auf die Arreſtanordnung $ 6 ZPO. anzu⸗ 
wenden; es iſt alſo die Forderung ohne Zins maßgebend 
(RG Z. 26, 412), ſoferne nicht der Wert des Pfands 
geringer iſt. Letzteres hat das Erſtgericht nirgends 
feſtgeſtellt; der Arreſt iſt in das geſamte bewegliche 
und unbewegliche Vermögen erlaſſen und die gepfändete 
Eigentümerhypothek N den Forderungsbetrag 
um ein Vielfaches. Für die Anwendung des 8 6 3). 
ſpricht die überwiegende Meinung (vgl. JW. 1897 
S. 572 und die bei Pfafferoth, GKG. 8 26 und Rittmann, 
Streitwert $ 268 angeführten Beſchlüſſe). Die Ent⸗ 
ſcheidung R&B. 26, 412 betrifft nicht die gegen⸗ 
wärtige, dort nur beiläufig erwähnte Frage, ſondern 
die Einrechnung der Zinſen. Daß auf einſtweilige Ver⸗ 
fügungen in der Regel § 3 ZPO. angewendet wird, iſt 
für den Arreſt ohne Belang; denn dort ſtehen meiſt 
nur vorübergehende nebenſächliche Maßregeln in Frage; 
wo aber die Rechtslage dem $ 6 ZPO. ähnlich iſt (d. h. 
der Verluſt des ganzen Streitgegenſtandes droht) nimmt 
das Reichsgericht auch bei einſtweiligen Verfügungen 
den vollen Forderungsbetrag als Sicherungswert an 
(RG. 35, 394). Daß es 10 im Arreſtverfahren nicht 
um rechtskräftige Feſtſtellung des Guthabens ſelbſt 
handelt, kommt ſchon in dem geringeren Gebührenſatz 
($ 26 GKG.) zum Ausdruck. (Beſchl. v. 23. März 1914, 
Beſchw.⸗Reg. Nr. 182/14). N. 
3342 


Oberlandesgericht Augsburg. 


Keine Koſtenfeſtſetzung bei KA Ber: 
gleiche. Aus den Gründen: Die Parteien find darüber 
einig, daß ſie den Rechtsſtreit außergerichtlich verglichen 
haben und daß dabei der Beklagte die Koſten übernommen 
hat. Das LG. hat zutreffend ausgeführt, daß ein außer⸗ 
gerichtlicher Prozeßverg leich den anhängigen Rechtsſtreit 
beendet. Der gerichtliche Prozeßvergleich genießt vor dem 
außergerichtlichen den Vorzug, daß er nach § 794 Nr. 1 
3PO. einen Vollſtreckungstitel gewährt, während auf 
Erfüllung eines außergerichtlichen Prozeßvergleichs erſt 
wieder klagen muß, wer einen vollſtreckbaren Schuld⸗ 
titel erlangen will. Aber auch der außergerichtliche 
Vergleich ſoll nach der Abſicht der Parteien den Rechts⸗ 
ſtreit beſeitigen und es demgemäß jeder Partei unmöglich 
machen, ihn fortzuführen. Auch nach 883 ZPO. er⸗ 
ſtreckt ſich die Vollmacht des Rechtsanwalts darauf, 
den Rechtsſtreit durch Vergleich zu beſeitigen, 
ohne daß ein Unterſchied zwiſchen gerichtlichem und 
außergerichtlichem Vergleiche gemacht wird. Auch dieſe 
Vorſchrift geht alſo davon aus, daß durch den Ver⸗ 
gleich der Rechtsſtreit beſeitigt wird. Ein erloſchener 
Rechtsſtreit kann aber nicht fortgeſetzt werden. Anders 
mag die Sache liegen, wenn die Parteien den Vergleich 
als nichtig und unwirkſam erachten oder wenn er das 
Streitverhältnis nicht erſchöpfend regelt. Dieſe Fälle 
liegen aber nicht vor. Der Kläger will auf Grund der 
Beſtimmung des Vergleichs über die Koſten die ge⸗ 
richtliche Feſtſetzung beſtimmter Koſten erreichen. Daß 
dieſem Antrag nicht entſprochen werden kann, ergibt 
ſich, abgeſehen von den früheren allgemeinen Aus⸗ 
führungen, auch daraus, daß er dem Gericht eine 
Prüfung anſinnt, die es bei gerichtlichem Vergleiche 
nur im Koſtenfeſtſetzungsverfahren nach 8 103 ff. ZPO. 
vornehmen könnte. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß 
auch bei einem außergerichtlichen Vergleich der Rechts⸗ 
ſtreit nicht fortgeſetzt werden kann, um auf Grund der 
Parteivereinbarung die Koſtenſchuld einer Partei zu 
ermitteln. Hier bleibt nur die Klage auf Erfüllung 
des Vergleichs übrig. 

Senat an, daß durch Erteilung elner Ausfertigung des Urteils der nich: 
mitverkundete Urteilsvermerk: „Feſtgeſetzter Streitwert 20 . in 


Wirkſamkelt getreten jei, da ein geſonderter Beſchluß ſich nicht del 
den Akten befand. Der Einf. 


Die Entſcheidung des OLG. Hamburg in der 
DIZ. 1908 S. 980 bezieht ſich nur auf den Fall, daß 
ein Berglei nur in der Hauptſache, nicht aber im 
Koſtenpunkte vorliegt. Der Entſcheidung der OLG. 
Dresden in SeuffBBl. 1908 S. 339 liegt der Antrag zu⸗ 
grunde, den Gegner nach dem außergerichtlichen Ver⸗ 
gleich zur Tragung des dort feſtgeſtellten Koſtenteils 
zu verurteilen. Beide Entſcheidungen treffen hier offen⸗ 
Batlirz nicht zu. (Beſchl. vom 25. März 1914, 1 s 
Reg. II 57/14). 

3823 


Büreranzeigen. 


Birkmeyer, Dr. Karl v., Prof. in München, Schuld 
und Gefährlichkeit in ihrer Bedeutung 
für die Strafbemeſſung. XXII und 232 S. 
Leipzig 1914, Verlag von Felix Meiner. 9 Mk. Krit. 
Beiträge zur Strafrechtsreform v. Birkmeyer und 
Nagler, 16. Heft!. 

Berfafler erörtert das Problem an der Hand einer 
ausführlichen Kritik des 8 43 Oeſterreich. Strafgeſetz⸗ 
entwurfs von 1912 (Regierungs vorlage), wonach die 
Strafe nach dem Verſchulden und der Gefährlich⸗ 
keit des Täters zu bemeſſen iſt, und gelangt zu dem Er» 
gebnis, daß der ungeklärte Begriff der Gefährlichkeit als 
nicht ins Strafrecht gehöriger Eindringling zu ſtreichen 
und durch Vertiefung des Schuldbegriffs zu erſetzen 
ſel. Demſelben Gedanken hat B. in ſeinem Aufſatz über 
das richterliche Ermeſſen im deutſchen Entwurf, Ge⸗ 
richtsſaal Bd. 77 S. 408 ff., Ausdruck verliehen. Das 
vorliegende Buch, deſſen Gedankenreichtum ſich ſchon 
aus der ‚Inhaltsüberſicht“ ergibt, bietet hierzu die 
umfaſſende Begründung und enthält damit eine neue 
ſachliche Polemik der klaſſiſchen Schule gegen die ſo⸗ 
ziologiſche Richtung und die ihr von den öſterreichiſchen 
und deutſchen Entwürfen und der ſog. dritten au 
gemachten Zugeſtändniſſe. 


Dietz, Karl, K. Amtsrichter in München, Schätzer⸗An⸗ 
weiſung. Bekanntmachung der K. Staatsminiſterien 
der Juſtiz und des Innern vom 14. Juli 1909, die 
Anweiſung für die amtliche Feſtſtellung des Wertes 
von Grundſtücken betreffend. VIII, 74 Seiten. Mün⸗ 
chen, Berlin und Leipzig 1914, J. Schweitzer Ver⸗ 
lag (Arthur Sellier). Kart. Mk. 2.—. 


Die Schätzeranweiſung vom 14. Juli 1909, die an 
Stelle der alten Schätzerinſtruktion vom 13. März 1823 
die amtliche Feſtſtellung des Wertes von Grundſtücken 
einheitlich fuͤr das Königreich regelt, erſcheint mit der 
vorliegenden Handausgabe zum erſten Male in kommen⸗ 
tierter Form. Die einzelnen Vorſchriften werden nach 
einem kurzen ſyſtematiſchem Ueberblick klar und ein⸗ 
gehend erläutert; am Schluſſe ſind außer den amt⸗ 
lichen Muſtern noch einige weitere Formblätter ſowie ein 
Sachregiſter beigefügt. Das Buch wird vor allem den 
Grundbuchbeamten und den Notaren ein willkommenes 
Hilfsmittel bieten, daneben aber auch den Schätzern 
gute zeenlie leiſten. 


München. II. Staatsanwalt Dr. Schanz. 


Seydel, Max von, Bayeriſches Staatsrecht. 
Auf Grund der 2. Aufl. neu bearbeitet von Dr. IJ 
Graßmann, Miniſterialrat im K. B. Verkehrsmini⸗ 
ſterium und Dr. Nobert Piloty, Univerſitätsprofeſſor 
in Würzburg. 2. Bände. Tübingen 1913, Verlag 
von J. L. C. Mohr (Paul Siebeck). Geheftet Mk. 50. —, 
geb. Mk. 55.— 

Selten haben die bayeriſchen Juriſten einer Neu⸗ 
auflage mit größerer Spannung entgegengeſehen, als 
der neuen Bearbeitung des „Großen Seydel“. Die 


Zeitſchrift für R für Rechtspflege in Bayern. 1“ in Bayern. 1914. 14. Nr. 11. 


— — — . — 


zu den ſeltenen Büchern, die wegen der Klarheit und 
Schärfe der rechtlichen Auffaſſungen, wegen der er⸗ 
ſchöpfenden Stoffſammlung, wegen des gewaltigen, 
einheitlichen Aufbaus im großen und der peinlichen 
Genauigkeit im kleinen, nicht zuletzt auch wegen der 
glänzenden, lebhaften Darſtellung niemals ganz ver⸗ 
alten. Aber die unermüdliche Arbeit der Geſetzgebung 
hatte doch ſo viel Neues geſchaffen, daß einzelne Ab⸗ 
ſchnitte für die Rechtsanwendung nicht mehr verwertbar 
waren. Die volle Brauchbarkeit wiederherzuſtellen 
und dem Werke die Vorzüge zu erhalten, die es groß 
gemacht haben, war gewiß keine tleine Aufgabe für 
die Bearbeiter, und ihr Werk würde ſchon dann ver⸗ 
dienſtlich ſein, wenn es auch nur zum Teil gelungen 
wäre. Sehe ich recht, ſo galt es drei Hauptſchwierig⸗ 
keiten zu überwinden. 

Zunächſt mußte der Stoff begrenzt werden. Auf 
dem Gebiete der bayeriſchen Landesverwaltung iſt ſeit 
1899 ſo viel neu geregelt worden — man denke nur 
an die Ausführungsgeſetze zum BGB., an das Ab⸗ 
markungsgeſetz, das Waſſergeſetz, das Fiſchereigeſetz, 
die Kirchengemeindeordnung uſw. — daß eine allzu 
ausführliche Darſtellung das Buch übermäßig ver⸗ 
größert hätte. Mit Recht haben die Herausgeber ge⸗ 
kürzt, wo es möglich war. Dem Werke iſt es nur zu⸗ 
gute gekommen, daß z. B. ausgeſchieden oder nur noch 
angedeutet wurde, was heutzutage nicht mehr in ein 
Handbuch des bayeriſchen Staatsrechts, ſondern in ein 
Handbuch des Reichsſtaatsrechts gehört (das Gewerbe⸗ 
recht, ſoweit es reichsgeſetzlich geregelt iſt, das öffent⸗ 
liche Verſicherungsrecht u. ä.). Dagegen hätte vielleicht 
auf dem Grenzgebiete zwiſchen Juſtiz und Verwaltung 
etwas mehr Nachgiebigkeit nicht geſchadet. Die Zwangs⸗ 
erziehung z. B., deren Vollzug in Bayern doch reine 
Verwaltungsſache iſt, hätte doch berückſichtigt werden 
müſſen. Gern hätte ich auch einen kleinen Ab⸗ 
ſchnitt geſehen, der die einer großen Entwickelung 
fähigen Vorſchriften über den Heimatſchutz zuſammen⸗ 
gefaßt hätte. 

Die zweite Hauptaufgabe der Bearbeiter war es, 
ſich mit den Anſichten Seydels ausein anderzuſetzen, 
einerſeits ſeine oft ſehr urſprünglichen, von der herr⸗ 
ſchenden Meinung und von der Rechtſprechung ab⸗ 
weichenden Ausführungen zu erhalten, andererſeits die 
eigene Auffaſſung darzulegen, wo ſie ſich Seydel nicht 
anſchließen konnten. Soviel ich ſehe, iſt dieſe Aufgabe 
glücklich und mit Geſchick gelöſt worden. Die Stellung 
Seydels zu den Grundfragen des bayeriſchen Staats⸗ 
rechts, deren Kenntnis wir nicht entbehren können, iſt 
erſichtlich geblieben, aber die Bearbeiter haben mit 
Recht nicht darauf verzichtet, hier und dort einen 
eigenen abweichenden Standpunkt zu vertreten. 

Es galt ſchließlich, in mühſamer Kleinarbeit eine 
Unmenge von Miniſterialvorſchriften, Entſcheidungen, 
Abhandlungen uſw. einzugliedern und fo wieder eine 
erſchöpfende Darſtellung zu bieten. Das Uebermaß 
des Stoffes und die Notwendigkeit, zu einem Ende zu 
kommen, ſcheinen hier und dort zu einem gewiſſen 
Haſten und damit zu Ungenauigkeiten geführt zu haben. 
Schon im Verzeichniſſe der Abkürzungen fällt z. B. 
auf, daß nur die Entſcheidungen des „Oberſten Gerichts⸗ 
hofes“ in Zivil⸗ und Strafſachen genannt ſind. Man 
könnte alſo beinahe auf den Gedanken kommen, die 
Rechtſprechung des „Oberſten Landgerichts“ ſei nicht 
mehr berückſichtigt. Bei näherem Zuſehen zeigt ſich 
dann allerdings, daß das nicht der Fall iſt, wenn auch 
manchmal eine etwas ſtärkere Verwertung dieſer für 
das bayeriſche Staatsrecht fo ergiebigen Quelle an- 
gezeigt geweſen wäre. Daß im Abkürzungsverzeichnis 
der Herausgeber dieſer Zeitſchrift in den Freiherrn⸗ 
ſtand erhoben und mit einem ihm nicht zukommenden 
Vornamen bedacht iſt, ſoll nur nebenher erwähnt ſein. 
Umſonſt ſuchte ich in den bis in den Sommer 1913 
reichenden Nachträgen nach der doch immerhin bedeut— 


letzte von Seydel ſelbſt herausgegebene Auflage gehörte famen Abtrennung der Amtsanwaltſchaft von der 


236 


inneren Verwaltung. Auch über die in dieſer Zeits 
ſchrift 1909 S. 295, 1910 S. 395, 1911 S. 322 behandelte 
Frage konnte ich nichts finden. Solche kleine Flüchtig⸗ 
keiten könnten noch mehr angeführt werden, insbe⸗ 
ſondere aus dem 1. Bande. Ich komme auf ſie nicht 
deshalb zu ſprechen, weil ich glaubte, daß ſie den Wert 
des Buches beeinträchtigen, ſondern um für die nächſte 
Auflage, die ja mit mehr Muße wird vorbereitet 
werden können, die Beſeitigung dieſer kleinen Mängel 
anzuregen. Von der Pfordten. 


Wittelftein, Dr. jur. Max, Senatspräſident am Hanſe⸗ 
atiſchen Oberlandesgericht. Die Miete nach dem 
Rechte des Deutſchen Reiches. Dritte Auf⸗ 
lage. IX, 793 Seiten. Berlin 1913, Franz Vahlen. 
Geh. Mk. 15.—, gebd. Mk. 16.—. 


Das ausgezeichnete Werk iſt überall gut eingeführt 
und bedarf keiner Empfehlung. Als möglichſt er⸗ 
ſchöpfende Darſtellung des Mietrechtes wird es auch 
künftig ſeinen Platz neben den Kommentaren behaupten. 

B. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Die Berſergung der Notare und ihrer Hinterblie⸗ 
benen. Durch die im vorigen Jahre erfolgte Aende⸗ 
rung der Satzung des Penſionsvereins der bayeriſchen 
Notare (JM Bl. 1913 S. 732) wurde das Penſions⸗ 
ſyſtem für die Notare tunlichſt dem Beamtenpenſions⸗ 
ſyſtem angeglichen. Dabei wurde beſtimmt, daß die 
der Berechnung der Penſion zugrunde zu legende Dienſt⸗ 
zeit vom Tage der erſten eidlichen Verpflichtung als 
Rechtspraktikant gerechnet wird; auch ſoll bei der Feſt⸗ 
ſtellung der Dienſtzeit die Zeit gerechnet werden, wäh⸗ 
rend welcher der Notar im Dienſte des Staates oder 
des Reiches verwendet war oder als Staatsdienſt⸗ 
aſpirant oder Notariatspraktikant den für die Er⸗ 
nennung zum etatsmäßigen Beamten oder zum Notar 
angeordneten oder zugelaſſenen Vorbereitungsdienſt 
ableiſtete. 

Die Aenderung der Satzung machte eine Neu— 
regelung der Vorſchriften über das Penſionierungs⸗ 
verfahren notwendig. Dieſe erfolgt nunmehr durch 
die im JMBl. S. 71 veröffentlichte Bekanntmachung 
vom 2. Mai 1914, die Penſionsvereine für die Notare 
und deren Witwen und Waiſen betr., die an die Stelle 
der bisher maßgebenden Bekanntmachung vom 3. Fe⸗ 
bruar 1902 (JMBl. S. 302) tritt. Die neue Bekannt⸗ 
machung verpflichtet den Landgerichtspräſidenten, bei 
der Vorlegung von Penſionsgeſuchen der Notare die 
penſionsfähige Dienſtzeit feſtzuſtellen; über ihre Be— 
rechnung ſind eingehende Beſtimmungen in dem Ab— 
ſchnitt IB enthalten, die im weſentlichen den Vorſchrif— 
ten der Bekanntmachung vom 22. Oktober 1909 über 
die Verſetzung der etatsmäßigen Beamten in den Ruhe: 
ſtand (GVBl. S. 781) angepaßt ſind. Im übrigen ſind 
in Angleichung an das Beamtengeſetz einige Erleich— 
terungen geſchaffen. An Stelle der bisher geforderten 
zwei amtsärztlichen Zeugniſſe ſoll künftig regelmäßig 
ein Zeugnis genügen. Geſtrichen iſt auch die Beſtim— 
mung, daß der Landgerichtspräſident Gutachten der 
Richter des Amtsgerichts über die Dienſtunfähigkeit 
des Notars erholen ſoll. Für die Nachlaßgerichte iſt 
von Bedeutung, daß die erſt neuerdings wieder durch 
die Bekanntmachung vom 19. Januar 1914 (JM Bl. S. 5) 
eingeſchärfte Verpflichtung zur Mitteilung von An— 
zeigen über den Tod eines im Ruheſtande befindlichen 
Notars, einer Notarswitwe oder einer minderjährigen 
Notarswaiſe unverändert aufrecht erhalten iſt. 


3357 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 


— — ᷑ — — — 0 ———FFPFPFTFTCTCTCTCTCTCCCTCTT—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—VT—T—T—T—T—wT———-—-——-—Hw——w——— —— a — — = 
De a 


Die Borbedingungen für den höheren Inſtiz, und 
Berwaltungsdienſt. Vorausſetzung für die Zulaſſung zur 
Zwiſchenprüfung und zur Univerſitätsſchlußprüfung iſt 
nach 81 Abſ. 5 der K. VO. die Prüfungen für den höheren 
Juſtiz⸗ und Verwaltungsdienſt betr. v. 4. Juli 1899 in 
der Faſſung der Bek. v. 1. Auguſt 1912 (JM Bl. S. 221) 
der Beſitz des Reifezeugniſſes eines deutſchen huma⸗ 
niſtiſchen Symnaſiums, eines deutſchen Realgymnafiums 
oder einer deutſchen Oberrealſchule. Dieſen Zeugniſſen 
ſind nunmehr die Reifezeugniſſe der deutſchen Schulen 
in Antwerpen, Brüſſel, Bukareſt und Konſtantinopel 
See nachdem die deutſchen Bundesregierungen 

eſchloſſen haben, daß das Reifezeugnis, das ein Reichs⸗ 
angehöriger an einer der bezeichneten Schulen erworben 
hat, ihm in dem Bundesſtaate, dem er angehört, alle 
Berechtigungen gewährt, die dem Reifezeugnis einer 
gleichartigen Schule dieſes Staates verliehen find, und 
daß in jedem Bundesſtaat auf dieſes Reifezeugnis die 
Grundſätze der Vereinbarung der Bundesregierungen 
über die gegenſeitige Anerkennung der Reifezeugniſſe 
vom Jahre 1909 Anwendung finden. Hiebei ſind die 
Schulen in Antwerpen, Bukareſt und Konſtantinovel 
als Oberrealſchulen, die Schule in Brüſſel als Real⸗ 
gymnaſium anzuſehen (Zentralblatt für das Deutſche 
Reich 1913 S. 1030). 

3316 


Militärweſen. Durch Allerh. Entſchließung vom 
8. April 1914 (Verordnungsblatt des Kriegsminiſte⸗ 
riums S. 218) wurde beſtimmt, daß die Train⸗Bataillone 
v. 1. April 1914 ab die Bezeichnung Train⸗Abteilung 
und die Train⸗Kompagnien die Bezeichnung Eskadron 
erhalten. Die zu zweijähriger Dienſtzeit eingezogenen 
Mannſchaften des Trains werden ſeitdem Trainreiter, 
die zu einjähriger Dienſtzeit eingezogenen Trainfahrer 
genannt. 

3347 


Sprachecke. 


„Aus dieſem Grund fällt Klage nötig“, fo heißt 
es oft in Klagſchriften, die von badiſchen, insbeſondere 
Mannheimer Rechtsanwälten bei pfälziſchen Amtsge⸗ 
richten einlaufen. Es wäre ſo einfach zu ſagen: aus 
dieſem Grund iſt Klage nötig, aber offenbar iſt das den 
Verfaſſern der Klagſchriften zu einfach. Daß der Aus⸗ 
druck „fällt Klage nötig“ falſch iſt, darüber iſt kein 
Wort zu verlieren. Wie iſt er nun entſtanden? Es 
iſt richtig, zu ſagen, ſo und ſoviel Klagen ſind bei 
einem Gericht angefallen; demnach kann auch geſagt 
werden, eine Klage fällt an. Es iſt nun offenbar 
dieſes Sprachbild mit dem Ausdruck „es iſt Klage 
nötig“ in der Weiſe ineinander verarbeitet worden, 


daß aus Teilen beider etwas Neues, eine Mißgeſtalt, 


1 


entſtanden iſt. Es iſt derſelbe Vorgang, der auch ſonſt 
noch auf dem Gebiet der Sprache zu beobachten iſt. 
So kann man hören, daß einer zu einem anderen 
ſagt: „paſſen Sie doch Obacht“. Dies iſt entſtanden 
aus „paſſen Sie doch auf“ und „geben Sie doch Obacht“. 

Die erwähnte Gepflogenheit badiſcher Rechtsan⸗ 
wälte mußte hier einmal beſprochen werden, damit 


ſich dieſer Mißbrauch in der Sprache nicht auch bei 


den pfälziſchen Rechtsanwälten einbürgert. Denn böſe 
Beiſpiele verderben gute Sitten. | T. 
3350 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


ur. 12. 12. MqMünchen, dei den | 15. 5. Juni 191 1914. 10. I.̃0. Jahrg. 


tit hrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von Verlag von 


aer il 1111121 gen. 


Staats miniſterium der Juſtig. Münden, Berlin u. Leipzig. 
(Seufferts Blätter für Rechtsau wendung 8d. 79.) 


Die Zeliſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats 

Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis viertel jährlich 

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jede Poſtanſtalt. 


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/ oder deren Raum. Bei iederbotungen Ermäßigung. Stellens 
anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Nachdruck verboten. | 237 


| ſpiegel in recht kenden und wider⸗ 
Aechtsnatur und Ablöſung der neurechtlichen 1 ie Ben vier 


Münchener Gemeinſchaftsmauer. 5 1 1 = befriedigenden 1 5 
tsrat Hei l in München. dieſer Frage dürfte daher nicht ganz unnütz ſein 
* 5 g . e . er I. Um den jetzt beſtehenden Verhältniſſen wirklich 
Einrichtungen, die in den Gewohnheiten und gerecht zu werden, bedarf es vor allem einer Be⸗ 
Bedürfniſſen der Bevölkerung wurzeln, pflegen er⸗ trachtung des hiefigen Rechtzuſtandes vor Ein⸗ 
folgreich der Abneigung des Geſetzgebers zu trotzen. führung des neuen Rechts. Die Grundlage 
Dies gilt auch von der Münchener Kommun⸗ oder dieſes Rechtszuſtandes bildete der ſchon erwähnte 
gemeinſchaftlichen Grenzmauer. Jahrhundertelange Kommunmauerzwang. Hiernach mußte der Eigen⸗ 
Uebung hat dieſe Einrichtung geheiligt; aber auch tümer eines nicht überbauten Grundſtückes dem 
ihre wirtſchaftliche Bedeutung iſt keineswegs gering; Nachbarn, der bauen wollte, Mauerſtatt geben, d.h. 
denn, abgeſehen von dem durch ſie ermöglichten ihm geſtatten, die Umfaſſungsmauer ſeines Gebäudes 
Gewinn an nutzbarer Baufläche ſpielen die Ab⸗ zur Hälfte auf das Nachbargrundſtück zu ſetzen. 
löſungsſummen für die auf das Nachbargrundſtück Dafür erwarb der Mauerſtatt gebende Nachbar 
geſetzte Mauerhälfte im Betrage von regelmäßig das Miteigentum an der ganzen, auf dem beider⸗ 
1000 - 2000 M für den Erbauer eines Anweſens ſeitigen Grundbeſitz aufgeführten Mauer; er war 
immerhin ſchon eine Rolle. Das BGB., wie die jedoch verpflichtet, ſobald er an die gemeinſchaftliche 
bayeriſche Ausführungsgeſetzgebung hierzu haben Mauer auch ſeinerſeits anbaute, dem Nachbarn, 
gleichwohl den durch das alte Münchener Recht d. h. dem derzeitigen Eigentümer des Grundſtücks, 
anerkannten ſog. Kommunmauerzwang, d. h. von dem aus die Kommunmauer aufgeführt worden 
die Verpflichtung des Nachbars, den Bau der Grenz: war, den Wert der auf ſeinem eigenen Grundſtück 
mauer als Kommunmauer zu dulden, beſeitigt. Das ſtehenden Mauerhälfte zu vergüten, ſoweit er dieſe 
Münchener Rechtsleben hat ſich aber um dieſe Ent zum Anbau tatſachlich benutzte. Die gleichen Grund⸗ 
rechtung der Kommunmauer wenig gekümmert. Nach ſätze galten für die einſeitige Erhöhung einer ſchon 
wie vor wird in München nach altem Brauch beſtehenden Gemeinſchaftsmauer.!“) Dieſe Rechts⸗ 
„kommun“ gebaut und die ganze Grundlage diefer ſätze gründeten ſich, wie Tinſch in feinem Münchener 
Bauführung beſteht regelmäßig in der Unter: Stadtrecht S. 21 ff. überzeugend dargelegt hat, auf 
zeichnung des baupolizeilichen Planes mit der darin gewohnheitsrechtliche Fortbildung der Bauvor⸗ 
vorgeſehenen Kommunmauer durch den Nachbarn. ſchriften der Art. 349—351 des Münchener Stadt: 
Darüber aber, wie das hiedurch geſchaffene Rechts⸗ rechtsbuchs und der Art. 3—6 u. 60 der Münchener 
verhältnis jetzt zu beurteilen iſt und welche Anſprüche Bauordnung von 1489.) Die oberſtrichterliche Recht⸗ 
zwiſchen a achbarn ſich . X en - 5 8 9 
eine ganze Literatur erwachſen) und die wider: e DES TORLDIUNETGUELEESDES, 
prechenden Anfichten der Rechtslehre in diefer Frage mauerfrüge, g 1014 S. 831. Zie drei lchten erſt nach 


ee Abſchluß gegenwärtiger Abhandlung erſchienenen Ars 

beiten konnten nur noch kurz berückſichtigt werden. 
1) Siehe Roth-Becher, Bayr. ZR. II S. 138 Note 

39: Böhm-Klein Anm. 8 55 8 68 AG., Motive z. AGz.⸗ 

BGB., Becher, Mat. I S. 8 

8 2 25 So insbeſondere 800. München Seuff Bl. Bd. 54 


1) Siehe Staudinger zu 8 921 BGB. (Bd. 3 S. 302); 
ferner Wein, Die Kommunmauer, Bay ZfR. 1913 S. 454, 
472; Schmitt, Eigentum am Ueberbau, Bay ZfR. 1914 
S. 583 Buſch, Eigentumsverhältniſſe bei dem Bau auf 
der Grenze, Bay ZfR. 1914 S. 157; Nützel, Zur Recht⸗ 
ſprechung über dieſtommunmauern „Bay gf. 1914 S.179; 


238 


ſprechung lehnte allerdings eine ſolche gewohnheits⸗ 
rechtliche Fortbildung ab, gelangte jedoch unter Heran⸗ 
ziehung der Grundſätze des Gemeinen und Bayeriſchen 
Landrechts über inaedificatio und in rem versio 
ſachlich zur gleichen Beurteilung des Verhältniſſes.“) 

Dieſem Rechtszuſtand gegenüber hat nun das 
BGB. die Aufſtellung eines Kommunmauerzwangs 
ſchlechthin abgelehnt und nur die Verhältniſſe tat⸗ 
ſächlich beſtehender Einrichtungen ſolcher Art in den 
83 921— 922 näher geregelt, ſowie durch Art. 173, 
181 EG. auch die ſchon bei ſeiner Einführung 
vorhandenen Kommunmauern ſeinen gemeinſchafts⸗ 
und eigentumsrechtlichen Grundſätzen unterworfen. 
Auch das Bayer. AGz BGB. hat die Ermächtigung 
des Art. 124 EGzBGB. zu weitergehender ſelb⸗ 
ſtändiger Ordnung des Nachbarrechts lediglich dazu 
benützt, durch ſeine Art. 68 — 70, 77, 78 die 
Möglichkeit einſeitiger Erhöhung benutzungsgemein⸗ 
ſchaftlicher Grenzmauern zu ſchaffen und die Ver⸗ 
hältniſſe der noch in die Zeit vor dem BGB. 
fallenden, aber noch nicht abgelöſten Kommun⸗ 
mauern für die Zeit des neuen Rechts zu regeln. 
Die Neuentſtehung von Kommunmauern im Sinn 
des alten Münchener Rechts iſt damit für die Zeit 
nach dem Inkrafttreten des BGB. nur mehr im 
Wege der Vereinbarung der beteiligten Grund⸗ 
eigentümer möglich geblieben. 

Demnach haben wir z. Z. in München 3 Arten 
von Kommunmauern zu unterſcheiden, die von 
vornherein wohl auseinandergehalten werden müſſen. 


1. Die ſchon vor Einführung des BGB. 
errichteten und abgelöſten Kommunmauern (alt: 
rechtliche Gemeinſchafts mauern). Dieſe 
Kommunmauern haben noch unter dem alten Recht 
ihre endgültige Rechtsgeſtalt als im gewöhnlichen 
Miteigentum der Nachbarn ſtehende Mauern 
erhalten. Sie ſind nur gemäß Art. 173, 181 
EGzBGB. durch deſſen Einführung inſoweit 
berührt worden, als an Stelle des Miteigen⸗ 
tums der Nachbarn getrenntes Eigentum nach 
dem Grenzlauf unter Benutzungsgemeinſchaft der 
Nachbarn an der ganzen Mauer getreten iſt, und 
damit ſind dieſe Mauern zu Grenzeinrichtungen 
im Sinne der §8 921—922 BGB. geworden.“) 

2. Die ſchon vor Einführung des BGB. be— 
gonnenen oder erhöhten, aber noch nicht abgelöſten 
Kommunmauern. Für die Errichtung und Ab— 
löſung dieſer Mauern ſind die Art. 69 und 70 
AGz BGB. maßgebend, ſo daß man dieſe Mauern 
als Gemeinſchaftsmauern des Ueber— 


) Siehe insbeſondere Bay be 3. a. S. Bd. 18.102 
VII, 821; XII, 1215 XII, 321; XIV, 499; ferner die 
Abhandlungen von Gerſtenecker Seuff Bl. Bd. 53 S. 1 
und Walter BayRot 3. 1901 S. 64. 

) Siehe Staudinger Anm. IV 5 zu $ 921 BGB. 
Bd. 3 S. 306; Planck Anm. 4b zu Art. 181 EG.; 
RGRgomm. Anm. Szu 21 BB B.; Habicht, Ueberleitung 
S. 398 Ziff. 4; Henle-Schneider Anm. I zu Art. 69 
AG z BGB. und Motive zu dieſem Geſetz en 
Materialien Bd. J S. 446; ſerner RG. 53, 311; JW 
1903 B 39. 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


gangsrechts bezeichnen kann. Hiernach gelten 
für die Vollendung dieſer vor Inkrafttreten 
des BGB. begonnenen Mauern die bisherigen 
Vorſchriften (alſo das alte Münchener Recht).“ 
Für ihre Ablöſung kommt es darauf an, ob die 
Mauer vor oder nach dem Inkrafttreten des BGB. 
ablöſungsfällig geworden iſt. Erſterenfalls be⸗ 
wendet es bei den altrechtlichen Vorſchriſten, letz⸗ 
terenfalls find die Vorſchriften des Art. 68 AG. 
über die Ablöſung neurechtlicher Mauererhöhungen 
entſprechend anzuwenden. Im übrigen unterliegen 
die hier fraglichen Mauern, wie die unter Ziff. 1 
9 den Vorſchriften der 88 921 — 922 


3. Die erſt nach Einführung des BGB. be⸗ 
gonnenen Kommunmauern. Für ihre Errichtung 
und Ablöſung iſt ſchlechthin das neue Recht maß⸗ 
gebend, weshalb man fie als neu rechtliche Be: 
meinſchaftsmauern bezeichnen kann. Dieſe 
Mauern bilden den eigentlichen Gegenſtand unſerer 
Betrachtung. 


II. Wie ſchon hervorgehoben, fehlt in dem 
neuen Recht jede Zwangsvorſchrift für die Er⸗ 
richtung gemeinſchaftlicher Grenzmauern. Solche 
Mauern können daher nur mehr kraft Geſtattung 
des Nachbars, alſo als bewilligte Gemein: 
ſchafts mauern, entſtehen. Wie ſchon er⸗ 
wähnt, erfolgt dieſe Bewilligung hier regel⸗ 
mäßig ganz formlos durch Unterzeichnung des 
polizeilichen Bauplans mit der darin vorgeſehenen 
„kommun“ zu erbauenden Mauer. Gerade die 
Unſcheinbarkeit dieſes Vorgangs hat aber dazu ge⸗ 
| führt, daß man bei der Erörterung des jo ge 
ſchaffenen Verhältniſſes deſſen vertragsmäßige Natur 
nicht genügend beachtet und es, ſtatt in erſter Linie 
nach dem Willen der Vertragsparteien zu fragen, 
zu ſchematiſch aus den ſachenrechtlichen und bereiche⸗ 
rungsrechtlichen Grundſätzen des BGB. zu kon⸗ 
ſtruieren geſucht hat. Stellt man aber die Frage 
nach dem, was die Beteiligten eigentlich wollen, 
in die erſte Linie, ſo erkennen wir in der Ein⸗ 
zeichnung der Mauer als „Kommunmauer“ in 
den Bauplan und der Genehmigung dieſes Planes 
durch den Nachbarn die einfache Willenseinigung 
der beiden Grundſtückseigentümer, daß die Mauer 
eben nach wie vor in dem hier gebräuchlichen 
Sinn „kommun“, alſo als Kommunmauer im 
Sinne des oben dargelegten, bisherigen Mün⸗ 
chener Rechts aufgeführt werden ſoll. Die Frage 
iſt nun lediglich weiter, welche Wirkung einer 
ſolchen Vereinbarung nach dem jetzigen Recht, und 
zwar ſowohl hinſichtlich der formellen Gültigkeit, 
wie hinſichtlich des ſachlichen Inhalts beizumeſſen iſt. 


) Iſt jedoch die Erhöhung einer beſtehenden 
Kommunmauer vor Inkrafttreten des BGB. begonnen, 
aber nicht vollendet worden, fo iſt nach dem zweiſel⸗ 
loſen Wortlaut der Art. 68,09 AG. für den Weiterbau 
vom Inkrafttreten des BGB. ab der Art. 68 AG. maß— 


gebend. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 239 


Betrachten wir zunäaͤchſt dieſe letztere Seite der 
Hommunmauervereinbarung, ſo iſt ſoviel ſicher, 
daß nach den Grundſätzen des BGB. durch Partei⸗ 
vereinbarung nicht mehr ein gemeinſchaftliches Eigen⸗ 
tum an der auf der Grenze errichteten Mauer 
begründet werden kann. Regelmäßig fällt viel⸗ 
mehr nach der zwingenden Vorſchrift des $ 94 
BGB. der auf jedem der beiden Grundſtücke ſtehende 
Mauerteil in das Alleineigentum des betr. Grund⸗ 
eigentümers. Hieraus kann jedoch nicht geſchloſſen 
werden, daß die Kommunmauervereinbarung als 
auf einen unmöglichen Erfolg gerichtet ohne wei⸗ 
teres nichtig wäre ($ 306 BGB.). Denn der Wille 
der Beteiligten geht ſelbſtverſtändlich nicht unbedingt 
gerade auf die Rechtsform des Miteigentums an 
der Mauer im Sinne des alten Rechts, ſondern 
auf die ſachlichen Wirkungen des alten Kommun⸗ 
mauerverhältniſſes, die mit dieſem verbundenen 
Benutzungs- und Ablöſungsrechte zwiſchen den Nach: 
barn. Ein derartiges Verhaltnis ließe ſich nun 
auch nach jetzigem Recht ungeachtet der Regel des 
§ 94 BGB. ohne weiteres dadurch herbeiführen, 
daß gegenſeitig förmliche Dienſtbarkeiten in 
dieſem Sinne beſtellt') oder ein geſondertes, 
gemeinſchaftliches Kom munmauergrund— 
ſtünck gebildet und deſſen Verhältniſſe nach $ 1010 
BGB. geregelt würden. Dieſe Möglichkeiten 
kommen jedoch bei den formloſen Vereinbarungen 
der hier fraglichen Art nicht weiter in Betracht. 
Doch bietet ſich auch für dieſe Vereinbarungen die 
Möglichkeit ſogar mehrfacher von der Regel des 
8 94 abweichender Auffaſſungen. So könnte man 
hierin die vereinbarungsmäßige Erklärung der 
ganzen Kommunmauer als Beſtandteil des 
Grundſtücks des Erbauers, und zwar ent⸗ 
weder endgültig oder doch bis zur Ablöſung, finden, 
oder die vereinbarungsmäßige Begründung eines 
Ueberbaues im Sinne der 88 912 ff. BGB. oder 
endlich die vertragsmäßige Schaffung einer Grenz⸗ 
einrichtung nach 8921 BGB., Alle dieſe Rechts⸗ 
ſormen des BGB. hat man denn auch auf das 
Kommunmauerverhältnis anzuwenden geſucht. Bei 
näherer Betrachtung des maßgebenden Willens der 
Beteiligten müſſen jedoch die beiden erſten Formen 
ohne weiteres ausſcheiden. Es mag dabei dahin⸗ 
geſtellt bleiben, inwieweit überhaupt durch An⸗ 
erkennung eines über die Grenze gerückten Ge: 
bäudeteils als Beſtandteil des Hauptgebäudes, ins⸗ 
beſondere nach $ 95 BGB., der Grundſatz des $ 94 
BGB. durchbrochen, ) ebenſo, ob in der Tat durch 


) S. hierüber Meisner, Nachbarrecht S. 57 Note 
3—4; Geiershöfer Recht 1905 S. 401 ff., OLG. Nürn⸗ 
berg Bay ZfR. 1907 S. 334, 1912 S. 445, 1914 S. 194 
und Pfirſtinger Bay ZfR. 1907 S. 483. 


) Die Gemeinſchaftsmauer betrachten als Beſtand— 
teil des Erſtbaugrundſtücks bis zum Anbau durch den 
Nachbarn insbeſondere Staudinger Anm. IVI zu 8 921 
BGB.; ferner nun auch RGRHtomm. Anm. 5 a. E. zu 
§ 95 BGB.; Meisner, Nachbarrecht S. 58; Pfirſtinger, 
Die Kommunmauer S. 21; Geiershöfer, Recht 1905 
S. 402; Schmitt Bay ZfR. 1914 S. 58; ebenſo OLG. Düſſel⸗ 


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Vereinbarung der Nachbarn ein wirkliches — ding⸗ 
liches — Ueberbauverhältnis nach 8 912 BGB. 
begründet werden kann.“) Ebenſo kann unerörtert 
bleiben, wie im Falle eines Beſitzwechſels dem 
neuen Eigentümer des Nachbargrundſtücks gegen⸗ 
über ein Recht auf Belaſſung der Kommunmauer 
aus deren Beſtandteilseigenſchaft oder ein Anbau⸗ 
recht des Nachbars gegenüber einem neuen Eigen⸗ 
tümer des Erſtbaugrundſtücks aus dem Ueberbau⸗ 
verhältnis hergeleitet werden ſoll, obwohl beides 
doch zum Weſen des Kommunmauerverhältniſſes 
gehört. Denn nach der Natur der Sache muß, 
wenn ein ſolches Beſtandteil⸗ oder Ueberbauver⸗ 
hältnis durch Vereinbarung begründet werden ſoll, 
vor allem doch der Wille der Vertragsparteien 
darauf gerichtet ſein, daß der über die Grenze 
geſetzte Gebäudeteil ein Beſtandteil oder Ueberbau 
des Hauptgebäudes, alſo ein für dieſes errichteter 
und ausſchließlich zu ihm gehörender Bauteil fein 


dorf JW. 1912 S. 491 und OLG. Dresden JW. 1912 
S. 1037. Dagegen für Eigentumsteilung nach der Grenz⸗ 
linie Buſch BaygfR. 1914 S. 157; Buhmann BayzgfR. 
1914 S. 198; RG. JW. 1911 S. 366 Z. 20, obwohl auch das 
R. an ſich die Erſtreckung eines Grundſtücksbeſtandteils 
auf ein anderes Grundſtück zuläßt (ſ. RG Z. 65, 363; 
72, 272 und RGR Komm. Anm. 1 und 3 zu 8 94 BGB.). 
Ebenſo für unbeſchraͤnkte Eigentumsteilung nach de 
Grenze hinſichtlich der von dem Eigentümer beider 
Grundſtücke aufgeführten Kommunmauer OLG. Münt 
chen vom 1. Mai 1912 L 76/12 und vom 15. März 1913» 
L 681/12 (Seuff A. Bd. 67 Nr. 204 und BaygfR. 1914 
S. 180 — 181). 

s) Gegen die Anwendbarkeit der Ueberbauvor⸗ 
ſchriften auf vertragsmäßige Verhältniſſe OLG. Ham⸗ 
burg Recht 1910 Nr. 3925 und RG Z. 65, 361, ſowie 
Recht 1913 Nr. 3014, auch JW. 1914 S. 40; ebenſo Wein 
Bay 3fR. 1913 S. 455 Note 8 und Buhmann BayzfR. 
1914 S. 198; dagegen für Auffaſſung der KHommun⸗ 
mauer vor dem Anbau als geſtatteter Ueberbau OLG. 
München, Urteile vom 17. Januar 1914 L 488/13 und 
L 336/13 (Bay gfR. 1914 S. 181) unter Berufung auf 
RG. 52, 17 und 74, 87 (nach dieſen Entſcheidungen 
kann ein Ueberbauverhältnis auf Grund von Verein⸗ 
barungen entſtehen, die den Herſteller zu der Annahme 
berechtigten, daß er über die Grenze bauen dürfe, 
ohne daß jedoch dieſe Annahme begründet war). Von 
der Auffaſſung der Kommunmauer als Ueberbau gehen 
auch aus Meikel Bay Not. 1901 S. 227 und Schmidt 
Bay Not Z. 1907 S. 47. Meisner, Nachbarrecht S. 58 
Note 1—5 nimmt an, daß im Falle eines Eigentums⸗ 
wechſels der Erwerber des Nachbargrundſtücks die 
Kommunmauer bis zum Anbau als Ueberbau dulden 
müſſe, weil der Erbauer auf Grund der Bauerlaubnis 
des früheren Eigentümers habe annehmen dürfen, daß 
er über die Grenze bauen könne. Allein da für Meisner 
die Unwirkſamkeit des formloſen Kommunmauerver— 
trags gegenüber dem Beſitznachfolger von vornherein 
feſtſteht, kann er auf dieſen Vertrag auch keinen guten 
Glauben des Erbauers gegenüber dem Beſitznachfolger 
ſtützen. Dies betonen auch Wolff, Der Grenzüberbau 
S. 97 Note 16, und Buhmann Bay 3fR. 1914 S. 199. 
Oberneck, Reichsgrundbuchrecht Bd. 1 S. 641, nimmt die 
Entſtehung eines Ueberbauverhältniſſes wenigſtens an, 
wenn der gemeinſchaftliche Eigentümer beider Grund— 
ſtücke auf die Grenze gebaut hat und die Grundſtücke 
ſpäter getrennt werden. Die hieſige Uebung kennt 
jedenfalls trotz der Vorſchrift des § 914 Abſ. 2 BGB. 
feine Ueberbaurenten bei neurechtlichen Gemeinſchafts— 
mauern. 


240 


fol. An dieſem Willen fehlt es aber dei der 
„kommunen“ Aufführung der Grenzmauer von 
vornherein. Denn ſelbſtverſtändlich geſtattet der 
Nachbar die „kommune“ Aufführung der Grenz⸗ 
mauer nicht aus reinem Entgegenkommen, ſondern 
mit Rückſicht darauf, daß dieſe auch in ſeinem 
eigenen, wohl verſtandenen Intereſſe liegt, weil 
fie ihn für den Fall der Bebauung ſeines eigenen 
Grundſtücks der Notwendigkeit enthebt, allein eine 
volle Grenzmauer aufzuführen, und ebenſo iſt ſich 
der Erbauer der Kommunmauer von vornherein 
darüber klar, daß er im Falle der Bauführung 
auf dem Nachbargrundſtück dem Angrenzer die 
Benützung der Kommunmauer, wenn auch gegen 
Ablöſung, geſtatten muß. Die Kommunmauer 
iſt alſo von Haus aus nicht ein im Intereſſe des 
erſtbauenden Grundſtückseigentümers, ſondern eine 
im beiderſeitigen Intereſſe geſchaffene Einrichtung 
und an dieſer ihrer Natur wird nichts dadurch 
geändert, daß die volle Verwirklichung des In⸗ 
tereſſes des einen Grundeigentümers erſt der Zu⸗ 
kunft vorbehalten und auch noch von der vorherigen 
Ablöfung der Kommunmauer abhängig ſein ſoll.“) 

Hiernach iſt die Bewilligung der „kommunen“ 
Aufführung einer Grenzmauer durch den Nachbarn 
nichts anderes als eine auf Schaffung einer Grenz⸗ 
einrichtung im Sinne des $ 921 BGB. 
gerichtete Vereinbarung. Als eine derartige Ein⸗ 
richtung hat nach 8 921 BGB. eine Mauer zu 
gelten, die zwei Grundſtücke ſcheidet, zum Vorteil 
beider Grundſtücke dient und zu deren Benützung 
die beiden Nachbarn gemeinjchaftlich berechtigt find. 
Alle dieſe Vorausſetzungen ſind ſchon mit der Er⸗ 
bauung der bewilligten Gemeinſchaftsmauer gegeben. 
Daß dieſe, um als Grenzeinrichtung gelten zu können, 
geradezu beſtimmt ſein müſſe als Scheidemauer zu 
dienen, iſt keineswegs erforderlich. Vielmehr genügt 
ſchon nach dem Wortlaut des Geſetzes, daß die 
Mauer tatſächlich die beiden Grundſtücke ſcheidet, 
d. h. eben auf der Grenze fleht.““) Die Mauer 


) Aus dem gleichen Grunde gegen die Annahme 
eines Ueberbauverhältniſſes Pfirſtinger Seuff Bl. Bd. 67 
S. 100. Die gleiche Auffaſſung der Kommunmauer 
als einer Gemeinſchaftseinrichtung ſchon vor dem An— 
bau liegt dem Urteil des OLS. München vom 1. Mai 
1912 L 76/12 und der Abhandlung von Mannherz 
JW. 1912 S. 491 zugrunde S. auch Höniger ArchBürgR. 
Bd. 35 S. 282, der bei Trennung zweier Grundſtücke mit 
gemeinſchaftlicher Grenzmauer ein ſchon von vorn: 
herein begründetes Gemeinſchaftsverhältnis nach 8 921 
BGB. annimmt, und die franzöſiſch-rechtlichen Dar⸗ 
legungen in RGZ3. 72, 272; ferner Wolff, Der 
Grenzüberbau S. 105 (f. entſprechende Anwendung des 
8 922 BGB. bei Trennung der beiden Grundſtücke). 
Für die Auffaſſung der Kommunmauer als Grenz— 
einrichtung von der Erbauung ab nun entſchieden 
auch Buhmann BaygfR. 1914 S. 199. Mit Unrecht 
hat dagegen die Entſcheidung des OLG. Nürnberg 
Bay 3fR. 1907 S. 335 in einem derartigen Fall die 
Beſtimmung zur gemeinſchaftlichen Benutzung vermißt. 

10) Die gegenteilige Anſicht in RG. 70, 204 wird 
von Staudinger Anm. I Abſ. 2 zu $ 921 BGB. mit 
Recht abgelehnt. Ebenſo auch Meisner, Nachbarrecht 
S. 43 Note 1, und Mannherz JW. 1912 S. 491. Auch 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


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dient auch ſchon, mit ihrer Aufführung dem Bor: 
teil beider Grundſtücke, und zwar dem Vorteil des 
Grundſtücks, auf dem ein Anbau noch nicht beſteht, 
eben dadurch, daß ſie deſſen künftige Bebauung 
erleichtert, da ja beide Nachbarn von vornherein 
darüber einig ſind, daß die Mauer auch von dem 
Angrenzer zur Bauführung benutzt werden darf. 
Dieſe Eigenſchaft der Mauer kommt auch ſchon 
vor dem Anbau dadurch zum Ausdruck,“) daß 
ſie ſchon zum Teil im Baubereich des Nach⸗ 
bars aufgeführt iſt. Ueberdies wird regelmäßig 
die Mauerſeite nach dem Nachbargrundſtück für 
den Anbau rauh belaſſen und auch damit die Be⸗ 
ſtimmung der Mauer für dieſes Grundſtück äußerlich 
ausgedrückt. Das Beſondere des Falles beſteht nur 
darin, daß der Nachbar, wenigſtens regelmäßig, 
die Gemeinſchaftsmauer nicht ſofort benutzt und 
daß ihm weiterhin nach dem Willen der Parteien 
die Benutzung der Mauer durch Anbau nur gegen 
Ablöſung des Wertes des von ihm beanſpruchten 
Mauerteiles freiſtehen ſoll. Dieſe beiden Beſonder⸗ 
heiten ſchließen jedoch keineswegs aus, daß die 
Kommunmauer ſofort, d. h. ſchon vor erfolgtem 
Anbau als Grenzeinrichtung zu betrachten iſt. 
Denn, wie erwähnt, muß die Grenzeinrichtung nur 
zum Vorteil beider Grundſtücke dienen, d. h. deren 
vorteilhaftere Benutzung ermöglichen. Damit iſt 
jedoch nicht geſagt, daß dieſe Möglichkeit im ein⸗ 
zelnen auch ſchon voll ausgenützt fein muß. 
Ebenſo iſt zum Begriff der Grenzeinrichtung nicht 
erforderlich, daß die Benutzbarkeit unbedingt 
und unbeſchränkt ſein muß. Der $ 922 BGB. 
beſtimmt allerdings: „Sind die Nachbarn zur Be 
nutzung einer der im § 921 bezeichneten Einrich⸗ 
tungen gemeinſchaftlich berechtigt, ſo kann ſie jeder 
zu dem Zwecke, der ſich aus ihrer Beſchaffenheit 


die Auffaſſung der altrechtlichen Kommunmauern als 
nunmehrige Grenzeinrichtungen (Note 4 oben) ſchließt 
die Einſchränkung des Begriffs der Grenzeinrichtung 
auf Scheidemauern aus. Dagegen für den Stand⸗ 
punkt des RG. RGRKomm. Anm 3 zu 8 921 und Wein, 
Bay ZfR. 1913 S. 474. 

Umgekehrt will Tinſch, Münchener Stadtrecht S. 31, 
für das alte Münchener Recht nur die Hausmauer als 
Kommunmauer im Sinne dieſes Rechts gelten laſſen. 
Dieſe Meinung widerſpricht jedoch ſchon der früheren 
Münchener Uebung; auch das Bayer. AGz BGB. ſcheidet 
in feinen Art. 68 ff. nicht zwiſchen Haus- und ſonſtigen 
Grenzmauern, und in der Tat werden auch noch jetzt 
im hieſigen Bauleben alle kommun gebauten Grenz⸗ 
mauern hinſichtlich Anbau und Ablöſung gleich be⸗ 
handelt. 

10 Ueber dieſes Erfordernis ſ. Staudinger Anm.! 
Abſ. 4 lit. b zu § 921 BGB. 

12) Meisner, Nachbarrecht S. 58 59, und Pfirſtinger, 
Die Kommunmauer S. 16, meinen allerdings, vor dem 
Anbau ſei eine Grenzeinrichtung noch nicht vorhanden. 
weil die Mauer inſolange nicht zum Vorteil beider 
Grundſtücke diene. Nach ihrer Anſicht ſoll die Mauer, 
die bis zum Anbau lediglich Beſtandteil des Gebäudes 
auf dem Erſtbaugrundſtück iſt, erſt durch den Anbau 
Grenzeinrichtung werden. Allein hierbei ergibt ſich 
ſofort die Frage, mit welchem Rechte auf Grund dieſer 
Auffaſſung der Nachbar, beſonders nach erfolgtem Bes 
ſitzwechſel, anbauen darf. 


— —— —A— —ſ — 


ZBettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


241 


ergibt, inſoweit benutzen, als nicht die Mitbenutzung 
des anderen beeinträchtigt wird.“ Der Paragraph 
beſtimmt ſodann weiter, wie die Unterhaltungs⸗ 
koften zu tragen find und unter welchen Voraus⸗ 
ſetzungen die Einrichtung beſeitigt oder verändert 
werden kann und ſagt ſchließlich: „Im übrigen 
beſtimmt ſich das Rechtsverhältnis zwiſchen den 
Nachbarn nach den Vorſchriften über die Gemein⸗ 
ſchaft.“ Demgemäß iſt aber insbeſondere auf die 
Grenzeinrichtung auch die Vorſchrift des 8 745 
BGB. anwendbar, wonach die Verwaltung und 
Benutzung des gemeinſchaftlichen Gegenſtands, alſo 
auch einer Grenzeinrichtung, durch Vereinbarung 
der Teilhaber geregelt werden kann.““) Dies kann 
aber auch in der Weiſe geſchehen, daß die durch 
§ 922 BGB. vorgeſehene regelmäßige Form der 
gemeinſchaftlichen Benutzung vereinbarungsmäßig 
eingeſchränkt oder von Bedingungen abhängig ge⸗ 
macht wird.“) Lediglich als eine ſolche verein: 
barungsmäßige Einſchränkung der Mitbenutzungs⸗ 
befugnis des Nachbarn ſtellt ſich aber die bei der 
Bewilligung der neurechtlichen Gemeinſchaftsmauer 
ſtillſchweigend vorbehaltene Ablöfungspflicht des 
Nachbars dar. Die Bedeutung dieſes Vorbe⸗ 
haltes im Sinne des bei der Bewilligung bezielten, 
altüblichen Zuſtandes iſt eben die, daß der An⸗ 
grenzer die an ſich als benutzungsgemeinſchaftliche 
Grenzeinrichtung aufgeführte Mauer ſeinerſeits zum 
Anbau doch nur benutzen darf, wenn er zuvor die 
in Anſpruch genommene Mauerhälfte ablöſt. Nach 
§ 746 BGB. wirkt aber eine Vereinbarung der 
Teilhaber hinſichtlich der Verwaltung und Be⸗ 
nutzung des gemeinſchaftlichen Gegenſtandes auch für 
und gegen die Sondernachfolger. Damit iſt auch 
dem auf der Grundlage des BGB. vereinbarungs⸗ 
gemäß geſchaffenen Kommunmauerverhäͤltnis die 
für das alte Recht angenommene Wirkung gewahrt, 
daß die Ablöſungspflicht von einem Beſitzwechſel 
der Nachbargrundſtücke unabhängig iſt und im 
Falle des Anbaues zugunſten und zu Laſten des 
jeweiligen Eigentümers der Gemeinſchaftsgrund⸗ 
ſtücke eintritt. 


So ſehen wir unter dem Geſichtspunkt der 
Grenzeinrichtung das durch die Bewilligung einer 
neurechtlichen Gemeinſchaftsmauer begründete Ver⸗ 


1) Für die Zulaäͤſſigkeit vertragsmäßiger Bes 
nutzungsregeln bei der Grenzeinrichtung ſ. Planck 
Anm. 1—2 zu 8 922 BGB.; RGRRomm. Anm 6 zu 
$ 922; Crome, Bürg. R. Bd. II S. 301. Ebenſo Buh⸗ 
mann Bay gZfR. 1914 S. 223. 


14) Die gemäß 8 745 Abſ. 2 BGB. mangels Ver⸗ 
einbarung mögliche Regelung der Verwaltung und Be⸗ 
nutzung durch Urteil kann nach den Motiven (Bd. II 
S. 888) insbeſondere auch durch räumliche Teilung, 
Ueberlaſſung der Nutzungen an einen Teilhaber gegen 
Abfindung des anderen, nach Zeitfriſten wechſelnde 
Benutzung durch die einzelnen Teilhaber erfolgen. 
Ebenſo Oertmann, Recht der Schuldverh. Anm. 4 zu 
8 745 BGB., und RG. Gruchot Bd. 49 S. 837. Um⸗ 
ſomehr iſt eine vereinbarungsmäßige Regelung in dieſer 
Weiſe möglich. 


hältnis vollſtaͤndig gemäß dem nach den altrecht⸗ 
lichen Grundſätzen auszulegenden Willen der Par: 
teien geſtaltet, abgeſehen von dem einen Punkt, 
daß an Stelle des altrechtlichen Miteigentums an 
der Mauer infolge der zwingenden ſachenrechtlichen 
Vorſchriften des BGB. nur eine Benutzungs⸗ 
gemeinſchaft an den in das Alleineigentum der beiden 
Nachbarn fallenden, auf dem einen und dem andern 
Grundſtück ſtehenden Mauerteilen eintritt. 


Aber auch formell ſtehen der dargelegten Auf⸗ 
faffung des Verhältniſſes Schwierigkeiten nicht ent⸗ 
gegen. Daß eine Vereinbarung, welche die Schaffung 
einer Grenzeinrichtung zum Gegenſtand hat, keiner 
Form, insbeſondere nicht der für die Beſtellung 
dinglicher Rechte erforderlichen Form bedarf, iſt 
anerkannt. Es ergibt ſich dies aus der Natur der 
Grenzeinrichtung, bei der es ſich eigentumsrechtlich 
nur um einen tatſaͤchlichen, von dem Geſetz mit 
nachbarrechtlicher Wirkung ausgeſtatteten Zuſtand 
der beteiligten Grundſtücke handelt.“) Hieraus 
folgt ohne weiteres, daß eine ſolche Vereinbarung 
auch ſtillſchweigend getroffen werden kann.““) Eben: 
ſo bedarf auch eine Vereinbarung über die Ver⸗ 
waltung und Benutzung eines gemeinſchaftlichen 
Gegenſtandes, demgemäß auch einer Grenzeinrich⸗ 
tung, keiner Form.“) Die Formvorſchrift des 
8313 BGB. kommt hierfür ebenſowenig wie für 
die Begründung einer Grenzeinrichtung in Betracht, 
da es ſich dabei nicht um eine Verpflichtung zur 
Eigentumsübertragung handelt. Desgleichen ſchlagen 
die Formvorſchriften für die Begründung dinglicher 
Rechte an Grundſtücken hier nicht ein, da die 
Verhältniſſe einer Grenzeinrichtung zwar, wie er⸗ 
wähnt, wohl in der Form der Beſtellung ding⸗ 
licher Rechte geordnet werden können, aber nicht 
müſſen und die Regelung des Verhältniſſes als 
bloßer Grenzeinrichtung nach 88 921-922 BGB. 
eben die Beſtellung eines dinglichen Rechts an dem 
einen oder anderen Grundſtück nicht enthält. Nach 


16) Für dieſe Natur der Grenzeinrichtung 1 Motive 
zu BGB. Bd. III S. 274, Abſ. 3 und S. 277 Ziff. 4 
und RGRKomm. Anm. 6 zu 8 921 BGB. Es iſt 11 05 
nur eine umſchreibende Wendung, wenn die Motive 
anderſeits (Bd. III S. 276 Ziff 3), ebenſo Staudinger 
Anm. I 1 zu 8 922 BGB. hier von einem grunddienſt⸗ 
barkeitsartigen ſubjektiv⸗dinglichen Rechte ſprechen. 
Wolff Recht 1900 S. 447 bezeichnet die Grenzeinrich⸗ 
tung als geſetzliche Dienſtbarkeit. Allein geſetzliche 
Grunddienſtbarkeiten ſind eben nichts anderes als 
nachbarrechtliche Eigentumsbeſchränkungen (ſ. RG. 
Bd. 63 S. 6 und auch Wolff ſelbſt Recht 1 S. 476 
Ziff. 7 Abſ. 4; ferner Walter JW. 1909 S. 746). 


16) Für die Zuläſſigkeit der formloſen Begründung 
eines Grenzeinrichtungsverhältniſſes Meisner, Nachbar⸗ 
recht S. 41; Wolff, Grenzanlagen, Recht 1900 S. 448 
Ziff. 2; OLG. Dresden OG. Bd. 18 S. 130; vgl. auch 
wegen 8313 BGB. OLG. München Bay ZfR. 1914 S. 182. 

) S. RGRKomm. Anm. 6 zu 8 922 BGB. (An⸗ 
wendbarkeit der 8S 744, 745, 746 auf die Grenzein⸗ 
richtungen, insbeſondere Regelung der Verwaltung und 
Benutzung durch einfachen Vertrag), ebenſo Planck 
Anm. 2b zu $ 922 BGB. 


242 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


8 1010 BGB. ſoll allerdings bei dem Miteigen⸗ 
tum an einem Grundſtück, wenn die Miteigen⸗ 
tümer die Verwaltung und Benutzung geregelt haben, 
die Beſtimmung gegen den Sondernachfolger eines 
Miteigentümers nur wirken, wenn ſie als Belaſtung 
des Anteils im Grundbuch eingetragen iſt. Dieſe 
Vorſchrift iſt jedoch ebenfalls auf die bewilligte 
Gemeinſchaftsmauer nicht anwendbar, da es ſich 
bei dieſer nicht um eine Regelung des Miteigen⸗ 
tums an einem Grundſtück handelt, ſondern nur 
um die der Benutzungsgemeinſchaft an den im 
getrennten Eigentum der beiden Nachbarn ſtehenden 
Mauerhälften. Im übrigen erklärt $ 922 BGB. 
auf die Grenzeinrichtungen nur die Vorſchriften 
über die Gemeinſchaft, nicht auch die für das Mit⸗ 
eigentum als anwendbar. Sonach iſt der form⸗ 
loſe neurechtliche KHommunmauervertrag im Sinne 
der obigen Ausführungen rechtsgültig und auch 
gegenüber den Sondernachfolgern der beteiligten 
Grundſtücke rechtswirkſam.“) (Schluß folgt). 


Vargebotserhöhungen. 


Von Amtsrichter Hans Dittrich in München. 


I 


Nach den 88 49 und 52 3G. beſteht das 
Meiſtgebot im Zwangsverſteigerungsverfahren immer 
dann, wenn es nicht vom erſten Hypothekgläubiger 
oder einem dieſem im Range vorgehenden Berech⸗ 
tigten betrieben wird, aus zwei deutlich geſchiedenen 
Teilen, nämlich aus dem Bargebot und dem eine 
geſetzliche Verſteigerungsbedingung bildenden Ge⸗ 
bot der als Beſtandteil des geringſten Gebotes be⸗ 
ſtehen bleibenden Rechte. 

Nun iſt der Fall denkbar, daß ein nach den 
geſetzlichen Verſteigerungsbedingungen bei der Feſt⸗ 
ſtellung des geringſten Gebotes als beſtehenbleibend 


15) Siehe dazu RGRKomm. Anm. 6 zu § 922 BGB. 
(eine Vereinbarung nach 8746 wirkt auch ohne Ein⸗ 
tragung gemäß $ 1010, wenn auch nur ſchuldrechtlich, 
gegenüber den Sonderrechtsnachfolgern), ebenſo Planck 
Anm. 2b zu 8 922, ferner Männer, Sachenrecht S. 178 
Note 125 (die Verwaltung und Benutzung der Grenz— 
einrichtung kann vertragsmäßig geregelt werden; die 
Regelung wirkt für und gegen die Sondernachfolger 
(8 746), immerhin nur obligatoriſch. Sollen die Bes 
fugniſſe der Beteiligten dinglich feſtgelegt werden, ſo 
bedarf es eines dinglichen Vertrags und der Eintragung; 
das Rechtsverhältnis fällt dann in die Kategorie der 
Grunddienſtbarkeiten). Ebenſo (Notwendigkeit der Ein— 
tragung nur bei Regelung der Benutzung in Geſtalt einer 
förmlichen Dienſtbarkeit) ſind zu verſtehen RGRKomm. 
Anm. 6 zu § 921 und die Ausführungen von Turnau— 
Förſter, LiegenſchR. Anm. 4 zu § 1010 und Anm. 2 zu 
8 921— 922. Aber auch dieſen nicht unmittelbar dinglich 


wirkenden Benutzungs vereinbarungen kommt die Wir⸗ 


kung einer Umgeſtaltung des Gemeinſchaftsverhältniſſes 
als ſolchen zu; es kann nur mehr in dieſer Geſtalt 
auf einen ſpäteren Erwerber der Nachbargrundſtücke 


ı 
1 
i 


berückſichtigtes Recht trotz der Eintragung im Grund: 
buch gar nicht beſtand; für Fälle dieſer Art be 
ſtimmt $ 50 3G. : 

I. „Soweit eine bei der Feſtſtellung des geringſten 
Gebotes berückſichtigte Hypothek, Grundſchuld oder 
. (seil. im Augenblick des Zuſchlags) nicht 
beſteht, hat der Erſteher außer dem Bargebot auch 
den Betrag des berückſichtigten Kapitals zu zahlen. 
30 Anſehung der Verzinslichkeit, des Zinsſatzes, der 

ahlungszeit, der Kündigung und des Zahlungsortes 
bleiben die für das berückſichtigte Recht getroffenen 
Beſtimmungen maßgebend. 

II. Das gleiche gilt: 

1. wenn das Recht (erg. zur Zeit des Zuſchlages) 
bedingt iſt und die aufſchiebende Bedingung ausfällt 
oder die auflöſende Bedingung eintritt; 

2. . . . (in gewiſſen Fällen bei Vorliegen einer 
Geſamtbelaſtung) .. 

851 des Geſetzes ſchreibt im Anſchluß hieran 
vor, wie es zu halten iſt, wenn das berückſichtigte 
Recht nicht eine Hypothek, Grundſchuld oder Renten⸗ 
ſchuld, ſondern beiſpielsweiſe eine Dienſtbarkeit iſt. 

Die Erhöhung, die der barzuzahlende Teil des 
Gebotes auf Grund dieſer Beſtimmungen erfährt, 
wird in der Rechtslehre verſchiedenartig bezeichnet: 
Henle ſagt „Erſatzanſpruch“, Jäckel⸗Güthe „Erſatz⸗ 
zahlung“, von der Pfordten „Erhöhung der Bar⸗ 
zahlungspflicht“; Steiner gebraucht abwechſelnd die 
Ausdrücke „Mehrzahlungspflicht“ und „Erhöhung 
der Barzahlung“; ich ſelbſt habe mir den Aus⸗ 
druck „Bargebotserhöhung“ angewöhnt; wenn ich 
im Nachſtehenden dieſen oder einen anderen der 
vorſtehend aufgeführten Ausdrücke gebrauche, ſo 
meine ich ſtets die dem Erſteher nach 88 50, 51 
3G. obliegende Mehrzahlungspflicht. 

Die 88 50 und 51 3G. beruhen auf einem 
durchaus geſunden Gedanken: Der Erſteher ſoll 
nicht infolge des zufälligen Nichtbeſtehens einer 
eigentlich übernommenen Belaſtung einen unver: 
dienten Vorteil haben, der natürlich ſtets zum Schaden 
anderer Beteiligter ausſchlagen wird; auch ſoll ſich 
jeder Bieter ſchon beim Legen des Gebotes genau 
berechnen können, wie hoch ihm das Grundftüd 
zu ſtehen kommt, wenn es ihm zugeſchlagen wird; 
die Summe des Bargebots und des Wertes der 
als Beſtandteil des geringſten Gebots beſtehen 


übergehen (ſ. Oertmann, Recht der Schuldverhältniſſe 
Anm. 2 zu 8 746 BGB.). Dagegen find Staudinger 
Anm. 3 zu § 746, Meisner, Nachbarrecht S. 54, und Wolff, 
Recht 1900 S. 476, der Anſicht, daß Vereinbarungen über 
die Verwaltung und Benutzung einer Grenzeinrichtung 
zur Wirkſamkeit gegenüber den Sondernachfolgern 
ſchlechthin der Eintragung in das Grundbuch bedürfen. 
Ebenſo anſcheinend die Motive zu Art. 70 Bayer. AG. 
(Becher, Mat. Bd. J S. 89). — Für die Wirkſamkeit von 
Benutzungs vereinbarungen gegenüber den Beſitznach— 
folgern iſt allerdings zu fordern, daß es ſich nicht nur 
um eine Vereinbarung vorübergehender und rein per— 
ſönlicher Natur handelt, ſondern wirklich eine dauernde 
Regelung des Benutzungsrechts beabſichtigt iſt. Die 
Wirkung ſolcher Vereinbarungen gegenüber den Sonder— 
nachfolgern tritt anderſeits ohne Rückſicht auf deren 
Kenntnis von der Vereinbarung ein (ſ. Planck Anm. 3 
zu 8746 BGB.). — Im Sinne der Unanwendbarkeit des 
§ 1010 BGB. nun auch Buhmann Bay f. 1914 S. 223. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


243 


bleibenden Rechte zuſammen bilden den Preis 
des Grundſtücks; wird dieſer Preis infolge Nicht⸗ 
beſtehens eines formell beſtehen gebliebenen Rechtes 
gemindert, ſo muß die Minderung um der Ge⸗ 
rechtigkeit willen durch eine Erhöhung des bar zu 
zahlenden Betrages ausgeglichen werden, und zwar 
muß dieſe Erhöhung hinſichtlich Fälligkeit und Ver⸗ 
zinslichkeit genau den gleichen Bedingungen unter⸗ 
liegen wie das weggefallene Recht. Iſt alſo bei⸗ 
ſpielsweiſe das weggefallene Recht eine Hypothek, 
die jeweils am 1. Januar mit 4% verzinslich 
und nach halbjaͤhriger, jedoch bis 1. Januar 1920 
ausgeſchloſſener Kündigung rückzahlbar iſt, ſo iſt 
auch die entſprechende Bargebotserhöhung jeweils 
am 1. Januar mit 4% verzinslich, aber (abgeſehen 
von den fortlaufend fällig werdenden Zinſen) erſt 
nach halbjähriger, bis 1. Januar 1920 ausge⸗ 
ſchloſſener Kündigung zahlbar. 

Juriſtiſch und mathematiſch iſt das ſehr fein 
ausgedacht; nur iſt leider die Art, wie einem an 
ſich durchaus geſunden Grundgedanken zum Durch⸗ 
bruch verholfen wurde und bei dem nun einmal 
herrſchenden ſog. eg der Uebernahme in 
Ermangelung von etwas Beſſerem verholfen werden 
mußte, dem Laien meiſt unverſtändlich und an⸗ 
ſcheinend auch der großen Mehrzahl unſerer Juriſten 
ſchwer geläufig. Und doch wäre es dringend zu 
wünſchen, daß in allen Kreiſen, die mit dem Grund⸗ 
ſtücksverkehr zu tun haben, die Tragweite der 
85 50, 51 3G. ganz erkannt und verſtanden 
wird; denn die Fälle, die durch dieſe Beſtim⸗ 
mungen erfaßt werden, ſpielen in Bayern ſeit Ein⸗ 
führung des Grundbuchrechts eine ziemlich be⸗ 
deutende Rolle. 

Es find ja auch unter dem alten Recht ge: 
legentlich ſolche Fälle vorgekommen; Art. 7 der 
bayeriſchen Subhaſtationsnovelle vom Jahre 1886 
hat ihnen ſogar ausdrücklich Rechnung getragen; 
aber die ſachenrechtlichen Beſtimmungen der in 
Bayern geltenden Rechte und ihre zweckentſprechende 
Anwendung, die ſich gut eingebürgert hatte, haben 
nur verhältnismäßig ſelten zur Anwendung dieſes 
Artikels geführt. Eine weſentliche Aenderung iſt 
in dieſen Verhältniſſen mit der Einführung des 
Grundbuchrechtes und insbeſondere der Eigentümer⸗ 
grundſchuld eingetreten. Nicht als ob es im Weſen 
der Eigentümergrundſchuld an ſich läge, daß der 
Fall des 8 50 fo häufig vorkommt: der Grund, 
weshalb man jo häufig zur Anwendung dieſer ver⸗ 
wickelten Beſtimmungen“) genötigt ift, ſcheint mir 
vielmehr darin zu liegen, daß ſich unſere Notare 
und die juriſtiſchen Berater der Beteiligten in die 
zweckentſprechende Anwendung des neuen Rechts 
noch nicht vollſtändig hineingefunden haben. Auch 
ſonſt iſt ja das Grundſtücksrecht in Bayern durch 
die Einführung des Grundbuchs nicht einfacher 


— 


) Deren ganze Verzwicktheit ſich erſt richtig über⸗ 
ſehen läßt, wenn man dazu die SS 125 und 128 38G. 
vergleicht. 


geworden: was bei uns das Publikum auf Grund 
alteingebürgerter und bewährter Gepflogenheiten in 
der Regel haben will, laßt ſich häufig nur noch 
auf Umwegen und mit Vielſchreiberei erreichen, 
die früher nicht nötig waren; aber während unſere 
Notare in Grundbuchſachen an der Hand der in 
juriſtiſcher Hinſicht ausgezeichneten amtlichen For⸗ 
mularſammlung dieſe Schwierigkeiten im all⸗ 
gemeinen leicht überwunden haben, zeigt ſich bei 
Durchführung der Zwangsverſteigerungen noch ziem⸗ 
lich häufig eine gewiſſe Unſicherheit, die insbeſondere 
auf dem Gebiete der Bargebotserhöhungen gerne 
zutage tritt. Die nachfolgenden Ausführungen ſollen 
dazu beitragen, dieſem Uebelſtand abzuhelfen; ſie 
verzichten deshalb von vorneherein darauf, eine 
erſchöpfende Darſtellung des Rechts der Bargebots⸗ 
erhöhungen zu geben, und wollen nur an einem 
einzigen, aber ſehr häufig vorkommenden und aͤußerſt 
lehrreichen Beiſpiel zeigen, daß die Bargebots⸗ 
erhöhung an allen Ecken und Enden lauert, daß 
fie den Richter oft vor ſehr ſchwierige und faft 
unlösbare Rechtsfragen ſtellt, daß ſie aber in der 
Regel, natürlich wiederum nur auf Umwegen, ver⸗ 
hältnismäßig leicht vermieden werden kann. 


II. Sachverhalt. 


a) Johann Mayer iſt ſeit dem Jahre 1900 
Eigentümer des Grundſtücks Pl.⸗Nr. 20 in Felden; 
in Felden iſt das Grundbuch ſeit dem 1. Mai 1905 
angelegt. Auf dem Grundſtück iſt in Abteilung III 
folgendes eingetragen: 

1/I. Am 20. Auguſt 1904. Hypothek für 20000 M 
Pfandbriefdarlehen der Pfandbriefbank Felden, A.⸗G. 
in Felden, vom 1. Auguſt 1904 ab mit 4 v. H. ver⸗ 
zinslich und durch Zinszuſchläge von ½ v. H. in der 
Art zu tilgen, daß während 55 !/s Jahren Halbjahres⸗ 
annuitäten von 450 M jeweils am 1. Februar und 
1. Auguſt, erſtmals am 1. Februar 1905, letztmals am 
1. Februar 1960, entrichtet werden. 

2000 M Kaution für nicht bevorzugte Zinſen, Koſten, 
Schäden, Vertragsſtrafen und ſechsprozentige Ber: 
zugszinſen. 

2/II. Am 10. Mai 1906. 10 000 M Hypothek ohne 
Brief des Kaufmanns Zwanziger in Felden 

3. Am 10. Mai 1906. Vormerkung zur Sicherung 
des Anſpruchs des Gläubigers der Hypothek 2/II auf 
Löſchung der Hypothek 1 /I, wenn und ſoweit ſie ſich 
mit dem Eigentum in einer Perſon vereinigt. 


Am 2. Mai 1910 wird das Grundſtück zum 
Zweck der Zwangsverwaltung, am 10. April 1911 
wird es auf Antrag des Gläubigers der 2. Hypo⸗ 
thek zum Zweck der Zwangsverſteigerung beſchlag⸗ 
nahmt. Zu dem auf 1. Oktober 1911 beſtimmten 
Verſteigerungstermin, in dem auch gleich der Zu⸗ 
ſchlag erteilt wurde, meldet die Bank an: 


Koſten des Zwangsverwaltungs⸗ und 


Zwangsverſteigerungsverfahrens . 20 — 


Annuitätenrate. vom 1. Februar 1910. 450.— 
6% Verzugszinſen hieraus vom 1. Fe⸗ 

bruar 1910 bis 30. September 1911. 45.— 
Annuitätenrate vom 1. Auguſt 1911.3. 450.— 
6 %ũʃꝓ Verzugszinſen hieraus vom 1. Auguſt 

bis 30. September 19iI1I1 4.50 


244 


Effektivreſtkapital am 1. Auguſt 1911:) . 19 199.90 
4% Zinſen hieraus vom 1. Auguſt bis 30. Sep⸗ 

tember 1911111111 128.— 

Nachaltem bayeriſchen Subhaſtationsrecht konnte 
man das geringſte Gebot unmittelbar auf dieſe 
Anmeldung aufbauen (vgl. Ortenau⸗Henle zu Art. 4 
der Novelle). Tat man dies, ſo waren Weiterungen 
nicht zu befürchten: die fälligen Annuitätenraten 
und die Zinſen ſeit 1. Auguſt waren zu bezahlen 
(Art. 8 Abſ. III der Novelle); das Effektivreſt⸗ 
kapital und die Nebenkaution waren zu übernehmen, 
erſteres gegen Anrechnung auf den Strichſchilling 
(Art. 6 der Novelle), letztere, ſoweit ſie ſich auf 
künftige Anſprüche bezog, ohne Anrechnung Art. 8 
Abſ. III der Novelle); nebenher waren die in die 
Nebenkaution fallenden Koſten und Verzugszinſen 
gem. Art. 8 Abſ. II der Novelle bar zu erlegen. 

Anders liegt die Sache nach Grundbuch- und 
Zwangsverſteigerungsrecht, da hier die durch die 
Annuitätenzahlungen getilgten Beträge in der Regel 
nicht erloͤſchen, ſondern kraft Geſetzes zu Eigen⸗ 
tümergrundſchulden werden oder auf Dritte über⸗ 
gehen. Will man hier klare Verhältniſſe ſchaffen, 
ſo bleibt nichts anderes übrig, als daß man der 
Sache auf den Grund geht. Die Notare tun dies 
in der Regel nicht und überlaſſen dieſe Taͤtig⸗ 
keit dem mit dem Verteilungsverfahren befaßten 
Vollſtreckungsrichter. Die Folge iſt, daß in Fällen, 
wie dem hier geſchilderten, der Notar das geringſte 
Gebot (abgeſehen von den Koſten des Verfahrens und 
den Anſprüchen des § 10 Nr. 1-3 3 WG.) in der 
Regel folgendermaßen berechnet: 


a) als Beſtandteil des geringſten Gebots bleibt 
beſtehen: die Hypothek der Pfandbriefbank Felden zu 
20 000 ) ſamt der zehnprozentigen Nebenkaution, 

b) bar zu zahlen ſind folgende Anſprüche der Pfand⸗ 
briefbank Felden: 


Koſte nnn 2 20.— 
Annuitätenrate vom 1. Februar 1910 450.— 
Berzugszinfen hieraus bis 30. September 1911 45.— 

desgl. bis 15. Oktober 1911) 1.13 
Annuitätenrate vom 1. Auguſt 1911 450.— 
Verzugszinſen hieraus bis 30 September 1911 4.50 

desgl. bis 15. Oktober 19119 . 1.13 
4% Zinſen aus 19 199.90 u Effektivreſt⸗ 

kapital vom 1. Auguſt bis 30. Sep⸗ 

tember 1c9˙11l en 128.— 

desgl. bis 15. Oktober 19119) 32.— 


Beſondere Verſteigerungsbedingungen werden 
meiſt nicht vereinbart. Dem Erſteher wird alſo 


) d. i. der Betrag, der nach Zahlung der am 
1. Februar 1910 und 1. Auguſt 1911 verfallenen 
Annuitätenraten noch geſchuldet wird. 

2) Statt deſſen kann man gelegentlich auch leſen: 
„Die Hypothek der Pfandbriefbank Felden zu nominal 
20000 UM im Effektivreſtbetrag von 19199.90 f.“ Dieſe 
Faſſung iſt zum mindeſten unklar, da fie nicht deut— 
lich erſehen läßt, ob die vollen 20000 M oder nur 
19 199.90 M beſtehen bleiben ſollen; in einem derartigen 
Fall, wo einer meiner Kollegen deshalb eine Rückfrage 
an den Notar machte, erwiderte dieſer, daß nur der 
Effektivreſtbetrag aufrecht erhalten werden ſollte; dies 
war ohne Aufſtellung einer beſonderen Verſteigerungs⸗ 
eee, in dieſem Sinne unzuläſſig. 

7 3G. 


584 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


das Grundſtück in der Regel unter den geſetzlichen 
Verſteigerungsbedingungen unter Aufrechterhaltung 
der Bankhypothek und der Nebenkaution im vollen 
Betrag zugeſchlagen. 

b) Wenn es nun zur Verteilung des Erlöſes 
kommt, wird ſich das Vollſtreckungsgericht ver- 
anlaßt ſehen, das rechtliche Schickſal der Bank⸗ 
hypothek ſamt Nebenkaution feſtzuſtellen; durch 
Anfrage bei der Bank und Einſicht der Zwangs⸗ 
verwaltungsakten und auf Grund der vom Er⸗ 
ſteher ie Quittungen über die ſeit dem 
Zuſchlag für Rechnung des Strichſchillings bereits 
geleiſteten Zahlungen wird ſich hier beiſpielsweiſe 
folgendes ermitteln laſſen: 

Die jeweils fälligen Annuitäten wurden (ab⸗ 
geſehen von den Annuitäten ſeit 1. Februar 1910) 
ſtets ziemlich pünktlich bezahlt; Anhaltspunkte 
dafür, daß die Zahlungen jemals von dritter 
Seite geleiſtet worden wären, ſind nicht vorhanden; 
getilgt wurden: 


e Rate, fälligam 1. Februar 1905:50.— 47 
1. Auguſt 1905:51.— M 
1. Februar 1906: 52.— M 


" ” "n 


7 „ I. Auguſt 1906:53.—4 
5 : ee „ 1. Februar 1907:54.10.4M 
„ 6. „ „ 1. Auguſt 1907: 55.204 
„ Deny „ 1. Februar 1908: 56.401 
„ 8. „ f 1. Auguſt 1908: 57.601 
N „ 1. Februar 1909: 58.807 
„ 10. „ 1. Auguft 1909: 60.— M 
E le 61.20 durchdie 13. Rate: 63.604 
„ 12. „ 62.4047 „ 14. „ 61.804 


die 11. und 12. Rate, verrechnet auf die Raten 

vom 1. Auguſt 1910 und 1. Februar 1911, 

wurden vor dem Verſteigerungstermin aus der 

Zwangsverwaltungsmaſſe gedeckt, die 13. und 

14. Rate, verrechnet auf die Raten vom 1. Fe⸗ 

bruar 1910 und 1. Auguſt 1911, nach dem Ver⸗ 

ſteigerungstermin (wollen wir annehmen: am 

1. November 1911) vom Erſteher für Rechnung 

des Strichſchillings bezahlt. 

Bei dieſem Sachverhalt waren von den 

20 000 M Hauptſachehypothek im Augen: 

blick der Erteilung des Zuſchlags: 

1. 50 M infolge der erſten noch unter dem alten 
bayeriſchen Hypothekenrecht erfolgten Annui⸗ 
tätenzahlung erloſchen, 

2. 498.10 M infolge der 2. mit 10. Annuitäten: 
zahlung Eigentümergrundſchuld des Mayer 
geworden. 

3. 123.60 M durch Zahlung aus der Zwangs 
verwaltungsmaſſe gem. $ 1181 Abſ. 1 BGB. 
erloſchen und 

4. 19 199.90 M + 63.60 1 4 64.80 1 = 
19 328.30 M noch Hypothek der Pfandbrief⸗ 
bank Felden; bezüglich der letztgenannten Be: 
träge von 63.60 “ und 64.80 M zeigt ſich 
hierbei die eigenartige Erſcheinung, daß ſie 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


im geringſten Gebot eigentlich doppelt berück⸗ 
ſichtigt find, nämlich einmal im Rahmen der 
beſtehenbleibenden Hauptſachehypothek und ein⸗ 
mal als Teil der zwei bar zu bezahlenden 
rückſtändigen Annuitätenraten, ohne daß da⸗ 
durch gegen das Geſetz verſtoßen würde. 
Hinſichtlich der Nebenkaution iſt aus dem 
wiedergegebenen Akteninhalt erſichtlich, daß darauf 
nur ganz geringfügige Forderungen entſtanden 
find: ſogar für die 20 Koſten, die nach altem 
bayeriſchen Hypothekenrecht nur im Rahmen der 
Nebenkaution hätten berückſichtigt werden können, 
haftet nunmehr gem. $ 1118 BGB. das Grund⸗ 
ſtück ſchon auf Grund der Hauptſachehypothek; 
nur die Verzugszinſen, für die (in unſerem 
Fall!) nach dem Inhalt des Grundbuchs die 
Hauptſachehypothek nicht haftet, können (in un⸗ 
ferem Fall!) nur im Rahmen der Nebenkaution 
verlangt werden. Auch dieſe Verzugszinſen treten 
bei der Feſtſtellung des geringſten Gebots zwei⸗ 
mal in die Erſcheinung, naͤmlich einmal im 
Rahmen der beſtehenbleibenden Nebenkaution und 
einmal als barzuzahlender Anſpruch; ihre Berück⸗ 
ſichtigung als barzuzahlender Anſpruch wäre, 
wie oben dargelegt, nach altem bayeriſchen Sub⸗ 
haſtationsrecht in Ordnung geweſen; nach dem 
jetzt geltenden Recht iſt ſie jedoch ein Fehler, der 
faſt regelmäßig gemacht wird: ſie durften ohne 
Aufſtellung einer beſonderen Verſteigerungsbedin⸗ 
gung nur im Rahmen der Nebenkaution, d. h. 
als Beſtandteil eines beſtehenbleibenden Rechtes 
berückſichtigt werden.“) Da allerdings die Art 
der Feſtſtellung des geringſten Gebots für den 
Verteilungsrichter nicht bindend iſt, wird das Voll⸗ 
ſtreckungsgericht die Verzugszinſen bei der Ver⸗ 
teilung des Erlöſes nicht unter die barzuzahlenden 
Anſprüche aufzunehmen und auf dieſe Weiſe den 
Fehler des Verſteigerungsbeamten zu berichtigen 
haben. Im übrigen ergibt ſich aus dem Geſagten, 
daß auf die Nebenkaution im Augenblick der Er⸗ 
teilung des Zuſchlags nur 49.50 ½ Forderungen 
entſtanden waren, während ſie im Reſtbetrag von 
1950.50 M nicht ausgefüllt war. 


III. 


In dem in Ziff. II erörterten Fall kommen 
folgende Bargebotserhöhungen in Betracht: 

1. Eine Bargebotserhöhung von 50, 
weil zu dieſem Betrag die im geringſten Gebot 
als beſtehenbleibend berückſichtigte Bankhypothek im 
Augenblick des Zuſchlags bereits erloſchen war. Da 
dieſe 50 M ein bereits am 1. Februar 1905 fällig 
gewordener Hypothekteil ſind, iſt dieſe Bargebots⸗ 
erhöhung ſchon ſällig; ſie iſt ferner gleich der Bank⸗ 
hypothek mit 4 %e verzinslich. Einige Schwierig⸗ 
keit verurſacht die Löſung der Frage, von welchem 

5) Anders natürlich, wenn die Verzugszinſen, 
wie dies nun bei allen neueren Bankhypotheken der 
Fall iſt, bereits als Nebenleiſtung der Hauptſache— 
hypothek im Grundbuch eingetragen ſind. 


245 


Tag ab Zinſen zu entrichten find; man wird als 
Tag des Zinsbeginns den Tag des Zuſchlags, alſo 
den 1. Oktober 1911, annehmen können, weil mit 
dieſem Tag der an ſich erloſchene Hypothekteil von 
50 M in Geſtalt einer Bargebotserhöhung zu neuem 
Leben erſtanden iſt und der Erſteher, wenn die 
Hypothek zu dieſem Betrag noch beitände, gem. 
9 56 Satz 2 3G. vom Zuſchlag an deren Zinſen⸗ 
laſt zu tragen hätte. 

2. Eine bedingte Bargebotserhöhung 
von 498.10 M, weil bezüglich dieſes infolge der 
Annuitätenzahlungen zur Eigentümergrundſchuld 
gewordenen Betrags für den Nachhypothekgläubiger 
Zwanziger ein Löſchungsanſpruch beſteht. Die Bar⸗ 
gebotserhöhung iſt doppelt bedingt dadurch, daß 
a) Zwanziger von ſeinem Löſchungsanſpruch Ge⸗ 
brauch macht und b) im Vollzug dieſes Löſchungs⸗ 
anſpruchs die Eigentümergrundſchuld auch wirklich 
gelöſcht wird; im übrigen iſt fie nach $ 125 Abſ. 2 
3G. zu behandeln. Der Richter wird, beſonders 
dann wenn die bedingte Bargebotserhöhung nicht 
dem Erſteher ſelbſt zugute kommt, tunlichſt be⸗ 
ſtrebt ſein, die Rechtslage bis zum Verteilungs⸗ 
termin vollſtändig zu klären, indem er darauf hin⸗ 
wirkt, daß ſich Zwanziger beſtimmt darüber er⸗ 
klaͤrt, ob er von ſeinem Löſchungsanſpruch Gebrauch 
macht; bejaht er dies, ſo kann man unter Um⸗ 
ſtänden ſogar darauf hinwirken, daß die Löſchung 
noch vor dem Verteilungstermin vollzogen wird, 
wodurch dann zwar nicht die Bargebotserhöhung 
als ſolche, aber wenigſtens ihre beſonders ſtörend 
wirkende Bedingtheit beſeitigt wird. 

Auch dieſe 498.10 ½ betreffen einen ſchon 
fälligen Hypothekteil; die (bedingte) Bargebots⸗ 
erhöhung iſt deshalb ebenfalls bereits fällig. 

Aus der Eigentümergrundſchuld waren, ſolange 
ſie wirklich Eigentümergrundſchuld war, gem. 
5 1197 Abſ. 2 BGB. keine Zinſen zu entrichten; 
durch das neben dem Verſteigerungsverfahren her⸗ 
gehende Zwangsverwaltungsverfahren wurde daran 
für unſeren Fall nichts geändert, weil Mayer die 
ihm nach $ 1197 Abſ. II BGB. für die Dauer 
der Zwangsverwaltung gebührenden Zinſen nicht 
allgemein, ſondern nur aus der Zwangsverwaltungs⸗ 
maſſe beanſpruchen konnte (vgl. RGZ. 60, 359). 
Ein allgemeines Recht des Mayer auf Verzinſung 
ſeiner Eigentümergrundſchuld entſtand jedoch in 
dem Augenblick, wo ſein Recht aufhörte, eine Eigen⸗ 
tümer grundſchuld zu fein, d. h. mit dem Zuſchlag, 
durch den der Erſteher Eigentümer des belaſteten. 
Grundſtücks wurde. Hienach iſt die „Eigentümer⸗ 
grundſchuld“ und demnach auch die (bedingt) an 
ihre Stelle tretende Bargebotserhöhung von 498.107 
ebenfalls vom 1. Oktober 1911 ab mit 4% verzins⸗ 
lich. Gegen die Annahme der Verzinslichkeit der 
ehemaligen Eigentümergrundſchuld könnten hier 
inſofern einige Bedenken beſtehen, als ſich durch 
ihre Verzinslichkeit die Summe der aus der Bank⸗ 
hypothek geſchuldeten wiederkehrenden Leiſtungen 
erhöhen würde; das Bedenken iſt aber nicht ſtich⸗ 


246 


— —— — — 


haltig: würde man die Verzinslichkeit der auf dieſe 
Weiſe entſtandenen Grundſchulden leugnen, ſo müßte 
folgerichtig auch die nach vollſtändig durchgeführter 
Annuitätentilgung an die Stelle der Bankhypothek 
getretene Grundſchuld von 20 000 M unverzinslich 
ſein; daß dies nicht der Fall ſein kann, liegt 
auf der Hand; in der Tat iſt denn auch die durch Ver⸗ 
zinſung der „Eigentümergrundſchuld“ von 498.101 
hervorgerufene Mehrbelaſtung nur ſcheinbar, da 
eben die ſortlaufend zu zahlenden Annuitäten mit 
fortſchreitender Kapitalstilgung einen immer größer 
werdenden Kapitaltilgungsbetrag und einen immer 
kleiner werdenden Zinſenbetrag enthalten, ſo daß 
auch bei Verzinſung der „Eigentümergrundſchuld“ 
nicht mehr Zinſen bezahlt werden müſſen, als 
e des Grundbuchs zu entrichten ſind. 

3. iſt eine Bargebotserhöhung von 
123.60 M zu leiſten, weil zu dieſem Betrag 
die im geringſten Gebot als beſtehenbleibend be⸗ 
rückſichtigte Bankhypothek im Augenblick des Zu⸗ 
ſchlags gem. 8 1181 BGB. bereits erloſchen war; 
bezüglich Fälligkeit und Verzinslichkeit gilt das 
gleiche wie bei Ziff. 1. 

4. dürfte eine Bargebotserhöhung 
von 63.60 H + 64.80 M1 = 128.40 NH zu 
entrichten ſein, weil zu dieſem Betrag die im 
geringſten Gebot als beſtehenbleibend berückſichtigte 
Bankhypothek im Augenblick des Zuſchlags zwar 
noch beſtand, aber gem. $ 1181 BGB. in ihrem 
Beſtand auflöſend bedingt geweſen fein dürfte, auf: 
löſend bedingt dadurch, daß die im geringſten Ge⸗ 
bot als barzuzahlende Anſprüche berüdfichtigten 
Annuitätenratenvom 1. Februar 1910 und 1. Auguſt 
1911 (ſei es durch Zahlung aus der Verſteigerungs⸗ 
maſſe, ſei es durch eine gem. $ 118 Abſ. II ZVG. 
wie die Befriedigung aus dem Grundſtück wirkende 
Uebertragung der Forderung gegen den Erſteher) 
befriedigt werden. Dieſe auflöſende Bedingung 
iſt in unſerem Fall bereits eingetreten, weil der 
Erſteher die 2 Annuitätenraten bereits für 1 
nung des Strichſchillings bezahlt hat; die Bar⸗ 
gebotserhöhung iſt deshalb unbedingt geworden. 


Zeitſchrift für Mechtöpflege in Bayern. für Rechtspflege in chtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 1914. Nr. 12. 


liegt eben die Bereicherung! — gem. 8 1181 BGB. 
auch die beſtehenbleibende Bankhypothek im Teil⸗ 
betrage von 128.40 M zum Erlöſchen gebracht; 
daß dieſes Erlöſchen eintreten würde, war ſchon 
im Verſteigerungstermin mit nahezu zwingender 
Notwendigkeit vorauszuſehen; alſo wird man ſagen 
müſſen, daß die Bankhypothek zu dieſem Betrag 
ſchon im Verſteigerungstermin nur noch ein auf⸗ 
löſend bedingtes Recht geweſen iſt. 

Auch dieſe Bargebotserhöhung von 128.40 M 
iſt bereits fällig; denn fie rührt aus Annuitäten⸗ 
tilgungen her, die bereits vor dem Verſteigerungs⸗ 
termin fällig waren. 

Sie iſt auch wie die übrigen bisher genannten 
Bargebotserhöhungen mit 4% verzinslich. Man 
könnte an eine Verzinſung von ſechs Prozent 
denken, weil auf die Annuitäten 6 °/o Verzugs⸗ 
zinſen geſchuldet waren; dieſe Meinung wäre aber 
in unſerem Fall ſchon deshalb abzulehnen, weil 
ja die Verzugszinſen nur im Rahmen der Neben⸗ 
kaution, alſo eines ganz anderen Rechtes als des⸗ 
jenigen, aus dem die Bargebotserhöhung herrührt, 
geſchuldet werden. Schwieriger läge die Sache, 
wenn, (wie dies bei den ſeit Anlegung des Grund⸗ 
buchs beſtellten Bankhypotheken die Regel bildet), 
die Verzugszinſen im Rahmen der Hauptſache⸗ 
hypothek verlangt werden könnten: auch dann aber 
55 die Bargebotserhöhung zunächſt nicht mit 

6%, ſondern nur mit 4° oh zu verzinſen, weil 
die ſechsprozentige Verzinſung nicht die Regel, 
ſondern eine an die Vorausſetzung des Zahlungs⸗ 
verzugs geknüpfte Ausnahme bildet und Zahlungs⸗ 
verzug bisher zwar hinſichtlich der 2 rückſtändigen 
Annuitätenraten, nicht aber hinſichtlich der Bar⸗ 
gebotserhöhung eingetreten iſt; erſt wenn der Er⸗ 
ſteher mit der Zahlung der Bargebotserhöhung in 
Verzug käme ($ 284 Abſ. 1 BGB.) würde ſich 
der vierprozentige Zinsfuß wohl in einen ſechs⸗ 
prozentigen zu verwandeln haben) (unter der im 
Vorſtehenden unterſtellten Vorausſetzung, daß die 
Berzugszinſen im Rahmen der Hauptſache⸗ 
hypothek verlangt werden könnten, würde dieſe 


In dieſem Falle läßt ſich einigermaßen darüber Regelung der Zinsfußfrage übrigens auch für die 


ſtreiten, ob eine Bargebotserhöhung überhaupt in 
Frage kommt; ich glaube, die Frage bejahen zu 
müſſen, weil bei Ablehnung dieſer Bargebotser— 
höhung der Erſteher eine ungerechtfertigte Be— 
reicherung um 128.40 M erfahren, alſo gerade 
der Fall eintreten würde, den das Geſetz durch 
die Einführung der Bargebotserhöhung vermeiden 


wollte: wir haben oben geſehen, daß dieſer Betrag 


von 128.40 / im geringſten Gebot doppelt be— 
rückſichtigt war, naͤmlich einmal im Rahmen der 
2 Annuitätenraten als barzuzahlender Anſpruch 
und einmal im Rahmen der beſtehenbleibenden 
Bankhypothek als liegenbleibendes Recht; dadurch, 


daß der Erſteher den Betrag aus der Verſteige-⸗ 


rungsmaſſe bezahlte, alſo ein mal leiſtete, hat er nicht 


nur den im geringſten Gebot berückſichtigten bar zu⸗ 


zahlenden Anſpruch getilgt, ſondern — und darin 


in Ziff. 1, 2 und 3 beſprochenen Bargebotser⸗ 
höhungen zu gelten haben). 

Schwierigkeiten bereitet auch die Frage des 
Zinsbeginns: man kann hier denken an den 1. Of: 
tober 1911 (entſprechend den vorher beſprochenen 
Fällen Ziff. 1. 2 und 3) oder an den Tag des 
Verteilungstermins oder an den 1. November 1911, 
an dem der Erſteher die 2 Annuitätenraten be⸗ 
zahlt hat. Den Tag des Verteilungstermins möchte 
ich als willkürlich von vorneherein ablehnen. Auch 
den 1. November halle ich nicht für das Richtige; 


e) Würde der Erſteher auch mit den Zinſen 
aus der Bargebotserhöhung im Rückſtande bleiben, 
ſo hätte er hieraus trotz des Eintrags im Grund⸗ 


buch gem. § 289 BGB. wohl nicht wieder Zinſen zu 


entrichten, da 8 248 Abſ. II BGB. für die Bargebots- 
erhöhung nicht zutrifft. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 247 


denn daß durch die Annuitätenzahlungen die zur 
Bargebotserhöhung führende Bedingung eintrat, 
kann keine Rolle ſpielen, weil die Verpflichtung 
zur Leiſtung der Bargebotserhoͤhung (vorläufig 
allerdings nur als einer bedingten) ja ſchon 
im Augenblick des Zuſchlags geboren wurde; auch 
der Umſtand, daß der Erſteher natürlich bis zum 
1. November die ſechsprozentigen Verzugszinſen zu 
entrichten hatte, kann keine Bedeutung haben, weil 
ja der Erſteher gem. 8 56 Satz 2 3G. dieſe 
Verzugszinſen vom Zuſchlag ab als private, vom 
Verſteigerungsverfahren unabhängige Laſt zu tragen 
hat; in unſerem Fall kommt hinzu, daß ja die 
Verzugszinſen nur im Rahmen der Neben⸗ 
kaution erwuchſen. Es wird alſo wohl das 
Richtige ſein, als Tag des Zinsbeginns auch hier 
den 1. Oktober 1911 anzunehmen. 

5. kommt eine Bargebotserhöhung 
von 1950.50 M ın Betracht, weil zu dieſem 
Betrag auf die nicht eigentümerhypothekfähige alt⸗ 
rechtliche Nebenkaution von 2000 M im Augen: 
blick des Zuſchlags keine Forderungen entſtanden 
waren. 

Dieſe Bargebotserhöhung iſt unverzinslich, weil 
aus der Nebenkaution keine Zinſen zu entrichten 
find. Sie iſt bereits fällig, weil die Nebenkaution 
ihrer Natur nach nur für fällige Anſprüche er⸗ 
richtet iſt. 

Die Frage, ob die bedingungsloſe Berüdficti- 
gung altrechtlicher Nebenkautionen zu einer (ſei 
es bedingten oder unbedingten) Bargebotserhöhung 
führt, iſt nicht unbeſtritten. Koch,“) der nur die 
etwaige Anwendbarkeit des § 50 Abſ. II Ziff. 1 
im Auge hat, verneint ſie für den Fall, daß der 
auf die Nebenkaution geſchuldete Betrag im Ver⸗ 
ſteigerungstermin richtig angemeldet iſt, was bei 
dem hier behandelten Beiſpiel zutreffen würde; 
er bejaht fie für den Fall, daß der auf die Kau⸗ 
tionshypothek geſchuldete Betrag nicht angemeldet 
und im Verſteigerungstermin nicht zu ermitteln 
iſt; im übrigen gibt er zu, daß man ſehr wohl 
auch zu einem anderen Ergebnis kommen lann, 
nämlich zu dem, daß eine Nachzahlungspflicht unter 
allen Umſtänden beſteht; dieſer letzteren Auffaſſung 
ſcheint Steiner zu ſein; denn dieſer führt in 
der 2. Auflage feines Kommentars zum 3G. 
S. 142 aus: 

Die zur Zeit des Inkrafttretens des Grundbuch⸗— 
rechts beſtehende bayeriſche Zinſen⸗ und Koſtenkautions⸗ 
hypothek iſt nicht eigentümerhypothekfähig, und 


zwar nicht bloß dann, wenn zur Zeit des Inkrafttretens 
des neuen Liegenſchaftsrechts das Kreditverhältnis be⸗ 


) Geſetz, die Ueberleitung von Hypotheken be⸗ 
treffend, vom 15. Mai 1906, mit einem Anhang: Die Be⸗ 
handlung der Kautionshypothek im Zwangsverſteige— 
rungsverfahren, Schweitzer 1906; das Schriftchen, das 
gleich nach Erſcheinen des Geſetzes vom 15. Mai 1906 
herauskam, alſo zu einer Zeit, wo das Gebiet noch 
wenig geklärt war, ſcheint allerdings durch die neuere 
Rechtslehre und Rechtsanwendung in einigen Punkten 
überholt zu fein. 


reits erloſchen und auf die Kautionshypothek keine 
Nebenanſprüche erwachſen waren, ſondern auch wenn 
im Zeitpunkt der Ueberleitung die Möglichkeit ſolchen 
Entſtehens noch gegeben war; obwohl ſie alſo im 
letzteren Falle in eine Höchſtbetragshypothek des BGG. 
nach 8 1190 BGB. ſich verwandelt hat, ſteht fie doch 
gemäß obiger landesrechtlichen Vorſchrift (Geſetz vom 
15. Mai 1906) nicht dem Eigentümer zu, ſoweit ſie nicht 
valutiert iſt, ſondern erliſcht (vgl. 8 1178 BGB.). 


Der Wortlaut dieſer Ausführungen und die 
Stelle, an der Steiner ſie eingeſchaltet hat, weiſen 
übrigens darauf hin, daß Steiner im Gegenſatz 
zu Koch die Forderung der Mehrzahlungspflicht 
auf 8 50 Abſ. I (nicht Abſ. II Ziff. 1) gründet. 
Das Vollſtreckungsgericht München hat ſich nach 
anfänglichem Schwanken die Meinung Steiners 
ſtändig angeeignet; in den von mir geleiteten Zwangs⸗ 
verſteigerungskurſen pflege ich ſie damit zu be⸗ 
gründen, daß ich ſage: die nicht ausgefüllte Neben⸗ 
kaution iſt zwar eine Hypothek, und zwar eine 
unbedingte; ſie iſt es aber nur formell, nicht 
materiell; ſoweit auf die Nebenkaution keine Forde⸗ 
rung entſtanden iſt, iſt alſo nur formell, aber nicht 
materiell eine Hypothek vorhanden; wird dieſe rein 
formelle Hypothek im geringſten Gebot als beſtehen⸗ 
bleibendes Recht berückſichtigt, ſo iſt eine Bar⸗ 
gebotserhöhung zu leiſten, da es eben materiell 
an einer Belaſtung des Grundſtückes fehlt. 
Zuſammenfaſſung: 

Wir haben folgende Bargebotserhöhungen feſt⸗ 
geſtellt: 

a) in Ziff. 1, 3 und 4: unbedingte Bargebots⸗ 
erhöhungen im Geſamtbetrag von 302 M, bereits 
fällig und ab 1. Oktober 1911 mit 4% verzins⸗ 
lich. Geſetzt den Fall, der Verteilungstermin würde 
auf 1. April 1912 beſtimmt, ſo wären die Zinſen 
bis zu dieſem Tag (= 6.04 ) zu berechnen, jo 
daß wir bekämen: 

a) eine unbedingte Bargebotserhöhung von 
302 M, bereits fällig und ab 1. April 1912 mit 
4°/o verzinslich, 

5) eine unbedingte Bargebotserhöhung von 
6.04 M, bereits fällig und unverzinslich; 

b) in Ziff. 5: eine unbedingte Bargebotserhöhung 
von 1950.50 , bereits fällig und unverzinslich; 
(die Beträge 5 und b laſſen ſich zuſammenziehen 
zu einem einheitlichen Betrag von 1956.54 M, 
bereits fällig und unverzinslich), 

c) in Ziff. 2: eine bedingte Bargebotserhöhung 
von 498.10 M, bereits fällig und ab 1. Oktober 1911 
mit 4% verzinslich oder unter Ausrechnung der 
Zinſen bis zum Verteilungstermin vom 1. April 1912: 
a) eine bedingte Bargebotserhöhung von 
498.10 M, bereits fällig und ab 1. April 1912 
mit 4% verzinslich, 

5) eine bedingte Bargebotserhöhung von 9.96 M, 
bereits fällig und unverzinslich. 

(Schluß folgt.) 


u — — 


248 


Kleine Mitteilungen. 


Zum Güterzerträmmerungsgeſetz. In Art. 1 G3. 
vom 13. Auguſt 1910 (GVBl. 1910 S. 627 ff.) iſt u. a. 
beſtimmt, daß, wenn der Eigentümer geſchloſſen be⸗ 
wirtſchafteter Grundſtücke die Grundſtücke ganz oder 
teilweiſe an einen gewerbsmäßigen Händler mit land⸗ 
wirtſchaftlichen Grundſtücken (Güterhändler) verkauft, 
vorkaufsberechtigt ſind jede Gemeinde, in deren Be⸗ 
zirk eines der Grundſtücke liegt, und die für eine ſolche 
Gemeinde beſtehenden gemeinnützigen Darlehenskaſſen⸗ 
vereine. Das Vorkaufsrecht erſtreckt ſich auch auf das 
Zubehör, das mit dem Grundſtück verkauft wird, und 
greift auch dann Platz, wenn der Güterhändler den 
Kaufvertrag nicht für ſich, ſondern als Vertreter eines 
anderen abſchließt. 

Seitdem dieſe Beſtimmungen gelten, die den Aus⸗ 
wüchſen des gewerbsmäßigen Güterhandels entgegen⸗ 
treten, ſind da und dort Verträge aufgetaucht, in denen 
ein gewerbsmäßiger Güterhändler ſich von dem An⸗ 
weſenseigentümer bevollmächtigen läßt, das Anweſen 
für den Eigentümer zu zertrümmern. Dieſe Verträge 
ſegeln unter verſchiedener Flagge und haben ſchon 
wiederholt die Rechtslehre und die Rechtſprechung be⸗ 
ſchäftigt. 

In einer Abhandlung in der Bay ZfR. 1911 
S. 303 ff., überſchrieben: „Eine Lücke im Güterzer⸗ 
trümmerungsgeſetz?“ wird darauf hingewieſen, daß 
über die Zuläſſigkeit ſolcher Verträge die Notariate 
und die Gerichte verſchiedener Anſchauung ſind. In 
der Bay Not Z. 1911 S. 16 findet ſich eine von der Leitung 
dieſer Zeitſchrift ausgehende, an die Notare gerichtete 
Warnung, durch irgendeine Faſſung einer Umgehung 
des G3G. die Hand zu bieten. Auf die von No⸗ 
taren gemäß Art. 16 Not G. erklärte Weigerung, ſolche 
Verträge zu verlautbaren, wurde Antrag nach Art. 17 
a. a. O. geſtellt. In der zuerſt erwähnten Abhandlung 
ſind zwei landgerichtliche Entſcheidungen beſprochen, 
die auf einen Antrag nach Art. 17 Not®. ergingen. 
Das Landgericht Eichſtätt hat in einem Beſchluß vom 
22. April 1911 die Weigerung des Notars für un⸗ 
begründet erklärt, das Landgericht Landshut iſt in 
einem Beſchluß vom 5. Mai 1911 zur entgegengeſetzten 
Entſcheidung gekommen. 

Die Entſcheidung des LG. Eichſtätt iſt mitgeteilt 
in der BayNot Z. Bd. 12 S. 275 ff. Auf S. 279 heißt 
es: „Darnach iſt die in Nr. 1 Bay Not Z. vom Jahr 1911 
auf S. 16 an die Notare gerichtete Warnung in dieſer 
Allgemeinheit nicht haltbar und Notar H. hatte vor⸗ 
liegendenfalls keinen genügenden Grund zur Ver— 
weigerung der Amtstätigkeit.“ In einer Fußnote auf 
S. 275 ſagt die Leitung der Zeitſchrift: „Wir beeilen 
uns, den wichtigen Beſchluß zur Kenntnis der Herrn 
Kollegen zu bringen. Bei ähnlichen zweifelhaften Fällen 
wird es ſich empfehlen, nach Art. 16 Not. zu ver⸗ 
fahren und die Beteiligten auf das ihnen zuſtehende 
Beſchwerderecht aufmerkſam zu machen.“ 

Eine Abhandlung in der BayNot Z. Bd. 13 S. 30 ff. 
kann ſich mit dem Beſchluß des LG. Landshut vom 
5. Mai 1911 nicht einverſtanden erklären. Auch der 
Verfaſſer der obenerwähnten Abhandlung in der Bay. 
ZfR. 1911 S. 303 ff. neigt ſich der vom LG. Eichſtätt 
im Beſchluß vom 22. April 1911 vertretenen Auf— 
faſſung zu. Hiegegen machte der Herausgeber der 
Zeitſchrift in einer Nachſchrift gewichtige Bedenken 
geltend. Es wird in der Nachſchrift hingewieſen auf 


einen oberſtlandesgerichtlichen Beſchluß vom 8. Mai 


1911, abgedruckt auf S. 315 des gleichen Jahrgangs 
der Zeitſchrift. Der Beſchluß findet ſich auch mit⸗ 
geteilt in der Neuen Sammlung Bd. 12 S. 330 fl. 
In einer mit der nämlichen Frage ſich beſchäftigenden 
Abhandlung in der Bay Not Z. Bd. 13 S. 142 ff. weiſt 
der Verfaſſer auch auf den oberſtlandesgerichtlichen 
Beſchluß vom 8. Mai 1911 hin und erwähnt eine Ent⸗ 
ſchließung des Staatsminiſteriums des Innern vom 
5. Februar 1911 (v. Braun, GG. 2. Aufl. S. 14), 
welche gleich dem oberſtlandesgerichtlichen Beſchluß 
wertvollen Stoff zur Auslegung ſolcher Vollmachts⸗ 
verträge gebe. Außer auf die oben erwähnten Ab⸗ 
handlungen kann noch hingewieſen werden auf eine 
ſolche in der Bay Z8fR. 1910 S. 391 ff. 

Es dürfte nun für die bayeriſchen Juriſten nicht 
ohne Intereſſe ſein, einen Fall kennen zu lernen, der 
in neuerer Zeit das Landgericht und das Oberlandes⸗ 
gericht Bamberg beſchäftigt hat. Um den Raum dieſer 
Zeitſchrift nicht allzuſehr in Anſpruch zu nehmen, ſoll 
er nur in ſeinen wichtigſten Punkten mitgeteilt werden. 

Zu Urkunde des Notariats L. vom 27. Dezember 
1911 ſchloſſen die damals in Reichenbach wohnhaften 
Bauerseheleute M. mit dem gewerbsmäßigen Güter⸗ 
händler K. von B. einen „Dienſtvertrag“, durch den fie 
den K. bevollmächtigten, ihr in der Gemeinde Reichen⸗ 
bach gelegenes Anweſen, zu welchem auch zwei in der 
benachbarten Leheſtener Flurmarkung (Sachſen⸗Mei⸗ 
ningen) gelegene Plannummern gehören, ſamt dieſen 
beiden Grundſtücken zu zertrümmern. Für die Durch⸗ 
führung der Zertrümmerung, für Mühewaltung, Beit- 
verſäumnis, Auslagen an Speſen uſw. wurde dem K. 
im Vertrag eine Vergütung von 6000 M zugeſichert, 
ſollte jedoch ein Erlös von nicht mehr als 40 000 M 
erzielt werden, nur eine ſolche von 5000 M. Am gleichen 
Tag erhielt der Ehemann M. von K. 1000 M, welche 
dieſer laut der ihm ausgeſtellten „Quittung“ bei der 
am 1. April 1912 zu pflegenden Abrechnung abzieben 
durfte. Am 10. Januar 1912 verkaufte K. einen Teil 
des M.ſchen Anweſens an Dritte. Auf Veranlaſſung 
des zuſtändigen Bezirksamts, dem K. „vorſichtshalber 
und unter Beſtreitung einer Rechtspflicht“ angezeigt 
hatte, daß er als Bevollmächtigter der Eheleute M. 
für deren Rechnung das Anweſen zertrümmern werde, 
ſtellte der Darlebenskaſſenverein T. ſich auf den Stand⸗ 
punkt, daß der „Dienſtvertrag“ vom 27. Dezember 1911 
in Wahrheit ein Kaufvertrag ſei und machte am 
17. Januar 1912 das geſetzliche Vorkaufsrecht geltend, 
da auch die ſonſtigen Vorausſetzungen für die An⸗ 
wendbarkeit des GGG. gegeben ſeien. 

Mit notarieller Urkunde vom 23. Mai 1912 und 
Nachtragsurkunde vom 1. Auguſt 1912 verkauften die 
Eheleute M., welche das Vorkaufsrecht des Dar lehen⸗ 
kaſſenvereins T. anerkannten, ihr geſamtes Anweſen 
an den genannten Verein, der in die von K. mit Dritten 
am 13. Januar 1912 geſchloſſenen Kaufverträge eintrat. 
Daraufhin klagte K. beim LG. Bamberg die Vergütung 
von 6000 M ein. Die Klage erſtreckte ſich auch auf 
die dem Ehemann M. gegebenen 1000 M, es iſt jedoch 
dieſer Punkt hier nicht von Bedeutung. K. behauptete, 
daß allerdings die Eheleute M. urſprünglich ihr An⸗ 
weſen ihm verkaufen wollten, daß er aber gerade mit 
Rückſicht auf die Beſtimmungen des GZ3G. den Ver⸗ 
kauf abgelehnt und ihnen erklärt habe, er wolle ſehen. 
daß er ihnen das Anweſen gut verkaufe. Er und die 
Eheleute M. ſeien dahin einig geworden, daß ein 
Dienſtvertrag, kein Kaufvertrag geſchloſſen werden ſolle. 
Er habe dieſen Weg gewählt, um das Vorkaufsrecht 


des GZ3G. auszuſchalten, jedoch nicht im Weg des 
Scheinvertrags, ſondern in Ausnützung einer Lücke 
des Geſetzes. Die Beklagten hätten die Annahme 
ſeiner weiteren Dienſte verweigert und ihm die Ver⸗ 
tragserfüllung unmöglich gemacht. 

Die Ebeleute M. und der ihnen als Nebeninter⸗ 
venient beigetretene Darlehenskaſſenverein T. bezeich⸗ 
neten den „Dienſtvertrag“ vom 27. Dezember 1911 als 
einen verſchleierten Kaufvertrag, mithin als einen nich⸗ 
tigen Scheinvertrag, der aber auch gegen die guten 
Sitten verſtoße. Beweiserhebung fand nicht ſtatt. 

Durch Endurteil des LG. Bamberg vom 13. Ja⸗ 
nuar 1913 wurden die Eheleute M. zur Bezahlung 
der 6000 M nebſt Zinſen verurteilt. Das Landgericht 
hielt dafür, daß zwar kein Dienſt⸗, wohl aber ein 
Werkvertrag in Frage ſtehe, nicht ein verſchleierter 
Kaufvertrag, der als Scheingeſchäft nichtig wäre. Auch 
verneinte das Landgericht, daß der Vertrag gegen die 
guten Sitten verſtoße. 

Aus den Entſcheidungsgründen ſei auszugsweiſe 
hervorgehoben: 

„K. befürchtete den Eingriff des vorkaufsberechtigten 
Darlehenskaſſenvereins auf Grund der Beſtimmungen 
des G3. und deshalb verwarf er den Weg des eigenen 
Erwerbs. Er wollte alſo den Kaufvertrag nicht. Des⸗ 
halb ſchloß er mit den Beklagten den Dienſtvertrag. 
Dieſen Vertrag wollte er. Auf dieſem Weg ſind ihm 
die Beklagten gefolgt. Sie wußten, daß Kläger keinen 
Kaufvertrag abſchließen wollte und ſie waren damit ein⸗ 
verſtanden. Im beiderſeitigen Einverſtändnis wurden 
deshalb die Erklärungen der Vertragsteile vor dem 
Notar als ernſtlich gewollt abgegeben, nicht nur zum 
Schein, zur Täuſchung Dritter und zur Verdeckung eines 
Kaufvertrags. Dieſer Sachverhalt ergibt ſich aus den 
übereinſtimmenden eigenen Erklärungen der Parteien 
über das Zuſtandekommen der Vertrags. Der Einwand 
des Scheingeſchäfts iſt nicht begründet. Kläger K. hat 
allerdings den von ihm eingeſchlagenen Weg gewählt, 
um die Konkurrenz der nach dem G3G. Vorkaufsbe⸗ 
rechtigten auszuſchließen und auf dieſe Weiſe die mit 
dem Vorkaufsrecht verbundene Beſchränkung der Ver⸗ 
tragsfreiheit zu umgehen. Enthält nun das G3. eine 
Vorſchrift, wonach es verboten iſt, die Konkurrenz der 
Vorkaufsberechtigten zu umgehen?“ 

Es folgen nun längere Ausführungen über die 
Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes, über Beſtimmungen 
des Entwurfs und ſpäter des Geſetzes. — Dann fahren 
die Entſcheidungsgründe fort: 

„Damit iſt dargetan, daß das G3. weder aus⸗ 
drücklich noch ſtillſchweigend das Verbot von Ver⸗ 
trägen enthält, die wirtſchaftlich zu demſelben Ergebnis 
führen, wie Kaufverträge, durch die Vorkaufsrechte der 
Berechtigten aber ausgeſchaltet ſind. Solche Verträge 
find vielmehr auch unter der Herrſchaft des G3. noch 
zuläſſig. Sie verſtoßen auch nicht ohne weiteres gegen 
die guten Sitten. Den in Art. 1 G3. bezeichneten 
Korporationen ſollte nicht unter allen Umſtänden der 

orrang vor den Güterhändlern eingeräumt werden, 
ſondern eben nur im Fall des ‚Verkaufs“ an den 
Güterhändler. Von der hienach geſetzlich gegebenen 
Möglichkeit, die Beſchränkungen des Art. 1 G36. zu 
vermeiden, haben die Parteien Gebrauch gemacht.“ 

Gegen das landgerichtliche Endurteil haben die 
Eheleute M. und der Nebenintervenient Berufung ein⸗ 
gelegt. Bei ihrer Begründung wurde auch Bezug ge⸗ 
nommen auf den oberſtlandesgerichtlichen Beſchluß 
vom 8. Mai 1911 in der N. S. Bd. 12 S. 330 ff. Das 
ohne vorausgegangene Beweiserhebung ergangene End- 
urteil des Oberlandesgerichts Bamberg vom 28. April 
1914 hob das landgerichtliche Urteil in ſeinen Haupt⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 249 


beſtandteilen auf und wies die Klage des K. ab. Das 
Oberlandesgericht erachtete den Vertrag vom 27. De⸗ 
zember 1911 als einen verſchleierten Kaufvertrag, alſo 
für ein nach 8 117 BGB. nichtiges Scheingeſchäft, 
ſprach ſich aber auch dahin aus, daß es den Vertrag, 
falls in ihm ein verſchleierter Kaufvertrag nicht zu 
finden ſein ſollte, als gegen die guten Sitten verſtoßend 
(8 138 Abſ. 2 a. a. O.) erachten würde. Wie aus der 
des landgerichtlichen, ſo ſeien auch aus der Begründung 
des oberlandesgerichtlichen Urteils nur die Hauptpunkte 
mitgeteilt. In den Gründen kommt vor: 


„Zunächſt handelt es ſich darum: Iſt der Vertrag 
vom 27. Dezember 1911 ein Dienſt⸗, ein Werk⸗, ein 
Mäklervertrag oder iſt er ein Kaufvertrag? Würde 
letzteres anzunehmen ſein, dann wäre eine von den 
vertragſchließenden Parteien nicht gewollte Verein⸗ 
barung notariell verlautbart, die Verlautbarung des 
wirklich Gewollten aber unterlaſſen worden. Dann 
wäre der ‚Dienftvertrag‘ nichtig. Die Entſcheidung 
bietet erhebliche Schwierigkeiten. Zu ihrer Löſung 
dient dem Berufungsgericht als Handhabe der Beſchluß 
des Obe G. vom 8. Mai 1911. Bei dieſem Beſchluß 
hatte es ſich darum gehandelt, ob ein — zwiſchen den 
Güterhändlern G. und E. und den Gaſtwirtseheleuten 
B. am 20. Oktober 1910 zu notarieller Urkunde über 
die Zertrümmerung des B.ſchen Anweſens — ge⸗ 
ſchloſſener Vertrag als Dienſt⸗(Werk⸗) oder als Kauf⸗ 
vertrag bei der Gebührenbewertung zu erachten ſei. 
Die vom Ob“. für die Beurteilung jenes Vertrags⸗ 
als eines (verſchleierten) Kaufvertrags gemachten Aus⸗ 
führungen ſind für den vorwürfigen Fall bei der großen 
Aehnlichkeit der beiden Fälle ſehr wohl zu verwerten, 
wenn dort auch nur eine Gebührenfrage zu entſcheiden 
war. Der Vertrag vom 27. Dezember 1911 ſtimmt 
zum Teil wörtlich mit dem Vertrag vom 20. Oktober 
1910 überein. So wurde in Nr. I des Vertrags vom 
27. Dezember 1911 vereinbart: ‚Die Ehegatten M. bes 
auftragen und ermächtigen Herrn K., den in der Steuer⸗ 
gemeinde Reichenbach und in der Flur Leheſten gelegenen 
Grundbeſitz, nämlich .. .. im ganzen oder parzellen⸗ 
weiſe zu veräußern und zu vertauſchen und die ein⸗ 
getauſchten Objekte wieder weiter zu veräußern. Zu 
dieſem Zweck erteilen die Ehegatten M. dem Herrn 
K. die Rechte eines Generalbevollmächtigten. Der Ge⸗ 
nannte ſoll insbeſonders ermächtigt ſein, die Vertrags⸗ 
beſtimmungen feſtzuſetzen, die Auflaſſung entgegenzu⸗ 
nehmen und zu beantragen, über Kauf» und Tauſch⸗ 
preiſe zu quittieren, dieſelben abzutreten, ſowie ganz 
oder teilweiſe zur Löſchung zu bewilligen und zu 
beantragen; alle Einzelheiten der betreffenden Kauf⸗ 
oder Tauſchverträge bleiben dem Ermeſſen des Be⸗ 
vollmächtigten vorbehalten.“ In Nr. II wird ‚diefer 
Auftrag und dieſe Vollmacht .... ſeitens der Ehe⸗ 
gatten M. in durchaus unwiderruflicher Weiſe erteilt'. 
Die völlig gleichen Beſtimmungen finden ſich in den 
Nr. 1 und 2 des Vertrags vom 20. Oktober 1910. Die 
Eheleute M. hatten, wie K. ſelbſt erklärt, von Anfang an 
keine andere Abſicht als ihr Anweſen ihm zu verkaufen. 
Sicherlich geht die Annahme nicht fehl, daß auch K. 
gerne den für ihn bequemeren Weg des feſten Kaufes 
gewählt und dies auch vertragsmäßig ausgedrückt 
hätte, wenn ihm nicht das geſetzliche Vorkaufsrecht des 
Darlehenkaſſenvereins und der Gemeinde ſtörend und 
hindernd im Weg geſtanden wäre. Nun galt es, einen 
Ausweg zu finden. Man gab dem mit den Eigen⸗ 
tümern des zu veräußernden Anweſens zu ſchließenden 
Vertrag den Namen eines Dienſt- oder Werkvertrags, 
nahm aber in ihn Beſtimmungen auf, wie ſie bei reeller 
Handlungsweiſe einzig und allein bei Abſchluß eines 
feſten Kaufes getroffen zu werden pflegen. Es blieb 
dann bei der Abſicht des Güterhändlers, in Wahrheit 
einen Kaufvertrag zu ſchließen, und der Anweſenseigen— 
tümer brauchte in ſeiner von Anfang an gehabten 


. 1 


Arne! 


11 


11 1 


Abſicht, zu verkaufen, gar nicht umgeſtimmt zu werden. 
Unter der Maske eines Dienſtvertrags wurde ein Kauf⸗ 
vertrag geſchloſſen, der dem K. weiteſtgehende Ver⸗ 
fügungsgewalt, ja unbeſchränkte Eigentümerrechte über 
die Vertragsobjekte einräumte. Solcher Art ſind die 
Rechte, wie ſie dem K. durch den Vertrag in unwider⸗ 
ruflicher Weiſe übertragen wurden. Daß K. in Wahr⸗ 
heit einen Kaufvertrag abſchließen und durch die Art 
der Bezeichnung des Vertrags nur die nach dem G88. 
beſtehenden Vorkaufsrechte beſeitigen wollte, geht, ab⸗ 
geſehen von den Vertragsbeſtimmungen, ſchon daraus 
hervor, daß er erklärt, er habe den Vertrag ſo wie 
geſchehen abgeſchloſſen, um eine Lücke des Geſetzes aus⸗ 
zunützen. Einige von denen des Vertrags vom 27. De⸗ 
zember 1911 abweichende Beſtimmungen des Vertrags 
vom 28. Oktober 1910 ändern an der rechtlichen Natur 
des erſteren Vertrags nichts. Es iſt bei ihm nur für 
den Güterhändler die Möglichkeit geringer, einen be⸗ 
ſonders hohen Gewinn zu erzielen. Der Kaufpreis iſt 
beim Vertrag genügend beſtimmt. Auch die ſonſtigen 
geſetzlichen Erforderniſſe eines Kaufgeſchäftes find ges 
geben. K. legt Gewicht darauf, daß er wegen der Be⸗ 
ſtimmungen des G3. ſich geweigert habe, einen Kauf⸗ 
vertrag abzuſchließen. Dieſes ſcheinbare Sträuben war 
eben erforderlich, um den doch gewollten Kaufvertrag 
zu verſchleiern. Nach dem oberſtlandesgerichtlichen 
Beſchluſſe vom 8. Mai 1911 hatte der Güterhändler G. 
brieflich mit Emphaſe erklärt, daß er ſich unter keinen 
Umständen herbeilaſſen werde, einen Kaufvertrag ab— 
zuſchließen. Dies hat das LG. und das Ob. nicht 
abgehalten, in dem von G. und E. mit B. ſpäter ab» 
geſchloſſenen Vertrag doch einen Kaufvertrag zu er— 
blicken. So liegt die Sache auch hier für das OLE. 

Durch die Vereinbarungen, wie ſie insbeſondere 
unter Nr. I des Vertrags getroffen find, werden die 
Eheleute M. völlig mit gebundenen Händen dem K. 
ausgeliefert. Die dem Güterhändler dort eingeräumten 
Befugniſſe ſind nicht mehr Rechte, wie ſie einem Be⸗ 
vollmächtigten übertragen zu werden pflegen, ſondern 
Rechte, wie ſie nur der Eigentümer hat. In einer 
beachtenswerten Nachſchrift, welche der in der Bay.⸗ 
3fR. 1911 S. 303 ff. enthaltenen Abhandlung vom 
Herausgeber der Zeitſchrift beigefügt iſt, wird u. a. 
geſagt: ‚Es iſt zuzugeben, daß ein Vertrag über die 
Erteilung einer Vollmacht zu einem Kaufvertrag nicht 
deshalb allein ein nichtiger Scheinvertrag iſt, weil .. .. 
der Bevollmächtigte und der Auftraggeber im inneren 
Verhältnis Vereinbarungen getroffen haben, die nach 
ihrer Wirkung auf einen Kaufvertrag zwiſchen ihnen 
hinauslaufen können Anders liegt die Sache, 
wenn der Inhalt des Vollmachtsvertrags ſelbſt ſo ge— 
ſtaltet iſt, daß jeder Einfluß des Auftraggebers auf 
die weitere Geſtaltung der Rechtsverhältniſſe ausge— 
ſchaltet und ſo der Bevollmächtige ſofort tatſächlich in 
die Rechtsſtellung eines Käufers verlegt wird..... 
Dann liegt eben in der ſo ausgedehnten Vollmachts— 
erteilung ſelbſt in Wahrheit ſchon der Kaufvertrag und 
daran kann auch durch die Bezeichnung des Vertrags 
nichts geändert werden, man hat es mit einem ſog. 
verdeckten Rechtsgeſchäft zu tun. Mit Recht hat das 
Ob. in einem ſolchen Fall den angeblichen Boll: 
machts vertrag als einen Kaufvertrag behandelt — vgl. 
die Entſcheidung auf S. 315 dieſer Rummer — und 
damit den Weg gezeigt, auf dem den Verſuchen einer 
Umgehung des 838. wirkſam entgegengetreten werden 
kann.“ 

Aus allen dieſen Gründen iſt das Berufungsgericht 
überzeugt, duß K. und die Eheleute M. bei Abſchluß 
des Vertrags vom 27. Dezember 1911 in Wahrheit 
einen Kaufvertrag zu ſchließen beabſichtigten und nur 
auf Veranlaſſung und im Intereſſe des K. den Vertrag 
zum Schein als Dienſtvertrag tauften. 

K. beruft ſich auch darauf, daß die Beſtimmungen 
des G3. ſich nur auf die in Bayern, nicht auf die in 
Meiningen gelegenen M.ſchen Grundſtücke beziehen 


n Nentepllege WRADEN nie Ne. 


— ———— —½᷑ uũ —-— — ——— — V:'.— . —o. ö ä ĩ . 


könnten. Iſt aber der Vertrag ein Scheinvertrag, ſo 
iſt dies der geſamte, ein einheitliches Ganze bildende 
Vertrag. 


Der Kläger gibt zu, den Vertrag ſo geſchloſſen zu 
haben, um damit eine Lücke des Geſetzes auszunützen. 
Ein ſolches Verhalten verſtößt gegen Treu und Glauben 
und es kann nicht angenommen werden, daß der Geſetz⸗ 
geber die Lücke im Geſetz abſichtlich gelaſſen habe, da⸗ 
mit fie ausgenützt werde. (S. a. Bay Not Z. 13, 145). Einem 
Anweſenseigentümer muß es ſelbſtverſtändlich frei⸗ 
ſtehen, ſein Anweſen durch einen Bevollmächtigten ver⸗ 
äußern zu laſſen, und dieſes Recht ſteht dem Eigentümer 
auch dann zu, wenn er ſich einen gewerbsmäßigen 
Güterhändler zum Bevollmächtigten wählt. Dann 
dürfen aber dem Güterhändler nur ſolche Rechte über⸗ 
tragen werden, wie ſie einem Bevollmächtigten in der 
Regel eingeräumt zu werden pflegen. Läßt ſich aber 
der Güterhändler ſo weitgehende Rechte einräumen, 
daß er einem Käufer des Anweſens gleichſteht und er⸗ 
folgt dieſe Einräumung noch dazu in der vom Güter⸗ 
händler offen ausgeſprochenen Abſicht der „Ausnützung“ 
einer Lücke des Geſetzes, ſo geſchieht dies in fraudem 
legis und iſt unſittlich, ſelbſt wenn auf ſeiten des 
Anweſenseigentümers keine gegen die guten Sitten ver⸗ 
ſtoßende Abſicht angenommen werden ſollte. Iſt der 
Vertrag nach § 138 Abſ. 1 BGB. nichtig, dann iſt er 
es gemäß 8 139 a. a. O. auch bezüglich der beiden in 
Meiningen gelegenen Plannummern. Aus dem nichtigen 
Vertrag kann Kläger kein Recht ableiten.“ 

Mit Rückſicht auf den zur Verfügung ſtehenden 
Raum mußte ſich der Einſender darauf beſchränken, 
die Entſcheidungsgründe der auseinandergehenden Ur⸗ 
teile des LG. und des OLG. auszugsweiſe mitzuteilen. 
Am Schluß der Abhandlung in der BayZfR. 1911 
S. 303 ff. iſt der Wunſch ausgeſprochen, es möchten 
etwa noch weiter zu der Frage der rechtlichen Natur 
ſolcher Vollmachtsverträge vorliegende Entſcheidungen 
bekannt gegeben werden. Der Wunſch wird ſich wohl 
auch auf die Bekanntgabe erſt noch ergehender ein⸗ 
ſchlägiger Entſcheidungen erſtrecken laſſen. Der jetzt 
mitgeteilte Fall unter ſcheidet ſich in einigen Punkten 
von dem im oberſtlandesgerichtlichen Beſchluß vom 
8. Mai 1911 behandelten Fall. So fehlen in dem 
Vertrag vom 27. Dezember 1911 die Beſtimmungen. 
daß der Bevollmächtigte eine aus dem Erlöſe prozen⸗ 
tual zu berechnende Vergütung für die Zertrümmerung 
bezieht, dann daß dem Bevollmächtigten unter Be⸗ 
freiung von den Beſchränkungen des 8 181 BGB. das 
Recht eingeräumt wird, die geſtundeten Kaufpreiſe an 
ſich ſelbſt zu übertragen. 

Das oberlandesgerichtliche Urteil vom 28. April 
1914 wird vorausſichtlich mit Reviſion angegriffen 
werden. 

Die zu entſcheidende Frage iſt volkswirtſchaftlich 
von großer Bedeutung. In der Entichließung des 
Staatsminiſteriums des Innern vom 5. Februar 1911 
finden ſich die Sätze: „Die Diſtriktsverwaltungsbe⸗ 
hörden ſind anzuweiſen, dieſen Umgehungsverſuchen 
ihr Augenmerk zuzuwenden und ihnen ſoweit möglich 
mit Nachdruck entgegenzutreten. Vor allem wird es 
ſich empfehlen, eine gerichtliche Entſcheidung über die 
rechtliche Natur der erwähnten Vollmachtsverträge 
herbeizuführen.“ Eine grundſätzliche Entſcheidung in 
der Frage, in der die Anſichten ſehr wohl auseinander⸗ 
gehen können, wäre ja erwünſcht, wird aber ſchwer 
zu erlangen ſein. Denn in dem vielerwähnten oberſt⸗ 
landesgerichtlichen Beſchluß vom 8. Mai 1911 iſt ſchon 
geſagt: „Die Frage, was die Parteien gewollt und 
erklärt haben, bemißt ſich von Fall zu Fall.“ Die 
Vollmachtsverträge ſcheinen — mit einigen Abän⸗ 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


derungen im einzelnen Fall — nach einer einheitlichen 
Schablone hergeſtellt zu werden. Eine Geſetzesum⸗ 
gehung wird bei ihnen wohl ſtets beabſichtigt ſein. 
Es fragt ſich nur, ob der Satz: „Wo das Geſetz eine 
Lücke gelaſſen hat, darf ſie auch ausgenützt werden“ 
auf allgemeine Gültigkeit Anſpruch erheben kann und 
ob nicht im einzelnen Fall unter einem Vollmachts⸗ 
oder Dienſtvertrag ſich ein Kaufvertrag verſteckt. Wo 
letzteres oder wo Verſtoß gegen die guten Sitten an⸗ 
zunehmen iſt, werden es ſelbſtverſtändlich die Gerichte 
nicht daran fehlen laſſen, ihrerſeits den ſicherlich nicht 
wünſchenswerten Umgebungen des GZ3G. entgegenzu⸗ 
treten. Daß der reelle Güterhandel nicht geſchädigt 
werden ſoll und darf, kann gleichfalls als ſelbſtver⸗ 
ſtändlich bezeichnet werden. 
Oberlandesgerichtsrat Gechter in Bamberg. 


Zuläſſigkeit der Widerklage trotz Unzuläſſigkeit 
der Aufrechnung? In Nr. 10/1914 dieſer Zeitſchrift 
(S. 204) behandelt Rechtsanwalt Dr. Berlin in Nürn⸗ 
berg die Frage der Zuläſſigkeit einer Widerklage be⸗ 
züglich einer Gegenforderung die gegen eine an ſich 
nicht beſtrittene Klageforderung nicht aufgerechnet 
werden darf, und kommt zu dem Schluſſe, daß in einem 
ſolchen Falle die Widerklage unzuläſſig iſt. Dieſe 
Ausführungen dürfen nicht unwiderſprochen bleiben, 
weil ſie m. E. in ihrer Begründung wie in ihrem Er⸗ 
gebniſſe nicht das Richtige treffen. 

Die Erörterungen gehen zunächſt daran vorüber, 
daß die Widerklage in ſolchen Fällen wohl ſtets in 
Verbindung mit der Ausübung des Zurück⸗ 
behaltungsrechtes (8 273 BGB.) auftritt. Ja 
man wird ſagen dürfen, daß überhaupt bei aus⸗ 
geſchloſſener Aufrechnung und rechtlichem Zuſammen⸗ 
hang von Forderung und Gegenforderung wohl die 
Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes das 
Näherliegende und auch das Häufigere iſt, und daß 
in der Regel nur bei beſonderem Intereſſe auch noch 
zur Widerklage geſchritten wird. Nun weiß ich aller⸗ 
dings, daß man verſchiedentlich dazu neigt, die Aus⸗ 
übung des Zurückbehaltungsrechtes bei Ausſchluß der 
Aufrechnung überhaupt nicht zuzulaſſen. Ich werde 
noch auf dieſe nach meinem Dafürhalten unrichtige 
Auffaſſung zu ſprechen kommen. Wenn ſich Klage 
und Widerklage einfach ſo gegenüberſtünden, wie es 
Berlin darſtellt,) ohne das durch das Zurück⸗ 
behaltungsrecht bedingte Verlangen einer Zug⸗ 
um⸗Zug⸗Leiſtung (8 274 BGB.), dann wäre ja bei 
der an ſich unbeſtrittenen Klageforderung infolge des 
8301 ZPO. die Klagepartei ſehr bald vor der Wider: 
klagepartei im Beſitze ihres Vollſtreckungtitels, ſo daß 
auch die äußere Aehnlichkeit mit der Aufrechnung 
entfiele. Das Zurückbehaltungsrecht muß alfo bei der 
von Berlin angeſchnittenen Frage notwendig mit be 
rückſichtigt werden. 

Bedenklich iſt vor allem, daß Berlin auch dann 
kein Rechtsſchutzbedürfnis des Beklagten für die 
Erhebung einer Widerklage annimmt, wenn die Auf⸗ 
rechnung unzuläſſig iſt. Denn die Ausübung des 


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) Der Zug⸗ um⸗Zug⸗Leiſtung nach 8 322 BGB. 
kommt hier, wo es ſich beiderſeits um fällige Geld— 
forderungen handelt, nicht in Betracht. Auch die Fälle 
der 89 348 und 467 BGB. werden praktiſch hier kaum 
in Frage kommen. 


251 


Zurückbehaltungsrechtes allein unterbricht ja nicht die 
Verjährung, wie die prozeſſuale Aufrechnung. Der Be⸗ 
klagte muß alſo Klage oder Widerlage erheben, um ſeine 
Gegenforderung nicht verjähren zu laſſen. Da wohl einen 
der häufigſten Fälle des Ausſchluſſes der Aufrechnung 
der Mietvertrag bildet, ſo iſt bei der kurzen Friſt des 
8 558 BGB. das Intereſſe an einer Unterbrechung der 
Verjährung in ſolchen Fällen meiſt ſehr groß. Daß ſich 
der Beklagte durch die Erhebung der Widerklage vor 
der Verjährung ſchützt, hat Berlin außer acht ge⸗ 
laſſen. Es iſt aber kein Grund einzuſehen, warum 
der Beklagte zum Zwecke der Unterbrechung der Ver⸗ 
jährung einen eigenen Rechtsſtreit anfangen ſoll, 
während die Widerklage infolge der Gebühren⸗ und 
Streitwertſtaffelung beiderſeits billiger kommt. 

Für den Fall, daß die Widerklage unbegründet 
iſt, ſieht Berlin ſelbſt keine Unzuträglichkeiten aus der 
Zulaſſung der Widerklage entſtehen, wohl aber für 
den Fall, daß ſie begründet iſt. Dieſe Unzuträglich⸗ 
keiten beſtehen aber gar nicht. Wenn Berlin in ſeinem 
erſten hierbei angeführten Beiſpiel meint, der Be⸗ 
klagte erhielte gegebenenfalls durch Abweiſung der 
Klage und Zuerkennung der Widerklageforderung 
mehr als er begehrt habe, ſo iſt das kein begründeter 
Einwand. Das von Berlin konſtruierte Ergebnis der 
Klageabweiſung bei unbeſtrittenen Klagebehauptungen 
kann nur eintreten, wenn ſich die Grundloſigkeit der 
Klageforderung aus den unbeſtrittenen Klagebehaup⸗ 
tungen ſelbſt ſchon ergibt. In ſolchen Fällen wird 
aber der Kläger ſelbſt beim Ausbleiben des Beklagten 
mit feiner Klage abgewieſen (8 331 Abſ. 2 ZPO.). Das 
wäre dann ſchließlich auch ein Hinausgehen des Ge⸗ 
richts über das Begehren des Beklagten, der eben gar 
nichts begehrt hat und die Schuld vielleicht ſelbſt für 
beſtehend hält. — Eine Klage, die durch die nicht be⸗ 
ſtrittenen Klagebehauptungen getragen wird, wird eben 
nicht abgewieſen, und darum beſtehen die von Berlin 
geſehenen Schwierigkeiten gar nicht. 

Wenn ſowohl die Klage, wie auch die Widerklage 
begründet iſt, ſtößt ſich Berlin an dem Erfolg, der 
dem der Aufrechnung gleich ſei. Daß bei Erhebung 
der Widerklage (und Geltendmachung des Zurückbe⸗ 
haltungsrechts!) das Urteil jedem Teile z. B. 100 M 
Zug um Zug gegen Zablung von 100 M zuſpricht, 
kommt allerdings im Endergebnis den wirtſchaftlichen 
Folgen der Aufrechnung nahe. Darum find aber Bus 
rückbehaltungsrecht und Widerklage mit der Aufrech⸗ 
nung doch noch nicht gleichbedeutend! Vielmehr liegen 
hier grundverſchiedene Rechtsbehelfe vor, die nur 
ähnliche oder gleiche Folgen haben. Die Auffaſſung 
des RG. in den Entſcheidungen bei Warneyer 1908, 
Erg Bd. ©. 440 und in der Entſch. RG3Z. 83, 138 ver⸗ 
wechſelt die Gleichheit des Erfolges mit der Gleich— 
heit des Mittels. Die Ausſchließung der Aufrech⸗ 
nung fälliger Geldforderungen gegeneinander iſt eben 
an ſich etwas Ungewöhnliches, eigentlich Sinnwidriges. 
Darum iſt es gar nicht verwunderlich, wenn ſchließlich 
doch wieder die wirtſchaftliche Logik in Erſcheinung 
tritt, daß ſich fällige Geldforderungen zweier Perſonen 
gegeneinander aufheben. M. E. iſt nur der folgende 
Schluß berechtigt, den aber das RG. nicht gezogen 
hat: Wer will, daß feine Forderung von jeder Gegen- 
forderung ſeines Schuldners unabhängig und unbe— 
rührt bleiben ſoll, der möge eben nicht nur die Auf— 
rechnung, ſondern auch das Zurückbehaltungsrecht des 
8273 BGB. ausſchließen, was ebenſo rechtlich zuläſſig 
iſt; das gilt für den Geſetzgeber ebenſo wie für den 


252 
Vertragſchließenden. Nur deswegen aber, weil man 
wirtſchaftlich mit der Ausſchließung der Aufrechnung 
allein den erſtrebten Zweck nicht völlig erreicht, in die 
Ausſchließung der Aufrechnung noch die Ausſchließung 
des Zurückbehaltungsrechts und gar auch der Wider⸗ 
klage hineinzulegen, geht durchaus nicht an. Wer einen 
gewiſſen Zweck erreichen will, muß eben die geeigneten 
Mittel dazu ergreifen; wenn er das nicht tut, trotzdem 
das geeignete Mittel billig zur Verfügung ſteht, iſt 
durchaus kein Anlaß gegeben, durch ſo gewaltſame 
Auslegungen helfend einem gar nicht Hilfsbedürftigen 
unter die Arme zu greifen.“) 

Schließt alſo der Gläubiger außer der Aufrechnung 
auch ausdrücklich das Zurückbehaltungsrecht aus, dann 
wird das Berlin mißfallende Urteil mit der Zug⸗um⸗ 
Zugleiſtung von Geldbeträgen trotz der Erhebung der 
Widerklage gar nicht mehr vorkommen, wenn, wie Berlin 
ja ſtets vorausſetzt, die die Klage tragenden Behauptungen 
unwiderſprochen bleiben. Denn dann wird der Kläger 
ſchon im erſten Termin fein Teilurteil nach 8 301 ZPO. 
belommen, während Wochen und Monate vergehen 
1 0 bis der Widerkläger einen Vollſtreckungstitel 
erhält. 

Unzulänglich ſind die Beweisgründe, die Berlin 
unter Nr. 4 für ſeine Anſicht ins Feld führt. Denn 
wenn man nach ſeiner Anſicht die Widerklage für un⸗ 
zuläſſig erklärt, zwingt man den Beklagten doch nur, 
ſeine Gegenforderung in einem eigenen Rechtsſtreit 
1 zu machen. Dann ſind die Koſten doch noch 

öher. f 

Was die Möglichkeit der Reviſion anlangt, ſo iſt 
das kein Beweisgrund gegen die Zulaſſung der Wider⸗ 
klage. Die dritte Inſtanz iſt doch eine Wohltat, die 
den kleineren Forderungen aus hier nicht zu erörternden 
Gründen mehr und mehr verkürzt wurde. Wenn nun 
die Erhebung der Widerklage der an ſich zu kleinen 
Forderung diefe Wohltat unter Umſtänden wieder ver⸗ 
ſchafft, ſo iſt das doch kein Grund gegen die Zulaſſung, 
auch wenn die Reviſion nur gegen, nicht für den Kläger 
möglich wird. 

Uebrigens wird bei unwiderſprochenen Klage: 
behauptungen die dritte Inſtanz dem Kläger kaum 
nehmen, was ihm die beiden anderen Inſtanzen zu⸗ 
ſprachen. 

Auch die Koſtenenkſcheidung kann die Zulaſſung 
der Widerklage nicht als unrichtig erſcheinen laſſen. 
Wenn jemand einmal in die Ausſchließung der Auf— 
rechnung gewilligt hat, ſo kann er eben auch im Prozeß 
nicht aufrechnen; darüber muß er ſich von Anfang an 
klar ſein. Uebrig bleibt ihm nur die Erhebung der 
Klage oder der Widerklage, falls er die Verjährung 
ſeiner Forderung unterbrechen und ſie beitreiben will. 
Die Widerklage verurſacht aber bei Koſtenaufhebung 
beiderſeits weniger Koſten, als wenn jede Partei in 
dem einen der andernfalls notwendigen zwei Prozeſſe 
ganz koſtenfällig würde. 

Die Anſicht Berlins iſt alſo abzulehnen. Es iſt 
daran feſtzuhalten, daß der Ausſchluß der Aufrechnung 
auch bei fälligen Geldforderungen weder das Zurück— 
behaltungsrecht noch die Widerklage ausſchließt. Wer 
ſeinen Zweck beſſer erreichen will, möge außer der Auf— 


) Vgl. hierzu auch die neue Entſcheidung des 
DOLS. Hamburg in Fuchsbergers Kartothekausgabe 
§ 273 Nr. 6. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


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rechnung auch das Zurückbehaltungsrecht ausſchließen. 
Solchenfalls wird ihm im Hinblick auf 8 301 30. 
bei unbeſtrittener Klageforderung auch eine Widerklage 
ſeine Zirkel nicht ſtören können. 

Rechtsanwalt Dr. Fürnrohr in München. 


Aus der Lechtſprechung. 
Reichsgericht. 
Zivilſachen. 


I. 


Bürgſchaft gegenüber einer Firma. Aus den 
Gründen: Nach 8 17 988. iſt die Firma eines 
Kaufmanns der Name, unter dem er im Handel ſeine 
Geſchäfte betreibt und ſeine Unterſchrift abgibt, unter 
dem er auch klagen und verklagt werden kann. Einem 
Namen gegenüber kann man keine Bürgſchaftsver⸗ 
pflichtung eingehen; nur die hinter dem Namen ſtehende 
Einzelperſon kann Gläubiger und Träger eines Rechtes 
ſein. Die Bürgſchaft, die der Firma eines Kaufmanns 
gegenüber erklärt wird, wird deshalb dieſem Kaufmann 
ſelbſt erklärt. Wird das Handelsgeſchäft an einen 
Dritten veräußert und von dieſem unter der bisherigen 
Firma fortgeführt (58 22, 23 HGB.), fo ift die Firma 
nunmehr der Name einer anderen Perſon geworden; 
dieſe hat das Recht erworben, ſich eines bisher einem 
anderen zuſtehenden Namens zu bedienen; die dem 
früheren Inhaber erklärte Bürgſchaft geht den Erwerber 
der Firma nichts an. Iſt das Handelsgeſchäft mit 
Forderungen und Verbindlichkeiten auf den Erwerber 
übergegangen ($ 25 HGB.), fo gehen zwar die Bürg⸗ 
ſchaftsanſprüche über, die für bereits entſtandene Haupt: 
forderungen des früheren Geſchäftsinhabers ſchon be⸗ 
gründet waren (SS 401, 412 B.). Aber die bloße 
Bürgſchafts verpflichtung für künftige, noch nicht ent⸗ 
ſtandene Forderungen, wie ſie in einer Kreditbürgſchaft 
übernommen wird, geht an ſich auf den Erwerber des 
Handelsgeſchäfts nicht über; das bloße Kreditverſprechen 
begründet noch keine Hauptforderung und dement⸗ 
ſprechend die Bürgſchaftserklärung, die in bezug auf ein 
ſolches abgegeben wird, auch noch keinen Anſpruch aus 
der Bürgſchaft. Wird das Kreditverhältnis zwiſchen 
dem ſeitherigen Kreditſchuldner und dem neuen Firmen⸗ 
inhaber fortgeſetzt, fo liegt vom Rechtsſtandpunkt aus 
gleichwohl eine neue Kreditverbindung zwiſchen anderen 
Perſonen vor, die Forderungen für einen anderen 
Gläubiger begründet. Hier ſind unſtreitig alle die 
Verbindlichkeiten des Hauptſchuldners, für die die Be 
klagte als Bürgin in Anſpruch genommen wird, aus 
dieſem neuen Kreditverhältnis gegenüber den neuen 
Geſchäfts- und Firmeninhabern entſtanden; dafür haftet 
die Beklagte aus der dem früheren Inhaber erklärten 
Bürgſchaft daher an ſich nicht. 

Das OLG. hat nicht verkannt, daß eine Bürgſchaft 
für künftige Forderungen auch ſo eingegangen werden 
kann, daß ſie nicht nur dem derzeitigen Geſchäftsinhaber 
gegenüber gelten ſoll, ſondern auch einem Geſchafts⸗ 
nachfolger gegenüber, der die Firma fortführt und die 
Kreditverbindung mit dem Hauptſchuldner fortſetzt. 
Dann wird mit der Entſtehung der Hauptverbindlichkeit 
für den Geſchäftsnachfolger auch die Haftung des Bürgen 
aus der eingegangenen Bürgſchaftsverpflichtung aus⸗ 
gelöſt. Ob der Wille des Bürgen bei Abgabe der 
Bürgſchaftserklärung dahin gegangen iſt und auch in 
der Bürgichaftserflärung erkennbaren Ausdruck ge 
funden hat, iſt Sache der Auslegung, die, wenn die 
Bürgſchaftsurkunde ſelbſt die Frage nicht zweifelsfrei 
beantwortet, aus begleitenden Umſtänden zu gewinnen 


ift, als welche auch Spätere Handlungen und Erklärungen 
in Betracht kommen können, die einen Rückſchluß auf 
den Sinn der früher abgegebenen Bürgſchaftserklärung 
geſtatten. Eine Rechtsvermutung beſteht für eine ſolche 
Erſtreckung der Bürgſchaft über die Perſon des der⸗ 
zeitigen Firmeninhabers hinaus nicht; eine tatſächliche 
kann nach Lage des einzelnen Falles begründet ſein, 
wenn Umſtände vorliegen, die zunächſt die Annahme 
eines auf dieſe Erweiterung der Bürgſchaftsverpflichtung 
gerichteten Vertragswillens als wahrſcheinlich ergeben, 
ſo wenn bei Abgabe der Bürgſchaftserklärung ein Wechſel 
des Geſchäfts⸗ und Firmeninhabers bereits in Ausſicht 
ſtand und dies dem Bürgen bekannt war. Als ein 
Beweisumſtand für die Erſtreckung der Bürgſchaft auf 
die Forderungen eines ſpäteren Firmeninhabers kann 
auch in Betracht gezogen werden, ob die Bürgſchafts⸗ 
verpflichtung auf Anſuchen des Gläubigers oder im 
Auftrage und zugunſten des Schuldners eingegangen 
wird, ſo daß für den Bürgen gegenüber dem Zwecke, 
dem letzteren zu helfen, die Perſon des Gläubigers in 
den Hintergrund tritt, dies zumal dann, wenn die 
Bürgſchaft in beſtimmt begrenzter Höhe erklärt wird. 
Einen weſentlichen Beweisgrund für die Annahme einer 
auf den Geſchäftsnachfolger übergehenden Berechtigung 
aus der Bürgſchaft im Wege des Rückſchluſſes aus 
ſpäteren Vorgängen kann es abgeben, wenn der Bürge 
in bezug auf ſeine Bürgſchaft mit dem ſpäteren Geſchäfts⸗ 
inhaber in Kenntnis des Wechſels in Verhandlungen 
getreten iſt oder nach Erlangung dieſer Kenntnis unter 
Umſtänden geſchwiegen hat, wo er hätte reden und 
den Geſchäftsnachfolger wie den Hauptſchuldner auf⸗ 
klären müſſen (vgl. Bolze, Praxis des RG. Bd. 5 Nr. 714). 
(Urt. d. VI. ZS. v. 19. März 1914, VI 31/14). — — — gn. 
3369 


II. 


Anwendbarkeit des z 26 Gew. auf Anlagen, die 
vor dem Inkrafttreten der GewO. obrigkeitlich genehmigt 
worden find. Aus den Gründen: 8 26 Gemd. 
enthält, ſoweit er eine Klage auf Einſtellung des Ge⸗ 
werbebetriebs für unzuläſſig erklärt und ſtatt deſſen 
nur eine Klage auf Schadloshaltung gewährt, eine 
Schutzvorſchrift zugunſten obrigkeitlich genehmigter 
gewerblicher Anlagen. Mit Recht nimmt das BG. an, 
daß dieſe Vorſchrift auch auf die Knochenkocherei des 
Beklagten anzuwenden ſei, wiewohl ſie ſchon im Jahre 
1862 vor dem Inkrafttreten der GewO. obrigkeitlich 
genehmigt worden iſt. Denn $ 26 ſpricht allgemein 
von obrigkeitlich genehmigten gewerblichen Anlagen. 
Unter dieſen ſind auch gewerbliche Anlagen, die 
vor dem Inkrafttreten der GewO. obrigkeitlich ge⸗ 
nehmigt worden ſind, jedenfalls dann zu verſtehen, 
wenn die Anlagen zu denjenigen gehören, die auch 
nach 8 16 GewO. der behördlichen Genehmigung be⸗ 
dürfen, und nach Vorſchriften genehmigt worden ſind, 
die, im weſentlichen mit den Genehmigungsvorſchriften 
übereinſtimmen (vgl. RG. 19 358). (Urt. d. V. 38S. 
v. 22. April 1914, V 559/13). — - —ı. 

3365 


III. 


Auſſtellung gefährlicher Anlagen. Aus den 
Gründen: Das BGG. geht fehl, ſoweit es den vom 
Reichsgericht häufig ausgeſprochenen Grundſatz ans 
wendet, daß gefährliche Maſchinen und Anlagen an 
Orten, die Kindern und jugendlichen Perſonen zugänglich 
find, verwahrt werden müſſen. Unter ſolchen Orten 
ſind nur die zu verſtehen, wo Kinder ſich aufzuhalten 
oder zu ſpielen pflegen, oder die ſie von dieſen Plätzen 
aus ohne weiteres betreten können. Eine bloße aus⸗ 
zudenkende Möglichkeit, daß ein Kind an einen Ort 
A kann, macht ihn noch nicht zu einem für 

nder zugänglichen i. S. jenes Grundſatzes. Deshalb 
kann von einer derartigen Zugänglichkeit bei einer 


Beitfärift für Redtspffege in 


| 


Bayern. 1914. Nr. 12. 


Anlage keine Rede ſein, die ſich in der hinterſten Ecke 

eines dunkeln Kellers befindet, in dem Kinder nicht 

verkehren und nichts zu ſuchen haben. (Urt. d. VI. 38. 

v. 18. April 1914, VI 55/14). — e u. 
3364 


B. Strafſachen. 
I 


6267 SIEB. ſetzt den Willen voraus, auf den Rechts: 
verkehr einzuwirfen. Aus den Gründen zweier Ent⸗ 
ſcheidungen: 1. Der Angeklagte hat die gefälſchten 
Zeugniſſe gebraucht, um ſeiner Frau zu beweiſen, daß 
ihm wirklich ſolche Anſprüche zuſtünden, wie er ſie ihr 
vorgelogen hatte, um fie zur Eingehung der Ehe zu 
beſtimmen; er wollte ſie über die Bedenken beruhigen, 
die ihr gegen die Richtigkeit ſeiner Angaben aufgeſtiegen 
waren. Wenn darnach auch die Urkunden angefertigt 
und gebraucht worden ſind, um damit Beweis zu 
erbringen, ſo iſt doch nicht erſichtlich, daß dieſe Be⸗ 
weisführung im rechtlichen Verkehr ſtattfinden, daß 
damit auf das Rechtsleben ein Einfluß geübt werden 
ſollte. Iſt der Endzweck des Angeklagten geweſen, 
ſeine Frau zu beruhigen, hat er lediglich auf 
ihr Gemüt einwirken wollen, um den häus⸗ 
lichen Frieden zu retten oder wiederherzuſtellen, nicht 
aber, um ſie zu rechtlich erheblichen Entſchließungen 
zu veranlaſſen, I hat er eine rechtswidrige Abſicht 
nicht verfolgt. (Urt. des I. StS. vom 22. Dez. 1913 
1D 1905/13). 

2. Die Angeklagte hat von dem verfälſchlen Briefe, 
in dem dem K. Brandſtiftung uſw. nachgeſagt wird, 
zu Täuſchungszwecken nur in der Weiſe Gebrauch ge- 
macht, daß ſie den Brief mehreren Perſonen vorlas 
und ihn einer Perſon zum eignen Durchleſen gab. 
Sie wollte damit dartun, „was die K. . 8 für ſchlechte 
Leute find“. Außerdem rühmte fie fi, fie habe die 
Herausgabe des Briefes an die Frau K. verweigert. 
Damit hat alſo die Angeklagte lediglich Nachteiliges über 
das K. . ſche Ehepaar verbreiten und ſich als die Bes 
ſizerin eines in dieſer Hinſicht wichtigen Beweisſtückes 
hinſtellen wollen. Dagegen lag ihr völlig fern, irgend 
einen Einfluß auf rechtliche Vorgänge zu gewinnen. 
(Urt. des I. StS. vom 2. Februar 1914, 1D 1094/13). 

3379 E. 


II. 


., Anrechnung der e ee ($ 60 StGB.) bei 
Bildung einer Gefamtfirafe nach $ 79 Sts B. Aus den 
Gründen: Die Anwendung des $ 60 StGB. erfordert, 
daß die Unterſuchungshaft in dem Verfahren erlitten 
iſt, in dem das den 8 60 anwendende Urteil ergeht. 
Wenn gemäß 8 79 StGB. auf eine Geſamtſtraſe zu er» 
kennen iſt, fo tritt damit nicht eine Verbindung des 
früheren Verfahrens mit dem neuen Verfahren ein, 
die dazu berechtigen würde, die in dem neuen Verfahren 
erlittene Unterſuchungshaft unter allen Umſtänden un- 
beſchränkt auf die Geſamtſtrafe anzurechnen, die unter 
Heranziehung der in dem früheren Verfahren erkannten 
Strafe zu bilden iſt; vielmehr iſt in ſolchem Falle die 
Anrechnung nur auf den der zweiten Verurteilung ent— 
ſprechenden verhältnismäßigen Teil der Geſamtſtrafe 
zuläſſig. Dies iſt in der reichsgerichtlichen Rechtſprechung 
wiederholt anerkannt worden und es beſteht kein Grund, 
davon abzugehen (Entſch. Bd. 41 S. 318; GoltdArch. 
Bd. 52 S. 398). Der Meinung der ſtaatsanwaltſchaft⸗ 
lichen Reviſion, daß die Anrechnung nur zuläſſig ſein 
könne, ſoweit die Geſamtſtrafe die frühere, bereits rechts— 
kräftig gewordene Straſe überſteige, kann nicht bei— 
getreten werden. Das widerſpräche dem Geſetze, das 
die Geſamtſtrafe nicht durch einen ſelbſtändigen Zuſatz 
zu der früheren Strafe gebildet wiſſen will, und würde 
auch zu verſchiedenen Ergebniſſen führen, je nachdem 


die Einzelſtrafe, durch deren Erhöhung die Geſamt⸗ 

ſtrafe zu bilden iſt, im früheren oder fpäteren Ver⸗ 

fahren erkannt wäre, was keinesfalls im Sinne des 

Geſetzes gelegen ſein könnte. (Urt. des I. StS. vo 

26. Februar 1914, 1 D 98/14). E. 
3380 


Oberſtes Landesgericht. 
Zivilſachen. 


1 


Unter welchen Vorausetzungen kaun ein haudels⸗ 
geſchäftliches Unternehmen in feine Firma die Begeich⸗ 
nung als „Graphiſche Kunſtanſtalt“ aufnehmen ? (GEB. 
818). Der Kaufmann A. H. meldete beim Regiſtergericht 
eine Firma „Graphiſche Kunſtanſtalt B. A. H.“ an. 
Die Eintragung erfolgte nach der Anmeldung. Gegen 
die Firma erhob die Handelskammer Einwendungen. 
Das Regiſtergericht teilte dem A. H. mit, daß es die 
Firma von Amts wegen zu löſchen beabſichtige, weil 
der Zuſatz „Graphiſche Kunſtanſtalt“ gegen § 18 Abſ. 2 
HGB. verſtoße; denn H. betreibe keine graphiſche 
Kunſtanſtalt, ſondern nur ein Vermittlungsbureau für 
Druckſachenbedarf. Widerſpruch und Einſpruch des H. 
wurden verworfen. Die Beſchwerde blieb erfolglos. 
Auf weitere Beſchwerde wurde der Beſchluß des LE. 
aufgehoben und die Sache zurückverwieſen. 

Aus den Gründen: Die 1 der 
Sachverſtändigen darüber, wann ein handelsgeſchäft⸗ 
liches Unternehmen als „Graphiſche Kunſtanſtalt“ be⸗ 
zeichnet werden kann, ſind nicht einhellig. Ein Teil 
hält daran feſt, daß dem Unternehmen dieſe Bezeich⸗ 
nung nur zukomme, wenn es im eigenen Betriebe die 
Erzeugniſſe herſtellt; ein anderer Teil meint, daß eine 
eigene Druckerei nicht erforderlich ſei, ſondern es ge⸗ 
nüge, wenn der Unternehmer dem Kunſtmaler oder 
Kunſtphotographen gegenüber die leitenden Gedanken 
angebe und die für die Wiedergabe dienenden Bor» 
lagen herſtelle oder doch deren Herſtellung überwache. 
Eine dritte Meinung geht dahin, daß zwar keine eigene 
Druckerei vorhanden ſein müſſe, daß es aber auch nicht 
genüge, wenn der Unternehmer nur die Aufträge ent⸗ 
gegennehme und allenfalls auch die Entwürfe bereit⸗ 
ſtelle, daß er vielmehr mindeſtens die Grundlagen für 
die Wiedergabe, die Illuſtrationsſtücke oder Platten 
(Aetzungen, Kliſchees) für den Hochdruck (Buchdruck) 
wie für den Flachdruck (Steindruck) im eigenen Ge⸗ 
ſchäfte und durch die eigenen Angeſtellten herſtellen 
müſſe. Die letztere Auffaſſung iſt zutreffend. Die Aus⸗ 
führung der Drucke durch die Druckerei fordert keine 
ſelbſtändige künſtleriſche Tätigkeit; fie iſt nur ein tech— 
niſches Hilfsmittel für die Vervielfältigung, die auch 
dritten Perſonen übertragen werden kann, ohne daß 
das Unternehmen die Eigenſchaft einer Kunſtanſtalt 
verliert. Wenn auch mit größeren Kunſtanſtalten meiſt 
eine Druckerei verbunden iſt, ſo liegt doch das Weſen 
der graphiſchen Künſte nicht in der mechaniſchen Ver— 
vielfältigung, ſondern in der Entfaltung der künſt— 
leriſchen Tätigkeit, mit deren Hilfe das gezeichnete, 
gemalte oder geſchriebene Werk vervielfältigt werden 
ſoll, m. a. W. in der Tätigkeit des Holzſchneiders, 
Kupferſtechers, Lithographen uſw. Die weſentliche Be— 
deutung einer graphiſchen Kunſtanſtalt beſteht hiernach 
darin, daß ſie die künſtleriſchen und techniſchen Unter— 
lagen für die Wiedergabe ſelbſt ſchafft und das durch 
die Wiedergabe (Druck) gewonnene Ergebnis ihrer 
ſchaffenden Tätigkeit als eigenes Erzeugnis auf den 
Markt bringt oder ſonſt weiter verbreitet; der Druck 
ſelbſt kann auch anderen Anſtalten überlaſſen bleiben. 


(Beſchl. des I. 35. vom 18. April 1914, Reg. III 
Nr. 30/1914). M. 
3375 


Zettſchrift für Rechtapflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


II. 


Unter welchen . können vorläufige 
Maßregeln nach Art. 4 Ubi. 2 Zwés. augeordmet 
werden? Aus den Gründen: Die Anordnung vor⸗ 
läufiger Maßregeln nach Art. 4 Abſ. 2 Zw. ſetzt 
allerdings nicht eine endgültige Feſtſtellung der Tat⸗ 
ſachen voraus, von deren Vorliegen die Zwé. abhängt. 
Es genügt vielmehr, iſt aber auch erforderlich, daß die 
Erhebungen hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben 
haben, daß die Vorausſetzungen zu einem Einſchreiten 
nach Art. 1 Zwéc. gegeben find und daß Gefahr auf 
Verzug beſteht. Bis jetzt iſt kein ſelbſt für eine nur 
vorläuſige Maßregel zureichender Nachweis für das 
Vorliegen der Vorausſetzungen erbracht. Das Vor⸗ 
mundſchaftsgericht hat ſeine Entſcheidung ausſchließlich 
auf Grund der Mitteilungen der Schulbehörde und 
des Jugendfürſorgeverbandes getroffen. Dieſes Ver⸗ 
fahren wäre an ſich nicht zu beanſtanden, wenn es 
auch wenig zweckmäßig iſt, daß eine ſo tief einſchneidende 
Maßregel, wie die vorläufige Unterbringung verfügt 
wird, ohne daß die Beteiligten gehört wurden. Er⸗ 
forderlich wäre, aber, daß aus jenen Mitteilungen jetzt 
ſchon der hinreichend ſichere Schluß gezogen werden 
kann, daß die Vorausſetzungen der Zw. gegeben find. 
Das iſt jedoch nicht der Fall, denn weder in den Mit⸗ 
teilungen der Schulbehörde, noch in denen des Für⸗ 
ſorgeverbandes finden ſich Tatſachen, die jenen Schluß 
zulaſſen würden. Daß die F. B. 1908 wegen nächt⸗ 
lichen Herumſtreunens in Gaſthäuſern und wegen un⸗ 
gebührlichen Benehmens eine Arreſtſtrafe erhalten hat, 
kann zur Begründung der Maßregel bei der Länge 
der verſtrichenen Zeit um ſo weniger herangezogen 
werden, als ſie in den beiden folgenden Schulklaſſen 
keinen Anlaß zu Tadel gegeben hat. Hinſichtlich der 
neueren Vorkommniſſe ſind aber die näheren Umſtände 
nicht erhoben und es iſt daher nicht möglich, zu prüfen, 
ob fie auf eine bereits begonnene ſittliche Berwahrloſung 
zurückzuführen ſind. Aus der Mitteilung der Schul⸗ 
behörde iſt nicht erſichtlich, in welchem Maße und unter 
welchen Umſtänden die Schulverſäumniſſe erfolgt ſind; 
es iſt auch nicht erhoben, unter welchen Umſtänden 
und zu welchem Zweck — mit oder ohne Begleitung, 
als Zuſchauerin oder um zu tanzen — die F. B. Tanz⸗ 
muſiken beſucht hat, es iſt aber insbeſondere bezüglich 
des aus der Karnevalszeit berichteten maskierten 
Herumſtreunens nichts erhoben; die Angaben der 
Schulbehörde ſtützen ſich nur auf die z. Z. nicht prüf⸗ 
baren Angaben von Mitſchülerinnen. Die Beweiskraft 
der ohnehin dürftigen Tatſachen kann alſo nicht ge⸗ 
prüft werden; im übrigen aber enthalten die Mit⸗ 
teilungen der Schulbehörde und des Jugendfürſorge⸗ 
verbandes nur Meinungsäußerungen, die für den Vor⸗ 
mundſchaftsrichter nicht ohne weiteres maßgebend ſein 
können. (Beſchl. des I. ZS. vom 20. März 1914, Reg. III 
Nr. 26/1914). M. 
3374 
III. 


Zur Auslegung des § 1666 BGB. Die 1899 ge⸗ 
borene A. K. iſt die eheliche Tochter des Tiſchlers J. K. 
Als ihre Mutter 1900 geſtorben war, wurde ſie von 
Ch. H., einer Schweſter ihres Vaters, in Pflege ge⸗ 
nommen und blieb dort bis zum Tod ihrer Tante 
(1910). Ch. H. hinterließ drei Töchter, die ſich nun 
der A. K. annahmen. Z. Z. befindet ſie ſich bei der 
Tochter L. H. 1913 hat J. K. von L. H. die Heraus⸗ 
gabe ſeines Kindes verlangt. L. H. hat beim Vor⸗ 
mundſchaftsgericht beantragt, dem J. K. die Fürſorge 
für die Perſon der A. K. zu entziehen. Das AG. hat 
dieſem Antrage ſtattgegeben. Auf die Beſchwerde des 
J. K. hat das LG. den Beſchluß aufgehoben und den 
Antrag abgewieſen. Die weitere Beſchwerde wurde 
verworfen. 

Aus den Gründen: Das L. geht davon aus, 
das Recht des Vaters auf ſein Kind ſei oberſter Grund- 


2m mu ni. un no. 


fag und es ſei ein Eingriff nach 8 1666 BGB. nur zu⸗ 
läſſig, wenn triftige Gründe vorliegen. Dagegen ver⸗ 
weiſt die Beſchwerdeführerin vergebens darauf, daß 
das Recht der Sorge für die Perſon des Kindes dem 
Vater nicht um ſeinetwillen, ſondern um des Kindes 
willen gegeben ſei. Daß das Fürſorgerecht des Vaters 
oberſter Grundſatz für das Verhältnis des ehelichen 
Vaters zu ſeinem Kind iſt, kann nach 8 1627 BGB. 
nicht zweifelhaft ſein. Allerdings iſt es nicht un⸗ 
beſchränkt, findet vielmehr ſeine Grenzen da, wo über⸗ 
wiegende Intereſſen des Kindes entgegentreten und 
das iſt nach 8 1666 BGB. der Fall, wenn der Vater 
durch einen Mißbrauch des Fürſorgerechts, durch Ver⸗ 
nachläſſigung des Kindes uſw. das geiſtige oder leib⸗ 
liche Wohl gefährdet. Mit Recht hat das LG. eine 
ſolche Gefährdung verneint. J. K. hat niemals ein 
ehrloſes oder unſittliches Verhalten an den Tag gelegt. 
Aber auch eine Vernachläſſigung hat das LG. mit Recht 
verneint. Allerdings hat J. K. ſein Kind nach dem 
Tode ſeiner Frau der Mutter der Beſchwerdeführerin 
überlaſſen, zu den Koſten, abgeſehen von geringfügigen 
Gelegenheitsgeſchenken, nie etwas beigetragen und, 
ſeitdem er nach A. verzogen iſt, überhaupt wenig Teil⸗ 
nahme für das Kind gezeigt. Allein die Weggabe des 
Kindes, das weiblicher Pflege bedurfte, war durch die 
Verhältniſſe geboten; das Kind war bei ſeinen nächſten 
Verwandten gut untergebracht und es wurde vom Vater 
niemals die Zahlung eines Koſtgelds verlangt. Die 
weite Entfernung ſeines Wohnorts von M. und ſeine 
perſönlichen Verhältniſſe entſchuldigen es, daß es zu 
keinem näheren perſönlichen Verkehr gekommen iſt. 
Von einer „Vernachläſſigung“ kann alſo nicht geſprochen 
werden, jedenfalls nicht von einer ſchuldhaften, noch 
weniger davon, daß das geiſtige oder leibliche Wohl 
des Kindes hätte gefährdet werden können, da es ſich 
ja in einer von den nächſten Angehörigen dem Vater 
ſelbſt angebotenen und freiwillig geleiſteten guten 
Pflege befunden hat. 

Das LG. hat aber auch mit Recht verneint, daß 
die Geltendmachung des Fürſorgerechts ein Mißbrauch 
dieſes Rechtes ſei. Ein ſolcher könnte in dem Begehren 
des Vaters erblickt werden, wenn das Kind auch ferner 
noch in der häuslichen Gemeinſchaft der Beſchwerde⸗ 
führerin bleiben könnte, wenn es alſo nur aus einer 
ihm lieb gewordenen Umgebung herausgeriſſen und 
gewaltſam in eine ihm fremde und verhaßte verpflanzt 
werden ſollte. Allein darum handelt es ſich nicht und 
deshalb iſt die Bezugnahme auf den Beſchluß des 
Senats vom 20. September 1912 (Bay ZfR. 1912 S. 314) 
verfehlt. Mit Recht hat das LG. ausgeführt, daß in 
der häuslichen Gemeinſchaft der L. H. für die A. K. 
jetzt kein Platz mehr iſt, daß ſie dort keine geregelte 
Beſchäftigung und nicht die Möglichkeit hat, ſich in 
einem Erwerbszweig auszubilden, daß ſie vielmehr in 
einem Dienſtplatz oder in einer Lehrſtelle untergebracht 
werden müßte. Sie muß ſich alſo in neue Verhältniſſe 
ſchicken und es iſt viel natürlicher, daß ſie zu ihrem 
Vater zurückkehrt, als daß ſie bei fremden Leuten unter⸗ 
gebracht wird. Des halb kann auch der Weigerung der 
A. K., zu ihrem Vater zurückzukehren, keine Bedeutung 
beigemeſſen werden; ſie kennt ihn allerdings bis jetzt 
nicht näher, er hat ſich aber auch nie etwas gegen ſie 
zuſchulden kommen laſſen. (Beſchl. des I. 35. vom 
2. Mai 1914, Reg. III Nr. 43/1914). M. 


3373 
Landgericht Nürnberg. 
350. 8 695. Bollſtreckungsbefehl nach Zurück 
nahme des Widerſpruchs? Der Schuldner hatte gegen 


einen Zahlungsbefehl rechtzeitig Widerſpruch eingelegt. 
Im Termin wurde kontradiktoriſch verhandelt und Bes 
weiserhebung angeordnet. Vor der Beweisaufnahme 
erklärte der Beklagte in öffentlicher Sitzung, daß er 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


255 


den Widerſpruch zurücknehme und die Pflicht zur Koſten⸗ 
tragung anerkenne. Der Vertreter des Klägers, der 
erſt im dritten Termin auftrat, beantragte Vollſtreckungs⸗ 
befehl, weil der Zahlungsbefehl nach Zurücknahme des 
Widerſpruchs wieder in Kraft tritt. Das AG. hielt 
die Weigerung des Gerichtsſchreibers, dem Antrag 
ſtattzugeben, für berechtigt und führte aus: Der Ge⸗ 
ſetzgeber ſagt im § 695 ZPO. deutlich, daß das Mahn⸗ 
verfahren bei Widerſpruch beendet ſein ſoll. Das Ge⸗ 
ſetz ſelbſt verordnet nichts über die Zurücknahme des 
Widerſpruchs, während es ſonſt die Zurücknahme eines 
Rechtsmittels oder eines Einſpruchs ausdrücklich zu⸗ 
läßt. Das Mahnverfahren ſollte möglichſt einfach ge⸗ 
ſtaltet werden. Sobald es verwickelt zu werden droht, 
ſoll es in den Prozeß übergehen; daher auch die Be⸗ 
ſtimmung, daß der Zahlungsbefehl ſeine Kraft verliert, 
auch wenn nur gegen einen Teil Widerſpruch erfolgt. 
Gegen die Zuläſſigkeit der Zurücknahme ſprechen noch 
andere Gründe, die Gaupp⸗Stein $ 695 Anm. 1 u. a. 
anſcheinend außer acht gelaſſen hat. Der Vollſtreckungs⸗ 
befehl darf nur wegen der im Zahlungsbefehl ent⸗ 
haltenen Beträge erlaſſen werden. Es ſind alſo nur 
die im „bisherigen“ Mahnverfahren erwachſenen 
Koſten aufzunehmen (8 699) und die Koſten des Voll⸗ 
ſtreckungsbeſehls ſelbſt. Dagegen fehlt es an jedem 
Anhaltspunkt dafür, in welcher Form die Gerichts- 
und Anwaltskoſten feſtgeſetzt werden ſollen, die nach 
der Erhebung des Widerſpruchs bis zur Zurücknahme 
entſtanden ſind. Ein Urteil liegt nicht vor; ein ſolches 
aber müßte ergehen, wenn die Koſten feſtgeſetzt werden 
ſollen. Es müßte alſo eine Trennung des Verfahrens 
eintreten: bezüglich der Hauptſache, der Koſten des 
Zahlungsbeſehls und des Vollſtreckungsbefehls müßte 
Vollſtreckungsbefehl erlaſſen werden, bezüglich der 
übrigen Koſten Urteil und e 
Das hat aber der Geſetzgeber keinesfalls gewollt. Mit 
dem Widerſpruch iſt das Mahnverfahren als ſolches 
abgeſchloſſen. Nimmt der Beklagte den Widerſpruch 
zurück, d. h. erkennt er die Schuld an, dann kann der 
Kläger das Verfahren durch Anerkenntnisurteil, Ver⸗ 
gleich oder, wenn die Zurücknahme vor dem Termin 
erfolgte und hier der Beklagte nicht erſchien, durch 
Verſäumnisurteil zu Ende führen. (Vgl. Zeitſchr. f. 
D. JuſtizS. 1913, 180). Das LG. verwarf die Beſchwerde. 

Aus den Gründen: Der Widerfpruch gegen 
einen Zahl ungsbefehl kann nicht ohne weiteres gleich 
dem Einſpruch gegen ein Verſäumnisurteil behandelt 
werden. Der Einſpruch ſetzt einen Vollſtreckungstitel 
voraus; demzufolge beſtimmt 8 342 ZPO., daß durch 
den Einſpruch der Prozeß in die Lage zurückverſetzi 
wird, in der er ſich vor Eintritt der Verſäumnis be⸗ 
fand. Allein damit wird das Verſäumnisurteil oder 
gem. 8 700 3PO. der Vollſtreckungsbefehl nicht aus 
der Welt geſchafft. Vielmehr iſt der Vollſtreckungs⸗ 
titel gem. 8 343 ZPO. aufrecht zu erhalten, wenn ſich 
der Einſpruch als unbegründet erweiſt. Eine Folge 
davon iſt auch die Vorſchrift der SS 346, 515 ZPO., 
wonach die Zurücknahme des Einſpruchs den Verluſt 
zur Folge hat und fohin der Vollſtreckungstitel wieder 
in Kraft tritt, deſſen Wirkſamkeit durch den Einſpruch 
nur aufgeſchoben, aber nicht aufgehoben worden iſt. 
Anders verhält es ſich mit dem Zahlungsbefehl. Dieſer 
iſt nur ein Verſuch, den Schuldner ohne mündliches Ver⸗ 
fahren zur Befriedigung zu veranlaſſen. Stößt er auf 
Widerſpruch, fo verliert gem. S$ 695, 696 ZPO. der 
Zahlungsbefehl ſeine Kraft, das Mahnverfahren iſt 
beendet und in das ordentliche Verfahren übergeleitet. 
Dieſes kann aber nur nach den hiefür geltenden Vor— 
ſchriften beendet werden. Die gegenteiligen Aeußerungen 
ſowohl bei Gaupp-Stein und Seuffert als in Seuffl. 
Bd. 76 S. 591 beruhen offenbar mehr auf ſozialpolitiſchen 
als auf rechtlichen Erwägungen. Unerörtert mag bleiben, 
ob der Widerſpruch nicht wenigſtens vor der Termins— 
anberaumung zurückgenommen werden kann, da bis 
dahin Vorgänge des ordentlichen Verfahrens noch nicht 


256 


ftattgefunden haben. Es iſt auch nicht erſichtlich, ob 
nicht die gegenteilige Anſchauung ſolche Fälle im Auge 
hat. Wenn aber das ordentliche Verfahren eingetreten 
und Beweiserhebung angeordnet war, kann es nicht 
im Belieben des Schuldners ſtehen, dieſes Verfahren 
durch Zurücknahme des Widerſpruchs zu beenden und 
den Gläubiger zu nötigen, einen Vollſtreckungsbefehl 
gegen ihn zu erwirken, in den die im ordentlichen Ver⸗ 
59 78 erwachſenen Koſten nicht aufgenommen werden 
könnten, weil hier gem. 8 699 ZPO. nur Koſten des 
Mahnverfahrens in Frage kommen. Um andere feſt⸗ 
zuſetzen, bedürfte es eines im ordentlichen Verfahren 
zu erwirkenden Vollſtreckungstitels, ſo daß in einer 
Sache zwei Vollſtreckungstitel vorliegen würden, was 
ebenſo unzuläſſig wäre wie eine Trennung des Ver⸗ 
fahrens bezüglich der Hauptſache und der Koſten. 
Hiedurch würde das Verfahren nicht beſchleunigt und 
verbilligt, ſondern verlangſamt und verteuert. Hier 
für ie alſo nicht einmal, ſozialpolitiſche“ Erwägungen 
ür die gegenteilige Anſicht. (Beſchl. vom 17. März 1 
3868 5 


Zeſetzgebung uud Verwaltung. 


Geſetz vom 14. Mai 1914 zur Aenderung des Ge⸗ 
ſetzes über die gemeinſamen Rechte der Beſitzer von 
Schuldverſchreibungen vom 4. Dezember 1899 (veröffent: 
licht in RED. S. 121). Das Geſetz vom 4. Dezember 
1899 traf keine genügende Vorſorge für den Erſatz 
eines abberufenen oder aus einem anderen Grunde 
weggefallenen Gläubigervertreters, der bei der Aus⸗ 
gabe der Schuldverſchreibungen oder nach 8 1189 88. 
bei der Hypothekerrichtung beſtellt war. Das führte 
zu Schwierigkeiten, beſonders deshalb, weil die Recht⸗ 
ſprechung dann, wenn bei der Beſtellung des Ver⸗ 
treters für die Nachfolge keine Beſtimmung getroffen 
war, die Beſchlußfaſſung der Gläubigerverſammlung 
nicht für genügend erklärte, ſondern die — praktiſch 
kaum zu erlangende — Einwilligung ſämtlicher Beſitzer 
von Schuldverſchreibungen verlangte. Die Novelle 
ſchafft Abhilfe, indem ſie der Gläubigerverſammlung 
die Befugnis zur Beſtellung eines neuen Vertreters 
gibt und zur Ergänzung gleichzeitig das Amtsgericht 
ermächtigt einen neuen Vertreter unter den gleichen 
Vorausſetzungen zu beſtellen, unter denen es bisher einen 
Vertreter nur abberufen konnte. Die Eintragung ins 
Grundbuch wird erleichtert; ſie iſt ohne Vorlegung 
aller Teilſchuldverſchreibungen möglich und kann vom 
AZ. veranlaßt werden, wenn es aufſtellt oder abruft. 
Ein Zuſatz zum § 17 des Geſetzes erleichtert auch die 
Eintragung jener Vertreter ins Grundbuch, die an 
die Stelle von Gläubigervertretern des älteren Rechts 


treten. 
3382 


Berwaltung des Lirchenſtiſtungsvermögens. Die 
Kirchengemeindeordnung hat die Grundlagen für die 
Verwaltung des Ortskirchenvermögens und die Staats- 
aufſicht über dieſe Verwaltung neu geordnet. Die in 
Ausſicht genommene allgemeine, Verwaltungsordnung“ 
ſteht noch aus. Auf Grund des Art. 75 Abi. IV KG. 
hat das Staatsminiſterium für Kirchen- und Schul— 
angelegenheiten einſtweilen die Zweifel entſchieden, ob die 
älteren Vorſchriften über die Notwendigkeit der aufſicht— 
lichen Genehmigung zu den „Quittungen und Löſchungs— 
bewilligungen“ bei der Rückzahlung von Hypothekkapi— 
talien und zur Freiſchreibung der aufden Namengeſtellten 
Schuldverſchreibungen (Bek. v. 17. Mai 1905 über die 
Anlegung von Geldern der Kultusſtiftungen und Kirchen— 
gemeinden, IM Bl. S. 717) noch gelten, und dabei dieſe 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 


| 


Vorſchriften „ (Bek. v. 28. März 1914, abgedruckt 
im IMBl. S. 77). Die Kirchenverwaltungen (Pres⸗ 
byterien) bedürfen der Genehmigung nicht mehr. Ihre 
Quittungen und Löſchungsbewilligungen und ihre An⸗ 
träge auf Freiſchreibung unterliegen aber den erſchwerten 
Formvorſchriften des Art. 63 Abſ. IX KSO. (Unterſchrift 
des Vorſtands und zweier Mitglieder und Amtsſiegel). 
Die Genehmigung iſt auch weiterhin notwendig für Orts⸗ 
kirchenvermögen, das unter gutsherrlicher oder ſonſtiger 
beſonderer Verwaltung von Einzelperſonen ſteht. Ebenſo 
bleibt das Erfordernis der Genehmigung für die Pfründe⸗ 
ſtiftungen beſtehen. Dieſe Vorſchriften find beſonders 
für die Grundbuchämter von Bedeutung. 
3360 


Zur Statiſtik der Uebertretungen veröffentlicht 
die bayeriſche Juſtizverwaltung in der Zeitſchrift des 
bayeriſchen ſtatiſtiſchen Landesamts (Jahrgang 1914 
Heft 2) eine Mitteilung, die auch als Sonderabdruck 
erſchienen iſt. Sie gibt eine Ueberſicht über das Ver⸗ 
hältnis der Verurteiltenzahl (nach der Statiſtik für 1912) 
zur Zahl der ſtrafmündigen Bevölkerung (nach der 
Volkszählung von 1910) und zwar zunächſt für die Ber 
urteilungen wegen Uebertretungen überhaupt und da⸗ 
neben noch beſonders für die Verurteilungen wegen 
Bettelns und Landſtreicherei. Zur Veranſchaulichung 
ſind zwei farbige Tafeln beigefügt. Die Verhältnis⸗ 
zahlen ſind nach Landgerichtsbezirken berechnet. Das 
mag auf den erſten Blick etwas unzweckmäßig er⸗ 
ſcheinen; eine Berechnung nach Amtsgerichtsbezirken 
hätte eher ermöglicht, Beziehungen zu finden zu der 
Art des Bezirks und ſeiner Bevölkerung, als es jetzt 
bei der teilweiſe großen Verſchiedenartigkeit der in 
einem Landgerichtsbezirk zuſammengefaßten Gebiete 
und Volksteile möglich iſt. Allein die Wahl der kleinen 
Amtsgerichtsbezirke hätte abgeſehen von dem Bedenken, 
das in der Mitteilung ſelbſt dagegen angeführt iſt, das 
Mißliche, daß Unterſchiede viel mehr zutage treten 
würden, die keinen inneren Grund haben, ſondern rein 
zufälliger Natur ſind; man denke nur an die Steige⸗ 
rung, die z. B. die Anzeigen wegen Schulverſäumnis 
oder wegen Wirtshausbeſuchs mitunter durch irgend⸗ 
einen äußeren Anlaß oder infolge der größeren oder 
geringeren Strenge einer maßgebenden Perſönlichkeit 
in einzelnen Orten erfahren. Was die Ergebniſſe an⸗ 
langt, ſo trifft im Königreich durchſchnittlich ſchon auf 
18 (!) Einwohner eine Verurteilung wegen Uebertretung 
und auf 113 Einwohner eine Verurteilung wegen Bettelns 
oder Landſtreicherei. Die Zahlen für die einzelnen Bezirke 
ſchwanken bei den Verurteilungen wegen Uebertretungen 
überhaupt zwiſchen 10 und 36, bei den Verurteilungen 
wegen Bettelns und Landſtreicherei zwiſchen 47 und 24. 
Die örtliche Verteilung iſt nicht dieſelbe wie bei den Ber: 
urteilungen wegen Verbrechen oder Vergehen; doch zeigt 
ſie bei den Uebertretungen im allgemeinen immerhin 
einige Aehnlichkeit. Die Bezirke Zweibrücken, Frankenthal 
und Kaiſerslautern ſtehen an der Spitze; dann folgen 
die Bezirke mit großen, gewerbe- und verkehrsreichen 
Städten, München I, Nürnberg und — nach Landau — 
Augsburg und Würzburg. Ganz anders bei den Ueber⸗ 
tretungen wegen Bettelns und Landſtreicherei: bier 
gehören die vier Landgerichts bezirke der Pfalz zu den 
acht Bezirken mit der niedrigſten Verurteiltenzahl und 
ihnen ſchließt ſich merkwürdigerweiſe die Großſtadt 
München an, während Bezirke mit überwiegend länd⸗ 
licher Bevölkerung wie München II und Traunſtein 
ſehr ſchlecht abſchneiden. 

3381 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ur. 123. 13. München, den 1. I. Juli 1914. 1914. 10. I. Jahrg. 


Zeitfhrift für Rechtspflege 


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„Nachdruck verboten. 257 


Reichsgerichtsrat a. D. Ernſt von Schneider. 


Ein Nachruf. 
Bom Senatspräfidenten des Reichsgerichts Chriſtian v. Kolb. 


Am 12. Juni dieſes Jahres iſt in München der Reichsgerichtsrat a. D. Ernſt von Schneider plötzlich 
an Herzlähmung geſtorben. Erſt vor einigen Monaten aus dem aktiven Dienſt geſchieden und in die geliebte 
bayeriſche Heimat übergeſiedelt, durfte er ſich nur kurze Zeit des wohlverdienten Ruheſtandes erfreuen. Ihm 
und ſeinem Wirken, insbeſondere am höchſten Gerichtshofe des Reiches, ein Gedenkwort zu widmen, er⸗ 
ſcheint dem Einſender als Ehrenpflicht. Ernſt Schneider war geboren am 16. Februar 1846 zu 
Obernzenn (Mittelfranken), beſuchte die Gymnaſien zu Bamberg und Ansbach, ſtudierte an den Uni⸗ 
verfitäten Erlangen und Leipzig und beſtand 1867 die erſte, 1870 die zweite Staatsprüfung mit 
beſtem Erfolge. Sodann war er jahrelang als Hilfsarbeiter (Konzipient) im Notariat und der Rechts⸗ 
anwaltſchaft tätig, wurde 1879 Amtsrichter in Hof, 1886 Landgerichtsrat in Paſſau und 1897 
Oberlandesgerichtsrat in Bamberg. 

Als im Frühjahr 1899 die Zahl der von Bayern vorzuſchlagenden Mitglieder des Reichs⸗ 
gerichts von ſechs auf zehn erhöht wurde, befand ſich auch Ernſt Schneider unter den neuerwählten 
Raͤten. In den ſeitdem verfloſſenen fünfzehn Jahren iſt er jederzeit vollauf den recht hochgeſpannten 
Erwartungen und Anforderungen gerecht geworden, die an die Mitglieder des Reichsgerichts geſtellt 
werden können und müſſen. Dem V. Zivilſenat zugeteilt, dem er bis zu ſeinem Ausſcheiden un⸗ 
unterbrochen treu blieb, trat er in einen geradezu glänzenden Kreis engerer Kollegen ein, deren 
Namen in der ganzen Juriſtenwelt rühmlichſt bekannt find.) Wenn es ihm gleichwohl in ganz 
kurzer Zeit gelang, in dieſem Senate eine hochgeachtete und unbeſtritten anerkannte Stellung zu er⸗ 
ringen und ſtets zu behaupten, ſo verdankte Schneider dieſen Erfolg den ausgezeichneten Eigenſchaften, 
die ihn ganz beſonders zum Richteramte befähigten: ſeinem ſcharfen, in die Tiefe dringenden Ver⸗ 
ſtande, ſeiner reichen umfaſſenden Kenntnis aller Rechtsgebiete, ſeiner Vertrautheit und ſteten Füh⸗ 
lung mit den Anſchauungen und Bedürfnifien des praktiſchen Lebens, und nicht zuletzt feinem auf: 
rechten, ſtarken Charakter, der ihn das für recht und wahr Erkannte auch mit allem Nachdruck feſt⸗ 
zuhalten und zu verteidigen hieß. In den letzten Jahren, der Zeit der Hilfsrichter, hatte Schneider 
auch Häufig den Vorſitz in den ſtark vermehrten Sitzungen zu führen, und er hat ſich auch in dieſer 
Eigenſchaft glänzend bewährt. Im Verkehr war Schneider ein Mann von großer Liebenswürdigkeit, 


) Dem V. Zivilſenate gehörten damals u.a. an: Schütt, der Herausgeber von Seufferts Archiv; 
Turnau und Förſter, die Verſaſſer des großen zweibändigen Werks über das Liegenſchaftsrecht; Jäckel, 
der Kommentator des Zwangsverſteigerungsgeſetzes. 


258 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


gepaart mit der vornehmen Naturen eigenen Beſcheidenheit und lauteren Sinnesart, ein treuer, zu⸗ 
verläſſiger Freund und Kollege, der ſich dahier außergewöhnlicher Beliebtheit erfreute. Das zeigte ſich 
beſonders bei ſeinem Scheiden aus dem Dienſte und von Leipzig, und jetzt wieder bei der Trauerkunde 
von ſeinem plötzlichen Tode. f 

Schneider beſaß auch Neigung und Befähigung zu ſchriftſtelleriſcher Tätigkeit. Wiederholt hat 
er gediegene und gedankenreiche Aufſätze über praktiſch wichtige Fragen in dieſer Zeitſchrift veröffentlicht, 
auch für die Abteilung „Rechtſprechung des Reichsgerichts in Zivilſachen“ hat er zahlreiche Beiträge 
geliefert. Ebenſo ſtammten in Neumanns Jahrbuch die Ueberſichten über die Literatur und Recht⸗ 
ſprechung, Zwangsvollſtreckung betr., aus feiner Feder. Die größere Muße des Ruheſtandes hätte ficher 
noch manche wertvolle Arbeit von ihm zutage gefördert, und ſo hat auch die Rechtswiſſenſchaft in 


ſeinem allzufrühen Hinſcheiden ein ſchmerzlichen Verluſt zu beklagen. 
Ehre ſeinem Andenken! 


Verleſung von Echriftſtücken Verſtorbener im 
Strafverfahren. 


Von Reichsgerichtsrat Valentin Grimm in Leipzig. 


Dem Urteile des III. Strafſenats vom 27. No⸗ 
vember 1913 — 3 D 1159 — lag folgender Tat⸗ 
beſtand zugrunde. 

Der Angeklagte war der Vermöͤgensverwalter 
einer 1912 verſtorbenen Rentnerin. Nach ihrem 
Ableben ſtellte er Rechnung, nach welcher das 
Vermögen vollſtändig aufgewendet war. Eine 
Durchſuchung ſeiner Wohnung förderte Briefe und 
Aufzeichnungen der Verlebten zutage, die in der 
Hauptverhandlung verleſen wurden und aus denen 
das erkennende Gericht den Beweis entnahm, daß 
der Angeklagte einen großen Teil des von ihm 
verwalteten Vermögens veruntreut hatte. Ver⸗ 
urteilt, legte der Angeklagte Reviſion ein mit der 
Begründung, es ſei gegen die Vorſchriſten des 
8 250 StPO. verſtoßen, weil die Briefe und Auf: 
zeichnungen nicht hätten verleſen werden dürfen, 
und bezog ſich dabei auf das in vielen Kommen⸗ 
taren jo z. B. Löwe, StPO. 8 250 Anm. 1 b an⸗ 
geführte Urteil des IV. Strafſenats vom 25. Ok⸗ 
tober 1898, mitgeteilt in Goltd Arch. Bd. 46 
S. 435. Dieſes Urteil ſpricht folgende Sätze aus: 
Nach 8 249 StPO. ſei, wenn der Beweis einer 
Tatſache auf der Wahrnehmung einer Perſon be⸗ 
ruhe, dieſe letztere in der Hauptverhandlung zu 
vernehmen. Die Vernehmung dürfe nicht durch 
Verleſung des über eine frühere Vernehmung auf— 
genommenen Protokolls oder einer ſchriftlichen Er: 
klärung erſetzt werden. Von dieſem Grundſatze 
ſeien allerdings in $ 250 daſelbſt Ausnahmen in 
verſchiedenen Richtungen zugelaſſen, darunter na— 
mentlich auch die, daß das Protokoll über die 
frühere richterliche Vernehmung eines verſtorbenen 
Zeugen verleſen werden dürfe. Aus dem Zu— 
ſammenhange jener Regelvorſchrift mit der eben 
bezeichneten Ausnahmebeſtimmung erhelle aber von 
ſelbſt, daß das Geſetz es nicht für ſtatthaft er⸗ 
achte, ſchriftliche Erklärungen einer verſtorbenen 


Perſon über Tatſachen, die Gegenſtand ihrer Wahr: 
nehmung geweſen ſeien, zum Zwecke des Beweiſes 
dieſer Tatſachen in der Hauptverhandlung zu ver⸗ 
leſen, und auf dieſe Weiſe die durch den Tod un⸗ 
möglich gewordene Vernehmung zu erſetzen. 

Der Sinn dieſes Urteils geht alſo dahin, 8 250 
Abſ. 1 StPO. habe gegenüber den 88 248, 249 
und anderen Beſtimmungen der StPO. eine jo 
überragende Bedeutung, daß die Verleſung von 
Schriftſtücken Verſtorbener zum Zwecke des Be⸗ 
weiſes der dort niedergelegten eigenen Tatſachen⸗ 
wahrnehmungen der Schreiber im Strafverfahren 
ſelbſt dann unzuläſſig ſei, wenn dadurch die Pflicht 
des Gerichts zur Erforſchung der Wahrheit aus 
der unter Umſtänden einzigen und unmittelbarſten 
Erkenntnisquelle verletzt werde.“) 


Teilweiſe von dieſen Gründen abweichend wurde 
die Reviſion zurückgewieſen im weſentlichen aus 
folgenden Erwägungen: Zunächſt ſei der Hinweis 
der Reviſionsbegründung auf 8 250 StPO. ver⸗ 
fehlt, denn dieſes Geſetz regele in feinen drei Ab: 
lägen die Vorausſetzungen, unter welchen richter⸗ 
liche Vernehmungen überhaupt, und in ſeinem 
erſten Abſatze, unter welchen Vorausſetzungen 
richterliche Protokolle verſtorbener Zeugen, Sach⸗ 
verſtändiger oder Mitbeſchuldigter verleſen werden 
dürfen. § 250 ſtehe in keinem Ueberordnungs⸗ 
verhältniſſe zu den 88 248, 249 StPO., welche 
die Verleſung von Urkunden und anderen als Be⸗ 
weismittel dienenden Schriftſtücken zulaſſen. Unter⸗ 
ſtelle man, die Reviſion wolle einen Verſtoß gegen 
die 88 248, 249 StPO. rügen, jo müſſe das Rechts⸗ 
mittel gleichfalls verworfen werden, denn die ver⸗ 
leſenen Schriftſtücke ſeien durch gerichtliche Be⸗ 
ſchlagnahme gemäß § 94 StPO. in den Beſitz 
des Gerichts gekommen, weil fie als Beweismittel 
für die Unterſuchung von Bedeutung ſein konnten, 


1) Unbedingtes Beweismittelverbot, ähnlich wie 
das Verbot der Verleſung von richterlichen Ber: 
nehmungen eines verſtorbenen, mit dem Angeklagten 
verwandten Zeugen, der ohne Belehrung über ſein 
Zeugnisverweigerungsrecht vernommen worden war 
(RGSt. 20, 186; 32, 72). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


ſie ſeien als Beweismittel in der Anklageſchrift 
bezeichnet, als ſolche dem erkennenden Gericht vor⸗ 
gelegt und auf Anordnung des Vorſitzenden als 
des Leiters der Verhandlung und der Beweis⸗ 
aufnahme ohne Beanſtandung von irgendeinem 
Prozeßbeteiligten (RGSt. 25, 125) verleſen worden. 
Der Angeklagte habe anerkannt, daß die Schriftſtücke 
von der Verlebten herrühren. Als herbeigeſchaffte 
Beweismittel hätten fie nach $ 244 StPO. ver: 
leſen werden müſſen. 

Im übrigen waren folgende Erwaͤgungen maß⸗ 
gebend. Zweifellos waren die Briefe und Aufzeich⸗ 
nungen, deren Inhalt im angefochtenen Urteile aus⸗ 
zugsweiſe wiedergegeben waren, Urkunden, d. h. 
körperliche Gegenſtände, welchen eine an ihr Aeußeres 
geknüpfte und daher nur mittels Vorzeigung oder 
auf einem der Vorzeigung gleich zu achtenden Wege 
zur Geltung zu bringende Beweiskraft innewohnte, 
RGSt. 8, 95. Sie waren auch erheblich, dazu be⸗ 
ſtimmt, durch ihren gedanklichen Inhalt rechts⸗ 
erhebliche Tatſachen über die Vermögensverwaltung, 
über Leiſtungen und Gegenleiſtungen, zu beweiſen. 
An ſich konnten fie deshalb nach $ 248 StPO. 
verleſen werden. Sie bildeten keine körperlichen 
Beweisſtücke, welche wie z. B. eine verfälſchte Urkunde, 
ein Grenzzeichen, Warenzeichen durch Beſichtigung 
beweisbehelflich find, ſondern ſollten durch ihren 
Inhalt Beweis liefern. So weit nun die Briefe und 
Aufzeichnungen Willenserklärungen, Mahnungen, 
Zahlungsaufforderungen der Verlebten enthalten, 
konnten fie verleſen werden, wie in der Recht: 
ſprechung RGSt. 33, 35 und auch in der Wiſſen⸗ 
ſchaft anerkannt iſt. Löwe, Komm. § 248 Anm. a. 
Wenn auch die StPO. keine Beweisregeln kennt, 
8 260 StPO., fo darf doch hierzu auf die ähnliche 
Beſtimmung des § 416 ZPO. verwieſen werden. 
Eine Abweichung trat hier nicht deshalb ein, weil 
die Ausſtellerin verſtorben war. 

Neben den Willenserklärungen beſtätigten die 
den Gegenſtand der Beweisaufnahme bildenden 
Briefe und Aufzeichnungen auch Wahrnehmungen 
der Verſtorbenen über die Art der Vermögens⸗ 
verwaltung des Angeklagten, über ſein Verhalten 
gegen die Verſtorbene u. a. Auch dieſe auf der 
Wahrnehmung der Verſtorbenen beruhenden Tat⸗ 
ſachen wurden in den Urteilsgründen zur Be⸗ 
laſtung des Angeklagten verwertet. Darin kann 
kein Verſtoß gegen § 249 StPO. erblickt werden, 
denn die Verlefung von Urkunden iſt nur dann 
unſtatthaft, wenn dadurch die Vernehmung einer 
Perſon als Zeuge erſetzt werden ſoll. Nur dann 
iſt der Grundſatz der Unmittelbarkeit und der 
Mündlichkeit der Beweisaufnahme verletzt, wenn 
an Stelle der möglichen Vernehmung einer Per⸗ 
ſon als Zeugen die Verleſung von Schriftſtücken 
tritt. Dieſem Grundſatze wird dann nicht ent⸗ 
gegengehandelt, wenn die wahrnehmende Perſon 
nicht mehr lebt, ſie aber ihre Wahrnehmungen 
in einer Urkunde niedergelegt hat. Es iſt nicht 
verſtändlich, in einem Verfahren, das die Ver⸗ 


259 


nehmung von Zeugen kennt, die ihre Kenntnis 
nur vom Hörenſagen haben (RGSt. 2, 160), die 
Verleſung von ſchriftlich niedergelegten Zeugniſſen 
verſtorbener Perſonen abzulehnen, auch wenn die 
Glaubwürdigkeit dieſer Perſonen feſtſteht und alle 
Umftände für die Richtigkeit der in den Auf: 
zeichnungen enthaltenen Tatſachen ſprechen. Es 
kann dem Strafrichter nicht unterſagt ſein, das 
geſchriebene Wort, die vox mortua, wie Binding 
ſagt, zu hören und es zur Unterlage ſeiner freien 
aus dem Inbegriff der Verhandlung geſchöpften 
Ueberzeugung zu machen. Wäre das Gegenteil 
richtig, dann dürften auch beiſpielsweiſe Notizen 
eines von Wilderern tödlich verletzten Förſters über 
ſeine den Täter belaftenden Angaben nicht verleſen 
werden, wenn der Förſter vor ſeiner richterlichen 
Vernehmung verſtarb, und auch nicht Aufzeichnungen 
eines in eine Gletſcherſpalte geftürzten und ver⸗ 
ſtorbenen Turiſten über das fahrläſſige Verhalten 
ſeines Führers. Der Formalismus der StPO. 
kann doch nicht ſoweit gehen, zu erfordern, daß 
die Aufzeichnungen des Verſtorbenen einer dritten 
Perſon zur Kenntnisnahme ausgehändigt wird, 
damit dieſe Perſon den Inhalt auswendig lernt 
und in der Hauptverhandlung wiederholt. Wem 
ſoll das Gericht Glauben ſchenken, den vernommenen 
Zeugen oder dem Urheber der Aufzeichnungen? 
Oft find Schriftſtücke wie im vorliegenden Fall das 
einzige Ueberführungsmittel gegen den Täter. Sie 
ſind in ſolchen Fällen die unmittelbarſte Erkenntnis⸗ 
quelle für die Ueberzeugung des Gerichts, dem die 
Schreiber für die Wahrheit bürgen. Zwei Senate 
des Reichsgerichts, und zwar der 2. in ſeinen 
Urteilen 2 D 321/10 vom 1. Mai 1910 und 
2 D 637/13 vom 14. Oktober 1913, und der 
5. in feinem Urteile 5 D 403/11 vom 13. Juli 1911 
haben denn auch ausgeſprochen, daß die Verleſung 
von Aufzeichnungen verſtorbener Perſonen über 
Wahrnehmungen zuläffig ſei, es ſei der Fall des 
8 249 S. 1 StPO. nicht gegeben, weil durch die 
Verleſung die infolge des Todes des Schreibers 
unmögliche Vernehmung nicht erſetzt ji. 

Dieſe Entſcheidungen ſind zur Stütze des Urteils 
vom 17. November 1913 herangezogen worden, 
aber davon ausgehend, den Urkundenbeweis im 
Strafverfahren möglichſt einzuſchränken, und der 
Folgerung entgegenzutreten, als könne einzig und 
allein auf ſolche Aufzeichnungen die richterliche Ueber⸗ 
zeugung von der Schuld eines Angeklagten geſtützt 
werden, iſt der noch zu beſprechende Hilfsgrund 
beigefügt worden. 

Die hierin liegende Befürchtung ungemeſſener 
Berückſichtigung folder Schriftſtücke iſt unbegründet. 
Es iſt nicht zu bezweiſeln, daß die richterliche Ueber⸗ 
zeugung von der Schuld des Angeklagten einzig 
und allein auf der Verleſung gerichtlicher Protokolle 
über die Vernehmung verſtorbener Zeugen, Sad): 
verſtändiger oder Mitbeſchuldigter gewonnen werden 
kann. 88 250 Abſ. 1, 260 StPO. Dasſelbe muß 
gelten für die Verleſung von Aufzeichnungen ver⸗ 


260 


ſtorbener Perſonen, jedenfalls ſoweit fie Willens: 
erklärungen enthalten, aber auch inſoweit fie Wahr: 
nehmungen über Tatſachen enthalten, weil durch 
die Verleſung nicht die Vernehmung eines Zeugen 
erſetzt wird. Sehr lehrreich iſt der im Urteile des 
3. Straſſenats vom 8. Februar 1909 — 3 D 
963/08 — behandelte Fall. Es waren Auf: 
zeichnungen eines verſtorbenen Rechtsanwaltes über 
ſeine Verhandlungen mit ſeiner Partei verleſen 
worden, in welchen beſtimmte Tatſachen von der 
Partei beſtätigt wurden. Die Verleſung iſt unter 
Bezugnahme auf 88 249 und 250 Abſ. 1 StPO. 
als unzuläſſig bezeichnet worden, weil die Verleſung 
dazu dienen ſollte, das Zeugnis der Partei zu erſetzen. 
Dabei iſt erwogen worden: „ob eine Verleſung 
zum Erſatze des Zeugniſſes der Partei auch unzu⸗ 
läͤſſig geweſen wäre, wenn es ſich nicht um ein 
mit ihr aufgenommenes Protokoll, ſondern um ein 
von ihr ſelbſt angefertigtes Schriftſtück gehandelt 
hätte, kann dahingeſtellt bleiben“. Aus denſelben 
Gründen find nicht verlesbar polizeiliche Protokolle 
über die Vernehmung von Perſonen, wenn der das 
Protokoll errichtende Polizeibeamte verſtorben iſt. 

Das Urteil vom 17. November 1913 hat ſich 
hilfsweiſe darauf bezogen, daß anerkannten Rechts 
die Verleſung von Schriftſtücken inſoweit zuläffig 
iſt, als nur dargetan werden ſoll, es ſeien Schrift⸗ 
ſtücke ſolchen Inhalts geſchrieben worden. Löwe, 
Komm. $ 249 Anm. 1 a. Zwar ſoll zur Klar⸗ 
ſtellung der Geſetzmaͤßigkeit des Verfahrens der 
Zweck der Verleſung der Schriftſtücke im Sitzungs⸗ 
protokolle angegeben ſein, d. h. es ſoll angegeben 
werden, ob die Verleſung erfolgte, um den Beweis 
ihres Daſeins und ihres Inhaltes, oder den Beweis 
von Wahrnehmungen des Urhebers und Schreibers 
des Schriftſtücks zu erbringen, was im gegebenen 


Angabe im Sitzungsprotokolle nicht. RGSt. 38, 
254. Iſt die Verleſung des Schriftſtückes nicht 
zu beanſtanden, jo iſt es Sache der freien richter: 
lichen Beweiswürdigung, welche Schlüſſe aus dem 
Inhalte der Schriftſtücke gezogen werden können. 
Dieſe Sätze find richtig, ſie kennzeichnen aber die 
Lage der Rechtſprechung gegenüber dem in der 
StPO. zutage tretenden Mißtrauen gegen den 
Urkundenbeweis im Verhältnis zum Zeugenbeweis. 

Auf Grund dieſer Darlegungen dürfte anzu— 
zunehmen ſein: 

1. die Verleſung von Schriſtſtücken Verſtorbener 
iſt unbedingt zuläſſig, ſoweit ſie Willenser— 
klärungen enthalten, 

2. zuläſſig, ſoweit ſie eigene Wahrnehmungen 
der Verſtorbenen wiedergeben, da in dieſem 
Falle von einem Erſatz einer Zeugenvernehmung 
nicht geſprochen werden kann, 

3. unzuläſſig, ſoweit ſie Wahrnehmungen dritter 


Perſonen bekunden, deren zeugenſchaftliche Ver- 
nehmung möglich iſt, was ſich aus $ 250 | 


Abſ. 1 in Verbindung mit $249 StPO. ergibt, 


Beitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


Falle nicht geſchehen iſt, allein notwendig iſt dieſe 
| 
| 


4. die Rüge eines Verſtoßes gegen $ 249 StPO. 
iſt prozeſſualer Natur. Es muß deshalb in 
der Revifionsbegründung nach 8 384 Abſ. 2 
S. 2 StPO. die den Mangel des Verfahrens 
enthaltende Tatſache angegeben, d. h. behauptet 
werden, durch die Verleſung ſei die Vernehmung 
einer beſtimmten — lebenden — Perſon als 
Zeugen erſetzt worden. 


Jechtsnatur und Ablöſung der neurechtlichen 
Nünchener Gemeinſchaftsmauer. 
Von Landgerichtsrat Heinrich Lieberich in München. 
(Fortſetzung.) 

III. Wir kommen nunmehr zur Betrachtung 
der Ablöſungspflicht des an eine bewilligte neu: 
rechtliche Gemeinſchaftsmauer anbauenden Nachbarn. 

Nach dem alten Münchener Recht, wie auch 
nach den übergangsrechtlichen Beſtimmungen des 
Art. 70 mit 68 des Bayer. AG. ſteht dem Eigen⸗ 
tümer des Erſtbaugrundſtücks kraft Geſetzes das 
Recht zu, im Fall des Anbaus von dem anbauen⸗ 
den Nachbarn die Ablöſung des hierzu beanſpruchten 
auf dem Nachbargrundſtück ſtehenden Kommun⸗ 
mauerteiles zu verlangen.“) Für das neue Recht 
dagegen ſtellt ſich die Ablöſungspflicht zunächſt als 
eine vertragsmäßige Einſchraͤnkung des Mitbe⸗ 
nutzungsrechts des Nachbars dar. Der Nachbar, 
der ohne Ablöſung der Gemeinſchaftsmauer an dieſe 
anbauen wollte, würde damit trotz ſeines Eigen⸗ 
tumsrechts an dem auf ſeinem Grundftüde ſtehenden 
Mauerteile gegen die alle Eigentümer der Nachbar⸗ 
grundſtücke bindende Benutzungsvereinbarung für 
die Grenzanlage verſtoßen und der Eigentümer des 
Erſtbaugrundſtücks iſt daher ſchon als ſolcher befugt, 
eine derartige unberechtigte Verfügung über die 
benutzungsgemeinſchaftliche Mauer zu verbieten und 
die Beſeitigung eines gleichwohl erſolgten Anbaus 


10) Tinſch, Münchener Stadtrecht S. 31, 33, 37, 
insbeſondere auch OLG. München Seuff BBl. Bd. 72 S. 262. 
Das Az BGB. ſpricht für den von ihm ſelbſt geregelten 
übergangsrechtlichen Ablöſungsfall (Ablöſung einer vor 


dem BGB. begonnenen, aber erſt nach deſſen Inkraft⸗ 


treten ablöſungsfällig gewordenen Mauer) ausdrücklich 
nur von einem Verbietungsrecht des Eigentümers des 
Erſtbaugrundſtücks. Die Rechtſprechung hat jedoch an- 
erkannt, daß damit der unmittelbare Ablöſungsanſpruch 
des alten Rechts für dieſen Fall nicht ausgeſchloſſen 
worden iſt (OLG. München Seuff Bl. Bd. 70 S. 208, 
Bd. 72 S. 262). Ebenſo Certmann, Bayr. Landes Pr. 
S. 336; Meister, Nachbarrecht S. 65; Schmidt, Bayr. 
Notz. 1907 S. 61, wohl auch Henle-Schneider Anm. 1 
zu Art. 8 AG. Auch für das alte Recht iſt übrigens 


neben dem Ablöſungsanſpruch ein Verbietungsrecht 


des Miteigentümers der Mauer gegenüber einem An— 
bau ohne Ablöſung nach den Grundſätzen der actio 
negatoria anzunehmen, (ſ. 1 9 Becher, Bayr. ul 
recht II S. 376 Note 2 
Art. 69 Ac). 


a Beitfeheift far Rechtepflege in Bayern. 1914. Nr. 13, 


zu verlangen (88 922 mit 1004 BGB.). Denn kraft 
der beſtehenden Benutzungsgemeinſchaft iſt mit dem 
Eigentum des Erſtbaugrundſtücks die nachbarrecht⸗ 
liche Befugnis verbunden, dem anderen Teilhaber 
der Gemeinſchaft jede über fein ordnungsmäßiges 
Nutzungsrecht hinausgehende Verfügung zu unter: 
ſagen und eine dem widerſprechende Bauführung 
ſtellt daher eine unbefugte Beeinträchtigung des 
Eigentums an dem Erſtbaugrundſtück dar.“) Aber 
auch aus der Benutzungsgemeinſchaft als ſolcher, 
in die jeder Erwerber eines der Nachbargrundſtücke 
von ſelbſt als Teilhaber eintritt, läßt ſich der per⸗ 
ſönliche Anſpruch des Eigentümers des Erſtbau⸗ 
grundſtücks gegen den Angrenzer auf Unterlaſſung 
jeder gemeinſchaftswidrigen Benutzung der Mauer, 
auch ſoweit ſie im Eigentum des letzteren ſteht, 
und auf Beſeitigung eines im Widerſpruch damit 
hergeſtellten Zuſtandes ableiten (§ 922 Schlußſatz, 
8 743 Abſ. 2 bis 8 746 BGB.). 

Dieſe Verbietungsbefugniſſe * Eigentümers 
des Erſtbaugrundſtücks begründen zugleich für ihn 
einen mittelbaren Anſpruch auf die Ablöſung der 
Gemeinſchaftsmauer, inſofern der Angrenzer eben 
nur durch Zahlung der Ablöſungsſumme dieſe 
„ ausſchalten kann. Inwie⸗ 
weit jedoch auch ein unmittelbarer Anſpruch 
auf Zahlung der Ablöſungsſumme aus der neu⸗ 
rechtlichen Benutzungsgemeinſchaft abgeleitet werden 
kann, ift zweifelhaft. Im Verhältnis zwiſchen den 
bei der Bewilligung der Gemeinſchaftsmauer be⸗ 
teiligten Grundeigentümern wird ein ſolcher un⸗ 
mittelbarer Ablöſungsanſpruch des Eigentümers 
des Erſtbaugrundſtücks gegenüber ſeinem Vertrags⸗ 
gegner unbedenklich angenommen werden können. 
Denn nach den auch dieſe Vereinbarung beherr⸗ 
ſchenden Grundſätzen von Treu und Glauben muß 
in der Einwilligung des Nachbars zu dem Bau 
der Gemeinſchaftsmauer als ſolcher zugleich die 
Uebernahme der Verpflichtung gefunden werden, 
dieſe im Fall des Anbaus abzulöſen. Und auch 
die Beſitznachfolger der Vertragsteile bleiben durch 
das zwiſchen ihnen fortbeſtehende Gemeinſchafts⸗ 
verhältnis verbunden, aus dem heraus ihre Hand⸗ 
lungen ebenfalls nach dem Grundſatz von Treu 
und Glauben auszulegen ſind. Hiernach wird aber 
vielfach aus den Umſtänden des Falls eine ſtill⸗ 
ſchweigende Uebernahme der Zahlungspflicht durch 


20) Hinſichtlich der Anwendbarkeit des 8 1004 BGB. 
auf Grenzeinrichtungen ſ. Mot. z. BGB. Bd. III S. 277 
Ziff. 4; ferner Staudinger Anm. IIa zu § 921 (in dem 
Mitbenutzungsrecht des Nachbarn liegt eine geſetzliche 
Eigentumsbeſchränkung des Grundſtückseigentümers 
hinſichtlich der auf feinem Grundſtück befindlichen An⸗ 
lage) und Anm. 5 zu $ 922 (Schutz der Nachbarn gegen 
Beeinträchtigung ihres Benutzungsrechts nach § 1004); 
ebenſo Planck Anm. 2b Abſ. 2 zu § 1004; RGRKomm. 
Anm. 3 zu 8 922; RG. Warn. 1911 Nr. 243; endlich 
Meisner, Nachbarrecht S. 56 Abſ. 5 (wenn ein Nachbar 
ohne Zuſtimmung des andern die Grenzeinrichtung 
unzuläſſigerweiſe ändert, hat der andere Nachbar den 
Anſpruch auf i ebenſo RGRKomm. 
Anm. 5 zu 8 922 BGB. 


| 


261 


den anbauenden Nachbarn gefolgert werden können, 
ſo z. B. in der Regel, wenn dieſer in Kenntnis 
des von dem Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks 
in Anſpruch genommenen Ablöſungsrechts oder gar 
wenn er unter ausdrücklicher Anerkennung dieſes 
Rechts anbaut und ihm letzterer daraufhin den 
Anbau geſtattet oder die Zahlung der Ablöſungs⸗ 
ſumme verlangt. Meiſt wird überdies im Fall 
des Anbaus eine förmliche Ablöſungsvereinbarung 
wiſchen den beteiligten Grundeigentümern getroffen. 
In allen dieſen Fällen tritt neben den oder auch 
— je nach den Umſtänden — an Stelle des Ver⸗ 
bietungsanſpruchs ein ſelbſtändiger unmittelbarer 
Ablöſungsanſpruch des Eigentümers des Erſtbau⸗ 
grundſtücks.? ) Selbſtverſtändlich iſt aber immer 
nur der derzeitige Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks 
als der verbotsberechtigte Teilhaber der Gemein⸗ 
ſchaft auch derjenige, der ſo das Recht auf die 
e gegen Geſtattung des Anbaus 
geltend machen kann. 

Die Ablöſungspflicht des Nachbars begründet 
ſonach einen doppelten Anſpruch des Eigentümers 
des Erſtbaugrundſtücks, den negativen Anſpruch 
auf Unterlaſſung des Anbaues ohne Ablöſung und 
den poſitiven mittelbaren oder auch unmittelbaren 
Anſpruch auf Zahlung der Ablöſungsſumme im 
Falle des Anbaus. Träger dieſes doppelten An⸗ 
ſpruchs iſt immer der Eigentümer des Erſtbau⸗ 
grundſtücks zur Zeit der Inanſpruchnahme des 
Anbaurechts durch den Nachbarn und Schuldner 
hierzu immer der dieſes Anbaurecht beanſpruchende 
jeweilige Nachbar.“ 5 


200) S. en 10 1 der Ablöſungs⸗ 
pflicht Koppers DIZ. 1 806 und BayObs G3. 
n. F. Bd. 5 S. 441. — Di im Wege der 88 745, 746 
BOB. auch Benutzungsabfindungen, alſo pofitive Lei⸗ 
ſtungen, mit Wirkung gegenüber den Beſitznachfolgern 
ben bl werden können (f. Note 14 oben), ließe ſich 
em Ablöſungsvorbehalt bei der bewilligten Gemein⸗ 
ſchaftsmauer ſogar die Wirkung beilegen, daß im An⸗ 
baufall ein unmittelbarer Ablöſungsanſpruch gegen 
den Nachbarn kraft des Gemeinſchaftsverhältniſſes ent⸗ 
ſteht. Nimmt man dies aber — im Gegenſatz zum 
alten Recht — auch nicht an, ſo würde die Rechts⸗ 
wirkſamkeit des Ablöſungsvorbehalts dadurch, daß er 
nur einen mittelbaren Ablöſungsanſpruch zu begründen 
vermöchte, ſo wenig berührt, wie nach dem oben aus⸗ 
geführten dadurch, daß er an Stelle des altrechtlichen 
Miteigentums nur mehr eine Benützungsgemeinſchaft 
an der Mauer herbeiführen kann. 

2) Nach dem Geſagten brauchen zur Begründung 
der Ablöſungspflicht keineswegs die Bereicherungs⸗ 
grundſätze des BGB. herangezogen zu werden, wie 
dies vielfach geſchieht, fo Meisner, Nachbarrecht S. 59, 
nun auch RGRKomm. Anm. 5 a. E. zu § 95 BGB. 
Es iſt für die Anwendung dieſer Vorſchriften gegen— 
über den das Verhältnis beherrſchenden Gemeinſchafts⸗ 
grundſätzen überhaupt kein Raum; ſ. dazu Staudinger 
Anm. 2b zu 8 921 und Anm. 2a zu § 951 BGB.; 
Geiershöfer Recht 1905 S. 403; Schmidt Bay Notz. 
1907 S. 56; Meikel BauRotzg. 1901 S. 231; RG. JW. 
1903 B 24; Gruchot Bd. 51 S. 967; Recht 1907 Nr. 1654 
(nnanwendbarkeit der Bereicherungsgrundſätze, wenn 
die Beteiligten in einem beſonderen Vertragsverhält— 
niſſe ſtehen, keine Bereicherung durch den vertrags— 
gemäß erfolgten Bau der Mauer). Nimmt man an, 


IV. Einzelnes. 

a) Nach dem alten Münchener Recht trat die 
Ablöſungspflicht des anbauenden Nachbarn ein, 
ſobald er an die Kommunmauer anzubauen be⸗ 
gann und ſie beſtand in der Verpflichtung des 
Nachbars, den Wert des zum Anbau in Anſpruch 
genommenen, auf ſeinem Grund und Boden ſtehenden 
Mauerteils zu vergüten. In dieſem Sinne iſt 
denn auch die Ablöſungspflicht bei der bewilligten 
neurechtlichen Gemeinſchaftsmauer zu verſtehen. 

Hierbei ergibt ſich allerdings ein gewiſſer Wider⸗ 
ſpruch mit den Ablöſungsgrundſätzen des Ueber⸗ 
gangsrechts, da hiernach nicht der Wert des be⸗ 
anſpruchten Mauerteils, ſondern der entſprechende Teil 
der Baukoſten und nur dann der Bauwert zu ver⸗ 
güten iſt, wenn er geringer iſt als der Betrag 
der Baukoſten. Da aber gewöhnlich der Ablöſungs⸗ 
fall ſchon bald nach der Erbauung der Mauer 
eintritt, wo von einer Entwertung der Mauer 
noch nicht die Rede ſein kann, die Arbeits⸗ und 
Materialkoſten hier aber ſtändig ſteigen, iſt dann 
regelmäßig der Bauwert der Mauer höher als 
die Koſten ihrer ſeinerzeitigen Aufführung. Im Ge⸗ 
genſatz zu den Beſtimmungen des AG. hat dem⸗ 
gegenüber die hieſige Uebung daran feſtgehalten — 
entſprechend den Grundſätzen des alten Rechts — 
die Ablöſungsſumme nach dem Bauwert zur Zeit 
der Ablöſung unter Zugrundelegung der allgemeinen 
Arbeits⸗ und Materialpreiſe dieſes Zeitpunkts zu 
berechnen. Dieſe Uebung wird allerdings für die 


daß der auf dem Nachbargrundſtück ſtehende Mauer⸗ 
teil ſofort in das Eigentum des Nachbars fällt, ſo iſt 
eine ungerechtfertigte Bereicherung ſeines Beſitznach⸗ 
folgers durch den Anbau — abgeſehen von dem Fall 
eines unentgeltlichen Erwerbs (§ 822 BGB.) — über: 
haupt nicht denkbar (ebenfo OLG. München BayzZfR. 
1906 S. 483, 1914 S. 180 —181; Seuff Arch. Bd. 67 
S. 367). S. auch Abele LZ. 1914 S. 833. Auch die 
von Pfirſtinger, KHommunmauer S. 24, verſuchte Be⸗ 
gründung der Ablöſungspflicht aus 8 748 BGB., wo⸗ 
nach jeder Teilhaber einer Gemeinſchaft die Koſten der 
Erhaltung des gemeinſchaftlichen Gegenſtands zu tragen 
hat, wird durch die obigen Ausführungen überflüſſig; 
in der Tat läßt ſich die Vorſchrift des § 748 auch nicht 
auf die Koſten der Herſtellung des gemeinſchaftlichen 
Gegenſtandes anwenden, wenn dieſe, wie Pfirſtinger 
ſelbſt bezüglich der Kommunmauer annimmt, ein⸗ 
ſeitig durch einen Teilhaber der Gemeinſchaft erfolgt 
(ſo auch Staudinger Anm. 2b zu § 921 BGB.). — Buh⸗ 
mann BaygfR. 1914 S. 223 zieht zwar aus der von 
ihm vertretenen Beurteilung des Verhältniſſes nach 
ss 921—922, 745—746 BGB. richtig die Folgerung, 
daß die Ablöſungspflicht auf Grund des Gemeinſchafts— 
verhältniſſes auf den Sondernachfolger des Nachbars 
des Erbauers übergeht, lehnt aber ohne überzeugende 
Begründung den Uebergang des Ablöſungsanſpruchs 
auf den Sondernachfolger des Erbauers der Mauer ab, 
weil dieſer Anſpruch kein aus dem Gemeinſchaftsver— 
hältnis fließender und auch nicht mit dem Eigentum 
an dem Erſtbaugrundſtücke untrennbar verbunden ſei. 
Er räumt daher nur dem Erbauer der Mauer ſelbſt 
einen Ablöſungsanſpruch gegen den jeweiligen an— 
bauenden Eigentümer des Nachbargrundſtücks ein. 


_____Beitfärift fü Meitspftege in Bayern. 1014. fr. 15. 


dem Wert des abzulöſenden Mauerteils z. 


Dies führt ihn im Fall eines beiderſeitigen Beſitz⸗ 


wechſels wieder zu der Annahme eines nach dem oben 
Geſagten unhaltbaren Bereicherungsanſpruchs des Er— 


bauers gegen den Erwerber des Nachbargrundſtücks. 


— — 


Ablöſungsfälle des Art. 70 mit 68 AG. angeſichts 
der abweichenden Vorſchriften dieſer Geſetzesbe⸗ 
ſtimmungen nicht beachtet werden können, wohl aber 
wird ſie für die Ablöſung der neurechtlichen be⸗ 
willigten Gemeinſchaftsmauern Maß zu geben 
haben. Ebenſo wird für dieſe Mauern entſprechend 
den Vorſchriſten des alten Rechts und der feſt⸗ 
ſtehenden hieſigen Uebung als maßgebender Zeit⸗ 
punkt für die Entſtehung des Ablöſungsanſpruchs 
der des Beginns, nicht der der Vollendung des An⸗ 
baus feſtzuhalten ſein.“) Da der Umfang des 
beabſichtigten Anbaus ſich ſchon bei Beginn der 
Bauführung aus den erforderlichen Bauplänen feſt⸗ 
ſtellen läßt, beſteht auch keine Schwierigkeit für 
die Berechnung der Ablöſungsſumme ſchon zu dieſem 
Zeitpunkt. Nach Art. 69 mit 70 AG. kann in 
den dort geregelten Fällen die Erſatzleiſtung auch 
durch Hinterlegung oder Aufrechnung erfolgen. Dies 
gilt nach allgemeinen Grundſaͤtzen auch für die neu: 
rechtlichen Gemeinſchaftsmauern. Demnach müſſen 
die Aufrechnungsvorausſetzungen gegenüber dem 
erſatzberechtigten Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks 
vorliegen und die beſonderen Vorausſetzungen der 
Hinterlegung nach $ 372 BGB. gegeben fein (z. B. 
Annahmeverzug des Erſatzberechtigten). 

b) Gemäß $ 922 BGB. darf, ſolange einer 
der Nachbarn ein Intereſſe an der Grenzeinrich⸗ 
tung hat, dieſe nicht ohne ſeine Zuſtimmung be⸗ 
ſeitigt oder geändert werden. Daß dieſe Beſtim⸗ 
mung, ſobald die Gemeinſchaftsmauer abgelöſt und 
damit die volle Gleichberechtigung beider Teilhaber 
hergeſtellt iſt, auch auf die neurechtliche Gemein⸗ 
ſchaftsmauer anwendbar iſt, verſteht ſich von ſelbſt. 
Es fragt ſich aber, ob ſie auch ſchon für die Zeit 
vor der Ablöſung der Gemeinſchaſtsmauer gilt oder 
ob vor der Ablöſung der Eigentümer des Erſtbau⸗ 
grundſtücks noch einſeitig über die Kommunmauer 
verfügen kann. Nach dem alten Münchener Recht 
war nun in der Tat der Eigentümer des Erſt⸗ 
baugrundſtücks, ſolange die Kommunmauer noch 
nicht abgelöſt war, befugt, ſie einſeitig wieder ab⸗ 
zutragen.“) Dieſe Befugnis muß denn auch als 


23) Siehe Tinſch, Münchener Stadtrecht S. 27, 30, 36 
(Ablöſungspflicht nach Maßgabe des Wertes des bes 
anſpruchten Mauerteils z. Zt. des Anbaus, nicht der 
ſeinerzeitigen Baukoſten, auch nicht der aufzuwendenden 
Baukoſten bei Aufführung der Mauer durch den Ab⸗ 
löſenden ſelbſt); dazu OLG. München Seuffdl. Bd. 54 
S. 244, Bd. 72 S. 262 (Bay 3fR. 1906 S. 483). Dem 
entſpricht auch die noch jetzt in München beſtehende 
Uebung (die Ablöſungsſumme wird berechnet nach 
t. der Ab⸗ 
löſung und iſt ſofort bei Beginn des Anbaus zahl⸗ 
bar). Für Zahlbarkeit der Ablöſung bei Beginn des 
Anbaus auch OLG. München, Beſchl. vom 5. Mai 1913, 
Bay gf. 1914 S. 184 Note 2, und Buhmann Bay. 
1914 S. 224. Hinſichtlich der Erforderniſſe eines die 


Ablöſungspflicht begründenden Anbaus im Sinn des 


alten und Uebergangsrechts, ſ. OLG. München SeuffBl. 
Bd. 71 S. 71 (es muß die Mauer für den Beſtand des 
Anbaus in Anſpruch genommen werden). 

2») Siehe hierüber Tinſch, Münchener Stadtrecht 
S. 35; dazu Annotationen zu Bayr. Landrecht 13 8 17. 


ſtillſchweigender Beſtandteil des neurechtlichen ver: 
einbarungsmäßigen Kommunmauerverhältniſſes gel: 
ten, ſoweit nicht ein gegenſeitiger Wille der beiden 
Nachbarn bei der Errichtung der Gemeinſchafts⸗ 
mauer ausdrücklich erklärt wurde oder den Um⸗ 
ſtänden des Falles zu entnehmen iſt. Tatſächlich 
iſt regelmäßig das Intereſſe des Eigentümers des 
Erſtbaugrundſtücks an der Gemeinſchaftsmauer bei 
deren Erbauung ſo ſehr das überwiegende, daß 
die Ueberlaſſung des Verfügungsrechts über den 
Fortbeſtand der Mauer bis zur Ablöſung an ihn 
auch das der Natur der Sache entſprechende iſt. 
Auch dieſe Befugnis des Eigentümers des Erſt⸗ 
baugrundſtücks iſt als ein Beſtandteil des Gemein⸗ 
ſchaftsverhältniſſes im Sinne der 88 745, 746 BGB. 
anzuſehen.“ “) Beſeitigt der Berechtigte auf Grund 
dieſer Befugnis die noch nicht abgelöſte Mauer, 
ſo iſt damit die Grenzeinrichtung aufgehoben und 
es tritt der Nachbar wieder in das freie Ver⸗ 
fügungsrecht über den von ihr beanſprucht ge⸗ 
weſenen Teil ſeines Grund und Bodens.“) 


Bezüglich der Erweiterung der Gemeinſchafts⸗ 
mauer dagegen durch Erhöhung und Verſtärkung 
und der dadurch begründeten Ablöſungspflicht gelten 
ſeit dem Inkrafttreten des BGB. die beſonderen 
Vorſchriften des Art. 68 AG.“), und zwar find 
dieſe Vorſchriften auf alle benutzungsgemeinſchaft⸗ 
lichen Grenzmauern anwendbar. Da auch die noch 
nicht abgelöfte Kommunmauer eine ſolche benutzungs⸗ 
gemeinſchaftliche Mauer iſt, fällt auch ſie unter 
den Art. 68. Die durch Art. 68 begründete Be⸗ 
fugnis zu einſeitiger Erhöhung und Verſtärkung 
der Gemeinſchaftsmauer hat auch für den Eigen⸗ 


23 ) Dafür obliegt dem Eigentümer des Erſtbau⸗ 
grundſtücks die Unterhaltung der ganzen Mauer bis zum 
Anbau, d. h. der Nachbar kann abweichend von der Regel 
des § 922 BGB. bis dahin zu den Unterhaltungskoſten 
nicht herangezogen werden (SS 748, 745, 746 BGB.). 
Ebenſo Buhmann BayzfR. 1914 S. 223. Dies iſt auch 
für das alte Recht anzunehmen. Die anſcheinend gegen⸗ 
teiligen Beſtimmungen Bayer. Landrecht II 2 8 16 und 
IV 13 8 3 Ziff. 6 nebſt Annot. zu II 2 8 16 Ziff. 4 
und II 8 83 lit. h haben nur die bereits angebaute, 
im Gemeinbeſitz befindliche Mauer im Auge. Für den 
Fall der Erhöhung der Gemeinſchaftsmauer beſtimmt 
Art. 68 Abſ. 2 AG. ausdrücklich die alleinige Unter» 
haltungspflicht des Ablöſungsberechtigten. 


24) Ueber die Aufhebung des Grenzeinrichtungs⸗ 
verhältniſſes ſ. des näheren Wolff Recht 1900 S. 477; 
Meisner, Nachbarrecht S. 56— 57 und unten Note 32. 


25) S. hierüber des näheren Meisner, Nachbarrecht 
S. 61. Meisner hält die Erhöhungsvorſchriften des 
Art. 68 nur auf Gebäudemauern, nicht auch auf 
Scheidemauern für anwendbar, weil bei letzteren das Ers 
höhungsrecht durch den Gemeinſchaftszweck ausge— 
ſchloſſen ſei. Dies wird jedoch keineswegs immer der 
Fall ſein. Die Münchener Uebung ſtellt, wie ſchon 
hervorgehoben (ſ. Note 10 oben), Gemeinſchaftshaus⸗ 
und ⸗ſcheidemauer grundſätzlich gleich. Hiernach werden 
auch die bewilligten Gemeinſchaftsmauern zu beurteilen 
ſein. Jedenfalls kann aber jeder Teilhaber ſeine eigene 
Mauerhälfte unbeſchadet des Benutzungsrechts des Nach— 
bars erhöhen (ſ. RG. IW. 1908 S. 12, Wolff Recht 
1900 S. 476 Ziff. 7). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


263 


tümer des Erſtbaugrundſtücks vor der Ablöſung 
der Mauer ihre Bedeutung, da aus dem urſprüng⸗ 
lichen Kommunmauervertrag wohl eine Befugnis 
zur Erweiterung der Mauer für ihn nicht ab⸗ 
geleitet werden könnte.“) Für den Eigentümer 
des Nachbargrundſtücks iſt ſelbſtverſtändlich die vor: 
herige Ablöſung der von ihm zu erhöhenden und 
zu verſtärkenden Mauer Vorausſetzung für die 
Inanſpruchnahme der Befugniſſe des Art. 68. Hat 
der Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks die Mauer 
vor der Ablöſung erhöht oder verſtärkt, ſo tritt 
im Fall des Anbaus durch den Nachbarn zu dem 
urſprünglichen vereinbarungsmäßigen Ablöſungs⸗ 
anſpruch noch der geſetzliche Ablöſungsanſpruch 
des Art. 68.) Dieſer letztere Anſpruch iſt übrigens, 
wie der ihm nachgebildete übergangsrechtliche Ab⸗ 
löſungsanſpruch des Art. 70 AG. mit dem Ab⸗ 
löſungsanſpruch für die bewilligte Kommunmauer 
ſelbſt nicht völlig gleichartig (regelmäßig Baukoſten⸗, 
nicht Werterſatz). Selbſtverſtändlich können jedoch, 
abgeſehen von der einſeitigen Erhöhung und Ver⸗ 
ſtärkung gemäß Art. 68 AG., die Teilhaber der 
Gemeinſchaſtsmauer die Erhöhung und Verſtärkung 
und die beiderſeitigen Leiſtungen hierwegen ver⸗ 
einbarungsmäßig regeln und zwar ebenfalls ge⸗ 
mäß 58 745, 746 BGB. mit Wirkung für das 
ganze Gemeinſchaftsverhältnis. Und es wird ſchon 
dann, wenn der Nachbar eine von dem Eigen⸗ 
tümer des Erſtbaugrundſtücks beabſichtigte Er⸗ 
höhung oder Verſtärkung ohne weitere Verein⸗ 
barung genehmigt, angenommen werden können, 
daß die etwaige künftige Ablöſung auch hinſicht⸗ 
lich der Erhöhung und Verſtärkung trotz der gegen: 
teiligen Vorſchrift des Art. 68 im Sinne der hieſigen 
Uebung auf der Grundlage des Wertzserſatzes er⸗ 
folgen ſoll. 

c) Wird nach Entſtehung des Verbots⸗ oder 
Ablöſungsanſpruchs in der Perſon eines beſtimmten 
Eigentümers des Nachbargrundſtücks dieſes letztere 
veräußert, jo wird hierdurch der gegen den früheren 
Beſitzer entſtandene Anſpruch nicht berührt. Da⸗ 
gegen kann gegen den neuen Eigentümer ein Ver⸗ 
bots⸗ oder Ablöſungsanſpruch nur inſoweit geltend 
gemacht werden, als ein ſolcher in ſeiner Perſon 
begründet wird. Dies iſt dann ausgeſchloſſen, 
wenn der Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks dem 
Vorbeſitzer bereits eine endgültige, vorbehaltsloſe 
Anbauerlaubnis erteilt hat. Denn damit iſt die 
Anbaubeſchränkung für das Nachbargrundſtück de⸗ 
ſeitigt und der Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks 
auf den perſönlichen Ablöſungsanſpruch gegen den 


26) Siehe Henle⸗Schneider Anm. 1 zu Art. 68. 

) Das Geſetz ſpricht auch hier ausdrücklich nur 
von einem Verbietungsrecht. Doch wird hier, wie in 
den Fällen des Art. 70 auch ein unmittelbarer Ab— 
löſungsanſpruch bei Inanſpruchnahme der Mitbenutzung 
der erhöhten Mauer anzuerkennen ſein. Dieſen Ab— 
löſungsanſpruch hat derjenige, der zur Zeit der Be— 
anſpruchung der erhöhten Mauer Eigentümer des Grund— 
ſtücks iſt, von dem aus die Erhöhung erfolgte und dem 
daher das Verbietungsrecht zuſteht (ſ. Note 19 oben). 


264 


Vorbeſitzer beſchränkt.!“) Wenn dagegen der Be⸗ 
ſitznachfolger, ohne daß eine ſolche Regelung er⸗ 
folgt iſt, den von dem Vorbeſitzer begonnenen 
Anbau fortſetzt oder die Beſeitigung des von dem 
Vorbeſitzer eigenmächtig durchgeführten Anbaus ver⸗ 
weigert, kann der Eigentümer des Erſtbaugrund⸗ 
ſtücks auch von ihm — mangels Erledigung des 
Verbotsanſpruchs — die Beſeitigung des Anbaus 
oder die Unterlaſſung des Weiterbaus verlangen.“) 
Die bloße Fortſetzung des von dem Vorbeſitzer 
begonnenen oder die bloße Aufrechterhaltung des 
von ihm eigenmächtig ausgeführten Anbaus durch 
den Beſitznachfolger begründet aber noch keinen 
Ablöſungsanſpruch gegen dieſen; hierzu iſt viel- 
mehr die beſondere Uebernahme der Ablöſungs⸗ 
pflicht durch ihn erforderlich. Immerhin wird 
der Erwerber eines Grundſtücks mit angebauter 
Gemeinſchaftsmauer gut tun, ſich zuvor bei dem 
Nachbarn über das etwaige Beſtehen unerledigter 
Verbietungsrechte zu vergewiſſern. 

Ebenſo wird durch Veräußerung des Erſtbau⸗ 
grundſtücks ſelbſtverſtändlich der bereits in der 
Perſon des bisherigen Eigentümers begründete 
ſelbſtändige (unmittelbare) Ablöſungsanſpruch nicht 
berührt.?““) Dagegen kann der bisherige Eigen: 
tümer nach der Veräußerung den an das Eigen⸗ 
tum des Erſtbaugrundſtücks gebundenen Verbietungs⸗ 
anſpruch und damit den mittelbaren Ablöſungs⸗ 
anſpruch) nurmehr geltend machen, wenn er ſich 
das Recht hierzu bei der Veräußerung von dem 
Erwerber vorbehält (ſ. hierzu Note 43 unten). 
Umgekehrt muß der neue Erwerber die Zahlung 
der Ablöſungsſumme auf Grund eines unmittel: 
baren Ablöſungsanſpruchs des bisherigen Eigen: 
tümers gegen ſich gelten laſſen, da der Nachbar 
damit verpflichtungsgemäß die Vorausſetzung des 
Anbaurechtes herbeigeführt hat. (Schluß folgt). 


28) S. hierzu OLG. München Seuff Bl. Bd. 72 S. 262 
(Bay 3fR. 1906 S. 483). Die in dieſer Entſcheidung 
vertretene Anſicht, durch die Vollendung des Anbaus, 
wenn auch gegen den Willen des Eigentümers des 
Erſtbaugrundſtücks, werde das Verbietungsrecht er— 
ledigt, kann nicht gebilligt werden und zwar gilt dies 
ſowohl für das geſetzliche Verbietungsrecht des Art. 68 
AG. — ſ. Schmidt Bay Rot. 1907 S. 54; Meisner, 
Nachbarrecht S. 64 Note 1 — wie für das des neu— 
rechtlichen Gemeinſchaftsmauerverhältniſſes — ſ. Meikel 
BayNotd. 1901 S. 231. Wohl aber kann Walter 


Bay Not. 1901 S. 72 darin beigeſtimmt werden, daß 


das Verbietungsrecht — unbeſchadet des Ablöſungs— 
anſpruchs — regelmäßig durch Nichtgeltendmachung 
bei der Erwirkung der polizeilichen Erlaubnis zum 
Anbau verwirkt werden wird. 

25) S. hiezu Oberneck, Reichs-Grundbuchrecht ! S. 603 
(ſchon das Dulden eines das Eigentum des Klägers 
beeinträchtigenden Zuſtandes durch den Beklagten kann 
die Eigentumsfreiheitsklage begründen; auch darauf 
kommt es nicht an, ob den Beklagten ein Verſchulden 
an dem Vorhandenſein der ſtörenden Anlage trifft). 
Das gleiche folgt aus der Gemeinſchaftspflicht des 
Nachbars. 

„%) So auch für das Uebergangsrecht OL. 
München Seuff Bl. Bd. 72 S. 262. 


Wieder in einem anderen Fall, wo 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


Vargebotserhöhungen. 
Von Amtsrichter Haus Dittrich in München. 


(Schluß). 
IV. 


In der Praxis kann man nicht ſelten wahr⸗ 
nehmen, daß der Erſteher mangels entſprechender 
Belehrung im Verſteigerungstermin von den Be⸗ 
ſtimmungen des 8 50 ZVG. keine Ahnung hat. 
Man kann ſich denken, wie angenehm er dann 
überraſcht iſt, wenn man ihm bei Gericht erklärt, 
daß er außer dem von ihm gebotenen Betrag noch 
ſo und ſo viele ſonſtige Zahlungen zu leiſten hat. 
Es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß daraus unter Um⸗ 
ſtänden auch eine Haftung des Staates entſtehen 
kann. Der Fall wird ja nur ſelten wirklich kritiſch, 
weil der Erſteher in der Regel ein Hypothekgläubiger 
iſt, dem die Bargebotserhöhungen ſelbſt wieder 
zugute kommen, ſo daß in der Regel kein tat⸗ 
ſächlicher Schaden vorhanden iſt; denn die Aus⸗ 
fallforderung des Erſtehers, die ohne die Bar⸗ 
gebotserhöhung entſprechend größer ſein würde, 
wird in der Regel nicht einbringlich ſein. Immer⸗ 
hin kamen mir auch ſchon Faͤlle unter, in denen 
der Erſteher ziemlich bluten mußte. So un⸗ 
erfreulich dies an ſich geweſen ſein mag, hat es 
doch die begrüßenswerte Folge gezeitigt, daß den 
Bargebotserhöhungen bei den Notariaten neuer⸗ 
dings entſprechende Beachtung geſchenkt wird; dies 
äußert ſich teilweiſe in dem Beſtreben, Bargebots⸗ 
erhöhungen tunlichſt hintanzuhalten, teils darin, 
daß im Verſteigerungstermin auf die zu erwartenden 
Bargebotserhöhungen ausdrücklich hingewieſen wird. 
Die Art, wie dies geſchieht, kann allerdings nicht 
immer meine Zuſtimmung finden. Beiſpielsweiſe 
ſcheint nun bei einem Notariat in jedes Ver⸗ 
ſteigerungsprotokoll, gleichviel ob dazu ein Anlaß 


vorhanden iſt oder nicht, grundſätzlich der Vermerk 


aufgenommen zu werden: „Eine Erhöhung des 
Bargebots tritt nicht ein“, wobei jedoch, wenn 
nach dem Geſetz der Fall einer Bargebotserhöhung 
zweifellos gegeben wäre, entgegen den geſetzlichen 
Beſtimmungen niemals eine beſondere Verſteige⸗ 
rungsbedingung in dieſem Sinne aufgeſtellt wird. 
In einem Fall, wo ebenfalls nach den geſetzlichen 
Beſtimmungen eine Mehrzahlung zu leiſten ge⸗ 
weſen wäre, finden ſich im Zuſchlagsbeſchluß un⸗ 
mittelbar hintereinander die Saͤtze: „Eine Er⸗ 
höhung des Bargebots tritt nicht ein; Verſteige⸗ 
rungsbedingungen, die von den geſetzlichen ab⸗ 


weichen, wurden nicht vereinbart“, als ob nicht 


das eine das andere unbedingt ausſchließen würde. 
die Bank⸗ 
hypothek und mehrere neurechtliche Höchſthypotheken 
ins geringſte Gebot fielen und wegen des Löſchungs⸗ 
anſpruchs eines Beteiligten mit mehreren Bar: 
gebotserhöhungen zu rechnen war, hat der Notar 
dieſe Erhöhungen dadurch umgangen, daß er die 


durch die Annuitaͤtentilgung und Nichtvalutierung 


der Höchſthypotheken zweifellos entſtandenen Eigen⸗ 
tümergrundſchulden nicht aufrecht erhielt; da er 
aber beſondere Verſteigerungsbedingungen in dieſem 
Sinn nicht aufgeſtellt hatte, war dies natürlich 
ungeſetzlich. Umgekehrt wurde in einem Fall, wo 
es ſich um Berückſichtigung einer nicht vollſtändig 
valutierten und durch Löſchungsvermerkung nicht 
beeinträchtigten neurechtlichen Höchſthypothek im ge⸗ 
ringſten Gebot handelte, im Verſteigerungsprotokoll 
und im Zuſchlagsbeſchluß die Feſtſtellung getroffen: 
„Soweit eine Forderung auf vorbezeichnete Hy⸗ 
pothek nicht entſtanden iſt, hat der Erſteher Auf⸗ 
zahlung zu leiſten“, obwohl in dieſem Fall eine 
Bargebotserhöhung gar nicht in Frage gekommen 
wäre; der Notar hat dabei in Anlehnung an eine 
in der Rechtſprechung der Oberlandesgerichte Bd. V 
S. 334 abgedruckte Entſcheidung des OLG. Dres⸗ 
den vom 4. Juli 1902 gehandelt, die aber hin⸗ 
ſichtlich des Rechts der Höchſtbetragshypothek und der 
daraus entſtehenden Eigentümergrundſchulden von 
Anſchauungen ausging, die durch die neuere Rechts⸗ 
lehre und Rechtſprechung längſt überholt find. 

Eine Vertiefung in die Frage, wie die aus 
nicht beſtehenden Hypotheken hervorgehenden Bar⸗ 
gebotserhöhungen zu verzinſen und wann ſie zu 
zahlen ſind, habe ich meines Erinnerns bisher nur 
in einem einzigen Verſteigerungsprotokoll geſehen, 
und da wurde ſie unrichtig gelöſt: in einem Fall, 
wo es ſich um Bargebotserhöhungen aus altrecht⸗ 
lichen Nebenkautionen handelte, findet ſich im Ver⸗ 
ſteigerungsprotokoll der Satz: „Soweit die vor⸗ 
bezeichneten Nebenſachekautionen nicht zurecht be⸗ 
ſtehen, erhöht ſich das Bargebot um die betreffenden 
Beträge; dieſe Beträge hat der Erſteher vom Zu⸗ 
ſchlag an mit jährlich 4 v. H. zu verzinſen und 
drei Monate ab Kündigung an die nach § 125 
ZVG. Berechtigten zu entrichten“; die Barge⸗ 
botserhöhung wurde alſo anſcheinend nach 8 51 
3G. behandelt, obwohl fie zweifellos nach § 50 
zu behandeln geweſen wäre; nach dem oben in 
Ziff. III, 5 Geſagten wäre ſie unverzinslich und 
bereits fällig geweſen. 


V. 

Das in Ziff. IV an einigen Beiſpielen ge: 
ſchilderte Beſtreben einiger Notare, die Bargebots⸗ 
erhöhungen möglichſt auszuſchalten, iſt in ſeinem 
Endziel durchaus zu billigen; man ſoll ſolche 
Dinge, die dem größeren Publikum nie verſtändlich 
ſein werden, auf jede mögliche Weiſe zu vermeiden 
ſuchen. Dies kommt zum Ausdruck auch in der 
Juſtizminiſterialbekanntmachung vom 15. Mai 
1906 (JM Bl. S. 74), die ſich nach ihrem Wort⸗ 
laut allerdings nur auf die altrechtlichen Neben⸗ 
kautionen bezieht, aber mutatis mutandis auf das 
geſamte oben beſprochene Beiſpiel angewendet werden 
kann. 

Es gibt mehrere Wege, auf denen man Bar: 
gebotserhöhungen in der Regel umgehen kann; 
bald wird ſich der eine, bald der andere als gang— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 265 


bar erweiſen. Vor allem empfiehlt ſich eine ſorg⸗ 
fältige Vorbereitung des Verſteigerungstermins im 
Sinne des 8 62 3G. Das rechtliche Schickſal 
der Bankhypothek und der zugehörigen Neben⸗ 
kaution, das in unſerem Beiſpiel erſt der mit dem 
Verteilungsverfahren befaßte Vollſtreckungsrichter 
geklärt hat, hätte ſich ſehr wohl ſchon vor dem Ver⸗ 
ſteigerungstermin genau feſtſtellen laſſen: hätte 
der Notar bei der Bank angefragt, wann und 
von wem die bisherigen Annuitätenzahlungen ge⸗ 
leiſtet wurden, jo hätte es ihm unmöglich entgehen 
können, daß der durch die 1. Annuitätenzahlung 
getilgte Betrag von 50 M nicht mehr zu Recht 
beſtand und daß auch die Zahlungen aus der 
Zwangsverwaltungsmaſſe einen Hypothekteil von 
123.60 M zum Erlöſchen brachten; er hätte ſich 
ferner, jo gut wie ſpäter der Vollſtreckungsrichter, 
ausrechnen können, daß ein Hypothekteil von 
498.10 M infolge der 2. mit 10. Annuitätenzahlung 
zur Eigentümergrundſchuld des Mayer geworden 
war, daß durch die Zahlung der im geringſten 
Gebot berückſichtigten 2 Annuitätenraten ein weiterer 
Hypothekteil von 128.40 M erlöſchen werde, und 
daß die Nebenkaution am Tage des Verſteigerungs⸗ 
termins nur mit 49.50 U valutiert war. Die 
Kenntnis aller dieſer Umſtände hätte ihm ohne 
weiteres den Weg gewieſen, wie er jede einzelne 
der oben beſprochenen Bargebotserhöhungen ver⸗ 
meiden konnte. 

A. Diejenigen Hypothekteile, die am 
Tage des Zuſchlags bereits erloſchen 
waren, nämlich jene 50 1 + 123.60 M = 
173.60 M, hätte man am beſten ſchon von Amts 
wegen nicht mehr als beſtehenbleibendes Recht 
berückſichtigt, ſondern von vorneherein unter den 
Tiſch fallen laſſen. Die Zuläſſigkeit dieſes Ber: 
ſahrens iſt allerdings nicht unbeſtritten. Die auf 
dieſe Frage bezüglichen Ausführungen hat man in 
den Kommentaren bei 8 45 3G. zu ſuchen, 
welcher beſtimmt, daß „ein Recht bei der Feſt⸗ 
ſtellung des geringſten Gebots inſoweit, als es zur 
Zeit der Eintragung des Verſteigerungsvermerks 
aus dem Grundbuch erſichtlich war, nach dem 
Inhalte des Grundbuchs .. . zu berückſichtigen“ 
iſt. Trotz dieſer Beſtimmung halten die Motive 
die Nichtberückſichtigung ſolcher Rechte, ſoweit ſie 
bereits erloſchen find, mit Recht für „ſelbſtver⸗ 
verſtändlich“; fie bemerken dazu: „Der Verſteige⸗ 
rungsrichter kann aber ein eingetragenes Recht, 
welches noch nicht gelöſcht iſt, nur dann als nicht 
beſtehend behandeln, wenn die Vorausſetzungen der 
Löſchung liquide vorliegen“; die Kommentare 
haben ſich dieſen Paſſus der Motive im allge: 
meinen zu eigen gemacht; die Frage iſt nur, was 
man unter den „Vorausſetzungen der Löſchung“ 
verſtehen will, die liquide vorliegen ſollen: ſind 
es dieformellen, alſo insbeſondere eine öffentlich 
beglaubigte Löſchungsbewilligung der Berechtigten, 
oder ſind es die materiellen, alſo der der 
freien richterlichen (in Bayern: notariellen) Be: 


266 nn Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


weiswürdigung unterliegende Nachweis des Nicht⸗ weſen: Vor allem hätte der Notar darauf hin⸗ 
beſtehens des eingetragenen Rechts? Im Gegenſatz wirken können, daß die von Jäckel⸗Güthe für not: 
zu Jäckel Güthe, der das Vorliegen der zur Löſchung wendig erachteten Unterlagen beigebracht wurden. 
erforderlichen Urkunden verlangt, neige ich der An⸗ Wären dieſe nicht zu erlangen geweſen, ſo hätte 
ſicht zu, daß ſich die Motive hier im Ausdruck er auf Antrag eines Beteiligten durch Aufſtellung 
vergriffen haben, indem ſie nicht das Vorliegen einer beſonderen Verſteigerungsbedingung die Nicht⸗ 
der Vorausſetzungen der Löſchung, ſondern das berückſichtigung des erloſchenen Hypothekteils im ge⸗ 
Vorliegen der Vorausſetzungen des Erloſchen⸗ ringſten Gebot herbeiführen können, wozu in der 
ſeins verlangen mußten; Löſchung und Erloſchen⸗ Regel weder die Bank noch der Verſteigerungs⸗ 
ſein find ganz verſchiedene Dinge: die Löſchung ſchuldner die nötige Zuſtimmung !“) verweigern wird. 
iſt ein Vorgang, das Erloſchenſein ein Zuſtand; Sollte die Zuſtimmung zu dieſem Verfahren ein⸗ 
die formellen Vorausſetzungen der Löſchung können mal nicht zu erlangen ſein, ſo bliebe immer noch 
ſehr wohl vorliegen, ohne daß das in Betracht der Weg der Aufſtellung einer beſonderen Ver⸗ 
kommende Recht — worauf es doch hier allein ſteigerungsbedingung des Inhalts, daß eine Bar⸗ 
ankommt! — wirklich erloſchen wäre und alſo gebotserhöhung trotz Berückſichtigung dieſes an ſich 
bei der Feſtſtellung des geringſten Gebots einfach erloſchenen Betrags im geringſten Gebot nicht zu 
übergangen werden könnte; deshalb halte ich den leiſten iſt; auch die Aufſtellung dieſer beſonderen 
materiellen Beweis des Nichtbeſtehens des Verſteigerungsbedingung würde allerdings den An⸗ 
Rechts für erforderlich, wenn man ein eingetragenes trag eines Beteiligten vorausſetzen; erfahrungs⸗ 
Recht bei der Feſtſtellung des geringſten Gebots von | gemäß find aber die Beteiligten und beſonders die 
Amts wegen nicht berückſichtigen will; ich halte Vertreter der Hypothekenbanken nach entſprechender 
ihn aber auch für vollſtändig genügend — und Belehrung durch den Notar gerne bereit, dieſe 
zwar umſomehr, als ja der eingetragene Berechtigte Formſache zu erfüllen. Die Zuſtimmung der Bank 
als Beteiligter vom Verſteigerungstermin zu ver⸗ oder eines ſonſtigen Beteiligten wäre zur Auf⸗ 
ſtändigen iſt und deshalb ſeine etwaigen Rechte ſtellung die ſer beſonderen Verſteigerungsbedingung 
im Termin und nötigenfalls noch durch Anfechtung wohl nicht erforderlich, weil durch die Unterlaſſung der 
des Zuſchlagsbeſchluſſes wahren kann; auch für die Bargebotserhöhung niemand beeinträchtigt würde. 
Anwendung des $ 50 3G. beſtehen ja keinerlei Die gegenteilige Meinung Kochs!) halte ich für 
Vorſchriften, auf welche Weiſe ſich der Richter unrichtig: zuzugeben iſt allerdings, daß bei Ein⸗ 
davon zu überzeugen hat, daß die Vorausſetzungen tritt einer Bargebotserhöhung (rein theoretiſch ge⸗ 
für eine Bargebotserhöhung gegeben find; als l ſprochen) die Nachhypothekgläubiger unter Umſtänden 
Vollſtreckungsrichter halte ich mich zweifellos für einen Vorteil hätten, weil ihnen die Bargebots⸗ 
berechtigt und verpflichtet, immer dann eine Bar⸗ erhöhung vielleicht zugute käme; dieſer Vorteil be⸗ 
gebotserhöhung eintreten zu laſſen, wenn ich mir ſteht aber nur in der Theorie; denn jeder Bietungs⸗ 
nach der Aktenlage die Ueberzeugung gebildet habe, luſtige wird ſein Gebot darnach bemeſſen, ob er 
daß ein im geringſten Gebot aufrecht erhaltenes außer dem Bargebot noch eine Bargebotserhöhung 
Recht in Wirklichkeit nicht beſteht; es iſt nicht recht zu leiſten hat oder nicht; ſteht die Mehrzahlungs⸗ 
erſichtlich, warum nicht der gleiche Grundſatz auch pflicht in jo ſicherer Ausſicht wie in unſerem Fall, 
für das der Vermeidung von Bargebotserhöhungen | jo wird er eben, wenn nicht ausdrücklich ihr Aus⸗ 
dienende Verfahren des Verſteigerungsbeamten ſchluß bedingt wird, entſprechend weniger bieten, 
gelten ſoll, der doch ebenfalls richterliche Befugniſſe um ſich auf dieſe Weiſe wieder ſchadlos zu halten. 
hat; die Bedürfniſſe der Praxis drängen jedenfalls Daß in der Praxis, wie oben erwähnt, nicht ſelten 
nach dieſer Regelung, da man beim Verlangen Faälle vorkommen, wo der Bieter in Unkenntnis 
der formellen Vorausſetzungen der Löſchung jeden⸗ der geſetzlichen Beſtimmungen von der Bargebots⸗ 
falls nur äußerſt ſelten zur Anwendung des von erhöhung keine Kenntnis hat und demgemäß fein 
den Motiven als „ſelbſtverſtändlich“ bezeichneten Gebot nicht entſprechend darnach einrichtet, kann 
Rechtsgrundſatzes kommen würde; denn wenn die die Richtigkeit dieſer Erwägung natürlich nicht be⸗ 
formellen Vorausſetzungen der Löſchung einmal einträchtigen; denn in allen dieſen Fällen er⸗ 
vorliegen, ſo wird das nicht mehr beſtehende Recht in | halten die Nachhypothekgläubiger infolge der Ge⸗ 
der Regel auch nicht mehr eingetragen, ſondern ge- ſetzunkenntnis des Erſtehers Beträge, auf die fie 
löſcht ſein und ſeine Aufrechterhaltung im geringſten | eigentlich keinen Anſpruch haben. 
Gebot dann ohnedies nicht mehr in Frage ſtehen. B. Auch bezüglich des zur Eigentümer: 
Aus allen dieſen Gründen hätte ich es in unſerem grundſchuld gewordenen Hypothekteils 
Beiſpiel für zuläſſig und im Intereſſe der Recht- von 498.10 K, bezüglich deſſen für den Nach⸗ 
ſicherheit ſogar für geboten erachtet, daß der Notar | hypothekar ein Löſchungsanſpruch beſteht, ließe ſich 
den zweifellos erloſchenen Hypothekteil von 173.60 1 durch entſprechende Tätigkeit des Notars die be: 
nicht in das geringſte Gebot aufgenommen hätte. , —— 

Würde man ſich im geſchilderten Fall der e 15 1 1 a 
Auffaſſung von Jaäckel⸗Güthe anſchließen, jo wäre vor dem Termin Berfiheet: J 
die Bargebotserhöhung gleichwohl vermeidbar ge: ) S. 43 Fußnote des obenerwähnten Schriftchens. 


— — æꝗ ää6wͤ—ẽ— ñͤů383383K3K¶E•—V—ggvx.Gͤꝛ ä -̃ĩůͤ·³3•ãꝓꝛ·˙;Üſ48·; . A 


——— — — 


dingte Bargebotserhöhung häufig vermeiden. Denn 
in der Regel wird es dem Notar keine Schwierig⸗ 
keiten machen, ſchon vor dem Termin die Löſchung 
oder durch Auſſtellung einer beſonderen Verſteige⸗ 
rungsbedingung das Erlöſchen dieſes Hypothekteils 
herbeizuführen. Iſt dies mangels Zuſtimmung des 
Berechtigten ®) ausnahmsweiſe unmöglich, ſo wird die 
Bargebotserhöhung allerdings nicht ohne weiteres 
zu vermeiden ſein; denn auch wenn es möglich 
wäre, von dem mit Löſchungsanſpruch ausgeſtatteten 
Nachhypothekgläubiger die Erklärung zu erlangen, 
daß er von ſeinem Löſchungsanſpruch Gebrauch 
mache, wäre mangels Zuſtimmung des Vollſtrek⸗ 
kungsſchuldners die Bargebotserhöhung im Gegen⸗ 
ſatz zum Falle A doch noch keine ſo durchaus 
ſichere Sache, daß nicht vielleicht damit zu rechnen 
wäre, daß die Bietungsluſtigen die Möglichkeit 
des Eintritts der Bargebotserhöhung bei ihren Ge⸗ 
boten nicht ganz in Rechnung ſtellen; der bei Ein⸗ 
tritt der Mehrzahlungspflicht vom Erſteher zu 
leiſtende Geſamtbetrag könnte alſo vielleicht etwas 
höher ausfallen, als er bei bedingungsgemäßem 
Ausſchluß der Bargebotserhöhung ſein würde; des⸗ 
halb könnte eine beſondere Verſteigerungsbedingung 
des Inhalts, daß keine Bargebotserhöhung ein⸗ 
treten ſoll, in dieſem Fall nur dann ohne weiteres 
aufgeſtellt werden, wenn die Zuſtimmung der Nach⸗ 
hypothekare zu erlangen wäre, was häufig nicht 
möglich ſein wird; iſt ſie nicht zu erlangen, ſo 
bleibt immer noch die 55 eines Doppel: 
ausgebots nach $ 59 Abſ. II 3VGG., da die 
Beeinträchtigung der Nachhypothekgläubiger durch 
die Aufſtellung dieſer beſonderen Verſteigerungs⸗ 
bedingung nicht unbedingt feſtſteht. 

C. Auch die aus den nicht valutierten 
Nebenkautionen herrährenden Bargebots⸗ 
erhöhungen laſſen ſich in der Regel leicht ver⸗ 
meiden. Meiſt wird es nur einer Anregung des 
Notars bedürfen, um ſchon vor dem Termin die 
Löſchung oder durch Aufſtellung einer beſonderen 
Verſteigerungsbedingung das Erlöſchen der Neben⸗ 
kaution herbeizuführen, was dann allerdings unter 
Umſtänden die weitere beſondere Verſteigerungs⸗ 
bedingung erforderlich machen würde, daß die auf 
die Nebenkaution bis zum Zuſchlag tatſächlich ge⸗ 
ſchuldeten Beträge (in unſerem Beiſpiel alſo 49.50 M) 
als bar zuzahlender Anſpruch ins geringſte Gebot 
aufgenommen werden; mit Koch (S. 43/44) und 
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern Bd. II S. 232 
wird man annehmen können, „daß es bei einer 
derartigen Aenderung der geſetzlichen Verſteigerungs⸗ 
bedingungen der Zuſtimmung der nachſtehenden 
Hypothekgläubiger nicht bedarf, da es ſich nach 
der Natur dieſer Forderungen um Beträge handelt, 
die zur Barzahlung und nicht zum Beſtehenbleiben 
beſtimmt find”. Wer gegen dieſe weitherzige 
Auslegung des Geſetzes Bedenken hat, mag ſein 
Gewiſſen dadurch beruhigen, daß er die Löſchung 
oder das Erlöſchen der Nebenkaution nur inſoweit 
herbeiführt, als auf fie keine Forderungen ent: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


267 


ſtanden find.) Zur Herbeiführung der Löſchung 
oder des Erlöſchens der Nebenkaution braucht man 
ſelbſtrerſtändlich ſtets die Zuſtimmung des Hypo⸗ 
thekgläubigers; erfahrungsgemäß iſt dieſe aber in 
der Regel unſchwer zu erlangen; auch unſere Hypo⸗ 
thekenbanken zeigen in dieſer Hinſicht großes Ent⸗ 
gegenkommen. vorausgeſetzt allerdings, daß gleich: 
zeitig ihre Hypothekrechte im Rahmen der Haupt⸗ a 
ſachehypothek entſprechend erweitert werden, was ja 
nach jetzigem Recht zuläſſig und durch die Ge⸗ 
ſtattung des Hinweiſes auf die Bankſatzungen be⸗ 
ſonders erleichtert iſt (8 1115 Abſ. II BGB.); daß 
die Erweiterung des Hypothekrechts im Rahmen 
der Hauptſachehypothek gegenüber dem Beſchlag⸗ 
nahmegläubiger unwirkſam wäre und deshalb nicht 
im geringſten Gebot berückſichtigt werden könnte, 
iſt wohl kaum zu befürchten, da ſie ja nur an 
die Stelle der gleichzeitig mit der Eintragung der 
Hypothekerweiterung zur Löſchung kommenden Neben: 
kaution tritt, die unter Umſtänden ſogar eine höhere 
Belaſtung bedeuten würde wie die an ihrer Stelle 
9 Hypothekerweiterung. 

Läßt ſich dieſer Weg nicht beſchreiten, z. B. 
weil niemand die daraus entſtehenden geringfügigen 
Koſten tragen will, ſo bleibt auch hier wie im 
Falle A immer noch der Weg der Aufſtellung 
einer beſonderen Verſteigerungsbedingung des In⸗ 
halts, daß eine Bargebotserhöhung trotz Berück⸗ 
ſichtigung des nicht ausgefüllten und deshalb nur 
formell zu Recht beſtehenden Teiles der Neben⸗ 
kaution im geringſten Gebot nicht zu leiſten iſt. 

D. Hinſichtlich der Bargebots⸗ 
erhöhungen, die dadurch eintreten, daß 
der Erſteher die im geringſten Bargebot 
berückſichtigten Annuitätenzahlungen 
für Rechnung des Strichſchillings leiſtet, 
fehlt es mir an einer praktiſchen Erfahrung, in⸗ 
wieweit auf ein Entgegenkommen der Hypotheken⸗ 
banken zu rechnen iſt; meines Erachtens würden 
ſich aber die Banken nichts vergeben, wenn ſie 
einer beſonderen Verſteigerungsbedingung des In⸗ 
halts zuſtimmen würden, daß die betreffenden Hypo⸗ 
thekteile nicht im geringſten Gebot berüdfichtigt 
werden, ſondern erlöſchen ſollen. 

Sollte dieſe Zuſtimmung nicht zu erlangen 
ſein, ſo ließe ſich, da ja der Eintritt der Bar⸗ 
gebotserhöhung ſo viel wie ſicher iſt, auch hier 
(wie im Falle A) die Aufſtellung einer beſonderen 
Verſteigerungsbedingung herbeiführen des Inhalts, 
daß eine Bargebotserhöhung trotz Berückſichtigung 
dieſer nur noch auflöſend bedingt!) beſtehenden 
Hypothekteile nicht zu leiſten iſt. 


VI. 


Im Vorſtehenden war mehrfach von der 
Aufſtellung beſonderer Verſteigerungsbedingungen 
die Rede. Die in Ziff. IV niedergelegten Er⸗ 


0) Siehe hierzu die Ausführungen in Ziff. VI. 
1) Siehe die Ausführungen in Ziff. III, 4. 


268 


fahrungen laſſen es angezeigt erſcheinen, dieſe Er: 


örterung nicht zu ſchließen, ohne daß geſagt wird. 


wie bei Aufſtellung beſonderer Verſteigerungs⸗ 
bedingungen zu verfahren iſt. 

Es iſt ſchon erwähnt worden, daß beſondere 
Verſteigerungsbedingungen nur auf Antrag eines 
Beteiligten, alſo nie von Amts wegen aufgeſtellt 
werden dürfen; die Antragſtellung iſt im Ver⸗ 
ſteigerungsprotokoll erſichtlichzu machen (§ 78 3 G.); 
der Antrag muß ſelbſtverſtändlich erſehen laſſen, 
welche Abweichung von den geſetzlichen Vorſchriften 
begehrt wird; das gleiche gilt von der darauf er⸗ 
gehenden Entſcheidung des Notars. 

Wird durch die Abweichung von den geſetz⸗ 
lichen Vorſchriſten das Recht eines anderen Be⸗ 
teiligten als des Antragſtellers beeinträchtigt, ſo 
iſt deſſen Zuſtimmung erforderlich; auch dieſe 
iſt, wenn ſie nicht ſchon vor dem Verſteigerungs⸗ 
termin erklart wurde, im Protokoll erſichtlich zu 
machen; das Protokoll muß alſo beiſpielsweiſe im 
Falle V lit. C folgendes enthalten: 

a) Falls durch beſondere Verſteigerungsbedin⸗ 
gung das Erlöſchen der Nebenkaution herbei⸗ 
geführt werden ſoll: 

Auf Antrag des N. N. und mit Zuſtimmung der 
Pfandbriefbank Felden wurden folgende beſondere Ver⸗ 
ſteigerungsbedingungen aufgeſtellt: die Nebenkaution 
zu Hypothek 1/1 der Pfandbriefbank Felden, die eigentlich 
als Beſtandteil des geringſten Gebots aufrecht zu er⸗ 


halten wäre, ſoll durch den Zuſchlag erlöſchen und 
demgemäß im geringſten Gebot nicht berückſichtigt 


werden; dagegen ſollen die auf dieſe Nebenkaution er⸗ 


wachſenen Verzugszinſenforderungen als barzuzahlende 
N im geringſten Gebot berückſichtigtwerden; !) 
oder: 

Auf Antrag des N. N. und mit Zuſtimmung der 
Pfandbriefbank Felden wurde folgende beſondere Ver⸗ 
ſteigerungsbedingung aufgeſtellt: die Nebenkaution zu 
Hypothek 1/I der Pfandbriefbank Felden, die eigentlich 
im vollen Betrag als Beſtandteil des geringſten Ge⸗ 
bots aufrecht zu erhalten wäre, aber bis heute nur in 
Höhe von 49.50 M valutiert iſt, fol durch den Zuſchlag 
in Höhe des nicht valutierten Betrages von 1950.50 M 
erlöſchen und demgemäß im geringſten Gebot nur mit 
dem Betrag von 49.50 M berückſichtigt werden.“) 


b) Falls durch beſondere Verſteigerungsbedin⸗ 
gung nur der Eintritt einer Bargebotserhöhung 
ausgeſchloſſen werden ſoll: 

Auf Antrag des N. N. wurde folgende beſondere 
Verſteigerungsbedingung aufgeſtellt: obwohl auf die 
zur Hypothek 1/I eingetragene und im geringſten Ge⸗ 
bot als beſtehenbleibendes Recht berückſichtigte Neben⸗ 
kaution von 2000 M bis heute nur Forderungen in 
Höhe von 49.50 M entitanden find, ſoll keine Bargebots— 
erhöhung ſtattfinden, ſoweit ſie nach den geſetzlichen 
Beſtimmungen auf Grund dieſer Verhältniſſe einzu— 
treten hätte. 


1) Der Nachſatz dürfte überflüſſig ſein, wenn das 
Hauptſache hypothekrecht auf die Leiſtung von Vers 
zugszinſen erweitert wurde. 

18) Dieſe Faſſung hat unter Umſtänden den Nach— 
teil, daß die Bank für die vom Zuſchlag bis zum Ver— 
teilungstermin laufenden Verzugszinſen keine Deckung 
mehr hat; der Nachteil dürfte aber nicht beſtehen, 
wenn das Hauptſache hypothekrecht entſprechend er: 
weitert wurde. 


PPCTTTTTTTTTTTTTTT Tale rer 18, 


nn U CTV— — 
— — . ..4—4————2. 


Kleine Mitteilungen. 


Zwangs vollſtreckung auf Grund gemeindlicher Uns: 
ſtandsverzeichniſſe. Die Beſtimmungen der ZPO. über 
die Zwangsvollſtreckung finden in der Regel nur auf 
ſolche Schuldtitel Anwendung, die in der ZPO. ſelbſt 
behandelt find. Gemäß 8 801 ZPO. find aber die 
Bundesſtaaten ermächtigt, im Wege der Geſetzgebung 
— nicht auf dem Verordnungsweg — die gerichtliche 
Zwangsvollſtreckung auch auf Grund anderer als 
zivilprozeſſualer Schuldtitel zuzulaſſen und über die 
Art dieſer Zwangsvollſtreckung beſondere Vorſchriften 
zu treffen. Von dieſer Befugnis hat Bayern in den 
Art. 4 ff. AG. ZPO. vom 26. Juni 1899 Gebrauch 
gemacht und hat landesgeſetzlich das Voll ſtreckungs⸗ 
recht der Verwaltungsbehörden geregelt. Durch Art. 7 
dieſes Geſetzes iſt beſtimmt, daß bei Vollſtreckungen 
im Verwaltungszwangsverfahren die Vorſchriften der 
ZPO. anzuwenden ſind. Gemäß Art. 8 ſtehen die 
Ausſtandsverzeichniſſe der Gemeinden als Schuldtitel 
den Urkunden der Finanzbehörden gleich; es kann auf 
Grund ſolcher Verzeichniſſe die gerichtliche Zwangs⸗ 
vollſtreckung erfolgen, wenn die Vorausſetzungen des 
Art. 48 Gem O. gegeben ſind. Es finden alſo auch 
für dieſe Schuldtitel bei Durchführung der Zwangs⸗ 
vollſtreckung die Beſtimmungen der ZPO. und zwar 
die ſämtlichen Vorſchriften in den 88 704 bis 882 und 
899 bis 945 Anwendung, da in Art. 7 AG. ZPO. 
Ausnahmen nicht vorgeſehen ſind. 

Nun hat aber die bayer. Geſchäftsanweiſung für 
Gerichtsvollzieher vom 28. April 1900 (JM Bl. S. 621 ff.) 
im 8 205 Abſ. III in den beiden Schlußſätzen ange: 
ordnet, daß der Gerichtsvollzieher den Schuldtitel nur 
auf Verlangen der auftraggebenden Behörde zuſtellen 
und, wenn ihm kein ſolcher Auftrag erteilt wird, nicht 


zu prüfen hat, ob der Schuldtitel ſchon zugeſtellt iſt. 


Auf Grund dieſer Anweiſung werden zuweilen durch 
die Gerichtsvollzieher bei Schuldnern von Gemeinden 
Pfändungen vorgenommen, ohne daß die Voraus⸗ 
ſetzungen des nach landes geſetzlicher Vorſchrift 
(Art. 7 AG. ZPO.) anzuwendenden 8 750 Abi. 2 BPOD. 
erfüllt ſind, wonach die Zwangsvollſtreckung nur be⸗ 
ginnen darf, wenn vorher oder gleichzeitig der Schuld⸗ 
titel — im gegebenen Falle alſo das vollſtreckbare 
Ausſtandsverzeichnis — zugeſtellt iſt. 

Dieſe Vorſchrift der ZPO. enthält eine Schutz⸗ 
beſtimmung für den Schuldner und es iſt kein Grund 
erſichtlich, weshalb in einem Zwangsvollſtreckungs⸗ 
verfahren auf Grund eines gemeindlichen Ausſtands⸗ 


verzeichniſſes die Intereſſen des Schuldners nicht in 


gleicher Weiſe wie bei Pfändungen auf Grund an⸗ 
derer Vollſtreckungstitel geſchützt ſein ſollten. Die 
allgemeine Vorſchrift des Art. 7, die das Zwangs⸗ 
voll ſtreckungsverfahren in Verwaltungsſachen in Ein⸗ 
klang bringt mit den Vorſchriften der ZPO., bietet 
keinen Anhaltspunkt dafür, das Syſtem der für die 
Zwangsvollſtreckung geltenden allgemeinen Vorſchriften 
zu verlaſſen und für eine einzelne Art der Pfändung 
beſondere Regeln aufzuſtellen. Bietet aber das Geſetz 
dieſe Möglichkeit nicht, fo können im Verordnungsweg 
Ausnahmebeſtimmungen nicht getroffen werden, weil 
das Verordnungsrecht ſich innerhalb der Grenzen der 
Geſetze halten muß und weil ſolchen Verordnungen 
Geſetzeskraft nur zukommt, wenn ſie vor Geltung der 
Verfaſſungsurkunde vom 26. Mai 1818 erlaſſen 
worden ſind. 


Zgeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


269 


Das Finanzminiſterium hat ſich in einer Bek. vom 
27. Dezember 1899 (Fin MBl. 1899 ©. 355 ff.) auf 
dieſen Standpunkt geſtellt und hat im 8 15 die Zwangs⸗ 
vollſtreckung auf Grund vollſtreckbarer Beſchlüſſe der 
Finanzämter nur für zuläſſig erklärt, wenn die Vor⸗ 
ausſetzungen des 8 750 ZPO. erfüllt find. Aus dieſer 
Bekanntmachung iſt auch zu entnehmen, daß die 
Adminiſtrativmahnung, wie fie in Art. 48 GemO. vor⸗ 
geſehen iſt, ſich von der Zuſtellung im Sinne des 
8 750 3PO. begrifflich unterſcheidet (vgl. auch Seuff Bl. 
74 S. 284 und Jur W. 1890 S. 81 Nr. 12). Auch in 
der Anordnung des Finanzminiſteriums vom 22. No⸗ 
vember 1880 Nr. 2 (Fin MBl. S. 477) iſt die Anſchau⸗ 
ung vertreten, daß ein vollſtreckbares Ausſtands⸗ 
verzeichnis vor Beginn der Vollſtreckung zugeſtellt 
werden muß. 

Das Vollſtreckungsorgan hat nicht zu prüfen, 
ob alle geſetzlichen Vorbedingungen einer Vollſtreck⸗ 
barkeitserklärung erfüllt oder von der Gemeindever⸗ 
waltung als erfüllt erachtet worden ſind; dieſe Frage 
hat die Behörde zu prüfen, welche den Vollſtreckungs⸗ 
auftrag erteilt. Geprüft muß aber werden, ob das 
Ausſtandsverzeichnis zugeſtellt iſt, das die Grundlage 
für die Vollſtreckung bildet; es darf die zwangsweiſe 
Beitreibung nur durchgeführt werden, wenn die geſetz⸗ 
lich vorgeſchriebenen Förmlichkeiten des Verfahrens 
gewahrt ſind. Es kann die landesgeſetzlich vorge⸗ 
ſchriebene Anwendung des 8 750 ZPO. durch Verord⸗ 
nung nicht ausgeſchloſſen werden, und es können über 
die Vorausſetzungen für die Zuläſſigkeit der Voll⸗ 
ſtreckung durch Verwaltungsanordnungen nicht ab⸗ 
weichende Vorſchriften getroffen werden. 

Pfändungen, die von Gerichtsvollziehern unter 
Außerachtlaſſung der Beſtimmung des 8 750 ZPO. 
über die Bedingungen für den Beginn einer Zwangs⸗ 
vollſtreckung vorgenommen werden, können allenfalls 
durch gerichtliche Entſcheidung als unzuläſſig erklärt 
und als nichtig und unwirkſam aufgehoben werden, 
und es kann ein ſpäterer Pfandgläubiger, der auf 
Grund eines zugeſtellten Schuldtitels Pfändung er⸗ 
wirkt hat, die Pfandſache einem früheren Pfand⸗ 
gläubiger entziehen, der auf Grund eines Ausſtands⸗ 
verzeichniſſes ohne Zuſtellung pfänden ließ. Es können 
hieraus unter Umſtänden Rückgriffsanſprüche entſtehen. 

Es ergibt ſich aus dem Wortlaut der Schlußſätze 
des 8 205 Geſch Anw. f. GerVollz. und aus feiner An⸗ 
wendung durch die Gerichtsvollzieher für einen Aus⸗ 
nahmefall eine Unregelmäßigkeit, die der dienſtaufſicht⸗ 
führende Richter auch nicht gemäß 8 207 der Dienſtes⸗ 
vorſchriften für Gerichtsvollzieher im Wege einer dem 
Sinne des Geſetzes entſprechenden und die Durch⸗ 
führung ſeiner Grundſätze ermöglichenden Auslegung 
beſeitigen kann, weil die Gerichtsvollzieher ſich an 
den Wortlaut ihrer Geſchäftsanweiſung für gebunden 
erachten. 

Es dürfte deshalb zu erwägen ſein, ob nicht eine 
Aufhebung der mehrerwähnten Anordnung des 8 205 
Geſch Anw. f. Ger Vollz. oder doch eine Abänderung 
und Erläuterung angezeigt iſt. 

Oberamtsrichter Schmitt in Klingenberg. 


Anwendbarkeit des 5 930 Abſ. 3 ZPO. bei Ver⸗ 
änzerung gepfändeter Sachen? Wie find ſeine Voraus⸗ 
ſetzungen darzutun? Bei einem Schuldner ſind mehrere 
Sachen auf Grund eines Arreſtes gepfändet, aber in 


feinem Gewahrſam belaſſen werden; er veräußert einen 
Teil, begeht alſo einen Pfandbruch. Kann der Gläubiger 
die Verſteigerung der übrigen Sachen und die Hinter⸗ 
legung des Erlöſes verlangen? 

Unmittelbar iſt 8 930 Abſ. 3 ZPO. nicht anwend⸗ 
bar. Die Veräußerung eines Teiles der gepfändeten 
Sachen ſetzt die übrigen weder der Gefahr einer be⸗ 
trächtlichen Wertverringerung aus, noch bewirkt ſie, 
daß ihre Auſbewahrung unverhältnismäßige Koſten 
verurſacht. Man kann demgegenüber aber folgendes 
ausführen: Durch die Veräußerung eines Teiles der 
gepfändeten Sachen iſt (wenigſtens regelmäßig) dar⸗ 
getan, daß die Befriedigung des Gläubigers aus den 
übrigen Sachen oder feine durch die Pfändung be⸗ 
wirkte Sicherung gefährdet iſt, wenn die Sachen 
länger im Gewahrſam des Schuldners bleiben. Es 
kommt daher zunächſt in Frage, daß der Gerichtsvoll⸗ 
zieher ſie aus dem Gewahrſam des Schuldners weg⸗ 
ſchafft (8 808 Abſ. 2) und anderswie verwahrt. Das 
macht unter Umſtänden unverhältnismäßige Koſten 
(man denke z. B. an Tiere). Liegen ſolche Umſtände 
vor, ſo iſt 8 930 Abſ. 3 anwendbar, während andern⸗ 
falls eben nur eine andere Art der Verwahrung in 
Frage kommt. 

Wie hat nun der Gläubiger darzutun, daß die 
Vorausſetzungen des 8 930 Abſ. 3 vorliegen? 

Für den Regelfall werden allerdings keine be⸗ 
ſonderen Schwierigkeiten entſtehen. Ob eine Sache 
der Gefahr beträchtlicher Wertverringerung ausgeſetzt 
iſt oder ob ihre Aufbewahrung unverhältnismäßige 
Koſten verurſacht, kann der Richter regelmäßig entſchei⸗ 
den, ohne daß ihm etwas Beſonderes dargetan werden 
muß. Schwieriger wird es aber, wenn der Richter nicht 
entſcheiden kann, ohne daß ihm gewiſſe Tatſachen noch 
beſonders erhärtet werden. Wie hat der Gläubiger 
z. B. in dem vorhin erwähnten Falle darzutun, daß 
der Schuldner einen Teil der verpfändeten Sachen ver⸗ 
äußert bat? 

Man könnte daran denken, daß der Gläubiger 
den Verkauf glaubhaft machen muß, da es ſich um 
eine Beſtimmung des Arreſtverfahrens handelt. Dieſe 
erleichterte Form des Beweiſes, die allerdings wieder 
dadurch erſchwert iſt, daß die Beweisaufnahme ſoſort 
möglich fein muß (8 294 Abſ. 2), iſt aber nur in den 
vom Geſetz ausdrücklich genannten Fällen zuläffig.') 
Ausdrücklich iſt nun zwar in 8 930 Abſ. 2 für den 
Anſpruch und den Arreſtgrund geſagt, daß ſie glaub⸗ 
haft zu machen find. Für den Fall des 8 930 Ubi. 3 
beſteht aber keine entſprechende Beſtimmung. Viel⸗ 
mehr muß folgendes gelten: Die Anordnung des 
8 930 Abſ. 3 iſt eine Maßregel des Arreſtvollzugs. 
Da nach 8 928 auf ihn die Vorſchriften über die 
Zwangsvollſtreckung entſprechend anzuwenden ſind, ſo 
iſt die Anordnung als ein Vorgang der Zwangsvoll⸗ 
ſtreckung zu behandeln. Sie wird übrigens auch nach 
ausdrücklicher Geſetzesbeſtimmung durch das Voll⸗ 
ſtreckungsgericht getroffen, alſo in einem Verfahren, 
bei dem nach der Wahl des Gerichts eine mündliche 
Verhandlung ſtattfinden kann (8 764 Abſ. 3). Erfolgt 
keine mündliche Verhandlung, ſo kann das Gericht 
entweder auf Grund des vom Gläubiger eingereichten 
Geſuches und deſſen Unterlagen entſcheiden oder erſt 
dem Schuldner Gelegenheit zu einer ſchriftlichen Er— 
klärung geben. Es kann aber auch in dieſem rein 


) Vgl. Stein, Komm. zu ZPO., 10. Aufl., erl. 
VA zu 8 128. 


ſchriftlichen Verfahren ſchon eine Beweisaufnahme 
ſtattfinden. Es können z. B. neben dem Urkunden⸗ 
beweis) recht wohl Zeugen und Sachverſtändige ver⸗ 
nommen werden. Wenn alſo in dem erörterten Falle 
der Gläubiger Zeugenbeweis dafür antritt, daß der 
Schuldner einen Teil der im Arreſtwege gepfändeten 
Sachen veräußert hat, ſo iſt dieſer Beweis zu erheben.“) 
Häufig wird das Gericht aber mündliche Verhand⸗ 
lung anordnen, ſei es, daß ihm dies zur Klärung der 
Sache angemeſſen erſcheint, oder daß der Gläubiger 
den Beweis durch Eideszuſchiebung antritt, ein Beweis, 
der nur in dem nach Anordnung einer mündlichen 
Verhandlung ſtattfindenden Verfahren erhoben werden 
kann.“) Man wird ſogar annehmen müſſen, daß in 
einem ſolchen Falle für das Gericht eine Verpflichtung 
beſteht, mündliche Verhandlung anzuordnen.“) 


Rechtsanwalt Dr. Leſſer in Poſen. 


Aus der Lechtſprechung. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 


I. 


Verletzung der Fan eatt der dienſtberechtigten 
öffentlich rechtlichen Rörperſchaft durch den ſatzungs⸗ 
mäßig bernſenen Vertreter. Aus den Gründen: 
Zwiſchen der beklagten Stiftung und dem Heizer S. 
beſtand ein Dienſtverhältnis, aus dem ſich für ihren 
geſetzlichen Vertreter die nach S 618 BB. begründeten 
Pflichten ergaben. Schuldhafte Verletzung durch ihn 
macht die Beklagte nach SS 31, 89, 618 Abſ. 3, 844 BGB. 
den Hinterbliebenen des S. ſchadenserſatzpflichtig. S. 
hatte zur Erwärmung des Schornſteins der Luftheizungs⸗ 
anlage ſog. Lockfeuer anzulegen. Dies geſchah früher 
durch ein Türchen außen im Schornſtein. Die Oeffnung 
wurde aber 1909 auf Anraten eines Sachverſtändigen 
vermauert. Das Lockfeuer mußte ſeitdem von einem 
neben dem Rauchkanal herlaufenden Schlupfkanal aus 
angelegt werden. Im Oktober 1911 wurde S. durch 
Gaſe erſtickt im Schlupfkanal tot aufgefunden. Ob die 
Anordnung des Zumauerns der Oeffnung im Schorn— 
ſtein ſchuldhaft war, kann unerörtert bleiben. Die 
ie Erfüllung der Aufſichtspflicht, das Unter⸗ 


9 Auf dieſe will Kann, Komm. zu ZPO., Erl. 4 b, 
ce zu $ 128, zu Unrecht die Beweismittel beſchränkt 
ſehen. 
) Ueber die Grundſätze des Verfahrens bei Nicht: 
anordnung der mündlichen Verhandlung vgl. z. B. 
Stein, Erl. VA zu § 128. 

%) Ueber die Grundſätze dieſes Beweisverfahrens 
vgl. z. B. (nicht ganz übereinſtimmend) Stein, Erl. 
VB 3, 4; Kann, Erl. 4 b, dd, d zu § 128, dort auch 
Literatur. Eidesbeweis wird allgemein als zuläſſig 
angenommen (vgl. z. B. RG. Bd. 50 S. 369, Bd. 54 
S. 311), und zwar ſtets auch ohne die Vorausſetzungen 
des 8 461; Auſerlegung durch (unbedingten) Beſchluß. 
(Nicht ganz unbeſtritten; vgl. Stein und Kann a. a. O.) 

) Vgl. Stein, Erl. VA zu § 128. 

) Wenn alſo das Landgericht Oſtrowo als Be— 
ſchwerdegericht in einem ſolchen Falle die Zurück⸗ 
weiſung eines Antrages aus § 930 Abſ. 3 deswegen 
für begründet gehalten hat, weil der Gläubiger, ob— 
obwohl es ſich um ein Arreſtverfahren handele, die 
Veräußerung eines Teiles der gepfändeten Sachen 
nicht glaubhaft gemacht, ſondern Zeugenbeweis an— 
getreten habe, ſo iſt dies kaum richtig. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


— — ü — — — k — —— — uñ—ẽ—i½ ͥ . ——ù — t — nn — — — 


laſſen von . und der Ueberwachung 
ihrer Anwendung hat das BG. dem geſetzlichen Ber: 
treter der Beklagten mit Recht vorgeworfen. Es führt 
zutreffend aus, nach dem Ausſcheiden des Sachver⸗ 
ſtändigen habe der 1 Vertreter nicht einfach 
die Hände in den Schoß legen noch ſich bei dem Ge⸗ 
danken beruhigen dürfen, eine Gefahr bei der Anlage 
ſei „ein für allemal“ beſeitigt. Das BG. hebt hervor, 
welche Bedenken er mit Rückſicht auf die Art der An⸗ 
lage, auf ihr Alter und die Schwierigkeit ihrer Be⸗ 
dienung bei pflichtmäßiger Anwendung der im Verkehr 
erforderlichen Sorgfalt habe hegen müſſen. Er konnte 
nicht annehmen, daß der Sachverſtändige für alle Zu⸗ 
kunft die Heizungsverhältniſſe gefahrlos geſtaltet habe. 
Der Umſtand, daß die bisher zum Anlegen der Lock⸗ 
feuer benutzte Oeffnung vermauert war, mußte ihn 
zum Nachdenken darüber veranlaſſen, wo jetzt das Lock⸗ 
feuer werde entzündet werden, und ob das gefahrlos 
geſchehen könne. Die Anſtände, die in der Heizzeit 
1910/1911 wegen ungenügender Wärme in den Stif⸗ 
tungsräumen hervortraten, mußten ihm das bisher 
verwandte Abhilfemittel, das Lockfeuer, ins Gedächtnis 
zurückrufen, und er mußte alsdann, um ſeiner Auf⸗ 
ſichtspflicht zu genügen, ſich davon überzeugen, ob die 
Anlegung des Feuers vom Schlupfkanal aus mit Ge⸗ 
fahren verbunden und wie dieſen vorzubeugen ſei. 
Dieſer eigenen Aufſichtspflicht wurde der gefegliche Ber- 
treter auch nicht ledig, wenn Perſonen vorhanden 
waren, deren er ſich zur Erfüllung ſeiner Verpflichtung 
aus 8 618 gegenüber dem Erblaſſer der Kläger bediente. 
Uebrigens würde für das ſolchen Perſonen zur Laſt 
fallende Verſchulden die Beklagte nach 8 278 BOB. 
haften. Dem Verſtorbenen gereichte es anderſeits nicht 
zum Verſchulden, daß er fi zum Anzünden des un- 
entbehrlichen Lockfeuers in den Schlupfkanal begab. 
Es mag der Beklagten zugegeben werden, daß er ſein 
Unternehmen als gefährlich kannte. Allein er hat ſich 
nicht leichtfertig ſondern aus Pflichttreue in die nach 
der Eigenart der Anlage nun einmal mit ſeinem Dienſte 
verbundene Gefahr begeben. Er hat ſich für verpflichtet 
gehalten, lieber die Gefahr einer Geſundheitsbeſchädi⸗ 
gung auf ſich zu nehmen, als ſeinen Dienſt zu ver⸗ 
nachläſſigen. Zugleich hat er unter dem Drucke der 
— vielleicht unbegründeten — Furcht gehandelt, er 
werde ſeine Stelle verlieren, wenn er nicht für ordnungs⸗ 
mäßigen Gang der Heizung ſorgte. Das BG. findet 
das Verſchulden des S. darin, daß er nicht Schutzmaß⸗ 
regeln angeregt hat. Aber mit dieſer Unterlaſſung hat 
er nicht gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt 
verſtoßen. Sein Dienſt brachte es mit ſich, daß ſich bei 
ihm eine gewiſſe Gleichgültigkeit gegen die Gefahr ein- 
ſtellte. Zudem iſt es begreiflich, daß er nicht gern 
Schwierigkeiten bereitete und ſich durch das Er⸗ 
heben beſonderer Anſprüche möglicherweiſe mißliebig 
machte. Er durfte erwarten, daß Sicherungsmaßnahmen, 
wenn nötig und erfolgverſprechend, von der Verwaltung 
ausgehen würden. Wollte man aber die Unterlaſſung 
der Anregung als ſchuldhaft anſehen, ſo wäre doch 
das Verſchulden des geſetzlichen Vertreters, der die 
gefahrvolle Anlage beſtehen ließ, ſich um den Dienſt 
und das Ergehen der Heizer nicht kümmerte, obwohl 
ihm die geſamte Verwaltung oblag, das grundlegende, 
die Möglichkeit für den Unfall ſetzende und derart 
überwiegend, daß das geringfügige des S. als den 
Schaden verurſachend überhaupt nicht in Betracht 
kommen und an der vollen Erſatzpflicht der Beklagten 
nichts ändern würde. (Urt. d. III. 38S. vom 17. Fe⸗ 
bruar 1914, III 534/1913). — a — 
3288 
II. 


Mitwirkendes Verſchulden, urſächlicher Iufammen: 
hang. Aus den Grunden: Die Klägerin hatte als 
Lehrerin freie Dienſtwohnung im Schulgebäude. Auf 
dem vereiſten und infolgedeſſen glatten Wege zu der 


Hauf dem Schulhofe ſtehenden Pumpe, von der fie Waſſer 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1? 13. 


holen wollte, ſtürzte ſie und zog ſich Verletzungen zu. 
Der Schulverband wurde zum Schadenserſatz verurteilt. 
Die Reviſion rügt, das BG. habe mit Unrecht ein mit⸗ 
wirkendes Verf ulden der Klägerin verneint, die ſich 
der offenliegenden Gefahr bewußt ausgeſetzt habe. Die 
Rüge iſt unbegründet. Es entſpricht keineswegs der 
Rechtſprechung des R., daß ſchuldhaft handelt, wer 
ſich einer Gefahr bewußt ausſetzt. Schuldhaft handelt 
vielmehr nur, wer ſich ohne Not in Gefahr begibt. 
Hier war die Klägerin auf die Pumpe angewieſen, um 
ſich das Waſſer zu holen. Wenn ſie nun hoffen konnte, 
daß ſie bei vorſichtigem Gehen ohne Unfall ihren Zweck 
erreichte, und wenn ſie weder unvorſichtig noch leicht⸗ 
firtig verfahren iſt, ſo genügen dieſe Feſtſtellungen, um 
ein Verſchulden auszuſchließen. Es wäre eine Prämie 
auf die Verletzung der Pflicht des Beklagten, wenn 
man ihm die Berufung darauf geſtatten wollte, die 
Klägerin hätte die Benutzung der Pumpe unterlaſſ en 
müſſen, weil ſich der Zugang zur Pumpe in einem 
offenſichtlich nicht gefahrfreien Zuſtande befunden habe. 
Es kann nur darauf ankommen, ob die Klägerin bei 
der Benutzung die auch für ſie erkennbare Gefährlichkeit 
des Zugangs leichtſinnigerweiſe nicht genügend beachtet 
hat. Eine ſolche e e hat das BG. aber nicht 
getroffen. Das BG. iſt bei Prüfung der Frage nach 
en urſächlichen Zufammenhang von den in der Recht⸗ 
ſprechung des RG. ſtändig angenommenen Grundſätzen 
ausgegangen. Nach ſeiner Feſtſtellung ſind die bei der 
Klägerin ſeit dem Unfall eingetretenen Bewegungs⸗ 
und Gefühlsſtörungen ihrer rechten Hand und ihres 
rechten Armes durch den Unfall hervorgerufen. Mag 
nun bei der Klägerin ſchon vor dem Unfalle eine krank⸗ 
hafte Anlage zur Hyſterie, oder eine Krankheit ſelbſt, 
Hyſterie, vorhanden geweſen ſein, und mögen die er⸗ 
wähnten Störungen durch den Unfall infolge der vor⸗ 
handenen krankhaften Anlage oder der vorhandenen 
Krankheit ausgelöſte Folgen fein, fo wird dadurch der 
urſächliche Zuſammenhang nicht ausgeſchloſſen. Ohne 
Rechtsirrtum hat das BG. angenommen, daß dies zu 
einer Beſchränkung der Schadenserſatzpflicht nicht führen 
könne. Daß aber die Hyſterie keinesfalls eine Be⸗ 
ſchränkung des Gebrauchs einer Hand zur Folge ge⸗ 
habt hat, iſt vom BG. tatſächlich feſtgeſtellt. Die 
Klägerin hat ja auch bis zum Unfall ihre rechte Hand 
unbeſchränkt gebrauchen können. Danach hat das BG. 
auch ohne Rechtsirrtum angenommen, daß es ſich bei der 
Verminderung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand 
nicht um die Verſchlimmerung eines vorher gegebenen 
Zuſtandes, ſondern um ein neues Leiden handle. Es 
kommt daher gar nicht darauf an, ob bei der Klägerin 
vor dem Unfalle nicht nur eine Anlage zur Hyſterie, 
ſondern ein hyſteriſches Leiden beſtanden hat. (Urt. d. 
III. ZS. v. 28. April 1914, III 63/14). — a — 
3389 


III. 


Der „wichtige Grund“ zu friſtloſer Kündigung des 
Dienfiverhältnife. Aus den Gründen: Mit Recht 
hebt das BG. hervor, daß die Beſtimmung des 8 626 
BGB. zwingendes Recht enthalte. Dieſe Eigenſchaft 
hindert aber nicht, daß über die Wichtigkeit von Gründen 
zu friſtloſer Kündigung des Dienſtverhältniſſes vertrags⸗ 
mäßige Beſtimmungen getroffen werden. Durch Vertrag 
kann Tatſachen, die an ſich einen wichtigen Grund dar— 
ſtellen würden, unter beſonderen Vorausſetzungen diefe | 
Bedeutung genommen werden. Sollen nach dem Ver⸗ 
trage gewiſſe Tatbeſtände nur dann einen wichtigen 
Grund bilden, wenn im einzelnen feſtgeſetzte erſchwerende 
Umſtände obwalten, ſo können ſie ohne das Vorliegen 
dieſer Umſtände nicht auf Grund des § 626 BGB. als 
wichtige Gründe zur Auflöſung des Dienſtverhältniſſes 
verwertet werden. Inſofern iſt die vertragliche Regelung 
ſchlechthin maßgebend. Das ſchließt aber nicht aus — 
und darin zeigt ſich die zwingende Natur der Geſetzes— 
vorſchrift — daß Tatbeſtände, denen der Vertrag die 


271 


Wichtigkeit nicht abſpricht, und die er nicht nur unter 
Beſchrankungen als wichtige Gründe zuläßt, nach § 626 
als vertragauflöſend zu gelten haben. Der Vertrag 
der Streitteile knüpft an eine Reihe von Handlungen 
und Unterlaſſungen des Klägers für die Beklagte das 
Recht ihn ſofort zu entlaſſen. Dieſe Handlungen und 
Unterlaſſungen ſind nur dann wichtige Gründe, wenn 
fie die im Vertrage erforderten Merkmale aufweifen. 
Das BG. findet nun einen von den Vertragsbeſtimmungen 
unabhängigen wichtigen Grund darin, daß der Kläger 
die Abſage ſeiner Mitwirkung bei der Theatervorſtellung 
in einer Weiſe „mit ſeinen angeblichen Geldforderungen 
verquickt“ habe, daß es der Theaterleitung nicht wohl 
zuzumuten geweſen ſei, das Verhältnis mit ihm weiter⸗ 
beſtehen zu laſſen. Der Kläger habe zwar ein Zurück⸗ 
behaltungsrecht wegen ſeiner Gehaltsrückſtände geltend 
machen wollen. Er habe aber kein ſolches Recht ge⸗ 
habt, feine Gehaltsanſprüche ſelbſt als Verhalten er⸗ 
kannt und dadurch ein ſittenwidriges Verhalten an 
den Tag gelegt, daß er mit der Abſage einen Druck 
bes die Beklagte ausübte. Die Ausübung des Zurück⸗ 
behaltungsrechts dürfe nicht dazu führen, dem anderen 
Teile einen unverhältnismäßigen Schaden zuzufügen. 
Das ganze Verhalten des Klägers ſei eine ſo ſchwere 
Pflichtverletzung, daß die Beklagte, ſchon um der er⸗ 
forderlichen Theaterzucht willen, es ſich nicht habe bieten 
laſſen dürfen. Der Bewertung dieſes Verhaltens als 
eines wichtigen Grundes ſtehen allerdings Beſtimmungen 
des Vertrages in dem hier dargelegten Sinne nicht 
entgegen, allein die Ausführungen des BG. laſſen zum 
Teil eine Verkennung des Rechtsbegriffs des wichtigen 
Grundes erſehen, zum Teil eine prozeßgerechte Feſt⸗ 
ſtellung der zur Begründung verwandten Tatſachen 
vermiſſen. Richtig iſt, daß unter Umſtänden auch die 
Geltendmachung eines Rechtes, insbeſondere des 
Zurückbehaltungsrechts, gegen Treu und Glauben ver⸗ 
ſtoßen und einen Grund zu friſtloſer Kündigung ergeben 
kann. Aber damit dies angenommen werden kann, 
bedarf es der einwandfreien Feſtſtellung ganz beſonderer 


Verhältniſſe. (Wird 8 daß es daran hier 
fehlt). (Urt. d. III. ZS. v. 1. Mai 1914, III 33/14). 
3390 — a — 


IV. 

Sate ien nt des Bankiers. Aus den 
Gründen: Das BG. hat den beklagten Bankier für 
haftbar erklärt, weil er durch ſeine ſchriftlichen und 
mündlichen Mitteilungen an B., die dieſer bei ſeinem 
Antrag auf Anordnung der Nachlaßverwaltun ver⸗ 
wertet hat, ſeine Vertragspflichten gegenüber dem Kläger 
ſchuldhaft verletzt habe. Dem iſt im Ergebnis bei⸗ 
zupflichten. Wenn der Bankier die Aufträge eines 
Kunden an ihn und das Verhalten des Kunden im 
Geſchäftsverkehr mit ihm bekannt gibt, iſt in der Mit⸗ 
teilung derartiger geſchäftlicher Angelegenheiten durch 
den Bankier an einen Dritten allerdings nicht die 
Preisgabe eines Geſchäftsgeheimniſſes zu finden (vgl. 
über den Begriff des 0 mu JW. 1912, 
601; RG. 53, 42; NOS. 426). Allein es kann 
keinem Zweifel 1 1 8 5 har der Banlier feinem . 
Kunden gegenüber zur Verſchwiegenheit verpflichtet iſt. 
Dies wird auch in Rechtſprechung und Rechtslehre an⸗ 
erkannt. Der Bankier ſteht in einem beſonderen Ver⸗ 
trauens verhältnis zu feinem Auftraggeber, und bei 
ihrem Geſchäftsverkehre handelt es ſich um Angelegen⸗ 
heiten des Auftraggebers, in die dieſer mit Recht un- 
beteiligten Dritten keinen Einblick geſtattet. Dement— 
ſprechend war auch der mit der Regelung und Ver— 
ſilberung des Nachlaſſes eines Angehörigen des Klägers 
beauftragte beklagte Bankier verpflichtet, über den In⸗ 
halt der ihm erteilten Aufträge und beſonders auch 
über die „auffällige Eile“, mit der der Kläger auf ſchnelle 
Verwertung der Nachlaßgegenſtände und Abführung 
des Erlöſes drängte, Stillſchweigen zu . Da 
er aus dem Verhalten des Klägers erſah, daß dieſem 


272 


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an ſchleuniger Verſilberung des Nachlaſſes und an ſo⸗ 
fortiger Verwertung der eingezogenen Gelder viel ge⸗ 
legen war, durfte er nicht den Wünſchen und Intereſſen 
ſeines Auftraggebers entgegenarbeiten, indem er durch 
ſeine Mitteilungen an B. für deſſen Antrag auf An⸗ 
ordnung der Nachlaßverwaltung die erforderlichen 
Unterlagen beſchaffte und ſo dazu mitwirkte, daß dem 
Kläger die Verfügungsgewalt über die Nachlaßgegen⸗ 
ſtände und die Möglichkeit ſofortiger Verwertung ihres 
Erlöſes entzogen wurde. Durch dieſes Handeln gegen 
die ihm erkennbaren Intereſſen des Klägers verletzte 
der Beklagte ſchuldhaft ſeine Vertragspflichten. Die 
Vertragsverletzung kann nicht etwa deshalb verneint 
werden, weil der beklagte Bankier die Mitteilung zur 
Verwertung in einem gerichtlichen Verfahren gemacht 
und ein Recht zur Zeugnisverweigerung nicht gehabt 
habe. Abgeſehen davon, daß ein Bankier auf Grund 
des 8 383 Nr. 5 ZPO. fein Zeugnis über die Angelegen⸗ 
heiten ſeines Auftraggebers verweigern kann, auf die 
ſich ſeine Verpflichtung zur Verſchwiegenheit bezieht 
(Bayer. Obs G. 1, 290; Elſ. 22, 291) und nach richtiger 
Anſicht ſeinem Auftraggeber gegenüber auch verpflichtet 
iſt, von ſeinem Zeugnisverweigerungsrechte Gebrauch 
zu machen (RG.Z. 53, 317; Stein III, 2 zu 8 383), hat hier 
der Beklagte gar nicht unter dem Einfluſſe der Zeugnis⸗ 
pflicht gehandelt, ſondern ganz freiwillig auf Anfrage 
des B. ſeine ſchriftlichen und mündlichen Erklärungen 
abgegeben. (Urt. d. III. ZS. v. 28. April 1914, III 
627/13). 
3388 


— 4 — 


V. 

Zu 95 1298, 1300 86 .: Der Schadenxerſatzklage 
wegen Bruchs des Berlöbniſſes kann der beklagte Teil 
nicht mit dem Einwande betzegnen, daß das Verhalten 
des klagenden Teiles nach dem Rüdtritt, insbeſondere 
im Prozeß, den Nücktritt rechtfertige, oder daß er jetzt 
wieder zur Eheſchließung mit dem klagenden Teile bereit 
ſei. Aus den Gründen: Die Klägerin hat in der 
Berufungsinſtanz eingehend geſchildert, wie ſich die 
Beziehungen zwiſchen den Parteien bis zu dem Verlöbnis 
entwickelt haben. Sie hat dabei auch angegeben, ſie 
habe im Frühjahr 1910 geglaubt, ſchwanger zu ſein; 
der Beklagte habe ſie zu bewegen verſucht, ſich die Frucht 
abtreiben zu laſſen; ſie habe ſich jedoch geweigert und 
ſich deswegen Vorwürfe von dem Beklagten gefallen 
laſſen müſſen. Der Beklagte hat beſtritten, jemals ein 
derartiges Anſinnen an die Klägerin geſtellt zu haben, 
und erklärt, eine derartige unwahre Beſchuldigung gebe 
ihm einen hinreichenden Grund zum Rücktritt vom Ver⸗ 
löbnis. Das OLG. hat dieſe Anſicht des Beklagten 
für unzutreffend angeſehen, weil der Beklagte ſchon vor 
dem Beginne des Prozeſſes vom Verlöbnis zurückgetreten 
geweſen ſei und weil es ſich ferner um eine Behauptung 
handle, welche die Klägerin in Wahrnehmung ihrer 
vom Beklagten beſtrittenen Rechte im Prozeß geltend 
gemacht habe. Die hiergegen erhobene Rüge iſt uns 
begründet. Das BGB. gewährt den Verlobten keinen 
Rechtsanſpruch auf Erfüllung ihrer durch den Verlöbnis— 
vertrag wechſelſeitig abgegebenen Eheverſprechen und 
keine Möglichkeit, den anderen Teil zur Aufrechterhaltung 
des Verlöbniſſes zu zwingen (§ 1297). Es geſtattet 
vielmehr jedem Verlobten den einſeitigen Rücktritt von 
dem Verlöbnis und knüpft hieran nur für den Fall, 
daß der Rücktritt ohne wichtigen Grund erfolgt, eine 
in den 88 1298, 1300 BGB. näher begrenzte Schadens- 
erſatzpflicht. § 1298 Abſ. 3 beſtimmt, daß die in den 
erſten beiden Abſätzen näher geregelte Erſatzpflicht nicht 
eintritt, wenn ein wichtiger Grund vorliegt; dieſe 
Vorſchrift kann ſich indeſſen nur auf den Fall beziehen, 
daß der wichtige Grund bereits im Zeitpunkte des Rück— 
tritts beſteht. Denn die Zulaſſung eines ſpäteren Er— 
eigniſſes als Rechtfertigung des bereits vorher erfolgten 
Rücktritts hätte zur Folge, daß die im Zeitpunkte des 
Rücktritts mangels eines wichtigen Grundes eingetretene 


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Erſatzpflicht nachträglich wieder fortfallen könnte, und 


von einem Erlöſchen einer einmal eingetretenen Erſatz⸗ 
pflicht iſt weder im 8 1298 BGB. noch an einer anderen 
die Folgen des Rücktritts vom Verlöbnis regelnden 
Stelle des Geſetzes die Rede. Vielmehr iſt auch im 
§ 1299 BGB., der eine Erſatzpflicht des Verlobten feſtſetzt, 
der den Rücktritt des andern durch ein einen wichtigen 
Grund bildendes Verſchulden „veranlaßt“, dem klaren 
Wortlaute nach ein im Zeitpunkte des Rücktritts vor⸗ 
liegender Grund vorausgeſetzt. Der Senat hält daher 
an der von ihm bereits früher ausgeſprochenen Anſicht 
feſt, daß ein erſt nach der Rücktrittserklärung entſtandener 
Rücktrittsgrund gegenüber der Schadenserſatzklage aus 
88 1298 ff. BGB. nicht in Betracht kommen kann (Urt. 
vom 18. April 1907 IV 459/96). Das Os. hat hiernach 
mit Recht das Verhalten der Klägerin im Prozeß zur 
Rechtfertigung des auf 8 1298 Abſ. 3 BGB. geſtützten 
Einwandes des Beklagten für ungeeignet erklärt, weil 
es ſich dabei um eine Tatſache aus der Zeit nach dem 
Rücktritt handelt. Aber auch wenn dieſer Grund nicht 
zuträfe, wäre der Reviſion nicht beizutreten. Da der 
einſeitige Rücktritt eines Verlobten, gleichviel ob er 
mit oder ohne wichtigen Grund erfolgt, die Aufhebung 
des Verlöbniſſes bewirkt, ſo wird dadurch zugleich der 
andere Teil von der durch das Verlöbnis begründeten 
Verpflichtung frei, ſein Verhalten dem gegebenen Ehe⸗ 
verſprechen gemäß einzurichten. Er iſt daher auch nicht 
verpflichtet, in einem nach der Aufhebung des Ver⸗ 
löbniſſes auf Grund der 88 1298 ff. anhängig gemachten 
Prozeß bei der Ausführung ſeiner Rechte auf die Perſon 
des Gegners beſondere Rückſicht zu nehmen, und die 
Aufſtellung von Prozeßbehauptungen, die geeignet ſind, 
die Perſönlichkeit des zurückgetretenen Teils bloß⸗ 
zuſtellen, kann dieſem demgemäß keinen wichtigen Grund 
zur nachträglichen Rechtfertigung ſeines Rücktritts geben. 
Die Reviſion zieht zum Vergleich den Fall heran, daß 
ein ohne wichtigen Grund entlaſſener Dienſtverpflichteter 
Anſprüche wegen ungerechtfertigter Entlaſſung geltend 
macht; allein hier hat der Mangel des wichtigen Grundes 
das Fortbeſtehen des Dienſtvertrags und der daraus 
für beide Teile entſpringenden Pflichten zur Folge, 
ſo daß der klagende Dienſtverpflichtete, der die Entlaſſung 
nicht gelten laſſen will, dem anderen Teile gegenüber 
zu einem dem Dienſtverhältnis entſprechenden Verhalten 
verpflichtet bleibt und durch eine Verletzung dieſer Pflicht 
dem Gegner möglicherweiſe einen Grund zur nun⸗ 
mehrigen Aufkündigung des Vertrags gibt; dieſer Fall 
iſt alſo weſentlich anders gelagert. Näher liegt der 
Vergleich mit der im Eheſcheidungsprozeſſe für die 
Parteien beſtehenden Pflicht, bei der Auſſtellung von 
Prozeßbehauptungen die Rückſicht auf die Perſon des 
Gegners zu wahren und deshalb gewiſſe Grenzen ein⸗ 
zuhalten, allein auch er verſagt. Denn dieſe Verpflichtung 
beruht darauf, daß die Ehe noch beſteht und infolge⸗ 
deſſen auch die durch ſie begründete Pflicht zur gegen⸗ 
ſeitigen Rückſichtnahme andauert, während bei Prozeſſen 
wegen Schadenserſatzes auf Grund der SS 1298 ff. B. 
die Aufhebung des Verlöbniſſes und der Wegfall aller 
aus dem Verlöbnis entſpringenden Pflichten voraus 
geſetzt iſt. Auf einer Verkennung der Wirkungen des 
Rücktritts vom Verlöbnis beruht die Behauptung der 
Reviſion, daß der Beklagte noch während des Prozeſſes 
ſich hätte zur Heirat entſchließen können, wenn ihm 
das nicht durch die von der Klägerin erhobene Be» 
ſchuldigung unmöglich gemacht worden wäre. Die 
Reviſion geht anſcheinend davon aus, daß es im Bes 
lieben des Beklagten geſtanden hätte, durch die Er— 
klärung der Bereitwilligkeit zur Eheſchließung die 
Klägerin klaglos zu ſtellen. Das iſt unrichtig. Da der 
Rücktritt vom Verlöbnis deſſen Aufhebung bewirkt, 
kann er nicht durch einſeitige Erklärung des zurück⸗ 
getretenen Teils ungeſchehen gemacht werden, es bedarf 
vielmehr zur Beſeitigung ſeiner Wirkungen eines neuen 
Verlöbnisvertrags, der die Willenseinigung beider Teile 
vorausſetzt. Ein Recht hierauf ſtand dem Beklagten 
nicht zu, es hing vielmehr, wenn er ſich zur Eheſchließung 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


bereit erklärt hätte, noch immer von der freien Ent⸗ 
ſchließung der Klägerin ab, ob ſie auf dieſes Anerbieten 
eingehen wollte, und eine Ablehnung von ihrer Seite 
hätte für fie nicht den Berluft des Schadenserſatzanſpruchs 
zur Folge gehabt, da ihr nach dem grundloſen Rück⸗ 
tritte des Beklagten die Eingehung eines neuen Ver⸗ 
löbniſſes mit ihm nicht ohne weiteres zuzumuten war. 
Es kann daher auch keine Rede davon ſein, daß die 
Klägerin durch ihr Verhalten ſchuldhafterweiſe dem 
Beklagten die Möglichkeit vereitelt hätte, ſich von ſeiner 
Erſatzpflicht durch Eingehung eines neuen Verlöbniſſes 
mit ihr zu befreien. (Urt. des IV. 3S. vom 5. März 
1914, IV 640/13). E. 
8359 


VI. 

1. Das Uebernahmerecht nach 3 1477 Abſ. 2 868. 
gehört zum Nachlaß und kaun deshalb von dem Teſta⸗ 
ments vollſtrecker ausgenbt werden. 

. 2. Stellung des Teſtamentsvollſtreckers bei der Ans: 
einanderſetzung des Geſamtguts. 
3. Das Uebernahmerecht kann ſchon vor der Tilgung 
der Seſamtgutsverbindlichkeiten und der Teilung and: 
eübt werden, wenn andere Geſamtgutsgegenſtände zur 
Iberung zur Verfügung 315 und ihr Erlös zur 
Deckung der Geſamtguts verbindlichkeiten ohne Zweiſel 
inreicht. Der ee C. hat mit ſeiner Frau, der 
eklagten, bis zu feinem Tode in Gütergemeinſchaft 
gelebt. In ſeinem Teſtamente hat er auf Grund landes⸗ 
rechtlicher Vorſchriften die fortgeſetzte Gütergemeinſchaft 
ausgeſchloſſen, die Frau auf den Pflichtteil geſetzt, eine 
Anzahl Vermächtniſſe angeordnet, das Fräulein R., 
jetzt Frau A., zur Hälfte und ſeine beiden Töchter zu 
je einem Vierteil als Vorerben eingeſetzt, auf den Erb⸗ 
teil der Frau A. die von ihm ins Leben gerufene 
C.ſche Kunſtſtiftung, auf die Erbteile der Töchter deren 
Nachkommenſchaft als Nacherben berufen und ſchließlich 
eine Teſtamentsvollſtreckung angeordnet. Die Teſta⸗ 
mentsvollſtrecker hat er beauftragt, das Geſamtgut zu 
konſtituieren, die Frauenhälfte an die Witwe auszu⸗ 
antworten, die Pflichtteile auszukehren, die Vermächt⸗ 
niſſe auszuzahlen und den Reſt des Nachlaſſes dauernd 
bis zur Ausantwortung an die Nacherben zu verwalten. 
Der Frau A. iſt ein von dem Erblaſſer in die Ehe 
eingebrachtes Grundſtück als Vorausvermächtnis zus 
gewieſen und dabei beſtimmt, das Grundſtück ſei von 
den Teſtamentsvollſtreckern unmittelbar nach dem Tode 
des a an die Vermächtnisnehmerin aufzulaſſen, 
von jeglicher Beſchwerung aus Nachlaßmitteln freizu⸗ 
machen, jedoch mit einer auf den Namen der C.ſchen 
Erben einzutragenden Hypothek von 200 000 M unter 
Vorbehalt des lebenslänglichen Zinsgenuſſes für die 
Vermächtnisnehmerin zu belaſten. Die Wilwe C. lehnte 
das Verlangen der Teſtamentsvollſtrecker, ihren Anteil 
an dem Grundſtück gegen Erſatz der Hälfte des Grund⸗ 
ſtückswerts auf die Erben zu übertragen, ab, und die 
Teſtamentsvollſtrecker haben darauf gegen ſie den Klage⸗ 
weg beſchritten, indem ſie ihren Anſpruch auf § 1477 
Abſ. 2 BGB. ſtützten. Die Beklagte beſtritt die Aktiv: 
legitimation der Teſtamentsvollſtrecker zur Geltend⸗ 
machung des Anſpruchs aus $ 1477 Abſ. 2 BGB. und 
wendete ein, der Anſpruch könne zurzeit nicht erhoben 
werden, weil die Auseinanderſetzung des Geſamtgutes 
noch nicht erfolgt und die Geſamtgutsverbindlichkeiten 
noch nicht erfüllt ſeien. Das LG. verurteilte die Be⸗ 
klagte, den Klägern als den Teſtamentsvollſtreckern des 
C. ihren Halbanteil an dem Grundſtücke gegen Zahlung 
von 190 000 M abzüglich der halben Beſchwerung zu 
übertragen und die alleinige Verfügung der Teſtaments⸗ 
vollſtrecker über das Grundſtück zu dulden. OL. und 
RG. billigten dieſe Entſcheidung. 
Aus den Gründen: Zu 1. Das jedem Gatten 
beigelegte Recht, gewiſſe zum Geſamtgute gehörende 
Gegenſtände bei der Teilung gegen Erſatz des Wertes 


— — 


zu übernehmen, enthält eine Aenderung der im übrigen 
auf die Auseinanderſetzung für anwendbar erklärten | 


273 


allgemeinen Teilungsgrundſätze; fie wird in den Mo⸗ 
tiven (Bd. 4 S. 415) durch Rückſichten der Billigkeit 
und die beſonderen Verhältniſſe der Gütergemeinſchaft 
gerechtfertigt, bei der die Gatten regelmäßig auf eine 
dauernde Vereinigung des beiderſeitigen Vermögens 
für ihre Lebenszeit rechneten. Daß dieſes Recht kein 
höchſtperſönliches, unveräußerliches und unvererbliches 
Recht iſt, hat in den Motiven klaren Ausdruck ge⸗ 
funden. Dort iſt in Ermangelung einer e 
ſtehenden Beſtimmung als ſelbſtverſtändlich bezeichnet, 
daß das jedem der Gatten beigelegte Recht auch den 
etwaigen Rechtsnachfolgern, beſonders den Erben, zu⸗ 
ſtehe; ein hinreichender Grund für eine entgegengeſetzte 
Beſtimmung iſt verneint worden, weil namentlich die 
Erben des Ehegatten ein Intereſſe daran haben könnten, 
die betreffenden Gegenſtände zu übernehmen und ihrer 
Familie zu erhalten (Mot. 4 S. 415). In der Kom⸗ 
miſſionsberatung wurde beantragt, zu beſtimmen, daß 
das Recht nicht auf die Erben übergehe. Dieſer An⸗ 
trag wurde abgelehnt ans folgenden Erwägungen: 
Der Uebergang des Anſpruchs auf Uebernahme ge⸗ 
wiſſer Gegenftände auf die Erben ſei ſicher überall da 
zu billigen, wo Kinder in Frage ſtänden oder An⸗ 
gehörige der Familie, aus welcher der zu übernehmende 
Gegenſtand ſtamme, namentlich weil die Gegenſtände 
oft nur für Angehörige Wert hätten, andererſeits es 
ſich auch um Grundſtücke uſw. handele, die der 
Familie erhalten werden ſollten; aber auch wenn 
Nichtverwandte, etwa Erbſchaftskäufer, in Betracht 
kämen, ſei kein Grund vorhanden, das Recht auf Ueber⸗ 
nahme auszuſchließen (Mugdan, Mat. Bd. 4 S. 828). 
Hiernach geht aus den Geſetzes materialien zwar hervor, 
daß im weſentlichen das Intereſſe des Ehegatten ſelbſt 
und ſeiner Familie an der Erhaltung gewiſſer Gegen⸗ 
ſtände den Geſetzgeber beſtimmt hat, das Uebernahme⸗ 
recht feſtzuſetzen und ſeine Uebertragung nicht auszu⸗ 
ſchließen; andererſeits erhellt jedoch mit aller Deut⸗ 
lichkeit, daß man die Ausübung dieſes Rechtes nicht 
auf einen beſtimmten Perſonenkreis beſchränken wollte, 
daß es vielmehr auf alle Rechtsnachfolger des Ehe» 
gatten ohne Rückſicht auf ein beſtehendes Verwandt⸗ 
ſchaftsverhältnis hat übergehen und auch außerhalb 
der Erbfolge z. B. im Wege des Erbſchaftsverkaufs hat 
übertragbar ſein ſollen. Das iſt auch im Geſetze ſelbſt 
hinreichend ausgedrückt. Die 88 1474 bis 1477 BGB. 
regeln die Art der Auseinanderſetzung für alle Fälle 
der Aufhebung der allgemeinen Gütergemeinſchaft und 
gelten insbeſondere auch für den im 8 1482 BGB. vor⸗ 
geſehenen Fall, daß die Gütergemeinſchaft durch den 
Tod des einen Ehegatten endigt und die Auseinander- 
ſetzung zwiſchen ſeinen Erben und dem überlebenden 
Ehegatten erfolgt. Hätte für dieſen Fall etwas Ab⸗ 
weichendes gelten, namentlich das Uebernahmerecht 
des § 1477 Abſ. 2 für die Erben des verſtorbenen 
Gatten ausgeſchloſſen ſein ſollen, ſo wäre das durch 
eine beſondere Vorſchrift feſtgeſetzt worden, wie es 
durch die SS 1478, 1479 für die dort vorgeſehenen be⸗ 
ſonderen Fälle geſchehen iſt. Dafür ſpricht auch der 
§ 1502 BGB.: dort hat das Geſetz für den Fall der 
Auseinanderſetzung nach beendeter fortgeſetzter Güter⸗ 
gemeinſchaft in Abſ. 1 ausdrücklich ausgeſprochen, daß 
das dem überlebenden Ehegatten ebendort eingeräumte 
bedeutend weitergehende Uebernahmerecht nicht auf die 
Erben übergehe, und andererſeits im Abſ. 2 für den 
dort vorgeſehenen Fall anerkannt, daß die anteils⸗ 
berechtigten Abkömmlinge das Uebernahmerecht des 
verſtorbenen Gatten nach 8 1477 Abſ. 2 ausüben können. 

Iſt hiernach davon auszugehen, daß durch § 1477 
Abſ. 2 BGB. kein höchſtperſönliches Recht des Ehegatten 
oder ſeiner Erben hat feſtgeſetzt, ſondern dem Anſpruche 
auf Auseinanderſetzung bei der allgemeinen Güter⸗ 
gemeinſchaft eine in gewiſſen Beziehungen von den 
allgemeinen Teilungsgrundſätzen abweichende Geſtal⸗ 
tung ſeines Inhalts hat gegeben werden ſollen, ſo iſt 
der Einwand der mangelnden Aktivlegitimation der 


274 


Teſtamentsvollſtrecker unbegründet. Der Anteil des 
Erblaſſers am Geſamtgute gehört nach § 1482 BGB. 
zu ſeinem Nachlaſſe, da der Erblaſſer die fortgeſetzte 
Gütergemeinſchaft wirkſam ausgeſchloſſen hat. Daraus 
ergibt ſich, daß auch der Anſpruch auf Auseinander⸗ 
ſetzung des Geſamtguts zum Nachlaſſe gehört und dem⸗ 
gemäß der Verfügung der Teſtamentsvollſtrecker unter⸗ 
liegt, denen der Erblaſſer die Auseinanderſetzung 
zwiſchen den Erben, die Erfüllung der Vermächtniſſe 
und die Verwaltung der einzelnen Erbteile während 
der Dauer der Vorerbſchaft aufgetragen hat und die 
daher in erſter Linie zu allen der Feſtſtellung des 
Nachlaßbeſtandes dienenden Maßnahmen als berechtigt 
gelten müſſen. Die Teſtamentsvollſtrecker ſind demnach 
zur Ausübung aller ſich aus dem Auseinanderſetzungs⸗ 
anſpruch ergebenden Befugniſſe und mithin auch des 
Uebernahmerechts aus § 1477 Abſ. 2 berechtigt. Dies 
würde nur dann nicht der Fall ſein, wenn anzunehmen 
wäre, daß ſie dieſes Recht nach dem Willen des Erb⸗ 
laſſers nicht haben ſollen (8 2208 Abſ. 1 BGB.). Ein 
derartiges Bedenken gegen die Verfügungsmacht der 
Teſtamentsvollſtrecker beſteht indeſſen nicht und würde 
insbeſondere auch nicht daraus herzuleiten ſein, daß 
die Teſtamentsvollſtrecker die Uebernahme des Grund⸗ 
tücks aus dem Geſamtgute nur gegen Zahlung des 
ertes des Grundſtücks fordern können, fie alſo mög- 
licherweiſe Verbindlichkeiten für den Nachlaß eingehen 
müſſen. Denn der Auftrag des Erblaſſers zur Er⸗ 
füllung eines Verſchaffungsvermächtniſſes enthält regel⸗ 
mäßig auch die nach 8 2207 BGB. wirkſame Ermächti⸗ 
gung für die Teſtamentsvollſtrecker, die zu dem Er⸗ 
werbe des Vermächtnisgegenſtandes unumgänglichen 
Verpflichtungen für den Nachlaß einzugehen. 

Zu 2. Was den zweiten Einwand der Beklagten an⸗ 
langt, fo hat das OLG. im Anſchluß an die Ausführun⸗ 
gen in den Motiven (Bd. 4 S. 415) und in dem Urteile 
des RG. vom 9. Februar 1910 (Bd. 73 S. 41) ange⸗ 
nommen, daß die Befugniſſe aus § 1477 Abſ. 2 erſt bei 
der Teilung ausgeübt werden können, den Einwand 
der Beklagten jedoch zurückgewieſen, weil die Befreiung 
des als Vermächtnis ausgeſetzten Grundſtücks vom Mit⸗ 
eigentum der Beklagten nichts anderes als ein Akt 
der Auseinanderſetzung ſei; die Reihenfolge der ein- 
zelnen Auseinanderſetzungsakte zu beſtimmen, bleibe 
dem Ermeſſen der zur Auseinanderſetzung berufenen 
Teſtaments vollſtrecker überlaſſen. Dieſe Ausführungen 
des OL G.s find nicht frei von Rechtsirrtum. 

Zu beanſtanden iſt zunächſt die Anſicht, daß die 
Teſtamentsvollſtrecker zur Vornahme der Auseinander— 
ſetzung berufen ſeien, bei der die Ausübung des Ueber— 
nahmerechts aus 8 1477 Abſ. 2 in Frage kommt. Durch 
den Tod des Erblaſſers iſt eine zweifache Auseinander- 
ſetzung notwendig geworden: zunächſt die Auseinander— 
ſetzung des Geſamtguts der ehelichen Gütergemeinſchaft 
mit dem Ziele, feſtzuſtellen, was von dem Geſamtgute 
der Witwe C. und was als Anteil des Erblaſſers dem 
Nachlaß zufällt, ſodann die Auseinanderſetzung des 
Nachlaſſes mit dem Ziele, die letztwilligen Anord— 
nungen des Erblaſſers auszuführen. Für die Ausübung 
des Uebernahmerechts aus 8 1477 Abſ. 2 kommt nur 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


die Auseinanderſetzung des Geſamtgutes in Betracht, 


die begrifflich der Erbauseinanderſetzung vorausgehen 
muß, weil ſich bei ihr erſt ergibt, welche Vermögens— 
werte für die Ausführung der letztwilligen Anordnungen 
des Erblaſſers zur Verfügung ſtehen. Den Teſtaments— 
vollſtreckern liegt kraft ihres Amtes nur die Auseinander— 
ſetzung des Nachlaſſes ob (§ 2204 B65 B.), bei der fie 
die Anordnungen des Erblaſſers nach pflichtmäßigem 
Ermeſſen auszuführen haben, ohne an die Wünſche oder 
die Zuſtimmung der Beteiligten gebunden zu ſein 
(S 2203 BGB.). Dieſe Machtbefugnis der Teſtaments— 
vollſtrecker erſtreckt ſich auf alle Gegenſtände, die auf 
Grund der Teilung des Geſamtgutes zur Nachlaßmaſſe 
fließen. Dagegen iſt die Stellung, welche die Teſta— 


ſamtgutes einnehmen, weſentlich beſchränkter. Sie haben 
hierbei nur inſoweit mitzuwirken, als der Nachlaß am 
Geſamtgute beteiligt iſt. Die Auseinanderſetzung ſelbſt 
können ſie nicht nach eigenem Ermeſſen, ſondern nur 
in Gemeinſchaft mit der Beklagten vornehmen, die als 
Teilhaberin am Geſamtgute ihnen ſelbſtändig und 
gleichberechtigt gegenüberſteht und in dieſer Eigenſchaft 
in ihren Rechten durch die Anordnung der Teſtaments⸗ 
vollſtreckung nicht beſchränkt iſt. Der Erblaſſer hat 
zwar anſcheinend den Vollſtreckern auch die Feſtſtellung 
und Teilung des Geſamtgutes übertragen wollen. Dieſe 
Anordnung vermag aber der Beklagten gegenüber keine 
Wirkſamkeit zu äußern, da deren Anteil am Geſamt⸗ 
gute nicht zum Nachlaſſe des Erblaſſers gehört, auf 
den allein ſich ſeine Befugnis zum Erlaſſe letztwilliger 
Anordnungen erſtreckt hat. Es iſt alſo nicht richtig, 
daß die Teſtamentsvollſtrecker, wie das OSG. annimmt, 
zur Bewirkung der für das Uebernahmerecht des 8 1477 
Abſ. 2 BGB. in Betracht kommenden Auseinander⸗ 
ſetzung berufen ſeien. Daraus ergibt ſich aber ferner 
die Unhaltbarkeit der Anſicht, daß die Teſtamentsvoll⸗ 
ſtrecker bei dieſer Auseinanderſetzung die Reihenfolge 
der einzelnen Akte beſtimmen könnten. Sie haben auch 
in dieſer Hinſicht der Beklagten gegenüber keine weiter⸗ 
gehenden Befugniſſe, als ſie die Erben hätten, wenn 
keine Teſtamentsvollſtreckung ſtattfände. Sind hiernach 
auch die Gründe nicht zu billigen, aus denen das Os. 
die Vorausſetzungen für die Geltendmachung des Ueber⸗ 
nahmerechts als gegeben angeſehen hat, ſo iſt doch die 
Entſcheidung auch in dieſer Beziehung im Ergebnis 
nicht zu beanſtanden. 

Zu 3. Das Recht, die Auseinanderſetzung zu be⸗ 
treiben, ſteht nach der Aufhebung der Gütergemeinſchaft 
jedem Teilhaber zu. Die Teſtamentsvollſtrecker waren 
daher ſofort nach ihrem Amtsantritt dazu berechtigt. Der 
Regel nach iſt bei der Auseinanderſetzung derart zu ver— 
fahren, daß zunächſt die Geſamtgutsverbindlichkeiten 
getilgt werden und hierfür das Geſamtgut, ſoweit er⸗ 
forderlich, in Geld umgeſetzt wird, daß der darnach 
verbleibende Ueberſchuß verteilt und dabei etwa geltend 
gemachte Rechte auf Uebernahme einzelner Gegenſtände 
berückſichtigt werden (SS 1475, 1476 388.) Wenn 
hiernach auch, wie in dem Urteile des RG. vom 9 Fe⸗ 
bruar 1910 (Bd. 73 S. 41) näher dargelegt iſt, das 
Uebernahmerecht nur an dem nach der Berichtigung 
der Geſamtgutsverbindlichkeiten verbleibenden Ueber⸗ 
ſchuſſe geltend gemacht werden darf, fo müſſen doch 
andererſeits nicht unbedingt ſämtliche Geſamtgutsver— 
bindlichkeiten bereits tatſächlich getilgt ſein. Das Geſetz 
erkennt ſelbſt an, daß die Teilung nicht notwendig die 
Erfüllung ſämtlicher Geſamtgutsverbindlichkeiten vors 
ausſetzt, indem es im 8 1475 Abſ. 1 Satz 2 bei dem 
Vorhandenſein ſtreitiger oder noch nicht fälliger Ge⸗ 
ſamtgutsverbindlichkeiten die Zurückbehaltung des zur 
Berichtigung Erforderlichen vorſchreibt und damit für 
genügend erklärt. Die Ausübung des Uebernahme⸗ 
rechts iſt hiernach »zuläſſig, wenn zweifelsfrei feſtſteht, 
daß der nach der Ausſcheidung der zu übernehmenden 
Gegenſtände verbleibende Teil des Geſamtgutes zur 
Berichtigung aller Geſamtgutsverbindlichkeiten aus» 
reicht, daß es mithin zur Schuldentilgung nicht der 
Verſilberung der Gegenſtände bedarf, deren Heraus— 
gabe ein Teilhaber auf Grund des $ 1477 Abf. 2 ver⸗ 
langt. Der andere Teil iſt nicht berechtigt, dieſem 
Verlangen mit der Begründung entgegenzutreten, daß 
er gerade die Verſilberung dieſer Gegenſtände zur Be 
ſchaffung der zur Schuldentilgung nötigen Barmittel 
beanſpruche. Das Recht des Teilhabers, die Verſtei⸗ 
gerung der zum Geſamtgute gehörenden Gegenſtände 
zu betreiben, reicht dem Uebernahmerechte des anderen 
Teilhabers gegenüber nur ſoweit, als die Verſilberung 
des Geſamtguts für die Tilgung der Geſamtgutsver— 
bindlichkeiten erforderlich iſt (8 1475 Abſ. 3 BGB.). 
und das iſt inſoweit nicht der Fall, als andere Geſamt— 


mentsvollſtrecker bei der Auseinanderſetzung des Ge: |, gutsgegenſtände zur Verſilberung zur Verfügung ſtehen. 


1 Senat hält demnach an ſeiner in dem Urteile vom 
2. November 1911 (IV. 59. 11) ausgeſprochenen Anſicht 
feſt, daß das Uebernahmerecht dem Rechte des anderen 
Teilhabers, die i zu betreiben, nicht nach⸗ 
zuſtehen hat. Es gibt keine Vorſchrift, daß das Ueber⸗ 
nahmerecht erſt bei dem Abſchluſſe der Teilung aus⸗ 
geübt werden könne; die Ausübung dieſes Rechtes, die 
nur gegen Erſatz des Wertes der Uebernahmeſtücke zur 
Teilungsmaſſe geſchehen kann, dient vielmehr in 
gleicher Weiſe wie ein teilungshalber vorgenommener 
Verkauf der Vorbereitung der endgültigen Teilung 
und kann daher dieſer vorausgehen. Den eigentlichen 
Gegenſtand der Teilung bildet nicht das Uebernahme⸗ 
ſtück, ſondern der für feine Uebernahme an die Teilungs⸗ 
maſſe zu entrichtende Preis. Sobald die Voraus⸗ 
ſetzungen vorliegen, unter denen nach den SS 1475, 
1476 BGB. zu einer Teilung unter die Teilhaber am 
Geſamtgut geſchritten werden darf, kann auch die Aus⸗ 
antwortung der im 8 1477 Abſ. 2 bezeichneten Gegen⸗ 
ſtände an den Uebernahmeberechtigten gegen Erſatz des 
Wertes gefordert werden. Ob die Beklagte zur Auf⸗ 
laſſung ihres Anteils gegen die Auszahlung des hal⸗ 
ben Wertes des Grundſtücks an ſie verpflichtet geweſen 
wäre oder Zahlung des vollen Wertes in die Teilungs⸗ 
maſſe hätte beanſpruchen können, braucht nicht ent⸗ 
ſchieden zu werden, weil in eh, Hinſicht kein Einwand 
und insbeſondere in der Reviſionsinſtanz keine Rüge 
erhoben iſt. (Urt. des IV. ZS. vom 2. März 1914, VI 
635/1913). E. 
* 


B. Strafſachen. 
I. 


Kann ein dentſches Gericht einen Deutſchen be⸗ 
ſtrafen, der von der Schweiz aus nach Oeſterreich Saccharin 
A 61 Kar Dentſchland zu berühren? (S 17 
Zoll K. v. 6. Dez. 1891). Die Frage iſt vom LG. ver» 
neint a Die Reviſion des StA. wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Es iſt zuzugeben, daß der 
Wortlaut des Zollkartells vom 6. Dez. 1891 die Aus⸗ 
legung des Staatsanwalts zuläßt; aber er zwingt 
doch nicht dazu, und der Zweck des Geſetzes und die 
Entſtehungsgeſchichte ſprechen dafür, daß es ſich nur 
auf die im Grenzverkehr zwiſchen den Vertragsſtaaten 
begangenen Zolldelikte bezieht. Der Handels» und 
Zollvertrag v. 6. Dez. 1891, deſſen Art. 10 die Grund⸗ 
lage für das Zollkartell bildet, iſt geſchloſſen worden, 
um die Handels- und Verkehrsbeziehungen zwiſchen 
den Vertragsſtaaten inniger zu geſtalten und zu dem 
Zwecke, eine feſte Grundlage für die Förderung des 
gegenſeitigen Austauſches von Boden- und Induſtrie⸗ 
erzeugniſſen zu ſchaffen, zugleich auch geeignete An- 
knüpfungspunkte für die Regelung der beiderſeitigen 
Handelsbeziehungen zu anderen Staaten zu gewähren. 
Sicher liegen danach die in Art. 10 wegen Verhütung 
und Beſtrafung des Schleichhandels nach oder aus den 
Gebieten der Vertragsſtaaten getroffenen Beſtimmun— 
gen im Rahmen des Vertrages, ſoweit der Schleich— 


handel zwiſchen den beiden Vertragsſtaaten ſtattfindet; 


dagegen kann nicht zweifelhaft fein, daß die Vertrags: 
ſchließenden nach dem Zwecke des Vertrags den Schleich» 
handel zwiſchen einem der Vertragsſtaaten und einem 
dritten Staate nicht im Auge gehabt haben. Auch die 
Entſtehungsgeſchichte ſpricht dafür, daß die Beſtim— 
mungen ſich nicht auf den Schleichhandel beziehen, 
der von einem dritten Staate aus nach einem der 
Vertragsſtaaten betrieben wird. Sie bilden den Schluß 
einer Kette gleichartiger Beſtimmungen, die durch die 
Deutſch⸗Oeſterreichiſchen Handels- und Zollverträge v. 
23. Mai 1881 und 16. Dez. 1878, die Verträge der 
Zollvereins⸗Staaten mit Oeſterreich v. 9. März 1868 
und 11. April 1865 und die zugehörigen Zollkartelle 
hindurch bis zum Preußiſch-Oeſterreichiſchen Handels— 


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275 


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und Zollvertrag und Zollkartell v. 19. Februar 1853 
zurückreicht. Die Beſtimmungen des letzteren Vertrages 
ſind als Vorbild der jetzt geltenden, mit denen ſie 
wörtlich übereinſtimmen, und ſie beziehen ſich ſicher 
nicht auf den Schleichhandel, der von einem dritten 
Staate aus nach den Vertragsſtaaten betrieben wird. 
Das ergibt deutlich die Denkſchrift, die der II. Kammer 
des Preuß. Landtages mit dem Vertrage vorgelegt 
wurde. (Druckſ. der II. Kammer 1. Seſſ. 3. Leg.⸗Per. 
1852/53 Nr. 195). Dort wird im Eingange auf den 
lebhaften unmittelbaren Verkehr Preußens mit Oeſter⸗ 
reich verwieſen und auf die ausgedehnten Grenzſtrecken, 
an denen die Gebiete einander berühren, ſowie darauf, 
daß nach Gründung des Zollvereins das Bedürfnis 
möglichſter Förderung der Verkehrsverhältniſſe zwiſchen 
dem Zollverein und Oeſterreich um ſo fühlbarer werde, 
je mehr die Grenzen an Ausdehnung zugenommen hätten. 
Wenn dann S. 5 das nach Maßgabe des Art. 10 des 
Vertrages abgeſchloſſene Zollkartell als eine durch die 
eigentümlichen Verhältniſſe der beiderſeitigen Grenzen 
gebotene Maßregel bezeichnet wird, ſo kann nicht 
zweifelhaft ſein, daß hier ebenſo wie im Eingang die 
Grenzen zwiſchen den beiden Vertragsſtaaten gemeint 
ſind, und daraus ergibt ſich, daß das Zollkartell nur 
gegen den Schleichhandel zwiſchen den Vertragsſtaaten 
gerichtet iſt und daß ſich ſeine Beſtimmungen auf den 
Schleichhandel zwiſchen einem von ihnen und einem 
dritten Staat nicht beziehen. Daß die ſpäteren Ver⸗ 
träge daran etwas hätten ändern wollen, tritt nir⸗ 
gends hervor, und deshalb iſt bei dem inneren Zu⸗ 
ſammenhange aller dieſer Verträge anzunehmen, daß 
auch das letzte Zollkartell v. 6. Dez. 1891 nur zur Be⸗ 
kämpfung des Schleichhandels zwiſchen Deutſchland 
und Oeſterreich⸗Ungarn gejätoffen ift und deſſen $ 17 
ſich nur darauf bezieht, nicht aber auf ſolche Vergehen 
gegen die Zollgeſetze, die im Verkehre zwiſchen einem 
der beiden Vertragsſtaaten und einem dritten Staate 
begangen worden ſind. Ueber dieſe Auslegung der 
Zollkartelle haben ſich denn auch nach einer Mitteilung 
des Reichsjuſtizamts die beteiligten Regierungen im 
Frühjahre 1913 verſtändigt. (Urt. des I. StS. vom 
14. Mai 1914, 1 D 950/13). H. 
3393 


II. 


§ 181 Nr. 3 StB. iſt auch daun anwendbar, 
wenn ein beim Beiſchlaf zu benützender Gegenſtand 
nur verheirateten Perſonen angeboten worden iſt. 
Zum Begriffe der Ankündigung oder Aupreiſung 
gegenüber dem „Publikum“. Aus den Gründen: 
Für die Frage, ob ein Gegenſtand zu unzüchtigem 
Gebrauch beſtimmt iſt, kommt es nicht darauf an, 
ob er im Einzelfall unter ſolchen Umſtänden ange= 
boten und angeprieſen wird, daß ſeine Verwendung 
zu unzüchtigem Gebrauch, insbeſondere zu einem ſolchen 
bei außerehelichem Geſchlechtsverkehr als ausgeſchloſſen 
gelten kann. Entſcheidend iſt vielmehr, ob der Gegen⸗ 
ſtand feiner äußeren Beſchaffenheit und Zweckbeſtimmung 
nach ſich zu unzüchtigem Gebrauch eignet und erfahrungs— 
gemäß auch tatſächlich dazu verwendet wird. Gegen⸗ 
ſtände, die beſtimmungsgemäß beim Beiſchlaf gebraucht 
werden, gehören deshalb ſtets zu den im Geſetz ge- 
nannten, weil fie auch bei dem außerehelichen Geſchlechts- 
verkehr benützt werden können und werden. Präſer— 
vativs, Peſſare und ſonſtige Schutzmittel, die häufig 
und vorzugsweiſe bei dem außerehelichen Geſchlechts— 
verkehr Verwendung finden, ſind unbedenklich zu dieſen 
Gegenſtänden zu zählen; gegen ihre Ankündigung und 
Anpreiſung wollte ſich gerade das Geſetz in erſter Linie 
wenden, weil das Hervortreten ſolcher Ankündigungen 
in der Oeffentlichkeit und zumal in der Preſſe als ein 
beſonders läſtiger Mißſtand empfunden wurde. Des— 
halb iſt es rechtsirrig, wenn im Urteil darauf Gewicht 
gelegt iſt, daß die Angeklagten ſich mit ihren An— 
geboten nur an verheiratete Leute wendeten; dieſer 


276 


Umſtand iſt für den äußeren wie den inneren Tat⸗ 
beſtand des Vergehens ohne Bedeutung. 

Auch der Begriff des „Publikums“ iſt im Urteil 
verkannt. Wenn die Angeklagten, wie es den Anſchein 
Dat, die Frauen, denen fie die „Ware anprieſen“, ſich 

arnach auswählten, ob ſie geboren hatten, alſo dar⸗ 
nach, ob bei ihnen ein Bedarf zu vermuten ſtand, ſo 
ſind ſie mit ihren Angeboten und Anpreiſungen an 
Perſonen herangetreten, die weder zu ihnen noch unter 
einander in ſolchen perſönlichen oder ſonſtigen Be⸗ 
on ftanden, daß fie als abgeſchloſſener Perſonen⸗ 
kreis gelten könnten. Die Angeklagten haben nicht 
einmal einen beſtimmten feſten Abnehmerkreis auf⸗ 
geſucht, ſondern ihre Ware erſichtlich da feilgeboten 
und angeprieſen, wo ſie auf Abſatz hoffen durften. Sie 
haben alſo die von ihnen einzeln aufgeſuchten Frauen 
als einen durch keinerlei Sonderbeziehungen abgegrenzten 
und ausgeſchiedenen Teil der Allgemeinheit mit ihren 
Anpreiſungen angegangen. Wenn tatſächlich bis zur 
Einleitung der Strafverfolgung nur ganz wenigen 
Frauen gegenüber die Anpreiſung erfolgt war, ſo 
ſchließt das nicht aus, daß die Anpreiſungen ſich an 
das Publikum richteten. Denn dazu iſt keineswegs 
erforderlich, daß bereits einer größeren Anzahl von 
Perſonen gegenüber die Anpreiſung erfolgt iſt, noch 
weniger, daß die Anpreiſung als einheitliche Kund⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


gebung ſich an eine größere Anzahl räumlich vereinter 


Perſonen, an eine verfammelte Menge richtet oder daß 
die Kundgebung durch eine und dieſelbe Aeußerung oder 
mittels einer einzigen Verbreitungshandlung für eine 
größere ihrer Menge nach unbeſtimmte Anzahl von 
im einzelnen unbekannten Perſonen erfolgt, wie 
es bei der Verbreitung von Druckſchriften, die für die 
Menge berechnet ſind, oder bei der Verbreitung von 
er zutrifft. Mag auch die Strafbeſtimmung 
auptſächlich dieſe Art Der öffentlichen Bekanntmachung 
der Anpreiſungen und Ankündigungen zu unterdrücken 
beabſichtigt haben, ſo trifft doch das Geſetz, wenn 
es ganz allgemein Ankündigungen und Anpreiſungen 
dem „Publikum“ gegenüber verbietet, auch auf den 
zu, der bei gewerbsmäßigem Vertrieb eines der im 
Geſetz genannten Gegenſtände an beliebige Perſonen 
mit ſeinen Anpreiſungen in der Abſicht herantritt, 
eine unbeſtimmte Mehrheit von Perſonen nacheinander 
einzeln aufzuſuchen und ihnen mündlich oder durch 
Uebergabe von Druckſchriften ſeine Ware anzupreiſen. 
Sein Vergehen iſt vollendet, ohne Rückſicht auf die 
höhere oder geringere Anzahl der Perſonen, denen 
gegenüber eine Anpreiſung bereits ſtattgehabt hat, 
ſobald er auch nur an einzelnen Stellen ohne beſondere 
Beziehungen durch Anpreiſung Käuſer zu gewinnen 
verſucht hat. (Urt. des I. StS. vom 23. März 1914, 
1 D 1355/13). E. 

3378 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
J. 


Kann ein Proknriſt einer Aktiengeſellſchaft bei der 
Anmeldung der Erteilung einer Prolura zum Handels⸗ 
regiſter mitwirken? (8 53 HGB.). Aus den Gründen: 
Nach 8 53 HGB. ift die Erteilung der Prokura von 
dem Inhaber des Handelsgeſchäfts zur Eintragung an— 
zumelden. Bei einer Aktiengeſellſchaft iſt Inhaber die 
Geſellſchaft, ſie wird vertreten durch den Vorſtand. 
Ob die Anmeldung eine Pflicht der Geſellſchaft oder 
des Vorſtands als ſolchen iſt, läßt die Faſſung des 
853 offen. Iſt fie eine Pflicht der Geſellſchaft, fo 
kann ſie nicht nur durch den Vorſtand allein, ſondern 
auch durch Prokuriſten erfullt werden, ſoweit die rechts- 
geſchäftliche Vertretung der Geſellſchaft nach 8 232 
HGB. durch Prokuriſten möglich iſt. Iſt ſie dagegen 


— — — — ———— —6—ͤͤ ͤ˙Üu'k'k!,l/ÿvuvuuu kx —[ñẽök!Cöäök 1ʃͥͤñ ĩ7 — — — 


eine Pflicht des Vorſtandes als ſolchen, ſo iſt eine 
Vertretung von Vorſtandsmitgliedern durch Prokuriſten 
ausgeſchloſſen. Die Frage iſt im letzteren Sinne zu 
entſcheiden. Dies folgt nicht nur aus der Einrichtung 
der A.⸗G., wonach der Vorſtand die Geſellſchaft ver⸗ 
tritt, ſondern auch aus den übrigen Beſtimmungen 
des 98. über die Anmeldungen zum Handelsregiſter 
bei A.⸗G., welche die Anmeldung durch den Vorſtand 
(8$ 234, 244, 265, 277 HGB.), z. T. durch ſämtliche 
Vorſtandsmitglieder vorſchreiben (88 195, 201, 2800, 
284, 289, 291 HGB.). Dazu kommt, daß die Prokura 
bei der A.⸗G. nur vom Vorſtand erteilt werden darf 
— allein oder mit Zuſtimmung des Auſſichtsrats 
(§ 238 HGB.); die Anmeldung der Prokura iſt zugleich 
ein Zeugnis ihrer Erteilung und obliegt deshalb ſach⸗ 
gemäß dem, dem die Erteilung zukommt. Soweit hier⸗ 
nach die Anmeldung durch den Vorſtand zu bewirken 
iſt, haben ſoviele Vorſtandsmitglieder mitzuwirken. 
als ſonſt zur Vertretung erforderlich ſind. Daß die 
dem Vorſtande, d. h. den Vorſtandsmitgliedern ob⸗ 
liegende Pflicht der un rein une iſt, iſt 
anerkannt (Obs G. Bd. S. 446; RIA. 9, 240, 
OL GRſpr. 22 S. 34 und 27 S. 352). Die Vorgerichte 
ſtützen ihre Anſicht auch darauf, daß ein Zwang zu 
Anmeldungen nur gegen Mitglieder des Vorſtandes 
ausgeübt werden können (88 319, 14 HG8.); hieraus 
müſſe gefolgert werden, daß Prokuriſten für die An⸗ 
meldungen nicht in Betracht kommen, da dieſe in der 
Regel nicht ins Belieben der Geſellſchaftsorgane ge⸗ 
ſtellt, ſondern um der Oeffentlichkeit willen als er⸗ 
zwingbare Pflichten angeordnet ſind, gegen Prokuriſten 
aber kein ſolcher Zwang ausgeübt werden kann. Dem 
kann nicht beigetreten werden. Denn die Anmeldung 
einer Prokura wird auf Grund des 8 14 HGB. er⸗ 
zwungen. Dieſer aber bedroht mit Strafe denjenigen, 
der „verpflichtet ift, eine Anmeldung ... zum Handels⸗ 
regiſter vorzunehmen“. Wäre wirklich der Prokuriſt 
zur Anmeldung verpflichtet, ſo könnte er auch nach 
§ 14 geſtraft werden, wenn er nicht anmeldet. Sit 
aber die Anmeldung nur ein Recht des Prokuriſten, 
fo kann nur der Vorſtand im Zwangswege zur An: 
meldung angehalten werden. Damit iſt aber dem 
öffentlichen Intereſſe genügt. Die Erwägung der Vor⸗ 
gerichte würde nur zutreffen, wenn bei der hier miß⸗ 
billigten Anſicht überhaupt keine Perſon vorhanden 


wäre, die im Falle der Unterlaſſung ſtrafbar wäre. 
(Beſchl. des J. 35. vom 22. Mai 1914, Reg. III 
Nr. 35/1914). M. 


392 
II. 


Zur Auslegung altrechtlicher Ehe: und Erb verträge. 
Am 2. Oktober 1913 iſt in M. der Zimmerpalier 
B. H. mit Hinterlaſſung 5 Witwe und von 4 Kindern 
geſtorben. Er hatte vor Eingehung der Ehe einen 
Ehe⸗ und Erbvertrag geſchloſſen, in dem beſtimmt 
worden war: „Brautleute ſchließen allgemeine Güter⸗ 
gemeinſchaft. Sind auf Ableben eines Teils eines 
oder mehrere eheliche Kinder desſelben vorhanden. 
fo hat der überlebende Teil denſelben die Hälfte des 
bis dahin gemeinſchaftlichen reinen Vermögens als 
Vater⸗ bzw. Muttergut auszuzeigen und wird dagegen 
Alleineigentümer des übrigen bis dahin gemeinſchaft⸗ 
lichen Vermögens. Iſt auf Ableben eines Teils ein 
eheliches Kind nicht vorhanden, ſo wird der überlebende 
Teil Alleineigentümer des geſamten Vermögens, hat 
aber an die der geſetzlichen Erbfolgeordnung gemäß 
nächſten Verwandten des Vorverſtorbenen einen Rückfall 
hinauszuzahlen.“ Das Nachlaßgericht hat dieſe Bes 
ſtimmungen dahin ausgelegt, daß ſie keine Erben⸗ 
einſetzung, ſondern nur eine Teilungsanordnung ent— 
halten, daß demgemäß die geſetzliche Erbfolge ein— 
zutreten hat, und hat die Ausſtellung eines gemein- 
ſchaftlichen Erbſcheins dahin angeordnet, daß B. O. 


| auf Grund Geſetzes von feiner Witwe zu und von 


feinen 4 Kindern zu je *ıs beerbt worden ſei. Die 
Beſchwerde einer Tochter wurde verworfen, ebenſo die 
weitere Beſchwerde. 

Gründe: Es kann zugegeben werden, daß die 
Beſtimmungen des Ehe⸗ und Erbvertrags möglicher⸗ 
weiſe auch in dem Sinn ausgelegt werden können, 
daß der überlebende Eheteil als Alleinerbe eingeſetzt 
und mit einem Vermächtnis zugunſten der Kinder be⸗ 
ſchwert ſein ſoll. Für dieſe Auslegung ſcheint ſogar 
der Umſtand zu ſprechen, daß die für den Fall der 
unbeerbten Ehe faſt mit den gleichen Worten wie im 
Falle der beerbten Ehe getroffene Beſtimmung doch 
wohl im Sinne der Einſetzung des überlebenden Ehe⸗ 
gatten als Alleinerben gedeutet werden muß. Allein 
die Auslegung des Beſchwerdegerichts iſt nicht nur 
gleichfalls möglich, ſondern ſogar die zutreffendere. 
Denn die für die unbeerbte und die für die beerbte 
Ehe im Ehe⸗ und Erbvertrage gewählte Ausdrucks⸗ 
weiſe ſtimmt zwar inſoſern überein, als in beiden 
Fällen der überlebende Teil „Alleineigentümer“ des 
gemeinſchaftlichen Vermögens werden ſoll. Im übrigen 
aber weiſt die Faſſung doch auch Verſchiedenheiten 
auf, ſo daß der aus der Gleichartigkeit der Faſſung für 
den Fall der beerbten und der unbeerbten Ehe ab⸗ 
geleitete Beweisgrund nur ſcheinbar iſt. Für den 
Fall der unbeerbten Ehe tft beſtimmt, daß der über⸗ 
lebende Cheteil „Alleineigentümer” des „geſamten“ 
gemeinſchaftlichen Vermögens werden ſoll, den Ver⸗ 
wandten des Verſtorbenen aber einen kleinen „Rück⸗ 
fall“ hinauszuzahlen hat. Das läßt allerdings an⸗ 
nehmen, daß der überlebende Ehegatte als Alleinerbe 
eingeſetzt und nicht auf eine Auseinanderſetzung mit 
den geſetzlichen Erben angewieſen werden ſollte. Dar⸗ 
auf deutet ſchon der Gebrauch des Ausdrucks „Rück⸗ 
fol”. Für den Fall der beerbten Ehe aber iſt be⸗ 
ſtimmt, daß ein Teil des Vermögens den Kindern 
als „Vater⸗ bzw. Muttergut“ ausgezeigt werden und 
der überlebende Teil „dagegen“ Alleineigentümer des 
„übrigen“ gemeinſchaftlichen Vermögens fein ſoll. 
Er ſoll alſo nur „gegen“ d. h. „nach“ der Auszeigung 
des Vater⸗ oder Mutterguts und nur den Reſt als 
Alleineigentum erhalten. Dies deutet, zumal Kinder 
ihr Vater⸗ oder Muttergut doch regelmäßig als Erben 
erhalten werden, darauf hin, daß ſie als ſolche eingeſetzt 
ſein ſollen. Im Falle der beerbten Ehe braucht alſo 
die Beſtimmung, daß der überlebende Eheteil „Allein⸗ 
eigentümer“ werden ſoll, nicht notwendig in dem 
gleichen Sinn wie bei beerbter Ehe aufgefaßt zu werden. 
(Beſchl. des I. ZS. vom 3. April 1914, Reg. III Nr. 21/1914). 

3872 M. 


III. 


Mißbrauch des Fürſorgerechts. (5 1666 BGB.). Aus 
der Ehe des J. B. mit M. geb. G. ſind drei Kinder hervor⸗ 
gegangen: Mathilde, Luiſe und Ruppert, letzterer geb. 
am 15. September 1909. Dieſe wurden in der Familie, 
und zwar hauptſächlich von der Mutter erzogen, da 
J. B. viel reiſen mußte. Im Jahre 1912 kam es zwiſchen 
den Ehegatten zu Zwiſtigkeiten, die dazu führten, daß 
J. B. den Sohn R. zu ſeinem Bruder bringen und ſeiner 
Frau mitteilen ließ, daß er ſich wegen der Streitig⸗ 
keiten von ihr trenne und ihr die Wohnung zur Ver- 
fügung ſtelle. Maria B. ſtellte an das Vormundſchafts⸗ 
gericht den Antrag, ihr die Sorge für die Perſon ihres 
Sohnes Ruppert zu übertragen. Das Gericht ordnete 
an, daß das Kind der Mutter zur Erziehung zu über- 
laſſen iſt. Das Landgericht wies die Beſchwerde des J. B. 
zurück; auch deſſen weitere Beſchwerde wurde zurück⸗ 
gewieſen. 

Gründe: Während der Ehe ſteht die Sorge für 
die Perſon eines der Ehe entſtammenden minder— 
jährigen Kindes nach den SS 1626, 1627, 1634 BGB. 
beiden Elternteilen zu; bei einer Meinungsverſchieden— 
0 zwiſchen den Eltern geht jedoch die Meinung des 

aters vor. Eine Verletzung des Rechtes des einen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 277 


Elternteils durch den anderen kann gegen dieſen nur im 
Wege des Rechtsſtreites geltend gemacht werden. Wird 
aber das geiſtige oder leibliche Wohl des Kindes da⸗ 
durch gefährdet, daß der Vater das Recht der Sorge 
für die Perſon des Kindes mißbraucht, ſo hat das 
Vormundſchaftsgericht nach 8 1666 BGB. die zur 
Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln zu 
treffen. Die Vorgerichte haben übereinſtimmend 
einen Mißbrauch des Fürforgerechts des Vaters und 
eine Gefährdung des Kindes darin gefunden, daß der 
Beſchwerdeführer dieſes damals noch nicht vier Jahre 
alte Kind ohne Grund von ſeiner Mutter trennte und 
nach O. zu ſeinem Bruder bringen ließ. Die Ge⸗ 
fährdung konnte darin gefunden werden, daß ein 
Kind, das in den erſten Lebensjahren von ſeiner Mutter 
getrennt wird, der unerſetzbaren mütterlichen Pflege 
und der Mutterliebe entbehrt und der Mutter ent⸗ 
fremdet wird und daß dadurch ſein geiſtiges Wohl 
beeinträchtigt wird. Ebenſo zutreffend konnte der 
Mißbrauch des Fürſorgerechts daraus abgeleitet werden, 
daß der Beſchwerdeführer unter Ueberſchreitung ſeines 
Rechtes, den Aufenthalt des Kindes zu beſtimmen, 
das Kind völlig von der Mutter trennte, unbekümmert 
um das Mitbeſtimmungsrecht der Mutter und obwohl 
ihm die nachteiligen Folgen ſeiner Anordnung für 
das Kind zum Bewußtſein kommen mußten. (Beſchl. 
d. I. 3S. vom 21. Februar 1914, Reg. III Nr. 9/1914). 

3371 M. 


B. Strafſachen. 
1 


Verhältnis zwiſchen Forſtberechtigungen und forſt⸗ 
polizeilichen Borfchriften in der Pfalz. In einem Rechts⸗ 
ſtreite der Gemeinde W. gegen den Staat und die Stadt⸗ 
gemeinde D. hat das LG. am 29. April 1910 u. a. erkannt, 
daß folgende von der Gemeinde W. am L.er Walde be⸗ 
anſpruchten Rechte beſtehen: „... das Recht Brenn⸗ 
holz, worunter auch dürre Stämme, Ab⸗ und Gipfelholz 
begriffen ſind, zu beziehen und zwar, ſoweit es forſt⸗ 
mäßig gewonnen werden kann, nach forſtmäßiger Auf⸗ 
machung durch die zuſtändigen Behörden und gegen 
Erſatz der Fabrikationskoſten.“ Das Urteil jſt ange⸗ 
fochten; das Verfahren ruht zurzeit. Zwei Bürger 
von W. haben im L.'er Walde je eine ſtehende dürre 
Kiefer gefällt. Ein dritter hat von einer ſtehenden 
dürren Buche Scheitholzanbruch an ſich genommen, das 
er mit der Säge gewonnen hatte. Das Forſtrüͤgegericht 
hat die drei von der Anklage wegen je einer Ueber⸗ 
tretung nach Art. 19 Pfälz Forſt StG. ee e 
Das LG. verurteilte dagegen. Es unterſtellt hiebei 
die Forſtberechtigungen der Angeklagten als gegeben, 
verneint aber die Befugnis zur uneingeſchränkten Aus⸗ 
übung und erklärt die Angeklagten an die Befolgung 
der forſtpolizeilichen Beſtimmungen gebunden, und zwar 
kraft des Art. 9 PfälzForſt St. Als maßgebendes 
ForſtG. wird, abgeſehen von 8 23 Abſ. 4 des Regulativs 
des Generalgouverneurs vom 18. Mai 1814, das auch 
die Waldberechtigten auf die Regeln der Holzzucht und 
eines regelmäßigen forſtwirtſchaftlichen Betriebes ver⸗ 
weiſt, der Tit. XXVII Art. 33 der ordonnance des eaux 
et des forets von 1669 erachtet, demzufolge es dem 
Forſtberechtigten ungeachtet aller entgegenſtehenden 
Titel, Beſchlüſſe und Privilegien nicht geſtattet iſt, 
ſtehendes grünes und dürres Holz eigenmächtig abzu⸗ 
hauen und ſich anzueignen. Ein Angeklagter hatte 
früher durch Berufung auf den Zivilprozeß einen Be⸗ 
ſchluß auf Ausſetzung des Verfahrens nach Art. 75 
Pfälz Forſt StG. erwirkt: das LG. hat jedoch ſpäter 
das Urteil gleichwohl erlaſſen, weil ihm die Aufhebung 
jenes Beſchluſſes jederzeit freiſtehe, und ausgeführt, 
daß für Abſ. 1 des Art. 75 kein Raum ſei. Die Re⸗ 
viſionen wurden verworfen. 


278 


Aus den Gründen: Grundlegend find: die 
Geltung der franzöſiſchen Ordonnance du mois d’aoüt 
1669 pour les eaux et les forcts für die bayeriſche Pfalz, 
die Bedeutung des hier in Tit. 27 Art. 33 enthaltenen 
Grundſatzes und deſſen Stellung im heutigen Rechts⸗ 
ſyſtem. Die angeführte Stelle lautet: „Abrogeons 
les permissions et droits de feu, loges et toutes délivrances 
d'arbres, perches, mort-bois, sec et vert en état, sans 
qu'il soit permis à aucuns usagers, de telle condition 
qu'ils soient, d'en prendre ou faire couper, et d'en enlever 
autre que gisant, nonobstant tous titres, arrè ts et privileges 
contraires, qui demeureront nuls et r&voqu6s; A peine 
contre les contrevenants d’amende, restitution . . . et 
de privation de droit d’usage.“ 

1. Die formelle Geltung der zur Zeit der Republik 
in den ſog. 4 neuen Departements eingeführten Teile 
jenes Geſetzeswerkes iſt unbeſtritten (vgl. insbeſondere 
Serini, Chronolog. Zuſammenſtellung der während der 
proviſoriſchen franzöſiſchen Verwaltung in den deutſchen 
Rheinlanden publizierten ältern franzöſiſchen Geſetze, 
S. 120; Schwarz, Die Forſtberechtigungen in den ehe⸗ 
maligen 4 Departements uſw., SS 41 ff., 142, 192). Die 
Generalkommiſſäre der Republik, deren erſter, Rudler, 
mit Erlaß vom 1. Therm. IV die einſchlägigen Titel der 
Ordonnanz eingeführt hat, ſtanden jenen eroberten und 
regierten Bezirken als eine Art Zivildiktatoren vor; 
die ſtaatsrechtlichen Gründe dafür, daß ſie, vom voll⸗ 
ziehenden Direktorium ermächtigt, die geſetzgebende 
Gewalt befugt und wirkſam ausgeübt haben, ſind in 
den Gründen die Zivilurteils vom 29. April 1910 ein⸗ 
gehend und zutreffend dargelegt (ogl. Serini a. a. O. 
S. 24 Anm. * Schwarz S. 17 Anm. 2). Bei Serini 
iſt ferner nachgewieſen, daß und wann die forſtpolizei⸗ 
lichen Beſtimmungen der Ordonnanz unter dem Titel 
„Verwaltungsordnung“ oder auch „dispositions rela- 
tives à la police“ in den 4 Departements veröffentlicht 
und beſonders für das Donnersberg-Departement ein⸗ 
regiſtriert worden ſind (Serini S. 76 Nr. 79, vgl. S. 66, 
67, 120). Daß die ſo eingeführten franzöſiſchen Geſetze 
und Verordnungen nach der endgültigen Abtretung 
des linken Rheinufers an Frankreich im Frieden von 
Zuneville (9. Februar 1801) aufrecht erhalten blieben, 
kann nicht deshalb in Zweifel gezogen werden, weil 
der Beſchluß des corps legislatif vom 28. Ventöse IX 
(9. März 1801), der jenen Friedensvertrag zum Geſetz 
der Republik erhebt, in Art. III nur beſtimmt, daß die 
Geſetze der Republik in den neuen Gebieten nur nach 
dem Ermeſſen der Regierung und verordnungsweiſe 
eingeführt werden ſollen; denn es wiederholt ſich hierin 
nur die Methode, die der ſeinerzeitigen Inſtruktion für 
Rudler zugrunde liegt, übertragen auf die Zentral— 

ewalt der Republik; dies führt zu der Annahme, daß 
Frankreich ſelbſtverſtändlich ohne weiteres aufrecht er— 
halten wollte, was ſeine Statthalter während der ihnen 
übertragenen „Pazifizierung“ der eroberten Provinzen 
an Geſetzen uff., ihrer Vollmacht gemäß, eingeführt 
hatten. Wegen Aufrechthaltung der Ordonnanz in der 
Pfalz unter Napoleon vgl. deſſen Dekret vom 19. Juli 
1810 bei Schwarz Bd. I S. 107. 

Nach der Zurückeroberung der Rheinlande durch 
die Alliierten hat zunächſt der Generalgouverneur Gruner 
durch die VO. vom 25. Januar 6. Februar 1814, die 
Waldungen betr., die franzöſiſchen Forſtgeſetze in Kraſt 
erhalten; wenn noch im gleichen Jahre durch die für die 
Pfalz beſtellte öſterreichiſch-bayriſche gemeinſchaftliche 
Landes-Adminiſtrationskommiſſion, die bisher üblichen 
franzöſiſchen Forſtſtrafgeſetze“ unter beſonderer Er— 
wähnung der „betreffenden Art. der Ordonnance von 
1669“ aufgehoben wurden, fo geſchah dies nach dem 
Inhalt der maßgebenden BD. vom 30. Juli (publ. 
14. Auguſt 1814), die Verfolgung und Beſtrafung der 
Forſtfrevel betr., nur deshalb und nur inſoweit, als 
hier das Forſtſtrafweſen neu geregelt wurde. Hier 
kommt in Betracht, daß die Ordonnanz allenthalben 
Strafandrohungen und daneben in Tit. 32 ein ganzes 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


Straſenſyſtem enthält; bei derlei Beſtimmungen galt nun 
offenbar jene, durch die übermäßige Strenge der Strafen 
gerechtfertigte Aufhebung (vgl. Ritzmann, ForjtSt®. 
1901, S. 4), während an die Beſeitigung der forſt⸗ 
polizeilichen Normen der Ordonnanz niemand gedacht 
hat. Die aufgehobene Strafſanktion erſetzten die neuen 
Forſt StG. der Pfalz (1814, 1822, 1831, 1846, 1879, 1895. 
Forſtpolizeiübertretungen i. S. des rechtsrh. Forli®. 
haben dieſe Geſetze freilich nie gekannt, wenn auch das 
rev. Forſt St. in Art. 6 und 58 ihrer gedenkt; nach 
Ritzmann (Handbuch S. 6) können nur der Waldeigen⸗ 


tümer und die von ihm zu Vertretenden ſolche begehen; 


ihr Tatbeſtand iſt aber den verſchiedenen älteren und 
neueren Beſtimmungen außerhalb des Forſt Std. zu 
entnehmen, darunter auch denen der Ordonnanz. Dieſe 
„Beſtimmungen der Forſtgeſetze“ find es, welche Art. I 
Forſt Stg. im Auge hat, der beſonders den Forſt⸗ 
berechtigten angeht. 

2. Die Ordonnanz von 1669 gliedert ſich in einen 
Tb 
betriebstechniſchen Teil; auf den 2. und 3. Art. ihrer 
Normen beziehen ſich vorzugsweiſe die Erlaſſe der 
republikaniſchen Machthaber für die 4. Departements; 
der 27. Tit., um den es ſich hier handelt, iſt ſchon nach 
feiner Ueberſchrift „de police et conservation des foréts. 
eaux etc.“ ein reines Polizeigeſetz. Der erſte Zweck 
des Art. 33 Tit. 27 war unverkennbar der, mit den 
Mißbräuchen aufzuräumen, die zurzeit Ludwigs XIV. 
in den franzöſiſchen Wäldern um ſich gegriffen hatten; 
ſo mit den Feuern im Walde, den Waldhütten und 
vorzüglich mit gewiſſen Holzabgaben. Unter dieſen 
Abgaben ſind hauptſächlich die willkürlichen, die auf 
Gunſt und Gnade der Beamten beruhenden gemeint, 
daß „titulierte“ Forſtberechtigungen nicht abgeſchafft 
werden ſollten, beweiſt der von dieſen handelnde, mit 
„sans que“ eingeleitete Teil des Art. 33, der den „usagers“ 
aller Stände nur die Wegnahme und zwar — nachſtetiger 
Auslegung — die eigenmächtige Wegnahme der vorher 
beſchriebenen Walderzeugniſſe bei Strafe verbietet; das 
letzte der in der Strafandrohung aufgezählten Straf: 
mittel, „Verluſt der Forſtberechtigung“ hätte nicht an⸗ 
gedroht werden können, wenn die vor 1669 entſtandenen 
Forſtberechtigungen als ſolche allgemein aufgehoben 
worden wären. Die Auslegung, wonach ſich das 
Geſetz gegen die Eigenmacht der Rechtler, namentlich 
gegen die ſog. Selbſtfabrikation richtet, bezeugen 
Schwarz SS 41, 42 und Ritzmann S. 37, erſterer 
unter Anführung pfälziſcher Urteile aus den Jahren 
1855 und 1862. Aus dieſen Erkenntniſſen erhellt abermals, 
daß die Ordonnanz als Forſtpolizeigeſetz der öffentlichen 
Ordnung angehört, deshalb jede frühere, entgegen» 
ſtehende Art der Ausübung von Walddienſtbarkeiten 
aufhebt und auch jedem neuen Verſuche einer derartigen 
Ausübung entgegenſteht. 

Unrichtig iſt die Aufſtellung der Reviſion, als habe 
das arrete vom 29. Nivöse IX (Genfommt. Jollivet; 
Schwarz I S. 93) die Verkündigung der Ordonnanz 
rückgängig gemacht. Dieſer Erlaß erwähnt eigens 
deren Einführung durch das regl. v. 1. Therm. VI; er 
weiſt zwar auf die vor dieſem Tage, ja ſchon vor 1669 
geltenden deutſchen Geſetze hin, ſchafft aber nicht die 
Ordonnanz in ihren im Rheinland eingeführten Ber 
ſtimmungen ab, ſondern vielmehr jenes franzöſiſche 
Geſetz vom 28. Auguſt 1792 „sur les biens communaux“, 
deſſen unüberlegte Einführung in Frankreich die Wald» 
verwüſtung gefördert hatte und das deshalb in der 
franzöſiſchen Rechtſprechung bald wieder durch die An⸗ 
wendung der in Frankreich formell aufgehobenen Or— 
donnance von 1609 erſetzt wurde. Die privatrechtlichen 
Reſtitutionen aber, die Art. 2 des Arr. vom 29. Niv. 
anordnet, berühren keinesfalls die forſtpolizeilichen Bes 
ſtimmungen der Ordonnanz. Das gleiche gilt von 
der Aufrechterhaltung der nachweislichen Forſtrechte, 
welche das von der Reviſion ebenfalls herangezogene, 
arrete vom 17. Ventöse X anerkennt; auch hier findet 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


ſich in Art. I der Vorbehalt, daß die Ausübung jener 
Berechtigungen den Regeln des aménagement — der 
Forſtwirtſchaft — unterworfen bleibe. Vgl. noch über 
Aufrechterhaltung der Ordonnanz (Tit. 19) das Arrete 
vom 9. Prair. X (Schwarz S. 99). Das Forſtregulativ 
des Generalgouverneurs Gruner vom 28. Mai 1814 
(ABl. S. 85) enthält in 823 allerdings zunächſt Weiſungen 
an die Forſtbehörden in Betreff der Berechtigungen, 
wendet ſich aber in dem Schlußſatz mit dem Hinweiſe 
auf die Unterordnung ihrer Ausübung unter die Regeln 
der Holzzucht und eines regelmäßigen forſtwirtſchaft⸗ 
lichen Betriebes zweifellos an die Berechtigten ſelbſt. 

3. Gehören nach alledem die Verbote der eigen⸗ 
mächtigen Wegnahme und der Selbſtfabrikation, wie 
ſie ſich im Anſchluß an die Ordonnanz und an neuere 
Vorſchriften im pfälziſchen Forſtrecht behauptet haben, 
dem öffentlichen Rechte an, ſo folgt hieraus, daß die 
zivilrechtliche Befugnis beſtimmter Forſtberechtigter 
nicht gerade dahin geht, von jenen Verboten frei zu 
ſein, alſo ihr Rechtholz ſelbſt auswählen, aufarbeiten 
und abführen zu dürfen ( . f. d. rechtsrh. Bayern 
Ganghofer⸗Weber, Forftd. S. 102 ff.). Der Zuſatz in 
der Ordonnanz Tit. 27 Art. 33 „non-obstant tous titres, 
arretes etc.“ iſt nur die logiſche Folgerung jenes öffent⸗ 
lichrechtlichen Verbotes, eine dem Geiſte des privilegien⸗ 
reichen Zeitalters Ludwigs XIV. ſcharf widerſprechende 
Betonung des alten Satzes, daß die öffentliche Ordnung 
den Privatrechten vorgeht; darum auch die Schärfe 
des Ausdrucks in dem anſchließenden Relativpſatz „qui 
demeureront (nicht „seront“) nuls et revoques“. Die 
Privilegien und Titel verſagen gegenüber dem jus 
publicum, ſie kommen hiegegen gar nicht auf (vgl. den 
pofitiven Ausdruck dieſer Gedanken in Art. 23 des 
rechtsrh. Forſtc g. und hiezu Ganghofer S. 102 Anm. 1 a). 
Die Pfälzer Gerichte haben denn auch in richtiger 
Würdigung der forſtwirtſchaftlichen Geſichtspunkte, nach 
denen ſelbſt kleine Veränderungen im Holzbeſtande 
pfleglich, d. h. fachmänniſch vorgenommen werden müſſen, 
den Forſtberechtigten ſtets die Selbſtfabrikation auch 
von Windfallholz, Reiſig⸗ und Wellenholz und dürrem 
b Holz unterſagt und die forſtmäßige Auf⸗ 
arbeitung ſolchen Holzes verlangt (Schwarz § 43, S. 30). 
Es iſt alſo kein Uebergreifen des Strafrichters in die 
zivilrichterliche Zuſtändigkeit, wenn das LG. hier jener 
öffentlichrechtlichen Forderung Nachdruck verleiht. 

4. Aus dem Bisherigen folgt, daß die Aburteilung 
der Uebertretung bei Ausübung einer Forſtberechtigung 
nicht vom Beſtehen oder Nichtbeſtehen der Forſt⸗ 
berechtigung an ſich und ſomit auch nicht vom Aus⸗ 
gange des Zivilprozeſſes abhängt; Art. 75 Forſt StG. 
iſt alſo hier nicht anwendbar. Er enthält, abgeſehen 
von Abſ. 2, in keiner Hinſicht materielles Recht (anders 
— in beſchränktem Maße — Art. 165 rechtsrh. Forft®.), 
iſt ein reines Prozeßgeſetz, das die Ermeſſensfreiheit 
des 8 261 Abſ. 2 StPO. für Forſtſtrafſachen außer 
Kraft ſetzt, und enthält keine reviſible Rechtsnorm. 
Das Reviſionsgericht kann nicht nachprüfen, ob die 
Aburteilung der Forſtübertretung von der privaten 
Berechtigung abhängt. 

5. Art. 9 Forſt St. läßt eine Beſtrafung wegen 
Forſtfrevels nur zu, wenn der volle Tatbeſtand einer 
im Forſt StG. mit Strafe bedrohten Entwendung, Ge⸗ 
fährde uſw. vorliegt. Das LG. folgt der Entſcheidung 
des Strafſen. vom 3. Oktober 1903 (Sammlg. IV, 59) 
und zieht gleichzeitig Art. 19 Forſt StG. heran. Dieſer 
Entſcheidung, die im Anſchluß an ältere Urteile eine 
bedingt unbefugte Zueignung der unbedingt rechts⸗ 
widrigen Zueignung gleichſtellt, liegt im weſentlichen 
ein den vorliegenden Fällen ähnlicher Tatbeſtand zu— 
grunde. In ihnen handelt es ſich um Holzfällungen 
im fremden Wald, um Ueberſchreitung gegebener Forſt— 
berechtigungen der Art ihrer Ausübung nach und um 
Holz von einer im Forſt StG. (Art. 19) beſonders be⸗ 
zeichneten Beſchaffenheit (ſtehendes dürres Holz, ver— 
gleiche Ordonnanz Tit. 27 Art. 33, 1. Halbſ). Das an⸗ 


279 


— — — — 


gefochtene Urteil hat alle Merkmale des äußeren Tat⸗ 
beſtandes einwandfrei feſtgeſtellt, ebenſo aber auch den 
inneren, indem es auch bei den Angeklagten das Be⸗ 
wußtſein der Rechtswidrigkeit ihres Handelns annimmt. 
Die Bezugnahme der Beſchwerdeführer auf 8 954 BG. 
genügt nicht; der Eigentumserwerb der Forſtberechtigten 
in der Pfalz wird durch die die Ausübung der Be⸗ 
rechtigungen regelnden Vorſchriften mitbeſtimmt (Henle⸗ 
Schneider, Vorbem. 3 vor Art. 85 AG. BGB. und Bem. 2 
zu Art. 86). Hienach erwirbt der Rechtler das Eigen⸗ 
tum am Rechtholz nur nach den forſtgeſetzlichen Normen; 
ſoweit ihm dieſe die Selbſtfabrikation unterſagen, iſt 
ſein Erwerb nicht rechtswirkſam. Dieſe Auffaſſung iſt 
nicht zu ſtreng, wenn man die Gleichſtellung der den 
Forſtgeſetzen zuwiderhandelnden Berechtigten mit den 
Nichtberechtigten nach Art. 9 Forſt StG. im Auge behält. 
Ueberſchreitung der Befugniſſe, auch in der Art der 
Ausübung, iſt Frevel. Nicht angängig iſt eine Unter⸗ 
ſcheidung zwiſchen Befugniſſen, die durch Privatrechts⸗ 
normen, und ſolchen, die durch Normen des öffentlichen 
Rechts begrenzt ſind. (Urt. vom 28. März 1914, Rev.» 
Reg. 61/14). Ed. 
3363 
II 


Gebühren des Verteidigers in Wiederaufnahme⸗ 
verfahren. Der Verteidiger hat für fein Geſuch um 
Wiederaufnahme des Verfahrens die Gebühr von 24 M 
(20 M und 4 M Pauſchalſatz) zugebilligt erhalten; 
nach Schluß der nach dem $ 409 StPO. angeordneten 
Beweisaufnahme gab er eine ſchriftliche Erklärung 
ab; die hiefür neuerdings verlangte Gebühr von 24M — 
der Angeklagte wurde nach § 411 Abſ. 2 StPO. ſo⸗ 
fort freigeſprochen — wurde nicht gewährt; die Be⸗ 
ſchwerde wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Durch die feſtgeſetzte Ge⸗ 
bühr von 24M für die Anfertigung des Wiederaufnahme⸗ 
geſuchs iſt die geſamte Tätigkeit des Verteidigers in 
dem Wiederaufnahmeverfahren entlohnt worden. Die 
entgegengeſetzte, auf 8 68 Nr. 3 RAGeb d. geſtützte 
Anſicht des Beſchwerdeführers iſt irrig. Die hier für 
Anfertigung eines Antrags auf Wiederaufnahme des 
Verfahrens beſtimmte Gebühr ſteht dem Rechtsanwalte 
nur zu, wenn er mit dieſer Tätigkeit allein betraut 
worden iſt. Wenn der Rechtsanwalt jedoch wie hier 
mit der Verteidigung eines Angeklagten im ganzen 
V,! beauftragt worden iſt, kann 
er nach 8 70 RAGebdO. für Anfertigung der zu dem 
Verfahren gehörigen Anträge und Erklärungen keine 
beſondere Gebühr fordern; dieſe Bemühungen werden 
durch die in den 88 63 bis 66 und im 8 67 feſtgeſetzte 
Gebühr gedeckt. Hier iſt das Wiederaufnahmeverfahren 
nicht über das Vorverfahren hinausgediehen, weil es 
nicht zu einem Beſchluſſe über die Erneuerung der 
Hauptverhandlung nach 8 410 Abſ. 2 StPO. gekommen 
iſt; erſt durch dieſen Beſchluſſes, der im Wiederaufnahme⸗ 
verfahren die Stelle des im Strafverfahren nach 8 201 
StPO. ergehenden Beſchluß vertritt, wird das Vor⸗ 
verfahren beendet und das Hauptverfahren eröffnet. 
Aus dieſem Grunde kommt dem Verteidiger gemäß 
867 Nr. 3 für die Vertretung des Angeklagten im 
ganzen nicht mehr als 20 M Gebühr und 4 M Pauſch⸗ 
ſatz zu. (Beſchl. vom 24. März 1914, Beſchw.⸗ Reg. 
Nr. 210/1914). Ed. 

3361 


Oberlandesgericht München. 


Emeritierung und Gehaltsſperre (Art. 187, 211 B., 
K. VO. v. 6. Sept. 1908, GVBl. S. 681). Ein o. ö. 
Univerſitätsprofeſſor trat am 1. April 1890 in den 
bayeriſchen Staatsdienſt. Am 1. Januar 1909 hatte 
er alſo 18 Jahre in dieſer Stellung zugebracht; dem 
hätte an ſich der Höchſtgehalt der Klaſſe 7 der Gehalts O. 
entſprochen. Zufolge der Sperre nach §4 Abſ. 3 Nr. 7 


280 


der BD. v. 6. Sept. 1908 (GBl. S. 681) wurde ihm 
jedoch nur der Gehalt der drittletzten Stufe (7500 
eingewieſen. Am 1. Oktober 1910 wurde er auf ſeinen 
Antrag von der Vorleſungspflicht befreit (emeritiert) 
und bezog nach Art. 187 BG. den letzterdienten Gehalt 
von 7500 M weiter. Mit dem 1. Januar 1912, alle 
dem Ablauf der Sperre, verlangte er Einweiſung in 
die nächſte vera von 8000 M, weil er noch aktiver 
Beamter ſei und die Vorrückung bereits erdient gehabt 
habe, wurde jedoch vom Miniſterium abgewieſen. Er 
erhob Klage mit der Behauptung, dieſer ſtehe die ab⸗ 
lehnende Miniſterialverfügung nicht entgegen, da im 
Art. 178 Ziff. 5 BG. nur Vorrückungsverſagungen 
wegen Unwürdigkeit nach Art. 31 Abſ. 1 B. gemeint 
ſeien. Die Klage wurde abgewieſen und die Berufung 
blieb erfolglos; Reviſion wurde nicht eingelegt. 
Aus den Gründen des OL G.: Der Rechtsweg 
iſt nach Art. 176 Abſ. 1 BG. an ſich offen, weil es ſich 
um vermögensrechtliche Anſprüche aus dem Dienſtver⸗ 
hältnis handelt; daß eine Gehaltsvorrückung in Frage, 
macht die Klage nicht von vorneherein unſtatthaft. Bes 
denken ergeben ſich aber aus Art. 178 Nr. 5 BG., wonach 
für die Gerichte die Entſcheidungen bindend ſind, welche 
die Verwaltungsbehörden nach ihrem pflichtmäßigen 
Ermeſſen insbeſondere über ee des Gehalts, 
über Verſagung und nachträgliche Einweiſung der Ge⸗ 
haltsvorrückungen zu treffen berechtigt ſind. Eine ſolche 
Verſagung liegt hier gerade der Perſon des Klägers 
gegenüber in der KultusMé. vom 1. Februar 1912 und 
in der Fin ME. vom 2. Auguſt 1912 an ſich vor. Daß 
Art. 178 Nr. 5 BG. nur die Fälle der Verweigerung 
der Vorrückung wegen Unwürdigkeit treffe, iſt nicht 
richtig; vielmehr gehört auch die Auslegung der Ueber⸗ 
leitungsbeſtimmungen hierher (Bay Obs. n. S. Bd. 11 
S. 653), gleichgültig, ob man dagegen die Beſchwerde 
an den Staatsrat nach Art. 31 BG. für ſtatthaft hält. 
Gleichwohl erachtet der Senat die Nachprüfung des 
Anſpruchs durch die Gerichte deshalb für zuläſſig, weil 
der Kläger die Geſetzmäßigkeit der Ueberleitungsvor⸗ 
ſchriften ſelbſt beſtreitet; wären dieſe Vorfchriften geſetz⸗ 
widrig, ſo läge auch keine Verfügung der Verwaltungs⸗ 
behörde vor, zu der ſie nach pflichtmäßigen Ermeſſen 
befugt war. Dieſe Ueberleitung verſtößt aber nicht 
gegen das Geſetz. Die Emeritierung war bereits dem 
älteren bayeriſchen Beamtenrecht bekannt: der emeritierte 
Profeſſor ſollte trotz Erſatzes im Lehrauftrag gleichwohl 
der Univerſität ſeine Dienſte nach Wunſch und Neigung 
noch leiſten können, z. B. bei den Verwaltungsgeſchäften. 
Damals rückte der emeritierte Profeſſor ſogar noch im 
Gehalt vor, war aber von den Wohnungsgeldzuſchüſſen 
ausgeſchloſſen; er bezog alſo ſchon damals erheblich 
weniger als ein ganz aktiv gebliebener Profeſſor. Bei 
Erlaſſung des BG. ſetzte man die Altersſtufe für die 
Emeritierung entſprechend der Penſionierung auf das 
65. Jahr herab, verſagte aber die Vorrückung in weitere 
Dienſtalterszulagen. Letzteres ſteht zwar nicht im Geſetz, 
ergibt ſich aber klar aus deſſen Begründung und wird 
an ſich vom Kläger ſelbſt nicht beſtritten, wie er auch über 
die ſtreitige geſperrte Zulage hinaus weitere Zulagen 
nicht beanſprucht. Es iſt alſo eine Zulage, für welche die 
Vorrückungsvorſchriften noch läuft — abgeſehen zunächſt 
von den Uebergangsvorſchriften — nicht „erdient”, 
„Belaſſung“ des erdienten Gehalts (Art. 176 Abſ. 3 BG.) 
alſo in ſeiner natürlichen Bedeutung zu nehmen, nämlich 
Behalten des tatſächlich im Augenblick der Emeritierung 
bezogenen Geldgehalts unter Ausſchluß der Möglichkeit 
nachtraͤglicher Vermehrung durch Zeitablauf. Das ents 
ſpricht durchaus dem Begriffe „erdient“ im Art. 30 
(Statſächlich bezogen) und den Urt. 28 mit 33, wonach jede 
Vorrückung „verfügt' wird, alſo nicht von ſelbſt eintritt. 
Bei der Ueberleitung aber will der Kläger als „erdient“ 
oder „wohlerworben“ den Gehalt angeſehen wiſſen, der 
ihm nach Maßgabe ſeiner unter der älteren Gehalts— 
regelung zuruckgelegten Dienſtjahre im Syſtem der 
neuen Gehaltsordnung ohne die „Sperre“ zuſtehen 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


würde. Dieſe Sperre (der Ausdruck ſtammt aus dem 
Geſetz ſelbſt: Art. 211 Abſ. 8) wurde ſchon im Entwurf 
zur finanziellen Erleichterung vorgeſehen und vom 
Landtag auf eine weitere Vorrückungsſtufe ausgedehnt, 
wogegen in Art. 211 Abſ. 8 mittels einer Fiktion be⸗ 
ſtimmt wurde, daß die Sperre bei der Penſion un⸗ 
berückſichtigt bleibt, als ob ſie nicht vorhanden wäre. 
Dieſe Vorſchrift ſpricht aber gegen die Klage und deren 
Auslegung des „erdienten“ Gehalts. Wäre es einfach 
bei dem Regierungsvorſchlage geblieben, ſo wäre klaren 
Rechtens, daß der geſperrte Gehalt bei der Penſion 
nicht mitzählt. Das Kompromiß auf Anrechnung, wie 
es zwiſchen Landtag und Regierung ſchließlich zuſtande 
kam, gibt nach ſeinem Zweck keinerlei Anlaß, das Wort 
„erdient“ anders aufzufaſſen; Ab. 8 des Art. 211 Bs. 
enthält ſich auch bezeichnenderweiſe dieſes Ausdrucks und 
ſpricht nur von „einem ſeinem Dienſtalter nicht ent⸗ 
ſprechenden Gehalt“. Gerade hier wäre aber erſterer Aus⸗ 
druck am Platze geweſen. Es kann alſo auch Art. 211 Abſ. 8 
BG. nicht als ein , unmotiviertes Geſchenk“ oder „eine un⸗ 
finnige Geldvergeudung“ angeſehen werden. Enthält 
ſonach Art. 211 Abſ. 8 BG. nichts für die Auslegung 
des Begriffs „erdient“, fo iſt dieſe nur aus den 
dort vorbehaltenen Ueberleitungsvorſchriften (BO. v. 
6. Sept. 1908, GVBl. S. 681) zu entnehmen, zu denen 
die GehaltO. nur eine Beilage bildet. Da dort die 
Art. 26 Abſ. 3 bis 5, Art. 27 Abſ. 2 bis 4, Art. 28 
Abſ. 1 bis 4 und Abf. 6, der Art. 29 bis 32, des Art. 34 
Abſ. 2 uſw des BG. entſprechend anwendbar erklärt find, 
ſo müſſen die in Ziff. 7 Abſ. 3 dieſer VO. enthaltenen 
Sperrvorſchriften ſo ausgelegt werden, daß bei den 
geſperrten Klaſſen zu der jeweils laufenden Wirkungs⸗ 
friſt die drei Jahre vom 1. Januar 1909 bis 1. Januar 
1912 einfach ebenſo hinzuzuſetzen find, als ob dies in 
der Gehalts O. ſelbſt ſtünde. Sohin gilt eine geſperrte 
Stufe nicht als erdient; Sinnbild und Rechtsinhalt 
decken ſich hier vollſtändig; wo , geſperrt“ iſt, kann man 
nicht „eintreten“ (auch nicht bedingt), alſo den Eintritt 
auch nicht „erreichen“ ; man iſt vielmehr, ausgeſchloſſen “. 
Der behauptete Widerſpruch der Ueberleitungsvor⸗ 
ſchriften mit dem BG. beſteht nicht. Daß Art. 211 
Abſ. 8 dafür nicht verwendet werden kann, iſt bereits 
ausgeführt. Gehaltsordnung und Ueberleitungsvor⸗ 
ſchriften ſind zwar formell kraft Organiſationsrechts der 
Krone als Verordnung erlaſſen, aber in allen weſent⸗ 
lichen Punkten, teilweiſe ſogar wörtlich, von beiden 
Kammern des Landtags beraten und gebilligt. Etwas 
hiervon Abweichendes hinſichtlich der Sperre enthalten 
die Ueberleitungsvorſchriften überhaupt nicht (vgl. S 20 
der Denkſchrift, Vhdl. d. AbgK. 1907.08 Beil Bd. 2 S. 305, 
331 ff.). Hier wie dort werden die bereits erörterten 
Ausdrücke „ausſchließen“, „Vorrückung erſt ermöglichen“, 
mit „‚Ausſchluß der letzten Dienſtaltersſtufe“ unter 
Billigung des Landtags gebraucht. Daß jedem Beamten 
bei der Einordnung in die neuen Gehaltsklaſſen die 
volle Anzahl ſeiner bisherigen Dienſtjahre angerechnet 
werden müſſe, ſteht nirgends, ſondern hinſichtlich der 
Sperre das Gegenteil. Die Denkſchrift ſagt nur, daß 
niemand durch die Einführung der Gehalts O. an feinem 
bisherigen Einkommen eine Einbuße erleiden dürfe. 
Wohlerworben ſind für den Kläger nur die Bezüge nach 
der alten Gehalts O.; dieſe hätte er behalten, wenn er 
vom Recht des Art. 217 BG. Gebrauch gemacht und jede 
Ueberleitung abgelehnt hätte. Nicht wohl erworben 
aber war die Einreihung in die neuen Dienſtalters⸗ 
klaſſen hinſichtlich der Beſoldung: inſoweit mußte der 
Kläger das BG. im Komplex (alſo einſchließlich der 
Sperre) annehmen oder ablehnen. Die Sperre iſt 
freilich nur eine vorübergehende Maßregel; kraft geſetz— 


licher Ermächtigung und mit Billigung des Landtags 


iſt fie aber ebenſo konſtruiert worden wie eine neurecht⸗ 
liche Gehaltsvorrückung. Mit Recht ſagt die Regierung. 
daß ihr ſonſt die Rechte aus Art. 31 BG. aus der Hand 
genommen wären, die durch die Möglichkeit der Diszi— 
plinierung nicht erſetzt würden. Kläger verwechſelt all» 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 281 


gemeines Dienſtalter (z.B. für den Rang) und Beſoldungs⸗ 
dienſtalter. Auch die Aeußerungen des Reichsrats v. 
Hertling und des Finanzminiſters v. Pfaff in der Aus⸗ 
ſchußſitzung der Reichsratskammer vom 1. Auguſt 1908 
ſprechen gegen, nicht für den Kläger. Denn dort ſtellte 
v. Hertling die Emeritierung ohne weiteres dem Ueber⸗ 
tritt in den Ruheſtand gleich und fragte, ob hier die 
Sperre aufgehoben ſei, was v. Pfaff verneinte, weil 
Emeritierung nicht der Penſionierung gleichſtehe, 
1 v. Hertling nicht etwa einen Antrag auf Sperre⸗ 
ausſchluß für Emeritierte ſtellte, ſondern erklärte, er habe 
die Sache bloß klarſtellen wollen. Uebrigens ſtand im An⸗ 
trag v. Hertling zu Art. 187 Abſ. 3 ſogar der Ausdruck 
„des bisher von ihnen erdienten Gehalts“, der wegen 
eines anderen Kompromiſſes dann nicht in das Geſetz 
überging, aber zeigt, daß v. Hertling das Wort „ers 
dient“ ſo verſtand wie jetzt der Fiskus. Ebenſo legt 
jetzt auch Reindl, BG. S. 777, den Art. 187 Abſ. 3 BG. 
aus (vgl. auch einen ähnlichen Fall in Recht 1913 
Nr. 1426). Unbillige Folgen ergeben ſich aus dieſer 
Auslegung nicht, zumal die Staatsregierung bei den 
im Stande der Emeritierung verſtorbenen Profeſſoren 
zugunſten der Witwen⸗ und Waiſenpenſionen die Sperre 
gemäß Art. 211 Abſ. 8 BG. unberückſichtigt läßt. Im 
übrigen iſt allerdings Emeritierung begriffsmäßig etwas 
anderes als Penſionierung; dem Geſetzgeber kommt 
es aber nicht darauf an, ſondern auf den Unterſchied 
zwiſchen vollaktiven und nicht vollaktiven (d. h. nur 
von der Vorleſungspflicht befreiten) Profeſſoren; er 
trägt dem natürlichen Empfinden Rechnung, daß der 
nicht die volle Beſoldung mehr beziehen ſoll, der einen 
weſentlichen Teil ſeiner Dienſtpflichten, und zwar gerade 
den für den Staat weſentlichſten Teil, nicht mehr ausübt. 
Praktiſch darf dieſe Minderung wohl höher eingeſchätzt 
werden, als der Einkommensverluſt bei der Emeri⸗ 
tierung. Weiter zu gehen, war der Landtag offenbar 
ſchon mit Rückſicht auf die Richter nicht bereit, die 
ihren vollen Penſionsbezug ohne Ausgleich verloren 
haben. Auf die günſtigere Ueberleitung jüngerer Standes⸗ 
genoſſen kann ſich niemand kraft Rechtens berufen 
(Bay Obs. n. S. Bd. 11 S. 653). (Urt. v. 10. Nov. 1913, 
L 265/13). N. 

3849 


Oberlandesgericht Zweibrücken. 


Haltung der Eiſenbahn für ſchuldhaſte Transport: 
verzögerung innerhalb der tariſmäßigen Lieſerfriſt 
(Art. 41 des internat. Uebereinkommens über den Eiſen⸗ 
bahnfrachtverkehr i. d. J. vom 19. September 1906, 
8466 HGB.). Für den Kläger 2. war am 14. März 
1911 in B. in Oeſterreich⸗Galizien mit einem Fracht⸗ 
brief für internat. Eiſenbahntransport ein Wagen 
Steckzwiebeln als Frachtgut zur Beförderung nach H. 
in der bayeriſchen Pfalz mit dem Vermerk „Kartierung 
Gelnhauſen“ aufgegeben worden. Auf der Grenzſtation 
beſchrieb ein Bedienſteter der Bahn den Wagenzettel 
verſehentlich mit Gelſenkirchen ſtatt Gelnhauſen. In⸗ 
folgedeſſen wurden in Halle Wagen und Begleitpapiere 
getrennt; dieſe gingen über Gelnhauſen nach H., während 
der ru nach Gelſenkirchen lief. Dort blieb er vom 
22. bis 29. März ſtehen, weil keine Erkundigungen ein 
gezogen wurden. Nach Aufklärung wurde er als Eil— 
gut nach H. befördert, wo er am 1. April ankam. Die 
tarifmäßige 3 endete erſt am 3. April 1911. 
Der Kläger behauptet, der Wagen habe um 10—11 
Tage länger gebraucht als bei regelmäßigem Güter⸗ 
verkehr; infolge dieſer Verzögerung ſei ihm durch teil— 
weiſes Verderben der Zwiebeln und durch Rückgängig— 
machung von Beſtellungen ein Schaden von 2000 M 
entſtanden. Seine Klage wurde abgewieſen, die Be- 
rufung wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Die Haftung der Eiſen— 
bahn aus dem mit intern. durchgehenden Frachtbriefe 


— — ʒ4ʒu — U 


abgeſchloſſenen Frachtvertrage beſtimmt ſich bei der 
Güterſendung von Oeſterreich⸗Galizien nach Deutſchland 
ausſchließlich nach dem intern. Uebereinkommen über 
den Eiſenbahnfrachtverkehr (IUeb.). Zur Begründung 
einer Haftung können weder die Beſtimmungen der 
deutſchen EiſverkO., noch die Vorſchriften des HGB. 
über die allgemeinen Verpflichtungen der Fracht⸗ 
führer herangezogen werden. Der Schadenserſatzanſpruch 
wird auf die durch grobe Fahrläſſigkeit der Eiſen⸗ 
bahn verſchuldete, verſpätete Ankunft des Wagens in 
H. geſtützt. Da die Lieferzeit nicht überſchritten iſt, 
können nicht Art. 39 und 40 Illeb. angewendet werden, 
welche die Haftpflicht für Lieferfriſtverſäumung regeln. 
Daraus, daß die Sendungen von B. nach H. in der 
Regel innerhalb 7—8 Tagen bewirkt werden, kann 
mangels geſetzlicher oder vertraglicher Sonderbeſtim⸗ 
mungen für den Kläger kein klagbares Recht darauf 
entſtehen, daß ſolche Sendungen immer innerhalb dieſer 
Friſt ausgeführt werden, und kein Schadenserſatzan⸗ 
ſpruch erwachſen, wenn einmal ein Transport die ganze 
tarifmäßige Lieferfriſt von 19 Tagen in Anſpruch 
nimmt. Auf die Urſachen der ausnahmsweiſen Ver⸗ 
zögerung kommt es dabei nicht an, ſofern nur die 
Lieferfriſt eingehalten iſt (Eger, JIUeb. Art. 39 Z. 195, 
III A; Rundnagel, Haftung der Eiſenbahn S. 44 und 
Art. 12—15). Der Anſpruch kann daher nur Erfolg 
haben, wenn er mit Art. 41 JUeb. begründet werden kann. 
Dem Erſtrichter wird darin beigetreten, daß min⸗ 
deſtens in dem Stehenlaſſen des Wagens in Gelſen⸗ 
kirchen vom 22. bis 29. März eine grobe Fahrläſſigkeit 
der Eiſenbahn zu erblicken iſt, und daß dem Kläger 
infolge des — gegenüber dem Regelfalle — fpäten 
Eintreffens der Ware in H. ein Schaden entſtanden iſt. 
Trotzdem iſt Art. 41 IUeb. hier nicht anwendbar. 
Seine Bedeutung iſt umſtritten. Einerſeits wird be⸗ 
hauptet, daß er nur bezüglich der Höhe des Schadens 
die Haftpflicht der Eiſenbahn verſchärfen will; anderer: 
ſeits findet man darin die Begründung einer allgemeinen 
Schadenserſatzpflicht der Eiſenbahn (vgl. beſ. Rund: 
nagel a. a. O. 828 A. 2). Entſtehungsgeſchichte (vgl. 
Eger a. a. O. S. 428 f.; Roſenthal, IJEiſenbahnfrachtr. 
S. 244) und Stellung des Art. 41 ſprechen mehr für 
die erſtere Auffaſſung. Nachdem in den vorausgehen⸗ 
den Art. 34, 35, 37—40 die jeweils dem Umfang nach 
beſchränkte Haftung der Eiſenbahn für Schäden aus 
Verluſt, Minderung oder Beſchädigung des Gutes und 
Verſäumung der Lieferfriſt geregelt iſt, heißt es in 
Art. 41: „Die Vergütung des vollen Schadens 
kann in allen Fällen gefordert werden, wenn derſelbe 
infolge der Argliſt oder der groben Fahrläſſigkeit der 
Eiſenbahn entſtanden ift*. Hinter den Worten „in 
allen Fällen“ waren urſprünglich von der 3. Konferenz 
die vorgenannten Art. 34, 35, 37—40 in Klammer ans 
geführt und damit die beſchränkte Geltung des Art. 41 
außer Zweifel geſetzt. Das eingeklammerte Zitat iſt 
dann bei der letzten Konferenz ohne Begründung 
geſtrichen worden. Wenn in dem Urteile des OLG. 
Marienwerder vom 2. Juni 1910 (Seuff A. 66, 155) 
geſagt iſt, die Streichung des Zuſatzes könne nur den 
Sinn gehabt haben, klarzuſtellen, daß die Haftung auf 
die vorhin angegebenen Fälle nicht habe beſchränkt 
werden ſollen, ſo kann dem nicht beigepflichtet werden. 
Mit demſelben Recht kann man ſagen, daß die Strei⸗ 
chung erfolgt ſei, weil man die ausdrückliche, zahlen⸗ 
mäßige Bezugnahme auf die vorangehenden Artikel über 
die beſchränkte Haftung wegen des unmittelbaren An— 
ſchluſſes des Art. 41 unter Vorenthaltung der Worte 
„die Vergütung des vollen Schadens“ für überflüſſig 
gehalten hat. Die Vorſchrift des Art. 41 iſt als Aus- 
nahme des Art. 30 Slleb. („die Eiſenbahn haftet nach 
Maßgabe der in den folgenden Artikeln enthaltenen 
näheren Beſtimmungen für den Schaden, welcher durch 
Verluſt, Minderung oder Beſchädigung des Gutes“) 
und Art. 39 („welcher durch Verſäumung der Liefer— 
friſt entſtanden iſt“) eng auszulegen (Warn. 1904 zu 


Art. 41 3.1). Dem ſteht auch nicht die vom OLG. 
Marienwerder a. a. O. als unhaltbar bezeichnete Fol⸗ 
gerung entgegen, daß die Eiſenbahnverwaltung nicht 
einmal dann hafen würde, wenn ſie — abgeſehen von 
beſonders gelagerten Fällen — mit Vorſatz Schaden 
zufügte. Das IJUeb. regelt nur die Haftung der Eiſen⸗ 
bahn aus dem intern. Fracht vertrage; ihre Haſtung 
aus abſichtlicher Schadenszufügung, alſo aus einer 
unerlaubten Handlung, ergibt ſich aus den betr. Be⸗ 
ſtimmungen der Landesrechte. Aber auch bei weiterer 
Ausdehnung über die Fälle der Art. 34, 35, 37—40 
Illeb. hinaus umfaßt Art. 41 mit den Worten „in 
allen Fällen“ immer nur die Fälle, in welchen von 
der Eiſenbahn auf Grund des IUeb. überhaupt ein 
Schadenserſatz zu leiſten iſt (Eger Art. 41 Z. 207 B 3). 
Die tatſächlichen Vorausſetzungen für die Entſtehung 
eines Schadensanſpruchs gegen die Eiſenbahn müſſen 
in einem der vorausgegangenen Artikel des IUeb. nieder⸗ 
gelegt ſein; der Art. 41 trifft dann nur die Beſtimmung 
über den Umfang der Schadenserſatzpflicht bei Hinzu⸗ 
treten des inneren Tatbeſtandes der Argliſt oder groben 
Fahrläſſigkeit. 

Die Fälle, in denen die Eiſenbahn wegen ver: 
ſpäteten Eintreffens des Gutes am Beſtimmungsorte 
für den Schaden haftet, ſind in Art. 39, 40 geregelt. 
Sie ſetzen immer eine Ueberſchreitung der tarifmäßigen 
oder beſonders bedungenen Lieferfriſt voraus. Die 
Bahn haftet in dem verſchiedenartig abgeſtuften Um⸗ 
fang des Art. 40 bis zum Betrage der ganzen Fracht 
oder des angegebenen „Intereſſes'. Erſt wenn der 
innere Tatbeſtand der Argliſt oder der groben Fahr⸗ 
läſſigkeit der Eiſenbahn hinzukommt, tritt die Haftung 
des Art. 41 für den vollen Schaden ein. Solange die 
Lieferfriſt nicht überſchritten iſt, begründet ſelbſt eine 
durch Argliſt oder grobe Fahrläſſigkeit herbeigeführte 
Verzögerung des Transportes über die gewöhnliche 
Beförderungsdauer keine Erſatzverbindlichkeit (Rund⸗ 
nagel 8 10, Text und Note 12—15, 828 A. 2). Ein Rück⸗ 
ſchluß auf die Richtigkeit dieſer Auslegung des Art. 41 
IUeb. läßt ſich ziehen aus dem Vergleich der Stellung, 
welche die faſt gleichlautende Vorſchrift im HGB. und 
in der deutſchen EiſberkO. gefunden hat, aus denen 
dieſer Brundfaß in das Illeb. übernommen worden 
iſt (Eger, IUeb. Z. 210). 8 466 HGB. ſetzt in Abſ. 1 
die Haftung der Eiſenbahn für den Schaden aus Ver⸗ 
fäumnis der Lieferfriſt feſt, beſtimmt in Abſ. 2 und 3 
unter Hinweis auf die EiſverkO., in welchem — be⸗ 
ſchränkten — Umfang dieſer Schaden zu erſetzen iſt 
und ſchreibt dann in Abſ. 4 vor: „Der Erſatz des vollen 
Schadens kann gefordert werden, wenn die Verſäu⸗ 
mung der Lieferfriſt durch Vorſatz oder grobe Fahr— 
laͤſſigkeit der Eiſenbahn herbeigeführt iſt“. Entſprechend 
dem $ 466 HGB. iſt in 8 94 EiſverkO. die Haftung der 
Eiſenbahn für Ueberſchreitung der Lieferfriſt in Ab]. 1—4 
geordnet und in Abſ. 5 „wegen der Fälle, in denen 
voller Erſatz zu leiſten iſt“ in Uebereinſtimmung mit 
§ 466 1V auf die mit dieſem und Art. 41 JUeb. gleich⸗ 
lautende Vorſchrift des 8 95 hingewieſen: „Iſt der 
Schaden durch Vorſatz (Argliſt) oder grobe Fahr— 
läſſigkeit der Eiſenbahn herbeigeführt, ſo iſt in allen 
Fällen der volle Schaden zu erſetzen“. Die gleiche 
Faſſung und Stellung der Vorſchrift findet ſich be— 
züglich der Haftung der Bahn aus dem Frachtvertrag 
für gänzlichen oder teilweiſen Verluſt oder Beſchädi— 
gung des Gutes in SS 457 f, 464 u HGB., der gleiche 
Hinweis auf 8 95 EiſerkO. in dieſen Fällen in $S 88 111 
und 89 1lı EifVerfo. 
N Daraus geht hervor, daß Art. 41 Ylleb. keine von 
den allgemeinen Beſtimmungen geſonderte Schadens— 
erſatzpflicht der Eiſenbahn neu begründen will, ſondern 
daß er nur die in den vorausgegangenen Artikeln unter 
den dort angeführten tatſächlichen Vorausſetzungen feſt— 
geſetzte Schadenserſatzpflicht, ſoweit fie dort etwa be: 
ſchrieben iſt, erweitern und verſtärken will, wenn der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. 


Schaden durch Argliſt oder Fahrläſſigkeit der Leute, 


Nr. 13. 


der Eiſenbahn oder der Perſonen entſteht, deren ſie 
ſich bei der Ausführung des von ihr übernommenen 
Transports bedient und für 5 nach Art. 29 Iueb. 
haftet. Die Fälle, in denen Gerichte zu anderer An⸗ 
chauung gelangt ſind, liegen teilweiſe anders. In 
em Urteile des OLG. Marienwerder war Art. 41 nur 
zur Auslegung des Art. 95 IUeb. herangezogen worden: 
auch handelte es ſich dort um Unterlaſſung einer im 
Frachtbriefe vorgeſchriebenen ſtreckenweiſen Benützung 
eines Perſonenzugs für den fraglichen Viehtransport; 
ebenſo war in dem Urteile der Kammergerichts und 
im Reichsgerichtsurteile vom 11. Februar 1905 (bei 
Rundnagel S. 45) die Beſonderheit der vertrags⸗ 
widrigen Abweichung von der durch den Abſender vor⸗ 
geſchriebenen Routen vorſchrift und damit eine Zuwider⸗ 
handlung gegen Art. 6 Z. 1 Iueb. gegeben. Warum bei 
Einhaltung der Lieferfriſt die Anwendbarkeit des 
Art. 41 IJUeb. nicht ausgeſchloſſen iſt, wird vom N. 
nicht näher begründet. Eine Auslegung des Art. 41 
IUeb. i. S. des Klägers würde geradezu einer Aus⸗ 
bc lug der Vorſchriften des Art. 14 Iueb. und 8 6 
er Ausführungsbeſtimmungen über die tarifmäßigen 
Maximallieferfriſten gleichkommen und dazu führen, 
daß die Eiſenbahn in allen Fällen die Beförderung 
binnen einer den Umſtänden nach angemeſſenen oder 
nach den Erfahrungen eines regelmäßigen Güterverkehrs 
zu bemeſſenden Friſt zu bewirken hatte. Darauf haben 
aber Abſender und Empfänger wegen der durch die 
Eiſenbahnen vereinbarten und Beſtandteil eines jeden 
Frachtvertrags werdenden Maximallieferfriſten keinen 
Anſpruch. Vertragsgemäß konnte der Kläger nur ver⸗ 
langen, daß ihm das Gut innerhalb der tarifmäßigen 
Lieferfriſt in H. zur Verfügung geſtellt wird. Dies iſt 
geſchehen. Es kann keinen Unterſchied begründen, ob 
die Eifenbahn den Wagen Zwiebeln erſt am 2. April 
1911 infolge von Umſtänden abliefern konnte, welche 
ihr nicht zum Vorſatz oder zur groben Fahrläſſigkeit 
angerechnet werden können, welchen Falles natürlich 
der Kläger keinerlei Schadenserſatzanſpruch erheben 
könnte, oder ob dies die Folge der groben Fahr⸗ 
läſſigkeit der Eiſenbahnbedienſteten in Gelſenkirchen 
war. In beiden Fällen hat die Eiſenbahn vertrags⸗ 
treu innerhalb der Lieferzeit den Transport beendet. 
(Urt. vom 20. April 1914, L 251/13). v. 
3367 


Aus der RNechtſprechung 
des bayeriſchen Verwaltungsgerichtshofs. 


Wie iſt die dreijährige Friſt des 8 57 Ziff. 3 
Gewd. zu berechnen, wenn die Straſpollſtreckung unter⸗ 
brochen und dem Verurteilten für den Neſt der Strafe 
eine Bewährungsfriſt bewilligt worden it Aus den 
Gründen: G. war wegen Betrugs am 18. Januar 
1909 zu einem Jahre Gefängnis verurteilt worden 
und hatte tags darauf die Strafe angetreten. Am 2. 
Auguſt 1909 wurde die Strafvollitredung unter⸗ 
brochen; für den Reſt der Strafe wurde ihm eine 
Bewährungsfriſt von vier Jahren d. i. bis zum 25. 
Auguſt 1913 bewilligt. Die Vorinſtanzen haben ihm 
am 1. März und 4. Juli 1913 eine Gewerbelegiti⸗ 
mationskarte auf Grund der 8 44 Abſ. 3 mit 57 
Ziff. 3 GewO. verſagt; die völlige Vollſtreckung der 
Strafe ſei nur aufgeſchoben; eine Begnadigung, die 
ihr gleichkäme, noch nicht ausgeſprochen und demge⸗ 
mäß die Strafe erſt teilweiſe verbüßt, die dreijährige 
Friſt des S 57 Ziff. 3 GewO. ſonach noch nicht in 
Lauf geſetzt, geſchweige denn abgelaufen. — Zweifel: 
los war vom Standpunkte der Vorbeſcheide die Strafe 
des G. am 25. Auguſt 1909, am Tage der Straf— 
unterbrechung, noch nicht vollſtändig und endgültig 
verbüßt. Anderſeits bedeutet die Handhabung des 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 


Geſetzes i. S. der Vorbeſcheide eine große, vom Ge⸗ 
feße vielleicht nicht beabſichtigte Härte: wer wegen 
guter Führung eine Bewährungsfriſt erhält, iſt ſich 
dieſe Weiſe ſchlechter geſtellt, als der andere, der ſi 
der bedingten Begnadigung nicht würdig erwieſen und 
5555 Strafe ſofort verbüßt hat. Es käme dabei in 
etracht, ob bei Schaffung der einſchlägigen Vorſchrif⸗ 
ten der GewO. überhaupt mit einer bedingten Begnadi⸗ 
gung ſchon gerechnet worden iſt und die Abſicht des 
8 57 al 3 GewO. nicht lediglich dahin geht, gewiſſe 
beſtrafte Elemente zunächſt durch längere einwandfreie 
Führung zu erproben und zu dieſem Zwecke drei Jahre 
lang vom Gewerbebetrieb unbedingt fernzuhalten (vgl. 
Reger 30, 221). Doch kann hier dahingeſtellt bleiben, 
ob für ſolche Erwägungen gegenüber dem Wortlaute 
des Geſetzes Raum iſt oder nur durch Aenderung des 
Geſetzes geholfen werden kann, und ob es unter allen 
Umſtänden zuläſſig wäre, die dreijährige Friſt vom 
Beginne der Bewährungsfriſt oder vom Tage der Straf⸗ 
unterbrechung an zu berechnen. Inzwiſchen iſt näm⸗ 
ch am 5. November 1913 der Reſt der Strafe aus 
Gnade erlaſſen worden. Nunmehr kann unter allen 
Umſtänden vom Standpunkte der GewO. — und nur 
um deren Anwendung handelt es ſich — der Tag, an 
dem G. den erſten Teil ſeiner Strafe verbüßt hatte, 
als der Tag angeſehen werden, an dem er die erkannte 
Strafe überhaupt verbüßt hat, m. a. W. es hat, auch 
wenn man der Bewilligung der Bewährungsfriſt an 
ſich noch keinen Einfluß einräumt, doch der Gnaden⸗ 
erlaß die Bedeutung, daß er die ſeinerzeitige bedingte 
Begnadigung rückwärtswirkend zu einer endgültigen 
Begnadigung macht. Die Vorausſetzung des 8 57 
Ziff. 3 liegt alſo nicht mehr vor. (Entſch. des II. Senats 
vom 28. Nov. 1913). E. 


Bücheranzeigen. 


Der Juſtizſtaatsdienſt. Eine Sammlung von Vorſchriften 
und Beiſpielen betreffend den Vorbereitungsdienſt, 
die Praxis und die Verwendung im Juſtizſtaats⸗ 
dienſt. Herausgegeben und verlegt von Hans 
Stärzl, Geheimſekretär im Staatsminiſterium der 
Juſtiz. München 1914. Preis 2.80 Mk. 


Die F über den Vorbereitungsdienſt und 
die Verwendung im Juſtizdienſte ſind zahlreich und viel⸗ 
fach zerſtreut. Ihre genaue Kenntnis und Beachtung 
erſpart den Bewerbern und den Behörden manchen Zeit⸗ 
verluſt und viele Weitläufigkeiten. Die dankenswerte 
Zuſammenſtellung, die durch zahlreiche Beiſpiele er⸗ 
läutert iſt, ſei deshalb allen Intereſſenten beſtens 
empfohlen. In einem Anhang enthält das Buch u. a. 
eine bisher nicht veröffentlichte Beſchreibung der Dienſt⸗ 
wohnungen der Gerichtsvorſtände, die allen Bewerbern 
um ſolche Stellen ſehr willkommen ſein wird. Gtr. 


Bendix, Dr. Ludwig, Das Problem der Rechts⸗ 
ſicherheit. Schriften des Vereins Recht und Wirt⸗ 
ſchaft, Bd. III Heft 5. Berlin 1914, Carl Heymanns 
Verlag. 

Bendix gelangt zu dem Satze: Die Entſcheidung 
eines Rechtsſtreits iſt notwendig ungewiß, unſerer Auf: 
gabe kann es nur ſein, die Unſicherheitsurſachen möglichſt 
zu bekämpfen. Alſo relative ſtatt abſoluter Rechts⸗ 
ſicherheit. Wenn man mit der Rechtsquellenlehre von 
der abſoluten Ungewißheit des Rechtsbegriffs ausgeht, 
mag man die — notwendig übermäßige — Relativität 
des im Einzelfall Erreichbaren als etwas Sicherheits— 
ähnliches hinnehmen können. Jedenfalls iſt aber der 
Hinweis auf dieſe Relativität immer wieder verdienſtlich. 
Auch im einzelnen bietet die Abhandlung viel Leſens⸗ 
wertes. So etwa die Abſage an den „Judexismus“, 
worunter der Glaube verſtanden wird, die Freierſtellung 


283 


des Richters an ſich verbürge das richtige Recht, und 

die Betrachtung über die Schattenſeiten der richterlichen 

Unparteilichkeit. 
München. 


Wolff, Dr. Emil, Kreisamtmann a. D., Syndikus und 
„Birkenbihl, Oberlandesgerichtsrat, Die Praxis 
er Finanzierung bei Errichtung, Erweiterung, 

Verbeſſerung, Fuſionierung und Sanierung von Aktien⸗ 
geſellſchaften ꝛc. Handbuch für Juriſten, Bankiers uſw. 
3. Aufl. XII, 339 S. Berlin 1914, Otto Liebmann. 
Geh. Mk. 6.75, geb. Mk. 7.75. 


Die 3. Auflage wird als unveränderter Abdruck 
der 2. von dem überlebenden Verfaſſer Wolff bezeichnet. 
Es liegt eine glänzende Anerkennung der Fachleute in 
der Tatſache, daß die 2. Auflage in der verhältnis⸗ 
mäßig kurzen Zeit von 5 Jahren vergriffen war. In 
e Weiſe haben ſich bei der Bearbeitung 

olkswirtſchaftler und Juriſt die Hand gereicht. In 
f klarer und überſichtlicher Weiſe wie in dem Buche 

ndet man in keinem Kommentar zu irgendeinem Sonder⸗ 
recht die behandelten Vereinigungsformen (vgl. die ge⸗ 
ſchichtliche Einleitung) vom wirtſchaftlichen und juriſti⸗ 
ſchen Standpunkt aus beleuchtet. Die gewählten Bei⸗ 
ſpiele beweiſen, daß ein juriſtiſch gebildeter Fachmann, 
ausgezeichnet durch eine tüchtige kaufmänniſche Schulung 
und Kenntnis des kaufmänniſchen Bilanzweſens, mit 
Giſdend erer baten eau der Geſellſchafts⸗ 
gebilde in ihrem Auf⸗ und Niedergang verfolgt, hieraus 
Schlüſſe zieht und dem Leſer Ratſchläge und Winke 
erteilt. Faſt keine der ſo häufig, beſonders bei Bilanz⸗ 
feſtſtellungen, Kapitalsänderungen der Geſellſchaften 
(Erhöhung oder Herabſetzung), auftauchenden Streit⸗ 
fragen blieb unerörtert. Sogar das Stempelrecht iſt 
beachtet, wenn auch nicht in der durch die eee 
des Jahres 1913 eingetretenen Aenderung. Der 3. Teil 
behandelt den „Verkehr in Wertpapieren“. Ausgehend 
von den Vorausſetzungen und Bedingungen für Bildung 
des ale werden die rechtlichen Beziehungen 
zwiſchen Bankier und Publikum beſprochen. Muſter⸗ 
beiſpiele für Ausgabe von Proſpekten bei Emiſſion von 
Aktien und Obligationen erhöhen den Wert des Buches. 
Es kann jedem Bankier, noch mehr aber dem Juriſten, 
deſſen Beruf die Vertrautheit mit den geſchilderten 
wirtſchaftlichen Erſcheinungsformen vorausſetzt, geraten 
werden, das Werk als verläſſigen Ratgeber ſeiner 
Bibliothek einzuverleiben. Der 3. Auflage ſeien die 
beſten Wünſche für den gleichen Erfolg wie bisher mit 
auf den Weg gegeben. 

München. 


Struve, Dr. Karl, Gerichtsaſſeſſor, Dieſtrafrechtliche 
Behandlung der Jugend in England unter 
Berückſichtigung der erziehlichen Maßnahmen. VIII 
und 302 S. Berlin 1914, Verlag von Otto Liebmann. 
Geh. 7 Mk. 

Das Buch liefert die erſte umfaſſende, zuſammen⸗ 
hängende Darftellung der engliſchen Jugendſtrafrechts⸗ 
pflege. Es berückſichtigt die Vorſchriften und Einrich⸗ 
tungen des materiellen Rechts, des Verfahrens und des 
Vollzugs der gegen Jugendliche zuläſſigen Maßregeln, 
namentlich des Strafvollzugs. Eine ſolche Darſtellung 
kann auch für den Ausbau unſerer heimiſchen Jugend— 
ſtrafrechtspflege Nutzen ſtiften, obſchon der Verfaſſer es 
wegen der Verſchiedenheit der tatſächlichen und recht⸗ 
lichen Grundlagen vermieden hat, unmittelbare Nutz— 
anwendungen aus den — nicht immer nachahmungs— 
werten — fremden Rechtseinrichtungen auf die heimiſchen 
Verhältniſſe zu ziehen und vergleichende Werturteile 
abzugeben. Die Schilderungen des Verfaſſers beruhen 
durchwegs auf eigener Anſchauung während eines mehr— 
monatigen Studienaufenthalts in England; dies macht 
ſie beſonders wertvoll — nicht bloß für Juriſten, ſondern 
für alle an der Jugendfürſorge beteiligten a 

Ir. 


Amtsrichter Sauerländer. 


Juſtizrat Dr. Heinr. Frankenburger. 


284 


Noeſt, Dr. B., Juſtizrat, Rechtsanwalt beim Amtsgericht 
in Solingen, und E. Plum, Rechtsanwalt beim Ober⸗ 
landesgericht in Köln. Die Reichsgerichtsent⸗ 
ſcheidungen in Zivilſachen. 81. Band der 
amtlichen Sammlung nach dem Zuſammenhang mit 
der übrigen Rechtſprechung und in gekürzter Faſſung. 
XXIII, 189 Seiten. Berlin 1913, Carl Heymanns 
Verlag. Mk. 2.—, gebd. Mk. 2.50. 

Dieſe vom 72. Bande der amtlichen Sammlung 
an erſchienene Bearbeitung der reichsgerichtlichen Ent⸗ 
ſcheidungen hat viel Beifall gefunden und iſt auch von 
uns ſchon wiederholt angezeigt worden. Auf die früheren 
empfehlenden Beſprechungen ſei hiermit verwieſen. E. 


Caspari, J., juriſt. Repetitor, Berlin. Straſgeſetz⸗ 
buch für das Deutſche Reich nebſt Einführungs⸗ 
geſetz. Handkommentar für Studium und Praxis. 
Teil I. VI und 75 Seiten. Wittenberg 1913, A. Ziemſen 
Verlag. Mk. 2.25. 

Verfaſſer überſchätzt den Wert ſeiner Arbeit und 
unterſchätzt die Bedürfniſſe von Studium und Praxis und 
die an einen „Handkommentar“ zu ſtellenden Anfor⸗ 
derungen. Das Bächlein iſt nichts als ein dürftiger, 
nach Inhalt und Preis weder dem Studierenden, noch 
dem Praktiker zu empfehlender Auszug aus dem Frank⸗ 
ſchen Kommentar.!) Viele Paragraphen find überhaupt 
nicht erläutert. 

München. 


Merzbacher, Sigmund, Rechtsanwalt, Juſtizrat in Nürn⸗ 
berg. Reichsgeſetz, betreffend die Geſell⸗ 
ſchaften mit beſchränkter Haftung in der 
Faſſang der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898. 
5 5 e A 59 Be München 1913, 

H. Beckſche Verlagsbuchhandlung (Oskar Bed). 
Geb. Mk. 4 ns RN 
Das viel umſtrittene, für das Wirtſchaftsleben 
außerordentlich bedeutſame Geſetz iſt durch Merzbacher 
auch in der vorliegenden 5. Auflage ſeiner Handaus⸗ 
gabe ſachkundig und zuverläſſig erläutert worden. Aus 
der Rechtſprechung hat der Verfaſſer beſonders auch 
die in der Leipziger Zeitſchrift veröffentlichten Ent⸗ 
ſcheidungen Berangedogen, die auf dieſem Gebiet eine 

Fundgrube von Material enthält. B 


Dr. Doerr. 


Knaf, Gerichtsaſſeſſor i. Ulrichſtein i. H. Der Gen 1 
ſchaftsrichter. gr. 8 Selbſtverlag. geb. Mk. 3.—. 


Das Buch bietet eine äußerſt fleißige, lückenloſe 
Sammlung aller für die Führung des Genoſſenſchafts⸗ 
regiſters in Betracht kommenden Formulare für An⸗ 
meldungen, Anträge, Einreichungen und Verfügungen. 
In den Anmerkungen erläutert der Verfaſſer die For⸗ 
mulare kurz und treffend unter Anführung der geſetz— 
lichen Beſtimmungen. Letztere ſind, wie Stichproben 
ergeben, nicht immer ganz genau. So muß es z. B. 
auf S. 5 Ziff. 12 ſtatt § 42 Geſetz wohl richtiger Bek. 
86 Abſ. 3, S. 11 Zeile 3 ſtatt $ 16 8 18 heißen. Die 
Erläuterungen ſind zum Teil beſonders gelungen, wie 
S. 15 betr. die Beſtimmung der Veröffentlichungsblätter 
außer dem Reichsanzeiger, S. 33 betr. die Faſſung der 
Eintragung von Satzungsänderungen, S. 117 betr. die 
Uebertragung von Geſchäftsguthaben. Manche davon 
wiederum werden vielleicht nicht den Beifall eines jeden 
Regiſterrichters finden, ſo S. 5 Ziff. 8 betr. Zeichnung 
der Vornamen, S. 11 und 31 betr. die Prüfungspflicht 
des Regiſterrichters, S. 33 betr. Nichtangabe des Da— 
tums von Satzungsänderungen, Aenderung des Da— 
tums der Satzung (?), S. 91 Ziff. 5 betr. Zeichnung 


8 a Uebereinſtimmend Mittermaier in DIZ. vom 1. Februar 1914 


der neuen „Firma“, S. 97 Ziff. 6 betr. Unzuläſſigkeit 
der Kündigungszurücknahme nach erfolgter Eintragung. 
In ſprachlicher Beziehung könnte das Werkchen noch 
manche Verbeſſerung vertragen. Im Ganzen iſt es 
ein empfehlenswertes Handbuch für den Regiſterrichter, 
namentlich den noch nicht völlig eingearbeiteten. Seine 
Benutzung wird ihm Zeit und Formfehler erfparen. 
Auch den Genoſſenſchaften ſelbſt kann das Buch emp⸗ 
fohlen werden. 


München. Amtsrichter Deſſel. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Das Geſetz gegen den Berrat militäriſcher Sehein⸗ 
niſſe vom 3. Juni 1914 wird im RGBBl. Nr. 32 auf 
S. 195 ff. veröffentlicht. Es enthält eine Reihe neuer, 
zum Teil eigenartig geſtalteter ſtrafrechtlicher Tat⸗ 
beſtände. Es kann daher nur im größeren Rahmen 
behandelt werden, zumal da ſich in jüngſter Zeit die 
Strafverfahren wegen Spionage bedeutend vermehrt 
haben, das Geſetz alſo erhöhte Aufmerkſamkeit ver⸗ 
dient. Es iſt deshalb Vorſorge dafür getroffen, daß 
es nach den Gerichtsferien in dieſer Zeitſchrift in einer 
umfaſſenden Abhandlung beſprochen und erläutert wird. 
3396 


Der ee Neichs⸗ und Etantsangehörigteits: 
geſetzes. Das IM Bl. teilt auf S. 100 die für den Bor- 
mundſchaftsrichter wichtigen Beſtimmungen der Be⸗ 
kanntmachung des Staatsminiſteriums des Innern 
vom 16. März d. Is. (MA Bl. S. 117) mit. Es handelt 
ſich um die Mitwirkung der geſetzlichen Vertreter und 
des Vormundſchaftsgerichts bei der Entſcheidung über 
die Staatsangehörigkeit von Findelkindern (§ 4 des 
Geſ.), bei Aufnahmegeſuchen und Einbürgerungsgeſuchen 
unter elterlicher Gewalt ſtehender und bevormundeter 
Perſonen (88 7, 8 des Geſ.) und bei der Entlaſſung 
ſolcher 0 aus dem Staatsverbande (S 19 des 
Geſ.). Der Weg, auf dem die mit der Inſtruktion bes 
faßte Diſtriktsverwaltungsbehörde die Entſcheidung 
des Vormundſchaftsgerichts über die Genehmigung des 
Entlaſſungsantrags herbeizuführen hat, iſt dabei ſehr 
zum Vorteil des bisher recht unterſchiedlichen und 
willkürlichen Verfahrens geordnet. 
3397 


Mitteilung. 


Die Sulafiung zur Rehtöanwaltihatt. Am 11. März 
ds. Js. wurde in München ein „Verein bayeriſcher 
Rechtsanwälte zur Abänderung der Zu⸗ 
laſſungsvorſchriften“ gegründet. Er will unter 
Wahrung der Unabhängigkeit des Anwaltſtandes ſeiner 
Ueberfüllung und Entwertung entgegentreten. Mit⸗ 
glied des Vereins kann jeder bayeriſche Rechtsanwalt ſein. 

Als Vorſtandsmitglieder wurden gewählt: die 
Rechtsanwälte Dr. Tuchmann (Vorſitzender), Popp 
(Schriftführer), Dr. Graf v. Peſtalozza (Kaſſier), Juſtiz⸗ 
rat Dr. Heinsfurter und Rechtsanwalt Dr. Paret (Bei⸗ 
ſitzer). Als Mitglieder ſind bis jetzt 172 Rechtsanwälte 
beigetreten. Anmeldungen nimmt entgegen der Schrift⸗ 
führer Rechtsanwalt Popp in München, Frauenſtraße 
12 II. 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten. 


Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ir. 14 n. 15. 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 
Regierungsrat im K. Bayer. 
Staatsminiſterium der Juſtiz. 


München, den 1. Auguſt 1914. 


Feitfhrift für Aettepflegt 


in Bayern 


10. Jahrg. 


Verlag von 
J. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zeller) 
Aünchen, Berlin u. Leipzig. 


(Seufferts Blätter für Rechtsau wendung 8d. 79.) 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich ||: 
Mt. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und |\- 
lede Poſtanſtalt. V 


Nachdruck verboten. 


Der lleberweiſungs⸗und Echeckverkehr der Poſt. 


Von Dr. Arthur Niggl, 
Poſtrat im K. Bayer. Verkehrsminiſterium. 


Der Ueberweiſungs⸗ und Scheckverkehr der 
deutſchen Poſtverwaltungen war ſeit dem Jahre 
1909 auf Grund geſetzlicher Ermächtigung!) durch 
Verordnungen geregelt. An deren Stelle traten 
am 1. Juli 1914 das PScheckS. vom 26. März 
1914 (RGBl. S. 85) und die gemäß § 10 Abſ. 1 
dieſes Geſetzes vom Reichskanzler erlaſſene Poſt⸗ 
ſchecko. vom 22. Mai 1914 (a. a. O. S. 131). 
Dieſe gilt ſowohl für das Reichspoſtgebiet als auch 
arg. $ 11 a. a. O. für den deutſchen Wechſelverkehr. 
Für ſeinen inneren Verkehr hat Bayern eine eigene 
PoſtſcheckO. erlaſſen.“) Die 88 2,5 und 6 PScheck ., 
die gemäß 8 11 a. a. O. für den innern Verkehr 
Bayerns nicht gelten, ſind durch die 88 2 III, 6 VII 
und 11 1 der bayeriſchen Verordnung auch auf 
dieſen Bereich für anwendbar erklärt. Es beſteht 
alſo, von geringen Abweichungen abgeſehen, tat⸗ 
ſächlich Rechtseinheit, wenn ſie auch formell teilweiſe 
aufverſchiedener Grundlage beruht. In den folgenden 
Erörterungen über die wichtigſten rechtlichen Be⸗ 
ziehungen der Poſtverwaltung zu ihren Konto⸗ 
inhabern beim Ueberweiſungs⸗ und Schedverfehre °) 
wird daher nur auf das PScheckc Z. und die 
RPScheckO.“) verwieſen werden. 

Der Poſtſcheckverkehr iſt im weſentlichen dem 
Giroverkehre der Großbanken, vor allem der Reichs⸗ 
bank,) nachgebildet und verfolgt wie dieſer wirt⸗ 
ſchaftlich den Zweck, den Zahlungsausgleich zu er⸗ 


) Siehe 82 5 vom 18. Mai 1908, RGBl. S. 197. 
) Vom 7. Juni 1914, GVBl. S. 160. 
2) Im folgenden nur als Poſtſcheckvertrag bezeichnet. 
) Im folgenden nur als G. und O. angeführt. 
) Pgl. die Beſtimmungen für den Giro⸗ 
1 der Reichsbank“, Reichsbankformular 
r. 276. 


5 Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a. 
„J Anzeigengebübr 30 Pfg. für die halbgeſpaltene Petitzelle 

oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


285 


leichtern.) Naturgemäß bewegt er ſich auf dem 
Boden des bürgerlichen Rechts. Das G. und die 
O. haben alſo kein neues Rechtsgebilde geſchaffen, 
ſondern nur die für den privatwirtſchaftlichen Betrieb 
der Banken geltenden Rechtsnormen dem ſtaatlichen 
Betriebe der Poſtverwaltung durch beſondere in 
dem G. und der O. niedergelegte Vertragsvor⸗ 
ſchriften angepaßt. Hieraus erklärt ſich auch die 
Tatſache, daß das G. und die O. bürgerlichrechtliche 
Beſtimmungen konſtitutiven Inhalts nur ſoweit 
treffen, als die beſondere Art des Betriebes der 
Poſt und ihr Verhältnis zu den Kontoinhabern 
dies erfordern, und ſich im übrigen darauf be⸗ 
ſchränken, diejenigen Vorſchriften des allgemeinen 
Rechts, die für den Poſtſcheckverkehr beſonders wichtig 
ſind, in einer ihm angeglichenen Weiſe zu wieder⸗ 
holen. Soweit auch dies unterblieben iſt, gilt das 
allgemeine Recht in unveränderter Form. 


1 


A. Der geſchäftliche In halt des Poſt⸗ 
ſcheckverkehrs iſt in der Hauptſache folgender: 
1. Die Poſt nimmt Einzahlungen nach allge⸗ 
meiner Ermächtigung des Kontoinhabers für 
ſeine Rechnung auf ſein Guthaben entgegen 
und leiſtet Auszahlungen nach beſonderer Er⸗ 
mädtigung für feine Rechnung bis zur Höhe 
des zu ſeiner Verfügung ſtehenden Guthabens.“ 
Einzahlungen auf das Guthaben können durch 
Zahlkarte, die auch am Poſtſcheckverkehre nicht 
Beteiligte aufliefern können, oder durch Ueber⸗ 
weiſung von einem anderen Konto erfolgen; 


6) Vgl. 8 12 Bank. vom 14. März 1875, RGBl. 
S. 180. Gemäß 8 13 a. a. O. iſt die Reichsbank befugt 
für Rechnung von Privatperſonen, Anſtalten und Be⸗ 
hörden Inkaſſos zu erholen und nach vorheriger Deckung 
Mandat Anweiſungen oder Ueberweiſungen auf ihre 
Zweiganſtalten oder Korreſpondenten auszuſtellen. 

) Mit der Einlöſung von Wechſeln, aus denen 
der Kontoinhaber zu einer Zahlung verpflichtet iſt, 
befaßt ſich die Poſt im Gegenſatze zur Reichsbank nicht. 


286 


ferner kann der Kontoinhaber die für ihn ein- 
gehenden Poſtanweiſungs⸗, Poſtauftrags⸗ und 
Poſtnachnahmebeträge ſeinem Konto gut⸗ 
ſchreiben laſſen. Auszahlungen können durch 
Ueberweiſung auf ein anderes Konto oder durch 
Scheck vorgenommen werden. (Vgl. 8 4 G. 
und 88 5 bis 9 O.). 

Als Gegenleiſtungen hat der Kontoinhaber 
beim Poſtſcheckamt eine unangreifbare Stamm⸗ 
einlage zu erlegen, Gebühren für die Ein⸗ 
zahlung auf ſein Guthaben und für Ueber⸗ 
weiſungen und Barauszahlungen durch Scheck 
von ſeinem Guthaben zu entrichten und den 
Zinſengenuß aus der Stammeinlage und ſeinem 
17 Guthaben der Poſt zu überlaſſen (88 2 
un 


B. Seiner rechtlichen Natur nach iſt der 
Poſtſcheckvertrag, wie man das dieſem Geſchäfts⸗ 
verkehre zugrunde liegende Rechtsverhältnis wohl 
wird nennen dürfen,“) ein Dienſtvertrag, der eine 
Geſchaftsbeſorgung zum Inhalte hat und für den 
die Vorſchriften des Auftrags und der Anweiſung 
(88 611 ff., 675, 662 ff., 783 BGB.) mit den durch 
das G., die O. und das Scheck. getroffenen Ein: 
ſchränkungen gelten.) Das Guthaben hat dabei 
die Eigenſchaft eines gemäß 8 669 BGB. ge⸗ 
währten Vorſchuſſes. 


II. 


A. Die Zulaſſung zum Poſtſcheckverkehr 
hängt von der Erfüllung perſönlicher und ſach⸗ 
licher Vorausſetzungen ab. Als ſolche kommen 
in Betracht, daß der Bewerber eine natürliche 
oder juriſtiſche Perſon, oder eine Handelsgeſellſchaſt, 
Vereinigung oder Anſtalt ohne die Eigenſchaft 
einer juriſtiſchen Perſon, oder eine öffentliche 
Behörde iſt und daß er eine Stammeinlage 
von 50 M erlegt (88 1, 2 Abſ. 1 G.). Sind 
dieſe Vorausſetzungen erfüllt, ſo muß die Poſt 
den Bewerber zum Poſtſcheckverkehr zulaſſen. Dieſer 
„Kontrahierungszwang“, der ein Gegen: 
ſtück zum Betriebs- und Beförderungszwang der 
Poſt nach § 3 Poft®. bildet, iſt Ausfluß der Eigen⸗ 
ſchaft der Poſt als einer öffentlichen Anſtalt. Seine 


— — 


2) Allerdings iſt mit dieſer Bezeichnung der Ueber- 
weiſungs verkehr nicht gedeckt; dieſer Mangel gilt 
aber auch für den Namen des PScheckG. 

9) Im weſ. derſ. M.: Conrad, „Handbuch des 
deutſchen Scheckrechts, Stuttgart 1908, S. 111; Breit, 
Die Grundlagen des internen Scheckverkehrs, 39 R. 
Bd. 64 S. 445; Mez, Ein Beitrag zur rechtlichen Be— 
trachtung des Girovertehrs, Arch BürgR. Bd. 30 S. 57; 
Berger, Zur rechtlichen Seite des Giroverkehrs, Diff. 
Roſtock 1905, S. 18; Späing, Der Girovertrag der 
deutſchen Reichsbank, Diſſ. Bonn 1906, S. 17 und 56; 
Staub, HGB., Berlin 1913, IX, Bd. 2 S. 284; Klein, 
Die Zahlungseinſtellung des Birofunden, ZHR. Bd. 55 
S. 182 (vgl. OL GRſpr. Bd. 6 S. 80 und RG. 54, 333). 
Abw. Kirſchberg, Der Poſtſcheck, Leipzig 1908, S. 92; 
Kuhlenbeck, Das deutſche Scheckgeſetz, Breslau-Leipzig 
1908, S. 15 und Leſſing, Scheckgeſetz, München 1908, 
S. 48, die einen Vertrag „eigener Art“ annehmen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


Erfüllung kann, da es ſich um eine öffentlich⸗ 
rechtliche Pflicht handelt, nur durch Verwaltungs⸗ 
beſchwerde verfolgt werden; die Zivilklage iſt nicht 
zuläſſig.““ 

B. Der Poſtſcheckvbertrag kommt zuſt ande 
durch Antrag bei einem Poſtſcheckamt oder einer 
anderen Poſtanſtalt und durch Annahme des An⸗ 
trags durch das Poſtſcheckamt und Eröffnung eines 
Kontos für den Antragſteller, der dadurch zum 
Kontoinhaber wird ($ 1 G., 8 1 O., 88 145, 151 
BGB.; ſ. auch 88 107, 108, 1633, 110, 112 BG.) 


C. Der Vertrag erliſcht durch Kündigung 
und durch Konkurs des Kontoinhabers. Die 
Kündigung ſteht dem Kontoinhaber jederzeit 
frei, der Poſt dagegen nur dann, wenn der Konto⸗ 
inhaber ſein Guthaben mißbräuchlich, alſo vor⸗ 
ſaͤtzlich oder grobfahrlaſſig, überzieht (8 8 G.; 
vgl. $ 623 BGB.). Im Konkursfalle er⸗ 
liſcht der Poſtſcheckbertrag gemäß 8 23 Abſ. 2 KO. 
Gleichzeitig erlöſchen auch die vom Kontoinhaber 
gemäß 8 6 III O. ausgeſtellten Vollmachten zur 
Ausſtellung von Ueberweiſungen und Schecks 
(8 168 BGB.). Da jedoch der Vertrag gemäß 8 27 
Abſ. 1 KO. im Umfange des $ 672 Satz 2 
BGB. fortbeſteht, muß die Poſt Einzahlungen, 
auch ſolche durch Ueberweiſung, auf das Konto 
des Gemeinſchuldners vorerſt noch entgegennehmen. 
Ferner gilt der Vertrag gemäß § 674 BGB. zu: 
gunſten der Poſt als fortbeſehend, ſolange ſie 
von der Konkurseröffnung keine Kenntnis erhalten 
hat oder ſie nicht kennen muß. In dieſem Falle 
iſt die Poſt wegen ihrer Forderungen aus der 
Ausführung von Ueberweiſungs⸗ und Schedaufträgen 
gemäß 8 27 KO. Konkursglaͤubigerin, ſoweit fie 
nicht mit dem Guthaben gegen ihre Forderungen 
aufrechnen kann. Hat die Poſt Kenntnis von der 
Konkurseröffnung, jo darf fie Ueberweiſungs⸗ und 
Scheckaufträge nicht mehr vollziehen, ſelbſt wenn 
dieſe vor der Konkurseröffnung ausgeſtellt ſein 
ſollten. Die Zahlungseinſtellung berührt 
das Vertragsverhältnis nicht.““ 

Verluſt der Geſchäftsfähigkeit oder 
Tod des Kontoinhabers bildet ebenfalls 
keinen Erlöſchungsgrund ($ 672 BGB.). Im 
Todesfalle ſchließt jedoch die Poſt das Konto, 
wenn nicht die Erben, der Teſtamentsvollſtrecker, 
der Nachlaßpfleger, der Nachlaßverwalter oder eine 
vom Kontoinhaber zur Weiterführung des Kontos 


„) Vgl. OLS. Hamburg IV. ZS., 7. Februar 1910, 
Bankarch. 7, 31. 

22) Wegen der hier einſchlagenden zahlreichen Streit: 
fragen vgl. u. a.: Brodmann, Zur Lehre vom Giro⸗ 
vertrage, 3 R. Bd. 48 S. 161 ff.; Conrad S. 4, 113 
und 196; Breit S. 509 und 5283 Mez S. 106 ff.; 
Späing S. 77; Leſſing S. 49 und 150 ff.; Klein 

189 ff.; Kuhlenbeck S. 74; Simonſon, Der 
She im Konkurſe des Ausſtellers, Gruchot 1906 
S. 45ff.; Jäger, KO., Bd. 1 S. 260; Staub, 8. 
Bd. 2 S. 287, RG 3. 40, 162; 54, 330; Ov Rſor. 


Bd. 14 S. 41, OLG. Zweibrücken SeuffArch. Bd. 58 


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Nr. 32. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


287 


Kontoinhabers an dieſe, den Vereinbarungen des 


nach ſeinem Tode bevollmächtigte Perſon die Weiter⸗ 
führung des Kontos beantragt (8 12 O.). 


D. Von den einzelnen Geſchäften, die ſich im 
Rahmen des Poſtſcheckvertrages abſpielen, bieten 

1. die Einzahlungen, die das Poſtſcheckamt 
gemäß allgemeiner Ermächtigung des Kontoinhabers 
auf Zahlkarten oder Poſtanweiſungen für jein 
Konto entgegennimmt, nichts beſonders Erwähnens⸗ 
wertes. Bemerkt ſei, daß ſich die Zahlkarten nur 
techniſch, nicht dagegen rechtlich von den Poſt⸗ 
anweiſungen unterſcheiden. Der Einzahler kann 
ſie zurücknehmen, ſolange der Betrag, auf den 
ſie lauten, dem Konto des Adreſſaten noch nicht 
gutgeſchrieben iſt (8 2 XII O.). Der Anſpruch 
des Kontoinhabers auf den Betrag entſteht gegen 
die Poſt alſo erſt mit der Gutſchrift. Für die 
Zahlkartenbeträge haftet die Poſt dem Einzahler wie 
für Poſtanweiſungsbeträge (8 9 Abſ. 3 G., 8 6 Abſ. 4 
Poſt G.). Der Entſchädigungsanſpruch erliſcht gemäß 
8 14 Poft®. mit Ablauf von ſechs Monaten, vom 
Tage der Einlieferung der Zahlkarte an gerechnet. 
Wegen der Einzahlungen durch Ueberweiſung 
ſ. unter 2a. 


2. Für die Auszahlungen durch Ueber: 
weiſung oder Scheck ſind einige gemeinſame Grund⸗ 
ſätze aufgeſtellt. Davon iſt der wichtigſte, daß 
der Kontoinhaber gemäß 8 4 G. über ſein Gut⸗ 
haben nur ſoweit in beliebigen Teilbeträgen ver⸗ 
lügen darf, als es die gemäß 8 2 Abſ. 2 G. ein- 
zuzahlende Stammeinlage überſteigt. Die Stamm⸗ 
einlage iſt alſo unangreifbar und dem Kontoinhaber 
erſt bei Löſung des Vertrags zurückzugeben (8 667 
BGB.). Ferner wird die Benützung amtlicher 
Vordrucke und ſchriftliche Form verlangt ($ 6 
J und V O.). 

a) Die Ueberweiſung durch „roten 
Scheck“ von einem Konto auf ein anderes iſt 
in jeder Höhe innerhalb des verfügbaren Guthabens 
zuläſſig (5 7 II O.). Sie erledigt ſich in der 
Weiſe, daß der Kontoinhaber einen ausgefüllten 
Ueberweiſungsvordruck ſeinem Poſtſcheckamt über⸗ 
mittelt, worauf dieſes den Betrag von ſeinem Konto 
abbucht und dem Konto des Ueberweiſungsemp⸗ 
faͤngers entweder ſelbſt gutſchreibt oder die Gut⸗ 
ſchrift bei dem Poſtſcheckamte veranlaßt, wo das 
zweite Konto geführt wird. Mit der Gutſchrift 
entſteht das Verfügungsrecht des Empfängers auf 
den überwieſenen Betrag und zwar auch dann, 
wenn die Abbuchung auf dem Konto des Ueber⸗ 
weiſenden verſehentlich unterblieben iſt.!“) Dar: 
aus ergibt ſich auch, daß der Ausſteller ſeine 
Ueberweiſung bis zur Gutſchrift widerrufen kann 
8 7 VIII O.). Ein Unterſchied zwiſchen den 
Ueberweiſungen der Poſt und den roten Schecks 
der Reichsbank beſteht nicht. Im Verhältnis 
zwiſchen dem Ueberweiſenden und der Poſt iſt die 
Ueberweiſung eine beſondere Ermächtigung des 


11) RG. 54, 329. 


— ——— —— B2ÿ——— d 0n:.— ſ— öä—ͤ¾. — • ͤä6ͤä — — — —— - —W0ũç ä b — '.. ee Lää—ä————_——— 


Poſtſcheckvertrages entſprechend eine Geſchäftsbe⸗ 
ſorgung vorzunehmen. Im Verhältnis zwiſchen 
dem Ueberweiſungsempfänger und der Poſt handelt 
es ſich ebenfalls um eine Geſchäftsbeſorgung im 
Rahmen des Poſtſcheckvertrags, nämlich die Ent⸗ 
gegennahme einer Zahlung auf allgemeine Er⸗ 
mächtigung hin. Die Zweckmäßigkeit der Ueber⸗ 
weiſung hat die Poſt nicht zu prüfen, da ſie nur 
Kaſſenhalterin, nicht aber Ratgeberin ihrer Konto⸗ 
inhaber iſt. Eine ſolche Prüfungspflicht würde 
mit dem Weſen des Poſtſcheckvertrages unvereinbar 
ſein und müßte, da die Poſt in derſelben Weiſe 
die Intereſſen des Ueberweiſenden wie die des 
Ueberweiſungsempfängers wahrzunehmen hätte, 
häufig zu unlösbaren Schwierigkeiten führen, be⸗ 
ſonders beim Konkurſe oder der Zahlungseinſtellung 
eines Kontoinhabers.) 


b) Poſtſchecks (Weiße Schecks) kann der 
Kontoinhaber innerhalb ſeines verfügbaren Gut⸗ 
habens bis zum Betrag von 20 000 M ausſtellen 
(8 9 II O.). Zugelaſſen find nur Rektaſchecks, wo: 
rin eine beſtimmte Perſon oder Firma als Zahlungs⸗ 
empfänger bezeichnet ſein muß und deren Ueber⸗ 
tragung durch Indoſſament ausgeſchloſſen iſt, ſo⸗ 
wie Inhaber ⸗(Kaſſa⸗) Schecks (8 9 VII und XV O.). 
Schecks mit alternativer Inhaberklauſel (z. B. „an 
Herrn R. oder Ueberbringer“) find abweichend 
von der Vorſchrift in 8 4 Abi. 2 ScheckG. nicht 
zugelaſſen (8 9 XV O.). Rektaſchecks hat der 
Ausſteller ſeinem Poſtſcheckamte binnen zehn Tagen 
nach der Ausſtellung (8 11 ScheckG.) !“) zu über: 


'ſenden, das darauf durch Zahlungsanweiſung den 


Scheckbetrag an den Empfaͤnger auszahlen läßt. 
Hat jedoch der Ausſteller die Gutſchrift auf dem 
Konto des Empfängers angeordnet, ſo hat das 
Poſtſcheckamt dieſe ſelbſt vorzunehmen oder die 
Vornahme durch das Poſtſcheckamt zu veranlaſſen, 
das das Konto des Empfängers führt. In dieſem 
Falle liegt ein Verrechnungsſcheck gemäß 
8 14 ScheckG. vor. Inhaberſchecks find inner⸗ 
halb der Vorlegungsfriſt dem Poſtſcheckamte zur 
Auszahlung vorzulegen. Der Inhaber kann da⸗ 
bei die Barauszahlung an ſich oder einen Andern 
(im zweiten Falle durch Zahlungsanweiſung) oder 
die Gutſchrift auf ſeinem oder einem anderen 
Konto verlangen. Wird der Scheck nach Ablauf 
der zehntägigen Friſt vorgelegt, ſo ſteht es im Er⸗ 
meſſen des Poſtſcheckamts, ob es ihn einlöſen will 
(8 9 V Abi. 1 Satz 2 O.). Rektaſchecks kann der 
Ausſteller beim Poſtſcheckamte widerrufen, ſolange 
die Zahlungsanweiſung dem Empfänger noch nicht 


12) Bol. RG. 54, 332; OL GRſpr. Bd. 6 S. 79; 
RG. 1./ 15. Dezember 1913, VI 307/13, im „Recht“ 1914 
Nr. 479; Breit S. 528; Brodmann S. 161. 

12) Für Schecks, die im Auslande ausge⸗ 
ſtellt und von deutſchen Poſtſcheckämtern einzulöſen 
ſind, gelten die Vorlegungsfriſten des gemäß 8 11 
Abſ. 2 ScheckG. erlaſſenen Bundesratsbeſchluſſes vom 
19. März 1908, RGBl. S. 71. 


288 


zugeſtellt iſt (S 9 V Abi. 2 O.). Für Inhaber: 
ſchecks gilt die Vorſchriſt des $ 13 Abſ. 3 ScheckG., 
wonach der Widerruf während der Vorlegungs⸗ 
friſt erſt mit deren Ablaufe wirkſam wird. 

Wie die Ueberweiſung iſt der Poſtſcheck eine 
beſondere Ermächtigung (Anweiſung) des Konto⸗ 
inhabers an das Poſtſcheckamt, nach dem Poſt⸗ 
ſcheckbertrage eine Geſchäftsbeſorgung vorzunehmen, 
für die neben den Beſtimmungen des Poſtſonder⸗ 
rechts das allgemeine Scheckrecht gilt. Der oben 
erwähnte Verrechnungsſcheck wirkt zwar als Ueber⸗ 
weiſung, da der Betrag, auf den er lautet, nicht 
bar ausgezahlt, ſondern gutgeſchrieben wird; er 
büßt dadurch aber ſeine rechtliche Eigenſchaft als 
Scheck nicht ein, da gemäß $ 14 Abſ. 1 Satz 3 
Scheck. die Verrechnung als Zahlung, d. i. Ein⸗ 
löſung, gilt. 

E. An dieſer Stelle ſind noch einige beſondere 
Pflichten der Poſt und der Kontoinhaber zu er⸗ 
wähnen, die ſich aus dem G. und der O. ergeben. 

1. Die Poſt hat gemäß $ 10 Abſ. 1 Nr. 7 G. 
und § 1 IV Satz 2 O. dem Kontoinhaber über 
die Ausführung der Aufträge und über Aenderungen 
im Stande des Guthabens durch Kontoauszug 
Mitteilung zu machen.“) Dieſe Benachrichtigungen 
beziehen ſich auf Gut: und Laſtſchriften auf dem 
Konto (ogl. 8 2 VIII, 83 II, 84 II und VII, 
86 VI, 8 7 VI, 8 8 II und III O.). 

2. Wie jede Staatsbehörde hat die Poſt Ver⸗ 
ſchwiegenheit über alle dienſtlichen Angelegenheiten 
zu beobachten, deren Geheimhaltung ihrer Natur 
nach geboten iſt. Dieſe Pflicht zur Wahrung 
des Amtsgeheimniſſes erſtreckt ſich nicht auf den 
dienſtlichen Verkehr der Behörden untereinander, 
ſondern nach verwaltungsrechtlichen Grundſätzen 
find fie zu gegenſeitiger Auskunft verpflichtet. Das 
Amtsgeheimnis vermöchte nun die berechtigten 
Intereſſen der Kontoinhaber nicht genügend zu 
wahren. Denn die beſondere Vertrauensſtellung 
der Poſtverwaltung zu ihren Kontoinhabern ver— 
ſchafft ihr Kenntniſſe über die Vermögensverhält⸗ 
niſſe der Kontoinhaber, deren grundſätzlich unbe⸗ 
ſchränkte Geheimhaltung dieſe als etwas Selbſt— 
verſtändliches zu betrachten gewohnt und nach der 
Verkehrsſitte auch berechtigt ſind. Die Poſt er⸗ 
kennt daher auch die Pflicht zur Wahrung des 
Scheckgeheimniſſes an, das als Gegenſtück 
zum Briefgeheimnis die Grenzen des Amtsgeheim— 
niſſes inſofern erheblich überſchreitet, als es ſich 
auch auf den amtlichen Verkehr der Poſt mit an— 
deren Behörden, alſo auch den VVV 
erſtreckt. Wollte die Poſt ſich dieſer Pflicht ent: 
ſchlagen, ſo würde ſie damit dem Poſtſcheckverkehre 
geradezu den Lebensnerv unterbinden. Ausdrück— 
lich ausgeſprochen iſt der Grundſatz zwar weder 
im G. noch in der O., er läßt ſich aber aus §S 7 G. 
folgern, der die Fälle erſchöpfend feſtlegt, in denen 


14) Hierdurch rn die Vorſchrift des 8 666 BGB. 
erſetzt: RG. 54, 


—— 3.333 ——— 2 ͤꝗ—l. ß 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


die Poſt verpflichtet iſt, Auskunft über das Scheck⸗ 
guthaben zu erteilen und damit zu erkennen gibt, 
daß die Poſt irgendwelche weitere Auskunftspflicht 
nicht anerkennt und nicht anerkennen darf, ohne 
ihre Vertragspflicht zu verletzen.) “) 

Die Ausnahmebeſtimmungen des 8 7 G. find 
wegen der leidigen und obendrein ſprachlich nicht 
einwandfreien Verweiſungen auf andere, zum Teil 
nur „entſprechend“ anzuwendende Geſetzesvorſchriften 
nicht ohne weiteres verſtändlich. Die Poſt hat danach 
Auskunft zu erteilen: 

a) in den in § 5 PoſtG. angegebenen Aus: 
nahmefällen, 

b) in entſprechender Anwendung des § 3 Abſ. 4 
und des 89 RSchuldbG. vom 31. Mai 1910, 
RGBl. S. 840, und 

c) im Falle des 8 840 ZPO. bei Pfändung 
durch Zwangsvollſtreckung oder Arreſt. 

Zu a und c. Gemäß $ 5 PoſtG. find Aus: 
nahmen vom Briefgeheimnis im Strafprozeß, im 
Konkursverfahren und im Zivilprozeß durch Reichs⸗ 
geſetz feſtzuſtellen. Dies iſt geſchehen durch die 
88 99 bis 101 StPO. und 8 121 KO. Die Zivil: 
prozeßordnung enthält keine darauf bezüglichen 
Vorſchriften. Iſt nun die Auskunftspflicht gemaͤß 
8 7 G. in den erwähnten Verfahren ſchlechthin zu: 
läſſig (denn dies find die „im $ 5 PoſtG. an: 
gegebenen Ausnahmefälle“) oder nur ſoweit, als 
durch die vom 8 5 erwähnte Reichsgeſetzgebung 
ausdrücklich Ausnahmen vom Briefgeheimnis zu⸗ 
gelaſſen ſind? Die zweite Annahme dürfte die 
richtige fein, da ſonſt die im Falle des 5 840 
ZPO. zugelaſſene Ausnahme nicht hatte erwähnt 
zu werden brauchen. Die Auskunftspflicht der 
Poſt tritt ſomit ein, wenn die Beſchlagnahme nach 
den 88 99 bis 101 StPO. oder die Briefſperre 
gemäß § 121 KO. oder die Erklärungsabgabe 
nach $ 840 ZPO. angeordnet worden iſt. 

Zu b. Bei entſprechender Anwendung des 
§ 3 Abſ. 4 und des 8 9 RSchuldbG. kommen 
folgende Auskunftsberechtigte in Betracht: Der ge⸗ 
ſetzliche Vertreter, der Gegenvormund, der Beiſtand, 
die Erben und Vermächtnisnehmer, bei fortgeſetzter 
Gütergemeinſchaft der überlebende Ehegatte des 
Kontoinhabers und bei deſſen Konkurſe der Kon: 
kursverwalter, 1 von der Poſtſperre ge⸗ 
mäß 8 121 KO.; ferner öffentliche Behörden, die 
zur Reviſion eingetragener Genoſſenſchaften, ein⸗ 
geſchriebener Hilfskaſſen, juriſtiſcher Perſonen und 
Vermögensmaſſen (Stiftungen, Anſtalten, Familien⸗ 
fideikommiſſe), welche ein Konto haben, befugt 


18) Auch de das Zeugnis: und Auskunftsverweigerungs⸗ 
recht des Bankiers und ſeiner Angeſtellten haben die 
Obergerichte unter Hinweis auf $ 383 Abſ. 1 Nr. 5 
ZPO. anerkannt. S. hiezu Meiſter im Bankatch. 
Bd. 10 S. 240 und die dort angeführte Rechtſprechung, 
beſonders Bayobes G. Bd. 1 S. 292; vgl. ferner die 
Nr. 13 der Zeitſchrift S. 271. 

1e) Die im Poſtſcheckverkehr anfallenden Poſt⸗ 
ſendungen ſchützt ſelbſtverſtändlich das Poſtgeheimnis. 


| 


find, und Perſonen, die von Behörden zu dieſer 
Reviſion ermächtigt worden find. Verweigert die 
Poſt eine im öffentlichen Intereſſe verlangte Aus⸗ 
kunft, z. B. bei Beſchlagnahme im Strafprozeß 
und bei richterlichen Auskunftserſuchen im Kon⸗ 
kursverfahren, ſo ſteht dem Berechtigten nur der 
Weg der Verwaltungsbeſchwerde offen. Soll die 
Auskunft dagegen vermögensrechtlichen Intereſſen 
dienen, wie bei der Erklärungsabgabe nach 5 840 
ZPO. und in den Fällen unter b, ſo iſt Zivil: 
klage zuläſſig. Die Auskunft erſtreckt ſich nicht 
nur auf die Höhe des Guthabens, ſondern auch 
darauf, wann, von wem, von wo und in welcher 
Höhe Einzahlungen erfolgt ſind; wann, in welcher 
Höhe und zu weſſen Gunſten der Kontoinhaber 
über ſein Guthaben verfügt hat. 

3. Die Abgabe von Vordrucken zu Ueber⸗ 
weiſungen und Schecks an den Kontoinhaber er⸗ 
höht naturgemäß die Gefahr mißbräuchlicher Be⸗ 
nützung des Kontos durch Unberechtigte, da die 
Ausfüllung eines Vordrucks immerhin weniger 
Schwierigkeiten bietet, als die Anfertigung einer 
vollſtändig handſchriftlich hergeſtellten Urkunde. 
Nach Treu und Glauben im geſchäftlichen Ver⸗ 
kehr iſt daher der Kontoinha ber gehalten, die 
Vordrucke vor Entwendung und Mißbrauch be⸗ 
ſonders zu ſchützen ($ 157 BGB.). Hieran er⸗ 
innert 8 6 II O. den Kontoinhaber ausdrücklich, 
indem er ihn verpflichtet, die Vordrucke jorgfältig 
und ſicher aufzubewahren. Nach dieſer Vorſchrift 
hat er ferner alle Nachteile zu tragen, die durch 
den Verluſt oder das ſonſtige Abhandenkommen 
der Vordrucke, z. B. Diebſtahl, entſtehen, wenn 
er nicht das Poſtſcheckamt von den erwähnten 
Vorkommniſſen ſo rechtzeitig benachrichtigt, daß 
der Vollzug von Ueberweiſungs⸗ und Scheckauf⸗ 
trägen zugunſten von Unberechtigten verhindert 
werden kann. Endlich macht er ihm zur Auf⸗ 
gabe, die ihm vom Poſtſcheckamte mitgeteilten 
Sicherheitsmaßregeln zu beachten. Sonach hat 
der Kontoinhaber nicht bloß gemäß 88 276 und 
278 BGB. für die ſchädigenden Folgen eines 
Verſchuldens auf ſeiner Seite aufzukommen, ſon⸗ 
dern die ganze Gefahr des Verluſtes ohne Rück⸗ 
ſicht darauf, ob er ihn verſchuldet hat, zu über⸗ 
nehmen (ſ. aber auch unter F.). 

F. Gemäß 8 9 Abſ. 1 Satz 1 G. haftet 
die Poſtverwaltung dem Kontoinhaber für die 
ordnungsmäßige Ausführung der beim Poſtſcheck⸗ 
amt eingegangenen Aufträge nach den allgemeinen 
Vorſchriften des bürgerlichen Rechts über die Haf⸗ 
tung des Schuldners für die Erfüllung ſeiner Ver⸗ 
bindlichkeiten, von denen die für den Poſtſcheck⸗ 
verkehr hauptſächlich in Betracht kommenden oben 
unter IA 1 und II E angeführt find (val. vor 
allem 88 276, 278, 249, 252 und 254 BGB.). 
Dieſe Haftvorſchrift beſteht ſowohl zugunſten des 
Kontoinhabers, der gemäß $ 4 G. über ſein Gut: 
haben verfügt, als auch zugunſten desjenigen, der 
gemäß § 3 G. eine Gutſchrift erhält. Der Scheck— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


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289 


inhaber ſteht als ſolcher zur Poſt in keinem Ver⸗ 
tragsverhältnis.““) 

Die Haftpflicht erleidet aber eine wichtige Ein⸗ 
ſchränkung, da die Poſt gemäß $ 9 Abſ. 1 Satz 2 G. 
die Verantwortung für die Folgen ablehnt, die aus 
der nicht rechtzeitigen Ausführung der ihr erteilten 
Aufträge entſtehen.“ “) 

Den Schaden aus dem Vollzuge falſcher oder 
verfälſchter Ueberweiſungs⸗ und Scheckaufträge hat 
grundſätzlich die Poſt zu tragen, da die Verkehrs⸗ 
ſitte (8 157 BGB.) von der Girobank (hier dem 
Poſtſcheckamt) äußerſte Prüfungsſorgſalt verlangt. 
Nach 8 6 III O. hat übrigens auch der Konto: 
inhaber die Unterſchriften der Perſonen zu hinter⸗ 
legen, die zur Ausſtellung der erwähnten Urkunden 
berechtigt ſein ſollen, „damit die Unterſchriften auf 
den beim Poſtſcheckamt eingehenden Ueberweiſungen 
und Schecks auf ihre Echtheit geprüft werden können“, 
was darauf ſchließen läßt, daß die Poſt ihre Prüfungs⸗ 
pflicht ausdrücklich anerkennt. Trifft jedoch den Konto⸗ 
inhaber ein Mitverſchulden an dem Schaden, weil er 
etwa ſeine Verwahrungs⸗ und Anzeigepflicht nach 
86 II O. nicht an 05 ſo regelt ſich die Haft: 
frage nach $ 254 B 

Bei 9 ui die Poſt zwar im 
allgemeinen die Legitimation des Vorzeigers nicht 
zu prüſen, da für dieſen die Vermutung des Eigen⸗ 
tums an der Urkunde aus 8 1006 BGB. ſpricht. 
Immerhin darf ſie auch hierbei nicht gegen Treu 
und Glauben verſtoßen, beſonders an offenkundig 
Unberechtigte nicht zahlen. Für Leiſtungen, die 
ſie auf falſche Vordrucke bewerkſtelligt hat, 
haftet ausſchließlich die Poft.'?) 

Der Erſatzanſpruch gegen die Poſt verjährt 
gemäß § 9 Abſ. 2 G. binnen zwei Jahren, be⸗ 
ginnend mit dem Schluſſe des Jahres, in dem 
der Auftrag dem zu ſeinem Vollzuge zuſtändigen 
Poſtſcheckamte zugegangen iſt (vgl. 8 196 BGB.). 
Die Klage iſt nicht gegen das Poſtſcheckamt, ſon⸗ 
dern gegen die Behörde zu richten, die nach den 
Verwaltungsordnungen zur Vertretung des Poſt⸗ 
ärars in Rechtsſtreitigkeiten berufen iſt. Das ſind 
im Reichs- und im bayeriſchen Poſtgebiete die 
Oberpoſtdirektionen, in Württemberg die General⸗ 
direktion der Poſt und Telegraphen in Stuttgart. 


11) Die Haftung für Zahlkartenbeträge iſt bereits 
oben unter II D 1 erwähnt worden. 

1s) Aufträge müſſen nach den Dienſtvorſchriften 
der Poſtſcheckämter noch am Tage ihres Eingangs, 
und wenn ſie nach den feſtgeſetzten Schlußzeiten ein⸗ 
laufen, am folgenden Tage erledigt werden. Ein Be— 
amter, der dieſe Vorſchrift . 9 8 
haftet dem Kontoinhaber aus § 839 Abi. 1 BGB 

1) Auf die Haftfälle im einzelnen kann hier nicht 
eingegangen werden. Vgl. aus der 1 Recht⸗ 
ſprechung und Literatur: RGg. 56, 413; 81, 254; Ov G. 
Karlsruhe in der DJ Z. 1905 S. 464; 190 im Banklrch. 
Bd. 12 S. 403; HG. Zürich und Schweiz Bund. in der 
3H R. Bd. 48 S. 299 ff.; Kuhlenbeck S. 90, Leſſing 
S. 170, Brodmann S. 161, Mez S. 86, Breit 
S. 524, Conrad S. 249, Kirſchberg S. 140 und 
Berger S. 89. 


2% 


Herhtsnatur und Ablöſung der neurechtlichen 
Münchener Gemeinſchaftsmauer. 
Von Landgerichtsrat Heinrich Lieberich in München. 
(Schluß). 

d) Die Ablöſungspflicht bei der bewilligten Ges 
meinſchaftsmauer des neuen Rechts hat ihre Grund⸗ 
lage in der vertragsmäßigen Regelung des Gemein⸗ 
ſchaftsverhältniſſes. Dieſe Regelung kann von den 
Teilhabern der Gemeinſchaft jederzeit durch neue 
Vereinbarungen geändert werden und ſo ſteht auch 
nichts im Wege, daß die jeweiligen Teilhaber der 
Gemeinſchaft ſchon vor Inanſpruchnahme des An⸗ 
baurechts durch den Nachbarn ſich über deſſen Ab⸗ 
löͤſungspflicht anderweit einigen, insbeſondere dieſe 
gegen oder auch ohne ſofortige Abfindung des 
Eigentümers des Erſtbaugrundſtücks aufheben. Auch 
eine derartige Vereinbarung wirkt gemäß 8 746 
BGB. gegenüber den beiderſeitigen Beſitznachfolgern. 
Es kann daher der Erwerber des Erſtbaugrund⸗ 
ſtücks, auch wenn die dazu gehörende bewilligte 
Gemeinſchaftsmauer noch nicht angebaut iſt, keines⸗ 
wegs darauf rechnen, daß ihm im Falle des An⸗ 
baues durch den Nachbarn ein Verbots⸗ und allen⸗ 
muß f Ablöſungsrecht gegen dieſen zuſtehe. Er 
muß ſich vielmehr ebenſo, wie bei anderen Grenz⸗ 
einrichtungen, über die beſtehende Ordnung des 
beiderſeitigen Benutzungsrechts, wozu gegebenenfalls 
auch die Ablöſungspflicht des Nachbarn gehört, bei 
dieſem vergewiſſern. Wie ſchon erwähnt, wirken 
die Vereinbarungen nach $ 746 BGB. unabhängig 
von der Kenntnis der Beſitznachfolger gegen dieſe 
und da die Verhältniſſe der Grenzeinrichtungen 
auch nicht Gegenſtand der Grundbucheintragungen 
ſind, kommt ebenſowenig der Schutz des öffent⸗ 
lichen Glaubens des Grundbuchs hier zugunſten 
des Erwerbers des Erſtbaugrundſtücks in Frage.“) 

Aus dem Geſagten ergibt ſich, daß die Ab⸗ 
löſungspflicht des Nachbars insbeſondere auch durch 
einfachen Verzicht des Eigentümers des Erſtbau⸗ 
grundſtücks gegenüber dem Nachbarn aufgehoben 
werden kann. Dieſer Verzicht bedarf ſo wenig 
einer Form, wie eine ſonſtige Benutzungsverein⸗ 
barung. Art. 77 AGzBGB. läßt auch für den 
geſetzlichen Verbietungs⸗ und Ablöſungsanſpruch im 
Falle der Erhöhung und Verſtärkung einer Ge- 
meinſchaftsmauer nach Art. 68 AG., ebenſo wie 
für die ihm nachgebildeten übergangsrechtlichen An⸗ 
ſprüche nach Art. 69 und 70 2. einen ſolchen 
formloſen Verzicht zu. Nach Abſ. 2 des Art. 77 ſollen 
auf dieſen Verzicht jedoch, wenn das Grundſtück 
des Berechtigten mit Rechten Dritter belaſtet iſt, 
die Vorſchriften des $ 876 BGB. anwendbar fein, 


20) S. Staudinger Anm. IIa zu 8 921; RGRKomm. 
Anm. 6 zu $ 921 (Grenzeinrichtungen find nicht ein— 
tragungsbedürftig) und RGRKomm. Anm. 6 Abſ. 3 
zu § 892 BGB. (der öffentliche Glaube des Grund— 
buchs erſtreckt ſich nicht auf Einrichtungen, insbeſondere 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


d. h. es ſoll die Zuſtimmung der Drittberechtigten 
zu dem Verzicht erforderlich ſein, außer wenn deren 
Rechte durch den Verzicht nicht berührt werden. 
Der Art. 77 ſchraͤnkt dieſes Erfordernis aber ſelbſt 
wieder für die Hauptfälle der Belaſtung, nämlich 
die mit Reallaſten, Hypotheken, Grund⸗ oder Renten⸗ 
ſchulden ganz erheblich dahin ein, daß die Zu⸗ 
ſtimmung dieſer Drittberechtigten zum Verzicht auf 
die Ablöſungsrechte nicht erforderlich iſt, wenn der 
Verzicht erklärt wird, bevor das Grundſtück zu: 
gunſten des Drittberechtigten beſchlagnahmt iſt. 
Für die bewilligte Gemeinſchaftsmauer des neuen 
Rechts iſt aber, abgeſehen von den Fällen des 
Art. 68 AG., die Anwendbarkeit des 8 876 (und 
877) BGB. überhaupt zu verneinen. Denn, wie 
ſchon hervorgehoben, handelt es ſich bei den Grenz⸗ 
einrichtungen des BGB., alſo auch bei der be⸗ 
willigten Gemeinſchaftsmauer, eigentumsrechtlich 
um Verhältniſſe weſentlich tatſächlicher Natur, denen 
das Geſetz allerdings die Wirkung nachbarrecht⸗ 
licher Eigentumsbeſchränkungen beilegt. Entſtehung 
und Aufhebung derartiger Verhältniſſe unterliegen 
daher nicht den Vorſchriften über die Begründung 
und Aufhebung dinglicher Rechte an Grundſtücken, 
daher auch nicht den Vorſchriften der 88 876, 
877 BGB. Die gegenteilige Vorſchrift des Art. 77 
AG. für die dort behandelten Ablöſungsfälle beruht 
auf der Erwägung, daß es ſich hierbei um den 
Verzicht auf Eigentumsbefugniſſe handelt, die un⸗ 
mittelbar durch das Geſetz verliehen find und auf 
die daher ohne die erleichternden Vorſchriften des 
Art. 77 AG. nur durch Beſtellung einer entſprechen⸗ 
den Grunddienſtbarkeit zugunſten der Eigentümer 
des Nachbargrundſtücks mit dinglicher Wirkung 
hätte verzichtet werden können.) Bei ber Ab: 
löſung der bewilligten Gemeinſchaftsmauer ſtehen 
jedoch, abgeſehen von den Erhöhungsfällen des 
Art. 68, derartige geſetzliche Eigentumsbefugniſſe 
nicht in Frage.“) Der Verzicht auf den Ab: 


2) Siehe Henle⸗Schneider Anm. 1 zu Art. 77 AG. 


29) Meisner, Nachbarrecht S. 41 Note 3, 4, S. 56 
Note 1, S. 57 Note 1, läßt zwar ebenfalls die Entſtehung 
und Aufhebung einer Grenzeinrichtung durch formloſe 
Uebereinkunft der Nachbarn zu, iſt aber gleichwohl der 
Meinung, daß die Grenzeinrichtung und die ſich aus 
ihr ergebenden Benutzungsrechte nicht ohne Zuſtimmung 
der an den beteiligten Grundſtücken dinglich Berechtigten, 
insbeſondere der Hypothekgläubiger aufgehoben werden 
können; doch könne dieſe Zuſtimmung formlos, auch 
durch ſchlüſſige Handlungen erteilt werden. Ebenſo 
Wolff Recht 1900 S. 477 und Staudinger Anm. II 4 
Abf. 3 zu § 922 BGB. Dies erſcheint nach dem oben 
Ausgeführten nicht zutreffend. Es iſt auch nicht ein⸗ 
zuſehen, weshalb die Begründung und Aufhebung einer 
Grenzeinrichtung gegenüber den Drittberechtigten ver 
ſchieden behandelt werden ſollte. Mit Wolff (a. a. O.) 
find dagegen den dinglich Berechtigten nach den Um⸗ 
ſtänden des Falles gegenüber Verfügungen über die 


Gemeinſchaftsmauer die Schutzbehelfe nach 88 110, 


1134, 1201, 1065 BGB. zuzubilligen. Ebenſo iſt die 
Einräumung oder Aufgabe einer Grenzanlage nach 
allgemeinen Grundſätzen innerhalb und außerhalb des 


Gebäude auf dem Grundſtück), dazu RG. 73, S. 129. Konkurſes anfechtbar (Wolff a. a. O. S. 478 Abſ. 2). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


löſungsanſpruch ſchließt notwendig auch den auf 
das Verbietungsrecht ein, dagegen der Verzicht auf 
das Verbietungsrecht (durch Anbaugeſtattung) keines⸗ 
wegs ohne weiteres auch den auf den Ablöſungs⸗ 
anſpruch.“) 

e) Wie dem Verzicht unterliegt der Verbie⸗ 
tungs⸗ und der Ablöſungsanſpruch der gewöhn⸗ 
lichen 30⸗jährigen Anſpruchsverjährung (vgl. hierzu 
Art. 78 AG.). Dieſe Verjährung beginnt mit der 
Entſtehung der Anſprüche (8 198 BGB.). Die 
Entſtehung des Verbietungs⸗ und des ſelbſtändigen 
Ablöſungsanſpruchs fallen jedoch nicht immer zeitlich 
zuſammen — erſterer entſteht ohne weiteres durch 
jeden unbefugten Anbau, letzterer nur unter den 
beſonderen oben dargelegten Vorausſetzungen — und 
es kann andrerſeits in der Perſon des derzeitigen 
Eigentümers des Nachbargrundſtücks nur der Ver⸗ 
bietungs⸗, aber nicht der Ablöſungsanſpruch be⸗ 
gründet ſein (ſ. IV c oben). Es kann daher trotz 
Verjährung des Verbietungsanſpruchs ein noch nicht 
verjährter ſelbſtändiger Ablöſungsanſpruch beſtehen, 
mangels eines ſolchen ſchließt aber die Verjährung 
des Verbietungsanſpruchs ſowohl das Recht auf 
Beſeitigung des Anbaus, wie das auf Zahlung 
einer Ablöfungsſumme aus. 


f) Der Ablöſungsanſpruch des Eigentümers 
des Erſtbaugrundſtücks aus der Errichtung (oder 
des Eigentümers des Erhöhungsgrundſtücks aus 
der Erhöhung der Gemeinſchaftsmauer nach Art. 68 
AG.) entſteht erſt mit der Inanſpruchnahme des 
Anbaurechts durch den Nachbarn. Bis dahin iſt 
zwar in der Perſon jedes Eigentümers des Erſt⸗ 
bau= oder Erhöhungsgrundſtücks durch ſeine Stellung 
als Teilhaber der Benutzungsgemeinſchaft die Grund⸗ 
lage ſür die Entſtehung des Anſpruchs in ſeiner 
Perſon gegeben; ob jedoch der Anſpruch in ſeiner 
Perſon wirklich entſteht, hängt davon ab, ob der 
Ablöſungsfall während ſeiner Beſitzzeit auch ein⸗ 
tritt. Der Ablöſungsanſpruch iſt alſo inſoweit 
nur ein zukünftiger Anſpruch. Aber auch dieſer 
zukünftige Anſpruch kann, wie andere Anſprüche 
ſolcher Art, Gegenſtand von Verfügungen des 
jeweiligen Grundſtückeigentümers durch Abtretung, 
Verpfändung uſw., ebenſo auch Gegenſtand der 
Pfändung ſein.“ ) Derartige Verfügungen find an 


2) Siehe hierzu oben IV e. Zu weitgehend Pfir⸗ 
ſtinger, Kommunmauer S. 42, der den Verzicht nach 
Art. 77 AG. ſchlechthin nur für das Verbietungsrecht 
gelten laſſen will. 

5) Selbſtändig abtretbar im Sinne der obigen 
Ausführungen iſt jedoch an ſich nur der ſelbſtändige 
(unmittelbare) Ablöſungsanſpruch. Der Verbietungs— 
anſpruch und der lediglich aus ihm fließende mittel⸗ 
bare Ablöſungsanſpruch iſt mit dem Eigentum des 
berechtigten Grundſtücks untrennbar verbunden und 
daher ſelbſt weder abtretbar noch verpfändbar (§ 1274 
Abſ. 2 BGB.). Nur die Ausübung des Verbietungs— 
anſpruchs kann übertragen werden und eine ſolche 
Uebertragung wird regelmäßig in der Abtretung des 
(ſelbſtändigen) Ablöſungsanſpruchs mit gelegen ſein. 
Dieſe Uebertragung des Verbotsanſpruchs wirkt aber 
als bloße Uebertragung der Rechtsausübung nur ſo— 


291 


ſich rechtsgültig, ihre Rechtswirkſamkeit für den 
von ihnen betroffenen Anſpruch ſetzt aber vor⸗ 
aus, daß dieſer auch tatſächlich in der Perſon 
des Verfügenden entſteht; diesfalls wirkt aber 
die Verfügung auf den Zeitpunkt ihrer Vor⸗ 
nahme zurück. Eine Abtretung, Verpfändung oder 
Pfändung des Ablöſungsauſpruchs iſt daher ohne 
Wirkung, wenn zur Zeit der Entſtehung des Ab⸗ 
löſungsanſpruchs der Abtretende, Verpfändende oder 
Pfändungsſchuldner nicht mehr Eigentümer des 
Eritbau: oder Erhöhungsgrundſtücks iſt und 
der Nachbar kann ohne Rückſicht auf ſolche Ver⸗ 
fügungen die Ablöſungsſumme an den Eigentümer 
dieſes Grundſtücks im Zeitpunkt des Ablöſungs⸗ 
falles zahlen, ſofern nicht dieſer über die Ablöſungs⸗ 
ſumme verfügt hat. Letzterenfalls ſteht dem an 
den Eigentümer zahlenden Nachbarn nur die Schutz⸗ 
vorſchrift des 8 407 BGB. zur Seite.“) Bei 
der Verpfändung und Pfändung von Ablöſungs⸗ 
anſprüchen iſt außerdem zu beachten, daß Schuldner 
des Ablöſungsanſpruchs ebenfalls nur der Eigen⸗ 
tümer des Nachbargrundſtücks wird, der von dem 
Anbaurechte Gebrauch macht. Im Falle eines 
Eigentumswechſels bei dem Nachbargrundſtück vor 
dem Anbau muß daher auch der Beſitznachfolger 
von der Verpfändung oder Pfändung des Ab⸗ 


lange, als dem Uebertragenden ſelbſt das Verbietungs⸗ 
recht zuſteht. Der Abtretungserwerber eines (ſelb⸗ 
ſtändigen) Ablöſungsanſpruchs kann daher das mit⸗ 
übertragene Verbietungsrecht nur ſolange geltend 
machen, als ſein Rechtsvorgänger Eigentümer des 
Erſtbaugrundſtücks iſt. Das gleiche gilt für die Pfändung 
des Verbietungsrechts (ſ. des Näheren Note 43 unten). 

2%) Hinſichtlich der Zuläſſigkeit der Abtretung künf⸗ 
tiger Anſprüche ſ. insbeſ. RG. 55, 334; 67, 166; 74, 82; 
75, 227 und JW. 1910 S. 230, 1913 S. 132, für Ab⸗ 
löſungsanſprüche der hier fraglichen Art OLG. Nürn⸗ 
berg Bay ZfR. 1907 S. 334, 1910 S. 412, 1912 S. 445. 
Die Pfändung künftiger Anſprüche läßt zwar Stein, 
Komm. z. ZPO. Note 12 zu 8 829 ſchlechthin nicht zu, 
nach RG. JW. 1904 S. 365 iſt ſie jedoch dann zuläſſig, 
wenn für den Anſpruch durch ein Vertragsverhältnis 
der Beteiligten eine ausreichende rechtliche Grundlage 
geſchaffen iſt, ſelbſt wenn die Entſtehung des Anſpruchs 
noch in der Zukunft liegt und von der konkreten 
Geſtaltung der auf ihr beruhenden rechtlichen Bezieh⸗ 
ungen der Beteiligten abhängt. Ebenſo RG. JW. 1913 
S. 884 und OLG. München Bay ZfR. 1914 S. 234. Um Ans 
ſprüche ſolcher Art handelt es ſich aber ſowohl bei der 
Ablöſung der bewilligten neurechtlichen Gemeinſchafts⸗ 
mauer, wie bei dem geſetzlichen Ablöſungsanſpruch des 
Art. 68 AG. Meisner, Nachbarrecht S. 60 Note 2—4 nimmt 
auch vom Standpunkt des von ihm vertretenen Bereiche⸗ 
rungsanſpruchs an, daß eine Abtretung des Ablöſungs⸗ 
anſpruchs vor dem Anbau gegenüber dem ſpäteren 
Erwerber des Erſtbaugrundſtücks nicht wirkt. Eine 
Pfändung des Ablöſungsanſpruchs läßt er erſt nach dem 
Anbau zu. Ebenſo Pfirſtinger, Kommunmauer ©. 33, 37. 
Für Abtretbarkeit und Pfändbarkeit des künftigen Ab⸗ 
löſungsanſpruchs auch Buhmann Bay 3fR. 1914 S. 223. 
Ueber die Abtretbarkeit des altrechtlichen Ablöſungs- 
anſpruchs ſ. Tinſch, Münchener Stadtrecht S. 37, und 
hinſichtlich der Abtretung und Pfändung des über— 
gangsrechtlichen Ablöſungsanſpruchs Schmidt Seuff Bl. 
Bd. 66 S. 363 und OLG. München SeuffBl. Bd. 70 
S. 208, Bd. 72 S. 262, welch letztere Entſcheidungen 
die gleichen Grundſätze, wie oben entwickelt, vertreten. 


292 


löſungsanſpruchs gemäß 8 1280 BGB. oder 8 829 
Abſ. 3 ZPO. verſtändigt werden. Die vorbezeich⸗ 
neten Verfügungen über den Ablöſungsanſpruch 
können zugunſten der Gläubiger des Verfügenden 
nach allgemeinen Grundſaͤtzen 0 en Bläubiger- 
benachteiligung angefochten werden. 

Für das 1 folgt 
aus der bloß bedingten Wirkung der Abtretung 
uſw. zunächſt, daß im Fall der Zwangsverſteigerung 
des Erſtbaugrundſtücks vor Eintritt des Ablöſungs⸗ 
falls der Ablöſungsanſpruch ungeachtet der Ab⸗ 
tretung auf den Erſteher übergeht.“) Iſt da⸗ 
gegen in der Perſon des Beſchlagnahmeſchuldners 
der (perlönliche) Ablöſungsanſpruch bereits ent⸗ 
ſtanden, ſo wird dieſer Anſpruch durch die Be⸗ 
ſchlagnahme des Erſtbaugrundſtücks zum Zboeck 
der Zwangsverſteigerung oder Zwangsverwaltung 
nicht mehr berührt.!) Wohl aber kann der Schuldner 
nach erfolgter Beſchlagnahme zum Zweck der Zwangs⸗ 
verſteigerung über die Grenzeinrichtung nurmehr 
im Rahmen der 88 23 und 24 3 BGG. verfügen. 
Hiernach iſt er nicht mehr zu Veräußerungen und 
zur Verwaltung und Benutzung nurmehr inner⸗ 
halb der Grenzen einer ordnungsmäßigen Wirt⸗ 
ſchaft befugt. Damit iſt ausgeſchloſſen, daß er 
ſich durch Verzicht auf das Verbietungsrecht oder 
ſonſtige Ablöſungsvereinbarungen hinſichtlich der 
Gemeinſchaftsmauer noch in den Beſitz der Ab⸗ 
löſungsſumme ſetzen kann, da hierin eine Ver⸗ 
äußerungsverfügung im Sinne des § 23 3G. 
hinſichtlich des beſchlagnahmten Grundſtücks, jeden⸗ 
falls eine die Grenzen ordnungsmäßiger Wirtſchaft 
überſchreitende Maßnahme zu erblicken wäre.“) 


285) Ebenſo Pfirſtinger, Kommunmauer ©. 37. 

0) Im gleichen Sinne Pfirſtinger, . 
S. 42; Wolff Recht 1900 S. 477 Ziff. 9 A 

15 Der Ablöſungsanſpruch gehört 1 zu den 
Gegenſtänden, auf die ſich nach SS 1120—1130 BGB. 
die Hypothekhaftung und danach gemäß 58 20 - 21 3G. 
auch die Beſchlagnahmewirkung erſtreckt. Auch Ent⸗ 
ſchädigungsanſprüche anderer Art als die Verſicherungs⸗ 
forderungen nach SS 1127— 1129 BGB. bilden — von 
ausdrücklichen geſetzlichen Ausnahmen z. B. hinſichtlich 
der Enteignungsentſchädigung abgeſehen — keine Ber: 
mögenswerte, die von der Hypothek und Beſchlagnahme 
umfaßt werden; dies gilt daher auch von dem hier 
aan Ablöſungsanſpruch (ſ. Güthe Anm. 10e Abſ. 5 
zu 8 22 326.) Der Ablöſungsanſpruch gehört auch 
nicht im Falle der Zwangsverwaltung zu den von dieſer 
umfaßten Anſprüchen auf wiederkehrende Leiſtungen 
aus einem mit dem Eigentum verbundenen Rechte (|. 
OLG. Dresden OLG. Bd. 9 S. 139; Güthe Anm. 5 zu 
8148 3 WG.). 

Bei Verſteigerung des Erſtbaugrundſtücks ver— 
bleibt, wie bei einer ſonſtigen Veräußerung, der 
(ſelbſtändige) Ablöſungsanſpruch dem Schuldner; das 
Verbietungsrecht geht dagegen auf den Anſteigerer 
über. Steht daher dem bisherigen Eigentümer ein 
ſelbſtändiger Ablöſungsanſpruch nicht zu, ſo kann er 
die Zahlung der Ablöſungsſumme nach dem Eigen— 
tumsübergang nicht mehr verlangen. Auch ein Bes 
reicherungsanſpruch hierwegen gegen den Anſteigerer 
iſt ſchon angeſichts des rechtmäßigen Erwerbs dieſes 
letzteren ausgeſchloſſen. 

0 Siehe hierzu Güthe Anm. 1 zu § 24 3VG., 
Anm. 3 zu § 23 3G. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


Im Falle der Beſchlagnahme zum Zweck der Zwangs⸗ 
verwaltung verliert der Schuldner ohnehin gemäß 
8 148 Abi. 2 3G. das Verwaltungs: und Be⸗ 
nutzungsrecht und damit die Befugnis zu Ver⸗ 
fügungen irgendwelcher Art hinſichtlich der Grenz⸗ 
einrichtung. Soweit jedoch nach erfolgter Beſchlag⸗ 
nahme die Ablöͤſungsſumme, ohne fein Zutun, 
dadurch anfällt, daß der Nachbar das Anbaurecht 
gegen Zahlung der Ablöſungsſumme in Anſpruch 
nimmt, fällt die Ablöͤſungsſumme, weil die Be⸗ 
ſchlagnahme ſich auf dieſe nicht erſtreckt, dem 
Schuldner zu und es bleiben diesfalls auch frühere 
Verfügungen des Schuldners über fie wirkſam.“) 


Dies gilt ebenſo für den Ablöſungsanſpruch aus 


der Bewilligung der Gemeinſchaftsmauer, wie für 
den geſetzlichen 5 nach Art. 68 AG. 
im Fall der Mauererhöhung.““) 

g) Was endlich die Geltendmachung des Ver⸗ 
bots⸗ und Ablöſungsanſpruchs bei der neurecht⸗ 
lichen Gemeinſchaftsmauer anbelangt, ſo kann, wie 
ſchon erwähnt, der Eigentümer des Erſtbaugrund⸗ 
ſtücks gegen die in dem unbefugten Anbau liegende 
Beeinträchtigung ſeiner Eigentümerrechte mit der 
Beſeitigungs⸗ und Unterlaſſungsklage nach 8 1004 
BGB. vorgehen.“) Er kann aber auch aus dem 
zwiſchem ihm und dem Nachbarn beſtehenden Be⸗ 
nutzungsgemeinſchaftsverhältniſſe gegen Verletzungen 


0) Siehe Güthe Anm. 3 zu § 23 3G. (nach der Be⸗ 
ſchlagnahme hinzukommende Forderungen unterliegen 
dem Beräußerungsverbote nur, ſofern fie von der Be⸗ 
ſchlagnahme ergriffen werden); vgl. auch Güthe Anm. 10 
Abſ. 3 zu SS 20—21 3G. bez. der Verſicherungs⸗ 
forderungen. 

40) Für die nach Art. 68— 70 A. begründeten Ver⸗ 
bietungsanſprüche läßt Art. 77 den Verzicht des Be: 
rechtigten ohne Zuſtimmung etwaiger Reallaſt⸗ oder 
Hypothek⸗ uſw.⸗berechtigten zu, wenn er vor der Be⸗ 
ſchlagnahme des Grundſtücks zugunſten dieſer Dritt⸗ 
berechtigten erfolgte. Auch Art. 77 AG. erachtet dem⸗ 
gemäß nach der Beſchlagnahme eine e über 
die genannten Anſprüche durch den Beſchlagnahme⸗ 
ſchuldner nicht mehr für zuläſſig. Er geht dabei aller⸗ 
dings nach den Materialien (ſ. Pfirſtinger, Kommun⸗ 
mauer S. 41, 62 und Henle-Schneider Anm. 8 zu Art. 77 
hier von einer Gleichſtellung der Verbietungsrechte mit 
den nach $$ 1121, 1129 BGB. von der Hypothek um⸗ 
faßten Gegenſtänden aus; man hat hiernach hier dieſe 
Verbietungsrechte — die anderweit zutreffend nur als 
Erweiterungen des Eigentumsinhalts bezeichnet werden 
(Becher, Mat. Bd. I S. 468) — als eine Art ſelb⸗ 
ſtändiger, mit dem Grundſtück als Beſtandteile nach 
§ 96 BGB. verbundener ſubjektiv⸗dinglicher Rechte be: 
trachtet und ſolche Rechte unterliegen allerdings un⸗ 
mittelbar dem Veräußerungsverbot des 8 23 38. 
(Güthe Anm. ö zu 8 20-21 3G.) In der Tat handelt 
es ſich aber nicht bei dieſen Verbietungsrechten, noch 
weniger bei dem daraus im Anbaufall entſtehenden 
(perſönlichen) Ablöſungsanſpruch um ſelbſtändige Be⸗ 
ſtandteilsrechte. Der durch den Anbau dem Eigen⸗ 
tümer erwachſende perſönliche e 
wird daher auch in den Fällen des Art. 68—70 NG. 
durch die Beſchlagnahme nicht berührt (vgl. OL. 
München Seuff Bl. Bd. 72 S. 262). 

i) Ein Beſitzſchutzanſpruch des Eigentümers des 
Erſtbaugrundſtücks iſt durch S 866 BGB. ausgeſchloſſen 
(ſ. Staudinger Anm. 2 zu 3 866 BGB.). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


der durch dieſes begründeten Verbindlichkeiten der 
Nachbarn klagen. Da der Eigentümer des Nach⸗ 
bargrundſtücks durch Zahlung der Ablöſungsſumme 
in jedem Falle den Beſeitigungs⸗ oder Unterlaſſungs⸗ 
anſpruch ausſchalten kann, wird die Beſeitigungs⸗ 
und Unterlaſſungsklage zweckmaͤßig dahin gerichtet, 
daß der Beklagte zur Beſeitigung oder Unterlaffung 
oder Zahlung der Abloͤſungsſumme verurteilt werden 
ſolle.“) Dieſe Form der Klage iſt insbeſondere 
dann empfehlenswert, wenn von vornherein nur 
Streit über die Höhe der Ablöſungsſumme beſteht. 
Der Beklagte kann diesfalls durch Hinterlegung 
des von ihm berechneten Ablöſungsbetrags nach 
85 372 ff. BGB. der Verbotsklage begegnen. Auf 
Zahlung der Ablöſungsſumme ſchlechthin kann nur 
dann geklagt werden, wenn eine unmittelbare 
Zahlungspflicht des Beklagten gegenüber dem Kläger 
gegeben iſt. Dies iſt ohne weiteres der Fall, wenn 
zwiſchen den beteiligten Grundeigentümern über 
Höhe und Zahlbarkeit der Ablöſungsſumme eine 
ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde, aber 
auch ohne eine ſolche Vereinbarung, wenn der 
Nachbar unter den oben dargelegten, ſeine un⸗ 
mittelbare Zahlungspflicht begründenden Umſtänden 
den Anbau unternimmt. Die Klage auf Zahlung 
der Ablöſungsſumme ſtellt ſich als Klage aus dem 
Gemeinſchaftsverhältniſſe der beiden Grundſtiücks⸗ 
eigentümer dar und zwar regelmäßig als eine auf 
eine vereinbarungsmäßige Leiſtung aus dieſem Ver⸗ 
hältnis gerichtete (8$ 745, 748 BGB.), in den 
Fällen des Art. 68 AG. jedoch als Klage aus 
einem geſetzlichen Gemeinſchaftsanſpruch. 

Unter den Vorausſetzungen der 88 935, 916 
ZPO. kann das Verbotsrecht des Eigentümers 
des Erſtbaugrundſtücks durch einſtweilige Verfügung 
(Bauverbot), ſein Ablöſungsanſpruch durch Arreſt 
geſichert werden.“) Beſteht Streit über Ablöſungs⸗ 


) Ein demgemäß ergehendes Urteil hat jedoch 
nur die Tragweite, daß der Beklagte durch Zahlung 
der feſtgeſtellten Ablöſungsſumme die Vollſtreckung des 
Beſeitigungsanſpruchs abwenden kann; denn es handelt 
ſich bei dem hier zunächſt unterſtellten mittelbaren Ab⸗ 
löſungsanſpruch gegenüber dem Verbietungsanſpruch 
nur um eine fog. wahlweiſe Leiſtungsbefugnis des 
Schuldners, d. h. die Befugnis des Schuldners ſich von 
der unmittelbar geſchuldeten Leiſtung durch eine andere 
Leiſtung zu befreien. Eine Wahlſchuld im Sinne der 
85 262 — 264 BGB. liegt diesfalls nicht vor (ſ. hierüber 
Henle⸗Fiſcher Anm. 1 zu § 262 . RG RKomm. 
Anm. 1 zu 8262 BGB.). Treffen Verbietungs⸗ und 
unmittelbarer Ablöſungsanſpruch zuſammen, ſo handelt 
es ſich ebenfalls um keine Wahlſchuld im Sinne des 
8 262 BGB., ſondern um zwei nebeneinander dem 
Gläubiger zuſtehende Anſprüche. Doch ſteht auch 
diesfalls nichts im Wege, daß der Gläubiger auf 
alternative Verurteilung klagt und für die Vollſtreckung 
iſt dann § 264 BGB. entſprechend anwendbar (ſo 
ORG. Braunſchweig OLG. Bd. 8 S. 447). 

10) Ueber die Rechtsbehelfe des Arreſts und der 
einſtweiligen Verfügung ſ. insbeſondere Nützel Bay 3fR. 
1914 S. 184. Nützel vertritt die Anſicht, daß auch dem 
Erwerber des Ablöſungsanſpruchs durch Abtretung 
oder Pfändung das Verbietungsrecht und demgemäß 
das Recht auf deſſen Sicherung durch einſtweilige 


293 


pflicht oder Höhe der Ablöſungsſumme, ſo kann 
gemäß 8 940 ZPO. einſtweilige Verfügung auf 
Geſtattung des Weiterbaues gegen Hinterlegung 
der Ablöſungsſumme u. dgl. erlaſſen werden. 
Haben ſich jedoch die beteiligten Grundeigentümer 
über die Ablöſung der Gemeinſchaftsmauer ge 
einigt, ohne daß dabei die Bauerlaubnis von der 
Zahlung der Ablöſungsſumme abhängig gemacht 
wurde, ſo kann bei Nichterfüllung der über⸗ 
nommenen Zahlungspflicht nurmehr ein Arreſt für 
den Ablöſungsanſpruch, aber nicht mehr ein An⸗ 
bauverbot erlaſſen werden, da durch die Einigung 
der Parteien der Verbotsanſpruch des Eigentümers 
des Erſtbaugrundſtücks erledigt iſt. 


Die vorſtehenden Ausführungen haben verſucht, 
für die altübliche Münchener Gemeinſchaftsiauer 
auch auf dem Boden des neuen Rechts eine den 
Anſchauungen des hieſigen Baulebens und ben 


Berfügun 
Beſchluß 


zuſtehe. Der von ihm (Note 2) angeführte 
es OLG. München vom 5. Mai 1913 ſpricht 
auch aus, im Zweifel müſſe als Abſicht der Parteien 
angenommen werden, daß mit der Abtretung des Ab⸗ 
löſungsanſpruchs auch der Verbietungsanſpruch des 
Hauseigentümers mit übertragen werden ſolle. Man 
wird jedoch richtig den Verbietungsanſpruch als eine 
mit dem Eigentum des Erſtbaugrundſtücks untrennbar 
verbundene und daher ſelbſtändig nicht übertragbare 
Befugnis betrachten müſſen; ſ. des näheren hinſichtlich 
der Untrennbarkeit der Benutzungsrechte aus der Grenz⸗ 
einrichtung von dem Eigentum der Nachbargrundſtücke 
Turnau⸗Förſter, Liegenf HR. Anm. 4 zu 88 921—922 
BGB.; RGRKomm. Anm. 5 zu 8 921; Staudinger 
Anm. II 3 zu 8 922 BGB. Das gleiche muß aber von 
den aus dem Benutzungsrechte erwachſenden Unter⸗ 
e eee gelten (ſ. Staudinger Anm. 2 d 
zu 8 398 BGB. und Anm. 2 d zu 8 399 BGB.; 
Oertmann, Recht der Schuldverh. Anm. 1a 5 und 
Anm. 1g 5 zu 8 399 BGB.; RG. Seuff A. Bd. 56 
Nr. 227; RG. 37, 176; RG. Gruchot Bd. 54 S. 943. 
Derartige Befugniſſe ſind auch nicht ſelbſtändig pfänd⸗ 
bar (ſ. Stein Anm. I 1, I 5, II 8 zu $ 857 3PO.). 
Immerhin kann in der Abtretung des Ablöſungsan⸗ 
ſpruchs zugleich die Ermächtigung des Erwerbers durch 
en abtretenden Eigentümer gefunden werden, deſſen 
Verbietungsrecht gegebenenfalls zur Durchſetzung des 
Ablsſungsanſpruchs ſelbſtändig geltend zu machen. 
Damit iſt nach den in RG. 53, 410 und 64, 168, 
ſowie Gruchot Bd. 54 S. 943 entwickelten Grundſätzen 
auch das Recht des Erwerbers gegeben, das Verbietungs⸗ 
recht ſelbſtändig im Prozeß zu verfolgen. Ebenſo wird 
im Hinblick auf § 857 Abſ. 3 ZPO. eine Pfändung des 
Verbietungsrechts durch den Erwerber des Ablöſungs⸗ 
anſpruchs inſoweit zuzulaſſen ſein, als die Ausübung 
des Verbietungsrechtes zur Durchſetzung des Ablöſungs⸗ 
anſpruchs in Frage kommt (ſ. hierzu Stein Anm II Ziff. 8 
Note 119 und Anm. I Ziff. 5 Note 34 zu § 857 3PO. 
betr. den Anſpruch auf Grundbuchberichtigung und RG. 
Gruchot Bd. 54 S. 943). Da es ſich hierbei nur um die 
der Durchſetzung des Ablöſungsanſpruchs dienenden Ver⸗ 
bietungsbefugniſſe handelt, kommt bei der Zulaſſung 
der Pfändung in dieſem Umfang auch keine unzuläſſige 
Aenderung des Inhaltes des Verbietungsrechtes in 
Frage (8 851 ZBO. mit $ 399 BGB.); vgl. dazu be⸗ 
züglich der Pfändung des Anſpruchs auf Schuldbefreiung 
Stein Note 22 zu § 851 ZPO. und RG. Gruchot Bd. 56 
S. 923 (JW. 12 S. 857), RG. 80, 183; OLG. Bd. 22 
S. 387. 


294 


Anforderungen der Billigkeit genügende feſte Rechts: 
grundlage zu gewinnen. Sie find dabei von dem 
Standpunkt der unbedingten Scheidung des Eigen⸗ 
tums der Nachbargrundſtücke nach dem Grenzlauf 
ausgegangen. Denn es iſt nicht zu erwarten und 
im Intereſſe klarer Eigentumsverhältniſſe nicht ein: 
mal zu wünſchen, daß das Reichsgericht von ſeinem 
dahingehenden bis jetzt mit Entſchiedenheit feſt⸗ 
gehaltenen Standpunkt ſich durch die untergericht⸗ 
liche Rechtſprechung abdrängen laſſen wird. In 
der Grenzanlage des BGB. haben dagegen unſere 
Ausführungen diejenige Rechtseinrichtung zu finden 
geglaubt, die es ermöglicht, für alle Arten der 
Gemeinſchaftsmauern, die des alten, des Ueber⸗ 
gangsrechts und des neuen Rechts, eine einheitliche 
und für den ganzen Entwicklungsgang dieſer Mauern 
maßgebende Rechtsgrundlage zu ſchaffen, und dabei 
unter eingehender Berückſichtigung des Willens der 
Beteiligten die Verhaltniſſe aller dieſer Mauern 
im weſentlichen gleichheitlich zu ordnen. Sie haben 
endlich, indem ſie auch die neurechtliche Gemein⸗ 
ſchaftsmauer auf den Boden eines nachbarrecht⸗ 
lichen Verhältniſſes geſtellt haben, der von Brauch 
und Billigkeitsgefühl in München immer feſtgehal⸗ 
tenen Forderung zu genügen geſucht, daß auch der 
ipätere Erwerber des Nachbaranweſens für die Ab: 
löſung der Gemeinſchaftsmauer aufzukommen hat. 
Es wäre erfreulich, wenn ſie ſo dazu beizutragen 
vermöchten, den bedauerlichen Wirrwarr der Mei⸗ 
nungen und Rechtsfolgerungen auf dieſem Gebiete 
zu klaren, der bereits zu berechtigten Klagen in 
der Tagespreſſe geführt hat, ohne daß auch hier 
wieder durch ein Eingreifen des Geſetzgebers die Ohn⸗ 
macht der Rechtslehre und Rechtſprechung bezeugt 
werden müßte. 


Jechts kräftige Urteile und Nechtswidrigkeiten 
der Beteiligten im Verfahren der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit. 


Von Rechtsanwalt Dr. Engen Jofel in Freiburg i. Br. 


In DIZ. 1913, 972 behandelt Ermel folgenden 
bisher nicht erörterten Fall: Ich habe den Erb: 
anteil meines Schuldners gepfändet und da deſſen 
Miterbe mir jede Anteilnahme am Nachlaß ver⸗ 
weigert, wird er auf meine Klage rechtskräftig 
verurteilt, ſich mit mir auseinanderzuſetzen. Nun⸗ 
mehr beantrage ich beim Nachlaßgericht gemäß 
§ 86 JGG. die Auseinanderſetzung; hier lehnt 
jedoch der Miterbe wiederum die Teilung mit mir 
ab. Nun beſtimmt der § 95 Satz 1 86G. 

Ergeben ſich bei den Verhandlungen Streit— 
punkte, ſo iſt ein Protokoll darüber aufzu— 
nehmen und das Verfahren bis zur Er— 
ledigung der Streitpunkte auszuſetzen. 


— nn 
—— 4 —2—6 mmm  n 


Danach ſcheint es, als müſſe in unſerm Fall 
das Nachlaßgericht das Verfahren bis zur Er⸗ 
ledigung der Streitpunkte ausſetzen. Ermel lehnt, 
wenn auch zweifelnd, dieſe Folgerung ab: es ſei 
ein übertriebener Formalismus zu verlangen, daß 
der Sieger im Prozeß auf den mutwilligen aus: 
ſichtsloſen Widerſpruch des Gegners hin gehalten 


ſein ſoll, noch einmal den Prozeß zu führen, der 


zu keinem andern Ergebnis führen könne als der 
Vorprozeß. Es liege hier ein Streitpunkt eben⸗ 
ſowenig vor, wie in dem Fall, wo der während 
des Verfahrens erhobene Widerſpruch rechtskräftig 
zurückgewieſen iſt. Die Rechtskraft des Urteils 
mache nicht Halt vor den Toren des Auseinander⸗ 
ſetzungsverfahrens, ſondern äußere auch für dieſes 
ihre Wirkung. 

Der von Ermel beſprochene Fall wird nun in 
dieſer Geſtalt, daß alſo der Unterlegene ſein Ver⸗ 
halten mit dem rechtskräftigen Urteil ohne jede 
Begründung in Widerſpruch ſetzt, kaum vor⸗ 
kommen; das Gewöhnliche iſt, daß der Unterlegene 
vor dem Nachlaßgericht die Richtigkeit des ergangenen 
Urteils bemängelt, ſo insbeſondere darauf hinweiſt, 
daß das Urteil ein Verſäumnisurteil ſei, das ohne 
ſeine Schuld rechtskräftig geworden ſei. Die von 
Ermel aufgeworfene Frage läßt ſich danach für 
den von ihm beſprochenen Einzelfall nicht entſcheiden, 
erfordert vielmehr einen allgemeineren Ausgangs⸗ 
punkt; denn fie tritt in anderen Verfahrensarten 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit gleichfalls hervor. 
In der Praxis iſt folgender Fall vorgekommen: 
A beantragte mit der Behauptung, er ſei als ſtiller 
Geſellſchafter am Handelsgewerbe des X beteiligt, 
das Amtsgericht möge gemäß $ 338 Abſ. 3 HGB. 
mit $ 145 FGG. anordnen, daß ihm X ſoſort 
die Geſchäftsbücher vorlege. Der vom Gericht hier⸗ 
über gehörte X (8 146 Abſ. 1 FGG.) lehnte dies 
ab unter Ueberreichung eines rechtskräftigen Urteils, 
durch das der Antragſteller A auf die Klage des 
X verurteilt war, anzuerkennen, daß eine ſtille 
Geſellſchaft zwiſchen ihnen gar nicht beſtehe. A wies 
dagegen darauf hin, daß dies Urteil ein Verſäͤumnis⸗ 
urteil ſei, das durch Verſchulden ſeines Anwalts 
rechtskräftig geworden ſei. Er machte dies ſowie 
weiter glaubhaft, daß tatſächlich die ſtille Geſellſchaft 
beſtehe, das Urteil des Prozeßgerichts alſo un⸗ 
richtig ſei. Muß das Gericht der freiwilligen Ge⸗ 
richtsbarkeit auf dieſe Bemängelung des Urteils 
eingehen? oder wie iſt es zu begründen, daß das 
Gericht ſie unbeachtet laſſen kann und muß? Ein 
anderer hierher gehöriger Fall: Zwiſchen X und 
mir beſteht eine offene Handelsgeſellſchaft, die wir 
durch Vereinbarung aufgelöſt haben. Darauf be⸗ 
antragt X, das Amtsgericht möge gemäß $ 146 
Abſ. 2 HGB. mit $ 145 FSB. einen Liquidator 
beſtellen; das Amtsgericht hört mich hierüber und 
ich überreiche ein rechtskräftiges Urteil, wonach ich 
laut Geſellſchaftsvertrag oder wegen Verfehlungen 


des X zur Uebernahme des Geſchaͤfts im ganzen 
‚ (83 142, 140 HGB.) berechtigt bin, eine Liqui⸗ 


Zeit ſchrift für Rechtspflege in Bayern. in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 295 


dation alſo gar nicht ſtattfinden kann.!) X be⸗ 
mängelt die Richtigkeit dieſes Urteils, weil es tat⸗ 
ſächliche wie rechtliche Irrtümer enthalte und nur 
durch Verſchulden ſeines Anwalts rechtskräftig ge⸗ 
worden ſei. Oder um noch einen dem eingangs 
erwähnten ähnlichen Fall anzuführen: Geſetzliche 
Erben des A find geworden ich und mein Bruder; 
dieſer verweigert mir jede Anteilnahme am Nachlaß 
unter Berufung auf ein Teſtament, in dem A ihn 
zum Alleinerben eingeſetzt habe. Nun wird mein 
Bruder auf meine Klage rechtskräftig verurteilt, 
die Nichtigkeit des Teſtaments und mein geſetzliches 
Miterbrecht anzuerkennen; darauf beantrage ich 
beim Nachlaßgericht die Auseinanderſetzung und in 
dieſem Verfahren beſtreitet mein Bruder wiederum 
mein Miterbenrecht. Auch in dieſen beiden Fällen 
erhebt ſich die oben geſtellte Frage. 

Die Frage nach der Einwirkung des Prozeß⸗ 
urteils auf die Entſcheidungen des Gerichts der 
freiwilligen Gerichtsbarkeit iſt vielfach erörtert ) 
und ſoll hier nicht in ihrer ganzen Bedeutung, 
ſondern nur für Faͤlle der oben beſprochenen Art 
erörtert werden. Behufs Abgrenzung dieſer von 
den anderen in dieſer Frage in Betracht kommenden 
Fällen ſeien hier folgende Fälle — rein gegenſäͤtzlich 
— erwähnt: 

A beantragt als Teſtamentserbe für ſich den 
Erbſchein; der hiervon unterrichtete B widerſpricht 
dem vor dem Nachlaßgericht mit der Behauptung, 
der Erblaſſer ſei geiſteskrank geweſen; die vom Nach⸗ 
laßgericht angeordnete Beweisaufnahme (vgl. OLG. 
Jena in RIA. 1, 177) ergibt aber die völlige Zu⸗ 
rechnungsfähigkeit des Erblaſſers, und das Nachlaß⸗ 
gericht erteilt daher dem A den Erbſchein. B be⸗ 
ruhigt ſich hierbei nicht, ſondern klagt gemäß 8 2362 
gegen A mit dem Antrag auf Verurteilung des 
A, das Alleinerbrecht des B anzuerkennen, den 
Nachlaß herauszugeben und über deſſen Verbleib 
Rechnung zu legen, auch den Erbſchein an das 
Nachlaßgericht abzuliefern; der Beklagte A wider⸗ 


find maßgebend die SS 2359, 2361, und danach 
kann es dem Sieger B den Erbſchein nur erteilen, 
wenn es deſſen Erbrecht für feſtgeſtellt erachtet und 
den früher erteilten Erbſchein nur einziehen, wenn 
ih deſſen Unrichtigkeit ergibt. Hier aber erfieht 
das Nachlaßgericht aus dem Verſäumnisurteil nicht 
nur nicht die Unrichtigkeit des erteilten Erbſcheins, 
ſondern es erſieht 1 aus den Prozeßakten 
deſſen Richtigkeit, d. h., daß der Erblaſſer zu⸗ 
rechnungsfähig, das Teſtament alſo gültig iſt und 
dem Sieger B danach kein Erbrecht zuſteht. Un⸗ 
möglich kann das Nachlaßgericht verpflichtet ſein, 
ein unrichtiges Zeugnis in die Welt zu ſetzen, 
nur weil — entſprechend dem Verhandlungsgrund⸗ 
ſatze des Prozeßrechts — ein der wahren Sachlage 
widerſprechendes Urteil vorliegt! 

Ein aͤhnlich liegender Fall iſt folgender: A iſt 
am 1. Mai abends um 11 Uhr geſtorben mit 
Hinterlaſſung eines Teſtaments, durch das er den 
zum Erben beruſt; nun iſt der Erbe X gleich⸗ 
falls am 1. Mai geftorben, und zwar laut ftandes- 
amtlicher Anzeige feines Sohnes um 11 Uhr, 
ſo daß er alſo den Erbfall erlebt und danach die 
Erbſchaft auf ſeinen Sohn, als ſeinen geleglichen 
Erben, übertragen hat (8 1923 Abſ. 1). Ein Vetter 
des A, der ſein geſetzlicher Erbe ſein würde, be⸗ 
hauptet nun, daß der eingeſetzte Erbe X bereits 
vor 11½ Uhr geſtorben fe und daß X ſonach 
den Erbfall nicht mehr erlebt hat und die Erb⸗ 
ſchaft daher ihm — dem geſetzlichen Erben — zu⸗ 
gefallen ſei; er kann indes den Erbſchein nicht 
erlangen, da er hierzu den Zeitpunkt des Todes 
durch eine öffentliche Urkunde, alſo durch die Sterbe⸗ 
urkunde nachweiſen muß; dieſe ſteht aber ſeinem 
Erbrecht entgegen. Der Vetter erhebt daher Klage 
gegen X, in der er auf Grund des Sachverhalts 
— alſo weil im Standesregiſter die Todeszeit 
unrichtig angegeben ſei — die Verurteilung des 
X beantragt, das alleinige Erbrecht des Vetters 
anzuerkennen und ihm den Nachlaß herauszugeben. 


ſpricht dem, und die vom Prozeßgericht one Es ergeht gegen Kein rechtskräftiges Verſaͤumnis⸗ 
Beweisaufnahme ergibt wiederum die völlige Zu: urteil, in dem feſtgeſtellt wird, daß die Angabe 
rechnungsfähigkeit des Erblaſſers, alſo daß der der Klageſchrift über die Todesſtunde als zuge⸗ 
erteilte Erbſchein richtig iſt. Nun wird aber der 
Beklagte A im Lauf des Rechtsſtreits flüchtig; ſein | Vetter dem Amtsgericht vor, damit dieſes im Ber: 


Anwalt tritt nicht mehr für ihn auf und es ergeht 
gegen ihn ein rechtskräftiges Verſäumnisurteil nach 
dem oben wiedergegebenen Antrage des Klägers B; 
dieſem gelingt es auch, aus der zurüdgelaffenen 
Habe des A den Erbſchein wegzunehmen und ihn 
dem Nachlaßgericht abzuliefern. Jetzt beantragt 


der Sieger B, das Nachlaßgericht ſolle den Erb⸗ 
tigung des Standesregiſters zu entſcheiden hat (8 66 


ſchein vernichten und dem B einen neuen erteilen. 
Dieſen Antrag muß das Nachlaßgericht unter allen 
Umſtänden ablehnen: denn für ſeine Entſchließung 


1) Staub, Anm. 9 zu $ 145 HGB. 

9) Kuttner in der Feſtgabe für Gierke und für 
Martitz, ſowie in Iherings Jahrb. 59, 393; Unger in 
33P. 41, 194; Joſef in KGBl. 11, 120 und in Iherings 
Jahrb. 61, 197 ſowie in 88. 43, 365. 


ſtanden angeſehen werde. Dieſes Urteil legt der 
fahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gemäß 5 66 
PerſStG. die Berichtigung der Todesſtunde im 
Standesregiſter anordne. Iſt das Amtsgericht nun 
an dieſe rechtskräftige Feſtſtellung gebunden, ſo 
daß es alſo die Berichtigung anordnen muß? 
Keineswegs. Das Amtsgericht, das im Verfahren 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit über die Berich⸗ 


PerſStG.), hat nach $ 12 FGG. den wahren Sad): 
verhalt ſelbſtändig feſtzuſtellen und iſt an ein Urteil 
des Prozeßgerichts nicht ſchlechthin gebunden. Denn 
die Wirkung der Rechtskraft beſtimmt ſich nur nach 
den Vorſchriften der Zivilprozeßordnung, und dieſer 
Grundſatz gilt nicht bloß für die Parteien, ſondern 
auch für die Behörden jeder Art. 


— — an 


296 


Oder endlich: Ein Aktionär hat in der General: 
verſammlung gegen den Verſammlungsbeſchluß, 
weil er auf Verletzung des Geſetzes beruhe, Wider⸗ 
ſpruch erhoben und dieſen durch Klage verfolgt 
($ 271 HGB.); die Klage iſt aber abgewieſen wor: 
den, weil das Prozeßgericht die behauptete Geſetzes⸗ 
verletzung nicht als vorliegend anſah. Nunmehr be⸗ 
antragt der Vorſtand die Eintragung des Beſchluſſes; 
iſt jene Anſicht des Prozeßgerichts für das Regiſter⸗ 
gericht bindend? Keineswegs. Die Denkſchrift zu 
8 16 HGB. führt hierüber aus: „Nicht angängig 
iſt es, einer Entſcheidung des Prozeßgerichts, die 
einen Widerſpruch für unbegründet erklärt, bindende 
Wirkung gegenüber dem Regiſtergericht zu verleihen; 
ſonſt würden es die Parteien, da ihre Behaup⸗ 
tungen und Erklärungen für den Ausgang des 
Zivilprozeſſes maßgebend find, in der Hand haben, 
unzuläſſige Eintragungen durch ihr beiderſeitiges 
Einverſtändnis herbeizuführen. Es kann in dieſer 
Beziehung bei dem tatſächlichen Einfluß bewenden, 
05 eine Prozeßentſcheidung für den Regiſterrichter 

at “u 


Ganz anders als die eben gedachten Fälle 
der Erteilung des Erbſcheins, der Anordnung 


der Standesregiſterberichtigung ſowie der Ein⸗ 


tragung von Verſammlungsbeſchlüſſen liegen aber 
die eingangs beſprochenen Fälle. Während das 
Gericht bei Erteilung des Erbſcheins, bei Eintra⸗ 
gungen in öffentliche Regiſter ein Zeugnis zum 
öffentlichen Glauben auszuſtellen oder beweiskräftig 
den Regiſterinhalt herzuſtellen, danach Tatſachen 
zu ermitteln und ihre Rechtswirkſamkeit zu unter⸗ 
ſuchen hat, hat es, wenn es um die Ausein⸗ 
anderſetzung der Miterben, um Beſtellung von 
Liquidatoren, um Anordnung der Geſchaftsbücher⸗ 
vorlegung angegangen wird, nur die Rechtslage 
der Beteiligten zu regeln. Bei der hiernach er⸗ 
forderlichen Ermittelung der gegenwärtigen Rechts⸗ 
lage kommt aber in Betracht, daß das Urteil nach 
5 322 ZPO. unter den Parteien Rechtskraft ſchafft, 
daß folglich ſich jedes dem Urteil widerſprechende 
Verhalten des Unterlegenen als eine von ihm gegen 
den anderen verübte Rechtswidrigkeit darſtellt, 
der die Rechtsordnung unter allen Umſtänden die 
Anerkennung verſagen muß. Folglich muß das 
Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wenn es 
um die Auseinanderſetzung oder um die Entſchei⸗ 
dung der in § 145 JGG. bezeichneten Streitig⸗ 
keiten angegangen wird, ſeine Entſcheidung dem 
rechtskräftig feſtgeſtellten Rechtszuſtand anpaſſen 
und einem dieſem widerſprechenden Verhalten der 
Beteiligten die Berückſichtigung verſagen. 

Etwas anders liegt folgender Fall: Der Käufer 
hat gegen den Verkäufer ein Urteil erſtritten, wo⸗ 
nach er zur Fortführung der Firma berechtigt iſt; 
dennoch beantragt der Verkaͤufer gegen ihn das 
Ordnungsſtraſverfahren wegen Firmenmißbrauchs. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


Dies Verfahren iſt (im Gegenſatz zu den eben be- 
ſprochenen Fällen des $ 145 FGG.) kein Antrags- 
verfahren, ſondern ein Amtsverfahren, bei dem 


der angeblich in ſeinem Firmenrecht Verletzte nur 
Anregung’) zur Ermittelung des Sachverhalts 
bietet. Aber wie das Verfahren abzulehnen iſt, 
wenn der angeblich Verletzte in die Fortführung 
der Firma gewilligt hat, ſo iſt es auch abzu⸗ 
lehnen, wenn dieſe ſeine Einwilligung durch Ur⸗ 
teil erſetzt iſt. Dient ſonach das Urteil zum Er⸗ 
ſatz der Einwilligung, ſo iſt es wie eine wirklich 
vorhandene Einwilligung zu behandeln, folglich für 
das Regiſtergericht bindend. — Das gleiche gilt 
von allen rechtsgeſtaltenden Urteilen: das 
Urteil, durch das einem Geſellſchafter die Geſchaͤfts⸗ 
führung entzogen oder die Geſellſchaft aufgelöft 
wird (88 117, 133 HGB.), dient dem Ergebnis 
nach nur als Erſatz der Willenserklärung, durch 
die der Unterlegene den Zuſtand freiwillig hätte 
herbeiführen ſollen, der jetzt durch Urteil geſchaffen 
wird. Dies Urteil iſt alſo im Verhältnis der 
Parteien bindend ganz wie ein Vertrag, folglich 
auch für das Verfahren der freiwilligen Gerichts⸗ 
barkeit, in dem die Rechtslage der Beteiligten ge: 
regelt werden ſoll; d. h. alſo: in dieſem Verfahren 
iſt die Entſcheidung dem urteilsmäßigen Rechts⸗ 
zuſtand anzupaſſen; ein dieſem widerſprechendes 
Verhalten iſt als eine Rechtswidrigkeit gegen den 
Gegenbeteiligten unberückſichtigt zu laſſen.“ 

Aus Erwägungen dieſer Art iſt auch die ein⸗ 
gangs erwähnte, von Ermel aufgeworfene Frage 
zu entſcheiden: Wenn der zur Augseinanderſetzung 
verurteilte Erbe im Auseinanderſetzungsverfahren 
wiederum die Auseinanderſetzung verweigert, ſo hat 
das Nachlaßgericht dieſe Weigerung unberüdfichtigt 
zu laſſen und den Teilungsplan (8 93 JGG.) 
aufzuſtellen, alſo z. B. dahin, daß der für die 
Erben hinterlegte Betrag zu gleichen Teilen dem 
Antragſteller und ſeinem Gegner zuzuweiſen iſt. 
Verweigert dieſer die Unterſchrift des Protokolls, 
ſo klagt der Antragſteller gegen ihn nur auf Voll⸗ 
ziehung des Protokolls, alſo auf Einwilligung in die 
den geſetzlichen Vorſchriften entſprechende Teilung des 
vorhandenen Nachlaſſes. Aber die Verpflichtung zur 
Auseinanderſetzung ſelbſt, das Miterbenrecht des 
Antragſtellers u. dgl. muß das Nachlaßgericht als 
unſtreitig behandeln. Vgl. Joſef in Gruchots Beitr. 
49, 32 ff. 

Das Ergebnis dieſer Unterſuchung iſt hiernach: 

Wo das Verfahren der freiwilligen Gerichts: 
barkeit nur dahin zielt, die Rechtslage der Be⸗ 
teiligten auf der Grundlage ihrer Erklaͤrungen zu 
regeln (ſo bei der Auseinanderſetzung und bei 
Streitigkeiten der in 8 145 FGG. bezeichneten Art), 
muß das Gericht zunächſt die gegenwärtige Rechts⸗ 
lage ermitteln. Iſt dieſe durch Urteil geregelt, 
ſo ſtellt ſich jedes dem Urteil widerſprechende Ver⸗ 
halten des Unterlegenen nach $ 322 ZPO. als eine 
von ihm gegen den anderen verübte Rechtswidrig— 
keit dar, der die Rechtsordnung, ſonach auch das 

) Vgl. Joſef, FGG., 2. Aufl. Anm. 1 zu § 132. 

) Vgl. Joſef in Holdh Schr. 22, 187— 189. 


5 ieee ee ee ee 


Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Aner⸗ 
kennung zu verſagen hat. Das gleiche gilt, wenn 
durch das Urteil eine Willenserklärung, insbe⸗ 
ſondere eine Einwilligung (3. B. zu einem be⸗ 
ſtimmten Verhalten des Unterlegenen oder zur 
Fortführung der Firma) erſetzt iſt, da das Urteil 
hier die Wirkung einer rechtsgeſchäftlichen Er⸗ 
klärung hat. 


Kleine Mitteilungen. 


Zu 9 264 Sts. Fallen unter 8 264 a 
St GB. nur körperliche (bewegliche) Sachen 
oder auch ſonſtige Vermögens vorteile, z. B. 
Nachtquartier, Bahnfahrt u. dgl.? So⸗ 
weit ich die Rechtſprechung überblicken kann, iſt dieſe 
Frage bisher oberrichterlich nicht entſchieden. Für 
die engere Auslegung, (daß nur körperliche Sachen 
als Gegenſtand des 8 264 a StGB. in Betracht 
kommen), haben ſich ausgeſprochen: Frank, Komm. z. 
StGB. und im Nachtrag zum Strafgeſetzbuche 8 264 a 
Anm. II S. 13. (anders in der kürzlich erſchienenen 
11.— 14. Auflage — Anm. des Herausgebers) und an⸗ 
ſcheinend auch Olshauſen S. 1121 oben. 

Nun ſpricht allerdings anſcheinend der Wort⸗ 
laut des 8 264 a für dieſe engere Auslegung. M. E. 
muß man aber als Gegenſtand des 8 264 a ſämtliche Vers 
mögensvorteile aller Art gelten laſſen, wenn man den 
Zweck und die Entſtehungsgeſchichte des 8 264 a be⸗ 
rückſichtigt. Dieſer Auslegung ſteht auch keineswegs 
die Ausdrucksweiſe des 8 264 a entgegen. 

l. Zweck und Entſtehungsgeſchichte des 
8 264a: Die Schaffung des 8 248 a, wie auch des 
8 264 a iſt dem Beſtreben entſprungen, bei geringfügigen 
und aus Not begangenen Vermögensdelikten, beſon⸗ 
ders dann, wenn Rückfall in Frage kommt, eine viel 
mildere Beurteilung und geringere Beſtrafung ein⸗ 
treten zu laſſen, als dies vor der Strafgeſetznovelle 
möglich war (vgl. Verh. des Reichstages XII. Legis⸗ 
laturperiode I. Seſſion Band 253, Anlagen zu den 
ſtenographiſchen Berichten Nr. 1120 — 1285 S. 7679, 
woſelbſt die Begründung für den Notdiebſtahl und 
die Notunterſchlagung abgedruckt iſt). Dabei muß der 
wahre Wille des Geſetzgebers erforſcht werden. Daß 
nun dieſer Wille dahin gegangen iſt, auch andere Ver⸗ 
mögensvorteile außer den körperlichen beweglichen 
Sachen zu bevorzugen, ergibt ſchon die einfache Logik. 
Denn es wäre doch unverſtändlich, warum ein Not⸗ 
betrug hinſichtlich eines Geldbetrages von 1—2 M 
bevorzugt werden wollte, wäbrend ein Notbetrug eines 
armen Handwerksburſchen hinſichtlich eines Nacht- 
quartiers im Werte von 20 oder 30 Pfg. von dieſem 
Vorzug ausgeſchloſſen ſein ſollte. 

Aber auch aus der Entſtehungsgeſchichte des 
8 264 a ergibt ſich der wahre Wille des Geſetzgebers. 
Dieſer Paragraph war nämlich in der Regierungs⸗ 
vorlage überhaupt nicht vorgeſehen (vgl. Verhandlgn. 
des Reichstags XII. Leg.⸗Per. I. Seſſion Bd. 253, Ans 
lagen zu den ſtenographiſchen Berichten Nr. 1120 bis 
1285 S. 7672 ff.). Der Notbetrugsparagraph wurde 
vielmehr erſt von der Unterkommiſſion der Reichstags⸗ 
kommiſſion geſchaffen, und zwar wurde der $ 264 a 
einfach dem 8 248 a nachgebildet. Gerade dieſe 
„Nachbildung“ iſt weſentlich für die Auslegung des 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 ı u. 15. 


297 


8 264 a. In dem Berichte der 7. Kommiſſion (vgl. 
Verh. des Reichstags XII. Leg.⸗Per. Il. Seſſion, Uns 
lagen zu den ſtenographiſchen Berichten Nr. 341—405 
S. 2096) heißt es (bezüglich des 8 264 a): 

„Im Verfolg eines bereits in der Kommiſſion 
geſtellten Antrages chlug die Unter⸗ 
kommiſſion vor, die aus Not begangenen kleineren 
Betrügereien von den ſchweren Strafen des Be⸗ 
trugs, namentlich des Rückfallbetrugs auszunehmen 
und nur auf Antrag zu ver folgen. Sie hat daher 
dem die kleinen Notdiebſtähle privilegierenden 
8 248 a des Regierungsentwurfes, auf deſſen An⸗ 
nahme zu rechnen ſei, einen die kleinen Notbe⸗ 
trügereien betreffenden 8 264 a nachgebildet“. 


Darnach kann nicht der mindeſte Zweifel obwalten, 
daß man mit dem 8 264 a alle kleineren Betrügereien 
(aus Not) bevorzugen wollte, ohne Unterſchied des 
Gegenſtandes. Die Faſſung des 8 264 a wurde dann 
verſehentlich nicht erſchöpfend, weil man eben den 
8 264 a dem 8 248 a nachbildete und dabei übers 
ſah, daß im Gegenſatze zum Diebſtahl und der Unter⸗ 
ſchlagung Gegenſtand des Betrugs auch ein anderes 
Vermögensſtück ſein kann, als eine körperliche Sache. 

ll. Ausdrucks weiſe des Strafgeſetzbuchs: 
In erſter Linie gilt allerdings der Grundſatz, daß 
bei Auslegung eines Geſetzes vor allem deſſen Aus⸗ 
drucksweiſe im Auge behalten werden muß. Man 
darf nicht den Ausdruck eines Geſetzes nach dem Sinne 
des gleichen Ausdruckes eines anderen Geſetzes aus⸗ 
legen. Es wäre deshalb auch an ſich nicht zuläſſig, 
ohne weiteres einen Ausdruck des Strafgeſetzbuches 
im Sinne des gleichen Ausdruckes des Bürgerlichen 
Geſetzbuches auszulegen. Allein dieſer Grundſatz er⸗ 
leidet hier um deswillen eine Ausnahme, weil die No⸗ 
velle zum Strafgeſetzbuche ſich ſelbſt nicht mehr an 
die Ausdrucksweiſe des Strafgeſetzbuches gehalten hat, 
ſondern unter deren Nichtberückſichtigung den Ausdruck 
„Gegenſtand“ gebraucht, obwohl dieſer dem Strafgeſetz⸗ 
buche (ſoweit Vermögensdelikte in Betracht kommen) 
vollſtändig fremd iſt. Weder der 8 242 (Diebſtahl), 
noch der 8 246 (Unterſchlagung) kennt den Begriff 
„Gegenſtand“, beide Paragraphen kennen nur den 
Ausdruck „(fremde) bewegliche Sache“. Dagegen ſpricht 
auch nicht der Umſtand, daß in 8 243 Nr. 1 der Aus⸗ 
druck „Gegenſtand“ vorkommt, denn dort handelt es ſich 
nicht um einen beſtimmten allgemeinen Begriff binſicht⸗ 
lich des Diebſtabls, ſondern um ganz beſtimmt bezeichnete 
Gegenſtände, nämlich Gegenſtände, welche dem Gottes⸗ 
dienſte geweiht ſind. Wie ſoll nun der Begriff „Gegen⸗ 
ſtand“ ausgelegt werden, da er der Ausdrucksweiſe 
des Strafgeſetzbuchs (hinſichtlich der Vermögensdelikte) 
völlig fremd iſt ? 

Iſt dies an der Hand des Strafgeſetzbuches nun 
nicht möglich, ſo kann ich kein Hindernis ſehen, daß 
der Ausdruck ausgelegt wird im Sinne des Bürger⸗ 
lichen Geſetzbuches, beſonders wenn man berückſichtigt, 
daß dieſes zur Zeit der Strafgeſetznovelle ſchon un⸗ 
gefähr 12 Jahre lang galt. 

Dann aber iſt es unbedenklich, unter den 8 264 a 
StGB. ſämtliche Vermögensgegenſtände zu bringen. 

Es beſtimmt nämlich 8 90 BGB.: Sachen im 
Sinne des Geſetzes ſind nur körperliche Gegenſtände. 
Da aber die Strafgeſetznovelle den Ausdruck „Sache“ 
nicht mehr beibehalten hat (ſ. 88 248 a, 264 a StGB.), 
da ſie ferner den Ausdruck „körperliche“ Gegen⸗ 
ſtände nicht aufgenommen hat, ſondern nur den Aus⸗ 


druck „Gegenſtände“ ohne jeden Beiſatz gewählt bat, 
ſo ergibt ſich, daß der Ausdruck „Gegenſtand“ nicht 
gleichbedeutend ſein kann mit „körperlicher“ Gegenſtand 
oder „Sache“. 

Nun enthält das Bürgerliche Geſetzbuch keine 
Begriffsbeſtimmung für den „Gegenſtand“. Aus den 
verſchiedenen Vorſchriften aber, in denen der „Gegen⸗ 
ſtand“ genannt wird, ergibt ſich jedenfalls ſoviel, daß 
fein Begriff weiter gebt als der der Sache. Nach der 
Rechtſprechung des Reichsgerichtes gehört dazu alles, 
was Beſtandteil des Vermögens einer Perſon ſein 
kann, alſo außer den Sachen⸗ und Vermögensrechten 
ſogar tatſächliche Verhältniſſe, ſofern ſie einen Ver⸗ 
mögenswert haben (ſ. RGRKomm. 8 90 Anm. 3; 
Staudinger (7./8.] Bd. I S. 336 Anm. 4). Der Aus⸗ 
druck „Gegenſtand“ umfaßt (körperliche) Sachen und 
andere (unlörperliche) wirtſchaftliche Güter (ſ. Fiſcher⸗ 
Henle [9] 8 90 Anm. 3). 

Nach dem Ausgeführten dürfte es zuläſſig ſein, 
den 8 264 a StGB. auch dann anzuwenden, wenn 
nicht körperliche Sachen, ſondern Vermögensvorteile 
irgendwelcher Art, z. B. ein Nachtquartier oder freie 
Bahnfahrt, das Objekt des Notbetrugs bilden. 


Landgerichtsrat Hagen in Kempten. 


Nachſchrift. Unmittelbar vor Drucklegung dieſes 
Aufſatzes kommt mir eine Abhandlung des Herrn Geh. 
Juſtizrates, Oberlandesgerichtsrates Dr. v. Feilitſch, 
in der „LZ.“ 1914 S. 618 ff. zu Geſicht, die mich jedoch 
nicht bekehren kann. v. Feilitſch vertritt das Gegenteil 
der hier dargelegten Auffaſſung. 

Er ſtützt ſich dabei zunächſt auf den Wortlaut, 
Wortſinn und Sprachgebrauch des Geſetzes. Er macht 
geltend: 8 248 a verſtehe unter Gegenſtänden nur lör⸗ 
perliche Gegenſtände; 8 264 a habe aber die Begriffe 
„aus Not“ und „geringwertige Gegenſtände“ kurzweg 
aus 8 248 a übernommen. Letzteres iſt richtig. Aber 
ich habe ſchon oben ausgeführt, nicht bloß die No⸗ 
velle, ſondern auch der Regierungsentwurf haben 
auffallenderweiſe und ohne erſichtlichen Grund die 
Ausdrucksweiſe „fremde bewegliche Sachen“ der 88 242 
und 246 aufgegeben im 8 248 a. Es muß doch aufs 
fallen, daß 8 248 a auf einmal mit dem Ausdruck 
„Gegenſtände“ daherkommt, während 88 242 und 246 
nur den Ausdruck „bewegliche Sachen“ kennen. Es 
haben demnach Regierungsentwurf und Novelle die 
Ausdrucksweiſe des StGB. verlaſſen. 

Weiter macht v. F. geltend: Der Regierungs⸗ 
entwurf habe bei feinem 8 218 a eine Milderung rück⸗ 
ſichtlich aller Sachen gewollt, die überhaupt geſtohlen 
oder unterſchlagen werden können, ſoferne ſie nur gering⸗ 
wertig ſeien und die Tat aus Not begangen worden ſei, 
aber wohlgemerkt nur rückſichtlich aller Sachen. Wenn 
ſich nun die Reichstagskommiſſion den 8 248 a des Re⸗ 
gierungsentwurfes zum Vorbild für 8 264 a genommen 
habe, ſo bezeuge das nicht die Abſicht, den 8 264 a 
zu erweitern. Ich meine, dieſer Punkt ſpreche eigentlich 
für meine Anſicht. Richtig iſt dabei ſoviel, daß ſich 
§ 248 a nur auf Sachen bezieht. Aber warum? Weil 
er ſich auf etwas anderes überhaupt nicht beziehen kann. 
Denn Rechte können weder geſtohlen noch unterſchlagen 
werden. Ein Nachtquartier oder eine Bahnfreifahrt 
kann man weder ſtehlen noch unterſchlagen. Gegenſtand 
eines Diebſtahls oder einer Unterſchlagung kann eben 
nur eine Sache ſein. Wenn deshalb der Regierungs— 
entwurf bei feinem 5 248 a eine Milderung rückſichtlich 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


aller Sachen haben wollte, die überhaupt geſtohlen 
oder unterſchlagen werden können, ſoferne ſie nur 
geringwertig ſind und die Tat aus Not begangen iſt, 
ſo heißt das mit anderen Worten, der Regierungs⸗ 
entwurf wollte eine Milderung hinſichtlich aller 
Diebſtähle und Unterſchlagungen beim Vorliegen eines 
geringen Wertes und von Not. Dann iſt es aber 
doch naheliegend, auch den 8 264 a in der Weiſe aus⸗ 
zulegen, daß unter ihn alle Betrügereien fallen, 
wenn Not und Geringwertigkeit gegeben ſind. Dabei 
kommt noch folgendes in Betracht: Bei den Verhand⸗ 
lungen über 8 264 a wurde nie von irgend jemand 
davon etwas geſprochen, daß als Gegenſtand des 
Notbetrugs — im Gegenſatze zum Notdiebſtahl und 
zur Notunterſchlagung — nur Sachen in Betracht 
kommen ſollten. Es wurde weder geſagt, daß unter 
8 264 a nur Sachen fallen ſollten, noch wurde davon 
geſprochen, daß andere Gegenſtände als Sachen nicht 
unter 8 264 a fallen ſollten. Man hat hierüber eben 
überhaupt nicht verhandelt, und zwar offenſichtlich 
deshalb, weil überſehen worden iſt, daß Objekt 
eines Betruges auch andere Gegenſtände als Sachen 
ſein können. Und wenn man die Begründung 
ins Auge faßt, welche die Unterkommiſſion für die 
Schaffung des 8 264 a gegeben hat, ſo kann es keinem 
Zweifel unterliegen, daß der 8 264 a nicht auf „Sachen“ 
beſchränkt werden ſollte. Denn dieſe Begründung ſpricht 
weder von Sachen noch von Gegenſtänden, ſondern ſagt 
ganz allgemein: 

Im Verfolg eines bereits in der Kommiſſion 
geſtellten Antrages .... ſchlug die Unter: 
kommiſſion vor, die aus Not begangenen klei⸗ 
neren Betrügereien () von den ſchweren Strafen 
des Betrugs .... auszunehmen. .... Sie hat 
daher dem .. .. 8 248 a . . .. einen die kleinen 
Notbetrügereien () betreffenden 8 264 a nachgebildet. 
Alſo die kleinen Notbetrügereien ganz allge⸗ 

mein wollte man durch 8264 a bevorzugen und des halb 
hat man den 8 264 a dem 8 248 a nachgebildet. Und 
dieſe Nachbildung iſt etwas „verunglückt“, weil man 
überſehen hat, daß durch Betrug auch andere Gegen⸗ 
ſtände, als Sachen verſchafft werden können. Hätte 
bei den Verhandlungen irgend jemand hierauf auf⸗ 
merkſam gemacht, jo wäre auch unzweifelhaft der 8 264 a 
ſo gefaßt oder doch ſo erklärt worden, daß unter ihn 
alle kleineren Notbetrügereien zu fallen haben. 


Hinderung des Vollzugs ungeſetzlicher Strafen durch 
richterliche Eutſcheidung. Dieſen Grundſatz hat nun⸗ 
mehr auch das Bayeriſche Oberſte Landesgericht in 
einem Beſchluſſe vom 2. Mai 1914 in einem Fall an⸗ 
erkannt, der den im lfd. Jahrg. dieſer Zeitſchrift S. 96 
vom I. Staatsanwalt Weber in Landshut mitgeteilten 
Fällen gleichartig liegt. Der Sachverhalt iſt ſolgender: 

Die Angeklagte G. wurde am 24. Mai 1913 vom 
Landgerichte D. wegen Beihilfe zur Urkundenfälſchung 
zur Geſängnisſtrafe von 2 Monaten, wegen Betrugs 
zur Gefängnisſtrafe von 3 Wochen und nach 8 79 StGB. 
zur Geſamtſtrafe von 2 Monaten und 15 Tagen Ge⸗ 
fängnis verurteilt. Sie legte gegen das Urteil Reviſion 
ein, beſchränkte dieſe aber in der Begründung auf die 
Verurteilung wegen der Beihilfe zur Urkundenfälſchung. 
Am 16. Oktober 1913 hob das Reichsgericht das Urteil 
inſoweit und in bezug auf die Geſamtſtraſe auf und 
verwies in dieſem Umfange die Sache an die erſte Sins 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 299 


ſtanz zurück. Das Landgericht verurteilte die Ange⸗ darüber ausgeſprochen, in welchem Umfang er die 
klagte am 4. Dezember 1913 auf Grund des gleichen ausdehnende Auslegung des 8 490 StPO. billige, wie 
Sachverhalts nunmehr wegen Beihilfe zum verfuchten | fie in den angeführten Stellen dieſer Zeitſchrift ver⸗ 
Betrug neuerdings zur Gefängnisſtrafe von zwei Mo⸗ treten wurde. Allein es darf darauf hingewieſen werden, 
naten und bildete aus dieſer und der durch das Urteil daß er doch unzweideutig eine Abhilfe gegen die Voll» 
vom 24. Mai 1913 rechtskräftig zuerkannten drei⸗ ſtreckung im Wege des 8 490 StPO. in einem Falle 
wöchigen Gefängnisſtrafe wiederum eine Geſamtſtrafe zugelaflen hat, in dem die Umſtände, aus denen ſpäter 
von zwei Monaten und 15 Tagen Gefängnis. Das die Unzuläſſigkeit der Vollſtreckbarkeit abgeleitet 
Urteil wurde mit dem Ablaufe des 11. Dezember 1913 wurde, ſchon zur Zeit der maßgebenden Hauptver⸗ 
rechtskräftig. handlung vorlagen, nämlich der zweiten Hauptver⸗ 
Gegen die Zuläſſigkeit der Vollſtreckung der ganzen handlung, in der (in objektiv unrichtiger Anwendung 
Strafe entitanden Bedenken, da nach dem Gnaden⸗ des 8 79 StGB.) die Geſamtſtrafe gebildet wurde. 
erlaſſe vom 5. November 1913 die wegen Betrugs ver⸗ Der Senat hat auch darauf kein Gewicht gelegt, ob 
hängte dreiwöchige Gefängnisſtrafe bereits erlaſſen etwa durch das ordentliche Rechtsmittel gegen die Ent⸗ 
war, als ſie am 4. Dezember 1913 zur Bildung einer ſcheidung nicht bloß gegen die Vollſtreckbarkeit, ſondern 
Geſamtſtrafe herangezogen wurde. Das Landgericht vielmehr gegen den Ausſpruch der unzuläſſigen Ge⸗ 
gab dem vom Staatsanwalt und dem Verteidiger der ſamtſtrafe hätte angekämpft werden können, d. h. ob 
Verurteilten geſtellten Antrage, die Vollſtreckung der nicht durch die Reviſion die Verletzung des 8 79 StGB. 
Geſamtſtrafe inſoweit für unzuläſſig zu erklären, als hätte geltend gemacht werden können, der eine früher 
fie die am 4. Dezember 1913 wegen Beihilfe zum Be: erkannte, aber erlaſſene e zur Bildung der 
trugsverſuch erkannte Strafe von zwei Monaten Ge⸗ Geſamtſtrafe heranzuziehen verbietet. Vielmehr hebt 
fängnis überſteige, nicht ſtatt. Auf die ſofortige Bes die Entſcheidung ausdrücklich hervor, es ſei ſelbſt⸗ 
ſchwerde des Staatsanwalts ſprach das Oberſte Landes⸗ verſtändlich gleichgültig, zu welchem Zeitpunkte 
gericht aus, daß die durch das Urteil des Landgerichts die Strafe ganz oder teilweiſe erlaſſen worden ſei. 
vom 4. Dezember 1913 gegen die G. erkannte Strafe Es iſt klar, daß dies ein Hinwegſetzen über die Rechts⸗ 
von zwei Monaten und 15 Tagen nur in der Höhe kraft des die Geſamtſtrafe ausſprechenden Urteils iſt; 
von 2 Monaten Gefängnis vollſtreckbar ſei. denn dieſe würde an ſich verbieten, ein dem Gerichte 
Der Strafſenat führt im weſentlichen aus: bei der Bildung der Geſamtſtrafe unterlaufenes Ver⸗ 
| Die Bildung der neuen Geſamtſtrafe im Urteile ſehen in der Vollſtreckungsinſtanz zu berückſichtigen. 
vom 4. Dezember 1913 war ſachlich unrichtig: zwar Dadurch, daß der Beſchluß der Vollſtreckungsbehörde 
könne dieſem dem Strafurteil anhaftenden Mangel das Recht einräumt, eine rechtskräftige Strafe wegen 
auf dem Wege des 8 490 StPO. an fi nicht ab» eines Umſtandes, den ſchon das Gericht bei der Feſt⸗ 
geholfen werden; dagegen ſchaffe der 8 490 die Mög⸗ ſetzung der Strafe hätte berückſichtigen follen, nicht 
lichkeit der Abhilfe in bezug auf die Zuläſſigkeit oder nicht vollſtändig zu vollſtrecken, ſagt er wohl mehr, 
der Vollſtreckung. als es auf den erſten Anblick den Anſchein hat. 
Die Entſcheidung fährt dann fort: Rechtskundiger Hilfsarbeiter Cammerer im 
„Der Staatsanwalt wird vor Vollſtreckung des Staatsminiſterium der Juſtiz in München. 
Strafurteils immer zu prüfen haben, ob nicht Um⸗ . . 
ſtände eingetreten ſind, welche die Straſvollſtreckung Nachſchrift des Herausgebers: Die Rechts⸗ 
anſchauung, die den von uns mitgeteilten, oben an⸗ 


ausſchließen, z. B. Verjährung der Strafvollſtreckung, 0 5 b 
Bezahlung der Geldſtrafe und infolgedeſſen Unzuläſſig⸗ | geführten Entſcheidungen bayeriſcher Gerichte zu 8 490 
StPO. zugrunde liegt, hat jetzt Eingang in die eben 


keit der Vollſtreckung der hilſsweiſe an ihre Stelle ges a | 
tretenen Freiheitsſtrafe, Erlaß der Strafe durch einen | erichienene 14. Auflage des Löweſchen Kommentars ge⸗ 
Gnadenakt (Löwe Anm. 2a zu 8 490 StPOD.); hinſicht⸗ funden, wo in Bem. 2 zu 8 490 dieſe Entſcheidungen 
des zuletzt genannten Grundes der Ausſchließung der ohne Widerſpruch angeführt ſind. Wir freuen uns, 
Strafvollſtreckung iſt es ſelbſtverſtändlich gleichgültig, zu dieſer Rechtsentwicklung an unſerem Teil beigetragen 
zu welchem Zeitpunkte die Strafe ganz oder teilweiſe zu haben, und boffen, daß ſie durch den Löweſchen 
erlaſſen worden iſt. Dieſem Prüfungsrecht und dieſer Kommentar in immer weitere Kreiſe dringt. 
Prüfungspflicht des Staatsanwalts . .. entſpricht das 
Recht des Verurteilten, Einwendungen gegen die Zu⸗ 
läſſigkeit der Strafvollſtreckung zu erheben. Es iſt ein 
ſelbſtverſtändlicher Grundſatz des Strafprozeßrechts, 
daß eine erlaſſene Straſe nicht vollſtreckt werden kann. 
Da die der G. zuerkannte Strafe von drei Wochen 
Gefängnis erlaſſen iſt, iſt deren Vollſtreckung unzuläſſig; 
es mußte deshalb unter Aufhebung des angefochtenen 
Beſchluſſes ausgeſprochen werden, daß nur die Ge⸗ 
fängnisſtrafe von zwei Monaten vollſtreckt werden darf.“ 
Die Entſcheidung entſpricht dem Antrage des Ge⸗ 
neralſtaatsanwalts, der in ſeiner Erklärung zur Be⸗ 
ſchwerde des Staatsanwalts die neuere Praxis, wonach 
die Vollſtreckung ungeſetzlicher Strafen im Wege des 
8 490 StPO. hintanzuhalten ſei (Bay ZfR. 1913 S. 206, 
283, 296), als eine geſunde Rechtsfortbildung 
bezeichnete, der aus formaliſtiſchen Gründen 
entgegenzutreten nicht angebracht ſei. Der 
Gerichtshof ſelbſt hat ſich allerdings nicht allgemein 


Iſt der Verweiſungsbeſchluß des 3 697 ZPO. nach 
8 26 GK. gebührenpflichtig? Dieſe Frage wurde 
in einer von der BaygfR. 1913 S. 266 ff. gebrachten 
Abhandlung eine der brennendſten Streitfragen ge⸗ 
nannt, die das GKG. gezeitigt habe. Auf Seite 213/14 
des laufenden Jahrgangs der Zeitſchrift iſt ein Be⸗ 
ſchluß des J. ZS. des OLG. Bamberg vom 20. März 
1914 mitgeteilt, der ſich für Gebührenfreiheit des Ver⸗ 
weiſungsbeſchluſſes nach 8 697 ZPO. ausſpruch. In 
einer Fußnote iſt bemerkt: Siehe die gegenteilige Ent⸗ 
ſcheidung des OLG. Augsburg in BaygfR. Jahrg. 
1914 S. 175. Die gegenteilige Anſicht hatte auch noch 
ein Beſchluß des II. ZS. des OLG. Bamberg vom 
14. Oktober 1913 vertreten. 

Soweit erſichtlich, gewinnt die Anſicht die Ober⸗ 
hand, daß der erwähnte Verweiſungsbeſchluß als nur 


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300 


prozeß⸗ oder ſachleitende Verfügung gemäß 8 47 Nr. 1 
GKG. nicht gebührenpflichtig ſei. 

Der II. ZS. des OLG. Bamberg hat in einem 
Beſchluß vom 16. Juni 1914 die in ſeinem Beſchluß 
vom 14. Oktober 1913 vertretene Anſicht nicht mehr 
aufrecht erhalten, ſondern hat ſich der im Beſchluß 
des I. Senats vom 20. März 1914 dargelegten Ans 
ſicht angeſchloſſen, ſo daß jetzt wenigſtens in den beiden 
Zivilſenaten des OLG. Bamberg Einhelligkeit in dieſer 
Frage berrfcht. Ausſchlaggebend war für den Beſchl. 
vom 16. Juni 1914 hauptſächlich die Erwägung, daß 
durch die Novelle vom 1. Juni 1909, die den 8 697 
ZPO. in feiner jetzigen Faſſung erſt ſchuf, das 
Mahnverfahren begünſtigt, nicht erſchwert und ver⸗ 
teuert werden ſollte. — ch — 


Aus der Aechtſprechung. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 


1 


Gefährdung des Hausverkehrs durch Geräte auf 
den Treppen. Als der Kläger zwiſchen 3 und 4 Uhr 
nachts in die Wohnung heimkehrte, kam er über eine 
auf der Laufbahn der unbeleuchteten Haustreppe ge⸗ 
legene Leiter zu Fall. Seine Schadensklage iſt von 
den Vorgerichten abgewieſen worden. Die Reviſion 
hatte Erfolg. 

Aus den Gründen: Ein Hauseigentümer, der 
durch Vermieten von Wohnungen einen Verkehr in 
ſeinem Hauſe eröffnet, muß die Zugänge, insbeſondere 
die Treppen verkehrsſicher erhalten. Wird dieſer all⸗ 
gemeine Hausverkehr bei Hausausbeſſerungen durch ver⸗ 
ſtelltes Handwerksgerät für die Hausbeſucher beſonders 
gefährdet, ſo hat ſich auch die Schutzpflicht des Haus⸗ 
eigentümers zu ſteigern. Seine eigene Sorgfaltspflicht 
erheiſcht es daher, ſolchen beſonderen Verkehrsgefähr⸗ 
dungen auch durch beſondere Vorkehrungen wirkſam 
abzuhelfen. Dazu reicht es nicht aus, die Arbeiten 
einem umſichtigen Handwerksmeiſter zu übertragen, 
dieſem einen Platz für die Geräte anzuweiſen und ihn 
im übrigen nach eigenem Ermeſſen ſchalten zu laſſen, 
im Vertrauen darauf, daß der Hausverkehr ungefährdet 
bleiben werde. Vielmehr gebot es die Sorgfaltspflicht 
des Beklagten, aus ſich heraus und ohne daß ſich zu⸗ 
vor eine begründete Urſache, ein beſtimmter Anlaß 
zum Einſchreiten herausſtellte, ſich darüber Gewißheit 
zu verſchaffen, daß die tagsüber benutzten Leitern nachts 
auf den Treppen nicht verkehrsgefährdend liegen ges 
laſſen würden. Wollte er nicht in eigener Perſon 
abends die Treppen daraufhin anſehen, ſo hätte auch 
ſchon eine beſtimmte ausdrückliche Anweiſung an die 
Hausmeiſterin oder eine ſonſtige zuverläſſige Perſon 
ausgereicht, hierauf allabendlich zu achten, von et— 
waigen nicht beſeitigten Hinderniſſen Mitteilung zu 
machen oder doch wenigſtens für wirkſame Beleuchtung 
der gefährlichen Stellen zu ſorgen. Es iſt aber nicht 
feſtgeſtellt, daß er der Hausmeiſterin, die nur mit der 
gewöhnlichen Reinigung der Treppen betraut war, 
einen derartigen beſonderen Auftrag gegeben hat. 
Ohne dieſe Gewißheit aber hatte er mit der Möglich— 
keit zu rechnen, daß die Treppen nicht durchweg abends 
hindernisfrei gehalten wurden, und zwar um ſo mehr, 
wenn er vom Kläger kurz vor dem Unfall auf die 
mangelhafte Freihaltung der Treppen noch beſonders 
hingewieſen worden ſein ſoll. Beſtand aber die Mög— 
lichkeit, daß der nächtliche Hausverkehr durch liegen— 
gebliebenes Handwerksgerät gefährdet werden konnte, 


ſo war es ohne weiteres ein Gebot der verkehrserforder⸗ 
lichen Sorgfalt, die Treppen auch die ganze Nacht hin⸗ 
durch zu beleuchten und ſo wenigſtens die Hinderniſſe 
4954 01 zu machen. (Urt. des VI. ZS. vom 2. April 
1914, VI 128/14). 

8370 


-———ı. 


II. 

Die ſidnziariſche Beränßerung eines Grundkäds 
oder des Anspruchs auf Auflaſſung des Srunbſtücks in der 
Abſicht, das Grundſtück dem Angriffe der Gläubiger zu 
entziehen, iſt nicht auf Grund der 88 134, 138 888. wegen 
Berſtoßzes gegen ein geſetzliches Verbot oder gegen die 
Sitten nichtig, kaun aber als ein gegen die anten Sitten 
verſtoßendes Geſchäft i. S. des 3 817 888. angeſehen 
werden; kaun der Beränzerer trotz der Berſchriſt in 

817 Satz 2 die Näckübertragung des Srund tick 
ordern? Aus den Gründen: Das OLE. nimmt 
an: Durch den Verkauf des Grundftüds und die darauf⸗ 
hin vom Kläger herbeigeführte Auflaſſung des Grund⸗ 
ſtücks an den Beklagten hätten beide Parteien gegen 
die guten Sitten verſtoßen. Es meint: dies ſei nicht 
deshalb ausgeſchloſſen, weil ein „frauduloſes“ Rechts⸗ 
geſchäft, wie es nach dem angegebenen Zweck vorläge, 
nach den Beſtimmungen des Anfechtungs G. anfechtbar 
ſei; allerdings ſeien derartige Rechtsgeſchäfte nicht 
nichtig auf Grund des 8 138 BGB.; einem an ſich gegen 
die guten Sitten verſtoßenden Rechtsgeſchäft werde 
aber ſein ſittenwidriger Charakter nicht dadurch ge⸗ 
nommen, daß das Geſetz unter beſonderen Umſtänden 
nicht die gewöhnliche Rechtsfolge daran knüpfe. Was 
die Reviſion hiergegen vorbringt, ſchlägt nicht durch. 
Ohne Grund behauptet fie, das RG. habe in ſtändiger 
Rechtſprechung daran feſtgehalten, daß ein nur anfecht⸗ 
bares Rechtsgeſchäft nicht auch gegen die guten Sitten 
verſtoßen könne. Das von ihr herangezogene Urteil 
des II. ZS. (Entſch. Bd. 56 Nr. 58) nimmt an, der Um⸗ 
ſtand, daß der Abtretungsvertrag gegen den § 241 
KO. verſtoßen habe, begründe nicht ſeine Nichtigkeit 
nach dem $ 134 BGB., und verneint die Frage, ob 
das Abtretungsgeſchäft gegen die guten Sitten verſtoße 
und deshalb nach § 138 nichtig ſei. Im Zuſammen⸗ 
hang hiermit heißt es in dem Urteil allerdings auch: 
auszugehen ſei von der durch die Beſtimmungen der 
KO. über die Anfechtbarkeit beſtätigten Auffaſſung 
des Geſetzgebers, daß ein Zuwiderhandeln gegen die 
Strafbeſtimmung des 8 241 KO. nicht das in dieſer 
Weiſe zuſtande gekommene Rechtsgeſchäft als gegen 
die guten Sitten verſtoßend erſcheinen laſſe. Dabei 
iſt aber zu berückſichtigen, daß hier nicht über einen 
Fall des 8 241 KO. (Gläubiger begünſtigung) zu 
urteilen iſt, außerdem iſt der wiedergegebene Satz nach 
dem Zuſammenhange nicht dahin zu verſtehen, daß 
ein Zuwiderhandeln gegen den 8 241 KO. unter keinen 
Umſtänden einen Verſtoß gegen die guten Sitten ent⸗ 
halten könne. Beſtätigt wird anderſeits die Auffaſſung 
des OLG. durch die Urteile des VI. und des VII. 38. 
bei Gruchot Bd. 49 S. 351 und Entſch. Bd. 69 Nr. 33 
auf S. 147. In ihnen iſt deutlich der Standpunkt vertreten, 
daß eine Nichtigkeit der zur Gläubigerbenachteiligung 
vorgenommenen Rechtsgeſchäfte gemäß den SS 134, 158 
BGB. auch dann abzulehnen ſei, wenn der Tatbeſtand 
einen Verſtoß gegen ein Verbotsgeſetz oder gegen die 
guten Sitten enthält. Insbeſondere ſagt das letztere 
der beiden Urteile: „Da dem Geſetzgeber, der das BG. 
und die KO. ſowie das AnfG. in ihrer jetzigen Geſtalt 
zu gleicher Zeit hat in Kraft treten laſſen, nicht zu⸗ 
getraut werden kann, daß er völlig überflüſſige Be— 
ſtimmungen hat treffen wollen, ſo ſind die Vorſchriften 
des BGB. einerſeits und der KO. und des Anfc. 
anderſeits in der Weiſe miteinander zu vereinigen, daß, 
wenn die frauduloſen Geſchäfte des $ 31 KO. und 
des SI! Ani. gegen die guten Sitten oder gegen 
geſetzliche Verbote verſtoßen ſollten, mit dieſem Mangel 
nach dem Willen des Geſetzgebers in Ausnahme von 


den Beſtimmungen der 88 134 und 138 BGB. nicht die 
Nichtigkeit, ſondern nur die Anfechtbarkeit jener Rechts⸗ 
geſchäfte verknüpft fein fol.“ (Deutſch! Der Heraus» 
geber). Für die Anwendbarkeit des 8817 BGB. kommt 
es übrigens nicht darauf an, ob das . 
in dem die Leiſtung beſchloſſen iſt oder auf dem ſie 
beruht, nach ſeinem ſich aus der Zuſammenfaſſung von 
Inhalt, Zweck und Grund ergebenden Geſamtcharakter 
(vgl. RGE. Bd. 75 Nr. 18 auf S. 74, Bd. 80 Nr. 51 
auf S. 221) gegen die guten Sitten verſtößt, ſondern 
nur darauf, ob der Zweck der Leiſtung in der Art be⸗ 
ſtimmt iſt, daß der Empfänger durch die Annahme und 
— Satz 2 — der Leiſtende durch die Leiſtung gegen die 
guten Sitten verſtößt. Dies hat das Os. jedenfalls 
ohne Rechtsirrtum mit Rückſicht darauf angenommen, 
daß durch den Kaufvertrag und die Au lung des 
Grundſtücks an den Beklagten nach der Abſicht beider 
Parteien das Grundſtück dem Zugriffe der Gläubiger 
des Klägers entzogen werden ſollte. Vas Os. 
nimmt ferner an, daß der Kläger durch den Verkauf 
des Grundſtücks und die Herbeiführung der Auflaſ⸗ 
ſung des Grundſtücks an den Beklagten gegen den 
8 288 StGB. und der Beklagte durch den Kauf und die 
Entgegennahme der Auflaſſung gegen den § 288 in Ver⸗ 
bindung mit dem $ 49 St., ſomit beide gegen ein 
geſetzliches Verbot verſtoßen hätten. Auch die Angriffe, 
die die Reviſion hiergegen richtet, ſind hinfällig. Aller⸗ 
dings erfordert der § 288 eine drohende Zwangs voll⸗ 
ſtreckung. Dazu iſt jedoch keineswegs erforderlich, daß 
eine Zwangsvollſtreckung ſchon begonnen hat; es genügt 
insbeſondere ſchon die Erhebung der Klage, wenn daraus 
auf eine Abſicht des Gläubigers geſchloſſen werden kann, 
auf Grund des zu erwirkenden Urteils mit Zwangs⸗ 
vollſtreckung gegen den Schuldner vorzugehen (vgl. 
RGSt. Bd. 2 Nr. 25, Bd. 20 Nr. 94). Daß der Maurer⸗ 
meiſter T. am 3. Januar 1912 auf Zahlung von 
24 036,10 M und die Firma K. am 6. Januar 1912 auf 
Zahlung von 7504,11 M Klage gegen den Kläger er⸗ 
hoben hatten, iſt feſtgeſtellt und nach der Behauptung 
des Klägers ſind die betreffenden Rechtshandlungen 
gerade vorgenommen worden, um das Grundſtück dem 

ugriffe ſeiner Gläubiger zu entziehen. Indem der 

läger das von B. gekaufte Grundſtück an den Ve⸗ 
klagten weiterverkaufte und B. veranlaßte es unmittel⸗ 
bar dem Beklagten aufzulaſſen, hat er, wenn nicht das 
Grundſtück ſelbſt, . jedenfalls ſeinen Anſpruch an B. 
auf Uebertragung des Eigentums veräußert; das wird 
namentlich nicht dadurch ausgeſchloſſen, daß der Be⸗ 
klagte das Grundſtück nur ſo lange behalten ſollte, als 
die Gläubiger des Klägers noch darauf (als Befriedi⸗ 
gungsmittel) Anſpruch machten. Dieſe Abrede berührte 
nur das Verhältnis zwiſchen den Parteien, nicht da⸗ 
gegen die Wirkſamkeit der Auflaſſung an den Be⸗ 
klagten, noch den Fortfall des bezeichneten Anſpruchs 
des Klägers an B. 

Mit Recht aber rügt die Reviſion eine Verletzung 
des 8 817 BGB. in anderer Richtung. Nach der in 
den Urteilen des III. und des II. ZS. Entſch. Bd. 67 
Nr. 79 (auf S. 326) und JW. 1912 S. 862/3 unter 20 
vertretenen Rechtsanſicht iſt als Leiſtung i. S. des 8 817 
nur der Vermögensvorteil anzuſehen, der beſtimmt war, 
endgültig in das Vermögen des Empfängers überzus 
gehen. Das OLG. glaubt, es brauche zu dieſer Anſicht 
nicht Stellung zu nehmen, da der Kläger auch nach dem 
Inhalt des von ihm behaupteten fiduziariſchen Ver⸗ 
trages die Auflaſſung des Grundſtückes an ihn vom 
Beklagten zurzeit nicht verlangen könne. Dies ins⸗ 
beſondere wird von der Reviſion mit Recht bekämpft. 
Allerdings hat der Kläger den Inhalt des fiduziariſchen 
Vertrages dahin angegeben, daß der Beklagte das 
Grundſtück fo lange behalten ſolle, als feine, des Klägers, 
Gläubiger noch Anſpruch darauf machten. Das OLG. 
verkennt jedoch Zweck und Sinn des Vertrages, indem 
es annimmt, hiermit habe dem Beklagten nicht nur 
eine Pflicht auferlegt, ſondern auch das Recht einge⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


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301 


räumt werden ſollen, das Grundſtück bis zu dem be⸗ 
zeichneten Zeitpunkt, und zwar auch gegen den erklärten 
Willen des Klägers, zu behalten. Der Zweck des Ver⸗ 
trages war, das Grundſtück vor dem Zugriff der Gläubiger 
des Klägers zu bewahren, und zwar allein in deſſen 
Intereſſe. Das weiſt nach den 88 133, 157 BGB. auf 
eine Bertragsauslegung hin, nach der es lediglich vom 
Ermeſſen des Klägers abhängen ſollte, zu beſtimmen, 
wann dieſer Sicherungszweck erreicht oder erledigt 
war und der Beklagte das Grundſtück an ihn herauszu⸗ 
geben hatte. — Die in den bezeichneten Urteilen des III. 
und II. ZS. vertretene Rechtsanſicht aber iſt gerecht⸗ 
Rete unbegründet iſt der vom OLG. angeregte 
Zweifel, ob dabei der Begriff der Leiſtung nicht etwa 
eine Einſchränkung erfährt, die ſich aus dem Geſetze 
Wal nicht ergibt. Wie nach dem 8 817 die Leiſtung 
n der Eingehung einer Verbindlichkeit beſtehen kann, 
o kann die Leiſtung auch durch eine mit bezug auf 
e vom Leiſtungsempfänger eingegangene Verbind⸗ 
lichkeit gemindert ſein. Die Uebertragung des Eigen⸗ 
tums an einem Grundſtück oder die Uebernahme der 
Verpflichtung zu ſolcher Eigentumsübertragung iſt eine 
andere und mindere Leiſtung, wenn ſie mit der Ver⸗ 
pflichtung des Leiftungsempfängers verbunden iſt, das 
Eigentum wieder auf den Leiſtenden zu übertragen, 
als wenn ſie ohne ſolche Verpflichtung erfolgt. Durchaus 
zutreffend heißt es in dem Urteile des II. ZS.: „Aus 
dem Sole des Geſchäfts iſt auch der Gegenſtand 
der in Vollzug des Geſchäfts bewirkten Leiſtung und 
damit der Umfang der Anwendbarkeit des 8 817 zu 
beſtimmen. Danach hat aber (in dem dort beurteilten 
Fall) die Leiſtung des Klägers nicht in der Auflaſſung 
ſchlechthin, ſondern nur in der vorübergehenden, einem 
. . jetzt nicht mehr vorhandenen Zwecke dienenden 
Einräumung der Stellung eines Eigentümers be⸗ 
ſtanden. Wollte man dem Beklagten das Recht zu⸗ 
geſtehen, die Rückgabe dauernd zu verweigern, ſo würde 
er in Wahrheit nicht nur das behalten, was er durch 
das unſittliche Geſchäft erlangt hat, ſondern er würde 
einen weiteren in der Leiſtung des Klägers nicht be⸗ 
gründeten Vermögensvorteil hinzuerwerben.“ Darnach 
beſteht auch hier das, was der Beklagte als emp⸗ 
fangene Leiſtung gemäß dem 1. Satze des § 817 heraus⸗ 
zugeben hätte, deſſen Rückforderung aber gemäß dem 
2. Satze des 8 817 ausgeſchloſſen iſt, nicht in der Auf⸗ 
laſſung des Grundſtücks ſchlechthin, ſondern in dieſer 
Auflaſſung verbunden mit der Verpflichtung zur Auf⸗ 
laſſung an den Kläger nach dem erörterten Inhalte 
des fiduziariſchen Vertrages, ſo daß er das Grundſtück 
auf Grund des 8 817 Satz 2 auch nur mit dieſer Ver⸗ 
pflichtung behalten kann. (Urt. des V. 35. vom 
25. April 1914, V 564/1913). E. 
3414 


III. 

Bezeichnung der Forderung bei der sthekbe⸗ 
ſtellung; gehört dazu unter allen Hmftänben Die Hin abe 
des Schuldners und des Schuldgrundes? 1 iner 
ungenügenden Bezeichnung; abſtrakte Berbindlichkeiten 
genügen als Grundlage für eine Hypothek. Aus den 
Gründen: Das OLG. hat ſich unter Hinweiſung auf 
die 88 1113, 1115 BGB. und auf die in der Literatur 
und Rechtſprechung zutage getretenen widerſprechenden 
Meinungen für die ſtrengere Auffaſſung entſchieden und 
angenommen, daß die erwähnten Vorſchriften die genaue 
Bezeichnung der Forderung nicht bloß vorſchrieben, ſon⸗ 
dern daß dieſe genaue Bezeichnung für die Begründung 
und Rechtswirkſamkeit der Hypothek ein ſo weſentliches 
und unerläßliches Erfordernis ſei, daß bei deren Mangel 
die ganze Hypothek nichtig ſei. Zur genauen Bezeich⸗ 
nung der Forderung gehöre aber unbedingt die ge— 
naue Angabe des Schuldgrundes und des Schuldners, 
woran es hier fehle. Beides hätte zwar nach §1115 Abſ. 1 
BGB. nicht gerade im Grundbuch, wohl aber in der 
Eintragungsbewilligung geſchehen müſſen, auf die dort 


302 


— — — —— — —— — — — [oo 


verwieſen wird, aber auch ſie laſſe in dieſer Beziehung 
im Stich. Dies Lebensſtellung des Gläubigers und 
des Ausſtellers der Eintragungsbewilligung ſowie die 
zwiſchen beiden beſtehende Geſchäftsverbindung — Um: 
ſtände, worauf der Beklagte und der Nebenintervenient 
hingewieſen hatten — ließen keinen ſicheren Schluß auf 
den Schuldgrund und die Perſon des Schuldners zu. 
Sie könnten allenfalls in Betracht kommen, wenn es 
ſich um eine Höchſtbetragshypothek handelte, eine 
ſolche liege aber nach dem Inhalt der Eintragung 
nicht vor. Letzteres iſt richtig; von Rechtsirrtum be⸗ 
einflußt find jedoch die Ausführungen, mit denen das 
OLG. wegen der mangelhaften Bezeichnung des Schuld⸗ 
grundes und des Schuldners die Nichtigkeit der Hypo⸗ 
thekeintragung angenommen hat. An ſich iſt zwar die 
Ungenauigkeit nicht in Abrede zu ſtellen und es hätte 
daher die Eintragung bis zur Beſeitigung der Anſtände 
abgelehnt werden können. Daraus folgt jedoch nicht 
ohne weiteres die Rechtsunwirkſamkeit der dennoch vor⸗ 
genommenen Eintragung. Das BGB. hat ſich bei der 
Regelung des Grundbuchrechtes im allgemeinen dem 
früheren preußiſchen Recht, den Grundbuchgeſetzen vom 
5. Mai 1872, angeſchloſſen. Es hat damit übereinſtimmend 
(SS 23, 191 GrundeigG., 8 43 GO.) im 8 1115 Abſ. 1 
BGB. die notwendigen, in das Grundbuch zu über⸗ 
nehmenden Merkmale der Forderung bezeichnet und be⸗ 
züglich der hier in Rede ſtehenden Merkmale (Schuldner 
und Schuldgrund) das preußiſche Recht ſogar gemildert, 
indem es in dieſer Beziehung die Bezugnahme auf die 
Eintragungsbewilligung geſtattet hat. Auch hat es dem 
im preußiſchen Recht nur ausnahmsweiſe zugelaſſenen 
abſtrakten Schuldverſprechen (RG. 39, 202) in den 
§§ 780, 781 BGB. allgemeine Geltung verſchafft. Der 
Berufungsrichter hätte daher vor allem auf die Rechts⸗ 
entwickelung und Rechtſprechung des früheren preu⸗ 
ßiſchen Rechts eingehen und auch prüfen müſſen, ob die 
keine genaue Angabe des Schuldgrundes enthaltende 
Bewilligung nicht ein Schuldanerkenntnis i. S. des 8781 
oder ein abſtraktes Verſprechen i. S. des 8 780 BGB. 
enthielt. Daß eine Forderung vorhanden, war ſchon aus 
der Bewilligung der Sicherungshypothek und den Worten 
„für 6000 M“ zu folgern (Urt. vom 17. Januar 1912, 
V 327/11, im 3 Bl G. Bd. 13 S. 201, in JW. 1912 S. 351 
Nr. 16). Das Anerkenntnis oder die Begründung einer 
ſelbſtändigen Zahlungs verpflichtung durch die Eintra⸗ 
gungsbewilligung aber hätte möglicherweiſe durch Aus⸗ 
legung feſtgeſtellt werden können (Johows Jahrb. Bd. 31 
B S. 13 Bd. 26 A S. 278, Planck Anm. 5a zu §S 1115 BGB.). 
Daß abſtrakte Verbindlichkeiten als Grundlage für eine 
Hypothek genügen, iſt ſelbſtverſtändlich und z. B. vom 
preußiſchen KG. ſtets angenommen worden (Johows 
Jahrb. Bd. 22 A S. 307, Bd. 26 A S. 139, Bd. 35 A 
S. 279,83). Im übrigen iſt, auch wenn man von der 
abſtrakten Verbindlichkeit abſieht, im früheren preu— 
ßiſchen Recht die ungenaue, ja ſelbſt die unrichtige Bezeich- 
nung des Schuldgrundes oder des Schuldners niemals 
als Nichtigkeitsgrund betrachtet worden. Der ſtändigen 
Rechtſprechung des Preußiſchen Obertribunals hat ſich in 
dieſer Beziehung die ebenſo ſtändige Rechtſprechung des 
RG. angeſchloſſen (Entſch. 45, 176; Gruchots Beitr. Bd. 27 
S. 945, Bd. 31 S. 1048, Bd. 34 S. 470; JW. 1898 S. 36 
Nr. 91. S. 272 Nr. 42, 1902 S. 421 Nr. 14, 1903 S. 162 
Nr. 32). Das OLG. meint zwar, es ſei ein Unter: 
ſchied zwiſchen einer unrichtigen und einer überhaupt 
nicht vorhandenen Angabe des Schuldgrundes und des 
Schuldners. Es verwechſelt aber hierbei die Forderung, 
die allerdings vorhanden und bezeichnet 
ſein muß. mit den einzelnen dieſer Bezeichnung dienen— 
den Merkmalen. Die Angabe des Schuldners und des 
Schuldgrundes in der Eintragungsbewilligung hat nur 
die Bedeutung der näheren Bezeichnung und Beſtimmung 
(Identifizierung) der Forderung (Mot. zus 1064 Bd. III 
S. 643), weil die anderen Merkmale der Forderung, 
die nach 81115 BGB. in das Grundbuch übernommen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


! 


nommen worden find, dazu in der Regel nicht ausreichen. 
Dabei aber handelt es ſich eben nur um eine Regel, nicht 
um eine unverbrüchliche Norm, die keine Ausnahmen 
duldet. Denn es läßt ſich ſehr wohl denken, daß eine 
Forderung auch ohne Angabe des Schuldgrundes in 
anderer Weiſe, z. B. durch beſtimmte Zeitangaben oder 
Tatſachen, ganz genau bezeichnet wird. Sodann aber 
hal das OLG. die in der Eintragungsbewilligung ent: 
altenen, zur Beſtimmung des Schuldgrundes und mittel⸗ 
bar der Forderung von dem Beklagten herangezogenen 
Angaben nicht ausreichend gewürdigt. Wie nach allge⸗ 
meiner Annahme beim Mangel einer entgegenſtehen⸗ 
den Angabe im Schuldbekenntnis deſſen Ausſteller als 
Schuldner anzuſehen iſt, fo iſt es nicht bloß bei der Höchſt⸗ 
betragshypothek, ſondern auch bei einer gewöhnlichen 
Sicherungshypothek möglich, daß die Beteiligten und 
die Verkehrsanſchauung in einer Sicherungshypothel, 
die ein „Maurermeiſter“ einem „Holzhändler“ „für 
6000 M“ beſtellt, eben wegen des Mangels einer ander: 
weitigen Bezeichnung des Schuldgrundes, eine Hypothel 
für Forderungen aus Baulieferungen und Baugeſchaften 
finden. Daß dieſer Schluß „ein ſicherer“ ſei, wie das 
OLG. verlangt, iſt durchaus nicht erforderlich, es würde 
vielmehr, wenn der Verkehr zunächſt (prima facie) von 
einer ſolchen Annahme ausgeht, dieſe Annahme genügen. 
Denn ſtellt ſich die Annahme nachträglich als unrichtig 
heraus, ſo läge eben eine unrichtige Angabe des Schuld⸗ 
grundes vor, die nach der oben erwähnten Rechtſprechung 
niemals die Nichtigkeit der Hypothek herbeiführen kann, 
ſondern nur die Beweislaſt verſchiebt. Wäre aber auch 
wegen ungenügender Bezeichnung der Forderung die 
Hypothek unwirkſam, ſo wäre die Eintragung doch nicht 
nach ihrem Inhalt ſo offenſichtlich unzuläſſig, daß ſie 
nach § 54 Abſ. 1 Satz 2 GBO. von Amts wegen gelöjdt 
werden könnte. Es wäre der Fall des erſten Satzes des 
§ 54 a. a. O. gegeben, wornach das Grundbuchamt bei 
einer Unrichtigkeit des Grundbuchs, die es durch eint 
Eintragung unter Verletzung geſetzlicher Vorſchriften 
herbeigeführt hat, von Amts wegen nur einen Wider⸗ 
ſpruch eintragen darf. Die Löſchung könnte beim Mangel 
einer Einwilligung des Berechtigten nur mit der Grund⸗ 
buchberichtigungsklage des 5 894 BGB., vielleicht auch 
(vgl. Güthe Anm. 26 zu § 54 a. a. O.) unter Anwendung 
des Ss 22 GO. mit der von dem OLG. zugelaſſenen Feſt⸗ 
ſtellungsklage herbeigeführt werden. Gegenüber dieſen 
Klagen aber kann, was das OLG. zu Unrecht verneint 
hat (RG. 78, 375, 377; 81, 291), der Beklagte die Einrede 
erheben, daß die Klägerin vertragsmäßig zur Einräu⸗ 
mung der Hypothek verpflichtet ſei. Bis zur Beſtellung 
einer vollgültigen Hypothek mit dem früheren Range 
könnte er die Löſchung verweigern. (Urt. des V. 33. 
vom 22. April 1914, V 495/13). E. 
341 


IV. 


Verteilung der Pflichtteilslaſt zwiſchen dem Erben 
und dem VBermächtnisnehmer. Der Erblaſſer hat lest: 
willig ſeine drei Enkel, die Kinder ſeiner Tochter, zu 
Erben eingeſetzt, der Tochter ſelbſt den lebenslänglichen 
Nießbrauch an den Erbteilen ihrer Kinder zugewendet, 
feine Witwe, die Beklagte, aber mit dem lebensläng- 
lichen ihr zu ſichernden Nießbrauch an einem Kapitale 
von 30000 M bedacht, außerdem noch Einzelvermächt⸗ 
niſſe von zuſammen 9300 M vergeben. Die Tochter 
hat das ihr zugewendete Nießbrauchsvermächtnis aus⸗ 
geſchlagen und den Pflichtteil beanſprucht, der ſich bei 
einem Nachlaßbeſtande von 63 315.82 M auf * des 
Nachlaſſes gleich 23 741.40 M beläuft. Die klagende 
Witwe bekennt, wegen des ihr ausgeſetzten Nießbrauchs⸗ 
rechtes an dem Kapital von 30000 M durch Beſtellung 
einer Hypothek von 20000 M geſichert worden zu fein 
Sie verlangt aber Sicherung auch bezüglich des Reit 
betrags von 10000 M. Der Nachlaßverwalter beſtreitet 
den Klaganſpruch, da das Nießbrauchsvermächtnis der 


werden müſſen und auch im vorliegenden Falle über- Klägerin vermöge der Grundſätze über die Tragung 


der Pflichtteilslaſt zur Auszahlung des Pflichtteils 
der Tochter anteilig mit beizutragen habe und dem⸗ 
gemäß in Höhe des eingeklagten Betrags untergegangen 
ſei. Das 88. hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin 
den Nießbrauch noch an einem Kapital von 7873 MN 
zu beſtellen, und ihr ne Kapital zu ſichern. Wegen 
des Mehrgeforderten iſt die Klage abgewieſen worden. 
Das OLE. hat die Berufung des Beklagten zurück⸗ 
gewieſen, dagegen auf Anſchlußberufung der Klägerin 
den Beklagten zur Nießbrauchsbeſtellung und Siche⸗ 
rung der Klägerin in der vollen Höhe von 10000 l 
verurteilt. Die Reviſion blieb erfolglos. 

Gründe: Das BG. veranſchlagt den Wert des 
der Tochter des Erblaſſers zugewendeten und nach⸗ 
mals von ihr ausgeſchlagenen Nießbrauchsvermächt⸗ 
niſſes für die Zeit des Erbfalls auf 26 103.60 M. Durch 
die Ausſchlagung des Vermächtniſſes und die hierdurch 
eingetretene Befreiung von der Vermächtnisſchuld hätten 
die Erben einen mit dem vollen Werte des Vermächt⸗ 
niſſes einzuſtellenden Vorteil erlangt. In dieſer Höhe 
hätten fie gemäß 8 2321 BB. die Pflichtteilslaſt ſelbſt 
zu tragen; da der Pflichtteilsanſpruch ihrer Mutter 
unſtreitig bloß 23 743.41 M beträgt, könnten ſie nicht 
die Vermächtnisnehmer zur Tragung der Pflichtteils⸗ 
laſt mit heranziehen. Die Reviſion erblickt den in⸗ 
folge der Vermächtnisausſchlagung den Erben zuge⸗ 
floſſenen Vorteil nur in dem Unterſchied zwiſchen dem 
höheren Vermächtnis⸗ und dem niedrigeren Pflicht⸗ 
teilsbetrage (2360.19 M), inſoweit liege den Erben 
die Pflichtteilslaſt ſelbſt ob, wegen des Reſtbetrags des 
an ihre Mutter auszuzahlenden Pflichtteils (21 383.22 M) 
aber ſeien fie gemäß 8 2318 BGB. berechtigt, auch 
die Vermächtnisnehmer, darunter die Klägerin, ver⸗ 
1 zur Tragung der Pflichtteilslaſt mit 
eranzuziehen. 

Die Reviſion iſt nicht begründet. Nach $ 2318 iſt 
die Pflichtteilslaſt, wennſchon dem Pflichtteilsberech⸗ 
tigten gegenüber allein der Erbe haftet, im Verhält⸗ 
nis nach innen von dem Erben und dem Vermächnis⸗ 
nehmer (Auflageberechtigten) verhältnismäßig zu tragen. 
Wer aus dem Nachlaß etwas erhält, ſoll nach Ver⸗ 
hältnis des Empfangenen zur Deckung der Pflicht⸗ 
teilslaſt beitragen. Dieſer Grundſatz wird aber ein⸗ 
geſchränkt durch die Vorſchriften der 88 2320 und 2321. 
Hiernach hat in erſter Linie derjenige die Pflichtteils⸗ 
laſt dem mit ihm verhafteten Erben abzunehmen, der 
an Stelle des Pflichtteilsberechtigten kraft geſetzlicher 
Erbfolge oder kraft Verfügung von Todes wegen deſſen 
Erbteil ganz oder teilweiſe erhält. Ebenſo hat er die 
Pflichtteilslaſt, wenn der Pflichtteilsberechtigte ein ihm 
zugewandtes Vermächtnis angenommen hat, gegenüber 
dem mit dem Vermächtnis Beſchwerten in Höhe des 
erlangten Vorteils, das iſt in Höhe des Vermächtnis⸗ 
wertes zu tragen, den der Pflichtteilsberechtigte in⸗ 
folge Annahme des Vermächtniſſes ſich auf den Pflicht⸗ 
teil anrechnen zu laſſen hat (8 2307 Abſ. 1). Soweit 
die Ausnahme des § 2320 nicht eingreift, bleibt die 
Pflichtteilslaſt gemäß § 2318 dem Erben und Ber: 
mächtnisnehmer (Auflageberechtigten). Aber auch dieſer 
Grundſatz wird beſchränkt durch 8 2321. Wenn der 
Pflichtteilsberechtigte, um den Pflichtteil unverkürzt 
verlangen zu können, das ihm zugewandte Vermächt— 
nis ausſchlägt, ſoll die Pflichtteilslaſt im Verhältnis 
der Erben und Vermächtnisnehmer zueinander in Höhe 
des erlangten Vorteils dem obliegen, welchem die Aus⸗ 
ſchlagung zuſtatten kommt. Der Pflichtteilsberechtigte 
braucht ſich die Verweiſung auf ein Vermächtnis nicht 
gefallen zu laſſen. Er kann den Erben in voller Höhe 
des Pflichtteils in Anſpruch nehmen, wenn er das Ver⸗ 
mächtnis ausſchlägt. In dieſem Falle behält aber die 
Anordnung des Vermächtniſſes ihre Wirkung für die 
Verteilung der Pflichtteilslaſt, worüber der Erblaſſer 
frei beſtimmen kann (§ 2324). Der Vermächtnisbe— 
ſchwerte muß in dieſem Falle zur Deckung der Pflicht— 
teilslaſt den Wertbetrag hergeben, den er zur Ent— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 22 15. 


303 


richtung des Vermächtniſſes hätte aufwenden müſſen. 
In dieſem Sinne wird der $ 2321 auch vom BG. ans 
gewendet. Es erachtet die Erben für verpflichtet, die 
Pflichtteilslaſt in Höhe des vollen Wertes des Ver⸗ 
mächtniſſes nach der Zeit des Erbfalls unter Berück- 
ſichtigung der Zwiſchenzinſen und Zinſeszinſen berechnet 
zu tragen, weil ſie durch Ausſchlagung des ihnen zu⸗ 
gunſten ihrer Mutter auferlegten Nießbrauchvermächt⸗ 
niſſes von dieſem Vermächtnis befreit worden ſind. 
Da diefer Wert den Betrag des Pflichtteils überſteigt, 
müßten ſie alſo die Pflichtteilslaſt vollſtändig über⸗ 
nehmen, ohne daß die mit einem anderen Vermächtnis 
bedachte Klägerin zur Deckung der Pllichtteilslaſt mit 
herangezogen werden darf. Dementgegen vertritt die 
Reviſion den Standpunkt, daß als der von den Erben er⸗ 
langte Vorteil nur der Unterſchied zwiſchen dem Betrage 
des Pflichtteils und dem Werte des Nießbrauchsver⸗ 
mächtniſſes angeſehen werden könne. Die Reviſion geht 
davon aus, daß der Pflichtteilsanſpruch erſt nach Aus⸗ 
ſchlagung des Vermächtniſſes geltend gemacht werden 
könne, daß danach die Ausſchlagung den Erben ſowohl 
Vorteil als Nachteil, nämlich den Vorteil der Befreiung 
von dem Vermächtnis und den Nachteil der Entſtehung 
des Pflichtteilsanſpruchs bringe, ſo daß als wirklicher 
Vorteil nur der Ueberſchuß des Vermächtniswertes 
über den Pflichtteil zu rechnen ſei. Dieſer Auffaſſung 
kann nicht beigetreten werden. Der Pflichtteil ſteht 
dem Pflichtteilsberechtigten ſchon vor der Ausſchlagung 
des Vermächtniſſes zu. Die Ausſchlagung hat nur die 
Bedeutung, daß der Vermächtnisbeſchwerte nunmehr 
nicht den vollen Betrag des Vermächtniſſes an den 
Pflichtteilsberechtigten zu entrichten braucht, wie ihm 
ſonſt obgelegen hätte. Sein Vorteil beſteht alſo in 
der vollen Höhe des Vermächtniswertes. Hieran ändert 
9255 auch der Umſtand nichts, daß die Vermächtnis⸗ 

eſchwerten zugleich die Erben und als ſolche mit der 
Entrichtung des Pflichtteils belaſtet ſind. Dadurch, 
daß den Erben das Vermächtnis an ihre pflichtteils⸗ 
berechtigte Mutter auferlegt iſt, iſt ihnen in Höhe des 
Wertes des Vermächtniſſes die Pflichtteilslaſt zuge⸗ 
wieſen und der anderen Vermächtnisnehmerin, der Be⸗ 
klagten, abgenommen. Es braucht deshalb nicht unter⸗ 
ſucht zu werden, ob nicht auch die Vorausſetzungen 
des 8 2320 gegeben ſind und ſchon hiernach die Erben 
die Pflichtteilslaſt allein zu tragen haben, weil ſie 
nach der Anordnung des Erblaſſers den Erbteil an 
Stelle ihrer auf den Pflichtteil geſetzten Mutter er⸗ 
halten. (Urt. d. IV. ZS. vom 2. März 1914, IV 523/13). 

33⁵6 


— —— . 


V. 


Unabwendbarer Zufall. Aus den Gründen: 
Die Friſt zur Begründung der Reviſion des Klägers 
lief am 22. März 1914 ab. Am 7. März beantragte 
der Kläger Bewilligung des Armenrechts wegen der 
Gerichtskoſten, die durch VBefſchluß vom 10. März er⸗ 
folgte. Durch Verſehen der Gerichtsſchreiberei des 
Reichsgerichts wurde aber ein das Armenrecht ver» 
ſagender Beſchluß ſtatt des bewilligenden ausge⸗ 
fertigt und dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers 
zugeſtellt unter Benutzung des unrichtigen Vordrucks. 
Der Prozeßbevollmächtigte legte deshalb die Vertretung 
nieder, die Reviſion wurde innerhalb der Friſt nicht 
begründet. Nach Ablauf der Friſt erlangte der Kläger 
Kenntnis von dem Verſehen. Sein Wiedereinſetzungs⸗ 
antrag (8 233 ZPO.) iſt gerechtfertigt. Die mit dem 
Verſehen des Gerichtsſchreibers zuſammenhängenden 
Vorgänge liegen außerhalb des Einflußbereichs des 
Klägers. Sie bilden für ihn einen unabwendbaren 
Zufall. Dieſer Zufall hat auch die Wahrung der Friſt 
verhindert, er war für die Verſäumung urſächlich. Der 
Kläger hatte zwar für den Rechtszug der Reviſion 
einen Prozeß bevollmächtigten: nachdem er aber durch 
die unrichtige Beſchlußausfertigung in den Irrtum 
verſetzt war, die Bewilligung des Armenrechts ſei ab— 


304 


e war ihm nicht zuzumuten, die nach ſeiner 
einung vom Reichsgerichte — wenn auch auf Grund 
bloß vorläufiger Prüfung — für ausſichtslos erklärte 
Reviſion auf ſeine Koſten, d. h. mit der Folge ſeiner 
Verpflichtung zur Vorſchußleiſtung nach 8 554 Abſ.7 
ZPO. zu begründen. (Urt. des III. 38S. vom 9. Juni 
1914, III 90/14). 
8406 


— 4 — 


VI. 


Wiedereinſetzung in den vorigen Stand, unabwend⸗ 
barer Zufall. Aus den Gründen: Unter dem „unab» 
wendbaren Zufall“ des 8 233 ZPO. verſteht die Rechtſpr. 
des RG. „ein Ereignis, das unter den nach der Beſonder⸗ 
heit des Falles zu berückſichtigenden Umſtänden auch 
durch die äußerſte dieſen Umſtänden angemeſſene und 
vernünftigerweiſe zu erwartende Sorgfalt weder abzu⸗ 
wehren noch in ſeinen ſchädlichen Folgen zu vermeiden 
ift“. RG. 77, 159. Dieſe Sorgfalt muß die arme 
Partei bei Anträgen auf Bewilligung des Armenrechts 
zur Einlegung eines Rechtsmittels anwenden, um die 
Friſt zu wahren; ſie darf nicht das, was ſie zur Wahrung 
der Friſt zu tun hat, auf deren letzten Teil verſchieben. 
JW. 1909, 417". Ein unabwendbarer Zufall liegt 
vor, wenn die Verſpätung durch Umſtände herbei⸗ 
geführt iſt, die außerhalb des Einflußbereichs der Par⸗ 
teien liegen. Nicht aber, wenn die Verſäumnis ausſchließ⸗ 
lich durch zu ſpätes Handeln der Partei oder ihres Ver⸗ 
treters herbeigeführt iſt, namentlich wenn um das 
Armenrecht für die vorzunehmende befriſtete Prozeßhand⸗ 
lung ſo ſpät nachgeſucht worden iſt, daß das Geſuch nach 
dem regelmäßigen Geſchäftsgange bei Gericht nicht mehr 
rechtzeitig erledigt werden konnte. Ja, es iſt eine 
ſo frühzeitige Einreichung in der Rechtſprechung des 
Senats verlangt worden, daß auch Störungen und 
Verzögerungen des Geſchäftsganges regelmäßig nicht 
ſchädlich wirken können (JW. 1901, 837). Die arme 
Partei muß die nötige Zeit haben zur Ueberlegung, 
ob das Rechtsmittel einzulegen ſei, ſie muß dann aber 
jede Zögerung vermeiden. Anderſeits darf fie damit 
rechnen, daß das Geſuch mit der erforderlichen und 
durch den Geſchäftsgang geſtatteten Beſchleunigung 
bearbeitet wird. Hätte danach das Geſuch noch recht⸗ 
zeitig erledigt werden können, fo iſt für die Friſtver⸗ 
ſaͤumnis die Verzögerung der Partei nicht mehr ur⸗ 
ſächlich. Urſache iſt vielmehr ein Verhalten des Ger 
richts oder der Beamten, das dem Einfluß der Partei 
entzogen iſt (vgl. RG. 21, 13; 48, 409). Hier iſt die 
Einreichung am 22. Auguſt erfolgt, die Friſt lief am 
25. Auguſt ab. Was der Kläger zur Entſchuldigung 
ſeiner Verzögerung vorbringt, hat das BG. mit Recht 
zur Begründung eines unabwendbaren Zufalls als un— 
zureichend erachtet: die angebliche Gedächtnisſchwäche, 
das Verreiſtſein des Klägers, die Uebergehung des ver— 
mittelnden Rechtsanwalts. Dafür, daß über das Ge⸗ 
ſuch erſt am 25. Auguſt Beſchluß gefaßt werden konnte, 
war das ſchuldhaft zögerliche Verhalten des Klägers 
allein urſächlich. Die Akten mußten eingefordert und 
geprüft werden. Selbſt wenn die Anberaumung einer 
beſonderen Sitzung auf den 24. Auguſt hätte in Frage 
kommen können, ſo liegt doch nichts dafür vor, daß bis 
dahin dieſe Prüfung hätte erledigt ſein müſſen. Allein 
es war doch ermöglicht, daß am 25. Auguſt, am letzten 
Tage der Friſt, über das Geſuch beraten und beſchloſſen 
wurde. Das BG. ſagt, der Beſchluß ſei in der Sitzung vom 
25. Auguſt gefaßt worden, aber erſt am 26. Auguſt zur 
Gerichtsſchreiberei gelangt und noch an demſelben Tage 


dem als Armenanwalt beigeordneten Rechtsanwalt P. 


zugeſtellt worden. Das Geſuch ſei „alio* vom Gerichte 
nicht ordnungswidrig behandelt worden. Für dieſen 
letzten Ausſpruch fehlt es an der gehörigen Begrün— 
dung. Es wäre darzulegen geweſen, weshalb nicht 
— wenn dies nicht überhaupt geſchehen iſt — die Be— 
ratung der eiligen Sache an den Anfang der Sitzung 
gelegt werden, daß und weshalb nicht nach den ge— 


CCC 


— 2 — ..... ee 


ſchäftlichen und örtlichen Verhältniſſen Ausfertigung 
und Zuſtellung des Beſchluſſes und Einreichung der 
Berufungsſchrift noch am 25. Auguſt bewerkſtelligt 
werden konnten. Der IV. ZS. des RG. hat in IV 3,10 
ausgeführt: „Wäre das Armenrechtsgeſuch noch in 
dieſer Sitzung vorgetragen worden, fo hätte bei Be 
willigung des Armenrechts dafür geſorgt werden 
können, daß noch an dieſem Tage Berufung 
eingelegt wurde.“ Dies entſpricht auch der eigenen 
Handhabung des Reichsgerichts. Standen im gegebenen 
Falle einer 5555 Fürſorge nicht beſonders dar⸗ 
zulegende Verhältniſſe entgegen, ſo war der Umſtand, 
daß nicht auch das weiter Erforderliche rechtzeitig ge⸗ 
ſchah, damit noch an dieſem Tage die Berufungsſchrift 
bei Gericht eingehen konnte, nachdem einmal am 
25. Auguſt das Armenrecht bewilligt war, ein etwas, 
worauf der Kläger keinen Einfluß hatte. Es war für 
ihn ein unabwendbarer Zufall, der ihn verhinderte. 
die Notfriſt einzuhalten. Ueber das Vorliegen ſolcher 
beſonderer Verhältniſſe wird ſich das BG. ſchlüſſig zu 
machen und auszuſprechen haben. (Urt. des III. 38. 
vom 15. Mai 1914, III 60/14). — a — 
3407 


B. Straffaden. 


Tateinheit oder mehrheit bei gleichzeitigem Ge: 
brauchmachen von mehreren gelälichten Urkunden! Liegt 
in der betrügeriſchen Bewirkung einer Gutſchrift ſtels 
eine VBermögensbeſchädigung i. S. des 8 263 Sts. 
Aus den Gründen: Verurteilt iſt der Angeklagte 
wegen ſechs Verbrechen der Privaturkundenfälſchung 
in rechtlichem Zuſammenhang mit drei Vergehen des 
vollendeten und einem Vergehen des verſuchten Not⸗ 
betrugs. Muß ſchon eine ſolche Annahme auffallen, 
ſo ergibt ſich auch, daß der zum Tatbeſtand der Ur⸗ 
kundenfälſchung erforderliche Begriff des Gebrauch⸗ 
machens verkannt iſt. Die gleichzeitige Uebergabe 
mehrerer gefälſchter Urkunden an die Perſon, die ge⸗ 
täuſcht werden ſoll, bildet wie die Hingabe einer 
derartigen Urkunde an dieſelbe Perſon nur eine 
körperliche Handlung und, da das durch die Urkunden⸗ 
fälſchung verletzte Rechtsgut kein ſolches iſt, bei dem 
die Perſönlichkeit des zu Täufchenden in Betracht kommt, 
kann die eine körperliche Handlung der Hingabe der 
Urkunde ſelbſt dann nicht als 8 ag ſelbſtändige 
Handlungen in ſich begreifend angeſehen werden, wenn 
der Uebergebende die Täuſchung mehrerer Perſonen 
bezweckte, ohne die ſeine ſchließliche Abſicht vielleicht 
nicht erreichbar ſchiene, und wenn die verſchiedenen 
zuſammen vorgelegten Urkunden anſcheinend von ver⸗ 
ſchiedenen Ausſtellern herrühren (RG. 15, 290). 
Der Angeklagte hat nun von den von ihm fälſchlich 
hergeſtellten ſechs Verſicherungsanträgen nicht nach⸗ 
einander gegenüber dem Generalagenten Gebrauch 
gemacht, um ihn und andere mit der Sache befaßte 
Beamte der Verſicherungsgeſellſchaft über ihre Echt⸗ 
heit zu täuſchen, ſondern in drei zeitlich getrennten Hand» 
lungen, wobei er das erſte Mal einen, das zweite Mal zwei 
und das dritte Mal drei gefälſchte Anträge vorlegte. 
In den beiden letzten Fällen übergab er die mehreren 
falſchen Urkunden gleichzeitig und zu dem nämlichen 
Zweck, die Beamten der Verſicherungsgeſellſchaft in 
den irrigen Glauben zu ſetzen, als ſei es ihm gelungen. 
die vermeintlichen Ausſteller der Urkunden zur Ein— 
gehung von Verſicherungsverträgen zu beſtimmen. 
Nach den entwickelten Grundſätzen hätte daher das 
LG. wie bei den jeweils in einer Handlung mit der 
Urkundenfälſchung begangenen vollendeten und ver: 
ſuchten Betrugsvergehen der Beſtrafung des Angeklagten 
auch wegen Urkundenfälſchung nur drei Verbrechen zu— 
grunde legen dürfen. 

Soweit vollendeter Betrug angenommen worden 
iſt, erblickt das Gericht die Vermögensbeſchädigung 


darin, daß dem Angeklagten in den Büchern die Pro⸗ 
vifion gutgeſchrieben wurde, die er zu fordern gehabt 
hätte, wenn die Verſicherungsanträge wircklich auf 
feine Veranlaſſung von den angeblichen Ausſtellern 
der Schriftſtücke geſtellt worden wären. Freilich 0 
in einem ähnlich gelagerten Falle — RG. in Goltd Arch. 
Bd. 54 S. 414 — ausgeſprochen worden, daß durch die 
Gutſchrift der Proviſion des Agenten in den Handels⸗ 
büchern des Auftraggebers eine der Vermögens⸗ 
beſchädigung gleichzuachtende Vermögensgefährdung 
eintreten könne, da der unehrliche Agent dadurch ein 
Beweismittel erlangt habe, deſſen er ſich in einem 
Rechtsſtreite zum Nachteil des Geſchäftsinhabers be⸗ 
dienen könne, und da unter den damals feſtgeſtellten 
Umſtänden für den Agenten weiter die Möglichkeit 
erwachſen war, jederzeit einen ſeinem vermeintlichen 
Guthaben entſprechenden Geldbetrag bei dem Auftrag⸗ 
geber zu erheben. In letzterer Beziehung ſind aber 
hier die Verhältniſſe inſofern anders geſtaltet, als ſich 
die Geſellſchaft gegen ſolche Uebervorteilungen zum 
Voraus ſchon dadurch geſchützt hat, daß ſie dem An⸗ 
geklagten in a Anftelungsvertrag ee 
feines Proviſionsanſpruchs nur nach Maßgabe der 
eingegangenen Prämienzahlungen durch die Verſicherten 
in Ausſicht ſtellt. Da in den Fällen, in denen der 
Angeklagte fälſchlich angefertigte Verſicherungsanträge 
vorgelegt hat, eine Praͤmienzahlung der gar nicht vor⸗ 
handenen Verſicherungsnehmer ausgeſchloſſen war, ſo 
konnte die Geſellſchaft jederzeit dem Verlangen des 
Angeklagten gegenüber auf Auszahlung der Proviſion 
ſich auf den Nichteintritt der Fälligkeit berufen. Die 
Gefahr, die ſonſt bei Gutſchrift der Proviſion in den 
Büchern des Geſchäftsherrn eintreten kann, beſtand 
hier für die Geſellſchaft nicht; eine Vermögensminderung 
wäre für ſie nur in Frage gekommen, wenn ſie dem 
unwahren Vorbringen des Angeklagten trauend die 
Proviſion ihm als Vorſchuß ausbezahlt hätte. Dazu 
konnte ſie aber durch den Vertrag nicht gezwungen 
werden, wenn ſie es tat, hat ſie auf ihre Vertragsrechte 
verzichtet. Für die Verurteilung wegen vollendeten 
Betrugs gebricht es ſomit an dem Nachweis einer Ver⸗ 


. (Urt. des I. StS. vom 26. es 
bruar 1914, 1 D 1275/13). 
3376 E. 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 

Beraudiegungen für die Aufſtellung eines Abweſen⸗ 
heitspflegers. (8 1911 B8GB.). Das Anweſen der Ehe⸗ 
gatten H. und W. K. in N. iſt zugunſten einer Forderung 
des K. L. mit einer Hypothek belaſtet. Die Ehegatten K., 
die verſchuldet ſind, haben N. verlaſſen. Ihr Aufenthalt 
iſt nicht bekannt. Um ihr Anweſen kümmern ſie ſich nicht. 
Der Hypothekgläubiger L. beantragte die Beſtellung eines 
Abweſenheitspflegers für K., weil er die Zwangsvoll⸗ 
ſtreckung in das Anweſen beabſichtige. Das Amtsgericht 
lehnte ab; die Beſchwerde wurde zurückgewieſen. Auch 
die weitere Beſchwerde blieb ohne Erfolg. 

Aus den Gründen: Die Vermögensangelegen⸗ 
heiten der Ehegatten K. bedürfen der Fürſorge nicht. 
Ein Schutzbedürfnis für einen Abweſenden beſteht nur, 
wenn der Abweſende an der Beſorgung feiner Ange⸗ 
legenheiten verhindert iſt. Ein ſolches Hemmnis liegt 
nicht vor. Die Ehegatten K. haben von allem Kenntnis, 
was ihre Fürſorge erheiſcht, und können entweder ſelbſt 
Anordnungen treffen oder einen anderen damit betrauen. 
§ 1911 88. bezweckt die Förderung der Intereſſen des 
Abweſenden. Wenn der Abweſende aber unter dem Drucke 
ſeiner Schulden ſein Vermögen im Stiche gelaſſen und 
nichts zu deſſen Schutze gegen die vorausſehbaren Ges 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


305 


fahren vorgekehrt hat, fo aa er damit zu erkennen ges 
geben, daß ihm an der Regelung ſeiner Vermögens⸗ 
angelegenheiten nichts liegt. Es beſteht kein Grund, ihm 
eine Fürſorge aufzudrängen, die er ſelbſt für unnötig 
hält. Daß der Abweſende ſich um ſeine Angelegenheiten 
nicht kümmern will, rechtfertigt die Anordnung einer 
Abweſenheitspflegſchaft nicht; dieſe iſt nur zuläſſig, wenn 
er fi) um fie nicht kümmern kann. (Beſchl. des I. ZS. 
vom 19. Juni 1914, Reg. III Nr. 55/1914). M. 
3413 


II 


ur Auslegung des 5 40 G80. Beim Ableben der 
Fr. U. ging deren Grundbeſitz auf ihre 4 Kinder H., 
Fr., H. U. und L. Fr. zu gleichen Anteilen über. Der 
Beſitzübergang wurde 1888 im Hypothekenbuch einge⸗ 
ſchrieben; die Größe der Anteile wurde nicht angegeben. 
Der Anteil der L. Fr. ging ſpäter durch Kauf und 
jener des Fr. U. durch Schenkung auf H. U. über; bei 
der Umſchreibung auf H. U. wurde gleichfalls das An⸗ 
teilsverhältnis nicht bezeichnet. Am 6. Mai 1914 erließ 
das LG. Tr. auf Antrag des H. U. eine einſtweilige 
Verfügung, durch die zur Sicherung des dem Antrag⸗ 
ſteller gegen H. U. zuſtehenden Anſpruchs auf Ein⸗ 
räumung einer Hypothek ohne Brief zu 6300 M an 
dem ¼ Anteil der H. U. die Eintragung einer Vor⸗ 
merkung angeordnet wurde. Das GBA. trug die Vor⸗ 
merkung ein und vermerkte in der 3. Abteilung des 
Grundbuchblattes, daß die Vormerkung auf dem / An⸗ 
teile der H. U. eingetragen werde. Die Beſchwerde und 
weitere Beſchwerde der H. U. wurden zurückgewieſen. 
Aus den Gründen: Allerdings ſoll nach 8 40 
Abſ. 1 EBD. eine Eintragung nur erfolgen, wenn ders 
jenige als der Berechtigte eingetragen iſt, deſſen Recht 
durch ſie betroffen wird; auch genügt eine unvoll⸗ 
ſtändige oder nicht zweifelsfreie Eintragung nicht der 
Vorſchrift des 8 40 EBD. Allein hier find die Eigen⸗ 
tumsverhältniſſe im Grundbuch nicht ungenügend be⸗ 
zeichnet und bedürfen nicht der Berichtigung. Es handelt 
ſich hier um Eigentum, das noch unter dem früheren 
Recht erworben und eingetragen wurde. Nach dem 
Bay. LR. konnte das Eigentum an einer Sache auch 
mehreren „pro indiviso“ zuſtehen; wenn über die An⸗ 
teile im Hypothekenbuch nichts vermerkt war, ſo verſtand 
es ſich von ſelbſt, daß jeder Mitbeſitzer zu gleichen An⸗ 
teilen mitberechtigt ſei (vgl. Hyp®. 8 136 Ziff. 1 und 
Inſtruktion dazu § 201 Ziff. 2). Ueberwiegend nahm 
man an, daß auch ideelle Teile einer Liegenſchaft Gegen⸗ 
ſtand einer felbſtändigen Hypothek ſein können und 
man erachtete es in dieſem Falle für genügend, wenn 
auf dem für die ganze Sache beſtehenden Folium ein 
die Anteilsverpfändung anzeigender Beiſatz gemacht 
wurde. Ob ein unter der Geltung des früheren Rechts 
begründetes Eigentum vorliegt, ergibt ſich aus dem 
Datum der Eintragung und dem im Grundbuch gleich⸗ 
alls angegebenen Erwerbsgrund. Da im Falle des 
iteigentums die Größe der einzelnen Anteile bei 
Gleichheit im Hypothekenbuch nicht eingetragen wurde, 
ſind bei der Anlegung des Grundbuchs dieſe Anteile 
zumeiſt auch ohne Bezeichnung nach Bruchteilen in das 
Grundbuch übertragen worden. Aber auch ohne dieſe 
Bezeichnung kann kein Zweifel beſtehen, daß ſolche 
nach dem früheren Rechte erworbene und eingetragene 
Miteigentumsrechte Berechtigungen zu gleichen Anteilen 
ſind. Es ergibt ſich unmittelbar aus den früheren 
Rechtsgrundſätzen, ohne daß auf die Rechtsvermutung 
des 8 742 BGB. zurückgegriffen werden müßte. Ins⸗ 
beſondere kann bei einem nach Bay. LR. auf Grund 
Teſtaments erbweiſe erworbenen Miteigentum kein 
Zweifel darüber beſtehen, daß alle Erben zu gleichen 
Anteilen berechtigt find, wenn nichts Befonderes beſtimmt 
iſt (LR. T. III Kap. 3 8 9 Nr. 6). 
Auch § 48 GBO. bildet kein Hindernis. Schon 
der Wortlaut ergibt, daß hier nur Eintragungen nach 
dem Inkrafttreten des Grundbuchrechts in Betracht 


306 


kommen. Wenn es auch um der Einheitlichkeit und 
Ueberſichtlichkeit des Grundbuchs willen wünſchenswert 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


regel nach § 1666 wiederaufzuheben iſt, iſt nur das In⸗ 
tereſſe des Kindes maßgebend. Daß die Vorausſetzungen 


iſt, daß bei Gelegenheit die Form des Eintrags des des 8 1666 in dem Zeitpunkte nicht mehr vorliegen, in 


Miteigentums dem 8 
doch für die Eintragung einer Belaftung nach Inkraft⸗ 
treten des Grundbuchrechts nicht unbedingte Voraus⸗ 
ſetzung; denn daß die Größe des zu belaſtenden An⸗ 
teils im Grundbuch angegeben ſei, iſt kein ſachliches 
Erfordernis, ſondern nur eine Ordnungsvorſchrift für 
den Vollzug, die nicht zutrifft, wenn das Miteigentum 
ſchon eingetragen wurde, bevor das Grundbuch an⸗ 
gelegt war. Wollte man im Hinblick auf 88 40, 48 GBO. 
gleichwohl fordern, daß auch bei dem unter dem früheren 
Recht begründeten und eingetragenen Miteigentum 
der Eintragung der Belaftung eine Berichtigung des 
Grundbuchs durch Einſchreibung der Größe der Ans 
teilsberechtigung vorausgehen müſſe, ſo würde das den 
Grundbuchverkehr erheblich und grundlos erſchweren. 
Eine Fülle von Berichtigungen wäre notwendig, um die 
frühere Art der Eintragungen den neuen Beſtimmungen 
anzupaſſen. Die Berichtigung könnte nicht nur auf 
Grund des Nachweiſes der Unrichtigkeit des Eintrags 
erfolgen, ſondern es müßte die Zuſtimmung des nicht 
oder nicht richtig eingetragenen Miteigentümers nach⸗ 
gewieſen werden, da es ſich um die Eintragung eines 
Eigentümers handelt (8 22 Abſ. 2 EBD.) Wenn 
mehrere Miteigentümer ohne Angabe des Teilungs⸗ 
verhältniſſes eingetragen ſind, haben nach dem jetzigen 
Orundbuchrechte ſämtliche Miteigentümer in der Form 
des 8 29 GBO. ihre Zuſtimmung zur Eintragung des 
Teilungsverhältniſſes zu erklären. Sollte einer nicht 
a fo wäre erſt Klage nach 8 894 BGB. zu 
erheben. Das würde z. B. bei dem grundbuchamtlichen 
Vollzug einer einſtweiligen Verfügung den Zweck der 
Maßregel geradezu vereiteln, obwohl kein Zweifel dar⸗ 
über beſtehen kann, in welchem Sinne der beſtehende 
Miteigentümereintrag aufzufaſſen iſt. Daher kann an 
der Entſcheidung des Fer. ZS. vom 9. Auguſt 1909 
(Sammlg. Bd. 10 S. 355) wenigſtens in einem Falle 
wie dem gegenwärtigen, nicht feſtgehalten, es muß viel⸗ 
mehr davon ausgegangen werden, daß keine Berichtigung 
des Grundbuchs durch Einſchreibung des Teilungsver⸗ 
hältniſſes erforderlich iſt, wenn nach dem bisherigen 
Recht über die Größe des Anteils kein Zweifel beſteht. 
(Beſchl. d. I. ZS. v. 13. Juni 1914, Reg. III Nr. 52/1914). 
3411 M. 


III. 


Wiederanihebung von in nach & 1666 BG. 
M. Sch. kam ſchon früh zu ihren Großeltern, da ihre 
Mutter bald nach ihrer Geburt ſtarb. 1899 ſtellte ihr 
Großvater den Antrag, dem Vater Joh. Sch. die Sorge 
für die Perſon und das Vermögen zu entziehen. Joh. Sch. 
erklärte ſich einverſtanden, das Vormundſchaftsgericht 
ſtellte einen Pfleger für die Perſon und das Vermögen 
auf. Der Vater hatte ſich 1907 wieder verheiratet und 
ſich um die Tochter nie gekümmert; fie war ausſchließ⸗ 
lich von ihren Großeltern unterhalten worden. Da ihr 
Unterhalt der Großmutter nach dem Ableben ihres 
Mannes ſchwer fiel, erhob der Pfleger gegen den Vater 
Klage auf Unterhalt. Nun beantragte Joh. Sch. beim 
Vormundſchaftsgericht den Beſchluß wieder aufzuheben, 
durch den ihm die Sorge für die Perſon und das Ver— 
mögen entzogen worden war. Das AG. wies den An— 
trag zurück, auf Beſchwerde hob das LG. den Beſchluß 
des AG. auf und verwies die Sache zurück. Die weitere 
Beſchwerde des Pflegers wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Das L. ſtellt dahin, ob 
Tatſachen nachgewieſen ſind, die die Entziehung des Für— 
ſorgerechts nach S 1666 BGB. rechtfertigen. Dabei übers 
ſieht es, daß dem Joh. Sch. das Recht der Sorge für 
die Perſon und das Vermögen entzogen, daß alſo feſt— 
zuſtellen iſt, ob die Wiederaufhebung dieſer Maßregel 
nach $ 1671 BGB. gerechtfertigt iſt. Dieſer Unterſchied 
iſt nicht nur formal. Denn ſür die Frage, ob eine Maß— 


48 angepaßt werde, ſo iſt dies dem über die Aufhebung zu entſcheiden iſt, reicht nicht 


aus. Wenn die Vorausſetzungen des $ 1666 ſpäter weg⸗ 
fallen, wird freilich in der Regel ohne weiteres ange⸗ 
nommen werden dürfen, daß auch der Wegfall der Maß⸗ 
regel nach 8 1666 im Intereſſe des Kindes liegt. Immer 
trifft das aber nicht zu. Im Ergebnis iſt jedoch dem 
LG. beizuſtimmen. 

Der Vater hat vorgebracht, daß gegen ſeinen Lebens⸗ 
wandel nichts einzuwenden ſei; er könne zwar nicht für 
feine Tochter Unterhaltsbeiträge zahlen, wohl aber fie 
in ſeiner Familie verpflegen und erziehen; mit ſeinem 
verſtorbenen Schwieger vater ſei er einig geweſen; dieſer 
habe ſeine Tochter freiwillig zu ſich genommen und nie 
eine Bezahlung verlangt; von einer Vernachläſſigung 
könne alſo keine Rede ſein; er habe auch mit ſeiner 
Tochter im beſten Einvernehmen gelebt und zu einem 
regeren perſönlichen Verkehr ſei es nur deshalb nicht 
gekommen, weil er viel im Ausland gelebt habe. Dieſe 
Tatſachen können von Einfluß ſein für die Frage, ob 
die Maßregel aufgehoben werden kann. Denn wenn 
die Behauptungen richtig ſind, könnte u. U. die aller⸗ 
dings wegen der langen Vernachläſſigung feiner Tochter 
gegen den Antragſteller ſprechende Vermutung entkräftet 
werden. Das AG. mußte alfo die maßgebenden Tat⸗ 
ſachen, insbeſondere die gegenwärtigen perſönlichen und 
Vermögensverhältniſſe des Antragſtellers und der Groß⸗ 
mutter nach 8 12 FGG. von Amts wegen erheben, und 
zwar um ſo mehr, als dem Vater die Sorge für die 
Perſon im Jahre 1899 anſcheinend ohne Prüfung der 
Vorausſetzungen des § 1666 entzogen worden iſt. Der 
Vermögensverfall des Vaters in Verbindung mit der 
Unmöglichkeit, dem Kinde Unterhalt zu geben, genügte 
wohl damals dem Vormundſchaftsgerichte, dem Vater 
nach § 1666 Abſ. 2 die geſamte Sorge zu entziehen, 
zumal er ſein Einverſtändnis erklärt hatte. Es darf 
ihm geglaubt werden, daß er ſich der Tragweite ſeiner 
damaligen Erklärung nicht ganz bewußt war. (Beſchl. 
des I. 3S. vom 22. Mai 1914, Reg. III Nr. 471914). 

3101 M. 


IV. 


ge Auslegung der 33 57 Nr. 6, 59 F86., 51837 
BGB. Der wegen Geiſtesſchwäche entmündigte J. St. 
ſtellte an das Vormundſchaftsgericht den Antrag, ſeinen 
Vormund anzuweiſen, nach §679 ZPO. Klage zu ſtellen 
oder den Vormund zu entlaſſen. Zur Begründung 
brachte er vor, der Vormund ſei ihm feindlich gefinnt 
uſw. Das Vormundſchaftsgericht wies den Antrag ab; 
das Landgericht verwarf die Beſchwerde. Auf die 
weitere Beſchwerde wurde der Beſchluß des LE. auf⸗ 
gehoben und die Sache zurückverwieſen. 

Aus den Gründen: Nach 8 20 Abſ. II FG. ſteht 
die Beſchwerde nur dem Antragſteller zu, ſoweit eine 
Verfügung nur auf Antrag erlaſſen werden kann und 
der Antrag zurückgewieſen worden iſt. Dieſe Bes 
ſtimmung ſetzt voraus, daß der Antrag von einem 
Antragsberechtigten geſtellt worden iſt. Das LG. nimmt 
auf Grund des § 57 Nr. 6 JGG. an, die Entlaſſung 
eines Vormunds könne nur auf Antrag verfügt werden. 
Das iſt irrig. 857 Nr. 6 beſtimmt nur, daß dem Ans 
tragſteller das Beſchwerderecht zuſteht, wenn der Gegen⸗ 
vormund oder Beiſtand einen der dort aufgeführten 
Anträge, insbeſondere den auf Entlaſſung des Vor⸗ 
munds, geſtellt hat und der Antrag zurückgewieſen 
worden iſt. Dieſe Beſtimmung war notwendig, weil 
dem Gegenvormund und dem Beiſtand in den in 8 57 
Nr. 6 aufgeführten Fällen, da ſie — abgeſehen von dem 
nach $ 1693 BGB. beſtellten Beiſtande — nicht zur 
Vertretung des Mündels berechtigt find, nach der all» 
gemeinen Beſtimmung des § 20 Abſ. J ein Beſchwerde⸗ 
recht überhaupt nicht und nach $ 57 Nr. 9 daſelbſt ein 
ſolches jedenfalls nicht gegen Verfügungen zuſtehen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


307 


würde, die die Sorge für das Vermögen des Mündels 
betreffen. Daß aber die in S 57 JG. aufgeführten 
Verfügungen nur auf Antrag oder gar nur auf Antrag 
des Gegenvormundes oder des Beiſtandes erlaſſen 
werden können, iſt nirgends beſtimmt. Daß insbeſon⸗ 
dere die Entlaſſung eines Vormunds nicht von einem 
Antrag abhängig ſein kann, ergibt ſich unzweideutig 
aus 8 1886 BGB., wonach das Vormundſchaftsgericht 
den Bormund zu entlaſſen hat, wenn die Voraus⸗ 
ſetzungen gegeben find. Hier hat alſo das Vormund⸗ 
ſchaftsgericht von Amts wegen gegen einen ungeeigneten 
Vormund vorzugehen, ſein Einſchreiten kann nicht von 
einem Antrag, insbeſondere nicht von dem Antrag des 
Gegenvormundes abhängig fein, den das Vormund⸗ 
ſchaftsgericht in den meiſten Fällen erſt aufſtellen müßte. 
Die Tätigkeit des Vormundſchaftsgerichts kann ſelbſt⸗ 
verſtändlich auch durch einen Antrag oder eine An⸗ 
regung des Mündels in die Wege geleitet werden und 
wenn einer ſolchen Anregung keine Folge gegeben 
wird, ſteht dem nicht geſchäftsunfähigen über 14 Jahre 
alten Mündel nach 88 20 und 59 JGG. das felbftändige 
Beſchwerderecht zu, ſoferne es ſich um eine ſeine Perſon 
betreffende Angelegenheit handelt. Hier handelt es 
ſich um eine Angelegenheit dieſer Art. Der Mündel 
beſchwert ſich zwar auch über die Vermögensverwal⸗ 
tung, hauptſächlich erachtet er ſich aber dadurch be⸗ 
ſchwert, daß der Vormund mit ihm verfeindet ſei und 
ſich infolgedeſſen weigere, die Wiederaufhebung der 
Entmündigung zu betreiben. Ware das richtig, ſo 
müßte durch das Verhalten des Vormunds auch die 
Sorge für die Perſon des Mündels beeinflußt werden 
und es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß 
die Vorausſetzung des § 59 Abſ. 1 JG. gegeben iſt. 
Dem Mündel kann daher, da er nach SS 104 ff. BG. 
nicht geſchäftsunfähig iſt, das Recht der Beſchwerde 
und folglich auch das der weiteren Beſchwerde nicht 
abgeſprochen werden (8 63 J.). Das gleiche gilt 
von dem weiteren Antrag, den Vormund, ſofern er 
nicht entlaſſen werden ſollte, e die Wieder⸗ 
aufhebung der Entmündigung zu betreiben. Hier ſteht 
das LG. auf dem Standpunkt, daß das Vormundſchafts⸗ 
gericht dem Vormund, der die Vormundſchaft ſelbſtändig 
zu führen habe, keine ſolche Anweiſung geben könne. 
Dieſe Anſchauung iſt irrig. Wären tatſächlich die 
Borausfegungen der Entmündigung weggefallen, fo 
würde der Vormund pflichtwidrig handeln, wenn er 
ſich weigern würde, ihre Wiederaufhebung zu betreiben. 
Gegen Pflichtwidrigkeiten des Vormunds hat aber das 
Vormundſchaftsgericht nach 8 1837 BGB. durch Gebote 
und Verbote einzuſchreiten und es kann den Vormund 
zur Befolgung ſeiner Anordnungen durch Ordnungs⸗ 
ſtrafen anhalten, vor allem aber hat es das Recht 
und die Pflicht, nach 8 1886 BGB. u. U. den Vormund 
zu entlaſſen. Es iſt alſo nicht richtig, daß das Vor⸗ 
mundſchaftsgericht den Vormund nicht zur Klageſtellung 
nach 8 679 ZPO. veranlaſſen könne. Alle dieſe Maß⸗ 
regeln kann auch der Mündel anregen und wenn einer 
ſolchen Anwendung keine Folge gegeben wird, ſo ſteht 
dem Mündel das Recht der Beſchwerde unter den gleichen 
Vorausſetzungen zu, wie fie oben erörtert find. (Beſchl. 
des I. 35. vom 15. Mai 1914, Reg. III Nr. 45/1914). 
3383 M. 


V 


Inwieweit hat der Negifterrichter das ordunngs⸗ 
aufe Zuſtandekommen des Generalverſammlungsbe⸗ 
chluſſes einer Genoſſenſchaft zu prüfen? Darf er einen 
atzungswidrig zuſtande gekommenen Beſchluß eintragen? 
(88 16, 51 Gen.). Aus den Gründen: Es kann 
dahingeſtellt bleiben, ob das Regiſtergericht grund— 
ſätzlich das ordnungsgemäße Zuſtandekommen des Be: 
ſchluſſes zu prüfen hat. Jedenfalls iſt daran feſtzu— 
halten, daß der Beſchluß beanſtandet werden muß, 
wenn ſich aus der Anmeldung ergibt, daß bei der Be- 
ſchlußfaſſung gegen Geſetz oder Satzung verſtoßen worden 


iſt. (Bgl. Pariſius⸗Crüger, 3. Aufl. Anm. 6 Abſ. 2 zu 
§ 16). Unrichtig iſt die Meinung, daß das vom Vor⸗ 
ſtand eingereichte Protokoll nicht berückſichtigt werden 
dürfe, weil der Vorſtand zur Vorlegung nicht ver⸗ 
pflichtet ſei, der Regiſterrichter alſo nur zufällig und 
persönlich, aber nicht amtlich Kenntnis davon bekommen 
habe. Der Richter wird mit allem amtlich befaßt, 
was ihm vorgetragen wird, er darf und muß ſich 
daran halten, auch wenn es zum Nachteile des Geſuch⸗ 
ſtellers iſt. Der Vorſtand hat durch die Einreichung 
des Protokolls eingeräumt, daß bei der Beſchlußfaſſung 
die Satzungen nicht beobachtet worden ſind. 

Die Eintragung des Beſchluſſes iſt auch mit Recht 
abgelehnt worden. Es braucht nicht unterſucht zu 
werden, ob ein nicht mit der erforderlichen Mehrheit 
gefaßter Beſchluß der Generalverſammlung ohne wei⸗ 
teres eingetragen werden muß, wenn nach der Satzung 
deren Aenderung durch Mehrheitsbeſchluß zuläſſig iſt, 
oder ob er überhaupt nicht oder erſt dann eingetragen 
werden darf, wenn feſtſteht, daß innerhalb der im 
851 Genc. beſtimmten Anfechtungsfriſt keine Anfechtung 
erfolgt iſt. Denn hier iſt nach der Satzung zu der 
Aenderung ein einſtimmiger Beſchluß notwendig. Daß 
eine ſolche Feſtſetzung zuläſſig iſt, iſt in dem Beſchluſſe 
des RG. vom 22. April 1911 (RG. 76, 171) dargelegt. 
Iſt aber die Beſtimmung der Satzung zuläſſig, daß 
eine Vorſchrift nur mit Zuſtimmung aller Genoſſen 
geändert werden kann, ſo erlangt dadurch der einzelne 
Genoſſe ein unentziehbares Recht darauf, daß die General⸗ 
verſammlung nicht gegen ſeinen Willen die Aenderung 
beſchließt. Kann die Satzung durch einen Mehrheits⸗ 
beſchluß geändert werden, ſo muß jeder Genoſſe damit 
rechnen, daß die Mehrheit zuſtande kommt; er muß alſo 
die Generalverſammlung beſuchen, wenn er ſich nicht 
im vornherein unterwerfen will. Kann aber die 
Satzung nur geändert werden, wenn alle Genoſſen an⸗ 
weſend ſind und einhellig zuſtimmen, ſo darf jeder 
damit rechnen, daß er ſchon durch Nichterſcheinen einen 
ihm nicht genehmen Beſchluß vereitelt. In dieſem 
Fall iſt eine Generalverſammlung gar nicht zuſtändig, 
in der nicht alle Genoſſen anweſend ſind, und ein ohne 
die Zuſtimmung aller Genoſſen gefaßter Beſchluß iſt 
nichtig. Das Regiſtergericht darf ihm nicht durch Ein⸗ 
tragung nach 8 16 Abſ. 4 Gen. rechtliche Wirkung 
verleihen. Gleichgültig iſt, ob der nicht erſchienene 
Genoſſe, der bei ordnungsgemäßer Berufung der Vers 
ſammlung und gehöriger Ankündigung des Gegenſtands 
kein Recht zur Anfechtung des ſatzungswidrigen Be⸗ 
ſchluſſes nach $ 51 Gen. hat, durch eine Feſtſtellungs⸗ 
klage gegen die Genoſſenſchaft einen Ausſpruch über die 
Nichtigkeit des Beſchluſſes herbeiführen kann. 

Wertlos iſt auch der Einwand, daß nach dem 8 16 
mit 8 11 Genc. bei der Anmeldung des Beſchluſſes 
über Aenderung der Satzung nur zwei Abſchriften vor⸗ 
gelegt werden müſſen; das Gen. ſchreibe nicht vor, 
daß das Protokoll vorzulegen ſei; hieraus folge, daß 
es für das Regiſtergericht nicht darauf ankomme, ob ein 
Beſchluß mit der erforderlichen Stimmenzahl gefaßt 
worden ſei. Allein daraus, daß das Gen. nur ver⸗ 
langt, daß zwei Abſchriften des Beſchluſſes vorzulegen 
ſind, darf nicht geſchloſſen werden, das Gericht könne 
nicht das Protokoll ſelbſt verlangen. Wenn die Satzung 
Stimmeneinhelligkeit verlangt, hat der Richter zu 
prüfen, ob der Beſchluß von allen Genoſſen gefaßt 
worden ift, er muß nach § 12 FGG. Ermittelungen 
über das Zuſtandekommen des Beſchluſſes anſtellen und 
eine zuläſſige Art der Ermittelung iſt das Verlangen 
nach Vorlegung des Protokolls (vgl. OL GRſpr. 28, 354). 
(Beſchl. des I. 35. vom 22. Mai 1914, Reg. III 
Nr. 38/1914). M. 

3400 


B. Straffaden. 
I. 


Verhältnis des 5 153 GewO. (Streilparagraph) zu 
dem eine härtere Straſe andrshenden allgemeinen Straf: 
geſetze.) Aus den Gründen: Eine wiederholte 
Prüfung der Frage, welcher Einfluß der Strafvorſchrift 
des § 153 GewO. in bezug auf die allgemeinen Sirafs 
geſetze, insbeſondere die SS 185, 223, 240, 241 StGB. 
zukommt, hat den Senat dazu geführt, teilweiſe von 
der in ſeinem Urteil vom 21. Januar 1911 (ſ. dieſe Zeit⸗ 
ſchrift 1911 S. 246) ausgeſprochenen Anſicht abzugehen 
und fi enger an die Rechtſprechung des RG. (f. insbeſ. 
RGSt. 38, 383; 44, 1 ff., 46, 214 ff.) und des Kammer⸗ 

erichts (Goltd Arch. 59 S. 167) anzuſchließen. Die jetzt 
Rerrſchende Lehre, daß $ 153 GewO. vermöge feines 
Schlußſatzes zu dieſen Strafnormen im Verhältnis der 
„Subſidiarität“ ſteht, war in der bayeriſchen Recht⸗ 
ſprechung ſchon früher anerkannt (Samml. Bd. 7 S. 294); 
die Folgerung aber, daß das nur „ſubſidiäre“ Geltung 
beanſpruchende Geſetz bei der Anwendung des „primären“ 
Geſetzes ganz ausſcheidet, hatte jene Rechtſprechung bisher 
nicht gezogen. Die Schlußworte des § 153 GewO. er⸗ 
geben nun zwar, daß gegenüber dieſer Strafnorm als 
ausſchließendes Geſetz nie ein ſolches in Frage kommen 
kann, das nur Geldſtrafe androht (ſo auch v. Land⸗ 
mann, 6. Aufl., Schluß der Anm. 4 zu $ 153); nicht 
dasſelbe gilt aber von einem Strafgeſetze, das neben 
Geldſtrafe und Haft auch Gefängnisſtrafe, und zwar 
von längerer Dauer als drei Monaten androht; und 
dies iſt bei dem § 185 und, von der Haft abgefehen, 
auch bei den SS 240, 241, 223 SIEB. der Fall. Aus 
§ 153 GewO. iſt keine Einengung des Strafrahmens 
dieſer allgemeinen Geſetze, insbeſondere nicht in dem 
Sinne zu entnehmen, daß wegen des beſondern, in 
$ 153 genannten Beweggrundes und der beſondern 
Abſicht des Täters bei dem ſog. Streikvergehen auch 
auf Grund der angeführten Beſtimmungen des StGB. 
nur auf Gefängnis erkannt werden dürfte. Die hier 
früher geltend gemachte Wechſelbeziehung kann bei dem 
Verhältnis eines bloß ſubſidiären Geſetzes zum primären 
nicht aufrecht erhalten werden. Aus der Entſtehungs— 
geſchichte des § 153 iſt ebenfalls kein unbedingt ſchlüſſiger 
Behelf für die; Zuläſſigkeit jener Einengung zu entnehmen. 
(Wird ausgeführt). Die Urheber und Berater des 
Entwurfes zur Gewd. haben von dem jetzigen 8 153 
nur eine Ergänzung, nicht eine Verſchärfung der all» 
gemeinen Strafgeſetze ihrer Zeit erwartet. Die ſpäteren 
Verſuche einer Verſchärfung des $ 153 find mißlungen. 
Die Faſſung des Vorbehalts in den Schlußworten „ſo— 
fern nach dem allgemeinen Strafgeſetze nicht eine härtere 
Strafe eintritt“ beweiſt für die ſtrengere Anſicht zu 
wenig. Sie ſagt dasſelbe, wie die anderwärts die 
Aushilfsnormen kennzeichnenden Wendungen „ſofern 
nicht . . . eine höhere, — eine ſchwerere Strafe verwirkt 
iſt, feſtgeſetzt, angedroht iſt“. Ueberall handelt es ſich 
hier um die ſogenannte Strafdrohung in thesi, nicht 
um den Eintritt einer höhern Strafe im Einzelfalle. 
Wie bedenklich das Abſtellen auf den Einzelfall, die 
Strafbemeſſung „nach Lage der Sache auf Grund eines 
fubſidiären Geſetzes werden kann, ergibt eine Nach— 
prüfung der älteren Entſcheidungen des ChYG. vom 
13. April 1907 (Samml. Bd. 7 S. 296 oben), der auch 
die Entſcheidung vom 21. Januar 1911 inſoweit feines: 
wegs gefolgt iſt. 

Die Unſtimmigkeit, daß bei dem gleichen Tatbeſtand 
einer Beleidigung, wenn Strafantrag geſtellt iſt, eine 
Geldſtrafe, im gegenteiligen Falle nur eine Gefängnis— 
ſtrafe ausgeſprochen werden kann, iſt in der Mehrzahl 


Zeetſchrift für für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


der Fälle vom Tatrichter durch eine allſeitige Würdigung 


der Straſzumeſſungsgründe zu vermeiden; denn der 


Umſtand, daß eine Nötigung, eine Drohung, eine Bes 


leidigung oder Körperverletzung im Lohnkampfe und 


246. 


1) Siede dieſe Zeitſchrift 1911 S. 


unter Mißbrauch der für dieſen in § 152 GewO. ge⸗ 
währten Freiheit begangen wurde, muß regelmäßig 
im Rahmen der für jene Vergehen angedrohten Strafen 
erhöhend wirken und wird den Richter häufig zur Wahl 
einer Freiheitsſtrafe beſtimmen. Iſt andererſeits die Ver⸗ 
fehlung gegen die Willensfreiheit oder gegen die Ehre 
eines Arbeitswilligen u. dgl. ſo gering, daß dem Tat⸗ 
richter eine Gefängnisſtrafe als zu ſtreng erſcheint, ſo 
iſt die Freiheit des Strafausmaßes im Rahmen des 
allgemeinen Strafgeſetzes zu billigen. Daß die Aus⸗ 
hilfsſtrafe des §S 153 GewO. anwendbar bleibt, wenn 
ein an ſich im StB. ſchärfer bedrohtes Antragsver⸗ 
gehen wegen des im le mangelnden oder uns 
wirkſamen Strafantrages nicht verfolgt werden kann, 
iſt eine aus dem Weſen der Antragsdelikte folgende 
Begrenzung der hier erörterten Subſidiarität. Die von 
dem ObèG. bisher vertretene ſtrengere Anſicht, die 
bereits einem Urteil des OLG. Jena (GewArch. Bd. 8 
S. 674) zugrunde lag, iſt ſeither nur von v. Rohr⸗ 
1 (GewO. 2. Aufl. Bd. II S. 499 Anm. 10 a. C.) 
urch Wiedergabe der wichtigeren Entſcheidungsgründe 
des Urteils vom 21. Januar 1911 gebilligt worden; 
von anderen Bearbeitern der GewO., insbeſondere von 
v. Landmann (6. Aufl., Bd. II S. 840) und von Linden⸗ 
berg (Anm. 1 zu $ 153), wird zum mindeſten die hier 
erörterte Folgerung nicht gezogen. Sie kann nicht 
mehr aufrecht erhalten werden. (Urt. v. 28. März 1914, 
Rev.⸗Reg. 144/44). Ed. 

3385 

II. 


Hängt die Anwendung des 5 208 StPO. von der 
Erhebung der öffentlichen Klage ab? Der StA. legte 
der Strafkammer eine Gendarmerieanzeige vor „mit 
dem Antrage auf Einſtellung des Verfahrens nach 8 PT: 
StPO. unter Verbindung dieſer Sache mit den ſchon 
angeklagten Sachen, wegen deren Hauptverhandlungs⸗ 
termin anſteht“. Die StͤK. machte die Verbeſcheidung 
des Antrags von der Einreichung einer Anklageſchrift 
abhängig. Die Beſchwerde des StA. wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Die Stͤ. wird durch Ein⸗ 
reichung der Anklageſchrift mit der Strafſache befaßt; 
es kann daher eine Strafſache, hinſichtlich deren nur 
eine Anzeige vorliegt, nicht mit Strafſachen verbunden 
werden, bezüglich deren das Hauptverfahren eröffnet iſt. 
Nach ss 152, 153, 177, 196 mit 198 StPO. bildet der 
Antrag oder die Anklageſchrift die Grundlage der Unter: 
ſuchung und der Entſcheidung; von dieſer Verpflichtung 
wird der StA. durch $ 208 StPO. nicht entbunden, weil 
nur „aus Nützlichkeitsrückſichten das erkennende Gericht 
nicht neben der Hauptſache mit anderen Strafſachen be» 
faßt werden ſoll, welche für das Strafmaß unweſentlich 
find“ (Hahn, Mat. zur StPO. Bd. 1 S. 172 und 817 818). 
8 208 StPO. iſt für das Gericht nicht zwingend; es hat 
aa Grund der Anklage und der Akten zu prüfen und 
zu entſcheiden, es kann den Antrag ablehnen, insbeſon⸗ 
dere auch einen ſtrafbaren Tatbeſtand verneinen; daraus 
allein ergibt ſich ſchon, daß eine Anklageſchrift einge: 
reicht werden muß. In dem Entwurfe des $ 172 (nun 
5208 StPO.) war nur von Vorunterſuchung' die Rede; 
erſt in der Kommiſſion wurde an Stelle „Vorunter⸗ 
ſuchung! die Bezeichnung „Vorverfahren“ geſetzt, um 
dem S 208 auch die Fälle zugänglich zu machen, in denen 
keine Vorunterſuchung ſtattgefunden hatte. Erfordert 
die Einleitung einer Vorunterſuchung die Erhebung der 
Klage, ſo iſt nicht einzuſehen, warum nicht auch in den 
übrigen Fällen zur Anwendung des S 208 die öffentliche 
Klage die Vorausſetzung ſein ſoll. Die entgegenſtehende 
Entſcheidung des OLG. München (deſſen Slg. in Sts. 
Bd. 8 S. 466) geht von der irrigen Anſchauung aus, daß 
ſchon beim Vorhandenſein des im 2. Abſchn. des 2. Buches 
der StPO. behandelten vorbereitenden Verfahrens die 
Anwendung des S 208 gegeben ſei; es wurde dabei nam» 
lich überſehen, daß der § 208 mit den Worten beginnt: 
„betraf das Vorverfahren mehrere derſelben Perſon zur 


Laſt gelegte ftrafbare Handlungen“. Hiernach muß ein 
abgeſchloſſenes Vorverfahren vorhanden ſein, das Vor⸗ 
verfahren wird aber nur durch die öffentliche Klage 
abgeſchloſſen, falls eine ſtrafbare Handlung vorliegt. 
(Beſchl. vom 5. Mai 1914, Beſchw.⸗Reg. Nr. 374 / Aral 
3109 


III. 


Der e darf auf die i 
von Schweinen für den eigenen Hausbedarf ausgedehn 
werden. Der Stadtmagiſtrat L. hat a Grund des 
§ 23 Abſ. 2 Gewd., der Art. 3, 74 Abſ. 1, Art. 75 
Abſ. 1 und Art. 145 Ziff. 2 PSt®. des 8 20 Abſ. 1 
und 2 und 8 24 Fleiſch8 G., ſowie der Art. 40 und 41 
Gem. ortsp. Vorſchriften über die Schlachtungen, den 
Verkehr mit Fleiſch und die Trichinenſchau erlaſſen, 
wornach auch Privatperſonen verpflichtet ſind, die aus⸗ 
ſchließlich für den eigenen Haushalt berechneten Schlach⸗ 
tungen von Schweinen nur im ſtädtiſchen Schlachthöfe 
vorzunehmen, die Schweine — mit Ausnahme der 
Ferkel bis zu 15 Pfund — der Trichinenſchau dort⸗ 
ſelbſt zu unterziehen. Der Angeklagte . ein 
Schwein zu Hauſe; er wurde auf Grund des Art. 74 
Ziff. 1 PStGB. beſtraft. Die Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Das Fleiſch . regelt die 
Schlachtvieh⸗ und Fleiſchbeſchau nicht erſchöpfend. Es 
ſtellt vielmehr nur als Mindeſtmaß die . 
auf, die im ganzen Reiche einzuhalten find. § 24 ges 
ſtattet den Landesregierungen weitere ſtrengere Vor⸗ 
ſchriften zu erlaſſen. Nach $ 24 find u. a. landesrecht⸗ 
liche Vorſchriften über die Trichinenſchau zuläſſig, je⸗ 
doch darf ihre Anwendbarkeit nicht von der Herkunft 
des Schlachtviehs oder des Fleiſches abhängig gemacht 
werden. Infolge dieſer Vorſchrift blieben die vor dem 
Inkrafttreten des RG. erlaſſenen landesrechtlichen Vor⸗ 
ſchriften über die Trichinenſchau in Kraft. In Bayern 
bildete Art. 74 Abſ. 1 Ziff. 1 PStcg B. die Grundlage für 
die Regelung der Trichinenſchau. Die wirkſame Fleiſch⸗ 
beſchau als eine Maßregel der öffentlichen Geſund⸗ 
heitspflege wurde für eine der wichtigſten Aufgaben 
der Polizeibehörden erachtet. Aus dem Wortlaute, der 
Entſtehungsgeſchichte und dem Zwecke des Art. 131 
P StGB. v. J. 1861 und des nunmehrigen Art. 74 Abſ. 
StB. muß für den in Bayern bis zur Einführung 
des FleiſchB G. geltenden Rechtszuſtand gefolgert werden, 
daß unter Vorſchriften „über Beſchau“ i. S. des Art. 74 
PStcB. nicht nur Beſtimmungen zu verſtehen waren, 
die die Verpflichtung ausgeſprochen haben, das zu 
ſchlachtende oder geſchlachtete Vieh der Beſchau zu 
unterſtellen, ſondern alle Vorſchriften zur Durchführung 
der Beſchau und insbeſondere zu ihrer Sicherung. 
Nirgends iſt die Abſicht ausgedrückt, die Polizeibehörden 
in der Anordnung der Beſchau dergeſtalt zu beſchränken, 
daß ſie nur für gewerbliche Schlachtungen eingeführt 
werden dürfte. Die Polizeibehörde iſt daher befugt, die 
Beſchaupflicht auch auf Vieh auszudehnen, das nur für 
den eigenen Haushalt geſchlachtet wird. 

Der Umſtand, daß das Fleiſch B. in § 2 Abſ. 1 
die ſog. Hausſchlachtungen begünſtigt, hat zu dem Be⸗ 
denken Anlaß gegeben, ob nicht durch das RG. das 
Ermeſſen bei Polizeiverordnungen, durch die die Be⸗ 
ſchau auf die Hausſchlachtungen ausgedehnt oder ihre 
Durchführung geregelt wird, in dem Sinne beſchränkt 
wurde, daß die Verordnungen das Maß des Notwen⸗ 
digen nicht überſchreiten dürfen. Eine durchſchlagende 
Bedeutung kann ihnen nicht zuerkannt werden. Nur 
Zweckmäßigkeitsgründe führten dazu, die Hausſchlach⸗ 
tungen innerhalb beſtimmter Grenzen vom Beſchau— 
zwang zu befreien und die Regelung der Trichinenſchau 
dem Landesrechte zu überlaſſen. Von einer Beſchrän⸗ 
kung der Landesgeſetze war aber nirgends die Rede, 
vielmehr bildete die unangefochtene Grundlage bei den 
Beratungen des Reichstags der in der allgemeinen 
Degr. des Entw. wie in der Begr. zu § 23 des Entw. 
aufgeſtellte Satz, „daß das Geſetz im allgemeinen nur 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


309 


die Mindeſtforderungen feſtſetzen ſolle, während den 
Regierungen der einzelnen Bundesſtaaten tunlichſt die 
Möglichkeit gewahrt bleiben ſollte, ſoweit es nach den 
Verhältniſſen des Bundesſtaates oder an einzelnen Orten 
angemeſſen und We erſcheint, noch ſtrengere, 
erhöhten geſundheitlichen Schutz bietende Vorſchriften 
zu erlaſſen“. Bei der Faſſung des § 24 (Entw. 8 23) 
wurde beſonders Bedacht darauf genommen, daß die 
Regelung der Trichinenſchau auch durch Polizeiver⸗ 
ordnungen zuläſſig blieb, weil ſonſt die bisher ers 
laſſenen Verordnungen hinfällig würden. Die An⸗ 
ſchauung, daß das Verordnungsrecht der Landesbe⸗ 
hörden durch das RG. weiter beſchränkt werden ſollte, 
als in dem § 24 ausdrücklich ausgeſprochen iſt, iſt 
demnach unbegründet. Namentlich fehlt es auch an 
jeglicher Unterlage für die Annahme, daß die Landes⸗ 
geſetzgebung auf notwendige Anordnungen beſchränkt 
65 ſoll. Dagegen würde ſchon die Schwierigkeit 
prechen, die Grenze zu beſtimmen. Demnach können 
in Bayern die Ortspolizeibehörden in Anfehung der 
Trichinenſchau den Beſchauzwang nicht bloß auf die 
Hausſchlachtungen ausdehnen, ſondern auch Vorſchriften 
zur Durchführung und Sicherung der Beſchau erlaſſen, 
auch wenn dieſe Vorſchriften das Notwendige über⸗ 
ſchreiten. Wer ſich durch ſolche Vorſchriften beſchwert 
fühlt, kann nur auf dem in Art. 14 PStGB. vorgezeich⸗ 
neten Wege Abhilfe ſuchen. (Urt. vom 28. April 1914, 
Rev.⸗Reg. Nr. 186/1914). Ed. 
3410 


Oberlandesgericht München. 


Beitritt zu einem einſtweilen eingeſtellten Ber- 
ſteigerungsverfahren wegen des Zubehörs. Während das 
1 über das Vermögen des Brauerei⸗ 
beſitzers Johann K. noch ſchwebte, wurde deſſen Brauerei⸗ 
anweſen am 3. Juli 1913 auf Antrag des Fiskus zur 
Zwangsverſteigerung beſchlagnahmt. Durch die Be⸗ 
[Stäfe vom 11. und 16. Sept. 1913 wurde der Beitritt 

er B.⸗W.⸗Bank und des Kaufmanns G. zugelaſſen. 
Auf Antrag des Privatiers J. ſtellte das Amtsgericht 
am 15. Nov. 1913 wegen des auf dem Anweſen be⸗ 
findlichen Viehes auf Grund Sicherungsübereignung 
die Vollſtreckung gegen Sicherheit einſtweilen ein und 
ſetzte dem Antragſteller eine Friſt von einem Monat 
zur Beibringung der Entſcheidung des Prozeßgerichts. 
Die Sicherheit wurde hinterlegt. Schon am 13. Dez. 
1913 reichte J. beim LG. T. gegen den Kaufmann G. 
eine Widerſpruchsklage mit der Begründung ein, daß 
zwar das Hauptzollamt R. und die W.⸗Bank, nicht aber 
G. fein Eigentum an dem Vieh anerkannt hätten. Auch 
das LG. ſtellte en die Vollſtreckung in das Vieh 
einſtweilen ein. Am 20. Nov. 1913 wurde das An⸗ 
weſen ohne das Vieh dem Brauereibeſitzer K. um 
133 000 M zugeſchlagen. Der Zuſchlag iſt rechtskräftig. 
Am 20. Dez. 1913 erklärte der Konkursverwalter bei 
dem Vollſtreckungsgericht, daß er ſich wegen des noch 
nicht verſteigerten Viehes dem Verſteigerungs verfahren 
anſchließe und die Rechte des Privatiers J. nicht an⸗ 
erkenne; er beantragte einen nahen Verſteigerungstermin 
anzuberaumen und jedes Viehſtück im Termin einzeln 
auszubieten und fügte bei, daß die in dem Beſchluſſe 
des Amtsgerichts geſetzte Monatsfriſt abgelaufen ſei, 
ohne daß die Widerſpruchsklage eingereicht worden 
wäre. Das Amtsgericht wies jedoch dieſen Antrag ab, 
indem es auf ſeinen Beſchluß vom 15. Nov. 1913 und 
die Hinterlegung der Sicherheit verwies. Hiegegen 
erhob der Konkursverwalter ſofortige Beſchwerde und 
machte geltend, daß die Einſtellung ihn nicht berühre, 
hohe Futterkoſten entſtünden und 34 Stück Pferde und 
Großvieh vorhanden ſeien, während J. nach ſeinem 
Vertrage nur 32 Stück beanſpruchen könnte, weshalb 
er wegen zweier Stücke auch Widerſpruch gegen die 


310 


Einwendungen J.'s und gegen die Einftellung erhebe. 
Das LG. wies die Beſchwerde zurück. Es nahm an, 
der Beitritt des Konkursverwalters in der beantragten 
Beſchraͤnkung ſei ſchon deshalb ausgeſchloſſen, weil 
das Verſteigerungs verfahren ſich wegen der in Mitte 
liegenden Einſtellung nicht auf das Vieh erſtrecke; der 
Beitritt ſei aber auch verſpätet, weil er nur bis zur 
Verkündigung des Zuſchlags zuläſſig geweſen wäre. 
Die weitere ſofortige Beſchwerde des Konkursverwalters 
wurde für zuläffig und begründet erachtet. 

Aus den Gründen: Die Entſcheidung enthält 
inſofern einen neuen ſelbſtändigen Beſchwerdegrund, 
als das AG. über den Beitritt des Konkursverwalters 
überhaupt nicht entſchieden und ſeinen Antrag, einen 
Verſteigerungstermin anzuberaumen, nur als zurzeit 
unzuläſſig zurückgewieſen hat, das LG. aber ſchon den 
Beitritt als unzuläſſig erachtete. Das Rechtsmittel iſt 
aber auch begründet. Die N zur Zwangs⸗ 
verſteigerung umfaßte nach 8 20 Abſ. 2 ZVG. mit 
§ 1120 BGB. auch das auf dem Anweſen befindliche 
Vieh, da dieſes nach 88 97 und 98 Nr. 2 BGB. Zu⸗ 
behör der Grundſtücke bildete und in das Eigentum 
des Grundſtückseigentümers gelangt war. Grundſätzlich 
hatte ſich daher das über die Grundſtücke angeordnete 
Verſteigerungs verfahren auch auf das Vieh zu erſtrecken, 
ſolange es nicht inſoweit aufgehoben war. Das er» 
gibt ſich deutlich aus 88 55, 37 Nr. 5 ZwB SQ. Daß 
Zubehörſtücke, wegen deren eine Ein tellung vorliegt, 
von der Verſteigerung ausgeſchloſſen bleiben, hat nicht 
den Sinn, daß das einmal eröffnete Berfteigerungs- 
verfahren für fie nun beendet wäre. Im 8 776 
ift dies für die Fälle des 8 775 Nr. 2 ausdrücklich be⸗ 
ſtimmt. Iſt dann in dem Einſtellungsbeſchluß nicht 
zugleich die Aufhebung der bisherigen Vollſtreckungs⸗ 
maßregel verfügt, ſo ruht nur das Verfahren inſolange, 
als die einſtweilige Einſtellung dauert. Hievon weichen 
auch die beſonderen Vorſchriften des 33G. nicht 
weſentlich ab. Nach 8 31 Abſ. 1 3G. darf zwar im 
Falle einer einſtweiligen Einſtellung das Verfahren 
nur auf den Antrag eines Gläubigers fortgeſetzt werden; 
die Möglichkeit einer Fortſetzung iſt aber gegeben. Nach 
§ 31 Abſ. 2 3G. iſt das Verfahren aufzuheben, wenn 
ein ſolcher Antrag nicht binnen ſechs Monaten geſtellt 
wird; damit iſt klargeſtellt, daß vor Ablauf dieſer Friſt 
das Verfahren noch nicht beendet iſt. Durch die Vers 
ſteigerung und den Zuſchlag der Grundſtücke allein 
wurde an jener Rechtslage nichts geändert. Das Ver— 
fahren hinſichtlich des Viehes nimmt, abgetrennt von 
dem Verfahren über die Hauptſache, ſelbſtändig ſeinen 
Fortgang, ſobald die einſtweilige Einſtellung nicht 
mehr wirkt. Es bleibt ſeinem Grunde und ſeinem 
Weſen nach ein Grundſtückszwangsverſteigerungsver— 
fahren, da es auf einem Beſchlagnahmebeſchluſſe beruht, 
der das Vieh in ſeiner Eigenſchaft als Zubehör von 
Grundſtücken umfaßte. War hienach das Verſteigerungs— 
verfahren über das Vieh zur Zeit des Beitritts des 
Konkursverwalters (S8 172, 27 388.5 RG. vom 
21. Juni 1902 in JW. 1902 S. 402) auf Grund der 
einſtweiligen Einſtellung nur in der Ruhe oder ſchon 
wieder im Laufe, weil die Widerſpruchsklage nicht oder 
nicht rechtzeitig zugeſtellt wurde, ſo war der Beitritt 
des Konkursverwalters zu dem noch nicht beendeten 
Verfahren weder unzuläſſig noch verſpätet; erſt mit 
der Verſteigerung dieſer Zubehörſtücke oder mit dem 
Ablaufe der Friſt des 8 31 3 G., oder mit einer Auf— 
e des Verfahrens nach 88 29, 32 3G. oder 
§ 776 ZPO. wäre fein Beitritt ausgeſchloſſen geweſen. 
Wie der Beitritt eines Gläubigers nur in dem Um— 
fange möglich iſt, in welchem das Verfahren angeordnet 
wurde (Jäckel-Güthe, 3G. § 27 Abſ. 3), To iſt ſpäter⸗ 
hin ein Beitritt nur mehr möglich und zuläſſig in dem 
Umfang, in welchem das Verfahren noch ſchwebt. 
Eine ähnliche Sachlage ergibt ſich, wenn von der Vor— 
ſchrift im 865 Zu. Gebrauch gemacht wird. Nun 
haben ſich allerdings die beireibenden Gläubiger und 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


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der Widerſpruchskläger J. mit dem Erſteher dahin 
geeinigt, daß dieſer die Rechte des J. an dem Vieh 
übernehme und deshalb die Sicherheit an J. heraus⸗ 
gegeben werden ſolle. Eine ſolche Abmachung bindet 
aber den Konkursverwalter nicht, weil er daran nicht 
beteiligt iſt. enthält ſie aber zugleich eine Verein⸗ 
barung, daß von den Gläubigern der Verſteigerungs⸗ 
antrag zurückgenommen werden ſolle, ſo iſt doch zur⸗ 
zeit aus den Vollſtreckungsakten nicht erſichtlich, od 
der Antrag dementſprechend ſchon wirklich zurück⸗ 
genommen und das Verfahren gerichtlich aufgehoben 
wurde (88 29, 32 38.). Solange aber dies nicht 
geſchieht, iſt das Verſteigerungsverfahren trotz des 
Abkommens noch nicht beendet und der Beitritt des 
Konkursverwalters noch möglich. Das Vollſtreckungs⸗ 
gericht 2 alfo auf dieſen Beitritt eine Anordnung 
188 8 27 Abſ. 1 3G. zu treffen haben (Jäckel⸗Güthe, 
3G. 8 27). Eine einſtweilige Einſtellung der Bol: 
ſtreckung wirkt grundſätzlich nur zwiſchen den Parteien, 
zwiſchen denen ſie erwirkt wurde. Gegen einen bei⸗ 
tretenden Gläubiger, alſo auch gegen den Konkurs⸗ 
verwalter muß ſie beſonders erwirkt werden, wenn auch 
ihnen gegenüber das Verfahren in Ruhe kommen ſoll 
(Jäckel⸗Güthe, ZV. 8 37 Anm. 14 Abſ. 2). Es folgt 
dies aus dem Umfange der Rechtskraft, die beiſpiels⸗ 
weiſe einem Widerſpruchsurteil (8 771 ZPO.) oder 
Einwendungsurteil (8 767 ZPO.) in perſönlicher Hin⸗ 
ſicht zukommt; denn die einſtweilige Regelung kann 
den perſönlichen Umfang der ſchließlichen Urteils⸗ 
1 nicht überſchreiten. Es ergibt ſich dies auch 
aus 8 30 3VG., weil nach dem Vertragsgedanken an 
die Beriligung der Einſtellung nur der Gläubiger 
gebunden fein kann, der fie bewilligt hat. Wenn 8 31 
3G. beſtimmt, daß im Falle einer einſtweiligen Ein- 
ſtellung das Verfahren ſtets nur auf Antrag eines 
Gläubigers fortgeſetzt werden darf, ſoweit ſich nicht 
aus dem Geſetz ein anderes ergibt, ſo ſteht dies nicht 
entgegen, weil das Verfahren trotz ſeiner Einſtellung 
gegen den einen Gläubiger auf Antrag eines anderen 
fortgeſetzt werden muß. Da hier das Verfahren nur 
gegen den Gläubiger G. einſtweilen eingeſtellt worden 
war, muß es, ſobald der Beitritt des Konkursver⸗ 
walters zugelaſſen iſt, auf deſſen Antrag wegen des 
Viehes fortgeſetzt werden. (Beſchl. vom 13. l DIR 
Beſchw.⸗Reg. Nr. 59/14). 
34⁰2 


Vücheranzeigen. 


Hein, Dr. Otte, Oberlandesgerichtsrat in Hamm. Hand⸗ 
buch der Zwangs vollſtreckung. Zweite ver 
vollſtändigte Auflage, unter Mitwirkung von 9. 
Willers, Gerichtsaſſeſſor in Eſſen, zurzeit im Juſtiz⸗ 
miniſterium. 698 S. Hannover 1914, Helwingſche 
Verlagsbuchhandlung. Preis Mk. 12.—, geb. Mk. 13.20. 


Die Fragen aus dem Gebiet der Zwangsvollſtreckung 
find oft ſchwierig und lehrreich, fo z. B. gleich die 
Entſcheidung Seite 155 f. hier. Die verſchiedenen Zu⸗ 
ſtändigkeiten und Rechtsverhältniſſe, die Kürze der 
Friſten und die beſondere Eile, die fo oft geboten iſt da“ 
bei allenthalben die eigene Verantwortlichkeit!) ſtellen 
hohe Anforderungen an ſchnelle und richtige Ent⸗ 
ſchließung. Darum find gute Führer auf dieſem ver 
worrenen Gebiete geſucht. Zu dieſen erprobten Führern 
gehört Hein. Schon die erſte Auflage ſeines Handbuches 
durfte ich hier beſtens empfehlen. Der Erfolg hat dem 
Recht gegeben. Nach nicht einmal 3 Jahren liegt die 


2. Auflage in weſentlich vergrößertem Umfange an 


Blattzahl und Druckfläche vor. Aber auch inhaltlich 
iſt ſie ſo ſehr bereichert, während die Anlage des Buches 
unverändert blieb, daß man ſie jetzt als das Hand⸗ 
buch der Zwangsvollſtreckung bezeichnen kann. Für 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


die dritte Auflage würde ich ein Geſetzesregiſter, um⸗ 

faſſendere Berückſichtigung der Literatur und beſſeres 

Papier empfehlen. 
Jena. 


Nechtsquellen des öffentlichen Kinematographenrechts. 
Syſtematiſche Zuſammenſtellung der wichtigſten 
deutſchen und fremden Geſetze und Geſetzent⸗ 
würfe, Miniſterialerlaſſe, Polizeiverordnungen. Aus 
amtlichem Material geſammelt, mit Einleitung, kurzen 
Erläuterungen und einem Sachregiſter verſehen. Von 
Dr. Albert Hellwig, Gerichtsaſſeſſor in Berlin⸗Frie⸗ 
denau, Aſſiſtent an der juriſtiſchen Fakultät der 

riedrich⸗Wilhelms⸗Univerſität zu Berlin. (Licht⸗ 
ühnen⸗ Bibliothek Heft 5.) 8°. (256) M.⸗Gladbach 
1913, Volksvereins⸗Verlag G. m. b. H. Geb. M 5.—. 


Der Inhalt dieſes Buches iſt aus ſeinem ausführ⸗ 
lichen Titel erſichtlich. Dazu wäre noch zu bemerken, 
daß für Preußen alle weſentlichen Geſetzesſtellen auf⸗ 
genommen ſind, für Bayern, Sachſen, Württemberg 
und Baden wenigſtens die wichtigſten, ferner für dieſe 
fünf Staaten ſämtliche einſchläͤgigen dem Berfaffer be⸗ 
kannten Miniſterial⸗Erlaſſe. Von dem preußiſchen Rechte 
find ferner aufgenommen ſämtliche vorbildlichen Ber⸗ 
liner Polizei⸗Verordnungen ſowie einige typiſche Ober⸗ 
präſidial⸗ und Regierungspolizeiverordnungen. Im 
übrigen hat nur Platz gefunden, was dem Verfaſſer 
intereſſant genug ſchien. Bezüglich des bayeriſchen Rechts 
(Art. 32 PStGB.) zitiert er feine eigene in dieſen Blät⸗ 
tern erſchienene Abhandlung, nicht aber meinen da⸗ 
gegen gerichteten Aufſatz (Jahrg. 1913 Nr. 12). Hell⸗ 
wig verfolgte bei der Herausgabe ſeiner Zuſammen⸗ 
ſtellung einen doppelten Zweck, erſtens wollte er den 
Polizeibehörden ein bequemes Nachſchlagebüchlein bieten 
und andrerſeits für die an der geſetzlichen Regelung der 
Kino⸗Frage intereſſierten Perſonenkreiſe, ſowohl für 
die Gewerbetreibenden wie für die Beamten, Parla⸗ 
mentarier und Schriftſteller das wichtigſte Material 
zuſammenſtellen. Auch hat der Verfaſſer nicht unter⸗ 
laſſen, in der Einleitung S. 21—36 un Anſicht über 
die hauptſächlichſten für den Geſetzgeber in Frage kom⸗ 
menden Probleme zu äußern, nämlich Konzeſſionspflicht, 
Filmzenſur, Kinderverbot, Plakatzenſur, Sicherheits- 
vorſchriften, Verbot des gleichzeitigen Betriebs von 
Kino und Schankwirtſchaft, Sonntagsheiligung und 
Arbeiterſchutz. Insbeſondere ſpricht ſich Hellwig gegen 
die geſetzliche Einführung des Bedürfnisnachweiſes aus, 
weil eine ſolche Beſtimmung jetzt zu ſpät käme. Leider 
hat ſich der vor kurzem dem Reichstag zugegangene 
Geſetz⸗Entwurf Druckſ. Nr. 1431 betr. Abänderung der 
§§ 33, 33 a ꝛc. der Gewerbeordnung, der überhaupt von 
kleinlichem Polizeigeiſt erfüllt iſt, auf einen anderen 
Standpunkt geſtellt, obwohl außer dem von Hellwig in 
den Vordergrund gerückten Bedenken noch verſchiedene 
andere zu erheben wären, wie die Unmöglichkeit einen 
Maßſtab für die Schätzung des Bedürfniſſes zu finden 
und die künſtliche Wertſteigerung der beſtehenden Licht⸗ 
ſpieltheater. 

München. 


Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Dr. v. Landmann, Staatsminlſter a. D. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Aenderung der Zivilprszeßordnung. Bekanntlich find 
im Reichshaushaltsetat die Mittel für Aufwandsentſchä— 
digungen bereitgeſtellt, die auf Verlangen an Familien für 
die im Reichsheer, in der Marine oder in den Schutz— 
truppen eingeſtellten Söhne bewilligt werden, wenn 
Söhne aus der Familie durch Ableiſtung ihrer geſetzlichen 
3wei= oder dreijährigen Dienſtpflicht als Unteroffiziere 
oder Gemeine eine Geſamtdienſtzeit von ſechs Jahren 
zurückgelegt haben; die Entſchädigungen werden in der 
Höhe von 240M für jedes weitere Dienſtjahr jedes Sohnes 


— . ̃ ̃́ — N— ————— . —6õ ſ .'. — . V — — ü- — ä ——'ẽô — — —¼: —ẽ — — —̃ — — ——ę—T 


311 


bewilligt, der in dieſen Dienſtgraden ſeiner geſetzlichen 
zwei⸗ oder dreijährigen Dienſtpflicht genügt. Die näheren 
Vorſchriften über die Vorausſetzungen, unter denen die 
Aufwandsentſchädigung beanſprucht werden kann, über 
die Geltendmachung des Anſpruchs uſw. hat der Bundes⸗ 
rat am 26. März ds. Js. erlaſſen (RG Bl. S. 57). Findige 
Gläubiger haben ſich bald dieſe Neuerung zunutze gemacht 
und die Entſchädigungsanſprüche pfänden laſſen. In 
manchen Fällen mag die Pfändung nach 8 850 Nr. 3 
ZPO. unzuläſſig geweſen fein; allein die hier geforderte 
Bedürftigkeit iſt nicht Vorausſetzung des Anſpruchs auf 
die Aufwandsentſchädigung, wenigſtens für den Regel⸗ 
fall der Gewährung an die Eltern (anders bei Geltend⸗ 
machung des Anſpruchs durch die Großeltern); die an⸗ 
geführte Vorſchrift der Prozeßordnung bot alſo nur einen 
ſehr unvollkommenen Schutz gegen die Pfändung. Die 
Aufwandsentſchädigung ſoll, ſo wurde im Reichstag 
erklärt, eine Zuwendung höchſt perſönlicher Art zur Ent⸗ 
ſchädigung der Familien ſein, die — mit militärtaug⸗ 
lichen Söhnen reicher als andere geſegnet — dem Staate 
beſondere Opfer gebracht haben. Mit dieſer Begründung 
wurde aus der Mitte des Hauſes der Entwurf eines 
Geſetzes betr. Aenderung der ZPO. eingebracht, der in⸗ 
zwiſchen unter dem 24. Juni ds. Js. Geſetz geworden und 
im RGBl. veröffentlicht worden iſt (S. 233): durch eine 
dem 8 850 Abſ. 1 ZPO. beigefügte Nr. 9 find die frag⸗ 
lichen Aufwandsentſchädigungen — genauer geſagt: der 
Anſpruch auf dieſe — der Pfändung jetzt entzogen. Das 
Gefetz gilt vom 14. Juli an (R Verf. Art. 2 Satz 3). Pfän⸗ 
dungsbeſchlüſſe, die vor dieſem Tage dem Drittſchuldner 
zugeſtellt worden ſind, werden durch das Geſetz in ihrer 
Wirkſamkeit nicht berührt; denn das Geſetz legt ſich keine 
rückwirkende Kraft bei (anders z. B. 8 5 Abſ. 2 Lohn 8G.) 
und die höchſtperſönliche Natur des Entſchädigungs⸗ 
anſpruchs, mit der man im Reichstage den Geſetzentwurf 
begründet hat, iſt doch zu zweifelhaft, als daß man aus 
ihr die Unpfändbarkeit folgern könnte. Mit dem Inkraft⸗ 
treten des Geſetzes iſt die Aufwandsentſchädigung auch 
der Uebertragung durch Rechtsgeſchäft, wie der Auf⸗ 
rechnung und der Verpfändung entzogen (8$ 400, 394, 
1274 BGB.). 
3416 


Das Belek 3. Aenderung der 38 74, 75 und des 
76 Abſ. 1 988. und das Geſetz betr. Aenderung der 
ebührensrdnung für Zeugen und Sachverſtändige werden 
im RG Bl. Nr. 35 S. 209 ff. und S. 214 ff. veröffentlicht. 
Die Erörterung dieſer wichtigen Geſetze beanſprucht mehr 
Raum, als in dieſer Abteilung zur Verfügung ſteht. 
Es iſt deshalb dafür geſorgt, daß die beiden Geſetze 
kurz vor oder nach ihrem Inkrafttreten (HGB.: 1. Januar 
1915; 3SGebO.: 1. Oktober 1914) in größeren Ab 
handlungen beſprochen werden. 
3417 


Statiſtiſches zu dem Geſetze vom 19. Juni 1912, 
betreffend die Aenderung des Strafgeſetzbuchs. Durch 
das Geſetz vom 19. Juni 1912 wurden in das StGB. 
einige neue Tatbeſtände eingefügt (Körperverletzung 
an Wehrloſen, 8 223 a Abſ. 2; Diebſtahl und Unter⸗ 
ſchlagung aus Not, 8 248 a; Notbetrug, 8 264 a). 
In dem 2. Halbjahre 1912 wurden in Bayern auf 
Grund des 8 223 a Abſ. 2 8 Verurteilungen aus⸗ 
geſprochen, wegen Notdiebſtahls 165, wegen Not⸗ 
unterſchlagung 26, wegen Notbetrugs 211. Die geringe 
Zahl der Verurteilungen wegen Körperverletzung an 
Wehrloſen läßt erkennen, welchen Wert die phantaſtiſchen 
Zahlen der Kindermißhandlungen hatten, die vor einiger 
Zeit von der Tagespreſſe angegeben wurden, ohne daß 
zu erſehen war, auf welcher ſtatiſtiſchen Grundlage 
ſie eigentlich beruhten. 

Die Novelle vom 19. Juni 1912 hat bekanntlich 
auch den Tatbeſtand des 8 370 Nr. 5 StGB. (Ent⸗ 
wendung von Nahrungs- und Genußmitteln) auf „andere 


312 


Gegenſtände des Hausmwirtfhaftliden Verbrauchs“ 
ausgedehnt und damit den Tatbeſtand des Diebſtahls 
eingeſchränkt. Eine Minderung der Verurteilungen 
aus § 242 StGB. hat ſich daraus im Jahre 1912 nicht 
ergeben, fie find vielmehr von 9862 im Jahre 1911 
auf 10546 hinaufgegangen. Dagegen zeigt ſich ein 
kleiner Rückgang beim Diebſtahl im Rückfall (2387 
Verurteilungen gegen 2621 im Jahre 1911). Die 
Verurteilungen wegen ſchweren Diebſtahls und ſchweren 
Diebſtahls im Rückfalle ſind nahezu gleichgeblieben 
(1403 und 672 gegen 1409 und 671 im Jahre 1911). 
Auch die Unterſchlagungen haben nicht ab⸗ ſondern 
zugenommen (4054 Verurteilungen gegen 3785 im 
Jahre 1911). Beim Betrug iſt gleichfals ein Anwachſen 
zu bemerken (von 6679 auf 6757), während die Verur⸗ 
teilungen wegen Betrugs im Rückfalle von 2816 auf 
2285 zurückgegangen ſind. 
3408 


Herſtellung von Malzwein. Durch Bekanntmachung 
vom 21. Mai 1914 (RGBl. S. 127) wird die Bundes⸗ 
ratsbekanntmachung vom 9. Juli 1909 (RG Bl. S. 549) 
dahin ergänzt, daß bei Herſtellung von weinähnlichen 
Getränken aus Malzauszügen die Verwendung von Zucker 
und Säuren verboten oder eingeſchränkt und der Zuſatz 
von Waſſer geregelt wird. Die Vorſchrift verfolgt den 
Zweck, den Weinbau vor dem überhandnehmenden Wett⸗ 
bewerb der Malzweine zu ſchützen. Siehe Jahrg. 1913 
S. 329 und 353. 


Herſtellung von Fognak. In Abänderung der 
Bundesratsbekanntmachung vom 9. Juli 1909 (RGBl. 
S. 549), welche zu SS 10, 16 Wein. diejenigen Stoffe 
bezeichnet hatte, die bei Herſtellung von Kognak nicht 
verwendet werden durften, bringt die Bekanntmachung 
„betr. Aenderung der Beſtimmungen zur Ausführung 
des Weingeſetzes“ vom 27. Juni 1914 (RGBl. S. 235) 
eine Aufzählung derjenigen Stoffe, die bei Herſtellung 
von Kognak nunmehr nur noch verwendet werden 
dürfen, ſo daß die Verwendung aller nicht angeführten 
Stoffe fortab verboten iſt. Für die Uebergangszeit, 
d. i. bis zum 1. Juli 1915, wird die Verwendung ge⸗ 
wiſſer Vorräte ausnahmsweiſe geſtattet. 


Sprachecke. 


Aus der Nechtsſprache des Reichsgerichts. In den 
Gründen eines neuen reichsgerichtlichen Urteils findet ſich 
folgendes unerhörte Satzgefüge: „Unbegründet iſt auch 
der Vorwurf, daß .. .. Die Reviſion wendet fi hier 
gegen die Ausführung der Strafkammer, daß das 
Beſtehen ſolcher Gegenforderungen an ſich nicht die 
Widerrechtlichkeit der Aneignung der vom Angeklagten 
einkaſſierten Beträge beſeitige, weil der Angeklagte 
eine Aufrechnung ſeiner Gegenforderung der Firma 
gegenüber gegen die aus der Nichtabführung der 
eingezogenen Gelder dieſer ihm gegenüber entſtandenen 
Forderung nicht erklärt habe und daher anzunehmen 
ſei, daß der Angeklagte auch bei der Zueignung der 
eingezogenen Gelder eine ſolche Aufrechnung auch nicht 
beabſichtigt habe, und weil die bloße Möglichkeit der 
Aufrechnung der Annahme rechtswidriger Verfügung 
nicht entgegenſiehe, und gegen die Heranziehung der 
Entſcheidung des Reichsgerichts Str. Bd. 20 S. 438 zur 
Begründung dieſer Ausführung.“ Was dieſes von 
Hauptwörtern und Schachtelungen ſtrotzende Satzunge— 
tüm ausſpricht, hätte einſach, lebendig und verſtänd— 
licher gefaßt werden konnen: dabei hätte auf die un— 
gerade Rede gar nicht verzichtet werden müͤſſen: „Un— 
begründet iſt auch der Vorwurf, daß . . . . Er bezieht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 


ſich auf die folgenden Ausführungen der Strafkammer: 
Wer ſich Geld aneignet, das er für einen anderen ein⸗ 
zieht und an dieſen abliefern müßte, könne widerrechtlich 
handeln, auch wenn er gegen den anderen ſelbſt For⸗ 
derungen hat; er müßte denn ſeine eigenen Forderungen 
gegen den Anſpruch des anderen aufrechnen, dies auch 
erklären oder doch ernſtlich beabſichtigen. Der Ange⸗ 
klagte behaupte, er habe Gegenforderungen gegen die 
Firma gehabt, als er die für ſie eingezogenen Gelder 
für ſich verwendete, und er habe aufrechnen wollen. 
Allein der Angeklagte habe nicht zu erkennen gegeben, 
daß er aufrechne. Es ſei auch nicht anzunehmen, daß er 
dies ernſtlich beabſichtigte, als er das Beld der Firma 
verbrauchte. Er könne ſich deshalb nicht dahin ver⸗ 
teidigen, er habe nicht widerrechtlich über das fremde 
Geld verfügt. Dieſe Anſchauung entſpreche der Ent⸗ 
ſcheidung des Reichsgerichts Str. Bd. 20 S. 438. Die 
Reviſion bezeichnet dieſe Ausführungen als irrig; die 
1 15 der angeführten Entſcheidung träfen hier gar 
nicht zu.“ 


„Fran Erſte Staatsanwalt“, ſo hört und lieſt 
mans. Es beſteht bei vielen Unklarheit darüber, in 
welcher Form die Titel der Männer auf ihre Frauen 
anzuwenden ſeien, Frau Landgerichtspräſidentin oder 
Frau Landgerichtspräſident, Frau Generalin oder Frau 
General, Frau Kommerzienrätin oder Frau Kommerzien 
rat. Die männliche Form wird für unrichtig gehalten, 
weil ja die Frau nicht Landgerichtspräſident, General 
und Kommerzienrat ſei. Gleichwohl iſt dieſe Form 
allein richtig. Denn der Titel: Frau Landgerichts⸗ 
präſident uſw. iſt elliptiſcher Natur, es iſt die abge⸗ 
kürzte Redeweiſe für: Frau des Landgerichtspräſidenten 
uſw. Die weibliche Form müßte aber einmal dann 
angewendet werden, wenn die Gerichte mit Frauen 
beſetzt wären, das Heer von Frauen geführt würde, dann 
gäbe es Landgerichtspräſidentinnen und Generalinnen. 
Seit geraumer Zeit ſpringt die unrichtige Auffaſſung 
beſonders bei dem Doktortitel in die Augen. Unſere 
Frauen und Fräulein, die ſich dieſen Titel erworben 
haben, nennen ſich nur doctor jur., doctor philos., 
doctor med. Mag es von ihnen auch eine gewiſſe Eitel⸗ 
keit ſein, es in allem, auch im Titel, den Männern gleich 
zu tun, ſo wird die Gepflogenheit doch auch mit darauf 
zurückzuführen ſein, daß in den Verleihungsurkunden 
altem Brauch gemäß die männliche Form des Titels bei⸗ 
behalten wird, ſtatt daß er doctrix jur., doctrix philos., 
doctrix med. lautet. Es ift zwiſchen der Frau Doktor N. 
und der Frau Doktorin N. ein gewaltiger Unterſchied; 
die erſte führt den Titel wegen ihres Mannes, die 
andere hat ihn auf Grund eigenen Rechts. Wie ver⸗ 
hält ſich nun zu dieſer Ausführung: „Frau Erſte 
Staatsanwalt“? Richtig iſt die männliche Form 
Staatsanwalt, falſch die weibliche Form Erſte. Richtig 
wäre es alſo zu ſagen: Frau Erſter Staatsanwalt. 
Aber da ſteht das weibliche Geſchlecht zu der mann» 
lichen Form in einem ſolch auffallenden und ſchroffen 
Gegenſatz, daß der Ausdruck vermieden werden muß 
Man muß ſich beſcheiden, zu ſagen: Frau Staats» 
anwalt, wie das ja auch bei den Frauen der zweiten 
und dritten Staatsanwälte geſchieht. Soll gleichwohl 
unterſchieden werden, ſo bliebe nichts übrig, als den 
Titel Erſter Staatsanwalt abzuſchaffen und dafür etwa 
Hauptſtaatsanwalt zu wählen. Oberſtaatsanwalt 
wird ſich verbieten, weil ſchon der erſte Beamte der 
Staatsanwaltſchaft beim Oberlandesgericht dieſen Tiiel 
hat. Dafür könnte übrigens Oberſtſtaatsanwalt ge⸗ 
ſagt werden. T: 


Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten, 
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


8 — 


Ir. 16 n. 17. München, den 1. September 1914. 10. Jahrg. 


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Zeilſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von Verlag von 


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Th. von der Pfordten m l ern 3. Schweitzer Verlag 
Regierungsrat im K. Bayer. (Arthur Seller) 


Staats miniſterium der Juſtiz. München, Berlin u. Leipfig. 


(Seufferts Blätter für Rechtsau wendung 8d. 79.) 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich 
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/ oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
% anzeigen 20 Pfa. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Nachdruck verboten. 313 


; jete legen, die öſterreichiſchen Geſetze ſeien für den öſter⸗ 
nene, Si a 


He verbindlich geweſen, wenn en nicht 

. b ahin gegangen ſei, durch den Eheſchließungsakt 

SIDE 5 he 5 er auch in Oeſterreich rechtliche Folgen hervorzurufen. 
I. Studie. 


Das Landgericht hatte angenommen, der Mann habe 
In welchem Umfange hat der Dentſche Richter öfter: 


dieſe Abſicht gehabt, und hatte deshalb die Ehe 
reichiſches Recht anzuwenden, wenn es ſich um die Gültig: 


für nichtig erklärt. Das Oberlandesgericht hat 
dagegen eine ſolche Abſicht nicht für dargetan er⸗ 
keit der von einem Oeſterreicher in Dentſchland geſchloſſenen 
Che handelt? (Eine Beſprechung des RG. - Urteils 


achtet und die Klage abgewieſen 
vom 15. Februar 1912, RG. LXXVIII, 234 — 238). Das Reichsgericht iſt zur Nachprüfung befugt, 
ſoweit Verletzung der vom deutſchen Geſetzgeber 
I. Das zu beſprechende Urteil. erlaſſenen og. internationalen Rechtsnormen gerügt 

Der Kläger, ein öſterreichiſcher Staatsange⸗ 
höriger katholiſchen Bekenntniſſes, beantragte auf 


wird. Die Reviſion will in den Vorſchriften des 
Einführungsgeſetzes, durch die der deutſche Richter 
Grund öſterreichiſchen Rechts, die Ehe für nichtig 
zu erklären, die er in Deutſchland am 9. März 


ausdrücklich zur Anwendung eines fremden, durch 
die Staatsangehörigkeit eines Beteiligten beſtimmten 

1908 mit der Beklagten, einer deutſchen Proteſtantin, Rechtes verpflichtet wird, (den jog. vollkommenen 

geſchloſſen hatte, deren früherer, von ihr geſchiedener Kolliſionsvorſchriften der Art, 7, 13, 15, 17, 21, 

Ehemann noch am Leben war. Das Landgericht 

erklärte die Ehe für nichtig, dagegen wies das 


25 EG. BGB.) nur eine Verweiſung auf die 

materiellrechtlichen, die 5 5 a 

Oberlandesgericht die Klage ab. Die Reviſion fremden Rechts erblicken. Nach den Kolliſions⸗ 

des Klägers wurde zurückgewieſen aus folgenden normen dieſes Rechts habe der deutſche Richter 

Gründen: grundſätzlich nicht zu forſchen und deutſches Recht 
„Beide Vorderrichter (CG. und OLG. Ham⸗ 

burg) gehen auf Grund von Art. 13 EG. BGB. 


nur dann anzuwenden, wenn das fremde Recht 
ausdrücklich auf deutſches Recht zurückverweiſe 
mit Recht davon aus, daß die Ehe der Parteien 
nur dann gültig iſt, wenn ſie nach dem für einen 


(Art. 27). 
Dieſe in der Rechtslehre allerdings mehrfach 
jeden der Verlobten maßgebenden Rechte einge⸗ i g . N i 
gangen werden durfte. Sie iſt mithin nichtig, Das Reichsgericht trägt vielmehr kein Bedenken, 


un TEE nn Se ar HE Zu ee TT—nꝛꝛꝛ.ññ ̃ ͤ ͤ ͤmVM w. ̃⅛ ——̃ ̃— ͤ— 


— —— = 


vertretene Meinung kann nicht gebilligt werden. 


wenn fie, nach den Geſetzen des Staates beurteilt, auszuſprechen, daß der deutſche Richter, wenn er 
dem der Mann angehörte, d. h. nach öſterreichiſchen überhaupt zur Anwendung des fremden Rechts 
Geſetzen, auch nur in Anſehung des Mannes ver⸗ berufen wird, dieſes fremde Recht grundſatzlich 
boten war. Ein ſolches Eheverbot iſt nach dem auch in vollem Umfange, mithin nicht bloß ſeine 
öſterreichiſchen Hofdekrete vom 17. Juli 1835 an Sachnormen, ſondern auch ſeine Kolliſionsvor⸗ 
ſich gegeben, weil der erſte geſchiedene Ehemann ſchriften anzuwenden hae 
der Frau jetzt noch am Leben iſt. Beide Vorder⸗ Endlich würde der Zweck der Vorſchrift, dem 
richter ziehen aber zugleich § 4 des öſterreichiſchen | betreffenden Staatsangehörigen auch in Deutſchland 
BGB. heran, den ſie in Uebereinſtimmung mit die Beurteilung des Streitfalls nach ſeinem Per— 
dem öſterreichiſchen oberſten Gerichtshoſe dahin aus- ſonalſtatute zu gewährleiſten, geradezu vereitelt, 


314 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


wenn hierbei nur mehr oder minder lückenhafte fach 9) vertretenen Auffaſſung aus, daß 


Ausſchnitte aus dem maßgebenden fremden Rechte 
anzuwenden waͤren. So käme man im Streit⸗ 
falle zu dem unannehmbaren Ergebniſſe, daß bei 
gleichen tatſächlichen Feſtſtellungen der öſterreichiſche 
Richter die Nichtigkeitsklage ſeines eigenen Staats⸗ 
angehörigen abzuweiſen hätte, während der deutſche 
Richter auf Grund des erwähnten Hofdekrets gegen 
die deutſche Frau auf Nichtigerklärung der Ehe 
erkennen müßte. 

Der Berufungsrichter hat deshalb Art. 13 Abſ. 1 
EG. BGB. nicht verletzt, wenn er ſchon hierin die 
ſog. Geſamtverweiſung auf das fremde, im Streit⸗ 
falle das öſterreichiſche Recht, erblickt und deshalb 
auch 8 4 öſterr. BGB. anwendet. Dabei kann 
auf ſich beruhen, ob mit dieſer Vorſchrift eine 
eigentliche Kolliſionsnorm erteilt werden ſollte. 
Jedenfalls iſt durch den angezogenen $ 4 nach der 
irreviſiblen Auslegung des Berufungsrichters die 
Anwendbarkeit des öſterreichiſchen Rechts auf den 
Streitfall verneint und damit der Nichtigkeitsklage 
ohne weiteres der Boden entzogen 

Hält man hieran feſt, ſo bedarf es nicht erſt der 
Heranziehung des Art. 27, um das Berufungsurteil 
zu halten . . . . Uebrigens würde die Klageabweiſung 
auch durch unmittelbare Anwendung des Art. 27 
gerechtfertigt ſein. Zwar enthält § 4 öſterr. BGB. 
keine ausdrückliche Vorſchrift darüber, welches Recht 
maßgebend ſein ſoll, wenn unter den dort gegebenen 
Vorausſetzungen das öſterreichiſche Recht ausſcheidet. 
Allein eine ausdrückliche Verweiſung auf ein an⸗ 
deres Geſetz wird nur in Art. 1 des die Ehe⸗ 
ſchließung regelnden Haager Abkommens vom 
12. Juni 1902 gefordert, und dieſem Abkommen 
iſt Oeſterreich-Ungarn nicht beigetreten. Es genügt 


— — — ———— — —— —Q—ñä— — —— ee — —— 


mithin zur Anwendung von Art. 27, daß 8 4 
5 3 9 daB 3 lechner, a. a. O. 65 (Text zu Note 21), 67 (namentlich 


öſterr. BGB. ſtillſchweigend auf die deutſchen Geſetze 
verweiſt, indem er unverkennbar den Ort der Vor— 
nahme des Rechtsgeſchäfts, im Streitfalle alſo 
Deutſchland, in deſſen Gebiet die Ehe geſchloſſen 
worden iſt, als maßgebend betrachtet.“ 


II. Beſprechung des Urteils.) 


Alle drei Inſtanzen gehen von der in der neueſten 
öſterreichiſchen Literatur und Rechtſprechung ) mehr: 

1) Vgl. auch die ſehr wertvolle Arbeit Beers, Die 
Verweiſung, eine kritiſche Studie zum internationalen 
Privatrecht, in der Feſtſchrift für Ernſt Zitelmann, 1913 
(namentlich S.20— 22). Beer wählt das unter! wieder: 
gegebene RG.-Urteil zum Ausgangspunkte feiner Er— 
örterung über das Problem der Verweiſung im inter— 
nationalen Privatrecht. Dieſes Problem ſcheidet für die 
vorliegende Studie aus. — Siehe auch Endemann, 
Matrimonium claudicans, JW. XLIII, 116. 

2) Vgl. Krainz-Ehrenzweig , Syſtem des öſter— 
reichiſchen allgemeinen Privatrechts, I (1913) S. 80/81 
und 88/89); dort genaue Angaben der Literatur und 
Rechtſprechung. — Ueber die Entwicklung des Oeſter— 
reichiſchen internationalen Privatrechts, beſonders die 
verſchiedenen Auslegungen, die die wenigen Kolliſions— 
normen des Oeſta BB. erfahren haben, vgl. Krainz⸗ 
Ehrenzweig , a. a. O. 76/77; ferner Steinlechner in der 


„der Oeſterreicher, der im Auslande heiratet, 
nach der heutigen Auslegung des 84 ABGB.“ 
an das öſterreichiſche Ehegejeg nur gebunden 
iſt, falls die Ehe nach ſeiner Abſicht zugleich 
in Oeſterreich rechtliche Folgen hervor⸗ 
bringen ſoll“, 
m. a. W.: daß §S 4 ABGB. — grundſätzlich — 
auf das Recht des Wohnſitzes, in unſerm Falle 
alſo auf das deutſche Recht verweiſt.')) Demgemäß 
ſei — ſchließt man — jedenfalls nach Art. 27 in 
Verbindung mit Art. 131 EG. BGB. deutſches 
10 anzuwenden und die Nichtigkeitsklage abzu⸗ 
weiſen. 

M. E. trifft dieſe Entſcheidung nicht zu. 

A. EG. BGB. Art. 27 in Verbindung mit 
Art. 131 verweiſen auf das öſterreichiſche materielle 
Recht und das öſterreichiſche internationale Privat⸗ 
recht. Nun ſteht feſt, daß nach öſterreichiſchem inter: 
nationalen Privatrecht „auch die von Ausländern 
im Aus land geſchloſſene Ehe in Oeſterreich un⸗ 
gültig iſt, falls fie gegen ein abſolut zwingendes 
öſterreichiſches Geſetz (z. B. Oeſt ABGB. 88 62 
[111], 63, 64) verſtößt“.“) Daraus folgt mit Not: 
wendigkeit, daß erſt recht eine von einem Oeſter⸗ 
reicher im Auslande geſchloſſene Ehe unter den 
gleichen Vorausſetzungen “ ungültig iſt.“) Die Rück⸗ 
verweiſung auf das deutſche Recht in ABGB. 8 4 
wird durch die öſterreichiſche Vorbehaltsklauſel aus- 
geſchaltet. 

Darf der deutſche Richter die Vorbehalt: 
„Feſtſchrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bür⸗ 
gerlichen Geſetzbuchs“ (1911) II, 55 ff., namentlich 60 f. 

) Vgl. Krainz⸗Ehrenzweig , a. a. O., namentlich 
S. 80/81 (Text zu Note 10 und Note 10), 88; Stein⸗ 


Text zu Note 27 u. 28); Entſch. des Oeſt OGH. vom 
1. Oktober 1912 (OeſtC Bl. XXXII. 229 230) und vom 
14. Januar 1914 (OeſiCBl. XXXII, 126 ff.). 

) 8 4 Oeſt ABGB. lautet: 

„Die bürgerlichen Geſetze verbinden alle Staat 
bürger der Länder, für welche ſie kundgemacht worden 
ſind. Die Staatsbürger bleiben auch in Handlungen 
und Geſchäften, die fie außer dem Staatsgebiete vor: 
nehmen, an dieſe Geſetze gebunden, inſoweit als ihre 
perſönliche Fähigkeit, ſie zu unternehmen, dadurch ein: 
geſchränket wird, und als dieſe Handlungen und Ge⸗ 
ſchäfte zugleich in dieſen Ländern rechtliche Folgen 
hervorbringen ſollen. Inwiefern die Fremden an dieſe 
Geſetze gebunden find, wird in dem folgenden Haupt: 
ſtücke beſtimmt.“ 

) Daß nach der heute herrſchenden Auslegung des 
84 ABGB. eine Verweiſung vorliegt, ergibt ſich mit 
voller Klarheit aus den die neue Lehre vortragenden Aus- 
führungen Ehrenzweigs (Krainz-Ehrenzweig “, a. a. O. 
81): „Praktiſch bedeutet das die Verdrängung des 


theoretiſch anerkannten Grundſatzes der Staatsange: 


hörigkeit durch den Grundſatz des Wohnſitzes.“ : 
6 Vgl. Krainz-Ehrenzweig“, a. a. O. 88 89 [85 
(Text zu Note 10), 86 (Text zu Note 11), 89 (Text zu 
Note 15)]. Ueber abweichende Entſcheidungen aus 
neueſter Zeit vgl. OeſtC Bl. XXXII, 127. 
1) welche im vorliegenden Rechtsfalle gegeben ſind. 
e) Vgl. auch Krainz-Ehrenzweig ', a. a. O. SU (Text 
zu Note 12); Endemann, a. a. O. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


315 


klauſel des öſterreichiſchen Rechts, die die Rückver⸗ 
weiſung (8 4 ABGB.) auf das deutſche Recht aus: 
ſchaltet, berüdfichtigen, oder ſteht dem Art. 30 
EG. BGB. entgegen? 

Dieſe Frage iſt zunächſt von mir?) 
aufgeworfen, dann von Dietz!) und namentlich 
von Levis!) erörtert worden. Zwei Löſungen find 
denkbar. 

Man könnte dahin entſcheiden: Die öfter: 
reichiſche Vorbehaltsklauſel lehnt das deutſche Recht 
als gegen den Zweck des öſterreichiſchen Rechts ver⸗ 
ſtoßend ab und darf folglich gemäß Art. 30 EG. BGB. 
unter keinen Umſtänden berückſichtigt werden. Es 
bleibt darum bei der Rückverweiſung des 8 4 
A BGB.!) 

Dieſes Ergebnis wäre indes durchaus unbe: 
friedigend. Mit Recht hat Levis!) unter Berufung 
auf Niemeyer, Das internationale Privatrecht des 
BGB. S. 79 ff., Zitelmann⸗Niemeyer, Quellen zum 
internationalen Privatrecht, Heft I S. 38 / 9, Kahn, 
IheringsJ. XXXVI, 371 darauf hingewieſen, 
„daß der Grundſatz der Rückverweiſung (EG. BGB. 
Art. 27) unter anderm auch tunlichſt Wider⸗ 
ſprüche zwiſchen der deutſchen und der 
hei miſchen Rechtsentſcheidung hintan⸗ 
halten will“. Ein ſolcher Widerſpruch würde 
aber — im Gegenſatze zur Annahme des RG. — 
gerade dann hervortreten, wenn das deutſche Ge⸗ 
richt die Vorbehaltsklauſel des ausländiſchen (öfter: 
reichiſchen) Rechts unberückſichtigt ließe: 

Der öſterreichiſche Richter würde im vorliegen⸗ 
den Falle die Ehe für nichtig erklären, während 
ze. Richter die Nichtigkeitsklage ab⸗ 
wieſe. 

Im vorliegenden Falle laͤßt ſich für die Nicht⸗ 
ablehnung der öſterreichiſchen Vorbehaltsklauſel auch 
noch folgendes geltend machen: 


Nach der früheren vor 1905“) in Oeſterreich 
17 Auffaſſung wurde der Satz des $ 4 
A BGB.: „und als dieſe Handlungen und 
Geſchäfte zugleichi in dieſen Ländern recht⸗ 
liche Folgen hervorbringen wollen,“ als 
überflüſſig und mißverſtändlich außer Acht gelaſſen, 
enthielt 8 4 ABGB. alſo keine Verweiſung auf das 
- Domizilreht. Bei dieſer früheren Auslegung wäre 
in unſerm Falle öſterreichiſches Recht angewandt 
worden. Denn Art. 30 EG. BGB. kommt nicht 
in Frage. Waͤre es da zu rechtfertigen, wenn man 
heute in unſerm Falle — im Widerſpruch mit 
den letzten in Art. 27 EG. BGB. verfolgten geſetz⸗ 
geberiſchen Zwecken — dieſelben öſterreichiſchen 


») Arch Bürg R. XXVII., 258/9. 

10) Niemeyers Z. XIX, 447—457. 

11) Niemeyers Z. XX, 85—90. Siehe auch Beer, 
a. a. O. 20. 

1) Pgl. auch Arch BürgR. XXVII., 258 9. 

1) A. a. O. 87; vgl. auch den Note 1 genannten 
Aufſatz Endemanns. 

100 A Bring: Ehrenzweig’, a. a. O. S. 80 Text 
zu Note 8 


Normen nicht anwenden wollte, weil fie uns infolge 
der Rückverweiſung im Gewande der Vorbehalts⸗ 
klauſel begegnen? 

Die neue Auslegung des 8 4 ABGB. 
ſcheitert m. E. in unſerm Falle bereits daran, daß 
nach den Hofkanzleidekreten vom 23. Februar 1833 
und 10. Juni 1835 „die Eheſchließung mit einem 
Oeſterreicher für die Ausländerin einen unbedingten 
Bürgerrechtstitel begründet, ohne daß ein Vor⸗ 
behalt des bisherigen Staatsbürgerrechts möglich 
wäre, und ohne daß bei |päterer Trennung der 
Ehe infolge Scheidung oder Tod des Gatten das 
erheiratete Bürgerrecht wieder verloren ginge“.!“) Da 
die Eheſchließenden dieſe nach Oeſterreich hinüber⸗ 
wirkende Legalwirkung der Eheſchließung nicht aus⸗ 
ſchließen können, iſt m. E. der Verweiſung in 
ABGB. 8 4 auf das deutſche Recht der Boden 
entzogen.“) 


II. Studie. 
Zu Art. 30 68. B68. 


I. Wohl kein Problem des internationalen 
Privatrechts bereitet der Wiſſenſchaft und Recht⸗ 
ſprechung dauernd größere Schwierigkeiten als das 
Problem des ordre public. 17) Man braucht nur 
einen flüchtigen Blick in das neueſte Schrifttum und 
die letzten Bande unſerer Entſcheidungsſammlungen 
zu werfen, um ſich davon zu überzeugen, daß auch 
heute noch von einer Löſung des Problems des 
ordre public, einer richtigen Anwendung der 
Vorbehaltsklauſel, nicht die Rede ſein kann. Alle 
Verſuche, „die große Entfernung zwiſchen dem 
theoretiſchen Grundſatz der Vorbehaltsklauſel und 
ſeiner Ueberſetzung in die konkrete Wirklichkeit zu 
verringern“, ) haben bislang nicht verhindern können, 
daß die ſtärkſten Zweifel laut werden, ſobald es 
gilt im einzelnen Falle die Vorbehaltsklaufel (EG. 
BGB. Art. 30) anzuwenden. 

Zweck der folgenden Zeilen iſt es, ein Urteil 
des I. Zivilſenats des RG. vom 2. Oktober 1912 
(RGZ3. LXXX Nr. 31 S. 129 — 134), “) zu 


15) Vgl. Sieber, Das Er! im inter 

nationalen Verkehr, I (1907) S 
Vgl. auch Beer, a. a. O. En 43. Noch andere 

9 bei Steinlechner, a. a. O. 67 (Text zu Note 28). 

17) Literaturangaben bei Klein, Die Lehre vom 
ordre public, Arch BürgR. XXIX, 311-384. Vgl. auch 
Beer, Niemeyers Z. XIX, 1 ff.; Dietz, Niemeyers Z. XIX, 
447ff.; Levis, Niemeyers Z. XX, 85 ff.; Fuld, Niemeyers Z. 
XXII, 253; Graf Luxburg, Niemeyers⸗. XXIII, 151,192; 
Hedemann, Niemeyers Z. XXIII, 244, 245, 255; ; Niemeger, 
Niemeyers Z. XXIII, 261, 267; Krainz- Ehrenzweig ® ; 
Syſtem des öſterreichiſchen allgemeinen Privatrechts, 
I (1913) S. 77; Enneccerus, Kipp und Wolff’, Lehr⸗ 
buch des bürgerlichen Rechts, I 18 62 S. 154 ff.; Beer, 
Die Verweiſung, 20 (in der Feſtſchrift für Ernſt Zitel⸗ 
mann); Dittmann, Die ſechs Haager Abkommen über 
Internationales Privatrecht und Zivilprozeßrecht (1914) 

6; Fink, Niemeyers Z. XXIV, Abt. II, 138-179. 

16) Zitelmann, Internationales Privatrecht, I, 321. 

100 Vgl. auch das weit vorſichtigere Urteil des RG. 
vom 5 er 1900, Niemeyers Z. X, 472 ff., nament- 

73/4. 


lich 4 


316 


würdigen, das die Vorbehaltsklauſel unrichtig 
anwendet. 

II. Zum Ausgangspunkte meiner Unterſuchung 
wähle ich die immer wieder herangezogene Ent⸗ 
ſcheidung des II. Zivilſenats des RG. vom 21. März 
1905 (Niemeyers 3. XIX, 278 — 280). Hier gelangt 
das RG. zu folgendem Ergebnis: „Die Anwendung 
des nach dem internationalen Privatrecht an ſich 
maßgebenden ausländiſchen Rechts iſt verboten, wenn 
der Unterſchied zwiſchen den ſtaatspolitiſchen oder 
ſozialen Anſchauungen, auf welchen dieſes Recht und 
auf welchen das konkurrierende deutſche Recht beruht, 
ſo erheblich iſt, daß die Anwendung des auslän: 
diſchen Rechts direkt die Grundlagen des 
ſtaatlichen 1 wirtſchaftlichen Lebens 
angreifen würde. In einem derartigen Falle 
kann das ausländiſche Recht nicht zugelaſſen, muß 
vielmehr das inländiſche deutſche Geſetz angewendet 
werden.“ 

Dieſes RG.⸗Urteil gibt eine wenigſtens im all⸗ 
gemeinen richtige Antwort auf die Frage: wann 
löſt der Inhalt der nach unſern Kolliſionsnormen 
maßgebenden ausländiſchen Normen den zwingenden 
Charakter unſerer eigenen Rechtsſätze aus? Sie 
fließt aus den zutreffenden Erwägungen: | 

daß die Vorbehaltsklauſel eine Ausnahme 
von den allgemeinen Kolliſionsnormen darſtellt, daß 
die Kolliſionsnormen, „die ja gerade in der Ver⸗ 
ſchiedenheit der materiellen Rechte und deren Zwecke 
ihren Grund haben und ihren Nährboden finden, 
bis zur Evidenz des Gegenteils feſtge⸗ | 
halten werden wollen“, 

„daß die Ablehnung des Auslandsrechts gemäß | 
der Vorbehaltsklauſel nicht vermutet werden darf“, 

ſchließlich, daß es einer der größten Fehler 
einer Entſcheidung auf dem Gebiete des inter⸗ 
nationalen Rechts iſt, wenn ſie leichtherzig den 
zwingenden Charakter des eigenen Rechts annimmt, 

. . . um bloß techniſcher Unterſchiede willen ein 
ausländiſches Recht für unanwendbar erklärt, . .. 
da doch das ganze internationale Privatrecht mit 
der richtigen oder unrichtigen Handhabung der Vor⸗ 


behaltsklauſel ſteht und fällt.“) 

Mit dieſen Ausführungen iſt die Entſcheidung 
des I. Ziwilſenats des RG. vom 2. Oktober 1912 
unvereinbar. 

III. Der I. Zivilſenat des RG. erklärt im Urteil 
vom 2. Oktober 1912 eine (wie das Erkenntnis an: 
nimmt) in Rußland an einem ruſſiſchen Schiffe 
gültig beſtellte Schiffshypothek für unwirkſam gegen⸗ 
über dem ſpäter von einer Kopenhagener Geſellſchaft 
erwirkten Arreſt, weil die Vorſchriften des 
ruſſiſchen Rechts, die die Publizität des 
Schiffspfandrechts ſichern wollen,“) den 
unſrigen nicht gleichwertig oder an: 
nähernd gleichwertig ſeien. 


2) Vgl. Zitelmann, Internationales Privatrecht, 
T, 317-380; Klein, Arch RürgR. XXIX, 3IIff.; OeſtCBl. 
XXXI 292, XXXII, Heft 8. 

21) Vgl. dazu 6 . LXXX, 131 2. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


behaltsklauſel. 


Schon Lenel “) hat mit Recht bemerkt: „Ob 
Art. 30 ausreicht, dieſe weitgehende Entſcheidung 
zu tragen, ſcheint doch recht zweifelhaft.“ 

Prüfen wir die Urteilsgründe im einzelnen! 

Die Heranziehung des „Brüffeler Vorentwurfs 
zu einem internationalen Uebereinkommen über 
Schiffshypotheken uw. 1% zur Ürteilöbegrün: 
dung iſt methodiſch verſehlt.“) 

Im übrigen läuft die Begründung des RG. 
darauf hinaus: „Der deutſche Geſetzgeber hätte von 
dem ganzen Apparate der Regiſtereintragung ab⸗ 
geſehen, wenn er eine Eintragung in die Schiffs⸗ 
papiere für auch nur annähernd gleich- 
wertig oder ſeinen Zwecken entſprechend gehalten 
und nicht vielmehr gerade darauf Gewicht gelegt 
hätte, daß entſprechend den für das Grundpfand⸗ 
recht geltenden Vorſchriften auch für die Schiffs⸗ 
hypothek Publizität, d. h. nicht ſowohl Erkenn⸗ 
barkeit als vielmehr volle und authentiſche 
Oeffentlichkeit geſchaffen wurde. In dieſem 
Sinne ſei es zutreffend, wenn die Reviſion aus⸗ 
führt, es müſſe gefordert werden, daß das aus⸗ 
ländiſche Recht zu einer teilweiſen Immobiliſierung 
des Schiffes übergegangen ſei ....) 

Aber rechtfertigen dieſe Erwägungen es wirklich. 
daß das RG. eine „Notwehrlage“ annimmt 
und „das Kampfmittel der Vorbehaltsklauſel, 
das die Friedlichkeit der geordneten internationalen 
Rechtsgemeinſchaft in Sachen des Privatrechts durch⸗ 
bricht“,“) anwendet, konkret geſprochen: die in 
Rußland an einem ruſſiſchen Schiffe gültig 
beſtellte Hypothek für unwirkſam erklärt? 

Zu welch unerträglichen Ergebniſſen eine ſolche 
den Wert und die Bedeutung der eigenen Rechts⸗ 
einrichtungen überſchätzende Praxis?) führen kann, 
mag folgendes Beiſpiel veranſchaulichen, in welchem 
deutſches Recht und deutſche Intereſſen 
in Frage ſtehen. 

Schweiz. Art. 715 J beſtimmt: 

Der Vorbehalt des Eigentums an einer 
dem Erwerber übertragenen beweglichen Sache 
iſt nur dann wirkſam, wenn er an deſſen je⸗ 
weiligem Wohnort in einem vom Betreibungs⸗ 
beamten zu führenden öffentlichen Regiſter ein⸗ 
getragen iſt. 

Dem BGB. $ 455 iſt ein Regiſter über Eigen⸗ 
tumsvorbehalte fremd. Darf darum ein um ſeine 
Entſcheidung angegangenes ſchweizeriſches Gericht 
den in Deutſchland nach deutſchem Rechte verein⸗ 
barten Eigentumsvorbehalt unter Berufung auf 
Schweiz. Art. 715 I und den ordre public ?®) für 


WER XVIII, 883 4. 


”) Vgl. auch Beer, Niemeyers?. XIX, 18. 
*) Vgl. RG. LXXX, 133. 
60) Zitelmann, Internationales Privatrecht, I, 
351, 357. 
I. XXX, 132 (Mitte der Seite). 


“RG. Siehe 


auch „Del Vecchio, ArchmPhiloſ. VII, 225. 


8) Das Schweiz z. enthält keine ausdrückliche Vor⸗ 
Selbſtverſtändlich wird aber dadurch 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


unwirkfam erklären? Ich glaube kaum, daß ein 
ſolches Urteil den Beifall der deutſchen Jurisprudenz 
finden würde. Und doch könnte ſich das ſchweizeriſche 
Gericht bei ſeiner Entſcheidung auf das Urteil des 
RG. vom 2. Oktober 1912 berufen.“) Die unter: 
ſtellte Entſcheidung des ſchweizeriſchen Gerichts löſt 
die Empfindung aus, daß das RG. das Schongebiet 
des eigenen Rechts unrichtig begrenzt hat. 

IV. Der Weg, den die hier beſprochene RG.⸗ 
Entſcheidung und in neuerer Zeit leider manche 
Entſcheidungen unſerer höheren Gerichte“) einge⸗ 
ſchlagen haben, führt zu dem längſt überwundenen 
lex-fori⸗Prinzip Wächters zurück. Und wozu dann 
überhaupt ein internationales Privatrecht? 


Zur Auslegung des Art. 92 Ziff. 1 des 
baperiſchen Forſtgeſetzes.) 


Von Landgerichtsrat Dr. Anguſt Mayer in Memmingen. 
1 


Auf einem von jeher als Wald bewirtſchafteten 
Grundſtücke befand ſich eine Oedung; fie war durch 
Kahlhieb entſtanden und hatte mehrere Jahre brach 
gelegen; durch Samenanflug waren einzelne Ge⸗ 
büſche entſtanden. Quer durch das Grundſtück 
führte ein Weg, der nach einer Biegung an einer 
Wieſe vorbeiführte; der Eigentümer dieſer Wieſe 
hatte ſeit langem, um den kaum 100 m betragenden 
Umweg zu erſparen, von dem Wege weg durch den 
Wald ſein Vieh auf jene Wieſen getrieben. Der 
Eigentümer des Waldgrundſtückes erkannte dieſes 
Triebrecht an. 

Vor kurzem wurde die Oedung im Auftrage 


des zuftändigen Forſtamtes aufgepflanzt durch Ein: 


legen von Pflanzen, die im Herbſte 1913 höchſtens 
5 Jahre alt waren. Der Wieſeneigentümer trieb 
ſein Vieh auch durch die Pflanzung; der Wald⸗ 
eigentümer zog entlang dem Wege einen Draht⸗ 
zaun, um das Betreten ſeiner Anpflanzung zu ver⸗ 
hindern; der Wieſeneigentümer beſeitigte dieſen 
Zaun oder ließ ihn beſeitigen und trieb ſein Vieh 
nach wie vor durch. 

Vom Forſtrüge⸗ und vom Berufungsgerichte 
wurde er hiewegen auf Grund des Art. 92 Ziff. 1 
ForſtG. in Strafe genommen, obwohl er geltend 
gemacht hatte, daß er ein Triebrecht beſitze, alſo 
befugt ſei, ſein Vieh über jene Waldgrundſtücke 
zu treiben. 


nicht die ſchrankenloſe Anwendung ſämtlicher auslän= 
diſchen Privatrechte zugelaſſen. Vgl. auch den Kommen— 
tar zum Schweizeriſchen Zivilgeſetzbuch von Egger, 
Eſcher 15 VI (Reichel) S. 150 (oben). 

9) Man darf nie vergeſſen, daß engherzige Ent» 
ſcheidungen unſerer Gerichte auf dem Gebiete des inter- 
nationalen Privatrechts ſtets entſprechende Entſchei— 
dungen ausländiſcher Gerichte auslöſen. 

20) Zitate bei Niemeyer, Niemeyers Z. XIX, 516. 

) gl. hiezu die Entſch. auf S. 329 dieſer 
Nummer. 


317 


II 


Art. 92 Ziff. 1 ForſtG. beſtraft: „Das Fahren 
außer den erlaubten Waldwegen oder den in den 
Schlaͤgen angewieſenen Holzabfuhrwegen — das 
unerlaubte Holzſchleifen oder Holzſtürzen — das 
unbefugte Betreten künſtlicher Anſaaten oder Pflan⸗ 
zungen unter 6 Jahren und beſonders das Betreten 
derſelben mit Pferden oder anderem Vieh.“ 

Die Auslegung dieſer Vorſchrift war von jeher 
beſtritten. Die Beziehung des „unbefugten“ bloß 
zu „Betreten“ oder auch zu „Betreten ... mit 
Pferden oder anderem Vieh“ bildete den Gegen⸗ 
ſtand des Zweifels. War nur das unbefugte 
Betreten mit Pferden und Vieh verboten, ſo konnte 
ein Betreten mit Pferden und Vieh auf Grund 
eines Fahrt⸗ oder Triebrechtes nicht ſtrafbar machen, 
weil es ſich um ein befugtes Betreten 
handelte. Der Kommentar zum Forſtgeſetz von 
Brater in Dollmanns Geſetzgebung Bayerns 1855, 
Teil 2, Bd. 1, S. 558, Art. 91 Anm. 3 ſpricht 
nur von „unbefugtem Viehtriebe“. Roth, Hand: 
buch des Forſtrechtes, 1863, S. 436, erwähnt bei 
Beſprechung der Waldweide das „unbefugte Betreten 

. mit Vieh“; dazu ebendort S. 439 oben. 


Die Fahrt⸗ und Triebberechtigten, denen eine 
Beſtrafung auf Grund des Art. 92 Ziff. 1 drohte, 
haben von jeher dieſen Einwand geltend gemacht. 
Die Rechtſprechung von mindeſtens 40 Jahren 
hat ihn jedoch für unbeachtlich erklärt: ObGH. 
Bd. VII S. 501; Bd. IX S. 408 (mit weiteren 
Verweiſungen); OLG. München Bd. 1 S. 259; 
Bd. IV S. 89; Bd. VI S. 1; Obs G. Bd. IV 
S. 122 und 389; Bd. VI S. 332: Bd. X S. 154. 
Auch der Kommentar von Ganghofer⸗Weber zum 
Forſtgeſetz für das Königreich Bayern (4. Auflage, 
1904, S. 292 Anm. 5—7) huldigt der gleichen 
Anſchauung. 


In neuerer Zeit haben ſich Stimmen gegen 
dieſen Standpunkt bemerkbar gemacht. Das LG. 
Würzburg hatte als Berufungsinſtanz einen Rechts⸗ 
ſtreit über Erſitzung eines Fahrtrechtes über ein 
Waldgrundſtück zu entſcheiden (FI 55/07); der 
Beklagte hatte eingewendet, der Kläger ſei als Forſt⸗ 
berechtigter an die forſtpolizeilichen Beſtimmungen 
des Forſtgeſetzes, alſo auch an Art. 92 Ziff. 1 
ForſtG. gebunden, deshalb könne er erſt nach Ab⸗ 
lauf von 6 Jahren ſeit der Bepflanzung Klage 
auf Einräumung des Fahrtrechtes ſtellen. Das 
Urteil vom 31. Januar 1908 führt aus 
„Waldeigentümer und Nutzungsberechtigte haben 
ihre Rechte ſo auszuüben, daß ſie nebeneinander 
beſtehen können und daß die Gerechtſame des letzteren 
in ihrem beſtimmten Maße ſoweit aufrecht erhalten 
wird, daß das Recht des Eigentümers auf Er: 
haltung des Waldes nicht leidet ... Die Servitut 
iſt inſoweit beſchränkt, als durch die Art ihrer 
Ausübung das Fortbeſtehen des Waldes nicht ge: 
fährdet werden darf, jedoch nicht in einem weiteren 
Umfange .. . . Willkürliche, auf dauernde Ent: 


318 geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


ziehung der Servitut berechnete Kulturen find aus⸗ 
8 — Archiv Bd. 49 Nr. 7 und Bd. 42 
r 

Daraus zieht es den Schluß: „Der Kläger 
muß ſich deshalb gewiſſe, forſtwirtſchaftlich not⸗ 
wendige Beſchränkungen ſeines Fahrtrechts unter 
Umſtänden gefallen laſſen; das Recht der Beklagten 
reicht aber nicht ſoweit, durch willkürliche Neube⸗ 
pflanzung des Waldſtreifens das Fahrtrecht des 
Klägers illuſoriſch zu machen“ und fügt bei, daß 
das BGB. keine Vorſchrift enthalte, „daß die Aus: 
übung einer Dienſtbarkeit unter gewiſſen Voraus⸗ 
ſetzungen zeitweiſe ruhen müſſe“; unter Art. 115 
EG. BGB. fällt Art. 92 Ziff. 1 nicht; „denn dem 
Fahrtberechtigten bleibt das Recht, ſeine Rechte auf 
das Fahrtrecht geltend zu machen, wenn es durch 
willkürliche Maßnahmen des Waldbeſitzers beein⸗ 
trächtigt oder vereitelt wird.“ 


Das LG., das es mit der Feſtſtellung des 
Beſtandes eines Fahrtrechtes zu tun hatte, miß⸗ 
billigt ſomit nur die durch willkürliche Anpflanzung 
herbeigeführte Beeinträchtigung der Dienſtbarkeit. 

Weiter geht eine Abhandlung in der Zeitſchrift 
für Rechtspflege in Bayern 1908 S. 113; dort 
wird das Ergebnis, „daß Fahrt⸗ und Triebrechte 
6 Jahre lang ruhen ſollen“ als unannehmbar be⸗ 
zeichnet und behauptet: „Das Verbot des Art. 92 
Ziff. 1 ForſtG. hat einen geringeren Umfang und 
es bleibt nichts übrig, als der Vorſchrift die Aus⸗ 
legung zu geben, daß nur das unbefugte Be⸗ 
treten mit Vieh verboten ſei“; der Waldeigentümer 
könne ſeine Intereſſen nach 88 1020, 1023 BGB. 
wahren. 

Dann greift die Abhandlung tiefer; ſie ſtellt 
feſt, daß ſeit der Geltung des neuen bürgerlichen 
Rechtes jede Grunddienſtbarkeit im Reichsrechte 
wurzele, im Reichsrechte ſich aber keine Vorſchrift 
finde, aus der geſchloſſen werden könnte, daß eine 
Grunddienſtbarkeit infolge der Anlegung einer Forſt⸗ 
pflanzung jahrelang ruhe. Ein Vorbehalt zugunſten 
der Landesgeſetzgebung beſtehe nicht. Art. 113 EG. 
BGB. halte zwar die landesgeſetzlichen Vorſchriften 


9 Bd. 42 S. 27 betrifft eine Hut: und Maſtgerechtig— 
„In Doktrin und Rechtſprechung iſt es uns 
bestritten anerkannt, daß alle an Waldungen beſtehenden 
Servituten . Hin ihrer Ausübung den Forſtver— 
ordnungen und der Forjthoheit unterworfen ſind . . .. 
Der Berechtigte muß ſich notwendige, forſtwirtſchaftliche 
Beſchränkungen immer gefallen laſſen .. willkürliche, 
auf dauernde Entziehung berechnete Kulturen ſind aus— 
ae ee 

49 S. 9 betrifft ein Beholzungsrecht. Das 
0 (Urteil vom 28 April 1893, III 12/93) 
führt aus: .... „Der Waldeigentümer wird durch 
ein Beholzungsrecht an der Vornahme zweckmäßiger 
Forſtkulturen nicht gehindert, ſoferne dieſe der Er⸗ 
haltung des Waldes dienen. Es liegt in der Natur 
der Sache und ergibt ſich aus Gründen des öffentlichen 
Wohles, daß das Waldeigentum wirtſchaftlich behandelt 
werden muß. Deshalb iſt jede am Wald haftende 
Dienſtbarkeit ſolchen Einſchränkungen unterworfen, 
welche mit der Ausübung der Servitut verträglich ſind 
und dem Waldeigentümer einen billigen Nutzen belaſſen.“ 


über Ablöſung, Umwandlung oder Einſchränkung 
von Dienſtbarkeiten aufrecht ; dadurch jet der Landes⸗ 
geſetzgebung geſtattet, die einzelnen Dienſtbarkeiten 
einzuſchränken, weshalb auch eine zeitweilige Hem⸗ 
mung von erträglicher Dauer zuläſſig ſei; unter den 
Begriff der Einſchränkung falle aber nicht mehr 
eine Einwirkung von der Stärke, daß eine Grund⸗ 
dienſtbarkeit 6 Jahre lang ruhen müſſe; dadurch 
werde, wenn auch in zeitweiliger Beſchrankung, der 
ganze Rechtsinhalt aufgehoben. Art. 115 EGS. BGB. 
räume der Landesgeſetzgebung nicht die Befugnis ein, 
Grunddienſtbarkeiten Jahrelang ruhen zu laſſen. 
Der Aufſatz folgert, daß die bisherige Rechtſprechung. 
beſonders die Entſcheidung des ObLG. in Bd. IV 
S. 389, dem Reichsrechte widerſpreche und nicht 
durch einen Vorbehalt getragen werde. 

Auch Meisner, (Nachbarrecht 1910 S. 333 
Fußnote 3) erwähnt dieſe beiden Gegner, ſcheint 
ſich aber auf den Standpunkt der bisherigen Recht⸗ 
ſprechung zu ſtellen (ſiehe Fußnote 4). 

Umſo entſchiedener wendet ſich Schiedermair, 
(ſtrafrechtliche Nebengeſetze Bayerns, 1912) gegen 
dieſe Rechtſprechung; S. 219 lit. e (dazu Fußnote 4) 
wird der Satz ausgesprochen, daß ein Fahrtrecht 
nicht dadurch beſeitigt werden kann, daß auf dem 
Boden, auf dem es beſteht, eine Anſaat oder eine 
Pflanzung nach Art. 92 Ziff. 1 ForſtG. angelegt 
wird; auch S. 274 Anm. 5 wird ausgeſprochen: 
„Das Betreten der künſtlichen Anſaaten und Pflan⸗ 
zungen mit Pferden und anderem Vieh iſt 
nur verboten, wenn es unbefugt erfolgt und die 
Anfaaten und Pflanzungen unter 6 Jahre alt find 
. . . (anders unter Verkennung des zweifelsfreien 
Wortlautes des Geſetzes ... die Rechtſprechung).“ 


III. 


Dennoch ſcheint die bisherige Rechtſprechung 
allein dem Zwecke des Art. 92 Ziff. 1 ForſtG. 
gerecht zu werden. 

1. Das bayeriſche Forſtgeſetz iſt nicht bloß ein 
Strafgeſetz für Forſtſachen, ſondern in erſter Linie 
eine Forſtordnung, ein Polizeigeſetz. Unter An⸗ 
wendung ſtaatlichen Zwanges ſoll in der Wald⸗ 
wirtſchaft durchgeführt werden, was durch das 
öffentliche Wohl geboten iſt. Dieſer ſtaatliche 
Zwang äußert ſich teils in Vorſchriften der Forſt⸗ 
polizeibehörden, teils unmittelbar in Strafvor⸗ 
ſchriften. Er wendet ſich gegen den Eigentümer 
wie gegen Dritte. Deshalb beſtimmt Art. 1 ForſtG.: 

„Jedem Waldbeſitzer ſteht die freie Benützung und 
Bewirtſchaftung ſeines Waldes zu vorbehaltlich der 
Rechte Dritter und der Beſtimmungen des 
gegenwärtigen Geſetzes.“ In Art. 6— 22, 
34—47 und anderwärts finden fi Beſchränkungen 
des Waldbeſitzers, in Art. 23 ff. und anderwärts 
ſolche des Drittberechtigten. Art. 23 Abſ. J ForſtG. 
bindet den Forſtberechtigten bei der Ausübung ſeiner 
Berechtigung an die genaue Befolgung der forit: 
polizeilichen Beſtimmungen des Forſtgeſetzes. 

2. Der Inhalt des Begriffes, Forſtberechtigung“ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


— 


ſteht nicht unanfechtbar feſt (f. Ganghofer⸗Weber 
a. a. O. S. 82—85, 134 Anm. 3; Brater a. a. O 
S. 438). In der Regel werden die Forſtberechtigungen 
für Dienſtbarkeiten erklärt. Dernburg (Pandekten, 
4. Aufl. Bd. 1 S. 593 Ziff. 3) bezeichnet fie als „Ser⸗ 
vituten“, Roth (Handbuch a. a. O. S. 3198311) kurz 
als „Waldſervituten“; Becher (bayeriſches Landes⸗ 
zivilrecht 1896 Bd. J S. 631) erklärt unter der Ueber⸗ 
ſchrift „Die Forſtdienſtbarkeiten“ das bahyeriſche 
Forſtgeſetz für anwendbar auf alle Arten von Forſt⸗ 
dienſtbarkeiten, aber auch nur auf ſolche Dienſt⸗ 
barkeiten, die an einem Walde begründet find. Ebenſo 
Meisner a. a. O. S. 362 Ziff. I und 363 Ziff. III, 
auch eine Abhandlung in der Bay 3fR. 1907 S. 205 
Ziff. Il. Im engeren Sinne wird der Begriff 
ausgelegt von Schiedermair (a. a. O. S. 215, all⸗ 
gemeine Bemerkungen unter Ziff. V 2), wo unter 
Forſtrecht nur das dingliche Recht auf Nutzung von 
Walderzeugniſſen verſtanden wird. 

Ein Trieb: oder Fahrtrecht an einem Wald: 
grundſtücke mag nicht ein Forſtrecht im engeren 
Sinne darſtellen; die Belaſtung des Waldgrund⸗ 
ſtückes mit einem ſolchen Rechte äußert jedoch die 
gleichen einſchneidenden Wirkungen auf die forſt⸗ 
mäßige Bewirtſchaftung des Waldgrundſtückes; es 
rechtfertigt ſich daher jedenfalls die Annahme, daß 
die Vorſchriften des Forſtgeſetzes mindeſtens auf 
dem Wege des Aehnlichkeitsſchluſſes auch auf eine 
nn Belaſtung des Waldgrundſtückes anzuwenden 


1 können nun den Wald⸗ 
eigentümer an der nachhaltigen Bewirtſchaftung 
des Waldes nicht hindern (Art. 24 ForſtG.); 
Forſtberechtigungen, welche die nachhaltige Bewirt⸗ 
ſchaftung des Waldes beeinträchtigen, ſind auf Antrag 
des Verpflichteten für einen beſtimmten Zeit: 
raum zu ermäßigen (Art. 25 Abſ. I Forit®.). 

3. Die Hebung und Erhaltung des Wald⸗ 
beſtandes galt von jeher als eine im öffentlichen 
Intereſſe gelegene Aufgabe (vgl. Stobbe, Deutſches 
Privatrecht, 1896 Bd. II S. 326, insbeſondere 
330). Frühzeitig hat der Staat ſogar Belohnungen 
ausgeſetzt, um durch Aufforſtung von Oedflächen 
eine Vermehrung des Waldbeſtandes herbeizuführen 
(Ganghofer⸗Weber, a. a. O. S. 21 Anm. 4). Er 
war aber auch auf Erhaltung des Waldbeſtandes 
bedacht. Nach Art. 41 Abſ. I ForſtGG. müſſen 
die der Holzzucht zugewendeten Grundſtücke ſtets im 
Holzbeſtand erhalten und dürfen nicht abgeſchwendet 
werden. Art. 42 Abſ. I ForſtG. befiehlt die Auf: 
forſtung lulturfähiger Waldblößen; der erſt 1908 
geſchaffene Art. 42 b Abſ. II Forft®., ferner Art. 78 
Abſ. II Forſt G. treffen Vorſorge für Wiederherſtellung 
des Waldes nach erlaubtem und unerlaubtem Kahl— 
hieb uſw.; Art. 42 Abſ. II ForſtG. ermächtigt die 
Forſtpolizeibehörde, dem Waldeigentümer eine Friſt 
zur Wiederaufforſtung zu ſetzen; nach Ablauf der Friſt 
erfolgt Strafeinſchreitung nach Art. 77 Ziff. 1 ForſtG. 
und Aufforſtung auf Koſten des Säumigen durch 
das Forſtamt. 


— —ꝛ— 0 —»vk⸗kꝛ̃ꝛ —— 4 —— nn nen 


319 


Wir ſehen alſo: auf der einen Seite rechnet das 
Geſetz mit der Zuläſſigkeit der Beeinträchtigung 
einer Dienſtbarkeit, auf der anderen Seite ſorgt 
es für wirkſamen Einfluß auf den Eigentümer: 
beides im öffentlichen Intereſſe. „Privatrechte 
gewähren ſchon begrifflich keinen Schutz gegenüber 
öffentlich rechtlicher Tätigkeit des Staates. Zudem 
gibt das Geſetz, indem es die Ermächtigung zu 
Polizeivorſchriften gibt, ſtillſchweigend die Befugnis, 
die dadurch veranlaßte Hemmung der Privatrechte 
herbeizuführen. Dieſer Standpunkt iſt von der 
Rechtſprechung ſtets feſtgehalten worden“ (Schieder⸗ 
mair a. a. O. S. 70 Anm. 2 und Fußnote 1, dazu 
die dort angegebene Literatur und Rechtſprechung). 

Privatrechte müſſen alſo dem öffentlichen Intereſſe 
weichen (Seuff A. Bd. 27 Nr. 209 S. 334; 
Urteil des Oberſten Gerichtshofs vom 26. März 
150 im RegBl. 1860 S. 362 beſonders S. 368 
oben). 

4. Dieſer Rechtszuſtand iſt durch Einführung 
des BGB. nicht verändert worden. 

Art. 55 EG. BGB. beſeitigt nur die privat⸗ 
rechtlichen Vorſchriften der 1 ſoweit 
nicht im BGB. oder im Einführungsgeſetz etwas 
anderes beſtimmt iſt. Oeffentlich⸗ rechtliche Vor⸗ 
ſchriften der Landesgeſetze find nicht berührt worden, 
insbeſondere gilt dies von den landesrechtlichen 
Forſtgeſetzen, die durch 8 2 Abſ. II EG. StPO. 
vom 31. Mai 1870 ausdrücklich in Wirkſamkeit 
erhalten worden find (dazu Art. 3 Ziff. 5 AG. StGB. 
vom 18. Auguſt 1879). Selbſt wenn man aber 
dieſe Vorſchriften ausdrücklich nur auf ſtrafrecht⸗ 
liche Beſtimmungen des bayeriſchen Forſtgeſetzes 
beziehen wollte, beſtehen doch noch Vorbehalte zu⸗ 
gunſten der Landesgeſetzgebung, welche auch über die 
eigentlichen Strafbeſtimmungen hinaus landesgeſetz⸗ 
liche Einwirkungen auf Privatrechte geſtatten und 
die bezüglichen Beſtimmungen des bayeriſchen Forſt⸗ 
geſetzes decken. 

Ob gerade auf Art. 113 EG. BGB. zurück⸗ 
zugreifen iſt (Bay ZfR. 1908 S. 114), erſcheint 
fraglich. Dieſe Beſtimmung hält die landesgeſetz⸗ 
lichen Vorſchriften über Ablöſung, Umwandlung 
oder Einſchränkung von Dienſtbarkeiten aufrecht. 
Aus dem Zuſammenhalte mit dem ſonſtigen In⸗ 
halte des Artikels und aus der Bemerkung der 
Motive z. EG. BGB. S. 162, daß das Agrar⸗ 
Recht von der Regelung durch das BGB. aus⸗ 
geſchloſſen werden wollte, könnte ein gewichtiger 
Einwand dagegen entnommen werden. 

Auch Art. 115 EG. BGB. wird ſchon von der 
Abhandlung in Bay 3fR. 1908 S. 115 und dem 
oben angegebenen Urteil des LG. Würzburg ab— 
gelehnt, von beiden freilich mit einer Begründung, 
die nicht für durchſchlagend erachtet werden kann. 
Art. 115 EG. läßt die landesgeſetzlichen Vorſchriften 
in Kraft, welche die Belaſtung des Grundſtückes 
mit gewiſſen Grunddienſtbarkeiten unterſagen oder 
beſchränken, ſowie die landesgeſetzlichen Vorſchriften, 
welche den Inhalt und das Maß ſolcher Rechte 


320 


näher beſtimmen. Dieſe Vorſchrift deckt vielleicht 
den Art. 33 ForſtG., wonach ſeit dem 2. April 
1852 neue Forſtberechtigungen (im engeren Sinne: 
Ganghofer⸗Weber S. 134 Anm. 3) nicht mehr er⸗ 
worben werden können, wonach alſo die Belaſtung 
von Waldgrundſtücken mit ſolchen Dienſtbarkeiten 
unterſagt iſt (dazu Art. 86 AG. BGB. Motive z. 
BGB. Bd. III S. 480 Ziff. 6), aber weiter kann 
fie nicht einſchlagen, denn das Forſigeſetz unterſagt 
und beſchränkt nicht allgemein Dienſtbarkeiten an 
Waldgrundſtücken; es ſtellt auch keine Regeln Über 
Inhalt und Maß ſolcher Rechte auf. 

Dagegen dürften Art. 109 und 111 EG. BGB. 
hieher Bezug haben. Nach Art. 111 a. a. O. bleiben 
unberührt die landesgeſetzlichen Vorſchriften, welche 
im öffentlichen Intereſſe das Eigentum in 
Anſehung tatſachlicher Verfügungen beſchränken. 
Nach Art. 109 a. a. O. bleiben unberührt die 
landesgeſetzlichen Vorſchriften über die im öffent⸗ 
lichen Intereſſe erfolgende Beſchraͤnkung des 
Eigentums und von Rechten. 

Unter Beſchränkung des Eigentums werden die 
oben erwähnten Beſchränkungen des Eigentümers 
des Waldgrundſtückes (Art. 1 ff., 34 ff. ForſtG.) 
fallen. Die Motive zu Art. 111 (S. 192) erwähnen 
ausdrücklich die Forſtordnungen und erklären: „Der 
Vorbehalt bezieht fich nur auf ſolche Vorſchriften, 
durch welche das Eigentum in Anſehung tat ſäch⸗ 
licher Verſügungen beſchränkt wird. Dahin gehören 
namentlich die Beſchränkungen rückſichtlich ... .. 
der Waldkultur.“ 

Der Vorbehalt in Art. 109 a. a. O. iſt nach 
Planck, Kommentar zum BGB. N. 1, „im weiteſten 
Sinne auszulegen“; auch nach Fiſcher⸗Henle, BGB. 
N. 1 umfaßt der Vorbehalt die Enteignung im 
weiteſten Sinne. Das Wort „Enteignung“ könnte 


Beitjärift lr Rehtspfiege in aher, 1014. Nr. 16 u. 17 


einen Stein des Anſtoßes bilden. Aber wenn durch 


einen öffentlich⸗rechtlichen Akt der Staatsgewalt auf 
Grund öffentlichen Intereſſes ein Dienſtbarkeits— 
berechtigter zeitweilig in ſeinem Rechte beſchränkt 
und aus dem gleichen Grunde der Eigentümer 
eines Waldgrundſtückes zeitweilig minder belaſtet 
wird, jo liegt eine teilweiſe Entſetzung des Dienit: 
barkeitsberechtigten zugunſten des Waldeigentümers 
und damit eine Enteignung vor (vgl. RGE. 61, 
102 [105], die allerdings die Enteignung von 
Grundſtücken betrifft). Hartmann, Geſetz über die 
Zwangsabtretung, Einleitung, $ 1, beſtimmt den 
Begriff des Enteignungsrechtes als „die Berechtigung 
der Staatsgewalt, im Intereſſe des Ganzen in die 


individuelle Rechtſphäre einzugreifen, die Aufopferung 


der Einzelrechte für die Geſamtheit zu fordern 
und dieſe Forderung im Wege des Zwanges zu 
verwirklichen“. 
Art Enteignungsverfahren der Forſtpolizeibehörde 


Das Forſtgeſetz kennt ſogar eine 


und auch eine Entſchaͤdigung des in ſeinem Rechte 


Betroffenen iſt vorgeſehen (Art. 25 ff.). 

Dieſe landesgeſetzlichen Vorſchriften über die im 
öffentlichen Intereſſe erfolgende Beſchränkung von 
Rechten find nach Art. 3 EG. BGB. in Kraft ge: 


blieben; es beſteht daher der Satz des Art. 24 Forſt. 
nach wie vor zu Recht, daß „Forſtberechtigungen 
den Waldbeſitzer in der nachhaltigen Bewirtſchaftung 
des Waldes nicht hindern können“. 


IV 


Einer ſolchen Beſchränkung gibt nun Art. 92 
Ziff. 1 Fort. Ausdruck, freilich nicht mit der 
ſprachlichen Deutlichkeit, wie ſie von neuen Geſetzen 
verlangt wird. Art. 92 Ziff 1 will nämlich den 
Beſtand des Waldes ſchützen, deshalb verbietet er 
das Fahren außerhalb der Wald: und Holzabfuhr⸗ 
wege uſw. 

Er will auch die Verjüngung und den Auf⸗ 
wuchs des Waldes ſchützen, deshalb verbietet er 
weiter 

a) das unbefugte Betreten künſtlicher Anſaaten 
oder Pflanzungen unter 6 Jahren, 

b) „beſonders“ das Betreten derſelben (das iſt 
der künſtlichen Anſaaten und Pflanzungen 
ar 6 Jahren) mit Pferden oder anderem 

ieh. 

Der Unterſchied iſt einleuchtend, wenn man 
nicht bloß den Wortlaut, ſondern auch den Zweck 
der Vorſchrift im Auge behält. Das Betreten 
der Pflanzungen durch Menſchen ſchädigt den Be⸗ 
ſtand des künftigen Waldes nur unerheblich; das 
befugte Betreten iſt deshalb geſtattet; Eigentümer 
und Berechtigte werden nicht beſchränkt, nur das 
unbefugte Betreten wird verboten. Das Be 
treten der jungen Pflanzung mit Pferden und 
anderem Vieh (man denke an Weidevieh) iſt mit 
erheblicher Gefahr ſür den Beſtand des künftigen 
Waldes verknüpft; deshalb iſt es allgemein, ohne 
Rückſicht auf die etwaige Befugnis, alſo auch für 
den Eigentümer verboten. 

Das Wort „beſonders“ im Geſetzestext (ſiehe 
oben lit. b) wirkt ſtörend; es ſcheidet nach den An⸗ 
forderungen die wir heute an die Geſetzesſprache 
ſtellen, nicht ſcharf genug; der Gebrauch des Wortes 


iſt wohl beeinflußt durch den Wunſch, der Steigerung 
der Gefahr Ausdruck zu geben: „Unbefugtes Be⸗ 
treten der Dlenichen . 
Betreten mit Pferden und Vieh“. 


. beſonders aber das 
Das „Un⸗ 
0 gehört nur zum erſten Tatbeſtande (oben 
it. a). 

Durch Art. 92 Ziff. 1 Forſt G. wird alſo in dem in 
Ziff. I geſchilderten Falle dem Inhaber des Trieb: 
rechts auf einige Zeit die Ausübung, nicht auch 
der Beſtand des Triebrechts beſchränkt. Bei An: 
ſaaten kann dieſe Beſchränkung bis zu 6 Jahren 
dauern, bei Pflanzungen wird die Unterbrechung 
geringer ſein, weil die Setzlinge ſchon mindeſtens 
3 Jahre alt ſein werden. 

Das in Ziff. II angeführte Urteil des LG. 
Würzburg vom 31. Januar 1908 ſcheint dem 
Waldeigentümer dieſen Schutz verſagen zu wollen, 
wenn er „durch willkürliche Neupflanzung des 
Walditreifend das Fahrtrecht (des Berechtigten) 


illuſoriſch macht“. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


— ͤͥͤꝓ[Dꝗ— ͤ 3 ʒ ͤ—»—„—— e ͤ ·˖*ñve nn nn 


Das Wort „Willkür“ wird aber nach dem 
Ausgeführten nur in feiner engſten Bedeutung aus⸗ 
zulegen ſein, nur etwa in dem Sinne, dem z. B. § 226 
und 826 BGB. Ausdruck verleihen. Das Geſetz 
ſtellt das Intereſſe der Waldwirtſchaft obenan; die 
Aufforſtung, die Erhaltung des Waldes iſt das 
Ziel; der Waldeigentümer muß aufforſten; unter⸗ 
läßt er es, wird er geſtraft und das Forſtamt 
forſtet auf ſeine Koſten auf (Art. 41, 42, 77 ForſtG.). 
Für eine „Willkür“ bleibt ſomit kaum ein Spiel⸗ 
raum (ſiehe dazu 8 2 Abſ. III, 8 3 Abſ. I der 
. vom 18. Juli 1896 zum Forſt⸗ 
geſetz). 

Eine ſolche Beſchränkung ſcheint fur den Dienſt⸗ 
barkeitsberechtigten hart, bei näherem Zuſehen iſt 
ſie es nicht. Triebrechte und auch Fahrtrechte 
werden ſelten ausgeübt, ſind auf gewiſſe Zeiten 
und Gelegenheiten beſchränkt. Die Ausübung des 
Triebrechts, beſonders, wie es häufig gemacht wird, 
kreuz und quer durch den Wald, würde den Wald⸗ 
eigentümer hindern, für den Waldnachwuchs zu 
ſorgen; mit der Zeit müßte das Waldgrundſtück 
eine Oedung werden, denn die Sämlinge und Setz⸗ 
linge würden zertreten, und nur Baumkrüppel könnten 
durchkommen; gerade das will Art. 92 Ziff. 1 
ForſtG. verhüten. 

Das Forſtgeſetz iſt nicht ſo unbillig, wie es 
eingeſchätzt zu werden ſcheint. Sowohl der In⸗ 
haber des Trieb: oder Fahrtrechtes wie der Waldeigen⸗ 
tümer können fid) nach Art. 23 Abſ. II, 25 Forft®. 
(dazu 8 2 Abſ. Vu. X, 8 3 Abf. III u. X der Voll⸗ 
zugsvorſchriften) an die Forſtpolizeibehörden wenden, 
dieſe werden möglichſt im Wege der Herbeiführung 
eines Abkommens unter den Parteien das Trieb: oder 
Fahrtrecht „beſchränken“, wohl einen beſtimmten 
Trieb⸗ oder Fahrtweg frei halten und den Be⸗ 
rechtigten auf dieſen Weg verweiſen. Dazu wird 
umſomehr Anlaß beſtehen, als nach Ablauf der 
Schutzfriſt von höchſtens 6 Jahren der junge Wald 
ſchon ſo herangewachſen ſein kann, daß das Vieh 
ſich ſcheut hinzutreten und deshalb das Oeffnen 
einer Gaſſe notwendig wird und mit Hilfe der 
Gerichte erzwungen werden kann, um das Trieb⸗ 
oder Fahrtrecht ausüben zu können. Bei ver⸗ 
ſtändiger Haltung erleidet der Dienſtbarkeitsbe⸗ 
rechtigte, wenn überhaupt Schaden, ſo jedenfalls 
keinen erheblichen Schaden; die Verſagung der Ein- 
willigung zur Rodung nach Art. 34 Ziff. 3 ForſtG. 
gibt ihm ein Mittel in die Hand, um einen hals⸗ 
ſtarrigen Waldeigentümer ſeinen Wünſchen willfährig 
zu machen. 

Ergebnis: Die bisherige Rechtſprechung, die das 
Betreten einer Forſtkultur unter 6 Jahren mit 
Pferden und Vieh überhaupt verbietet, widerſpricht 
nicht reichsrechtlichen Beſtimmungen, wird vielmehr 
dem Sinne des Forſtgeſetzes, dem Zwecke der Wald— 
wirtſchaft und dem berechtigten Intereſſe der Be⸗ 
teiligten gerecht. 


321 


Kleine Nitteilungen. 


Einiges über Vollſtreckungsklanſeln der Notare. Die 
Vollſtreckungsklauſeln der Notare geben nicht ſelten 
Anlaß zu ſchwierigen Rechtsfragen. Da ſich dies 
durch Genauigkeit bei der Erteilung von Vollſtreckungs⸗ 
klauſeln leicht vermeiden läßt und eine glatte und von 
Rechtszweifeln freie Erledigung der Geſchäfte im 
Intereſſe aller Beteiligten liegt, möchte ich auf die 
hauptſächlichen vorkommenden Mängel kurz hinweiſen. 

1. Die Vollſtreckungsklauſel hat nach 8 725 ZPO. 
zu lauten: „Vorſtehende Ausfertigung wird dem N. N. 
zum Zwecke der Zwangsvollſtreckung erteilt“; dieſe 
Worte, denen natürlich je nach Lage des Falles mehr 
oder weniger ergänzende Zuſätze beigefügt werden 
müſſen, gelten als der unabänderliche Inhalt jeder 
Vollſtreckungsklauſel. Trotzdem weichen die Notare, 
beſonders bei Erteilung von Klauſeln nach 88 726 u. 
727 3PO., von dem ein für allemal feſtgeſtellten Wort⸗ 
laut nicht ſelten ab. Von anſcheinenden Schreibfehlern 
wie z. B. „zum Zwecke der Zwangs verſteigerung 
erteilt“ will ich abſehen; es kommen auch ſonſt Un⸗ 
genauigkeiten vor: bald heißt es „Vorſtehende Aus⸗ 
fertigung wird nunmehr gegen X. erteilt“ (fehlen die 
Worte „zum Zweck der Zwangsvollſtreckung“); bald 
kann man leſen: „Vorſtehende Vollſtreckungsklauſel 
wird hiemit auf den V. umgeſtellt“, bald: „Vor⸗ 
ſtehende Vollſtreckungsklauſel gilt nunmehr auch für 
das Kapital“, bald’): „Vorſtehende Ausfertigung wird 
nunmehr auch hinſichtlich des Kapitals für vollſtreckbar 
erklärt“. (Weitere hiemit verwandte Fälle fiehe in Nr. 5). 

In allen dieſen Fällen wird der Vollſtreckungs⸗ 
richter vor die Frage geſtellt, ob er die Klauſel gelten 
laſſen ſoll oder nicht. Läßt er ſie nicht gelten, ſo hat 
er nicht ſelten das Gefühl, übertrieben formal gehandelt 
und dadurch den Beteiligten unnötige Schwierigkeiten 
gemacht zu haben; läßt er ſie gelten, ſo läuft er Ge⸗ 
fahr, daß hinterher die Zwangsvollſtreckung für un⸗ 
wirkſam erklärt wird; in der Regel wird er ſich alſo für 
den „Formalismus“ entſcheiden und den Vollſtreckungs⸗ 
titel zur Berichtigung der Klauſel zurückgeben. 

2. Der nach 8 795 ZPO. für notarielle Urkunden 
entſprechend anwendbare 8 726 ZPO. ſchreibt vor, 
daß von Urteilen (hier: notariellen Schuldurkunden), 
deren Vollſtreckung nach ihrem Inhalt von dem durch 
den Gläubiger zu beweiſenden Eintritt einer anderen 
Tatſache als einer dem Gläubiger obliegenden Sicher⸗ 
heitsleiſtung abhängt, eine vollſtreckbare Ausfertigung 
nur dann erteilt werden darf, wenn der Beweis durch 
öffentliche oder öffentlich⸗ beglaubigte Urkunden geführt 
wird. Gegen dieſe Vorſchrift wird von den Notaren 
manchmal verſtoßen: 

Wurde beiſpielsweiſe eine Schuldurkunde am 
1. April 1913 errichtet und darin vereinbart, daß die 
Zinſen jeweils am 1. April zu entrichten ſind und 
das Kapital bei Baugeldaufnahme, ſpäteſtens aber am 
1. April 1916 fällig ſein ſoll, ſo kann man nicht ſelten 
die ſchon nach wenigen Tagen erteilte Vollſtreckungs⸗ 
klauſel finden: „Vorſtehende Ausfertigung wird dem 
N. N. zum Zweck der Zwangsvollſtreckung erteilt“, 
während es richtig nur heißen dürfte: „Vorſtehende 
Ausfertigung wird dem N. N. zum Zweck der Zwangs⸗ 
vollſtreckung hinſichtlich der jeweils fälligen Zinſen 


) In Een unverkennbaren Anklang an die 
bayeriſche landes rechtliche Vollſtreckungsklauſel der 
Verwaltungs behörden (Art. 6 AG. ZPO.). 


322 


. 


und ab 1. April 1916 auch hinſichtlich des Kapitals 
erteilt“ und eine ſchon vor dem 1. April 1916 wirk⸗ 
ſame Klauſel auf das Kapital nur dann hergegeben 
werden dürfte, wenn die Tatſache der Baugeldauf⸗ 
nahme durch öffentliche oder öffentlich⸗ beglaubigte Urs 
kunden nachgewieſen wird. 

Wird in einer Schuldurkunde vereinbart, daß die 
Schuldſumme bei Zinsrückſtand ſofort fällig wird, im 
übrigen aber erſt nach halbjähriger Kündigung zurück⸗ 
bezahlt werden muß, ſo kann man ebenfalls nicht ſelten 
einer vollſtändig unbeſchränkten Klauſel begegnen, ob⸗ 
gleich 8 726 ohne den durch öfſentliche oder öffentlich⸗ 
beglaubigte Urkunden geführten Nachweis der Kün⸗ 
digung eine Vollſtreckungsklauſel auf das Kapital 
zweifellos nur inſoweit geſtattet, als der Fälligkeits⸗ 
grund der nicht⸗pünktlichen Zinszahlung in Frage 
kommt, was in der Klauſel zum Ausdruck kommen 
müßte. 

In einem kürzlich vorgekommenen Falle hatte ſich 
eine Hypothekenbank bei der Hypothekbeſtellung die 
Geltendmachung der ſofortigen Fälligkeit eines Annui⸗ 
tätenkapitals vorbehalten, „wenn ein dem Schuldner 
gehöriges Grundſtück zum Zweck der Zwangsver⸗ 
ſteigerung oder Zwangsverwaltung beſchlagnahmt oder 
wenn auch nur ein ſolches Beſchlagnahmeverfahren 
eingeleitet wird“. Nachdem die Bank angeſichts eines 
Annuitätenrückſtands im Schoße ihrer Direktion be⸗ 
ſchloſſen hatte, gegen den Schuldner mit Zwangsvoll⸗ 
ſtreckung vorzugehen, beantragte ſie unter Berufung 
auf jene Vertragsbeſtimmung die Erteilung einer Voll⸗ 
ſtreckungsklauſel auf das Kapital. Der Notar erteilte 
die Klauſel — bloß auf Grund der Tatſache, daß ihm 
die Bank mitgeteilt hatte, daß ſie das Zwangsver⸗ 
ſteigerungsverfahren wegen rückſtändiger Annuitäten⸗ 
beträge eingeleitet habe; er hätte dies m. E. ohne den 
in öffentlicher Form geführten Nachweis der Richtig⸗ 
keit dieſer Behauptung nicht tun dürfen; der Nachweis 
wäre allerdings in dieſem Zeitpunkt wohl kaum er⸗ 
bringbar geweſen, weil die Bank bei Erteilung der 
Vollſtreckungsklauſel noch keinen Beſchlagnahmeantrag 
bei Gericht eingereicht hatte; (der Fall wurde dann in 
der Weiſe erledigt, daß die Bank zunächſt die Beſchlag⸗ 
nahme wegen der rückſtändigen Annuitätenrate erwirkte, 
ſich dann auf Grund des hiermit geführten Nachweiſes 
der Beſchlagnahme eine neue Klauſel auf das Kapital 
erteilen ließ und dann für das Kapital ihre Zulaſſung 
zum Beitritt beantragte). 

3. Wo die Notare das Vorliegen der Voraus⸗ 
ſetzungen des 8 726 erkennen und deshalb die Voll⸗ 
ſtreckungsklauſel erſt erteilen, wenn ihnen der erfor⸗ 
derliche Nachweis durch öffentliche oder öffentlich⸗ 
beglaubigte Urkunden geführt wird, desgleichen in dem 
ganz gleichartig gelagerten Fall der Erteilung einer 
Rechtsnachfolgeklauſel nach S 727 ZPO., kann man 
nicht ſelten beobachten, daß der Notar als Ziffer I 
eine umfangreiche Feſtſtellung bringt, die den geſamten 
einſchlägigen Inhalt der vorgelegten öffentlichen Urs 
kunde wiedergibt und dann in einer nachfolgenden 
Ziff. II die Vollſtreckungsklauſel nicht auf Grund der 
ihm vorgelegten öffentlichen Urkunde ſelbſt, ſondern 
auf Grund ſeiner vorausgegangenen Feſtſtellung er— 
teilt. Ich bin mir nicht klar, ob dieſes Verfahren 
auf eine Ungenauigkeit des Ausdrucks zurückzuführen 
iſt oder auf das Beſtreben, dem Gläubiger die in 
8 750 Abſ. 2 3PPO. vorgeſchriebene Zuſtellung der 
öffentlichen Urkunde zu erſparen, wobei dann das ge 
ſchilderte Verfahren auf dem Gedankengang beruhen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


würde, daß als die der Klauſelerteilung zugrunde 
liegende öffentliche Urkunde eben nicht mehr die dem 
Notar vorgelegte Urkunde, ſondern die der Voll⸗ 
ſtreckungsklauſel vorausgeſchickte Feſtſtellung zu 
betrachten ſei. Ich will über dieſe Rechtsmeinung, 
die den Bedürfniſſen des Verkehrs ja ſicherlich ent⸗ 
gegenkommen würde, nicht unbedingt den Stab brechen: 
daß ſie aber zum mindeſten ſehr anfechtbar iſt, kann 
wohl keinem Zweifel unterliegen; die Notare haben 
denn auch mit dieſer Praxis beim Münchener Voll⸗ 
ſtreckungsgericht bisher wenig Gegenliebe gefunden. 

4.) Hat eine Frauensperſon nach Errichtung der 
Schuldurkunde ohne Abſchluß eines Ehevertrags ge⸗ 
heiratet oder iſt eine Rechtsnachfolgeklauſel gegen eine im 
geſetzlichen Güterſtand lebende ſchuldneriſche Ehefrau 
zu erteilen, ſo wird ſehr häufig überſehen, daß in das 
eingebrachte Gut nur vollſtreckt werden kann, wenn 
ein Duldungstitel gegen den Ehemann vorliegt. Gibt 
man dann dem Gläubiger den Vollſtreckungstitel zur 
Beibringung der Duldungsklauſel zurück, ſo beſchreitet 
er faſt regelmäßig den koſtſpieligen und umſtändlichen 
Weg der Duldungsklage oder der Erwirkung eines 
vollſtändig neuen notariellen Duldungstitels gegen den 


| Ehemann, obwohl 8 742 ZPO. ermöglichen würde, 


— . “—bß˙—̃ ——tʃÜ 2 ——— dZ..kükͤ̃ĩ——x ˙ ———ͤ ˙Ü!——:1̃ꝛ3·ĩÜĩAͥM̃ ̃ ꝶ iE ͤ—ůů3ßsðA.2 2 6P24ln'kk(k.mw(w— 5§.k(ü1łf¹vx0ß8ßößr] — — — mn 


den Vollſtreckungstitel einfach in der Weiſe zu ergänzen, 
daß man der ſchon vorhandenen, gegen die Ehefrau 
gerichteten Vollſtreckungsklauſel noch eine weitere 
Klauſel gegen den Ehemann anfügt des Wortlauts: 
„Vorſtehende Ausfertigung wird dem N. N. auch zum 
Zweck der Zwangsvollſtreckung in das eingebrachte Gut 
der Schuldnerin gegen den zur Duldung der Voll⸗ 
ſtreckung verpflichteten Ehemann X als Duldungs⸗ 
ſchuldner erteilt.“) Dieſes einfache und billige Vers 
fahren wird häufig ſelbſt dann nicht eingeſchlagen, 
wenn der Richter in der Aufforderung zum Nach⸗ 
bringen der fehlenden Duldungsklauſel ausdrücklich 
darauf hinweiſt, daß 8 742 ZPO. in Frage kommt; 
in einigen Fällen dieſer Art habe ich durch Befragen 
des Gläubigers erfahren, daß ſich der Notar ſogar 
ausdrücklich geweigert hat, eine Klauſel dieſer Art zu 
erteilen, weil er 8 742 ZPO. nicht für anwendbar hielt. 


Dieſe m. E. irrige Anſicht beruht offenbar darauf, 
daß 8 742 ZPO. nur von Rechtsſtreiten und Urteilen 
ſpricht; er iſt aber gemäß 8 795 ZPO. für notarielle 
Schuldurkunden entſprechend anwendbar und hätte 
hiefür mutatis mutandis etwa folgendermaßen zu 
lauten: „Iſt der Güterſtand der Verwaltung und Nutz⸗ 
nießung erſt eingetreten, nachdem die Ebe⸗ 
frau Berechtigte oder Verpflichtete aus einer notariellen 
Schuldurkunde geworden iſt, fo finden auf die Erteis 
lung einer in Anſehung des eingebrachten Gutes der 
Ehefrau vollſtreckbaren Ausfertigung der Urkunde für 


) Die nachſtehenden Ausführungen behandeln nur 
den Fall des geſetzlichen Güterſtandes, gelten aber, 
wie § 742 3PO. erſehen läßt, mutatis mutandis auch 
für die übrigen Güterſtände. 

) Geht die Tatſache der Verehelichung und damit 
die Duldungsrechtsnachfolge des Mannes nicht aus 
dem Grundbuch hervor, ſo wird dieſe Klauſel allerdings 
nur erteilt werden können, wenn die Verehelichung 
durch öffentliche Urkunden (Heiratsurkunde) nad: 
gewieſen wird oder ſonſtwie offenkundig iſt; die öffent— 
liche Urkunde oder die Offenkundigkeit iſt dann in der 
Klauſel zu erwähnen und die öffentliche Urkunde vor 
Beginn der Vollſtreckung zuzuſtellen (SS 727, 750 Abſ. 2 


35d. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


oder gegen den Ehemann die Vorſchriften der 88 727, 
730 — 732 entſprechende Anwendung.“ 

Nur iſt allerdings zuzugeben, daß ſich auch bei 
dieſem Wortlaut über die Anwendbarkeit des 8 742 
wenigſtens dann ſtreiten läßt, wenn die Frau bei Ein⸗ 
tritt der Rechtsnachfolge bereits verheiratet iſt. 
Dieſe Streitfrage iſt aber für den bayeriſchen Prak⸗ 
tiker dadurch gelöſt, daß ſich das Oberſte Landesgericht 
in ſeinem Rechtsgutachten vom 20. Oktober 1909 (abge⸗ 
druckt im JMBl. S. 511) auf den Standpunkt geſtellt 
hat, daß im Falle des 8 800 ZPO. und der Art. 127, 
128 AG. ZPO. „der Mann mit dem Eintritte des 
Grundſtücks in das güterrechtliche Verhältnis in An⸗ 
ſehung der ſich aus dieſem Verhältnis ergebenden 
Rechte mithaftender Rechtsnachfolger der Frau“ wird, 
und dann ſpäter ausdrücklich erklärt, daß 8 742 (ent⸗ 
ſprechende) Anwendung findet, „wenn die Frau die 
Hypothek vor dem Eintritt des Güterſtandes beſtellt 
oder das mit der Hypothekbelaſtete Grund- 
ftüd vor dieſem Zeitpunkt oder während des Be⸗ 
ſtehens des Güterſtandes erworben bat“. 
Hienach kann in allen dieſen Fällen ohne weiteres 
eine Duldungsklauſel gegen den Ehemann erteilt 
werden. Hat die Frau das mit der Hypothek belaſtete 
Grundſtück erſt während des Beſtehens des Güter⸗ 
ſtandes erworben, ſo tut man ſelbſtverſtändlich gut, 
bei Erteilung einer Rechtsnachfolgeklauſel die Klauſel 
gegen den Mann mit der Klauſel gegen die Frau ſo⸗ 
gleich zu verbinden, ſo daß die Klauſel zu lauten hat: 
„Auf Grund des Eintrags im Grundbuch wird vor⸗ 
ſtehende Ausfertigung dem N. N. nunmehr (in An⸗ 
ſehung der Hypothek) zum Zweck der Zwangsvoll⸗ 
ſtreckung gegen die Ehefrau X als nunmehrige grund⸗ 
buchmäßige Grundſtückseigentümerin und deren zur 
Duldung der Zwangsvollſtreckung in das eingebrachte 
9 F Ehemann X als Duldungsſchuldner 
erteilt.“ 

5. Soweit im vorſtehend geſchilderten Falle die 
Notare nachträglich eine Duldungsklauſel gegen den 
Ehemann erteilten, habe ich mehrfach die ſchon in 
Nr. 1 beſprochene Wahrnehmung gemacht, daß ſich die 
Notare bei Erteilung der Klauſel nicht an die geſetz⸗ 
lich vorgeſchriebenen Worte halten. So habe ich ſchon 
die „Duldungsklauſel“ geleſen: „Der Ehemann X iſt 
zur Duldung der Zwangsvollſtreckung verpflichtet“ 
oder „Der Ehemann X hat die Zwangsvollſtreckung in 
das eingebrachte Gut zu dulden“; dies ſind zweifellos 
keine rechtsgültigen Vollſtreckungsklauſeln; denn jene 
Worte enthalten nur eine Feſtſtellung des Rechtsver⸗ 
hältniſſes, auf deſſen Grundlage die Klauſel erſt zu 
erteilen wäre. 

Auch folgende „Duldungsklauſel“ iſt mir ſchon 
begegnet: „Die Vollſtreckungsklauſel wird auf den zur 
Duldung der Zwangsvollſtreckung verpflichteten Ehe⸗ 
mann X ausgedehnt“; gegen die Rechtsgültigkeit dieſer 
Saffung beſtehen zum mindeſten ganz erhebliche Bes 

enken. 
6 Werden die Zins⸗ und Zahlungsbeſtimmungen 
einer ſchon ſeit längerer Zeit beſtehenden notariellen 
Schuldurkunde nachträglich geändert, ſo bedienen ſich 
die Notare häufig nicht der Form der notariellen 
Urkunde, ſondern der Unterſchriftsbeglaubigung, die 
la zur Eintragung der neuen Zins- und Zahlungs⸗ 
beſtimmungen ins Grundbuch genügt. Dabei bedenken 
ſie aber nicht, daß der Gläubiger auf dieſe Art keinen 
Vollſtreckungstitel für die neuen Zins- und Zahlungs⸗ 
immungen erhält, und daß durch die neue Verein⸗ 


323 


barung unter Umſtänden) ſogar der urſprüng⸗ 
liche Vollſtreckungstitel mehr oder weniger außer Kraft 
geſetzt wird, mit der Wirkung, daß daraus zwar formell 
auch fernerhin vollſtreckt werden kann, der Gläubiger 
aber jederzeit der Gefahr der Vollſtreckungsgegenklage 
nach 8 767 ZPO. ausgeſetzt iſt. 

In einzelnen Fällen habe ich auch beobachtet, daß 
der Notar auf Grund der in der notariell beglaubigten 
Abänderungsurkunde vereinbarten Fälligkeit des 
Kapitals zu der erſten Urkunde eine Vollſtreckungs⸗ 
klauſel auf das Kapital erteilte; dieſes Verfahren 
halte ich nur für zuläſſig, wenn dieſer Fälligkeits⸗ 
grund ſchon in der erſten Urkunde vorgeſehen war 
und durch die zweite nur ſein Eintritt feſtgeſtellt 
werden ſollte, nicht aber dann, wenn durch das zweite 
Schriftſtück ein völlig neuer Fälligkeitsgrund geſchaffen 
wurde; denn es iſt wohl ſelbſtverſtändlich, daß aus 
jedem Vollſtreckungstitel nur inſoweit vollſtreckt werden 
kann, als der Inhalt des Titels ſelbſt die materielle 
Grundlage für die Vollſtreckung bildet, nicht aber inſo⸗ 
weit, als dieſe Grundlage auf Verhältniſſen beruht, 
die vollſtändig außerhalb des Vollſtreckungstitels 
iegen. 

In allen dieſen Fällen empfiehlt es ſich alſo 
dringend, die Zins⸗ und Zahlungsbeſtimmungen in 
Form der notariellen Schuldurkunde mit Unterwerfung 
unter die ſofortige Zwangsvollſtreckung abzuändern 
und dann die Vollſtreckung auf Grund einer voll⸗ 
ſtreckbaren Ausfertigung dieſer notariellen Abände⸗ 
rung s urkunde (je nachdem in Verbindung mit der 
vollſtreckbaren Ausfertigung der erſten Urkunde) zu 


betreiben. a 
Amtsrichter Dittrich in München. 


Aus der Nechtſprechung. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
1 


59 335 f., 342 G.; ſtille Seſellſchaft oder Dar: 
lehensvertrag? Auch Sicherungsübereinuung kaun als 
„Rückgewähr“ angeſehen werden; & 342 98. trifft aber 
nur eine ſchon in das Vermögen des Geſchäftsinhabers über: 
gegangene Einlage, die au ſich dem Zugriff der Gläubiger 
ungehindert oſſenſtand und durch Herandnahme dem 
Geſchäft wieder entzogen wird. Wenn eine Einlage erſt nach 
der Sicherung erfolgt, fo kann von einer Verſchlechterung 
des Vermögensſtandes der Gläubiger überhaupt nicht die 
Rede fein; eine Vereinbarung im Geſellſchaftsvertrag 
ſelbſt fällt nicht unter $ 342. Auf eine Zeitungsanzeige 
des Gemeinſchuldners R., er ſuche für ſein Geſchäft einen 
Teilhaber, meldete ſich der Kläger. Am 7. Oktober 
1911 ſchloſſen beide einen ſchriftlichen Vertrag, nach 
welchem der Kläger als „Stiller Teilhaber“ mit 20 000 M 
in die Firma F. R. eintrat. Nachdem ihm als Sicher: 
heit auf einem Grundſtücke der Frau R. eine Hypothek 
am 13. Oktober 1911 beſtellt war, zahlte der Kläger 
am 17. Oktober 1911 die erſte Hälfte der Einlage mit 
10 000 M. In Ziff. 6 des Vertrages vom 7. Oktober 
1911 war beſtimmt: „Als weitere Sicherung werden 


) Insbeſondere ſtets dann, wenn und inſoweit 
und inſolange die neue Vereinbarung dem Schuldner 
günſtiger iſt als die alte. 


324 


Herrn U. die Maſchinen, Werkzeuge und Warenvorräte 
verpfändet.“ Dieſe Zuſage wurde damals nicht voll⸗ 
zogen. Erſucht, auch die zweiten 10000 M zu zahlen, 
äußerte der Kläger am 23. Oktober 1911 Bedenken, da 
das Geſchäft nicht ſo günſtig ſtehe, wie R. es geſchildert 
habe. Darauf kam es am 3. November 1911 zwiſchen 
beiden zu einem weiteren Vertrage „über eine ſtille 
Geſellſchaft'“. Die Einlage wurde darin wieder auf 
20 000 M feſtgeſetzt; außerdem hatte er für die Leitung 
des kaufmänniſchen Teiles des Geſchäfts 300 M monat⸗ 
lich zu beziehen. In Ziff. VI bis VIII wurden dem 
Kläger weitere Sicherheiten gewährt, teils von R. ſelbſt, 
teils von ſeiner Frau, und zwar ſowohl wegen der 
Einlage, wie wegen der Gehalts- und etwaigen ſonſtigen 
Anſprüche; die Maſchinen, Werkzeuge und Warenvor⸗ 
räte wurden ihm zur Sicherung zu Eigentum über⸗ 
tragen, ebenſo Außenſtände. Nach der Eigentumsüber⸗ 
tragung zahlte der Kläger von den zweiten 10 000 M 
am 3. November 1911 1500 M, am 8. November weitere 
2200 M, am 9. November die letzten 6300 M. Kurz 
nach dem 9. November 1911 kündigte der Kläger das 
Geſellſchaftsverhältnis auf fofort, weil R. Außenſtände 
rechtswidrig eingezogen habe. R. ſoll nicht widerſprochen 
haben. Am 19. Dezember 1911 geriet R. in Konkurs, 
am 24. November 1912 auch ſeine Frau. Mit der Klage 
hat der Kläger vom Konkursverwalter des Ehemanns 
verlangt, daß er wegen der Einlage von 20000 M 
und wegen 150 M Gehalt die abgeſonderte Befriedigung 
aus beſtimmten Gegenſtänden und Außenſtänden dulde. 
Der Konkursverwalter hat widerſprochen. Das LG. 
wies die Klage ab. Das OLG. verwarf die Berufung. 
Die Reviſion hatte Erfolg. 

Aus den Gründen: 1. Die Reviſion wendet 
ſich gegen die Annahme, daß eine ſtille Geſellſchaft 
i. S. der 88 335 ff. HGB. beſtanden habe. Gewiſſe Be⸗ 
denken beſtehen allerdings. Die Vereinbarung einer 
Beteiligung des Klägers am Geſchäftsgewinn findet 
das LG. in der Beſtimmung des Vertrags vom 7. Ol: 
tober 1911 zu Ziff. 2: „Das Einlagekapital wird mit 
10% für das Jahr verzinſt. Die Zinſen können in 
vierteljährigen Teilbeträgen erhoben werden.“ Es 
faßt dieſe Abmachung dahin auf, daß die Gewinnbe— 
teiligung mit einem Höchſtbetrage habe feſtgeſetzt, der 
Kläger andererſeits von der Teilnahme am Verluſt 
habe ausgeſchloſſen ſein ſollen. Daß die Vertrags— 
ſchließenden die 10% als Höchſtgewinnanteil, nicht als 
Darlehenszinſen hätten aufgefaßt wiſſen wollen, gehe 
aus der Höhe des Zinsfſußes hervor, denn 10% feien 
für ein Darlehen im Geſchäftsverkehr nicht üblich, wohl 
aber habe der Kläger nach den ihm gemachten Schilde— 
rungen von dem glänzenden Stande des Geſchäfts an— 
nehmen können, daß ein Gewinnanteil von 2000 M 
angemeſſen ſei; von einem Darlehen ſei keine Rede 
geweſen. Nun hatte aber der Kläger Beweis dafür 
angetreten, daß R. bei dieſen Verhandlungen aus— 
drücklich erklärt habe, das Einlagekapital des Klägers 
müſſe vorerſt noch als Darlehen betrachtet werden, in 
das Geſchaft könne er erſt ſpäter eintreten. Die an= 
gebotenen Beweiſe hätten erhoben werden müſſen, zu— 
mal da der Standpunkt des Klägers eine gewiſſe Stütze 
darin fand, daß die Zinſen in viertel jährlichen Raten 
zu zahlen waren, ehe noch feſtſtand, ob überhaupt ein 
Gewinn in dem Geſchäftsjahre erzielt wurde und wie 
groß er war. Sollte aber auch zwiſchen R. und dem 
Kläger eine ſtille Geſellſchaft beſtanden haben, fo beruht 
doch die weitere Entſcheidung des BG. auf einer Ver— 
kennung des $ 342 HGB. Dort gewährt das Geſetz 
dem Konkursverwalter das Recht, die Rückgewähr der 
Einlage des ſtillen Geſellſchafters anzufechten, wenn 
fie auf Grund einer im letzten Jahre vor Konkurser— 
öffnung zwiſchen dem Inhaber des Handelsgeſchäftes 
und dem ſtillen Geſellſchafter getroffenen Vereinbarung 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


erfolgt iſt. Der Anſicht des B., daß auch eine Siche- 


rungsübereignung Rückgewähr der Einlage ſein könne, 
ſtehen rechtliche Bedenken an ſich nicht entgegen. Sprach— 


lich und logiſch kann aber niemand etwas zurückge⸗ 
währen, was er noch nicht hat, was ihm vielmehr erſt 
in Ausſicht ſteht. Auch § 342 HGB. ſoll die Gläubiger 
dagegen ſchützen, daß ihnen die in das Vermögen des 
Geſchäftsinhabers übergegangene Einlage, die an ſich 
ihrem Zugriffe ſchon offenſtand, durch Herausnahme 
aus dem Geſchäft wieder entzogen wird, es ſei denn, 
daß bei Vereinbarung der Rückgabe die Urſachen des 
ſpäteren Vermögensverſalles noch nicht vorlagen. Hier⸗ 
nach hat der Berufungsrichter den 8 342 HG B. zunächſt 
auf die zweiten vom Kläger gezahlten 10000 M und 
ihre Sicherung erſichtlich zu Unrecht angewendet. Die 
Sicherung erfolgte bezüglich eines Teilbetrages von 
1500 M am 3. November 1911 Zug um Zug gegen die 
eng. Der Reſt (8500 M) wurde am 8. und 
November 1911 gezahlt, nachdem die Sicherung vom 
3. November geleiſtet war, die der Kläger verlangt 
hatte, ehe er überhaupt von den zweiten 10 000 M etwas 
zahlte. Der Kläger hat alſo, was die zweiten 10 000 41 
anlangt, keine Einlage geleiſtet, für die er ſich nach⸗ 
träglich zum Schaden der Gläubiger eine Sicherung 
einräumen, die er ſich in dieſer Form zurückgewähren 
ließ; er zahlte vielmehr gegen die Sicherung und un⸗ 
mittelbar nach ihr den Gegenwert in das Vermögen 
des Gemeinſchuldners ein; von einer Verſchlechterung 
des Vermögensſtandes zum Nachteil der Konkursgläu⸗ 
biger kann nicht die Rede ſein. . 

Der Kläger war auch nicht etwa verpflichtet, die 
zweiten 10 000 M ohne Sicherung einzulegen. Im Bers 
hältnis zu R. ſchon deshalb nicht, weil dieſer ja mit 
dem Vertrage vom 3. November 1911 die Vorſtellungen 
des Klägers vom 23. Oktober 1911 als berechtigt an⸗ 
erkannte. Aber auch die Gläubiger hätten, wenn der 
Konkurs vor dem 3. November 1911, alſo vor der 
Sicherung der 10000 M ausgebrochen wäre, nicht die 
zweiten 10 000 M als rückſtändige Einlage zur Maſſe 
fordern können. Das ergibt ſich ohne weiteres aus 
8 341 Abſ. 2 HGB., wonach der ſtille Geſellſchafter die 
rückſtändige Einlage bis zu dem Betrage zur Konkurs- 
maſſe einzuzahlen hat, der zur Deckung ſeines Anteils 
am Verluſte erforderlich iſt. Das BG. ſtellt aber ſelbſt 
feſt, daß der Kläger nach dem Geſellſchaftsvertrage am 
Verluſte überhaupt nicht beteiligt ſein ſollte. Hiernach 
iſt es unhaltbar, wenn das BG. für erwieſen erachtet, 
daß der Kläger die zweiten 10000 M ohne Sicherung 
einzulegen verpflichtet geweſen ſei; die gleichzeitige 
Feſtſtellung, dieſe noch erſt zu zahlenden 10000 & 
hätten zurückgewährt werden ſollen, enthält einen Wider⸗ 
ſpruch in ſich ſelbſt. 

Aber auch hinſichtlich der erſten 10 000 M beruht 
die Entſcheidung auf einer mißverſtändlichen Auslegung 
des 8 342 HGB. Der Kläger hat dieſe erſten 10000 
freilich ſchon am 17. Oktober 1911 gezahlt, alſo ſoweit 
die am 3. November 1911 übereigneten Sachen in Be⸗ 
tracht kommen, aus denen der Kläger abgeſondert be: 
friedigt ſein will, nicht gegen Sicherung oder nach 
Sicherung, ſondern vor ihr. Sie waren alſo ſicherungs⸗ 
los dem Zugriffe der Gläubiger ausgeſetzt und, brach 
der Konkurs aus, ſo ſtand der Kläger nicht anders da. 
wie jeder einfache Konkursgläubiger. Hierin trat durch 
die Uebereignung vom 3. November 1911 zum Schaden 
der übrigen Gläubiger eine Veränderung ein und be 
züglich dieſer 10000 A kann von einer Rückgewähr 
i. S. des § 342 HGB. geſprochen werden. Eine andere 
Frage aber iſt, ob die Rückgewähr auf Grund einer 
Vereinbarung erfolgt iſt, wie das Geſetz ſie für die 
beſondere Anfechtung aus § 342 HGB. fordert. Das 
BG. prüft dieſe Frage nicht. Es begnügt ſich mit der 
Feſtſtellung, daß die Bewilligung der Rückgewaͤhr dem 
freien Willen des Gemeinſchuldners R. entſprochen und 
der Kläger auf ſie weder einen vertraglichen noch einen 
geſetzlichen Anſpruch gehabt habe. Wenn im letzteren 
Punkt Gewicht darauf gelegt iſt, daß dem Kläger eine 
Sicherungsübereignung keinesfalls vorher zugeſichert 
geweſen jei, fo erledigt ſich dieſer Einwand mit dem 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. 


Hinweiſe, daß der Kläger nicht als Eigentümer, ſondern 
nur wie ein Pfandgläubiger behandelt fein will. Daß 
der Kläger am 3. November 1911 nicht ein Recht darauf 
gehabt habe, wie ein Pfandgläubiger geſichert zu ſein, 
iſt irrig. Dem BG. ſelbſt iſt die Beſtimmung des Ver⸗ 
trages vom 7. Oktober 1911 nicht entgangen, in der 
es heißt: „Als weitere Sicherung werden Herrn U. 
die Maſchinen, Werkzeuge und Warenvorräte ver⸗ 
pfändet.“ War auf der einen Seite nicht zu bezweifeln, 
daß damit allein der Kläger noch kein Pfandrecht an 
Maſchinen, Werkzeugen und Warenvorräten erwarb, 
ſo war es ihm doch zugeſichert und in dieſem Umfange 
war die nur Sicherungszwecken dienende Uebereignung 
vom 3. November 1911 die Ausführung einer vorher 
getroffenen Abmachung. Wäre dieſe Abmachung ge⸗ 
troffen worden, nachdem der Kläger auf Grund des Geſell⸗ 
ſchaftsvertrages die 10 000 M Einlage geleiſtet hatte, fo 
hätte es dem Beklagten offengeſtanden, ſeine Anfechtun 

auf 8 342 HGB. zu ſtützen, denn dann handelte es ch 
in der Tat um eine Vereinbarung, die, dem Geſell⸗ 
ſchaftsvertrage folgend, darauf abzielte, dem ſtillen 
Geſellſchafter für eine bereits geleiſtete Einlage nach⸗ 
träglich eine Sicherheit zu beſtellen. So lag der Fall 
aber nicht. Der Kläger wollte ohne das Sicherungs⸗ 
verſprechen überhaupt nicht ſtiller Geſellſchafter werden, 
er brauchte es auch nicht, ließ ſich daher von vorn⸗ 
herein im Geſellſchaftsvertrage ſelbſt die Verpfändung 
verſprechen und zahlte erſt, nachdem ſie ihm verſprochen 
war. Eine ſolche Vereinbarung fällt nicht unter 8 342 
HGB., mag ſie auch im letzten Jahre vor der Konkurs⸗ 
eröffnung getroffen worden ſein. Sie kann, weil im Ge⸗ 
ſellſchafts vertrage und vor der Einlage getroffen, nicht 
kraft geſetzlicher Vermutung den Zweck verfolgen, die 
Einlage den Gläubigern zu entziehen, und damit ent⸗ 
fällt das Anwendungsgebiet dieſer Sonderbeſtimmung. 
(Urt. d. II. 35. vom 1. Mai 1914, II 21/14). AH. 

3404 


II. 


Berſchwendung i. S. des 5 6 Nr. 2 B88. kann auch 
daun vorliegen, wenn ſich jemand durch nachläſſige Wirt: 
ſchaft der Geſahr der Verarmung ansieht, ohne über: 
mäßige Ausgaben Ei machen. Aus den Gründen: 
Der Kläger, ein völlig arbeitsfähiger Mann in den beſten 
Mannes jahren, war zur Zeit des Entmündigungsver⸗ 
fahrens Eigentümer einer landwirtſchaftlichen Stelle, 
die er nicht lange vorher bei der Teilung des elterlichen 
Nachlaſſes übernommen hatte. Dieſe ſeine Wirtſchaft 
hat er nun längere Zeit hindurch völlig vernachläſſigt; 
er hielt ſich öfters tage⸗ und wochenlang auswärts in 
Wirtſchaften auf und fröhnte dabei ſeiner Leidenſchaft 
zum Kegelſpiel. Wenn er zu Hauſe war, pflegte er an⸗ 
ſtatt zu arbeiten, in den Tag hinein zu ſchlaſen; er hat 
die Ernte nicht eingebracht, ſondern auf dem Felde ver⸗ 
kommen laſſen, das Land nicht wieder beſtellt und keine 
Saat eingebracht, ſo daß ſchon nach einem halben Jahre 
die Zwangsverſteigerung ſeines Grundbeſitzes eingeleitet 
wurde. Auf der anderen Seite hat er bei feinem Auf⸗ 
enthalt in den Wirtshäuſern keine großen Ausgaben 
gemacht, vielmehr recht ſparſam gelebt. Die Reviſion 
meint, es ſei unmöglich, einen Menſchen, der für ſeine 
Perſon ſo ſparſam lebe und auch in anderer Richtung 
keine übermäßigen Ausgaben mache, als Verſchwender 
zu erklären; das widerſpreche dem Begriffe der Ver⸗ 
ſchwendung, wie er ſich aus dem Sprachgebrauch ergebe, 
und das Geſetz wolle mit dem Worte Verſchwendung 
keinen vom gewöhnlichen Sprachgebrauch abweichenden 
Sinn verbinden, wie vom RG. ſchon ausdrücklich aus⸗ 
geſprochen worden ſei (JW. 1905 S. 166). Es mag 
ſein, daß man beim Gebrauche des Wortes Verſchwender 
im landläufigen Sinne an einen Mann denkt, der durch 
übermäßige Ausgaben ſein Vermögen vertut, nicht an 
einen ſolchen, der durch nachläſſige Wirtſchaft ſich der 
Gefahr der Verarmung ausſetzt. Jedoch kann nicht 


| 


Nr. 16 u. 17. 325 


zugegeben werden, daß dieſer Sprachgebrauch für die 
Anwendung des 8 6 BGB. ausſchlaggebend iſt. Auf 
das vorerwähnte Reichsgerichtsurteil kann ſich die Re⸗ 
viſion nicht berufen; dort iſt die Rede davon, daß das 
Gewicht nicht auf das Vorliegen äußerlicher Merkmale 
zu legen ſei, ſondern auf einen urſächlichen Zuſammen⸗ 
hang des unwirtſchaftlichen Verhaltens mit perſönlichen 
Eigenſchaften des zu Entmündigenden. Nur in dieſem 
Sinne wird dort auf den Sprachgebrauch verwieſen; 
dagegen iſt keine Rede davon, von welcher Art die 
äußeren Vorgänge ſein müſſen, in denen die Merk⸗ 
male der Verſchwendung zu erblicken ſind. Aus dem 
gleichen Grunde iſt es verfehlt, wenn die Reviſion ſich 
auf das bezeichnete Urteil und auf ein weiteres Urteil 
des RG. (JW. 1906 S. 188) dafür berufen will, daß 
die Feſtſtellung eines Hanges zu übermäßigen Aus⸗ 
gaben zu verlangen ſei. In beiden Fällen wird die 
Notwendigkeit einer Feſtſtellung darüber betont, daß 
ein Hang zu unwirtſchaftlichem Gebaren vorliege; daß 
dabei von einem Hang zu Ausgaben geſprochen wird, 
iſt lediglich darauf zurückzuführen, daß in den behandelten 
Fällen eben übermäßige Ausgaben das Merkmal der 
Verſchwendung bildeten. Dagegen ergibt ſich aus jenen 
Urteilen nichts dafür, daß nicht auch ein in anderer 
Richtung liegendes wirtſchaftliches Gebaren als Ver⸗ 
ſchwendung bezeichnet werden kann. Schon in früheren 
Rechten war anerkannt, daß für die Frage der Ent⸗ 
mündigung der Begriff der Verſchwendung weiter zu 
faſſen iſt als nach dem landläufigen Sprachgebrauch, 
wie er ja übrigens auch dem Wortſinne nach ein das 
„Verſchwinden“ des Vermögens herbeiführendes Ber: 
halten, ohne e der Art und Weiſe, bedeutet. 
Das ALR. ſagte in I. 1.830 ausdrücklich: „Verſchwender 
ſind: welche durch unbeſonnene und unnütze Ausgaben 
oder durch mutwillige Vernachläſſigung ihr Vermögen 
beträchtlich vermindern“ .. . und Kochs, Kommentar 
betont in Anm. 28 zu dieſem Paragraphen die Nichtüber⸗ 
einſtimmung der geſetzlichen Beſtimmung mit dem ge⸗ 
meinen Sprachgebrauche. Auch im Gemeinen Rechte 
war der Begriff der Verſchwendung in der angegebenen 
Richtung erweitert worden (RZ. Bd. 21 S. 169). An 
dieſen Rechtszuſtand hat man bei Schaffung des BG. 
angeknüpft: in § 29 Entw. I waren als Merkmale der 
Verſchwendung verſchwenderiſche Lebensweiſe und ver⸗ 
ſchwenderiſche Geſchäftsführung angeführt, und in den 
Motiven dazu wurde geſagt (S. 64), es ſei unerheblich, 
ob das die wirtſchaftliche Exiſtenz bedrohende Gebaren 
in unmäßigem Geldausgeben ... oder Vernachläſſigung 
der Wirtſchaft beſtehe. In der Kommiſſion wurde dann 
zwar beſchloſſen, die im Entwurf hervorgehobenen 
Merkmale nicht in den Geſetzestext aufzunehmen, jedoch 
ſind, ſoweit erſichtlich, Bedenken gegen die darin zu Tage 
getretene Auffaſſung des Begriffes der Verſchwendung 
nicht geäußert worden (Prot. I S. 72/73). Eine bei 
den Verhandlungen im Reichstagsplenum gefallene 
Aeußerung, wonach Vernachläſſigung der Wirtſchaft 
zweifellos keine Verſchwendung ſei (übrigens aus 
anderen Geſichtspunkten zur Entmündigung führen 
könne), hat nirgends ausdrückliche Zuſtimmung, aber 
vielfach Widerſpruch gefunden (Hölder in Anm. 6 zu 8 6, 
Oertmann in Anm. 3 zu §6 BGB. Dernburg, Bürgerl. 
Recht Bd. IJ § 64 Fußnote 5). Nach alledem liegt es 
im Sinne der geltenden geſetzlichen Vorſchrift an dem 
in den Motiven zum Ausdrucke gekommenen Gedanken 
feſtzuhalten, daß auch die Vernachläſſigung der Wirt— 
ſchaft als Verſchwendung angeſehen werden kann. Iſt 
dies aber an ſich zuläſſig, ſo rechtfertigen hier die Um⸗ 
ſtände des Falles unbedenklich den Ausſpruch der Ent— 
mündigung. Daß dieſem das Vorliegen einer ſpar— 
ſamen perſönlichen Lebensweiſe nicht entgegenſteht, iſt 
ſchon des öfteren ausgeſprochen worden (Recht 1908 
Nr. 1319, Warneyer 1911 Nr. 314, 1913 Nr. 391). (Urt. 
des IV. 3S. vom 14. Mai d. Js., IV 7001913). E. 
3424 


326 


III. 


Ausſchließzliche Zuſtändigkeit des Kaufmaunsgerichts. 
Aus den Gründen: Die Klägerin macht gegen 
den Beklagten, ihren früheren Handlungsgehilfen, einen 
Anſpruch auf Schadenserſatz wegen nicht gehöriger Er⸗ 
füllung einer vertragsmäßigen Leiſtung aus dem Dienſt⸗ 
verhältniſſe geltend. Für dieſe Streitigkeit iſt nach 
85 Nr. 4 in Verbindung mit Nr. 2 KGG. die Zus 
ſtändigkeit des Kaufmannsgerichts begründet, es ſei 
denn, daß der Jahresarbeitsverdienſt des Beklagten 
bei der Klägerin den Betrag von 5000 M überſtiegen 
hat (8 4 Geſ.). Da die Vorinſtanzen die Beſtim⸗ 
mungen des KGG. in ihren Entſcheidungen nicht beachtet 
und die Höhe des Arbeitsverdienſtes nicht feſtgeſtellt 
haben, iſt das angefochtene Urteil aufzuheben und die 
Sache zu dieſer Feſtſtellung an das BG. zurückzuver⸗ 
weiſen. Daß der Beklagte die Unzuſtändigkeit der 
ordentlichen Gerichte nicht geltendgemacht hat, iſt un⸗ 
erheblich, denn die Zuſtändigkeit der Kaufmannsgerichte 
iſt nach 8 6 Gef. eine ausſchließliche und daher von 
Amts wegen zu beachten. Aus demſelben Grunde iſt 
es auch ohne Bedeutung, daß der Beklagte bisher keine 
Angaben über die Höhe feines Jahresverdienſtes ges 
macht hat. Die Parteien ſind nicht befugt, durch aus⸗ 
drückliche oder ſtillſchweigende Erklärungen eine Rechts⸗ 
ſtreitigkeit der ausſchließlichen Zuſtändigkeit des Kauf⸗ 
mannsgerichts zu entziehen. (Urt. des III. ZS. vom 
19. Mai 1914 III 94/14). — A — 

3418 


B. Straffaden. 
I 


Der Borſatz i. S. des 5 1492 NBD.; muß er ſchen 
zur Zeit der Lohmabzüge vorhanden ſein? Aus den 
Gründen: Der Angeklagte räumt ein, 25 von ihm bes 
ſchäftigten Arbeitern über ein Jahr lang, bis zur Er⸗ 
öffnung des Konkurſes über ſein Vermögen, die Bei⸗ 
träge für die Invaliden⸗ und Altersverſicherung im 
Geſamtbetrage von 140.40 M vom Lohne abgezogen 
und nicht für die Verſicherung verwendet zu haben; 
gleichwohl wurde er von der Anklage aus S 1402 RVO. 
freigeſprochen, weil ihm nicht nachgewieſen werden könne, 
daß er, wie das Geſetz fordere, den Vorſatz gehabt 
habe, die den Arbeitern abgezogenen Beiträge über— 
haupt nicht zur Markenklebung zu verwenden. Er hatte 
vorgebracht, er habe es immer ſo gehalten, daß er nur 
Marken geklebt habe, wenn ein Verſicherungsbeamter 
zur Prüfung der Quittungskarten angemeldet worden 
ſei oder ein Arbeiter gekündigt habe; ſo habe er es 
auch bei den hier in Rede ſtehenden Arbeitern machen 
wollen und ſei daran nur durch die Konkurseröffnung 
verhindert worden; das ſcheint das Gericht als nicht 
widerlegt dem Urteile zugrunde gelegt zu haben. Es 
ſieht nur die ins 1488 RO. mit Ordnungsſtrafe be— 
drohte nicht rechtzeitige Verwendung als gegeben an, 
weil der Angeklagte die Abſicht gehabt habe, ſpäter 
die Beiträge zu entrichten. Tatſächlich hat er aber die 
Beitragsteile nicht nur nicht rechtzeitig, ſondern über— 
haupt nicht zur Verſicherung verwendet, er iſt, wie er 
unwiderlegt behauptet, durch die Konkurseröffnung an 
der Verwendung verhindert worden. Das ſoll offenbar 
heißen, er habe die Verwendung entgegen ſeiner ur— 
ſprünglichen Abſicht unterlaſſen, weil er ſchließlich die 
erforderlichen Mittel nicht beſeſſen habe. Die auf Mangel 
an Mitteln beruhende Unfahigkeit des Arbeitgebers, 
die Pflicht zur Verwendung der Lohnabzüge für die 
Verſicherung zu erfüllen, kann die Nichtverwendung 
nicht ohne weiteres entſchuldigen, und zwar jedenfalls 
dann nicht, wenn er ſie vorhergeſehen hat, wenn er 
ſchon, als er die Lahnabzüge machte, gewußt hat, daß 
er mangels der erforderlichen Mittel ſie nicht zu Ver— 
ſicherungszwecken verwenden könne (Entſch. Bd. 25 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


. 


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S. 104 [105], S. 194 [195), Bd. 30 S. 161 [162], Bd. 40 
S. 115 [116], S. 235 [237]). Er hat dann den Lohn⸗ 
abzug mit dem Bewußtſein der Notwendigkeit des rechts⸗ 
widrigen Erfolges gemacht, daß die Verwendung 
für die Verſicherung unterblieb, und den in § 14 
RVO. geforderten Vorſatz gehabt, mag er auch nicht 
die Abſicht gehabt haben, die abgezogenen Beiträge 
„überhaupt nicht“ zum Markenkleben zu verwenden, 
ſondern beabſichtigt haben, ſpäter, wenn er dazu im⸗ 
ſtande ſein würde, wenn ſich ſeine Verhältniſſe beſſern 
würden, ſeine Verpflichtung zu erfüllen, in der unbe⸗ 
ſtimmten Hoffnung, daß er das Verſaͤumte werde nach⸗ 
holen können. Denn trotz ſolcher Hoffnung weiß er, daß 
er nach den gegebenen Verhältniſſen die Beitragsteile 
nicht nach Vorſchrift des Geſetzes verwenden kann, und der 
Arbeitgeber, der das weiß, darf keine Lohnabzüge machen 
und iſt nach 8 1492 RVO. ſtrafbar, wenn er fie trotz⸗ 
dem gemacht hat und dann nicht zur Verſicherung be⸗ 
nutzen kann. Das iſt in Entſch. Bd. 25 S. 104, 194, 
Bd. 28 S. 5 (6), Bd. 30 S. 161, Bd. 40 S. 115 (116) 
S. 235 für 8 82 b Krank Verſcg. anerkannt, der die Ab⸗ 
ſicht forderte, ſich einen rechtswidrigen Bermögensvorteil 
zu verſchaffen oder die Krankenkaſſe zu ſchädigen, und 
muß für $ 1492 RVO. um ſo unbedenklicher gelten, als 
dieſe Abſicht hier nicht mehr gefordert wird, ſondern 
nur noch die vorſätzliche Nichtverwendung vom Lohne 
abgezogener Beitragsteile für die Verſicherung. Wie 
überall, wo das Strafgeſetz Vorſatz des Täters fordert 
(Entſch. Bd. 30 S. 270, 273), ſo genügt es auch für den 
inneren Tatbeſtand des 8 1492 RBO., wenn der Arbeit 
geber den Erfolg nicht mit Beſtimmtheit vorhergeſehen, 
ſondern nur als möglich erkannt, trotzdem aber in ſeinen 
Willen aufgenommen hat und mit der Verwirklichung 
auch dieſer Möglichkeit einverſtanden geweſen iſt (ſogen. 
Eventual- oder bedingter Vorſatz). Auch das iſt in 
Entſch. Bd. 25 S. 104 (105 / 106), S. 194 (195), Bd. 2 
S. 254 (255) zur Erfüllung des inneren Tatbeſtandes 
des $ 82b Kr. für ausreichend erachtet worden. 
Die in Entſch. Bd. 28 S. 5 (6) unter Hinweis auf 
Entſch. Bd. 24 S. 7, Bd. 27 S. 217, 241 dagegen er⸗ 
hobenen Bedenken können gegen die entſprechende Aus⸗ 
legung des 8 1492 RVO. jedenfalls nicht geltend ge⸗ 
macht werden, da hier nicht mehr Abſicht, ſondern nur noch 
Vorſatz des Arbeitgebers vorausgeſetzt wird. Die Be: 
gründung zum Entwurf der RBO. (Reichst. 12. L Per. 
II. Seſſ. 1909 1910 Nr. 340 Anl.) ſieht allerdings S. 135 
zu S 1474 darin anſcheinend keine Aenderung des bis⸗ 
herigen Geſetzes ($ 182 Abſ. 2 Inb Verſc.), da bei Vor⸗ 
ſatz ohne weiteres auf die Abſicht auf einen rechts⸗ 
widrigen Vermögensvorteil oder eine Schädigung der 
Verſicherungsanſtalt oder der Verſicherten geſchloſſen 
werden könne. Ob dem beizutreten iſt, kann hier uner⸗ 
örtert bleiben; es genügt, daß das Geſetz nicht mehr 
Abſicht, ſondern Vorſatz des Arbeitgebers verlangt, um 
auch einen bedingten Vorſatz zur Erfüllung des inneren 
Tatbeſtands als ausreichend erſcheinen zu laſſen. Auch 
aus dieſem Grunde iſt die Annahme unrichtig, 8 14 
RVO. fee voraus, daß der Arbeitgeber den Borlag 
habe, die den Arbeitern vom Lohne abgezogenen Bei: 
träge „überhaupt nicht“ zur Markenklebung zu ver⸗ 
wenden. Unrichtig wäre es ferner, wenn das LG., wie 
die Gründe nahe legen, angenommen hätte, der Vorſaz 
müſſe dem Arbeitgeber ſchon zu der Zeit innegewohnt 
haben, als er die Lohnabzüge machte. Unter Strafe 
geſtellt iſt die vorſätzliche Nichtverwendung der Beitrags- 
teile. Der Vorſatz muß alſo auf die Nichtverwendung 
gerichtet ſein und iſt deshalb auch dann vorhanden. 
wenn er erſt gefaßt wurde, nachdem die Beiträge vom 
Lohne abgezogen waren. Auch wer noch, als er 
die Abzüge machte, vor hatte, ſie für die Verſicherung 
zu verwenden, ſich nachher aber durch die Verausgabung 
der dafür beſtimmten Mittel die Verwendung vorſanlich 
unmöglich macht, erfüllt den Tatbeſtand des § 142. 
wahrend danach nicht geſtraft werden kann, wer gegen 
fein Wiſſen und ſeinen Willen durch nachträglich ein— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


getretenen Geldmangel oder Ausbleiben mit Grund 

erwarteter Mittel an der Ausführung ſeiner urſprüng⸗ 

lichen Abſicht verhindert wird (Entſch. Bd. 28 S. 5 

[6/7], 254. Urteil des V. StS. vom 19. Januar 1912 

5 D 1109/11 g. G.). (Urt. des I. StS. vom 30. März 

1914, 1 D 99/14). E. 
3423 


II. 


Der Begriff des „Unternehmens“ einer ſtrafbaren 
Handlung, beſenders i. S. des $ 134 Ber 3G. Aus 
den Gründen: Der Begriff des Unternehmens im 
allgemeinen und i. S. des Ver 3G. im beſonderen um⸗ 
faßt allerdings nicht bloß die vollendete Straftat, 
ſondern auch den Verſuch (RG St. 42, 266; 19, 192). 
Das iſt aber in dem freiſprechenden Urteile nicht ver⸗ 
kannt. Die Angeklagten ſind nicht an das Saccharin 
herangekommen, das ſie einſchmuggeln wollten, ſie 
haben den verbotenen Gegenſtand nicht in Bewegung 
geſetzt, ſie haben das Inland überhaupt nicht verlaſſen, 
da ſie vor Ueberſchreitung der Grenze verhaftet wurden. 
Deshalb kann von einem Anfang der Ausführung des 
Schmuggels nicht die Rede ſein. Indem ſie ſich, mit 
Schmuggelröcken ausgerüſtet, auf die Reiſe nach der 
Schweiz begaben, um von dort aus Saccharin verbots⸗ 
widrig einzuführen, haben ſie mit der Einführung noch 
nicht den Anfang gemacht, ſie ſind vielmehr über Vor⸗ 
bereitungshandlungen nicht hinausgekommen, und 
ſolche erfüllen den Begriff des Unternehmens nicht 
(RGSt. 42, 266). Zwar haben die Angeklagten 
die Abſicht der verbotenen Süßſtoffeinfuhr äußerlich 
an den Tag gelegt, indem ſie zum Schmuggel aus⸗ 
gerüſtet, die Reiſe nach der Schweiz antraten; 
aber das iſt nicht entſcheidend, da das „an den Tag 
legen“ der verbrecheriſchen Abſicht noch nicht Verſuch 
der ſtrafbaren Handlung iſt, ſondern nur dann, wenn 
es durch Handlungen geſchieht, die den Anfang der 
Ausführung enthalten. In RGSt. 42, 266 (270 ff.) 
iſt eingehend dargelegt, daß zwar rein ſprachlich, Unter⸗ 
nehmen“ jede Betätigung der auf die Ausführung der 
Tat gerichteten Abſicht bezeichnet, im ſtrafrechtlichen 
Sinne aber durch 88 43 ff. StGB. die Bedeutung des 
Wortes dahin eingeſchränkt iſt, daß bloße Vorberei⸗ 
tungshandlungen nicht inbegriffen ſind. So verſtanden 
iſt die Aufſtellung der Staatsanwaltſchaft richtig, daß 
Unternehmen i. S. des 8 134 Ver 3G. auch dann vor⸗ 
liegt, wenn die Abſicht der verbotenen Einfuhr durch 
Handlungen betätigt iſt, durch die die Straftat un⸗ 
mittelbar zur Ausführung gebracht werden ſoll. Solche 
Handlungen haben aber die Angeklagten nicht vor⸗ 
genommen und haben ſie nicht vornehmen können, 
weil ſie das Inland gar nicht verlaſſen haben und 
mit dem verbotenen Gegenſtand in keinerlei Berührung 
gekommen ſind. Allerdings iſt in der Rechtſprechung 
des RG. anerkannt, daß das Unternehmen der Zoll- 
defraude ſich nicht in den Ausführungshandlungen er- 
ſchöpft, die unmittelbar mit der Verbringung der zoll⸗ 
pflichtigen Gegenſtände über die Grenze zuſammenfallen, 
ſondern daß dazu auch die Tätigkeit gehört, durch die der 
zollpflichtige Gegenſtand vom Ausland bis unmittelbar 
an die Grenze des Zollinlandes herangeſchafft worden 
ft (RGSt. 35, 13 [15/16]), und dasſelbe wird bei der 
Kontrebande gelten müſſen. Aber auch derartiges haben 
die Angeklagten nicht getan. Die Reiſe ins Ausland, 
um von dort aus ins Inland zu ſchmuggeln, ſteht dem 
Heranſchaffen der Ware vom Ausland bis an die 
Grenze keinesfalls gleich, und es braucht deshalb hier 
nicht erörtert zu werden, ob das Heranſchaffen des 
verbotenen Gegenſtands an die Grenze ſchon an ſich 
dem Unternehmen der verbotenen Einfuhr zuzurechnen 

ſt, oder nur dann, wenn die Zollgrenze oder die im 

Ausland gelegene deutſche Zollſtelle erreicht oder über⸗ 

ſchritten wird. (Urt. des J. StS. vom 8. Juni 1914, 

10 201, 14). E. 
3422 


III. 


Undentlihe Belehrung über die Veränderung des 
rechtlichen Geſichtspunkts (8 264 StPO.). Aus 
den Gründen: Gegen den Angeklagten war 
das Hauptverfahren wegen eines Vergehens gegen 
ss 223, 223 a StGB. eröffnet, weil er hinreichend ver⸗ 
dächtig erſcheine, vorſätzlich einen anderen mittels ge⸗ 
fährlichen Werkzeugs körperlich mißhandelt zu haben, 
indem er mit ſeinem Schrotzwilling zweimal auf den 
Gütler R. ſchoß und ihn beide Male verletzte. Nach⸗ 
dem er laut des Sitzungsprotokolls darauf hingewieſen 
worden war, daß abweichend vom Eröffnungsbeſchluß 
eine Uebertretung des verbotenen Schießens neben 
einem Vergehen der gefährlichen Körperverletzung an⸗ 
genommen werden könne, wurde er wegen verbotenen 
Schießens auf Grund des 58 367 Nr. 8 StG. zu 
einer Haftſtrafe und wegen gefährlicher Körperverletzung 
auf Grund des 8 2234 StGB. zu einer Gefängnis⸗ 
ſtrafe verurteilt, da nicht feſtgeſtellt werden konnte, 
daß er bei Abgabe des erſten Schuſſes eine Verletzung 
des R. beabſichtigt oder an eine ſolche gedacht habe. 
Er iſt alſo wegen zweier ſelbſtändiger Handlungen 
verurteilt worden, deren eine durch den erſten Schuß, 
deren andere durch den zweiten Schuß begangen iſt, 
während der Eröffnungsbeſchluß angenommen hatte, 
daß er auch bei dem erſten Schuß R. zu treffen beab⸗ 
ſichtigt habe und daß beide Schüſſe ein (fortgeſetztes) 
Vergehen der gefährlichen Körperverletzung ſeien. Iſt 
der Angeklagte alſo wegen mehrerer ſtrafbarer Hand⸗ 
lungen verurteilt, während der Eröffnungsbeſchluß nur 
eine annahm, ſo bedurfte es nach ſtändiger Recht⸗ 
ſprechung des R®.8 430 u. a. Entſch. Bd. 9 S. 426 
1429], Bd. 16 S. 437 [438/39], Rechtſpr. Bd. 2 S. 569, 
auch Entſch. Bd. 30 S. 226) des durch 8 264 StPO. 
vorgeſchriebenen Hinweiſes auf dieſe Veränderung des 
rechtlichen Geſichtspunkts, und dieſer Hinweis iſt, wie 
der Verteidiger mit Grund rügt, nicht erfolgt. Aus 
dem Hinweis, daß neben einem Vergehen der gefähr⸗ 
lichen Körperverletzung eine Uebertretung des verbotenen 
Schießens angenommen werden könne, iſt nicht 
mit der im Intereſſe des Angeklagten zu 
fordernden Deutlichkeit zu erſehen, daß 
die Verurteilung wegen mehrerer Straftaten erfolgen 
könne, da er mindeſtens ebenſogut dahin verſtanden 
werden konnte, daß die in der Anklage bezeichnete eine 
Tat ſowohl als Vergehen gegen 8 223 a wie als Ueber⸗ 
tretung des 8 367 Nr. 8 StGB. beurteilt, alſo recht- 
liches Zuſammentreffen angenommen werden könne. 
Es iſt möglich, daß der Angeklagte ſich gegen die An⸗ 
nahme mehrerer Straftaten mit Erfolg verteidigt Hätte. 
Es kann auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen 
werden, daß ſie dem Angeklagten günſtiger wäre als 
die des rechtlichen e der beiden Straf⸗ 
geſetze, ſei es auch für die Abgabe beider Schüſſe. 
Auch wenn der Angeklagte, um die Verurteilung wegen 
mehrerer ſtrafbarer Handlungen zu vermeiden, das 
Gericht hätte überzeugen müſſen, daß er ſchon mit dem 
erſten Schuſſe R. habe treffen wollen, hätte das nicht 
notwendig für ihn wegen Körperverletzung eine härtere 
Strafe, als die jetzt erkannte, zur Folge haben müſſen, 
wohl aber hätte er dann ſicher nicht wegen der Ueber⸗ 
tretung noch beſonders beſtraft werden können. (Urt. 
des I. StS. vom 16. März 1914, ID 59/14). E. 

3377 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
Zur Auslegung des 854 G80. Im Grundbuch find 
als Eigentümer des Grundſtücks Pl.-Nr. 141 O. vor⸗ 
getragen: Am 26. Sept. 1887 F. M., Gütlerstochter in 


E., am 9. Mai 1893 P. A., Fabrikarbeiter in O., als 
Miteigentümer durch allgemeine Gütergemeinſchaft ge— 


mäß Ehe- und Erbvertrag vom 4. Mai 1893, am 7. April 
1900 F. A., Gütler in E., durch Kauf gemäß Kaufver⸗ 
trag vom 1. Sept. 1899, am 29. Dez. 1913 F. Fr., Ehe⸗ 
frau des Vorigen als Miteigentümerin durch allgemeine 
Gütergemeinſchaft gemäß Ehe⸗ und Erbvertrag vom 
20. April 1892. Am 20. Dez. 1899 erwirkte der Fabrik- 
arbeiter S. Sch. in O. gegen A. P. Urteil auf Zahlung 
von 2080.85 M Hauptſache nebſt 5% Zinſen feit 2. April 
1899. Zugunſten dieſes Anſpruchs wurde am 15. März 
1900 auf dem Hälfteanteil des A. P. an dem Grund⸗ 
ſtück Zwangshypothek vorgemerkt. Die von A. F. gegen 
S. Sch. geſtellte Klage auf Löſchung dieſer Hypothek 
wurde am 6. Oktober 1913 abgewieſen. Die Klage war 
damit begründet, daß am 15. März 1900 nicht mehr 
die Eheleute P., ſondern die Eheleute F. Eigentümer 
geweſen ſeien. Die Behauptung des Beklagten, daß 
nur ein Scheinvertrag vorliege, erachtete das LG. nicht 
1855 erwieſen, dagegen war es der Anſicht, daß dieſem 
er öffentliche Glaube des Grundbuchs zur Seite ſtehe, 
ſonach die Hypothek rechtsgültig erworben worden ſei. 
Das Urteil iſt rechtskräftig geworden. Am 25. Febr. 
1914 beantragte S. Sch. auf Grund des vollſtreckbaren 
Urteils vom 20. Dez. 1899 die Zwangsverſteigerung des 
von A. P. auf A. F. übergangenen Hälſteanteils an 
dem Grundſtück. Das Amtsgericht entſprach dieſem 
Antrage, hob aber das Verfahren wieder auf, da ſich 
ergeben hatte, daß A. F. nicht als Alleineigentümer, 
ſondern nur als Miteigentümer in allgemeiner Güter⸗ 
gemeinſchaft eingetragen ſei. Dieſer Beſchluß wurde 
vom LG. wieder aufgehoben. Am 1. April 1914 ver⸗ 
fügte das Grundbuchamt, daß die auf dem Hälfteanteil 
des A. P. eingetragene Vormerkung auf Einräumung 
einer Sicherungshypothek zu 2080.85 M als unzuläſſige 
Eintragung von Amts wegen zu löſchen ſei. Dieſen am 
3. April 1914 vollzogenen Beſchluß begründete es unter 
Hinweiſung auf 854 EBD. und 8 1114 BG. damit, daß 
bei der Eintragung der Vormerkung das Grundſtück 
auf Grund der zwiſchen den Eheleuten P. damals bes 
ſtandenen allgemeinen Gütergemeinſchaft Geſamtgut 
und deshalb die Belaſtung des Hälfteanteils mit einer 
Hypothek rechtlich unzuläſſig geweſen ſei. Die Beſchwerde 
wurde zurückgewieſen, ebenſo die weitere Beſchwerde. 
Aus den Gründen: Der Beſchwerdeführer hat 
allerdings inſoferne Recht, als er rügt, daß die Un⸗ 
zuläſſigkeit der Eintragung aus $ 1114 BGB. gefolgert 
wurde. Nach Art. 189 EG. BGB. erfolgen der Erwerb 
und Berluft des Eigentums ſowie die Begründung, 
Uebertragung, Belaſtung und Aufhebung eines anderen 
Rechtes an einem Grundſtücke nach den bisherigen 
Geſetzen, bis das Grundbuch als angelegt anzuſehen iſt. 
Da z. Z. der Vormerkung der von S. Sch. erwirkten 
Zwangshypothek das Grundbuch für den Bezirk des 
AG. F. noch nicht angelegt war, konnte ſonach nicht 
das BGB., ſondern nur das bis dahin geltende Grund— 
ſtücksrecht maßgeben. Allein das Ergebnis iſt auch dann 
kein anderes. Bezüglich der rechtlichen Natur der all— 
gemeinen Gütergemeinſchaft gingen bis zur Einführung 
des BGB. die Meinungen auseinander. Das hier maß— 
gebende Bays R. wendete auf die allgemeine Güter— 
gemeinſchaft die Beſtimmungen über die Geſellſchaft an 
(T. 1 Kap. 6 § 32 Nr. 4), und da man hieraus folgerte, 
daß jeder Ehegatte über ſeinen Anteil an dem Geſamt— 
gute verfügen könne, ſo nahm man auch keinen An— 
ſtand, den einem Ehegatten gehörigen Anteil an einem 
Grundſtücke zu beſchlagnahmen oder daran im Zwangs— 
wege eine Hypothek einzutragen. Dieſe Verhältniſſe 
find aber mit der Einführung des BGB. geändert 
worden. Mit dieſem Zeitpunkte ſind an Stelle der 
bisherigen Vorſchriften die Vorſchriften des BGB. über 
die allgemeine Gütergemeinſchaft getreten, ſoweit für 
eine Ehe die allgemeine Güiergemeinſchaft nach einem 
der in den Landesteilen r. d. Rh. geltenden Rechte be— 
ſtand (Art. 62, 94 UeG.). Das BGB. faßt die all— 
gemeine Gütergemeinſchaft als Miteigentum zur ges 
ſamten Hand auf. Nach 8 1442 kann ein Ehegatte nicht 


fert für Meitspffege in Bapern. 


1914. Rr. 16 u. 17. 


über feinen Anteil an dem Geſamtgute und an den 
einzelnen Gegenſtänden verfügen; er kann während der 
Güͤtergemeinſchaft nicht Teilung verlangen. Nach 8 860 
ZPO., der im Art. 24 Ue®. gleichfalls für die über⸗ 
geleiteten Güterſtände für anwendbar erklärt iſt, iſt der 
Anteil eines Ehegatten an dem Geſamtgut und an den 
einzelnen dazu gehörenden Gegenſtänden auch nicht der 
Pfändung unterworfen. Das Miteigentum an einer 
unbeweglichen Sache konnte nach der bayer. SubhL. 
nur beſchlagnahmt werden, wenn bezüglich des Anteils 
des Schuldners eine Auseinanderſetzung mit den übrigen 
Teilhabern nicht erforderlich war, andernfalls fand nur 
Zwangsvollſtreckung in den Anteil nach 8 754 (alt) 
ZBO. ſtatt. Dies galt nicht bloß für Zwangsver⸗ 
ſteigerung oder Zwangsverwaltung, ſondern auch für 
die Vormerkung einer Hypothek nach Art. 40 der Nov. 
zur SubhoO. (vgl. ältere Sammlg. Bd. 14 S. 126). 
War hienach die Vormerkung der Zwangshypothek an 
dem Hälfteanteil des A. P. ſchon z. Z. der Eintragung 
unftatthaft, fo kann es ſich nur noch fragen, ob dieſe 
Eintragung ihrem Inhalte nach unzuläſſig ift oder ob 
etwa nur eine Eintragung unter Verletzung geſetzlicher 
Vorſchriften vorliegt, in welchem Falle nicht die Löſchung, 
ſondern die Eintragung eines Widerſpruchs am Platze 
geweſen wäre (§ 54 Abſ. 1 EBD.) Es muß jedoch das 
erſtere angenommen werden. Eine ihrem Inhalte nach 
unzuläſſige Eintragung liegt vor, wenn nicht bloß 
Eintragungsvorausſetzungen fehlen, ſondern wenn die 
Eintragung nach dem Geſetze ausgeſchloſſen iſt. Solche 
Eintragungen ſind bedeutungslos; der öffentliche Glaude 
erſtreckt ſich nicht auf fie. An dem Anteile eines Che: 
gatten an dem Geſamtgute kann nach dem BB. durch 
Zwangsvollſtreckung ein Recht nicht begründet werden. 
und zwar auch ſchon, bevor das Grundbuch angelegt 
iſt; eine gleichwohl erfolgte Eintragung ſteht mit dem 
Weſen und der rechtlichen Natur des Geſamtguts im 
Widerſpruch und iſt daher ihrem Inhalte nach unzu⸗ 
läſſig. Zugunſten der Rechtsgültigkeit der am 15. Mar; 
1900 vorgemerkten, gemäß Art. 57 AG. EBD. in eine 
Sicherungshypothek verwandelten Zwangshypothek 
kann auch nicht geltend gemacht werden, daß durch 
das Urteil vom 10. Oktober 1913 die Rechts beſtaͤn⸗ 
digkeit der von S. Sch. erwirkten Hypothekvormerkuna 
anerkannt worden ſei. Denn das LG. hat ſich mit der 
hier zur Entſcheidung ſtehenden Frage gar nicht befaßt. 
Im Hinblick auf § 322 ZPO. muß zwar angenommen 
werden, daß ein neuer Rechtsſtreit unter den Parteien 
über die Rechtsbeſtändigkeit der Hypothek ausgeſchloſſen 
iſt. Aber nach 8 325 ZPO. wirkt das rechtskräftige 
Urteil nur für und gegen die Parteien und deren dort 
bezeichnete Rechtsnachfolger, dagegen kann im Berhalt— 
nis zu dritten Perſonen, von beſonderen Ausnahmen 
abgeſehen, auch ein rechtskräftiges Urteil unanfecht⸗ 
bares Recht nicht ſchaffen. Dies gilt beſonders für die 
nachfolgenden Hypothekgläubiger; ſie ſind an die Ent⸗ 
ſcheidung nicht gebunden, ſondern haben ein ſelb⸗ 
ſtändiges Recht, auf Löſchung einer nicht beſtehenden 
Vorhypothek anzutragen und im Intereſſe der Rechts⸗ 
ſicherheit hat das Geſetz in 854 EBD. dem GA. nicht 
bloß das Recht gegeben, ſondern auch die Pflicht auf 
erlegt, eine ihrem Inhalte nach unzuläſſige Hypothek 
zu löſchen. Darüber hat es ſelbſtändig zu entſcheiden. 

Die weitere Beſchwerde meint, ſtatt der Loſchung 
hätte das GBA. die Hyppthekeintragung auf das ganze 
Anweſen erſtrecken ſollen. Dem kann nicht beigetreten 
werden. Allerdings iſt nach 8 740 ZPO., der für die 
übergeleiteten Ehen gleichzeitig mit dem BGB. in Kraft 
getreten iſt (Art. 24 UeG.), bei dem Güterftande der 
allgemeinen Gütergemeinſchaft zur Zwangsverſteigerung 
in das Geſamtgut ein gegen den Ehemann ergangenes 
Urteil nicht bloß erforderlich, ſondern auch genugend. 
Allein wenn demgemäß am 15. März 1900 auch die 
Hypothek auf dem ungeteilten Grundbeſitz der Eheleute 
P. hätte vorgemerkt werden können, ſo kommt doch in 
Betracht, daß die beantragte Vormerkung damals nicht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


geſchehen iſt, daß der Antrag vielmehr durch Vor⸗ 
merkung der Hypothek an dem Hälfteanteil erledigt 
wurde, ohne daß der Antragſteller eine Erinnerung 
oder ein Rechtsmittel angebracht hätte. Die ſo erwirkte 
Hypothekvormerkung iſt rechtlich bedeutungslos und 
kann nicht nachträglich auf das ganze Anweſen aus⸗ 
gedehnt werden; auf den urſprünglichen erſten Antrag 
des Gläubigers kann aber nicht mehr zurückgegriffen 
werden. Denn dieſer Antrag iſt dadurch erledigt, daß 
dem vorſorglichen Antrage ftattgegeben wurde, wenn 
es auch nicht hätte geſchehen ſollen; er iſt nicht beim 
Amtsgerichte anhängig geblieben, ſondern beſteht nicht 
mehr. (Beſchl. des I. ZS. vom 21. April 1914, Reg. III 
Nr. 46/1914). M. 

3394 


B. Straffaden. 
I 


Zur Auslegung des Art. 92 Ziff. 1 Forliß.!) Aus 
den Gründen: Der Art. 92 Ziff. 1 ForſtG. (Art. 91 
Ziff. 1 a. F.) bedroht in dem hier in Rede ſtehenden 
Halbſatze mit Strafe „das unbefugte Betreten künſtlicher 
Anſaaten oder Pflanzungen unter ſechs Jahren und be⸗ 
ſonders das Betreten derſelben mit Pferden oder anderem 
Viehe“. Er iſt in ſtändiger Rechtſprechung (vgl. ObGH. 
Bd. 7 S. 501, Bd. 9 S. 408; OLG. München Bd. 1 S. 259, 
Bd. 4 S. 89, Bd. 6 S. 1; 0669. Bd. 4 S. 122, 389, Bd. 10 
S. 154) dahin ausgelegt worden, daß das Betreten der 
ſogenannten Kulturen durch Menſchen ſtrafbar iſt, ſofern 
es unbefugt d. h. ohne Berechtigung geſchieht, das Be⸗ 
treten mit Tieren dagegen allgemein und ohne Rückſicht 
auf eine deren Beſitzer oder Begleiter etwa zuſtehende 
Berechtigung. Dieſer Auslegung ſteht nun allerdings 
die Meinung entgegen, die ſich in älteren Quellen ver⸗ 
treten findet (Brater, Kommentar zum Forjt®. in Doll» 
manns Sammlg. Bd. II, 1 S. 552 zu Art. 87, S. 558 
Note 3 zu Art. 91, dann in den [hier teilweiſe ange⸗ 
zogenen] Entſcheidungen des Oberappell.⸗Gerichts in 
Bd. I S. 376, Bd. VI S. 207 3fG R.); dort wird, wenn 
auch mehr beiläufig und im Zuſammenhang mit der 
Erörterung anderweitiger Fragen, das Wort „unbes 
fugt“ 1 auf das „Betreten mit Pferden oder .. 
Vieh“ bezogen. Nach den Regeln des Satzbaues iſt denn 
auch eine ſolche Beziehung nicht ausgeſchloſſen. Gleich⸗ 
wohl nimmt die angeführte neuere Rechtſprechung für 
ihre gegenteilige Auffaſſung nicht nur den Zweck, ſondern 
mehrfach auch den Wortlaut des Geſetzes in Anſpruch, 
und der erkennende Senat glaubt an ihr feſthalten zu 
ſollen. (Nun folgen die größtenteils in den angezogenen 
Urteilen angeführten Gründe). Die Angriffe, die in der 
neueſten Zeit gegen die hier vertretene Anwendung des 
Art. 92 Forit®. erhoben worden find (von Pfiſter in dieſer 
Zeitſchrift Bd. IV (1908) S. 113 ff., von Schiedermair 
in den „ſtrafrechtl. Nebengeſetzen Bayerns“, S. 217, 219 
lit. e), gehen fehl. Pfiſter behauptet eine Veränderung 
der Rechtslage durch die ſachenrechtlichen Normen des 
BGB.; dem gegenüber hat ſchon das LG. zutreffend 
auf den Art. 109 CG. BGB. verwieſen, nach deſſen Grund- 
gedanken die landesrechtlichen Vorſchriften über eine 
im öffentlichen Intereſſe erfolgende Beſchränkung von 
Rechten von dem neuen bürgerlichen Recht unberührt 
bleiben. In gewiſſem Sinn iſt auch Art. 111 Ech. hier 
der Rechtsähnlichkeit halber verwertbar (vgl. Keidel, 
BSB. nach v. Staudinger, Anm. 2 zu Art. 111, ferner 
zu Art. 109 die Mot. zum Entw. des EG., Art. 42 
S. 162). Im allgemeinen ſei jedoch bemerkt, daß das 
E. B B. an und für ſich rein öffentlichrechtliche Normen 
eines Bundesſtaates nicht einengen ſollte; ſeine Regelung 
befaßt ſich in der hier fraglichen Artikelreihe nur mit 
den Grenzgebieten zwiſchen privatem und öffentlichem 
Recht; ein ſolches Gebiet iſt bei Art. 92 ForſtG. nicht 


1) Vgl. hierzu den Aufſatz auf S. 317 dieſer Nummer. 


329 


in Frage. Keinesfalls können die von Pfiſter angezogenen 
Art. 113, 115 oder gar der Art. 55 EG. der öffentlich⸗ 
rechtlichen Vorſchrift des Art. 92 ForſtG. irgendwie Ab⸗ 
bruch tun. Einen beſonderen Standpunkt nimmt Schieder⸗ 
muir ein, indem er (S. 217) den richtigen Satz, daß 
ein zivilrechtlich erlaubtes Handeln niemals einen Forſt⸗ 
frevel durch Entwendung (Art. 79—87 Gef.) begründen 
kann, auf die Forſtfrevel durch Beſchädigung, die Ueber⸗ 
tretung forſtpolizeilicher Beſtimmungen und andere Ge⸗ 
fährden (Art. 88 — 100) ausdehnt. Dieſe Gleichſtellung 
iſt indeſſen nur zum Teil richtig, nämlich da, wo der 
Mangel einer Befugnis zum Tatbeſtande der Webers 
tretung gehört; dies ergibt ſich jeweils aus der Geſetzes⸗ 
norm ſelbſt (vgl. beiſpielsweiſe die Art. 88 90 Abſ. I 
und II, 93 Ziff. 3, 94 Ziff. 1 und 5); wo dagegen die 
Gefährdung der Waldwirtſchaft bekämpft werden ſoll, 
da unterſcheidet das Geſetz nicht zwiſchen privatrechtlich 
erlaubten und verbotenen Handlungen (f. z. B. Art. 89, 
hiezu v. ee S. 267 unten, S. 285 oben, Art. 93 
Ziff. 1. 2, 4 (teilweiſe), 6, Art. 94 Ziff. 3, Art. 96 Abſ. 1). 
In die letztere Reihe gehört nun auch Art. 92 inſoweit, 
als in ihm nicht ausdrücklich nur das unbefugte, un⸗ 
erlaubte Tun, das Handeln außerhalb der Erlaubnis 
(Ziff. 1, erſter Fall) geahndet wird. Beiſpielsweiſe wird 
das Abreißen von Hege⸗ und Wehrzeichen oder von 
gewiſſen Grenzzeichen auch dem Grundſtückeigentümer 
verboten fein (v. Ganghofer Note 10). Die Eigenſchaft 
des Betretens von jungen Pflanzungen mit Vieh als 
Gefährdungsdelikt ergibt auch der Art. 95, wonach bei 
dem Eintrieb von Tieren in ältere Pflanzungen nur 
der Erfolg einer wirklichen Beſchädigung ſtrafbar macht 
(v. Ganghofer Note 8 zu Art. 92). Kein Gegner der 
hier vertretenen Auslegung iſt Meisner, (Nachbarrecht 
2. Aufl. S. 338), der ſich im Texte ſogar auf den Boden 
der bisherigen Rechtſprechung ſtellt; ſeine an ſich be⸗ 
achtenswerte Unterſcheidung zwiſchen Kulturen, die zur 
Erhaltung und Verjüngung des Waldes notwendig ſind, 
und ſolchen, die man nur um des höhern Ertrages willen 
mittels beliebiger Abänderung von Holz» oder Betriebs- 
arten vornimmt — bloßen Verbeſſerungen —, iſt für 
das hier fragliche Polizeiverbot ohne Belang, hierauf 
wohl auch gar nicht berechnet. (Urt. vom 9. Mai 1914 
Rev.⸗Reg. Nr. 234/1914). Ed. 
3419 


II 


Unter welchen Voransſetzungen darf erlegtes Wild 
oder deſſen Erlös eingezogen werden ? wie iſt der Aus⸗ 
druck „können“ in Art. 18 PStG. und in 8 42 StGB. 
aufzufaſſen ? A. fand in feinem Jagdbezirke einen toten 
Kitzbock und verkaufte ihn an einen Wildbrethändler. 
Die Polizei beſchlagnahmte den Bock bei dieſem und 
ließ ihn verſteigern; der Erlös wurde beim Amts⸗ 
gericht hinterlegt. Auf den Antrag des Amtsanwalts, 
nach 8 477 StPO. den Erlös einzuziehen, erkannte das 
Schöffengericht auf Hinausgabe des Erlöſes an A. 
Die Berufung hiegegen und die Reviſion wurden ver— 
worfen. 

Aus den Gründen: Der 88 BD. vom 6. Juni 
1909, die Ausübung und Behandlung der Jagden betr., 
verbietet — vorbehaltlich der hier nicht in Frage kom⸗ 
menden Beſtimmung in 89 Jah 3 — die Verſendung 
und die Veräußerung von Rehkitzen für das ganze 
Jahr. 8 18 VO. bedroht die Zuwiderhandlung gegen 
8 8 mit einer Geldſtrafe. Eine ſelbſtändige Bedeutung 
kommt dieſer Strafbeſtimmung nicht zu; ſie iſt nur 
eine Wiederholung der Strafbeſtimmung des Art. 23 
Nr. 5 36. Die VO. vom 6. Juni 1909 wurde er: 
laſſen auf Grund des Art. 125 PStGB. und des Art. 23 
Abſ. 1 Ziff. 5 JG., dann des 8368 Ziff. 9 und 11 StGB. 
Der Art. 125 Abſ. 1 PStGB. lautet: „Die Uebertretung 
der geſetzlichen Beſtimmungen über Ausübung der 
Jagd und der nach Maßgabe des Geſetzes im Ver⸗ 
ordnungswege erlaſſenen jagd polizeilichen Vorſchriften 
wird nach den hierüber beſtehenden Geſetzen beſtraft“, 


und Art. 23 Ziff. 5 JG. bedroht den mit einer Geld⸗ 
ſtrafe bis zu 45 M, der bei Ausübung der Jagd ſich 
gegen im Verordnungswege erlaſſene 1125 5840 B. 
Vorſchriften verfehlt. Weder der Art. 125 

noch ein anderes Geſetz hat die Ausdehnung des 1 Al. 23 
Ziff. 5 JG. auf andere, nicht bei Ausübung der Jagd 
vorkommende Zuwiderhandlungen gegen jagdpoligeis 
liche . De autäffig erklärt. Die Beſtim⸗ 
mungen in 88 8, 9 und 10 BO. vom 6. Juni 1909 
mögen jagdpollgeilicher Natur ſein, allein die Ver⸗ 
ſendung oder der Verkauf von Rehkitzen gegen das in 
88 BO. ausgeſprochene Verbot wird deshalb noch 
nicht zu einer Verfehlung, die „bei Ausübung der 
Jagd“ begangen wird. Der Begriff „Jagen“ i. S. des 
IG. iſt der gleiche wie im 8 292 StB. Hiernach iſt 
aber unter Jagen, Jagdausübung jede auf Erlegung 
oder Ergreifung von jagdbaren Tieren gerichtete Hand⸗ 
lung zu verſtehen. Der Jagdberechtigte darf auch das 
von ihm nicht erlegte, aber in ſeinem Jagdbezirke tot 
aufgefundene Wild auf Grund ſeines Jagdausübungs⸗ 
rechtes ſich aneignen. Mit der Aneignung des Wildes 
iſt die auf die Ausübung des Jagdrechtes an dieſem 
Wilde gerichtete Tätigkeit abgeſchloſſen. Die ſich an⸗ 
ſchließenden Verfügungen über das Wild, insbeſondere 
auch der Verkauf, ſind ein Ausfluß ſeines an dem 
nike erlangten Eigentums. Die Vorſchrift des 8 8 

O. vom 6. Juni 1909 wird ſohin durch den Art. 23 

80 5 JG. nicht gedeckt und die Androhung einer 

trafe in 8 18 VO. für den Fall der Zuwiderhandlung 
gegen 8 8 entbehrt der rechtlichen Wirkſamkeit. Hienach 
liegt in dem Verkaufe des Rehkitzes nach dem der⸗ 
zeitigen Stande der Geſetzgebung keine ſtrafbare Hand⸗ 
lung. Dem trug auch der letzte Entwurf eines Geſetzes 
betr. die Aenderung des PStGB. durch eine ergänzende 
Beſtimmung Rechnung. Die Einziehung des Rehkitzes 
oder des Erlöſes iſt unter dieſen Umſtänden nicht zu⸗ 
läſſig. Der Abſ. 3 des Art. 125 P StGB. lautet: „Uns 
beſchadet der nach Maßgabe des Abſ. 1 verwirkten 
Strafe unterliegt Wild, das mit Uebertretung der die 
Hege oder Hegezeit betreffenden Beſtimmungen erlegt 
wird, desgleichen Wild, welches während der für die 
betreffende Wildgattung feſtgeſetzten Zeit. zum 
Verkaufe gebracht wird, der Einziehung.“ Nach der 
Rechtſprechung (ObEH. 1, 1ff. und Obè G. 8, 384; 9, 
205) trägt dieſe Beitimmung den Charakter einer Neben⸗ 
ſtrafe, die nur den trifft, der ſich einer Uebertretung 
i. S. des Abſ. 1 des Artikels ſchuldig macht, die aber 
die Rechte Dritter, an der Uebertretung nicht Beteiligter, 
unberührt läßt. Notwendige Vorausſetzung für die 
Einziehung iſt ſohin auch nach Art. 18 P StGB., das 
Vorhandenſein einer objektiv ſtrafbaren Handlung, 
wegen deren bei ſtrafgerichtlicher Verurteilung des 
Täters auf Einziehung erkannt werden mußte oder 
könnte. Dieſe Vorausſetzungen fehlen hier; die Ein⸗ 
ziehung des verkauften Rehkitzes oder des Erlöſes kann 
daher auch nicht als Nebenſtrafe wegen des Verkaufes 
ausgeſprochen werden. 

Dagegen kann die auf die bayeriſche Rechtſprechung 
in den letzten Jahren geſtützte Anſchauung der Vor— 
inſtanz, daß die in Art. 18 StGB. und in § 42 StG. 
vorgeſehenen Maßnahmen in das Ermeſſen des 
Richters geſtellt ſeien, nach neuer Prüfung der Rechts— 
frage nicht gebilligt werden. Nach den Verhandlungen 
des Geſetzgebungsausſchuſſes der Kammer der Abgeord— 
neten von 1871/72 S. 101 wurde Art. 18 dem Wortlaute 
des 842 StGB. angepaßt, um keine Verſchiedenheit 
der Auslegung und Rechtsanwendung zu verurſachen; 
hiernach ſollte der Ausdruck, können“ in Art. 18 PStGB. 
ebenſo ausgelegt werden wie in 8 42 StGB. Bei der 
Beratung des Art. 18 (Art. 17 des Entwurfs) wurde 
zwar von einem Abgeordneten unter Zuſtimmung des 
. die Anſchauung vertreten, a 
die in S 42 StGB. enthaltenen Maßnahmen auf das 
ich Ermeſſen abgeſtellt ſind; allein die Abge— 
ordnetenkammer war zur Auslegung des StGB. nicht 


N Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 161 u. 17. 


un Für 8 42 StGB. aber ſteht jetzt die überwiegende 
Zahl der Rechtslehrer und auch die Rechtſprechung des 
RG. auf dem Standpunkte, daß der Richter in den 
Fällen, in denen im Strafurteil die einſchlägigen Maß⸗ 
nahmen ausgeſprochen werden müſſen, dies auch im 
objektiven Verfahren tun muß (Olshauſen Komm. z. 
StGB. 9. Aufl. 8 42 Note 9, Rüdorff⸗Stenglein Komm. 
z. StB. 8 42, RG. 28, 122). Hiernach iſt auch im 
Falle des Art. 18 PSt . der Ausſpruch auf Ein⸗ 
ziehung dann geboten, wenn nach den Beſtimmungen 
dieſes Geſetzbuchs die Einziehung im Strafurteile aus⸗ 
zuſprechen iſt, während er in das Ermeſſen des Ge⸗ 
richts geſtellt bleibt, in den Fällen, in denen im Straf⸗ 
urteile die Einziehung ausgeſprochen werden kann (ſo 
auch Urteil des Ob G. in StS. vom 13. Januar 1903 
Rev.⸗Reg. Nr. 290/1902). (Urt. vom 28. April 1914 
Rev.⸗Reg. Nr. 178/1914). Ed. 
3420 


Bücheranzeigen. 


Nenkamp, Dr. Eruſt, Reichsgerichtsrat. Die gewerbe⸗ 
rechtlichen Nebengeſetze. XIX, 502 S. Tübin⸗ 
gen 1914, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). 

Das Werk bildet die unentbehrliche Ergänzung 
zu der bekannten trefflichen Gewerbeordnung des Ber: 
95 Beſonders zweckmäßig iſt der erſchöpfende 
ſchrt ae der reichs⸗ und landesrechtlichen Bollzugsvor« 

ten. 


Bollwein, Markus, K. Oberlandesgerichtsrat in Mün⸗ 
chen. Bayer. Jag dgeſetz und die Geſetze über 
den Erſatz be Wildſchadens. 9. Aufl. IX, 460 S. 
München 1914, C. H. los Verlagsbuchhandlung 
(Oskar Beck). Gebd. Mk. 4 


Das Buch iſt nun ſeit über a Jahren der Führer 
auf dem Gebiete des bayeriſchen Jagdrechts und ſo 
allgemein bekannt, daß ein Hinweis auf das Erſcheinen 
der neuen Auflage genügen wird. Beſonders wertvoll 
iſt neben den erſchöpfenden Erläuterungen die Beigabe 
von zahlreichen Ausführungsvorſchriften, Nebengeſetzen 
u. dgl. 


Ebermaher, Dr. L., Reichsgerichtsrat, ſtellv. Vorſitzen⸗ 
der der Strafrechtskommiſſion. Der Entwurf 
eines Deutſchen Strafgeſetzbuches. VIII. 


104 S. Berlin 1914, Otto Liebmann. Broſch. Mk. 3.— 


Da der Entwurf der Oeffentlichkeit vorerſt nicht 
zugänglich gemacht wird, bildet dieſer ſtreng ſachliche 
Bericht neben den zahlreichen Einzelaufſätzen in Zeit⸗ 
ſchriften die Grundlage für die Beſprechung des Ent⸗ 
wurfs in der Fachpreſſe und für die Forſchungen derer, 
die den Werdegang des neuen Rechts verfolgen wollen. 


Noſenthal, Heinrich, e in Danzig. 
Bürgerliches Geſetzbuch nebſt Einführungs⸗ 
geſetz. 9. Aufl. 1216 Seiten. Graudenz 1914, 1 
Roethes Verlagsbuchhandlung. Gebd. Mk. 8 


Die Erläuterungen ſind nach dem * 
Stande der Rechtſprechung und Wiſſenſchaft neu be 
arbeitet. Namentlich find die Beiſpiele den Ent— 
ſcheidungen des Reichsgerichts und der Oberlandes⸗ 
gerichte entnommen. Zahlreiche Formblätter ſowie 
einige Zeichnungen, z. B. zum Hypothekenrecht und zum 
Erbrecht, veranſchaulichen den Inhalt des @ejeres. 
Das Sachregiſter iſt durch eine große Zahl von Stich⸗ 
wörtern bereichert, die im Geſetze ſelbſt nicht vor» 
kommen, aber in der Rechts⸗ und Geſchäftsſprache 
üblich ſind; dadurch wird nicht bloß dem Juriſten. 
ſondern namentlich dem im Geſetz Auskunft ſuchenden 
Laien das Zurechtfinden erleichtert. Die neue Auflage 
iſt erheblich vergrößert. Der außerordentliche buch⸗ 


händleriſche Erfolg des Buches, nicht bloß bei Juriſten 
und Verwaltungsbeamten, ſondern auch in den Kreiſen 
der gebildeten Laien, iſt der beſte Beweis für den Wert 
ſeines Inhalts. Zu erwägen wäre bei der nächſten Auf⸗ 
lage vielleicht, ob denn die zahlreichen Sperrungen und 
Fettdruckſtellen einen beſonderen Wert haben. Sie ſind 
viel zu häufig angebracht, als daß ſie eine beſſere Ueber⸗ 
ſicht bieten könnten, und wirken eigentlich nur ſtörend 
auf das Auge. 


Schmitt, Hermann, K. Miniſterialrat im Staatsmini⸗ 
ſterium der Juſtiz. Geſchäftsordnung für 
die Notariate in Bayern vom 30. Oktober 
1913. XVI. 209 Seiten. München 1913, C. H. Beck'ſche 
Verlagsbuchhandlung (Oskar Bed). Gebd. Mk. 2.—. 

Die Anmerkungen, die der neuen Geſchäftsordnung 
beigegeben ſind, heben insbeſondere die Neuerungen 
gegenüber der alten hervor und geben vielfach auch 
die Gründe an, die zur Umarbeitung geführt haben. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Geſetzgeberiſche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges. 
Das Reichsgeſetzblatt bringt in Nr. 53 bis 59 die Ge⸗ 
ſetze und die Bundesratsbekanntmachungen, die dazu 
beſtimmt ſind, Deutſchland finanziell und volkswirt⸗ 
ſchaftlich kriegsbereit zu machen. Die finanziellen Maß⸗ 
nahmen ſind einſchneidend. Dem Kriegsausbruch iſt 
eine außergewöhnliche Spannung des Geldumlaufs 
auf dem Fuße gefolgt, der Bedarf des Verkehrs an 
Zahlungsmitteln hat ſich weit über das gewohnte Maß 
geſteigert. Andererſeits trat das Bedürfnis hervor, 
der Zurückweiſung der papierenen Umlaufmittel durch 
grundlos ängſtliche Kreiſe des Publikums, die zu einer 
Gefahr für die Sicherheit des geſamten Geldweſens zu 
werden drohte, entgegenzuwirken. Noch dringlicher 
war die Notwendigkeit, den Goldbeſtand der Reichs— 
bank, der die Grundfeſte für das Geld- und Kredit— 
weſen des ganzen Landes iſt, vor übermäßigem Ab— 
fluſſe zu ſchützen und tunlichſt ungeſchmälert zu er- 
halten. Dieſen Zwecken dienen die Geſetze vom 4. Auguſt 
1914 betr. Aenderung des Bankweſens (RG Bl. S. 327), 
en die Ergänzung der Reichsſchuldenordnung (RGBl. 

S. 325), betr. die Reichskaſſenſcheine und die Banknoten 
(GBl. S. 347) und betr. Aenderung des Münzgeſetzes 
(RG Bl. S. 326). Die Schranke, die der Notenausgabe der 
Reichsbank durch die Beſteuerung des Notenumlaufs 
gezogen iſt, der über ihren Barvorrat und das fteuers 
freie Kontingent hinausgeht, iſt bis auf weiteres auf— 
gehoben. Zur Notendeckung ſind auch Wechſel des 
Reichs ohne die Unterſchrift weiterer Verpflichteter und 
Schul dverſchreibungen des Reichs für geeignet erklärt. 
Die Reichskaſſenſcheine haben bis auf weiteres die 
Eigenſchaft eines geſetzlichen Zahlungsmittels. Die 
Reichsbank und die Reichshauptkaſſe ſind vorerſt zur 
Einlöſung der Reichsbanknoten und der Reichskaſſen— 
ſcheine nicht mehr verpflichtet. Den privaten Noten— 
banken iſt die gleiche Vergünſtigung zwar nicht zu— 
geſtanden worden, ſie werden vor ſpekulativer Ent— 
ziehung ihrer Goldbeſtände aber dadurch geſchützt, daß 
ſie zur Einlöſung ihrer Noten Reichsbanknoten ver— 
wenden dürfen. Die Verpflichtung der Reichsbankhaupt— 
kaſſe und der Reichsbankhauptſtellen, Silber-, Nickel⸗ 
und Kupfermünzen von beſtimmter Menge in Gold 
umzuwechſeln, iſt beſeitigt; an der Stelle von Gold 
können Reichskaſſenſcheine und Reichsbanknoten verab— 
folgt werden. 

Dem allgemeinen Kreditbedürfniſſe ſollen Dar— 
lehenskaſſen dienen, die ſelbſtändige Einrichtungen mit 
den Rechten juriſtiſcher Perſonen ſind und unter der 
Leitung des Reichskanzlers von der Reichsbank auf 
Rechnung des Reichs verwaltet werden (Darlehenskaſſen⸗ 
geſetz vom 4. Auguſt 1914 RG Bl. S. 340). Sie find 


Zeitſchrift für Rechtspflege in 1 Bayern. 1914. Nr. 16 u. 117 1914. Nr. 16 u. 17. 


331 


vorzüglich zur Förderung des Handels» und Gewerbe⸗ 
betriebes beſtimmt und geben gegen Verpfändung von 
Waren und Wertpapieren Darlehen durch Ausgabe 
von papiergeldähnlichen Darlehenskaſſenſcheinen. Dieſe 
Darlehenskaſſenſcheine, die zwar nicht mit einem 
Zwangskurs ausgeſtattet ſind, aber von den öffent⸗ 
lichen Kaſſen in Zahlung genommen werden müſſen, 
wirken gleichzeitig als bene Verſtärkung der Um⸗ 
laufmittel. Die Darlehenskaſſen haben ſich ſchon in 
den Jahren 1848, 1866 und 1870 gut bewährt. 

Das Geſetz betr. die Abwicklung von börſenmäßigen 
. in Waren vom gleichen Tage (RGBl. 
S. 336) regelt die Liquidation von Börſentermin⸗ 
geſchäften, die vor dem 1. Auguſt d. Irs. geſchloſſen und 
erſt nach der Verkündung des Geſetzes zu erfüllen ſind. 
Einfuhrerleichterungen für Fleiſch und Lebens⸗ 
mittel find im Geſetz betr. vorübergehende Einfuͤhr⸗ 
erleichterungen (RGBI. S. 338) vorgeſehen. Dem 
Wucher mit Gegenſtänden des täglichen Bedarfs, be⸗ 
ſonders mit Nahrungs- und Futtermitteln, wirkt das 
Geſetz betr. Höchſtpreiſe (RGBl. S. 339) entgegen. 
Zur Erleichterung für die Induſtrie, deren für den 
Heeresbedarf und die Nahrungsmittelverſorgung ar: 
beitender Teil einer außerordentlichen Arbeitsanhäufung 
gegenüberſteht, während andere ihrer Zweige um die 
Exiſtenz zu ringen haben werden, ſind Ausnahmen von 
den Beſchränkungen, die die Gewerbeordnung für die 
Beſchäftigung von Arbeitern vorſieht, zugelaſſen (Geſ. 
vom 4. Auguſt 1914 betr. Ausnahmen von Beſchäf⸗ 
. gewerblicher Arbeiter RGBl. 


Die nachhaltige Leiſtungsfähigkeit der Kranken⸗ 
kaſſen, die durch die Einberufung des arbeitsfähigſten 
Teils des Volks zu den Waffen und durch die zu er 
wartende Arbeitsloſigkeit viele Beiträge verlieren, da⸗ 
gegen mit einer relativen Mehrung der Unterſtützungs⸗ 
fälle zu rechnen haben, ſucht das Geſetz vom 4. Auguſt 
1914 betr. Sicherung der Leiſtungsfähigkeit der Kranken- 
kaſſen (RGBl. S. 337) zu gewährleiſten. Ein weiteres 
Geſetz vom gleichen Tage (RGBl. S. 334) erhält den 
zum Kriegsdienſt Einberufenen die Anwartſchaften 
aus der Krankenverſicherung. 

Von großer Bedeutung für den Rechtsverkehr iſt 
das Geſetz betr. den Schutz der infolge des Kriegs an 
der Wahrnehmung ihrer 1 behinderten Perſonen 
vom 4. Auguſt 1914 (RG Bl. S. 328). Der § 247 ZPO. 
ibt den im Kriege ſtehenden Perſonen keinen aus⸗ 
reichenden Schutz gegen prozeſſuale Nachteile, die ihnen 
aus ihrer Abweſenheit entſtehen können. Das Geſetz 
ſchließt ſich in den Grundzügen an jenes an, das am 
21. Juli 1870 für die Dauer des damaligen Kriegs— 
zuſtandes erlaſſen wurde und ſich im Ganzen bewährte. 
Das Verfahren i in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten wird, 
wenn eine zum Ktiegsdienſt einberufene, nicht vertretene 
Perſon als Partei beteiligt iſt, bis zur Beendigung 
des Kriegszuſtands oder bis zur früheren eigenen Auf— 
nahme des Verfahrens unterbrochen. Die Zwangs⸗ 
vollſtreckung gegen ſolche Perſonen iſt im weiteſten Um— 
fang eingeſchränkt. Das Geſetz ſchützt fie gegen den Aus: 
ſchluß ihrer Rechte im Konkurs-, Aufgebots-„Verteilungs⸗, 
Zwangsverſteigerungs- und Zwangsverwaltungsver⸗ 
fahren und hemmt für und gegen ſie die Verjährung 
und den Lauf beſtimmter Friſten. 

Das Geſetz über die Ermächtigung des Bundesrats 
zu wirtſchaftlichen Maßnahmen und über die Ver— 
längerung der Friſten des Wechſel⸗ und Scheckrechts 
im Falle kriegeriſcher Ereigniſſe vom 4. Auguſt 1914 
(RGBl. S. 327) verlängert die Friſten für die Hand: 
lungen, deren es zur Ausübung oder Erhaltung des 
Wechſelrechts oder des Regreßrechts aus dem Scheck 
bedarf, wenn die Einhaltung der Friſten durch die höhere 
Gewalt des Kriegs verhindert wird ($ 1), und geſtattet 
gleichzeitig die allgemeine Verlängerung dieſer Friſten 
durch Kaiſerliche Verordnung (82). Von beſonderer 
Tragweite iſt der § 3 des Geſetzes, der den Bundesrat 


Br — — =, 


ermächtigt, während der Zeit des Kriegs die geſetzlichen 
Maßnahmen anzuordnen, die ſich zur Abhilfe wirt⸗ 
ſchaftlicher Schädigungen als notwendig erweiſen. 

Auf Grund dieſes § 3 hat der Bundesrat bereits 
eine Reihe überaus wichtiger und in das Rechtsleben 
tief eingreifender Maßnahmen beſchloſſen. 

Durch die Bekanntmachungen des Bundesrats vom 
6. und 7. Auguſt 1914 (RGBl. S. 357 und 361) find die 
in Betracht kommenden Friſten des Wechſel⸗ und Scheck⸗ 
rechts, ſoweit ſie nicht am 31. Juli 1914 abgelaufen 
waren, allgemein bis auf weiteres um 30 Tage ver⸗ 
längert und die Vorſchriften des 8 1 des Geſetzes auch 
dann für anwendbar erklärt, wenn die rechtzeitige Vor⸗ 
nahme der rechtserhaltenden Handlung durch eine aus⸗ 
ländiſche geſetzliche Vorſchrift verhindert wird. 

Die Bekanntmachung des Bundesrats vom 7. Auguſt 
1914 über die gerichtliche Bewilligung von Zahlungs- 
friſten (RGBl. S. 359) regelt für Deutſchland die 
brennende Frage des fog. Moratoriums. In Ueber⸗ 
einſtimmung mit der in weiten wirtſchaftlichen Kreiſen 
des Volks vertretenen Anſchauung hat der Bundesrat 
es als unnötig und gefährlich abgelehnt, nach dem Bei⸗ 
piel der anderen kriegführenden Staaten ein allgemeines 

oratorium zu erlaſſen. Dagegen hat er das zweifellos 
vorhandene Bedürfnis, ſoliden und durch die wirt⸗ 
ſchaftlichen Rückwirkungen des Kriegs vorübergehend 
in Bedrängnis und Zahlungsſchwierigkeiten geratenen 
Schuldnern Schutz zu gewähren, anerkannt. Die Gerichte 
können dem Schuldner auf ſein Verlangen eine Zahlungs— 
friſt von vorerſt längſtens drei Monaten bewilligen, 
wenn ſeine Lage ſie rechtfertigt und der Aufſchub der 
Zahlung dem Gläubiger nicht einen unverhältnis- 
mäßigen Nachteil bringt. Die Zahlungsfriſt wird bei 
rechtshängigen Anſprüchen durch Beſtimmung im Ur⸗ 
teil, im Vollſtreckungsverfahren durch zeitweilige Eins 
ſtellung der Vollſtreckung gewährt. Iſt die Forderung 
noch nicht eingeklagt, ſo kann der Schuldner, wenn er 
ſie anerkennt, die Feſtſetzung der Friſt in einem Ans 
erkenntnisurteil erwirken. Anerkenntnisurteile dieſer Art 
und Vergleiche werden durch Gebührenvergünſtigungen 
erleichtert. Die Umſtände, die die Zahlungsfriſt recht— 
fertigen ſollen, müſſen dem Gerichte glaubhaft ge— 
macht werden. Das Geſetz hat mit dieſem gerichtlichen 
Moratorium den Gerichten eine verantwortungsvolle 
und ſchwierige Aufgabe übertragen. Soll der Zweck, 
den ehrlichen Schuldnern über die Kriegsnot wegzuhelfen, 
erreicht und das von vielen Seiten verlangte allgemeine 
Moratorium wirklich dauernd entbehrlich gemacht 
werden, ſo wird eine allzugroße Zurückhaltung in der 
Anwendung des Geſetzes vermieden werden müſſen; ans 
dererſeits aber werden die Gerichte im Intereſſe der 
Sicherheit des Geſchäftsverkehrs und des Rechtslebens 
nicht unterlaſſen dürfen, den wahrſcheinlich ſehr häufigen 
Verſuchen, mißbräuchlich den Schutz des Geſetzes zu er— 
ſchleichen, entgegenzutreten. 

Angeſichts der Moratorien des Auslands konnte 
auch die Verfolgung ausländiſcher Anſprüche vor den 
inlandiichen Gerichten nicht unbeſchränkt bleiben. Nach 
der Bekanntmachung des Bundesrat vom 7. Auguſt 
1914 (GBl. S. 360) iſt die Geltendmachung ſolcher 
Anſpruͤche, die vor dem 31. Juli 1914 entſtanden ſind, 


ZBeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17. 


— 


tigen, daß ihre Zahlungsunfähigkeit mit der Beendi⸗ 
gung des Kriegszuſtands ſich beheben wird, zu halten 
und vor dem Zuſammenbruch im Konkurs zu retten 
(RGBl. S. 363). In ſolchen Fällen ſoll das Konkurs⸗ 
gericht die Geſchäftsaufſicht zur Abwendung des Kon: 
kursverfahrens anordnen können. Die Auffiht wird 
durch gerichtlich beſtellte Perſonen ausgeübt und hat 
den Zweck, unbeſchadet der Sicherung des Vermögens 
für die Gläubiger und ihrer Befriedigung aus den 
Erträgniſſen des Geſchäfts die wirtſchaftliche Exiſtenz 
des Schuldners zu erhalten. Sie unterwirft den Schuldner 
weitgehenden Beſchränkungen. Arreſte, Zwangsvoll⸗ 
ſtreckungen und die Konkurseröffnung ſind während 
ihrer Dauer ausgeſchloſſen oder nur für ſpäter ent⸗ 
ſtandene Forderungen möglich. 

Im Zuſammenhang damit ſetzt eine Bekannt⸗ 
machung des Bundesrats vom gleichen Tage (RG Bl. 
S. 364) zugunſten der handelsrechtlichen Gefellſchaften 
und der Erwerbs⸗ und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften die 
Verpflichtung, beim Eintritte der Zahlungsunfähigkeit 
ſofort die Eröffnung des Konkurſes zu beantragen, und 
das Verbot von Zahlungen nach dem Eintritte der 
Zahlungsunfähigkeit bis auf weiteres außer Kraft. 

Mit dieſer Bekanntmachung wird die Reihe der 
zur finanziellen und wirtſchaftlichen Mobilmachung not⸗ 
wendigen Maßnahmen vorläufig zum Abſchluß ge⸗ 
kommen fein. Ob allerdings die Beſtimmungen über 
die Bewilligung von Zahlungsfriſten dem Bedürfniſſe 
genügen, werden erſt die Erfahrungen der nächſten 
Zukunft lehren.!) 


prachecke des Allgem. Dentſchen Sprachvereins. 


vor den inländiſchen Gerichten bis zum 31. Oktober 


1914 ausgeſchloſſen; Ausnahmen kann der Reichskanzler 
zulaſſen; er kann aber auch aus Gründen der Vergeltung 
weitere Einſchränkungen anordnen. In Ergänzung 
dieſes Gegenmoratoriums ſchiebt die Bekanntmachung 
vom 10. Auguſt 1914 (RG Bl. S. 368) die Fälligkeit der 
im Ausland vor dem 31. Juli 1914 auf das Inland 
ausgeſtellten Wechſel um drei Monate hinaus. Nach 
der Bekanntmachung vom 12. Auguſt 1914 (RGBl. 
S. 369) ſind dieſe Wechſel von der Fälligkeit an mit 
6°. zu verzinfen. 

Unter dem 8. Auguſt d. Ars. hat der Bundesrat 
Anordnungen getroffen, um Geſchäfte, die durch den 
Krieg in Zahlungsunfähigkeit geraten, die aber an ſich 
lebensfähig ſind und zu der Erwartung berech— 

Eigentum von J. Schweitzer Ve 
Druck von Dr. F. P. Datterer & 


| 


Ein einfaches Mittel. Das verſchwommenſte aller 
unſerer Fremdwörter iſt das Wort Intereſſe. Man 
kann es häufig weglaſſen, ohne daß der Sinn geändert 
wird; manchmal wird der Satz dadurch ſogar kräftiger 
und verſtändlicher. Ein paar Beiſpiele mögen es 
zeigen. Der bedeutendſte deutſch-öſterreichiſche Schutz 
verein, der deutſche Schulverein, nannte ſeine Zeitung. 
den Getreuen Eckart, anfangs „Monatsſchrift für die 
Geſamtintereſſen deutſcher Schußarbeit“. Im Kampfe 
für die Reinheit unſerer Mutterſprache erkannten aber 
die Oſtmärker, daß das größte fremdſprachliche 
Wucherkraut im Garten der deutſchen Sprache, 
das Wort Intereſſe, ſamt feiner Sippe oft fo nichts 
ſagend iſt, daß man es herausziehen und wegwerfen 
kann, ohne daß das Ganze Schaden leidet. Sagt der 
jetzige Untertitel „Monatsſchrift für deutſche Schun— 
arbeit“ nicht dasſelbe wie der urſprüngliche Untertitel? 
Sogar in Einharts prächtige deutſche Geſchichte war 
das Wort Intereſſe als einziges Fremdwort einge— 
drungen, obwohl der ſchwerfällige Ausdruck „Im 
Intereſſe der Erhaltung des Volkstums“ zum ſchönen 
ſprachlichen Gewande dieſes Volksbuches nicht paßte. 
In der zweiten Auflage des Buches war daher der 
Schmarotzer verſchwunden; da las man Seite 370 das 
fluſſige „für die Erhaltung des Volkstums“. Ebenſo 
überflüſſig iſt das Fremdwort in dem Titel einer vielen 
Provinzzeitungen beigefügten Beilage: ‚Zeitſchrift für 
die Intereſſen der Landwirtſchaft“. In ihrem Werke 
„Die Waffen nieder“ ſagt Berta von Suttner Seite 196: 
„das erfordert unſere Ehre und das Intereſſe unſerer 
Machtſtellung“. Man laſſe „das Intereſſe“ weg und 
man wird zugeben, daß der Satz dadurch an Kraft ge» 
winnt. Vielleicht werden dieſe Bemerkungen über die 
vergängliche Fremdwörterherrlichkeit manchen Leſer 
veranlaſſen, das Wort Intereſſe zu „verfolgen“. 


1) Im übrigen ſei verwieſen auf die BR Bek. vom 18. Aubuſt 1914 
(R nl. S. 377) und die IM nek. vom 16. Augun 19140 Jm. S. 145, 
dei deren Erſcbeinen die vorliegende Nummer ſchon geſest war. > 
Eine Buchauenabe mit dem rolltandtaen Tert ſämtlicher „Kriens 
geſese“, der Imek. und einem Regiſtetr erſchien ſoeden dei 
J. Schweitzer Nerlag (Artbur Sellier) Munchen. Preis 1.10 TR 


Verantwortl. Herausgeber i. V.: E. Eckert, Land⸗ 
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


rlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig. 
Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ur. 18. 


Münden, den 15. September 1914. 


10. Jahrg. 


Feifhrift für Bertspflege 


in Bayern 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


Regierungsrat im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtig. 


Berlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zeller) 
Münden, Berlin u. Leipzig. 


(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.) 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats //. 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich : 
Mk. 8.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und J 
jede Voſtanſtalt. * 


Nachdruck verboten. 


Erläuterungen 
zum Geſetze vom 4. Auguſt 1914, betreffend den 
Schutz der infolge des Krieges an Wahrnehmung 
ihrer Nechte behinderten perſonen. 


Bon Reichsgerichtsrat Karl Mansfeld. 


Dem Verſtändnis dieſes wirtſchaftlich bedeu⸗ 
tungsvollen, der Kriegsnot Rechnung tragenden 
Geſetzes, das die Fürſorgemaßregeln des Geſetzes 
vom 21. Juli 1870 aufgenommen, zum Teil er⸗ 
weitert und der neueren Geſetzgebung angepaßt 
hat, ſollen die folgenden Ausführungen dienen, die 
im weſentlichen ſich auf die „Begründung“ zum 
Entwurfe des Geſetzes (Druckſ. des Reichstags 
13. Gefetzgebungsabſchnitt 2. Sitzungszeitraum 
1914 Nr. 11) ſtützen; ſie machen auf Vollſtändig⸗ 
keit keinen Anſpruch. 

Zweck des Geſetzes iſt der Schutz der durch 
den Krieg Behinderten; das muß bei der Ent⸗ 
ſcheidung auftauchender Zweifelsfragen ausſchlag⸗ 
gebend ſein. Gegen das Schutzbedürfnis der Kriegs⸗ 
beteiligten treten die damit unverträglichen Inter⸗ 
eſſen ihrer Rechtsgegner zurück. Geſchützt ſollen 
werden die Perſonen, die ſich in einem der in 
52 Nr. 1—3 des Geſetzes bezeichneten Verhält⸗ 
niſſe befinden, ferner, ſoweit fie prozeßunfähig find 
Sd 112, 113 BGB.), die natürlichen — nicht die 
juriſtiſchen — Perſonen, deren geſetzliche Vertreter 
in einem jener Verhältnifſe ſtehen (S 9). Der 
Schutz wird gewährt, ſobald eine Perſon oder ihr 
geſetzlicher Vertreter in eine Lage kommt, wie ſie 
der § 2 vorfieht (Zugehörigkeit zur Land⸗ oder 
Seemacht, dienſtlicher Aufenthalt im Auslande — 
nicht bloß Feindeslande —, Kriegsgefangenſchaft), 
früheſtens von der Verkündung des Geſetzes an 
(4. Aug.); er dauert bis zum Aufhören jenes Ver⸗ 
hältniſſes, längſtens bis zur Beendigung des Kriegs⸗ 
zuſtandes, deren Zeitpunkt durch kaiſerliche Ver⸗ 
ordnung beſtimmt wird. Ob die Vorausſetzungen 


5 Leitung und Geſchäftsſtelle: München. Ottoſtraße 12. 
J] Anzeigengebühr 30 Pfg. für die halbgeſpaltene Petitzeile 

oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


333 


für den Schutz vorliegen, hat der Richter im Einzel⸗ 
falle zu prüfen. 

Die Schutzmaßregeln find: Unterbrechung des 
Verfahrens in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten 
(33 2—4), Beſchränkung der Zwangsvollſtreckung 
(8 5), Ausſchluß oder Ausſetzung des Konkurs⸗ 
verfahrens gegen den Kriegsbeteiligten (8 6), Schutz 
ſeiner Rechte in einem gegen andere gerichteten 
Verfahren (§ 7), Hemmung der Verjährung (8 8). 

Das Verfahren in bürgerlichen Rechtsſtreitig⸗ 
keiten, d. h. jedes Verfahren, auch das Mahnver⸗ 
fahren, nur nicht das ſchieds richterliche der 88 1025 ff. 
ZPO. (RG. 62, 24) unterliegt nicht etwa nur der 
Ausſetzung durch richterliche Anordnung, ſondern 
wird kraft Geſetzes unterbrochen, wenn eine Partei, 
klagende oder beklagte, kriegsbeteiligt iſt. Das 
gilt auch für das Verfahren vor den Gewerbe⸗ und 
Kaufmannsgerichten und mit einem Vorbehalte 
zugunſten der Landesgeſetzgebung für das vor den 
beſonderen Gerichten des $ 14 GVG. (8 10 des 
Geſetzes). Es gilt für alle bürgerlichen Rechts⸗ 
ſtreitigkeiten, die bei Verkündung des Geſetzes an⸗ 
hängig find oder nachher „anhängig werden“ (8 2). 
Das Anhängigmachen, durch Klagerhebung und 
gleichwertige Handlungen, iſt alſo durch das Geſetz 
nicht ausgeſchloſſen. Dem Bedenken, daß auf die 
Klagſchrift ein Verhandlungstermin nicht beſtimmt 
werden dürfe, ſolange die Einlaſſungsfriſt nicht 
laufe ($ 249 Abſ. 1 ZPO.), begegnet die „Begrün⸗ 
dung“ mit dem Hinweis darauf, daß „inzwiſchen 
die Unterbrechung des Verſahrens, namentlich durch 
Aufnahme ſeitens des Beklagten, beendigt werden“ 
könne gemäß 8 4. 

Die Berückſichtigung des Geſetzeszwecks muß 
zu der Auslegung führen, daß das Nichtvor⸗ 
handenſein der Unterbrechungsvorausſetzungen 
von der Partei glaubhaft zu machen iſt, die das 
Eingreifen oder die Fortſetzung der gerichtlichen 
Tätigkeit anruft. Der Klaͤger hat glaubhaft zu 
machen, daß der Beklagte nicht kriegsbeteiligt iſt. 
Der Beklagte iſt ja gerade durch den Krieg be⸗ 


334 


hindert — wenn er zu den Perſonen der 88 2,9 
gehört — der Klage gegenüber die geſetzlich ein⸗ 
getretene Unterbrechung geltend und glaubhaft zu 
machen, behindert im Sinne des Geſetzes auch dann, 
wenn er etwa die Klagſchrift noch perſönlich, nicht 
im Wege der Erſatzzuſtellung, zugeſtellt erhalten 
hat. Die dem Antragſteller obliegende Glaubhaft⸗ 
machung kann mit allen Mitteln des $ 294 ZPO., 
insbeſondere auch durch eidesſtattliche Verſiche⸗ 
rungen, obrigkeitliche Beſcheinigungen, erfolgen. 
Ohne ſolche Glaubhaftmachung kann gegen Männer 
ein Verſäumnisurteil nicht ergehen, auch wenn ſie 
das landſturmpflichtige Alter überſchritten haben, 
gegen Frauen, ſoweit nicht ihre Kriegsbeteiligung 
beim Roten Kreuz in Feſtungen oder im Gefolge 
der mobilen oder gegen den Feind verwendeten 
Teile der Land» oder Seemacht ($ 2 Ziff. 1) in 
Frage kommt, noch § 2 Ziff. 3 zutrifft. 

In zwei Fällen wird das Verfahren nicht 
unterbrochen. Erſtens, wenn der Kriegsbeteiligte 
einen perſönlichen Sicherheitsarreſt erwirkt hat und 
es ſich um deſſen Aufrechterhaltung oder Aufhebung 
handelt. Die Rückſicht auf die perſönliche Frei⸗ 
heit des Gegners geht vor. Sodann, wenn der 
Kriegsbeteiligte vertreten iſt. Gehört in dieſem 
Falle auch der Vertreter zu den Kriegsbeteiligten, 
ſo iſt zu unterſcheiden, ob es ſich um geſetzliche 
oder gewillkürte Vertretung handelt. Iſt der geſetz⸗ 
liche Vertreter kriegsbeteiligt, ſo kann gemäß dem 
noch zu erörternden 8 9 ein beſonderer Vertreter 
beſtellt werden. Gehört der gewählte Vertreter 
(Prozeßbevollmächtigte, Prokuriſt, Generalbevoll⸗ 
mächtigte) des Kriegsbeteiligten zu den Perſonen des 
8 2, jo meint die Begründung, es liege kein aus⸗ 
reichender Anlaß vor, die Unterbrechung anzuordnen. 
Es dürfe angenommen werden, daß in ſolchen 
Fällen durch Stellung eines Ausſetzungsantrags 
oder Beſchaffung eines anderen Vertreters für die 
Intereſſen der Partei werde geſorgt werden. 

83 Abſ. 2 beſtimmt nämlich, daß der Vertreter 
der kriegsbeteiligten Partei die Ausſetzung des — 
von der Unterbrechung nicht betroffenen — Ver⸗ 
fahrens beantragen kann, und daß das Prozeß— 
gericht dieſem Antrage ſtattzugeben hat. Allein 
die von der Begründung angenommene Möglich— 
keit wird bei der Eile der Mobilmachung in 
manchen Fällen nicht beſtehen. Hier hilft m. E. 
der $ 247 ZPO., wonach das Prozeßgericht auch 
von Amts wegen die Ausſetzung des Verfahrens 
anordnen kann, wenn eine Partei zu Kriegszeiten 
ih im Militärdienſte befindet. Der § 247 iſt 
durch das Geſetz vom 4. Auguſt nicht beſeitigt, er 
iſt für deſſen Geltungsdauer nur ſoweit gegen— 
ſtandslos geworden, als das Geſetz die Unter— 
brechung anordnet. Unberührt geblieben iſt 
namentlich auch die Ausſetzungsbefugnis des Prozeß— 
gerichts nach §S 247 für den Fall, daß eine Partei 
durch Krieg von dem Verkehre mit dem Prozeß— 
gericht abgeſchnitten iſt, und es entſprach den Ver— 
kehrsverhältniſſen jedenfalls in den erſten Tagen 


N Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


der Mobilmachung, wenn die Gerichte den Erlaß 
von Verſäumnisurteilen gegen außerhalb des Ge⸗ 
richtsorts ſich Aufhaltende ablehnten. 

Unterbrechung und Ausſetzung hören auf mit 
Beendigung des Kriegszuſtandes (88 4, 11). Der 
Unterbrechung und Ausſetzung kann der Kriegs⸗ 
beteiligte jederzeit durch Aufnahme des Verfahrens 
mittels Zuſtellung eines Schriftſatzes ein Ende 
machen. Tut er das nicht, ſo endet während 
des Kriegszuſtandes die Unterbrechung nur durch 
Aufhören der Kriegsbeteiligung (§ 2). Jetzt kann 
auch der Gegner ſich rühren. Er kann, wenn 
der bisherige Kriegsbeteiligte nicht binnen Monats⸗ 
friſt ſeit Aufhören der Kriegsbeteiligung das Ver⸗ 
fahren aufnimmt, ſelbſt die Aufnahme betreiben. 
Die „Partei“ (§ 2) kann zur Aufnahme und zu: 
gleich zur Verhandlung zur Hauptſache geladen 
werden. Hier (in $ 4) beſtimmt das Geſetz aus: 
drücklich, daß ein Verſäumnisurteil gegen die Per: 
ſonen des § 2 nur erlaſſen werden kann, wenn 
der Ablauf der Monatsfriſt ſeit Beendigung des 
nach 8 2 maßgebenden Verhältniſſes, alſo wenn 
dieſe Beendigung — vom Gegner und Antrag⸗ 
ſteller — glaubhaft gemacht iſt. 

Liegt ſchon ein vollſtreckbarer Titel vor, ſo 
findet die Vollſtreckung zwar ſtatt, unterliegt aber 
gewiſſen Beſchränkungen mit Rückſicht darauf, daß 
der Kriegsbeteiligte behindert iſt, Einwendungen 
geltend zu machen und Deckung zu beſchaffen. Bei 
Grundſtücken und im Schiffsregiſter eingetragenen 
Schiffen iſt Zwangsverwaltung zulaͤſſig, auch die 
Einleitung des Zwangsverſteigerungsverfahrens, nicht 
aber die Verſteigerung ſelbſt. Bewegliche körper⸗ 
liche Sachen können gepfaͤndet, nicht aber ver⸗ 
ſteigert oder anderweit (S8 821, 825 ZPO.) ver: 
wertet werden. Eine Ausnahme iſt für verbrauch⸗ 
bare, der Wertverringerung ausgeſetzte und teuer 
aufzubewahrende Sachen getroffen. Gepfaͤndetes 
Geld kann an den Gläubiger abgeliefert werden 
(§ 815 3PO.). In demſelben Umfange iſt auch 
die Durchführung der Zwangsvollſtreckung in das 
Vermögen der Ehefrauen und der unter elterlicher 
Gewalt ſtehenden Kinder der Kriegsbeteiligten ein⸗ 
geſchränkt. Wenn die Zwangsvollſtreckung die Ver⸗ 
mögensrechte berührt, die dem Manne auf Grund 
des ehelichen Güterrechts oder die den Eltern auf 
Grund der elterlichen Gewalt zuſtehen, findet die 
Verſteigerung uſw. nur in den Ausnahmefällen 
ſtatt. Die Erwähnung der „Eltern“ weiſt hier 
übrigens darauf hin, daß auch Frauen als Kriegs 
beteiligte im Sinne des $ 2 in Frage kommen 
können. 

Die Vorſchrift des 85 gilt nur für die Voll: 
ſtreckung wegen Geldforderungen, nicht für die 
Zwangsvollſtreckung, bei der Verſteigerung und 
anderweite Verwertung außer Betracht bleiben. 
Der Schutz der Kriegsbeteiligten bei der Zwangs- 
vollſtreckung zur Erzwingung der Herausgabe von 
Sachen und zur Erwirkung von Handlungen oder 
Unterlaſſungen SS 883— 898 3 O.) ergibt ſich, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


ebenſo wie bei dem Offenbarungseidverfahren, aus 
den 88 2—4 des Geſetzes: es handelt ſich um ein 
„Verfahren“, das kraft Geſetzes unterbrochen wird. 
Die Begründung erwaͤhnt zwar dieſe Arten der 
Zwangsvollſtreckung nicht, das Geſagte folgt aber 
aus § 2 und dem Zwecke des Geſetzes. 

Konkurs kann über das Vermögen eines Kriegs⸗ 
beteiligten nur auf deſſen Antrag eröffnet werden. 
Dieſe Vorſchrift läßt die Rechte der Gläubiger 
hinter das Schutzbedürfnis, dem das Geſetz dient, 
ſo weit zurücktreten, daß nicht nur die Geltend⸗ 
machung der Rechte hinausgeſchoben wird, ſondern 
unter Umſtänden die Rechte ſelbſt verloren gehen 
können. Die Begründung des Entwurfs weiſt auf 
die Beſchränkung des Anfechtungsrechts hin (88 30, 
31 Abi. 2, 32 KO.). Iſt das Konkursverfahren 
bei Inkrafttreten des Geſetzes ſchon anhängig oder 
nachher auf Antrag des Kriegsbeteiligten eröffnet 
worden, ſo kann auf ſeinen Antrag das Konkurs⸗ 
gericht die Ausſetzung des Verfahrens anordnen. 
Die Ausſetzung hört, abgeſehen von der Beendigung 
des Kriegszuſtandes (8 11), auf „mit“ einem die 
Fortſetzung des Verfahrens anordnenden Gerichts⸗ 
beſchluſſe, d. h. mit ſeiner Rechtskraft (8 73 KO.). 
Der Beſchluß muß erlaſſen werden, wenn der 
Gemeinſchuldner oder wenn unter Einhaltung der 
Monatsfriſt des 8 4 und Glaubhaftmachung ihres 
Ablaufs, alſo auch des Aufhörens der Kriegs⸗ 
beteiligung, der Verwalter oder ein Konkurs⸗ 
gläubiger es beantragt. Daß er erlaſſen werden 
könnte, wenn Verwalter oder Gläubiger vor 
Friſtablauf oder ohne die Glaubhaftmachung den 
Antrag ſtellen, laßt zwar der Wortlaut, nicht aber 
der Sinn der Beſtimmung und ihr Zuſammen⸗ 
hang mit 8 4 zu. Die in $6 Abſ. 4 vorge⸗ 
ſchriebene öffentliche Bekanntmachung erfolgt in 
den Formen des § 76 KO. 

Auf Grund des Ermaͤchtigungsgeſetzes vom 
4. Auguſt (RG Bl. S. 327) hat der Bundesrat 
unter dem 8. Auguſt (RGBl. S. 363) eine Ver⸗ 
ordnung erlaſſen, wonach bei dem Konkursgerichte 
zur Abwendung des Konkurſes die Anordnung 
einer Geſchäftsaufficht mit den in der Verordnung 
angegebenen Folgen beantragen kann, wer infolge 
des Krieges zahlungsunfähig (8 102 KO.) geworden 
iſt. Das gilt natürlich auch für die Perſonen 
des 8 2 und gilt für die nicht prozeßfähigen, durch 
eine Perſon des § 2 geſetzlich vertretenen, natür⸗ 
lichen Perſonen, während für dieſe weder die Be⸗ 
ſchränkung der Zwangsvollſteckung noch die Aus: 
ſetzung oder der Ausſchluß des Konkursverfahrens 
Platz greift (8 9). Bezüglich des Konkursverfahrens 
verneint die Begründung für dieſen Fall das Vor⸗ 
liegen eines weſentlichen Bedürfniſſes zur beſonderen 
Fürſorge. Dem Gemeinſchuldner werde in der 
Regel ein beſonderer Vertreter vom Vormundſchafts⸗ 
gerichte beſtellt werden, wenn der geſetzliche Ver⸗ 
treter infolge ſeiner Beteiligung am Kriege zur 
Wahrnehmung der Rechte nicht imſtande ſei. Das⸗ 
ſelbe wird gegebenenfalls bei der Zwangsvollſtreckung 


335 


gelten müſſen (8 1909 BGB.), wenn nicht die 
Ausſetzung oder Unterbrechung nach 88 2—4 ein⸗ 
tritt oder entſprechende Anwendung des § 57 ZPO. 
zur Beſtellung eines beſonderen Vertreters durch 
das Vollſtreckungsgericht führt. 

Richtet ſich ein Konkursverfahren oder eine 
Zwangsverſteigerung nicht gegen einen Kriegs⸗ 
beteiligten, ſondern gegen andere Perſonen, ſo wird 
ein ſolches Verfahren nicht dadurch berührt, daß 
Kriegsbeteiligte als Gläubiger oder anderweit Be⸗ 
rechtigte daran teilnehmen ($ 7). Dasſelbe gilt 
für das Aufgebots⸗ und Verteilungsverfahren. Doch 
gibt das Geſetz dieſen Kriegsbeteiligten einen ge⸗ 
wiſſen Schutz gegen die Folgen der Verfäumung 
von Terminen und Friſten, Unterlaſſung von An⸗ 
meldungen, Behinderung in der Geltendmachung 
von Rechten, aber nur dann, wenn ſie keinen zur 
Wahrnehmung ihrer Rechte berufenen — geſetz⸗ 
re gewillkürten — Vertreter haben (8 7 

i 


1. ft in einer der bezeichneten Verfahrensarten 
gegen Kriegsbeteiligte ein Verſäumnisurteil (z. B. 
§ 881 ZPO.) oder Ausſchlußurteil (88 952, 987, 
1017—8 970 kommt nicht in Betracht) ergangen 
oder find ſie ſonſtwie als ſäumig behandelt oder 
mit ihren Rechten ausgeſchloſſen (z. B. § 66 
ZwWGeſ.), jo bleibt ihnen die Befugnis der Nach⸗ 
nn binnen ſechs Monaten ſeit Beendigung 
von Kriegszuſtand oder Kriegsbeteiligung. Iſt 
die Nachholung nicht mehr möglich, ſo ſteht ihnen 
ein Bereicherungsanſpruch gegen den zu, zu deſſen 
Gunſten die Rechtsänderung eingetreten iſt. Nähere 
Beſtimmungen darüber zu treffen, gegen wen 
der Anſpruch zu richten iſt, hat das Geſetz ſich 
enthalten; die Begründung betont die Notwendig⸗ 
keit der Beſchränkung auf die Auffſtellung allge: 
meiner Grundſätze. Die Frage nach dem Gegner 
für die Bereicherungsklage iſt aus den Verhält⸗ 
niſſen des Einzelfalls zu beantworten. 

2. Bei Verteilungen ſollen von Kriegsbeteilig⸗ 
ten angemeldete oder ihnen „mutmaßlich zuſtehende“ 
Forderungen und Vorrechte wie feſtgeſtellte be⸗ 
handelt und die entſprechenden Beträge hinter⸗ 
legt werden. Ueber die Geſtaltung des Verfahrens 
hierbei ſind nähere Vorſchriften abſichtlich unter⸗ 
1529 Schwierigkeiten werden ſich kaum er⸗ 
geben. 

3. Werden Kriegsbeteiligte in der Zwangs⸗ 
verſteigerung wegen ihrer aus dem Grundſtücke 
zu befriedigenden Forderungen, Grund- und Renten⸗ 
ſchulden durch das Meiſtgebot nicht gedeckt, ſo 
kann der Zuſchlag verſagt und ein neuer Ver⸗ 
ſteigerungstermin beſtimmt werden, wenn die An⸗ 
nahme eines günſtigeren Ergebniſſes durch die 
Umſtände begründet wird. 

Eine weitere Schutzmaßregel iſt endlich die 
Hemmung der Verjährung. § 203 BGB. reicht, 
ſoweit er zutrifft, für die durch den Krieg ge: 
ſchaffene Lage nicht aus. Die Verjährung iſt nach 
5 8 Gel. gehemmt zugunſten der Kriegsbeteiligten 


336 


und — aus Billigkeitserwägungen — zugunften 
ihrer Rechtsgegner. Die Hemmung beſteht nur 
während der Dauer der Kriegsbeteiligung. Sie 
beginnt, wie die Begründung ſagt, mit der Ver⸗ 
kündung des Geſetzes, wenn bereits in dieſem Zeit⸗ 
punkt das maßgebende Verhältnis begründet iſt, 
anderenfalls erſt mit dem Zeitpunkte, in dem dieſes 
Verhältnis eintritt. Die Hemmung hört auf, ſo⸗ 
bald die Kriegsbeteiligung, ſpäteſtens ſobald der 
Kriegszuſtand beendet iſt; nach Beſeitigung der 
Hemmung läuft die vor Eintritt der Hemmung 
begonnene Verjährung weiter. Während der Kriegs⸗ 
beteiligung kann eine neue Verjährung nicht be⸗ 
ginnen. 

In demſelben Umfange gehemmt (§ 8 Abſ. 2) 
wird auch der Lauf der geſetzlich für die Be⸗ 
ſchreitung des Rechtswegs vorgeſchriebenen Aus⸗ 
ſchlußfriſten (z. B. 8 42 MG., 8 23 des Preuß. 
Penſionsgeſetzes) und der Friſten, auf die die Vor⸗ 
ſchriften des $ 203 BGB. ganz oder teilweiſe ent⸗ 
ſprechende Anwendung finden. Als ſolche Friſten 
führt die Begründung die der $ 124 Abſ. 2, 210, 
215 Abſ. 2, 477 Abſ. 2, 802, 1002, 1599, 1997 
BGB. beiſpielweiſe an. Eine weitere Ausdehnung 
der Hemmungsvorſchrift auf die ſonſtigen Aus⸗ 
ſchlußfriſten iſt als bedenklich erachtet worden, weil 
ſie in das materielle Recht allzu tief eingreifen 
würde. 

Auf die Beſtimmungen des § 9 (Fürſorge für 
natürliche Perſonen, deren geſetzlicher Ver⸗ 
treter Kriegsbeteiligter iſt) einzugehen, war ſchon 
mehrfach Gelegenheit. Die Vorſchriften des Ge⸗ 
ſetzes, außer 88 5 und 6, finden entſprechende An⸗ 
wendung. Soll eine Perſon verklagt oder der 
Rechtsſtreit gegen fie fortgeſetzt werden, jo kann 
bei Gefahr im Verzug ihr ein beſonderer Ver⸗ 
treter beſtellt werden, deſſen Beſtellung die Unter⸗ 
brechung des Verfahrens ($ 2) beendet, und der 
die Ausſetzung des Verfahrens (§ 3 Abſ. 2) zu bean⸗ 
tragen nicht befugt iſt. Für die vom Geſetze zu⸗ 
gelaſſene Vertreterbeſtellung war der 8 57 ZPO. 
vorbildlich, jedoch beſteht nur die Befugnis, nicht 
die Verpflichtung, dem Antrage (des Gegners) auf 
Beſtellung zu entſprechen. Die Begründung be⸗ 
merkt, es ſei geboten, die Anwendbarkeit des 8 3 
Abſ. 2 ausdrücklich auszuſchließen, weil ſonſt die 
Beſtimmung (des $ 9) praktiſche Bedeutung nicht 
gewinne. Die Ausſchließung erſcheine auch un⸗ 
bedenklich, weil der Richter in der Lage ſei, von 
der ihm eingeräumten Befugnis nur in den hier⸗ 
zu geeigneten Fallen Gebrauch zu machen. 

Dem Ermeſſen des Richters läßt das Geſetz 
überhaupt einen weiten Spielraum. Aber nur 
das Ermeſſen wird dem Sinne des Geſetzes ge: 
recht, das demſelben fürſorglichen Wohlwollen folgt, 
wie das Geſetz ſelber. Im Zweifel iſt zugunſten 
des Kriegsbeteiligten zu entſcheiden, Anforderungen 
an die ihm obliegende Behauptungs-, Anmeldungs⸗ 
und Glaubhaftmachungsapflicht dürfen nicht hoch 
geſpannt werden, überall muß Rückſicht walten. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. j 


Daß dies der Wille des Geſetzes iſt, geht aus 
vielen ſeiner Vorſchriften und aus den Dar⸗ 
legungen der Begründung hervor. So iſt nach 
9 7 Ziff. 1 Abſ. 2 das Recht dem Kriegsbeteilig⸗ 
ten vorzubehalten, wenn er es angemeldet hat 
oder wenn auch nur anzunehmen iſt, daß 
es ihm zuſteht. Nach Ziff. 2 ſoll genügen, daß 
die Forderung ihm mutmaßlich zuſteht und 
daß das Vorrecht anſcheinend begründet iſt. 

Im übrigen regelt ſich das Verfahren vor den 
im 5 2 des Geſetzes bezeichneten Gerichten im Falle 
der Unterbrechung nach der ZPO., insbeſondere finden 
die 88 248 — 250, 252 Anwendung. Die Be 
gründung weiſt darauf hin, daß ſich die Wirkungen 
der Unterbrechung, die Rechtsbehelfe gegen ein 
während der Unterbrechung mit Unrecht erlaſſenes 
Urteil uſw. nach der ZPO. beſtimmen, und daß 
aus deren Vorſchriften zu entnehmen ſei der Be⸗ 
griff des „Verfahrens“ und der „Partei“, alſo 
ob Mahn⸗ und Arreſtverfahren, Streitgenoſſen 
und Nebenintervenienten von der Beſtimmung des 
8 2 mit betroffen werden, eine Frage, die wohl 
unbedenklich zu bejahen ſein wird, fei es auch nur 
im Sinne entſprechender Anwendung. 


Jas Geſetz gegen den Verrat militärischer 
Geheimniſſe. 
Von Staatsanwalt Hahn in München. 


Nach den Erfahrungen der neueren Zeit haben 
ſich die Verſuche ausländiſcher Regierungen, den 
Wert der militäriſchen Rüſtungen Deutſchlands 
durch deren Ausforſchung abzuſchwächen und auf 
dieſe Weiſe Deutſchlands Sicherheit zu gefährden, 
immer mehr gehaͤuft. Das Spionageunweſen hat 
in ſeinem Umfange ſtetig zugenommen und ſich 
in den bedenklichſten Formen geäußert und bildet 
eine ſtets wachſende Gefahr für die Sicherheit 
Deutſchlands. 

Das Geſetz vom 3. Juli 1893 erwies ſich teil: 
weiſe als unzureichend für die Verhinderung und 
Abwehr dieſer Gefahr. Um eine ſchärfere Bekämp⸗ 
fung der Spionage, des Verrats, der Ausforſchung 
und der fahrläſſigen Preisgabe militäriſcher Ge⸗ 
heimniſſe zu ermöglichen, legte die Reichsregierung, 
zugleich einer im Reichstag ſelbſt wiederholt ge⸗ 
äußerten Anregung folgend, am 23. Mai 1913 
den Entwurf eines Geſetzes gegen den Verrat 
militärticher Geheimniſſe vor. In der 175. Sitzung 
des Reichstags vom 26. November 1913 erfolgte 
deſſen erſte Beratung, die mit einer Verweiſung 
an eine Kommiſſion von 21 Mitgliedern endigte. 
Nach Berichterſtattung durch die Kommiſſion, die 
in zwei Leſungen über den Entwurf beriet, fand 
im Plenum des Reichstags in der 260. Sitzung 
vom 16. Mai 1914 die zweite und in der 262. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


Sitzung vom 19. Mai 1914 die dritte Beratung 
ſtatt, bei der der Geſetzentwurf nach den von der 
Kommiſſion vorgeſchlagenen Aenderungen ange⸗ 
nommen wurde.“) 

Das Geſetz wurde am 3. Juni 1914 vom 
Kaiſer vollzogen und in dem am 8. Juni 1914 
ausgegebenen Reichsgeſetzblatt (1914 S. 195 ff.) 
verkündigt. Es iſt am 22. Juni 1914 in Kraft 
getreten. 

Nicht alle vom Entwurf vorgeſehenen Neue⸗ 
rungen find Geſetz geworden; immerhin iſt das 
Geſetz vom Jahre 1893 in weſentlichen Punkten 
wegen der Reichsſicherheit geändert und ergänzt 
worden. . 

Auch das neue Geſetz betrifft nach Ueberſchrift 
und Inhalt nur die verbotene Auskundſchaftung und 
Mitteilung militäriſcher d. h. Heer und Marine 
betreffender Geheimniſſe, bei denen die Landes⸗ 
verteidigung in Frage ſteht. Inſoweit es ſich um Ver⸗ 
rat anderer Geheimniſſe, um diplomatiſchen Landes⸗ 
verrat handelt, kommen die Beſtim mungen des 
3 92 StGB. zur Anwendung, die andererſeits als 
ausgeſchloſſen zu gelten haben in Fällen des Ver: 
rats militärischer Geheimniſſe zum Nachteil des 
Deutſchen Reichs, weil dieſe Materie durch die 
Beſtimmungen des Geſetzes vom 3. Juni 1914, 
wie ſchon durch jene des Geſetzes von 1893, er⸗ 
ſchöpfend geregelt wurde (RGSt. 25, 45). 

Die Streitfrage, ob nicht 8 92 Nr. 1 StGB. 
wenigſtens inſoweit auch auf den Verrat mili⸗ 
täriſcher Geheimniſſe anzuwenden ſei, als es ſich 
um die Mitteilung von Nachrichten handle, iſt 
nun zweifelsfrei im Sinne der herrſchenden, vom 
Reichsgericht vertretenen Meinung dahin geklaͤrt, 
daß dies nicht der Fall iſt; denn das neue Geſetz 
bedroht ausdrücklich den Verrat der wegen der 
Landesverteidigung geheim zu haltenden Nach⸗ 
richten mit Strafe. 

Das Geſetz enthält keine Beſtimmung des Be⸗ 
griffes „Militäriſches Geheimnis“. Ent⸗ 
gegen dem Vorſchlag des Entwurfs, eine ſolche 
allgemeine Begriffsbeſtimmung zu geben, bezeichnet 
das Geſetz als zu ſchützende Objekte zunächſt in 
Uebereinſtimmung mit den bisherigen Beſtim⸗ 
mungen: Schriften, Zeichnungen oder andere Gegen⸗ 
ſtände, deren Geheimhaltung wegen der Landes⸗ 
verteidigung erforderlich iſt. 

Neu in das Geſetz aufgenommen als Gegen⸗ 
ſtand des Schutzes find Nachrichten, deren Geheim⸗ 
haltung wegen der Landesverteidigung erfor⸗ 
derlich, iſt. 

Während unter Gegenftänden körperliche 
Sachen, darunter beiſpielsweiſe Schriften und 
Zeichnungen und Menſchen als körperliche Weſen, 
die des Befitzes, d. i. des körperlichen Innehabens, 
und der Kenntnis, d. i. des geiſtigen Innehabens, 


11005 8 13. Leg.⸗Per. I. Seſſion, 1912/13 An⸗ 
lage N. 1003; Sten B. 1913 S. 5974 ff.; 1914 S. 8999 ff. 
und S. 9076 ff. 


— . . — —— — — ——— ——— . ⅛—ÑZs — — T ] ⏑————— ̃ — ⏑—A— UV 


337 


fähig find, verſtanden werden, find Nachrichten 
nur der Kenntnis fähig, Tatſachen, die einem 
anderen mitgeteilt werden. 

Unter den Begriff der Nachrichten fallen inner⸗ 
liche, in der Außenwelt ſelbſt nicht wahrnehm⸗ 
bare und erſt im Wege der Schlußfolgerung aus 
Wahrnehmungen erkennbare Eigenſchaften eines 
Gegenſtandes, Tatſachen der Won enten Gegen⸗ 
wart und Zukunft, die zwar der Kenntnis fähig, 
aber nicht von körperlicher Beſchaffenheit find. Es 
iſt dabei zu denken an militäriſche Anordnungen, 
wie die Zuſammenziehung von Truppen, die Aus⸗ 
gabe von Karten an Offiziere, die Abhaltung 
kriegsgemäßer Uebungen, dann an die Einführung 
beſtimmter militäriſcher Neuerungen, das Vorhaben 
einer Umbewaffnung oder Ausſtattung von Truppen 
mit neuem Gerät, an die Ergebniſſe von Schieß⸗ 
verſuchen mit neuem Material u. dgl. mehr. 

Wahrend alle derartigen Vorgänge, Nachrichten, 
bisher nur ſoweit vom Geſetz geſchützt waren, als 
körperliche Sachen inhaltlich Träger einer Nachricht 
waren, als ſich körperliche Sachen inhaltlich mit 
der Wiedergabe von Tatſachen befaßten, find ſie 
nunmehr ſelbſtändig Gegenſtand des geſetzlichen 
Schutzes. 

Das Geſetz gewährt Schutz gegen den Ver⸗ 
rat (88 1 f.), die Ausſpähung (88 3f.) und 
die fahrläſſige Preisgabe (8 8) militäriſcher 
Geheimniſſe. 

Verrat begeht, wer das Geheimnis vorſätzlich 
einem anderen mitteilt, es vorſätzlich in den Befitz 
oder zur Kenntnis eines anderen gelangen läßt, 
Ausſpähung, wer es in ſeinen eigenen Befitz oder 
zu ſeiner eigenen Kenntnis bringt. 

Das Weſen des Verrats und der Ausſpähung 
erfordert, daß deren Gegenſtand zur Zeit ihrer Be⸗ 
gehung bereits vorhanden, und daß er des Be⸗ 
ſitzes, d. i. des körperlichen, oder der Kenntnis, 
d. i. des geiſtigen Innehabens, fähig iſt. 

Weiter muß er zur Zeit der Mitteilung und der 
Ausſpähung geheim ſein. Geheim im Sinne des Ge⸗ 
ſetzes aber iſt er nicht nur dann, wenn er nur den 
zu ſeiner Kenntnis amtlich Berufenen bekannt iſt, 
ſondern auch dann, wenn er einem weiteren Per⸗ 
ſonenkreis bekannt oder zugänglich iſt, ſoferne nur 
zu ſeiner Erforſchung eine über das gewöhnliche 
Maß hinausgehende, bei der regelmäßig erfolgenden 
5 nicht übliche Erkundigung erforder⸗ 
ich iſt. 

In dieſem Sinne find z. B. geheim Gelände⸗ 
teile, die den regelmäßigen Bewohnern zwar be⸗ 
kannt find, deren ſür die Landesverteidigung bedeu⸗ 
tungsvolle Beſchaffenheit aber von Dritten erſt 
durch beſondere Ausforſchung erfaßt werden kann. 

Endlich iſt Vorausſetzung für Verrat und Aus⸗ 
ſpaͤhung, daß der Gegenſtand des Schutzes wegen 
der Landesverteidigung geheim zu halten iſt, was 
dann zutrifft, wenn ſeine Offenbarung die zur 
Verteidigung des Reichs getroffenen Maßnahmen 
zu beeinträchtigen geeignet iſt. 


838 


Da auch das neue Geſetz eine bindende Be⸗ 
ſtimmung des Begriffs militäriſcher Geheimniſſe 
nicht aufgeſtellt hat, hat jeweils das Gericht zu 
entſcheiden, ob dieſe Vorausſetzungen für den 
Schutz gegen Verrat, Ausſpähung und fahrläſſige 
Preisgabe gegeben find, alſo insbeſondere, ob etwas 
geheim und wegen der Landesverteidigung geheim 
zu halten iſt. 

Geheim zu haltende Gegenſtände und Nach⸗ 
richten find im Geſetz nicht im gleichen Umfang 
geſchützt. 

Verrat militäriſcher Geheimniſſe wird 
beſtraſt, wenn er vorſätzlich begangen wird. Dabei 
wird Vorſatz in doppelter Richtung vorausgeſetzt: 
der Vorſatz muß ſich erſtrecken auf die Mitteilung 
des Geheimniſſes an Dritte und auf eine Gefähr⸗ 
dung der Sicherheit des Reichs. In Abweichung 
vom Wortlaut des Geſetzes von 1893 iſt letztere 
Vorausſetzung nunmehr dadurch ausgedrückt, daß 
mit der Strafe des Verrats bedroht wird, wer 
vorſätzlich Gegenſtände und Nachrichten an Dritte 
gelangen laßt „und dadurch die Sicherheit des 
Reichs gefährdet“. Die Vorausſetzung vorſätzlicher 
Gefährdung iſt erfüllt, wenn der Täter bei der Mit⸗ 
teilung das Bewußtſein der Möglichkeit einer Ge⸗ 
fährdung, einer Schädigung der Sicherheit des 
Reichs hatte. 

Zu unterſcheiden von dem Vorſatz iſt die Ab⸗ 
ficht des Täters, die in der Regel nicht auf die 
Gefährdung der Reichsſicherheit, ſondern auf Geld⸗ 
erwerb gerichtet ſein wird. 

Waͤhrend der Verrat von geheim zu haltenden 
Gegenſtänden dann beſtraft wird, wenn die Mit⸗ 
teilung an einen beliebigen Dritten erfolgt, iſt der 
Verrat von Nachrichten mit Strafe bedroht nur 
dann, wenn die Mitteilung an eine ausländiſche 
Regierung oder an eine Perſon erfolgt, die für 
eine ſolche tätig iſt. 

Erhöhte Strafandrohung ſieht das Geſetz für 
den Fall vor, daß der Verrat einen ſchweren 
Schaden für die Sicherheit des Reichs zur Folge 
hatte, ſoferne der Täter dies vorausgeſehen und 
gegen Entgelt gehandelt hat. Entgegen dem Ent⸗ 
wurf, nach dem es zur Anwendung der erhöhten 
Strafandrohung genügte, wenn der Täter den Ein⸗ 
tritt des ſchweren Schadens vorausſehen konnte, 
alſo ſubjektiv in der Lage war, ihn vorauszuſehen, 
erfordert das Geſetz den Nachweis, daß der Taͤter 
den ſchweren Schaden als verbrecheriſchen Erfolg 
vorausgeſehen hat. Damit iſt die Anwendung 
der erhöhten Strafandrohung auf Falle ausge— 
ſchloſſen, in denen dem Taͤter der Eintritt des 
Schadens infolge Fahrläſſigkeit nicht zum Bewußt⸗ 
ſein gekommen war. 

Sie iſt nur möglich in Faͤllen des vollendeten 
Verrats. In dieſem Sinne äußert ſich nicht nur 
die im Lauf der Beratung unwiderſprochen ge: 
bliebene Begründung des Entwurfs, die darauf 
verweiſt, daß die Anwendbarkeit der erhöhten Straf. 
drohung den Eintritt des verbrecheriſchen Erfolges 


— — —— - — — — — — — — — ——t: —— ͤ a3 nn mn 


Zeitſchrift far Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


vorausſetzt — allerdings ſind auch Fälle des nur 
verſuchten Verrats denkbar, die den Eintritt eines 
ſchweren Schadens bereits zur Folge hatten, zumal 
als ſolcher unter Umſtänden auch eine ne 
Geſahr erachtet werden kann —, auch der 

laut des Geſetzes („hat der Verrat zur Folge 
gehabt“) ſpricht dafür, daß die erhohte Straf⸗ 
a nur bei vollendetem Verrat anwend⸗ 
ar i 

Gleich dem Geſetz vom Jahr 1893 iſt mit — 
geringerer — Strafe bedroht die vorjähliche und 
rechtswidrige Mitteilung von geheim zu haltenden 
Gegenſtänden, wenn ſie geſchieht ohne den Vorſatz. 
die Sicherheit des Reichs zu gefährden. Nicht be⸗ 
ſtraft aber wird die unter ſolchen Umſtänden er⸗ 
folgte Mitteilung von Nachrichten (3 2). 

Gegen die Ausſpähung in Verrats⸗ 
abſicht, in der Abſicht, ſie zu einer die Sicher⸗ 
heit des Reichs gefährdenden Mitteilung zu ge⸗ 
brauchen, find gleichzeitig geſchützt Gegenſtände und 
Nachrichten, letztere, ſoferne die Mitteilung an eine 
ausländiſche Regierung oder eine für ſie tätige 
Perſon erfolgen ſoll (8 3). 

Als ſtraferſchwerender Umſtand iſt neu in das 
Geſetz aufgenommen die Tatſache, daß Gegenſtand 
oder Nachricht dem Täter in ſeiner Eigenſchaft als 
deutſcher Beamter oder deutſche Militärperſon zu⸗ 
gänglich war. 

Die gegen Ausſpähung ohne Verratsab ficht 
gerichtete Strafdrohung bleibt beſchränkt auf ae 
heim zu haltende Gegenftände und bezieht fi 
nicht auch auf ſolche Nachrichten (8 4). 

Die Beſtimmungen über den Schutz gegen 
fahrläſſige Preisgabe militäriicher Geheim⸗ 
niſſe blieben dem Weſen nach unverändert ($ 8). 
Indem gegenüber der bisherigen Faſſung „wer in 
einer die Sicherheit des Deutſchen Reichs gefähr⸗ 
denden Weiſe“ geſetzt wurde „und dadurch die 
Sicherheit des Reichs gefährdet“, wurde nur der 
dem früheren Geſetz ſchon innewohnende Gedanke 
zu beſonders deutlichem Ausdruck gebracht, daß eine 
Gefährdung der Reichsſicherheit eingetreten und der 
Täter in der Lage geweſen ſein muß, die Ge⸗ 
fährlichkeit ſeiner Handlung für die Sicherheit des 
Reichs zu erkennen. 

Dagegen bleibt der Schutz gegen fahrläſſige 
Preisgabe beſchränkt auf geheim zu haltende Gegen⸗ 
ſtände unter Ausſchluß der Nachrichten und die 
Strafdrohung richtet ſich wie bisher nur gegen 
Perſonen, denen kraft ihres Amtes oder eines ihnen 
von amtlicher Seite erteilten Auftrags die Gegen⸗ 
ſtände zugänglich waren. Die Strafdrohung richtet 
ſich alſo nicht gegen jene, die auf Grund ihres 
Berufs oder Gewerbes Kenntnis von den Gegen⸗ 
ſtänden erlangen konnten, alſo nicht gegen die An⸗ 
geſtellten und Arbeiter der mit amtlichen Auf⸗ 
trägen Bedachten. (Schluß folgt). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


Kleine Mitteilungen. 


Vertreter und Beiſtände beim Sühnetermin in Be: 
leidigungsſachen. Nach 8 420 StPO. iſt die Erhebung 
einer Privatklage wegen Beleidigung, ſoferne die Par⸗ 
teien im Bezirk einer Gemeinde wohnen und nicht 
ein Fall des 8 196 StGB. vorliegt, erſt zuläſſig, 
nachdem von einer durch die Landesjuſtizverwaltung 
zu bezeichnenden Vergleichsbehörde die Sühne erfolg⸗ 
los verſucht worden iſt. Die Vornahme dieſes Sühne⸗ 
verſuches kann in Bayern gemäß Art. 80 AG. GVG. 
Gemeindebehörden übertragen werden. Hierbei find 
nach dem gleichen Artikel die Vorſchriften des Art. 100 
Abſ. 2, 3 und des Art. 144 Abſ. 2, 3 rechtsrh. GemO. 
für ganz Bayern entſprechend anzuwenden. Sie bes 
handeln die Folgen des Ausbleibens der beiden Par⸗ 
teien oder der klägeriſchen Partei im Sühnetermine, 
ſowie die Tax⸗ und Stempelfreiheit der Verhandlungen 
und Ausfertigungen des Vermittlungsamtes. 

Nähere Beſtimmungen über das Verfahren im 
Sühnetermin enthält das Geſetz nicht; insbeſondere 
iſt geſetzlich die Frage nicht geregelt, ob Vertreter 
und Beiſtände auftreten können. Dagegen enthält eine 
Bekanntmachung der Staatsminiſterien der Juſtiz und 
des Innern vom 5. Auguſt 1879 über das Verfahren 
einige Vorſchriften. Es wird hier in genauer An⸗ 
lehnung an Art. 100 Abſ. 1 Satz 1 und 2 Gem O., der 
vom gemeindlichen Vermittlungsamt bei bürgerlichen 
Rechtsſtreitigkeiten handelt, die Vornahme des Sühne⸗ 
verſuches den Bürgermeiſtern übertragen, die berech⸗ 
tigt fein ſollen, hiemit in Gemeinden mit ftädtifcher 
Verfaſſung ein anderes Magiſtratsmitglied oder einen 
höheren Gemeindebedienſteten, in den übrigen Ge⸗ 
meinden ein anderes Mitglied des Gemeindeausſchuſſes 
oder des Gemeinderates zu beauftragen. Bezüglich 
der Vertretungsmöglichkeit iſt beſtimmt, daß ſich der 
Beklagte im Termine durch einen Bevollmächtigten 
vertreten laſſen kann, der Kläger nur dann, wenn er 
die Unmöglichkeit perſönlichen Erſcheinens nachweiſt. 
Darüber, ob Rechtsanwälte als Vertreter, ferner ob 
Beiſtände zuzulaſſen ſind, ſagt die erwähnte Mini⸗ 
ſterialbekanntmachung nichts. 

Mit Entſchließung vom 11. März 1914 hat nun⸗ 
mehr das Staatsminiſterium des Innern im Einver⸗ 
ſtändnis mit dem Staatsminiſterium der Juſtiz die 
Zulaſſung von Beiſtänden, alſo ſowohl von berufs⸗ 
mäßigen (Rechtsanwälten) als auch von nicht berufs⸗ 
mäßigen Beiſtänden, mit folgender Begründung für 
unzuläſſig erklärt: 

1 „Für den Sühneverſuch in Beleidigungsſachen 
gelten die StPO. 8 420, das AG. GVG. Art. 80 und 
die Min Bek. vom 5. Auguſt 1879 (GVBl. S. 769). 
Dieſe Vorſchriften ſtellen eine ſelbſtändige Regelung 
dar, die nicht in Gegenſatz zur rechtsrheiniſchen GemO. 
Art. 100 Abſ. 1 gebracht werden darf, ſondern für 
ſich ſelbſt ausgelegt werden muß. Dies ergibt ſich 
ſchon daraus, daß die erwähnte Vorſchrift der rechts⸗ 
rheiniſchen GemO. in der pfälziſchen Gem . fehlt, 
während die Vorſchriften für das Verfahren in Be⸗ 
een für das ganze Königreich Geltung 
aben. 
— Nach der MinBek. vom 5. Auguſt 1879 Ziff. 2 
Abſ. IT iſt der Kläger grundſätzlich zum perſönlichen 
Erſcheinen verpflichtet; nur wenn es ihm — z. B. 
wegen Krankheit — unmöglich iſt zu erſcheinen, kann 
er ſich vertreten laſſen. Die Vertretung des Privat⸗ 
klägers iſt daher nur für den Fall nachweisbarer Ver⸗ 


339 


hinderung, nicht grundſätzlich zugelaſſen. Da die Ver⸗ 
beiſtandung die Anweſenheit der verbeiſtandeten Per⸗ 
ſonen begrifflich erfordert, geht es nicht an, aus der 
bedingten Zulaſſung von Vertretern die grundſätzliche 
Zuläſſigkeit der Verbeiſtandung zu folgern. Eine ſolche 
kann auch mit dem Sinne und Zwecke der Vorſchriften 
nicht in Einklang gebracht werden und iſt daher weder 
für den Kläger noch für den Beklagten zuläſſig. Weil 
die Verhandlungen unter dem Schutze des Amts⸗ 
geheimniſſes ſtehen, kann es ohne beſondere Vorſchrift 
auch nicht dem Ermeſſen der Vergleichsbehörde über⸗ 
laſſen ſein, ob ſie dieſen Schutz durch Zulaſſung des 
Beiſtandes der einen Partei — vielleicht entgegen dem 
Willen der anderen Partei — durchbrechen will. Die 
Zulaſſung eines Beiſtandes muß vielmehr als grund⸗ 
ſätzlich ausgeſchloſſen betrachtet werden.“ 

Der Geſetzgeber wollte — dieſer Gedanke kommt 
auch in der neuen Miniſterialentſchließung deutlich 
zum Ausdruck —, daß ſich die Parteien im Sühne⸗ 
termine wenigſtens in der Regel allein und per⸗ 
ſönlich gegenüber ſtehen. Der Zweck des Sühne⸗ 
termins, den Parteien die Gelegenheit zur Verſöhnung 
zu geben und das Klagerecht, wenn möglich, im Wege 
des Vergleiches zu beſeitigen, wird ohne Zweifel am 
leichteſten und beſten bei perſönlicher Anweſenheit 
beider Teile erfüllt. Auch in Zivilprozeſſen, wo doch 
die Vertretung teils geſetzlich angeordnet (8 78 ZPO.), 
teils in weiteſtem Umfange geſtattet iſt (8 79 3PO.), 
wird bei den Sühneverſuchen nach 8 296 ZPO. in der 
Praxis reichlicher Gebrauch von der geſetzlichen Mög⸗ 
lichkeit gemacht, das perſönliche Erſcheinen der Parteien 
anzuordnen. Bei Sühneverſuchen in Eheſtreitigkeiten 
iſt das perſönliche Erſcheinen der Parteien durch das 
Geſetz vorgeſchrieben. Es wäre eigenartig, wenn der 
Geſetzgeber gerade beim Sühneverſuch in Beleidigungs⸗ 
ſachen von der perſönlichen Anweſenheit der Parteien 
hätte abſehen und eine Vertretung grundſätzlich hätte 
zulaſſen wollen. Daß dem nicht ſo iſt, daß vielmehr 
der Geſetzgeber grundſätzlich eine perſönliche Ausſprache 
der Streitsteile herbeiführen will, iſt auch aus 8 420 
Abſ. 2 zu ſchließen, wonach ein Sühneverſuch nur dann 
vorgenommen werden ſoll, wenn die Parteien in dem⸗ 
ſelben Gemeindebezirke wohnen. 

Amtsgerichtsrat Riß (München) vertritt in einem 
in der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern 1906 
erſchienenen Aufſatze „Der Sühneverſuch in Privat⸗ 
klageſachen“ (S. 375) die Anſicht, daß ſich im Termine 
die Parteien regelmäßig ſelbſt einzufinden haben, läßt 
für den Antragſteller nur ausnahmsweiſe, nämlich nur 
im Falle nachweisbarer Verhinderung am perſönlichen 
Erſcheinen, für den Gegner des Antragſtellers da⸗ 
gegen ausnahmslos eine Vertretung zu. Den gleichen 
Unterſchied in der Vertretungsmöglichkeit für den 
Kläger und Beklagten macht die Min Bek. vom 5. Auguſt 
1879. Der Grund iſt nicht erſichtlich. Wünſcht der 
Beklagte aus irgendeinem Grunde keine Verſöhnung, 
ſo braucht er zum Sühnetermine nicht zu kommen: 
der Kläger kann dann gerichtlich vorgehen. Wünſcht 
er eine Verſöhnung oder eine Aufklärung des Falles, 
ſo mag er perſönlich kommen. Warum ſoll der Be⸗ 
klagte durch die Möglichkeit, ſich durch einen wort⸗ 
gewandten Bevollmächtigten vertreten zu laſſen, u. U. 
beſſer geſtellt werden als der Kläger, der beleidigt 
iſt oder beleidigt zu ſein glaubt? Es iſt auch darauf 
hinzuweiſen, daß der Geſetzgeber bei der Anordnung 
eines Sühneverſuches in 8 420 StPO. von einer Ver⸗ 
tretungsmöglichkeit nichts erwähnt, dagegen ſpäter in 


340 


8 427 StPO. die Zulaſſung einer Vertretung oder 
Verbeiſtandung des Angeklagten durch einen Rechts⸗ 
anwalt in der Hauptverhandlung ausdrücklich 
hervorhebt. 

Nun erklärt Loewe zu (8 420 StPO. S. 978) jede 
Vertretung der Parteien im Sühnetermine für un⸗ 
ſtatthaft. Dieſer Anſicht iſt entgegenzuhalten: eben⸗ 
ſo wie der perſönlich (durch Krankheit, Reiſe, Gerichts⸗ 
termin uſw.) verhinderte Kläger ein berechtigtes Inter⸗ 
eſſe daran hat, zur Einhaltung der Antragsfriſt durch 
einen Vertreter den Sühnetermin wahrnehmen zu laſſen, 
ebenſo kann der perſönlich nicht abkömmliche Beklagte 
ein lebbaftes Intereſſe an einer außergerichtlichen Bei⸗ 
legung des Streites vor einer Amtsperſon haben. 

Die Anſicht Loewes geht zu weit. Andererſeits 
aber entſpricht m. E. die Regelung der Vertretungs⸗ 
möglichkeit in der Min Bek. vom 5. Auguſt 1879 nicht 
dem Willen des Geſetzgebers. Die Bekanntmachung 
ſollte in dieſem Punkt abgeändert werden. Es ſollte 
ſowohl für den Kläger wie auch für den Bes 
klagten grundſätzlich das perſönliche Erſcheinen ge⸗ 
fordert und für beide Teile nur im Falle nachweis⸗ 
barer Verhinderung eine Vertretung zugelaſſen werden. 

Die weitere Frage, ob als Vertreter im Sühne⸗ 
termin auch Rechtsanwälte zuzulaſſen find, muß nach 
der Anſicht Loewes ohne weiteres verneint werden. 
Wer jedoch eine 5 in beſchränktem Umfange 
für zuläſſig erachtet, muß die Frage geſondert prüfen. 
Auch hier wäre eine Stellungnahme des Miniſteriums 
am Platze. Denn nach der derzeitigen miniſteriellen 
Regelung müßten Rechtsanwälte als Beiſtände zurück⸗ 
gewieſen, als Vertreter aber zugelaſſen werden. 

Die große Mehrzahl der Rechtsanwälte läßt in 
richtiger Erkenntnis des Weſens des Sühneverſuches 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


ſtreitigkeiten zuſteht und welche ſich daher unzweifel⸗ 
haft zur Uebernahme der hier fraglichen ganz gleich⸗ 
artigen Tätigkeit am beſten eignen.. Die 
Regelung des Verfahrens bei Vornahme des Sühne⸗ 
verſuchs wird ſich am zweckmäßigſten an die erprobten 
Vorſchriften anſchließen, welche bisher für das Ver⸗ 
mittlungsamt der Gemeinden in bürgerlichen Rechts⸗ 
ftreitigfeiten gegolten haben.“ Es wäre nicht einzu⸗ 
ſehen, warum der Geſetzgeber gerade in dem einen 
wichtigen Punkte — Zulaſſung von Rechtsanwälten — 
das Verfahren vor dem Sühneamt anders hätte regeln 
wollen, als das Verſahren vor dem Vermittlungsamt 
für bürgerliche Rechtsſtreitigkeiten. 

Dr. Volkhardt, Leiter des ſtädtiſchen Nachrichtenamts 

in Nürnberg. 


Fine Frage aus dem Pflegſchaftsrecht. Der Kauf 
mann Bu. hat gegen den Landwirt Bi. eine im Jahre 
1878 ausgeklagte Forderung. Bi. iſt landesabweſend, 
für ihn iſt S. als Abweſenheitspfleger beſtellt. S. 
verwaltet als ſolcher ein von Bi. in der Zwiſchenzeit 
ererbtes Vermögen, das er bei der Diſtriktsſparkaſſe 
H. anlegte. Nun erwirkte Bu. einen Pfändungsbeſchluß 
des Amtsgerichts, wonach der dem Bi. gegen S. 
zuſtehende Anſpruch auf Auszahlung des ererbten 
Vermögens gepfändet und dem Bu. bis zum Belaufe 
ſeines Guthabens zur Einziehung überwieſen wurde. 
Der Pfändungsbeſchluß wurde S. ordnungsgemäß 
zugeſtellt. S. gab die Drittſchuldnererklärung nach 
8 840 3PO. dahin ab, daß er zwar die Erbſchaft 
in Händen habe, daß er aber Zahlung verweigere, 


die Partei nach vorheriger Beratung perſönlich zum weil die Forderung des Bu. verjährt ſei. Bu. ſtellte 
Sühneamt gehen. Soweit eine Vertretung erforder⸗ darauf Klage gegen S. auf Auszahlung feines Guthabens. 


lich und zuläſſig iſt, kann ſich die Partei durch eine 


Vertrauensperſon ihres Verwandten⸗ oder Bekannten⸗ 


kreiſes vertreten laſſen. Es liegt im Weſen der Ein⸗ 
richtung des Sühneamtes, daß keine Koſten erwachſen. 
Bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt ſcheitert 
ſehr häufig der Vergleich an der Uebernahme der 
Vergleichsgebühr, auf deren Feſtſetzung die Vergleichs⸗ 
behörde keinen Einfluß hat, es ſei denn, daß der Rechts⸗ 
anwalt — was aber nie geſchiebt — die Feſtſetzung 
einer Gebühr durch die Vergleichsbehörde beantragt 
(vgl. Riß a. a. O. S. 377). Bei dem gemeindlichen 
Vermittlungsamt für bürgerliche Rechtsſtreitigkeiten 
iſt die Zulaſſung von Rechtsanwälten gemäß Art. 100 
Abſ. 1 Satz 4 und Art. 144 Abſ. 1 Satz 4 GemO. 
ausdrücklich ausgeſchloſſen. In Art. 80 AG. GVG. iſt 
nun allerdings nur Abſ. 2 und 3, nicht auch Abſ. 1 
des Art. 100/144 a. a. O. für anwendbar erklärt. Eine 
Folgerung kann jedoch hieraus im Hinblick auf das 
Weſen des Sühneamtes ſowie im Hinblick auf die 
Motive zu der erwähnten Beſtimmung des AG. GBG. 
nicht gezogen werden. Die Motive laſſen keinen 
Zweifel darüber zu, daß das Verfahren vor dem 
Sühneamte dem Verfahren des bereits vor 1879 im 
rechtsrheiniſchen Bayern beſtehenden gemeindlichen 
Vermittlungsamtes für Rechtsſtreitigkeiten angepaßt 
werden ſollte. „Für Bayern“ — ſo heißt es in den 
Motiven — „wird es zweckmäßig erſcheinen, die Er— 
füllung dieſer Aufgabe denjenigen Beamten zu über⸗ 
tragen, welchen gemäß Art. 100 und 144 Gem O. für 
die Landesteile rechts des Rheins vom 29. April 1869 
bereits das Vermittlungsamt in bürgerlichen Rechts- 


| 


S. brachte in der mündlichen Verhandlung wiederum 
den Verjährungseinwand. Das Amtsgericht H. ver⸗ 
urteilte den Beklagten dem Klageantrag entſprechend 
mit der Begründung, daß den Verjährungseinwand nur 
der Schuldner Bi. nicht aber der Drittſchuldner S. 
bringen könne, und daß S. als Abweſenheitspfleger 
für Bi. gegen den Pfändungsbeſchluß den Veriährungs⸗ 
einwand im Wege der Vollſtreckungsgegenklage nach 
8 767 3PO. hätte erheben müſſen. . 

Das Landgericht B. als Berufungsinſtanz hob dieſes 
Urteil auf und wies die Klage ab. In den Gründen 
heißt es: 1. S. iſt als Abweſenheitspfleger des Bi. 
den Gläubigern des Bi. gegenüber nicht Drittſchuldner, 
ſondern geſetzlicher Vertreter des Schuldners, gegen 
den die Zwangsvollſtreckung wie gegen den Schuldner 
zu betreiben iſt. Es hätte alſo ein Pfändungsbeſchluß 
gegen die Diſtriktsſparkaſſe erwirkt werden müſſen. 
2. Ein Anſpruch des Bi. gegen S. auf Auszahlung 
des von ihm verwalteten Vermögens beſteht erſt nach 
Beendigung der Abweſenheitspflegſchaft (8 1921 BGB.). 
Da ein ſolcher Anſpruch jetzt alſo nicht beſteht, kann 
Bu. auch nicht Zahlung verlangen. Denn für alle 
Fälle iſt der den Gegenſtand der Zwangsvollſtrek⸗ 
kung bildende Anſpruch noch nicht fällig. 

Ich balte das landgerichtliche Urteil in beiden 
Punkten für verfehlt und zwar aus folgenden Gründen: 

1. Als Abweſenheitspfleger iſt S. allerdings 
geſetzlicher Vertreter des Bi. Allein das ſchließt doch 
nicht aus, daß Bi. gegen den geſetzlichen Vertreter S. 
einen Anſpruch auf Herausgabe des von S. verwalteten 
Vermögens des Bi. hat. Dieſen Anſpruch hat Bu. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


gepfändet und zur Einziehung überwieſen erhalten. 
Damit iſt dieſer Anſpruch des Bi. gegen S. an Bu. 
übergegangen (8 835 ZPO.). Bu. hat jetzt an Stelle 
des Bi. den Herausgabeanſpruch gegen S. S. kann 
in dieſem Verfahren den Verjährungseinwand nicht 
bringen, da es ſich jetzt nicht um die urſprüngliche 
Forderung 
Bu. übergegangene Forderung des Bi. gegen S. 
handelt. 


2. Ein Pfändungsbeſchluß gegen die Diſtrikts⸗ 
ſparkaſſe war nicht veranlaßt, da ſie nur die Stelle 
war, bei welcher S. das Geld aufbewahrte. Er hätte 
es geradeſogut in ſeinen Kaſſenſchrank legen können. 
Er konnte nach wie vor über das Geld verfügen und 
kann es jederzeit auszahlen. 

3. Unrichtig iſt, daß ein Anſpruch des Bi. gegen 
S. nicht beſteht. Bei der Abweſenheitspflegſchaft iſt 
der Pflegbefohlene als ſolcher in ſeiner Geſchäfts⸗ 
fähigkeit nicht beſchränkt (vgl. Staudinger Anm. 6a 
zu 8 1911 BGB.). Er kann alſo jederzeit das ihm 
gehörige Vermögen vom Pfleger verlangen, ganz 
gleichgültig, ob die Pflegſchaft aufgeboben iſt oder 
nicht; 8 1921 BGB. ſpricht nicht gegen dieſe Auffaſſung, 
er handelt nur von der Aufhebung der Pflegſchaft. 


4. Auch die Anſchauung, daß jedenfalls der An⸗ 
ſpruch des Bi. noch nicht fällig ſei, iſt damit widerlegt. 
Denn da Bu. durch den Pfändungs⸗ und Ueberweiſungs⸗ 
beſchluß nach 8 835 ZPO. an die Stelle des Bi. 
getreten iſt, kann er jederzeit die Herausgabe bis zum 
Belaufe ſeiner Forderung verlangen. Sowie Bu. 
505 Herausgabe verlangt, iſt daher der Anſpruch auch 

ig. 
Rechtsanwalt Dr. Werner in Bamberg. 


Aus der Lechtſprechung. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 


1 


Höchſtbetragshypsthek für den Ausfall bei einer 
anderen Hypsthek oder Geſamthypsthek? In einem 
Vertrage vom 14. April 1910, durch den eine Aktien⸗ 
geſellſchaft ihr Grundſtück Röhrengaſſe Nr. 26 in H. 
an die S.ſchen Eheleute verkaufte, bewilligten dieſe 
1. in Höhe des Kaufgeldteilbetrages von 7000 M die 
Eintragung einer Hypothek auf dem gekauften Grund⸗ 
ſtücke, 2. „zur größeren Sicherung jenes Kaufpreis⸗ 
teilbetrages die Eintragung einer Sicherungshypothek 
bis zur Höhe von 5000 M auf ihrem Grundſtück in 
Z.“. Bei einer ſpäteren Zwangsverſteigerung des mit 
der Sicherungshypothek belaſteten Grundſtücks entfiel 
auf dieſe der volle Betrag von 5000 K. Auf den Be⸗ 
trag erhoben jedoch die Gläubiger von Nachhypotheken 
Anſpruch; ſie machten geltend, daß die Sicherungs⸗ 
hypothek rechtsunwirkſam ſei, weil dieſe Hypothek und 
die auf dem Grundſtücke H. Röhrengaſſe Nr. 26 haftende 
Berkehrshypothek von 7000 M als Geſamthypothek für 
eine und dieſelbe Forderung beſtellt worden ſeien und 
deswegen ihre Eintragung überhaupt nicht habe er⸗ 
folgen dürfen. Die Beklagte hat demgegenüber ein⸗ 
gewendet, daß die Sicherungs hypothek, wie ſich aus 
dem Inhalte der Eintragungsbewilligung ergebe, nur 
zur Sicherung wegen des etwaigen Ausfalls der Kauf⸗ 
preishypothek von 7000 M beſtellt worden ſei, und 
daß es ſomit nicht zutreffe, daß die Sicherheitshypothek 


des Bu. gegen Bi., ſondern um die an. 


341 


für die nämliche Forderung unbedingt begründet 
worden ſei. Das RG. wies im Gegenſatze zu den Vor⸗ 
inſtanzen den Anſpruch ab. 

Aus den Gründen: Das OLG. erachtet es 
für ausgeſchloſſen, daß die auf dem Grundſtücke in H. 
i Sicherungshypothek als Höchſtbetrags⸗ 
hypothek angeſehen werden könne, meint vielmehr, 
daß die Sicherungshypothek mit der auf dem Grund⸗ 
ſtücke in H. Röhrengaſſe Nr. 26 haftenden Verkehrs⸗ 
hypothek von 7000 M eine unbedingte Geſamthypothek 
darſtelle, und gibt deswegen den Klaͤgern darin recht, 
daß die Eintragung der Sicherungshypothek unzuläſſig 
ſei und deswegen dieſe auch im Verſteigerungsverfahren 
nicht habe geltend gemacht werden können. Dem OLG. 
kann jedoch nicht beigetreten werden. Allerdings kann 
die Hypothek nur dann als Höchſtbetragshypothek 
angeſprochen werden, wenn der Inhalt des Eintrags 
ſelbſt dieſen ihren Charakter ergibt. Das trifft aber 
auch zu. Das OLG. hat nicht berückſichtigt, daß der 
Eintrag lautet: „Sicherungshypothek bis zur Höhe 
von 5000 M.. .. Dieſe Faſſung weiſt ohne weiteres 
auf den die Höchſtbetragshypothek behandelnden 8 1190 
BGB. hin. In der Erklärung, daß ein Gegenſtand 
„bis zur Höhe“ des bezeichneten Betrages zur Siche⸗ 
rung dienen ſoll, liegt ſchlechthin ausgeſprochen, daß 
der Betrag noch nicht feſtſteht, für den der Gegen⸗ 
ſtand dereinſt in Anſpruch genommen werden darf, 
daß ſonach die Haftung erſt von künftigen Ereigniſſen 
oder künftiger Vereinbarung begrenzt wird. Demnach 
bliebe es aber einſtweilen auch noch ungewiß, ob der 
Haftungsfall überhaupt eintreten werde, da die Um⸗ 
ſtände ergeben könnten, daß eine zu deckende Schuld 
ſchließlich nicht beſtehe. So liegt die Sache auch bei 
einer Höchſtbetragshypothek i. S. des § 1190, bei der 
nur der Höchſtbetrag beſtimmt wird, bis zu dem das 
Grundſtück haften ſoll, im übrigen aber die W 
der Forderung noch vorbehalten wird. Anders ver⸗ 
hält es ſich dagegen bei einer Sicherungshypothek nach 
8 1184, durch die eine fofortige und eine unbedingte 
Haftung des Grundſtücks in Höhe der angegebenen 
Forderung begründet wird. Der Inhalt des Eintrags 
läßt hier auch mit Deutlichkeit erkennen, wovon bei der 
in Rede ſtehenden Sicherungshypothek der Haftungs⸗ 
fall und die etwaige Haftungsgrenze abhängig ge⸗ 
macht worden find. Der Eintrag lautet: „Sicherungs⸗ 
hypothek bis zur Höhe von 5000 M zur Sicherung 
des im Grundbuche von H. Bl. 16515 in Abt. III unter 
Nr. 2 verzeichneten Kaufpreisteiles von 7000 M für 
die Aktiengeſellſchaft . .. Hieraus geht alſo her⸗ 
vor, daß es von der Einbringlichkeit des bezeichneten 
Kaufpreisteiles abhängig ſein ſollte und abhängig 
gemacht worden iſt, in welcher Höhe das mit der 
Sicherungshypothek belaſtete Grundſtück einſtmals in 
Anſpruch zu nehmen ſein wird und ob die Sicherungs⸗ 
hypothek überhaupt geltend gemacht werden dürfe. 
Soweit der zu ſichernde Betrag der Kaufpreisforderung 
aus dem Grundſtücke H. Bl. 16515 bereits Deckung 
erhielte, ſollte das Grundſtück in Z. überhaupt nicht 
haften; das Gegenteil ſollte dagegen eintreten, ſobald und 
ſoweit die Forderung aus dem Grundſtücke H. Bl. 16515 
uneinbringlich ſein würde, freilich immer nur mit der 
Maßgabe, daß das zuerſt bezeichnete Grundſtück nur 
bis zu 5000 M haften ſollte. Das alles geht ſchon 
aus dem Eintragungsvermerke hinreichend ſicher her⸗ 
vor, wenngleich die Eigenſchaft der Sicherungshpothek 
als Höchſtbetragshypothek und als Ausfallshypothek 
im angegebenen Sinne noch deutlicher hätte ausge⸗ 
drückt werden können und im Intereſſe der Verkehrs⸗ 
ſicherheit hätte ausgeſprochen werden ſollen. Geht 
man nunmehr davon aus, daß ſich die in Rede ſtehende 
Sicherungshypothek ihrer Eintragung nach als eine 
Ausfallshypothek darſtellt, dann läßt ſich die Annahme 
des Berufungsgerichts, daß ihre Eintragung unzuläſſig 
war, und daß auf Grund ihrer bei der Zwangsver⸗— 
ſteigerung Rechte nicht geltend gemacht werden durften, 


342 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


keinesfalls halten. Die Eintragung war vielmehr zu⸗ 
läſſig und durch fie iſt ein verfolgbares Recht an dem 
Grundſtücke begründet worden. (Bgl. RG 3. Bd. 70 S. 248, 
249). Urt. des V. ZS. vom 6. Mai 1914, v. 4. 1914). 
3436 E. 


II. 

Ir $ 1610 BGB.: Können bei der Bemeſſung des 
Unterhalts für ein minder jähriges Kind neben den Ber: 
hältuifien des Baters auch die der Großeltern berüd: 
ſichtigt werden? Aus den Gründen: Das Lc. 
hatte ausgeführt, die Lebensſtellung des minderjährigen 
Kindes ergebe ſich aus der Stellung des Vaters. Das 
gelte auch nach der Scheidung der Ehe der Eltern. 
Eine wirtſchaftlich günſtigere Lage der beiderſeitigen 
Großväter komme rechtlich nicht in Betracht. Die 
Unterhaltsanſprüche der Kläger ſeien daher nach der 
Lebensführung der Eltern zu beurteilen; es ſei zu 
prüfen, wie groß der Verbrauch der Eltern der Kläger 
vor der Scheidung . ſei. Dieſer habe jährlich 
durchſchnittlich 3100 1 betragen. Auf dieſer Grund⸗ 
lage hatte das LG. für die beiden Kläger zuſammen 
eine Jahresrente von 1600 M für angemeſſen erachtet, 
wovon die Hälfte mit 800 M vom Beklagten, als dem 
Großvater väterlicherſeits, aufzubringen ſei. Das OLG. 
hält dieſe Begründung rechtlich nicht für zutreffend 
und führt ſeinerfeits aus: Es ſei allerdings richtig, 
daß der ſtandesmäßige Unterhalt in erſter Linie nach 
den Verhältniſſen des Vaters der Kläger zu bemeſſen 
ſei. Das LG. überſehe aber, daß in den Bermögens- 
verhältniſſen der Begriff der Lebensſtellung nicht er⸗ 
ſchöpft werde. Möge auch der Vater der Kläger in 
ſolge ſeines Geſundheitszuſtandes oder beſonderer Um⸗ 
ſtände anderer Art wirtſchaftlich heruntergekommen 
ſein und augenblicklich als gewöhnlicher Lohnſchreiber 
ſeinen Lebensunterhalt kärglich verdienen, ſo ſei doch 
nicht außer acht zu laſſen, daß ſeine geſamte Lebens⸗ 
ſtellung nicht die eines einfachen Arbeiters ſei. Sein 
Vater ſei ein wohlhabender Kaufmann und gehöre 
dem gebildeten beſſeren Mittel ſtande an. Er ſelbſt ſei 
dementſprechend erzogen worden und ſei als ſelbſtändiger 
Kaufmann tätig geweſen. Seinem Stande entſprechend 
habe er die Tochter eines bemittelten und gleichfalls 
gebildeten, dem beſſeren Mittelſtande angehörenden 
Mannes geheiratet. Die Lebensſtellung der ganzen 
Familie müſſe aber bei Bemeſſung des ſtandesgemäßen 
Unterhaltes mitberückſichtigt werden, und es ſei ver⸗ 
fehlt, lediglich die gegenwärtige Einnahme oder den 
Verbrauch des Vaters während der Ehe ausſchließlich 
zugrunde zu legen. Man werde alſo zu fragen haben, 
welche Mittel erforderlich ſeien, um die Kläger als 
Kinder von guter Herkunft zu unterhalten, ohne die 
derzeitigen fehr beſcheidenen Verhältniſſe ihres Vaters 
außer acht zu laſſen. Unter den obwaltenden Um— 
ſtänden ſei ein Unterhaltsbeitrag von etwa 2000 A 
jährlich für beide Kläger zuſammen angemeſſen, ſo 
daß der Beklagte die Hälfte, d. h. monatlich 85 M zu 
zahlen habe. Die Reviſion bekämpft dieſe Ausführungen 
des OLG. und hält den Rechtsſtandpunkt des LG. für 
den richtigen. Es kann ihr aber nicht beigetreten 
werden. Der Senat hat bereits im Urteile vom 
24. Jannar 1910, IV 103/09, in einem ähnlich liegenden 
Falle ausgeſprochen, darauf, daß der Vater in feinen Eins 
kommens- und Bermögensverhältnifien zurückgegangen 
ſei, könne kein entſcheidendes Gewicht gelegt werden. Bei 
der Beurteilung der Lebensſtellung des minderjährigen 
Kindes ſei auf die geſamten Verhältniſſe der Familie, 
insbeſondere auch auf die geſellſchaftliche Stellung und 
die Vermögensverhältniſſe der Großeltern, die ihren 
fortwirkenden Einfluß auf die Stellung des Kindes 
und ſeines Vaters behielten, Rückſicht zu nehmen (vgl. 
auch. Mot. z. BOB. Bd. 4 S. 6478 und Urteil des 
Senats vom 22. September 1913, IV 212,13). Damit 
befindet ſich die Entſcheidung des Ovch. im Einklang. 
(Urt. d. IV. ZS. vom 20. April 1914, IV 709,1913). 

3435 E. 


III. 


Beruhen der im Nechtsſtreit erhobene und der Noſten⸗ 
erftattungsanfprud aus einem Boryrszeß auf demſelben 
8 de Verhältnis? Aus den Gründen: 20. 
und OLG. haben die Geltendmachung eines Zurück⸗ 
behaltungsrechts durch den Beklagten für unzuläſſig 

lärt, weil der im § 273 BG. geforderte rechtliche 


Nee nicht gegeben ſei. Das wird von der 


eviſion mit Recht angegriffen. Allerdings iſt die 
Koſtenerſtattungspflicht nach SS 91 ff. ZB O. von dem 
im Rechtsſtreite geltendgemachten Anſpruche grund» 
ſätzlich (eine Ausnahmebeſtimmung enthält der 8 97 
Abſ. 3) inſofern unabhängig, als ſie die unterliegende 
Partei ohne Rückſicht darauf trifft, welcher Anſpruch 
von dem Kläger erhoben war; doch kann daraus 
nicht mit dem OLG. und der von ihm angezogenen 
Entſcheidung des OLG. Braunſchweig (Rſpr. 22 S. 188) 
gefolgert werden, daß für die Zuläſſigkeit der Geltend⸗ 
machung eines Zurückbehaltungsrechts wegen eines 
Anſpruchs auf Erſtattung von Prozeßkoſten der in 
dem Vorprozeſſe geltendgemachte Klaganſpruch ohne 
jede Bedeutung ſei. Die Anſicht des B. würde dahin 
führen, ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines ſolchen 
Anſpruchs faſt ausnahmslos zu verſagen. Nach feſt⸗ 
ſtehender Rechtſprechung des RG. (RG. 57, 7; 68, 34; 
72, 65 und 103; 78, 336; 83, 268) erfordert der 8 273 
nicht, daß der Anſpruch und der Gegenanſpruch auf 
demſelben Rechts grunde beruhen, ſondern es genügt 
die natürliche Einheitlichkeit des tatſächlichen Berhält: 
niſſes, die es als gegen Treu und Glauben verſtoßend 
erſcheinen läßt, wenn die eine Partei von der anderen 
die Leiſtung verlangt, die von ihr geſchuldete aber 
nicht gewähren will. Ein ſolcher Zuſammenhang iſt 
aber auch in einem Falle, wie er hier vorliegt, ge⸗ 
geben, wenn der Kläger auf Grund desſelben Rechts⸗ 
verhältniſſes, auf dem ſein Anſpruch beruht, in dem 
Vorprozeß einen unbegründeten Anſpruch erhoben hal 
und der Beklagte die Erſtattung der Koſten dieſes 
Vorprozeſſes begehrt. (Urt. d. III. ZS. vom 16. Juni 
1914, III 137/14). 

3431 


IV. 


Kein Bertragbanſpruch der Hinterbliebenen des auf 
einer Eisbahn tödlich verunglückten gegen den Unter⸗ 
nehmer. Aus den Gründen: Nicht begründet iſt 
die Ausführung der Reviſion, daß der Klaganſpruch 
auch auf vertragliche Haftung des Beklagten ſich ſtützen 
könne. Mag auch ein Vertragsverhältnis zwiſchen 
dem Ehemann der Klägerin und dem Beklagten be⸗ 
ſtanden haben, ſo kann doch die Klägerin hieraus 
weder für ſich noch für ihre Kinder Anſprüche herleiten. 
Der Klaganſpruch kann nur auf § 844 BGB. gegründet 
werden. 8 844 iſt aber nur auf unerlaubte Hand⸗ 
lungen ſowie im Falle des 5 618 BGB. anwendbar. 
Die Verletzung eines Vertrags gibt im allgemeinen 
dem Vertragsgenoſſen nur einen Anſpruch auf Griag 
des ihm entſtandenen Schadens. (Urt. d. III. ZS. vom 
23. Juni 1914, III 152/14). 

3432 


B. Strafſachen. 


1 


Bauwerk i. S. des 5305 StGB. Aus den Gründen: 
Das LG. erachtet allein die Mauer, deren teilweiſen 
Einſturz der Angeklagte verurſacht haben ſoll, für ein 
„Bauwerk“ i. S. des $ 305 StGB. Dem ſteht allerdings 
entgegen, daß ein weſentliches Merkmal des Bauwerkes. 
i. S. dieſer Beſtimmung ſeine Selbſtändigkeit bildet, daß 
das Bauwerk ein in ſich abgeſchloſſenes Ganzes darſtellen 
muß (RG St. Bd. 15 S. 263 ([265]). Dieſe Eigenſchaft 
hat der in Rede ſtehenden Mauer offenſichtlich gefehlt, 


— Le it 


Sie war ein notwendiger Beſtandteil der im Bau bes 
Ba Remiſe, die z. Z. der Tat ſoweit fertig war, 

aß mit den Zimmerarbeiten begonnen werden ſollte. 
Sie ſollte als Brandmauer gegen das den Eltern des 
Angeklagten gehörige Nachbargrundſtück dienen, bildete 
aber im übrigen eine der vier Umfaſſungsmauern des 
künftigen Gebäudes und war allein bis in das zweite 
Stockwerk aufgeführt, während die drei übrigen Um⸗ 
faſſungswände nur bis zur Höhe des Untergeſchoſſes 
reichten. Daß aber dieſer ſo geſtaltete Neubau, trotz⸗ 
dem er noch kein vollendetes Gebäude war, ſeiner ge⸗ 
ſamten äußeren Erſcheinung nach als Bauwerk i. S des 
Geſetzes angeſehen werden kann, iſt nach der ſtändigen 
Rechtſprechung des RG. nicht zweifelhaft (RGCE. Bd. 30 
S. 246, RGRſpr. Bd. 6 S. 477 [478]). Das Geſetz ver⸗ 
ſteht unter „Bauwerk“ nichts anderes, als was auch 
der allgemeine Sprachgebrauch hierunter verſtanden 
wiſſen will. Dementſprechend kann eine nach den Regeln 
der Baukunſt vorgenommene und mit Grund und Boden 
dauernd verbundene bee eier von Bauſtoffen, 
wie bei dem in Rede ſtehenden Remiſenneubau, an dem 
die Maurerarbeiten im weſentlichen ſchon beendet ſein 
müſſen, unbedenklich ein „Bauwerk“ genannt werden, 
deſſen teilweiſe Zerſtörung verurſacht zu haben, der An⸗ 
geklagte überführt iſt. Der von ihm zu vertretende Ein⸗ 
ſturz eines Teiles der Brandmauer machte erkennbar 
dieſe und damit den ganzen Neubau für ſeine Zweck⸗ 
beſtimmung Sabana (RG Rſpr. Bd. 7 S. 274 [275 )); 
denn dieſer konnte nicht vollendet werden, ohne daß 
die eingeſtürzten Mauerteile wieder ergänzt wurden. 
Die Annahme, daß der Angeklagte ein „Bauwerk“ 
teilweiſe zerſtört habe, iſt alſo gerechtfertigt, wenn auch 
die Gründe des Urteils nicht durchweg einwandfrei 
find. (Urt. des I. StS. vom 18. April 1914, 1 D 207/14). 

3421 E. 


II 


5 GSrundſatze der Spezialität im Anslieferungs: 
verkehr beſonders mit Oeſterreich; darf wegen Vergehens 
des Diebſtahls verurteilt werden, wer von dort wegen 
ſchweren Diebſtahls ausgeliefert iſt? Aus den 
Gründen: Die Reviſion behauptet mit Unrecht, der 
Angeklagte habe, weil nur wegen ſchweren Diebſtahls 
ausgeliefert, nicht wegen einfachen Diebſtahls ver⸗ 
urteilt werden dürfen. Allerdings iſt in dem Haft⸗ 
befehl, der dem an das öſterreichiſche Gericht geſtellten 
Auslieferungsbegehren beigefügt war, dem Angeklagten 
ein ſchwerer Diebſtahl i. S. des § 243 Abſ. 1 Nr. 3 zur 
Laſt gelegt. Im Auslieferungsverfahren hat die öſter⸗ 
reichiſche Gerichtsbehörde, das Kreisgericht in N., zu⸗ 
nächſt geprüft, ob genügende Beweiſe für die Schuld 
des Angeklagten hinſichtlich des Diebſtahls vorliegen. 
Auf Beibringung des geforderten Nachweiſes iſt die 
Auslieferung erfolgt, über welche nur das Telegramm 
„Auslieferung B. bewilligt“ Auskunft gibt. Das LG. 
hat ſodann das Hauptverfahren wegen ſchweren Dieb⸗ 
ſtahls eröffnet, es ſtand aber der Verurteilung wegen 
einfachen Diebſtahls nichts im Weg, nachdem ſich in der 
Hauptverhandlung der Nachweis des Erſchwerungs⸗ 
grundes nicht hatte erbringen laſſen. Denn wenn auch 
ein Staat die Auslieferung nur wegen einer beſtimmten 
ſtrafbaren Handlung bewilligt, deren Nachweis er ge⸗ 
prüft hat (Grundſatz der Spezialität), ſo folgt daraus 
nicht, daß der Ausgelieferte nur unter dem in dem 
Auslieferungsgeſuch angenommenen rechtlichen Geſichts— 
punkt abgeurteilt werden darf. Wie das RG. in 
ſtändiger Rechtſprechung anerkannt hat, bleibt die 
Würdigung im Auslieferungsbegehren bedeutungslos, 
wenn die Tat nur in der rechtlichen Beſchaffenheit, 
die ihr der urteilende Richter nach dem Ergebnis der 
Verhandlung beilegen zu müſſen glaubt, unter die⸗ 
jenigen ſtrafbaren Handlungen fällt, wegen derer nach 
dem Vertrag die Auslieferung überhaupt beantragt 
oder bewilligt werden kann (RG. 27, 127 u. 413; 
30, 440; 31, 428; 33, 388; 34, 68; 36, 345). Das 


ZBeeitſchrift fur Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 


18. 343 


trifft aber zu nach dem Inhalt des Beſchluſſes der 
Deutſchen Bundesverſammlung vom 26. Januar 1854, 
„wegen gegenſeitiger Auslieferung von Perſonen, welche 
wegen gemeiner Verbrechen oder Vergehen zur Unter⸗ 
EEE, gezogen worden find“, (verkündet für Bayern 

eg öl. 1854, S. 209), der das Auslieferungsverfahren 
zwiſchen dem Königreich Bayern und den zum ehe⸗ 
maligen Deutſchen Bund gehörigen Kronländern der 
öſterreichiſchen Monarchie, alſo einſchließlich Mährens, 
regelt und heute noch gilt (RG. 43, 264, 265). Hier⸗ 
nach findet die Auslieferung allgemein ſtatt, falls nach 
den Geſetzen des erſuchten Staates die ſtrafbare Hand⸗ 
lung als Verbrechen oder Vergehen anzuſehen und 
die Strafe nicht verjährt iſt (Art. 1 Abſ. 1). Der An⸗ 
geklagte wäre alſo ausgeliefert worden, wenn ihm über⸗ 
haupt nur ein Verbrechen des Diebſtahls nach öſter⸗ 
reichiſchen Geſetzen zur Laſt gefallen wäre. Ein ſolches 
iſt aber ſeine Handlung, wie das LG. nachweiſt, da 
nach 88 171, 173 Oeſter. StB. Diebſtähle im Betrag 
von mehr als 200 Kronen gleich 170 M als Verbrechen 
anzuſehen ſind und Verjährung nicht eingetreten iſt. 
Das Kreisgericht N. hat auch bei ſeinem Erſuchen vom 
24. Januar 1914, wie deſſen Inhalt ergibt, nur auf 
den Nachweis Wert gelegt, daß ſich der Angeklagte 
eines Verbrechens des Diebſtahls i. S. des Oeſter⸗ 
reichiſchen Rechts, nicht auch eines erſchwerten Dieb⸗ 
ſtahls, ſchuldig gemacht habe. Deshalb ſtand die Aus⸗ 
lieferung der Verurteilung des Angeklagten wegen 
einfachen Diebſtahls nicht im Weg. Wie übrigens das 
RG. in der Entſch. Bd. 43 S. 264 angenommen hat, gilt 
der Grundſatz der Spezialität nach dem Beſchluſſe 
vom 26. Januar 1854 im Verhältnis der deutſchen 
Staaten zu den Kronländern der Oeſterreichiſchen 
Monarchie überhaupt nicht, ſo daß der Angeklagte ſo⸗ 
gar auch wegen anderer Diebſtähle, die nicht Gegen⸗ 
ſtand der Auslieferung waren, hätte zur Verantwortung 
gezogen werden können, falls ſie ſich nur als Ver⸗ 
brechen nach Oeſterreichiſchem Strafrecht dargeſtellt 
hätten. (Urt. des I. StS. vom 15. Juni 1914, ID 
564 / 14). E. 

3428 

III 


Beſtrafung aus 8 16 W388. wegen Mißbrauchs des 
Wortes Camembert. Aus den Gründen: „Camem⸗ 
bert“ iſt nach den Urteilsfeſtſtellungen der Name eines 
Orts, durch deſſen Verwendung als Warenbezeichnung 
Käſe gekennzeichnet wird, der aus dem Flecken Camem⸗ 
bert, ſeiner Umgegend, und ſchließlich der Normandie 
überhaupt ſtammt. In Deutſchland iſt der Name längſt 
zur Gattungsbezeichnung für eine beſtimmte Art Weich⸗ 
käſe geworden. Nach den Ausführungen des Urteils 
ſchließt dieſer Umſtand nicht aus, daß im Einzelfall 
der Name trotzdem noch als Herkunftsbezeichnung auf⸗ 
tritt und fälſchlich zu einer unrichtigen Herkunfts- 
bezeichnung verwendet wird, weil durch die beſondere 
Art der Verwendung des Ortsnamens der Glaube er⸗ 
weckt werden kann, nicht der Gattungsname ſei zur 
Bezeichnung der Ware gebraucht, ſondern es handle 
ſich um Ware aus dem Herſtellungsgebiet, auf das der 
Ortsname verweiſt. Dieſe Möglichkeit iſt, wie das 
Urteil zutreffend betont, in der reichsgerichtlichen Recht: 
ſprechung mehrfach anerkannt und inſoweit beſtehen 
Bedenken rechtlicher Art nicht. Weſentlich auf tat⸗ 
ſächlichem Gebiet liegt aber die im Anſchluß hieran 
getroffene Entſcheidung, daß ſich aus den Umſtänden, 
unter denen der Angeklagte den Ortsnamen Camem— 
bert innerhalb ſeiner Warenbezeichnung verwendete 
und erſcheinen ließ, ergebe, daß dieſer Name als Her⸗ 
kunftsbezeichnung, nicht als Gattungswarenname her— 
vortrete, und daß dieſe Wirkung dem Vorſatz des An— 
geklagten entſpreche; auf den Etiketten des Angeklagten 
befinde ſich eine für den deutſchen Käufer und Ver— 
braucher nicht allgemein verſtändliche Umſchrift in 
franzöſiſcher Sprache und die Zeichnung einer Bäuerin 


344 Keitfehelft für Rechtspflege in Bayern. 1914. Mo. 18. 


aus der Normandie; auch ſei die ſonſtige bildliche 
Darſtellung der Warenbezeichnung des Nebenklägers 
entnommen, die gerade auf die Kennzeichnung der Her⸗ 
kunft er in der Normandie erzeugten Camembert⸗ 
käſes berechnet ſei; all das müſſe im Verkehr die Anſicht 
hervorrufen, daß das in der Umſchrift befindliche Wort 
Camembert als Ortsname und Herkunftsbezeichnung 
zu gelten habe. Die Reviſion bekämpft dieſe Annahme 
und weiſt darauf hin, daß durch die Worte fromagerie 
des Alpes, jeder Käufer und Verbraucher darüber au 
geklärt werde, daß der Käſe nicht aus der Normandie 
ſtamme, weil dort keine Alpen ſeien, und daß daher 
„Camembert“ nur als Gattungsbezeichnung gebraucht 
ſein könne; allein dieſe Ausführung iſt an ſich keines⸗ 
wegs ſchlüſſig, jedenfalls aber eine rein tatſächliche, 
der Annahme des Urteils widerſprechende e 
und als ſolche nach SS 260, 376 StGB. unbeachtlich. 
Auch die im Geſetz hervorgehobenen verbotwidrigen 
Zwecke ſind als die von dem Angeklagten verfolgten 
ausreichend im Urteil feſtgeſtellt. Nach der Anſicht 
des LG. hat der Angeklagte mit der Vorliebe des 
deutſchen Käufers für „franzöſiſchen Camembertkäſe“ 
und dem ſich hieraus im Wettbewerb mit deutſchem 
Weichkäſe gleicher Benennung ergebenden höheren 
Handelswert gerechnet und dieſen höheren Wert ſeiner 
Ware beilegen wollen. Wenn das Urteil ſagt, daß 
der Käufer glauben ſollte, er bekomme einen „in Frank⸗ 
reich gefertigten Camembert“, ſo iſt das im Zuſammen⸗ 
hang mit den vorausgehenden und namentlich den 
nachfolgenden Ausführungen nur ſo zu verſtehen, daß 
der Angeklagte über den Handelswert ſeiner Ware, ſo 
wie er ſich aus der Vorliebe der Verbraucher und der 
Käufer für „franzöſiſchen Camembert“ ergibt, dahin 
täuſchen wollte, daß er ſie als „echten Camembert“, 
nämlich in der Normandie hergeſtellten und deshalb 
nach dem Ort Camembert als demjenigen der Her⸗ 
kunft bezeichneten Käſe ausgab. Danach iſt die Be⸗ 
ſtrafung aus 8 16 WZ. gerechtfertigt. Wo die von 
dem Nebenkläger vertretene Firma ihre Käſe fabriziert, 
ob dieſe ihre Ware richtig kennzeichnet, wenn ſie inner⸗ 
halb ihres geſchützten Warenzeichens gleichfalls das 
Wort „Camembert“ verwendet, darauf kommt es bei 
Anwendung des 8 16 WZGG. überhaupt nicht an; noch 
weniger darauf, ob die Fabrik dieſer Firma als in der 
Normandie gelegen angeſehen werden kann. Nicht die 
Berechtigung der von der genannten Firma ange⸗ 
wendeten Herkunftsangabe, auch nicht die Nachahmung 
ihres Warenzeichens bilden den Gegenſtand der Ab⸗ 
urteilung, ſondern nur der hiervon ganz unabhängige 
Gebrauch des Ortsnamens Camembert durch den An⸗ 
geklagten, der ſeine eigene Ware fälſchlich mit dem 
Namen dieſes Orts verſehen hat, um über deren Her⸗ 
kunft und damit über deren Wert zu täuſchen. Daß 
dies innerhalb und mittels der Nachahmung des fremden 
Warenzeichens geſchah, iſt gleichgültig. (Urt. des I. StS. 
vom 15. Juni 1914, 1 D 181/1914). E. 
3429 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 


I 


Die Sebührenermäßigung nach Art. 14 Satz 2 Abſ. 3 
Seb. tritt nicht ein, wenn die Nechte aus dem Meiſt⸗ 
gebst in der Zeit zwiſchen dem Verſteigerungstermin 
und einem zur Verkündung der Entſcheidung üder den 
Zunſchlag anberaumten weiteren Termin oder erit in 
dieſem letzteren Termin abgetreten worden ſind. In 
einem Zwangsverſteigerungsverfahren blieb J. S. Meiſt⸗ 
bietender mit einem Bargebote von 22700 M. S. hatte 
ſich zwar als Bevollmachtigter der als Hypotheken— 
gläubiger beteiligten Ehegatten J. und K. eingefunden, 
jedoch zunächſt 20 000 M „für ſich ſelbſt“ geboten und 


— ' bb — — — 


war meiſtbietend mit 22 700 M geblieben. Auf ſeinen 
Antrag wurde die Entſcheidung über den Zuſchlag auf 
den 16. März 1913 vertagt. In einer von dem Ber⸗ 
ſteigerungsbeamten beglaubigten Urkunde vom 14. Mai 
1913 erklärte S., daß er für den Bauer J. G. in A. 
geboten habe, und beantragte, dieſem den Zuſchlag zu 
erteilen; J. G. ſtimmte zu. Im Termine vom 16. Mai 
erteilte ſodann der Verſteigerungsbeamte nach 8 81 
Abſ. 3 88G. dem J. G. den Zuſchlag. Das Verſtei⸗ 
are bewertete der Notar nach Art. 10, 
46 Abſ. 1 Nr. 3 Geb. mit einer Staatsgebühr von 
697 M aus einem Werte von 34850 M; für die Be 
glaubigung der Urkunde vom 14. Mai ſetzte er eine 
Staatsgebühr von 1 M an. Die Regierungsſinanz⸗ 
kammer ordnete für die Urkunde vom 14. Mai im Hin⸗ 
blick auf Art. 14 Abſ. 3 Satz 1 und Art. 146 Abf. 1 
Nr. 3 Geb. die Nachholung von 696 M von ©. und 
S. an. Gegen die Nachholung erhob J. S. Beſchwerde 
zum LG. Dieſes erklärte die Nachholung für gerecht⸗ 
fertigt. Die weitere Beſchwerde wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Der durch die Nov. vom 
29. April 1910 aufgenommene Abſ. 3 des Art. 14 Jeb. 
will die Abtretung der Rechte aus dem Meiſtgebot 
oder die Erklärung, für einen Dritten geboten zu 
haben, mit der Gebühr des Art. 146 Geb. belegen. 
da dieſe rechtsgeſchaftlichen Erklärungen wirtſchaftlich 
einer Veräußerung des Grundſtücks ſelbſt gleichkommen 
und die Erſparung einer Zwiſchenerwerbung und damit 
auch die Erſparung der damit verbundenen Gebühr 
ermöglichen. Nach Satz 2 des Abſ. 3 find zwei Aus» 
nahmen zugelaſſen, in denen ſtatt der Gebühr des 
Art. 146 nur eine Gebühr von 1 M erhoben wird. Der 
erſte Fall, daß die Abtretung oder die Erklärung im 
Verſteigerungstermin erfolgt, trägt dem Intereſſe des 
Erſtehers Rechnung, da gerechtfertigte Gründe vor⸗ 
liegen können, das Gebot durch andere abgeben zu 
laſſen, und in einem ſolchen Fall ein Mißbrauch der Be⸗ 
freiungsvorſchrift nicht leicht möglich iſt. Der Beſchluß. 
durch den der Zuſchlag erteilt oder verſagt wird, iſt 
nach 887 Abſ. 1 38. in dem Verſteigerungstermin oder 
in einem ſofort zu beſtimmenden Termin zu verkünden, 
der Verſteigerungstermin endet ſonach entweder mit 
der Verkündung der Entſcheidung über den Zuſchlag 
oder mit der Beſtimmung eines neuen Termins zur 
Verkündung dieſer Entſcheidung. Verfehlt iſt die An⸗ 
nahme des Beſchwerdeführers, daß der Verſteigerungs⸗ 
termin erſt mit der Verkündung über die Entſcheidung 
des Zuſchlags ende. Die Begründung des Geſetzes läßt 
übrigens auch erkennen, daß es unter „Verſteigerungs⸗ 
termin“ den Termin verſteht, in dem entweder über 
den Zuſchlag entſchieden oder ein neuer Termin zur 
Verkündung der Entſcheidung über den Zuſchlag be⸗ 
ſtimmt wird. Denn es wird dort bemerkt: wenn ſich 
auch innerhalb der zwiſchen dem Schluſſe des Ver⸗ 
ſteigerungstermins und dem Zuſchlagstermine liegenden 
kurzen Friſt von einer Woche nicht häuſig Gelegenheit 
zur Weiterveräußerung biete, fo ſei doch kein Orund 
erſichtlich, die Veräußerung von der Gebühr freizulaſſen, 
wenn es der Fall ſei. Da J. S. die Erklärung, für 
J. G. geboten zu haben, nicht im Verſteigerungstermine 
ſelbſt abgab, fondern erſt einige Tage ſpäter, find die 
Vorausſetzungen des erſten Ausnahmefalls nicht gegeben. 
(Beſchl. des II. 88S. vom 4. Mai 1914, Reg. V 
Nr. 10/1914). M. 
3384 


II. 


Wo befindet ſich die W einer Aktien: 
geſellſchaft? Kann eine ſolche mehrere Niederlaſſungen 
haben, von denen keine „Hanptniederlaſſung“ iſt? (SS 182, 
50 Abſ. III HGB.). Die A.⸗G. Maſchinenfabrik AR. 
mit dem Sitze in A. beſitzt Niederlaſſungen in A., N., 
G. und D. Der Generaldirektor der A.-G. hat zum 
Handelsregiſter des AG. A. angemeldet, daß M. K. und 
F. M. in N. zu Prokuriſten für die Niederlaſſung N. 


— — u — — — — — 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


beſtellt wurden. Das AG. hat die Eintragung abgelehnt, 
weil nach 8 50 HGB. die Beſchränkung der Prokura 
auf den Betrieb einer Zweigniederlaſſung nur zuläſſig 
ſei, wenn die Niederlaſſungen unter verſchiedenen Firmen 
betrieben werden. Der Eintragungsantrag wurde mit 
dem Bemerken wiederholt, daß die einzelnen Nieder⸗ 
laſſungen ſich durch den der Firma beigeſetzten Zuſatz 
„Werk A.“, „Werk N.“ uſw. unterſcheiden; vorſorglich 
werde auch die Eintragung dieſer Zuſätze beantragt. 
Das A. lehnte ſowohl die Eintragung der beſchränkten 
Prokura als auch die des Firmenzuſatzes ab. Das LG. 
5 die Beſchwerde verworfen. Auch die weitere Be⸗ 
chwerde wurde zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Beſchwerde und weitere 
Beſchwerde gehen davon aus, daß die A.⸗G. zwar einen 
Sitz haben müſſe, daß es dagegen nicht notwendig ſei, 
daß eine aus mehreren Niederlaſſungen beſtehende A.⸗G. 
eine Hauptniederlaſſung habe und dieſe mit dem Sitze 
der Geſellſchaft zuſammenfalle. Der Senat hat ſchon in 
der Entſcheidung vom 10. Juli 1907 (Slg. Bd. 8 S. 342) 
ausgeſprochen, daß bei der A.⸗G. der durch die Satzung 
beſtimmte Sitz der Geſellſchaft zugleich die Hauptnieder⸗ 
laſſung ſei. Hievon abzugehen beſteht kein Anlaß. Wie 
jede Körperſchaft hat auch die A.⸗G. notwendig einen 
Sitz d. h. einen Mittelpunkt, von dem aus das Unter⸗ 
nehmen geleitet wird. Während aber die phyſiſche 
Perſon mehrere Wohnſitze haben kann, iſt bei der A.⸗G. 
nur ein Sitz möglich, denn der Sitz iſt für die die recht⸗ 
liche Stellung der A.⸗G. erſt begründende Eintragung 
entſcheidend; nach ihm beſtimmt ſich, welchem Rechte 
die A.⸗G. unterworfen iſt. Der Sitz der A.⸗G. iſt nicht 
notwendig an den Ort gebunden, an dem ſich das von 
ihr betriebene kaufmänniſche Unternehmen befindet; 
vielmehr iſt die Beſtimmung des Sitzes der freien Verein⸗ 
barung überlaſſen. Der Sitz kann auch an einem an⸗ 
deren Orte begründet werden als da, wo die Ver⸗ 
waltung geführt wird; dagegen können Sitz und Haupt⸗ 
niederlaſſung nicht getrennt werden. Das Geſetz ſtellt 
der Hauptniederlaſſung die Zweigniederlaſſung gegen⸗ 
über, worunter jede Niederlaſſung außerhalb des Sitzes 
zu verſtehen iſt, einerlei ob ihr wirtſchaftlich nur Neben⸗ 
bedeutung zukommt oder ob ſie die bedeutendere iſt 
(ogl. Holdhun Schr. Bd. 10 S. 157; vgl. auch ROH. 
Bd. 10 S. 42, Bd. 21 S. 37; KGJ. Bd. 13 S. 42). 

In der Rechtslehre gilt überwiegend die Anſchau⸗ 
ung, daß der Sitz der A.⸗G. notwendig mit der Haupt⸗ 
niederlaſſung zuſammenfalle und daß beide dasſelbe 
ſeien (ſ. insbeſ. Staub, HGB. 9. Aufl. 8 182 Anm. 17; 
Lehmann⸗Ring, HGB. 8 182 Anm. 3a u. a.; dagegen 
unter irrtümlicher Berufung auf ROG. Bd. 21 S. 37 
Makower, HGB. 8 17 III e). Diefe Anſchauung ergibt 
ſich notwendig aus der Faſſung des Geſetzes ſelbſt. Hier 
iſt überall die Zweigniederlaſſung der Hauptnieder⸗ 
laſſung N Sitz der Geſellſchaft und 
Hauptniederlaſſung ſind vielfach als gleichbedeutend 
gebraucht (vgl. insbeſ. 8 13 Abſ. 3 mit § 201 Abſ. 5 
HGB., Art. 176 mit Art. 179 des .., Nach 
829 HGB. muß jeder Kaufmann, ſonach auch die A.⸗G., 
ſeine Firma und den Ort ſeiner Handelsniederlaſſung 
bei dem Gericht, in deſſen Bezirke ſich die Niederlaſſung 
befindet, zur Eintragung anmelden. Vor der Eintragung 
beſteht die A.⸗G. als ſolche nicht (8 200). Auch hieraus 
geht hervor, daß die A.⸗G. eine Niederlaſſung haben 
muß, wenn ſie Rechtsfähigkeit erlangen will, und dieſe 
Niederlaſſung iſt bei mehreren Niederlaſſungen not⸗ 
wendig die Hauptniederlaſſung; denn die Eintragung 
der übrigen Niederlaſſungen ſetzt die Eintragung der 
Hauptniederlaſſung voraus (§ 13 Abſ. 2 HGB.). Nach 
der Auffaſſung der weiteren Beſchwerde wären ſämt⸗ 
liche Niederlaſſungen der A.⸗G. Maſchinenfabrik A.⸗N. 
nur Zweigniederlaſſungen der einheitlichen, in A. domizi⸗ 
lierenden A.⸗G. Dieſe Auffaſſung iſt unhaltbar; denn 
eine Zweigniederlaſſung i. S. des §S 13 HGB. kann nicht 
am Sitze des Hauptgeſchäfts beſtehen, ſondern muß ſich 
an einem anderen Ort und in einem anderen Gerichts⸗ 


345 


bezirke befinden. Die Meinung der Beſchwerde, daß eine 
A.⸗G., auch wenn fie mehrere Niederlaſſungen hat, doch 
nicht notwendig in Haupt⸗ und Zweigniederlaſſungen 
gegliedert fein müffe, findet auch in $ 50 Abſ. 3 HGB. 
eine Stütze. Dort iſt allerdings davon die Rede, daß 
die Niederlaſſungen unter verſchiedenen Firmen betrieben 
werden, und iſt nur als beſonderer Fall angeführt, daß 
eine Verſchiedenheit der Firmen i. S. dieſer Vorſchrift 
auch dadurch begründet werde, daß für die Zweignieder⸗ 
laſſung der Firma ein Zuſatz beigefügt werde, der ſie 
als Firma der Zweigniederlaſſung bezeichnet. Allein 
damit iſt keineswegs gejagt, daß alle kaufmänniſchen 
Geſchäfte, die verſchiedene Niederlaſſungen haben, auch 
unter verſchiedenen ſie als gleichberechtigt ausweiſenden 
Firmen betrieben werden können. Betreibt ein Kauf⸗ 
mann verſchiedene Geſchäfte unter verſchiedenen Firmen, 
fo kann der Prokuriſt ſelbſtverſtändlich auch nur für eines 
Gesch Geſchäfte beſtellt werden, betreibt er aber mehrere 
Geſchäfte unter einer Firma, fo bezieht ſich die Prokura 
notwendig auf alle Niederlaſſungen; um aber in dieſem 
Falle eine Beſchränkung auf eine einzelne, vom Haupt⸗ 
geſchäfte verſchiedene Niederlaſſung zu ermöglichen, hat 
das Geſetz den im 8 50 Abſ. 3 Satz 2 enthaltenen Aus» 
weg eröffnet. 
Hiernach iſt A., wo ſich der Sitz der Maſchinen⸗ 
fabrik A.⸗N. befindet, auch die Hauptniederlaſſung dieſer 
A.⸗G. Damit entfällt die Möglichkeit, daß der bei dem 


Handelsregiſter in A. eingetragenen Firma ein Zuſatz, 


wie Werk A., beigefügt werde, denn die A.⸗G. kann nur 
eine Firma haben, die auch von den Zweignieder⸗ 
laſſungen, erforderlichen Falles mit Zufägen, geführt 
werden muß. Hiezu wäre eine Firma Maſchinenfabrik 
A.⸗N., Werk A., nicht geeignet. Was weiter den Antrag 
anlangt, die in N. und G. beſtehenden Niederlaſſungen 
mit den Zuſätzen Werk N., Werk G. zu verſehen, ſo be⸗ 
ſteht zwar kein Bedenken dagegen, daß eine Zweignieder⸗ 
laſſung durch den Zuſatz Werk N. von der Hauptnieder⸗ 
laſſung unterſchieden werde. Dem Antrag kann aber 
ſchon deshalb nicht entſprochen werden, weil ſich die 
durch 8 13 Abſ. 2 HGB. gebotene vorgängige Eintra⸗ 
gung bei dem Gerichte der Hauptniederlaſſung nur auf 
die das geſchäftliche Unternehmen als Ganzes betreffen⸗ 
den Vorgänge bezieht; wenn ſich dagegen die Eintragung 
nur auf die Zweigniederlaſſung bezieht, ſo haben dieſe 
Eintragungen beim Gerichte der Zweigniederlaſſung zu 
erfolgen; ſie ſind nicht zuerſt bei dem Gerichte der Haupt⸗ 
niederlaſſung einzutragen. Das Regiſtergericht der 
Zweigniederlaſſung hat die Zuläſſigkeit der Eintragung 
ſelbſtändig zu prüfen. 

Dafür, daß die beſchränkte Prokura nicht ohne 
vorgängige Eintragung des der Zweigniederlaſſung 
gegebenen Zuſatzes eingetragen werden könne, ſpricht 
ſchon die Erwägung, daß der Zuſatz beſtimmt iſt, Firmen⸗ 
beſtandteil zu werden; der Prokuriſt hat die Firma in 
der Weiſe zu zeichnen, daß er der Firma ſeinen Namen 
mit einem die Prokura andeutenden Zuſatze beifügt 
(8 51 HGB.); er kann die Firma der Zweigniederlaſſung 
durch ſeine Unterſchrift nicht erſt ſchaffen, ſondern er 
muß, wenn ſeine Prokura auf den Betrieb der Zweig⸗ 
niederlaſſung beſchränkt iſt, die Firma mit dem Zuſatze 
zeichnen, durch den die Firma für ihre Beziehungen 
Dritten gegenüber als Zweigniederlaſſung im Handels⸗ 
regiſter gekennzeichnet iſt. (Beſchl. des I. ZS. vom 
16. Mai 1914, Reg. III Nr. 36/1914). M. 

3405 


B. Strafſachen. 
I. 
Zum Begriffe des gewerbsmäßigen Bermittelungs⸗ 
agenten für Darlehen; ift auch die auf Verſchaffung eines 
ankkredits beſenders in der Form des Kontokorrents 


abzielende Tätigkeit die eines ſolchen Agenten? Der 
Angeklagte betreibt ein im Firmenregiſter eingetragenes 


346 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


Agentur⸗ und Kommiſſionsgeſchäft; er befaßt ſich auch 
damit, gegen Entſchädigung Kaufleuten und Fabriken 
einen Bankkredit in der Form des Kontokorrents zu ver⸗ 
ſchaffen. Er wurde von den Vorinſtanzen nach 8 148 Ziff. 4 
GewO. verurteilt, weil er entgegen dem § 35 Abſ. 7 
GewO. die Eröffnung des Geſchaͤftes eines gewerbs⸗ 
mäßigen Vermittelungsagenten für Darlehen bei der 
Polizeibehörde nicht angezeigt hat. Die Reviſion wurde 
verworfen. 


Aus den Sründen: Irrig iſt die Meinung 
der Reviſion, daß durch 8 35 Abſ. 3 GewO. nach feinem 
Zweck und aus ſozialpolitiſchen Gründen nur die an 
Beamte und Private ſich wendenden Darlehensver⸗ 
mittler im landläufigen Sinne getroffen werden ſollten, 
um deren Tätigkeit zu aberwachen. 8 35 Abſ. 3 ſpricht 
allgemein von Darlehen ohne Unterſchied des Standes, 
Berufes oder Gewerbes des Darlehens bedürftigen, will 
ſonach jeden Staatsbürger ſchützen. Das BGB. ent⸗ 
hält keine Beſtimmung des Begriffs „Darlehen“, es 
ſetzt ihn als allgemein bekannt voraus und gibt in 
8 607 Abſ. 1 nur die weſentlichſten Beſtandteile des 
Darlehensvertrags wieder, deren Kenntnis ſchon bisher 
Gemeingut des Volkes geweſen iſt und noch iſt. Jeden⸗ 
ſalls liegt ein Darlehen vor, wenn jemand von einem 
anderen Geld zum Verbrauche mit der Verpflichtung 
erhält es in der gleichen Menge mit oder ohne Zinſen 
zurückzuerſtatten. Um Darlehen dieſer Art handelt 
es ſich hier. Es iſt gleichgültig, unter welchem Titel, 
unter welchen Formen das Darlehen gegeben, verbucht, 
verrechnet oder zurückbezahlt wird. Verpflichtet ſich 
ein Bankier, einem Geldſuchenden Geld gegen Rücker⸗ 
ſtattung bis zu einer beſtimmten Höhe zu leihen und 
räumt er ihm das Recht ein, das Geld nicht auf ein⸗ 
mal, ſondern in Einzelbeträgen abzuheben, ſo raͤumt er 
ihm einen Bankkredit ein; das hingegebene Geld iſt jedoch 
nichts anderes als ein Darlehen. Wird der Banks 
kredit dieſer Art in der Form eines Kontokorrents 
gegeben, ſo wird dadurch an der Eigenſchaft des hin⸗ 
gegebenen Geldes als Darlehen nichts geändert; es 
werden nur hinſichtlich der Buchung und der Art und 
der Zeit der Tilgungsmöglichkeiten die dem Kontos 
korrentverkehr eigenen einfacheren Formen gewahlt. 
Der dem Bankkredit zugrunde liegende Kreditvertrag 
iſt das klagbare Verſprechen der Hingabe von Dar⸗ 
lehen (8 610 BGB.). Der Bankkredit in der Form 
des Kontokorrents beruht auf Vereinbarung; es iſt der 
unechte, uneigentliche Kontokorrent gegenüber dem echten 
nach 8 355 HGB. Nach den Feſtſtellungen handelt es 
ſich um den Bankkredit in der Form des Kontokorrents 
und das BG. hat deshalb zutreffend angenommen, 
daß Darlehen gewährt werden ſollen. Es iſt übrigens 
auch bei dem echten Kontokorrente des 8 355 HGB. 
nicht ausgeſchloſſen, daß Darlehen an ſich und in der 
Form des Bankkredits gewährt werden, da zwar die 
Kreditgewährung nicht ein weſentlicher, aber ein zus 
läſſiger und häufig vorkommender Beſtandteil dieſes 
Kontokorrents iſt. (Urt. vom 28. März 1914, Rev.⸗Reg. 
Nr. 122/1914). Ed. 

3362 


II. 


Bringt ein außergerichtlicher Vergleich einen Straf: 
antrag zum Erlöſchen, ohne daß dieſer der Behörde 
gegenüber zuruckgenommen worden iſt? Aus den 
Gründen: Der StS. des Obe G. hat in dem Urteile 
vom 19. September 1908 Rev.-Reg. Nr. 408/08 aus- 
geſprochen: die wirkſame Zurücknahme eines Straf— 
antrags erfordere naturgemäß, daß fie der Behörde 
erklärt werde, die zur Zeit der Zurücknahme mit der 
Sache befaßt ſei. Vergleiche, Verzichte, Ausſöhnungen 
der Parteien hätten nicht die Wirkung der Zuruck— 
nahme, wenn die Erklärungen nicht vor der zuſtändigen 
Behörde angebracht würden. In einem fpäteren Ur— 
teile (Entſch. Bd. 10 S. 435 ff.) hat der Senat anerkannt, 


daß ein vor Stellung des Strafantrages erklärter Ber- 
zicht auf das Recht wirkſam fei. Die in dieſem Urteil 
aufgeſtellten Brundfäge ausbauend hat er dann am 
11. Februar 1913 entſchieden, daß auch ein außerge⸗ 
richtlicher Vergleich die Wirkungen eines rechtswirk⸗ 
ſam geſtellten Strafantrags zum Erlöſchen bringe, 
ohne daß es einer e ge enüber der 
Behörde bedürfte (Entſch. Bd. 13 S. 63). Bei einer wieder⸗ 
holten Prüfung der Frage kann dieſe Rechtsanſchauung 
nicht aufrecht erhalten werden. Die Befugnis des Ver⸗ 
letzten durch ſeinen Antrag auf Strafverfolgung eine 
Vorausſetzung für das ſtaatliche Strafverfolgungsrecht 
zu begründen, gehört nicht dem vermögensrechtlichen 
Gebiete an und iſt ein höchſt perſönliches Recht. Mag 
auch die Verfügungsbefugnis des Berechtigten über 
77 Antragsrecht eine privatrechtliche Seite haben, 
nſoferne es einer Verletzung ſeiner Rechte durch einen 
anderen entſpringt, ſo greift doch das Antragsrecht 
in das öffentliche Rechtsgebiet über; denn das Straf⸗ 
verfolgungsrecht des Staates hängt in den im Ge⸗ 
ſetze bezeichneten Fällen von der Stellung des Straf⸗ 
antrages ab. Da das öffentliche Recht der willkür⸗ 
lichen Verfügung des einzelnen entzogen iſt, ſo wird 
die Befugnis des Verletzten über ſein Antragsrecht 
zu verfügen, durch den Inhalt dieſes Rechts begrenzt 
(RG.Z. Bd. 42 S. 60 [62]). Mit der Stellung des nach 
dem Geſetze erforderlichen Strafantrags wird das 
Strafverfolgungsrecht des Staates uneingeſchränkt 
wirkſam und dauert fort bis ein im öffentlichen Rechte 
vorgeſehener Erlöſchungsg rund eintritt. Nun läßt aller⸗ 
dings das Strafgeſetz in gewiſſen Fällen die Zurück- 
nahme des Strafantrags mit der Wirkung zu, daß 
das auf Grund des Antrags eingeleitete Verfahren 
einzuſtellen iſt (8 64 StGB.). Aber das Erlöſchen der 
Strafverfolgungsrechts des Staates beruht auf einer 
öffentlich⸗ rechtlichen Beſtimmung. Dieſe iſt daher auch 
entſcheidend für die Beurteilung, ob die geſetzlichen 
Vorausſetzungen erfüllt ſind. Darnach kann aber die 
Zurücknahme wirkſam nur durch eine Erklärung gegen⸗ 
über der Behörde erfolgen, deren Strafverfolgungs⸗ 
recht von dem Vorliegen des Antrags abhängt. Eine 
außergerichtliche Vereinbarung zwiſchen dem Antrags⸗ 
berechtigten und dem Täter kann für ſich allein das 
Strafverfolgungsrecht des Staates nicht beendigen. 
Dieſe Wirkung kommt vielmehr nach der Vorſchrift 
des öffentlichen Rechtes nur der Zurücknahmeerklärung 
des Antragsberechtigten ſelbſt gegenüber der zur Straf⸗ 
verfolgung berechtigten Behörde zu (RGSt. Bd. 8 S. 79 
[80], RG 3. Bd. 42 S. 60 [62/63], Olshauſen StG. 

64 Anm. 9 und 8 61 Anm. 49, KG. Beſchl. vom 
28. Mai 1903 DJ Z. Bd. 8 S. 405 Ziff. 30, Goltd Arch. 
Bd. 51 S. 292 [296 ff.], Köhler, die Lehre vom Straf⸗ 
antrag S. 165, teilweiſe a. M., vgl. auch Meikel JW. 
1913 S. 629 [633]). Dieſe Auslegung entſpricht nicht 
nur der Natur der Sache, ſondern auch den Anforde⸗ 
rungen der Rechtsſicherheit und Zweckmäßigkeit. Die 
Entſcheidung der Behörde darüber, ob ihre Berechti⸗ 
gung zur Strafverfolgung noch beſteht, erfordert eine 
Erklärung des Berechtigten ihr ſelbſt gegenüber. Sie 
kann nicht von dem unſicheren Ergebnis eines Beweis⸗ 
verfahrens abhängig gemacht werden. Man denke 
nur daran, daß die Vereinbarung nur zwiſchen dem 
Verletzten und dem Täter mündlich geſchloſſen wurde. 
Geht man davon aus, daß mit der Vereinbarung das 
Strafverfolgungsrecht des Staates . ſo beſtünde 
die Möglichkeit, daß nur wegen der Nichterweislich⸗ 
keit des von dem Verletzten beſtrittenen Uebereinkommens 
das Strafverfahren fortgeſetzt werden muß, obwohl 
in Wirklichkeit ein rechtswirkſamer Strafantrag nicht 
mehr vorliegt. Dem gegenüber kann die Möglichkeit. 
daß der Verletzte nicht der übernommenen Verpflichtung 
nachkommt, den Strafantrag zurückzuziehen, umſo— 
weniger von ausſchlaggebender Bedeutung fein, als 
dem Angeklagten zur Geltendmachung feiner Rechte 
der Weg des Zivilrechtsſtreites oſſen bleibt und ihm 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


347 


zudem weitere Mittel zum Beweiſe des von ihm be⸗ 
haupteten Vergleiches bietet als das Strafverfahren. 
Die gleichen Erwägungen ſind auch maßgebend für 
die Entſcheidung der Frage, unter welchen Voraus⸗ 
ſetzungen der Strafrichter die Privatklage als zurück⸗ 
genommen anzuſehen hat. Denn mit der Erhebung 
der Privatklage macht der Privatkläger eine im öffent⸗ 
lichen Rechte begründete Befugnis, das ſtaatliche Straf⸗ 
verfolgungsrecht, auf eigene Gefahr geltend. Die 
Vorausſetzungen der wirkſamen Zurücknahme einer 
Privatklage find im öffentlichen Rechte (8 431 StPO.) 
geregelt. Es können keine durchfchlagenden Gründe 
geltend gemacht werden, die zur Annahme berechtigten, 
daß das mit der Privatklage eingeleitete Strafver⸗ 
fahren auch noch aus anderen Gründen als den in 
der Strafprozeßordnung anerkannten beendigt werde. 
Die Erwägungen, die gegen die Wirkſamkeit des außer⸗ 
gerichtlichen Vergleichs über einen wirkſam 1 
Strafantrag ſprechen, ſind hier ebenfalls von Erheb⸗ 
lichkeit. (Urteil vom 9. Mai 1914 Rev.⸗Reg. Nr. 261/1914). 
3427 Ed. 


Oberlandesgericht München. 


Umfang des Bändungeborreihtd für den Unterhalt 
unehelicher Kinder. (SS 850 ZPO.; 4, Aa Lohn.). 
Die minderjährige Arbeiterin Th. S. gebar am 3. Nov. 
1913 außerehelich ein Kind, das ſchon nach 16 Stunden 
ſtarb. Auf ihre am 24. Nov. 1913 zugeſtellte Klage wurde 
der Beklagte als Kindsvater durch Teilurteil des Amts⸗ 
gerichts vom 5. Dez. 1913 zur Zahlung von 174 M ver⸗ 
urteilt, darunter 60 M Unterhalt des Kindes für die 
drei erſten Monate gemäß 8 1710 Abſ. 3 BGB., über⸗ 
gegangen u die Kindsmutter als Erbin gemäß 8 1713 
BEB. Am 6. Dez. 1913 wurde der Klagepartei voll» 
ſtreckbare Ausfertigung erteilt. Durch Beſchluß des 
Amtsgerichts vom 3. Jan. 1914 wurde auf Antrag der 
Kindsmutter auf Grund des am 15. Dez. 1913 zugeſtellten 
Teilurteils zugunſten der Unterhaltsforderung zu 60 M 
für die Zeit vom 3. Nov. 1913 bis 2. Febr. 1914 die dem 
Beklagten gegen die Firma S. & H. hier zuſtehende Lohn⸗ 
forderung unter Beſchränkung auf wöchentlich 5 M ge⸗ 
pfändet, und zur Einziehung überwieſen. Die Einwen⸗ 
dungen des Beklagten nach 8 766 ZPO. wurden zurück⸗ 


gewieſen. Auf deſſen 170 Beſchwerde hob das LS. 


den Pfändungsbeſchluß inſoweit auf, als er die Pfändung 
für einen höheren Betrag als 26 M verfügte; im übrigen 
wurde die Beſchwerde zurückgewieſen. Das LG. nahm 
an, daß die Kindsmutter nachgewieſenermaßen für das 
Kind 26 M zur Beſchaffung von Wäſche und an Be⸗ 
erdigungskoſten ausgelegt habe, daß das Vorrecht des 
unehelichen Kindes nach $ 4a Lohn BG. als höchſt per⸗ 
ſönliches Recht beim Uebergang der Forderung auf eine 
andere Perſon zwar grundſätzlich erlöſche, jedoch, ſoweit 
die Mutter oder ein anderer unterhaltspflichtiger Ver⸗ 
wandter des unehelichen Kindes dieſem den Unterhalt 
tatſächlich gewähre, mit dem Vorrechte des § 4a auf dieſe 
Perſon übergehe, da die Forderung hiedurch ihre Eigen- 
ſchaft als Unterhaltsforderung nicht verliere (8 1709 
Abſ. II BGB.); ſonach ſei die Pfändung su von 
26 M in der Beſchränkung auf wöchentlich 5 ½ zuläſſig 
und angemeſſen, im übrigen aber erſcheine ſie unzuläſſig. 
Hiergegen erhob die Kindsmutter weitere Beſchwerde, 
weil eine Herabſetzung des Forderungsbetrages zu 60 , 
auf den der Vollſtreckungstitel laute, nur auf Grund des 
9767 ZPO. möglich geweſen wäre, und dem angefochtenen 
Beſchluſſe auch § 760 Abſ. 3 BGB. entgegenſtehe, endlich 
weil, falls keine bevorrechtete Pfändung wegen des Reſtes 
zu 34 M anzunehmen wäre, der Pfändungsantrag hier 
wegen nicht abzuweiſen, ſondern auf den 125 M monat- 
lich überſteigenden Lohnbetrag des Schuldners zu be= 


ſchränken geweſen wäre. Die Beſchwerde hatte teil⸗ 
weiſe Erfolg. 

Aus den Gründen: Die Verweiſung der Be⸗ 
ſchwerdeführerin auf 8 767 ZPO. iſt nicht zutreffend, da 
das LG. die teilweiſe Aufhebung des amtsgerichtlichen 
eee eee nicht auf den Mangel eines Voll⸗ 
ſtreckungstitels, ſondern auf die Unzuläſſigkeit der Pfän⸗ 
dung mangels Anwendbarkeit des §S 4a Lohn BG. geſtützt 
hat. Eine Kürzung des durch den Vollſtreckungstitel aus⸗ 
gewieſenen Betrages zu 60 M muß auch jetzt außer Be⸗ 
tracht bleiben, obwohl vom Gerichtsvollzieher auf der 
vollſtreckbaren Ausfertigung die Beitreibung von 33,50 M 
an der Urteilsſumme zu 174 M beſtätigt iſt und hienach 
in Frage kommt, ob nicht nach 8 366 BGB. eine anteils⸗ 
mäßige Anrechnung auf den Unterhalt zu 60 M anzu⸗ 
nehmen wäre. Es muß vielmehr die Geltendmachung 
von Einwendungen gegen eine etwaige Ueberpfändung 
dem Schuldner ſelbſt vorbehalten bleiben. Ob Unter⸗ 
haltsforderungen eines unehelichen Kindes, ſoweit ſie 
nach 8 1709 Abſ. 2 BGB. oder im Erbwege auf Dritte, 
— insbeſondere die Kindsmutter — übergegangen find, 
das Vorrecht des $ 4a Lohn B. behalten, iſt beſtritten. 
890 einerſeits für Bejahung Gaupp⸗Stein, 10. Aufl. 
8 850 IV 2, ROL G. Bd. 5 S. 454, Bd. 17 S. 340, Seuff l. 
15. Erg.⸗Bd. S. 225, Meyer, Beſchlagnahme, 4. Aufl. 
S. 120, Bay 8fR. Bd. 1 S. 159, andrerſeits für Ver⸗ 
neinung Seuff. ZPO., 11. Aufl. 8 850 Anm. 13a, Stau⸗ 
dinger BGB., 7./8. Aufl. Bem. 5e zu 8 1709, Bem. 14 
zu 8 1708, Hein, HB. Zw. 821,2 (S. 355), Falkmann, 
Zw., 2. Aufl. S. 787, OLG. München in Seuff A. Bd. 69 
Nr. 22. Das Teilurteil ſtellt allerdings nur einen 
erbweiſen Uebergang der Forderung feſt; gleichwohl 
ſcheidet die Frage hier aus, ob der Erſtrichter die Teil⸗ 
forderung zu 26 M im Hinblick auf 8 1709 Abſ. 2 BGB. 
mit Recht als bevorrechtet i. S. des $ 44a Lohns G. er⸗ 
achtet hat und ob bei Anwendung des § 1709 Abf. 2 
ſeiner Rechtsanſchauung beizutreten wäre. Denn einer⸗ 
ſeits iſt die Kindsmutter durch dieſe Entſcheidung des 
Erſtrichters nicht beſchwert, andererſeits wäre eine Aen⸗ 
derung zuungunſten der Beſchwerdeführerin nicht ſtatt⸗ 
haft, da der Schuldner den landgerichtlichen Beſchluß 
nicht angefochten hat. Die Reſtforderung zu 34 M aber 
kann die Klagepartei auf Grund des Teilurteils zweifel⸗ 
los nur als erbweiſe auf ſie übergegangen geltend 
machen. Der Senat ſchließt ſich nun der von Seuffert, 
Falkmann, Hein und Staudinger vertretenen Auffaſſung 
an, wonach ſolche Forderungen die Eigenſchaft der Unter⸗ 


haltsforderung entweder ganz verlieren oder doch wenig⸗ 


ſtens der Begünftigung des $ da Lohn BG. entbehren. 
Für letzteres ſpricht der Zweck des § 4a, durch den die 
eines beſonderen Schutzes bedürftigen unehelichen Kinder 
außerordentlich geſichert werden ſollen. Mit dem Tode 
des Kindes entfällt dieſer Zweck; alsdann beſteht kein 
Grund mehr, deſſen Verwandten, auch wenn ſie unter⸗ 
haltspflichtig ſind und aus eigenen Mitteln Unterhalt 
gewährt haben, für die ihnen im Erbwege zugefallenen 
Unterhaltsanſprüche des Kindes das gleiche Vorrecht zu 
gewähren, wie es dieſem ſelbſt zugeſtanden hätte. Dieſe 
Auffaſſung hat der Senat ſchon in ſeinem Beſchluſſe 
vom 15. März 1913 (Seuff „Bd. 69 Nr. 22) vertreten, 
bei dem es ſich allerdings um die Auslegung des $ 850 
m ZPO. handelte; diefe trifft aber auch auf 8 4a 
Lohn BG. zu, da beide Beſtimmungen gleichlauten und 
den gleichen Zweck verfolgen. Hiernach iſt auch die Be- 
rufung der Klagepartei auf $ 4a Lohn 8G. und 8 760 
Abſ. 3 BGB. hinſichtlich der Teilforderung zu 34 M 
unbehelflich. Dagegen iſt ihre Beſchwerde inſoferne bes 
gründet, als das LG. nicht geprüft hat, ob die Lohn- 
forderung des Beklagten nicht zugunſten dieſer Reſt⸗ 
forderung der Pfändung nach § 4 Nr. 4 Lohn BG. unter⸗ 
liegt, nämlich inſoweit fie die Summe von 1500 M 
überſteigt. Der Beklagte bezieht einen Wochenlohn von 
29,04 M. Für ein Jabr berechnet Sich feine Vergütung 
alfo auf 52 x 29,04 M = 1510,08 M, fo daß ſich ein 
nach $ 4 Nr.4 pfändbarer Ueberſchuß von 10,08 M ergibt. 


348 


Diefer und ein etwa für bie Zukunft ſich noch erhöhender 

Ueberſchuß unterliegen der Pfändung zugunſten des Reſt⸗ 

betrages von 34 M, ſelbſtverſtändlich, ſoweit er ſich bei 

dem Vollzuge der Pfändung zugunſten der 26 M noch 

tatſächlich ergibt. (Beſchl. vom 28. März 1914, Beſchw.⸗ 

Reg. Nr. 202/14). N. 
8408 


Bücheranzeigen. 


Die sgeleke vom Auguſt 1914 mit den einschlägigen 
Vorſchriften des Bundesrats und Bayerns. Schweitzers 
Textausgaben. 1914. München, Berlin und Leipzig, 
Ss Pong Verlag (Arthur Sellier). Preis broſch. 


Das Büchlein enthält in erſter Linie die durch 
den Krieg veranlaßten Geſetze und Bundesratsbekannt⸗ 
machungen, welche die Rechtspflege betreffen, und die 
dazu ergangenen J. M. Bekanntmachungen vom 16. 
und 22. Auguſt d. Ihrs. (letztere im Nachtrag). Es 
folgen die übrigen geſetzgeberiſchen Maßnahmen aus 
Anlaß des Krieges wie die Geſetze betr. die Aenderung 
des Münzgeſetzes, des Bankgeſetzes uſw.; ausgeſchieden 
ſind die 9 rein militäriſcher Natur und ferner 
ſolche, die Ermächtigungen für den Bundesrat ent⸗ 
halten, von denen er noch nicht Gebrauch gemacht hat, 
ferner das Geſetz betr. vorübergehende Einfuhrerleich⸗ 
terungen ſamt Nachträgen und Ausführungsbeſtim⸗ 
mungen. Als Anhang iſt eine Abhandlung von Rechts⸗ 
anwalt Dr. Waſſermann in München beigefügt über 
„Die Ausgeſtaltung der privatrechtlichen Verhältniſſe 
durch den Krieg“. 

Das handliche Büchlein kommt ohne Zweifel einem 
wirklichen Bedürfnis entgegen und wird gewiß viele 
Abnehmer finden. —t. 


Jolas Heinrich, K. Regierungsrat, und Knoll Franz, 
K. Major. A. Regers Militärdienſtgeſetz⸗ 
gebung des Deutſchen Reiches. Mit den für 
das Reich und das Königreich Bayern gültigen Voll⸗ 
zugsbeſtimmungen (Wehrordnung und Heerordnung). 
a ur Ansbach, Brügel & Sohn, 1914. Gebd. 


Gerade zur rechten Stunde iſt die neue Auflage 
des Buches erſchienen, das allen mit dem Heereserſatz 
befaßten Perſonen und Behörden unentbehrlich und 
ſchon von feinen früheren Auflagen her überall aufs 
beſte eingeführt iſt. Ein Anhangbändchen mit den 
wichtigſten miniſteriellen Vollzugsentſchließungen wird 


folgen; es wird auch die einſchlägigen ſtrafrechtlichen 


Beſtimmungen mit Erläuterungen enthalten. E. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Die amtlichen Blätter haben in der letzten Zeit 
ſo viel Neues gebracht, daß wir heute hier nicht auf 
alles eingehen können. 


Das Reichsgeſetzblatt enthält in Nr. 67 die Be⸗ 
kauntmachung des Bundesrats vom 29. Anguſt 1914 betr. 
die weitere Verlangerung der Friſten dee Wechſel⸗ und 
Scheckrechts.“) Sie ſetzt in 81 an die Stelle der in 81 
Abſ. 1 des ErmächtigungsG. vom 4. Auguſt 1914 (RGBl. 
S. 327) beſtimmten Friſt von 6 Werktagen eine Friſt 
von 2 Wochen und verlängert in $ 2 die 30 tägige 


1) Bgl. dazu auch 8R Bek. vom 8. September 1914 (Rg Bl. S. 399). 


geitſchrift fur Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. 


Friſtverlängerung, die in der Bek. vom 6. Auguſt 1914 
(RGBl. S. 357) vorgeſehen iſt, für beſtimmte Bezirke 
des Reiches, die beſonders unter dem Kriege leiden, 
um weitere 30 Tage. 

Wie iſt die 30 tägige Friſt der Bek. vom 6. Auguſt 
zu berechnen? 

1. Sind nur ſolche Tage zu zählen, an denen die 
Proteſthandlung vorgenommen werden kann, Sonn⸗ 
tage und allgemeine Feiertage alſo nicht mitzurechnen, 
oder zählen dieſe mit? Für die letztere Annahme 
ſpricht entſchieden die Verſchiedenheit der Ausdrucks 
weiſe in 81 des Geſ. vom 4. Auguſt und der Bek. vom 
6. Auguſt — dort iſt von 6 Werktagen, hier von 30 Tagen 
die Rede — und die Bek. vom 29. Auguſt iſt jedenfalls 
geeignet dieſen Jrund eher zu verſtärken als abzu⸗ 
chwächen: wie bei der von ihr in 8 1 neu beſtimmten 

riſt von 2 Wochen, ſo werden auch bei den 30 Tagen 
des 82 und des 8 1 der Bek. vom 6. Auguſt die Sonn⸗ 
und Feiertage mitzuzählen fein. 

2. Hat der Wechſelproteſt mangels Zahlung ſpaͤte⸗ 
ſtens am 32. Tage nach dem Zahlungstage zu geſchehen 
oder iſt zunächſt die ordnungsmäßige Proteſtfriſt der 
Wo. und erſt von ihrem Ende, dem 2. Werktag nach 
dem Zahlungstag an die 30 tägige Verlängerung zu 
berechnen? Es leuchtet ein, daß die Friſt nach der 
erſteren Berechnungsweiſe bei Mitzählung der Sonn⸗ 
und Feiertage unter Umſtänden früher endigt als nach 
der letzteren. Mag dieſe auch der Faſſung der Be 
kanntmachung ohne Zweifel beſſer entſprechen als jene, 
ſo iſt die Rechtslage doch nicht ſicher. Wer ſich und 
andere vor Schaden hüten will, wird jedenfalls gut 
tun, bei den Fragen unter 1. und 2. mit der Aus⸗ 
legung zu rechnen, die zu einem früheren Ende der 
Friſt führt: es wäre alſo ſpäteſtens am 33. Tage nach 
dem Zahlungstag und, wenn der 32. Tag auf einen 
Sonntag oder allgemeinen Feiertag fallen ſollte, [päte 
ſtens am nächſten Werktag zu proteſtieren. 

81 des Ermächtigungs Z. ſowohl wie 81 der Bek. 
vom 6. Auguſt und 8 2 der Bek. vom 29. Auguſt ſprechen 
von einer „Handlung, deren es zur Ausübung oder 
Erhaltung des Wechſelrechts oder des Regreßrechts 
aus dem Scheck bedarf.“ Als ſolche Handlung käme 
an und für ſich auch die Benachrichtigung der Regreß⸗ 
pflichtigen von der Nichtzahlung des Wechſels oder des 
Schecks in Betracht (Art. 45 WO., 817 Scheckd.; IMðl. 
vom 16. Auguſt 1914, B. VI. 1. letzter Abſ., JM Bl. S. 167); 
allein auf die Friſt für dieſe Benachrichtigung ſoll die 
Friſtverlängerung der Bek. vom 6. Auguſt und des 52 
der Bek. vom 29. Auguſt, wie 8 3 der legteren beſtimmt, 
nicht angewendet werden. 


Aus dem GVBl. ſeien heute nur zwei wichtige 
Geſetze hervorgehoben. Das Geſetz vom 21. Anger 
1914 über Aenderungen im Gebührenweſen (GBl. S. 17) 
ſetzt vom 1. Januar 1915 ab an die Stelle des geltenden 
Gebührengeſetzes ein Koſtengeſetz und ein Stempelgeiey 
und an die Stelle der Gebühren nach Art. 1 und 5 
des Beſitzveränderungsabgabengeſetzes vom 14. Auguft 
1910, Stempelerſatzabgaden und Stempel nach dem 
Stempelgeſetz; einzelne Beſtimmungen des geltenden 
Gebührengeſetzes bleiben in Kraft. Wir werden, wenn 
möglich, vor dem Inkrafttreten des Geſetzes noch näher 
darauf zurückkommen, ebenſo auch auf das neue Armen 
geſetz vom 21. Anguſt 1914 (GBl. S. 551), das in 
ſeinen Beſtimmungen über den armenpolizeilichen Ar⸗ 
beitszwang eine wichtige Neuerung in unſer Recht 
bringt und in ſeinem zweiten Abſchnitt eine Reihe von 
Geſetzen — u. a. auch das Zwangserziehungsgeſeß — 
teilweiſe in ſehr einſchneidender Weiſe aͤndert. 


Verantwortl. Herausgeber i. V.: E. Eckert, Land⸗ 
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig. N 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ur. 19. 


München, den 10. Oktober 1914. 


10. Jahrg. 


Zeilſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 
Reglerungsrat im K. Bayer. 
Staats minlſterium der Juftiz. 


in Bayern 


Verlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zellier) 
Münden, Serlin u. Leipzig. 


(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 82. 79.) 


Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats // 
im . von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich : 
8—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 

jede Poſtanſtalt. 


Einfluß des Krieges auf Rechte und Ver⸗ 
bindlichkeiten des Bürgerlichen Aechts. 
Von Reichsgerichtsrat Karl Mans feld. 


In den Tageszeitungen iſt mit Recht wieder⸗ 
holt darauf hingewieſen und auch in der vorletzten 
Nummer der JW. (1914 S. 798 f.) iſt betont 
worden, daß grundſätzlich der Krieg keinen Ein: 
fluß hat auf die durch das Bürgerliche Recht ge⸗ 
gebenen Rechte und Pflichten. Das gilt ſowohl für 
die beim Kriegsbeginn beſtehenden als für die zur 
en begründeten Rechte und Verbindlich⸗ 
eiten. 

Durch die wegen des Krieges erlaſſenen Not⸗ 
geſetze und auf Grund des Ermächtigungsgeſetzes 
(RGBl. S. 327) ergangenen Verordnungen des 
Bundesrats iſt in gewiſſem Umfange die Durch⸗ 
führung der Rechte aus ſolchen Rechtsverhältniſſen ge: 
hemmt, die Fälligkeit der Verbindlichkeiten hinaus: 
geſchoben, der Gefahr des Verluſtes von Rechten 
vorgebeugt. Der Krieg als ſolcher hat an dem 
Beſtande der Rechtsverhältniſſe nichts verändert. 
Er kommt für den Beſtand und Inhalt der Rechts⸗ 
verhältniſſe nur ſoweit in Betracht, als er einen 
Tatbeſtand zu ſchaffen oder darzuſtellen vermag, 
der ſich auch aus anderen Ereigniſſen und Um⸗ 
ſtänden ergeben kann. Wie andere Geſchehniſſe, 
ſo kann auch der Krieg die Unmöglichkeit der 
Leiſtung herbeiführen und ein wichtiger Grund 
zu friſtloſer Löſung eines Rechtsverhältniſſes 
ſein. Der Krieg aͤndert nichts am objektiven 
Erb⸗ und Familienrecht, aber er hat im Gefolge 
den Tod jo manches Tapferen, und jeder Todes⸗ 


fall iſt ein Erbfall und löſt familienrechtliche Ver: | 


hältniſſe. Der Krieg berührt nicht die dinglichen 
Rechte, aber ein Kriegsereignis kann ihren Unter: 
gang herbeiführen, wenn es ihren Gegenſtand ver— 
nichtet. So läßt der Krieg auch die Schuldver: 
hältniſſe unberührt, er kann aber zur Vernichtung 


7 anzeigen 20 Pfg. 


Nachdruck verboten. 


Leltung und e 


München, Ottoſtraße 1a. 
Unzelgengebübr 30 P 


g. für die balbgeſpaltene Pettltzelle 
oder deren Raum. Ber eee Ermäßigung. Stellen⸗ 
Beilagen nach Uebereinkunft. 


349 


des geſchuldeten Gegenſtandeso der der zu ſeiner 
Herſtellung nötigen Kräfte, Fähigkeiten und Werk⸗ 
zeuge führen. Dieſe Vernichtung kann die Leiſtung 
unmöglich und den Schuldner von der Leiſtungs⸗ 
pflicht frei machen. 

Iſt der geſchuldete Gegenſtand nur der Gattung 
nach beſtimmt, handelt es ſich insbeſondere um eine 
Geldſchuld, ſo wird der Schuldner nicht frei, ſolange 
die Leiſtung aus der Gattung noch möglich iſt 
(§ 279 BGB.). Es befreit den Schuldner nicht 
von der Leiſtungspflicht, daß der Feind die Scheune 
niedergebrannt hat, die den geſchuldeten Hafer barg, 
oder all ſein Geld weggenommen hat. Wohl aber 
wird er von der Verpflichtung zur Leiſtung frei, 
ſoweit die Leiſtung der beſtimmten einzelnen Sache 
durch ein Kriegsereignis unmöglich wird, das er 
nicht zu vertreten hat (S 275 BGB.). Das 
mangelnde Verſchulden wird die Regel bilden, freilich 
kann die den Untergang der geſchuldeten Sache herbei: 
führende feindliche Maßregel auch vom Schuldner, 
z. B. durch eine völkerrechtswidrige Handlung, 
ſchuldhaft veranlaßt ſein. Hat der Schuldner die 
Unmöglichkeit zu vertreten, dann haftet er dem 
Gläubiger gemäß § 280 BGB. auf Schadenserſatz. 

Wird der Schuldner frei, ſo verliert er beim 
gegenſeitigen Vertrage nach $ 323 BGB. den An⸗ 
ſpruch auf die Gegenleiſtung, wenn auch den anderen 
Vertragsteil an dem Untergang des geſchuldeten 
Gegenſtandes durch das Kriegsereignis kein Ver⸗ 
ſchulden trifft. 

Das gilt für alle Verträge, bei denen Ver⸗ 
ſchaffung des Eigentums, des Gebrauchs oder der 
Nutzung des Gegenſtandes den Inhalt der Leiſtung 
bildet. Es iſt Tatfrage, ob im Einzelfalle die 
Leiſtung unmöglich iſt. Der Verkäufer des 
Pferdes wird nicht ohne weiteres frei, wenn Aus: 
muſterung der Pferde zur Aushebung angeordnet 
iſt. Die Gewährung des Pachtlandes wird nach— 
träglich unmöglich, wenn aus Kriegsgründen das 
Land unter Waſſer geſetzt iſt. Der Vermieter 


350 


kann die Mietwohnung nicht zur Verfügung halten, 
wenn eine Feuersbrunſt im Kriege das Haus zer⸗ 
ſtört. Die Leiſtung aus dem Werkvertrage iſt dem 
Maler, der ſich verpflichtet hatte, ein Gemälde 
herzuſtellen, unmöglich, wenn er im Kriege den 
rechten Arm oder das Augenlicht verloren hat. 

Iſt aber die Leiſtung des Vermieters möglich, 
die Wohnung zur Aufnahme des Mieters bereit, 
ſo wird dieſer von der Entrichtung des Mietzinſes 
nicht dadurch frei, daß er zur Fahne einberufen 
wird (8 552 BGB.). Und auch hinſichtlich der 
etwaigen Nebenleiſtungen des Mieters, z. B. Reini⸗ 
gung und Beleuchtung der Treppen, liegt eine be⸗ 
freiende Unmöglichkeit nicht vor. 

Beim Dienftvertrage kann von einer Unmöͤg⸗ 
lichkeit der Leiſtung des Dienſtberechtigten, ſoweit 
ſie in der Zahlung der Vergütung beſteht, ſchon 
nach dem Grundſatze des $ 279 nicht die Rede 
ſein. Auch die Fürſorgepflicht aus 8 618 BGB. 
zu erfüllen, wird dem Dienſtberechtigten regelmäßig 
nicht durch feine Einziehung zum Kriegsdienſt un: 
möglich, ſoweit die Erfüllung nicht etwa durch 
ihn perſönlich zu erfolgen hat. Der Dienſtberech⸗ 
tigte iſt nach dem Dienſtvertrage unter Umſtänden 
verpflichtet, dem Dienſtverpflichteten Gelegen⸗ 
heit zur Leiſtung ſeiner Dienſte zu geben, z. B 
in gewiſſen Fällen der Theaterunternehmer dem 
Schauſpieler. Für die Erfüllung dieſer Verpflich⸗ 
tung kann der Krieg leicht eine Unmöglichkeit be⸗ 
gründen. Mit der Beſchäftigungsmöglichkeit fallen 
dann auch die Notwendigkeit und die Möglichkeit der 
Fürſorge nach $ 618, nicht aber die Möglichkeit 
der Zahlung. Aus dem Geſichtspunkte der Un⸗ 
möglichkeit der Leiſtung kann alſo die Zahlung der 
Vergütung nicht verweigert werden. 

Die Unmöglichkeit der Dienſtleiſtung des Dienſt⸗ 
verpflichteten infolge der Einberufung iſt bewirkt 
durch einen Umſtand, den keiner der Vertragsteile 
zu vertreten hat. Der Dienſtberechtigte würde 
dabei allgemeinem Grundſatze nach ($ 323) den 
Anſpruch auf die Gegenleiſtung verlieren. Er geht 
dieſes Anſpruchs aber gemäß 8 616 BGB. nicht 
dadurch verluſtig, daß er „für eine verhältnismäßig 
nicht erhebliche Zeit“ durch einen in ſeiner Per⸗ 
ſon liegenden Grund, nämlich durch die Kriegs— 
dienſtleiſtung, ohne ſein Verſchulden an der Lei— 
ſtung der vertragsmaͤßigen Dienſte verhindert iſt. 
Ob die Vorausſetzung der verhältnismäßig nicht 
erheblichen Zeit vorhanden iſt, wird mit beſonderem 
Wohlwollen geprüft werden müſſen. Die bis— 
herigen glänzenden Erfolge unſerer Waffen laſſen 
die Erwartung einer ſchnellen ſiegreichen Beendigung 
dieſes Krieges als nicht vermeſſen erſcheinen. Jeden— 
falls muß hier eine Auslegung des Dienſtvertrages 
nach $ 157 BGB. dem einen wie dem anderen 
Teile gerecht zu werden ſuchen. 

Der Dienſtverpflichtete iſt alſo von der — un— 
möglichen — Leiſtung frei. Es fragt ſich aber, 
ob die Einberufung zum Kriegsdienſt ihm das 
Recht gibt, das Dienſtverhältnis aufzulöſen, der— 


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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


geſtalt, daß er auch nach Beendigung des Krieges 
den Dienſt nicht wieder aufzunehmen braucht. Das 
Dienſtverhältnis kann von jedem Teile ohne Ein⸗ 
haltung einer Kündigungsfriſt gekündigt werden, 
wenn ein wichtiger Grund vorliegt (88 626 BGB., 
1336 GewO., 70 HGB.). Ohne weiteres wird 
ſich nicht ſagen laſſen, daß für den Dienſtver⸗ 
pflichteten ſeine Einberufung einen ſolchen wichtigen 
Grund darſtellt. Doch kommt es auf bie be 
ſonderen Verhältniſſe des einzelnen Falles an. 
Von größerer Bedeutung iſt die Frage, ob für 
den Dienſt berechtigten ſeine eigene Einberufung 
oder die des Dienſtverpflichteten ein wichtiger Grund 
zu friſtloſer Kündigung iſt. Auch hier iſt die 
jeweilige Sachlage entſcheidend. Einer rückſichts⸗ 
loſen Ausnutzung der durch den Krieg geſchaffenen 
Verhältniſſe wird auch hier durch Vertragsauslegung. 
beſondere Betonung des 8 616 BGB., gegebenen: 
falls deſſen, was die Rückſichtnahme auf die guten 
Sitten erfordert, begegnet werden können. Wird 
der Dienſtberechtigte ſelbſt als kriegsdienſtpflichtig 
eingezogen, ſo ergibt ſich daraus ein wichtiger 
Grund im Sinne des 8 626 BGB. regelmäßig 
dann, wenn die Dienſte ſeiner Perſon unmittelbar 
zu leiſten waren (Barbier, Privatſekretär). Waren 
ſie zu leiſten für ſeinen Handels- oder Gewerbe⸗ 
betrieb, ſo kommt es auf deſſen Umfang und Ein⸗ 
richtung an. Steht ſo zu ſagen der ganze Be⸗ 
trieb auf den Augen des Dienſtberechtigten, iſt 
eine Vertretung überhaupt nicht oder nur mit 
unterhältnismäßigen Opfern zu beſchaffen und 
ohne folche Vertretung die Fortſetzung des Betriebes 
untunlich oder völlig unwirtſchaftlich, dann wird 
der wichtige Grund kaum verneint werden können. 
Außer der Einberufung zum Kriegsdienſte gibt es 
natürlich auch andere durch den Krieg hervor⸗ 
gerufene Umſtände, die als wichtige Gründe in 
Betracht kommen. 

Was von dem Dienſtvertrage gilt, das findet 
entſprechende Anwendung überall da, wo ſonſt die 
Geſetzgebung einen Widerruf, Rücktritt oder die 
Auflöſung eines Rechtsverhältniſſes bei Vorhanden⸗ 
fein eines wichtigen Grundes zuläßt (z. B. 33 92, 
117 H68.; 27, 712, 723 BGB.). 


Das Geſetz gegen den Verrat militäriſcher 
Geheimniſſe. 
Von Staatsanwalt Hahn in München. 
(Schluß). 

Die Eigenart der Spionageverbrechen bringt 
es mit ſich, daß dieſe in der Regel von langer 
Hand vorbereitet werden, ehe der Täter beſtimmte 
Ausführungshandlungen vornimmt. Andererſeits 
iſt es um der Sicherheit des Reiches willen ge⸗ 
boten, auf Spionage gerichtete Beſtrebungen tun: 
lichſt im Keime zu erſticken. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


— —— ÆG8] 2 •— ü.n]U ää—k—— — 


Der Vorſchlag des Entwurfs, wie in § 86 
StB. beim hochverräteriſchen Unternehmen, 
Spionageverbrechen vorbereitende Handlungen jeder 
Art mit Strafe zu bedrohen, iſt nicht Geſetz ge⸗ 
worden. Der in der Kommiſſion unternommene 
Verſuch einer kaſuiſtiſchen Regelung der Beſtrafung 
vorbereitender Handlungen mißlang. 

Wohl aber enthält das Geſetz mehrere Be⸗ 
ſtimmungen, die dem Zweck dienen ſollen, auf 
Spionage abzielende Unternehmen ſchon in ihren 
erſten Anfängen zu hindern. 

Mit Strafe bedroht iſt die Verabredung 
des Verbrechens des Verrates und der 
Ausſpähung in Verratsabſicht (§ 5). Dabei 
erſtreckt ſich die Strafdrohung, entſprechend der 
Ausdehnung des Tatbeſtands des Verrats auf 
geheim zu haltende Nachrichten, auch auf die Ver⸗ 
abredung des Verrats von ſolchen, und gilt nicht 
nur wie bisher für Verabredung des Verrats ge⸗ 
heim zu haltender Gegenſtaͤnde. 


Straflos bleibt der an der Verabredung Be⸗ 
teiligte, der freiwillig bei der Behörde Anzeige 
erſtattet zu einer Zeit, in welcher die Verhütung 
des verabredeten Verbrechens noch möglich iſt. Das 
Geſetz bezeichnet „die Behörde“ nicht näher; es iſt 
darunter eine ſolche zu verſtehen, die — wie Po: 
lizei oder Staatsanwaltſchaft — zur Verfolgung 
der ſtrafbaren Handlung berufen iſt. Nur der in 
der Form der Anzeige erfolgte freiwillige Rücktritt 
gewährt Straffreiheit. Dieſe aber iſt auch für den 
Fall der durch ihn erſtatteten Anzeige ausgeſchloſſen 
für den, der den anderen zu der Verabredung vor⸗ 
ſätzlich beſtimmt hat. 

Der Verſuch einer Verabredung iſt nicht 
ſtrafbar. 

Wer vorſätzlich Beziehungen anknüpft 
oder unterhält, welche die Mitteilung wegen 
der Landes verteidigung geheim zu haltender Gegen⸗ 
ſtände und Nachrichten zum Gegenſtande haben, 
wird beſtraft (8 6). 

Durch dieſe, gegenüber dem Geſetz von 1893 
neue Beſtimmung ſoll dem Unternehmen des Verrats 
entgegengewirkt und insbeſondere in den häufigen 
Fallen die Möglichkeit, mit Strafe vorzugehen, 
erſchloſſen werden, in denen ein der Spionage Ver⸗ 
dächtiger behauptet, daß ſein Erbieten zu Verrat 
und Ausſpähung nicht ernſtlich gemeint, und daß 
es ihm nur darum zu tun war, unter der Vor⸗ 
ſpiegelung ſolchen Erbietens ſich einen Gelderwerb 
zu verſchaffen. 

Es handelt ſich, wie im Geſetz ausdrücklich 
betont iſt, um ein vorſätzliches Delikt. Der Täter 
muß Kenntnis davon haben, daß wegen der Landes⸗ 
verteidigung geheim zu haltende Gegenſtaͤnde und 
Nachrichten in Frage ſtehen und daß die Perſon, 
mit der er Beziehungen anknüpft oder unter⸗ 
halt, ein Mittelsmann einer ausländiſchen Re⸗ 
gierung iſt. 

Gegenſtand, nicht Zweck der angeknüpften Be⸗ 


ziehungen muß die Mitteilung der bezeichneten 
Art ſein. 

Welche Zwecke der Täter damit verfolgt, ob den 
Zweck des Gelderwerbs oder den des Verrats, iſt 
für die Strafbarkeit der Beziehungen zunädhft 
belanglos. Verfolgt er den Zweck des Verrats, ſo 
wird das Anknüpfen oder Unterhalten der Be⸗ 
ziehungen haufig einen Verſuch zum Verbrechen des 
Verrats bilden und als ſolcher zu beſtrafen ſein. 

Zum Tatbeſtand iſt nicht erforderlich ein Zu: 
ſammenhang der Beziehungen mit einem beſtimmten 
Spionageverbrechen. Anknüpfen und Unterhalten 
der Beziehungen fallen daher auch nicht unter den 
Begriff der vorbereitenden Handlungen. 

Die gleiche Strafdrohung ſieht das Geſetz vor 
für den Mittelsmann der ausländiſchen Regierung 
ſelbſt, der mit einem anderen Beziehungen der 
bezeichneten Art anknüpft oder unterhält. 


Den Zweck, den Spionageunternehmen ſchon 
in ihren erſten Anfängen entgegen zu wirken, verfolgt 
auch die in das Geſetz neu aufgenommene Straf⸗ 
beſtimmung gegen Perſonen, welche an militäriſch 
wichtigen Orten zuftändigen Behörden, Beamten 
oder Militärperſonen gegenüber unrichtige Angaben 
über ihre Perſonalien machen oder die Angabe 
verweigern (8 7). 

Die Handlung muß vorſaͤtzlich verübt fein; 
darnach wird insbeſondere auch die Kenntnis des 
Täters verlangt, daß es ſich um den Aufenthalt 
an einem der vom Geſetz beſonders geſchützten 
Orte handelt. 

Nur objektive Vorausſetzung iſt die Zuſtändigkeit 
der fragenden Behörde uſw. 

Weitere Vorausſetzung iſt, daß nach den 
Umſtänden anzunehmen iſt, der Aufenthalt an dem 
Orte oder die unrichtige Angabe oder die Ver⸗ 
weigerung der Angabe hänge mit Zwecken des 
Verrats und der Ausſpähung in Verratsabſicht 
zuſammen. 

Mit dieſer Strafdrohung ſollen betroffen werden 
namentlich Agenten des Auslands, die ſich an 
militäriſch wichtigen Orten aufhalten und ſich 
bemühen, die Behörden über ihre Perſönlichkeit 
irre zu führen. 

Als durch die Strafdrohung beſonders geſchützte 
Orte kommen in Frage Feſtungen, d. h. die Be⸗ 
feſtigungsanlagen ſowohl als der ganze befeſtigte 
Platz, das Waſſergebiet der Reichskriegshäfen, alle 
Gewäſſer, welche der Hoheit des Reichs oder eines 
Bundesſtaates unterſtehen, einſchließlich der Küſten⸗ 
gewäſſer — deutſche Hoheitsgewäſſer —, ferner 
die Schiffe der Kaiſerlichen Marine und alle An⸗ 
lagen, die im Eigentum einer deutſchen Militärver⸗ 
waltung ſtehen, endlich die amtlich bekannt gemachten 
Sicherungsbereiche einer Feſtung, eines Reichskriegs⸗ 
hafens und einer militäriſchen Anlage ſowie gewerb⸗ 
liche Anlagen, in denen Gegenſtände für die Bedürf⸗ 
niſſe der inländiſchen Kriegsmacht hergeſtellt, aus⸗ 
gebeſſert oder verwahrt werden. 


352 
Sofern ein Zuſammenhang der ſalſchen An⸗ 
gabe mit einem Spionageverbrechen nicht an⸗ 
zunehmen iſt, iſt ſie gemäß $ 360 Nr. 8 StGB. 
als Uebertretung ſtrafbar. Straflos bleibt in 
ſolchem Falle die Verweigerung von Angaben. 


Aus dem Geſetz von 1893 iſt die Ueber⸗ 
tretungsvorſchrift des Verbots unbefugten Betretens 
beſtimmter Orte unter Erweiterung auf militäriſche 
Anlagen jeder Art übernommen. Als Uebertretung 
iſt mit Strafe ferner bedroht die Nichtbefolgung 
der Vorſchriften über Aufenthaltsmeldungen in 
militäriſch wichtigen Plätzen. Das Verbot von Auf⸗ 
nahmen militäriſch wichtiger Gegenſtände und von 
Veröffentlichungen ſolcher Aufnahmen wurde unter 
Aufhebung des 8 360 Nr. 1 RStGB. in das 
Geſetz aufgenommen und dabei der Schutz, der 
bisher nur Feſtungen und einzelnen Feſtungswerken 
zukam, auch auf beſtimmte andere militäriſche 
Anlagen ausgedehnt. Aufnahmen und Veröffent⸗ 
lichungen können eingezogen werden ohne Unter⸗ 
ſchied, ob ſie dem Verurteilten gehören oder nicht. 

Das Geſetz enthält die Feſtſetzung der An⸗ 
zeigepflicht in Beziehung auf die Verbrechen 
des Verrats und der Ausſpähung in Verratsab⸗ 
ficht (§S 9). Die im geltenden Recht umſtrittene 
Frage, ob nur die vorſätzliche oder auch die fahr⸗ 
läſſige Verletzung der Anzeigepflicht (3 9 des Geſ. 
von 1893, 8 139 RStGB.) ſtrafbar ſei, iſt dahin 
entſchieden, daß nur erſtere mit Strafe bedroht 
iſt. Eine Beſtimmung, bei welcher Behörde die 
Anzeige zu erfolgen hat, trifft das Geſetz nicht; 
ſie hat zu geſchehen bei einer zur Verhütung und 
8 ſtrafbarer Handlungen berufenen Be⸗ 

örde. 

Neu iſt im Geſetz der Ausſchluß der Anzeige⸗ 
pflicht in zwei Fällen, in denen ihre Erfüllung 
einen beſonderen Pflichten⸗ und Gewiſſenskonflikt 
bedingen würde; fie beſteht nicht, wenn die Un: 
zeige erſtattet werden müßte gegen einen An— 
gehörigen oder von einem Geiſtlichen in Anſehung 
deſſen, was ihm bei Ausübung der Seelſorge, nicht 
etwa nur unter dem Beichtgeheimnis, anvertraut 
wurde. Der Begriff „Angehörige“, der im Geſetz 
nicht ausdrücklich umſchrieben iſt, bemißt ſich nach 
$ 52 Abſ. 2 R StGB. 


Die Reichsſicherheit wird häufig durch Ver— 
öffentlichungen gefährdet und geſchädigt, die 
ſich auf militäriſche Maßnahmen oder auf 
Unterſuchungen wegen Spionagehand— 
lungen beziehen. Das Geſetz enthält zwei Be— 
ſtimmungen, welche durch Strafdrohung dieſen 
Veröffentlichungen entgegenwirken wollen (SS 10 
und 11). 

Die eine iſt dem Reichsgeſetz über die Preſſe 
vom 7. Mai 1874 (SS 15, 18 Nr. 1) entnommen. 
Deſſen Verbot von Veröffentlichungen über mili— 
täriſche Maßnahmen während eines Krieges oder 
bei drohender Kriegsgefahr ſind nunmehr in das 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


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Spionagegeſetz eingearbeitet, wobei der Tatbeſtand 
in der Art erweitert wurde, daß nicht nur Nach⸗ 
richten über Truppenbewegungen und über Ver⸗ 
teidigungsmittel, ſondern auch ſolche über Schiffs⸗ 
bewegungen verboten ſind. In Abweichung von 
den bisherigen Beſtimmungen des Preßgeſetzes iſt 
die Uebertretung des Veröffentlichungsverbots nicht 
nur dunn ſtrafbar, wenn dieſes vom Reichskanzler 
durch öffentliche Bekanntmachung zur allgemeinen 
Kenntnis gebracht, ſondern wenn es nur auf irgend⸗ 
eine Weiſe den Beteiligten bekannt gegeben war. 
Dadurch, daß das Geſetz nur die vorſätzliche 
Veröffentlichung mit Strafe bedroht, iſt ausgedrückt, 
daß der Täter das Bewußtſein gehabt haben 
muß, einem Verbot des Reichskanzlers zuwider 
zu handeln. 

Die zweite Vorſchrift des Geſetzes, die ſich gegen 
unzeitgemäße Veröffentlichungen wendet, ſchafft 
neues Recht: weil häufig Unterſuchungen wegen 
Spionagehandlungen durch vorzeitige Veröffent⸗ 
lichungen erſchwert und beeinträchtigt werden, iſt 
es verboten, über ſchwebende amtliche Ermittelungen 
wegen eines Verbrechens oder Vergehens gegen 
das Geſetz ohne Erlaubnis der die Ermittelungen 
leitenden Behörde Mitteilungen in die Oeffentlichkeit 
zu bringen. Das Verbot richtet ſich jeweils gegen 
die erſte Veröffentlichung einer Mitteilung, nicht 
gegen deren ſpätere Wiederholung (Nachdruck). 
Strafbar iſt, wer vorſätzlich handelt, mit dem 
Bewußtſein, ohne behördliche Erlaubnis Nach⸗ 
richten über ſchwebende amtliche Ermittelungen der 
bezeichneten Art zu veröffentlichen. 

Nach der Eröffnung des gerichtlichen Haupt⸗ 
verfahrens, im militärgerichtlichen Verfahren nach 
der Verfügung der Anklage, ſind Veröffentlichungen 
nicht mehr verboten. | 

Weſentliche Aenderungen bringt das Geſetz hin: 
ſichtlich der Strafdrohungen. Zunächſt wurde die 
Ungleichheit des bisherigen Geſetzes beſeitigt, wonach 
wohl beim Verrat, nicht aber bei der Ausſpähung 
die Annahme mildernder Umſtände zuläſſig war; 
ſie iſt nunmehr auch für das Verbrechen der 
letzteren Art vorgeſehen. Auch im Falle der Ver⸗ 
abredung von Verrat und Ausſpähung iſt nun die 
Annahme mildernder Umſtände zuläſſig. Feſtungs⸗ 
haft als Strafe iſt nur mehr vorgeſehen bei vor⸗ 
ſaͤtzlicher Preisgabe geheimer Gegenſtände ohne 
den Vorſatz, die Sicherheit des Reichs zu gejührden 
(S 2), bei Ausſpähung ohne Verratsabſicht (§ +), 
bei fahrläſſiger Preisgabe von geheimen Gegen: 
ſtänden (S 8) und bei verbotswidrigen Veröffent⸗ 
lichungen (SS 10 und 11); fie iſt ausgeſchloſſen 
beim Verbrechen des Verrats. 

Erhöht wurde die Mindeſtſtrafe bei Verrat, 
begangen unter mildernden Umſtänden, und beim 
Vergehen der Verabredung von Verrat und Aus— 
ſpähung, ſowie das Maß der Geldſtrafe bei fahr: 
läſſiger Preisgabe. 

Beim Verbrechen des erſchwerten Verrats mit 


— — 


der Folge eines ſchweren Schadens kann auf lebens⸗ 
langes Zuchthaus erkannt werden. 


Neben den Freiheitsſtrafen iſt für Verrat und 
Ausſpähung in Verratsabſicht fakultativ Geld⸗ 
ſtrafe bis zu fünfzigtauſend Mark, bei mildernden 
Umſtänden bis zu fünfundzwanzigtauſend Mark, 
für die im Geſetz aufgeführten Vergehen, abgeſehen 
von dem der falſchen Angaben, der Verletzung der 
Anzeigepflicht und der verbotenen Veröffentlichungen 
ſolche bis zu fünftaufend Mark angedroht ($ 13). 

Ausländer, die wegen eines Verbrechens oder 
eines vorſätzlichen Vergehens gegen das Geſetz zu 
einer Freiheitsſtrafe verurteilt ſind, können nach 
deren Verbüßung von der Landespolizeibehörde 
aus dem Reichsgebiet ausgewieſen werden, auch 
wenn auf Zuläſſigkeit von Polizeiaufſicht nicht 
erkannt iſt ($ 14; 839 Z. 2 StGB.). 

Dem 8 335 RStGB. nachgebildet iſt die Be⸗ 
ſtimmung, wonach für den Fall, daß der Täter 
für die Begehung eines Verbrechens oder Ver⸗ 
gehens Entgelt erhielt, das Empfangene oder deſſen 
Wert in dem Urteil für dem Staate verfallen 
zu erklären iſt. 


Soweit Spionagehandlungen gegen das Deutſche 
Reich im Ausland verübt werden, richten ſich die 
Strafdrohungen des Geſetzes — entgegen den 
Vorſchlägen des Entwurfs — nicht gegen Aus⸗ 
länder, ſondern nur gegen Deutſche: die Vorſchrift 
des 8 4 Abſ. 2 Nr. 2 RStGB. iſt für anwendbar 
erklärt in Beziehung auf die Verbrechen des Verrats 
und der Ausſpähung in Verratsabſicht und auf 
die Vergehen der Verabredung dieſer Straftaten, 
des Anknüpfens und Unterhaltens von Beziehungen 
mit dem Ausland und der fahrläjligen Preisgabe 
geheimer Gegenſtände (8 16). 

In ſtrafprozeſſualer Hinſicht bringt das 
Geſetz zur Entlaſtung des Reichsgerichts die Be⸗ 
ſtimmung, daß unter Aufrechthaltung der Zu—⸗ 
ſtändigkeit des Reichgerichts für erſt⸗ und letzt⸗ 
inſtanzielle Unterſuchung und Entſcheidung bei den 
Verbrechen des Verrats und der Ausſpähung das 
Hauptverfahren ausſchließlich vor dem zweiten 
Senat — nicht wie bisher vor dem vereinigten 
zweiten und dritten Senat — ſtattfindet. Die 
gerichtlichen Entſcheidungen bis zum Beſchluß über 
Eröffnung des Hauptiverfahrens einſchließlich ver: 
bleiben bei dem erſten Senat ($ 18; 88 136 Nr. 1, 
138 GWG.). 

Aufgehoben find durch das Geſetz § 360 Nr. 1 
RStGB., $ 15 des Reichs⸗Preßgeſetzes und das 
Geſetz von 1893 mit Ausnahme des § 11 (88 89 
und 90 RStGB.). Gemäß $ 12 Nr. 3 fallen 
in 8 360 Abſ. 2 StGB. die Zahl „1“ und die 
Worte „der Riſſe von Feſtungen und Feſtungs⸗ 
werken“ weg, desgl. gemäß § 10 in $ 18 Nr. 2.des 
Preßgeſetzes die Zahl „15“. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


353 


Vohnſitz, Vohnung und Geſchäftslokal der 
Nilitärperſonen während des Krieges. 


Von Landgerichtsrat Joſeph Schiedermair in München. 


1. Den Ausgangspunkt für die Beantwortung 
der Frage nach dem Wohnſitz bildet der 
99 BGB. Er beſtimmt: „Abſ. 1: Eine Militär: 
perſon hat ihren Wohnſitz am Garniſonort. Als 
Wohnſitz einer Militärperſon, deren Truppenteil 
im Inlande keinen Garniſonort hat, gilt der 
letzte inländiſche Wohnſitz des Truppenteils. Abſ. 2: 
Dieſe Vorſchriften finden keine Anwendung auf 
Militärperſonen, die nur zur Erfüllung der Wehr⸗ 
pflicht dienen oder die nicht ſelbſtändig einen Wohn⸗ 
ſitz begründen können.“ 

Dieſer geſetzliche Wohnſitz des Garniſonortes 
gilt demnach a) nur für Militärperſonen. 
Militärperſonen ſind nur die Perſonen des Soldaten⸗ 
ſtands und die Militärbeamten, die zum Heer oder 
zur Marine gehören, deshalb insbeſondere auch 
die Kriegsgerichtsräte und die Militärärzte, nicht 
aber die Zivilbeamten der Militärverwaltung. Eine 
Aufzählung der Militärperſonen enthält die Anl. 1 
zum MStGB. Die Abgrenzung des Begriffs der 
„Kriegsteilnehmer“ in 8 2 des Gel. vom 4. Auguſt 
1914 (RG Bl. 323), betr. den Schutz der infolge 
des Kriegs an Wahrnehmung ihrer Rechte be⸗ 
hinderten Perſonen, iſt für die Abgrenzung des 
Begriffs der Militärperſonen bedeutungslos. 

b) Der Wohnſitz des Garniſonortes gilt aber 
nicht für ſolche Militärperſonen, die nur zur 
Erfüllung der Wehrpflicht dienen. Daß 
die Offiziere, Unteroſfizierskapitulanten, Militär: 
ärzte und Militärbeamten, die dem ſtehenden Heer 
ſchon in Friedenszeiten angehören, auch, wenn es 
zum Kriege kommt, nicht bloß zur Erfüllung der 
Wehrpflicht dienen, wird ſich nicht bezweifeln laſſen. 
Wie iſt es aber mit den Perſonen, die erſt infolge 
der Mobilmachung in den Dienſt treten, ſei es 
auf Grund einer Berufung, ſei es freiwillig? Die 
Anſichten ſind geteilt. Es wird angenommen, 
daß der Wohnſitz des Garniſonoris ſchlechthin ges 
geben ſei für alle zum Heer oder zur Marine ein⸗ 
berufenen oder freiwillig eintretenden Mannſchaften, 
Offiziere, Aerzte und Militärbeamten, ſo u. a. 
RGKomm. zum BGB. 89 Anm. 1; eine andere 
Anſicht will ihn dagegen für die in Kriegszeiten 
freiwillig eintretenden Offiziere, Aerzte, Militär⸗ 
beamten und Mannſchaften, die weder zum Friedens⸗ 
noch zum Beurlaubtenſtand gehören, nicht gelten 
laſſen, weil es ſich bei dieſen nur um eine vorüber⸗ 
gehende Dienſtleiſtung handle; ſo Planck BGB. 
89 Anm. 4. Eine dritte Anſicht endlich erachtet 
den Wohnſitz des Garniſonorts für die zum Kriegs— 
dienſt Eingezogenen überhaupt nicht als anwendbar. 

Die Frage wird ſich nicht in der Weiſe 
löſen laſſen, daß man den Begriff „Er: 
füllung der Wehrpflicht“ aus den Militärgeſetzen 
und den hierzu ergangenen Vollzugsvorſchriften 


354 


ableitet und das Ergebnis auch für 8 9 BGB. 
anwendet. Ein jeder Verſuch, mit dieſem Be⸗ 
griff, für deſſen Abgrenzung in erſter Linie 88 4 
und 5 der Wehrordnung maßgebend wären, an 
die Auslegung des 8 9 BGB. zu gehen, zeigt 
deſſen Unverwertbarkeit; er hat in den Militär⸗ 
geſetzen eine für militäriſche Zwecke erforderliche, 
dem Gedanken des 8 9 BGB. aber nicht ent: 
ſprechende Einzelausgeſtaltung erfahren. Was man 
im Sinne des 89 BGB. unter der Erfüllung 
der Wehrpflicht zu verſtehen hat, iſt aus dem 
Zwecke des 89 BGB. ſelbſt abzuleiten. Der 
Grundgedanke der in 8 9 Abſ. 1 und 2 aufge⸗ 
ſtellten Unterſcheidung wird aber weniger, wie für 
die Regel angenommen wird, darin zu erblicken 
ſein, daß der Wohnſitz nicht durch eine „vorüber⸗ 
gehende Dienſtleiſtung“ beeinflußt ſein ſoll, ſondern 
in dem Gegenſatz zwiſchen dem berufsmäßigen und 
dem nicht berufsmäßigen Militärdienſt. Wer in 
Friedenszeiten einer drei- oder zweijährigen Dienſt⸗ 
pflicht genügt, hält ſich doch nicht bloß „vorüber⸗ 
gehend“ im Garniſonsorte auf, ſondern eine ſehr 
erhebliche Zeit, und doch beſteht Einigkeit, daß 
hierdurch der Wohnſitz des Garniſonorts nicht be⸗ 
gründet wird. Stellt man die Entſcheidung auf 
die Frage ab, ob ein vorübergehendes Verhältnis 
vorliegt, ſo wird man eine Grundlage für die 
Beurteilung des Einfluſſes eines Krieges über⸗ 
haupt nicht finden können; denn wer kann ſagen, 
wie lang er dauert. Das charakteriſche Merkmal 
des Mohnfibegriffes war ſchon nach gemeinem 
Recht und iſt auch nach §7 BGB. das der Nieder⸗ 
laſſung. Dieſer Grundgedanke wird auch für die 
Anwendung des 89 BGB. entſcheiden, jo daß 
ein Verhältnis, das als Grundlage einer Nieder: 
laſſung gilt, ſeinen Tatbeſtand erfüllt, und ein 
ſolches Verhältnis iſt zweifellos die Ergreifung des 
Militärdienſtes als „Beruf“. Geht man von dieſem 
Standpunkt aus, ſo wird man anzunehmen haben, 
daß die Tatſache der Mobilmachung als ſolche 
für die Frage, ob der Wohnſitz des Garniſonortes 
beſteht, bedeutungslos iſt, und zwar für die frei⸗ 
willig Eintretenden, wie für die zum Dienſt Be⸗ 
rufenen. Wer vorher Berufs militärperſon war, bleibt 
es auch im Kriege, andere Perſonen werden durch 
die Mobilmachung allein nicht Berufsſoldaten und 
haben den Wohnſitz des Garniſonortes nicht. 

c) Der Wohnſitz des Garniſonortes gilt nur 
für ſolche berufsmäßige Militärperſonen, die 
einen Wohnſitz ſelbſtändig begründen 
können, alſo nicht für Geſchäftsunfähige oder 
in der Geſchäftsfähigkeit Beſchränkte. Der minder⸗ 
jährige Leutnant hat den Wohnſitz des Garniſon— 
ortes nicht, auch wenn ſein geſetzlicher Vertreter 
dem Eintritt in den Militärdienſt zuſtimmt. 

d) Der Wohnſitz beſteht am Garniſonort; 
gemeint iſt nur ein inländiſcher Garniſonort. Hat 
der Truppenteil einen ſolchen nicht, ſo entſcheidet 
der letzte inländiihe Garniſonort. Für andere 
Falle, alſo die, daß der Truppenteil einen in: 


Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


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ländiſchen Garniſonort überhaupt nicht hat oder 
hatte, gibt es keinen Wohnſitz des Garniſonortes. 
Hier kommen die allgemeinen Grundjäße zur An⸗ 
wendung. Maßgebend iſt alſo für den Wohnfit 
für die Regel die ſtändige Niederlaſſung (8 7 
BGB.). Garniſonort iſt die Ortsgemeinde, in 
der der Truppenteil garniſoniert (Dernburg Bürg. 
Recht Bd. J S. 58). Jeder noch ſo kleine Truppen⸗ 
teil, der nach der militäriſchen Organiſation einen 
ſelbſtändigen Garniſonort hat, iſt geeignet dem 
89 BGB. zu genügen. Die Truppen der Schutz⸗ 
gebiete haben keinen inlaͤndiſchen Garniſonort. 

e) Beſondere Beendigungsgründe des 
Wohnſitzes des Garniſonorts kennt das Geſetz nicht; 
er beſteht alſo, ſolange die ihn begründenden Ver⸗ 
hältniſſe dauern; beendigt wird er insbeſondere 
durch Löſung des Verhältniſſes als Militärperſon, 
und durch Eintritt der Unſelbſtändigkeit z. B. das 
Auftreten einer Geiſteskrankheit. Kriegsgefangen⸗ 
ſchaft wird das Verhältnis nicht löſen. 

f) Für ein beſchränktes Gebiet kann den an 
den Garniſonort anknüpfenden Verhältniſſen 
eine erweiterte Tragweite verliehen 
werden. Nach 8 8 des Gel. vom 28. Mai 1901, 
betr. die freiwillige Gerichtsbarkeit und andere Rechts⸗ 
angelegenheiten in Heer und Marine, kann nämlich 
für Militärperſonen, deren Truppenteil ſich im Aus⸗ 
land aufhält und im Inland einen Garniſonort 
weder hat noch gehabt hat, durch Kaiſ. VO. ein 
im Inland gelegener Ort als Garniſonort be⸗ 
ſtimmt werden, doch nur für Angelegenheiten der 
ſtreitigen Gerichtsbarkeit. Dieſe Beſtimmung wirkt 
alſo nicht für das materielle Recht; ſie kann aber 
für Militärperſonen ſchlechthin erfolgen. 

g) Für alle Fälle, in denen nach dem Aus⸗ 
geführten der Wohnſitz des Garniſon⸗ 
ortes nicht beſteht, bemißt ſich auch bei Militär⸗ 
perſonen der Wohnſitz nach den allgemeinen Grund⸗ 
ſätzen, alſo in erſter Linie nach der ſtändigen Nieder⸗ 
laſſung, bei ehelichen Kindern nach dem Wohnfit 
des Vaters, bei unehelichen nach dem der Mutter 
(837 und 11 BGB.). Die Teilnahme am Krieg 
wird nur bei beſonderen Fällen eine Aufgabe der 
ſtändigen Niederlaſſung in ſich ſchließen. 

h) Streitig iſt die Frage, ob neden dem 
Wohnſitz des Garniſonorts ein Wohn: 
ſitz nach den allgemeinen Grundſätzen 
beſteht. Eingehend beſchäſtigt ſich mit der Frage 
Staudinger BGB. 89 Anm. IV 2, er führt auch 
die ſeiner Anſicht entgegenſtehenden Anſichten an. 
Staudinger ſelbſt bejaht die Frage. Entſcheidende 
Gründe laſſen ſich m. E. weder für die eine, noch 
für die andere Anſicht anführen. Es gibt eben 
Rechtsfragen, die ſich überhaupt nicht entſcheiden 
laſſen; für den einzelnen Fall iſt Recht, was der 
letzten Inſtanz beliebt. 

2. Die Frage, ob durch den Krieg die Wohnung 
der Militärperſonen beeinflußt wird, hat 
vor allem Bedeutung für die Erſatzzuſtellung. Eine 
Erſatzzuſtellung kann — abgeſehen von der unter 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


355 


Nr. 3 zu behandelnden Zuſtellung im Geſchäfts⸗ 
lokal — nur in der „Wohnung“ erfolgen. Als 
Wohnung gilt die Stätte, wo jemand für ge: 
wöhnlich zu ſchlafen pflegt (Seuffert ZPO. 8 180 
Anm. 1 Abſ. 2). Die Wohnung kann auch bei 
längerer Abweſenheit ihrer Beſtimmung erhalten 
bleiben, ſoferne nur die Rückkehr zu erwarten iſt 
(Stein ZPO. § 180 Anm. II). An der Hand 
— Abgrenzung ergibt ſich, daß die Frage, ob 
er in den Krieg Ziehende ſeine Wohnung bei⸗ 
behält, nur nach Lage des Falls zu entſcheiden iſt. 
Der Umſtand allein, daß er bei einer gemieteten 
Wohnung das Mietverhältnis nicht gelöft hat, 
zwingt nicht zur Annahme, daß er die Wohnung 
beibehalten hat; feine Abfiht kann fein, ſeine 
bisherige Wohnung bloß zur Verwahrung ſeiner 
Habe zu benützen. Wer eine Familie zurüdläßt, 
wird für die Regel auch für ſeine Perſon die 
Wohnung nicht aufgeben wollen, er muß mit 
jederzeitiger Rückkehr infolge einer Dienſtunfähig⸗ 
keit rechnen, und eine ohne ſein Wiſſen erfolgte 
Wohnungsänderung durch die Zurückgebliebenen 
wird auch für ihn eine Aenderung der Wohnung 
und eine Neubegründung einer ſolchen in der neuen 
Wohnung der Familie bedeuten. 

3. Der Umſtand, daß jemand in den Krieg 
zieht, iſt auch nicht an ſich von Bedeutung für 
die Frage, ob er noch ein Geſchäftslokal be: 
fit, in dem nach 8 183 ZPO. ebenfalls Erſatz⸗ 
zuſtellungen erfolgen können, oder nicht. Wer ſein 
Geſchäft durch einen dritten weiter betreiben läßt, 
muß ſich Erſatzzuſtellungen gefallen laſſen, auch 
wenn er ſelbſt nicht zu erreichen iſt. Ein Ge⸗ 
ſchäftslokal hat deshalb insbeſondere auch der 
Rechtsanwalt, der ſeine Kanzlei durch ſein Kanzlei⸗ 
perſonal offenhält, ohne Schritte für ſeine Ver⸗ 
tretung zu tun. Es entſcheiden die Umſtände 
des Falls. 


Kleine Mitteilungen. 


Kann dem amtlichen Vorgeſetzten (§ 196 StG.) die 
Befugnis zur Veröffentlichung nach 5 200 Abi. 1 StGB. 
zugeſprochen werden 7 In neuerer Zeit kommt es öfter 
vor, daß der Vertreter der Anklage darauf anträgt, 
die Befugnis zur Veröffentlichung ſolle nicht dem be⸗ 
leidigten Beamten, ſondern dem amtlichen Vorgeſetzten 
zugeſprochen werden, falls nur der amtliche Vorgeſetzte 
Strafantrag geſtellt hat. Das geſchieht auf Grund 
der Rechtſprechung des Reichsgerichts. In E. 14, 327 
wird dieſe Anſicht damit begründet, daß das Geſetz 
nicht bloß den beleidigten Beamten ſondern auch deſſen 
Vorgeſetzten als beteiligt anſieht und zwar als beteiligt 
im Intereſſe des Amtes, das er vertritt und deſſen Ehre 
und Anſehen er zu wahren hat. Aus dieſem Grund 
habe das Geſetz dem Vorgeſetzten das ſelbſtändige An⸗ 
tragsrecht gegeben Es liege im Sinne des 
§ 200 StGB., dem zur Verfolgung der Beleidigung 
Berechtigten auch das zur Ausgleichung der Beleidi⸗ 
gung beſtimmte Recht der Bekanntmachung zuzuſprechen. 


— — —̃—¼B ' 4 —AU—ĩü nn nn, 
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Gegen die Anſicht des Reichsgerichts läßt ſich ein⸗ 
wenden: Nach 8 196 StB. hat der Vorgeſetzte das 
Recht, Strafantrag zu ſtellen und nach 88 61, 194 StGB. 
iſt die Beleidigung eine Handlung, deren Verfolgung 
nur auf Antrag eintritt. Verfolgung ſteht hier im 
Gegenſatz zur Vollſtreckung, ſie iſt die Geſamtheit der 
prozeſſualen Tätigkeiten, die zu einem rechtskräftigen 
Urteil führen. Sobald das Urteil rechtskräftig iſt, 
hat der Strafantrag keine weitere Wirkung mehr. 
Was nach dem Urteil geſchieht, geſchieht nicht des⸗ 
wegen, weil Strafantrag geſtellt worden war, ſondern 
weil ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Im Urteil 
kann daher auch dem Antragſteller, der bloß Antrag⸗ 
ſteller iſt, nicht die Befugnis zu einer Tätigkeit zu⸗ 
geſprochen werden, die nicht mehr Gegenſtand und 
Zweck des Strafantrags iſt. Eine ſolche Tätigkeit iſt 
die Veröffentlichung des Urteils. 

Auch die Vorſchriften über die Strafvollſtreckung 
verbieten, dem Strafantrag eine über die Strafver⸗ 
folgung hinausgehende Wirkung zuzuſchreiben. Der 
Zuſpruch der Befugnis zur Veröffentlichung iſt nach 
einem Urteil der vereinigten Strafſenate des Reichs⸗ 
gerichts E. 6, 180 ſeinem Weſen nach Strafe. Die 
Strafvollſtreckung erfolgt aber durch den Staatsanwalt 
oder auch den Amtsrichter (8 483 StPO.). Dieſe Be⸗ 
amten haben daher ein Strafurteil auch infoweit zu 
vollſtrecken, als es ſich um die Veröffentlichung des 
Urteils handelt. Das geſchieht auch im Falle des 8 200 
Abſ. 2 StGB., ſowie in anderen Fällen, z. B. 8 16 
Nahrungsmittelgeſetzes, 88 14, 20 des Geſetzes, be⸗ 
treffend den Verkehr mit Butter uſw. Auch im Fall 
des 8 200 Abſ. 1 hätte der Staatsanwalt oder der 
Amtsrichter das Urteil auch in Hinſicht der Veröffent⸗ 
lichung zu vollſtrecken, wenn dieſe Geſetzesſtelle nicht 
ausnahmsweife die Befugnis zur Veröffentlichung an⸗ 
ders regeln und dem Beleidigten zuſprechen würde. 
Dieſer übt einen Akt der Strafvollſtreckung aus; der 
Strafantrag kann aber nicht zur Abänderung der Vor⸗ 
ſchriften über die Strafvollſtreckung führen. 


Wenn übrigens in dem Zuſpruch zur Veröffent⸗ 
lichung entgegen der Anſicht des Reichsgerichts eine 
Strafe deswegen nicht zu erblicken wäre, weil der Zu⸗ 
ſpruch bezweckt, die Ehre und das Anſehen des Be⸗ 
leidigten zu wahren, ſo würde dies für die Vollſtreckung 
nichts ändern. Der Zuſpruch wäre dann immerhin 
ein Beſtandteil des Strafurteils und für die Voll⸗ 
ſtreckung gälte das Nämliche, was ſchon geſagt wor⸗ 
den iſt. 

Die Auffaſſung des Reichsgerichts in E. 14, 327 
läßt ſich auch mit dem Wortlaute des Geſetzes nicht 
vereinigen. Nach 8 200 Abſ. 1 iſt dem „Beleidigten“ 
die Befugnis zuzuſprechen. Das Geſetz wendet dieſen 
Ausdruck an, nachdem es unmittelbar zuvor in 8 196 
dem amtlichen Vorgeſetzten das Recht zuerkannt hatte, 
Strafantrag zu ſtellen. Nichts hätte näher gelegen, 
als daß der 8 200 StGB., wenn beabſichtigt geweſen 
wäre, auch dem Vorgeſetzten die Befugnis zuzuſprechen, 
den „Antragſteller“ und nicht den „Beleidigten“ ge⸗ 
nannt hätte. Der Vorgeſetzte kann aber doch niemals 
deswegen als Beleidigter angeſehen werden, weil der 
Untergebene beleidigt worden iſt. Das Reichsgericht 
betrachtet nun allerdings den Vorgeſetzten nicht als 
Beleidigten, es findet aber, es liege im Sinne des 5 200, 
die Befugnis zur Veröffentlichung auch einem Nicht⸗ 
beleidigten zuzuſprechen, der als Vorgeſetzter Straf— 
antrag geſtellt hat. Dies erſcheint dem klaren Wort⸗ 


laut gegenüber bedenklich. Es ift aber auch gar kein 
Bedürfnis vorhanden die Befugnis dem Vorgeſetzten 
zuzuſprechen, wenn er auch dazu berufen iſt, die Ehre 
und das Anſehen des Beamten und des Amtes zu 
wahren, denn er kann dieſe Aufgabe auf anderem Weg 
erfüllen. Wenn dem beleidigten Untergebenen die Be⸗ 
fugnis zugeſprochen wird und er macht davon keinen 
Gebrauch, fo gibt das Dienſtauſſichtsrecht die nötigen 
Mittel an die Hand, ihn dazu zu bringen. Dieſes 
Dienſtaufſichtsrecht muß ſich ja auch in ſolchen Be⸗ 
leidigungsfällen betätigen, wo dem Vorgeſetzten das 
Antragsrecht nicht zuſteht, es ſich aber gleichwohl um 
die Ehre und das Anſehen des Beamten und ſomit 
auch um das Anſehen des Amtes handelt. Wenn einem 
Beamten auf einem Vergnügungsausflug nachgeſagt 
wird, er habe bei dieſem Ausflug geſtohlen, ſo hat 
nach 8 196 StGB. nicht der Vorgeſetzte das Recht, 
Strafantrag zu ſtellen, obgleich ſicherlich der Vor⸗ 
geſetzte ein lebhaftes dienſtliches Intereſſe daran hat, 
daß gegen den Beleidiger die gerichtliche Verfolgung 
durchgeführt und das Urteil veröffentlicht werde. Wenn 
der Beamte Strafantrag nicht ſtellt oder wenn er 
keinen Gebrauch von der Befugnis macht, das Urteil 
zu veröffentlichen, ſo bleibt dem Vorgeſetzten nichts 
übrig, als kraft ſeines Dienſtaufſichtsrechts den Be⸗ 
amten zu veranlaſſen, die nötigen Schritte zur Wah⸗ 
rung ſeiner Ehre und ſeines Anſehens und damit des 
Anſehens des Amtes zu tun. Dies muß die Auf⸗ 
faſſung beſtärken, daß es nicht im Sinne des 8 200 
liegt, die Befugnis zur Veröffentlichung dem Vor⸗ 
geſetzten zuzuſprechen, wenn er von ſeinem Recht Straf⸗ 
antrag zu ſtellen Gebrauch gemacht hat. 


Das Reichsgericht hat in einem Urteil (E. 43, 173) 
auch ausgeſprochen, daß nicht zugleich dem amtlichen 
Vorgeſetzten und dem beleidigten Beamten die Befugnis 
zur Veröffentlichung zugeſprochen werden dürfe, denn der 
Zweck der Veröffentlichung werde nur von dem Vorge⸗ 
ſetzten verfolgt und deshalb liege keine Veranlaſſung vor, 
dem Untergebenen eine Befugnis zuzuſprechen, deren Er⸗ 
langung er nicht erſtrebt habe. Allein in der Regel ſtellt 
der beleidigte Untergebene deswegen keinen Antrag, weil 
er weiß, daß es der amtliche Vorgeſetzte tut. und es 
trifft daher auch auf ihn nicht zu, daß er die Erlangung 
der Befugnis zur Veröffentlichung nicht erſtrebt habe. 

Die Aufſfaſſung des Reichsgerichts führt auch zu 
Schwierigkeiten, wenn ſowohl der Beamte, als auch 
der amtliche Vorgeſetzte Strafantrag geſtellt haben. 
Nach den Gründen in E. 14, 327 müßte dem Vor⸗ 
geſetzten die Befugnis zugeſprochen werden. Die Be: 
fugnis darf aber doch auch dem Beamten nicht verſagt 
werden, denn er iſt der Beleidigte und er hat durch 
Stellung des Strafantrags bekundet, daß er die Er: 
langung der Befugnis erſtrebt hat. Wenn nun von 
beiden Seiten von der Befugnis Gebrauch gemacht 
würde, ſo geſchähe damit etwas Zweckloſes, und zugleich 
entſtünden doppelte Koſten, die in ungebührlicher 
Weiſe den verurteilten Beleidiger doppelt treffen 
müßten, wenn er zahlungsfähig wäre. 


Die im Eingang geſtellte Frage dürfte daher zu 


verneinen ſein. 
Amtsgerichtsdirektor Tiſch in Neuſtadt a. d H. 


N Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


Eine grund ſätzliche Entſcheidung zu $ 136 Sts. 
(Siegelbruch). Die knappe Faſſung des Tatbeſtands⸗ 
merkmales: „Anlegung eines amtlichen Siegels von 
einer Behörde oder von einem Beamten“ in 8 136 
9 7 macht bei der Geſetzesanwendung Schwierig⸗ 
eiten. 

Rechtslehre und Rechtſprechung vertreten drei 
Auslegungen: 

Nach Binding 1905, II 2 8 241, Meyer 1907, 8 123 
Ziff. 7, Liszt 1908 8 176 VI iſt die Verletzung amt⸗ 
licher Siegel nur dann ſtrafbar, wenn die Siegelung 
nicht nur durch die zuſtändige Behörde erfolgt, ſondern 
auch im einzelnen Falle rechtmäßig war. Nach Lenz, 
ſtrafrechtlicher Schutz des Pfandrechtes 1893 S. 225, 
ſoll im Gegenſatze hiezu ſachliche und örtliche Zu⸗ 
ſtändigkeit der Behörde ſowie Rechtmäßigkeit der Siege⸗ 
lung völlig gleichgültig ſein. 

Nach einer dritten Auslegung endlich iſt es ohne 
Belang, ob die geſetzlichen Vorausſetzungen für die 
Zuläſſigkeit einer Siegelung vorhanden waren oder 
nicht, wenn nur die Siegel von einer Behörde oder 
einem Beamten angelegt waren, die zu dieſer Maß⸗ 
regel überhaupt berechtigt und örtlich zuſtändig find 
(RG St. Bd. 36 S. 157). Es iſt nur erforderlich, daß 
der Beamte das Siegel in Ausübung der durch ſein 
Amt begründeten Befugniſſe, alſo in ſachlicher und 
örtlicher Zuſtändigkeit im allgemeinen angelegt hat 
(Olshauſen zu 8 136. RGSt. Bd. 34 S. 398). Bei 
dieſer dritten Auffaſſung bleibt zweifelhaft, ob ein 
Siegelbruch ſchon dann begangen werden kann, wenn 
das Siegel von einem überhaupt in irgend einem 
Falle zur Siegelung befugten Beamten angelegt iſt, 
oder ob es erforderlich iſt, daß der Beamte gerade 
zu der in Frage ſtehenden beſonderen Siegelungs⸗ 
maßnahme an ſich zuſtändig iſt. — 

Der gerichtlichen Entſcheidung unterlag folgender 
Tatbeſtand: 

In einem Rechtsſtreite ſollte vereinbarungsgemäß 
ein Motor zur Feſtſtellung der Pferdeſtärke durch 
einen unparteiiſchen Dritten in einer Kiſte verſchloſſen 
und bis zu dieſer Feſtſtellung jeder Einwirkung durch 
die Parteien entzogen werden. Der Bürgermeiſter 
des in Bayern gelegenen Dorfes, in welchem der 
Motor ſtand, verſchloß zu dieſem Zweck und dem 
Erſuchen der Parteien folgend die Kiſte mit dem 
Motore durch 12 bis 15 Stück 2 Finger breite, etwa 
20 em lange, je zweimal den Abdruck des Gemeinde⸗ 
ſiegels zeigende, der Quere nach über die Kiſte ge⸗ 
legte Streifenſiegel. 

Die eine Partei öffnete entgegen der Verein⸗ 


barung die Kiſte, um eine Ausbeſſerung an dem Motor 


ö 
| 


} 


vorzunehmen. — 

Nach der zweiten und wohl auch nach der dritten 
hier dargeſtellten Anſicht wäre im vorliegenden Falle 
der Tatbeitand des $ 136 StGB. gegeben, obwohl der 
Bürgermeiſter — im übrigen ein in Bayern an ſich 


zur Siegelung berechtigter Beamter (Art. 105 AG. 


BGB., NachlO.) — zur Anlegung von Siegeln im 
Einzelfalle nicht zuſtändig war. 

Das ObLG. (Strafſenat) verneinte jedoch der 
erſten Anſicht folgend in einem Beſchluſſe vom 18. No⸗ 
vember 1913 die Anwendbarkeit des Geſetzes, weil 
der Bürgermeiſter bei der auf Grund Privatabkommens 
der Prozeßparteien erfolgten Anbringung der Siegel 
nicht als Amtsperſon und innerhalb ſeiner amtlichen 
Zuſtändigkeit gehandelt habe, für derartige Siegelungen 


in Bayern vielmehr der Notar allein zuſtändig ſei. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


(BlAdmPr. Bd. 40 S. 414. Kaiſenberg, Not G. Art. 2 
Note 2 mit Art. 105 AG. BGB. und Art. 66 AG. 
GG.). 

Nach dieſer Entſcheidung könnte wohl auch eine 
Zuſtändigkeit des Bürgermeiſters nicht auf Art. 138 
Gem. gegründet werden etwa in der Annahme, daß 
ſich eine Berechtigung des Bürgermeiſters aus ſeiner 
Eigenſchaft als Beamter der Ortspolizeibehörde er⸗ 
gibt. Der ortspolizeilichen Tätigkeit kann nur anheim⸗ 
fallen, was zu polizeilichem Einſchreiten i. S. des 
Art. 138 GemO. Anlaß gibt. Dies trifft aber hier 
nicht zu. Die Siegelanlegung durch den Bürgermeiſter 
war keine polizeiliche Maßnahme, der Bürgermeiſter 
hat vielmehr die Siegel auf Antrag der Parteien, 
gewiſſermaßen als Treuhänder angelegt, ohne zu ſolchen 
Siegelungen amtlich zuſtändig zu ſein. 

II. Staatsanwalt v. Valta in Paſſau. 


Aus der Lechtſprechung. 
Reichsgericht. 
Zivilſachen. 


1 


Nichtigkeit einer e zwiſchen Ehegatten, 
wonach die Frau anf 10 Unterhaltsanſpruch verzichtet, 
wogegen der Mann ſich verpflichtet, ihr einen Grund 
zur Scheidung zu geben. Kann die Fran trotz des Ber: 

ichts von dem Maune Unterhalt beauſpruchen, nachdem 
ieſer vereinbarungsgemäß durch fein Verhalten die Schei⸗ 
dung ermöglicht hat und für den ſchuldigen Teil erklärt 
worden ift? Die exceptio doli generalis. Die Ehe der 
Parteien iſt wegen Ehebruchs des Beklagten geſchieden 
und der Beklagte für den allein ſchuldigen Teil erklärt 
worden. Geſtützt auf dieſes Urteil und 81578 BGB. ver⸗ 
langt die Klägerin nunmehr von dem Beklagten Gewäh⸗ 
rung des ſtandesmäßigen Unterhalts. Der Beklagte beruft 
ſich auf einen Verzicht der Klägerin. Unter ſeiner Genehmi⸗ 
gung hat nämlich die Klägerin vor Einleitung des Schei⸗ 
dungsverfahrens in einer notarielleu Verhandlung vom 
11. Februar 1908 erklärt, ſie verzichte auf die Geltend⸗ 
machung der ihr geſetzlich gegen ihren Mann zuſtehen⸗ 
den Unterhaltsanſprüche ſowohl für die Dauer des 
Scheidungsſtreits als für die Zeit nach der Entſcheidung. 
Der Berufung des Beklagten auf dieſen Verzicht be⸗ 
gegnet die Klägerin durch den Hinweis darauf, daß 
ihre Erklärung nichtig ſei; ſie habe ſie gegen das Ver⸗ 
ſprechen des Beklagten abgegeben, ihrer Scheidungsklage 
keine Schwierigkeiten entgegenzuſetzen, die Scheidung 
ſogar durch Begehung eines e mit herbei⸗ 
zuführen. Das LG. gab der Unterhaltsklage ſtatt; 
das OLG. und das RG. billigten das. 
J Aus den Gründen: Ohne Zweiſel iſt die dem 
Scheidungsſtreite vorausgegangene Abmachung der 
Parteien zur Erleichterung der Eheſcheidung getroffen 
worden. Daß aber Verträge, die Eheleute zur Er— 
leichterung der Scheidung ſchließen, als gegen die guten 
Sitten verſtoßend nach § 138 Abſ. 1 BGB. nichtig ſind, 
iſt anerkannten Rechtens (vgl. die Senatsurteile vom 
12. Okt. 1912 IV 157/12 und vom 19. Juni 1913 IV 
63/13 Warneyer Erg. Nr. 3 und 398). Freilich wird, 
wenigſtens vielfach, von einer unzuläſſigen Erleichte— 
rung der Eheſcheidung dann nicht geſprochen werden 
können, wenn ein Scheidungsgrund tatſächlich vor— 
handen iſt und es ſich nur darum handelt, das 
Scheidungsverfahren abzukürzen (vgl. das Senatsurteil 
vom 19. Dezember 1912 IV 381/1912 a. a. O. Nr. 128). 
So jedoch liegt die Sache hier nicht. Der Beklagte 


357 


pe ſelbſt nur, es wäre fo wie fo zur Scheidung 
gekommen, da er auf Herſtellung des ehelichen Lebens 
habe klagen wollen und die Klägerin dem Urteile nicht 
Folge geleiſtet hätte, dann aber habe man mindeſtens 
2 Jahre warten müſſen, und da hätten ſie gedacht, 
leichter mache es ſich ſo, daß er einen Ehebruch begehe 
und ſich dann wegen Ehebruchs ſcheiden laſſe. Dieſe 
Behauptung ändert alſo nichts daran, daß zur Zeit 
des Vertragsabſchluſſes ein Scheidungsgrund nicht be⸗ 
ſtand und daß im Scheidungsſtreite der Geltendmachung 
des in der Zwiſchenzeit vom Beklagten begangenen 
Ehebruchs die Vorſchrift in 8 1565 Abſ. 2 BGB. im 
Wege geſtanden hätte, wenn nicht der Beklagte ver⸗ 
tragsgemäß jede ernſthafte Widerrede unterlaſſen hätte. 
Die bloße Möglichkeit, daß es ſpäter doch zur Scheidung 
gekommen wäre, kann bei der Frage keine Rolle ſpielen, 
ob eine unzuläſſige Erleichterung der Scheidung be⸗ 
zweckt war, übrigens auch erzielt worden iſt. An der 
hiernach vom OLG. ohne Geſetzesverletzung angenom⸗ 
menen Nichtigkeit des Verzichts der Klägerin kann an 
ſich der Umſtand nichts ändern, daß die Klägerin aus 
dem unſittlichen Abkommen zunächſt einen Vorteil, 
nämlich die von ihr gewünſchte Entſcheidung, erzielt 
hat und nunmehr noch einen weiteren Vorteil erzielen 
will. Es könnte ſich nur fragen, ob nicht der Klägerin 
die Einrede der Argliſt entgegenſteht, wenn ſie ſich trotz 
des Verzichts zur Begründung des eingeklagten An⸗ 
ſpruchs auf das Scheidungsurteil ſtützt, das ſie nur 
mittels des durch den Verzicht erkauften Verhaltens 
des Beklagten erlangt hat. Dieſe Einrede wäre nicht 
begründet. In feinem Urteile vom 4. April 1889 IV 
8/89 (Gruchots Beitr. Bd. 33 S. 916, auch JW. 211 
Nr. 24) hat allerdings der Senat bei einem dem hier 
gegebenen ganz ähnlichen Sachverhalt angenommen, 
die Frau handele argliſtig, wenn ſie im Widerſpruch 
mit ihrem Verzicht Vermögensvorteile für ſich aus dem 
Scheidungsurteil in Anſpruch nehme, das nur infolge 
des dem Abkommen entſprechenden Verhaltens des 
Mannes in einem ihr günſtigen Sinn ergangen ſei. 
Allein dieſes Urteil iſt unter der Herrſchaft des preuß. 
ALR. ergangen und ſtützt ſich in der Hauptſache 
auf eine beſondere landrechtliche Vorſchrift (8 36 Teil I 
Tit. 3), die, mindeſtens in der Allgemeinheit, in der 
ſie dort ausgeſprochen iſt, in das heutige Recht nicht 
übergegangen iſt. Nun hat freilich das RG., beſonders 
der erkennende Senat, auch unter der Herrſchaft des 
BGV. auf die Vorſchrift in 8 826 Bezug nehmend 
wiederholt (vgl. Entſch. Bd. 78 S. 390 ff., namentlich 
S. 393 und die dort aufgeführten früheren Erkennt⸗ 
niſſe) den Grundſatz zur Geltung gebracht, daß, wer 
ein ſachlich unrichtiges Urteil oder die Rechtskraft eines 
ſolchen Urteils in einer gegen die guten Sitten ver⸗ 
ſtoßenden Weiſe erwirkt hat und dieſes Urteil für ſich 
ausnutzt, eine ihn zum Schadenserſatze verpflichtende 
unerlaubte Handlung begeht und Schadenserſatz gerade 
in der Weiſe zu leiſten hat, daß er von dem Urteile 
keinen Gebrauch machen darf (vgl. in letzterer Be⸗ 
ziehung das Senatsurteil vom 30. Okt. 1911 IV 61/1911). 
Aber in allen dieſen Fällen hatte die Partei, die das 
Urteil erwirkt hatte, nicht nur den Richter getäufcht, 
ſondern ſchon bei der Urteilserwirkung auch dem 
anderen Teile gegenüber argliſtig und in einer nach 
8 826 zum Schadenserſatze verpflichtenden Weiſe ge⸗ 
handelt. Hier jedoch hat die Klägerin bei der Urteils⸗ 
erwirkung dem Beklagten gegenüber ganz offen ges 
handelt, beide Teile haben ſogar zur Täuſchung des 
Gerichts zuſammengewirkt. In einem ſolchen Falle 
kann von einem Schadenserſatzanſpruch des Verurteilten 
aus 8 826 keine Rede fein (vgl. auch Entſch. Bd. 67 
S. 151 ff., insbeſondere S. 153). Anders wäre die 
Sache vielleicht zu beurteilen, wenn etwa die Klägerin 
ſchon im Scheidungsſtreite beabſichtigt hätte, trotz des 
Verzichts den Beklagten auf Grund ſeiner geſetzlichen 
Verpflichtung nachher in Anſpruch zu nehmen, ohne 
daß dieſe Abſicht dem Beklagten zum Bewußtſein ge— 


358 


kommen wäre. Etwas derartiges jedoch hat das OLE. 
nicht feſtgeſtellt und der Beklagte nicht einmal behauptet. 
Hat die Klägerin nicht ſchon bei der Erwirkung des 
Scheidungsurteils und des Ausſpruchs über die Schuld⸗ 
frage dem Beklagten gegenüber in einer einen Schadens⸗ 
erſatzanſpruch aus 8 826 begründenden Weiſe argliſtig 
gehandelt, ſo könnte nur die allgemeine Argliſteinrede 
(die gemeinrechtliche exceptio doli generalis oder prae- 
sentis) allenfalls eine Rolle ſpielen. Sie iſt gegeben, 
wenn erſt in der Geltendmachung eines Anſpruchs 
Argliſt oder ein Verſtoß gegen die guten Sitten oder 
gegen Treu und Glauben zu finden iſt. Das BGB. 
erwähnt zwar dieſe Einrede nicht beſonders, es erkennt 
ſie aber trotzdem an, wie in der Rechtſprechung des RG. 
feſtſteht (vgl. Entſch. Bd. 58 S. 425 ff., insbeſ. S. 428, 
429 u. a.) und der Senat erſt ganz vor kurzem aus⸗ 
geſprocheu hat (Urteil vom 4. Mai 1914 IV 37/14). 
Die Zulaſſung auch der allgemeinen Argliſteinrede mag 
zwar bei Anſprüchen nicht gänzlich ausgeſchloſſen ſein, 
die rechtskräftig feſtgeſtellt ſind oder doch wenigſtens, 
wie hier, mittelbar auf einem rechtskräftigen Urteile 
beruhen. Immerhin wird, mindeſtens der Regel nach, 
in der Geltendmachung derartiger Anſprüche keine Arg⸗ 
liſt und kein Verſtoß gegen die guten Sitten oder gegen 
Treu und Glauben zu finden fein (vgl. das ſchon an⸗ 
geführte Urteil in Entſch. Bd. 67 S. 151 ff. und ferner 
das Urteil in Entſch. Bd. 80 S. 153 ff., insbeſ. S. 155). 
Jedenfalls aber darf die Zulaſſung der allgemeinen 
Argliſteinrede bei ſolchen Anſprüchen nicht dahin führen, 
daß einem wegen Verſtoßes gegen die guten Sitten 
nach 8 138 BGB. nichtigen, alſo vom Geſetze gemiß⸗ 
billigten Rechtsgeſchäft auf einem Umwege wieder 
Geltung verſchafft wird. Dahin käme es jedoch, wenn 
man hier die allgemeine Argliſteinrede zuließe. Das 
ginge umſoweniger an, als der Beklagte der Klägerin 
ebenfalls, wenn auch vielleicht in anderer Weiſe, Unterhalt 
zu gewähren hätte, wenn das nichtige Abkommen nicht 
getroffen und infolgedeſſen die Scheidung nicht zuſtande 
gekommen wäre ($$ 1360, 1361 BGB.). Die Vorſchrift 
in 8 817 BGB., auf die von der Reviſion noch neben⸗ 
bei hingewieſen iſt, kann nicht in Betracht kommen. 
Die Abmachung der Parteien vom 11. Februar 1908 
und der darin ausgeſprochene Verzicht der Klägerin 
find wegen des Verſtoßes gegen die guten Sitten nichtig 
und wegen dieſer ihrer Nichtigkeit ungeeignet, dem 
Beklagten zur Grundlage einer Verzichtseinrede zu 
dienen. Um Rückforderung einer „Leiſtung“, die nach 
8 817 ausgeſchloſſen wäre, handelt es ſich bei der Be⸗ 
rufung der Klägerin auf die Nichtigkeit des Verzichts 
nicht. (Urt. des IV. ZS. vom 28. Mai 1914, IV 683/1913.) 
3442 E. 


II 


Formbedürſtigkeit von Verträgen zugunſten Dritter; 
iſt ein Vertrag formbedürſtig, durch den Geſchwiſter ſich 
verpflichten, ihrer Mutter mit Nückſicht auf ihre Be: 
dürſtigkeit eine monatliche Neute zu zahlen? Zum Be: 
griffe des Leibreutenverſprechens. Aus den Gründen: 
Verträge zugunſten Dritter oder, wie das Geſetz 
ſagt, Verträge über eine Leiſtung an einen Dritten be— 
dürfen als ſolche keiner beſonderen Form. Die Frage, 
ob für die Beobachtung einer ſonſt etwa in Betracht 
kommenden Form nur das Verhältnis unter den Ver— 
tragſchließenden maßgebend iſt oder auch das Verhältnis 
zu dem Dritten eine Rolle ſpielt, iſt im Geſetze nicht 
beantwortet; ihre Beantwortung iſt der Rechtswiſſen— 
ſchaft überlaſſen (vgl. Mot. zum I. Entw. Bd. II S. 270). 
Dieſe hat die Frage wohl ganz allgemein dahin ent— 
ſchieden, daß grundſätzlich nur das Verhältnis unter 
den Vertragſchließenden, das ſog. Deckungsverhältnis, 
und nicht auch das Verhältnis zu dem Dritten Be— 
deutung hat. Dieſe Anſicht iſt zutreffend. Iſt ſie das 
aber, ſo kann zunächſt darüber keine Meinungsver— 
ſchiedenheit aufkommen, daß zur Gültigkeit der hier in 
Frage ſtehenden Vereinbarung gerichtliche oder notarielle 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


Beurkundung, wie ſie bei Schenkungen vorgeſchrieben 
iſt, nicht erforderlich war. Denn nach den Feſtſtellungen 
des OLG. liegt ein gegenſeitig verpflichtender Vertrag 
der drei Geſchwiſter vor; Schenkungen und gegenſeitig 
verpflichtende Verträge find jedoch geradezu Gegenſätze, 
und die Gegenſeitigkeit von Verpflichtungen wird da⸗ 
durch nicht ausgeſchloſſen, daß jede der bedungenen 
Leiſtungen einem Dritten gewährt werden, dieſer ſie 
aber ſeinerſeits von dem Geber unentgeltlich bekommen 
fol (vgl. das Senatsurteil vom 16. Januar 1911 IV 
58. 10 Warneyer Erg. Nr. 174). In Frage kommen 
könnte nur, ob die Verſprechen, die ſich die drei Ge⸗ 
ſchwiſter zugunſten ihrer Mutter gegenſeitig haben 
geben laſſen, Leibrentenverſprechen waren, und ob 
aus dieſem Grunde die Vereinbarung der in 8 761 
vorgeſchriebenen Schriftform bedurft hätte. abei 
braucht nicht erörtert zu werden, ob ein Vertrag, 
wie ihn hier die drei Geſchwiſter zugunſten ihrer 
Mutter unter einander geſchloſſen haben, überhaupt 
einen Leibrentenvertrag darſtellen kann, wie ihn das 
Geſetz in den 88 759 — 761 im Auge hat. Denn keines⸗ 
falls können die von den drei Geſchwiſtern ausgetauſchten 
Verſprechen als Leibrentenverſprechen i. S. dieſer Ge⸗ 
ſetzesbeſtimmungen angeſehen werden. Das Os. ſtellt 
feſt, daß die Vereinbarung mit Rückſicht auf die Be- 
dürftigkeit der Mutter getroffen iſt, damit die Rente 
zur Beſtreitung ihres Unterhalts diene. Darin liegt ohne 
weiteres, daß die der Mutter zugedachten Leiſtungen 
auch in der Zukunft von ihrer Bedürftigkeit abhängen 
ſollten. Sie waren alſo nicht durch die Vereinbarung 
ſelbſt ein für allemal feſt begrenzt, ſie ſollten ſich ihrem 
Gegenſtande nach nicht aus ihr allein ergeben, ſondern 
ſie hingen zugleich von äußeren Verhältniſſen ab. Ver⸗ 
ſprechen ſolchen Inhalts erfüllen nicht die in der 
Rechtſprechung des Reichsgerichts entwickelten Begriffs⸗ 
erforderniſſe eines Leibrentenverſprechens, ſelbſt wenn 
ſie ſich auf die Lebenszeit des Berechtigten erſtrecken 
(vgl. die Senatsurteile vom 12. Dez. 1907 IV 221/07 
Entſch. Bd. 67 S. 204 ff., beſ. S. 213, und vom 12. Okt. 
1912 IV 75/12 Entſch. Bd. 80 S. 208 ff., bei. S. 29, 
ſowie vor allem das Senatsurteil vom 20. März 1911 
IV 448/10 Gruchot Bd. 55 S. 949 und JW. 449 Nr. 16). 
Solche Verſprechen ſind Unterhaltsverſprechen, aber 
keine Leibrentenverſprechen; die Formvorſchrift des 
8 761 tft jedoch nur für eigentliche Leibrentenverſprechen, 
nicht auch für andere, wenngleich ähnliche Verträge 
gegeben (vgl. namentlich das zuletzt angeführte Senats» 
urteil). (Urt. des IV. 3 S. vom 14. Mai 1914, 1 . 3). 
3441 ; 


III 


Mutz ſich der lebenslänglich angeſtellte Handlungs⸗ 
ehilſe die VBerſetzung an einen anderen Ort gefallen 
aſſen? Aus den Gründen: .. . Es kommt ledig⸗ 
lich darauf an, ob die Klägerin verpflichtet iſt, in 
Berlin tätig zu ſein und die ihr dort angeſonnenen 
Arbeiten zu verrichten. Nach der oberlandesgericht⸗ 
lichen Vertragsauslegung war der Dienſtvertrag für 
den Ort G. auf Lebenszeit der Klägerin geſchloſſen. 
Entſprechend den Verhältniſſen dieſer kleinen Stadt 
waren Stellung, Arbeitsleiſtung und Einkommen der 
Klägerin bemeſſen. Nach Treu und Glauben wird 
angenommen werden können, daß fie ſich, wenn die 
Intereſſen der Beklagten die Verlegung der Verwaltung 
an einen Ort von ähnlicher Größe, mit ähnlichen Ber» 
hältniſſen verlangt hätten, die Verſetzung dorthin hätte 
gefallen laſſen muſſen. Zu den berechtigten Intereſſen 
des Dienſtherrn gehört auch die Vermehrung feines Ges 
winns; die Rückſicht auf die Gewinnſteigerung war 
für die Beklagte auch ein triftiger Grund zur Ver 
legung des Bureaus von G. Ganz gewiß ſolgte ſie 
auch einem berechtigten Intereſſe, als ſie das Bureau 
nach Berlin verlegte. Daraus folgt aber noch nichts für 
das Rechtsverhältnis zur Klägerin. Deren Stellung 
und Einkommen, für G. zugeſchnitten, entſprechen nicht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


den Berhähltniſſen und Anforderungen der Großſtadt. 
Der für die Verlegung triftige Grund ergab noch keine 
Befugnis zum Eingriff in die Vertragsrechte der Klägerin. 
Treu und Glauben forderten nicht, daß ſie ſich auf 
Grund der Bedingungen des bisherigen Vertrages nach 
Berlin verſetzen ließ. Wie ſelbſt die Aufgabe des 
anzen Geſchäfts den Dienſtherrn nicht berechtigt, den 
andlungsgehilfen fofort zu entlaſſen, ſo berechtigt 
ihn auch nicht ohne weiteres die Verlegung des ganzen 
Geſchäfts an einen anderen Ort, den Handlungsge⸗ 
ad wider feinen Willen dorthin zu verſetzen. Hier 
andelt es ſich aber noch nicht einmal um eine gänz⸗ 
liche Verlegung: der Sitz der Geſellſchaft und ein Teil 
der Verwaltung ſind in G. geblieben. Doch ange⸗ 
nommenen ſelbſt, nach dem Vertrage wäre die 
Klägerin verpflichtet, in Berlin zu arbeiten, ſo 
könnte ſie jedenfalls eine der bisherigen Stellung gleich⸗ 
wertige verlangen (vgl. Staub⸗Könige Anm. 27 zu § 59 
HGB.). Nach den Feſtſtellungen iſt aber die Berliner 
Stellung der Klägerin ihrer bisherigen in G. keines⸗ 
wegs gleichwertig. Es beſtehen geſellſchaftliche, wirt⸗ 
ſchaftliche und namentlich Unterſchiede hinſichtlich der 
Selbſtändigkeit. Die Klägerin iſt nicht mehr in der 
ihr durch den Vertrag verliehenen Stellung einer 
Bureauvorſteherin. Sie ſteht geſchäftlich nicht mehr 
unmittelbar unter dem Vorſtande, ſie bekommt die 
Arbeiten zugewieſen durch andere Angeſtellte und muß 
ſie nach Anfertigung dieſen abliefern und zur Gut⸗ 
heißung vorlegen. Davon kann nicht die Rede ſein, 
daß die untergeordnete Stellung in Berlin darum der 
höheren in G. gleichwertig wäre, weil das Berliner 
Bureau groß iſt und das andere klein war. Die 
Klägerin iſt darnach aus dem Vertrage nicht ver⸗ 
pflichtet, ſich für die Beklagte in Berlin in der ihr 
dort zugemuteten Tätigkeit oder überhaupt in irgend⸗ 
welcher Stellung unter den bisherigen Vertragsbe⸗ 
dingungen beſchäftigen zu laſſen. Will oder kann 
die Beklagte ſie nicht lebenslänglich in vertragsmäßiger 
Weiſe beſchäftigen, dann muß ſie ihr eben ohne Gegen⸗ 
leiſtung lebenslänglich das vertragsmäßige Gehalt 
zahlen, ſolange nicht einer der vom Vertrage zuge⸗ 
laſſenen drei Kündigungsgründe gegeben iſt. (Urt. d. 
III. ZS. vom 7. Juli 1914, III. 135/14). 
3430 —— 


Oberſtes Landesgericht. 


A. Zivilſachen. 
I. 


Kaum die Berwaltungsbehörde die Schreibweiſe eines 
Namens mit bindender Wirkung für das mit dem flanded: 
amtlichen Berichtigungsverfahren befaßte Gericht feſt⸗ 
ſtellen? (PerſStG. 88 65, 66). Das Bezirksamt E. ſtellte 
in einem von ihm als Aufſichtsbehörde des Standes⸗ 
amts B. eingeleiteten Verfahren durch Beſchluß die 
angeblich richtige Schreibweiſe eines Namens feſt und 
beantragte bei dem AG., die dem Beſchluß entſprechende 
Berichtigung einer Geburtsurkunde des Standesamts 
B. anzuordnen; es ging davon aus, daß der Beſchluß 
für das AG. bindend ſei. Das AG. wies den Antrag 
ab, das LG. verwarf die Beſchwerde; auch die weitere 
Beſchwerde hatte keinen Erfolg. 

Aus den Gründen: Die Aenderung der Schreib— 
weiſe eines Namens iſt eine Namensänderung und folgt 
den für dieſe geltenden Vorſchriften, wenn ſie in dem 
Sinne angeſtrebt wird, daß die Schreibweiſe durch eine 
ſchaffende Handlung der Staatsgewalt feſtgeſtellt wird. 
Hier wird die Aenderung nur zur Erhaltung des wahren 
Namens angeſtrebt. Die richtige Schreibweiſe ſoll feſt— 
geſtellt werden. Nur für die Namensänderung beſtehen 
ausdrückliche Vorſchriften über die Zuſtändigkeit ($ 6 
der Bek. vom 27. Dez. 1899, IM Bl. 1900 S. 853). Für 


359 


die bloße Feſtſtellung der Schreibweiſe fehlt es daran. 
Das Bezirksamt nimmt ſeine Zuſtändigkeit mon 
der in den BlAdmpPr. Bd. 53 S. 299 abgedruckten 
Entſchl. des Miniſteriums des Innern vom 20. Nov. 
1902 in Anſpruch. In dieſer iſt ausgeführt, daß für 
die Feſtſtellung der Schreibweiſe der rechtliche Vorgang 
entſcheidend iſt, durch den das Recht des Namens be⸗ 
gründet worden iſt. Richte ſich der Namen einer Perſon 
nach dem einer anderen, ſo müſſe feſtgeſtellt werden, 
wie die Perſon ihn ſchreibe, deren Namen maßgebend 
iſt. Hiebei werde in der Regel auf ſtandes amtliche 
Urkunden zurückgegriffen werden müſſen. Fänden ſich 
in ihnen Verſchiedenheiten oder ergäben ſich ſonſt 
Zweifel, ſo ſei zu entſcheiden, ob eine Berichtigung der 
ſtandesamtlichen Urkunden veranlaßt ſei. Dieſe Ent⸗ 
ſcheidung ſetze die Feſtſtellung der richtigen Schreib⸗ 
weiſe voraus. Für das Verfahren hierbei ſeien die 
88 65, 66 Perſ StG. maßgebend. Es beſtehe nun kein 
Bedenken, dieſes Verfahren in allen Fällen anzuwenden, 
in denen es ſich um die Feſtſtellung der Schreibweiſe 
eines Namens handle, gleichviel ob die Feſtſtellung 
dadurch veranlaßt fei, daß die in den ſtandes amtlichen 
Urkunden angewendete Schreibweiſe als unrichtig be⸗ 
zeichnet werde, oder ob es ſich nur darum handle, die 
Richtigkeit dieſer Schreibweiſe gegenüber Zweifeln zur 
Gewißheit zu machen. Liege kein Anlaß vor, an der 
Richtigkeit der ſich in den ſtandesamtlichen Urkunden 
gleichmäßig findenden Schreibweiſe zu zweifeln, ſo werde 
ſich die Aufſichtsbehörde hiemit begnügen und von der 
Abgabe der Verhandlungen an das Gericht abſehen 
können, wenn nicht der Antragſteller darauf beſtehe. 
Die Zuſtändigkeit zur Feſtſtellung des Familiennamens 
einer Perſon, deren Namen ſich nach dem Familien⸗ 
namen einer anderen Perſon richtet, beſtimme ſich hie⸗ 
nach nach der Zuſtändigkeit zur Vornahme des Be⸗ 
richtigungsverfahrens nach 88 65, 66 und ſei deshalb 
jeder Aufſichtsbehörde zuzuerkennen, in deren Bezirk 
eine zu berichtigende ſtandesamtliche Urkunde aufge⸗ 
nommen wurde. Falls für die Feſtſtellung der Schreib⸗ 
weiſe nur Einträge in pfarramtlichen Matrikeln zur 
Verfügung ſtehen, ſei nach der Entſchließung des 
Miniſteriums des Innern vom 16. Mai 1866 (JM BBl. 
S. 158) zu verfahren. In dieſer iſt beſtimmt, daß für 
die Feſtſtellung der richtigen Schreibweiſe eines Familien⸗ 
namens die Behörden zuſtändig ſind, denen die Auf⸗ 
ſicht über die richtige Führung der Geburts⸗ und 
Trauungsregiſter obliegt. 

Aus dieſen Entſchließungen kann jedoch keine Be⸗ 
fugnis der Verwaltungsbehörden abgeleitet werden, 
die Schreibweiſe eines Familiennamens in einer für 
die Gerichte im ſtandesamtlichen Berichtigungsverfahren 
bindenden Weiſe feſtzuſtellen. Nach SS 65, 66 Perſ StG. 
kann eine Eintragung in dem Standesregiſter nur auf 
Grund gerichtlicher Anordnung berichtigt werden. Die 
Aufſichtsbehörde hat Ermittelungen anzuſtellen und 
die Verhandlungen dem Gerichte vorzulegen. Dieſes 
kann noch weitere Aufklärungen veranlaſſen und hat 
alsdann über den Berichtigungsantrag zu beſchließen, 
kann aber auch den Antragſteller auf den Prozeßweg 
verweiſen. Sonach haben die Aufſichtsbehörden den 
für eine Berichtigung erforderlichen Tatſachenſtoff zu 
beſchaffen und dem Gerichte vorzulegen, das Gericht 
hat zu beſchließen, ob die Berichtigung erfolgen ſoll. 
Hiebei hat es die Tatſachen ſelbſt zu prüfen; daß es 
nicht an die Ermittelungen oder an Beſchlüſſe der Auf⸗ 
ſichtsbehörden gebunden iſt, ergibt ſich ſchon daraus, 
daß es ſonſt zwecklos geweſen wäre, im Berichtigungs⸗ 
verfahren überhaupt eine Entſcheidung des Gerichts 
einzuſchalten. Die Selbſtändigkeit des Gerichts folgt 
übrigens auch aus der ihm in 8 66 PerſStG. zuge⸗ 
ſprochenen Befugnis, ſelbſt noch weitere Aufklärungen 
zu veranlaſſen und geeignetenfalls den Antragſteller 
auf den Prozeßweg zu verweiſen. Dieſe Befugniſſe 
ſetzen ein ſelbſtändiges Prüfungsrecht der Gerichte 


voraus. 


360 


Soweit es ſich um die Berichtigung eines Ein⸗ 
trags in einem Standesregiſter handelt, können alſo 
die Aufſichtsbehörden nach Reichsrecht nicht eine An⸗ 
ordnung mit bindender Wirkung für das nach 8 65 
PerſStG., 869 FGG. zuſtändige Gericht treffen. Dieſer 
Grundſatz greift auch Platz, wenn es ſich darum han⸗ 
delt, wie ein in einer ſtandesamtlichen Urkunde vor⸗ 
kommender Name zu lauten hat. Denn bei der Be⸗ 
urkundung von Geburten, Heiraten und Sterbefällen 
gehört mindeſtens die Angabe des Familiennamens des 
Vaters oder der Mutter des Kindes, der Eheſchließenden 
und des Verſtorbenen zu den weſentlichen Angaben 
(Perſ StG. 8 22 Nr. 5, 854 Nr. 1, § 59 Nr. 1) und der 
Berichtigung zugänglich ſind alle im Regiſter einge⸗ 
tragenen Tatſachen, alfo auch die Abſtammungsver⸗ 
hältniſſe, wie ſie ſich aus dem Familiennamen ergeben. 

Dieſe Zuſtändigkeitsvorſchriften können durch das 
Landesrecht nicht geändert werden. Die Minck. vom 
20. Nov. 1902 bietet aber auch keinen Anhaltspunkt 
dafür, daß ſie in dem von dem Bezirksamt ange⸗ 
nommenen Sinn erlaſſen worden iſt. (Wird ausgeführt). 
Die Beſchwerde beruft ſich darauf, daß in der Min. 
verfügt iſt, es ſei nach der Entſchließung vom 16. Mai 
1866 zu verfahren, falls für die Feſtſtellung der Schreib⸗ 
weiſe nur Einträge in pfarramtlichen Matrikeln zur 
Verfügung ſtehen. Allerdings kommt den Aufſichts⸗ 
behörden nach der Entſchließung vom 16. Mai 1866 
das Recht zu, über die Schreibweiſe eines Namens 
endgültig und für den Regiſterführer bindend zu ent⸗ 
ſcheiden. Allein die weitere Beſchwerde hat dieſen Teil 
der Mine. mißverſtanden. Die Beſchwerde meint, die 
Entſchließung vom 16. Mai 1866 ſei ſchon anzuwenden, 
wenn ſich die für die Entſcheidung maßgebenden Ein⸗ 
träge in pfarramtlichen Regiſtern finden, wenn alſo 
der Name, der feſtzuſtellen iſt, ſowohl in ſtandesamt⸗ 
lichen als in pfarramtlichen Urkunden vorkommt, die 
ſtandesamtlichen Urkunden aber für den Inhalt der 
Entſcheidung belanglos ſind, die Entſcheidung ſich viel⸗ 
mehr nur auf die pfarramtlichen Urkunden gründet. 
In Wirklichkeit aber will die MinE. von 1902 mit dem 
Ausdrucke, daß nur Einträge in pfarramtlichen Ma— 
trikeln zur Verfügung ſtehen, ſagen, daß der Name, 
deſſen Schreibweiſe feſtzuſtellen iſt, nur in pfarramt⸗ 
lichen Matrikeln vorkommt. In dieſem Falle kommt 
das Berichtigungsverfahren des PerſStG. gar nicht in 
Frage, es gilt das bisherige Recht weiter. (Beſchl. des 
I. ZS. vom 13. Juni 1914, Reg. III Nr. 32/1914). 

M. 


II. 


Kann eine Zwangs⸗Sicherungshypothek für eine 
Forderung eingetragen werden, für die jchem eine durch 
Vertrag beftellte Sicherungshypothek eingetragen iſt? 
Aus den Gründen: In dem von dem Kammer— 
gericht in dem Beſchluſſe vom 9. Dezember 1912 (RJ A. 
Bd. 12 S. 269) behandelten Fall handelt es ſich um 
eine neben einer Verkehrshypothek einzutragende Siche— 
rungshypothek, hier aber iſt die auf Grund des Ver— 
trages eingetragene Hypothek ebenſo wie die jetzt im 
Zwangsweg einzutragende Hypothek eine Sicherungs— 
hypothek. Bei dieſer Sachlage treffen die Gründe nicht 
zu, die das Kammergericht dazu geführt haben, mit 
Bezugnahme auf die Entſcheidung des RG. v. 3. Februar 
1909 (Entſch. ZS. Bd. 70 S. 245) die Eintragung einer 
Zwangshypothek für eine Forderung für unzuläſſig 
zu erklären, für die bereits eine Verkehrshypothek be— 
ſteht. Sie ſetzen durchweg das Beſtehen einer Verkehrs— 
hypothek voraus. Das KG. hat in den Gründen ſeiner 
Entſcheidung allerdings auch den Fall behandelt, daß 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


für die Forderung, für welche eine Zwangshypothek, 


eingetragen werden ſoll, ſchon eine Sicherungshypothek 
beſteht. Es hält auch die Zwangsſicherungs- und die 
Vertragsſicherungshypothek für ſo verſchiedene Rechts— 
gebilde, daß ihre Zuſammenfaſſung zu einer Geſamt— 
hypothek unmöglich und deshalb auch die Eintragung 


—— — 


einer Zwangshypothek neben einer Sicherungshypothek 
unzuläſſig ſei. Soweit der Erwerb durch den Eigen» 
tümer in Frage komme, gälten nämlich für die Ver⸗ 
tragsſicherungshypothek die SS 1163, 1168 B., für 
die Zwangsſicherungshypothek aber außer dieſen Vor⸗ 
ſchriften noch der 8 868 ZPO. Nun könnten die Voraus- 
ſetzungen des 8 868 ZPO. gegeben fein, ohne daß einer 
der Fälle der SS 1163, 1168 BGB. vorliege. Es beſtände 
alfo die Möglichkeit, daß die Zwangshypothek auf den 
Eigentümer übergehe, während die Vertragshypothek 
dem Gläubiger verbleibe. Auf dieſe Weiſe könne eine 
Vervielfältigung des Geſamtrechts eintreten, was mit 
dem Weſen des Geſamtrechts unvereinbar ſei. Dieſen 
Ausführungen vermag der Senat nicht beizutreten. 
Durch den 8 868 ZPO. wird nur zu den im BOB. auf⸗ 
geſtellten Fällen des Uebergangs der Hypothek auf 
den Eigentümer für die Zwangshypothek ein weiterer 
Fall der Eigentümerhypothek geſchaffen, nicht aber muß 
daraus gefolgert werden, daß eine Zwangshypothek 
neben einer bereits vertragsmäßig beſtehenden Siche⸗ 
rungshypothek aus inneren Gründen nicht eingetragen 
werden dürfe. Da die 88 1172 — 1174 BOB. nicht zu⸗ 
treffen, bleibt die Vertragshypothek in dem Falle des 8 868 
ZPO. beſtehen und kann von dem Gläubiger dem Eigen⸗ 
tümer gegenüber auch weiterhin geltend gemacht werden. 
Es braucht hier nicht weiter unterſucht zu werden, ob etwa 
durch die nachträgliche Eintragung der Zwangshypothek 
eine Geſamthypothek überhaupt nicht entſteht und des⸗ 
halb die Eintragung einer Zwangshypothek neben einer 
Vertragshypothek durchgängig zuläſſig iſt, ſei dieſe nun 
Verkehrs- oder Sicherungshypothek; unter den Schrift⸗ 
ſtellern, die ſich dafür ausſprechen, wäre außer den vom 
Kc. angeführten beſonders noch Seuffert. Komm zur 
ZPO., 11. Aufl 8867 Anm. 4 zu erwähnen; keinesfalls bes 
ſteht ein zwingender innerer Grund gegen die Eintragung, 
wenn die bereits eingetragene Hypothek eine Sicherunas⸗ 
hypothek iſt (fo bef. auch Predari, BD. 2. Aufl. S. 666). 
Daß die Unzuläſſigkeit nicht aus der Entſtehungs⸗ 
geſchichte des S 867 Abſ. 2 ZPO. abgeleitet werden kann, 
geht aus den Darlegungen des KG. zur Genüge hervor. 
(Vgl. auch Jahrb. d. Entſch. des KG. Bd. 25 4 S. 294). 
Nach 8 864 ff. ZPO. hat der Gläubiger das geſetzliche 
Recht, für feine vollſtreckbare Forderung die Zwangs⸗ 
vollſtreckung in das unbewegliche Vermögen ſeines 
Schuldners vorzunehmen und zu dieſem Zweck mit der 
im $ 866 Abſ. 3 ZPO. ausgeſprochenen Beſchränkung 
auch die Eintragung einer Sicherungshypothek zu er— 
wirken. Wollte man ihm dieſes Recht ganz allgemein 
abſprechen, wenn er bereits durch eine Bertragshypothek 
geſichert iſt, fo wäre erfchlechter geſtellt als der Gläubiger, 
dem keine Vertragshypothek eine Sicherheit bietet. Man 
wird ihm dieſes Recht jedenfalls nicht weiter beſchränken 
dürfen, als dies aus dem Geſichtspunkte der Einheitlichkeit 
der Geſamthypothek oder aus anderen rechtlichen Ge— 
ſichtspunkten unbedingt erforderlich iſt. Der Senat hat 
ſchon in ſeinem Beſchluſſe vom 5. Juni 1902 (Samml. 
Bd. 3 S. 482) ausgeſprochen, daß neben der Hypothek 
des früheren bayeriſchen Rechtes eine Zwangshypothek 
zur Sicherung derſelben Forderung zuläffig iſt. An 
dieſem Beſchluſſe hält er auch unter der Herrſchaft des 
Liegenſchaftsrechts des BGB. mindeſtens für den Fall 
feſt, daß die Vertragshypothek eine Sicherungshypothek 
iſt. Zur Vorlegung der Sache an das Reichsgericht 
beſtand kein Anlaß, denn der mehrerwähnte Beſchluß 
des KG. hatte ſich nur mit der Zuläſſigkeit einer Zwangs— 
hypothek zugunſten einer Forderung zu befaſſen, für 
die bereits eine Verkehrshypothek beſteht und der 8 79 
Abſ. 2 GBO. sit nicht anwendbar, wenn ein Gericht 
der weiteren Beſchwerde von der nur in den Ent⸗ 
ſcheidungsgründen geſtreiften Anſicht eines anderen 
Gerichts der weiteren Beſchwerde oder des Reichsgerichts 
abweichen will. (Beſchl. d. 1. 35. vom 20. Juli 1914, 
Reg. III: Nr. 63 1914). M. 
3440 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


B. Strafſachen. 
I. 


Der baheriſche Depeſchenträger iſt Beamter i. S. 
des $ 359 Stg.; Bedeutung deamtenrechtlicher Bor- 
ſchriſten der Bundes ſtaaten für die Beamteneigenſchaft. 
Aus den Gründen: Da eine Beſtimmung des StGB. 
($ 185) anzuwenden iſt, iſt für die Frage nach der 
Beamteneigenſchaft, von deren Bejahung die Gültig⸗ 
keit des Strafantrages abhängt, § 359 StGB. maß⸗ 
gebend. Hiernach iſt in erſter Linie entſcheidend, ob 
eine Perſon im Dienſte des Reichs oder eines Bundes⸗ 
ſtaats angeſtellt iſt. Die Anſtellung iſt die vertrags⸗ 
mäßige Begründung eines öffentlich⸗rechtlichen Dienſt⸗ 
verhältniſſes, deren Form ſich nach dem Staatsrechte, 
nach den dienſtpragmatiſchen Vorſchriften beſtimmt. 
Die Poſt und die Telegraphie ſind in Bayern Staats⸗ 
anſtalten; insbeſondere ſind die Telegraphenbehörden 
berechtigt und verpflichtet, die bei ihnen aufgegebenen 
und eingelangten Telegramme gegen Bezahlung der 
beſtimmten Gebühren zu befördern. Hierzu gehört 
ſchließlich die Aushändigung an den Empfänger. In 
der Dienſtordnung für die Poſt⸗ und Telegraphen⸗ 
verwaltung (vgl. VerkMBl., poſtd. Teil, 1913 Nr. 179 
S. 303 ff.) iſt das im unmittelbaren Dienſte ſtehende 
Perſonal der Poſt⸗ und Telegraphenverwaltung zer⸗ 
gliedert in: I. die in einem öffentlich⸗rechtlichen Dienſt⸗ 
verhältnis befindlichen Perſonen, nämlich 1. die etats⸗ 
mäßigen Beamten, .. . 4. die ſonſtigen unter Art. 25 
G., fallenden Perſonen; das ſind .. . e) die jugend⸗ 
lichen Depeſchenträger und Briefeinſammler; II. die 
in einem privatrechtlichen Vertrags verhältnis ſtehenden 
Perſonen. Danach ſtehen die Depeſchenträger auch nach 
der Auffaſſung der oberſten Poſtſtelle in einem öffent⸗ 
lich⸗ rechtlichen Dienſtverhältnis und dementſprechend 
iſt der hier als Beleidigter in Betracht kommende 
Depeſchenträger nach den vorliegenden amtlichen Ur⸗ 
kunden zunächſt als jugendlicher Briefeinſammler ein⸗ 
berufen und eidlich verpflichtet, ſodann zum Depeſchen⸗ 
träger berufen worden. Dem Erfordernis der An⸗ 
ſtellung in einem öffentlich⸗rechtlichen Dienſtzweig iſt 
ſohin in jeder Hinſicht genügt — vgl. Bek. vom 17. März 
1907, die Verwaltung und den Betrieb der Verkehrs⸗ 
anſtalten betr. (GVBl. S. 131). Auf die Art der Dienſt⸗ 
leiſtung kommt es nicht an; dieſe wäre erſt dann heran⸗ 
zuziehen, wenn ein formaler Berufungsakt im Einzel⸗ 
falle nicht zu ermitteln wäre (vgl. RG St. Bd. 16 S. 378 
und Bd. 39 S. 232). Uebrigens hat der Depeſchen⸗ 
träger nicht rein manuelle Dienſte, wie das Austragen 
der Telegramme zu verrichten; es liegt ihm viel⸗ 
mehr nach der Telegraphenordnung vom 29. Juni 1904 
ob, die Telegramme nach den Vorſchriften des § 18 
Ziff. VI ff. zu beſtellen, die erforderlichen Empfangs⸗ 
veſcheinigungen zu erholen und die in den Ziff. VIII 
und IX bezeichneten Maßnahmen zu treffen, lauter 
Verrichtungen, die ihm kraft des öffentlich » recht⸗ 
lichen Dienſtverhältniſſes übertragen find. Das LG. 
hat daher mit Recht die Beamteneigenſchaft des De- 
peſchenträgers bejaht und den Strafantrag des Vor⸗ 
ſtandes der Oberpoſtdirektion nach § 196 StGB. für 
rechtswirkſam erachtet. Die in der Reviſionsbegründung 
angezogenen Beſtimmungen des bayer. BG. find ohne 
Einfluß auf die Entſcheidung. Einmal iſt, wie bemerkt, 
die Beamteneigenſchaft auf Grund des 8 359 StGB. 
feſtzuſtellen. Dem würden auch die Beſtimmungen des 
bayer. BG. nicht entgegenſtehen. Art. 1 dieſes Geſetzes 
bezeichnet die Beamten im weiteren Sinn, Art. 2 be⸗ 
trifft nur die etatsmäßigen Beamten, zu denen der 
Depeſchenträger nicht gehört, und Art. 25 erſtreckt ledig— 
lich die Vorſchriften über die Disziplin, die Pflichten 
der Beamten u. a. auf die Staatsdienſtadſpiranten, die 
nicht als Beamte i. S. des Art. 1 erklärt ſind. Wie 
es für den Begriff des Beamten nach $ 359 StGB. 
unerheblich iſt, ob er ein Gehalt bezieht, ſo iſt auch 


— —ññ—̃ öñ —äã5wU—F—ꝛ—— ꝙ:— — . —ũ— wf —ää— ——b³i— êü ä — ——Dũ . iöẽz.0”:ͥ̃ꝛ ͤ ‚:—j . ũ.ä..: .. 'i — ä — . — — 2J:iä—kk ——u——T: —E — ——ö—.— ù'( — k ä — ————.ů—ꝛs—ñꝗ—E8yʃ.,cçöXäkF kͤ1v!1!1! 1! 1!⁊ ß1!1!1!k !!!!!! 111 


361 


der Umſtand, ob er nach Landesrecht in die Gehalts⸗ 

ordnung eingereiht iſt oder nicht, ohne jeden Belang. 

(Urteil vom 5. Mai 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 200/1914). 
d. 


3426 E 
II. 
Die 68 Fünfzehnhundertmark-Berträge und der 
5 288 StGB. Aus den Gründen: Der $ 2 des 


Vertrags, den der Angeklagte S., ſeine Frau und ſein 
Arbeitgeber am 31. Mai 1913 geſchloſſen haben, ſpricht 
unverhüllt aus, daß der durch den Kaufmann C. 
drohenden Gefahr der Pfändung der daß zie der Pfan⸗ 
des Angeklagten begegnet werden, „daß ſie der Pfän⸗ 
dung durch Gläubiger nicht unterliegen“ ſollten. Zur 
Verwirklichung dieſer Abſicht, die Zwangsvollſtreckung 
zu vereiteln, wurde ein ſog. Fünfzehnhundertmark⸗ 
Vertrag geſchloſſen, deſſen Zweck und Bedeutung iſt, 
die geſetzlich vor Pfändung nicht geſchützten Lohn⸗ und 
Gehaltsanſprüche über jährlich 1500 M vertragsmäßig 
dem Zugriffe der Gläubiger zu entziehen und dem 
Dienſtverpflichteten zu erhalten. Die in dem angefoch⸗ 
tenen Urteile feſtgeſtellte Abſicht des S., durch die Ab⸗ 
ſchließung des Vertrags ſeine Stelle nicht zu verlieren, 
mag den Anſtoß zu dem Vertrage gegeben haben; die 
Verwirklichung dieſer Abſicht hatte aber zur Voraus⸗ 
ſetzung die Vereitelung des Gläubigerzugriffs, da die 
Gehaltsanſprüche das einzige greifbare Vermögen des 
S. ſind. Ohne die Abſicht, die drohende Zwangs⸗ 
vollſtreckung hintanzuhalten, hat ein ſolcher Vertrag 
überhaupt keine Daſeins berechtigung, da der Bezugs⸗ 
berechtigte bei dem Mangel einer Vollſtreckungsgefahr 
ohnedies über feine Bezüge frei verfügen kann (RG. 
Bd. 69 S. 60; Bd. 81 S. 41; JW. 1912 S. 689 Nr. 13, 
ferner daſelbſt 1912 S. 430, 894, 1121, 1135; 1913 
S. 182, 295, 297, 522, 562, 1165, 1166; 23. Bd. 4 
S. 833, Bd. 6 S. 132, Bd. 8 S. 1065; BlfRA. Bd. 77 
©. 411, 439 ff.; Hartmann⸗Meikel, AnfG. 6. Aufl. S. 74; 
Gaupp⸗Stein zu § 850 ZPO. 10. Aufl. Bd. II S. 697; 
Meyer, Lohnbeſchlagnahmegeſetz 4. Aufl. S. 114 ff.). 
Wie die Entſcheidung RGSt. Bd. 27 S. 242 ausdrück⸗ 
lich hervorhebt, iſt es für das Merkmal der Abſicht 
der Vereitelung der Gläubigerbefriedigung nicht nötig, 
daß die Vereitelung der Befriedigung des Gläubigers 
gerade den Endzweck des Schuldners, die Vorſtellung 
dieſes Erfolges alſo den Beweggrund für die Hand⸗ 
lung gebildet hat; ein Erfolg gilt ſchon dann als 
direkt und beſtimmt gewollt, wenn der Täter ſeinen 
Eintritt als notwendige unvermeidliche Folge 9005 
Handelns vorausſieht und mit ſolchem Bewußtſein 
zur Ausführung ſchreitet, mag es auch nicht dieſe, 
ſondern eine andere nebenher oder vorangehende Vor⸗ 
ſtellung fein, aus welcher die Tat entſprungen iſt (ſ. 
auch RGSt. Bd. 24 S. 255). Bei dieſer von dem Senat 
geteilten Auffaſſung des Begriffs „Abſicht“ und, da in 
dem Vertrag die Abſicht ausdrücklich feſtgelegt iſt, die 
Gehaltsanſprüche des S. dem Zugriffe des Gläubigers C. 
zu entziehen, ſteht es im Widerſpruche mit den ſonſtigen 
Feſtſtellungen und mit einer richtigen Gedankenfolge, 
wenn das L. feſtſtellt, daß der Angeklagte beim 
Vertragsabſchluſſe ſich nicht bewußt geweſen ſei, ja gar 
nicht daran gedacht habe, die Zwangsvollſtreckung zu 
vereiteln. — Das LG. ſtellt ferner feſt, der Angeklagte S. 
ſei auf Grund der Beſprechungen mit ſeinen beiden 
Rechtsanwälten überzeugt geweſen, daß die künftig erſt 
fällig werdenden Gehaltsanſprüche nicht Beſtandteile 
ſeines Vermögens ſeien. Das will wohl beſagen, daß 
er ſich in einem nach § 59 StGB. zu beachtenden Irr⸗ 
tum über Tatumſtände befunden habe. Allein dieſe 
Annahme trifft nicht zu. Eine an ſich ſtrafbare Hand⸗ 
lung verliert dieſe Eigenſchaft nicht dadurch, daß ſie 
auf den Rat eines Dritten, ſei es auch eines Rechts⸗ 
anwalts, vorgenommen wird; ſtrafrechtlich verant— 
wortlich iſt und bleibt, wer die Handlung vornimmt. 
S. glaubte, daß er durch die Abſchließung des Ver⸗ 
trags ſtraflos die von C. drohende Zwangsvollſtreckung 


362 


und damit deſſen Befriedigung vereiteln könne; dieſer 
Glaube iſt aber nichts anderes als der Glaube an die 
Straffreiheit ſeines Tuns d. i. ein vor Strafe nicht 
ſchützender Irrtum über das Strafgeſetz. — Das LG. 
iſt der Anſchauung, daß in dem Vertrag allein eine 
Veräußerung oder ein Beiſeiteſchaffen i. S. des 8 288 
StGB. nicht gefunden werden könne; es ſtützt ſich 
dabei auf RGSt. Bd. 35 S. 62 und RG. Bd. 81 S. 41. 
Selbſtverſtändlich iſt die Abſchließung eines Vertrags 
allein ohne deſſen Vollzug keine Veräußerung oder Bei⸗ 
ſeiteſchaffung i. S. des § 288 StB. (ſ. auch RGSt. 
Bd. 32 S. 20, Bd. 38 S. 231). Allein der Vertrag iſt 
mit der Wirkung vollzogen worden, daß die Befriedi⸗ 
gung des C. vereitelt wurde, da auf Grund des Ver⸗ 
trags die Pfändungsbenachrichtigung und die Pfän⸗ 
dung und Einziehung unberückſichtigt bleiben und S. 
ſeinen vollen Gehalt empfängt. Der Pfändung ſind 
nicht bloß beſtehende, ſondern auch in der Entſtehung 
begriffene d. i. zukünftige Forderungen unterworfen, 
wenn fie nur hinreichend beſtimmt find, ſonach ins⸗ 
beſondere künftige Gehaltsanſprüche; das ergibt ſich 
aus 8 832 ZPO. und dem ſog. Lohnbeſchl. vom 


25. Mars kür- Da Pfändungen nur in ein Vermögen ſtatt⸗ 
finden können, find die künftigen Gehaltsanſprüche des 
S. aus ſeinem Dienſtverhältnis als Beſtandteile ſeines 
Vermögens zu erachten (Binding, Deutſches Strafrecht 
beſ. Teil 2. Aufl. Bd. I S. 419; RG. Z. Bd. 82 S. 227f.). 
Unter Beiſeiteſchaffen von Vermögensbeſtandteilen i. 
S. des 8 288 StGB. iſt jede Behandlung zu verſtehen, 
die ſie dem Zugriff im Zwangsvollſtreckungs verfahren 
entzieht, einerlei, was dabei aus den Beſtandteilen 
wird (RGSt. Bd. 19 S. 25, Bd. 27 S. 213). „Nach 
dieſem Begriffe des Beiſeiteſchaffens kommt es nicht 
auf den Eintritt einer Rechtsänderung, ſondern nur 
darauf an, daß tatſächlich der Zugriff des Gläubigers 
dauernd oder zeitweiſe vereitelt wird. Beſteht der 
beiſeite zu e Vermögensbeſtandteil des Schuld⸗ 
ners in einem Rechte, ſo iſt den zu dieſem Zwecke 
vorgenommenen Rechtshandlungen keine andere Bes 
deutung beizumeſſen als die, welche dem Verſtecken 
einer körperlichen Sache beiwohnt; es genügt ſonach, 
wenn durch die Handlung eine Verdunkelung der Rechts⸗ 
lage erzielt iſt, kraft welcher der Gläubiger das Forde⸗ 
rungsrecht ſeines Schuldners nicht erkennt oder zu der 
ihm obliegenden Beweisführung nicht oder nur unter 
erheblichen Schwierigkeiten imſtande iſt.“ (RGSt. 
Bd. 35 S. 62, Bd. 38 S. 227 ff., Bd. 8 S. 50, Bd. 9 
S. 231, Bd. 12 S. 129 ff.). Gleichgültig iſt, ob die 
Beiſeiteſchaffung von Vermögensſtücken durch Schein⸗ 
verträge oder durch ernſtlich gemeinte Verträge er— 
folgt, wenn nur die Veräußerung in der Abſicht er— 
folgte, eine beſtimmte drohende Zwangsvollſtreckung 
zu vereiteln (RG St. Bd. 7 S. 61). Gleichgültig iſt es 
auch, ob dem Gläubiger die Geltendmachung ſeiner 
Rechte auch nur zeitweiſe unmöglich gemacht oder 
erſchwert wird (RGSt. Bd. 9 S. 231, Bd. 19 S. 25); 
belanglos iſt ſerner, ob die den Gläubiger ſchädigende 
Handlung des Schuldners nur zum Scheine vor— 
genommen worden iſt, da ſie bis zum Nachweiſe der 
Simulation dieſelbe wirtſchaftliche Wirkung hat wie die 
ernſtlich gemeinte (RG St. Bd. 12 S. 129). — Darnach 
ſind in dem erörterten Umfange die Tatbeſtandsmerk— 
male des 5288 StGB. gegeben und die gegenteiligen Aus— 
führungen des LG., auf denen die Freiſprechung beruht, 
mit den Vorſchriften dieſer Geſetzesſtelle nicht in Ein⸗ 
klang zu bringen. Das Urteil war daher aufzuheben. 
Bei der erneuten Prüfung der Frage, ob der Angekl. S. 
Beſtandteile ſeines Vermögens veräußert habe, wird 
ſich das LG. folgenden Erwägungen nicht verſchließen 
können. Das Urteil in RG. Bd. 69 S. 60 könnte aller— 
dings der Auffaſſung Raum geben, daß die fog. Fünf— 
zehnhundertmark-Verträge ſchlechthin rechtsgültig ſind; 
allein nach den Urteilen in IW. 1912 S. 689 Nr. 13 und 
RZ. Bd. 81 S. 41 hat dieſe Aufſaſſung keine Berechti— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


gung mehr. Es iſt daſelbſt ausgeführt, daß die Rechts⸗ 
gültigkeit ſolcher Verträge von den Umſtänden des Einzel» 
falls abhängt, daß insbeſondere zu prüfen iſt, ob ſie ernſt⸗ 
lich gemeint ſind, und ob ſie nicht gegen die guten Sitten 
verſtoßen. Die Rechtsgültigkeit hängt nach der Auffaſſung 
der 35. des RG. in erſter Linie davon ab, daß die Frau 
mit ihrem Mann in häuslicher Gemeinſchaft lebt und das 
ihr durch den Vertrag Zugewendete im Intereſſe ihrer 
und ihres Mannes Familie zu deren Aufrechthaltung 
und Fortdauer in einem beſcheidenen Umfange dem 
Zwecke des Vertrags entſprechend zu verwenden hat. 
Sind dieſe Vorausſetzungen nicht gegeben, ſo fehlen die 
Vorausſetzungen für die Rechtsgültigkeit eines ſolchen 
Vertrags. Wendet die Strafkammer dieſe Grundſätze auf 
den der Entſcheidung unterſtehenden Fall an und kommt 
je zu der Anſchauung, daß der Vertrag vom 31. Mai 1913 

ie Eigenſchaften eines Scheinvertrags hat, ſo wird ſie 
zu der viel umſtrittenen Auffaſſung des RG. von der 
Rechtsgültigkeit der ſog. Fünfzehnhundertmarkverträge 
an ſich nicht grundſätzlich Stellung zu nehmen brauchen. 
Bei der Prüfung der Frage, ob die Vertragsbeteiligten, 
insbeſondere S., ernſtlich gewollt haben, daß der der 
Frau S. zugewendete Betrag von 3300 M ihr aus 
eigenem Rechte zur freien Verfügung im Intereſſe der 
Familie des S. zuſtehen ſoll, wird folgendes zu beachten 
ſein. S. und ſeine Frau leben ſeit Jahren — offenſicht⸗ 
lich aus Verſchulden des erſteren — von einander ge⸗ 
trennt; die häusliche Gemeinſchaft der kinderloſen Ehe⸗ 
leute, der gemeinſame Hausſtand, iſt längſt aufgegeben: 
die Ehe beſteht zwar noch rechtlich, aber tatſächlich nicht 
mehr; eine Beziehung zwiſchen den Eheleuten iſt nur 
noch inſoweit vorhanden, als S. ſeiner Frau einen 
monatlichen Unterhaltsbeitrag von 150 M auf Grund 
der SS 1360 und 1361 BGB. zu leiſten ſich verpflichten 
hat. Der Angeklagte lebt ſeit Jahren mit ſeiner Ge⸗ 
liebten zuſammen, teilt mit ihr und den beiden mit ihr 
erzeugten Kindern den Hausſtand und verwendet hierauf 
den 250 M betragenden Reſt des Monatsgehalts. Dieſes 
Zuſammenleben und Zuſammenwirtſchaften iſt einer 
ehelichen Gemeinſchaft nicht gleich zu erachten; dagegen 
ſträuben ſich die guten Sitten und die Geſetze, unter Um⸗ 
ſtänden die Strafbeſtimmung des Art. 50a P StG. 
(Konkubinat). Schließt ſich das LG. dieſen Erwägungen 
an, dann fehlen die Vorausſetzungen, die nach der An⸗ 
ſchauung des RG. vorhanden ſein müſſen, um den durch 
den Vertrag verfolgten Zweck als durchgreifend, als 
ſittlich und rechtlich erlaubt, erachten zu können. Der 
Frau S. ſtehen die nach dem Vertrage vom 31. Mai 1913 
ihr zugewendeten Beträge anſcheinend aus eigenem 
Rechte zu; dadurch iſt formell dem vom RG. aufge⸗ 
ſtellten Erforderniſſe Rechnung getragen, daß die Be⸗ 
träge rechtlich zu ihrer freien Verfügung bezahlt werden 
ſollen. Nun wird bei den geſchilderten tatſächlichen Be⸗ 
ziehungen zwiſchen den Eheleuten S. die Annahme aus⸗ 
geſchloſſen ſein, daß S. im Ernſte ſeiner Frau, die ihm 
nur eine Laſt iſt, von feinem Jahresgehalte von 4500 M 
den Betrag von jährlich 3300 M zur freien Verfügung 
ſtellen wollte; von einer Verwendung dieſes Betrags 
im Intereſſe der Familie S. kann keine Rede ſein, da 
eine ſolche nicht vorhanden iſt; ebenſowenig kann eine 
rechtliche oder ſittliche Verpflichtung der Frau S. in 
Frage kommen, einen Teil des ihr zugewendeten Betrags 
von 3300 M der Geliebten ihres Mannes und den im 
Ehebruch erzeugten Kindern zukommen zu laſſen, da ihr 
die vom Geſetz und den guten Sitten verpönte Zumutung 
gemacht werden müßte, als Ehefrau das ehebrecheriſche 
Leben ihres Mannes zu begünſtigen. Die Auffaſſung 
des RG. und eines Teils der Verfechter dieſer Auffaſſung 
(neueſtens LZ. Bd. 8 S. 1066 ff.) wird von dem Gedanken 
getragen, daß der Dienſtverpflichtete nicht gezwungen 
werden könne, ſeine Arbeitskraft den Forderungen ſeiner 
Gläubiger zur Verfügung zu ſtellen, ihnen „feine Arbeit 
zu opfern“ (S. 1073), daß er dagegen berechtigt iſt, feine 
Arbeit unter Ausſchaltung ſeiner Gläubiger ſeiner Frau 
zur Erhaltung des notdürftigen oder ſtandesgemaßen 


ehelichen Haushalts zu opfern. Bei den tatſächlich be⸗ 
ſtehenden Verhältniſſen wird ſich das LG. die Frage 
vorlegen müſſen, ob S. im Ernſte über den Lohn von 
1500 M jährlich hinaus nur arbeitet, um die Arbeits⸗ 
mehrleiſtung von 3300 M feiner ihm läſtig gewordenen 
Frau zuzuwenden. Tritt es dieſen Erwägungen bei, ſo 
ſtehen in Wirklichkeit dem S. drei Gläubiger gegenüber: 
ſeine Frau, der mit einem Vollſtreckungstitel verſehene, 
die Vollſtreckung betreibende Kaufmann C. und die 
gleichfalls mit einem Vollſtreckungstitel für ihre Unter⸗ 
halts forderungen ausgeſtatteten außerehelichen Kinder 
und man wird demnach nicht ſagen können, daß die 
Vereinbarungen vom 31. Mai 1913, insbeſondere die 
A an die Frau S. ernſtlich gewollt ſind. 
ommt das LG. zu dieſer Auffaſſung, ſo wird es zu 
der rechtlich einwandfreien Feſtſtellung gelangen, daß 
der Vertrag zwar ein der Auffaſſung des RG. entſprechen⸗ 
des rechtliches Gewand erhalten dat, in Wirklichkeit aber 
das gewollte Rechtsgeſchäft d. i. die Zuwendung des 
vollen Gehalts an S. zu deſſen freien Verfügung ver⸗ 
deckt. Das LG. wird aber auch zur weiteren Erforſchung 
des wahren Inhalts des Vertrags das dieſem voraus⸗ 
gegangene Sonderabkommen berückſichtigen, worin Frau 
S. ihren Mann ermächtigt, in ihrem Namen bei ſeinem 
Arbeitgeber Geld in Empfang zu nehmen und darüber 
zu quittieren. Darnach iſt die Frau S. nicht einmal 
berechtigt, den ihr angeblich zugewieſenen Betrag in 
Empfang zu nehmen, vielweniger „aus eigenem Rechte 
darüber frei zu verfügen“; ſie iſt nur nach außen die 
Empfangs⸗ und Verfügungsberechtigte; in Wahrheit 
ſteht ihr nicht der geringſte Einfluß auf den Gehalts⸗ 
betrag von 3300 M zu, und mit ihrem monat⸗ 
lichen Unterhaltsbeitrag von 150 M iſt fie lediglich auf 
die Bertragstreue ihres Mannes angewleſen. S. nimmt 
trotz des Vertrags ſeinen vollen Monatsgehalt in Emp⸗ 
fang und verfügt hierüber geradeſo, wie zu der dem 
Vertrage vorausgegangenen Zeit. Kommt das LG. zu 
dieſer Feſtſtellung, ſo liegt die rechtliche Folgerung nahe, 
daß durch den Vertrag eine Aenderung in den recht⸗ 
lichen und wirtſchaftlichen Beziehungen des S. zu der 
Firma N. und ſeiner Frau nicht eingetreten, der Vertrag 
nur zum Schein abgeſchloſſen worden iſt, und durch ihn 
die Gehaltsanſprüche des S., auch ſoweit ſie den jähr⸗ 
lichen Betrag von 1500 M überſteigen, aus ſeinem Ver⸗ 
mögen nicht ausgeſchieden ſind. Dann aber erübrigt 
ſich ein Eingehen auf die Frage, ob in ihnen ein Verſtoß 
gegen die guten Sitten 15385 (Urteil vom 30. . 1914, 
Rev.⸗Reg. Nr. el 4). Ed. 
3444 


Landgericht Memmingen. 


Auſſchluß aus Akten an Ordinariate. Die Schweiter 
eines Pfarrers, die im Pfarrhofe wohnte, gebar außer⸗ 
ehelich ein Mädchen. Das Ordinariat verlangte Ent⸗ 
fernung von Mutter und Kind aus dem Pfarrhofe, be⸗ 
ge ſich aber auf Bitten mit der Entfernung des 

indes. Dieſes wurde weggebracht. Nach einiger Zeit 
wurde aber das Ordinariat benachrichtigt, daß ſich ein 
ungefähr gleichaltriges Mädchen im Pfarrhofe befinde. 
Angeblich ſtammte es von einer anderen Schweſter 
des Pfarrers. Bei der Ortspolizei war es nicht an⸗ 
gemeldet. Um unter Anwendung der Kirchenzucht den 
farrer zur Entfernung des Kindes aus dem Pfarr— 
ofe zu zwingen, erſuchte das Ordinariat das Vor- 
mundſchaftsgericht um Auskunft über den Aufenthalt 
des Mündels; dieſes weigerte ſich, urſprünglich unter 
Berufung auf das Amtsgeheimnis, ſpäter deshalb, weil 
kein berechtigtes Intereſſe des Ordinariates i. S. des 
§ 34 FGG. gegeben ſei und das glaubhaft gemachte 
berechtigte Intereſſe nach § 34 nicht zur Auskunft ver⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19. 


363 


pflichte, auch das Intereſſe des Mündels zur Verweigerung 
der Auskunft nötige. Das Ordinariat erhob Beſchwerde; 
das Beſchwerdegericht erklärte ſich für unzuſtändig und 
beſchloß, die Akten dem Landgerichtspräſidenten vor⸗ 
zulegen: 

Aus den Gründen: 8 34 JGG. behandelt nur 
die Akteneinſicht durch Privatperſonen, nicht aber die 
Einſicht durch Behörden und Beamte im amtlichen 
Intereſſe. Die Entſcheidung hängt alſo davon ab, ob 
das Ordinariat Aufſchluß als Behörde und im amt⸗ 
lichen 0 begehrt. Dieſe Frage iſt zu bejahen. 
Das Ordinariat iſt eine oberhirtliche Behörde zur Be⸗ 
handlung der Diözeſanangelegenheiten eines Bistums. 
(Seydel, Bayer. Staatsrecht 1892, Bd. IV S. 233). Die 
Gerichte haben die Rechtsſtellung eines Ordinariates 
umſchrieben, wie folgt: „Ein Ordinariat iſt eine mit 
allerhöchſter Genehmigung von den Biſchöfen zur Be⸗ 
handlung der Diözeſanangelegenheiten mit Ausſchluß 
der Eheſtreitſachen konſtituierte Behörde“ (Bay. OGH. 
Bd. III, 223 und Seuff Bl. Bd. 38 S. 88 ff.). Ferner: 

„Ein Ordinariat iſt eine kirchliche Verwaltungsſtelle, 
die ſich als Beraterin und Hilfsorgan des Biſchofs 
mit Behandlung der Diözeſanangelegenheiten befaßt“ 
(Seuff Bl. Bd. 32 S. 280). Die „geiſtliche Oberbehörde“ 
iſt in der II. Verf Beil. vom Staate anerkannt (vgl. 
88 23, 39, 59, 63, 68 uſw., Konkordat Art. II und III). 
Diefe Anerkennung iſt in Geſetzen vielfach ausgedrückt, 
zuletzt in der KG O. vom 24. September 1912 (GBl. 
S. 911: 8$ 8u, 11, 1411, 15, 18u, 231: „kirchliche 
Oberbehoͤrden“). Ein dienſtlicher Verkehr der Ordi⸗ 
nariate mit den Staatsbehörden (,Landesſtellen“) iſt 
ausdrücklich anerkannt in der AllerhVO. vom 7. Mai 
1826 (Reg Bl. 1826 S. 491 Ziff. 1 a. E.). Durch die 
88 38, 39, 40 II. Verf Beil. iſt ein Aufſichts⸗ und Zucht⸗ 
recht der kirchlichen Oberen feſtgeſtellt. Die Biſchöfe 
haben eine Dienſtſtrafgewalt über ihre Geiſtlichen 
(Seydel a. a. O. S. 174 und 276, Konkordat Art. XII 
Lit. d). An der Ausübung dieſer Dienſtſtrafgewalt 
nimmt der Staat aus Gründen des allgemeinen Wohles 
lebhaftes Intereſſe. Deshalb een er die kirch⸗ 
lichen Behörden (Seydel a. a. O. S. 246). Zur Auf⸗ 
rechthaltung der Kirchenzucht ſind die Strafverfolgungs⸗ 
behörden beauftragt, von Erhebung öffentlicher Klage 
uſw. gegen Geiſtliche Mitteilung an die vorgeſetzte 
geiſtliche Behörde zu machen. (JM Bl. 1910 S. 1001 
Nr. II, dazu JM Bl. 1913 S. 695 Nr. 5). 


Hier hat ſomit eine vom Staate anerkannte Be⸗ 
hörde im amtlichen Intereſſe um Aufſchluß gebeten. 
Die Beſchwerde des Ordinariats iſt keine Beſchwerde 
nach 88 19 ff. FGG. Auch keine Rechtshilfe — weder 
im techniſchen noch im weiteſten Sinne des Begriffes 
— kommt in Frage. Es handelt ſich vielmehr um 
das Erſuchen einer Behörde an eine andere und um 
die Beſchwerde einer Behörde über eine andere in einer 
Ermeſſensfrage. Landesrechtliche n (Beie 
oder Verordnung) fehlen. Art. 129 AG. BGB. und 
Art. 7 AG. GVG. treffen nicht zu. Art. 3 AG. ZPO. 
beſchränkt ſich auf die ſtreitige Gerichtsbarkeit. Die 
analoge Anwendung des im 8 299 ZPO. enthaltenen 
Grundſatzes, daß die Gewährung von Akteneinſicht 
(alſo auch die Erteilung von Auskunft aus den Akten) 
Sache des Gerichtsvorſtandes, alfo der Juſtizverwaltung 
iſt, nötigt jedoch dazu, die Beſchwerde gegen Ver⸗ 
weigerung der Auskunft als eine Dienſtaufſichtsbe⸗ 
ſchwerde zu behandeln, zu deren Verbeſcheidung die 
Beſchwerdekammer nicht zuſtändig iſt. (Beſchl. vom 
20. April 1914, Beſchw.⸗Reg. 40/14). Mr. 

3387 


364 


Vücheranzeigen. 


Krieges:, Zivil- und Finanzgeſetze vom 4. Auguſt 1914. 
Die außerordentlichen reichsgeſetzlichen Beſtimmungen 
mit den amtlichen Begründungen, Bekanntmachungen 
und Ausführungsbeſtimmungen und den angezogenen 
Geſetzesſtellen. 116 Seiten. Berlin 1914, J. Gutten⸗ 
tag. Gebd. Mk. 1.50. 

Die Ausgabe enthält die Geſetze und Verordnungen, 
die der im Auguſt 1914 begonnene Krieg veranlaßt 
hat. Rein militäriſche Geſetze ſind nicht aufgenommen. 
Zur Erläuterung iſt die amtliche Begründung bei⸗ 
gegeben. Die Raſchheit, mit der die Guttentagſche 
Verlagsbuchhandlung wieder auf dem Plan erſchienen 
iſt, iſt anzuerkennen. Allerdings hat die Schnelligkeit 
zur natürlichen Folge gehabt, daß die allerletzten Be⸗ 
kanntmachungen des Bundesrats und des preußiſchen 
Miniſteriums nicht aufgenommen werden konnten. 
Immerhin wird ſich der preußiſche Juriſt der Ausgabe 
mit Vorteil bedienen. 

München. 


Die Kriegsuotgeſetze vom 4. Auguſt 1914. Textaus⸗ 
gabe. 52 Seiten. München 1914. C. H. Beck'ſche 
Verlagsbuchhandlung. Kartonniert Mk. 1.— 


Das Büchlein enthält außer den Geſetzen auch die 
Bekanntmachungen, die der Bundesrat auf Grund des 
Ermächtigungsgeſetzes bis zum 18. Auguſt ds. Js. 
erlaſſen hat. 


Clarus, br. Gerhard, Syndikus der Handelskammer 
in Regensburg. Die Konkurs verbrechen nach 
dem Gegenentwur fverglichen mit dem geltenden 
Recht. 48 Seiten. München, Berlin und Leipzig 1914, 
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 1.20 

Eine ſachkundige, in der Hauptſache zuſtimmende 

Beſprechung der (im Anhang abgedruckten) in den Vor⸗ 

entwurf leider nicht aufgenommenen konkursrechtlichen 

Strafbeſtimmungen des Gegenentwurfs. Dr. 


Rechtsanwalt Dr. Rudolf Waſſermann. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


In dem bayer. Geſetz über den Kriegszuſtand vom 
5. Nov. 1912 find durch den § 17 RG. gegen den Ber: 
rat militäriſcher Geheimniſſe vom 3. Juni 1914 die in 
Art. 4 Nr. 3 und Art. 6 Nr. 6 angefuhrten Vorſchriften 
der 88 1—5 des gleichnamigen Geſetzes vom 3. Juli 
1893 durch die entſprechenden Vorſchriften der 88 1—5 
des neuen Geſetzes erſetzt worden. In den §8 6, 7 und 10 
enthält das Geſetz von 3. Juni 1914 neue Strafbe— 
ſtimmungen für Handlungen, zu deren Aburteilung 
der Natur der Sache nach die ſtandrechtlichen Gerichte 
berufen find. Das bayeriſche Geſetz vom 6. Auguſt 
d. Js. betr. die Aenderung des Geſetzes über den Kriegs- 
zuſtand (GVBl. S. 349) dehnt die Zuſtändigkeit der 
ſtandrechtlichen Gerichte entſprechend aus und ſtellt 
außerdem die Verweiſungen auf das Geſetz gegen den 
Verrat militäriſcher Geheimniſſe durch Anführung des 
neuen Geſetzes richtig. 


Die der Landesgeſetzgebung vorbehaltenen Frage, 
wer die Dienſtauſſicht uber die Gewerbe: und die Kauf⸗ 
maunsgerichte zu fuhren hat — wir zählten in Bayern 
Ende des vorigen Jahres 72 Gewerbe- und 30 Kauf— 
mannsgerichte — war bisher in Bayern geſetzlich nicht 
geregelt. Das Geſetz vom 11. Auguſt 1914 (GBl. 
S. 369) hat nun in Art. 1 beſtimmt, daß die Dienftaufs 
ſicht von den Landgerichten nach den Anordnungen des 


Juſtizminiſteriums geführt wird. Wie gegenuber den 


Beelen für neger in Bayern. 1914. Br. 10 


— ——— — 


—— — —ͤ— — ——— ᷣ ł ä ͤ .6b— — 


Amtsgerichten, ſo werden die Landgerichte nun auch 
gegenüber den Gewerbe⸗ und den Kaufmannsgerichten 
die ordnungsmäßige Ausführung der Geſchäfte über⸗ 
wachen (AG. GVG. Art. 71 Abſ. 1 Halbſ. 1), und Be: 
chwerden der Beteiligten gegen dieſe Gerichte und deren 

itglieder wegen Verzögerung oder Verweigerung der 
Rechtspflege können bei den Landgerichten angebracht 
werden (Art. 73 Abſ. 1, 2 a. a. O.). Die Grenzen, die zur 
Wahrung der Unabhängigkeit der Rechtspflege der 
Juſtizverwaltung bei ihrer Dienſtaufſicht gegenüber 
den ordentlichen Gerichten gezogen ſind, beſtehen ſelbſt⸗ 
verſtändlich auch gegenüber den Gewerbe⸗ und den 
Kaufmannsgerichten. Auch haben die Landgerichte 
gegen die Mitglieder dieſer Gerichte und deren Kanzlei⸗ 
perſonal keine Ordnungsſtrafgewalt. Soweit nicht die 
Vorſchriften der 88 21, 23 G6. und der 8 15 KG. 
über die Amtsentſetzung der Mitglieder und über die 
Beſchwerde wegen Ordnungsſtrafen gegen Beiſitzer Platz 
greifen, beſtimmt ſich das Disziplinarrecht nach den für 
den Beamten geltenden allgemeinen Dienſtvorſchriften: 
für Gemeindebeamte iſt alſo das Gemeindebeamtenrecht 
maßgebend. Nicht berüht werden durch das Geſetz die 
Zuſtändigkeiten, die das GGG. und das KGG. der 
„Landeszentralbehörde“ und den „höheren Verwal⸗ 
tungsbehörden“ (Staatsminiſterium des K. Hauſes und 
des Aeußern, Kreisregierungen, K. des J.,) überträgt. 
Die Innungen und die Innungsſchiedsgerichte (8 84 
GGG.) üben keine ſelbſtändige Gerichtsbarkeit aus, 
ſondern entſcheiden nur vorbehaltlich des Rechtswegs 
(GewO. 88 81 a Nr. 4, 81b Nr. 4, 91—91 b); fie ſtehen 
alſo den ordentlichen Gerichten nicht gleich und ſind der 
Dienſtaufſicht der Landgerichte nicht unterſtellt. — Die 
Errichtung von Gewerbe- und Kaufmannsgerichten zu 
erleichtern iſt der Zweck des Art. 2 des Geſ., wonach 
mit Zuſtimmung der Juſtizverwaltung ſolche Gerichte 
an Amtsgerichte angegliedert werden können. Die 
Gerichte werden auch in dieſem Fall als ſelbſtändige 
Sondergerichte errichtet; es wird jedoch von der We: 
meinde ein Richter des AG. als Vorſitzender beſtellt 
und im Statut beſtimmt, daß die Gerichtsſchreiberge⸗ 
ſchäfte von der Gerichtsſchreiberei des Amtsgerichts de⸗ 
ſorgt werden und das Gericht in den Räumen des 
Amtsgerichts amtiert. Der Satz 2 des Art. 2 verpflichtet 
die Richter des Amtsgerichts ſich von den Gemeinden 
(GGG. 8 12 Abſ. 2, KGG. 8 11 Abſ. 2) als Vorſitzende 
beſtellen zu laſſen; für die nichtrichterlichen Beamten 
des Amtsgerichts ergibt ſich die Möglichkeit, ſie mit 
dem Gerichtsſchreiber-, Zuſtellungs- und Vollſtreckungs⸗ 
dienſt des Gewerbe- oder Kaufmannsgerichts zu beauf— 
tragen, aus 819 BeamtG. Die Einnahmen des Gewerbe— 
oder Kaufmannsgerichts gebühren auch im Falle der 
Angliederung an das Amtsgericht der Gemeinde (89 
Abſ. 2 GGG., 8 8 Abſ. 3 KG.); Staat und Gemeinde 
werden ſich darüber zu einigen haben, wieweit dieſe 
zu den durch die Angliederung dem Staat entſtehenden 
Koſten beizutragen hat. 


Eine Neuerung auf dem Gebiete der Gerichtsver⸗ 
faſſung hat auch das bayer. Geſetz vom 21. Auguſt 1914, 
betr. die Abänderung des AG. G86., gebracht (GBl. 
S. 415): es entlaſtet durch einen Zuſatz zu Art. 35 die 
Schwurgerichte von einem Teile der Sachen, die nach 
dem Wortlaut, aber nicht nach dem Zwecke des Art. 35 
bisher als Preßdelikte zu ihrer Zuſtandigkeit gehörten, 
nämlich von den Anklagen wegen der durch die Preſſe 
begangenen Vergehen nach dem Gef. gegen den un 
lauteren Wettbewerb und dem Geſ. zum Schutze der 
Warenbezeichnungen. 

3446 


Verantwortl. Herausgeber i. V.: E. Eckert, Land⸗ 
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von 5 Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


Ar. 20 u. 21. 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 


Regierungsrat im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtig. 


München, den 1. November 1914. 


Zeilſchrift für Rechtapflege 


in Bayern 


10. Jahrg. 


Verlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Seller) 
Münden, Berlin u. Keipjig. 


(Seufferts Blatter für Rechtsanwendung 8d. 79.) 


Die W erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /. 
in en e von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich (: 

8.—. e ger übernimmt jede Buchhandlung und \I- 
— Poſtanſtalt. 


Nachdrucke verboten. 


Die Novelle zum Handelsgeſetzbuche. 
Von Landgerichtsrat A. Bedall in München. 


Am 1. Januar 1915 tritt das * vom 
10. Juni 1914 betr. die Aenderung der 88 74, 
75, 76 Abſ. 1 des Handelsgeſetzbuchs in Kraft 
(RG Bl. Nr. 35/1914). Das Geſetz bringt eine 
Reihe neuer Beſtimmungen, die ſich auf die Kon⸗ 
kurrenzklauſel der Handlungsgehilfen oder, wie ſich 
das neue Geſetz deutſch ausdrückt, auf das „Wett⸗ 
bewerbverbot“ beziehen. Die Beſtimmungen ſind 
beſchränkt auf die Handlungsgehilfen, teilweiſe 
finden ſie auf Handlungslehrlinge und Volontäre 
Anwendung. 

Handlungsgehilfe iſt nach 8 59 HGB., wer in 
einem Handelsgewerbe zur Leiſtung kaufmänniſcher 
Dienſte gegen Entgelt angeſtellt iſt; bezüglich der 
näheren Definition und Unterſcheidung des Hand⸗ 
lungsgehilfen von den übrigen Gehilfen eines Kauf⸗ 
manns iſt zu vergleichen Staub, Komm. z. HGB. 
8 59 Anm. 7 ff. Auf andere Perſonen, Pro: 
kuriſten, Handlungsagenten, Handlungsreiſe nde 
(3 55 HGB.) ꝛc. finden die Beſtimmungen wie 
bisher keine Anwendung. 


I. Bisheriges Recht. 


1. Das Allgemeine Deutſche Handelsgeſetzbuch 
enthielt beſondere Beſtimmungen über ein Wett⸗ 
bewerbverbot nach Beendigung des Dienſtverhält⸗ 
niſſes nicht. Art. 59 beſagte nur: „Ein Hand: 
lungsgehilfe darf ohne Einwilligung des Prinzi⸗ 
pals weder für eigene Rechnung noch für Rech⸗ 
nung eines Dritten Handelsgeſchäfte machen. In 
dieſer Beziehung kommen die für den Prokuriſten 
und Handlungs bevollmächtigten geltenden Beſtim⸗ 
mungen (Art. 56) zur Anwendung. Dieſe Be: 
ſtimmungen bezogen ſich nur auf die Dauer des 
Dienſtverhältniſſes. Doch wurden damals auch 
ſchon Verträge zwiſchen einem Handlungsbevoll— 


Leitung und a München, Ottoſtraße 1a, 
« || Anzeigengebübr 30 P für die halbgeſpaltene Petitzeile 
/oder deren Raum. Ben lederbolungen e Stellen» 
% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


— . ' .. b' —— . — Er | 


365 


mächtigten und Prinzipal geſchloſſen, inhaltlich 


deren erſterer nach Beendigung des Dienſtverhält⸗ 
niſſes eine gewiſſe Friſt hindurch in einem be⸗ 
ſtimmten Bezirk ein Konkurrenzgeſchäft bei hoher 
Vertragsſtraſe weder gründen, noch ih an 
einem ſolchen beteiligen durfte; dieſe Verträge 
waren zuläſſig, vorausgeſetzt, daß durch die Höhe 
der Strafe, die allzulange Dauer der Friſt und 
die allzu weite Bezirksbeſtimmung nicht das Maß 
guter Sitten überſchritten wurde. Solche Ver⸗ 
träge konnten in Anwendung der Schlußbeſtim⸗ 
mung des Art. 59 auch mit Handlungsgehilfen 
geſchloſſen werden (vgl. Gareis⸗Fuchsberger, Allg. 
Deutſches HGB. Art. 56 und 59 Anm. 97). 

2. Das Handelsgeſetzbuch vom 10. Mai 1897 
hat in 88 74 und 75 die Vereinbarungen zwiſchen 
Prinzipal und Handlungsgehilfen über Beſchrän⸗ 
kungen der gewerblichen Tätigkeit des letzteren 
für die Zeit nach der Beendigung des Dienſt⸗ 
verhältniſſes näher geregelt; Anlaß zu dieſer Re⸗ 


gelung gab die Tatſache, daß mit den Konkurrenz⸗ 


klauſeln bedeutender Mißbrauch getrieben und den 
Gehilfen vielfach das fernere Fortkommen weit 
über das berechtigte Intereſſe des Prinzipals hinaus 
erſchwert wurde. § 74 erklärt ſolche Verein⸗ 
barungen für den Handlungsgehilfen nur inſoweit 
bindend, als die Beſchränkung nach Zeit, Ort 
und Gegenſtand nicht die Grenzen überſchreitet, 
durch welche eine unbillige Erſchwerung des Fort⸗ 
kommens des Handlungsgehilfen ausgeſchloſſen wird, 
und die Beſchränkung darf ſich nur auf einen Zeit⸗ 
raum bis zu drei Jahren von Beendigung des 
Dienſtverhältniſſes an beziehen. Während das 
frühere Recht nur darauf Rückſicht nahm, daß 
das Maß der guten Sitten nicht überſchritten 
wurde, liegt hier der Hauptton auf dem Ausſchluß 
der unbilligen Erſchwerung des Fortkommens des 
Handlungsgehilfen. Wann hier die Grenzen der 
Billigkeit überſchritten werden, kann nur im Einzel⸗ 
falle gejagt werden. Die geſchäftlichen Verhält⸗ 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


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niſſe des Prinzipals einerſeits, auch ſein berech⸗ 

tigtes Intereſſe nach der Beſonderheit des Betriebes, 
die Verhältniſſe des Gehilfen andererſeits, auch 
ſeine Gehaltsbezüge und ſonſtigen Vermögensverhält⸗ 
niſſe können dabei maßgebend ſein, ebenſo die 
Erwägung, ob ſich der Gehilfe unſchwer auf 
anderen Gebieten betätigen kann. Durch die Ein⸗ 
ſchraͤnkung, daß die Vereinbarungen nur inſoweit 
verbindlich ſind, als die Grenzen der Billigkeit 
nicht überſchritten ſind, iſt geſagt, daß die Ver⸗ 
einbarungen nur hinſichtlich des Uebermaßes un⸗ 
verbindlich ſind, daß alſo der Richter das Verbot 
inhaltlich ermäßigen, ſeine Grenzen ſo feſtſetzen 
muß, daß der Billigkeit entſprochen iſt; hiebei ſind 
auch wieder die beiderſeitigen Verhältniſſe zu berück⸗ 
fihtigen; die Einſchränkung kann hinſichtlich des 
Geſchäftszweigs. der Zeitdauer, der Beſchäftigungsart 
und der räumlichen Geltung erfolgen. Unter Um⸗ 
ſtänden kann natürlich auch die ganze Konkurrenz⸗ 
klauſel für ungültig erklärt werden, wenn auf 
anderem Wege eine unbillige Erſchwerung des 
Fortkommens des Gehilfen nicht zu beſeitigen iſt 
oder wenn die Vereinbarung der Konkurrenzklauſel 
überhaupt gegen die guten Sitten verſtößt; unzu⸗ 
läſſig iſt auch die Beſchränkung, wenn der Prin⸗ 
zipal kein begründetes Intereſſe an der Kon⸗ 
kurrenzklauſel hat, denn es iſt unbillig, daß der 
Prinzipal die Erwerbsfreiheit des Gehilfen weiter 
beſchränkt, als dies in ſeinem Intereſſe nötig iſt. 

Nach Abſ. 3 des 8 74 iſt die Vereinbarung 
nichtig, wenn der Handlungsgehilfe zur Zeit des 
Abſchluſſes minderjährig iſt, und zwar unter allen 
Umſtänden, auch wenn der geſetzliche Vertreter ſie 
mitabſchließt oder genehmigt; ſie wird nur gültig, 
wenn der Handlungsgehilfe nach erlangter Voll⸗ 
jährigfeit fie genehmigt. 

8 75 beſtimmt dann die Fälle der Vertrags⸗ 
beendigung, für welche die Konkurrenzklauſel nicht 
gilt, und die Folgen der Uebertretung des Ver⸗ 
at im Falle der Vereinbarung einer Vertrags⸗ 

rafe. 

Die Konkurrenzklauſel gilt grundſätzlich für alle 
Falle der Vertragsbeendigung, alſo insbeſondere, 
wenn die vereinbarte Zeit abläuft oder der Ver⸗ 
trag durch beiderſeitige Vereinbarung vorzeitig 
aufgelöſt oder vom Gehilfen gekündigt wird; in 
zwei Ausnahmen ſoll aber die Konkurrenzklauſel 
nicht gelten: wenn nämlich der Prinzipal durch 
vertragswidriges Verhalten dem Handlungsgehilfen 
Grund gibt, das Dienſtverhältnis gemäß den Vor⸗ 
ſchriften der SS 70 und 71 ohne Einhaltung einer 
Kündigungsfriſt aufzulöſen, und wenn der Prin— 
zipal kündigt. Im erſten Falle genügt nicht, daß 
zur Auflöſung des Dienſtverhältniſſes ein wichtiger 
Grund vorliegt, ſondern der Handlungsgehilfe muß 
einſeitig wegen vertragswidrigen Ver— 
haltens des Prinzipals das Dienſtverhältnis 
aufheben; unter vertragswidrigem Verhalten iſt 
ſchuldhafte Pflichtverletzung zu verſtehen, nicht bloß 
objektive Vertragswidrigkeit, welch letztere nur 


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zur ſofortigen Kündigung berechtigt (Staub 8 70 
Anm. 18). Von dem zweiten Ausnahmefall, wonach 
bei Kündigung durch den Prinzipal die Konkurrenz⸗ 
klauſel nicht gilt, ſind wieder Ausnahmen zugelaſſen: 
wenn ein erheblicher, von dem Prinzipal ſelbſt nicht 
verſchuldeter Anlaß für die Kündigung vorliegt, 
wobei nicht ein Verſchulden des Gehilfen voraus⸗ 
geſetzt wird, ſondern auch vernünftige, kaufmänniſche 
Erwägung die Kündigung des Dienſtvertrages ver⸗ 
anlaſſen kann, und ferner, wenn der Prinzipal 
dem Handlungsgehilfen während der Dauer der 
Beſchränkung das zuletzt von ihm bezogene Gehalt 
fortzahlt; der Prinzipal, der ohne erheblichen Anlaß 
kündigt, kann ſich die Geltung der Konkurrenz⸗ 
klauſel dadurch erkaufen. 


8 75 enthält dann die weiteren Beſtimmungen, 
daß der Prinzipal nur die verwirkte Strafe ver⸗ 
langen kann, wenn vom Handlungsgehilfen für 
den Fall der Nichterfüllung der in der Verein⸗ 
barung übernommenen Verpflichtung eine Strafe ver⸗ 
ſprochen iſt; Anſpruch auf Erfüllung oder Erſatz eines 
weiteren Schadens iſt ausgeſchloſſen; eine unver: 
hältnismäßig hohe Vertragsſtrafe kann nach den 
Vorſchriften des Bürgerlichen Geſetzbuchs herab⸗ 
geſetzt werden. 


Vereinbarungen, welche den Vorſchriften des 
8 75 zuwiderlaufen, find für nichtig erklärt. 

Nach 8 76 Abſ. 1 finden dieſe Beſtimmungen 
auch auf den Handlungslehrling Anwendung, d. i. 
ein in einem Handelsgewerbe zum Zwecke der kauf⸗ 
männiſchen Ausbildung und zur Leiſtung der er: 
lernten Dienſte durch Vertrag Angeſtellter. Ver⸗ 
tragliche Konkurrenzklauſeln mit den Handlungs⸗ 
lehrlingen für die Zeit nach Beendigung des Dienſt⸗ 
verhältniſſes werden meiſt ungültig ſein, weil der 
Handlungslehrling gewöhnlich minderjährig iſt und 
daher jede Vereinbarung, auch die mit dem geſetz⸗ 
lichen Vertreter nichtig iſt; es müßte denn der 
Handlungslehrling als ſolcher noch volljährig wer⸗ 
den und die Vereinbarung genehmigen. 

(Vgl. Staub, Anm. zu 88 74, 75, 76). 


II. Das neue Recht. 


Die bisherigen Beſtimmungen des Handels- 
geſetzbuchs ſind zwar nicht ohne günſtige Wirkung 
geblieben, haben aber die Kaufleute doch nicht von 
umfaſſenden und drückenden Konkurrenzbeſchrän⸗ 
kungen abzuhalten vermocht; die Konkurrenzklauſel 
dient tatſächlich nicht nur als Schutz gegen eine 
unlautere Verwertung von Kenntniſſen und Be⸗ 
ziehungen, die ſich der Gehilfe in dem Betriebe 
des Prinzipals erworben hat, ſondern ihr eigent⸗ 
licher Zweck iſt vielfach nur der, dem Konkur⸗ 
renten die Möglichkeit zu nehmen, gut ausgebildete 
Hilfskräfte für ſein Geſchäft zu finden; dadurch 
wird ſie zu einer Beſchränkung und Unterdrückung 
des freien Wettbewerbs überhaupt benützt und übt 
einen Druck auf die Gehaltsverhältniſſe aus. Die 
berechtigte Abſicht der Kaufleute, ſich gegen die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


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Konkurrenz zu ſchützen, wird von dieſen auf Koſten 
der Gehilfen verfolgt. Daher wird ſchon ſeit 
mehreren Jahren eine Aenderung dieſer Vorſchriften 
in den Kreiſen der Gehilfen dringend befürwortet, 
zumal der Handlungsgehilfe, der nach ſeiner Mei⸗ 
nung einen wenigſtens teilweiſe unverbindlichen 
Vertrag eingegangen hat, bei Antritt einer neuen 
Stelle oder im Falle der Abſicht der Selbſtändig⸗ 
machung vor die Notwendigkeit geſtellt iſt, ent⸗ 
weder erſt durch Richterſpruch feſtſtellen zu laſſen, 
ob und inwieweit ſein bisheriger Vertrag unver⸗ 
bindlich iſt, oder die Gefahr auf ſich zu nehmen, 
das Wettbewerbverbot zu übertreten und hernach 
eventuell die vielleicht hohe Vertragsſtrafe zu zahlen. 

Die Verbände der Handlungsgehilfen hatten 
beantragt, die Konkurrenzklauſel ganz zu verbieten; 
bei der Beratung des Geſetzentwurfes wurde dieſer 
Antrag vielfach befürwortet; es kann hier auf die 
Gründe, die für und gegen die Aufhebung gel⸗ 
tend gemacht worden ſind, nicht weiter eingegangen 
werden, die verbündeten Regierungen haben ein 
Verbot der Konkurrenzklauſel glatt abgelehnt, und 
es find gewiß eine Reihe von Umſtänden vor⸗ 
handen, die für Erhaltung der Konkurrenzklauſel 
auch bei den Handlungsgehilfen ſprechen können; 
das Geſetz hat aber die Fälle der Konkurrenz⸗ 
klauſel im allgemeinen erheblich eingeſchränkt; es 
ſoll ein Konkurrenzverbot nur dann vereinbart 
werden, wenn ein wirklich erhebliches und ſchutz⸗ 
bedürftiges Intereſſe dafür vorliegt; damit aber 
der Prinzipal dieſes Intereſſe nicht einſeitig be⸗ 
haupten und beſtimmen kann, wird ihm ein Opfer 
auferlegt, das er für die dem Gehilfen auferlegte 
Beſchränkung zu bringen hat, und nach dieſem 
Opfer muß er bemeſſen, ob ſein Intereſſe an dem 
Konkurrenzverbot ſo groß iſt, daß es die Beſchrän⸗ 
kung des Gehilfen rechtfertigt. Es iſt dies der 
Grundſatz der bezahlten Karenz; der Prinzipal hat 
dem Gehilfen für die ihm durch die Konkurrenz⸗ 
klauſel auferlegten Beſchränkungen eine beſondere 
Entihädigung während der Dauer der Beſchrän⸗ 
kungen zu gewähren. 


Art. I 8 74. 


Für die bisherigen Verträge mit dem Hand⸗ 
lungsgehilfen war eine Form nicht vorgeſchrieben 
worden, ſie konnten mündlich geſchloſſen werden, 
es konnte der Vertrag in einem Exemplar aus: 
gefertigt werden, das der Prinzipal zu ſich nahm; 
vielfach war die Konkurrenzklauſel in Vertrags- 
formularen enthalten, wurde daſelbſt mechaniſch 
ausgefüllt und ohne beſondere Ueberlegung unter⸗ 
ſchrieben. Da es aber für den Handlungsgehilfen 
von Wichtigkeit iſt, über den Inhalt einer ihn 
bindenden Konkurrenzvereinbarung genau unter⸗ 
richtet zu fein, beſtimmt das neue Geſetz (§ 74 J), 
daß eine ſolche Vereinbarung der ſchriftlichen Form 
bedarf und dem Gehilfen in einer vom Prinzipal 
unterzeichneten, die vereinbarten Beſtimmungen ent: 
haltenden Urkunde ausgehändigt werden muß. Da 


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die Vereinbarung von der Schriftform und der Aus⸗ 
händigung der Urkunde abhängig iſt, ergibt ſich, 
daß eine nur mündliche Vereinbarung ſo lange 
ungültig iſt, als nicht dieſen beiden Erforderniſſen 
Genüge geſchieht; für den Prinzipal ergibt ſich 
dadurch die Notwendigkeit, daß ſofort mit dem 
Abſchluſſe des Anſtellungsvertrages auch dieſe Ver⸗ 
einbarung ſchriftlich niedergelegt und die Urkunde 
dem Gehilfen ausgehändigt wird, da bei Ver⸗ 
zögerung, namentlich bis nach Antritt der Stelle 
der Gehilfe die Unterzeichnung ablehnen könnte, 
ohne daß dadurch der Anſtellungsvertrag ſelbſt 
ungültig würde; denn nur die Konkurrenzverein⸗ 
barung bedarf der Schriftform und der Aushändi- 
gung der Urkunde. Das Geſetz ſpricht nur von Ver⸗ 
einbarungen zwiſchen Prinzipal und Handlungs⸗ 
gehilfen, etwaige gültige Nebenverträ ge, die mit 
anderen Perſonen, dem Vater u. dgl. abgeſchloſſen 
werden, wie eine ſelbſtſchuldneriſche Bürgſchaft, 
werden durch das Geſetz nicht berührt. 

Abſatz II des 8 74 enthält dann den Grund: 
ſatz der bezahlten Karenz: Der Prinzipal muß 
ſich verpflichten, für die Dauer des Verbots eine 
Entſchädigung zu zahlen, die für jedes Jahr des 
Verbots mindeſtens die Hälfte der von dem Hand⸗ 
lungsgehilfen zuletzt bezogenen vertragsmäßigen 
Leiſtungen erreicht; ohne dieſe Verpflichtung des 
Prinzipals iſt das Wettbewerbverbot nicht ver⸗ 
bindlich. N 

5 74a und b. 

Das bisherige Geſetz hat Wettbewerbverbote 
inſoweit zugelaſſen, als eine unbillige Er⸗ 
ſchwerung des Fortkommens des Gehilfen ausge⸗ 
ſchloſſen iſt; dieſer Grundſatz iſt im weſentlichen 
auch jetzt beibehalten, er iſt in Einklang geſtellt 
mit dem Grundſatze der bezahlten Karenz; das 
Wettbewerbverbot iſt unverbindlich, ſoweit es unter 
Berückſichtigung der gewährten Entſchädigung nach 
Ort, Zeit oder Gegenſtand eine unbillige Er⸗ 
ſchwerung des Fortkommens des Gehilfen enthält. 
Die Einſchränkung kann alſo, wie bisher, hinſicht⸗ 
lich des Geſchäftszweiges, der Zeitdauer, der Be⸗ 
ſchäftigungsart und der räumlichen Geltung er: 
folgen; bei der Frage, ob ſolche Einſchränkungen 
unter Berückſichtigung der beiderſeitigen Verhält⸗ 
niſſe billig oder unbillig ſind, inwieweit dabei die 
Grenzen der Billigkeit überſchritten ſind und in⸗ 
wieweit der Richter das Verbot inhaltlich er⸗ 
mäßigen kann, iſt aber auch Rückſicht zu nehmen 
auf die von dem Prinzipal zu gewährende Ent⸗ 
ſchädigung; gerade dieſe Entſchädigung kann ein 
Verbot weniger unbillig erſcheinen laſſen, weil der 
Nachteil, den der Gehilfe durch das Verbot er: 
leidet, durch die Entſchädigung wieder aufgehoben 
werden kann. 

Bemerkenswert iſt, daß bisher zur Unverbind⸗ 
lichkeit des Wettbewerbverbots erforderlich war, 
daß eine übermäßige Beſchränkung nach Zeit, Ort 
und Gegenſtand vorlag; das neue Geſetz ſpricht 
von der unbilligen Erſchwerung des Fortkommens 


368 


— ͤ— 


des Gehilfen nach Ort, Zeit oder Gegenſtand; 
es ſoll damit jeder einzelne dieſer drei Umſtände 
für die Einſchränkung einer hierin überſpannten Kon⸗ 
kurrenzklauſel ausreichen, natürlich unter Berück⸗ 
ſichtigung der gewährten Entſchädigung. 

Das Geſetz geht aber weiter; der eben aus⸗ 
geführte Grundſatz iſt an zweite Stelle gerückt, 
an erſter Stelle kommt das zum Ausdruck, was 
bisher nur auslegungsweiſe als unzuläſſige Be⸗ 
ſchränkung angenommen wurde, wenn nämlich der 
Prinzipal kein begründetes Intereſſe an der Kon⸗ 
kurrenzklauſel hat; das neue Geſetz ſagt, daß das 
Wettbewerbverbot inſoweit unverbindlich iſt, als 
es nicht zum Schutze eines berechtigten geſchäſt⸗ 
lichen Intereſſes des Prinzipals dient — $ 74 a 
Abſ. 1. Mit dieſer Faſſung ſollten die Fälle ohne 
ſchutzbedürftige Intereſſen ausgeſchieden werden; 
fie iſt das Kompromiß einer Reihe von Anträgen, 
die bei der Beratung in der Kommiſſion geſtellt 
wurden; man wollte einerſeits nur gelten laſſen 
den Schutz wirklicher Geſchäfts⸗ und Betriebsgeheim⸗ 
niſſe, den Schutz vor Verwertung dieſer und ſonſtiger 
wirtſchaftlicher Werte, die zum wohlerworbenen 
Beſitzſtande gerade dieſes Geſchäftes gehören, ein 
beſonderes berechtigtes Intereſſe an der Verhinderung 
gerade der ſtreitigen Konkurrenztätigkeit, anderer⸗ 
ſeits glaubte man ein wichtiges geſchäftliches In⸗ 
tereſſe nur dann als vorliegend anſehen zu ſollen, 
wenn ſich der Handlungsgehilfe in der Stellung 
eines Geſchäftsführers, Betriebsleiters befindet, der 
Einblick in die Betriebs⸗ und Geſchäftsgeheimniſſe 
hat, oder wenn er ein Gehalt von entſprechender 
Höhe bezieht, ſo daß hieraus die Vertrauensſtellung 
gefolgert werden kann. Nun muß aber geſagt 
werden, daß ſich eine genaue Faſſung, die für 
jeden Einzelfall paßt, ſchwer finden läßt; über die 
Zuläſſigkeit des Verbots läßt ſich meiſt erſt in 
concreto entſcheiden, wenn die Vereinbarung durch 
den Austritt aus der Stellung praktiſch geworden 
iſt; es kann ſein, daß beim Anſtellungsvertrag 
eine Vertrauensſtellung mit Einblick in die 
Geſchäfts⸗ und Betriebsverhältniſſe geplant war, 
daß aber aus irgendwelchen Gründen dann eine 
anderweitige Verwendung ſtattfand, ſo daß erſt 
beim Austritt ſich zeigt, ob aus der Tätigkeit 
des Gehilfen in dem Geſchäftsbetriebe ſich ein 
Wettbewerbverbot rechtfertigt. Aus dieſem Grunde 
iſt jedenfalls die allgemeine Faſſung zu billigen. 
Bei der Feſtſtellung, ob ein berechtigtes geſchäft⸗ 
liches Intereſſe des Prinzipals vorliegt, wird zu 
erwägen ſein, ob der Handlungsgehilfe in der ihm 
verbotenen Konkurrenztätigkeit Geſchäfts- und Be: 
triebsgeheimniſſe oder ſonſtige wirtſchaftliche Werte 
dieſes beſonderen Geſchäſtes verwerten kann, und inwie⸗ 
weit nach Zeit, Ort oder Gegenſtand die Geſchäfts— 
geheimniſſe des Prinzipals verletzt werden können 
und ein beſonderer Schutz deshalb gerechtfertigt iſt. 

Ein Antrag hatte vorgeſehen, der Prinzipal 
ſollte ſein beſonderes berechtigtes Intereſſe an der 
Verhinderung gerade der ſtreitigen Konkurrenz— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


tätigkeit nachweiſen; dieſer Wortlaut bringt die 
Beweisfrage ins Rollen; nach der Faſſung des 
Geſetzes iſt kein Zweifel, daß der Gehilfe, der die 
ganze oder teilweiſe Unverbindlichkeit des Verbots 
geltend machen will, behaupten und auch mit 
Beweis vertreten muß, daß ein zu ſchützendes, 
berechtigtes, geſchäftliches Intereſſe des Prinzipals 
nicht vorliegt; er muß dartun, wie ſeine Stellung 
war, was er zu arbeiten hatte, inwieweit er Ein⸗ 
blick in das Geſchäft und den Betrieb bekam; 
dem Prinzipal ſteht dann der Gegenbeweis zu. 
Der Prinzipal wird allerdings dadurch genötigt, 
vor Gericht ſeinen Geſchäſtsbetrieb zu offenbaren, 
wenn er das Wettbewerbverbot rechtfertigen will; 
denn der Handlungsgehilfe, der durch Klage oder 
Einrede die Unverbindlichkeit des Wettbewerb⸗ 
verbots behauptet, wird das Vorhandenſein eines 
berechtigten geſchäftlichen Intereſſes des Prinzipals 
ableugnen und darzutun verſuchen, daß bei ihm 
von einer Vertrauensſtellung und von Einblick in 
beſondere Geſchäfts⸗ und Betriebsgeheimniſſe nicht 
die Rede war; demgegenüber bleibt dem Prinzipal 
nichts übrig, als ſeinen Geſchäftsbetrieb und ſeine 
Geheimniſſe zu offenbaren, um zu rechtfertigen, daß 
ſein geſchäftliches Intereſſe eines beſonderen Schutzes 
bedarf. Man muß bier aber erwägen, daß der: 
artige Offenbarungen auch in anderen Prozeſſen 
vorkommen, daß auch bisher der Prinzipal ſein 
begründetes Intereſſe an der Konkurrenzklauſel nach⸗ 
zuweilen hatte und daß auch in anderen Fällen, 
wenn die Herabſetzung einer unverhältnismäßig 
hohen Vertragsſtrafe nach 8 343 BGB. in Frage 
ſteht, der Gläubiger zum Nachweiſe ſeines berechtigten 
Intereſſes genötigt werden kann, weil der Schuldner 
nur die unverhältnismäßige Höhe zu beweiſen hat. 
Das Beſtreben des Geſetzes geht eben dahin, die 
Konkurrenzklauſel nach Möglichkeit einzuſchränken 
und durch ſie nur wirklich ſchutzberechtigte Intereſſen 
zu ſchützen. 

Die zeitliche Beſchraͤnkung des Verbots, die 
bisher auf drei Jahre von der Beendigung des 
Dienſtverhältniſſes an feſtgeſetzt war, iſt im neuen 
Geſetze auf zwei Jahre beſtimmt — 8 74 a Abſ. 1. 
Infolgedeſſen wird wohl die bereits beſprochene 
Unverbindlichkeit des Verbots in Anſehung der 
Zeit ziemlich ſelten ſein; denn, wenn ein wirk⸗ 
lich ſchutzbedürftiges Intereſſe des Prinzipals vor⸗ 
handen iſt und dieſer zum Schutze ſeiner Inter⸗ 
eſſen bereit iſt, das Opfer zu bringen, an den 
Gehilfen zwei Jahre lang Entſchädigung zu zahlen, 
dann wird im allgemeinen wohl geſagt werden 


können, daß das Intereſſe des Prinzipals auch 


eines zweijährigen Schutzes bedarf. 

Trotzdem das Geſetz von dem Grundſatze aus⸗ 
ging, daß ein völliges Verbot der Konkurrenz⸗ 
klauſel nicht angängig ſei, und trotzdem die bisher 
beſprochenen Kautelen eine ſehr erhebliche Ein: 
ſchränkung derſelben notwendigerweiſe nach ſich 
ziehen, hat das Geſetz doch noch ein direktes Verbot 
der Konkurrenzklauſel aufgeſtellt; das Wettbewerb: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


verbot iſt nichtig, wenn die dem Gehilfen zuſtehenden 
jährlichen vertragsmäßigen Leiſtungen den Betrag 
von M 1500 nicht überfteigen — § 74a Abi. 2. 
Mit dieſer Beſtimmung kam man den Anregungen 
auf Feſtſetzung einer Mindeſtgehaltsgrenze ent⸗ 
gegen, man wollte damit aber eigentlich nicht eine 
Mindeſtgehaltsgrenze ſchaffen, ſondern eine be⸗ 
ſtimmte Kategorie freigeben; erwähnt wurden die 
niedrig beſoldeten in Warenhauſern beſchäftigten 
Angeſtellten, die Handlungsgehilfen bei kleineren 
und mittleren Kaufleuten in Landſtädten; die Ge⸗ 
haltsgrenze von M 1500 deckt ſich zudem mit der 
Pfändungsgrenze des 8 850 3PO.; deshalb war 
auch die beantragte Erhöhung auf M 1800 von 
den verbündeten Regierungen abgelehnt worden, 
um nicht eine andere Gruppe von Angeſtellten 
hereinzuziehen und ſo das Beſtreben nach Aus⸗ 
dehnung wachzurufen; auch ſollte verhindert werden, 
daß der Prinzipal zur Zahlung des Mindeſtgehalts 
genötigt würde, um das Wettbewerbverbot zu er: 
langen, da auch für den kleinen Kaufmann in 
Landſtädten, der nur geringe Gehälter zahlen 
kann, das Bedürfnis und die Notwendigkeit einer 
Konkurrenzklauſel beſtehen kann. Die Angeſtellten 
mit einem Gehalt bis M 1500 find dagegen die⸗ 
jenigen, die durch Verwertung deſſen, was ſie im 
Geſchafte des Prinzipals geſehen und gelernt haben, 
die Intereſſen desſelben nicht ſchädigen können. 

Wie bereits erwähnt, iſt das Wettbewerbverbot 
nicht wirkſam, wenn ſich nicht der Prinzipal ver⸗ 
pflichtet, für die Dauer des Verbots eine Ent⸗ 
ſchädigung zu zahlen, die für jedes Jahr des Ver⸗ 
bots mindeſtens die Hälfte der von dem Hand⸗ 
lungsgehilfen zuletzt bezogenen vertrags mäßigen 
Leiſtungen erreicht. Die vertragsmäßigen Leis 
ſtungen find häufig nicht feſt beſtimmt, fie be⸗ 
ſtehen in Proviſionen, Verkaufsprämien, Tantiemen 
u. dgl., find daher in einem Jahre höher, im 
anderen niedriger; das Geſetz beſtimmt deshalb, 
daß die dem Gehilfen zuſtehenden vertragsmäßigen 
Leiſtungen, ſoweit ſie in einer Proviſion oder in 
anderen wechſelnden Bezügen beſtehen, bei der 
Berechnung der Entſchädigung nach dem Durch⸗ 
ſchnitt der letzten drei Jahre anzuſetzen ſind. 
Wenn die für die Bezüge bei der Beendigung des 
Dienſtverhältniſſes maßgebende Vertragsbeſtim⸗ 
mung noch nicht drei Jahre beſtanden hat, ſo er⸗ 
folgt der Anſatz nach dem Durchſchnitt des Zeit⸗ 
raumes, für den die Beſtimmung in Kraft war — 
5 74b Abſ. 2. Das Geſetz hat auch hier mit Rück⸗ 
ſicht auf die Mannigfaltigkeit der vorkommenden 
Entlohnungen es unterlaſſen, eine Detaillierung 
aufzuſtellen, die Ausdrücke Proviſion oder andere 
wechſelnde Bezüge find nur eine Umſchreibung für 
die vertragsmäßigen Leiſtungen, die dem Betrage 
nach nicht genau beſtimmt ſind; es kommen aber 
nur die vertragsmäßigen Leiſtungen in Frage, die- 
jenigen, die nach dem Vertrage ausdrücklich zuge⸗ 
ſichert oder mit Rückſicht auf die Verkehrsſitte oder 
ſonſtige Umſtände als ſtillſchweigend vereinbart an⸗ 


ä — ͥͤ —— . — —— — . T8. —¾w . ⸗ . — — ——— ͤöꝗ— — —ꝛ—; — — —————— 


369 


zuſehen find; Gratifikationen aus Anlaß eines 
Geſchäftsjubiläums oder eines Familienfeſtes des 
Prinzipals ſpielen keine Rolle. 

Unter den Bezügen ſind diejenigen von Be⸗ 
deutung, aus welchen der Handlungsgehilfe beſondere 
Auslagen zu beſtreiten hat, wie Reiſekoſten, Auf⸗ 
wand außerhalb des Aufenthaltsortes, Nachtquar⸗ 
tier; ſoweit Bezüge zum Erſatze beſonderer Aus⸗ 
lagen dienen ſollen, die infolge der Dienſtleiſtung 
entſtehen, bleiben fie außer Anſatz — $ 74 b Abſ. 3. 
Es find alſo nicht die geſamten Beträge der 
Reiſeſpeſen anzuſetzen, ſondern dieſe Bezüge nur 
inſoweit, als die Auslagen, zu deren Deckung 
die Reiſeſpeſen beſtimmt ſind, auch ohne die Reiſe 
entſtanden ſein würden; was der Gehilfe für ſeine 
Ernährung in ſeinem Wohnort aufwenden müßte, 
iſt bei der Berechnung der Entſchädigung in Rechnung 
zu ſtellen. 

Wie bisher iſt das Wettbewerbverbot nichtig, 
wenn der Gehilfe zur Zeit des Abſchluſſes minder⸗ 
jährig iſt; wenn der Gehilfe volljährig wird und 
es ausdrücklich genehmigt, kann es natürlich gültig 
werden; man wird aber hier nach 8 74 Abſ. 1 
wohl verlangen müſſen, daß die ſchriftliche Verein⸗ 
barung und Aushändigung der Urkunde nach ein⸗ 
getretener Volljährigkeit beſonders erfolgen muß, 
ſo daß ein neuer Abſchluß vorliegt und eine mit 
dem Minderjährigen getroffene Vereinbarung wert⸗ 
los iſt, ſelbſt wenn ſie vom geſetzlichen Vertreter ge⸗ 
billigt wird. Die Nichtigkeit wurde aber auch auf 
Wettbewerbverbote ausgedehnt, die mit volljährigen 
Handlungsgehilfen abgeſchloſſen werden, dann, 
wenn ſich der Prinzipal die Erfüllung auf Ehren⸗ 
wort oder unter ähnlichen Verſicherungen verſprechen 
läßt — 8 74 a Abſ. 2; hiedurch wird ein ſonſt ganz 
oder teilweiſe verbindliches Wettbewerbverbot nichtig. 

Das Geſetz erklärt dann weiter auch die Ver⸗ 
einbarung für nichtig, durch die ein Dritter an Stelle 
des Gehilfen die Verpflichtung übernimmt, daß 
ſich der Gehilfe nach der Beendigung des Dienſt⸗ 
verhältniſſes in ſeiner gewerblichen Tätigkeit be⸗ 
ſchraͤnken werde, $ 74a Abſ. 3; es ſoll damit 
verhindert werden, daß der Angeſtellte um die Vor⸗ 
teile des Geſetzes gebracht wird, indem an Stelle 
eines nach dem Geſetze ungültigen Vertrags zwiſchen 
dem Prinzipal und ihm ein Vertrag mit einem 
Dritten geſchloſſen wird; denn wenn auch der 
Vertrag nur ein höchſt perſönlicher zwiſchen Prinzipal 
und Gehilfen iſt, ſo iſt doch denkbar, daß ein 
Dritter aus Sorge um die Exiſtenz des Stellung⸗ 
ſuchenden ein Abkommen mit dem Prinzipal ſchließt, 
das ſich nicht im Rahmen der geſetzlichen Vor⸗ 
ſchriften hält, und das der Angeſtellte nach Be⸗ 
endigung des Dienſtverhältniſſes mit Rückſicht auf 
ſein perſönliches Verhältnis zu dem Dritten zu 
halten genötigt iſt; einer ſolchen Umgehung des 
Geſetzes ſoll vorgebeugt werden. Bürgſchaften für 
gültige Konkurrenzklauſeln oder ſolche, die teilweiſe 
gültig ſind, ſind natürlich in demſelben Umfange 
gültig, wie der Vertrag ſelbſt. 


370 


Em Ac — nn nn 


Das Geſetz erwähnt ſchließlich noch ausdrücklich, 
daß die Vorſchriften des 8138 BGB. über die 
Nichtigkeit von Rechtsgeſchäften, die gegen die guten 
Sitten verſtoßen, unberührt bleiben — 874 Ab]. 3. 
Ueber die Bezahlung der dem Handlungsgehilfen 
für das Wettbewerbverbot zu gewährenden Ent⸗ 
ſchädigung iſt beſtimmt, daß ſie am Schluſſe 
jedes Monats, alſo zu 12 des Jahresbetrags, zu 
erfolgen hat — 8 74 b Abſ. 1. Dieſe Beſtimmung 
entſpricht dem 8 64 HGB., wonach der Gehalt des 
Handlungsgehilfen ebenfalls am Schluſſe jedes Mo⸗ 
nats zu zahlen iſt. Der Verzug des Prinzipals 
in der Zahlung der Entſchädigung gibt dem Hand⸗ 
lungsgehilfen die Rechte aus 8 326 BGB. 


§ 740. 


Das Wettbewerbverbot iſt grundſätzlich un⸗ 
wirkſam, wenn der Prinzipal dem Gehilfen kündigt 
(S 75 des Geſetzes in alter und neuer Faſſung); 
die Konkurrenzklauſel äußert alſo ihre volle Wirkung 
nur dann, wenn der Gehilfe kündigt. Ein zu— 
läſſiges Wettbewerbverbot darf das Fortkommen 
des Gehilfen, auch wenn dieſer ſeine Stelle wechſeln 
will, nicht unbillig erſchweren; es wäre aber auch un⸗ 
billig, dem Prinzipal die Zahlung einer Entſchädigung 
in der Höhe des halben bisherigen Gehalts auf: 
zuerlegen, wenn das Fortkommen des Gehilfen nicht 


Zettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


erſchwert iſt, dieſer eine beſſere Stelle erhält und 


vielleicht ſogar deshalb gekündigt hat, weil ihm eine 


beſſer bezahlte Stelle angeboten war, die ſich mit 
der Konkurrenzklauſel verträgt; ebenſo iſt es nicht 
angängig, daß der Handlungsgehilfe es unterläßt, 
mit Rückſicht auf die ihm zu gewährende Ent⸗ 
ſchädigung eine andere Stelle zu ſuchen. Das 
Geſetz ſtellt deshalb das Prinzip der Anrechnung 
des Gehaltes der neuen Stellung auf die zu ge— 
währende Entſchädigung auf und berückſichtigt dabei, 
daß der Gehilfe ſeine Stelle gewechſelt hat in der 
Abſicht, ſich zu verbeſſern. Der Handlungsgehilfe 
muß ſich auf die fällige Entſchädigung anrechnen 
laſſen, was er während des Zeitraums, für den 
die Entſchädigung gezahlt wird, durch anderweite 
Verwertung ſeiner Arbeitskraft erwirbt oder zu er: 
werben böswillig unterläßt; dieſe Anrechnung hat 
ſoweit zu erfolgen, als die Entſchädigung unter 
Hinzurechnung dieſes Betrags den Betrag der zu— 
letzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leiſtungen 
um mehr als ein Zehntel überſteigen würde. Dieſes 
Zehntel wird auf ein Viertel erhoht, wenn der Ge— 
hilfe durch das Wettbewerbverbot gezwungen iſt, 
ſeinen Wohnſitz zu verlegen. Mit anderen Worten, 


herigen Gehalt unter Hinzurechnung von einem 
Zehntel oder einem Viertel erreichen; hiezu dient 
in erſter Linie der Gehalt der neuen Stelle, den 
Fehlbetrag zahlt der bisherige Prinzipal bis zur 
Hälſte der bisherigen vertragsmäßigen Leiſtungen 
(S 74 Abi. 3). 

An der Faſſung des Geſetzes mögen zwei 
Ausdrücke auffallen, das „böswillige Unterlaſſen 


eines Erwerbes“ und das „Gezwungenwerden zur 
Wohnſitzverlegung“. Da die Tendenz des Geſetzes 
iſt, dem Gehilfen entgegenzukommen, muß im 
Zweifel zugunſten des Angeſtellten geurteilt werden; 
man wollte auch hier von einem näheren Eingehen 
auf die einzelnen Möglichkeiten abſehen und eine 
generelle Faſſung wählen, wobei es auf die Um⸗ 
ſtände des einzelnen Falles anzukommen hat. Ein 
böswilliges Unterlaſſen eines Erwerbes liegt nicht 
nur vor, wenn ſich der Gehilfe um keine neue 
Stelle bemüht, und auf Koſten ſeines bisherigen 
Prinzipals feiern will, ſondern vielmehr auch, wenn 
ſein Gehalt bei dem neuen Prinzipal für die erſten 
zwei Jahre befonders niedrig bemeſſen wird, um 
dann gewaltig in die Höhe zu ſpringen; wenn ein 
Gehilfe, der infolge des Wettbewerbverbots eine 
beſſer dotierte Stelle nicht erlangen kann, ſeine 
bisherige Stelle kündigt, um einige Monate aus⸗ 
zuſetzen und in dieſer Zeit ſich in einem anderen 
Zweig entſprechende Kenntniſſe zu verſchaffen, die 
ihm dann die Erlangung einer beſſer bezahlten 
Stelle ermöglichen, jo wird man hier ein bös⸗ 
williges Unterlaſſen eines Erwerbes nicht finden 
können. Ebenſo hängt auch der Zwang zur Wohn⸗ 
fißverlegung von den begleitenden Umſtänden ab; 
der Gehilfe, der ledig iſt, allein ſteht und ſeine 
Stelle in der Großſtadt kündigt, dann eine ſchlecht 
bezahlte Stelle auf dem Lande ſucht, weil er dort 
billiger leben kann, iſt zur Wohnſitzverlegung nicht 
gezwungen; man wird aber andererſeits Zwang zur 
Wohnſitzverlegung annehmen müſſen, wenn der Ge: 
hilfe wegen augenblicklichen Mangels anderer Stellen 
in der Großſtadt vorübergehend eine ſich ihm bietende 
Stelle an einem anderen Orte annimmt. Der Ge⸗ 
hilfe ſoll durch das Wettbewerbverbot in ſeinem 


Fortkommen nicht unbillig beſchwert werden, er darf 


| 


bei dem Beſtreben, fortzukommen, feine Intereſſen 
in erſter Linie im Auge haben, er ſoll aber nicht 
ſo handeln, daß ſein Prinzipal nur zur Zahlung 
der Karenzentſchädigung genötigt wird, ohne daß 
er damit für ſein eigenes Fortkommen einen Vor⸗ 
teil hat. 

Der Gehilfe iſt verpflichtet, dem Prinzipal auf 
Verlangen über die Höhe ſeines Erwerbes Auskunft 
zu erteilen — §S 74 Abſ. 2. Der Prinzipal kann 
nicht wiſſen, wie hoch die Entſchädigung iſt, die er mit 
Rückſicht auf die Berechnung bezahlen muß, daher 
muß der Gehilfe Auskunft geben; verweigert er die 
Auskunft, ſo kann der Prinzipal die Entſchädigung 
nicht berechnen, er gerät mit der Zahlung nicht in 


0 l Verzug; hält der Prinzipal die ihm gegebene Aus: 
der Gehilfe muß in ſeiner neuen Stellung den bis: 


kunft fur unrichtig, ſo kann er nur die Entſchädigung 
zahlen, zu der er ſich für verpflichtet hält; er muß 
aber die Konſequenzen aus der Möglichkeit der In: 
verzugſetzung ziehen, ihn trifft die Beweislaſt, der 
Gehilfe hat nur Auskunftspflicht. 

Eine ſelbſtverſtändliche Beſtimmung enthält 874 
Abſ. 1 Satz 2: für die Dauer der Verbüßung einer 
Freiheitsſtrafe kann der Gehilfe eine Entſchädigung 
nicht verlangen. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


8 75. 

8 75 behandelt wie bisher die Fälle der Ver⸗ 
tragsbeendigung, in welchen die Vereinbarung nicht 
gilt, das Wettbewerbverbot unwirkſam wird; doch 
waren auch hier, teils mit Rückſicht auf die bisher 
entwickelten Grundſätze Aenderungen erforderlich, 
die zu einer teilweiſen Unwirkſamkeit der Verein⸗ 
barung oder einer vom Gehilfen erzwingbaren Auf⸗ 
rechterhaltung der Vereinbarung führen. 

Das Vertragsverhältnis kann ſein Ende finden 
durch Kündigung ſeitens des Gehilfen oder des 
Prinzipals; der Fall der gewöhnlichen Kündigung 
durch den Gehilfen und die ſich hieraus ergebenden 
Folgen find bisher behandelt worden; die außer: 
ordentliche Löſung des Vertragsverhältniſſes ohne 
Einhaltung einer Kündigungsfriſt kann nach dem 
Geſetze erfolgen bei Vorliegen eines wichtigen 
Grundes 88 70, 71; neben der Kündigung aus 
wichtigem Grunde ſieht 8 70 Abſ. 2 ſchon die 
Kündigung infolge vertragswidrigen Verhaltens des 
anderen Teiles vor, von welchem auch der 8 75 
bisheriger Faſſung ſchon gehandelt hat. 

A Wie bereits erwähnt, iſt unter Vertragswidrig⸗ 
keit ſchuldhafte Pflichtverletzung zu verſtehen. 

Handelt der Prinzipal vertragswidrig und löſt 
der Gehilfe deshalb das Dienſtverhältnis ohne Ein⸗ 
haltung einer Kündigungsfriſt auf, ſo ſoll das 
Wettbewerbverbot nicht ohne weiteres unwirkſam 
ſein; denn der Handlungsgehilfe, der ſtellenlos 
wird, ſoll nicht plötzlich des Rechts auf die Karenz⸗ 
entſchädigung verluſtig gehen, er ſoll aber auch 
ſeinerſeits, da er ohnehin den Anſpruch auf Schaden⸗ 
erſatz hat, nicht den Anſpruch auf dieſe Entſchädigung 
beibehalten, ohne an das Wettbewerbverbot ge⸗ 
bunden zu ſein; der Handlungsgehilfe hat die Wahl: 
er kann es neben feinem Schadenderſatzanſpruch 
bei dem Wettbewerbverbot und der vom Prinzipal 
zu zahlenden Entſchädigung bewenden laſſen, er 
kann aber auch vor Ablauf eines Monats nach der 
Kündigung dem Prinzipal ſchriftlich erklären, daß 
er ſich an die Vereinbarung nicht gebunden erachte; 
er hat das einſeitige Rücktrittsrecht von dem Ver⸗ 
trage, der Rücktritt muß aber ſchriſtlich erklärt 
werden, nur dann wird das Wettbewerbverbot un⸗ 
wirkſam. 

Bei Kündigung des Dienſtverhältniſſes durch 
den Prinzipal können verſchiedene Fälle vorliegen: 

a) Der Prinzipal kündigt im Wege der ordent⸗ 
lichen Kündigung, ohne daßein wichtiger Kündigungs⸗ 
grund vorliegt oder er einen ſolchen geltend machen 
will; dann wird das Wettbewerbverbot in gleicher 
Weiſe unwirkſam, d. h. der Gehilfe kann vor Ab⸗ 
lauf eines Monats ſeit der Kündigung ſchriſtlich 
erklären, daß er ſich an die Vereinbarung nicht 
gebunden erachte; dieſe einmonatige Friſt läuft 
von der Kündigung, nicht von der Auflöſung des 
Dienſtverhältniſſes ab. 

b) Der Prinzipal kündigt im Wege der ordent⸗ 
lichen Kündigung, für die Kündigung liegt aber 
ein erheblicher Anlaß in der Perſon des Gehilfen 


—— 33. ͤ ¶ —— 3 Ft.; — 


371 


vor; dann bleibt das Wettbewerbverbot in allen 
ſeinen beiderſeitigen Wirkungen beſtehen. Was ein 
erheblicher Anlaß iſt, iſt nicht geſagt, auch aus den 
Beratungen nicht zu entnehmen; der Begriff ſelbſt 
ſtammt aus der früheren Faſſung, in welcher von 
Kündigung infolge eines erheblichen Anlaſſes, den 
der Prinzipal nicht verſchuldet hat, die Rede war; 
dieſe Faͤlle find aber nunmehr ausgeſchieden; dafür 
iſt Er ein erheblicher Anlaß in der Perſon des 
Gehilfen verlangt. 

c) Der Prinzipal kündigt im Wege der ordent⸗ 
lichen Kündigung, ohne daß ein wichtiger Grund 
oder ein erheblicher Anlaß in der Perſon des Ge⸗ 
hilfen vorliegt, und erklärt ſich bereit, während 
der Dauer der Beſchränkung dem Gehilfen die 
vollen zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen 
Leiſtungen zu gewähren; dann bleibt das Wett⸗ 
bewerbverbot mit ſeinen Wirkungen für den Ge⸗ 
hilſen beſtehen. Es iſt dies der auch bisher ſchon 
vorgeſehene Fall, daß ſich der Prinzipal die Geltung 
der Konkurrenzklauſel erkauft. Für die Gewährung 
der vollen vertragsmäßigen Leiſtungen gelten die 
Vorſchriften des §S 74 b: Zahlung am Schluſſe jedes 
Monats, Berechnung, ſoweit wechſelnde Bezüge in 
Frage ſtehen, nach dem Durchſchnitt der letzten drei 
Jahre oder dem kürzeren Zeitraum, in welchem 
die Vertragsbeſtimmung in Kraft war, und Nicht⸗ 
berückſichtigung der Bezüge, die zum Erſatze beſon⸗ 
derer Auslagen dienten. 

d) Löſt der Prinzipal das Dienftverhältnis ge: 
mäß den Vorſchriften der $3 70, 72, alſo ohne Ein: 
haltung einer Kündigungsfriſt und zwar wegen 
vertragswidrigen Verhaltens des Gehilfen auf, ſo hat 
der Gehilfe keinen Anſpruch auf die Entichädigung, 
an das Wettbewerbver bot iſt er ſeinerſeits gebunden. 

Das Geſetz nimmt zwar Bezug auf 88 70, 71, 72, 
ſofortige Kundigung ohne Einhaltung einer Friſt, 
ſpricht aber nur von Auflöſung des Dienftverhält: 
niſſes nach 88 «0, 71, 72 wegen vertragswidrigen 
Verhaltens; es erhellt daraus, daß dieſe Bezug⸗ 
nahme nur die Kündigung ohne Einhaltung einer 
Friſt, aber nicht das Vorliegen eines wichtigen 
Grundes betrifft; nur wenn friſtloſe Kündigung 
wegen vertragswidrigen Verhaltens vorliegt, gelten 
die hiefür getroffenen Beſtimmungen; es iſt ſchon 
ein ſprachlicher Unterſchied gemacht: Auflöſung des 
Dienſtverhältniſſes wegen vertragswidrigen Ver⸗ 
haltens ohne Einhaltung einer Kündigungsfriſt 
in 8 75 Abſ. 1 und 3 und Kündigung in Ab]. 2. 

Für die Fälle der friſtloſen Kündigung bei 
Vorliegen eines wichtigen Grundes, aber nicht eines 
vertragswidrigen Verhaltens, ergibt ſich daher keine 
Verſchiedenheit von den Fällen der ordentlichen 
Kündigung. Es folgt hieraus, daß das Geſetz 
von dem Grundſatze beherrſcht wird, wenn ein 
Wettbewerbverbot in geſetzlich zuläſſiger Weiſe ver⸗ 
einbart worden iſt, dann ſollen beide Teile im Falle 
der Löſung des Dienſtverhältniſſes daran gebunden 
ſein, gleichviel, ob das Dienſtverhältnis durch friſtloſe 
oder befriſtete Kündigung gelöſt wird; Ausnahmen 


372 


gibt es nur bei der Auflöſung durch friſtloſe Kündi⸗ 
gung wegen vertragswidrigen Verhaltens und bei 
ordentlicher befriſteter Kündigung durch den Prinzi⸗ 
pal ohne Grundangabe. 

Das Geſetz hat auch bisher keine Definition 
enthalten, was unter einem wichtigen Grunde zu 
verſtehen iſt; die Aufzählung in 88 71, 72 iſt nur 
eine beiſpielsweiſe, ſie iſt weder erſchöpfend, noch 
zwingend, weil eine andere Beurteilung durch be⸗ 
ſondere Umſtände zugelaſſen iſt; ein Grund der 
ſofortigen Kündigung iſt dann wichtig, wenn nach 
Lage der Umſtände dem einen Teil nicht zuzumuten 
iſt, den Vertrag wider feinen Willen ſortzuſetzen, 
weil das normale, durch den Dienſtvertrag geſchaffene 
Verhaltnis zwiſchen Prinzipal und Gehilfen geſtört 
iſt (Staub 8 70 Anm. 5). Es gibt wichtige Gründe, 
die in der Perſon des anderen Teiles liegen, von 
dieſem aber nicht veranlaßt oder verſchuldet find, 
wie Krankheit des Gehilfen, Abbrennen der Fabrik; 
es gibt aber auch wichtige Gründe, die in dem 
Verhalten des anderen Teiles, ſeiner Handlungs⸗ 
weiſe liegen; dieſe Umſtände können ſo wichtig ſein, 
daß eine Fortſetzung des Dienſtverhältniſſes nicht 
zugemutet werden kann, es kann ſogar ein ver⸗ 
tragswidriges Verhalten vorliegen, es können aber 
auch, ſoweit es ſich um das Verhalten des Gehilfen 
handelt, Umſtände ſein, die zwar nicht zur ſofortigen 
Kündigung berechtigen, aber doch die befriſtete 
Kündigung veranlaſſen, wie z. B. ungehöriges 
Benehmen gegenüber weiblichen Angeſtellten, Un⸗ 
verträglichkeit gegenüber älteren, im Geſchäfte be⸗ 
währten Angeſtellten oder Angehörigen des Prinzi⸗ 
pals und dgl. Ein vertragswidriges Verhalten iſt 
immer zugleich ein wichtiger Grund, der zur ſo⸗ 
fortigen Löſung des Dienſtverhältniſſes berechtigt; 
ein wichtiger Grund nach 88 70, 72, der den 
Prinzipal zur ſofortigen Entlaſſung des Gehilfen 
berechtigt, iſt auch ein erheblicher Anlaß in der 
Perſon des Gehilfen; andererſeits braucht ein ſolcher 
erheblicher Anlaß nicht zur ſofortigen Löſung des 
Dienſtverhältniſſes nach 88 70, 72 zu berechtigen, 
er muß nur die ordentliche Kündigung durch den 
Prinzipal veranlaſſen. Die praltiſche Folge wird 
die ſein, daß der Prinzipal, in deſſen Intereſſe 
ja die Konkurrenzvereinbarung getroffen wurde, 
auch bei der befriſteten Kündigung dem Gehilfen 
mitteilen muß, aus welchem Grunde die Kündigung 
erfolgt, ob der Prinzipal in der Perſon des Ge: 
hilfen einen erheblichen Anlaß hiezu für gegeben 
erachtet und deshalb das Wettbewerbverbot aufrecht 


Beitfärift für Betspfiege in Bagern. 1914. Pr. 20 u 21 


erhalten wiſſen will; tut er dies nicht, jo muß er 


gewärtigen, daß der Gehilfe die Kündigung nur 
als einfache anſieht und vor Ablauf eines Monats 
nach der Kündigung ſchriftlich erklärt, daß er ſich 
an die Vereinbarung des Wettbewerbverbots nicht 
gebunden erachtet. Bei der unbefriſteten Kündigung 
aus einem wichtigen Grunde iſt die Angabe des 
Grundes ſelbſtverſtändlich. Zu bemerken iſt, daß 
die kürzeſte vertragsmäßige Kündigungsfriſt nach 


55 66, 67 einen Monat beträgt und nur für den, 


Schluß des Kalendermonats zuläffig iſt; der Ge⸗ 
hilfe, dem gekündigt iſt ohne Grundangabe, wird 
ſich in dieſer Zeit um eine andere Stelle umſehen 
und findet eine ſolche vielleicht in einem Konkurrenz⸗ 
unternehmen; er zeigt deshalb noch vor Ablauf 
eines Monats ſeit Kündigung dem Prinzipal ſchrift⸗ 
lich an, daß er ſich an die Vereinbarung nicht 
für gebunden erachtet; es würde Treu und Glauben 
widerſprechen, wenn der Prinzipal nunmehr erklären 
würde, für die Kündigung ſei in der Perſon des 
Gehilfen ein erheblicher Anlaß gelegen geweſen, 
der Gehilfe ſei deshalb an das Wettbewerbverbot 
gebunden und dürfe die Stelle nicht antreten. 


$ 75a. 


Das Wettbewerbverbot dient den berechtigten 
geſchäftlichen Intereſſen des Prinzipals; es kann 
ſein, daß in den geichäftlihen Verhältniſſen des 
Prinzipals im Laufe der Zeit, insbeſondere während 
der Beſchäftigungszeit des Gehilfen eine Aenderung 
eintritt, die das Wettbewerbverbot entbehrlich macht, 
z. B. ein Fabrikationsverfahren, in welches der 
Gehilfe Einblick hatte, iſt durch eine andere Er⸗ 
findung wertlos geworden oder auch der Gehilfe 
hat ſich bei ſeiner Arbeit ſo angeſtellt, daß ihm 
der vorgeſehene Einblick in Geſchäftsgeheimniſſe nicht 
gewährt wurde, er wurde anderweitig beſchäftigt. 
Die Vereinbarung des Wettbewerbverbots wird 
nachträglich überflüſſig; es wäre unbillig, den Prinzi⸗ 
pal nach Beendigung des Dienſtverhäͤltniſſes noch 
daran feſtzuhalten und ihn zur Zahlung der Karenz⸗ 
entſchädigung zu verpflichten; es muß ihm alſo 
das Recht des Verzichts auf das Wettbewerbver bot 
eingeräumt werden. 

Andererſeits ſoll die Konkurrenzklauſel nur wirk⸗ 
lich berechtigten Intereſſen des Prinzipals dienen und 
die Karenzentſchädigung ſoll überflüſſige Konkurrenz⸗ 
klauſeln verhindern. Das Verzichtrecht des Prinzi⸗ 
pals kann daher zu dem Mißbrauch führen, daß 
leichtfertig und ſchablonenhaft das Wettbewerbverbot 
vereinbart wird und der Prinzipal im letzten Augen⸗ 
blick vor oder auch nach Beendigung des Dienſt⸗ 
verhältniſſes ſich von ſeinen Verpflichtungen durch 
Verzicht befreien kann. Dadurch kann eine Schädi⸗ 
gung des Gehilfen eintreten, der bisher beſſere Stellen 
mit Rückſicht auf das Wettbewerbverbot ausſchlagen 
mußte, bei dem Prinzipal deshalb verblieb, und 
dem nach der Verzichtserklärung von dieſem gekündigt 
wird, oder der nach der Kündigung infolge des Wett⸗ 
bewerbverbotes eine ſchlechter bezahlte Stelle an⸗ 
nimmt und auf die Karenzentſchädigung rechnet. 
während der Prinzipal dann plötzlich auf das Wett: 
bewerbverbot verzichtet. 

Um hier einen Ausgleich zu ſchaffen, beſtimmt 
das Geſetz in § 75a, daß die Verzichtserklärung 
des Prinzipals auf das Wettbewerbverbot nur vor 
der Beendigung des Dienſtverhäͤltniſſes erklaͤrt 
werden kann, und daß dieſe Verzichtserklaͤrung nur 
die Wirkung äußert, daß der Prinzipal erſt mit 
dem Ablauf eines Jahres ſeit der Erklaͤrung von 


373 


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der Verpflichtung zur Zahlung der Entſchädigung 
frei wird. Wie die Vereinbarung ſelbſt, muß auch 
die Verzichtserklärung ſchriftlich erfolgen. 


5 75 b. 


Der Grundſatz der bezahlten Karenz ſoll in 
angemeſſener Weiſe die Nachteile beſeitigen, die der 
Gehilfe durch die Beſchränkung ſeiner Freiheit in 
bezug auf die Ausnützung ſeiner Arbeitskraft er⸗ 
fährt. Es gibt aber Dienſtverhältniſſe, Kategorien 
von Angeſtellten, für welche dieſer Grundſatz 
billigerweiſe nicht aufrecht erhalten werden kann. 
Reiſende, die in überſeeiſchen Staaten für deutſche 
Geſchäftshäuſer tätig find, Gehilfen, die in außer: 
europäiſchen Handelsniederlaſſungen deutſcher Fir⸗ 
men angeſtellt find, befinden ſich vielfach in Ver: 
trauensſtellungen eigener Art, die für den Prinzipal 
in der Regel mit erheblichen Aufwendungen ver⸗ 
bunden find, ihm aber meiſt erſt nach längerer 
Tätigkeit des Gehilfen Nutzen bringen, weil ſich 
der Gehilfe ſeine Kenntniſſe und Beziehungen hier 
erſt durch längere Beſchaͤftigung erwirbt; der Prinzi⸗ 
pal iſt aber hier häufiger und dringender in die 
Notwendigkeit verſetzt, ſich gegen ungerechtfertigte 
Eingriffe durch die Konkurrenzklauſel zu ſchützen, 
als bei den ſonſtigen Angeſtellten, die Gehälter 
dieſer Reiſenden und Gehilfen find aber zwei bis 
dreimal ſo hoch, als der Gehalt eines eben⸗ 
ſolchen Angeſtellten in Deutſchland; es kann dem 
Prinzipal nicht zugemutet werden, nach Beendigung 
des Dienſtverhältniſſes dem Gehilfen eine Aus⸗ 
zahlung bis zur Höhe des Auslandsgehalts zu ge⸗ 
währen, namentlich wenn dieſer vielleicht nach 
Deutſchland zurückkehrt, es würde auch eine Er⸗ 
ſchwerung der Verbotsvereinbarung in ſolchen Fällen 
dazu führen, daß für Tätigkeit im Auslande nicht⸗ 
deutſche Handlungsgehilfen angeſtellt würden. Das 
Geſetz beſtimmt deshalb, daß bei Gehilſen, die für 
eine Tätigkeit außerhalb Europas angenommen 
find, die Verbindlichkeit des Wettbewerbverbots 
nicht davon abhängig iſt, daß ſich der Prinzipal 
zur Zahlung der im $ 74 Abſ. 2 vorgeſehenen 
Entſchädigung verpflichtet. Selbſtverſtändlich bleiben 
die ſonſtigen Vorſchriften über die teilweiſe Un⸗ 
verbindlichkeit, Nichtigkeit und die Schriftform in 
§ 74 Abſ. 1 und 74 a auch bei dieſen Angeſtellten 
in Kraft. 

Das gleiche gilt, wenn die dem Gehilfen zu⸗ 
ſtehenden vertragsmäßigen Leiſtungen den Betrag 
von 8000 M für das Jahr überſteigen. Die 
ſoziale und wirtſchaftliche Lage dieſer Klaſſe von 
Angeſtellten erfordert eine Aenderung der für ſie 
geltenden Vorſchriften nicht, nur für die Gehilfen 
mit niedrigen Gehältern waren neue Schutzbeſtim— 
mungen erforderlich. Auf die Berechnung des Be: 
trags der Leiſtungen, wenn ſie in Proviſion oder 
anderen ſchwankenden Beträgen beſtehen, finden 
die Vorſchriften des $ 74 b Abſ. 2, 3 entſprechende 
Anwendung, jo daß insbeſondere eine Entſchädi⸗ 


— — — — Z G. ( — — — ̃ ̃ ͤ ¹g—-äkͤꝛ ͤĩ ̃—x̃ĩ⅛ͥd— ⁵˙—ðW—lQ2. Q•Gſñůñů—ß5ßÄ3.⸗v ĩ — —v— — — — — 


gung gezahlt werden muß. wenn der Bezug von 
8000 M noch nicht drei Jahre beſtanden hat. 


8 750. 


Nach bisherigem Rechte konnte der Prinzipal 
in den Fällen, in welchen der Gehilfe ſür den 
Fall der Nichterfüllung der in der Vereinbarung 
übernommenen Verpflichtung eine Strafe ver⸗ 
ſprochen hatte, nur die verwirkte Strafe verlangen; 
der Anſpruch auf Erfüllung oder auf Erſatz eines 
weiteren Schadens war ausgeſchloſſen; der Er⸗ 
füllungsanſpruch war auf die Fälle beſchränkt, in 
welchen keine Strafe vereinbart war. Die Er⸗ 
füllung beſteht in einem Unterlaſſen; der Ge⸗ 
hilfe ſoll eine Stellung nicht annehmen oder 
eine angenommene aufgeben. Es lag hierin eine 
Abweichung von § 340 BGB., wonach der Glau⸗ 
biger die verwirkte Strafe ſtatt der Erfüllung 
verlangen kann und nur, wenn er die Strafe ver⸗ 
langt, der Anſpruch auf Erfüllung ausgeſchloſſen 
iſt; bei einem Schadenserſatzanſpruch des Gläu⸗ 
bigers wegen Nichterfüllung kann dieſer die ver⸗ 
wirkte Strafe als Mindeſtbetrag des Schadens 
verlangen; die Geltendmachung eines weiteren 
Schadens iſt nicht ausgeſchloſſen. 

Nach dem bisherigen Rechte lag aber in der 
Vereinbarung eines Wettbewerbverbots eine ein⸗ 
ſeitige Verpflichtung des Gehilfen; nunmehr muß 
aber auch der Prinzipal eine Leiſtung bewirken 
und, wenn er bereit ift, die ihm obliegende Lei: 
ſtung, die Zahlung der Entihädigung, zu bewirken, 
muß ihm auch der Anſpruch auf die Gegenleiſtung 
des anderen Teiles zuſtehen; es muß beiſpiels⸗ 
weiſe der Prinzipal, der eine Zeit lang die Karenz⸗ 
entſchädigung gezahlt hat, von dem Gehilfen, der 
ſpäter verbotswidrig in ein Konkurrenzgeſchäft ein⸗ 
tritt, den Austritt verlangen können. Doch darf 
ſich der Prinzipal durch die Vereinbarung nicht 
mehr Rechte ſichern, als ihm nach $ 340 BGB. 
zuſtehen, er darf nicht vereinbaren Zahlung der 
Vertragsſtrafe neben der Aufgabe der dem Ver⸗ 
bote zuwider begonnenen Tätigkeit. 

Das Geſetz ſagt daher, daß der Prinzipal 
Anſprüche nur nach Maßgabe der Vorſchriften 
des § 340 BGB. geltend machen kann, wenn für 
den Fall der Nichterfüllung der in der Verein⸗ 
barung übernommenen Verpflichtung durch den 
Gehilfen dieſer Strafe verſprochen hat. 

Aus Zweckmäßigkeitsgründen wurde noch bei⸗ 
gefügt, daß die Vorſchriften des BGB. über die 
Herabſetzung einer unverhältnismäßig hohen Ver⸗ 
tragsſtrafe unberührt bleiben. 

Für die Fälle, in welchen die Verbindlichkeit 
der Vereinbarung nicht von der Verpflichtung des 
Prinzipals zur Zahlung einer Entſchädigung an 
den Gehilfen abhängig iſt (8 75 b), verbleibt es 
bei den bisherigen Beſtimmungen: wenn der Ge— 
hilfe ſich einer Vertragsſtrafe in der Vereinbarung 
unterworfen hat, kann der Prinzipal nur die ver⸗ 


374 


wirkte Strafe verlangen; der Anſpruch auf Er: 
füllung oder auf Erſatz en weiteren Schadens 
iſt ausgeſchloſſen — 8 75 Abi. 2. 


5 75 d. 


Den neuen Vorſchriften muß ebenſo, wie den 
bisherigen zwingender Charakter zukommen und 
zwar auch in Anſehung der Berechnung der Ent: 
ſchädigung; einer Umgehung durch Verrechnung 
von Vorauszahlungen u. dgl. muß vorgebeugt 
werden. 

Während bisher Vereinbarungen, welche den 
Vorſchriften der 88 74, 75 zuwiderliefen, als 
nichtig bezeichnet wurden, beſtimmt nunmehr 8 75d, 
daß ſich der Prinzipal nicht auf eine Vereinbarung 
berufen kann, durch die von den Vorſchriften der 
89 74 —75 c zum Nachteil des Handlungsgehilfen 
abgewichen wird; das gilt auch von Verein⸗ 
barungen, die bezwecken, die geſetzlichen Vorſchriften 
über das Mindeſtmaß der Entihädigung durch 
Verrechnung oder auf ſonſtige Weiſe zu umgehen. 

Da der Zweck des neuen Geſetzes hauptſäachlich 
dahin zielt, den Gehilfen zu ſchützen, iſt hier nicht 
die generelle Nichtigkeit von zuwiderlaufenden Ver⸗ 
einbarungen ausgeſprochen; gegenüber der Klage 
des Gehilfen auf Grund des Geſetzes kann der 
Prinzipal nicht die Einrede der Vereinbarung 
bringen, wenn dieſe dem Gehilfen nachteilig iſt; 
dagegen kann der Prinzipal gegenüber der Klage 
auf Grund der Vereinbarung die Nichtigkeit nicht 
geltend machen, er iſt daran gebunden, wenn der 
Gehilfe will. Es iſt offenbar hier an die Fälle 
gedacht, in welchen der Prinzipal eine abweichende 
Vereinbarung zum Nachteil des Gehilfen in der 
Hoffnung trifft, daß dieſe für ihn günſtiger iſt 
als die geſetzlichen Vorſchriften, während ſich her⸗ 
nach herausſtellt, daß ſie für den Prinzipal un⸗ 
günſtiger war; z. B. der Prinzipal vereinbart als 
Entſchädigung nur ein Viertel des bisherigen Be: 
halts, ſchließt dafür aber die Aufrechnung aus; 
der Gehilfe erhält nun eine Stelle mit dem gleichen 
oder einem höheren Gehalte, dann wird ſich der 
Prinzipal der Zahlung von einem Viertel des 
bisherigen Gehalts nicht entziehen können. (Vgl. 
Staub, Auslegung des § 67 Abſ. 4 Anm. 7.) 


§ 75. 


Nach § 61 Nr. 1 Konkursordnung werden die 
für das letzte Jahr vor der Konkurseröffnung oder 
dem Ableben des Gemeinſchuldners rückſtändigen 
Forderungen an Lohn und anderen Dienſtbezügen 
der Perſonen, welche ſich dem Gemeinſchuldner 
für deſſen Haushalt, Wirtſchaftsbetrieb oder Er— 
werbsgeſchaͤft zur Leiſtung von Dienſten verdungen 
hatten, aus der Konkursmaſſe in erſter Reihe be— 
friedigt. Durch das Geſetz betreffend die Beſchlag— 
nahme des Arbeits- oder Dienſtlohnes kann 1 
Vergütung für Dienſte und Arbeiten, die auf 
Grund eines Arbeits- und Dienſtverhaͤltniſſes ge: 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


leiſtet werden, erſt nach Leiſtung der Dienſte und 
Ablauf des für die Vergütung beſtimmten Yällig: 
keitstermins mit Beſchlag belegt werden; letzteres 
Geſetz enthält noch weitere Beſchränkungen hinſicht⸗ 
lich der Pfändbarkeit des Dienſtlohnes. Da die 
vom Prinzipal zu gewährende Karenzentſchädigung 
einen Erſatz bildet für das erſchwerte Fortkommen 
des Gehilfen, für den geringeren Gehalt, den dieſer 
in der neuen Stelle erhält, müſſen dieſe Beträge 
dem Dienſt⸗ und Arbeitslohn gleichgeſtellt werden. 

8 75e beſtimmt deshalb, daß die Entſchädigung, 
die der Handlungsgehilfe auf Grund der Vor⸗ 
ſchriſten der 88 74— 75 d für die Zeit nach der 
Beendigung des Dienſtverhälkniſſes beanſpruchen 
kann, zu den Dienftbezügen im Sinne des 8 61 
Nr. 1 der Konkursordnung gehört, ſerner, daß 
der Anſpruch auf die Entſchädigung zum Zwecke 
der Sicherſtellung oder Befriedigung eines Glaͤu⸗ 
bigers erſt dann gepfändet werden kann, wenn 
der Tag, an dem ſie zu entrichten war, abgelaufen 
iſt, ohne daß der Gehilfe ſie eingefordert hat. Die 
Pfändung iſt jedoch zuläſſig, ſoweit die Entſchädi⸗ 
gung allein oder zuſammen mit den in den 88 1, 3 
des Geſetzes betreffend die Beſchlagnahme des 
Arbeits⸗ oder Dienſtlohnes bezeichneten Bezügen 
die Summe von 1500 M für das Jahr über: 
ſteigt. Die Vorſchriften des 8 2, des 8 4 Nr. 2, 3 
und des § 4a des bezeichneten Geſetzes finden ent: 
ſprechende Anwendung. 


3 75 f. 


Unter den Arbeitgebern beſtehen Vereinbarun⸗ 
gen, einen Gehilfen, der bei einem anderen im 
Dienſte iſt oder geweſen iſt, nicht oder nur unter 
beſtimmten Vorausſetzungen, anzuſtellen; folche 
Vereinbarungen werden meiſt geheim gehalten — 
geheime Konkurrenzklauſel. Es war beantragt, 
ſolche Vereinbarungen für ungültig zu erklären 
und eine Schadenserſatzpflicht der Prinzipale 
bei ſolchen Vereinbarungen feſtzuſetzen. Allein 
dies wäre ein Eingriff in das Koalitionsrecht der 
Arbeitgeber; andererſeits ſind die Gehilfen be⸗ 
rechtigt, unter ſich zu vereinbaren, bei Prinzi⸗ 
palen, die ein Wettbewerbverbot vereinbaren wollen, 
nicht einzutreten. Das Geſetz hat ſich hier auf 
den Standpunkt der Gewerbeordnung geſtellt, welche 
in 8 152 die rechtliche Erzwingbarkeit der durch 
das Uebereinkommen übernommenen Verpflich⸗ 
tungen ausſchließt; jedem Teilnehmer ſteht der 
Rücktritt von ſolchen Vereinigungen und Ber: 
abredungen frei und es findet aus ihnen weder 
Klage noch Einrede ftatt — 8 152 Abſ. 2 GewO. 

§ 75 f jagt: Auf eine Vereinbarung, durch die 
ſich ein Prinzipal einem anderen Prinzipal gegen: 
über verpflichtet, einen Handlungsgehilfen, der bei 
dieſem im Dienſte iſt oder geweſen iſt, nicht oder 
nur unter beſtimmten Vorausſetzungen anzuſtellen, 
findet die Vorſchrift des $ 152 Abſ. 2 der Ge: 
werbeordnung Anwendung. 


8 76 Abſ. 1. 


Bisher haben die Beſtimmungen über die Ver⸗ 
einbarung eines Wettbewerbverbots auch für die 
Handlungslehrlinge gegolten; von praktiſcher Be⸗ 
deutung find dieſe Beſtimmungen für Lehrlinge 
wohl nur in den ſeltenſten Fällen, da der Lehr: 
ling meiſt minderjährig iſt und keine Bezüge von 
M 1500 erreicht, das Wettbewerbverbot alſo nichtig 
wäre. Allein auch, ſoweit es gültig ſein könnte, 
ſoll der Lehrling nach Beendigung der Lehrzeit das 
Erlernte praktiſch verwerten können; das Wett⸗ 
bewerbverbot kann möͤglicherweiſe ſeine Ausbildung 
zu einem guten Teile wertlos machen, anderer⸗ 
ſeits wird der Lehrling zumeiſt nicht in die in⸗ 
ternſten Geſchäftsgeheimniſſe des Prinzipals ein⸗ 
geweiht. Es wurde deshalb für Handlungslehr⸗ 
linge das Verbot der Konkurrenzklauſel aufgeſtellt: 
Vereinbarungen, durch welche Handlungslehrlinge 
für die Zeit nach der Beendigung des Lehr⸗ oder 
Dienſtverhältniſſes in ihrer gewerblichen Tätigkeit 
beſchraͤnkt werden, find nichtig. Die Beſtimmung 
des 9 75 f der Klagelofigkeit von Vereinbarungen 
der Prinzipale untereinander wurde auch auf Ver⸗ 
einbarungen hinſichtlich der Handlungslehrlinge 
erſtreckt. 


Art. IL 3 82 a. 


Von den Handlungslehrlingen find zu unter: 
ſcheiden die Volontäre, die freiwillig die Pflichten 
eines Gehilfen übernehmen, aber keine Vergütung 
vom Prinzipal erhalten; da ſie die Dienſte des 
Gehilfen nicht gegen Entgelt leiſten, ſondern, um 
fh auszubilden, find fie von den Lehrlingen viel⸗ 
leicht manchmal ſchwer zu unterſcheiden; doch ſteht 
der Volontaͤr in einem viel freieren Verhältniſſe, 
der minderjährige Volontär ſteht hinſichtlich des 
Wettbewerbverbots ohnehin dem minderjährigen 
Lehrling gleich, der großjährige Volontär iſt ſelten 
einem Lehrling gleich zu achten, häufig ſind Volon⸗ 
täre ſchon als Handlungsgehilfen in Stellung ge⸗ 
weſen und wollen ſich nur noch beſtimmte Branche⸗ 
kenntniſſe erwerben. Für ſolche muß die Kon⸗ 
kurrenzklauſel zuläſſig ſein, weil gerade der Volon⸗ 
tär in ein fremdes Geſchäft beſonderen Einblick 
erhalten will. Das Geſetz gibt in $ 82 a eine 
Definition des Volontaͤrbegriffes als Perſonen, die, 
ohne als Lehrlinge angenommen zu ſein, zum 
Zwecke ihrer Ausbildung unentgeltlich mit kauf⸗ 
männiſchen Dienſten beſchäftigt werden, und be⸗ 
ſtimmt, daß auf Wettbewerbverbote gegenüber 
ſolchen Perſonen die für Handlungsgehilfen gelten⸗ 
den Vorſchriften inſoweit Anwendung finden, als 
ſie nicht auf das dem Gehilfen zuſtehende Entgelt 
Bezug nehmen. Es gelten alſo im weſentlichen 
88 74 Abſ. 1, 74a Abſ. 1, Abſ. 2 Satz 2, 3, 
Abſ. 3 und § 75 in Anſehung der Kündigung 
aus einem erheblichen Anlaß in der Perſon oder 
wegen vertragswidrigen Verhaltens des Volontärs, 
875 c und 8 75 f. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


375 


Art. III. 

Das Geſetz tritt am 1. Januar 1915 in Kraft; 
es war notwendig, Uebergangsvorſchriften für die 
vorher vereinbarten Wettbewerbverbote zu treffen; 
ein neues Geſetz ſoll im allgemeinen keine rück⸗ 
wirkende Kraft haben; von dieſem Grundſatze muß 
aus ſozialen Gründen abgewichen, dem Prin⸗ 
zipal muß die Befugnis eingeräumt werden, die 
Konkurrenzklauſel zu retten, wenn er bei fort⸗ 
dauerndem Arbeitsverhältnis die geſetzlichen Pflich⸗ 
ten übernimmt; andererſeits ſoll der Gehilfe, der 
vor dem Inkrafttreten des Geſetzes ſeine Stelle 
aufgegeben hat, auch die Karenzentſchädigung er: 
halten, wenn das früher vereinbarte Wettbewerb⸗ 
verbot ſein Fortkommen erſchwert. Die neuen 
Vorſchriſten finden daher, abgeſehen von den Form⸗ 
vorſchriften des 8 74 Abſ. 1 auch auf die vorher 
vereinbarten Wettbewerbverbote Anwendung; ein 
Wettbewerbverbot, das nach den neuen Vorſchriften 
unverbindlich iſt wegen Nichtvereinbarung der 
Karenzentſchädigung oder weil die Bezüge des 
Gehilfen nicht mehr als 1500 M ausmachen, ſoll 
verbindlich bleiben, falls fich der Prinzipal vor 
dem Ablauf von drei Monaten ſeit dem Inkraft⸗ 
treten des Geſetzes ſchriftlich erbietet, die vorge⸗ 
ſchriebene Entſchädigung zu zahlen, ſowie die dem 
Gehilfen zuſtehenden vertragsmäßigen Leiſtungen 
auf mehr als 1500 M für das Jahr zu erhöhen. 

Aus dieſer Faſſung ergibt ſich, daß es aber 
nicht genügt, zu einem vorher vereinbarten Wett⸗ 
bewerbverbote nur die Karenzentſchädigung und 
die Erhöhung der Bezüge nachzuholen; die ganze oder 
teilweiſe Verbindlichkeit des früher vereinbarten 
Wettbewerbverbotes iſt nach $ 74 a neuer Faſſung 
zu beurteilen. 

Aus Anlaß des Krieges wurden durch die 
Bundesratsbekanntmachung vom 10. September 
1914 die Vorſchriften des 8 75 Abſ. 2 des neuen 
Geſetzes alsbald in Kraft geſetzt; es handelt ſich 
dabei um die Kündigung durch den Prinzipal 
(ſ. oben 8 75 unter a, b und c); die Erklärung 
des Prinzipals, dem Gehilfen die vollen vertrags⸗ 
mäßigen Leiſtungen zu gewähren, muß bei der 
Kündigung oder, falls dieſe ſchon vor dem In⸗ 
krafttreten der Verordnung erſolgt war, unverzüglich 
nach dem Inkrafttreten erfolgen. Dieſe Verordnung 
iſt mit dem Tage der Verkündung in Kraſt getreten. 


Zum Schluſſe ſoll nicht unerwähnt bleiben, 
daß zur Entſcheidung von Streitigkeiten zwiſchen 
Prinzipalen und Handlungsgehilfen mit einem Lohn 
oder Gehalt von nicht mehr als 5000 & ohne 
Rückſicht auf den Wert des Streitgegenſtandes die 
Kaufmannsgerichte ausſchließlich zuſtändig ſind, 
wenn dieſe Streitigkeiten die Anſprüche aus einer 
Vereinbarung betreffen, durch welche der Handlungs⸗ 
gehilfe oder Handlungslehrling für die Zeit nach. der 
Beendigung des Dienſt⸗ oder Lehrverhältniſſes in 
ſeiner gewerblichen Tätigkeit beſchränkt wird, die 
Berufung an die Landgerichte iſt nur zulaͤſſig, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


wenn der Wert des Streitgegenſtandes den Betrag | Dabei darf aber nicht überſehen werden, daß Gegen⸗ 


von 300 M überſteigt. 

Da die Errichtung von Kaufmannsgerichten 
ſchon für Gemeinden mit mehr als 20 000 Ein⸗ 
wohnern vorgeſchrieben iſt, werden ſich die Amts⸗ 
gerichte mit dieſen Beſtimmungen wohl kaum zu 
befaſſen haben, da für kaufmänniſche Betriebe in 
Gemeinden unter 20 000 Einwohnern wohl ſelten 
der beſondere Schutz eines berechtigten geihäftlichen 
Intereſſes des Prinzipals erforderlich erſcheint und 
der Prinzipal, um ein Wettbewerbverbot verein⸗ 
baren zu können, kaum das Opfer der Karenz⸗ 
entſchädigung zu bringen in der Lage iſt. Ge⸗ 
rade aus letzterem Grunde werden Konkurrenz⸗ 
klauſeln mit kauſmänniſchen Angeſtellten nur noch 
eine ſeltene Ausnahme bilden, und die Einſchrän⸗ 
kung der Konkurrenzklauſeln und ihre Zurückführung 
auf diejenigen Verhältniſſe, in welchen ſie nicht 
entbehrlich find, iſt der Zweck des Geſetzes. 


Zur Bildung von Geſamtſtrafen. 


Bon Dr. Jaksb Fehler, Landgerichtsrat in München. 


Das Oberſte Landesgericht hat in einem Be⸗ 
ſchluſſe vom 22. März 1912 (Obs GSt. 12, 134) 
ausgeſprochen, es ſei eine Geſamtſtrafe aus einer 
durch ein früheres Urteil für ein Verbrechen oder 
Vergehen erkannten Strafe mit einer ſpäter für 
ein Kollektivdelikt verhängten Strafe auch dann zu 
bilden, wenn das Kollektivdelikt teils vor teils nach 
der früheren Verurteilung verübt iſt. 

Dieſe Entſcheidung laßt ſich m. E. nicht halten. 
Die in ihr geſtellte Frage ergibt ſich nicht nur für 
Kollektivdelikte, ſondern für alle Straftaten, deren 
Tatbeſtand eine längere Zeitſpanne hindurch ver⸗ 
wirklicht wird, alſo auch für Dauer- und fortgeſetzte 
Delikte. Denn bei den Straftaten dieſer 3 Delikts— 
arten iſt es möglich, daß der Täter während ihres 
Laufes wegen einer anderen Straftat abgeurteilt 
wird, daß alſo je ein Teil von ihnen vor und nach 
dieſer Aburteilung verübt wird. Für alle 3 Delikts— 
arten liegt deshalb die geſtellte Frage gleich und 
kann nur in einem Sinne beantwortet werden. 

Es handelt ſich um die Auslegung des 8 79 
StGB. Sein Grundgedanke iſt der, daß es, wenn 
eine gleichzeitige Aburteilung mehrerer Verbrechen 
oder Vergehen rechtlich möglich iſt, dem Angeklagten 
bei der Beſtraſung nicht zum Nachteile gereichen 
ſoll, daß die Aburteilung aus tatſächlichen Gründen 
durch mehrere Urteile erfolgt (RGSt. 37, 170). 
Mit dem Oberſten Landesgerichte iſt davon aus— 
zugehen, daß Kollektivdelikte — ebenſo natürlich 
auch Dauer und fortgeſetzte Delikte — für das 
Gebiet der Konkurrenzlehre als Einheit aufzufaſſen 
ſind, daß alſo die durch längere Zeit hindurch ver— 
übten Kollektiv-, Dauer- und fortgeſetzten Delikte 
für dieſes Gebiet nur je eine einheitliche Tat ſind. 


ſtand der Aburteilung immer nur eine ganz be⸗ 
ſtimmte, geſchichtlich gegebene Tat in ihrer wirklichen 
Geſtalt iſt, daß dieſe Tat ſelbſtverſtändlich erſt ab⸗ 
geurteilt werden kann, wenn ſie abgeſchloſſen iſt, 
daß alſo immer nur die ganze Tat abgeurteilt und 
beſtraſt wird, und niemals nur ein Stück von ihr, 
das unſelbſtändig und ohne rechtliches Sonder⸗ 
daſein iſt. 

Wird nun eine ſolche geichichllich genau beſtimmte, 
einheitliche Tat teils vor teils nach der Verurteilung 
wegen eines anderen Verbrechens oder Vergehens 
vom gleichen Täter verübt, jo kann fie in ihrer 
wirklichen Geſtalt ſelbſtverſtaͤndlich im Augenblicke 
dieſer Verurteilung nicht mit abgeurteilt werden; 
ihre wirkliche Geſtalt iſt noch garnicht gegeben, 
ſie iſt noch nicht fertig. Es fehlt alſo die erſte 
Vorausſetzung für die Anwendung des 8 79 StGB., 
die rechtliche Möglichkeit der gleichzeitigen Abur⸗ 
teilung. Das ergibt ſich unmittelbar aus der folge⸗ 
richtigen Betrachtung des Kollektiv-, Dauer: und 
fortgeſetzten Deliktes als einer Tateinheit.) Es geht 
nicht an, eine ſolche Einheit auseinanderzureißen 
in ein Stück vor der früheren Verurteilung und 
in ein Stück nach ihr. Darauf kommt aber im 
Grunde der Beſchluß vom 22. März 1912 hinaus. 
Er ſagt: 

„U. hat die Zuhälterei begangen durch die ſort⸗ 
geſetzte Ausbeutung einer und derſelben Dirne, von der 
er den Lebensunterhalt in Kenntnis ihres unſittlichen 
Erwerbes bezog. So gut man angeſichts des Abſchluſſes, 
den das Treiben des U. durch ſeine Feſtnahme gefunden 
hat, von einer bis zum Zeitpunkte der Feſtnahme — 
dem 6. Februar — erfolgten Begehung ſprechen kann, 
ebenſogut kann ſchon in der Geſamtheit der Einzel» 
handlungen, aus denen ſich die bis zum 22. oder 24. Ja⸗ 
nuar — Zeit der Erlaſſung und Zuſtellung des Straj: 
befehles wegen Hausfriedensbruches — verübte Aus⸗ 
beutung der Dirne zuſammenſetzt, eine Begehung des 
Kollektivdeliktes der Zuhälterei erblickt werden. Das 
Tun des Angeklagten bleibt ein einheitliches, mag man 
es vom Zeitpunkte ſeines Beginnes oder von dem ſeines 
Abſchluſſes aus betrachten. U. hat noch vor der — 
am 24. Januar erfolgten — Zuſtellung des Strafbefehles, 
„nämlich am 12. Januar 1912, das nach 8 18a StG. 
zu ahndende Tun begonnen und es bis zum 6. Februar 
1912 fortgeſetzt. Für die rechtliche Betrachtung auf 
Grund der Annahme des Vorliegens eines ſog. Kollektiv⸗ 
deliktes war es ebenſogut möglich, daß ſein Tun für 


die Zeit vom 12. Januar bis zum 24. Januar als ein 


einheitliches aufgefaßt wurde; der Umſtand daß er es 
noch bis zum 6. Februar fortſetzte, ändert an der iecht⸗ 
lichen Möglichkeit nichts, daß fein Tun auch ſchon für 
die Zeit vom 12. bis zum 24. Januar als einheitliches 
aufgefaßt wird. Steht dieſer Auffaſſung ein rechtliches 
Bedenken nicht entgegen, ſo muß angenommen werden, 
daß U. ſchon vor der Zuſtellung des Strafbefehles, 
alſo ſchon vor der früheren Verurteilung die nach 
§ 181 a StGB. ſtrafbare Handlung begangen hat.“ 


Tiefe Begründung zeigt deutlich. daß der 
Beſchluß das am 12. Januar begonnene und bis 
zum b. Februar fortgeſetzte einheitliche verbrecheriſche 
Tun weder vom Zeitpunkte ſeines Beginnens noch 
von dem ſeines Abſchluſſes aus betrachtet. Denn 


) Vgl. RG St. 47, 309. 


von beiden Punkten aus müßte er das ganze Tun 
des Angeklagten ſehen; bei erſterem vom Anfange 
bis zum Ende, bei letzterem vom Ende bis zum 
Anfange; irgend ein Abſchnitt in dieſem Tun er⸗ 
gäbe ſich nicht. Der Beſchluß macht aber einen 
Einſchnitt in das Tun des Angeklagten mit dem 
22. 24. Januar, dem Zeitpunkte der früheren Ver: 
urteilung, der zwar zeitlich mitten in den Lauf 
dieſes Tuns fällt, aber nicht im mindeſten mit 
ihm zuſammenhaͤngt, für dieſes Tun völlig zu⸗ 
fällig und deshalb willkürlich iſt. Von dieſem 
Zeitpunkte aus betrachtet der Beſchluß in Wirk⸗ 
lichkeit die einheitliche Tat; er zerlegt ſie trotz 
ihrer Einheit in ein Stück vor der früheren Ver⸗ 
urteilung und in ein Stück nach ihr; er betrachtet 
das erſtere für ſich, behandelt es als rechtlich ſelb⸗ 
ſtändig und die für die ganze Tat ausgeſprochene 
Strafe jo, als wäre fie nur für dieſes Stück er: 
kannt; er beachtet das zweite Stück weiter nicht, 
behandelt es als belanglos und kommt ſo zu der 
Fiktion — etwas anderes iſt es nicht — daß das 
tatſächlich erſt am 6. Februar beendete Vergehen 
des U. rechtlich ſchn am 22. / 24. Januar be⸗ 
endet war. Der Beſchluß überſieht dabei wirklich, 
daß die Strafe nur für eine ganze, fertige Tat 
gegeben wird und nie für ein Stück Tat, daß ſie 
gegeben wird für eine Tat in ihrer geſchichtlichen 
Geſtalt und nicht in einer allenfalls möglichen, 
gedachten Form, daß ferner der die Tat beurtei⸗ 
lende Richter ſie immer erſt nach ihrem Abſchluſſe 
betrachtet, daß er ſie dann von ihrem Beginne 
bis zu ihrem Abſchluſſe ſieht und daß er ſie nie 
von einem zufälligen, ihr an ſich fremden, mitten 
in ihren Lauf fallenden Zeitpunkt aus beurteilen 
darf. All das iſt aber auch bei der Auslegung 
des § 79 StGB. zu beachten und es führt zu der 
Annahme, daß auch ein Kollektiv⸗, Dauer: und 
fortgeſetztes Delikt jo gut wie jede einfache Straf⸗ 
tat im Sinne dieſer Geſetzesſtelle erſt dann „be⸗ 
gangen“ iſt, wenn es geſchichtlich abgeſchloſſen iſt. 
Der Beginn dieſer Delikte iſt hier gleichgültig; 
der Zeitpunkt ihres Abſchluſſes allein entſcheidet 
darüber, ob eine Verurteilung wegen einer an⸗ 
deren Straftat vor oder nach ihrer Begehung liegt, 
ob die für ſie verhängten Strafen mit der Strafe 
aus der früheren Verurteilung auf eine Geſamt⸗ 
ſtrafe zurückzuführen find. Iſt das Kollektiv⸗, Dauer-, 
oder fortgeſetzte Delikt erſt nach dieſer Verurteilung 
beendet, ſo iſt eine Geſamtſtrafe nicht zu bilden; 
es war deshalb auch im Falle des Beſchluſſes 
vom 22. März 1912 auf eine ſolche nicht zu er: 
kennen. 

Dies Ergebnis wird beſtätigt durch die Aus⸗ 
legung anderer Stellen des Strafgeſetzbuches. 

Nach 8 67 Abſ. 4 beginnt die Verjährung einer 
Straftat mit dem Tage, an dem die Handlung 
„begangen“ iſt. Es wird allgemein angenommen, 
daß Kollektiv⸗, Dauer: und fortgeſetzte Delikte erſt 
vom Augenblicke ihres Abſchlufſes an verjähren, daß 
ſie alſo erſt in dieſem Zeitpunkte „begangen“ ſind. 


Zettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


377 


Nach § 61 StGB. beginnt die Friſt zur 
Stellung des Strafantrages mit dem Tage, ſeit 
welchem der Antragsberechtigte von der Hand⸗ 
lung . .. Kenntnis gehabt hat. Es wird auch 
da allgemein angenommen, daß bei Kollektiv⸗, 
Dauer⸗ und fortgeſetzten Delikten die Kenntnis 
erſt des Abſchluſſes dieſer Straftaten entſcheidet, 
jo daß dieſe Handlungen im Sinne des 8 61 auch 
erſt mit dem Augenblicke ihres Abſchluſſes ge⸗ 
geben find. 

Aehnliches ergibt ih z. B. bei 88 2, 56,57 StGB. 

Auch auf prozeſſualem Gebiete macht ſich natur⸗ 
gemäß die Einheit der Kollektiv⸗, Dauer: und fort: 
geſetzten Delikte geltend. Verübt z. B. ein Sieb⸗ 
zehnjähriger ein Sittlichkeitsverbrechen an einer 
geiſteskranken Frauensperſon — 8 176 Nr. 2 StGB. 
— und ſetzt er es in Ausübung desſelben Vor⸗ 
ſatzes über das 18. Lebensjahr hinaus fort, fo 
entſcheidet über das ganze fortgeſetzte Verbrechen 
nach 8 80 GVG. das Schwurgericht trotz 8 73 
Nr. 3 GVGG., weil eben eine geſonderte rechtliche 
Behandlung und Aburteilung der vor dem voll⸗ 
endeten 18. Lebensjahre verübten unſelbſtändigen 
Einzelhandlungen nicht möglich iſt. 

Ein Grund, gerade bei 8 79 StGB. eine Aus: 
nahme zu machen, beſteht nicht; ein ſolcher kann 
insbeſondere nicht aus dem Umſtande entnommen 
werden, daß 8 79 eine Beſtimmung zugunſten des 
Angeklagten enthält. Denn die Vorſchriften der 
89 61 und 67 StGB. find nicht weniger zugunſten 
des Angeklagten gegeben und trotzdem iſt bei ihnen 
auf den Abſchluß der Straftaten abzuſtellen. 

Auch noch andere Erwägungen zeigen, daß der 
im Beſchluſſe vom 22. Maͤrz 1912 aufgeſtellte 
Grundſatz ſich nicht halten läßt. Man braucht 
ihn nur in einzelnen möglichen Fällen anzuwenden; 
man nehme z. B. an: 

1. Der Zuhälter, deſſen Beſtrafung Anlaß 
zur Aufſtellung des Grundſatzes gab, habe am 
25. Januar 1912 die Dirne geheiratet, bei der er 
vom 12. Januar bis 6. Februar 1912 den Zu⸗ 
hälter machte; nach 8 181 a Abi. 2 StGB. müßte 
er mindeſtens 1 Jahr Gefängnis bekommen haben. 
Die Tatſache, die einzig und allein die Mindeſt⸗ 
ſtrafe von 1 Monate — 8181 a Abſ. 1 StGB. — 
auf 1 Jahr Gefängnis erhöht, läge nach der Ver⸗ 
urteilung vom 22.24. Januar 1912. Das Tun 
des Zuhälters wäre aber auch hier ein einheitliches 
Kollektivdelikt. „Für die rechtliche Betrachtung auf 
Grund der Annahme des Vorliegens eines ſog. 
Kollektivdeliktes“ wäre es auch hier „ebenſogut 
möglich, daß ſein Tun für die Zeit vom 12. bis 
zum 24. Januar als ein einheitliches aufgefaßt 
wurde; der Umſtand, daß er es noch bis zum 
6. Februar fortfeßte, änderte nichts an der recht⸗ 
lichen Möglichkeit, daß ſein Tun auch ſchon für 
die Zeit vom 12. bis zum 24. Januar als ein⸗ 
heitlich aufgefaßt wird“. Es ſpringt ſofort in die 
Augen, daß dieſe Begründung des Beſchluſſes vom 
22. März 1912 auch hier in dem gedachten Falle 


378 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


„auf Grund der Annahme des Vorliegens eines ſog. erſt dann begangen find, wenn ſie vollſtändig ab⸗ 


Kollektivdeliktes“ nicht abgelehnt werden könnte; 
es zeigt ſich aber auch ſofort, daß ſie zu einem 
unannehmbaren Ergebniſſe führt und daß fie deshalb 
nicht richtig ſein kann; denn daß eine rechtlich ſo 
erhebliche Tatſache, wie hier die Heirat der Dirne 
durch den Zuhälter, die die Mindſtiſtrafe des gleichen 
Vergehens ſo in die Höhe ſchnellen läßt, rechtlich 
jemals unbeachtlich ſein ſollte, iſt ohne weiteres 
ausgeſchloſſen. 

2. A habe den B am 1. Januar 1914 vor⸗ 
ſaͤtzlich und widerrechtlich eingeſperrt und bis zum 
10. Januar 1914 eingeſperrt gelaſſen; am 5. Januar 
1914 ſei A wegen Diebſtahls zu einem Jahre Ge⸗ 
fängnis und am 15. Februar 1914 wegen der 
an B verübten Freiheitsberaubung zu einem Jahre 
Zuchthaus verurteilt worden. Die einzige Tatſache, 
die die gleiche Straftat der Freiheitsberaubung aus 
einem Vergehen zu einem Verbrechen werden läßt 
und — bei Verſagung mildernder Umſtaͤnde — 
die Mindeſtſtrafe von einem Tage Gefängnis auf 
ein Jahr Zuchthaus erhöht — 8 239 Abſ. 1 und 2 
StGB. —, läge nach der Verurteilung vom 
5. Januar 1914. Trotzdem könnte auch hier die 
Begründung des Beſchluſſes vom 22. Maͤrz 1912 
nicht abgelehnt werden, da auch hier wieder nur 
eine einheitliche Tat vorläge, die teils vor teils nach 
der Verurteilung vom 5. Januar 1914 verübt 
wäre. Auch dieſes Beiſpiel zeigt wohl deutlich, daß 
der Beſchluß vom 22. März 1912 ſich nicht halten 
laͤßt. Denn obwohl hier das Tun des A vor und 
nach dem 5. Januar 1914 völlig gleich ware, 
erzeugt doch der einfache Zeitablauf eine rechtlich 
jo erhebliche Tatſache, daß dieſe nie belanglos 
ſein kann. 

Das Gleiche kann ſich bei einer fortgeſetzten 
Straftat ergeben. A begeht zum Beiſpiel eine 
längere Zeit hindurch — etwa ein Jahr lang — 
einen fortgeſetzten Betrug zum Nachteile des B. 
Mitten im Laufe dieſer Straftat wird er zum 
zweiten Male wegen — eines anderen — Betruges 
beitraft und rückfällig. Der teils vor teils nach 
dem Eintritte der Rückfälligkeit verübte fortgeſetzte 
Betrug zum Nachteile des B wird damit zum Ver— 
brechen; RS =t. 47, 308. Wäre A unmittelbar vor 
dem Eintritte der Rückfälligkeit wegen eines Diebſtahls 
verurteilt worden und dieſe Strafe noch nicht verbüßt 
uſw., jo wäre die Rechtslage wie beim Beiſpiel 2. 

Dazu kommt, daß nach dem Beſchluſſe vom 
22. März 1912 derjenige, der ſeine verbrecheriſche 
Tätigkeit vor der früheren Verurteilung begonnen 
und ſie darüber hinaus fortgeſetzt hat, rechtlich 


— —— — . ́ꝓ8—ut— nern 


geſchloſſen find. 

Das hat übrigens das Oberſte Landesgericht 
ſelbſt ſchon anerkannt. In ſeinem Beſchluſſe vom 
21. Auguſt 1909, Beſchw.⸗Reg. Nr. 594/09 (Obs G. 
StS. 9, 314) hatte es folgenden Fall zu entſcheiden. 
Str. war rechtskräftig verurteilt: 

a) vom Schöffengericht W. am 16. November 
1908 wegen Sachbeſchädigung zu 3 Wochen 
Gefängnis; 

b) vom Landgericht W. am 23. Juni 1909 
wegen 
1. eines Verbrechens des Diebſtahles, verübt 

am 17./18. Oktober 1908 zu 1 Jahre 
Zuchthaus; 

2. eines Vergehens der Zuhälterei begangen 
vom Oktober 1908 bis Dezember 1908 zu 
2 Jahren Gefängnis; 

3. eines weiteren Vergehens der Zuhälterei, 
verübt vom Dezember 1908 bis März 
1909 zu 10 Monaten Gefängnis; 

4. eines Vergehens der Hehlerei, begangen 
am 7./8. März 1909 zu 8 Monaten 
Gefängnis. 

Die Strafe vom 16. November 1908 war am 
23. Juni 1909 noch nicht verbüßt und dem Land: 
gerichte nicht bekannt; es bildete deshalb aus den 
vier unter b aufgeführten Einzelſtrafen eine Geſamt⸗ 
ſtrafe von 3 Jahren Zuchthaus. Durch Beſchluß 
vom 24. Juli 1909 wurde fie aufgehoben; gleich⸗ 
zeitig wurden zwei neue Geſamtſtrafen gebildet 
und zwar die eine aus den Strafen a und bl 
— 3 Wochen Gefängnis und 1 Jahr Zuchthaus 
— und die andere aus den Strafen b 2, 3 und 4 
— 2 Jahre, 10 und 8 Monate Gefängnis. In 
ſeinem Antrag auf Bildung dieſer zwei Geſamt⸗ 
ſtrafen hatte der Staatsanwalt ausdrücklich dar⸗ 
auf hingewieſen, daß die mit 2 Jahren Gefängnis 
beſtrafte Zuhälterei teils vor und teils nach dem 
früheren Urteile vom 16. November 1908 verübt, 
daß fie aber im Sinne des I 79 StGB. erſt nach 
ihrem Abſchluſſe, alſo nach der früheren Verurtei⸗ 
lung begangen ſei. 

Das Landgericht ſchloß ſich dem ohne weitere 
Ausführung an. Der Angeklagte legte gegen den 
Beſchluß vom 24. Juli 1909 Beſchwerde ein. Der 
Generalſtaatsanwalt bemerkte dazu, daß die vom 


Oktober 1908 bis Dezember 1908 verübte Zu⸗ 


beſſer geſtellt wäre, als derjenige. der ſie — unter 


gleichen Verhältniſſen im übrigen — unmittelbar 
nach der früheren Verurteilung beginnt; erſterer 
hätte den Vorteil der Geſamtſtrafe, letzterer nicht 
und dies, obwohl ſeine verbrecheriſche Tätigkeit 
geringer wäre als die des erſteren. 

Das alles zeigt wieder, daß Kollektiv-, Dauer— 
und fortgeſetzte Delikte im Sinne des $ 79 StGB. 


hälterei als erſt nach dem früheren Urteile vom 
16. November 1908 begangen anzuſehen ſei. Das 
Oberſte Landesgericht hat in dem Beſchluſſe vom 
21. Auguſt 1909 die zuläſſige Beſchwerde ver⸗ 
worfen. Aus den Gründen dieſes Beſchluſſes iſt 
hier anzuführen: 

„Zu einer Geſamtſtrafe kann .. auf Grund 
der $ 79 StGB. und 8 494 StPO. die in einem 
früheren Urteile ausgeſprochene Strafe nur ver: 
einigt werden mit einer Strafe, die in einem ſpaͤ⸗ 
teren Urteile wegen einer vor der früheren Ver⸗ 
urteilung begangenen Tat erkannt worden iſt; 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


—— 
— . —ũ y ————ꝛ— ̃ 2—ñ—ĩ —ꝛ̃ q 


Strafen, die in dem ſpäteren Urteile wegen 
mehrerer ſtrafbarer Handlungen ausgeſprochen 
wurden, die erſt nach der früheren Verurteilung 
begangen wurden, können mit der in dem früheren 
Urteile ausgeſprochenen Strafe nicht vereinigt 
werden, ſondern find auf eine weitere ſelbſtändige 
Geſamtſtrafe zurückzuführen.“ 

„Am 16. November 1908 hätte aber in An⸗ 
ſehung der den Gegenſtand des Urteiles vom 
23. Juni 1909 bildenden 4 Straftaten die Ab⸗ 
urteilung nur wegen des damals bereits begangenen 
Verbrechens des Diebſtahles, nicht auch wegen der 
erſt ſpäter begangenen 3 anderen Vergehen er: 
folgen können. Daher konnte in dem angefoch⸗ 
tenen Beſchluſſe (des Landgerichtes) eine Geſamt⸗ 
ſtrafe nur gebildet werden aus den wegen Sach⸗ 
beſchädigung und Diebſtahl ausgeſprochenen Einzel⸗ 
ſtrafen und mußte eine weitere Geſamtſtrafe ge⸗ 
bildet werden aus den für die 3 übrigen Ver⸗ 
gehen angenommenen Einzelſtrafen von 2 Jahren, 
10 und 8 Monaten Gefängnis.“ 

Hier hatte alſo das Oberſte Landesgericht genau 
die gleiche Frage zu entſcheiden, wie in dem Be⸗ 
ſchluſſe vom 22. März 1912; es hat ſie gerade 
im entgegengeſetzten Sinne entſchieden; es hat er⸗ 
klärt, daß die teils vor teils nach dem 16. No⸗ 
vember 1908 verübte Zuhälterei im Sinne des 
879 StGB. erſt nach dem 16. November 1908 
begangen iſt. Es hat dieſe Auffaſſung zwar nicht 
näher begründet, aber trotzdem nicht ohne nähere 
Prüfung gewonnen. Denn die Frage war zwei⸗ 
mal ausdrücklich zur Erörterung geſtellt. Darauf⸗ 
hin erfolgte ihre Beantwortung in dem allein 
richtigen Sinne. 


Das Aufrechnungsrecht des Gritehers im 
Zwangs verſteigerungs verfahren.) 
Von Rechtsanwalt Nichard Berolzheimer in München. 


1. Das Reichsgericht nimmt in, ſoweit erſichtlich, 
ſtändiger Rechtſprechung ſowohl nach altem wie 
nach neuem Rechte der Zwangsvollſtreckung in 
Grundſtücke an, daß der Erſteher den Anſpruch 
der Realglaͤubiger auf Befriedigung aus dem Ver⸗ 
ſteigerungserlös jedenfalls inſolang nicht durch Auf: 
rechnung erfüllen kann, als nicht die Forderung 
gegen den Erſteher auf die Berechtigten gemäß 
§ 118 Zw. übertragen iſt. 

Schon in RGZ. V, 310 beſtreitet das Reichs 
gericht die Zulälfigfeit der Aufrechnung vor dieſem 
Zeitpunkte mit der Begründung: „Dem einzelnen 
Hypothekglaͤubiger ſteht bezüglich des Kaufgeldes, 
ſolange nicht ſolches als Rückſtand überwieſen iſt, 
ein Gläubigerrecht gegen den Erſteher nicht zu, 


) Zahlen ohne weitere Angabe beziehen ſich auf 
die Paragraphen des Zw. 


— 8 — ̈b 8 — —...—8——lEpAʃSÄ——ᷓ— 


der Erſteher iſt alſo wegen des Kaufgeldes nicht 
der Schuldner des Hypothekgläubigers.“ Aehnlich 
lautet die Begründung in RGZ. 64, 311: „Darüber 
kann kein Zweifel beſtehen, daß die an der Zwangs⸗ 
verſteigerung beteiligten Gläubiger, von dem Fall 
des $ 118 abgeſehen, keinen Anſpruch auf Zahlung 
gegen den Erſteher, mit dem ſie in gar keinem Ver⸗ 
tragsverhältniſſe ſtehen, ſondern nur ein Recht 
darauf haben, nach den für das Zwangsverſteige⸗ 
rungsverfahren gegebenen Vorſchriften wegen ihrer 
Forderungen befriedigt zu werden.“ In RG3. 72, 
344 verweigert das Reichsgericht ebenfalls dem 
Erſteher die Aufrechnung. Die gleiche Auffaſſung 
vertritt das Oberlandesgericht Jena in Seuff. 
Arch. Bd. 67 Nr. 121. 

Die Rechtswiſſenſchaft hat ſich der Auffaſſung 
des Reichsgerichts angeſchloſſen. Steiner, 2. Aufl. 
§ 117 Anm. 4 jagt z. B.: „Der Erſteher kann 
nicht gegenüber der zum Zug gekommenen For⸗ 
derung eines anderen Beteiligten, der ſein Schuldner 
iſt, kompenſieren; denn erſterer ſchuldet den Strich⸗ 
erlös nicht den Beteiligten, ſondern dem Subha⸗ 
ſtaten, wenigſtens ſolange die Forderung noch nicht 
übertragen iſt.“ Ebenſo bei $ 144 Anm. 2 a Fuß⸗ 
note 3. Gleicher Anſicht Jaeckel⸗Güthe 3. Aufl. 
8 117 Anm. 1 und $ 118 Anm. 4, Fiſcher und 
Schäfer, Zwangsvollſtreckung 2. Aufl. Anm. 2, 
letzter Abſatz zu $ 115, Anm. 1 zu $ 118, von 
der Pfordten Anm. II 1 zu 8 107, IV 4 zu 
88 116-118. 

Die Richtigkeit der Anſchauung des Reichs⸗ 
gerichts kann aber nicht anerkannt werden. 

2. Rechtſprechung und Rechtslehre begründen 
ihren die Aufrechnung ablehnenden Standpunkt 
mit der Erwaͤgung, es ſeien vor der Uebertragung 
der Forderung gegen den Erſteher auf die Be⸗ 
teiligten keine Rechtsbeziehungen zwiſchen Erſteher 
und Beteiligten vorhanden, dieſe Beziehungen ſeien 
aber die notwendige Vorausſetzung der Aufrechnung 
(S 387 BGB.). 

Welches iſt nun das Verhältnis zwiſchen Er: 
ſteher und Realberechtigten, ehe die Uebertragung 
ſtattgefunden hat? f 

Durch die Verkündung (§ 89) oder Zuſtellung 
(8 104) des Zuſchlagsbeſchluſſes erlöſchen die Rechte 
an den Grundſtücken, welche nicht nach den Ver⸗ 
ſteigerungsbedingungen beſtehen bleiben ſollen (8 91). 
Was an die Stelle der Rechte tritt, iſt im Geſetze 
ausdrücklich nur für die Rechte beſtimmt, die nicht 
auf Zahlung eines Kapitals gerichtet ſind, wie 
Grunddienſtbarkeiten, $ 92. Bleibt dagegen eine 
Hypothek nach den Verſteigerungsbedingungen nicht 
beſtehen, fällt ſie aber noch in das Meiſtgebot, 
ſo iſt eine geſetzliche Regelung des Schickſals dieſer 
ehemaligen, durch den Zuſchlag erloſchenen Hypothek 
bis zum Zeitpunkt der Uebertragung nach § 118 
nirgends getroffen, namentlich nicht im 8 92. 

Doch ergibt fi, wie RGZ. 71, 404 aus der 
Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes nachweiſt, aus 
anderen Vorſchriften des Geſetzes das ſog. „Surro: 


380 


ationsprinzip“, d. h. der Grundſatz, daß der Ber: 
ag unge an die Stelle des verſteigerten 
Grundſtücks tritt. „Die Forderung aus dem 
Meiſtgebot ſteht nicht den Glaͤubigern, deren An: 
ſprüche nach dem Ergebnis der Zwangsverſteigerung 
gedeckt erſcheinen, zu den Beträgen zu, für die der 
einzelne Gläubiger Deckung findet, ſondern iſt den 
Rechten der Gläubiger unterworſenes, zur Befrie⸗ 
digung der Gläubiger beſtimmtes Vermögen des 
bisherigen Eigentümers des verſteigerten Grund⸗ 
ſtücks“, ſagt das Bayeriſche Oberſte Landesgericht 
für das frühere bayeriſche Recht, ObL GZ. Bd. 4 
Nr. 110 S. 506. Vgl. auch Steiner 8 23 Anm. 3 A, 
8 92 Anm. 1, ferner OL GRſpr. Bd. 20 S. 355: 
„Nach dem das Verfahren beherrſchenden Surro⸗ 
gationsprinzip iſt mit allen rechtlichen Beziehungen 
der Erlös an Stelle des Eigentums, alſo in das 
Vermögen des Subhaſtaten getreten 
Die Beſchlagnahme erſtreckt ſich kraſt des Surro⸗ 
gationsprinzips auf den Erlös und bewirkt deſſen 
Pfändung zugunſten der beteiligten Gläubiger.“ 
Dieſer Grundſatz der Erſetzung folgt namentlich 
aus den 88 10, 37 Nr. 5, 109 Abſ. 2, 118. 
Allerdings erfolgt nach $ 107 Abſ. 2 die von 
dem Erſteher im Termin zu leiſtende Zahlung an 
das Gericht. Dadurch erlangt aber das Gericht 
nicht einen privatrechtlichen Anſpruch auf Zahlung 
des Erlöſes, es wird nicht etwa ſelbſt an Stelle 
des bisherigen Eigentümers Gläubiger der durch 
Meiſtgebot und Zuſchlag für den Erſteher ent⸗ 
ſtandenen Schuld. Gläubiger bleibt vielmehr der 
bisherige Eigentümer. Dies ſprechen auch RG3. 
64, 311 und 72, 344 aus.“) Nur der Verfügung 
des Schuldners iſt die Forderung entzogen, er kann 
ſie nicht einziehen, nicht dagegen aufrechnen oder 
ſie ſonſtwie beſeitigen, der Erſteher kann nicht mit 
befreiender Wirkung an ihn zahlen. Nicht aber 
begründet 8 107 Abſ. 2 ſelbſtändig eine Ver⸗ 
pflichtung des Erſtehers zur Zahlung des Meiſt⸗ 
gebots, er ordnet nur an, daß die Zahlung, wenn 
ſie überhaupt im Termin geleiſtet wird, dann an 
das Gericht erfolgen ſoll. Es wird alſo hier 
vorausgeſetzt, nicht gefordert, daß im Verteilungs— 
termin gezahlt wird. Zahlt der Erſteher nicht, 
dann greift das Uebertragungsverfahren des $ 118 
Platz. Zahlt er, dann übernimmt das Gericht 
gemäß § 107 die Uebermittlung der gezahlten 
Summe an die Hebungsberechtigten; Gläubiger 
dieſer Summe iſt aber immer der bisherige Eigen— 
tümer, wenn er auch mit Rückſicht auf die Rechte, 
welche an dem Grundſtück beſtanden und ſich am 
Erlös fortſetzen, nicht über dieſen verfügen darf. 
Die Hypothekgläubiger hatten bis zum Zu— 
ſchlag (Verkündigung oder Zuſtellung, ſ. o.) ein 
Pfandrecht an dem Grundſtück (mag der Ausdruck 
„Pfandrecht“ für Rechte an Grundſtücken ſich auch 
im BGB. nirgends, ſondern nur im EGzBGB. 


*) Ebenſo von der Pfordten Anm. II 1, Steiner 
Anm. 4 zu § 107. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


— . -Vk.—ů—̃ů—̃ — — — 


Art. 192 finden). Nach Erlöſchen des Pfandrechts 
an dem Grundſtücke ſetzt ſich das Recht der Hypo: 
thekgläubiger, ſoweit ſie zum Zuge kommen, als 
Pfandrecht an dem Erlös, d. h. zunächſt an der 
Forderung des Schuldners gegen den Erſteher auf 
Zahlung des Meiſtgebots fort (vgl. von der Pfordten 
Anm. II zu $ 107). Der Anſpruch der Hypothek⸗ 
gläubiger, für welche hiernach dieſes Pfandrecht 
beſteht, gilt gemäß 8 111 als fällig, ſoweit es ſich 
um die Befriedigung aus dem Erlös handelt, mag 
auch die Fälligkeit nach dem urſprünglichen Schuld⸗ 
verhältniſſe noch nicht eingetreten ſein und für die 
perſönliche Haftung des Schuldners und von mit⸗ 
haftenden Dritten auch jetzt noch nicht beſtehen. 

Es iſt alſo die Forderung des Schuldners gegen 
den Erſteher auf Zahlung des Erlöſes zugunſten 
einer faͤlligen Forderung von Glaͤubigern des Sub⸗ 
haſtaten, d. i. des Gläubigers des Erſtehers, mit 
einem Pfandrecht belaſtet. 

Auf dieſen Tatbeſtand kann unbedenklich 8 1282 
BGB. angewendet werden. 

8 1282 BGB. betrifft zunächſt die durch 
Rechtsgeſchäft begründeten Pfandrechte an Rechten. 
Gemäß 88 1273, 1257 BGB. iſt er aber auch ent⸗ 
ſprechend anzuwenden auf die kraſt Geſetzes entſtan⸗ 
denen Pfandrechte. Mag man nun annehmen, daß 
es ſich bei dem Erſatzrechte des früheren Hypothekars 
um ein rechtsgeſchäftliches Pfandrecht, die Hypothek, 
handelt, welches ſich durch einen außerhalb des 
Vertragsrahmens liegenden Umſtand in ein Pfand⸗ 
recht an einer Forderung verwandelt hat, ohne 
ſeine Eigenſchaft als Vertragspfandrecht einzubüßen, 
oder mag man das Gewicht ſtatt auf die urſprüng⸗ 
liche Natur des Rechtes mehr auf die Natur des 
jetzt beſtehenden Rechtes legen und deswegen ein 
kraft Geſetzes entſtandenes Pfandrecht an einer 
Forderung annehmen: immer hat nach dem Zu⸗ 
ſchlag der frühere Hypothekgläubiger, der „Pfand⸗ 
gläubiger“, wegen einer fälligen Forderung ein 
Pfandrecht an einer Forderung ſeines Schuldners, des 
„Gläubigers“, gegen den Erſteher, den „Schuldner“. 

Man kann dieſe Auffaſſung nicht mit einem 
Hinweiſe auf 88 830, 835 ZPO. ablehnen. Richtig 
iſt zwar, daß bei der Forderungspfändung durch 
die Pfändung der Drittſchuldner nicht verpflichtet 
wird, an den Gläubiger zu bezahlen, und dieſer 
nicht zur Geltendmachung der Forderung befugt 
iſt, daß es vielmehr hier zum Zweck der Verwertung 
der gepfändeten Forderung durch den Gläubiger 
noch eines beſonderen gerichtlichen Vorgangs, der 
rechtsbegründenden Ueberweiſung bedarf; dieſe Be⸗ 
ſtimmung wurde aber nur aus Gründen der Zweck 
mäßigkeit getroffen und kann daher nicht rechts⸗ 
ähnlich auf nicht gleichgelagerte Fälle angewendet 
werden. Die Trennung der Ueberweiſung von der 
Pfändung hat nämlich den Zweck, die letztere ohne 
Einſchränkung bei der Regelung im Arreſt verwerten 
zu können, wo ſie nicht zur Ueberweiſung führt. 
Motive zum Entwurf 111 S. 433 f., Seuffert 
11. Aufl. Anm. 1a zu § 835. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


Dagegen beſteht doch kein Zweifel, daß die Er⸗ 
ſetzung des Grundſtücks durch den Erlös und das 
Weiterbeſtehen des Grundſtückspfandrechts als 
Pfandrecht an der Forderung des Schuldners gegen 
den Erſteher eine über die Pfaͤndung einer Geld⸗ 
forderung hinausgehende Wirkung erzeugt. Es 
kann namentlich der Erſteher ohne die Gefahr einer 
Doppelzahlung an den Realberechtigten zahlen, auch 
ohne daß eine Ueberweiſung ſtattgefunden hat. Zwar 
fieht auch das Zwangsverſteigerungsgeſetz die Ueber⸗ 
tragung der zunaͤchſt dem Subhaſtaten zuſtehenden 
Forderung gegen den Erſteher auf die Berechtigten 
vor. Dieſe Uebertragung hat aber entſprechend 
der Ueberweiſung an Zahlungs Statt die Wirkung 
einer Befriedigung; ſie ſoll nicht die Befugnis des 
Gläubigers vorbereiten, vom Drittſchuldner Be⸗ 
friedigung zu verlangen, ſondern unter Vernichtung 
des Pfandrechts dieſe vertreten. Eine Ueberweiſung 
zahlungshalber, bei welcher der bisherige Gläubiger 
der gepfändeten Forderung auch fortan Inhaber 
der Forderung, bloß mit den durch die Pfändung 
begründeten Verfügungsbeſchränkungen, bleibt, da⸗ 
gegen der Pfandgläubiger nur kraft des Pfand⸗ 
rechts die Forderung einziehen kann, kennt das 
Zw VVG. nicht. Es bedurfte der Ueberweiſung zur 
Einziehung auch nicht, weil keine Vorſchrift dieſes 
Geſetzes das aus der Hypothek entſtandene Pfand⸗ 
recht an der Forderung gegen den Erſteher in die 
Schranken eines Nur⸗Pfandrechts bannt und ihm 
die Wirkung der Einziehungsbefugnis nimmt. 

Die Hypothekgläubiger haben daher nach dem 
Zuſchlage zugunſten ihrer fälligen Forderungen ein 
Pfandrecht an der Forderung des Schuldners gegen 
den Erſteher, ſie ſind zur Einziehung dieſer Forderung 
berechtigt und der Erſteher kann nur an ſie leiſten, 
mögen auch dieſe Befugniſſe durch die beſonderen 
Vorſchriften der 88 105 ff. Zw VG. gegenüber $ 1282 
BGB. eingeſchränkt ſein. Daß der Schuldner 
ſelbſt nicht zur Einziehung der Forderung berechtigt 
iſt, an welcher das Pfandrecht beſteht, der Er⸗ 
ſteher an ihn nicht zahlen darf, beeinträchtigt das 
Recht des Pfandglaͤubigers nicht. Denn gerade 
zu ſeinen Gunſten beſteht dieſe Beſchränkung. Sie 
ſoll eine Verfügung über die Forderung durch einen 
andern als durch ihn verhindern. 

3. Die Entſcheidung der Frage, ob der Erſteher 
gegen die Forderung eines zum Zuge kommenden 
Berechtigten mit einer ihm gegen dieſen Berechtigten 
zuſtehenden Forderung aufrechnen darf, hängt daher 
von der Zuläſſigkeit der Aufrechnung durch den 
Drittſchuldner gegen den Pfandgläubiger im Falle 
des §S 1282 BGB. ab. Sie wird beſtritten z. B. 
von Turnau⸗Förſter 8 1282 Anm. 4. Doch hat 
ſich das Reichsgericht ſelbſt in rechtlich Überzeugen: 
den Ausführungen der von den Bedürfniſſen der 
Praxis geforderten gegenteiligen Anſchauung ange— 
ſchloſſen: „Wer eine Forderung im eigenen Intereſſe 
durch Entgegennahme der Zahlung einziehen darf, 
wird ſie auch im Wege der Aufrechnung zu realiſieren 
berechtigt ſein.“ (RG. 58, 109). Daraus leitet 


—— . ͤ—— —— ——— ͤ ́ M— — — —. —e— nn an nn nn 


381 


das Reichsgericht gerade für den Fall des 8 1282 
ab, daß, wie der Pfandgläubiger gegenüber dem 
Schuldner, ſo auch der Schuldner gegenüber dem 
Pfandgläubiger aufrechnen und dadurch die ver⸗ 
pfändete Forderung erfüllen darf. Auch das 
Bayeriſche Oberſte Landesgericht (Obs GZ. Bd. 11 
Nr. 44, S. 223) gleicht die Einziehungsbe⸗ 
fugnis dem Forderungsrechte an: „Wenn auch 
die Forderung nicht auf denjenigen, dem eine 
Forderung durch Vertrag verpfändet wurde, über⸗ 
tragen iſt, nimmt er doch nach $ 1282 BGB. in 
bezug auf das Recht der Einziehung der Forderung 
die gleiche Rechtſtellung ein, als wenn ihm die 
Forderung voll übertragen wäre; er macht das 
Recht des Gläubigers, ſeines Schuldners, geltend 
kraft eigenen Rechts, kraft ſeines Pfandrechts.“ Die 
Anſchauung des Reichsgerichts, daß der Schuldner 
aufrechnen darf, wird geteilt von Falkmann,“) 
Crome,“) Planck,?) Biermann.“) Für den Fall 
der Pfändung und Ueberweiſung einer Forderung 
erachtet auch Seuffert zu $ 835 ZPO. Anm. 3 
Ic letzter Abſatz den Drittſchuldner für befugt, 
eine ihm gegen den Gläubiger zuſtehende Forderung 
gegen die überwieſene Forderung aufzurechnen 
(ebenſo Stein Anm. VII zu 8 835). 

4. Kann aber der Schuldner im Falle des 
§ 1282 BGB. den Pfandglaͤubiger durch Auf: 
rechnung befriedigen, ſo muß die gleiche Befugnis 
dem Erſteher gegen den Realberechtigten zuſtehen. 

Das Ergebnis der Unterſuchung iſt alſo, daß 
der Erſteher den Anſpruch der Real: 
gläubiger auf Befriedigung aus dem 
Verſteigerungserlöſe ſchon vor der Ueber⸗ 
tragung (8118 Zw G.) durch Aufrechnung 
mit einer ihm gegen den Berechtigten 
zuſtehenden Forderung erfüllen kann. 


Kleine Mitteilungen. 


Autragſteller und Hauptſache bei der einſtweiligen 
Verfügung. Wer kann Antrag auf einſtweilige Ver⸗ 
fügung ſtellen, und was iſt deren Hauptſache? Dieſe 
Frage ergab ſich in folgendem Falle: 

Ein Bezirksagent, dem ſeiner Meinung nach zu 
unrecht ohne Einhaltung einer Kündigungsfriſt ge⸗ 
kündigt war, hatte mit verſchiedenen auf Vertrags⸗ 
erfüllung abzielenden Anträgen gegen die Geſchäfts⸗ 
herrin geklagt. Dieſe beantragte nach der Erhebung 
der Klage gegen ſie eine einſtweilige Verfügung des 
Inhalts, daß der Kläger ſich nicht weiter als ihr 
Agent bezeichnen, Geſchäfte für ſie nicht mehr ſchließen, 
Gelder nicht mehr einkaſſieren und irgendwelche Ver⸗ 
bindlichkeiten nicht mehr eingehen oder erfüllen dürfe. 
Kann nun auch der Beklagte eine einſtweilige Ver⸗ 
) Gruchot, Beiträge Bd. 44 S. 109. 
4) Syſtem des deutſchen bürgerlichen Rechts, 3. Bd 
8 514 Fußnote 61. 

6) 3. Auflage Anm. Ib Abſ. III zu 8 1282. 

e) Sachenrecht Anm. Id zu 8 1282. 


382 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


fügung erwirken, ohne daß er Widerklage erhebt oder 
ſelbſtändig klagt? Iſt die Klage auf Vertrags- 
erfüllung auch für die erbetene einſtweilige Verfügung 
die Hauptſache? 

Güthe in BuſchZ. 24, 370 bezeichnet eine einſt⸗ 
weilige Verfügung, mag fie auf Grund des & 935 oder 
des 8 940 ZPO. beantragt fein, nur als eine vorweg⸗ 
genommene Zwangsvollſtreckung. Hat nun der Be⸗ 
klagte nur ein Recht auf Abweiſung der Klage, nicht 
dagegen ein Recht auf Zwangsvollſtreckung, ſo beſteht 
auch kein Anlaß zur Sicherung der Zwangsvollſtreckung. 

Dieſer Rechtsſatz iſt bisher, ſoweit mir bekannt 
iſt, weder in der Rechtslehre noch in der Rechtſprechung 
ausdrücklich ausgeſprochen worden; jedoch ergibt er 
ſich aus der Natur der Sache. Nur er kann gemeint 
ſein, wenn die Mot. S. 457 und auf ſie geſtützt die 
Kommentare zur ZPO. (wie Peterſen zu 8 940 Anm. 5, 
Struckmann⸗Koch, 9. Aufl, Anm. 1 zu 8 936, Seuffert 
Anm. 2 zu 8 940) erklären, daß eine einſtweilige Ver⸗ 
fügung keine Aenderung der Parteirollen in der Haupt⸗ 
ſache zur Folge hat. Weiter ergibt er ſich auch daraus, 
daß in keinem der veröffentlichten Erkenntniſſe, bei 
denen einſtweilige Verfügungen in Frage ſtanden, der 
Antragſteller ein anderer war als der Kläger ſelbſt, 
nicht der Beklagte. 

Den Begriff der Hauptſache für eine einſtweilige 
Verfügung beſtimmt Gaupp⸗Stein (8 PO. 8 919 II 1) 
als das Verfahren über den unmittelbar zu ſichernden 
Anſpruch ſelbſt, im Falle des 8 940 ZPO. als das 
Verfahren über das zu regelnde Rechtsverhältnis. 
Dieſer Begriff iſt ebenda in Bem. II 1 zu 8 256 ZPO. 
als rechtliches Verhältnis einer Perſon zu einer anderen 
Perſon oder zu einem Sachgut beftimmt; im vorliegen⸗ 
den Falle wäre darunter das rechtliche Verhältnis der 
Geſchäftsherrin zu ihrem Bezirksagenten zu verſtehen. 
Wie ſcharf hier die Grenzen einzuhalten ſind, erläutert 
Gaupp⸗Stein in der Fortſetzung zu 8 919 II 1 8NO., 
indem er die verſchiedenſten Beiſpiele anführt und 
ausdrücklich auf das Erkenntnis des OLG. Hamm 
in OL GRſpr. 7, 330 hinweiſt, wonach ein Rechts⸗ 
ſtreit nicht dadurch zur Hauptſache wird, daß in ihm 
der geſicherte Anſpruch durch Einrede geltend gemacht 
iſt. Im gleichen Sinn erkannte das Reichsgericht am 
Ende ſeiner Entſcheidung im Recht 12 Nr. 3163: 
„Darum kann es keinen weſentlichen Unterſchied machen, 
ob der Klageantrag als Feſtſtellungs⸗ oder Leiſtungs⸗ 
antrag gefaßt iſt, wofern die Klage ſelbſt nur der 
Verwirklichung des Anſpruchs dient und zu dieſem 
Zweck anhängig gemacht iſt.“ Zum gleichen Ergebnis 
zwingt endlich die Ausführung bei Falkmann, Zwangs⸗ 
vollſtreckung, 2. Kap. 8 10: „will Beklagter ſeinerſeits 
eine zur Zwangsvollſtreckung geeignete Entſcheidung 
über ſeinen Gegenanſpruch an Kläger haben, ſo kann 
er dies nur im Wege der Widerklage oder einer jelbs 
ſtändigen Klage erreichen“. 

Auf dieſer Grundlage ließ der erwähnte Bezirks⸗ 
agent, nachdem gegen ihn die beantragte einſtweilige 
Verfügung erlaſſen war, beantragen anzuordnen, 
daß binnen einer zu beſtimmenden Friſt die Klage der 
noch nicht anhängigen Hauptſache erhoben werde. Dieſer 
Antrag wurde abgewieſen und die Beſchwerde zum 
Oberlandesgericht Nürnberg (163/12) mit folgender 
Begründung zurückgewieſen: 

„Der Anſicht des Landgerichts, daß die Haupt— 
ſache ſchon durch die Klage auf Vertragserfullung ans 
hängig geworden ſei, iſt beizutreten. Das Geſeßz ent— 


. ——— ——̃ uÜ—¼ mm m 


8 926 ZBO. keine Begriffsbeſtimmung der Hauptſache 
und auch nicht in dem die Zuſtändigkeit beſtimmenden 
8 919 ZPO. Die Hauptſache iſt aber das Verfahren 
über den unmittelbar zu ſichernden Anſpruch ſelbſt, 
im Falle des 8 940 ZPO. das Verfahren über das zu 
regelnde Rechtsverhältnis (Gaupp⸗ Stein, Komm. ;. 
3 O. 8 919 II 1). Hiernach iſt hier die Hauptſache 
anhängig. Denn die einſtweilige Verfügung bezweckt 
die vorläufige Feſtſtellung der Folgen der Kündigung 
des zwiſchen den Parteien begründeten Agenturverhält⸗ 
niſſes; die Klage bezweckt aber die Erfüllung dieſes 
Vertrages und die Regelung des Vertragsverhältniſſes 
zwiſchen den Streitsteilen trotz dieſer Kündigung. Das 
Rechtsverhältnis, das den beiden Verfahren zugrunde 
liegt, iſt alſo dasſelbe. Demnach iſt keine weitere Klage 
mehr zu erheben.“ 

Dieſe Begründung dürfte kaum mit der angeführten 
Rechtslehre und Rechtſprechung in Einklang gebracht 
werden können, ebenſowenig mit dem Wortlaut des 
Geſetzes. Allein fie hat den Vorzug, daß fie einem 
praktiſchen Bedürfnis entgegenkommt und insbeſondere 
dem Beklagten Koſten erſpart, da ja nach ihr der Be⸗ 
klagte keinen Weg zu ſuchen braucht, um Kläger oder 
Widerkläger zu werden, und ſo den formalen Forde⸗ 
rungen des Geſetzes zu genügen. 

Rechtsanwalt Landau in Nürnberg. 


Der Berichtigungzauſpruch des Minderjährigen nah 
dem Preßgeſetz. Begriſf der Beteiligung i. S. des 5 11 
des Preß8. Die Münchner Freie Studentenſchaft, 
eine Vereinigung von nichtinkorporierten Studenten, 
verlangte durch ihren Vorſitzenden von einer Zeitung 
die Aufnahme einer Berichtigung. Der Vorſitzende, der 
dieſes Verlangen ſtellte, war minderjährig. Da die 
Aufnahme der Berichtigung abgelehnt wurde, bean⸗ 
tragte namens des Minderjährigen dann ein Recht 
anwalt die Strafverfolgung. Das Verfahren endete 
mit einem freiſprechenden Urteil. Zur Begründung 
wurde ausgeführt, ein Minderjähriger könne keinen 
Berichtigungsanſpruch geltend machen, da dieſer bürger⸗ 
lichrechtliche Folgen haben könne. Das Urteil wurde 
rechtskräftig. Die Begründung des Urteils kann nicht 
unwiderſprochen bleiben. 

Das Gericht begründet den Freiſpruch mit der 
Bemerkung: „Der Anſpruch ſei von einem Min 
jährigen erhoben worden; ſeinem ohne Einwilligung 
des geſetzlichen Vertreters geſtellten Erſuchen komme 
keine rechtliche Wirkung zu (BGB. 88 107, 111). Die 
angeführte Vorſchrift beſtimmt zwar, daß ein Minder⸗ 
jähriger ohne Einwilligung ſeines geſetzlichen Ver⸗ 
treters kein einſeitiges Rechtsgeſchäft vornehmen lonne. 
Das Gericht hat jedoch überſehen, daß hier der Minder⸗ 
jährige als Vertreter einer Körperſchaft um die Auf 
nahme der Berichtigung erſucht bat; gemäß 8 165 BG . 
iſt es hiernach gleichgültig, ob der Vertreter minder 
jährig oder volljährig war, da die Wirkſamkeit der 
von einem Vertreter abgegebenen Willenserklärung 
nicht dadurch beeinträchtigt wird, daß der Vertreter 
in der Geſchäftsfähigkeit beſchränkt iſt. 

Abgeſehen davon handelte es ſich um eine das 
ſtudentiſche Leben betreffende Angelegenheit des Min⸗ 
derjährigen. Nach den Anſchauungen des Verkebrs 
liegt aber in der Entſendung des Minderjährigen auf 
eine fremde Univerſität unter Zuweiſung eines be⸗ 


hält in dem hier gemäß 8 936 ZO. anzuwendenden ſtimmten Einkommens auch die ſtillſchweigende Er⸗ 


geuſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


mächtigung, die auf das ſtudentiſche Leben bezüglichen 
Rechtsgeſchäfte wirkſam vorzunehmen. Es könnte 
hiernach 8 113 BGB. entſprechend angewendet und 
die einſeitige Rechtshandlung des Minderjährigen als 
wirkſam behandelt werden. 

Die Geltendmachung eines Berichtigungsanſpruchs 
nach dem Preb®. iſt aber überhaupt kein Rechts⸗ 
geſchäft i. S. des BGB., ſondern eine einſeitige 
öffentlichrechtliche Handlung, ihre Wirkſamkeit iſt un⸗ 
abhängig von bürgerlichrechtlichen Vorſchriften. Oeffent⸗ 
lichrechtliche Anſprüche können möglicherweiſe auch 
bürgerlichrechtliche Folgen haben, nichtsdeſtoweniger 
ſind ihre Vorausſetzungen nicht nach dem BGB. zu 
beurteilen. Es bedarf nur des Hinweiſes auf das 
Strafantragsrecht, das die Antragsmündigkeit ſchon 
mit dem vollendeten 18. Lebensjahr eintreten läßt. 


Der mitgeteilte Fall gibt auch Anlaß zu der 
Frage, ob der Vertreter der Münchner Freien Stu⸗ 
dentenſchaft i. S. des 8 11 Preß®. beteiligt war. 
In der Mitteilung der Zeitung, die zu dem Erſuchen 
um Berichtigung führte, war nur von einem „akade⸗ 
miſchen Komitee für Schulreform der Freien Stu⸗ 
dentenſchaft“ und zwar in Wien die Rede. Da der 
Begriff „Freie Studentenſchaft“ jedoch als einheitlicher 
Sammelbegriff und als Kennwort für eine beſtimmte 
Körperſchaft bekannt iſt, ſo iſt i. S. des 8 11 jedes 
Mitglied einer Teilkörperſchaft der „Freien Studenten⸗ 
ſchaft“ beteiligt, ſoweit für ihn ein ſachliches Intereſſe 
beſteht. Wie Lißt (das „Deutſche Reichspreſſerecht“ 
S. 95) ausführt, und wie auch bei Wulffen (RPreßG. 
5. Aufl.) ausdrücklich hervorgehoben iſt, genügt für 
das Vorliegen einer „Beteiligung“ jedes rechtlich be⸗ 
achtete Intereſſe an der Berichtigung, auch wenn der 
Antragſteller weder genannt, noch ſonſt bezeichnet iſt 
(vgl. auch RGSt. 3, 40). Die „Münchner Freie 
Studentenſchaft“ war in den Zeitungskampf verwickelt 
geweſen, der zu dem Erſuchen um Berichtigung führt. 
Eine Behauptung über die „Freie Studentenſchaft“ 
berührt daher den Beſtandteil der geſamten „Freien 
Studentenſchaft“, der ſich in der „Münchner Freien 
Studentenſchaft“ verkörpert, auch wenn eine „Freie 
Studentenſchaft“ einer anderen Univerſität genannt war. 

Geſetzespolitiſch fällt auf, daß die Perſon, der vor⸗ 
wiegend an der Verfolgung des Herausgebers liegen 
muß, ſich nicht an dem Verfahren beteiligen kann. 
Eine Nebenklage oder ein Anſchluß des Beteiligten 
an das öffentliche Strafverfahren iſt nur möglich, 
wenn die Vorausſetzungen des 8 435 StPO. gegeben 
find, wenn alſo durch die Mitteilung einer Tatſache 
in der Preſſe eine ſtrafbare Beleidigung begangen 
wurde, auf Grund deren der Beteiligte auch als Privat⸗ 
kläger auftreten könnte, oder wenn der Beteiligte einen 
Antrag auf gerichtliche Entſcheidung gemäß 8 170 
StPO. geſtellt hat und die Mitteilung in der Preſſe 
eine ſtrafbare Handlung gegen das Leben, die Ge⸗ 
ſundheit, die Freiheit, den Perſonenſtand oder die 
Vermögensrechte des Beteiligten enthielt. Es wäre 
zweckmäßig, wenn dem Beteiligten das Recht der Neben⸗ 
klage zugebilligt würde, da ihm kein Privatklagerecht 
zuſteht, wenn nicht eine Beleidigung vorliegt. 

Rechtsanwalt Dr. Michael Siegel in München. 


383° 


Ans der Kechtſprechung. 


Reichsgericht. 
Zivilſachen. 
1 


Kaun bei Abtretung einer Brieſhypsthek der nene 
Gläubiger den bisherigen auf Verſchaffung des in den 
Händen eines Dritten befindlichen Hypothekenbriefes ver: 
klagen, nachdem er den Auſpruch gegen den Dritten auf 
Serandgabe des Briefes hat pfänden und ſich zur Ein: 

ehung überweiſen lafien? Kann er dem bisherigen 

länbiger im Prozeß eine Friſt nach § 283 BGB. ſetzen 
und in welcher Höhe kann er nach Ablauf der Friſt Schaden⸗ 
erſatz beauſpruchen? Der Vater des Klägers und der 
Beklagte waren die Geſellſchafter einer offenen Handels⸗ 
geſellſchaft. Erſterer wurde beerbt zu / von feiner 
Witwe, der Mutter des Klägers, und zu * von dem 
Kläger. Bei der Auseinanderſetzung der Erben mit dem 
Beklagten übernahm dieſer das Geſchäft mit Forderungen 
und Schulden, wogegen die Erben als Abfindung 7900 M 
erhielten; dieſer Betrag wurde „in der Weiſe gezahlt“, 
daß der Bekl. eine für die Firma eingetragene Hypothek 
von gleicher Höhe an die Erben abtrat. Hieran ſchließt 
ſich in der Urkunde die förmliche Abtretungserklärung an. 
Der Hypothekenbrief befand ſich damals in den Händen 
des Bankiers W., dem die Hypothek zur Sicherheit für 
einen der Firma gewährten Kredit verpfändet war. Durch 
Schreiben vom 22. März 1903 erbat daher der Beklagte 
von dem Bankier die Herausgabe des Hypothekenbriefes, 
die dieſer ablehnte. Am 1. Oktober 1904 erwirkten der 
Kläger und ſeine Mutter ein rechtskräftig gewordenes 
Verſäumnisurteil gegen den Beklagten auf Herausgabe 
des Hypothekenbriefes frei von Rechten Dritter. Durch 
Beſchluß vom 30. Dezember 1904 haben der Kläger und 
ſeine Mutter ſich die Anſprüche des Beklagten gegen den 
Bankier W. auf Herausgabe des Hypothekenbriefes zur 
Einziehung überweiſen laſſen. Im Jahre 1906 klagte 
der Kläger gegen den Bankier auf Herausgabe des Hypo⸗ 
thekenbriefes, wurde aber durch rechtskräftig gewordenes 
Urteil abgewieſen. Der Kläger, dem bei der Auseinander⸗ 
ſetzung mit ſeiner Mutter deren Anteil an den durch 
den Vertrag mit dem Bekl. erworbenen Rechten über⸗ 
tragen worden iſt, beanſprucht von dem Beklagten 
Zahlung von 7900 ½ nebſt Zinſen ſowie Befreiung 
von der Koſtenſchuld aus dem erfolgloſen Rechts⸗ 
ſtreit gegen den Bankier. In dem jetzigen Rechtsſtreit 
hat er in einem Schriftſatze vom 17. Februar 1911, 
der unmittelbar darauf dem Prozeßbevollmächtigten des 
Beklagten zugeſtellt worden iſt, dieſem eine Erklärung 
i. S. des § 283 BGB. mit Stellung einer Friſt von 
zwei Wochen zugehen laſſen. Das OLG. billigte die Ent⸗ 
ſcheidung des LG., daß der Beklagte Schadenerſatz in 
Höhe des Wertes der Hypothek leiſten müſſe, und zwar 
in Höhe des Wertes, den ſie zur Zeit des Ablaufs der 
gemäß $ 283 BGB. geſtellten Friſt gehabt habe. Die 
Reviſion war erfolglos. 

Aus den Gründen: Das BG. führt aus, der 
Beklagte % rechtskräftig zur Herausgabe des Hypo⸗ 
thekenbriefes, frei von Rechten Dritter, verurteilt ge⸗ 
weſen; es habe ihm obgelegen, den Bankier W. zur 
Herausgabe des Briefes zu veranlaſſen, wenn die Hypo⸗ 
thek dieſem verpfändet geweſen ſei, durch Beſeitigung 
des Pfandrechts, bei grundloſer Verweigerung der 
Herausgabe durch Klage. Die zweiwöchige Friſt, über 
deren Angemeſſenheit kein Streit beſtehe, habe wirk⸗ 
un in einem Schriftſatze des Prozeßbevollmächtigten 

es Klägers dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten 
erklärt werden können, und zwar mit der Wirkung, daß 
ſich nach fruchtloſem Ablaufe der Friſt gemäß § 283 BGB. 
der Anſpruch auf Herausgabe in einen ſolchen auf 
Schadenserſatz d. h. auf Zahlung des Geldbetrags ums» 
gewandelt habe, der dem Werte der Hypothek zur Zeit 
des Ablaufs der Friſt entſprochen habe; dieſe ſei gemäß 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


——— — — — —ä— EEE EEE EEE EEE EEE EEE 


8 1154 BGB. durch Erteilung der Abtretungserklärung 
ohne Uebergabe des Hypothekenbriefes nicht abgetreten 
worden. Die Ueberweiſung zur Einziehung erſetze die 
Uebergabe nicht, da ſie das Gläubigerrecht ſelbſt nicht 
übertrage (RGE. 63, 218). Dieſe Ausführungen find 
nicht zu beanſtanden, insbeſondere auch nicht die Er⸗ 
örterungen des Urteils betr. die Zuläſſigkeit der Er⸗ 
klärung mit Friſtſetzung aus S 283 BGB. in einem 
Schriftſatze des Prozeß bevollmächtigten des Klägers 
(RG Z. 63, 411). Die Reviſion greift das Urteil haupt⸗ 
ſächlich inſoweit an, als es den Pfändungs⸗ und Ueber⸗ 
weiſungsbeſchluß vom 30. Dezember 1904 für die Frage 
gewürdigt hat, ob er der Geltendmachung eines Schadens- 
erſatzanſpruchs entgegenſtehe. Es hebe zwar hervor, daß 
dem W. durch den Beſchluß „freilich unterfagt” worden 
ſei, den Brief dem Beklagten herauszugeben; es nehme 
aber rechtsirrtümlich an, daß der Beklagte dieſen vom 
Kläger und ſeiner Mutter erwirkten Beſchluß zu ver⸗ 
treten habe. Ein Gläubiger dürfe nicht eine Leiſtung 
von dem Schuldner verlangen und ihm gleichzeitig dieſe 
Leiſtung unmöglich machen oder erſchweren. Jedenfalls 
könne er während eines ſolchen von ihm geſchaffenen 
widerſpruchsvollen Zuſtandes nicht zu der Friſtſetzung 
des 8 283 BGB. übergehen. Sollte der Beklagte, wie 
das Urteil ſage, zu einer „Mitwirkung“ bei dem Pfän⸗ 
dungs⸗ und Ueberweiſungsverfahren verpflichtet geweſen 
ſein, ſo hätte der Kläger entſprechende Anſprüche an den 
Beklagten ſtellen und, wenn erforderlich, wegen deren 
Nichtbefolgung weitere Maßregeln ergreifen müſſen. 
Dieſe Ausführungen ſind nicht überzeugend. Es kann 
dahingeſtellt bleiben, ob das BG. dem Beklagten die 
Vertretung für den Pfändungs⸗ und Ueberweiſungs⸗ 
beſchluß mit Recht auferlegt; denn der Beſchluß machte 
dem Beklagten die Leiſtung gar nicht unmöglich. Der 
Anſpruch der damals Berechtigten beſchränkte ſich doch 
nicht darauf, daß der Beklagte ihnen den Hypotheken⸗ 
brief aushändigte, ſondern ging darauf, daß ſie die Ur⸗ 
kunde erhielten. Dies konnte der Beklagte erreichen, wie 
das BG. zutreffend bemerkt, indem er gegen W. auf 
Herausgabe an die Erben klagte. Nach der Meinung 
der Reviſion ſoll nicht erſichtlich ſein, inwiefern eine 
ſolche Klage des Beklagten gegen W. hätte Erfolg haben 
können. Beſaß letzterer den Brief ohne Rechtsgrund, 
ſo mußte die Klage Erfolg haben; weigerte er die Heraus⸗ 
gabe mit Recht auf Grund ſeines noch beſtehenden Pfand— 
rechts — was nach Lage der Akten allein in Betracht 
kommen kann —, fo hätte der Beklagte eben dieſen Im» 
ſtand zu vertreten. Die Reviſion ſtellt zur Nachprüfung, 
ob nicht der Wert der Hypothek zur Zeit der Auseinander⸗ 
ſetzung maßgebend ſei; ſie verweiſt auf das Vorbringen 
im Tatbeſtande, wonach damals die Hypothek nur einen 
Wert von 1500 M gehabt habe und die inzwiſchen eins 
getretene erhebliche Wertſteigerung des Grundſtücks dem 
Kläger nicht zugute komme; es ſei auch anzunehmen, 
daß die Mutter des Klägers die Hypothek ſofort ver— 
äußert hätte. Die Nachprüfung kann indeſſen zu einer 
Beanſtandung der hierauf ſich beziehenden Ausführungen 
des Urteils nicht führen. Der Anſpruch des Klägers 
auf Herausgabe des Briefes endete erſt mit dem Abs 
laufe der aus 8 283 BGB. geſtellten Friſt; erſt mit der 
Herausgabe wäre die Wirkung herbeigeführt worden, 
die bei einer wirkſamen Abtretung der Hypothek beſtände. 
Danach hat das BG. mit Recht den Wert zugrunde gelegt, 
den die Hypothek bei Ablauf der Friſt hatte, ſo daß eine 
etwaige Wertſteigerung des Grundſtücks, die bis dahin 
erfolgt wäre und die Hypothek beſſer machte, dem Kläger 
zugute kommen würde (ſ. auch Urteil vom 30. Juni 1913, 
V 61,13; JW. 1913 S. 1035 Nr. 4). Es könnte daher 
darauf nicht ankommen, daß die Hypothek zur Zeit der 
Auseinanderſetzung einen geringeren Wert gehabt haben 
ſoll und die Mutter des Klägers ſie angeblich alsbald 


— 
— — — — — — —ä—— ——— — 


veräußert hätte. Denn da der Beklagte damals feine | 


Vertragsgegner nicht in die Lage verſetzt hat, über die 
Hypothek zu verfügen, ſo kann er dem Kläger auch nicht 


etwaige Folgen entgegenhalten, die bei dem Vorhanden⸗ 


fein folder Verfügungsbefugnis etwa eingetreten 
wären. Die Reviſion macht endlich geltend, der Wert 
der Hypothek könne nur dann maßgebend ſein, wenn 
gegen Leiſtung dieſes Wertes auch die Uebertragung der 
Hypothek rückgängig gemacht werde; ſonſt liege eine 
ungerechtfertigte Bereicherung vor. Dem iſt einmal ent⸗ 
gegenzuhalten, daß ein derartiges Verlangen in den 
voraufgegangenen Rechtszügen nicht geſtellt worden iſt. 
Ferner aber kommt in Betracht, daß die Abtretungs⸗ 
erklärung allein ohne Uebergabe des Hypothekenbriefes 
eine wirkſame Abtretung der Hypothek ja nicht herbei⸗ 
führt. Hier liegt lediglich eine in dem Auseinander⸗ 
ſetzungsvertrag enthaltene Abtretungserklärung vor, die 
nicht zurückgegeben werden kann. Es bedarf daher keines 
Eingehens auf die Frage, ob ein Rückgabeanſpruch, falls er 
in einem der früheren Rechtszüge geltend gemacht worden 
wäre, dann berechtigt wäre, wenn der Beklagte die Ab⸗ 
tretung in einem beſonderen Schriftſtück erklärt hätte. 
Ueberdies macht das auf Grund des 8 283 BGB. er⸗ 
ehende Urteil die Abtretungserklärung ohne weiteres 
infällig. (Urt. des V. ZS. vom 2. Mai 1914, v517/1913). 
3447 f E. 


II 


Kenntnis des Geſchäftsherrn von der Näklertãtigkeit 
als VBorausſetzung für den Mäklerlshnaufpruch. Aus 
den Gründen: Es iſt zu unterſtellen, daß der Kauf⸗ 
vertrag infolge des dem P. erteilten Mäklerauftrags 
und infolge der Tätigkeit des P. zuſtandegekommen iſt. 
Den Mäklerlohn hat P. aber erſt verdient, wenn die 
Klägerin als ſeine Auftraggeberin ſeine Dienſtleiſtung 
angenommen hat. Die Annahme iſt aber nur möglich, 
wenn die Klägerin vor Abſchluß des Kaufvertrags von 
der Vermittlertätigkeit des P. Kenntnis erlangt hat. 
Dieſe Kenntnis des Auftraggebers von der Vermittler⸗ 
tätigkeit vor Abſchluß des Vertrags iſt auch deshalb 
Vorausſetzung der Mäklerlohnforderung, weil ſie, ins⸗ 
beſondere das aus ihr hervorgehende Bewußtſein, den 
Mäklerlohn zu ſchulden, nicht ohne Einfluß auf die Ent⸗ 
ſchließung des Auftraggebers ſein wird, das vermittelte 
Geſchäft einzugehen (RGZ. 47, 255; 31, 291). Daraus 
ergibt ſich, daß eine Kenntnis der Vermittlertätigkeit 
dann nicht zu verlangen iſt, wenn feſtſteht, daß der 
Auftraggeber auch bei Kenntnis der Vermittlertätigkeit 
nicht anders abgeſchloſſen haben würde. Denn alsdann 
war das Intereſſe des Auftraggebers an der vorgängigen 
Kenntnis gewahrt. Eine beſondere Bekanntgabe der Ver⸗ 
mittlertätigkeit wäre dann unnötig (RG. 68, 202). So 
liegt die Sache hier. Denn die Streitteile haben vorſichts⸗ 
halber in dem notariellen Kaufvertrag die Beſtimmung 
getroffen, daß Mäklerlohnanſprüche des P. zu Laſten 
der Klägerin gehen, und der Beklagte verſicherte dazu, 
er habe mit P. keine Vereinbarungen über deſſen Mäakler⸗ 
lohn getroffen. Hiermit haben die Streitteile bekundet, 
daß Sie mit Anſprüchen des P. aus dem Mäklervertrag 
gerechnet haben, und daß die Klägerin ſich danach ein⸗ 
richtete. Eine Bekanntgabe des P. an die Klägerin, daß 
er vermittelt habe, wäre unter dieſen Umſtänden zweck⸗ 
los geweſen. (Urt. des III. 35. vom 24. April 1914, 
III 54,14). — 4 — 

3366 
III. 

Begriff des Werkmeiſters. Wettbewerbe verbot (8 1331 
Gew.). Bindung durch Ehrenwort. Aus den 
Gründen: Nach 8 133 GewO. iſt eine Vereinbarung 
zwiſchen dem Gewerbeunternehmer und einem der im 
§ 133 a bezeichneten Angeſtellten, durch die der Ange 
ſtellte für die Zeit nach Beendigung des Dienſtver⸗ 
hältniſſes in feiner gewerblichen Tätigkeit beſchränkt 
wird, fur den Angeſtellten nur inſoweit verbindlich, als 
die Beſchränkung nach Zeit, Ort und Gegenſtand nicht 
die Grenzen überſchreitet, durch die eine unbillige Er— 
ſchwerung ſeines Fortkommens ausgeſchloſſen wird. Die 
Beſtimmung, die dem Kläger unterſagte, innerhalb dreier 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


— — 


Jahre nach feinem Austritt in ein anderes Geſchäft in S. 
einzutreten, iſt eine Vereinbarung, wie fie der 8 133 f 
im Sinne hat. Ihre Verbindlichkeit iſt nach $ 133 f 
jedoch nur zu prüfen, wenn der Kläger zu den im 8 133a 
bezeichneten Perſonen, d. h. zu denen gehört, die nicht 
nur vorübergehend mit der Leitung oder Beauſfſichti⸗ 
gung des Betriebs oder einer Abteilung beauftragt 
(Betriebsbeamte, Werkmeiſter und ähnliche Angeſtellte) 
oder mit höheren techniſchen Dienſtleiſtungen betraut ſind 
(Maſchinentechniker, Bautechniker, Chemiker, Zeichner 
u. dgl.). Wie der Senat in JW. 1911, 334 ausge⸗ 
ſprochen hat, wird ein Zuſchneider zu den mit höheren 
techniſchen Dienſtleiſtungen betrauten Angeſtellten nur 
ausnahmsweiſe, bei beſonders hervorragender Befähi⸗ 
gung und bei einer Tätigkeit in Geſchäften erſten Ranges 
gerechnet werden können. Solche Verhältniſſe lagen hier 
nicht vor. Die Stellung eines Betriebsbeamten im engeren 
Sinne wird für einen Zuſchneider überhaupt nicht in 
Frage kommen. Dagegen kann ein Zuſchneider nach den 
Verhältniſſen des Falles als Werkmeiſter anzuſehen ſein. 
Der Kläger hatte nun zwar zuſammen mit einem älteren 
e die Aufſicht über die im Geſchäfte tätigen 
O Schneider auszuüben, auch über deren Zeiteinteilung 
zu befinden, für Aufrechterhaltung von Sitte und Ord⸗ 
nung in der Werkſtatt zu ſorgen, die Herſtellung der 
Arbeit in den Händen der Arbeiter zu beauffichtigen 
und zu leiten und den Gang und die Einrichtung des 
Betriebes zu beſtimmen, ſoweit er in ſeinen Geſchäfts⸗ 
bereich fiel, auch waren die Arbeiter ihm gegenüber zum 
Gehorſam verpflichtet. Allein das genügt nicht, um von 
einer Leitung oder Beaufſichtigung des Betriebes oder 
einer Abteilung zu ſprechen. Entſcheidend muß für die 
Stellung des Klägers in Betracht kommen, ob er über⸗ 
wiegend eine leitende oder beaufſichtigende Tätigkeit 
oder ob er überwiegend eine handwerksmäßige Tätigkeit 
ausübte. Nach ſeiner eigenen Behauptung wurde ſeine 
Zeit hauptſächlich durch feine handwerksmäßige Tatigkeit 
als Zuſchneider in Anſpruch genommen. Die beaufſichti⸗ 
gende oder leitende Tätigkeit trat zurück. Auch war er 
in der beaufſichtigenden und leitenden Tätigkeit nicht 
ſelbſtändig, er übte ſie vielmehr gemeinſchaftlich mit 
einem älteren Zuſchneider aus. In bezug auf Anftellung 
und Entlaſſung von Arbeitern hatte er keine Befugniſſe. 
Er kann daher nicht als Werkmeiſter angeſehen werden, 
8 133 GewO. iſt mithin nicht anwendbar. Die Bindung 
des Klägers auf Ehrenwort zur Einhaltung der im 
Wettbewerbs verbot enthaltenen Verpflichtungen verſtieß 
allerdings nach der ſtändigen Rechtſprechung des Senats 
gegen die guten Sitten, war daher nichtig (8 138 BGB.) 
und hätte auch die ſo übernommenen Verpflichtungen 
nichtig gemacht, wenn nicht anzunehmen wäre, daß die 
Streitteile den Vertrag auch ohne die Bindung des 
Klägers auf Ehrenwort geſchloſſen haben würden. Das 
iſt aber anzunehmen. Denn daß die Streitteile der 
Bindung des Klägers auf Ehrenwort irgendwelche Bes 
deutung beigelegt hätten, ergibt ſich aus ihrem Vor⸗ 
bringen nicht. Sie haben im Glauben an die Zuläſſigkeit 
einer ſolchen Bindung dieſe in den Vertrag aufgenommen, 
und die Beklagte hat ſich ſofort bereit erklärt, dieſe Be⸗ 
ſtimmung fallen zu laſſen, nachdem der Kläger die Un⸗ 
zuläſſigkeit der Vereinbarung gerügt hatte. Durch die 
Ungültigkeit der Bindung auf Ehrenwort wird mithin 
die Gültigkeit des Wettbewerbverbotes nicht berührt. 
Das Wettbewerbverbot an ſich — abgeſehen von der 
ehrenwörtlichen Bindung — verſtieß aber nicht gegen 
die guten Sitten. (Wird ausgeführt). Da hiernach der 
Vertrag abgeſehen von jener Bindung, die aber die Be⸗ 
klagte fallen gelaſſen hat, zu Recht beſtand, ſo handelte 
der Kläger vertragswidrig, wenn er ſich weigerte, ſeine 
Tätigkeit auf Grund des Vertrags unter Streichung der 
Bindung auf Ehrenwort fortzuſetzen, und das Geſchäft 
der Beklagten verließ. Dieſe kann deshalb Schadens— 
erfa fordern. (Urt. des III. 35. vom 21. April 1914, 
III 406/13). — 4a — 
3457 


385 


IV. 

Welche Bedentung hat es, wenn der Erblaſſer in 
ſeinem Teſtamente beſtimmt, daß jeder Erbe auf den 
Pflichtteil geſetzt fein fell, der gegen eine Anordnung 
im Teſtament gerichtliche Schritte unternehmen wird? 
Aus den Gründen: Die Witwe R. hat ihrem 
Sohne, dem Beklagten, den vollen geſetzlichen Erbteil 
unter Auferlegung gewiſſer, im Teſtament näher be⸗ 
zeichneter Beſchränkungen zugewendet. Der Beklagte 
war daher gemäß $ 2306 Satz 1 BGB. berechtigt, den 
Pflichtteil zu verlangen, wenn er den Erbteil ausſchlug. 
Er hat von dieſer Befugnis innerhalb der ſechswöchigen 
Ausſchlagungsfriſt, die mit der in ſeiner Gegenwart 
erfolgten Verkündung des Teſtaments begann, keinen Ge⸗ 
brauch gemacht und iſt deshalb unter den Beſtimmungen 
des Teſtaments Erbe geworden. In der Folgezeit hat 
er in mehrfacher Beziehung gerichtliche Schritte gegen 
Beſtimmungen des Teſtaments unternommen; obwohl 
das Teſtament hieran die Beſchraͤnkung auf den Pflicht⸗ 
teil knüpft, iſt das BG. der Anſicht, daß der Beklagte, 
nachdem er einmal Erbe geworden ſei, dieſe Eigenſchaft 
nicht wieder habe verlieren können. Dieſe Anſicht wird 
von der Reviſion mit Recht beanſtandet. Das BG. 
legt die Beſtimmung im 8 7 des Teſtaments, daß jeder 
Erbe auf den Pflichtteil geſetzt werden ſolle, der gegen 
die dort getroffene Anordnung über den Verkauf des 
Grundſtücks S. ſtraße 41/42 oder gegen irgendeine andere 
Feſtſetzung des Teſtaments gerichtliche Schritte unter⸗ 
nehmen würde, dahin aus, daß jeder Erbe dadurch 
vor die Wahl geſtellt worden ſei, das ihm hinterlaſſene 
Erbe hinzunehmen, ſo wie es belaſtet oder beſchwert 
ſei, oder aber ſich mit dem Pflichtteil zu begnügen. Der 
Beklagte habe von dieſem Wahlrechte dadurch in dem 
erſten Sinne Gebrauch gemacht, daß er innerhalb der 
Ausſchlagungsfriſt die Erbſchaft nicht ausgeſchlagen 
habe, ſo daß ſie als angenommen gelte; dadurch ſei 
ſein Wahlrecht erſchöpft und für eine ſpätere ander⸗ 
weite Ausübung desſelben kein Raum geblieben. Die 
Reviſion weiſt mit Recht daraufhin, daß für die Aus⸗ 
legung des 87 des Teſtaments nicht nur die dort ge⸗ 
troffenen Beſtimmungen, ſondern auch der geſamte 
übrige Inhalt des Teſtaments in Betracht zu ziehen 
iſt, insbeſondere deſſen 88 9, 10 und 12, die ähnliche 
Anordnungen enthalten. In den 88 9 und 10, die durch 
einen Nachzettel fpäter aufgehoben worden find, war 
beſtimmt, daß Frau P. und der Beklagte für den Fall 
nicht mehr als den Pflichtteil erhalten ſollten, daß ſie 
gegen die ihnen auferlegten beſonderen Beſchränkungen 
ankämpfen würden. Der 8 12 droht jedem Erben, der 
mit den Anordnungen über die Verteilung des Mobiliars 
nicht zufrieden ſein und dagegen gerichtlichen Wider⸗ 
ſpruch erheben ſollte, die Beſchränkung auf den Pflicht⸗ 
teil an und ſchließt mit der allgemeinen Klauſel: „Sollte 
überhaupt einer von meinen Erben in irgend einer 
Sache meines Erblaſſes gegeneinander klagbar werden 
oder vielleicht noch etwaige Anſprüche väterlicherſeits 
an einen der Erben geltend machen, ſo beſtimme ich 
hiermit, daß derjenige Erbe, der dieſes tut und ge⸗ 
richtliche Schritte hiergegen unternimmt, auf den geſetz— 
lichen Pflichtteil geſetzt wird.“ Die vielfache Wieder⸗ 
holung dieſer Anordnung beweiſt, daß die Erblaſſerin 
ganz beſonderen Wert auf die Erreichung des damit 
verfolgten Zweckes gelegt hat. Dieſer Zweck war ein 
doppelter: einerſeits ſollte die Ausführung des letzten 
Willens der Erblaſſerin nach allen Richtungen hin nach 
Möglichkeit geſichert, andererſeits jeder gerichtliche 
Streit zwiſchen den Erben ausgeſchloſſen werden. Jedem 
Erben, der den Willen der Erblaſſerin nicht ehrt (vgl. 
§8 7 des Teſtaments), der auch nur einen gerichtlichen 
Schritt zur Beſe itigung einer Beſtimmung des es 
ſtaments unternimmt oder gegen einen Miterben, ſei 
es auch nur wegen eines vermeintlichen Anſpruchs aus 
der väterlichen Erbſchaft, klagbar wird, iſt als Strafe 
die Beſchränkung auf den Pflichtteil angedroht, um 
dadurch die Erben zur Unterlaſſung derartiger Schritte 


386 


zu beſtimmen. nn Zweck würde verfehlt, wenn die 
Strafandrohung mit dem Ablaufe der Ausſchlagungs⸗ 
friſt wirkungslos geworden wäre, wie es das OLG. 
annimmt. Die Erblaſſerin hat dieſe Beſchränkung 
auf den Pflichtteil nicht auf den Fall eines Erfolges 
des gerichtlichen Vorgehens abgeſtellt, ſondern unzwei⸗ 
deutig erklärt, daß die bloße Tatſache eines gerichtlichen 
Schrittes ohne Rückſicht auf deſſen Erfolg den Verluſt 
des den Pflichtteil überſteigenden Betrages des Erb⸗ 
teils nach ſich ziehen ſoll. Solche gerichtliche Schritte 
blieben aber möglich, auch wenn die berufenen Per⸗ 
ſonen die Erbſchaft angenommen und dadurch die Ver⸗ 
pflichtung zur Duldung oder Erfüllung der ihnen auf⸗ 
erlegten Beſchwerungen oder Leiſtungen überkommen 
hatten. Es läßt ſich auch nicht ſagen, daß dieſe Möglich⸗ 
keit im Hinblick auf die beſonderen Verhältniſſe des 
Falles beſonders entfernt geweſen wäre, ſo daß ſie 
die Erblaſſerin nicht in den Kreis ihrer Erwägungen 
gezogen haben dürfte. Im Gegenteil wurde durch die 
Beſtimmungen des Teſtaments und insbeſondere durch 
den im 87 geſchehenen Eingriff in das Verfügungs⸗ 
recht der Erben in Anſehung ihres eigenen Vermögens 
und die daſelbſt dem Kläger gegenüber den anderen 
beiden Erben eingeräumten weitgehenden Befugniſſe 
die Gefahr künftiger Streitigkeiten zwiſchen den Erben 
ziemlich nahe gerückt, und gerade die immer wieder⸗ 
holten Strafandrohungen beweiſen, daß die Erblaſſerin 
ſich deſſen bewußt geweſen iſt und dieſer Gefahr hat 
vorbeugen wollen. Abgeſehen hiervon läßt aber auch 
die Androhung der Beſchränkung auf den Pflichtteil 
als Strafe eines gerichtlichen Vorgehens wegen ver⸗ 
meintlicher Anſprüche aus der väterlichen Erbſchaft 
(8 12 des Teſtaments) klar erkennen, daß die Wirkung 
dieſer Anordnung nicht auf die Zeit bis zum Antritt 
der mütterlichen Erbſchaft hat zeitlich begrenzt werden 
ſollen. Der unzweideutige Sinn der Anordnungen 
der Erblaſſerin geht demnach dahin, daß die als Erben 
eingeſetzten Perſonen die vollen Erbteile nur unter der 
Bedingung erhalten ſollen, daß ſie jeden gerichtlichen 
Schritt gegen das Teſtament und gegeneinander ſowohl 
bezüglich des mütterlichen, als auch des väterlichen 
Nachlaſſes dauernd unterlaſſen. Die Bedingung, unter 
der die Zuwendungen gemacht ſind, iſt gemäß § 2075 
BGB. als auflöſende Bedingung anzuſehen, da das 
den Erben auferlegte Unterlaſſen nur in 11 Willkür 
liegt und zeitlich nicht begrenzt iſt. Da die Bedachten 
für den Fall des Eintritts der Bedingung auf den 
Pflichtteil geſetzt ſind und darin gemäß 8 2304 BGB. 
keine Erbeinſetzung zu ſehen iſt, ſo iſt das Teſtament 
dahin auszulegen, daß darin nur eine auflöſend be— 
dingte Erbeinſetzung der Kinder der Erblaſſerin ange— 
ordnet iſt. Die der Erbeinſetzung beigefügte auflöſende 
Bedingung, deren Eintritt von dem freien Belieben 
jedes Erben abhängt, ſtellt die Erben vor die Wahl, 
ob ſie unter den angeordneten Belaſtungen und Be— 
ſchränkungen Erben bleiben oder ſich mit dem Pilicht- 
teil begnugen wollen. Die ihnen zuſtehende Wahl iſt 
daher nicht, wie das BG. annimmt, mit der Entſcheidung 
die Erbſchaft anzunehmen erſchöpft, vielmehr ſind ſie 
durch die Annahme der Erbſchaft nur bedingte Erben 
geworden und in der Lage geblieben, durch die Herbeis 
führung des Eintritts der auflöſenden Bedingung ihre 
Eigenſchaft als Erben wieder zu beſeitigen. Gerade 
durch die der Erbeinſetzung beigefügte Bedingung unter— 
ſcheidet ſich der vorliegende Fall von den Tatbeſtänden, 
die den Urteilen des erk. Senats vom 11. Januar 1904 
(JW. 1904 S. 1150 und vom 4. November 1911 (Wars 
neyer 1913 Nr. 250) zugrunde gelegen haben und bei 
denen der Erbeinſetzung keine Bedingung beigefügt war. 
Die Auslegung, die das BG. den Anordnungen der 
Erblaſſerin gegeben hat, kann hiernach nicht als maß— 
gebend anerkannt werden, da ſie dem unzweideutig er— 
klärten Willen der Erblaſſerin widerſpricht. (Urt. des 
IV. 35. vom 23. April 1914, IV 712/13). E. 
3449 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


V. 

Schadenserſatzauſpruch des durch dienstliche Weber: 
laſtung in feiner Geſundheit geſchädigten Beamten. Aus 
den Gründen: Daß der 8 618 B38. auf das 
öffentlichrechtliche Beamtenverhältnis entſprechend ans 
zu wenden ſei, iſt vom RG. oftmals ausgeſprochen worden 
(vgl. RG. 63, 430; 71, 243, auch III 347/11). Der 
Dienſtberechtigte hat nach 8 618 Dienftleiftungen, die 
unter ſeiner Anordnung oder ſeiner Leitung vorzu⸗ 
nehmen ſind, ſo zu regeln, daß der Verpflichtete gegen 
Gefahr für Leben und Geſundheit ſoweit geſchützt iſt, 
als die Natur der Dienſtleiſtung es geſtattet. Es ver⸗ 
ſtößt gegen dieſe Pflicht, wenn der Dienſtberechtigte 
von dem Verpflichteten ein geſundheitsſchädliches Leber» 
maß der Dienſtleiſtung verlangt. Hier kommt nicht 
in Betracht, ob bei der entſprechenden Anwendung des 
8 618 die Gerichte befugt find, die allgemeinen Dienit- 
pläne und ſonſtigen allgemeinen Vorſchriſten der Ver⸗ 
waltungsbehörden daraufhin zu prüfen, ob nach ihnen 
ein geſundheitsſchädliches Uebermaß von Arbeit ge 
fordert wird. Jedenfalls unterliegt die Frage der ge⸗ 
richtlichen Beurteilung, ob eine Geſundheitsbeſchädigung 
ſchuldhaft durch eine Anordnung verurſacht iſt, die eine 
Arbeitsleiſtung über das für den Verwaltungszweig 
allgemein beſtimmte Maß hinaus forderte. Wenn aber 
eine ſolche Anordnung für den Schaden urſächlich iſt, 
dann macht es für die Haftung des Dienſtberechtigten 
keinen Unterſchied, daß jenes Uebermaß nicht regel⸗ 
mäßig, ſondern nur ausnahmsweiſe gefordert wurde. 
Dem Vorwurfe der Reviſion, das BG. habe unbeachtet 
gelaſſen, daß es ſich hier um Fahrperſonal und nicht 
um „ſtationäres“ Perſonal handle, fehlt es an jedem 
Anhalt. Der Fahrdienſt des Klägers, eines Lokomotiv⸗ 
99 5 mit allen Dienſtunterbrechungen durch Auf⸗ 

ören des Fahrbetriebes wird doch gerade vom BG. 
auf das Vorhandenſein einer übermäßigen Belaſtung 
des Fahrbeamten geprüft. Innerhalb des ganzen, einen 
längeren Zeitraum umfaſſenden Dienſtplans wird nun 
neben der Arbeitsleiſtung an günſtigeren Tagen auch 
die vom O. feſtgeſtellte, auf 3 Tage zuſammenge⸗ 
drängte, außergewöhnlich große Leiſtung verlangt. 
Dadurch, daß der Kläger an mehreren Tagen des Dienſt⸗ 
plans nicht ſo angeſtrengt iſt, wird nichts daran ge⸗ 
ändert, daß er vom 7. bis 9. Auguſt eine Arbeit zu 
leiſten genötigt war, die durch ihr Uebermaß ſeine Ge⸗ 
ſundheit ſchädigen mußte und geſchädigt hat, nämlich. 
wie das BG. berechnet, 45 Stunden Dienſt mit Einſchluß 
einer ſechsſtündigen Ruhepauſe. Dieſe Dauer des dem 
Kläger zugemuteten Dienſtes hat das BG. auf Grund 
der ihm zuſtehenden Beweiswürdigung nach den von den 
Sachverſtändigen angenommenen „mittleren Zahlen“ 
feſtgeſtellt. Unbegründet iſt auch die Reviſionsrüge. 
es ſei übergangen, daß die Eiſenbahn verwaltung bei 
Zuteilung des Dienſtes damit habe rechnen dürfen, daß 
die Beamten körperlich und geiſtig voll tauglich ſeien 
und auch einmal aul ge niche Arbeiten auf ſich 
nehmen könnten. Das iſt keineswegs überſehen. Der 
Kläger iſt bei der Aufnahme in den Eiſenbahndienſt 
völlig geſund befunden worden. Dies legt der ärzt- 
liche Sachverſtändige feinem Gutachten zug runde; denn 
die Frage des Beweisbeſchluſſes, ob „dieſe Umſtände“ 
(Dienſtdauer in der Zeit vom 7. bis 9. Auguſt, mangel⸗ 
hafte Schlafräume, ſchlechtfahrende Lokomotive) ein 
jeder für ſich oder doch in ihrem Zuſammenwirken ge⸗ 
eignet waren, die Geſundheit eines jeden, der in ſolcher 
Weiſe beſchäftigt wurde, erheblich zu geſährden, be⸗ 
antwortet er dahin, daß „eine derartige Tätigkeit in 
hohem Maße geeignet ſei, die Geſundheit eines jeden 
ſo Beſchäftigten auf das ſchwerſte dauernd zu gefährden 
und zu ſchädigen“. Auf Grund dieſes Gutachtens be⸗ 
jaht das BG. den urſächlichen Zuſammenhang zwiſchen 
der Erkrankung und den Verſtößen gegen 8 618 WG. 
Damit iſt zugleich geſagt, daß die hier in Frage 


kommende „außergewöhnliche Anſtrengung“ unter Um— 
ſtänden, wie fie hier obwalteten, auch einem körperlich 


voll tauglichen Beamten nicht ohne Gefährdung und 
Schädigung ſeiner Geſundheit zugemutet werden konnte. 
Die Reviſion meint, mit Unrecht ſei der beklagte Fiskus 
für ein Verſchulden des Werkmeiſters L. verantwort⸗ 
lich gemacht, der ein verfaſſungsmäßig berufener Ber: 
treter des Staates nicht ſei. Ein Vertragsverhältnis 
liege nicht vor, folglich ſei der 8 278 BGB. nicht an⸗ 
wendbar. Es iſt richtig, daß ein bürgerlichrechtliches 
Vertragsverhältnis nicht gegeben iſt, aber das Ver⸗ 
hältnis zwiſchen Staat und Beamten iſt ein dem 
öffentlichen Rechte angehöriges vertragsähnliches. Aus 
ihm erwachſen für den Staat gegenüber dem Beamten 
„Verbindlichkeiten“, insbeſondere gerade die kraft ent⸗ 
ſprechender Anwendbarkeit für ihn aus $ 618 BGB. 
begründeten. Für das Verſchulden der Perſonen, deren 
ſich der Staat zur Erfüllung dieſer Verbindlichkeiten 
bedient, haftet er auf Grund entſprechender Anwendung 
nach 8 278 BGB. Der Senat hat das wiederholt aus⸗ 
geſprochen (fo in den Urt. III 105/11, 312/11, 260/13). 
Das BG. hat deshalb mit Recht in Anſehung der vom 
Werkmeiſter L. getroffenen Dienſtanordnung und hin⸗ 
ſichtlich der Einſtellung der ungenügend ausgebeſſerten 
Lokomotive den Staat für Verſchulden von Erfüllungs⸗ 
gehilfen haften laſſen. Es hat ferner mit Recht eine 
Entſcheidung darüber für entbehrlich erklärt, ob für 
die mangelhafte Einrichtung der Uebernachtungsräume 
in St. einen Erfüllungsgehilfen oder einen verfaſſungs⸗ 
mäßig berufenen Vertreter das urſächliche Verſchulden 
trifft. Ein mitwirkendes Verſchulden des Klägers liegt 
nicht vor. Er war nicht verpflichtet, die Verwaltung 
auf die Gefährlichkeit derartiger Dienſtbemeſſung, ſolcher 
Unterkunftsräume und des Dienſtes auf einer ſo mangel⸗ 
haften Lokomotive aufmerkſam zu machen. Die ge⸗ 
hörige Prüfung und Ueberwachung lag nach $ 618 
BGB. der mindeſtens ebenſo ſachkundigen Verwaltung 
ſelber ob. Daß der Kläger von den bei Gelegenheit 
der Ueberbürdung im Juli empfundenen Herzſtichen 
keine Anzeige erſtattet hat, iſt kein Verſchulden. Er 
brauchte dieſe Erſcheinung nicht für bedenklich zu halten 
und nicht ohne weiteres als Folge der dienſtlichen Ueber⸗ 
laſtung zu erkennen. (Urt. d. III. ZS. v. 16. Juni 1914, 
III 193/14). — a — 
3443 


Oberſtes Landesgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Zn Art. 28 Abs. 1, 79 Abſ. 3 eG. B88., 5 2361 
BGB., 5 20 J66.: Einziehung eines Erbſcheins, der 
ein verwirktes Nutzniezungsrecht des überlebenden Ehe⸗ 
gatten an den Erbteilen der Kinder auführt. ft der 
Konkarsverwalter eines der Kinder und Erben berech⸗ 
tigt, die Verwirkung des Nutznießungsrechtes geltend 
zu machen, die Einziehung des Erbſcheins zu beantragen 
und gegen die Abweiſung des Antrags ſich zu beſchweren? 
Wie wird die Verwirkung des Nutznießungsrechts gel⸗ 
tend gemacht? Aus den Gründen: Wenn in einer 
Ehe beim Inkrafttreten des BGB. der Güterſtand der 
Errungenſchaftsgemeinſchaft nach dem Württemberg. 
Landrechte galt, ſteht nach Art. 79 Abſ. 3 UeG. BGB. 
dem überlebenden Ehegatten an den Erbteilen der 
gemeinſchaftlichen Kinder die Nutznießung nach den 
bisherigen Vorſchriften zu. Das Nutznießungsrecht iſt 
nach Art. 28 Abſ. 1 Ue®. in dem Erbſcheine, der einem 
Erben erteilt wird, anzugeben. Iſt die Anſicht des 
Konkursverwalters zutreffend, daß dieſes Nutznießungs— 
recht der Mutter hier erloſchen ſei, ſo iſt der erteilte 
Erbſchein inſoweit unrichtig, als er bezeugt, daß die 
Erbteile der Kinder der ſtatutariſchen Nutznießung der 
Witwe unterliegen. Ein unrichtiger Erbſchein muß 
nach dem 8 2361 Abſ. 1 BGB. auch dann eingezogen 
werden, wenn er nur bezüglich einer nach geſetzlicher 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 2. 


387 


Vorſchrift in ihn aufzunehmenden Beſchränkung des 
Erbrechts des Erben unrichtig iſt. Dies hat der er⸗ 
kennende Senat für den einem Vorerben erteilten Erb⸗ 
ſchein hinſichtlich des nach 8 2363 BGB. aufzunehmen⸗ 
den Rechtes der Nacherbfolge ausgeſprochen (vgl. 
RIA. 3, 8). Gleiches muß für den nach Art. 28 lle. 
aufzunehmenden Vermerk der ſtatutariſchen Nutznießung 
gelten. Die Einziehung des Erbſcheins hat von Amts 
wegen zu erfolgen. Es kann daher jeder die Ein⸗ 
ziehung anregen. Hieraus folgt, daß der Verwalter 
im Konkurſe der Erbin B. berechtigt war, die Ein⸗ 
ziehung des Erbſcheins zu beantragen. Es kommt hie⸗ 
für nicht, wie das LG. meint, darauf an, ob er berech⸗ 
tigt wäre die Erteilung eines Erbſcheins für die Ge⸗ 
meinſchuldnerin zu beantragen. Aus dem Rechte des 
Konkursverwalters die Einziehung des Erbſcheins zu 
beantragen ergibt ſich aber noch nicht ſeine Befugnis 
gegen den die Einziehung ablehnenden Beſchluß des 
Nachlaßgerichts ſich zu beſchweren. Seine Beſchwerde⸗ 
berechtigung kann nur auf den 820 JG. geſtützt 
werden. Nach dieſem iſt ſie zu bejahen. Allerdings 
kann nicht der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 
ſondern nur der Prozeßrichter über die Frage ent⸗ 
ſcheiden, ob der überlebende Elternteil die Nutznießung 
an den Erbteilen der Kinder, den ſtatutariſchen Nieß⸗ 
brauch des Württemb. Landrechts, nach Teil IV Tit. 11 
dieſes Rechts verwirkt hat. Der Konkursverwalter 
muß alſo das Prozeßgericht anrufen, wenn er den 
Erbteil der B. wegen der Verwirkung des Nießbrauchs 
ſeitens der Mutter jetzt ſchon zur Konkursmaſſe ziehen 
und zu dieſem Zweck die Auseinanderſetzung des Nach⸗ 
laſſes betreiben will. Allein dies ſchließt nicht aus, 
daß er im Wege der Beſchwerde die Einziehung des 
Erbſcheins betreibt, falls dieſer tatſächlich unrichtig iſt. 
Denn er muß auf Grund desſelben nach 8 2365 BGB. 
die Vermutung gegen ſich gelten laſſen, daß der Witwe 
das Erbrecht ſo zuſteht, wie es in dem Erbſchein be⸗ 
urkundet iſt, und daß der Erbteil der B. mit dem 
Nießbrauchsrecht ihrer Mutter belaſtet iſt. Durch die 
Weigerung des Nachlaßgerichts, den Erbſchein einzu⸗ 
ziehen, iſt alſo ein ihm zuſtehendes Recht verletzt. Die 
weitere Beſchwerde iſt demnach formell nicht zu be⸗ 
anſtanden. Von der Frage, ob dem Konkursverwalter 
formell das Beſchwerderecht zuſteht, iſt zu unterſcheiden 
die Frage, ob er berechtigt iſt, die Verwirkung des 
ſtatutariſchen Nießbrauchs geltend zu machen. Die 
Entſcheidung dieſer Frage hängt von der Entſcheidung 
der Vorfrage ab, ob dem Urteilsſpruch, durch den der 
Nießbrauch als verwirkt erklärt wird, konſtitutive oder 
deklaratoriſche Bedeutung zukommt. Hat er konſti⸗ 
tutive Bedeutung, wird alſo erſt durch ihn der Verluſt 
des Nießbrauchs bewirkt, ſo iſt der Konkursverwalter 
nicht berechtigt, den Anſpruch des Gemeinſchuldners 
auf Geltendmachung der Verwirkung zu verfolgen. 
Tritt erſt mit dem Richterſpruch der Rechtsverluſt ein, 
dann iſt es in den freien Willen des Erben geſtellt, 
ob er ihn herbeiführen will oder nicht. Es iſt Sache 
des perſönlichen Vertrauens, ob der Erbe trotz des 
Vorliegens der Gründe des Teils IV T. 1187 des 
Württemb. Landrechts dem überlebenden Elternteil den 
Nießbrauch ſeines Erbteils auch fernerhin überlaſſen 
will oder nicht. Es handelt ſich alſo in dieſem Fall 
um ein perſönliches Recht des Erben, das nur er 
ſelbſt, nicht aber der Verwalter im Konkurs über ſein 
Vermögen geltend machen kann. Anders liegt die 
Sache, wenn dem Urteil deklaratoriſche Bedeutung zu— 
kommt, wenn alſo die Verwirkung des Nießbrauchs 
bei Vorliegen der Gründe des Teils IV T. XI S 2 des 
Württemb. Landrechts von Rechts wegen eintritt und 
der Urteilsſpruch nur den Zweck hat, feſtzuſtellen, daß 
der Rechtsverluſt eingetreten iſt. Denn in dieſem Fall 
hängt der Rechtsverluſt nicht von dem Willen des 
Erben ab, er tritt vielmehr mit dem Vorliegen der 
geſetzlichen Vorausſetzungen von ſelbſt ein; daraus 
folgt aber, daß gleichzeitig für den Erben der An⸗ 


388 


— — 


Vet: auf Herausgabe feines Erbteils erwächſt, und 
aß dieſer dem Zugriffe feiner Gläubiger unterliegt. 
Der erkennende Senat iſt nun der Anſchauung, daß 
in den Fällen des Teils IV T. 118 2 des Württemb. 
Landrechts dem die Verwirkung des Nießbrauchs aus⸗ 
ſprechenden Urteil deklaratoriſche Bedeutung zukommt, 
daß alſo in dieſen Fällen die Verwirkung von Rechts 
wegen eintritt. (Es folgt die Begründung dieſer An⸗ 
ſchauung). (Beſchluß des I. ZS. vom 10. Juli 1914, 
Reg. III 101/1913). M. 
3453 


II. 


Jer Auslegung des 8 18 Abs. 2 988.: Mikbränd: 
liche Verwendung der Bezeichnung „Fleiſchzentrale“. Der 
Beſchwerdeführer betreibt in M., einer Großſtadt, ein 
Handelsgeſchäft, das die Einfuhr von Fleiſch im Großen 
und den Kleinverkauf zum Gegenſtand hat. Das unter 
der Firma „M. L.“ in das Handelsregiſter eingetragene 
Geſchäft beſteht aus einem Hauptgeſchäft und vier am 
Ort befindlichen Filialen. Auf den Firmenſchildern, in 
Inſeraten und ſonſtigen Druckſachen bezeichnet L. ſein 
Geſchäft als „M. . . er Fleiſchzentrale“. Durch Ver⸗ 
fügung des Regiſtergerichts wurde ihm der Gebrauch 
dieſer Firmenbezeichnung auf Grund des 5 18 Abſ. 2 
G. unterſagt, weil fie zur Täuſchung über die Art 
und den Umfang ſeines Geſchäftes geeignet ſei. Sein 
Einſpruch und ſeine Beſchwerde wurden zurückgewieſen, 
ebenſo die weitere Beſchwerde. 

Aus den Gründen: Eine Zentraliſation des 
Handels mit einer Ware liegt nur dann vor, wenn der 
Handel mit ihr von einer Stelle aus geleitet wird; als 
„Zentrale“ kann alfo nur ein Geſchäft bezeichnet werden, 
das einen Verkehrsmittelpunkt für die Ware bildet, ſei 
es nun, daß die Zentraliſation durch Ringbildung der 
betreffenden Gewerbetreibenden zur Regelung des Ein⸗ 
kaufs und Verkaufs, durch Erwerb der ſämtlichen die 
Ware führenden Geſchäfte oder wie immer erfolgt. Der 
Beſchwerdeführer behauptet ſelbſt nicht, daß fein Handels- 
betrieb eine Zentrale des M. .. er Fleiſchhandels in 
dieſem Sinne iſt. Sein Geſchäft unterſcheidet ſich von 
denen der übrigen M. . . er Gewerbetreibenden gleicher 
Art durch nichts, als durch ſeinen größeren Umfang, 
nicht einmal die Teilung des Betriebs in ein Haupt⸗ 
geſchäft und verſchiedene Nebengeſchäfte iſt ihm eigen⸗ 
tümlich. Es kann alſo keine Rede davon ſein, daß in 
dem Geſchäfte des Beſchwerdeführers der Fleiſchhandel 
in M. zentralifiert wäre, daß ſein Geſchäft eine „Zen⸗ 
trale“ dieſes Handels in dem Sinn iſt, wie es z. B. bei 
der Spirituszentrale, bei gewiſſen Betrieben des Handels 
mit Petroleum und ähnlichen Unternehmungen der Fall 
iſt. Der Beſchwerdeführer verſucht daher feinen Anſpruch 
auf die Bezeichnung M. . .. er Fleiſchzentrale“ darauf 
zu ſtützen, daß er ein Hauptgeſchäft und verſchiedene 
Rebengeſchäfte betreibe, die von jenem als der „Zentrale“ 
aus geleitet würden. Es liegt jedoch auf der Hand, daß 
dieſer Umſtand den Beſchwerdeführer nicht berechtigen 
kann, fein Geſchaft „M. .. . er Fleiſchzentrale“ zu nennen. 
Wenn er ausdrücken will, daß er ſein Gewerbe in einem 
Hauptgeſchäft und verſchiedenen Nebengeſchäften be— 
treibt, fo mag er dies in einer Weiſe tun, die ſein Haupt» 
geſchäft als, Zentrale“ gegenüber feinen Nebengeſchäften 
kennzeichnet. Darum handelt es ſich aber bei dem von 
ihm gewählten Firmenbeiſatz nicht; denn durch ihn 
wird ſein Geſchäft als „Zentrale“ des Fleiſchhandels 
in M. überhaupt, als „Zentrale“ im Gegenſatz zu den 
übrigen gleichartigen M. . . . er Geſchäften bezeichnet. 
Davon, daß nach den Anſchauungen der beteiligten Kreiſe 
die Bezeichnung als. Zentrale” jedem Geſchäfte zukommt, 
das in der Art des Liſchen „zentraliſiert“ iſt, iſt dem 
Gericht der weiteren Beſchwerde nichts bekannt; jeden⸗ 
falls könnte eine ſolche dem Geſetze zuwiderlaufende An— 
ſchauung deſſen Anwendung nicht hindern. (Beſchl. des 
J. 35. vom 3. Juli 1914, Reg. III Nr. 58 1914). M. 

34.39 


Nr. 20 u. 21. 


eitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. 


— — — 


III. 


Zu 8 1666 5888: Entziehung des Rechtes den Uni: 
enthalt zu beſtimmen ſtatt der beantragten Entziehung 
der Sorge für die Perſen. Aus den Gründen: 
Der Großvater des Kindes hat beantragt, dem Vater 
A. Sch. die Sorge für die Perſon ſeines Kindes zu 
entziehen, und das LG. hat, ebenſo wie das Vormund⸗ 
ſchaftsgericht, den Sachverhalt nur nach der Richtung 
geprüft, ob hinreichende Gründe für die Entziehung 
dieſes Rechts vorliegen. Dabei hat das LE. nicht 
berückſichtigt, daß der 8 1666 BOB. dem Bormund⸗ 
ſchaftsgericht nicht nur die Befugnis verleiht, dem 
Vater das volle Recht der Sorge für die Perſon des 
Kindes zu entziehen, daß vielmehr darin auch die Be⸗ 
fugnis inbegriffen iſt, dem Vater einzelne auf dem Recht 
der Fürſorge für die Perſon beruhende Rechte z. B. das 
Recht, den Aufenthalt des Kindes zu beſtimmen, ganz oder 
zeitweiſe zu entziehen. Es iſt nun nicht ausgeſchloſſen, 
daß das LG. zu einer anderen Entſcheidung gelangt 
wäre, wenn es ſich gefragt hätte, ob eine ſolche teil⸗ 
weiſe Entziehung des Fürſorgerechts veranlaßt iſt. 
Die nunmehrige Ehefrau des A. Sch. hat vor ihrer 
Verehelichung einen nicht einwandfreien Lebenswandel 
geführt; ſie hat im Anfang ihrer Ehe ein ehebrecheriſches 
Verhältnis unterhalten, hat auch ſpäter noch Herren⸗ 
beſuche empfangen und ſchlägt im Verkehr mit Männern 
einen Ton an, der einen Zeugen zu der Aeußerung 
veranlaßt hat: „Ich hielt ſie nach ihren Reden für 
eine ſogenannte Schnepfe“. Es iſt ferner feftgejtellt, 
daß fie auch jetzt noch ihrem Mach als Kellnerin und 
ihrem Vergnügen nachgeht. Nach alledem hat die 
Stiefmutter des Kindes früher und auch noch während 
ihrer Ehe einen ehrloſen und unſittlichen Lebens⸗ 
wandel geführt, und bietet auch durch ihr jetziges Ber: 
halten noch keinerlei Bürgſchaft dafür, daß ſie ſich von 
Grund aus und nachhaltig gebeſſert hat. Ihr kommt 
ja nun allerdings weder das Recht noch die Pflicht der 
Sorge für die Perſon der Stieftochter zu; immerhin 
aber hat tatſächlich ſie das Kind zu verpflegen und zu 
erziehen, da der Vater durch ſeinen Dienſt verhindert 
iſt, ſich ſtändig um das Kind zu kümmern. Es liegt 
auf der Hand, daß eine Frau mit den geſchilderten 
Charaktereigenſchaften weder den feſten Willen noch 
die Fähigkeit hat, für das leibliche und geiſtige Wohl 
eines Kindes, insbeſondere eines Stiefkindes ſo zu ſorgen, 
wie es erforderlich iſt. Dadurch aber muß eine unmittel⸗ 
bare Gefährdung des Wohles dieſes Kindes jedenfalls 
ſo lange herbeigeführt werden, als es wegen ſeines 
jugendlichen Alters und ſeiner Neigung zu Erkrankungen 
einer ſorgſamen weiblichen Leitung und Pflege bedarf. 
Daß das Kind einer ſolchen Gefährdung tatſächlich 
bereits ausgeſetzt war und noch iſt, muß mit Sicher⸗ 
heit aus der Tatſache geſchloſſen werden, daß es am 
7. Juni 1912 mit Geſchwüren und Ungeziefer behaftet 
zu ſeinen Großeltern gekommen iſt; jeder Zweifel aber 
müßte in dieſer Beziehung ſchwinden, wenn ſich die 
Behauptung des Beſchwerdeführers bewahrheiten würde, 
daß ſich die Frau des Sch. ſchon viermal von ihrem 
Manne getrennt hat. Das LG. hätte ſich ſohin fragen 
müſſen, ob nicht die feſtgeſtellten Tatſachen Maßregeln 
notwendig machen, die dem Vater, wenn auch nicht das 
ganze Fürſorgerecht, ſo doch einen Teil entziehen und 
ermöglichen, das Kind ſolange als nötig in der ſorg⸗ 
ſamen Pflege ſeiner Großeltern zu belaſſen. Das Ver⸗ 
ſchulden des fürſorgeberechtigten Vaters wird unſchwer 
feſtzuſtellen ſein; denn es kann wohl keinem Zweiſel 
unterliegen, daß ein Vater ſchuldhaft handelt, der die 
Erziehung ſeines Kindes einer Perſon mit den Eigen⸗ 
ſchaften der zweiten Frau des A. Sch. überläßt. (de 
ſchluß des I. 35. vom 18. September 1914, Reg. III 
Nr. 81/1914). M. 

3454 


Zeitſchrift für Rechtspflege in! Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


B. Strafſachen. 
I. 


Brszeſſuale Stellung eines geiſteskranken, aber nicht 
entmündigten für ſich und als geſetzlicher Vertreter feiner 
Tochter auftretenden Privatklägers. Rechtsanwalt H. 
ſtellte auf Grund der ihm von dem Kleiderreiniger 
M. P. erteilten Vollmacht für dieſen und deſſen am 
14. November 1896 geborene, von ihm als Vater ge- 
ſetzlich vertretene Tochter E. P. gegen B. Strafantrag 
wegen Beleidigung und erhob Privatklage. B. wurde 
wegen einer durch dieſelbe Aeußerung dem M. und 
der E. P. zugefügten Beleidigung verurteilt und legte 
Berufung ein. Das LG. erachtete auf Grund ſeiner Er⸗ 
mittelungen den M. P. wegen dauernder krankhafter 
Störung ſeiner Geiſtestätigkeit für mindeſtens ſeit dem 
12. September 1912 geſchäftsunfähig und infolgedeſſen 
die Vollmachtserteilung, den Strafantrag und die 
Privatklage für nichtig. Es nahm an, daß die elter⸗ 
liche Gewalt des M. P. über ſeine Tochter ſeit dem 
12. September 1912 ruhe und auf die Mutter O. P. 
übergegangen, ſonach dieſe die geſetzliche Vertreterin 
der Tochter ſei (88 1676 und 1685 BGB). Das LG. 
ſetzte durch Beſchluß vom 23. März 1914 der Mutter 
eine Friſt von drei Wochen einerſeits zur Erklärung, 
ob ſie als geſetzliche Vertreterin ihrer Tochter gegen 
B. Strafantrag ſtelle und die bisherige Prozeßführung 
des Rechtsanwalts H. genehmige, anderſeits zur Er⸗ 
bringung des Nachweiſes dafür, daß ſie als die nach 
dem 8 646 ZPO. Nächſtbeteiligte die Entmündigung 
ihres erkrankten Mannes beantragt habe. Durch den 
Beſchluß wurde der Mutter gleicher ig mitgeteilt, daß 
„nach fruchtloſem Ablauf der Friſt das Privatklage⸗ 
verfahren unter Koſtenüberbürdung auf die Kläger ein⸗ 
geſtellt werde“. Das LG. ſprach nach fruchtloſem Ab⸗ 
laufe der Friſt ohne mündliche Verhandlung mit Be⸗ 
ſchluß vom 28. April 1914 die angedrohten Folgen 
aus. Der „in entſprechender Anwendung der SS 259 
Abf. 2, 414 StPO. erlaſſene“, dem M. P. und feiner 
Frau „als derzeitigen geſetzlichen Vertreterin ihrer 
Tochter“ zugeſtellte Beſchluß lautet: „Das Urteil des 
Schöffengerichts ... wird aufgehoben. Das Verfahren 
wird eingeſtellt; die Privatkläger haben die Koſten zu 
tragen und die dem Beſchuldigten erwachſenen not⸗ 
wendigen Auslagen zu erſtatten.“ Am 6. Mai 1914 
gelangte an das LG. ein von M. P., ſeiner Frau O. P. 
und der Tochter E. P. unterſchriebenes Schriftſtück mit 
der Ueberſchrift: „Strafantrag gegen den Buchhalter 
B. wegen Beleidigung” und mit der Erklärung, daß 
„ein derartiger a ohne Berufungsverhandlung 
nicht erlaſſen werden könne, und daß die bisherige 
Klage und der Strafantrag aufrecht erhalten werde.“ 
Das LG. erblickte in der Eingabeidie Beſchwerde der Frau 
P. gegen den Beſchluß vom 28. April 1914, half ihr 
aber nicht ab. Das Beſchwerdegericht hob den Beſchluß 
auf und ordnete an, daß über die Berufung durch Urteil 
zu entſcheiden ſei. 

Aus den Gründen: Die Eingabe vom 6. Mai 
1914 iſt als die nach 8 346 StPO. zuläſſige, form⸗ und 
friſtloſe Beſchwerde ſowohl des M. P. als auch ſeiner 
Frau zu erachten, da ſie von beiden unterzeichnet und 
beiden der Beſchluß vom 28. April 1914 zugeſtellt worden 
iſt. Die Unterſchrift der Tochter hat keine Bedeutung. 
M. P. iſt wegen Geiſteskrankheit nicht entmündigt; er hat 
deshalb auch keinen geſetzlichen Vertreter; ſeine Ge— 
ſchäfts⸗ und Prozeßunfähigkeit ſoll erſt in dieſem Straf⸗ 
verfahren feſtgeſtellt werden; er iſt demnach als Privat⸗ 
kläger Prozeßbeteiligter und kann infolgedeſſen alle 
feine Rechte betreffenden Prozeßhandlungen, ins- 
beſondere auch die vornehmen, welche die Anrufung 
des höheren Richters zur Prüfung der Richtigkeit der 
Entſcheidung des Unterrichters bezwecken. Iſt ſonach 
die Berechtigung des M. P. zur Einlegung der Be— 
ſchwerde nicht zu beanſtanden, ſo kommt die Frau P. 
als Beſchwerdeführerin nicht weiter in Betracht. Der 


389 


8 363 StPO. lautet: „Erachtet das Berufungsgericht 
die Beſtimmungen über die Einlegung der Berufung 
nicht für beobachtet, ſo kann es das Rechtsmittel durch 
Beſchluß als unauläffig verwerfen. Andernfalls ent» 
ſcheidet es über dasſelbe durch Urteil.“ Da der An⸗ 
geklagte die Berufung eingelegt hat und die Voraus⸗ 
ſetzungen zur Anwendung des $ 363 Satz 1 nicht ge⸗ 
geben ſind, iſt der Beſchluß vom 28. April 1914 zu 
unrecht ergangen; er mußte deshalb aufgehoben und 
das LG. angewieſen werden, über die Berufung nach 
gepflogener Hauptverhandlung durch Urteil zu ent⸗ 


ſcheiden. Die Hauptverhandlung wird Anlaß geben 
aufs neue zu prüfen, ob die geiſtige Erkrankung des 
M. P. — Querulantenwahn —, die ſich regelmäßig 


nur nuch einer beſtimmten Richtung bemerkbar macht, 
eeignet iſt, jede auch noch ſo einfach gelagerte Rechts⸗ 
Bendiung wie z. B. eine Vollmachtserteilung ꝛc. als 
von der geiſtigen Störung beeinflußt zu erachten. (Vgl. 
im übrigen Löwe, Vorbem. 20 a zum 1. Abſchn. des 
2. Buches der StPO., Bem. 5 zu § 414; Bem. Ib zu 
$ 37 StPO., RGSt. Bd. 1 S. 149, Bd. 29 S. 324; RG. 
Rechtſpr. Bd. 7 S. 465; Bay. Obs G. StS. Bd. 9 S. 183; 
Binding, Strafrecht Bd. I S. 628; Köhler, die Lehre 
vom Strafantrag S. 55; Oppenhoff Bem. 12, Ols⸗ 
hauſen Bem. 12, je zu 865 StGB.). (Beſchl. vom 16. Mai 
1914, Beſchw. Reg.⸗Rev. 399/1914). Ed. 
3452 


I. 


Kann die Gültigkeit einer auf Grund des Art. 75 
BEIGB. erlaſſenen geſundheitspolizeilichen Borſchrift 
durch einen Wechſel in den hygieniſchen Auſchauungen 
derührt werden? Was iſt unter „reinen Mehl“ zu 
verſtehen? Ein Bäckermeiſter verwendete in ſeinem 
Betriebe zwei Sorten Streumehl, die eine aus Nadel⸗ 
holzmehl, die andere aus Fruchthülſenmehl beſtehend, 
und veranlaßte ſelbſt eine polizeiliche Anzeige hie⸗ 
wegen, um im Intereſſe der Lieferantin eine gericht⸗ 
liche Entſcheidung über die Zuläſſigkeit der Verwen⸗ 
dung jener Erzeugniſſe herbeizuführen. Er wurde 
869 8 einer Uebertretung nach Art. 75 PStGB. mit 


Abſ. 2 ortspol. Vorſchr. des Stadtmagiſtrats Mün⸗ 
5. Oktober 1906 


chen vom 15. Februar 1512 über den Verkehr mit Nah⸗ 
rungs⸗ und Genußmitteln zu einer Geldſtrafe ver⸗ 
urteilt. Der bezeichnete 8 69, der ſich im Abſchnitt 
„über den Verkehr mit Brot, Mehl und Hülſenfrüchten“ 
findet, beſtimmt in Abi. 2, daß „als Streumehl nur 
gutes, reines Mehl verwendet werden darf“. Die Revi⸗ 
ſion wurde verworſen. Aus den Gründen: Die 
Reviſion erklärt die ortspolizeiliche Vorſchrift für nicht 
mehr gültig; um gültig zu bleiben, müſſe ſie fortdau⸗ 
ernd der Verhütung geſundheitlicher Gefahren dienen; 
wenn aber die Unſchädlichkeit neu eingeführter Streu⸗ 
mittel erwieſen und vom Richter ſelbſt anerkannt ſei, 
ſo ſei die Vorſchrift keine geſundheitspolizeiliche mehr 
und trete ſomit aus dem Rahmen des Art. 75 PStGB. 
heraus. Was nach richterlicher Feſtſtellung dem geſetz⸗ 
geberiſchen Zwecke mehr entſpreche als das im Ge⸗ 
ſetze ſelbſt Zugelaſſene, könne nicht verboten ſein. 
Diefer Angriff geht fehl. Der Art. 75 PStGB. bildet 
die geſetzliche Grundlage für die dort näher bezeich— 
neten „zur Verhütung von Gefahren für die Geſund⸗ 
heit“ ergangenen Vorſchriften. Nach ſeinem Wortlaut 
und Sinn kommt es nicht darauf an, ob eine Vor⸗ 
ſchrift wirklich die Geſundheit ſchützt, ſondern nur dar⸗ 
auf, ob fie das bezweckt. Der Forderung der Zweck⸗ 
mäßigkeit dient die Uebung, wonach derartige Vor⸗ 
ſchriften von kürzerer Geltungsdauer ſind, raſcher und 
leichter abgeändert werden als grundlegende Geſetze; 
ſind ſie nach neueren Ergebniſſen der Wiſſenſchaft und 
der Technik nicht mehr zweckentſprechend, ſo ſind ſie 
leicht zu ändern. Solange dies aber nicht geſchehen 
iſt, muß die Vorſchrift in dem Sinne fortgelten, in 
dem ſie erlaſſen iſt; ſie verliert alſo beiſpielsweiſe die 


Eigenſchaft einer geſundheitspolizeilichen Vorſchrift 
nicht ſchon dadurch, daß die neuere Geſundheitslehre 
eine andere Regelung fordert. Auch an dem Inhalt 
der Vorſchrift des § 69 läßt ſich nicht deuteln. Die 
Vorinſtanzen haben zutreffend ausgeführt, daß das 
Wort Mehl in einer vom Verkehr mit Brot, Mehl 
und Hülſenfrüchten handelnden Vorſchrift nur das aus 
Getreide gewonnene Mehl bezeichnen kann, und daß 
das Wort in demſelben Sinne auch im Abſ. 2 des 
§ 69 aufgefaßt werden muß, wo der Ausdruck „gutes, 
reines Mehl“ auf eben jenes auch im Abſ. 1 gemeinte 
Getreidemehl (Backmehl) zurückweiſt; ferner, daß der 
Sprachgebrauch überall da, wo von „Mehl“ ohne Bei⸗ 
ſatz die Rede iſt, hiemit das Getreidemehl bezeichnet, 
während Mehle aus anderen Stoffen durch den Bei⸗ 
ſatz des Erzeugungsſtoffes oder der Erzeugungsweiſe 
gekennzeichnet werden (Holzmehl, Gipsmehl, Säge⸗ 
mehl). Dahingeſtellt mag bleiben, ob 8 69 Abſ. 2 
gerade nur Mehl aus einheimiſchen Getreidearten zu⸗ 
laſſen will; die Verwendung von Holz⸗ oder von 
Fruchthülſenmehl iſt jedenfalls nicht geſtattet. Der 
8 69 Abſ. 2 hält und erklärt nun einmal das Getreide⸗ 
mehl für das einzige geſundheitlich einwandfreie und 
deshalb zuläſſige Streumittel; damit bleibt er in den 
Grenzen einer geſundheitspolizeilichen Vorſchrift. Ein 
Wechſel in den hygieniſchen Anſchauungen kann die 
weitere Geltung derartiger Normen nicht berühren. 
(Urteil vom 27. Juni 1914, RevReg. Nr. u) 

3451 g 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Nechtskraſtwirkung des Urteils; Umfang des durch 
die klage erhobenen Anſpruchs. Folgen der Verweigerung 
der Eidesleiſtung in einem anderen Rechtsſtreit, freie 
richterliche Ueberzengung, Protokolle eines anderen Nechts⸗ 
ſtreits als Urkunden. Nutzungen einer rechtlos erhaltenen 
Summe als Bereicherung, ſelbſtändige Klage hierauf nach 
rechtskräftiger Eutſcheidung über die Hauptſache, Ber: 
zicht auf Nutzungen, Verjährung des Auſpruchs hierauf 
— 322 1, 325 1, 463 ff., 415 ff., 286 ZPO; 818, 
197 BGB. In früheren Jahren betrieben 5 Perſonen 
gemeinſchaftlich mit gleichen Anteilen einen Schweine— 
handel. Auf die Klage des Geſellſchafters A. wurde 
der Geſellſchaſter E. am 25. Sept. 1911 zur Zahlung 
von 1452 M ſamt Prozeßzinſen hieraus verurteilt; dem 
E. war ein Eid darüber auferlegt worden, daß er ſich 
ſ. Zt. mehrere Fehlbeträge aus der Geſellſchaftskaſſe 
nicht angeeignet habe; er hatte die Eidesleiſtung vers 
weigert und erſchien hiernach um * dieſer Beträge 
auf Koſten des Klägers ungerechtfertigt bereichert. 
Darauf kam es noch zu zwei weiteren Prozeſſen. 

I. Der Geſellſchafter B. erzielte ebenfalls mit einer 
Bereicherungsklage die Verurteilung des E. zur Zahlung 
des ihm entzogenen /-Anteils. Aus den Gründen: 
Nach § 322 3 PO. kann das rechtskräftige Urteil des 
Vorprozeſſes nicht als ſolches der Entſcheidung des 
jetzigen Rechtsſtreits zugrunde gelegt werden. Denn 
wenn es ſich auch um den nämlichen Tatbeſtand und 
die nämlichen Rechtsverhältniſſe handelt, ſo ſind doch 
die Perſonen der Kläger und die Klageanſprüche in 
beiden Prozeſſen verſchieden. Die ſachliche Rechtskraft 
des früheren Urteils erſtreckt ſich insbeſondere nicht 
auf die den Klaganſpruch in beiden Prozeſſen be— 
dingenden Rechtsverhältniſſe. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


— ——᷑ — — 4 —— — wAh— ä — — — — 


BE En re a ee ek 


Hieruͤber iſt vielmehr 


in jedem Prozeſſe mit neuen ſelbſtändigen Anſprüchen 
neuerlich ſelbſtaͤndig zu entſcheiden. Ebenſowenig kann 


die im Vorprozeſſe vom Beklagten erklärte Verweige— 
rung der Eidesleiſtung die im § 464 II ZPO. aufs 
geſtellte Folge für den jetzigen Rechtsſtreit äußern; 
denn dieſe Wirkung als ſolche iſt auf den Prozeß be— 
ſchränkt, in welchem das für den Beweis durch Eid 
vorgeſchriebene geſetzliche Verfahren beobachtet worden 


| 


iſt (Gaupp⸗Stein, ZPO. [11] I, 809 A. V zu $ 322; 
S. 1016, 1018, A. I zu 8 463, A. III zu 8 464). 
Nachdem jedoch die Parteien im gegenwärtigen Rechts⸗ 
ſtreit die Protokolle über die im Vorprozeß gepflogene 
Beweiserhebung nebſt dem dortigen Urteil als Urkunden⸗ 
beweis zum Gegenſtand der mündlichen Verhandlung 
gemacht haben, iſt das Gericht berechtigt und ver⸗ 
pflichtet, dieſe Beweismittel über die Zeugenausſagen 
und über die auf die Parteieidesleiſtung ſich beziehenden 
Erklärungen des Beklagten im Vorprozeß jetzt neuer⸗ 
lich und ſelbſtändig im Rahmen des § 286 ZPO. frei 
zu würdigen (Gaupp⸗ Stein a. a. O., ſowie S. 709 
A. III, 4a und b; RG. 46, 410 ff. u. a.).. . . (ier 
folgt eine Beweiswürdigung). Im Vorprozeß war dem 
Beklagten der zugeſchobene Eid über die Wegnahme 
von Geſellſchaftsgeldern auferlegt worden; im Schwur⸗ 
termin erklärte er, daß er den Eid nicht leiſte. Darauf 
erfolgte ſeine Verurteilung zur Rückzahlung der Be⸗ 
reicherung. Im gegenwärtigen Rechtsſtreite ſchob ihm 
der Kläger vorſorglich den gleichen Eid zu. Im erſten 
Rechtszuge verweigerte der Beklagte trotz der Aufforde⸗ 
rung durch das Gericht jede Erklärung auf die Eides⸗ 
zuſchiebung, weshalb das Gericht den Eid als ver⸗ 
weigert anſah und den Beklagten verurteilte (SS 455, 
452 II ZPO.) Im zweiten Rechtszuge ſchob der Be: 
klagte den ihm neuerlich zugeſchobenen Eid zunächſt 
an den Kläger zurück und erörterte im Anſchluß daran 
nur ſeine Anſicht über die Zuläſſigkeit der Eideszu⸗ 
ſchiebung und über die Zweckmäßigkeit des Ueber⸗ 
zeugungseides. Ob hierin angeſichts der Unzuläſſigkeit 
der Eideszurückſchiebung (88 448 II, 452 II ZPO.) eine 
bedingte Eidesannahme zu erblicken wäre, kann unent⸗ 
ſchieden bleiben. Denn das Gericht hat aus dem Be 
weis⸗ und Verhandlungsergebnis, insbeſondere aus 
dem geſamten Verhalten des Beklagten im früheren 
und jetzigen Rechtsſtreit die Ueberzeugung gewonnen 
(8 286 ZPO.), daß er den Eid nicht zu leiſten vermag. 
da das Gegenteil der zu beſchwörenden Tatſachen, 
nämlich die Behauptung des Klägers wahr iſt. Damit, 
daß der Beklagte ſchließlich ſelbſt dem Kläger den Eid 
über die Entnahme von Geſellſchaftsgeldern zugeſchoben 
hat, kann er ſich vor den Folgen ſeines Verhaltens 
auf die Eideszuſchiebung an ihn nicht ſchützen. Ein 
ſolches Verfahren widerſpricht den Regeln der Be 
weislaſt und den Geſetzesvorſchriften über den Eides⸗ 
beweis; entſpricht der Kläger ſeiner Beweispflicht für 
ſeine beſtrittenen Behauptungen durch die Eides⸗ 
zuſchiebung an den Beklagten, ſo ſteht dieſem wohl 
die Geltendmachung anderer Beweismittel frei (8 453 
ZPO.), aber er kann nicht die Klagebehauptung um⸗ 
kehren und durch Eideszuſchiebung über eine ſolche 
Gegenbehauptung die Beweislaſt verſchieben, um den 
ihm drohenden Folgen der Unzuläſſigkeit einer Eides⸗ 
zurückſchiebung auszuweichen (SS 448 JI, 452 JI 35D.) 
(Urt. des II. 35. vom 30. März 1914, L. 229,12). 
II. Der Geſellſchafter A., der Kläger im erſten 
Prozeſſe, erwirkte mit einer neuen Klage die Verurteilung 
des E. zur Zahlung von weiteren 955 M Nutzungen 
aus der Bereicherungsſumme in Höhe von 4% Zinſen 
vom Beginn der Bereicherung bis zur Rechtshängigkeit 
des erſten Prozeſſes, worin ihm Prozeßzinſen aus 
der Bereicherung zugeſprochen waren. Aus den 
Gründen: Das Urteil im Vorprozeß der nämlichen 
Parteien äußerte infolge ſeiner formellen Rechtskraft 
auch im gegenwärtigen Rechtsſtreit eine ſachliche Rechts⸗ 
kraftwirkung im Rahmen des § 322 ZPO:; darnach iſt 
das Gericht an die frühere Entſcheidung gebunden, 
ſoweit fie den unmittelbaren Gegenſtand des fruheren 
Klaganſpruchs betrifft. Das Gericht darf weder den 
gleichen Tatbeſtand anderweitig rechtlich würdigen, um 
eine andere Rechtslage als im Vorprozeß anzunehmen, 
noch darf es zu demſelben Zwecke den Tatbeſtand 
anders als im Vorprozeß feſtſtellen, gleichviel wie das 
frühere Urteil zuſtande gekommen iſt (Gaupp-Stein J. 
800 ff. A. II, 3, V 2, VIII I ff. zu $ 322). Die Parteien 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


find daher auch nicht in der Lage, 50 frühere Prozeß⸗ 
führung jetzt zu verbeſſern und behufs einer anderen 
Würdigung des Tatbeſtands ergänzende Tatſachen oder 
Beweismittel geltend zu machen. Es iſt hier ins⸗ 
beſondere bedeutungslos, daß der Beklagte im Vor⸗ 
prozeß zur Zahlung der Bereicherungsſumme ſamt 
Prozeßzinſen an die Klägerin wegen der Nichtleiſtung 
des ihm auferlegten Eides verurteilt worden iſt. Gleich⸗ 
gültig iſt es auch, weshalb er damals den Eid nicht 
geleiſtet hat, ob deshalb, weil er ihn nicht hat leiſten 
können oder weil er ihn nicht hat leiſten wollen, ſo⸗ 
wie welche Gründe ihn hierzu beſtimmt haben. Es kann 
alſo nicht zur nochmaligen Aufrollung der Beweisfrage 
kommen, ſondern es ſteht nach $ 322 ZPO. auch für 
den jetzigen Rechtsſtreit feſt, daß der Beklagte ſeit der 
Entnahme der Geſellſchaftsgelder um ½ hiervon auf 
Koſten des Klägers ohne rechtlichen Grund bereichert 
iſt. Der Betrag von 955 M, den der Kläger mit feiner 
neuen Klage begehrt, bildet weder einen Teil des im 
Borprozeſſe ſtreitig geweſenen und dort rechtskräftig 
dem Kläger zuerkannten Bereicherungsanſpruchs noch 
eine mit jenem Anſpruch auf gleicher Stufe ſtehende 
Nachforderung, über die jetzt unter neuer Würdigung 
des gleichen Rechts verhältniſſes ſelbſtändig zu ent⸗ 
ſcheiden wäre. Es handelt ſich vielmehr bei dieſer 
Nachforderung um einen aus dem nämlichen Rechtsver⸗ 
hältnis erwachſenen Neben anſpruch auf die Nutzungen 
aus dem Hauptbereiherungsaniprud, über deſſen 
Beſtand ſchon endgültig rechtskräftig entſchieden iſt. 
Dieſer Anſpruch auf Herausgabe der Nutzungen wurde 
dem Klaͤger mit dem früheren Urteile nicht abgeſprochen, 
da er nicht Gegenſtand des Vorprozeſſes war. Es lag 
auch in der prozeſſualen Beſchränkung des Bereicherungs⸗ 
anſpruchs auf die Hauptſache nebſt Prozeßzinſen nicht 
ein Verzicht des Klägers auf ſeinen weiteren die Nutzungen 
umfaſſenden Bereicherungsanſpruch (RG. 1, 349; 73, 
219); der Angeklagte ſelbſt hat dies nicht geltend ge⸗ 
macht, auch aus der von Amts wegen zu berückſichtigenden 
Rechtskraft des früheren Urteils iſt dieſe beſchränkende 
und ausſchließende Wirkung nicht abzuleiten (Gaupp⸗ 
Stein I, 811 A. V2 zu 8322). — Nach 8 818 BGB. 
iſt der auf Koſten eines anderen rechtlos Bereicherte, 
beſonders auch im Falle ſeiner Schlechtgläubigkeit zur 
Herausgabe der Bereicherung ſamt den daraus ges 
zogenen oder zu ziehenden Nutzungen verpflichtet. 
Es iſt ohne weiteres davon auszugehen, daß der Be⸗ 
klagte als erfahrener Geſchäftsmann die Bereicherungs⸗ 
ſumme nutzbringend für ſich verwendet hat (RG. 53, 
371). Infolge der Bereicherung um die Hauptſache 
ſind ihm auch die Nutzungen hieraus zugefloſſen, er wurde 
wenigſtens um die den geſetzlichen Zinſen zu 4% ents 
ſprechenden Nutzungen auf Koſten des Klägers grund⸗ 
los bereichert. Den Wegfall der Bereicherung durch 
Minderung ſeines Vermögens auf weniger als die 
68 270). Wer ſahrun hat er ſelbſt nicht behauptet (RG. 
68, 270). Verjährung iſt nicht eingetreten. Wenn auch 
der Kläger ſeinen Anſpruch zu 955 M mittels Be⸗ 
rechnung von 4% Zinſen aus der Hauptſache auf 
die bezeichnete Zeit beziffert hat, ſo machte er doch als 
Rechtsgrund für jenen Anſpruch nicht ſchlechthin einen 
Zins anſpruch geltend, ſondern gerade die Bereiche⸗ 
rung des Beklagten um die Nutzungen aus der 
Hauptſache, deren Betrag den berechneten Zinſen wenig⸗ 
ſtens gleichkomme. Es können daher nicht die für 
„Zinſen“ jeder Art gültigen Verjährungsvorſchriften 
des früheren und des jetzigen Rechts angewendet werden, 
ſondern es iſt die regelmäßige Verjährungsfriſt von 
30 Jahren zu berückſichtigen, der nach früherem und 
jetzigem Recht auch der auf Erſatz von Nutzungen er⸗ 
ſtreckte Bereicherungsanſpruch unterworfen iſt (Art. 169 
BGB.; 88 195 ff. BGB.; Staudinger (7./8.) I, 709 A. 2 
zu 8 197). Dieſe Friſt iſt noch nicht ausgelaufen, der 
Klageanſpruch daher begründet. (Urt. des II. 38. 
vom 30. März 1914, L. 55/13). B r. 
3456 


— — — ũẽ— un 


— — — .. l— 2. l 22. 


391 


Vücheranzeigen. 


Der jetzige Stand der Freirechtsbewegung. Der 
lebhafte Streit, der vor einigen Jahren über die Frage 
des freien Rechts entbrannt war, [Bien mit dem Dres⸗ 
dener Richtertag, der die Bindung des Richters 
an das Geſetz entſchieden betonte, ein für allemal er⸗ 
ledigt. Was konnte es auch helfen, zu lehren, daß 
die Richter befugt ſeien, über das Geſetz hinweg⸗ 
zugehen, wo ihnen ſeine Anwendung zu unrichtigen Er⸗ 
gebniſſen zu führen ſchien, wenn die Richter ſelbſt es 
ablehnten, von dieſer Befugnis Gebrauch zu machen? 
Der aufmerkſamere Beobachter konnte es aber leicht 
erkennen, daß zwar dieſe, ohnehin auch früher nur ver⸗ 
einzelt aufgeſtellte äußerſte Folgerung nicht mehr ver⸗ 
treten wurde, daß aber damit die Bewegung ſelbſt 
durchaus nicht zum Stillſtande gebracht worden war. 
Im Gegenteil: ihr innerſter Kern, der Gedanke, daß 
nur die Befreiung des Richters vom Buchſtabendienſt, 
die Ueberwindung der Begriffsjurisprudenz durch eine, 
den Zweck des Geſetzes höher als ſeinen wörtlichen Sinn 
einſchätzende Rechtſprechung, die jetzige Kluft zwiſchen 
Recht und Volk zu ſchließen vermöge, hat ſich unaufhalt⸗ 
ſam in immer weiteren Kreiſen, nicht zuletzt in jenen der 
Richter, Anerkennung verſchafft. Und nicht nur das: 
immer deutlicher zeigt ſich, daß der Gedanke ſich in die 
Wirklichkeit umzuſetzen beginnt. Man braucht nur die 
jetzigen Entſcheidungen des Reichsgerichts mit jenen 
zu vergleichen, die vor zehn Jahren oder noch früher 
ergingen, um zu erkennen, daß ſich die Richter heute 
zum Geſetz ganz anders ſtellen als damals. Ihr ſichtbares 
Ziel iſt, das Geſetz zu beherrſchen, es nicht pedantiſch in 
jedem Falle gleichmäßig, ſondern in jedem Falle ſo, wie 
es am richtigſten iſt, anzuwenden; und es iſt erfreulich, 
daß auch in den Kreiſen der Theorie dieleberzeugung Platz 
greift, daß damit ein richtiger Weg betreten iſt. Zeug⸗ 
nis hiefür gibt das ſoeben erſchienene Juliheft der Zeit⸗ 
ſchrift: Die Tat (Jena, Diederichs). Es genügt, die 
Namen der Mitarbeiter und ihre Beiträge zu nennen. 
Guſtav Radbruch ſchreibt über das Rechtsgefühl, 
Hermann Kantorowirz über die Epochen der 
Rechtswiſſenſchaft, Ernſt Wolff über Freirechts⸗ 
bewegung und Richteramt — ein ſehr maßvoll ge⸗ 
haltener und darum auch ſehr eindrucksvoller Aufſatz —, 
Hugo Sinzheimer über den Willen zur Rechts⸗ 
geſtaltung, Ernſt Fuchs über die Erneuerung der 
Juriſtenfakultäten, Fritz Münch über Rechtsreform⸗ 
bewegung und Kulturphiloſophie, er din and 
Tönnies über Gemeinſchaft und Individuum und — 
last not least — Max Rumpf über den Beruf 
unſerer Zeit zur Geſetzgebung. Ein friſcher, entſchiedener 
und doch beſonnener Zug geht durch alle dieſe Aus» 
führungen wie auch durch die noch folgenden kleineren 
Beiträge. Sie ſind nicht die Summe deſſen, was in 
dieſer Richtung gearbeitet wird, nicht einmal ein Ueber⸗ 
blick darüber, ſondern nur Anzeichen davon; aber 
dieſe Anzeichen laſſen erkennen, daß die Arbeit rüſtig 
gefördert wird und daß alle jene, die leichthin den 
Stab darüber brechen zu können meinen, ſich ſehr im 
Irrtum befinden. Riß. 


Güthe, Dr. Georg, Geh. Juſtizrat und vortragender Rat 
im Juſtizminiſterium. Die wirtſchaftlichen 
und rechtlichen Grundlagen des modernen 
Hypothekenrechts. 139 S. Berlin 1914, Franz 
Vahlen. Mk. 3.50. 


Die Schrift gibt einen Vortrag wieder, den Güthe 
im Sommer v. J. in dem ſtaats⸗ und rechtswiſſen⸗ 
ſchaftlichen Fortbildungskurſe für Aſſeſſoren in Berlin 
gehalten hat. Nach einem umfangreichen geſchichtlichen 
Ueberblick über die Entwicklung des römiſchen und des 
deutſchen Pfandrechts erörtert er zunächſt die wirt— 
ſchaftlichen Zwecke und das wirtſchaftliche Weſen des 
Grundkredits, legt die wirtſchaftlichen und die rechtlichen 


— — — 
— 


Beziehungen zwiſchen Kreditgeber und Kreditnehmer 
dar und behandelt dann die Fragen, die durch das 
Verhältnis mehrerer Kreditgeber untereinander ent⸗ 
ſtehen. In einem weiteren Abſchnitt beſpricht er die 
Verbindung von Hypothek und Pfandbrief, ihre wirt⸗ 
ſchaftliche Bedeutung und die Rechtsformen der Ver⸗ 
bindung, die landſchaftliche und die hypothekenbank⸗ 
rechtliche Form, wobei er eingehend das Pfandbrief⸗ 
geſchäft ſchildert und hervorhebt, daß von der Be⸗ 
fugnis, Hypothekenbriefe als Orderpapiere auszu⸗ 
ſtellen, nur die landwirtſchaftliche Kreditbank in Frank⸗ 
furt a. M. Gebrauch gemacht habe. Von beſonderem In⸗ 
tereſſe ſind die Ausführungen über die Entſchuldung 
des Grund beſitzes, in denen die beiden teils reichs⸗ teils 
landesgeſetzlich ausgeſtalteten Entſchuldungsformen, die 
Amortiſation und die Verſchuldungsgrenze eingehend 
gewürdigt werden. In einem Schlußworte wirft Güthe 
noch einen Blick auf die vermutliche künftige Fortent⸗ 
wicklung des Hypothekenrechts; er will in Anlehnung 
an das Schweizer Zivilgeſetzbuch die Verkehrsbuchhy⸗ 
pothek aus dem deutſchen Rechte ausgeſchaltet wiſſen, 
bezeichnet es als ungerechtfertigt, daß das BGB. für 
den Fall der Eigentümerhypothek im 8 1177 Abſ. 1 
dann, wenn der Eigentümer zugleich der perſönliche 
Schuldner geweſen iſt, eine geſetzliche Verwandlung 
der Hypothek in eine Grundſchuld vorſchreibt, befürchtet, 
daß die weitere Entwicklung des Geſellſchaftsweſens 
für das Hypothekenrecht Verwickelungen zur Folge 
haben könne, und weiſt ſchließlich auf die Möglichkeit 
hin, ein weiteres geſetzliches Mittel der Entſchuldung 
des Grundeigentums durch eine Verwertung und Aus⸗ 
geſtaltung der Rentenſchuld zu ſchaffen. 

Güthe hat die Aufgabe, die er ſich geſtellt, vor⸗ 
trefflich gelöſt und es meiſterhaft verſtanden, die innigen 
Beziehungen des wirtſchaftlichen Lebens zum Hypo» 
thekenrecht darzulegen. Wir möchten die Schrift nicht 
nur jedem Grundbuchbeamten, ſondern überhaupt jedem 
empfehlen, der ſich für das Hypothekenweſen intereſſiert 
oder ihm Intereſſe abgewinnen will. 

München. Miniſterialrat H. Schmitt. 


Groß, Dr. Haus, o. ö. Profeſſor an der Carola⸗Fran⸗ 
cisca in Graz. Handbuch für Unterſuchungs⸗ 
richter als Syſtem der Kriminaliſtik. 
Sechſte, umgearbeitete Auflage. Mit 157 Abbils 
dungen im Text. 2 Bände. 1914. München, Berlin 
und Leipzig, J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 
Geh. Mk. 22.—; gebd. Mk. 24.—. 

Trotz der zahlreichen Neuerſcheinungen, die jedes 
Jahr die kriminaliſtiſche Literatur bringt, hat dieſe 
kein zweites Werk aufzuweiſen, das mit dem Hand— 
buch für Unterſuchungsrichter einen Vergleich aus— 
halten könnte. Auch die nächſte Zukunft wird daran 
vorausſichtlich nichts ändern. Die überragende kri— 
minaliſtiſche Erfahrung, die ſich in der Perſon des 
Verfaſſers, des Altmeiſters der kriminaliſtiſchen Wiſſen— 
ſchaft, verkörpert, und die überzeugende Klarheit der 
Darſtellung, mit der er die Ergebniſſe dieſer Erfah— 
rungen zum Lehrgegenſtande für alle Jünger der Kri— 
minaliſtik macht, ſichern dem Werke für lange Zeit hin— 
aus ſeine einzigartige Bedeutung. Nicht nur der an— 


gehende Kriminaliſt, auch der alte, der ſich in langer 


Praxis geübt und bewährt hat, wird darin Anregung 
und Belehrung finden. Für den Unterſuchungsrichter 
am Landgericht oder den mit Ermittlungen in Straf— 
ſachen beſchäftigten Amtsrichter iſt das Buch unent— 
behrlich — ich möchte es geradezu als eine Pllicht— 
widrigkeit bezeichnen, wenn er fein Amt ausüben 
würde, ohne das Handbuch für Unterſuchungsrichter 
eingehend durchgearbeitet zu haben und es ſo oft 
als möglich bei ſeiner Berufstätigkeit heranzuziehen. 


39 Zeeitſchrift far Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21. 


Einzelheiten kann ich beiſeite laſſen. Die vorliegende 
Auflage enthält vieles Neue. Auch wer die fünfte ge 
nau zu kennen glaubt, vertiefe ſich alſo nun in die 
ſechſte! Mit ſtolzer Freude erwähnt Hans Groß im 
Vorworte, daß nach 18 jährigem Bemühen nun die 
„Erſcheinungslehre des Verbrechens in dem neu⸗ 
eröffneten „K. K. Kriminaliſtiſchen Inſtitut an der Uni⸗ 
verſität in Graz“ eine Stätte für ihre Pflege gefunden 
habe. Die ganze kriminaliſtiſche Welt hat dieſen ſchönen 
Erfolg mit Freude begrüßt; möchten auch reichsdeutſche 
Univerſitäten ſich durch dieſes Vorgehen ihrer Schweſter 
in der grünen Steiermark zu baldiger Nachfolge be⸗ 
geiſtern laſſen! Theodor Harſter. 


Pinzger, Dr. W., Landrichter in Magdeburg, Geſe tz 
betr. die Geſellſchaften mit beſchränkter 
Haftung, 8. VIII, 351 S. Stuttgart 1914, W. 
Kohlhammer. Mk. 4.50. 


Dieſe neue Bearbeitung iſt nicht nur für den ju⸗ 
riſtiſchen Praktiker, ſondern auch für den Kaufmann 
ein ſehr brauchbares Hilfsmittel. Sie hält die Mitte 
zwiſchen dem kleinen Kommentar von Liebmann und 
dem großen von Hachenburg, iſt beſonders wertvoll 
durch den nahezu erſchöpfenden Hinweis auf die bis 
in die neueſte Zeit ergangene Rechtſprechung. Die 
Stellung zu Streitfragen, z. B. zum Einfluß der Er⸗ 


höhung des Stammkapitals nach Erhebung der Auf⸗ 


löſungsklage auf die Aktivlegitimation ($ 61 Abſ. 2), 
iſt unterblieben. 


München. Juſtizrat Dr. Heinrich Frankenburget. 


Geſetzgebung und Verwaltung. 


Die Koſten der Stellvertretung der vor Juſtiz- oder 
Verwaltungsbehörden geladenen Beamten der Verkehrs 
verwaltung. Die durch die IM Bek. vom 24. Dezember 
1909 (JMBL. 555) zur Kenntnis der Juſtizbehörden 
gebrachte Bekanntmachung des Staatsminiſteriums für 
Verkehrsangelegenheiten vom 4. Dezember 1909 wurde 
aufgehoben durch die beiden Bekanntmachungen des 
Verkehrsminiſteriums vom 13. März 1912 (VerkMBl., 
Eiſenbahndienſtl. Teil S. 37, Poſtdienſtl. Teil S. 83). An 
deren Stelle beſtimmt §8 6 Abſ. 4, der dieſen beiden 
Bekanntmachungen beigegebenen „Vorſchriften über Ur⸗ 
laub, Dienſtbefreiung und Dienſtaushilfe“ für die etats⸗ 
mäßigen Beamten folgendes: Dienſtbefreiung auf die 
erforderliche Zeitdauer iſt auch zu gewähren, wenn Be⸗ 
amte in Gegenſtänden der Rechtspflege, der Verwal⸗ 
tung oder der Verwaltungsrechtspflege als Zeugen oder 
Sachverſtändige oder in Strafſachen als Angeklagte 
oder Beſchuldigte vorgeladen werden. Die Stellver— 
tretungskoſten werden in dieſen Fällen von der Staats- 
kaſſe übernommen. Ein Erſatz der Stellvertretungs⸗ 
koſten durch Zeugen- oder Sachverſtändigengebühren 
kann gleichviel, ob der Zeuge oder Sachverſtändige in 
amtlicher oder nichtamtlicher Eigenſchaft vorgeladen 
wurde, nicht beanſprucht werden. Nach 8 12 der ge 
nannten Vorſchriften ſollen dieſe Beſtimmungen auf 
„den Urlaub“ der nicht etatsmäßigen Beamten und des 
ſonſtigen Perſonals entſprechend Anwendung finden, 
für das Perſonal der Poſt- und Telegraphenverwal⸗ 
tung jedoch mit der Maßgabe, daß der Urlaub nur 
erteilt werden kann, wenn ſtändig bezahlte Aushilfs⸗ 
kräfte als Erſatz zur Verfügung ſtehen. 3458 


Verantwortl. Herausgeber i. V.: E. Eckert, Lind⸗ 
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) Minden und Freifing. 


fir. 22. 


München, den 15. November 1914. 


10. Jahrg. 


Zeitſchrift für Nechtspflegt 


Herausgegeben von 


Th. von der Pfordten 
Regierungsrat im F. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtig. 


in Bayern 


Berlag von 
3. Schweitzer Verlag 
(Arthur Zeller) 
Münden, Berlin u. Leiypig. 


(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.) 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /. 
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Prels viertel jabrlich : 
Mk. 8.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
jede Poſtanſtalt. 


anzeigen 20 Pfa. 


Leitung und Geſchäftsſtelle: Münden, Ottoſtraße 1a 
Anzeigengebübr 30 Pfg. für die halbgeſvaltene Petttzeile 
oder deren Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
Beilagen nach Uebereintunit. 


Nachdruck verboten. 393 


Berlefung der Ausſagen von Kriegs⸗ 
teilnehmern (§ 250 Etßd.). 


Von Oberlandesgerichtsrat Neumiller in München. 


Die Kriegsnotgeſetze vom 4. Auguſt 1914 ent⸗ 
halten nichts über Erleichterungen im Gebiet des 
Strafverfahrens.) Die Rechtſprechung iſt alſo 
gegenüber den Hemmniſſen zufolge des Kriegs 
wieder einmal auf ſich allein angewieſen, angeſichts 
des übermächtigen Formalismus in der deutſchen 
Strafrechtspflege eine mißliche Sache. Zwar hin⸗ 
ſichtlich der Kriegsteilnehmer als Angeklagter 
erledigen ſich die Fälle mangels Zuläſſigkeit einer 
Hauptverhandlung gegen Abweſende verhältnis⸗ 
mäßig einfach. In der Reviſionsinſtanz wäre 
allerdings das Erſcheinen des Angeklagten nicht 
nötig; das Reichsgericht ſetzt aber auch in ſolchen 
Fällen aus, wie den Tagesblättern zu entnehmen 
it.) Aehnlich werden die Strafgerichte auch die 
Rechtsmittel inzwiſchen Einberufener behandeln 
müſſen. Im übrigen wurde durch Entlaſſung 
von Unterſuchungsgefangenen zwecks Eintritts in 
den Heeresdienſt der Kriegslage ohnehin vielfach 
Rechnung getragen.) Praktiſch läuft dies alſo 


1) Ob dies freilich angeſichts der zahlreichen Streit⸗ 
fragen zu dieſen Notgeſetzen zu bedauern iſt, mag be⸗ 
zweifelt werden. Ihre Faſſung läßt eben die Rück⸗ 
ſichtnahme auf die tägliche Gerichtspraxis allzuſehr 
vermiſſen; über die Verſpätung ihrer Kundmachung 
in Sübbeutfchland wird noch beſonders zu reden fein. 
Im Jahre 1870 mußte man ſich in Bayern übrigens 
ohne jede derartige Notgeſetzgebung behelfen, obwohl 
bei Kriegsausbruch die bayeriſche Prozeßordnung ge⸗ 
rabe drei Wochen in Kraft war und über den Krieg 
überhaupt nichts enthielt. 

Bol. auch DJ Z. 1914 Sp. 1194. 

5) Wegen Strafurlaubs und Strafaufſchubs zwecks 
Eintritt in das Heer vgl. auch die preuß. allg. JMVerf. 
vom 5. Auguſt 1914 (JMBl. S. 660). Privatklagen 
gegen Kriegsteilnehmer behalten an ſich ihren Fortgang, 
obwohl fie gewiß minder wichtig find als Unterhalts- 
klagen von Frau und Kind, die der Unterbrechung verfallen. 


auf etwas Aehnliches hinaus, wie es das Geſetz 
Nr. 4437 vom 4. Auguſt 1914 für die Kriegsteil⸗ 
nehmer als Beklagte formell vorſchreibt. 
Schwieriger geſtaltet ſich die Rechtslage bezüglich 
ſolcher Kriegsteilnehmer, die im Inland als Zeugen 
oder als Sachverſtändige auftreten ſollen; hier 
kommen vor allem die Schwurgerichte in Betracht, 
weil bei ihnen eine Verſtändigung über den Um⸗ 
fang der Beweisaufnahme zwiſchen Gericht und 
Geſchworenenbank jo gut wie ausgeſchloſſen iſt. 
So zeigte ſich in den jetzigen erſten Kriegsſchwur⸗ 
gerichten ein ſchwer überbrückbarer Gegenſatz 
zwiſchen den ſtrengen Vorſchriften der StPO. in 
88 249 ff. über die Unmittelbarkeit der Beweis⸗ 
aufnahme einerſeits und der Notwendigkeit, monate⸗ 
lang bereits Verhaftete endlich ſachgemäßer Aburtei⸗ 
lung zuzuführen, andererſeits. Selbfſtverſtändlich 
lagen aus der Zeit vor dem Kriege nur unbeeidigte, 
ohne Zuziehung des Angeſchuldigten aufgenommene 
Zeugenvernehmungsprotokolle vor; 8 250 Abſ. 2 
war alſo nur anwendbar, wenn auf Verzicht des 
Verteidigers gerechnet werden konnte und weiter 
angenommen wurde, daß die nachträgliche Be⸗ 
eidigung „nicht mehr ausführbar“ war (Abſ. 3 
des 8 250). Denn andernfalls handelte es ſich 
um prozeßwidrig unbeeidigte Ausſagen eidesfähiger 
Zeugen, die doch unverlesbar waren. Konnte 
aber die nachträgliche nochmalige Vernehmung und 
Beeidigung als möglich angeſehen werden, fo mußte 
man eben dieſe herbeiführen und die Zeugen ent⸗ 
weder aus dem Felde herbeiladen oder die An⸗ 
geklagten bis zum Kriegsende oder bis zum Tod 
oder der Verwundung der Zeugen in Unterſuchungs⸗ 
haft fitzen laſſen. Man konnte aber auch — und 
dies geſchah beim Schwurgericht München — den 
umgekehrten Weg einſchlagen; wenn es ſich un⸗ 
möglich erweiſt, die Zeugen nochmals zu ver⸗ 
nehmen und zu beeidigen, weil ſie jetzt nicht ab⸗ 
köͤmmlich oder überhaupt nicht erreichbar ſind und 
weil der verhaftete Angeklagte unmöglich ſolange 


394 


der Freiheit beraubt fein kann, bis der Krieg be- 
endigt oder der Zeuge gefallen oder etwa in ein 
nahes Lazarett gebracht iſt, dann kommt über⸗ 
haupt nicht mehr Abſ. 2 des 8 250 StPO. 
(Krankheit, Gebrechlichkeit, weite Entfernung) 
in Betracht, ſondern eine dem Ab. 1 des 8 250 
aͤhnliche Lage. Damit entfällt dann auch jede Rück⸗ 
ſicht auf Zuſtimmung oder Widerſpruch des Ver⸗ 
teidigers. Abſ. 1 ſpricht freilich nur von Tod, 
Geiſteskrankheit oder Unermittelbarkeit des Aufent⸗ 
halts; das Reichsgericht iſt aber ſchon lange ge⸗ 
nötigt geweſen, eine ausdehnende Auslegung für 
ähnliche Fälle zuzulaſſen, insbeſondere für Sprach⸗ 
laͤhmungen (RGSt. Bd. 15 S. 409). Ander⸗ 
ſeits hat es wiederholt anerkannt, daß das Ver⸗ 
nehmungshindernis nicht für alle Zukunft als be⸗ 
ſtehend nachgewieſen fein muß (RG St. Bd. 4 
S. 416), ſondern daß es auf die zur ſachgemäßen 
Erledigung des Straffalls verſtändigerweiſe ver⸗ 
fügbare Zeit ankommt. So wird in Rſpr. Bd. 10 
S. 451 vorgerückte Schwangerſchaft als Verleſungs⸗ 
grund aus Ab. 2 angeſehen. Den gleichen Ge⸗ 
ſichtspunkt verwertet die einzige für den Kriegsfall 
paſſende veröffentlichte Entſcheidung des Reichs⸗ 
gerichts vom 16. November 1906) für die Ver⸗ 
leſung nach Abſ. 1 des 8 250. Dort wurde die 
Verleſung der Ausſage eines Angehörigen unſerer 
afrikaniſchen Schutztruppe gebilligt und zwar mit 
Rückſicht auf den fortwährenden Aufenthalts⸗ 
wechſel auf einem weitausgedehnten, ſchwer zugäng⸗ 
lichen Kriegsſchauplatz und ausdrücklich hervor⸗ 
gehoben, daß die perſönliche Vernehmung in einer 
für die Strafrechtspflege in Betracht zu nehmenden 
Zeit nicht zu erwarten ſei. Die Anwendbarkeit auf 
unſere Kriegslage im Auguſt und September 
iſt handgreiflich; es wird ganz abgeſehen von der 
Bayer. IMBek. vom 14. September 1914 (JMBl. 
S. 201), wornach ſolche Vernehmungen von Ange⸗ 
hörigen mobiler Truppen möglichſt zu vermeiden find, 
jedermann einleuchten, daß man nicht die Leute waͤh— 
rend des wechſelnden Kampfgewoges aus den Schützen⸗ 
graͤben an der Aisne herausholen und vor den Kriegs⸗ 
gerichtsrat zur kommiſſariſchen Vernehmung zitieren 
kann. Zweifellos würde ein folches Erſuchen, und 
zwar mit Recht, unausgeführt bleiben.“) Die Ver⸗ 
leſung entſpricht aber auch dem Gedankengang 
der StPO. ſelbſt: in erſter Linie perſönliche Ber: 
nehmung vor dem erkennenden Gericht, in zweiter 
ſolche vor einem beauftragten oder erſuchten Richter 
unter Zuziehung des Angeklagten; in letzter Linie 
als Notbehelf Verleſung der Ausſage, wie ſie liegt, 
um ſie im Intereſſe der Wahrheitsermittelung 
nicht völlig verloren gehen zu laſſen. 


) JW. 1907 S. 413 (V. StS.) auch abgedruckt im 
Recht 1906 Nr. 3466 (nicht, wie Daude anführt: 
Recht 10, 445). Im Löweſchen Kommentar iſt die Ent⸗ 
ſcheidung überhaupt nicht erwähnt. 

) Es handelt ſich hierbei um ganz andere Hinders 
niſſe als den regelmäßigen militariſchen Dienſtbetrieb 
im Frieden, der freilich einer Zeugenladung nicht ent— 
gegenſteht (Rechte 1910 Nr. 815). 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


Es wurde ſohin bei jeder Erſatzzuſtellung an 
einen Zeugen, mochte in der Zuſtellungsurkunde ein 
Einberufungsvermerk erſichtlich ſein oder nicht, ge⸗ 
naue Feſtſtellung durch die Gendarmerie über Ein: 
rückungstag, Truppenteil und letzte Nachrichten ver⸗ 
anlaßt; die naͤmlichen Fragen wurden beim Zeugen⸗ 
aufruf an die ſonſtigen Vorgeladenen aus der 
gleichen Ortſchaft gerichtet. Daraus ergab ſich faſt 
in jedem Fall völlige Klarheit darüber, an welchem 
Teile des Kriegsſchauplatzes der Zeuge vor einiger 
Zeit geweilt hatte, aber auch, daß der augenblickliche 
Aufenthaltsort überhaupt nicht zu ermitteln war. 
Gleichzeitig wurde vorſorglich das K. Kriegsmini⸗ 
ſterium um Auskunft über den dermaligen Auf⸗ 
enthaltsort des betreffenden Truppenteils erſucht; 
dieſe lautete dahin: „Das x⸗Regiment befindet ſich 
mobil im Felde; ſein Aufenthalt kann nicht bekannt 
gegeben werden“. Daraufhin erging dann jeweils 
Verleſungsbeſchluß z. B. mit folgender Begründung: 

„Es wird die Verleſung der richterlichen 
Unterſuchungsprotokolle über die frühere un⸗ 
beeidigte Vernehmung der Zeugen L., Kl. 
und Sch. angeordnet, weil dieſe Zeugen nach 
Gendarmeriebericht vom 19. ds. Mts. und 
Auskunft des K. bayer. Kriegsminiſteriums 
vom 24. ds. Mts. im Felde vor dem Feinde 
ſtehen und ihr Aufenthaltsort nicht angegeben 
werden kann, ſohin in der für eine Haftſache 
in Betracht zu ziehenden Zeit weder ihre eidliche 
perſönliche Vernehmung vor dem erkennenden 
Gericht, noch ihre kommiſſariſche Vernehmung 
möglich iſt, alſo eine dem Abſ. 1 des 8 250 
StPO. entſprechende Sachlage beſteht.“ 

Sämtliche Sachen, in denen eine derartige Ber: 
leſung ſtattfand, ſind beim VII. Münchener Schwur⸗ 
gericht durch ſofortige Unterwerfung des Angeklagten 
rechtskräftig geworden, eine Reviſionsentſcheidung 
iſt alſo nicht mehr zu erwarten. Es haben ſich 
auch deutlich die Grenzen der Zweckmäßigkeit einer 
ſolchen Verleſung gezeigt; ſie erwies ſich als praktiſch 
unerläßlich, aber auch ungefährlich in Tötungs⸗ 
fällen, bei denen ſich der Angeklagte auf Trunkenheit 
und Notwehr berief, dieſe Einwände aber durch 
unbeteiligte, nun ins Feld gerückte Zeugen (Be⸗ 
gleiter des Getöteten) widerlegt werden konnten. 
Hier wirkt die Verleſung der unbeeidigten Ausſage 
weitaus beſſer als eine Wiedergabe der Erhebungen 
durch den Unterſuchungsrichter oder Gendarmen. 
Bedenklich iſt die bloße Verleſung in Sachen, bei 
denen auf den perſönlichen Eindruck des Zeugen 
viel ankommt z. B. Meineidsanklagen: hier kann 
ſie etwa nur zur Beendigung einer langen Unter⸗ 
ſuchungshaft — ſelbſt um den Preis der Frei⸗ 
ſprechung — dienen. Meiſt wird aber Abſetzung 
oder Ausſetzung der Verhandlung nicht zu umgehen 
ſein, zumal wenn der alsdann haftentlaſſene Ange⸗ 
klagte ſelbſt ins Feld rücken muß. Ueber das Ergebnis 
einer neuen Verhandlung nach Kriegsbeendigung 
braucht ſich die Anklagebehörde freilich keine be⸗ 
ſonderen Hoffnungen zu machen. Notwendig wird 


die Ausſetzung vollends, wenn der im Felde befindliche 
Unterſuchungsrichter, z. B. über das Zuſtandekommen 
eines Geſtändniſſes, vernommen werden ſoll. 


Beſondere Erwähnung verdienen noch die „ver⸗ 
waiſten“ Sektionsprotokolle, wenn nämlich die beiden 
ſezierenden Aerzte ins Feld gerückt find. Ver⸗ 
nehmung des mitanweſenden Ermittlungsrichters 
kann in einfachen Fällen (Herzſtich u. dgl.) zu⸗ 

reichen; “) in einem Kindsmordfalle (Ausreißen der 

Zunge) wurden die bei der Sektion aufgenommenen 
Lichtbilder von den bei der Kindsauffindung be⸗ 
teiligten Zeugen übereinſtimmend als entſprechend 
beſtätigt und darnach das Gutachten von einem bis 
dahin mit der Sache nicht befaßten Gerichtsarzt 
erſtattet.“) Handelt es ſich aber um den urſäachlichen 
Zuſammenhang im engeren mediziniſchen Sinne, 
alſo um Einzelheiten des Sektionsprotokolls, ſo 
wird nichts als deſſen Verleſung nach $ 250 Abſ. 1 
StPO. erübrigen, denn es ift ſeiner Weſenheit nach 
ein Protokoll über eine Sachverſtändigenvernehmung 
(RGSt. Bd. 2 S. 153),9) die hinfichtlich des Befundes 
als ſolchen unerſetzlich iſt, genau wie die Ausſage eines 
ſachverſtändigen Zeugen. Und ein neu zugezogener 
Gutachter kann nur auf Grund des Prozeßſtoffes der 
Hauptverhandlung ſein Gutachten abgeben, darf alſo 
das Sektionsprotokoll nicht berückſichtigen, wenn es 
nicht Gegenſtand der Hauptverhandlung war. 


Das hier Erörterte betrifft freilich nur eine 
Uebergangsfrage; denn ſchon nach wenigen Monaten 
werden die allermeiſten Fälle aus der Zeit vor 
Kriegsausbruch erledigt ſein, deren Zeugen in das 
Feld gezogen find. Immerhin weiſen die aufge⸗ 
tauchten Fragen abgeſehen von ihrer praktiſchen 
Wichtigkeit einen derartig engen Zuſammenhang mit 
den Prozeßgrundlagen auf, daß ihre Darlegung 
nicht ohne Wert ſein dürfte.“) 


Ein Beitrag zur Auslegung des baheriſchen 
Fideikommißedikts⸗. 
Von Rechtsanwalt Link in Würzburg. 


Immer noch iſt der Streit um die Auslegung 
des § 84 TE. nicht geſchlichtet, weder in der Theorie 
noch in der Praxis. Einzelne Fideikommißgerichte 
geſtatten Stiftungsurkunden mit mehrmaligem 
„Familienwechſel“, andere wieder beſchränken ihn 
auf zwei Familien. 


e) Auch der Gerichtsſchreiber allein kann genügen. 

7) Das Leben nach der Geburt ſtand zeugſchaft— 
lich einwandfrei feſt (Zappeln, Schreien, Tod erſt in 
der Gebäranſtalt). 

8) Was freilich bei der in Bayern üblichen Faſſung („die 
Sektion hatte folgendes Ergebnis“) wenig hervortritt. 

) In ähnlicher Weiſe wurde nach einer dankens— 
werten Mitteilung des Herrn Landgerichtsdirektors 
Dr. Goebel-Berlin auch bei den dortigen erſten Kriegs⸗ 
ſchwurgerichten verfahren. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


395 


In der Theorie hat die im Jahre 1907 er⸗ 
ſchienene ausgezeichnete Schrift von Dr. Gottfried 
Ritter von Schmitt: „Der Familienwechſel nach 
bayeriſchem Fideikommißrechte“ der Anſicht erfolg⸗ 
reich durchzuhelfen verſucht, daß dem Fideikommiß⸗ 
ſtifter durch § 84 des Ediktes nicht verboten ſei, 
einen wiederholten Familienwechſel auf demſelben 
Fideikommiß anzuordnen; Dr. v. Schmitt iſt ſo⸗ 
gar noch weiter gegangen und hat behauptet, ge⸗ 
rade durch den 8 84 FE. ſei dem Stifter die Be⸗ 
fugnis eingeräumt worden, den wiederholten Fami⸗ 
lienwechſel anzuordnen. 

Eine in neuerer Zeit (1912) erſchienene Schrift 
von Dr. Adolf v. Grafenſtein: „Die Fideikommiß⸗ 
errichtung nach bayeriſchem Recht“ nimmt wieder 
einen gegenteiligen Standpunkt ein und erklärt 
nur einen zweimaligen Familienwechſel für erlaubt 
mit der weiteren Einſchränkung, daß unter „Fa⸗ 
milie“ nur die Deſzendenz des Stiſters zu ver⸗ 
ſtehen ſei. 

Es iſt ohne weiteres verſtändlich, daß eine Un⸗ 
ſicherheit auf dieſem Gebiete, wo zumeiſt hohe 
Werte und der Glanz ganzer Adelsfamilien in 
Frage ſtehen, nicht gleichgültig und daher ein Bei⸗ 
trag zur Klärung der Sache nicht unwillkommen iſt. 

Wie insbeſondere v. Schmitt in ſeinen Aus⸗ 
führungen darlegt, teilt ſich die Rechtsanwendung 
der Fideikommißgerichte in zwei Perioden: die 
Zeit vor und die nach 1876. 

Vor dem Jahre 1876 ſind in den Amts: 
blättern viele Ausſchreibungen über gerichtlich ge: 
nehmigte und in die Fideikommißmatrikel einge⸗ 
tragene Fälle der Anordnung wiederholten Familien⸗ 
wechſels veröffentlicht worden. 

Am 13. Juni 1876 erfolgte eine Entſcheidung 
des Obs G. (Bd. 6 a. F. S. 232), wonach die Er: 
richtung eines Familienfideikommiſſes auf zwei 
Familien beſchränkt ſei. Seit dieſer Zeit war 
die Praxis der Fideikommißgerichte geteilt: ein 
Teil derſelben hielt ſich an die ältere Richtung, 
wonach ein wiederholter Familienwechſel zuläſſig 
ſei, und ein Teil paßte ſich der neueren Recht⸗ 
ſprechung an. 

Die Entſcheidung vom 13. Juni 1876 fand 
im großen ganzen ihre Wiederholung in der Ent: 
ſcheidung vom 21. Juli 1891 (Bd. 13 a. F. S. 472), 
während ein neueres Erkenntnis (Bd. 11 n. F. 
S. 168) zu der von Dr. v. Schmitt vertretenen 
Anſicht hinzuneigen ſcheint, ohne allerdings ent⸗ 
ſcheidend Stellung zu nehmen. 

In all dieſen Fällen gipfelt die Auslegung in 
der doppelten Frage: Was verſteht § 84 JE. unter 
der „einen“ und was unter der „andern“ Familie 
und was iſt überhaupt unter Familie zu verſtehen? 


I. 


Unbeſtritten iſt zunächſt, daß unter der „andern“ 
Familie eine der vorbeſitzenden Familie vollſtändig 
fremde Familie verſtanden werden darf (v. Schmitt 
813 S. 25; von Graſenſtein S. 36). Es war 


396 


dies eine Neuerung gegenüber 8 24 des Majorais: 
edikts v. J. 1811, das die Wahl der nachzuberufenden 
Familie auf die Seiten verwandten der vorbeſitzenden 
Familie beſchränkte, und es dürfte wohl kein Zweifel 
darüber beſtehen, daß die Wahl der Worte 
„nicht nur — ſondern auch“ in 8 84 FE. 
gerade dieſe Neuerung einführen und hervorheben 
wollte gegenüber dem früheren Rechtszuſtand. 

Mit Recht betont v. Schmitt, es habe dieſe 
Satzfaſſung mit „nicht nur — ſondern auch“ die 
alte Familieneinheit verneint; zu weit aber geht es, 
wenn v. Schmitt erklärt, es habe die Faſſung 
„nicht nur — ſondern auch“ nicht nur einen ein⸗ 
zigen Fall von Familienwechſel, ſondern auch ge⸗ 
rade die Erlaubtheit eines wiederholten Familien⸗ 
wechſels zum Ausdruck bringen wollen. Hiezu 
gibt die grammatikaliſche Bedeutung der Ver⸗ 
bindungswörter „nicht nur — ſondern auch“ keine 
Veranlaſſung. Mit Recht nimmt auch v. Grafen⸗ 
ſtein gegen dieſe Anſicht Stellung. 

Es dürfte ſich deshalb richtigerweiſe in 8 84 
TE. zunächſt nur um die Gegenüberſtellung zweier 
Familien, nämlich der „einen“, der „erſten“ Fa⸗ 
milie und der „andern“, der der vorbeſitzenden 
fremden Familie handeln. 

Es verdichtet ſich ſohin die hier vertretene An⸗ 
ſchauung dahin, daß unter der „andern“ Familie 
des 8 84 nicht nur eine der „einen“, der „erſten“ 
Familie fremde Familie verſtanden werden darf, 
vielmehr daß hierunter eine fremde Familie ver⸗ 
ſtanden werden muß. 

Es hätte nach dem bisher Dargelegten keinen 
Zweck gehabt, mit dem ſchweren Satzbau „nicht 
nur — ſondern auch“ von einer andern Fami⸗ 
lie zu ſprechen, wenn darunter nicht etwas anderes 
zu verſtehen geweſen wäre als bis dahin auch, näm⸗— 
lich die Berufung von Seitenverwandten, von einer 
Familie mit gleichem Wappen, Helm und Schild. 

Dieſe Anſchauung läßt ſich noch dadurch ſtützen 
daß 8 84 Abſ. 2 FE. die Feſtſtellung für er: 
forderlich gehalten hat, daß auch die „letzte“, die 
„andere“ Familie des Abſ. 1 alle aus dem Mit⸗ 
eigentum fließenden Rechte hat, ſolange die erſte 
Familie nicht erloſchen iſt 

Für Fideikommißanwärter gleicher Familie 
hätte ſich das ſchon aus 3 42 FE. verſtanden. 

Als erſtes Ergebnis dürfte deshalb feſtzuhalten 
fein, daß unter der „andern“ Familie des § 84 
Abſ. 1 ſtets eine der „einen“, der „erſten“ ya: 
milie fremde Familie verſtanden werden muß. 

Damit widerlegt ſich auch gleichzeitig die An— 
ſicht, daß die Bezeichnung „andere“ Familie ein 
bloßer Zahlbegriff ſei und ſoviel wie „zweite“ 
Familie bedeute. 

Macht man ſich nun die von Dr. v. Grafen: 
ſtein angewandte Folgerung zu eigen: daß die in 
beſtimmter grammatikaliſcher Anordnung einander 
gegenüber 
müſſen, ſo muß man zu dem Schluß kommen, 


daß dann, wenn das in dem zweiten Satz mit 


geſtellten Begriffe gleichheitlich ſein 


„ſondern auch“ eingeführte Wörtchen „andere“ 
adjektiviſche Bedeutung hat und kein bloßer Zahl: 
begriff iſt, ebenſo auch dem mit „nicht nur“ ein⸗ 
geführten Wörtchen „einer“ gleichfalls kein bloßer 
Zahlbegriff inne wohne. 

Tatſächlich ſteht auch gar nichts entgegen dem 
Begriffe „einer“ Familie den Beiklang „irgend⸗ 
einer, einer gewiſſen, einer beſtimmten“ Familie zu 

eben. Der Begriff der „andern“⸗ der „fremden“ 
Familie nötigt ſogar hiezu. 

Hätte das „andere“ die reine Zahlbedeutung 
einer „zweiten“ Familie, ſo müßte ihr allerdings 
das „eine“ mit dem Sinne „einer einzigen“ Familie 
entſprechen. 

Es dürfte ſich deshalb nicht zu Unrecht die 
Folgerung ergeben, daß unter der „einen“ Familie 
des 5 84 FE. nicht etwa eine einzige Familie 
zahlenmäßig feſtgelegt werden wollte, ſondern daß 
nur der Gegenſatz zwiſchen der zunächſt im Auge 
gehabten einen Familie mit gleichem Wappen, 
Helm und Schild und der andern, der fremden 
Familie betont werden ſollte. 

Wahrend das Majoratsedikt die Berufung 
zur Majoratsfolge unter allen Umſtänden auf die 
Familie mit gleichem Wappen, Helm und Schild 
beſchränkte, hat das Fideikommißedikt auch eine 
fremde Familie zur Fideikommißfolge zugelaſſen. 

Daß dies im 8 84 FE. zum Ausdruck kommen 
ſollte, iſt allgemein anerkannt, daß aber nur dies 
zum Ausdruck kommen ſollte, iſt das Ergebnis 
obiger Ausführungen. 


II. 


Wenn auch die Gegenüberſtellung der „einen“ 
und der „andern“ Familie keine zahlenmäßige Feſt⸗ 
ſtellung zum Zweck hatte, ſondern nur die Neuerung 
gegenüber dem bisherigen Recht, namlich die Be: 
rufungsmöglichkeit einer ſtammfremden Familie 
zum Ausdruck bringen wollte, ſo erhebt ſich doch 
die Frage, ob nicht gleichzeitig eine Feſtlegung 
auf zwei Familien (Familie hier im weiteren 
Sinn gemeint) erfolgt ſei. 

Dr. v. Schmitt verneint dies, v. Grafenſtein 
bejaht es. 

Auf der Grundlage des hier gewonnenen Er⸗ 
gebniſſes, daß 8 84 FE. im Gegenſatz zu dem 
früheren Rechtszuſtand die Berufungsmöglichkeit 
einer fremden Familie feſtlegen wollte, iſt die Mög⸗ 
lichkeit der — ſukzeſſiven — Berufung mehrerer 
fremder Familien, alſo ein wiederholter Familien⸗ 
wechſel (Familie im weiteren Sinne), an ſich gegeben. 

Allein überwiegende Gründe ſprechen dagegen. 

Wenn v. Schmitt die adjektiviſche Bedeutung 
des Wörtchens „andere“ für ſeine Anſicht des 
wiederholten Familienwechſels ins Feld führt, ſo 
iſt dies kein bündiger Beweis. 

Es kann eine Mehrheit bedeuten, muß ſie 
aber nicht bedeuten. Eine andere Familie iſt 
jede andere Familie, bleibt es aber auch dann. 
wenn ſie nur für ſich allein betrachtet wird. In 


dieſem Fall verſchiebt ſich dann die Betonung 
unmerklich auf das „ein“, ſo daß aus einer 
andern Familie eine andere Familie wird. 

Es bleibt ſohin die Möglichkeit offen, daß in 
der Gegenüberſtellung „einer“ Familie mit einer 
„andern“ Familie in $ 84 FE. eben nur eine 
andere Familie gemeint, alſo nur ein einmaliger 
Familienwechſel gewollt war; die adjektiviſche Be⸗ 
deutung des Wörtchens „andere“ iſt zahlenmäßig 
indifferent und beweiſt deshalb für einen wieder⸗ 
holten Familienwechſel nichts. 

Wenn v. Schmitt ferner für ſeine Anſicht an⸗ 
führt, daß das Wörtchen „einer“ unbeſtreitbar 
Zahlbedeutung habe und alsdann in der Faſſung 
„nicht nur einer“ Familie eine Reihenfolge er⸗ 
öffnet werde, die eine zweite Familie jedenfalls 
einbegreife, weitere Familien aber nicht ausſchließe, 
ſo iſt auch hierdurch nur die Möglichkeit gegeben, 
daß weitere Familien nicht ausgeſchloſſen find, 
für eine Wahrſcheinlichkeit deſſen liegt gar kein An⸗ 
halt vor; es kann ebenſogut die Reihenfolge bei 
der zweiten Familie bereits abgebrochen werden. 

Die weitere Anſicht v. Schmitts endlich, daß die 
gewichtige Konſtruktion mit „nicht nur — ſondern 
auch“ offenbar nicht nur einen einmaligen 
Familienwechſel habe einführen wollen, widerlegt 
ſich, wie ſchon oben dargetan, damit, daß eben nach 
Schmitts eigener Anſicht im köchſtbedeutſamen Gegen⸗ 
ſatz zum früheren Recht die Berufungsmöglichkeit 
einer andern, ſtammfremden Familie eröffnet wurde. 

Aus dem Wortlaut des Geſetzes ergibt ſich 
ſohin nichts für die von v. Schmitt vertretene An⸗ 
ficht, daß eine Mehrzahl von Familien berufen 
werden könne. Im Gegenteil, der Wortlaut ſteht 
dem entgegen. 

Wenn im Vorgehenden behauptet wurde, daß 
die Worte zum Vorteil „einer“ Familie nicht 
bloße Zahlbedeutung, ſondern den Beiklang „einer 
gewiſſen, einer beſtimmten“ Familie hätten, jo kann 
trotzdem unbedenklich zugegeben werden, daß ihm 
auch Zahlbedeutung innewohnt; auch die gewiſſe, 
beſtimmte Familie iſt eine Familie. 

Nachdem nach dem früheren Recht nur eine 
einzige Familie (im weiteren Sinne) majorats⸗ 
berechtigt und jede fremde Familie ausgeſchloſſen 
war, § 84 FE. aber dem alten Recht gerade die 
Neuerung gegenüberſtellen wollte, ergibt ſich, daß 
die „eine“ Familie in § 84 die Repräſentantin 
des alten Rechts iſt und ſohin auch die Zahl⸗ 
bedeutung des alten Rechts beibehalten hat. 

Wie ſchon oben dargetan, beſteht die Mög: 
lichkeit, daß unter dem Begriff einer andern 
Familie zugleich auch nur eine andere Familie 
verſtanden wird; da ferner das alte Recht nur 
eine einzige Familie im Auge hatte und die 
Neuerung ſich, wie dargetan, auf die Berufung 
der ſtammfremden Familie beſchränkt, ſo iſt wohl 
mit gutem Grund anzunehmen, daß auch nur 
eine einzige ſtammfremde Familie ſollte nach— 
berufen werden können. Wenn das alte Recht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


— . ———— u .—ä ä — cͥe. 9iͤb̃—' ů—ͤ ͤ)' — — ũ—— —b——-itlꝛ—.——— — — 


397 


nur die Berufung einer einzigen Familie zuließ, 
ſo läßt das neue Recht auch nur die Nachberufung 
einer einzigen fremden Familie zu. 

Das oberſte Landesgericht hat in ſeiner Ent⸗ 
ſcheidung vom 13. Juni 1876 ausgeführt, wenn 
das Geſetz mehrere Familien und nicht nur 
eine zweite habe nachberufen wollen, ſo wäre 
der Ausdruck „zum Vorteil anderer Familien“ 
nahegelegen und wäre nicht der „einer andern 
Familie“ gewählt worden. 

Dem ſtellt v. Schmitt entgegen, daß hiebei 
überſehen ſei, daß der ganze Abſ. 1 des § 84 in 
Singularkonſtruktion ſtehe, ſowie daß die Wendung 
„ſondern auch andern Familien“ dem Zweifel 
Raum gegeben hätte, ob das Fideikommiß nicht 
auch gleichzeitig mehreren Familien zuſtehen 
könne (Kondominatfideikommiß). 

Allein dem iſt entgegen zu halten, daß der 
8 84 Abſ. 1 nur ſoweit in Singularkonſtruktion 
ſteht als er dieſelbe anwenden mußte um den 
rechten Sinn auszudrücken; ohne Aenderung ſeines 
Sinnes hätte er nicht in Pluralkonſtruktion ſtehen 
können; es handelt ſich alſo keineswegs um eine 
bloße Stilangleichung; ſodann hätte die Plural⸗ 
wendung „zum Vorteil anderer Familien“ — wenn 
fie bedacht geweſen wäre — jedenfalls zu keinen 
größeren Zweifeln Anlaß gegeben als die jetzige 
Singularfaſſung, falls damit eine Mehrheit aus⸗ 
gedrückt werden ſollte. 

Es iſt auch nicht wahrſcheinlich, daß die Plural⸗ 
wendung „zum Vorteil anderer Familien“ Ver⸗ 
anlaſſung gegeben hätte, an die Einführung eines 
Kondominatfideikommiſſes zu denken; zu dieſer 
Annahme hätte höchſtens die Faſſung „zum Vor⸗ 
teil mehrerer Familien“ verleiten können. 

Ganz beſonders aber hätte die Pluralkonſtruktion 
dann auch in Abſ. 2 des 8 84 in Erſcheinung 
treten müſſen und wäre hier unſchwer klarzu⸗ 
ſtellen geweſen, ob in Abſ. 1 ein Kondominat⸗ 
fideikommiß gemeint war oder nicht. 

Die Einwände v. Schmitts find alſo nicht 
durchſchlagend. 

Als nicht überzeugend wirkt anderſeits aber 
auch die Ausführung des ObLG. (Bd. 6 S. 232), 
daß für die engere Auslegung, für die Beſchränkung 
auf zwei Familien beſonders die Gegenüberſtellung 
der „erſten“ und der „letzten“ Familie in Abſ. 2 
des § 84 ſpreche. 

An ſich würde es ja wohl nahe liegen, den 
Wörtchen „erſten“ und „letzten“ Zahlbedeutung 
beizulegen; dann aber müßte man eine Mehrzahl 
von Familien annehmen, denn nur dann wäre 
dieſe Ausdrucksweiſe korrekt. Dieſe Folgerung kann 
aber aus inneren Gründen nicht gezogen werden, 
vielmehr nötigt der Sinn des § 84 zu dem Schluſſe, 
daß unter der „letzten“ Familie in Abſ. 2 die 
„andere“ Familie in Abſ. 1 zu verſtehen ſei. Die 
Wörtchen „erſte“ und „letzte“ haben alſo nicht 
Zahlbedeutung, ſondern ſind hinweiſende Fürwörter 
mit dem wirklichen Inhalt „erſtere“ und „letztere“ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


— — — — 


Die Beweisführung des Oberſten Landesgerichts 
ergibt alſo für ſich allein kein überzeugendes Reſultat; 
nur mit Rückſicht auf die bereits vorgetragenen 
anderen Gründe iſt das Ergebnis, daß es ſich nur 
um zwei zur Fideikommißfolge berechtigte Familien 
handle, als richtig anzuerkennen. 

Nicht überzeugend iſt auch das Argument 
Dr. v. Schmitts, daß das Edikt von 1818, wo 
es von erſter und anderer Familie ſpricht, nicht von 
der erſten und der anderen, ſondern von der 
erſten und einer anderen Familie rede, wenn es 
eine Einheit bezeichnen wolle. 

Es kommt m. E. überhaupt nur eine Stelle 
in dem ganzen Edikt vor, die zum Vergleich heran⸗ 
gezogen werden könnte: in § 86. 

Allein dieſer Hinweis iſt nicht ſtichhaltig. 

Wo der beſtimmte Artikel gebraucht wird, iſt 
auch bereits eine beſtimmte Familie ins Auge ge⸗ 
faßt, wo aber der unbeſtimmte Artikel gebraucht 
wird, iſt noch keine beſtimmte Familie gemeint, 
ſondern eben irgendeine. Dies erſieht man deutlich 
aus 8 84 ſelbſt: 

Ein Fideikommiß kann errichtet werden nicht 
nur zum Vorteil einer (S irgend einer) Familie, 
ſondern auch zum Vorteil einer (S irgend einer) 
andern Familie. 

In Abſ. 2 heißen dieſe nunmehr bereits be⸗ 
zeichneten Familien aber die erſte und die letzte, 
wofür man nach den früheren Ausführungen ebenſo⸗ 
gut ſagen dürfte die eine und die andere. 

Es würde ſohin gerade dieſe Argumentation 
dazu führen, daß in $ 84 nur zwei Familien ein: 
ander gegenüber geſtellt ſind. 

Da ſohin alle Gründe verſagen für die An: 
nahme eines mehrfachen Familienwechſels, iſt daran 
ſeſtzuhalten, daß $ 84 nur zwei Familien einander 
gegenüberſtellt. 

Das weitere Ergebnis iſt ſohin folgendes: 

Es kann nur eine der erſten Familie 
fremde Familie nachberufen werden. 


III. 


Gegenüber dieſem Ergebnis erhebt ſich ſofort 
als nächſte zum mindeſten ebenſo umſtrittene Frage 
die, was unter der „Familie“ in dieſem Sinn zu 
verſtehen ſei. 

Alle Fideikommißſtiftungen, ſoweit dies zu er— 
ſehen war, und damit auch die Entſcheidungen der 
ſämtlichen Fideikommißgerichte würden dem ge— 
wonnenen Ergebnis ſcharf gegenüber ſtehen, wenn 
unter der Familie nur die engſte Bedeutung des 
Wortes d. h. wenn nur die Deſzendenz des Stifters 
(genauer geſagt: die Deſzendenz des erſten Fidei— 
kommißinhabers) hierunter zu verſtehen wäre. 

Es waͤre auch ein Widerſinn, wenn nur ein 
einmaliger Familienwechſel derart ſtattfinden dürfte, 
daß wohl eine der Deſzendenz des Stifters fremde 
Familie, nicht aber eine derſelben nächſtverwandte 
Familie zur Fideikommißfolge berufen werden dürfte, 


— — . ß —ꝛ —E—.3333333 — T ————— — — . ——— — . —-¾᷑¾ xx... ̃ ð ůwH Vw j ̃7jß—ß—̃,jß7—icĩi ˙— ꝗ¶¾ ] — 


obgleich der Zweck der Fideikommiſſe doch unbe⸗ 
ftreitbar der iſt, den Glanz einer beſtimmten Familie 
zu ſichern. 

Es zwingt mithin ſchon dieſe Erwägung dazu, 
daß die Bedeutung des Wortes Familie in 8 84 
FE. nicht die ſein kann, daß hierunter nur die 
Deſzendenz des Stifters zu verſtehen ſei. 

Dies Ergebnis findet auch im folgenden ſeine 
Stütze: Statt aller weiteren Ausführungen ſei 
hier der Kürze halber auf die Darlegungen bei 
v. Grafenſtein S. 27 —29 bezug genommen, woraus 
ſich ergibt, daß die gemeinrechtliche Auffaſſung und 
auch die des bayeriſchen Landrechts dahin ging, 
daß unter der Familie die Geſamtheit aller Per⸗ 
ſonen gleichen Namens und gleichen Wappens zu ver⸗ 
ſtehen ſei. Dieſer ja auch anderweit von nam⸗ 
haften Vertretern der Wiſſenſchaft angewandte Be⸗ 
griff der Familie wird auch von Dr. v. Grafenſtein 
in einer jo klaren Weife dargelegt, daß man am 
Ende ſeiner diesbezüglichen Ausführungen die volle 
Ueberzeugung hat, daß der Begriff der Familie 
in 8 84 FE. kein anderer fein könne als dieſer — 
bis man plötzlich und unvermutet doch das Gegen⸗ 
teil glauben ſoll. 

Die Begründung hiefür wirkt denn auch im 
Gegenſatze zu derjenigen der zurückgewieſenen Auf: 
faſſung gar nicht überzeugend: 

Daß der Stifterwille nicht mehr wie im Land⸗ 
und gemeinen Recht das primär Maßgebende Jet, 
iſt nur in der Beſchraͤnkung des § 13 des Edikts 
zuzugeben. Gerade der Stifterwille aber iſt es, wie 
hier vorausgegriffen ſei, der gem. 8 1 F E. den 
engeren oder weiteren Kreis der Fideikommißbeſitzer 
beſtimmt, der entweder das Fideikommiß auf 
mehrere Geſchlechtsfolger beſchränkt oder auf alle 
ausdehnt. 

Als verfehlt muß es bezeichnet werden, den in 
5 84 FE. angewandten Familienbegriff aus 8 77 
folgern zu wollen. 

8 77 regelt nichts anderes als die Art der Erb: 
folge innerhalb der Familie, nämlich den Ueber: 
gang des Fideikommiſſes von dem jeweiligen Fidei⸗ 
kommißbeſitzer auf deſſen eheliche Nachkommen; daß 
damit eine Definition der „Familie“ gegeben ſei, 
iſt rundweg zu verneinen. 

Es iſt falſch zu behaupten, dadurch daß das 
Geſetz erkläre, das Recht zur Erbfolge gehe von ihm. 
dem Konſtituenten, auf die Nachkommen über, ſei 
zum Ausdruck gebracht, daß Aſzendenten und Seiten⸗ 
verwandte des Stifters unbedingt ausgeſchloſſen 
ſeien, da fie keine „Nachkommen“ des Stifters ſeien. 

Dieſe Schlußfolgerung iſt deshalb nicht richtig. 
weil ihre Vorausſetzung nicht ſtimmt, daß nämlich 
das Fideikommiß nur zugunſten einer Perſon. 
des Stifters oder eines Dritten, errichtet werdenkönne. 

Wendet man den Begriff der Familie an, wie 
v. Graſenſtein es will, dann muß man notwendig 
eine einzelne Perſon, für die (und deren Nachkommen 
das Fideikommiß errichtet wurde, vorausſetzen. Das 
dürfte aber ſchon um deswillen abzulehnen ſein, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


weil bereits 8 1 FE. die Unterſcheidung von einzelnen 
Perſonen und Familien macht, ſohin die Fidei⸗ 
kommißerrichtung zugunſten ganzer Familien zuläßt. 

Man kann demgegenüber nicht einwenden, 
daß die Worte in 8 1 „zum Vorteil adeliger Per⸗ 
ſonen und Familien“ etwa das gleiche beſagen 
oder daß das Wort Familie dort auch in dem 
Sinn einer berufenen Einzelperſon und deren De⸗ 
ſzendenz zu deuten ſei. 

Daß unter der „adeligen Perſon“ keine bloße 
Einzelperſon, ſondern auch zugleich deren De⸗ 
ſzendenz zu verſtehen iſt, ergibt ſich mit Notwendig⸗ 
keit aus dem Zweck des Fideikommiſſes, das ja 
der Erhaltung eines Geſchlechtes dienen ſoll 
und es verlangt notwendig eine Vermögensbindung 
entweder auf alle oder doch mehrere Geſchlechts⸗ 
folger dieſer „adeligen Perſon“. 

Wenn man den Familienbegriff v. Grafenſteins 
in 8 1 zugrunde legt, wird man gezwungen in 
den Worten „adeliger Perſon und Familien“ eine 
Tautologie zu erblicken. 

Faßt man aber den Familienbegriff in weiterem 
Sinne auf, ſo kommt man zu dem Reſultat, daß 
man ein Fideikommiß auch errichten kann zu⸗ 
gunſten der Deſzendenz einer nicht mehr 
lebenden Perſon. 

Dieſe Deſzendenz wird auch zuſammen ge⸗ 
halten durch einen gemeinſamen Stammvater; 
der Unterſchied iſt nur der, daß er nicht mehr 
lebt, während die einzelne adelige Perſon als 
Stammvater lebt und ſelbſt berufen iſt. 

Auf ſolche Weiſe ergibt ſich ungezwungen eine 
Unterſcheidung zwiſchen den Begriffen „adeliger 
Perſon und Familie“ in 8 1 FE., die den Worten 
auch einen Inhalt gibt. 

Der Begriff Familie in 8 1 iſt ſohin nicht 
der, daß hierunter eine beſtimmte berufene Per⸗ 
ſon und deren Deſzendenz zu verſtehen ſei. 

Von Bedeutung iſt aber beſonders noch der 
Umſtand, daß die Auslegung v. Grafenſteins den 
Inhalt des 8 77 FE. nicht erſchöpft, indem die 
Worte „das Recht zur Erbfolge gründet ſich in 
der Anordnung des Konſtituenten“ vollſtändig 
außer acht gelaſſen werden. 

Mit dieſen Worten ſoll doch jedenfalls aus⸗ 
gedrückt fein, daß der Stifter über die Erb⸗ 
folge in das von ihm errichtete Fideikommiß zu 
verfügen hat, daß ſein Wille maßgebend iſt und 
über das Schickſal des Fideikommiſſes beſtimmt — 
ſoweit natürlich das Geſetz nicht entgegenſteht. 

Legt man nun den engen Familienbegriff hier 
zugrunde, ſo bleibt von dem Recht des Stifters 
die Erbfolge zu beſtimmen nichts mehr übrig: 

Gemäß § 77 geht von ihm oder von demjenigen, 
zu deſſen Gunſten er das Fideikommiß errichtete, 
die Erbfolge auf die ehelichen Nachkommen über; 
hieran kann der Stifter nicht rütteln. Es ſteht 
ihm auch nicht frei zu beſtimmen, auf welchen 
dieſer Nachkommen das Fideikommiß übergehen 
ſoll, denn 5 87 FE. beſtimmt die Erſtgeburtsfolge. 


—— — ö—ñ4lñ ' — — b]. • Ll&—ñ— 4 ͤ nn — 


399 


Es iſt dem Stifter durch 8 77 auch nicht das 
Recht vorbehalten an Stelle der einen Familie 
(i. e. S.) dann eine andere nachzuberufen, denn 
dieſes Recht iſt ihm ja angeblich in § 84 eingeräumt. 

So bleibt bei Anwendung des engen Familien⸗ 
begriffes von dem Recht des Konſtituenten über 
das Erbfolgerecht Anordnungen zu treffen nichts 
übrig als leere Buchſtaben. 

Legt man aber den weiteren Begriff der Fa⸗ 
milie zugrunde, ſo gewinnen die Buchſtaben Inhalt: 

Kraft Geſetzes iſt das Erbfolgerecht zwar an 
die ehelichen Nachkommen in Erſtgeburtfolge ge⸗ 
bunden, der Stifter kann aber anordnen, welche 
Linie der Familie (i. w. S.) jeweils nach Aus⸗ 
ſterben der vorgängigen Fideikommißinhaber zur 
Erbfolge berufen ſein ſoll, in freiem Belieben 
waltet hier ſein Wille, hier gründet ſich das Recht 
zur Erbfolge wirklich auf ſeine Anordnung, waͤhrend 
fie ſich andernfalls, bei der Familie i. e. S., nur 
auf das Geſetz gründen würde, ſo daß alſo das 
Gegenteil deſſen ereicht wäre, was das Geſetz in 
8 77 beſtimmen wollte. 

Man kann nicht einwenden, daß es in der freien 
Anordnung des Konſtituenten liege, zu weſſen Vor⸗ 
teil er das Fideikommiß errichten wolle, denn 
8 77 handelt nicht vom Anordnungsrecht des Stif⸗ 
ters zur Berufung, ſondern zur Erbfolge. 

Man kann auch nicht einwenden, Berufung 
zum Fideikommiß und Erbfolge in dasſelbe feien 
das gleiche. 

Wer annimmt, daß Familie nur die De⸗ 
ſzendenz des erſten Fideikommißinhabers ſei, für 
den iſt berufen nur der erſte Inhaber, die Erb⸗ 
folge tritt nur für ſeine Deſzendenz in Erſchei⸗ 
nung. Wer annimmt, daß Familie im wei⸗ 
teren Sinn zu verſtehen ſei, für den fließen nur 
bei den nachberufenen Linien Berufung und Erbfolge 
zuſammen, denn die Erbfolge derſelben gründet in 
der Berufung, in der Anordnung des Konſtituenten. 
Man kann auch nicht einwenden, die Singular⸗ 
faſſung des 8 77 — „das Recht zur Erbfolge ... 
geht . .. von demjenigen zu deſſen Vorteil der 
Stifter das Fideikommiß errichtet hat, auf die 
ehelichen Nachkommen über“ — beweiſe, daß nicht 
eine Mehrzahl von Perſonen (und deren De⸗ 
ſzendenz) zur Erbfolge berufen werden könne. Die 
Singularkonſtruktion beweiſt gar nichts; der Zweck 
dieſes angeführten Teilſatzes iſt lediglich die Rege⸗ 
lung der Erbfolge für die Nachkommen einer be⸗ 
reits berufenen Perſon, nicht aber die Regelung 
des Perſonenkreiſes, zu deſſen Vorteil das Fidei— 
kommiß errichtet werden kann. 

Er enthält zugleich die Regelung der Erb— 
folge für die Nachkommen jeder berufenen Per⸗ 
ſon, ſo daß ohne Aenderung des Satzſinnes auch 
geſchrieben ſein könnte: die Erbfolge geht von 
jedem, zu deſſen Vorteil das Fideikommiß er— 
richtet iſt, auf die ehelichen Nachkommen über. 
Damit iſt dem „demjenigen“ jede Einheitsbe— 
deutung genommen. 


400 


Tatſächlich muß auch, wer Familie in dem 
engen Sinn der Dedſzendenz einer berufenen 
Perſon auslegt, auf Grund des in 8 84 ein⸗ 
geräumten einmaligen Familienwechſels unter dem 
„demjenigen“ in $ 77 wenigſtens zwei Perſonen 
verſtehen, ſo daß auch von dieſem Standpunkt aus 
unbedenklich die Faſſung des § 77 lauten dürfte: 
das Recht zur Erbfolge geht von denjenigen 
zu deren Vorteil das Fideikommiß errichtet iſt, 
auf die ehelichen Nachkommen über. 

Es iſt ſohin auch in 8 77 ausgeſprochen, daß 
ein Fideikommiß zum Vorteil mehrerer Perſonen 
errichtet werden kann, daß 8 77 fo wenig wie bei⸗ 
ſpielsweiſe 8 1924 BGB. eine Definition der Ja⸗ 
milie gibt, ſondern lediglich eine Erbfolgeordnung 
aufſtellt. 

Es hat ſich alſo kein ſtichhaltiger Grund 
dafür ergeben, daß der bis zur Schaffung des 
Fideikommißediktes übliche Begriff der „Familie“ 
geändert und aufgegeben ſei. 

Weder § 77 noch ſonſt einer der Paragraphen 
des FE. enthält eine Definition des Begriffes 
Familie und $ 84 bedeutet mit feiner Faſſung 
„nicht nur — ſondern auch“ jedenfalls keine Ein⸗ 
engung des bisherigen Rechtszuſtandes; der Rechts⸗ 
zuſtand aber war in dem Edikt von 1811 unbe⸗ 
ſtrittenermaßen der, daß der Stifter nicht nur ſeine 
Deſzendenz, ſondern auch die Seitenverwandten 
ſeines Namens und Stammes berufen konnte. Daß 
dieſer Rechtszuſtand von dem Fideikommißedikt 
nicht beſeitigt, ſondern aufrechterhalten werden 
wollte, hat v. Schmitt wohl einwandfrei dargetan. 

Da wie früher nachgewieſen wurde, 8 84 FE. 
unter der andern Familie nur eine fremde 
Familie verſteht, muß ſohin der von dem Majo⸗ 
ratsedikt geſtattete Familienwechſel innerhalb der 
Grenzen der einen Familie des 8 84 liegen, 
d. h. es muß der Begriff Familie hier im 
weiteren Sinn aufgefaßt werden. 

Gleiches gilt dann natürlich auch für die 
andere Familie. 

Dieſer weitere Familienbegriff iſt dann auch 
in 8 77 vorausgeſetzt und es findet dieſe Anſicht ihre 
Beſtaͤtigung darin, daß nur bei Zugrundelegung 
des weiteren Familienbegriffes das dem Stifter 
in 877 eingeräumte Erbfolgeanordnungsrecht eine 
Bedeutung gewinnt. 


IV. 


Endlich ſei auch noch zu den Entſch. des 
BayObGH. in Bd. 6 und 13 Stellung genommen. 

In Bd. 6 und ebenſo bei v. Grafenſtein iſt 
behauptet, unter „Familie“ ſeien nur die Nach— 
kommen eines beſtimmten Familienhauptes zu ver— 
ſtehen; daß auch dieſes Familienhaupt ſelbſt hiezu 
gehöre, iſt nicht ausdrücklich behauptet, obgleich dies, 
wie noch darzutun iſt, nicht bedeutungslos bleibt. 

Indeſſen ſoll gegen dieſe Definition grund— 
ſätzlich gar nichts eingewendet werden, es fragt 
ſich nur, von welchem Stammvater man ausgeht. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


Wenn der Stifter nur ſeine Deſzendenz be⸗ 
ruſt, dann beruft er ſeine Familie, wenn der 
Stifter auch feine Brüder beruft, jo beruft er die 
Deſzendenz ſeines Vaters uſw., alſo ſtets die 
Deſzendenz eines beſtimmten Familienhauptes. 

Dieſe Folgerung lehnt die Entſcheidung in 
Bd. 6 ab mit der Berufung auf 88 77 nnd 84 
JE., woraus ſich ergebe, daß unter Familie nur 
die Deſzendenz des Stifters oder des berufenen 
Dritten zu verſtehen ſei. 

Der Begriff Familie erfordert aber nur die 
Abſtammung von einem gemeinſamen Stamm⸗ 
vater, das Wegfallen eines Familienmitgliedes 
— ſei dies auch der Stammvater ſelbſt — zer⸗ 
ſtört die Familie nicht. 

In weiterer Ausdehnung bleibt deshalb auch 
die Familie früherer Stammeltern beſtehen, wenn 
man nur jeweils den entſprechenden Stammvater 
ins Auge faßt. Je nachdem, ob von 4, B, C, D 
uſw. ab gerechnet wird, iſt man auch berechtigt 
von der Familie A, B, C, D uſw. zu ſprechen. 

Wenn nun das Fideikommißedikt in 8 1 die 
Errichtung von Fideikommiſſen nicht nur zugunſten 
adeliger Perſonen, ſondern auch zugunſten adeliger 
Familien geſtattet, iſt gar nicht einzuſehen, warum 
der Stifter gerade die Familie D ſollte berufen 
müſſen, weil deren Stammvater noch lebt, und 
nicht auch die Familien A, B, C, deren Familien⸗ 
haͤupter nicht mehr leben. 

Man definiert doch: Familie ſei die De⸗ 
ſzendenz eines beſtimmten Jamilienhauptes, und 
hier handelt es ſich ja um die Deſzendenz be⸗ 
ſtimmter Familienhäupter. 

Wofür iſt die Gegenüberſtellung der Errich⸗ 
tungsmöglichkeit von Fideikommiſſen für adelige 
Perſonen und Familien in 8 1 JE, wenn 
damit nicht zum Ausdruck gebracht iſt, daß erſteren⸗ 
falls eine Einzelperſon (und was gem. 877 
ſelbſtverſtändlich iſt, auch deren Deſzendenz), letz⸗ 
terenfalls aber die Familie d. h. die De⸗ 
ſzendenz einer Perſon berufen werden kann? 

Ob deren Stammvater nicht berufen werden 
will oder nicht mehr berufen werden kann, da 
er nicht mehr am Leben iſt, dürfte einen inneren 
Unterſchied kaum begründen, es wird eben die 
Deſzendenz eines beſtimmten Familienhauptes 
berufen. 

Die Aufſtellung, daß der Stammvater einer 
berufenen Familie ſtets mitberufen ſein müſſe, 
wie ſie in Bd. 6 S. 234 und wenn auch mit 
geringerem Nachdruck in Bd. 13 S. 474 ver⸗ 
treten wird, kann mit Rückſicht auf die vom Be: 
ſetz ſelbſt gemachte Unterſcheidung der Berufung 
von Einzelperſonen (und deren Deſzendenz) und 
von Familien nicht gehalten werden, zumal beide 
Entſcheidungen Familie lediglich als die Deſzendenz 
des Stifters oder des Dritten definieren. 

Auf dieſer Grundlage erledigt ſich ein Fall. 
wie er in dem von Dr. v. Schmitt aufgeführten 
Beiſpiel ſich ergibt, ohne jede Schwierigkeit für 


die Vertreter des engeren oder des weiteren 
Familienbegriffes: 

Wenn ein mit ſieben Söhnen geſegneter Stifter 
ein Fideikommiß zugunſten ſeiner Familie errichten 
will, muß er nach der Anſicht des Oberſten Landes⸗ 
gerichts ſich ſelbſt zum erſten Inhaber einſetzen, denn 
nur dann kann ſich das Fideikommiß auf ſeine 
fieben Söhne und deren Deſzendenz vererben. 
Unterläßt er dies und beruft er unter Ausſchluß 
ſeiner Perſon nur ſeine Söhne, verringert er 
alſo von vornherein die Reihe der Fideikommiß⸗ 
inhaber um eine Perſon — und um die ganze 
„andere“ Familie mit deren ganzer Deſzendenten⸗ 
reihe —, ſo iſt der oberſte Gerichtshof der Anſicht, 
daß der Stifter damit eine ungeſetzliche Er⸗ 
weiterung der Fideikommißanwärter um fünf 
Familien und deren ganzer Geſchlechtsfolge an: 
ſtrebe und verbietet ihm das; denn es iſt gem. 
8 84 nur ein einmaliger Familienwechſel ſtatthaft 
und Familie iſt nach ſeiner nunmehrigen Anſicht 
die Deſzendenz einer beſtimmten zur Fideikommiß⸗ 
folge berufenen Perſon. 

Daß dieſes Ergebnis einem geordneten Rechts⸗ 
empfinden nicht entſpricht, darüber beſteht kein Zweifel. 

Die Rechtfertigung, welche v. Grafenſtein dieſem 
„betrüblichen Ergebnis“ erteilt, daß eben der Stifter 
ſich der ſtrengen Auffaſſung des Geſetzes fügen und 
gegebenenfalls das Bedauerliche dieſer Geſetzeshärte 
in Kauf nehmen müſſe, iſt eine unbefriedigende 
Reſignation, der man ſich nicht hinzugeben braucht. 

Es iſt, wie ſchon dargetan, nicht wahr, daß dann 
wenn eine beſtimmte Familie berufen wird, auch 
gleichzeitig deren Familienhaupt mitberufen ſein 
müſſe. Läßt man dieſe — nach dem Geſetz ganz 
unbegründete — Vorausſetzung fallen, ſo bleibt 
das Ergebnis ganz das gleiche, ob das Familien⸗ 
haupt berufen iſt oder nicht: es iſt die geſamte 
Deſzendenz — in dem gegebenen Beiſpiel alle 
ſieben Söhne und deren Deſzendenz — als eine 
Familie berufen. 

In kurzer Zuſammenfaſſung iſt das geſamte 
Ergebnis ſohin folgendes: 

In 884 FE. iſt der einmalige Wechſel 
des Fideikommiſſes von einer Familie 
auf eine derſelben ſtammfremde Familie 
geregelt. 

Gemäß 8 1 FE. iſt ſowohl die Berufung 
einzelner Perſonen einſchließlich deren 
Deſzendenz wieauchdie Berufung ganzer 
Familien geſtattet. Bei Berufung einer 
Familie iſt deren Familienhaupt nicht 
mitberufen. 

Das Geſetz geſtattet in $ 77 unter 
Uebernahme der aus dem Majoratsedikt 
überkommenen Praxis innerhalb der 
Geſamtfamilie mit gleichem Namen, 
Schild und Wappen auch die Berufung 
von Agnaten der Aſzendenz. 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 401 


Die Verechnung des pfändbaren Gehaltes oder 
Lohnes (§ 850 38 0., §§ 1, 3, 4 Lohns.) 
Bon Amtsrichter Dr. Hermann Stepp in Nürnberg. 


Wegen einer Unterhaltsforderung von 1201 
war die dem Schuldner, einem Hilfspoſtſchaffner, 
gegen den bayeriſchen Fiskus, vertreten durch die 
Oberpoſtdirektion, zuſtehende Lohnforderung von 
täglich 3M oder monatlich 90 inſoweit ge: 
pfändet und zur Einziehung überwieſen worden, 
als fie den Betrag von monatlich 70 M überſtieg. 
Dieſer Betrag ſollte dem Schuldner zur Beſtreitung 
ſeines notdürſtigen Unterhalts nach $ 4a Lohn BG. 
belaſſen werden. Die Oberpoſtdirektion zahlte 
jedoch den die Summe von 70M überſteigenden 
Betrag an den Gläubiger nicht ganz aus, ſondern 
zog hiervon die Beiträge zur Arbeiterpenſions⸗ 
und Poſtkrankenkaſſe ab, die ſie für den Schuldner 
als deſſen Arbeitgeber bis zum Zahltag entrichtet 
hatte, nämlich 4X 0,76 H = 3,04 M. Der Gläu⸗ 
biger erhielt alſo nur 16,96 M. 

Es fragt ſich, ob dieſer Abzug gerechtfertigt 
iſt. Die Oberpoſtdirektion ſtützt ihre Berechnung 
auf eine Entſchließung des Staatsminiſteriums 
für Verkehrsangelegenheiten vom 29. Juli 1913, 
die zur Erzielung einer einheitlichen Berechnung 
des pfändbaren Lohnes durch die Oberpoſtdirek⸗ 
tionen anordnet, „daß bei allen neu anfallenden 
Pfändungen — vorbehaltlich der etwa von Fall 
zu Fall ergehenden gegenteiligen Entſcheidungen 
der Gerichte — die Beiträge zur Poſtkrankenkaſſe 
(PK K.) und Arbeiterpenſionskaſſe (AP K.) abzu⸗ 
ziehen ſind, ſo daß nur der nach Abzug dieſer 
Beiträge verbleibende Reſt als allenfalls pfaͤnd⸗ 
barer Lohn in Betracht kommt. In gleicher Weiſe 
ſind Steuern⸗ und Umlagenbeträge ſowie die Bei⸗ 
träge zum Allgemeinen Staatsdienerunterſtützungs⸗ 
verein und zu der hiermit verbundenen Töchterkaſſe 
zu behandeln.“ 

Der Inhalt dieſer Anordnung gibt zu fol⸗ 
genden rechtlichen Bedenken Anlaß: 

Vergütung i. S. § 3 Lohn BG. iſt die von 
dem Dienſtberechtigten (Arbeitgeber) an den Dienſt⸗ 
verpflichteten (Arbeitnehmer) zu entrichtende Gegen⸗ 
leiſtung für die vertragsmäßig zu leiſtenden Ar⸗ 
beiten oder Dienſte, kurz der Arbeitserfolg des 
Dienſtverpflichteten (vgl. Meyer, Das Recht der 
Beſchlagnahme Bem. J $ 3). Damit ergibt ſich 
die notwendige Begrenzung nach oben und unten 
von ſelbſt. Nur die Gegenleiſtung für die Arbeit 
genießt den Schutz des Lohnbeſchlagnahmegeſetzes, 
nicht alſo z. B. Forderungen des Arbeiters auf 
Erſatz von Stoffen und anderen Auslagen; auf 
der anderen Seite fallen aber unter den Begriff 
der Vergütung alle Bezüge, die dem Arbeiter 
aus dem Arbeits- oder Dienſtverhältnis zukommen. 
Miöglicherweiſe erhält nun aber der Arbeit: 
nehmer die ihm an und für ſich zuſtehende Ver⸗ 
gütung nicht ganz ausbezahlt, ſondern muß ſich Ab- 


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zügegefallen laſſen, zu denen der Arbeitgeber berechtigt 
iſt. Dies iſt der Fall bei Arbeitern, welche nach 
der Reichsverſicherungsordnung und nach dem Ver⸗ 
ſicherungsgeſetz für Angeſtellte verfiherungspflichtig 
find. Nach 88 394, 381, 1432 RVO. müſſen 
ſich die Verſicherungspflichtigen bei der Lohnzahlung 
den vom Arbeitgeber geleiſteten Betrag für die 
Krankenverſicherung zu / und für die Invaliden⸗ 
und Hinterbliebenenverſicherung zur Hälfte ab⸗ 
ziehen laſſen. Für die Angeſtelltenverſicherung 
enthält 8 178 AVG. vom 20. Dezember 1911 
die dem $ 1432 RVO. genau entſprechende Be: 
ſtimmung. Ein verſicherungspflichtiger Ar: 
beiter erhält alſo feinen ziffermäßigen Lohn tat⸗ 
ſäͤchlich nie ganz ausbezahlt, ſondern ſtets unter 
Abzug der ihm zur Laſt fallenden Beiträge 
zur Krankenverſicherung, zur Invaliden⸗ und Hinter⸗ 
bliebenenverſicherung ſowie zur Angeftelltenverfiche- 
rung. Dieſe Tatſache iſt aber auf die Berechnung 
der Höhe der Vergütung an ſich rechtlich ohne 
Einfluß, und es wäre verfehlt, bei Lohnpfändungen 
als Vergütung i. S. der 88 1 und 3 Lohn BG. nur 
den Betrag anzuſehen, der dem Arbeiter nach Ab⸗ 
zug der Verſicherungsbeiträge verbleibt. Nach dem 
Gelege find die Krankenverſicherungsbeitraͤge zu 
/ vom Verſicherungspflichtigen, zu / vom Ar: 
beitgeber, die Invaliden⸗ und Hinterbliebenen⸗ 
verſicherungsbeitraͤge ſowie die Beiträge zur An⸗ 
geſtelltenverſicherung von beiden je zur Hälfte 
endgültig aufzubringen (88 381, 1887 Abſ. II 
RBO., § 170 Abſ. II AG.), und nur zum 
Zwecke der Vereinfachung der Geſchaͤftsbehandlung 
iſt angeordnet, daß den Krankenkaſſen und den 
Verſicherungsanſtalten gegenüber von den Arbeit⸗ 
gebern die Beiträge ganz zu entrichten find (88 393, 
1426 RBO., § 176 AG.), während es ihnen 
überlaſſen bleibt, die den Arbeitnehmer treffenden 
Beitragsteile bei der Lohnzahlung abzuziehen. Sind 
aber die Verſicherten berufen, auch ihrerſeits zu 
einem beſtimmten Teilbetrag an der Aufbringung 
der Mittel für die Verſicherung teilzunehmen, ſo 
haben ſie dieſe Betraͤge aus ihrem Einkommen 
zu leiſten, alſo aus dem Lohn, der Vergütung 
für geleiſtete Arbeiten. Hieraus folgt aber, daß 
gerade der ziffermäßige Lohn, die von dem Arbeit⸗ 
nehmer mit dem Arbeitgeber vereinbarte oder 
mangels einer Vereinbarung die ortsübliche Höhe 
des Lohnes feine Vergütung i. S. des Lohn BG. 
darſtellt, nicht dagegen der ihm nach Abzug ſeiner 
Verſicherungsbeiträge tatſächlich ausgezahlte Reit: 
betrag. Auch Meyer (Recht der Beſchlagnahme) 
betont in Bem. II, B 1 zu § 4 Nr. 4 ausdrück⸗ 
lich, daß bei der Ermittlung des pfändbaren Teils 
der Vergütung Beiträge für Alters-, Unfall-, 
Kranken- und Penſionsverſicherung u. a. von der 
Vergütung nicht abgezogen werden dürfen. 

Alles dies trifft aber auch auf Hilfspoſtſchaffner 
und ihre Beiträge zur PK. ſowie zur AP. zu. 
Die Hilfspoſtſchaffner fallen, was Kranken- und 
Invalidenverſicherung uſw. betrifft, unter die RVO.; 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


1 
I 


— — — äũà ẽõ . — 


b 


die Betriebskrankenkaſſe der Kgl. bayer. Poſt⸗ und 
Telegraphenverwaltung, kurzweg Poſtkrankenkaſſe 
genannt, iſt eine Betriebskrankenkaſſe i. S. der 88 245, 
246 RVO.; die Arbeiterpenſionskaſſe iſt durch Be: 
ſchluß des Bundesrats vom 21. März 1912 auf 
Grund ihrer neuen Satzung als Sonderanſtalt i. S. 
der 88 1360 — 1380 RVO. zugelaſſen worden und iſt 
als ſolche) „zur Gewährung von Invaliden⸗ und 
Altersrenten ſowie Renten, Witwengeld und Waiſen⸗ 
ausſteuer für Hinterbliebene nach Maßgabe der 
RVO. vom 19. Juli 1911 beſtimmt und hat für 
ihre Mitglieder alle Aufgaben einer Verſicherungs⸗ 
anſtalt i. S. dieſes Geſetzes zu erſüllen“ (vgl. 8 1 
Nr. 2 der Statuten vom 19./ 21. Dezember 1911). 
Die Abzüge, welche die Oberpoſtdirektion bei der 
Lohnzahlung auf Grund der von ihr für den Poſt⸗ 
hilfsſchaffner geleiſteten Beiträge zu dieſen Kaſſen 
macht, ſind daher genau ſo zu beurteilen wie die 
von einem gewöhnlichen Arbeitgeber einem Arbeiter 
gegenüber vorgenommenen Abzüge, d. h. ſie haben 
mit der Berechnung der Höhe der Vergütung nicht 
das mindeſte zu tun. 


Auch die in der erwähnten Entſchließung des 
Verkehrsminiſteriums angeführte Entſcheidung des 
RG. (JW. 1884 S. 227) kann die in der Ent: 
ſchließung vertretene Anſicht nicht rechtfertigen. Die 
Entſcheidung behandelt den Fall eines Vorweg⸗ 
abzugs von Witwen: und Waiſengeldbeiträgen“ 
und billigt deren Vorwegabzug im Falle einer 
Pfändung des Gehaltes mit der Begründung, daß 
wegen ihrer engen Beziehung zum Dienſteinkommen, 
ihrer Entrichtung aus dem Gehalt, ihrer Bemeſſung 
nach ſeinem Betrag, ihrer Erhebung durch Ein⸗ 
behaltung des entſprechenden Gehaltsteiles „das 
Gehalt mit den Witwen⸗ und Waiſengeldbeiträgen 
dergeſtalt belaſtet ſei, daß der Beamte das Gehalt 
erſt nach Abzug derſelben für ſich beanſpruchen und 
darum auch nur in demſelben Umfang die Ber: 
wendung für feine Gläubiger nach Maßgabe des 
8 749 (jeßt 850) ZPO. verlangen könne“. 

Die Heranziehung dieſer Entſcheidung iſt m. E. 
verfehlt. Die rechtliche Natur der Witwen: und 
Waiſengeldbeiträge der preußiſchen Staatsbeamten 
iſt völlig weſensverſchieden von der Beitragspflicht 
auf Grund der reichsgeſetzlichen Kranken-, Invaliden⸗ 
und Hinterbliebenenverſicherung. Hier gewähren 
die Krankenkaſſen oder Verſicherungsanſtalten die 
Unterſtützungen, an dieſe Kaſſen und Anſtalten 
ſind die Beiträge zu leiſten und der Arbeitgeber 
halt ſich wegen der von ihm für den Arbeitnehmer 
an dieſe Träger der Verſicherung vorgeſchoſſenen 
Beiträge an den Lohn des Arbeiters. Dort ge: 
währt der Arbeitgeber (Staat) ſelbſt die Unter⸗ 


1) genauer: nur Abteilung A dieſer Kaſſe. Die 
Unterſcheidung in Abteilung A und B intereſſiert jedoch 
hier nicht näher. 

) Bezug genommen iſt auf ein Geſetz vom 20. Mai 
1882, vermutlich das preuß. Geſ. betr. die Fürſorge 
für die Witwen und Waiſen der unmittelbaren Staats— 
be amten (Preuß. Geſ.-Sammlung S. 298). 


— — 


ſtützungen und kürzt das Gehalt des Angeſtellten 
(Staatsbeamten) um die zur Aufbringung der 
Mittel zu zahlenden Beiträge. Aber auch ab⸗ 
geſehen hiervon wäre äußerſt fraglich, ob bei Be⸗ 
rechnung des pfändbaren Gehaltes die Witwen⸗ und 
Waiſengeldbeitraͤge nach dem Geſetz vom 20. Mai 
1882 vorweg abzuziehen wären. Ich möchte dieſe 
Frage verneinen aus folgenden Gründen: Das 
Geſetz vom 20. Mai 1882 iſt dem Reichsgeſetz betr. 
die Fürſorge für Witwen und Waiſen der Reichs⸗ 
beamten der Zivilverwaltung vom 20. April 1881 
(RGBl. S. 85) nachgebildet und zwar unter faſt 
durchweg wortgetreuer Wiedergabe ſeines Geſetzes⸗ 
textes und feiner Paragrapheneinteilung. Während 
nun aber der 8 4 Abſ. II RG. vom 20. Mai 1881 
ausdrücklich beſtimmt, daß der einzubehaltende Teil 
des Dienſteinkommens, d. h. die durch Einbehaltung 
zu erhebenden Witwen⸗ und Waiſengeldbeiträge 
weder der Pfändung unterworfen noch bei der Er⸗ 
mittlung, ob und zu welchem Betrage die Bezüge 
der Pfändung unterliegen, zu berechnen find, iſt 
trotz der wörtlichen Anlehnung an den übrigen 
Geſetzestext gerade dieſe Beſtimmung in das Geſetz 
vom 20. Mai 1882 nicht mit übernommen worden. 
Die preußiſchen Witwen⸗ und Waiſengeldbeiträge 
ſind alſo bei Ermittlung der pfändbaren Vergütung 
gerade nicht abzuziehen, ſondern mitzurechnen, d. h. 
es wird der unverkürzte Gehalt der Berechnung 
zugrunde gelegt. 

Nach alledem hat die Verpflichtung des Schuldners 
zur Bezahlung von Verſicherungsbeiträgen auf 
Grund der RWO. keinerlei Einfluß auf die Be⸗ 
rechnung der Höhe der Vergütung im Falle einer 
Pfändung. 

Eine andere Frage, die aber gleichfalls mit 
der Berechnung der Höhe der Vergütung nichts 
zu tun hat, iſt die, inwieweit der Arbeitgeber gegen 
den Lohnanſpruch des Arbeitnehmers auch nach 
der Pfändung dieſes Anſpruchs mit den von ihm 
für den Verſicherten bezahlten Verſicherungsbeiträgen 
aufrechnen darf. Dieſe Frage beantwortet 8 392 
BGB., wonach die Aufrechnung nach der Zuſtellung 
des Pfändungsbeſchluſſes nur in 2 Fällen aus⸗ 
geſchloſſen iſt, nämlich wenn der Drittſchuldner 
ſeine Forderung erſt nach der Zuſtellung des 
Pfändungsbeſchluſſes erworben hat und ferner in 
dem Falle, wenn der Drittſchuldner die Forderung 
zwar vor der Beſchlagnahme erworben hat, ſeine 
Forderung aber erſt nach der Zuſtellung des Be— 
ſchlagnahmebeſchluſſes und ſpäter als die beſchlag— 
nahmte Gegenforderung ſeines Gläubigers fällig 
geworden iſt. Der Arbeitgeber erwirbt ſeine Forde— 
rung gegen den Arbeitnehmer auf Erſatz der Ber: 
ſicherungsbeitraͤge mit der Zahlung, bei der Sn: 
validenverſicherung mit dem der Zahlung gleich— 
wertigen Vorgange des Markenklebens. Die 
Forderung wird fällig gleichzeitig mit der Lohn— 
forderung des Arbeitnehmers. Hiernach kommt 
ſtets nur der erſte Fall des S 392 BGB. in Frage, 
und der Arbeitgeber kann nach der Zuſtellung eines 


Zeitſchrift für 9 für Rechtspflege Iı in Bayern. 1914. Nr. 22. 


Beſchluſſes über die Pfändung der Lohnforderung 
ſeines Arbeitnehmers gegenüber der ganzen Lohn⸗ 
forderung nur die Verſicherungsbeiträge aufrechnen, 
die er für den Arbeitnehmer vor der Pfändung 
entrichtet hat, oder mit anderen Worten: er kann 
dieſe Verſicherungsbeiträge nur bei der erſtmaligen Ab⸗ 
führung des gepfändeten Gehaltsteils des Schuldners 
an den Pfaͤndungsgläubiger vom ganzen Lohne vor: 
weg abziehen. 

Im Ergebnis war alſo der von der Ober⸗ 
poſtdirektion gemachte Abzug von 3,04 M in dem 
eingangs erwähnten Falle gerechtfertigt, wenn auch 
auf Grund ganz anderer Erwägungen als der— 
jenigen, die für die Oberpoſtdirektion maßgebend 
waren. Bei weiteren Zahlungen an den Pfand⸗ 
gläubiger darf jedoch ein Abzug von Verſiche⸗ 
rungsbeiträgen zu deſſen Nachteil nicht mehr er⸗ 
folgen, da hier die Anwendung des $ 392 BGB. 
verſagt. Inſofern iſt alſo die Feſtſtellung der 
richtigen rechtlichen Grundlage von ausſchlag⸗ 
gebender Bedeutung. 

Für den Vorwegabzug von Steuern und Um⸗ 
lagen, wie ihn die Miniſterialentſchließung an⸗ 
ordnet, fehlt gleichfalls jede rechtliche Grundlage, 
um ſo mehr als die Pflicht zur Tragung dieſer 
Laſten durch den Poſtbedienſteten mit ſeiner Eigen⸗ 
ſchaft als Staatsdiener gar nichts zu tun hat. 
Unzuläſſig iſt endlich auch die Abrechnung der 
Beiträge zum allgemeinen Staatsdienerunter⸗ 
ſtützungsverein und der hiermit verbundenen Töchter⸗ 
kaſſe. Die Erhebung der Beiträge für dieſe Vereine 
durch Einbehaltung des entſprechenden Gehaltsteils 
geſchieht auf Grund Statuts. Die einbehaltenen 
Beträge fließen nicht in die Staats-, ſondern in 
die Vereinskaſſe. Die Vereinsmitglieder erhalten 
demnach keinen niedrigeren Gehalt, nur wird ein Teil 
ſofort der Vereinskaſſe zugeführt. Ein geſetzlicher 
Zwang liegt alſo nur in der Mitgliedſchaft, nicht 
dagegen in der Art der Beitragsentrichtung, die 
das Vereinsſtatut und nicht das Geſetz beſtimmt. 


Kleine Mitteilungen. 


Zwiſchenſtreit über den Vollzug der Wandlung. Es 
ſoll folgender Fall beſprochen werden: In einem 
Wandlungsprozeſſe läßt nach der Beweiserhebung über 
den Gewährſchaftsmangel der Beklagte B. beim Kläger 
A. das getauſchte Pferd abholen; A. gibt es zurück, 
verweigert aber die Annahme ſeines mitgebrachten beim 
Tauſchhandel hingegebenen Pferdes, weil es in der 
Zwiſchenzeit durch Verſchulden des B. oder ſeines Nach: 
mannes verſchlechtert worden ſei. Er verlangt Er— 
ſatz des Wertes zur Zeit des erſten Wandlungsbegehrens 
ſtatt des Pferdes oder neben der Zurückgabe Ent⸗ 
ſchädigung für die Wertsminderung. Bei dem nächſten 
auf Antrag des Klägers anberaumten weiteren Ver— 
handlungstermin wird nun gemäß 8 280 3PO. die 
Verhandlung in demſelben Verfahren fortgeſetzt. Der 
Kläger A. ſtellt Inzidentantrag, den Beklagten B. für 


404 


ſchuldig zu erklären, das A.ſche Pferd in dem Zuſtande 
zur Zeit des erſten Wandlungsbegehrens zurückzugeben, 
im Unvermögensfalle aber den Wert, den es damals 
hatte, zu erſetzen oder auf das im verſchlechterten Zu⸗ 
ſtande zurückgehende Pferd einen beſtimmten Betrag 
als Entſchädigung für Wertsminderung aufzuzahlen 
und die ſämtlichen Koſten zu tragen. 

Der Beklagte B. kann nicht einwenden, daß eine 
unzuläſſige Klagänderung vorliege; es liegt vielmehr 
eine nach 8 280 ZPO. zuläſſige Erweiterung der Klage 
im weiteren Sinne vor, die im Wege der Inzident⸗ 
oder Zwiſchenfeſtſtellungs⸗Klage auszutragen iſt, wenn 
der Beklagte beſtreitet. Gaupp⸗Stein nennt dieſe 
Inzidentklage im Kommentar V. Aufl. zu 8 280 unter 
I Abſ. 2 S. 610 eine nachträgliche Klagenhäufung, 
welche den Vorſchrifteu des 8 253 über die Form der 
Klageerhebung nicht unterliegt und deshalb vom Ge⸗ 
ſetze (in 8 280, wenn auch in anderem Sinne als in 
8 268) als Erweiterung der Klage bezeichnet wird, 
weil ſie erſt durch das Verhalten des Beklagten B. 
im Prozeß veranlaßt wird. 

Der mit der Wandlungsklage verklagte Tauſch⸗ 
Gegner muß das eingetauſchte Pferd im Zuſtande des 
erſten Wandlungsbegehrens Zug um Zug mit der Rück⸗ 
nahme ſeines in Tauſch gegebenen Pferdes zurückgeben. 
Dieſe Verpflichtung des Tauſch⸗Gegners iſt mit der 
Wandlungsklage geltend gemacht. Holt er im Prozeſſe 
zwar das in Tauſch gegebene Pferd beim Kläger A. 
zurück, verweigert dieſer aber die Rücknahme des von 
ihm hingegebenen Pferdes wegen inzwiſchen einge⸗ 
tretener Verſchlechterung durch Verſchulden des Be⸗ 
klagten B. oder (bei Weiterveräußerung) ſeines Nach⸗ 
mannes (vgl. $ 278 BGB.), fo iſt der im Streite be 
fangene Anſpruch nur zu einem Teile erfüllt (Rücknahme 
des Pferdes durch B.), nicht aber bezüglich des anderen 
Teiles (Rückgabe des Tauſchpferdes des A. im gehörigen 
Zuſtande). Dieſer Streitpunkt hat ſich erſt im Prozeſſe 
beim Vollzug der Wandlung herausgebildet. Er iſt ein 
Inzidentſtreit geworden, über den im Endurteil zu ent— 
ſcheiden iſt. Die Entſcheidung hängt davon ab, ob ſich der 
Wert der Tauſchgegenleiſtung ſeit dem Vollzuge des 
Tauſches durch Verſchulden des Beklagten gemindert 
hat. Die Entſcheidung über den im Prozeß durch das 
Verhalten des Beklagten hervorgetretenen Streitpunkt 
beſtimmt den Ausgang des Rechtsſtreits; deshalb muß 
über den Zwiſchenſtreit in demſelben Prozeſſe und 
mit dem ihn erledigenden Endurteil entſchieden werden. 
Dies gilt jedenfalls dann, wenn mit der Wandlungsklage 
nicht nur auf Einwilligung in die Wandlung (oder 
vielmehr auf Wandlungsausſpruch) geklagt worden iſt, 
ſondern gleichzeitig auch auf Vollzug der Wandlung 
durch Zurücknahme und gleichzeitige Zurückgabe. 

Die Gewährſchaftsklage iſt nach den Entſcheidungen 
des Reichsgerichts Bd. 58 S. 425 und Bd. 66 S. 75 
mit dreifachem Antrage zuläſſig. Der Antrag kann 
lauten allein auf Einwilligung in die Wandlung oder 
auch zugleich auf Rückgängigmachung der beiderſeitigen 
Leiſtungen oder auch auf letztere allein. Zufolge der 
vom Reichsgericht für den Wandlungsanſpruch feſt— 
gehaltenen „Wiederherſtellungslehre“ (RGRKomm. zu 
§ 465 BGB. Anm. 1) wird bei Geltendmachung des 
Wandlungsanſpruchs immer auch die Rückgängig— 
machung der Leiſtungen betrieben. Es iſt daher die 
Rückgängigmachung der Leiſtungen begrifflich ſchon in 
den Streit miteinbezogen worden, wenn die Wandlungs— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


klage nur den zuerſt genannten einfachen Wandlungs- 
antrag enthält. Deshalb iſt in dem hier zu entſcheiden⸗ 


den Streitfalle die Fortſetzung desſelben Streitver⸗ 
fahrens bezüglich des hervorgetretenen Zwiſchenſtreites 
nicht nur zuläſſig, ſondern auch notwendig. 

Dieſe Notwendigkeit ergibt ſich auch aus 8 767 Abſ. 2 
38PO. Würde der im Prozeß hervorgetretene Streit 
über die Rückleiſtung der Tauſchgegengabe aus dem 
Verfahren auf die Wandlungsklage ausgewieſen und 
auf eine zweite ſelbſtändige Klage verwieſen, ſo wäre der 
8 767 BBO. nicht zu umgehen. Die zweite Klage würde 
immer die Einwendung bringen, es ſei noch nicht voll⸗ 
ſtändig gewandelt, die Wandlung ſei nicht beiderſeits 
durch Rückleiſtung vollzogen. Eine ſolche Einwendung 
kann zwar nur in einer neuen ſelbſtändigen Klage er⸗ 
hoben werden, wenn der Beklagte erſt nach der Be⸗ 
endigung der Wandlungsklage die zur Annahme nicht 
verpflichtende Rückleiſtung angeboten oder gemacht hat; 
iſt dieſer Streitpunkt aber ſchon vor dem Schluſſe der 
mündlichen Verhandlung entſtanden, in der Einwen⸗ 
dungen nach der ZPO. ſpäteſtens hätten geltend ge⸗ 
macht werden müſſen, ſo iſt der Weg der zweiten Klage 
nach 8 767 ZPO. verſchloſſen. Die Einwendung gegen 
die während des Prozeſſes vom Beklagten verſuchte 
Art der Rückleiſtung (oder auch das Fehlen der ganzen 
Rückleiſtung) muß als Zwiſchenſtreit im noch ans 
hängigen Wandlungsprozeſſe vor dem Schluſſe der 
letzten Verhandlung geltend gemacht, in dieſem Prozeſſe 
mitausgetragen und mit demſelben Endurteil erledigt 
werden. 

Dieſe Notwendigkeit ergibt ſich nicht nur aus 8 280 
und 8 767 ZPO., ſondern wird ſich zumeiſt auch auf⸗ 
drängen durch die auf 88 477 und 487 BGB. geſtützte 
ſachliche Begründung des Erſatz⸗ oder Entſchädigungs⸗ 
anſpruchs. Dieſer verjährt in ſechs Monaten von der 
Uebergabe des Tieres an. In ſehr vielen Fällen würde 
wohl kaum mehr die Zeit reichen, um eine ſelbſtändige 
Entſchädigungsklage zu ſtellen, wenn im anhängigen 
Wandlungsprozeß das Beweisverfahren über den Ge⸗ 
währſchaftsfehler durchgeführt werden müßte und erſt 
infolge dieſes Ergebniſſes die Rückleiſtung vollzogen 
würde. Geh. Juſtizrat Hofrat Dr. Full, 

Rechtsanwalt in Würzburg. 


—ꝛ ——b-·AQ4qu 


Die Wiederaufnahme des Strafbeſehlsver fahren!.) 
In einem Strafbefehle des Amtsgerichts München 
wurden gegen einen jungen, noch unbeſtraften, geiſtig 
nicht ſehr regen, auf den Allerweltsnamen Maier 
hörenden Arbeiter wegen zweier Uebertretungen, deren 
er ſich am 17. Februar 1914 im Stadtinnern ſchuldig 
gemacht haben ſollte, Geldſtrafen und für den Fall 
ihrer Uneinbringlichkeit Haftſtrafen feſtgeſetzt. Dieſer 
Strafbefehl wurde dem Beſchuldigten durch ordnungs⸗ 
mäßige Erſatzzuſtellung übermittelt. Einſpruch wurde 
nicht erhoben. Die feſtgeſetzten Geldſtrafen wurden 
darauf ſofort für uneinbringlich erklärt und der Be⸗ 
ſchuldigte deshalb zum Antritte der Erſatzſtrafen vor⸗ 
geladen. 

Zwei Tage nachher erklärte er zu Protokoll des 
Gerichtsſchreibers, daß er der geſuchte Täter nicht ſei, 
weil er am 17. Februar 1914 ſeine an der Stadtgrenze 
liegende Arbeitsſtelle überhaupt nicht verlaſſen babe: 
er legte eine Beſtätigung ſeines Arbeitgebers hierüber 
vor und bat um gnadenweiſen Erlaß der gegen ibn 


) Siehe auch dieſe Zeitſchrift 1912 S. 353 und 
1913 S. 420. 


5 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 405 


feſtgeſetzten Strafen. Die Frage, ob er den Strafbefehl 
nicht vor Ablauf der Friſt zur Einſpruchserhebung be⸗ 
kommen habe, bejahte der Beſchuldigte; dem Vorbhalte, 
daß er dann doch rechtzeitig Einſpruch hätte einlegen 
können, begegnete er mit der Antwort, „er babe nichts 
gemacht, deshalb werde ihm auch bei dem Gerichte nichts 
paſſieren“. 

Seine Beſtreitung erwies ſich als richtig. Der wirk⸗ 
liche Täter hatte dem die Uebertretungen beanſtanden⸗ 
den Schutzmanne zwar ſeinen richtigen Vor⸗ und Zu⸗ 
namen angegeben, der mit dem des Beſchuldigten über⸗ 
einſtimmte, hatte ſich aber auf eine falſche Heimat 
berufen, die zufällig die des Beſchuldigten war. Auf 
Grund dieſer unzureichenden Angaben hatte der Schutz⸗ 
mann dann im Einwohneramte die übrigen perſön⸗ 
lichen Verhältniſſe des Täters ermittelt; ſo war er 
irriger Weiſe auf die Perſon des Beſchuldigten ver⸗ 
fallen, ohne dem Gericht über dieſe Art der Feſtſtellung 
zu berichten. 

Der Amtsrichter ließ den Beſchuldigten erklären, 
daß er ſein Begnadigungsgeſuch als Antrag auf Wieder⸗ 
aufnahme des Verfahrens behandelt haben wolle. Der 
Amtsanwalt hielt die verlangte Wiederaufnahme über⸗ 
haupt für unzuläſſig. 

Der Amtsrichter erklärte aber die Wiederaufnahme 
des durch den unanfechtbar gewordenen Strafbefehl ge⸗ 
ſchloſſenen Verfahrens für zuläſſig und ordnete deshalb 
die Hauptverhandlung hierüber an. Die Wiederauf⸗ 
nahme finde zwar — ſo führte er in den Gründen 
aus — nach dem Wortlaute des 8 399 StPO. bei 
Verfahren ſtatt, die durch rechtskräftiges Urteil ge⸗ 
ſchloſſen worden ſeien; die Motive zum Entwurfe der 
noch geltenden Strafprozeßordnung hätten noch aus⸗ 
drücklich hervorgehoben, daß es gegen amtsgerichtliche 
Strafbeiehle keine Wiederaufnahme des Verfahreng 
gebe; auch nach dem Entwurfe zur neuen Strafprozeß⸗ 
ordnung ſollten jene Verfahren wieder aufgenommen 
werden können, die durch ein rechtskräftiges Urteil 
geſchloſſen worden ſeien; die Wiederaufnahme bezwecke 
auch regelmäßig die Erneuerung einer im Strafbefehls⸗ 
verfahren gar nicht üblichen Hauptverhandlung. Alle 
dieſe Erwägungen ſprächen zwar gegen die Zuläſſigkeit 
der Wiederaufnahme eines Strafbefehlsverfahrens. 
Aber in keiner beſtehenden oder geplanten geſetzlichen 
Vorſchrift ſei das ausdrückliche Verbot einer ſolchen 
Wiederaufnahme enthalten; auch die Begründung zum 
Entwurfe der neuen Strafprozeßordnung ſpreche ſich 
nicht mehr ausdrücklich gegen die Zuläſſigkeit der 
Wiederaufnahme eines Strafbefehlsverfahrens aus; 
der unangefochten gebliebene Strafbefehl werde auch 
im Strafvollſtreckungsverfahren einem rechtskräftigen 
Urteile gleichgeachtet; endlich beſtehe bei dem bloß 
ſummariſchen Strafbefehlsverfahren mehr als ſonſt 
das Bedürfnis, die zu Unrecht verhängten Strafen 
wieder im Rechts⸗ nicht im Begnadigungswege zu be⸗ 
ſeitigen. Deshalb müſſe die Wiederaufnahme auch bei 
Strafbefehlsverfahren zuläſſig fein. 

Der Amtsanwalt legte gegen den Beſchluß die fo- 
fortige Beſchwerde wegen der grundſätzlichen Unzu⸗ 
läſſigkeit ſolcher Wiederaufnahmeverfahren ein. 

Auch der Staatsanwalt wies bei der Begutachtung 
der Beſchwerde zwar noch auf die formaliſtiſchen Bes 
denken gegen den Standpunkt des Amtsrichters hin, 
hielt aber deſſen Stellungnahme für im Intereſſe der 
Sache höchſt begrüßenswert. 

Die I. Strafkammer des Landgerichts München I 
verwarf die Beſchwerde als unbegründet. Sie billigte 


— und zwar ohne jede Einſchränkung — ausdrücklich 
die Rechtsauffaſſung, daß auch gegen rechtskräftige 
Strafbefehle das Wiederaufnahmeverfahren zu⸗ 
läſſig ſei. Denn der Geiſt des Geſetzes, Gründe der 
Zweckmäßigkeit und der Umſtand, daß ausdrückliche 
geſetzliche Vorſchriften nicht entgegenſtünden, ließen 
die ausdehnende Auslegung des 8 399 StPO. aus den 
vom Amtsrichter angeführten zutreffenden Gründen 
gerechtfertigt erſcheinen, zumal, da man ſo allein zu 
einem praktiſch befriedigenden Ergebnis kommen könne. 


Gewiß bleibt gegen den Antragſteller der Vorwurf 
beſtehen, daß er die Gelegenheit zur Einſpruchserhebung 
bewußt unbenutzt ließ. Da aber ſeine Verdächtigung 
ganz ohne ſein Zutun, ja ſogar ohne ſein Wiſſen er⸗ 
folgte und vieles ſeiner jugendlichen Unerfahrenheit, 
ſeiner Unbeholfenheit und nicht zuletzt ſeinem Vertrauen 
auf die nicht verſagende Hilfe des Gerichts zugute⸗ 
gerechnet werden muß, werden auch die von „einer ſträf⸗ 
lichen Gleichgültigkeit des Beſchuldigten“ ſprechenden 
Bedenken gegen die zwei aus der Enge ins Weite ſtreben⸗ 
den gerichtlichen Entſcheidungen verſtummen können. 


Amtsrichter Hahmann in München. 


Aus der Rechtſprechung. 
Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 
I. 


Berpfändung einer Hypothek; Forderung von Hypo⸗ 
thekzinſen durch den Pfandglänbiger; Einwendungen gegen⸗ 
über feiner dinglichen und feiner persönlichen Klage 
(89 404, 405, 407, 1275 1138, 1289 B88). Aus den 
Gründen: Die Klägerin verlangt mit der perſön⸗ 
lichen und der dinglichen Klage Zinſen einer ihr ver⸗ 
pfändeten und ſpäter an ſie abgetretenen Hypothek von 
dem Grundſtückseigentümer, der ſie dem Verpfänder 
P. beſtellt hat. Sie hat die Klage urſprünglich auf 
die Abtretung, ſpäter nur auf die Verpfändung geſtützt. 
Da ſie nach der Verpfändungsurkunde zur Einziehung 
der übrigens mitverpfändeten Zinſen berechtigt iſt, ſo 
iſt damit ihre Klagebefugnis an ſich gegeben. Der 
Beklagte hat drei ſich auf 8 404 BGB. ſtützende Ein⸗ 
reden erhoben, nämlich, die verpfändete Forderung 
habe nur in beſtimmter, erheblich geringerer Höhe be— 
ſtanden, er habe mit P. vereinbart, daß er Zinſen nicht 
zu zahlen brauche, und daß P. die Hypothek nicht ver- 
pfänden, nicht über ſie verfügen dürfe; die Hypothek 
ſei nur beſtellt worden für Verbindlichkeiten aus von P. 
ausgeſtellten und vom Beklagten akzeptierten Wechſeln. 
Die Klägerin hat ſich dagegen auf $ 405 BGB. berufen, 
da die Hypothekenurkunde bei der Verpfändung über— 
geben worden iſt, und ferner den guten Glauben des 
§ 892 BGB. für ſich beanſprucht. Gemäß § 1274 BGB. 
wird ein Pfandrecht an einem Rechte — dieſer Fall 
liegt vor — nach den für die Uebertragung des Rechtes 
geltenden Vorſchriften beſtellt, und, da Gegenſtand des 
Pfandrechtes ein Recht iſt, kraft deſſen eine Leiſtung 
gefordert werden kann, ſo finden nach § 1275 BGB. 
auf das Rechtsverhältnis zwiſchen dem Pfandgläubiger 
und dem Verpflichteten die Vorſchriften entſprechende 
Anwendung, die im Falle der Uebertragung des Rechtes 
für das Rechtsverhältnis zwiſchen dem Erwerber und dem 
Verpflichteten gelten, wovon beſonders die SS 404— 409 
BGB. in Betracht kommen. Der Pfandgläubiger kann 
ſich daher auf ſeinen guten Glauben nur ſoweit be— 


406 


rufen, als dies für den neuen Gläubiger bei der Abs 
tretung zugelaſſen iſt. Dies gilt nach 8 1138 BGB. 
für die Hypothek auch bezüglich der Forderung, be⸗ 
zieht ſich jedoch nur auf den dinglichen Anſpruch. Dem 
perſönlichen Anſpruch gegenüber muß ſich der Gläubiger 
alle Einwendungen entgegenſetzen laſſen, die zur Zeit 
der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen 
Gläubiger begründet waren (Warneyer Erg.⸗Bd. 1909 
Nr. 24). Wie ſich aus SS 1274, 1275 BGB. ergibt, tft 
der Begriff Abtretung, ſoweit die ſie behandelnden Be⸗ 
ſtimmungen entſprechend anzuwenden ſind, in dem 
weiteren Sinne zu verſtehen, daß er den Fall der Ver⸗ 
pfändung mitumfaßt, was insbeſondere für die hier 
in Betracht kommenden 88 404, 405 BGB. gilt. Da 
für die 1 Schuldklage, wie ſich aus § 1138 
BGV. ergibt, teilweiſe andere Grundſätze gelten als 
für die dingliche Klage, ſo kann ſich bei einer Ver⸗ 
bindung beider das Ergebnis verſchieden geftalten (Bd. 49 
S. 367). Dies wird vom BG. auch nicht verkannt, 
denn es billigt dem Beklagten, ſoweit er perſönlich in 
Anſpruch genommen wird, an ſich den Schutz des 8 404 
BGB. zu; da aber die Verpfändung unter Uebergabe 
der Schuldurkunde erfolgt ſei, ſo könne er ſich hierauf 
nach 8 405 BGB. nur inſoweit berufen, als die Klägerin 
den Sachverhalt gekannt habe oder kennen habe müſſen, 
eine Vorausſetzung, die, wie es feſtſtellt, nicht erwieſen 
iſt. Bei der Einrede, daß P. die Hypothek nicht 
habe verpfänden dürfen, iſt dieſe Annahme des OLG. 
wie ſich aus dem Wortlaute des 8 405 BGB. ergibt, 
unbedenklich zutreffend. Bei den beiden anderen Ein⸗ 
reden, von denen das Urteil die Einrede, Zinſen ſollten 
nicht gezahlt werden, an dieſer Stelle nicht ausdrücklich 
erwähnt, kann das Urteil nur den anderen Fall des 
8405 BGB. im Auge gehabt haben, wonach der Schuldner 
dem neuen Gläubiger, hier dem Pfandgläubiger gegen⸗ 
über ſich nicht darauf berufen darf, daß die Eingehung 
oder Anerkennung des Schuldverhältniſſes nur zum 
Schein erfolgt ſei; zwar hat der Beklagte die Einrede 
des Scheingeſchäftes nicht ausdrücklich erhoben, aber 
das BG. hat offenbar geglaubt, die erhobenen mehr⸗ 
erwähnten Einreden in dieſem Sinne würdigen zu ſollen. 
Dieſe Art der Würdigung bemängelt die Reviſion zu 
Unrecht. Daß ein Schuldverhältnis nur zum Schein 
eingegangen oder anerkannt worden iſt, iſt dann an— 
zunehmen, wenn beide Teile bei Abgabe der Erklärung 
darüber einverſtanden ſind, daß das Erklärte nicht ge— 
wollt, der Schein ausdrücklich oder ſtillſchweigend ver— 
abredet iſt. Mag ſolches auch regelmäßig in der Ab— 
ſicht geſchehen, einen Dritten zu täuſchen, ſo gehört 
dieſe Abſicht doch nicht zur Begriffsbeſtimmung des 
Scheingeſchäfts (Rehbein BGB. Bd. 1 S. 126 JI Nr. 5; 
Schollmeyer, Recht der Schuldverhältniſſe § 405 Nr. La; 
Endemann, BGB. Bd. 18 73 Nr. 3; Protokolle bei Mug— 
dan Bd. II S. 578; Planck, BGB. 8 117 Nr. 1 und 2 
Enneccerus, BGB. Bd. 1 § 156 Nr. 2; Staudinger, BGB. 
§ 117 111; Oertmann, BGB. $ 117 Nr. 2a; Komm. v. 
RER. § 117 Anm. 1: JW. 1910 S. 60 Nr. 3, 1912 
S. 2839 Nr. 6). Das Einverſtändnis über die Unwahr— 
heit von in der Erklärung enthaltenen Angaben macht 
dann allerdings das Geſchäft nicht zum Scheingeſchäft, 
wenn gleichwohl die als gewollt bezeichnete Rechts— 
wirkung auch wirklich gewollt wurde (RG. Bd. 6 S. 21; 
Enneccerus, BGB. Bd. I 5 156 Anm. 5). Der Beklagte 
muß ſich bei der Würdigung ſeiner Einreden an ſeinen 
eigenen Behauptungen feſthalten laſſen. Iſt danach 
als in Wirklichkeit vereinbart anzuſehen, daß die Hypo— 


323 PPP 


thek Sicherheit gewähren follte für künftige Verbindlich- 


keiten des Beklagten aus Wechſeln, die P. ausſtellen 
und der Beklagte annehmen würde, daß Zinſen nicht 
gezahlt werden ſollten und P. über die Hypothek nicht 
verfugen dürfe, d. h. daß die Hypothek in Wirklichkeit 
die rechtliche Eigenart einer Höchſtbetragshypothekhaben 
ſollte, dann war eben das Anerkenntnis einer von einem 
beſtimmten Tage an feſt verzinslichen Darlehensſchuld 
nicht ernſtlich gemeint. Das wirklich ernſt gemeinte 


Geſchäft, die Beſtellung einer Höchſtbetragshypothek, 
iſt dann ein ſog. diſſimuliertes und fällt ebenfalls 
unter den Begriff des Scheingeſchäfts ($ 117 Abſ. 2 
BGB.). Die Urteile in Entſch. Bd. 74 S. 30 und 184 
betreffen andere Tatbeſtände. Hiernach iſt das Ergebnis 
des BG. nicht zu beanſtanden, daß der Beklagte mit 
feinen ihm an fi) aus 8 404 B. gegenüber der per» 
ſönlichen Klage zuſtehenden Einreden mit Rückſicht auf 
8 405 BGB. nicht gehört werden könne, und daß das 
Gleiche gelte gegenüber der dinglichen Klage, ſoweit 
hier gemäß 8 1158 8G B. die Einreden an ſich beſchränkt 
zuläſſig wären. Würde man übrigens den Sachverhalt 
zugrunde legen, wie ihn die Klägerin behauptet hat, 
daß die Hypothek beſtellt worden ſei, damit P. darauf 
für den Beklagten bei der Städtiſchen Bank Geld be⸗ 
ſchaffe, ſo würde das Ergebnis das gleiche ſein. Denn 
dann läge im weſentlichen der gleiche Tatbeſtand vor 
wie beim erwähnten Urteile RG. Z. Bd. 60 S. 21 und 
dann wäre der Beklagte, wie dort zutreffend ausgeführt 
iſt, an ſeinem Anerkenntnis dem Dritten d. h. hier 
der Klägerin gegenüber feſtzuhalten. Trotzdem würde 
die Verurteilung zur Zahlung der geſamten bean» 
ſpruchten Zinſen nicht zu billigen fein, wenn das BG. 
zu Unrecht die Anwendbarkeit des § 1289 BOB. aus⸗ 
geſchloſſen hätte. Dieſen Ausſchluß ſcheint die Reviſion 
bemängeln zu wollen, indeſſen könnte ihr darin nicht 
beigetreten werden. Nach § 1289 BGB. finden die Vor⸗ 
ſchriften des $ 1123 Abſ. 2 BGB. entſprechende An⸗ 
wendung, nur daß an die Stelle der Beſchlagnahme 
die Anzeige des Pfandgläubigers an den Schuldner 
tritt, daß er von dem Einziehungsrecht Gebrauch mache. 
Da die Klägerin dem Beklagten eine Anzeige gemäß 
8 1289 BGB. erſt am 9. September 1910 gemacht haben 
will, würden daher bei entſprechender Anwendung des 
8 1123 Abſ. 2 BGB. die Zinſen frei geworden fein, die 
ein Jahr vor dieſer Anzeige bereits verfallen waren. 
Allerdings iſt die Begründung des Berufungsurteils 
für die Nichtanwendbarkeit des § 1289 Satz 2 BG. 
irrig, die dahin geht, daß die Anzeigepflicht des § 1289 
ſich nur auf die Fälle beziehe, in denen ſich das Pfand⸗ 
recht kraft Geſetzes auf die Zinſen miterſtrecke, während 
hier die Mitverpfändung der Zinſen erfolgt ſei. Wenn 
das Pfandrecht ſich nach 8 1289 Satz 1 BGB. ſchon 
geſetzlich auf die Zinſen miterſtreckt, was allerdings 
durch Vertrag ausgeſchloſſen werden kann, ſo muß es 
für die Wirkung der Mitverpfändung der Zinſen ſelbſt⸗ 
verſtändlich völlig gleichgültig fein, ob fie ohne beſondere 
Erklärung kraft Geſetzes als mitverpfändet anzuſehen 
ſind oder ob dieſe Mitverpfändung noch ausdrücklich. 
überflüſſigerweiſe, vereinbart worden iſt. Aber 5 1289 
Abſ. 2 BGB. iſt nicht anwendbar und die dort vorge⸗ 
ſchriebene Anzeige nicht erforderlich, weil es ſich hier 
um ein Nußpfandrecht handelt (S$ 1273 Abſ. 2; 1213 
BGB.), bei dem der Pfandgläubiger ohne weiteres die 
Zinſen für ſich einzieht, wenn auch zur Verrechnung 
auf feine Forderung. Die Zinſen ſtehen einem Nutzungs- 
pfandgläubiger von vornherein ſo zu, als wenn ſie ihm 
abgetreten wären, er erwirbt fie zu Eigentum (Wolf 
in Enneccerus-Kipp-Wolff, BGB. Bd. II Abt. IS 177 Ill). 
Es liegt für ihn daher gar keine Veranlaſſung vor, 
dem Schuldner anzuzeigen, daß er von dem Einziehungs⸗ 
recht Gebrauch mache, während ein ſolcher Anlaß wohl 
beſteht fur den Pfandgläubiger, der nicht berechtigt iſt, 
die Nutzungen des Pfandes zu ziehen. Denn deſſen 
Einziehungsrecht iſt nicht von vornherein gegeben, 
ſondern unterliegt beſonderen Vorausſetzungen (SS 1282. 
1228 Abſ. 2 BGB.). Man kann auch nicht ſagen, daß 
die Nichtanwendung des 8 1289 Satz 2 BGB. für den 
Schuldner unbillig ſei. Denn ſoweit er in Unkenntnis 
der Mitverpfaͤndung der Zinſen ſolche an ſeinen Glaubiger 
gezahlt hat, iſt er dem fie nochmals fordernden Nutzungs- 
pfandgläubiger gegenüber durch §407 BGB. ausreichend 
geſchutzt. (Urt. des V. ZS. vom 13. Mai 1914, 516 1913). 
3445 E. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


II. 


ft ein Bankier verpflichtet, ſeinen Auftraggeber 
auf die wirtſchaſtlichen Bedenken aufmerkſam zu machen, 
die gegen die Ausführung des Auftrags ſprechen ? 
Aus den Gründen: Die Reviſion vertritt den 
Standpunkt, daß die Beklagte den Auftrag des Klägers 
hätte ablehnen müſſen und ſich durch die Annahme 
und Ausführung dem Kläger verantwortlich gemacht 
habe, da ſie die Verhältniſſe der Handlung S. & Co. ge⸗ 
kannt und gewußt habe, daß die Zahlung des Klägers 
als Nachſchuß für ſeine Engagements bei dieſer dienen 
ſollte. Es iſt rechtlich jedoch nicht zutreffend, daß eine 
Bank, die den Auftrag erhält, eine Geldſumme an 
einen Dritten abzuführen, ſchlechthin verpflichtet ſei, 
den Auftraggeber auf wirtſchaftliche Bedenken gegen 
die ihr aufgegebene Zahlung aufmerkſam zu machen 
und den Auftrag nur anzunehmen, wenn trotz der 
mitgeteilten Bedenken der Auftraggeber bei ſeinem 
Auftrage verharre. Eine allgemeine Verpflichtung 
in dieſer Richtung beſteht nicht; ſie kann nur aus 
dem beſonderen Vertragsverhältnis oder der Geſchäfts⸗ 
verbindung entnommen werden, in der die Bank zu 
dem Auftraggeber ſteht. Solche beſondere Umſtände 
in dem Verhältniſſe des Beauftragten zum Auftrag⸗ 
geber liegen hier nicht vor. Der Kläger ſtand mit 
der Beklagten vor dem hier fraglichen Doppelgeſchäft, 
das ihn zum Darlehnsſchuldner der Beklagten und 
die Beklagte zu ſeinem Beauftragten machte, in keiner 
Geſchäftsverbindung; aus dem Darlehensverhältnis 
iſt eine beſondere Auskunfts⸗ oder Warnungsverpflich⸗ 
tung, wenn der Kläger eine Auskunft oder einen Rat 
gar nicht verlangte, nicht zu folgern. Der Auftrag 
ſelbſt, der lediglich auf eine Zahlung an einen Dritten 
gerichtet war, bedingt ſie ebenſowenig. Das gilt an 
ſich auch dann, wenn die Beklagte wußte, daß die an 
S. & Co. abzuführende Summe als „Nachſchuß“ für 
Spekulationsgeſchäfte in Wertpapieren dienen ſollte, 
die der Kläger durch S. & Co. machte; auch ein ſolcher 
Nachſchuß iſt nichts als eine gewöhnliche Geldein⸗ 
zahlung, über die der Zahlungsempfänger frei zu ver⸗ 
fügen berechtigt ſein ſoll und iſt. Die Reviſion macht 
geltend, die Beklagte ſei keine Girobank, die Entſchei⸗ 
dung des RG. 54, 329 alſo hier nicht anwendbar; 
dort iſt geſagt, daß der Zweck des Girovertrages nicht 
darüber hinausgeht, das Zahlungsgeſchäft für die 
Kunden zu erleichtern; aus ſeinem Weſen ergebe ſich 
alſo, daß jede Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zahlungs⸗ 
übermeifung durch die Bank ausgeſchloſſen bleiben müſſe, 
da die Girobank Kaſſenhalterin, nicht Ratgeberin ihrer 
Kunden ſei. Daraus, daß die Beklagte keine Girobank 
iſt, folgt nun aber nicht, daß ſie umgekehrt die Zweck⸗ 
mäßigkeit einer ihr aufgetragenen Zahlung zu prüfen 
verpflichtet wäre. Der Zahlungsauftrag des Klägers 
ohne Bezugnahme auf ein beſtimmtes Rechtsgeſchäft 
oder Rechtsverhältnis, aus dem die Zahlung ee 
follte, war einem Giroauftrage immerhin 5 ähnlich, 
und wenn die Beklagte den Zweck der Zahlung ges 
kannt haben ſoll, ſo war dies ein zufälliges Wiſſen; 
der Zweck der Zahlung ging ſie nichts an; ſie att 
nur die Zahlung als ſolche auszuführen. Nun hatte 
freilich die Beklagte ein eigenes Intereſſe an der 
Zahlung des Klägers, die ſie gleichzeitig als Deckung 
wegen ihrer Forderungen an S. & Co. in Anſpruch 
nehmen wollte; es könnte deshalb vielleicht eine Vers 
letzung von Treu und Glauben im Vertragsverhältnis 
bei ihr dennoch angenommen werden, wenn ſie einmal 
um den Zweck der Einzahlung wußte und wenn ſie 
zugleich wußte, daß der Zweck durch den ſchlechten Ge— 
ſchäftsſtand von S. & Co. für den Kläger gefährdet 
war. Dies ſetzt aber voraus, daß ſie von beſtimmten 
Tatſachen unterrichtet war, die ernſte Bedenken gegen 
jede weitere Geſchäftsverbindung mit S. & Co. ers 
zeugen mußten und daß ſie zugleich Veranlaſſung hatte 
anzunehmen, daß dieſe tatſächlichen Umſtände dem 


407 


Kläger unbekannt waren. Die Kenntnis der Beklagten 
von dem ſchlechten Geſchäftsſtande von S. & Co. ver⸗ 
neint indeſſen das BG. Der Beklagten konnte aber 
nicht zugemutet werden dem Kläger gegenüber all⸗ 
gemeine, der beſtimmten tatſächlichen Unterlage ent⸗ 
behrende Gerüchte über eine Firma auszuſprechen, mit 
der fie ſelbſt in Geſchäftsverbindung ſtand. (Urt. des 
VI. ZS. vom 22. Juni 1914, V 266/1914). E. 
3463 


III 


Form eines Vertrags, der die Verpflichtung zur 
Abnahme von Geſchäftsanteilen einer G. m. b. H. ent⸗ 
hält. Aus den Gründen: Nach 5 15 Abſ. 4 
mbH. bedarf der gerichtlichen oder notariellen 
Form — abgeſehen von dem in Abſ. 3 erwähnten 
Vertrage, der die Abtretung von Geſchäftsanteilen 
einer G. m. b. H. zum Gegenſtande hat — auch eine 
Vereinbarung, wodurch die Verpflichtung eines Geſell⸗ 
ſchafters zur Abtretung eines Geſchäftsanteils begründet 
wird. Durch den vorliegenden Vertrag, das Angebot 
der Klägerin und deſſen Annahme durch die E.⸗Geſell⸗ 
ſchaft, hat die Klägerin ſich der E.⸗Geſellſchaft gegen⸗ 
über verpflichtet, Geſchäftsanteile dieſer G. m. b. H. 
von einem gewiſſen L. zu übernehmen. Ihrem Wort⸗ 
laute nach trifft allerdings die Vorſchrift des 8 15 Abſ. 4 
den vorliegenden Fall nicht. Allein dieſe Vorſchrift 
iſt nach der ſtändigen Rechtſprechung des Reichsgerichts 
auch auf ſolche Verträge zu beziehen, die auf die Ver⸗ 
pflichtung zur Abnahme von Geſchäftsanteilen gerichtet 
ſind (JW. 1903 11, 28; RG. 57, 60; JW. 1905 92, 43; 
1909 431, 39; Warn. 10, 217). Dieſe ausdehnende Aus⸗ 
legung der Vorſchrift des § 15 Abſ. 4 iſt geboten mit 
Rückſicht auf den Zweck des Geſetzes, den ſpekulativen 
Handel mit Geſellſchaftsanteilen zu verhindern, und 
mit Rückſicht auf den Willen des Geſetzes, einen 
Wechſel der Geſellſchaftsmitglieder nicht zu erleichtern 
ſondern zu erſchweren. Eine abweichende Beurteilung 
kann auch nicht etwa deshalb eintreten, weil es ſich 
nicht um einen Vertrag zwiſchen der Klägerin und 
einem Geſellſchafter, ſondern um einen Vertrag zwiſchen 
der Klägerin und der Geſellſchaft handelt. Denn dadurch 
wird die Gefahr eines ſpekulativen Handels mit Geſell⸗ 
ſchaftsanteilen, die das Geſetz beſeitigen will, nicht 
ausgeſchloſſen. Demgemäß iſt auch der rechtsgeſchäft⸗ 
liche Erwerb von Geſchäftsanteilen durch die Geſell⸗ 
ſchaft ſelbſt (JW. 1907 370, 21) für der Form des 
$ 15 Abſ. 4 bedürfend erklärt worden und ebenfo 
die Vereinbarung, durch die ſich eine G. m. b. H. ver⸗ 
pflichtet, einen eigenen Geſchäftsanteil einem Dritten 
zu verſchaffen und dieſen Geſchäftsanteil auf Verlangen 
des Dritten zurückzuerwerben (RG. 76, 306). Denn dieſe 
Vorſchrift will alle auf die Verpflichtung zur Abnahme von 
Geſchäftsanteilen gerichteten Verträge treffen (JW. 1903 
11, 28; 1905 92, 43; 1907 370, 21; RG. 57, 60; 76, 310). 
Die Reviſion hat geltend gemacht, das BG. habe über⸗ 
ſehen, daß die Verpflichtung zum Erwerbe von Geſchäfts⸗ 
anteilen nicht unmitelbarer Vertragsinhalt geweſen 
ſei; der Geſellſchaft ſei es darum zu tun geweſen, daß 
die Klägerin 25000 M auf die Geſchäftsanteile einzahle, 
die L. zu übernehmen verpflichtet geweſen ſei; nur in 
ſelbſtverſtändlicher Folge dieſer Verpflichtung habe die 
Klägerin die Anteile von L. übernehmen ſollen. Dieſe 
Ausführungen find verfehlt. Das BG. hat die Ber- 
pflichtung der Klägerin, 25000 M Geſchäftsanteile der 
E.⸗Geſellſchaft zu übernehmen, als einen weſentlichen 
Beſtandteil des fraglichen Lieferungsvertrages in der 
Art angeſehen, daß ohne dieſe Geſchäftsanteilsübernahme 
der ganze Vertrag nicht zuſtandegekommen wäre. Da— 
mit will das BG. offenſichtlich ſagen, dieſe Uebernahme 
ſei unmittelbarer Gegenſtand des Vertrags geweſen. 
(Wird in den folgenden Ausführungen gebilligt). Es 
handelt ſich alſo hier nicht um einen Vertrag, bei 
dem die Verpflichtung zur Abnahme eines Geſchäfts— 
anteils nicht als unmittelbarer Vertragsinhalt, ſondern 


408 


Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1914. Nr. 22. 


nur als geſetzliche Nebenwirkung einer anderen, den 
weſentlichen Inhalt des Vertrages darſtellenden Ver⸗ 
pflichtung in Frage kommt, wie in JW. 1913 1041, 12, 
namentlich nicht um einen Auftrag zum Erwerbe von 
Geſchäftsanteilen. Es trifft auch nicht zu, daß es ſich, 
wenn L. am 5. September 1911 die fraglichen Geſchäfts⸗ 
anteile noch nicht gehabt habe, gar nicht um eine Ver⸗ 
pflichtung der Klägerin zur Abnahme von Geſchäfts⸗ 
anteilen, ſondern nur um eine Verpflichtung der Klägerin 
handeln könne, den Anſpruch des L. gegen die E.⸗Geſell⸗ 
ſchaft auf Lieferung von Geſchäftsanteilen zu erwerben 
Es kann ſehr wohl ein Geſellſchaftsanteil, den ein 
Dritter zu erwerben ſich verpflichtet hat, zum Gegen⸗ 
ſtand eines Vertrages zwiſchen zwei anderen Perſonen 
in der Weiſe gemacht werden, daß der eine Vertrag⸗ 
ſchließende ſich dem anderen gegenüber verpflichtet, 
dieſen Geſellſchaftsanteil von dem Dritten zu erwerben. 
In dieſer Weiſe iſt der Vertrag zwiſchen der Klägerin 
und der E.⸗Geſellſchaft geſchloſſen worden; er hat nicht 
einen Anſpruch des L. gegen die E. ⸗Geſellſchaft auf 
Lieferung von Geſchäftsanteilen zum Gegenſtande. 
Schließlich ſteht der Anwendung des $ 15 Abſ. 4 auch 
der Umſtand nicht entgegen, daß L. die Geſchäfts⸗ 
anteile noch nicht beſaß; denn § 15 Abſ. 4 gilt fogar 
ſür die vor dem Abſchluſſe des Geſellſchaftsvertrags 
getroffene Abrede über die Abtretung zukünftiger 
Geſchäftsanteile einer erſt zu gründenden G. m. b. H. 
vgl. JW. 1911 111. 49 und die dort angeführten 
Urteile des RG.). (Urt. des III. ZS. vom 30. Juni 
1914, III 96,14). — 4 — 

313 


B. Strafſachen. 
J. 


Abgrenzung des Anwendungsgebietes der 55 242 
und 370 Nr. 5 StGB. bei jortgeſetzter Entwendung. 
Aus den Gründen: Die beiden Angeklagten haben 
von Ende Auguſt bis 24. September 1913 in ihrer 
Mietwohnung wiederholt aus der ſtädtiſchen Gasleitung 
unbefugt Gas zu Beleuchtungs- und Kochzwecken ent⸗ 
nommen. Den Tatbeſtand des 8 242 StGB. verneint 
die Strafkammer, weil „für eine Schätzung der ent— 
wendeten Gasmenge jeder Anhalt fehle“, im übrigen 
aber die Vorausſetzungen des 8 370 Nr. 5 StGB. ges 
geben ſeien; auch wenn man eine tägliche Entnahme 
unterſtellen wolle, würde der Geſamtwert des Ent⸗ 
wendeten den Betrag von 2 vis 3 41 kaum überſteigen; 
jedenfalls müſſe zugunſten der Angeklagten angenommen 
werden, daß es ſich um einen unbedeutenden Wert 
im Sinne des 8 370 Nr. 5 handle. Danach iſt man— 
gels Strafantrags das Verfahren eingeſtellt worden. 
Der Reviſion des Staatsanwalts iſt der Erfolg zu 
verſagen. Von der Rechtſprechung des Reichsgerichts 
iſt anerkannt, daß eine Uebertretung aus § 370 Nr. 5 
StGB. in fortgeſetzter Ausführung eines einheit⸗ 
lichen Vorſatzes durch eine Reihe jeweils den Tat- 
beſtand der Uebertretung erfüllender Einzelhandlungen 
als einheitliche Straftat begangen werden kann. Ueber— 
ſchreitet die Geſamtheit der auf Grund des einheit— 
lichen Vorſatzes entwendeten Gegenſtande nach Menge 
oder Wert die Grenzen des 8 370 Nr. 5 St., dann 
allerdings iſt dieſe Geſetzesſtelle nicht mehr anwend— 
bar, ſondern durch die einheitliche Straftat der Tat— 
beſtand des § 242 StGB. begrundet (Entſch. Bd 17 
S. 332). Findet jedoch die für eine unbeſtimmte Ans 
zahl von Wiederholungen in Ausſicht genommene Fort— 
ſetzung von Einzelhandlungen, die jeweils an ſich nur 
den Zatbeitand des § 370 Nr. 5 begründen können, 
aus irgend einem Grunde ihr Ende, bevor durch die 
Geſamtheit des Entwendeten jene Grenze überſchritten 
iſt, dann kann durch die bloße Moglichkeit, daß bei 
einer weiteren Fortſetzung dieſe Grenze überſchritten 
worden wäre, jedenfalls bei den Einzelhandlungen an 


dem Tatbeſtand des 8 370 Nr. 5 nichts geändert werden; 

ebenſo kann aber die einheitliche Tat nur dieſen Tat- 

beſtand, nicht den des 8 242 StB. erfüllen. (Urt. 

des I. StS. vom 27. Juni 1914, 1 D 499/14). E. 
3460 


II. 


Unterdrücken einer dem Täter nicht oder nicht anl. 
\hlichlich sehörigen Urkunde (8 274 Nr. 1 Ste.). 
Aus den Gründen: Der e ee, war auf der 
Strecke 3 an den Abbauſtellen 7 weſtlich und 6 öſt⸗ 
lich als Schlepper beſchaͤftigt. Jeden Kohlenwagen, den 
er beförderte, hatte er mit der Nummer 6 oder 7 zu 
verſehen. Er bezog für jeden Wagen eine Vergütung 
von 13 Pfg. Im Auguſt und September 1912 brachte 
er an einzelnen Wagen die Nummer 11 an. Dadurch 
wurde bei dem mit der Lohnberechnung beauftragten 
Beamten der Grubenverwaltung der Irrtum erregt, 
als ob die Wagen von der Strecke 4 Abbauſtelle Nr. 11 
kämen. Sie wurden den dort beſchäftigten Arbeitern 
i Es ließ ſich nicht ermitteln, daß der 
Angeklagte von den bei Stelle 11 beſchäftigten Ar⸗ 
beitern entſchädigt wurde, von ſeinem Tun hatte er 
vielmehr ſelbſt Schaden. Wie die Strafkammer feſt⸗ 
ſtellt, wollte er nur die Arbeiter von Strecke 3 ſchädigen. 
Dafür ſcheute er nicht das Opfer an eigenem Minder⸗ 
verdienſt von 13 Pfg. für den Wagen. Die Strafkammer 
erörtert, ob ſich der Angeklagte der Urkundenfälſchung 
i. S. der 88 267, 268 StB. ſchuldig gemacht habe. 
Sie verneint dies, weil er nur eine Urkunde mit falſchem 
Inhalt hergeſtellt habe. Sie verurteilt ihn aber wegen 
Urkundenunterdrückung nach § 274 Ziff. 1 StG. Bei 


einer Wagenbeförderung wurde nämlich der Angeklagte 


durch den Vorhauer H. überwacht. Dieſer nahm im 
September 1912 einen unrichtigerweiſe mit der Num⸗ 
mer 11 verſehenen Kohlenwagen wahr. Während er 
ſich bei den Hauern erkundigte, vertauſchte der miß⸗ 
trauiſch gewordene Angeklagte die Nummer 11 mit 
der richtigen Nummer 7, von deren Vorhandenſein 
ſich H. überzeugte. Als der Wagen aber abgeliefert 
wurde, trug er wieder die Nummer 11. Durch die 
Wegnahme der Nummer 7 ſoll der Angeklagte eine 
ihm nicht gehörige Urkunde in der Abſicht unterdrückt 
haben, einem andern Nachteil zuzufügen (§ 274 Ziff.! 
StGB.). Dieſer Annahme ſtehen rechtliche Bedenken 
entgegen. Denn wenn man auch mit der StR. bejahen 
würde, daß durch Aufſtecken der Nummer 7 auf den 
Wagen eine Urkunde i. S. des 8274 Abſ. 1 StG. 
hergeſtellt werden könnte, fehlte es hier doch an dem 
Tatbeſtand des Vergehens, weil nicht feſtſteht, daß 
eine dem Angeklagten überhaupt nicht oder nicht aus⸗ 
ſchließlich gehörige Urkunde unterdrückt wurde. Die 
Feſtſtellungen der StK. ergeben nämlich folgenden 
Sachverhalt: Das unrichtige Kennzeichen am Wagen 
war zur Täuſchung der Grubenbeamten beſtimmt. 
Ihnen gegenüber wollte der Angeklagte eine irreführende 
Erklärung abgeben. Das hat er, was den von H. 
beobachteten Wagen betrifft, auch bewirkt: dieſer wurde 
den Grubenbeamten mit der irreführenden Nummer 11 
zugeführt. Solange der Wagen aber die Nummer 7 
aufwies, war er zu täuſchendem Gebrauch den Gruben⸗ 
beamten gegenüber nicht beſtimmt. In dieſem Zu— 
ſtand wollte der Angeklagte wie die Gründe ergeben, 
den Wagen nicht abliefern, er wollte nicht die durch 
die Nummer vermittelte Erklärung abgeben. Eine 
zur Entäußerung beſtimmte Erklärung des Angeklagten, 
durch die er ſeinen Willen kundgeben wollte, lag nicht 
vor. Ehe es ſoweit kam, wollte er die Nummer wieder 
entfernen und hat dies auch getan. 9. ſollte nur vers 
hindert werden, die beabſichtigte Täuſchung zu ent— 
decken. Der Wagen unterſtand damals der ausſchließ⸗ 
lichen Verfügung des Angeklagten. Aus der von ihm 
bewirkten Kennzeichnung des Wagens mit der Zahl 7 
konnten Dritte Rechte nicht herleiten, ſolange der An« 
gellagte den Wagen in Beſitz hatte. Wenn der An: 


Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


geflagte, ehe es zum beſtimmungsgemäßen Gebrauch 
der Nummer 7 kam, dieſe Zahl entfernte, hat er ſich 
nicht anders verhalten als derjenige, der eine von 
ihm gefertigte urkundliche Zuſage vernichtet, ehe er 
ſie ausfolgt und ehe ein anderer ein Recht an ihr er⸗ 
wirbt. Er hat eine Erklärung wieder zurückgenommen 
ehe er ſie einem andern gegenüber abgegeben hat. 
Wenn fie auch 15 einen andern beſtimmt war, ſo 
hatte dieſer an ihr doch kein Recht erworben, wonach 
ſie ihm auch nur teilweiſe gehörte. Die Grubenbeamten 
hatten kein Recht an der Erklärung erworben, der 
Angeklagte wollte ihnen ein ſolches auch nicht ein⸗ 
räumen, ſie wußten nicht einmal etwas von der Aufſteckung 
der Nummer 7. H. hat aber die Urkunde nur wahr⸗ 
genommen. Dadurch iſt er zu ihr in kein Rechtsver⸗ 
hältnis getreten, wonach die Urkunde als ihm aus⸗ 
ſchließlich oder teilweiſe zugehörig angeſehen werden 
konnte. (Urt. des I. StS. vom 27. Juni 1914, 10 „ 
3462 . 


III. 


Beweisantrag oder Beweisermittelungs antrag? Aus 
den Gründen: In einem Verfahren wegen Brand⸗ 
ſtiftung beantragte der geſetzliche Vertreter des An⸗ 
geklagten „eine Brandprobe vorzunehmen, um feſtzu⸗ 
ſtellen, wie lange es dauere, bis ein Brett durchbrennt 
und die über ihm befindlichen Stangen anglimmen“. 
Der Antrag iſt vom Gericht abgelehnt worden, weil 
durch das Ergebnis des Augenſcheins im Zuſammen⸗ 
halt mit dem Gutachten des Sachverſtändigen die Sach⸗ 
lage genügend aufgeklärt ſei. Stände ein wirklicher 
Beweisantrag in Frage, ſo würde dieſe Beſcheidung 
nicht ausreichen, ſoweit dadurch beſtimmte Beweistat⸗ 
ſachen als bereits durch die bisherige Beweisaufnahme 
widerlegt bezeichnet wären; allein nach der Faſſung 
des Antrages hat der Antragſteller nur Beweisermitte⸗ 
lungen angeregt, um den Tatbeſtand klar zu ſtellen, nicht 
aber beſtimmte Tatſachen unter Beweis geſtellt. Dieſem 
Beweisermittelungsantrag gegenüber bedurfte es einer 
Beſcheidung in der Richtung, weshalb er rechtlich oder 
tatſächlich unerheblich ſei, überhaupt nicht, und es kann 
keine Beſchwerde daraus hergeleitet werden, wenn das 
Gericht bei der Ablehnung des Antrags zum Ausdruck 
brachte, daß es keinen Anlaß habe, im Intereſſe der 
Wahrheitsermittelung weitere Erhebungen anzuordnen, 
weil die bisherigen Beweisergebniſſe ausreichten. (Urt. 
des J. StS. vom 2. Juli 1914, 1 D 346/1914). E. 

84161 


Oberſtes Landesgericht. 


Zivilſachen. 


. Kann Jemand feinen Enkel, der fein einziger ehe: 
licher Abkömmling iſt, an Kindes Statt aunehmen 7 (8 1741 
BGB.). Grundſätze für die ee Aus 
den Gründen: Wenn man ſich nur an den Wort: 
laut des 8 1741 Satz 1 BGB. hält, ſcheint es keinem 
Zweifel zu unterliegen, daß die Frage zu verneinen iſt. 
Denn wenn der $ 1741 Satz 1 demjenigen, der feine 
ehelichen Abkömmlinge hat, erlaubt, durch Vertrag mit 
einem anderen dieſen an Kindes Statt anzunehmen, ſo 
iſt unter dem „anderen“ eine Perſon zu verſtehen, die 
eben kein ehelicher Abkömmling iſt. Allein der Wort: 
laut des § 1741 Satz 1 druckt den Gedanken des Geſetz⸗— 
gebers nicht in ganz zuverläſſiger Weiſe aus, wie in 
der Rechtslehre ſchon wiederholt bemerkt worden iſt 
(vgl. Opet⸗Blume, Familienrecht Erl. zu 8 1741 BGB., 
Müller im Ziv. Archiv 95, 256 ff.). Dies iſt wenigſtens 
nach einer Richtung zweifellos. Denn nach dem Wort— 
laute des § 1741 würde das Vorhandenſein eines legiti⸗ 
mierten Kindes die Annahme an Kindes Statt nicht aus— 
ſchließen, weil ein legitimiertes Kind zwar die Rechts 


409 


ſtellung eines ehelichen Kindes erlangt (SS 1719, 1736 
BGB.), aber deshalb nicht ein eheliches Kind iſt, ſo⸗ 
wenig als ein uneheliches Kind ein eheliches Kind ſeiner 
Mutter iſt, trotzdem es dieſer gegenüber nach dem 8 1705 
BGB. die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes 
hat. Gleichwohl kann nicht mit Grund bezweifelt werden, 
daß auch wer nur ein legitimiertes Kind hat, nicht einen 
anderen an Kindes Statt annehmen kann. Es ergibt ſich 
dies überdies aus der Vorſchrift in $ 1743 BGB., daß 
das Vorhandenſein eines angenommenen Kindes einer 
weiteren Annahme an Kindes Statt nicht entgegenſteht. 
Dieſe Ausnahme wäre überflüſſig, wenn im 8 1741 
Satz 1 unter die ehelichen Abkömmlinge diejenigen nicht 
zu begreifen wären, die nur die rechtliche Stellung eines 
ehelichen Abkömmlings erlangt haben (vgl. Dritten⸗ 
berger im Arch ZivPrax. 95, 451, Thieſing daſ. 91, 
434). Blickt man auf den geſetzgeberiſchen Grund, 
warum das Vorhandenſein eines ehelichen Abkömmlings 
die Annahme an Kindes Statt ausſchließt, ſo ergibt ſich, 
daß mit ihm der aus dem Wortlaute des 8 1741 Satz 1 
zu folgernde Ausſchluß der Annahme des eigenen 
Enkels an Kindes Statt, auch wenn der Anzunehmende 
der einzige eheliche Abkömmling des Annehmenden iſt, 
nicht vereinbar iſt. Nach den Geſetzgebungsverhand⸗ 
lungen muß davon ausgegangen werden, daß die Gründe, 
welche den Entwurf nach deſſen Motiven beſtimmten, 


für die Vorſchrift des 8 1741 auch in ihrer endgültigen 


Faſſung maßgebend waren. Es findet ſich wenigſtens 
nirgends ein Anhalt, daß der Entwurf! Loder der Bundes⸗ 
rat oder der Reichstag einen abweichenden Standpunkt 
eingenommen hätten. Hiernach will die Vorſchrift, 
welche die Annahme an Kindes Statt für den Fall des 
Vorhandenſeins eigener Abkömmlinge verbietet, ver⸗ 
hüten, daß die ehelichen Abkömmlinge verkürzt werden 
(vgl. Mot. IV, 957 und 958; Prot. IV, 719 und 720). 
Von einer ſolchen Verkürzung kann aber ſelbſtverſtänd⸗ 
lich nicht die Rede ſein, wenn der Anzunehmende der 
einzige eheliche Abkömmling des Annehmenden iſt. 
Es darf deshalb unbedenklich angenommen werden, daß 
der Wortlaut des $ 1741 Satz 1 BGB. auch hinſichtlich 
der hier zu entſcheidenden Frage ungenau iſt. Es iſt 
Aufgabe des Richters, den wahren Sinn einer geſetz⸗ 
lichen Vorſchrift zu ermitteln, einen unvollſtändigen 
Ausdruck zu ergänzen, oder einen Ausdruck richtig zu 
ſtellen, bei deſſen Wahl der Geſetzgeber ſich vergriffen 
hat. Freilich darf der Richter hierbei der Geſetzesvor⸗ 
Kar nicht einen Sinn beilegen, der mit den Worten 
es Geſetzgebers ſchlechterdings nicht zu vereinbaren 
iſt. Die Auslegung muß in den Worten immerhin ge⸗ 
funden werden können und als Gedanke des Geſetz⸗ 
gebers darf nichts feſtgeſtellt werden, was mit dem 
Wortlaut in Widerſpruch ſteht; die gebrauchten Worte 
dürfen lediglich einen nicht völlig entſprechenden Aus⸗ 
druck des Gedankens des Geſetzgebers darſtellen. Würde 
die Auslegung ſich über den Wortlaut des Geſetzes 
hinwegſetzen, ſo würde damit gegen den oberſten Grund⸗ 
ſatz verſtoßen, daß nur das erklärte Wort des Geſetz⸗ 
gebers Geſetzeskraft haben kann. Bei nicht völlig klaren 
Willenserklärungen des Geſetzgebers iſt derſelbe Weg 
geboten, der nach 8 133 BG. bei Willenserklärungen 
von Privatperſonen einzuſchlagen iſt, nämlich die Er⸗ 
forſchung des wirklichen Willens und die Nichtbeachtung 
des buchſtäblichen Sinnes des Ausdrucks. Wenn der 
Wortlaut einer Geſetzesbeſtimmung zu einem unver⸗ 
nünftigen oder der Abſicht des Geſetzgebers offenſichtlich 
widerſtreitenden Ergebnis führt, jo kann daraus ges 
ſchloſſen werden, daß die Vorſchrift, nach dem Buch⸗ 
ſtaben angewendet, auf den zur Entſcheidung ſtehenden 
Fall nicht paßt, und daß eine Lücke, eine zu enge oder 
zu weite Faſſung des Geſetzes vorliegt. Geht man 
hievon aus, ſo iſt klar, daß es nicht gegen den Zweck 
des Geſetzes verſtößt, wenn den Großeltern geſtattet 
wird, den einzigen ehelichen Abkömmling ihres einzigen 
ehelichen Kindes an Kindes Statt anzunehmen. Dazu 
kommt, daß für die Annahme des eigenen Enkels an 


410 


Kindes Statt auch ein ſachlich gerechtfertigtes Bedürfnis 
beſtehen kann. Dies beweiſt gerade der vorliegende 
Fall, wo die Großmutter die Annahme ihrer Enkelin 
an Kindes Statt anſtrebt, damit ſie ihr nicht ſpäter von 
dem Vater nach Belieben entzogen wird, nachdem ſie 
von ihr aufgezogen und unterhalten worden iſt. Die 
Annahme des eigenen Enkels an Kindes Statt haben 
auch nachweisbar die Verfaſſer des Entwurfs I für zu» 
läſſig erachtet; denn ſie erwähnen an anderer Stelle 
(Mot. IV S. 1051), bei der Berufung zur Vormund⸗ 
ſchaft, in der Begründung zu 8 1635 des Entwurfs — 
8 1776 des Geſetzes — den Fall, wenn der leibliche 
Großvater ſeinen Enkel an Kindes Statt angenommen 
hat. Würde man den § 1741 BGB. fo auslegen wie 
das LG., ſo könnte hiebei nur die Annahme des Kindes 
der unehelichen Tochter oder die Annahme des unehe⸗ 
lichen Kindes der verſtorbenen ehelichen Tochter in Bes 
tracht kommen. Nichts deutet darauf hin, daß nur 
dieſe Ausnahmefälle in das Auge gefaßt waren; auch 
bei den Kommiſſionsberatungen (vgl. Prot. Bd. 4 
S. 745 — 747) und in den geſetzgebenden Körperſchaften 
wurde kein Widerſpruch gegen die uneingeſchränkte 
Bemerkung der Motive laut. Der unehelichen Mutter 
iſt — wenigſtens nach der weit überwiegenden herr⸗ 
ſchenden Anſicht (vgl. Kipp⸗Wolff, Familienrecht 1914 
S. 344, a. A. Bergk Familienrechtliche Streitfragen 1914 
S. 5) — nicht verwehrt ihr eigenes uneheliches Kind 
an Kindes Statt anzunehmen, damit ſie ſich die volle 
rechtliche Stellung einer ehelichen Mutter, beſonders 
die elterliche Gewalt über ihr uneheliches Kind ver⸗ 
ſchaffe. Da man, wie ausgeführt, unter den ehelichen 
Abkömmlingen i. S. des § 1741 Satz 1 auch diejenigen 
verſtehen muß, welche zwar nicht eheliche Abkömmlinge 
ſind, jedoch die rechtliche Stellung von ehelichen Ab— 
kömmlingen erlangt haben, ſo würde der Wortlaut 
des 8 1741 Satz 1 — ſtreng genommen — auch der 
Annahme eines unehelichen Kindes durch ſeine Mutter 
entgegenſtehen. Gleichwohl halten die Mot. IV S. 958 
die Zuläſſigkeit einer ſolchen Annahme für ſelbſtver⸗ 
ſtändlich. Der Großvater darf nach der herrſchenden 
Anſicht ſeinen unehelichen Enkel (das uneheliche Kind 
ſeiner verſtorbenen ehelichen Tochter) an Kindes Statt 
annehmen. Es würde an jedem inneren Grunde fehlen, 
wenn er ſeinen einzigen ehelichen Enkel (das eheliche 
Kind feines verftorbenen ehelichen Kindes) nicht ſollte 
an Kindes Statt annehmen dürfen. Schließlich iſt noch 
darauf hinzuweiſen, daß im Gebiete des Gemeinen 
Rechtes die adoptio plena, die Annahme des eigenen 
Enkels an Kindes Statt durch den Großvater ſo ſehr 
für ſelbſtverſtändlich gehalten wurde und gebräuchlich 
war, daß die Motive zum Entwurf eines BGB. ſicherlich 
die Beſeitigung dieſer Möglichkeit ausführlich begründet 
hätten (vgl. Friedrichs in der 233. 1901 S. 47). In 
den Motiven findet ſich aber hierüber keine Bemerkung, 
ebenſowenig in der Begründung des Redaktorenent— 
wurfes, wohl aber handeln beide (vgl. Mot. IV S. 954) 
eingehend davon, daß der Unterſchied zwiſchen der 
adoptiv plena und minus plena wegfalle und nach dem 
BGB. jede Annahme eines Minderjährigen die volle 
elterliche Gewalt des Annehmenden begründe. All dies 
führt zu dem Schluſſe, daß es nicht zuläſſig iſt, der 
Beſchwerdeführerin die Annahme ihrer Enkelin, die 
ihr einziger ehelicher Abkömmling iſt, zu verwehren. 
(Beſchluß des J. 35. vom 22. Sept. 1914, Reg. III 
Nr. 34/1914). M. 
405 


O berlandesgericht Nürnberg. 


Ueber die ſog. privilegierten Schützengeſellſchaften 
in Bayern und die Stellung des Schutzenkommiſſariats. 
Ausſchließung von der Mitgliedſchaſt. Beſchreitung 
des Zivilrechtswegs. Zuſtändigkeit der Generalver⸗ 
ſammlung. Tagesordnung hierfur. Vorladung und 


Beitjift für Kegtapflege n Bapern. 1914. Nr. 2. 


| 


Anhörung dei auszuſchließenden Mitglieds. Bearün- 
dung des 7 anf Ausſchließung und Mitteilung 
an das Mitglied. Vorlänſige Vollſtreckbarkeit des Ur: 
teils. (K. B. BO. vom 25. Auguſt 1868, betr. eine allgem. 
Schützenordnung, 88 25, 32, 39 BGB., Art. 82, 163 
EG. BGB.; 58 709, 710 ZPO.). 

Aus den Gründen: Im 8 2 der allg. Schützen⸗ 
ordnung (= Sch.) iſt beſtimmt: „Den zurzeit be 
ſtehenden, ſowie den ſich neubildenden Schützengeſell⸗ 
ſchaften ſteht es frei, ob fie die gegenwärtige SchO. an» 
erkennen wollen oder nicht. Im erſteren Falle erhalten 
ſie kraft dieſer Anerkennung und auf ſolange, als ſie 
dieſelbe nicht zurücknehmen, die Rechte einer Korpo⸗ 
ration; im letzteren Falle aber bemeſſen ſich eh Ver⸗ 
hältniſſe lediglich nach den Beſtimmungen des Ge⸗ 
ſetzes vom 26. Februar 1850, die Berfammlungen und 
Vereine betr., ſofern ſie nicht nachzuweiſen vermögen, 
daß ſie ſich infolge älterer Privilegien im Beſitze 
korporativer Rechte befinden.“ Als Zweck der Schüt⸗ 
zengeſellſchaften iſt im 8 1 ShO. die Vereinigung 
ihrer Mitglieder zu gemeinſchaftlichen Schießübungen 
bezeichnet, um a. fortgefegte Handhabung der 
Feuerwaffe und durch Förderung des Schützenweſens 
im allgemeinen die Wehrkraft des Volkes zu erhöhen. 
Die beklagte Schützengeſellſchaft hat bei ihrer Grün⸗ 
dung die SchO. als Satzung angenommen. Damit 
hat fie auf Grund des 8 2 Abſ. 2 Scho. die 
Rechte einer juriſtiſchen Perſon erlangt. Es fragt ſich, 
ob ſie eine juriſtiſche Perſon des öffentlichen Rechts 
oder des Privatrechts geworden iſt. Hierüber be⸗ 
ſtehen verſchiedene Anſichten. Während in der Hand⸗ 
ausgabe zu den Bayer. AG. BGB. von Henle⸗Schneider 
2. Aufl. S. 18 und in Aufſätzen in der Bay f. 18 
S. 104, 164 und 299 den Schützengeſellſchaften, welche 
die SchO. als Satzung angenommen haben, die ECigen⸗ 
ſchaft von Körperſchaften des öffentlichen Rechts bei⸗ 
gelegt wird, werden ſie in einem Aufſatz der gleichen 
Zeitſchrift 1908 S. 121 als juriſtiſche Perſonen des 
Privatrechts betrachtet. Richtig iſt, daß Schützenge⸗ 
ſellſchaften, welche die SchO. als Satzung angenom⸗ 
men haben, unter gewiſſer ſtaatlicher Aufſicht ſtehen. 
Es muß bei jeder ſolchen Schützengeſellſchaft ein 
Schützenkommiſſariat beſtehen, das nach SS 4 und 8 
SchO. von der Diſtrikspolizeibehörde ernannt wird 
und in den durch die SchO. beſtimmten Fällen das 
öffentliche Intereſſe zu wahren und die ſtaatliche Auf⸗ 
ſicht zu handhaben hat. In gewiſſen Fällen, ſo nach 
ss 5 Abſ. b, 13 Abſ. 3 SchO., iſt zu Beſchlüſſen die 
Zuſtimmung des Schützenkommiſſariats erforderlich, 
es hat nach den 88 18, 19 a. a. O. in bezug auf die 
Generalverſammlung beſtimmte Rechte und kann nach 
8 21 Beſchlüſſe der Generalverſammlung über die Ver⸗ 
äußerung oder Verpfändung des Geſellſchaftsverms⸗ 
gens hemmen. Nach 8 41 find ihm die Rechnung des 
vergangenen Jahres und der Etat des nächſten Jahres 
zur Kenntnis zu übergeben. Endlich ſteht nach 8 27 
dem Schützenkommiſſariat frei, Aufſchlüſſe bezüglich 
der Aufnahme, des Austritts oder des Ausſchluſſes von 
Mitgliedern zu verlangen. In der SHO. iſt aber 
die Entſcheidung von Streitigkeiten über Aufnahme 
und Ausſchließung von Mitgliedern nicht dem Schützen⸗ 
kommiſſariat oder der Diſtriktsverwaltungsbehorde 
übertragen, welche Entſcheidung z. B. nach dem die 
Innungen betreffenden 8 96 GewO. ausdrücklich der 
unteren Verwaltungsbehörde übertragen worden iſt. 
Vielmehr iſt die Faſſung des Beſchluſſes auf Aus: 
ſchließung von Mitgliedern der Generalverſammlung 
überlaſſen. Während nach § 38 dem Verurteilten 
gegen Strafbeſchlüſſe des Geſellſchaftsausſchuſſes die 
Berufung an die nächſte Generalverſammlung als 
letzte Inſtanz geſtattet iſt, fehlt in der Schü. jede 
Beſtimmung darüber, wie der gänzliche Ausſchluß. 
der nach SS 36, 16 nicht durch den Geſellſchaftsaus— 
ſchuß, ſondern nur durch die Generalverſammlung 
verfügt werden kann, von dem ausgeſchloſſenen Mit— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


glied angefochten werden kann. Nach 88 21, 45 SchO. 
kann zwar die Schützengeſellſchaft gegen Verfügungen 
des Schützenkommiſſariats Beſchwerde zur Diſtrikts⸗ 
verwaltungsbehörde und weitere Beſchwerde zur Kreis⸗ 
regierung erheben; dagegen fehlt jede Beſtimmung 
darüber, daß dem ausgeſchloſſenen Mitglied das Recht 
zuſtände, gegen feine Ausſchließung Beſchwerde zum 
Schützenkommiſſariat oder gegen deſſen Beſcheid Be⸗ 
ſchwerde zur Diſtriktsvberwaltungsbehörde zu erheben. 
Aus dem Fehlen dieſer Beſtimmung iſt zu ſchließen, 
daß die Prüfung der Frage, ob ein Ausſchließungs⸗ 
beſchluß mit Recht ergangen iſt oder nicht, nicht dem 
Schützenkommiſſariat, ſondern dem Gerichte zuſteht 
und daher der Rechtsweg zuläſſig iſt. Es kann alſo 
dahingeſtellt bleiben, ob die beklagte Geſellſchaft eine 
juriſtiſche Perſon des öffentlichen Rechts oder des 
Privatrechts if. Daher kann auch 8 89 BGB. hier 
nicht in Betracht kommen. Da Art. 82 CG. BGB. 
nach ſeiner Entſtehungsgeſchichte nur au wirtſchaft⸗ 
liche Vereine anwendbar iſt, ſo ſind auf die Beklagte, 
die ideale Zwecke verfolgt, nach Art. 163 FG. BGB. 
die 88 25—53, insbeſondere die 588 25, 32, 39 BGB. 
anzuwenden. Die ſachliche Seite des Ausſchließungs⸗ 
beſchluſſes, d. h. die Srage, ob ein triftiger Anlaß zur 
Ausſchließung vorgelegen 523 kann hiernach vom Ge⸗ 
richte nie nachgeprüft werden, wohl aber die Frage, 
ob bei der Ausſchließung die durch die Satzung vor⸗ 
geſchriebenen Formen und Vorſchriften eingehalten 
worden ſind. 

Die Beanſtandung des Klägers, es hatte nicht ſo⸗ 
fort die Generalverſammlung die Ausſchließung be⸗ 
ſchließen dürfen, ſondern zuerſt ein Strafbeſchluß des 
Geſellſchaftsausſchuſſes erfolgen ſollen, trifft nicht zu; 
denn nach 88 36, 16 Abſ. 3d, 34 SchO. kann der 
ee Ausſchluß aus der Geſellſchaft nur durch 

eſchluß der Generalverſammlung als Strafe verfügt 
werden. Dagegen ſind die übrigen Beanſtandungen 
begründet. Nach 8 36 SchH. kann eine Strafe, als 
welche ſich nach 8 35 a. a. O. auch der gänzliche Aus⸗ 
ſchluß aus der Geſellſchaft darſtellt, nur nach Unter⸗ 
ſuchung der Sache durch einen Schützenmeiſter und 
nach Vernehmung des Beteiligten verhängt werden. 
Es kann dahingeſtellt bleiben, ob in einer mehrere 
Wochen vor der Generalverſammlung einberufenen 
außerordentlichen Sitzung des Ausſchuſſes in Gegen⸗ 
wart der beiden Schützenmeiſter die Sache durch ein⸗ 
gehende Beſprechung des Falls unterſucht wurde. 
Der Kläger iſt zu dieſer Ausſchußſitzung nicht beige⸗ 
zogen worden; das iſt zwar nicht vorgeſchrieben, 
aber ohne Vernehmung des Beſchuldigten iſt eine 
ordnungsmäßige Unterſuchung nicht denkbar. Es 
wird behauptet, daß ſich der zweite Schützenmeiſter 
wiederholt mit dem Kläger über ſein Benehmen unter⸗ 
halten und ihm geſagt habe, es könne ſo nicht weiter⸗ 
gehen, es hätten hiewegen ſchon Mitglieder mit Aus⸗ 
tritt gedroht. Zu Unrecht wird in dieſen Unter⸗ 
redungen eine Vernehmung des Klägers erblickt; denn 
ſolche Unterredungen können die im 8 36 SHO. vor⸗ 
geſchriebene Vernehmung nicht erſetzen; dieſe ſetzt 
voraus, daß der Schützenmeiſter dem Beteiligten die 
einzelnen Punkte der Beſchuldigung genau unter Be⸗ 
kanntgabe des Ergebniſſes der Unterſuchung vorhält, 
ihn zur Verantwortung auffordert und ihn auf die 
Strafe hinweiſt. Der Kläger wurde nicht fo ver» 
nommen. Eine Vernehmung vor der Generalver⸗ 
ſammlung iſt alfo nicht erfolgt. Da die SchO. Gegen⸗ 
teiliges nicht beſtimmt, kann allerdings Unterſuchung 
und Vernehmung auch erſt in der General verſamm— 
lung geſchehen. Hierzu muß aber der Beteiligte ord— 
nungsmäßig geladen werden. Nach 8 18 Abſ. 3 Scho. 
geſchieht die Berufung zur Generalverſammlung unter 
Fertigung des Schützenmeiſteramts u. a. durch ge— 
ſonderte Ladung. Daß hiebei jedem Geſellſchaftsmit— 
gliede die Tagesordnung bekanntgegeben werden 
muß, iſt im § 18 Abſ. 3 nicht erwähnt. Nach 8 18 


411 


Abſ. 2 iſt aber eine Tagesordnung der Generalver⸗ 
ſammlung zu entwerfen und dem Schützenkommiſſariate 
zur Einſicht unter Einladung zur Teilnahme vorzu⸗ 
legen. Daraus folgt, daß 2 den Mitgliedern zu⸗ 
gleich mit der Ladung die e bekanntzu⸗ 
geben iſt; jedenfalls hat dies nach 8 32 BGB. zu 
geſchehen, der hier ergänzend anzuwenden iſt. In der 
Ladung, die dem Kläger zugeſandt wurde, war als 
Gegenſtand der e „der Ausſchluß eines 
Mitglieds“ bezeichnet, ohne daß deſſen Name ange⸗ 
geben war. Es kann desen bleiben, ob damit 
die Tagesordnung für die übrigen Mitglieder ge⸗ 
nügend bezeichnet war, für den Kläger genügte dieſe 
Bezeichnung nicht. Er war vor der Generalverſamm⸗ 
lung noch nicht vernommen worden, und mußte da⸗ 
ber, da er ein Recht auf Gehör hatte, ſpäteſtens in 
er Generalverſammlung vernommen oder wenigſtens 
mit dem Beifügen geladen werden, daß er zunäch 
über die Beſchuldigung vernommen werde. Denn erſt 
nach der Vernehmung oder im Falle des Nichterſchei⸗ 
nens trotz Vorladung zur Vernehmung kann ein Mit⸗ 
glied ausgeſchloſſen werden. Gegenſtand der Tages⸗ 
ordnung war daher nicht nur die Beſchlußfaſſung über 
die Ausſchließung des Klägers, ſondern auch deſſen 
Vernehmung. Seine Ladung hiezu wäre ohne beſon⸗ 
dere Koſten in einem verſchloſſenen Briefe möglich ge⸗ 
weſen; da ſie nicht unter Bekanntgabe dieſer Tages⸗ 
ordnung erfolgt iſt, war ſie nicht ordnungsmäßig. 
Ein förmlicher Strafbeſchluß wurde überhaupt nicht 
gefaßt. Nach 8 36 Sch̃O. find in dem Strafbeſchluß 
deſſen Gründe anzuführen. Nach dem Protokoll wur⸗ 
den gegen den Kläger von zwei Mitgliedern zwei Beſchul⸗ 
digungen erhoben, nämlich die einer bedrohlichen 
Aeußerung gegen die Geſellſchaft und die einer ano⸗ 
nymen Anzeige an das Bezirksamt. Nachdem zum 
letzten Punkte ein Mitglied bemerkt hatte, daß der 
Kläger auszuſchließen ſei, wenn man in den Schrift⸗ 
zügen die Handſchrift des Klägers erkannt habe, wurde 
auf Antrag des Schützenmeiſters abgeſtimmt. Das 
Protokoll läßt nicht erſehen, ob die Ausſchließung 
wegen der beiden Beſchuldigungen oder nur wegen 
einer beſchloſſen wurde, es enthält alſo keinen mit 
Gründen verſehenen Strafbeſchluß. Dem Kläger hat 
das Schützenmeiſteramt ſeine Ausſchließung ohne Be⸗ 
kanntgabe der Gründe mitgeteilt. Die SchO. ſchreibt 
zwar die Mitteilung der Gründe nicht vor. Aber nur 
durch die Gründe kann feſtgeſtellt werden, ob die 
Ausſchließung aus einem ſatzungsmäßigen Grunde 
erfolgt iſt. Wenn auch der Kläger vielleicht vor ſei⸗ 
ner Ausſchließung ſeinen Austritt erklärt hat, ſo kann 
er doch die Aufhebung eines nach ſeiner Anſicht zu 
Unrecht ergangenen Ausſchließungsbeſchluſſes durch 
Klage verlangen; denn es iſt ein großer Unterſchied, 
ob die Mitgliedſchaft durch Austritt oder durch Aus⸗ 
ſchluß endet. Das LG. hat ſonach mit Recht die 
. des Ausſchließungsbeſchluſſes feſt⸗ 
geſtellt. 

Der Kläger war an ſich berechtigt durch Anſchluß⸗ 
berufung die vorläufige Vollſtreckbarkeit des ange⸗ 
fochtenen Urteils zu beantragen (OL GRſpr. 5, 119). 
Dieſe Anſchlußberufung war aber als unbegründet 
zurückzuweiſen, da das angefochtene Urteil in der 
Hauptſache nur auf Feſtſtellung lautet und die in 
einem ſolchen Urteil enthaltene Koſtenentſcheidung 
weder ohne noch gegen Sicherheitsleiſtung für vor⸗ 
läufig vollſtreckbar erklärt werden kann (88 709 Nr. 4, 
710 8PO.). (Urt. des I. 35. vom 17. April 1914, 
L. 202/13). Br. 
3386 


Bücheranzeigen. 


ixen, Dr. Peter, leitender Arzt der Beobachtungs⸗ 
abteilung für geiſteskranke Gefangene am K. Straf⸗ 
gefängnis in Breslau. bal rage der Anrech⸗ 
nung des Irrenanſtalts aufenthaltes auf 
die Strafzeit. Ein Beitrag zur Reform der 
StPO. 91 S. Halle a. S. 1914, Carl Marhold. 
2.20 Mk. [ Juriſt.⸗pſychiatr. Grenzfr. IX. Bd., Heft 7,8. 

Verfaſſer, der ſchon früher über die Frage ge⸗ 
ſchrieben hat,) bietet hier eine eingehendere Darſtellung. 
Er beſpricht zunächſt die Entſtehung des 8 493 StBO., 
ſtellt dann die einſchlägige juriſtiſche und pſychiatriſche 
Literatur, ſowie die Judikatur zuſammen und gewinnt 
daraus feine Vorſchläge für die neue StPO., die * 
mit denen Aſchaffenburgs decken und auf unterſchieds⸗ 
loſe, obligatoriſche Anrechnung des Irrenanſtaltsauf⸗ 
Aa ba hinauslaufen. u wiederholt feinen 
früheren!) Vorſchlag, dem 8 493 Abſ. 1 StPO. fol» 
gende Sätze beizufügen: „Dies gilt auch für ſolche Ver⸗ 
urteilte, welche wegen Geiſteskrankheit in eine Irren⸗ 
anſtalt gebracht werden. Eine Strafunterbrechung 
findet in einem ſolchen Falle nicht ſtatt“. Anlaß hierzu 
gibt ihm die mit 8 493 StPO. kaum zu vereinbarende 
preußiſche Praxis, die Strafvollſtreckung jeweils durch 
ausdrückliche Verfügung förmlich zu unterbrechen, um 
den Krankenhausaufenthalt in die Strafzeit nicht ein⸗ 
rechnen und die Staatskaſſe (Juſtizverwaltung) dem⸗ 
gemäß mit den Koſten dieſes Aufenthalts nicht belaſten 


zu müſſen. 
München. 


Warneher, Dr. Otte, Amtsgerichtsrat. Konkurs⸗ 
ordnung, erläutert | die Rechtſprechung und 
die Materialien ſowie verſehen mit Hinweiſen auf 
die einſchlägige Literatur. 240 S. 117 3 1913, 
Roßberg'ſche Verlagsbuchhandlung. Mk. 3.—. 


Der Verfaſſer erläutert hier die KO. aͤhnlich, wie 
er das B88. und die ZPO. bearbeitet hat. Er bringt 
zu den einzelnen Vorſchriften Nachweiſe aus der Literatur 
und reiht dieſen Sätze aus der Rechtſprechung an. 
Weiter ſind da und dort die Materialien bezeichnet. 
3 wird auf den Kommentar von Jaeger verwieſen. 
In der vom Verfaſſer ſelbſt gezogenen Beſchränkung 
iſt das Buch eine für die Praxis wertvolle Bereicherung 
der — abgeſehen von dem großen Werke Jaegers und 
von ſyſtematiſchen Arbeiten — immerhin ſpärlichen 
neueren konkursrechtlichen Literatur. B. 


Licht, Gruft, Juſtizrat, Rechtsanwalt in Cöln. Die 
Kriegsgeſetze des bürgerlichen Rechts für 
Laien und Juriſten. VI, 71 S. Stuttgart 1914, 
Verlag von W. Kohlhammer. Mk. 1.—. 


Das in erſter Linie für Laien berechnete Buch 
enthält eine kurze ſyſtematiſche Darſtellung des Ein⸗ 
fluſſes des Krieges auf das Prozeßrecht, auf Verträge 
und auf die freiwillige Gerichtsbarkeit. Ein Teil der 
fog. Kriegsgeſetze und der hierzu ergangenen Vollzugs- 
erlaſſe iſt im Anhang abgedruckt. Schi 


Schneider, Nudelf, Landrichter. Zivilprozeſſe für 
den Rechtsunter richt, insbeſondere für die 
Referendarübungen. 119 S. Berlin 1914, J. Gutten⸗ 
tag VBerlagsbuchhandlung. Mk. 2.40. 

Die Fälle ſind anregend und geſchickt bearbeitet. 
Sie bieten gerade ſo viel Schwierigkeiten, als nötig 
ſind, um den Leſer zum Nachdenken anzureizen, ihn 
aber nicht vor der Schwierigkeit der Aufgabe verzagen 
zu laſſen. Dennoch habe ich mich gewundert, daß dieſe 


1) Vgl. Pſuchlatr.⸗neurolog. Wochenſchr. X (1908) S. 733. 


Dr. Doerr. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 


Aufgaben in erſter Linie für Referendare berechnet 

find. Wer hat nun Recht 7 Die Profeſſoren, die ihren 

Hörern viel ſchwerere Fälle zumuten, oder der Praktiker, 

der den Referendaren mit leichteren Fällen kommt ? 

Irgend ein Fehler in der Abſtandsſchätzung iſt da ſicher 
emacht worden. Mir ſcheint das Recht bei dem 
raktiker zu ſein. 
Münſter. 


Friedrichs, Dr. Karl, Juſtizrat, Rechtsanwalt in Düſſel⸗ 
dorf. Handbuch der Prozeßpraxis. Zweite, 
ergänzte und verbeſſerte Auflage. I. Bd.: Allgemeiner 
Teil. Recht der Schuldverhältniſſe, 816 S. II. Bd.: 
Sachenrecht und andere abſolute Rechte, Familien⸗ 

55 Erbrecht, Zivilprozeſſe aus dem Verwaltungs 


Brofeffor Dr. Krückmann. 


recht. 635 S. Berlin 1913, Carl Heymanns Verlag. 


Mk. 30.—, geb. Mk. 32.—. 

Dieſes Werk rechne ich zu den erſtaunlichſten 
Leiſtungen wiſſenſchaftlichen Fleißes. Fr. erſtrebt etwas 
Unmögliches: in ſyſtematiſchem Aufbau im ganzen, in 
katalogartiger, tabellariſcher Form im einzelnen, bei 
größter Ueberſichtlichkeit und gedraͤngteſter Kürze möchte 
er alle vor dem ordentlichen Zivilgericht oder dem 
Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltend zu 
machenden Anſprüche und Einwendungen ſkizzieren, 
die auf Reichsgeſetzen beruhen, die am 1. Januar 1913 
in Kraft waren, einerlei ob ſie dem Zivilrecht oder 
dem Verwaltungsrecht angehören. Bei all dieſen An⸗ 
ſprüchen möchte Fr. alle Geſetzesſtellen heranziehen, 
die auf ihre Begründung, Höhe, gerichtliche Leltend⸗ 
machung oder Beſeitigung Einfluß haben! Solch hohes 
Streben erinnert an das Mühen der Geſetzgeber des 
preußiſchen allgemeinen Landrechts; die unendliche 
Vielgeſtaltigkeit des Lebens ſpottet aller menſchlichen 
Regiſtrier⸗Vermeſſenheit. Doch hat auch hier das große 
Wollen Großes vollbracht. 

Friedrichs Werk, der äußeren Form nach eine An⸗ 
leitung zur Abfaſſung von Klagen und Klagbeant⸗ 
wortungen, wird namentlich den Rechtsanwälten un⸗ 
ſchätzbare Dienſte leiſten; bei Ausarbeitung einer Klage, 
wo uns die Sorge um eine erſchöͤpfende Berückſichti⸗ 

ung aller in Betracht kommenden Geſichtspunkte und 

atbeſtände erfüllt, damit wir nicht, wenn es zu ſpaͤt 
ift, vor der Notwendigkeit einer Klagänderung ſtehen, 
wie bei der Vertretung des Beklagten, wo alle recht⸗ 
lichen Einwendungen zu erwägen find. Solch einen 
Rechtsbeiſtand begehrt auch der beſchäftigte und er⸗ 
fahrene Anwalt; denn gerade im Drange der Geſchäfte 
kann leicht etwas überfehen werden. Dazu treten die natuͤr⸗ 
lichen Schwierigkeiten, wenn es ſich um eine Tätigkeit 
auf einem fernerliegenden Gebiete handelt. 5 ver⸗ 
weiſe da nur auf einige Stichworte aus dem Inhalts⸗ 
verzeichnis: Berufsgenoſſenſchaften, Innungen uſw. 
Krankenkaſſen uſw., Verſicherungsanſtalten. Verſiche⸗ 
rungs vereine auf Gegenſeitigkeit, Auswanderungsver⸗ 
trag, Kriegsleiſtungen und Enteignung, Klagen gegen 
Abgaben und polizeiliche Verfügungen. Aber auch auf 
den anderen Gebieten, die uns in der täglichen Praxis 
näherliegen, werden wir bei Friedrichs wertvolle Hilfe 
finden. So widerſinnig es klingt, konnte man gerade 
in dem ungeheuren Reichtum des Werkes einen Hinde⸗ 
rungsgrund für die Benutzung Per denn es iſt troß 
des ausführlichen Inhaltsverzeichniſſes und trotz des 
gründlich gearbeiteten Sachverzeichniſſes mitunter nicht 
leicht, zu finden, was man ſucht. Darum iſt ein Ge⸗ 
ſetzesregiſter, das die 2. Auflage durch ein alphade⸗ 
tiſches Wörterverzeichnis erſetzen will, daneben doch 
noch zu wünſchen. 


Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Verantwortl. Herausgeber i. B.: E. Eckert, Land: 
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


ur. 23. München, den den 1. Dezember 1914. — 10. 10. Jahrg. 


— — —. .. ̃ ͤ—k— — 


Zeitfhrift für Bechtapflegt 


Herausgegeben von Verlag von 


entered fl Bühkrn . e 


Staate miniſterium der Juſtig. Alinchen, Berlin u. Keipsig. 
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung Sd. 79.) 


Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a, 
Anzeigengebühr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile 
oder deren Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen» 
/anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats //. 
In . von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich [: 
Pik. 8.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und 
ede Poſtanſtalt. 


— 


Nachdruck verboten. 413 


reinlich zu ſcheiden, wird er ſofort erkennen, daß 
EN 5 hier auf 50 1 1 10 5 
on Dr. Hermann Rehm, rechtigkeitsſtandpunkt ſcharf zu trennen find. Wie 

eee DER ee Strafe ee | ſteht die Frage rechtlich, wie fteht die Frage ſittlich? 
Die deutſchen Staaten haben bei Kriegsaus⸗ Rechtlich handelt es ſich um das Weſen des 


Amneftie und Koſtenvorſchuß. 


bruch den Kriegsteilnehmern einen großen Teil Koſtenvorſchuſſes. Nach dem RGKG. $ 83 im 
der über fie verhängten Strafen in Gnaden er: Zuſammenhalt mit RStPO. 8 498 erſcheint der 
laſſen. Eine Reihe der verbündeten Regierungen Koſtenvorſchuß als eine Koſtenerhebung vor Ent: 
iſt weiter gegangen und hat im Gnadenwege ſtehung der Koſten und nur in vorläufiger Weiſe. 
gegenüber Kriegsteilnehmern auch die gerichtlichen § 83 GKG. beſtimmt: „In Strafſachen iſt vom 
Strafkoſten niedergeſchlagen. Durch dieſen Ver: Privatkläger oder demjenigen, welcher als Privat⸗ 
zicht auf Gerichtsgebühren und Auslagen erlitten | kläger eine Berufung oder Reviſion einlegt, ein 
die Staatskaſſen Ausfälle und da und dort find Gebühren vorſchuß von 10 1 für die Inſtanz 
die Finanzbehörden nun dabei, den Ausfall auf zu zahlen“, und StPO. $ 496 lautet: „Jedes 
die Weiſe zu decken, daß ſie die Strafkoſten vom Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Unter⸗ 
Kläger im Wege des Gebührenvorſchuſſes einzu: ſuchung einſtellende Entſcheidung muß darüber 
ziehen unternehmen. Der Privatkläger, von dem Beſtimmung treffen, von wem die Koſten des Ver⸗ 
während des ganzen Prozeſſes in allen Inſtanzen fahrens zu tragen ſind.“ Alſo ſcheint der den Vor⸗ 
kein Koſtenvorſchuß eingefordert wurde und der ſchuß Leiſtende nur Koſtenzahler, nicht Koſtenträger, 
ein rechtskräftiges Urteil in Händen hat, das den ſeine Koſtenpflicht nur eine vorlaͤufige, keine ſchließ⸗ 
Beklagten zu allen Koſten des Rechtsganges ver⸗ liche zu fein. Allein da tritt 8 90 GKG. mit 
urteilt, erhält nicht nur von der Gerichtsſtelle die der Vorſchrift auf den Plan: „Die Pflicht zur 
Mitteilung, daß dem Gegner Strafe und Ge⸗ Zahlung der vorzuſchießenden Beträge bleibt auch 
richtskoſten im Gnadenwege geſchenkt ſeien, ſondern beſtehen, wenn die Koſten des Verfahrens einem 
bald darauf auch vom Steuereinnehmer ganz un⸗ anderen auferlegt oder von einem anderen über⸗ 
vermutet die Aufforderung, binnen einer Woche nommen find.“ Die Vorſchrift erſcheint zunächſt 
ſo und ſo viel Strafkoſten zu entrichten, und dann als widerſpruchsvoll. Vorſchießen laſſen ſich be⸗ 
die freundliche Bemerkung: „Nach Umfluß dieſer grifflich nur Koſten, die erſt entſtehen ſollen. Die 
Friſt wird das Mahnverfahren in Vollzug gejegt | Koſten, die aber hier auferlegt werden, ſind be⸗ 
werden“. Ich glaube, bei jedem Empfänger einer reits entſtanden; denn das Auferlegen geſchieht 
ſolchen Auf orderung wird das erſte, was ſich ein⸗ im Urteil, alſo am Ende des Verfahrens. Allein 
ſtellt, ein Erſtaunen und Kopfſchütteln ſein. Er Ausſchlag gibt nicht der Wortlaut, ſondern der 
wird den Zettel nicht verſtehen. Ich, der ſieg⸗ Inhalt des Geſetzes. Der Geſetzgeber will jagen: 
reiche Kläger ſoll Strafkoſten zahlen müſſen, der „Auch der Privatkläger, von dem kein Koſtenvor⸗ 
Unterlegene und zum Tragen der Koſten aus- ſchuß erhoben wurde, kann in der Höhe des Vor⸗ 
drücklich Verurteilte aber davon frei ſein? Wie ſchuſſes zur Deckung der Gerichtsgebühren und 
iſt das möglich? Wie iſt denkbar, daß die Be- Auslagen herangezogen werden und zwar ſelbſt 
gnadigung des Beſtraften zur Strafe und Härte dann, wenn die Koſten des Verfahrens einem 
gegen den Straffreien werden darf? anderen auferlegt oder von einem anderen über⸗ 

Für den Juriſten liegt die Sache anders. Ge⸗ nommen ſind.“ Dabei iſt dieſe Verpflichtung keine 
wohnt, Gefühlsbewegungen und Verſtandesgründe Hilfs-, ſondern eine Hauptpflicht. Es genügt, 


414 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


— — — — — — — 


daß die Koſten einem anderen auferlegt find. gegeben erachtet. Es erſchien ihnen als ein Gebot 
Nicht iſt erforderlich, daß vergeblich verſucht wurde, höherer Gerechtigkeit, denjenigen vermögensrechtliche 


ſie von einem anderen beizutreiben. Die Koſten⸗ 
vorſchußpflicht iſt auch eine Koſtentragungspflicht. 
Der Staat hat in den Grenzen ihrer Pflicht die 
Wahl,) von wem er die Koſten erheben will, vom 
verurteilten Beklagten oder vom ſiegreichen Kläger. 
Der eine iſt verpflichtet, weil er im Rechtsſtreit 
unterlegen iſt, der andere, weil er die Aufwand 
verurſachende Staatstätigkeit veranlaßt hat. 

Die Rechtslage iſt ſomit die, daß das Gericht 
die Deckung der Koſten dem Privatkläger nicht nur 
auferlegen darf, wenn der Staat die Gebühren und 
Auslagen vom Verurteilten nicht erhalten kann, 
ſondern auch, wenn der Staat ſie von ihm nicht 
erhalten will. 

Die Behörde hat alſo freies Ermeſſen. Allein 
freies Ermeſſen iſt nicht gleichbedeutend mit Will⸗ 
kür. Freies behördliches Ermeſſen heißt Handeln 
der Behörde nach eigener Entſchließung, aber inner⸗ 
halb der Grenzen der öffentlichen Intereſſen, die ſie 
wahrzunehmen hat.“) Aus finanziellen Gründen 
hat der Geſetzgeber eine doppelte ſchließliche Koſten⸗ 
pflicht geſetzt, eine des Verurteilten und eine des 
Klägers. Aber daraus folgt nicht, daß die Be⸗ 
hörde beim Vollzug des Geſetzes nur das finanzielle 
Intereſſe beachten darf. Die Gerichtsbehörde hat 
auch das Gerechtigkeitsintereſſe wahrzunehmen. Der 
Gerichtskoſtenerheber iſt nicht befugt, ſich allein durch 
die Erwaͤgung leiten zu laſſen, von welchem der 
beiden Pflichtigen ſind die Gebühren leichter zu 
erheben. Und jo erklärt ſich, daß die Koſten in 
der Regel in ihrer vollen Höhe und in erſter Linie 
von demjenigen eingezogen werden, dem das Urteil 
die Koſten auferlegt, indem es dem Staate gerecht 
erſcheint, daß die Koſten derjenige trägt, den das 
Gericht für koſtenpflichtig erklärt; denn das Gericht 
darf hiezu nur den beſtimmen, der in der Sache 
unterliegt, alſo nach der Ueberzeugung des Gerichtes 
ſich im Unrecht, in Rechtswidrigkeit befindet. Hieraus 
folgt als Regel: den Privatklaͤger nach $ 90 zur 
Koſtendeckung heranziehen darf das Gericht erſt 
dann, wenn der Staat die Koſten von den ſonſt 
Verpflichteten vorausſichtlich nicht erhalten kann. 

Damit iſt nicht ausgeſchloſſen, daß ausnahms⸗ 
weiſe innerhalb der Grenzen des freien Ermeſſens 
auch liegen kann, daß der Staat von dem Der: 
urteilten die Gerichtskoſten nicht einzieht, weil er 
ſie von ihm nicht einziehen will. Das ſetzt voraus, 
daß nach den Umſtänden des Falles die Beachtung 
eines anderen öffentlichen Intereſſes gegenüber dem, 
daß der Unterlegene die Koſten trägt, das wichtigere 
iſt. Bei Ausbruch des ſchweren Krieges, den uns 
das Geſchick auferlegt hat, hat ein größerer Teil 
der deutſchen Regierungen ein ſolches Intereſſe als 


1) Vgl. Pfafferoth, Artikel Gerichtskoſten 8 14 
in Fleiſchmann, WB. des Deutſchen Staats- und Ver⸗ 
waltungsrechts Bd. 2 (1913). 

) Vgl. Fleiner, Inſtitutionen des Deutſchen 
Verwaltungsrechts, 3. Aufl., 1913 S. 134. 


Leiſtungen nachzulaſſen, von welchen der Staat das 
Einſetzen der Perſönlichkeit für den Staat fordert. 

Keinem Zweifel unterliegt, daß die Behörde 
in dieſem Falle das Recht beſitzt, die Rechtsmacht 
zu gebrauchen, kraft deren der Kläger zur Koſten⸗ 
tragung herangezogen werden darf, und auf dieſe 
Weiſe dem finanziellen Intereſſe des Staates zu 
dienen. Allein damit iſt nicht geſagt, daß ſie ſo 
handeln muß. Die Billigkeit kann ihr gebieten, die 
Rechtsmacht, die fie beſitzt, nicht anzuwenden. Dies 
dann, wenn durch Erfüllung des fiskaliſchen In⸗ 
tereſſes ein anderes öffentliches zu ſehr verletzt würde. 
Das liegt vor, ſobald der Privatkläger die Tat: 
ſache, daß derjenige, der das Strafgeſetz übertritt, 
von den Koſten befreit, derjenige aber, den das 
Strafgeſetz ſchützt, von ihnen betroffen wird, nach 
Lage des Falles als eine ſchwere Verletzung ſeines 
Gerechtigkeitsgefühles empfinden darf. Man nehme 
3. B. an, daß der Beklagte dem Kläger vor der 
Oeffentlichkeit ohne alle perſönliche Veranlaſſung 
eine ſchwere Beleidigung zugefügt hat. In ſolchen 
Fällen entſpricht es der Billigkeit, daß der Staat 
die Koſten auch gegenüber dem Kläger niederſchlägt. 
Seinem Gerechtigkeitsgefühl iſt nicht mit dem Hin⸗ 
weis darauf genüge getan, daß der Klaͤger befugt iſt. 
was der Staat ihm abnimmt, vom verurteilten 
Gegner ſich erſtatten zu laſſen. 


Die Wählbarkeit von Kriegsteilnehmern 
zu Gemeindeämtern. 
Von Juſtizrat Dr. M. Naher in Frankenthal. 


1. Während draußen im Zeichen des gewaltigſten 
aller Kriege die Kanonen donnern und Deutſch⸗ 
land gegen eine Ueberzahl von Feinden um ſeinen 
wohlverdienten Platz an der Sonne ringt, werden 
wir Bayern in den nächſten Wochen die geſetzlich 
fälligen Gemeindewahlen erledigen und die Macht 
in der Selbſtverwaltung verteilen, jener Selbſt⸗ 
verwaltung, der das Reich einen guten Teil ſeiner 
beiſpielloſen Aufwärtsentwicklung verdankt, die die 
wahre Urſache dieſes blutigen Krieges iſt. 

Eine ungeheure Zahl unſerer Volksgenoſſen ſteht 
draußen im Kampfe. Sie können aus tatſäaͤchlichen 
Gründen als Wähler ihre Stimme nicht in die 
Urne werfen. Ob fie zu Gemeindeämtern wähl⸗ 
bar find, iſt in jüngſter Zeit lebhaft gefragt worden. 
Man hat die Vertagung der Gemeindewahlen bis 
zum Friedensſchluſſe begehrt, um den tapferen 
Beſchützern des Vaterlandes nicht Ehren und Rechte 
zu rauben. Nunmehr hat das Staatsminiſterium 
des Innern in ſeiner Bekanntmachung über die 
gemeindlichen Verhältniswahlen vom 29. Oktober 


1914 — Bahyeriſche Staatszeitung Nr. 255 vom 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


—— H1———ĩäA———ů8ðṽßͥ⁊ 2 —ĩi᷑ v...........—————— l. ĩ̃ͥĩuͥ᷑ͥ nn iii —rßé5ß[1ʃF . k—„+.:—ůñ⁵ ä ¶wÄ—5ĩ5r̃ · ́ „́r————ĩ85ß8ꝛ5Ä5xL.ñͤ̃ ᷑éö§ͤ—— ! B K „:˙w.—2—᷑ 2⸗a 4 —— 


30. Oktober 1914 S. 5 Ziff. 13 — zu der Frage 


Stellung genommen und ſich zu der Auffaſſung 
bekannt, daß Perſonen des Beurlaubtenſtandes 
und des Landſturms, die infolge der Mobil⸗ 
machung eingerückt find, wählbar ſeien. Die 
Bekanntmachung bringt weiter die Anſchauung 
zum Ausdruck, daß die Wahlausſchüſſe bei Feſt⸗ 
ſtellung des Wahlergebniſſes die bezeichneten Militär⸗ 
perſonen als wählbar zu betrachten haben. Dies 
iſt natürlich nur eine Meinungsäußerung an die 
Wahlausſchüſſe, die nach eigenem pflichtgemäßen 
Urteile durch Mehrheitsbeſchluß über Anſtände 
zu entſcheiden haben, die ſich bei der Wahlhandlung 
ergeben (Art. 180 rechtsrh. und 108 pfälz. Gem O.). 
Deshalb ſteht in dieſer Frage dem Verwaltungs⸗ 
a das letzte Wort zu (Art. 8 Ziff. 33 


2. Die Art. 173 Ziff. 4 rechtsrh. GemO. und 
103 Ziff. 3 pfälz. GemO. lauten übereinftimmend: 


„Die der aktiven Armee und den beſoldeten 
Stämmen der Landwehr angehörigen Militär⸗ 
perſonen, ferner zeitlich penfionierte Offiziere 
und Militärbeamte find zu keinem Gemeinde: 
amt waͤhlbar.“ 


Beſtimmt man nun den Begriff der aktiven 
Armee der beiden Gemeindeordnungen nach dem 
heute auch in Bayern geltenden Reichs militärgeſetze 
vom 2. Mai 1874 RGBl. S. 45, dann gehören 
gemäß 8 38 alle in Kriegszeiten zum Heeresdienſt 
aufgebotenen oder freiwillig eingetretenen Offiziere, 
Aerzte, Militärbeamte und Mannſchaften von dem 
Tage, zu welchem ſie einberufen ſind, oder vom 
Zeitpunkt des freiwilligen Eintritts an bis zum 
Ablauf des Tages der Entlaſſung zum aktiven Heere. 
Dann aber find alle Angehörigen des aktiven 
Heeres, auch die Perſonen des Beurlaubtenſtandes 
(Reſerve und Landwehr nach $ 56 RM.) und 
des Landſturmes zu Gemeindeämtern nicht wählbar. 


Ob man aber den Weg gehen darf, den Begriff 
der aktiven Armee i. S. der beiden Gemeinde⸗ 
ordnungen einfach durch ſpätere, auch für Bayern 
maßgebende Reichsgeſetze zu erläutern und zu be⸗ 
ſtimmen, entſcheiden allein die Art. 103 und 173 
dieſer Gemeindeordnungen. Dieſe ſind aus ihrem 
Wortlaut und ihrer damit übereinſtimmenden Ent⸗ 
ſtehungsgeſchichte auszulegen. Die Gemeindeord⸗ 
nungen umgrenzen den Kreis der zu Gemeinde⸗ 
aͤmtern wählbaren Perſonen. Es geht nicht an, 
deshalb, weil die Geſetzgebung auf dem Gebiete 
des Heeresrechtes, insbeſondere auch der Begriff 
des aktiven Heeres ſich ſeit der Begründung des 
Reiches für Bayern geändert hat, einfach an 
Stelle des alten Begriffes den neuen zu ſetzen. Das 
wäre nur dann zuläſſig, wenn die Gemeindeord— 
nungen nicht ſelber einen ganz beſtimmten Begriff 
der aktiven Armee gewollt, ſondern von vornherein 
ihren Begriff der aktiven Armee dem Wechſel der 
Zeiten, der Veränderung nicht etwa der bayeriſchen, 
ſondern gar einer anderen Geſetzgebung unterworfen 


(J. 20 


hatten. Wir haben in der Tat zahlreiche Beiſpiele 
dafür, daß ein Geſetz ſeine Vorſchriften zum Teile 
von den wechſelnden Vorſchriften anderer Geſetze 
abhängig macht. In dieſem Falle iſt das erſtere 
Geſetz ſtets von dem Wechſel der Geſetzgebung ab⸗ 
hängig, auf die es Bezug nimmt. 

3. Die Auslegung kommt alſo hier nur zum 
richtigen Ziele, wenn ſie in erſter Linie unter⸗ 
ſucht, was die beiden Gemeindeordnungen unter 
den von ihnen aufgezählten Militärperſonen ver⸗ 
ſtehen. Dafür iſt einzig und allein die Zeit der 
Entſtehung der Gemeindeordnung maßgebend. 

Die Abſicht des Geſetzes wird klar durch ſeine 
Entſtehungsgeſchichte. 

Der Art. 167 des Entwurfes eines Geſetzes 
„die Gemeinde- Ordnung betreffend“, — abgedruckt 
in den VerhKd Abg. 1866 / 69, insbeſondere den 
Verhandlungen des beſonderen Ausſchuſſes 
Abteilung II, Beilagen, S. 3ff. (ſpäter unter der 
Abkürzung J angeführt) — lautete in ſeinem Abſ. 4 

‚ 20): 
Militärperfonen find zu keinem 
Gemeindeamte wählbar.“ 
Die Begründung macht dazu keine beſondere 
Bemerkung, der Wortlaut aber laßt uns erkennen, 
daß alle Militärperſonen i. S. des bayeriſchen 
Wehrverfaſſungsrechtes von der Wählbarkeit zu 
Gemeindeämtern ausgeſchloſſen werden ſollten. 
Dieſer Entwurf war für das ganze König⸗ 
reich Bayern geſchaffen worden; auf einen Antrag 
der Abgeordneten Kolb und von Soyer hin 
(J, 393) wurde dann die pfälziſche GemO. von der 
rechtsrheiniſchen in dem beſonderen Ausſchuß ab⸗ 
getrennt. 
In der erſten Leſung der rechtsrh. GemO. gab 
der beſondere Ausſchuß dem Art. 166 Abſ. 4 fol⸗ 
gende Faſſung: 
„Militärperſonen im aktiven Dienſte oder 
im zeitlichen Ruheſtande find zu keinem 

Gemeindeamte wählbar.“ 

Darauf erhielt Art. 166 Abſ. 4 nach den von 
der Subkommiſſion für die zweite Leſung vor⸗ 
bereiteten Beſchlüſſen (II, 362) die Faſſung, die 
in beiden Gemeindeordnungen Geſetz geworden iſt: 


„Die der aktiven Armee und den beſoldeten 
Stämmen der Landwehr angehörigen Militär⸗ 
perſonen, ferner zeitlich penſionierte Offiziere 
und Militärbeamte ſind zu keinem Gemeinde⸗ 
amte wählbar.“ 


Der Antrag der Abgeordneten Kolb und von 
Soyer — Entw. eines Geſetzes die GemO. für 
die Pfalz betreffend — enthält in Art. 110 Abſ. 4 
genau die Faſſung der Subkommiſſion (I, 405). 
Die zweite und dritte Leſung des beſonderen Aus— 
ſchuſſes (II, 508 und 553) wiederholen den von 
der Subkommiſſion gewählten Wortlaut. 

Die Begründung dieſer Geſetz gewordenen Ab— 
aͤnderung des urſprünglichen Regierungsentwurfes 


findet ſich in dem Protokolle über die Sitzung 
des beſonderen Ausſchuſſes vom 17. März 1868 
VerhKd Abg. 1867/69, II. Abt., Prot. der Sitzungen 
des Ausſchuſſes S. 580 und 81 (in der Folge mit 
II angeführt). Um die Bedeutung der Aenderung 
vollauf zu würdigen, darf nicht vergeſſen werden, 
daß dem beſonderen Ausſchuß drei Abgeordnete 
angehörten, die damals an den Hochſchulen in 
München und Würzburg als Lehrer des öffent⸗ 
lichen Rechtes tätig waren, Dr. Pözl, Vorſfitzender 
des Ausſchuſſes, Dr. Edel, Berichterſtatter des Aus⸗ 
ſchuſſes, und Dr. Brater. 

Unter Bezugnahme auf die Faſſung der erſten 
Leſung machte der Abgeordnete Urban darauf auf⸗ 
merkſam, daß darnach im Hinblick auf das neue 
Wehrgeſetz — gemeint iſt das bayer. Geſetz, die 
Wehrverfaſſung betr., vom 30. Januar 1868, 
GVBl. 262 — die in die Landwehr einge⸗ 
reihten Perſonen nicht wählbar ſeien. Auf die 
Bemerkungen des Ausſchußvorſitzenden (Pözl), daß 
nur die aktiven Militärperſonen gemeint jeien, 
fuhr Urban fort: Die Reſerviſten ſeien doch 
auch Angehörige der aktiven Armee, ſie könnten 
ſich verehelichen und ein Hausweſen begründen, 
ſeien aber nach der gegenwärtigen geſetzlichen Be⸗ 
ſtimmung von der Wahl zu Gemeindeämtern aus⸗ 
geſchloſſen. Darauf erklärte der Abgeordnete Fiſcher: 
Es werde gut ſein, wenn man ſich im Wortlaut 
an die Ausdrucksweiſe des Wehrgeſetzes 
anſchließe; dann werde jeder Zweifel beſeitigt 
werden. Materiell ſei es ganz richtig, 
daß kein Grund beſtehe, alle Landwehr⸗ 
männer und Reſerviſten von den Ge⸗ 
meindeämtern auszuſchließen. Hierauf er⸗ 
klärte der Ausſchußvorſtand: Bei der Schluß— 
redaktion ſeien die Beſtimmungen des Wehrgeſetzes 
genau zu vergleichen; es müſſe der Ausdruck ſo 
gewählt werden, daß kein Zweifel beſtehen könne, 
dann werde auch das Bedenken des Herrn Ab— 
geordneten Urban beſeitigt ſein. Auf die Be— 
merkung des Berichterſtatters, daß man jedenfalls 
die Offiziere, welche bei der Landwehr ſeien und 
die zum Stand der Cadres gehören, ebenſo die 
exponierten Bezirkslandwehrmajore darunter rechnen 
müſſe, erwahnte Abgeordneter Fiſcher: Er rechne 
hierzu alle Angehörigen der aktiven Armee, dann 
alle zur Landwehr oder Reſerve gehörigen Militär— 
beamten, welche in ſtändiger Funktion ſeien, 
endlich die bloß im zeitlichen Ruheſtande befind— 
lichen Offiziere und Militärbeamten. 

Damit hat dieſer Abgeordnete richtig diejenigen 
Militärperſonen zuſammengefaßt, die nach der über— 
einſtimmenden Meinung der Mitglieder des be— 
ſonderen Ausſchuſſes allein von der Waͤhlbarkeit 
ausgeſchloſſen werden ſollten. Nur der ſtändige 
oder berufsmäßige oder berufsmäßig geweſene 
Heeresdienſt ſollte die Wählbarkeit ausſchließen. 
Darum hat man im Anſchluß an den Art. 21 
des oben erwähnten Geſetzes, die Wehrverfaſſung 
betreffend, den heute geltenden Wortlaut gewählt. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


Dieſer Art. 21 lautet: „Die Offiziere der Land⸗ 
wehr werden aus den hierzu befähigten einjährigen 
Freiwilligen und Landwehrmaͤnnern entnommen. 
Die beſoldeten Stämme an Offizieren, Unteroffizieren 
und Mannſchaften können im Bedürfnisfalle der 
aktiven Armee entnommen werden. Nach Art. 1 
Wehrverf G. beſtand die bewaffnete Macht des König⸗ 
reichs aus dem ſtehenden Heere und der Landwehr. 
Das ſtehende Heer zerfiel in die altive Armee und 
die Reſerve. 

Den gleichen Begriff der aktiven Armee, wie 
ihn das bayer. Wehrverf G. aufgeſtellt hat, hat der 
beſondere Ausſchuß abſichtlich und ausdrücklich für 
die beiden Gemeindeordnungen gewählt, ebenſo den 
der beſoldeten Stämme der Landwehr. Zur aktiven 
Armee zählte das bayer. Wehrverf®. diejenigen, 
die ihre militäriſche Dienſtzeit in den erſten drei 
Jahren im ſtehenden Heere erfüllen, und die berufs⸗ 
mäßig ihr angehörigen Militärperſonen. Während 
der naͤchſtfolgenden drei Jahre Dienſtzeit gehörten 
die Militärperſonen der Reſerve an, hierauf traten 
ſie zur Landwehr über (Art. 17—22 Wehrverf GG.). 
Darnach gehörten alſo die Reſerviſten und Land⸗ 
wehrmänner nicht zur aktiven Armee. Die Militär⸗ 
perſonen der Reſerve und Landwehr ſollten alſo 
zu Gemeindeämtern wählbar fein, ausgenommen 
wenn ſie zu den beſoldeten Stämmen der Land⸗ 
wehr gehörten, alſo ein ftändiges militäriſches Amt 
bekleideten. 

In der Faſſung, die ihnen der beſondere Aus⸗ 
ſchuß gegeben hatte, wurden die Entwürfe der beiden 
Gemeindeordnungen Geſetz. In den ſpäteren Ver⸗ 
handlungen des Landtages wurde keine abweichende 
Meinung mehr geäußert. 

Aus dieſer Entſtehungsgeſchichte und aus dem 
Wortlaute, die zuſammenſtimmen (vgl. RG. 66. 
254 und 334; 67, 54), erhellt, daß das Geſetz 
niemals alle diejenigen Militärperſonen, die in dem 
RMilGG. vom 2. Mai 1874 als zum aktiven Heere 
gehörig erklart worden find, der Wählbarkeit zu 
Gemeindeämtern hat berauben wollen, und daß es 
die nicht wählbaren Militärperſonen ganz genau 
umgrenzt hat. Iſt dies aber der Fall, dann haben 
daran das Außerkrafttreten des bayer. WehrverfG. 
und ſein Erſatz durch ein Reichsgeſetz an dem Inhalt 
nichts ändern können. Das Reichsgeſetz beſtimmt 
den reichsrechtlichen Begriff des aktiven Heeres, 
die bayeriſchen Gemeindeordnungen aber ordnen 
für ſich den landes rechtlichen, gemeinderechtlichen 
Begriff der aktiven Armee. 

Deshalb gehen Seydel-Graßmann-Piloty, 
bayer. Staatsrecht I $ 113 S. 588 und Wand, 
pfälz. GemO. S. 565 fehl, wenn ſie zwar aner⸗ 
kennen, daß die Gemeindeordnungen an das baye⸗ 
riſche Wehrverfaſſungsgeſetz anknüpfen, den Begriff 
des aktiven Heeres aber nach dem jetzigen Reichs⸗ 
rechte beſtimmen. Im Widerſpruch mit dieſer Auf— 
ſaſſung führen Seydel-Graßmann-Piloty an der 
gleichen Stelle aus, daß die nunmehr beſtehende 
Scheidung zwiſchen Militärbeamten und Zivil— 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


beamten nicht veranlaßt wäre, da die A bſicht 
der Gemeindeordnungen auf beide Gattungen von 
Beamten gehe. Nach der einen Richtung ſoll alſo 
die Abſicht der Gemeindeordnungen nicht gelten, 
nach der andern aber wohl. Dieſe Begründung 
iſt durchaus widerſpruchsvoll. 

Kahr, GemO. II Art. 173 Anm. 12a S. 188ff. 
will zwar die neue Heeresorganiſation des Reiches 
ſinngemäͤäß auf Art. 173 Abſ. 4 anwenden, 
macht aber aus der Entſtehungsgeſchichte den Vor⸗ 
behalt, daß vorübergehend, ſei es im Frieden oder 
in Kriegszeiten, zum Heeresdienſt eingezogene An⸗ 
gehörige der Reſerve und der Landwehr zu Ge⸗ 
meindeämtern wählbar feier. Das Ergebnis iſt 
richtig, die Begründung aber unzutreffend. Man 
kann nicht den Standpunkt vertreten, daß der 
Begriff der aktiven Armee i. S. der GemO. ſich 
nach dem RG. vom 2. Mai 1874 bemeſſe und 
im gleichen Atemzug davon eine ſo weitgehende 
Ausnahme machen. Ich wiederhole: Der Begriff 
der Militärperſonen der aktiven Armee und der 
beſoldeten Stämme der Landwehr iſt nach wie 
vor ein landesrechtlicher geblieben. Er wird ein⸗ 
zig und allein durch die Gem O. beſtimmt. 
reichsrechtliche Ordnung der Wehrverfaſſung auch 
für Bayern hat auf die in Art. 173 Abſ. 4 rechtsrh. 
GemO. und Art. 103 Abſ. 3 pfälz. GemO. landes⸗ 
rechtlich feſtgeſtellten Begriffe gar keinen Einfluß 
geübt. Das bayeriſche Recht hat niemals die zum 
Kriegsdienſt eingezogenen Angehörigen des Be⸗ 
urlaubtenſtandes und des Landſturmes als 
Beſtandteile der aktiven Armee erachtet und dabei 
hat es nach wie vor ſein Bewenden. Darum 
find alle dieſe Militärperſonen zu den Gemeinde⸗ 
ämtern wählbar. 

Auf dem Wege einer Auslegung des Geſetzes, 
wie ſie allein vom Standpunkte der grundlegenden 
Auslegungsregeln möglich iſt, kommt man zu 
dieſem allein befriedigenden Ergebniſſe. Jedes 
andere Ergebnis widerſtreitet dem, was der Ge⸗ 
ſetzgeber von 1868 gewollt und in das Geſetz 
hineingeſchrieben hat. 


Umwandlung einer Geſellſchaft mit be⸗ 
ſchräukter Haftung in eine Aktiengeſellſchaft. 


Von Dr. Hermann Wein, Notariatspraktikant in München. 


Die ſteuerrechtliche Behandlung der Geſell⸗ 
ſchaften mit beſchränkter Haftung hat allmaͤhlich 
dahin geführt, andere Geſellſchaftsformen zu wahlen. 
Es kam zur Umbildung in die ſteuerrechtlich günſtiger 
geſtellten Kommanditgeſellſchaften, aber auch zur 
Umwandlung in Aktiengeſellſchaften. Die Steuer: 
belaſtung der AG. iſt zwar jo ziemlich die gleiche, 
wie die der G. m. b. H., aber die AG. hat den 
Vorzug der leichteren Beweglichkeit der Geſellſchafts⸗ 


417 


beteiligung, der ſtetigen Kontrollmöglichkeit durch 


3— . — —— — 


Die 


die Kursnotizen, der größeren Publizität ulm. Das 
GmbH. regelt zwar die Umwandlung einer AG. 
in eine G. m. b. H. (88 80, 81), aber die Umwandlung 
einer G. m. b. H. in eine AG. aber ſchweigt es. 
Die Wege, die hiezu in der Praxis eingeſchlagen werden 
können, ſollen nachfolgend beſprochen werden!), und 
zwar unter Berückſichtigung der ſich durch die No⸗ 
velle zum Reichsſtempelgeſetz vom 3. Juli 1913 
ergebenden Gebührenfragen und ſonſtiger praktiſch 
wichtiger Geſichtspunkte: 


I. Die Aktiengeſellſchaft wird im Wege der 
Bargründung errichtet. Die Gründer der AG. 
ſind Geſellſchafter der G. m. b. H. (mindeſtens aber 
fünf Perſonen); das Grundkapital der AG. wird 
zweckmäßiger Weiſe nicht niedriger genommen werden, 
als der Reinwert des G. m. b. 9.: Vermögens iſt; 
die Beteiligung der AG. wird man im gleichen 
Verhältnis geſtalten, wie die Beteiligung an der 
G. m. b. H. Gegenſtand des Unternehmens der 
AG. iſt die Uebernahme und die Fortführung des 
Betriebs der G. m. b. H. Da der Gründungsplan 
von vorneherein darauf abzielt, die AG. auf der 
Grundlage des zu übernehmenden G. m. b. H.⸗Ge⸗ 
ſchäftes zu betreiben, muß die Uebernahme des 
Geſchäfts nach Maßgabe des 8 186 II HGB. in 
den Gründungsvertrag aufgenommen werden. Die 
Gründung iſt eine qualifizierte. Außer dem „Prü⸗ 
fungsbericht“ (8 192 1 GB.) muß deshalb auch 
ein „Gründerbericht“, in welchem unter anderem 
die Betriebsergebniſſe aus den beiden letzten Ge⸗ 
ſchäftsjahren der G. m. b. H. anzugeben find (§ 191 
HGB), und ein Reviſorengutachten (8 192 II, III ff. 
HGB.) erſtattet werden.“) Unzuläſſig wäre es, die 
Gründung äußerlich als reine Bargründung er⸗ 
ſcheinen zu laſſen und den Vorſtand zu ermächtigen, 
das Geſchäft der G. m. b. H. nach Regiſtrierung 
der AG. zu kaufen; unzuläſſig wäre auch, das Ge: 
ſchäft im Wege der Nachgründung ($ 207 HGB.) 
zu erwerben.“) Die Folge ſolch eines Gründungs⸗ 
vorgehens wäre jedoch nicht die Nichtigkeit der 
Gründung, obwohl gegen 8 186 HGB. verſtoßen 
würde; denn ein Rechtsgeſchäft, das gegen ein 
geſetzliches Verbot verſtößt, iſt nur dann nichtig, 
wenn ſich aus dem Geſetze nichts anderes ergibt 
(8 134 BGB.); aus 8 186 IV und $ 208 HGB. 
ergibt ſich aber, daß eine Zuwiderhandlung gegen 
§ 186 II HGB. nur beſondere Schadens haftungen 
und die heilbare Unwirkſamkeit des Uebernahmever⸗ 
trags, nicht dagegen die Ungültigkeit des Gründungs⸗ 
aktes als ſolchen zur Folge hat; ratfam iſt des⸗ 
wegen aber ſolch ein unzuläſſiger Umweg keines⸗ 
wegs, nicht nur wegen der zivilrechtlichen Haftungen, 
ſondern auch wegen der allenfallſigen kriminellen 


) Vgl. Staub » Hachenburg, GmbHG. 4. Aufl. 
S. 730, 731. 

) Vgl. ferner noch 8 195 II Nr. 2, 8 196 IV, V, 
313 Nr. 1 HGB. 

) Vgl. Staub, HG. 8 186 Anm. 9; 8 207; 


418 


nach 8 318 HGB. (vgl. LZ. 1912 S. 591; vgl. 
auch RG. vom 8. März 1912 VII 415/11 zu 
8 73 G. m. b. H., veröffentlicht in der LZ. 1912 
S. 667 Nr. 51); außerdem kann und muß der 
Regiſterrichter die Eintragung ablehnen, wenn er 
von einer ſolchen Geſetzesumgehung Kenntnis erhält. 
Die Gründerverantwortung tragen die bisherigen 
Geſellſchafter der G. m. b. H., nicht die G. m. b. H. 
ſelbſt, da dieſe nicht Mitgründerin iſt. Die Aktien 
können den Gründern ſofort nach der Entſtehung der 
Geſellſchaft ausgehändigt werden, ſo daß ſie alsbald 
verwertet werden können. Nach“) Eintragung der 
AG. im Handelsregiſter überträgt der Geſchäftsführer 
der G. m. b. H. auf Grund des Uebernahmevertrags 
das ganze Geihält der G. m. b. H. mit Aktiven 
und Paſſiven auf die AS. nach den für die Ueber: 
tragung der einzelnen Gegenſtände geſetzlich vor⸗ 
geſchriebenen Formen. Dritte, insbeſondere Liefe⸗ 
ranten und Beſteller werden den Uebergang und 
die Erfüllung durch die AG. für und gegen ſich 
gelten laſſen müſſen, wenn nur die Rechtsform 
der Unternehmung geändert wird; das erfordert 
Treu und Glauben, ſowie die Verkehrsſitte; etwas 
anders wäre es natürlich, wenn die wirtſchaftliche 
Art des Betriebes eine weſentliche Aenderung erführe. 
Nach der Uebertragung hat der Vorſtand der AG. 
Inventur und Eröffnungsbilanz zu fertigen (8 39 
HGB.). Wird auch die Firma der G. m. b. H. 
mitveräußert, ſo muß die G. m. b. H., die ja zu⸗ 
nächſt noch fortbeſteht (ſ. u . eine andere Firma 
annehmen. Ob ohne Mitveräußerung der Firma 
die AG. die gleiche Firma annehmen kann nur 
mit dem unterſcheidenden Zuſatz „Aktiengeſellſchaft“, 
erſcheint zweifelhaft; richtiger dürfte ſein, die Frage 
zu verneinen, da das Publikum, zu deſſen Schutz 
in erſter Linie der Geſetzgeber die firmenrechtlichen 
Beſtimmungen ſchuf, den Unterſchied zwiſchen 
G. m. b. H. und AG. nicht genügend auseinander 
zu halten pflegt, ſich deshalb der Verſchiedenheit 
der beiden Geſellſchaften nicht bewußt wird und 
darum leicht irregeführt werden kann (a. M. Staub 
HGB. 830 Anm. 5, KG. vom 26. November 1908, 
3216. 10, 79). Zur Veraͤußerung des Ge: 
ſchäfts im ganzen bedarf der Geſchaͤftsführer 
(anders wie der Vorſtand einer AG. 8 303 HGB.) 
keiner beſonderen Ermächtigung; in feinen er: 
haͤltnis nach innen wird er ſich jedoch regelmäßig 
durch einen Beſchluß der Geſellſchafter decken oder 
ſchon gedeckt ſein, wenn die Geſellſchafter der 
G. m. b. H. identiſch ſind mit den Gründern der 
AG. Durch die Veräußerung des ganzen Geſchäſts 
. na die G. m. b. H. im Gegenſatz zur AG. 


) Daß 5 vor Regiſtrierung der AG. der Ueber— 
tragungsakt insbeſondere auch die Auflaſſung vorges 
nommen werden können, dürfte richtig fein (vgl. OL. 
Colmar 25. Mai 1903 Staub, zu 8200 HG B., L 3. 1912 
S. 378, 066 f., dagegen Bay 3fR. 1913 S. 2), iſt aber 
nicht ganz unbeſtritten. 


)Ebenſo Staub-Hachenburg, 3 §60 Anm. 29; 
a. M. Dorſt, Der Kaufmann 1906 S. 373. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bapern. le 1914. Kr. 23. 


(S 303 HGB.) nicht von ſelbſt auf; fie wird aber 
zweckmäßiger Weile, da ihre eigentliche Aufgabe 
erfüllt iſt und ſie nichts mehr beſitzt als den Kauf⸗ 
preis für die Geſchäftsüberlaſſung oder die Kauf⸗ 
preisforderung gegen die AG. in Liquidation treten. 
Der Liquidationsbeſchluß als ſolcher bedarf keiner 
beſonderen Form, jedoch einer Mehrheit von 
der abgegebenen Stimmen, ſoweit im Statut nichts 
anderes beſtimmt iſt. Wird der Liquidationsbeſchluß 
zugleich mit dem Beſchluß über die Annahme einer 
neuen Firma verbunden, ſo iſt er wegen der in 
letzterer liegenden Statutenänderung notariell zu 
beurkunden (8 53 JI G. m. b. H.). Bei Beginn der 
Liquidation hat der Liquidator gemäß 8 71 JI 
G. m. b. H. eine Bilanz aufzuſtellen. 


Für die Bareinzahlung der Aktienſchuldigkeit 
und der Liquidationsdurchführung find zwei Wege 
möglich: 

a) Wird bei Gründung der AG. das bar zu 
zahlende Grundkapital ſofort in voller Höhe ge⸗ 
leiſtet, fo wird normaler Weile die ganze Forderung 
der G. m. b. H. gegen die AG. aus dem Verkauf des 
Geſchäfts alsbald bezahlt werden. Die G. m. b. H. 
in Liquidation darf jedoch dieſen Erlös noch nicht 
ohne weiteres an ihre Geſellſchafter verteilen, fondern 
es muß bei Meidung einer Haftung der Liquidatoren 
das Sperrjahr (8 73 GmbHG.) abgewartet 
werden. Das Bargeld, das bei der Gründung 
der AG. aufzubringen war, muß nun mindeſtens 
ein Jahr liegen bleiben, bis es wieder in die 
Taſchen fließen kann, aus welchen es gekommen 
iſt.) 

b) Um dies zu vermeiden, läßt ſich im Grün⸗ 
dungsvertrage beſtimmen, daß die Gründer von 
ihren Bareinlagen nur / vor der Regiſtrierung 
einzuzahlen haben, daß der Reſt nach Ablauf des 
Sperrjahres fällig iſt, und daß gegen dieſe reſtige 
Aktiendeckungsſchuldigkeit aufgerechnet werden kann 
mit einer gleich hohen Forderung der G. m. b. H. 
gegen die AG. aus der Geichäftsübereignung. Der 
§ 221 HGB. verbietet nicht ſchlechthin die Auf: 
rechnung gegen die Aktiendeckungsſchuldigkeit, ſondern 
ſchließt nur die einſeitige Aufrechnung aus; iſt die 
Aufrechnung vereinbart und insbeſondere im Geſell⸗ 
ſchaftsvertrage enthalten, jo iſt ihre Zuläſſigkeit 
nicht zu bezweifeln.) Damit aufgerechnet werden 
kann, muß die G. m. b. H. an ihre Geſellſchafter 
von der Kaufpreisforderung, genauer: dem nach Ab⸗ 
führung des eingezahlten Bareinlagenviertels ver: 
bleibenden Reſte der Forderung gegen die AG., ver⸗ 
hältnismäßige Teilbeträge abtreten. Dieſe Abtretung 
iſt aber nur mit Wirkung ab Ende des Sperrjahres 
zulaͤſſig. In dieſer Abtretung kann nicht etwa 


60 Freilich erſcheint die Wiederanlage des Bargeldes 
z. B. in Wertpapieren, während der Sperrzeit, obgleich 
eine ſolche Verfügung ftreng genommen dem Ligqui— 
dationszweck zuwiderläuft, nicht ausgeſchloſſen, hat 
aber als Notbehelf doch immer Schattenſeiten. 


) Vgl. Staub, HGB. zu § 221. 


-— mm. — — ——— 


eine Schenkung, die einer Schenkungsſteuer unter⸗ 
läge, erblickt werden, ſondern nur ein nicht beſonders 
zu beſteuernder Liquidationsvorgang. Auf dieſe 
Weiſe macht nur / des Grundkapitals den ein 
Jahr lang dauernden Kreislauf. Der unnütze 
Bargeldumlauf dieſes Viertels läßt ſich wohl nicht 
vermeiden (vgl. aber den verwandten Weg unter IV); 
wenn namlich der Gründungsvertrag die Abtretung 
des ganzen Kaufpreiſes an die Geſellſchafter und 
die Aufrechnung von deren Zeſſionsforderungen 
gegen ihre ganze Bareinlageſchuldigkeit vorſähe, ſo 
könnte die AG. nicht vor Ablauf des Sperrjahres 
im Handelsregiſter eingetragen werden; denn, wie 
geſagt, erſt nach dem Sperrjahre iſt die Aufrechnung 
möglich, bis dahin alſo die Einlageſchuldigkeit auch 
nicht teilweiſe (25 °/o) gedeckt; es könnte deshalb die 
durch zivil⸗ und ſtrafrechtliche Verantwortlichkeit ge⸗ 
ſicherte Verſicherung nach 195 II HGB. nicht abge: 
geben werden, welche Vorausſetzung der Regiſtrierung 
iſt. Eine ſo lange Hinausſchiebung der Regiſtrierung 
wäre aber insbeſondere mit Rückſicht auf die per⸗ 
ſöͤnliche Haftung der bis dahin Handelnden (8 200 
HGB.) für die Praxis nicht geeignet (über Be⸗ 
endigung dieſer Haftung vgl. JW. 1912 S. 115). 
Gebührenrechtlich iſt zum Fall I folgendes zu 
bemerken: Der reine Errichtungsakt der AG. koſtet 
4 ½ % (gemäß Tarif A 1 a der Nov. z. RStempG.). 
Wird das Grundkapital nicht ſofort voll geleiſtet, 
jo iſt auf Antrag der Stempel zunaͤchſt nur aus dem 
eingezahlten Teilbetrag zu entrichten (Tarif A1 a b 
Anm. 2). Für die Geſchäftsübernahme im Gründungs⸗ 
vertrag ſind zu entrichten: ſoweit Immobilien oder An⸗ 
ſprüche auf Immobilien zum übernommenen Geſchäft 
gehören, die Immobiliarabgaben (nach Tarif A Nr. 1 d 
1,3, 4, neben welchen die landesgeſetzlichen Ge: 
bühren beſtehen, $ 7 1 2, 3 des Geſ.), ſoweit Patent⸗ 
rechte ꝛc. in Betracht kommen / (Tarif A 1 d 2), 
ſoweit ſonſtige bewegliche Werte übernommen werden 
/ % (Tarif A 1 d) und ſoweit andere Forderungen 
Gegenſtand der Uebernahme ſind / /o (Tarif A 
1d am Schluß.“) Hiezu kommen, wie auch in 
den nachfolgenden Fällen, die Notariatsgebühren, 
die Gebühren für die Eintragungen (Löſchungen) 
im Handelsregiſter und die Koſten für den Druck 
der Aktien. Hiegegen werden die /10 / o nach 
Tarif A4a3 (für die Aktienzuteilung, Aktienüber⸗ 
nahme) angerechnet auf die obigen 4 % gemäß 87 
letzter Abſ. RStemp®. (ſtrittig), wie auch das 1% 
für den Gewinnanteilſcheinbogen (Tarif 3 A a) bei der 
Gründung noch nicht in Anſatz kommt, wenigſtens 
dann, wenn der Bogen für höchſtens 10 Jahre aus⸗ 
gegeben wird (Tarif 3 Aa Befreiungsvorſchrift Nr. 3). 
Für die Auflöſung der G. m. b. H. als ſolche ent⸗ 


8) Wird die nach Ib in Frage kommende Kauf— 
preisforderungs-Abtretung in den notariellen Akt auf— 
genommen, ſo kommen hiefür die landesgeſetzlichen 


Zeſſionsgebühren in Frage; in den meiſten Fällen wird 


man ſich jedoch mit einer gebührenfreien Konſtatierung 


der außerhalb des notariellen Aktes liegenden privaten 
(alſo nicht mehr durch die bisherige G. m. b. H.) ſchon 


Abtretung helfen können. 


ZBettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 419 


ſtehen keine Gebühren; nur im Falle der Verbindung 
mit Statutenänderung find die für ſolche Beur⸗ 
kundungen zu entrichtenden landesgeſetzlichen Ge⸗ 
bühren anzuſetzen. | | 

II. Die G. m. b. H. als ſolche tritt als 
Gründerin bei Errichtung der AG. auf in Ge⸗ 
meinſchaft mit wenigſtens 4 anderen Perſonen. Die 
Gründung vollzieht ſich diesfalls überwiegend im 
Wege der Sacheinlage ($ 186 II HGB.), iſt 
alſo wiederum qualifizierte Gründung (f. o.). Die 
G. m. b. H. bringt ihr ganzes Geſchäft mit Aktiven 
und Paſſiven in die AG. ein und deckt durch dieſe 
Einbringung ihre Aktienſchuldigkeit; für dieſe Ein⸗ 
lage erhält ſie eine ihrem Nettowerte entſprechende 
Anzahl Aktien. Die Gründerverantwortung haben 
die G. m. b. H. und ihre Konſorten, nicht aber ihre 
Geſellſchafter als ſolche zu tragen. Die ſtrafrechtliche 
Gründerverantwortung der G. m. b. H. laſtet auf 
den handelnden Geſchäftsführern. Auch zu der 
vorerwähnten Sacheinbringung und Entfaltung der 
Gründertätigkeit bedarf der Geſchäftsführer nach 
außen keiner beſonderen Ermächtigung. Auch in 
dieſem Fall wird die G. m. b. H. durch die Ent⸗ 
aͤußerung ihres Vermögens nicht von ſelbſt auf⸗ 
gelöft und die G. m. b. H. tritt nach Regiſtrierung 
der AG. in Liquidation. Die G. m. b. H. beſitzt 
nunmehr an Stelle ihres Geſchaͤfts eine entſprechende 
Anzahl von Aktien. Jedoch kann die G. m. b. H. 
ihr Portefeuille mit Aktien nicht ſofort ausſchütten 
und dieſe unter ihre bisherigen Geſellſchafter verteilen, 
ſondern es muß wiederum das Sperrjahr abge⸗ 
wartet werden. Bis dahin find alſo die Geſell⸗ 
ſchafter der G. m. b. H. in der Verwertung der 
ihnen nach der Liquidation zukommenden Aktien 
behindert. Nach Ablauf des Sperrjahres waren 
eigentlich die Aktien zu verfilbern, da nach 8 70 
G. m. b. H. die Liquidatoren das Vermögen der 
G. m. b. H. in Geld umzuſetzen haben; allein es 
kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei Bu: 
ſtimmung der Geſellſchafter die Verteilung des Ge: 
ſellſchaftsbeſitzes, d. i. der Aktien, auch in natura 
an die Geſellſchafter vorgenommen werden kann; 
dieſe Zuteilung unterliegt dem Schlußnotenſtempel 
von /10 %o (Tarif A4 43). Im übrigen find die 
Gebühren die gleichen wie im Falle ; Zeſſionsgebühren 
(ſ. Fußnote 8) fallen natürlich weg. 

III. Die Geſellſchafter der G. m. b. H. gründen 
die AG. in der Art, daß ſie ihre Geſchäftsanteile 
in die AG. einlegen, ſo daß dieſe die alleinige 
Geſellſchafterin der G. m. b. H. wird. Auch hier 
iſt die Gründung eine qualifizierte ($ 186 HGB.); 
der „Gründerbericht“ wird aber in dieſem Falle keine 
Angabe über die Betriebserträgniſſe der G. m. b. H. 
in den beiden letzten Jahren zu enthalten brauchen, 
da kein „Unternehmen auf die AS. übergeht“, 
ſondern nur die Geſchäftsanteile;“) dagegen werden 


) Wenn freilich der Erwerb und die Fortführung 
des Betriebs der G. m. b. H. durch die Ab. als ſolche 


420 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


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auch hier die Reviſoren die Vorlegung der letzten 
Bilanzen verlangen können. Die Gründerver⸗ 
antwortung laſtet auf den Schultern der bisherigen 
G. m. b. H.⸗Geſellſchafter. Die Hinausgabe der 
Aktien an die Gründer kann ſofort nach Regiſtrierung 
der AG. erfolgen. Nach Eintragung der AG. in das 
Handelsregiſter beſteht ſowohl die AG., wie auch noch 
die G. m. b. H. Letztere iſt unverändert, da ein Wechſel 
im Beſitz der Geſchäftsanteile für den rechtlichen 
Beſtand der G. m. b. H. belanglos iſt. Erſtere 
iſt zunaͤchſt nur eine Finanzgeſellſchaft, die lediglich 
Geſchäftsanteile befitzt und verwaltet. Auf die Dauer 
wird jedoch dieſe Doppelexiſtenz in der Regel nicht 
rätlich ſein und zwar in erſter Linie wieder aus 
Steuergründen, die auch hier auf die Geſtaltung 
der Geſellſchaftsverhältniſſe entſcheidenden Einfluß 
haben. Würden nämlich beide Geſellſchaften neben⸗ 
einander beſtehen, ſo würden wohl in den meiſten 
Bundesſtaaten beide beſteuert werden und außer 
ihnen auch noch die Aktionäre. Zur Verhütung 
dieſes dreifachen Steuerdrucks hat man ſchon den 
Ausweg gewählt, daß die G. m. b. H. ihren ganzen 
Beſitz der AG. zur Benützung überließ und zwar 
unentgeltlich, ſo daß die G. m. b. H. ſelbſt kein 
Einkommen hatte und deshalb auch mit keiner 
Einkommen- oder Ertragfteuer veranlagt werden 
konnte. Allein dies dürfte nicht unbedenklich ſein. 
Bilden auch wirtſchaftlich die beiden nebeneinander 
eziſtierenden Geſellſchaften nur ein Unternehmen, 
ſo kann es doch leicht ſein, daß ſie rechtlich, ins⸗ 
beſondere ſteuerrechtlich, als verſchiedene Subjekte 
betrachtet werden. Es könnte in der unentgeltlichen 
Benützungs⸗ und Nutzungsüberlaſſung eine liberale 
Zuwendung der einen Geſellſchaft an die andere 
erblickt werden, die der Schenkungsſteuer unterliegt. 
Aehnliches gilt natürlich auch, wenn die G. m. b. H. 
zwar nicht ganz unentgeltlich, aber doch zu einem 
unverhältnismäßig niedrigen Preis ihr Vermögen 
der AG. „vermietet“ oder „verpachtet“. Mitunter 
werden von der G. m. b. H. nur die unbeweglichen 
Beſitzgegenſtände der AG. zur (entgeltlichen oder 
unentgeltlichen) Benützung überlaſſen, dagegen die 
beweglichen auf die AG. zu Eigentum übertragen; 
denn letzterer Rechtsvorgang vollzieht ſich regelmäßig 
gebührenfrei, während die Uebereignung der Im— 
mobilien hohe Koſten verurſachen würde. Aber auch 
dieſe Sachbehandlungiſt nicht zu empfehlen. Verbleibt 
nämlich der G. m. b. H. nur ihr Immobiliarbeſitz, 
jo erſchöpft ſich ihre Aufgabe in deſſen Ber: 
waltung. Damit hat ſich — von den Terrain⸗ 
geſellſchaften abgeſehen — der Gegenſtand des 
Unternehmens geändert, weshalb auch eine Sach— 


im Gründungsſtadium Gegenſtand feſter vertraglicher 
Abmachung. nicht nur unbeſtimmter künftiger Pläne 
iſt, dann wird neben der Einlage der Geſchäftsanteile 
der Erwerb des G. m. b. H.⸗Geſchäftes in den Gründungs— 
vertrag aufzunehmen fein (ſ. o. unter I); dann kann 
auch die Angabe über die Betriebserträgniſſe der 
G. m. b. H. in den beiden letzten Jahren nicht unter» 
bleiben. 


firma der G. m. b. H. entſprechend umzuändern iſt. 
Aber nicht nur das. Die G. m. b. H. iſt zur Im⸗ 
mobiliengeſellſchaft geworden; nach dem neuen 
RStempG. find aber für Immobiliengeſellſchaften 
m. b. H., auch wenn ſie erſt nachträglich dieſen 
Charakter annehmen, 5°/o Stempel oder die 
Differenz bis zu dieſem Satze nachzuerheben (Tarif A 
Ib). Sicherer wird man gehen, wenn die G. m. b. H. 
ihr ganzes Vermögen der AG. zu Eigentum über⸗ 
gibt und zwar nicht unentgeltlich, ſondern um den 
tatſächlichen Wert. Die Bezahlung dieſes Wertes 
braucht ja nicht ſogleich zu geſchehen, ſondern kann 
geſtundet werden (zinslos?) bis zur Liquidation 
der G. m. b. H., um dann aufgerechnet zu werden 
mit dem Liquidationsanſpruch der AG. als einziger 
Geſellſchafterin der G. m. b. H. Allerdings wird 
im letzteren Falle die Bilanz der AG. unſchön 
ausfallen, da die AG. dieſe geſtundete Schuld an 
die G. m. b. H. unter die Paſſiven einſetzen muß. 
Es wird deshalb auch im Falle III regelmäßig 
gut fein, die Liquidation der G. m. b. H. bald und 
voll durchzuführen. 

Ein Vertrag, durch welchen die Verpflichtung 
eingegangen würde, das ganze Vermögen der G. m. 
b. H. auf die AG. zu übertragen, bedürfte der Form 
des 8 311 BGB:; in der Regel werden jedoch nur 
die Erfüllungsakte in den hiefür vorgeſchriebenen 
Formen vorgenommen werden, was auch genügen 
dürfte (vgl. DNot BZ. 1912 S. 22). 


Vom Gebührenſtandpunkt aus iſt im Falle III 
folgendes zu ſagen: Zunächſt haben wir wieder 
4 , % Errichtungsſtempel, ferner für die Ein: 
bringung der Geſchäftsanteile noch 2 °/oo (Tarif A 
Ie I); dagegen unterliegt im Gegenſatz zu J und III. 
wo die Geſchäftsübernahme bzw.⸗Einlage ganz, wenn 
auch nach verſchiedenen Sätzen zu bewerten war, 
im Falle III die jpätere Geſchäftsübertragung einer 
Gebühr nur inſoweit, als Uebertragungsakte in 
Frage kommen, die nach allgemeinen Beſtimmungen 
ſtempelpflichtig find (Immobilien, Geſchäftsanteile): 
alſo entſtehen hier insbeſondere für die Uebereignung 
der beweglichen Maſchinen, Warenvorräte, Forde⸗ 
rungen ꝛc. keine weiteren Koſten.““) Andrerſeits 
aber iſt im Falle III bei Vorhandenſein von Grund: 
beſitz an den Stempel zu denken, der nach manchen 
Landesgeſetzen im Falle der Vereinigung ſaͤmtlicher 
Geſchäftsanteile in einer Hand anfällt (vgl. z. B. 
BayGebG. Art. 258 a — Gebührenaͤquivalent 
i. e. S.). — ) 


IV. Gleichzeitig mit der Errichtung der AG. 
tritt die G. m. b. H. in Liquidation. Die Ge⸗ 


10) Es ſei denn, daß die Geſchäftsübernahme durch 
die AG., wie oben erwähnt, einen weſentlichen Beſtand⸗ 
teil des Gründungsvertrags bildet und deshalb ganz in 
ihn aufzunehmen iſt, in welchem Fall die Geſchäfts⸗ 
übernahme wie unter I und II zu bewerten iſt und 
zwar neben der Bewertung der Geſchäftsanteilsuber⸗ 
nahme. 

11) Ueber die Wertzuwachsſteuerfrage (S 3 des Ges) 
vgl. JW. 1913 S. 79 ff. 


ſellſchafter der G. m. b. H. legen als Gründer der 
AG. ihre Anſprüche auf den Liquidations⸗ 
erlös ein. Die Gründung iſt auch in dieſem 
Falle qualifiziert, weil Sachgründung; für die 
Gründung verantwortlich find wiederum die G. m. 
b. H.⸗Geſellſchafter; ſie können auch hier ſofort 
nach Regiſtrierung der AG. über ihre Aktien ver⸗ 
fügen. Der Liquidator der G. m. b. H. wird 
alsbald das geſamte Vermögen der G. m. b. H. 
auf die AG. übertragen, wozu er ebenſo wie der 
Geſchäftsführer ohne beſondere Ermächtigung be⸗ 
fugt iſt. Der Preis für die Geſchäftsüberlaffung 
wird aufgerechnet werden gegen die in der Hand 
der AG. vereinigten Liquidationserlösanſprüche der 
bisherigen Geſellſchafter. 

Die Gebühren ſtellen ſich ebenſo, wie im Sal III, 
mit der Maßgabe, daß an Stelle der 2 %o für 
die Geſchäftsanteilseinlage nur / %% für die 
Einbringung der Liquidationserlösforderung zu 
verrechnen iſt; außerdem wird in dieſem Falle 
kein ſog. Gebührenäquivalent anſallen. 


Wollen nicht ſämtliche Geſellſchafter der G. m. 
b. H. ſich bei der Umwandlung beteiligen, ſo werden 
diejenigen, welche nicht mitwirken wollen, vor Be⸗ 
ginn der Transaktion ihre Geſchäftsanteile an andere 
Geſellſchafter abtreten, welche für die Umformung 
find, und es gilt dann wieder das oben Geſagte. 
Oder wenn der Weg unter III gewählt wird, können 
die Geſellſchafter, welche gegen die Umgeſtaltung 
ſind, ihre 5 anſtatt ſie einzulegen, 
von der zu errichtenden AG. gegen Barzahlung 
übernehmen laſſen. Aeußerſten Falles muß den 
nicht mithaltenden Geſellſchaftern bei Beendigung 
der Liquidation ihr Anteil an dem Vermögen der 
G. m. b. H. hinausbezahlt werden. Hinauszah⸗ 
lungen an nicht mitwirkende Geſellſchafter können 
natürlich auch die Höhe des Grundkapitals der 
AG. beeinflußen. 


Welcher Weg zur Ueberleitung einer G. m. b. H. 
in eine AG. einzuſchlagen iſt, kann nur nach den 
Umſtänden des einzelnen Falles entſchieden werden. 
Bei jeder Konſtruktion ergeben ſich Umſtändlich⸗ 
keiten und Zeitverluſte. Es wäre daher zu wünſchen, 
daß das Geſetz die Umbildung ebenſo erleichtert, 
wie den Uebergang von der AG. zur G. m. b. H. 
Das Bedürfnis hiefür iſt vorhanden. Abhilfe 
aber wäre leicht zu ſchaffen. In das GmbHG. 
ließe ſich wohl folgender § 81 a einfügen: 

„Die 88 80, 81 finden entſprechende Anwen⸗ 
dung auf die Umwandlung einer G. m. b. H. in 
eine AG.“ — Damit wäre wenigſtens das liqui⸗ 
dationsloſe Verfahren erreicht, ein Fortſchritt, den 
die Praxis dankbar begrüßen würde. 


Zeitſchrift! für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


421 


Kleine Nitteilungen. 


Berechnung der Straſzeit, wenn der Verurteilte auf 
Grund des 8 489 StPO. verhaftet wurde. Das bayer. 
Ob LG. hat in feinen Beſchlüſſen vom 20. Januar 1909 
(ObLGEntſch. Bd. 9 S. 157) und vom 23. Mai 1913 
(Ob“ GEntſch. Bd. 13 S. 233) im Grundſatz an feiner 
früheren Anficht') feſtgehalten, daß „der Beginn der 
Strafe erſt von dem Augenblick an zu berechnen iſt, 
in dem der Verurteilte in den Ort der Strafvoll- 
ſtreckung eingeliefert worden iſt“. Dieſe Anſicht dürfte 
nach wie vor bedenklich ſein, wenn ſie auch jetzt ein⸗ 
gehender begründet iſt als früher. 

Das ObLG. erwägt bei den genannten Ent⸗ 
ſcheidungen folgendes: 

„Die Haft, die ein Verurteilter auf Grund des 
8 489 StPO. erleidet, iſt nicht Strafhaft ſondern 
Schubhaft, alſo Polizeihaft, ſie geht regelmäßig 
erſt mit der Ablieferung an die für die Strafe be⸗ 
ſtimmte Strafanſtalt in Strafhaſt über. Sonach iſt die 
Strafvoll ſtreckungsbehörde nicht verpflichtet, die bis zur 
Ablieferung erlittene Haft auf die Strafe anzurechnen. 
Sie iſt aber berechtigt, die Schubhaft wenigſtens teil⸗ 
weiſe auf die Strafe anzurechnen, wenn beſondere 
Billigkeitsgründe vorliegen, nämlich inſoweit als ſie 
„den Zeitraum überſchreitet, der unter gewöhnlichen 
Verhältniſſen und Umſtänden zur Ausführung einer 
Verſchubung vom Orte der Feſtnahme bis zum Sitze 
des Gefängniſſes“ — gemeint iſt die , 
anſtalt — „erforderlich iſt“. 


I. Polizeihaft (Schubhaft) oder Strafhaft )? 


Die hier zu beſprechenden Fälle find — in Bayern 
wenigſtens — nicht ausdrücklich geſetzlich geregelt. Es 
beſtimmen nur die Art. 23 ff. AG. StPO, in welchen 
Anſtalten die verſchiedenen Freiheitsſtrafen zu ver⸗ 
büßen ſeien; dieſe Beſtimmungen ſind aber wohl nur 
als eine Art Ordnungs vorſchriften zu verſtehen, 
haben wohl auch nur den Regelfall im Auge, daß der 
Verurteilte ſeine Strafe freiwillig antritt. Jedenfalls 
hätte es genügend deutlich ausgedrückt werden müſſen, 
wenn ſie ſo zu verſtehen ſein ſollten, daß nur die in 
den vorgeſchriebenen Strafanſtalten verbrachte Zeit 
als Strafhaft betrachtet und behandelt werden dürfe. 
Man wird alſo wohl ſagen müſſen: „Aus den Art. 23 ff. 
a. a. O. läßt ſich nichts folgern, weder für die grund⸗ 
ſätzliche Anſicht des Ob LG. noch für die gegenteilige, 
daß die Strafzeit bereits von der Aufnahme in ein 
Gerichtsgefängnis oder genügend ſicheres Polizei⸗ 
gefängnis an zu berechnen ſei.“ Weil aber das Geſetz 
nicht zum Gegenteil zwingt, wird ſich die Straſvoll⸗ 
ſtreckungsbehörde und im Falle des 8 490 StPO. der 
Richter wohl der das Grundrecht der perſönlichen 
Freiheit“ mehr achtenden Auffaſſung anſchließen müſſen, 


3 Sal, Obscgantſch. Bd. 2 S. 159, Bd. 3 S. 407, 


Bd. 5 

— Lin ſich ſind ſelbſtverſtändlich beide Auffaſſungen 
möglich, und da die richterlichen Entſcheidungen letzten 
Endes Willensakte ſind, ſo kommt es auf die zu Papier 
gebrachten Gründe ſchließlich gar nicht ſo viel an. 
Für die Auffaſſung als Strafhaft vgl. Käͤäb in 
Seuff Bl. Ihrg. 1906 S. 56. Uebrigens ſei von vorn⸗ 
herein bemerkt, daß mit den hier zu machenden Aus» 
führungen durchaus nicht einer allzu nachſichtigen 
Strafrechtspraxis, ſondern nur einer möglichſt freiheit⸗ 
lichen Geſetzesauslegung das Wort geſprochen werden ſoll. 

) Das Ob“. ſpricht ſelbſt davon (Bd. 9 S. 160), 


die ſich kurz etwa folgendermaßen begründen läßt: 
„Die Verhaftung gemäß 8 489 Sı BO. erfolgt auf 
Grund eines rechtskräſtigen, auf Fieiheitsſtraſe lauten⸗ 
den Urteils und dient ſeinem zwangsweiſen Vollzuge. 
In Vollzug geſetzt aber iſt ein ſolches Urteil, ſobald 
Freiheitsentziehung in irgendeinem gegen Entweichung 
genügend ſicheren Gefängnis vorliegt, alſo z. B. in 
einem Gerichtsgefängnis oder einem entſprechenden 
Polizeigefängnis. Von die ſem Zeitpunkt an kann alſo 
auch nicht mehr von Polizeihaft — nämlich Schubhaft — 
geſprochen werden.“ 

Das Ob“ G kommt ja auch ſelbſt in den eingangs 
erwähnten Beſchlüſſen — allerdings nur aus Rück⸗ 
ſichten der Billigkeit im Hinblick auf die Beſonder⸗ 
heiten des einzelnen Falles — dazu, wenigſtens einen 
Teil der im Amtsgerichtsgefängnis zugebrachten Zeit 
auf die Strafzeit anzurechnen. Alſo muß es doch 
von der Anſchauung ausgehen, daß auch Amts⸗ 
gerichtsgefängniſſe an ſich geeignet ſeien, auch den auf 
Vollzug einer länger dauernden Freiheitsſtrafe ges 
richteten ſtaatlichen Straſanſpruch — wenigſtens teil⸗ 
weiſe — zu verwirklichen. Bei den eingangs erwähnten 
Beſchlüſſen lagen Fälle von auffallend großen Zwiſchen⸗ 
räumen zwiſchen Einlieferung in das nächſte Amts⸗ 
gerichtsgeſängnis und Ablieferung an die Strafvollzugs⸗ 
anſtalt zugrunde. In dem einen Falle hatte ſich die 
Ablieferung durch Krankheit des Verurteilten, in dem 
andern durch die inmitte liegenden Oſterfeiertage er⸗ 
heblich verzögert. Immerhin hat das ObLG. in dem 
einen Falle noch etwa 24 Stunden, in dem andern 
ſogar dreieinhalb Tage der amtsgerichtlichen Inhaftie⸗ 
rung auf die Strafzeit nicht angerechnet. Gerade 
aber ſolche Fälle, wo zur Vermeidung „einer unbilligen 
Härte“ an der grundſätzlichen Anſicht nicht ſtreng 
feſtgehalten werden kann, legen die Frage nahe, ob 
denn die grundſätzliche Anſicht überhaupt richtig iſt. 
Und da wird man wohl ſagen müſſen: Polizeibaft darf 
nur da angewendet werden und von Polizeihaft darf nur 
da geſprochen werden, wo auf andere Weiſe die Staats⸗ 
zwecke nicht oder nur unter erheblichen Weitſchweifig⸗ 
leiten erreicht werden könnten. Der hier zu erreichende 
Staatszweck iſt Freiheitsentziehung auf Grund eines 
rechtskräftigen, auf Strafe lautenden Urteils. Dieſer 
Staatszweck iſt aber ſchon erreicht, ſobald ſich der Ver⸗ 
haftete überhaupt in ſicherem Gewahrſam befindet, 
nicht erſt wenn er in die Straſanſtalt eingeliefert iſt. 
Mit dieſem Verbringen in ſicheren Gewahrſam ſchon 
iſt doch wohl „der widerſpenſtige Sinn des Verurteilten 
gebrochen und der ſtaatliche Strafanſpruch verwirklicht“ 
(ObLGeEntſch. Bd. 9 S. 158). Denn — jetzt einmal 
ein zweifelsfrei feſtſtehendes Verſchulden des Ver⸗ 
urteilten bei Nichtbefolgung der Ladung zum Straf⸗ 
antritt angenommen — wer der Ladung zum Etrafs 
antritt keine Folge leiſtet, ſagt ja damit nicht: „Ich 
will mich nur in der Strafanſtalt X nicht ſtellen, wo 
anders würde ich die Strafe antreten“, ſondern er will 


überhaupt keine Freiheitsentziehung auf ſich nehmen; | 


feine Widerſpenſtigkeit iſt alfo beſiegt, wenn er über- 


haupt, gleichviel wo, ſicher hinter Schloß und Riegel 


ſitzt Es iſt daher auch nicht einzuſehen, warum die 
hier fragliche Freiheitsentziehung „nicht die Eigenſchaft 
einer Strafe“ haben ſollte. Dieſe Eigenſchaft hat ſie 
ſicher, nur will ſie das Ob“ G. gewiſſermaßen als 


daß die SS 482, 493 StPO., 60 StGB. vom Geiſte des 
favor libertatis getragen ſeien; warum ſollte dies dann 
nicht auch für $ 489 StPO. gelten? 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


Strafe für ein beſonderes Verſchulden des Verurteilten 
angeſehen wiſſen. Davon im folgenden. 


II. Strafe für Ungehorſam gegenüber der 
Ladung zum Strafantritt oder für Er 
regung von Flucht verdacht? 


Das Ob. ſagt (Bd. 9 S. 159: „Der Ber⸗ 
urteilte hat es feinem Ungehorſam gegenüber der 
Ladung zum Antritt der Strafe oder ſeinem Verhalten, 
das den Verdacht der Flucht begründete, zuzuſchreiben, 
wenn er behufs der Strafvollſtreckung feſtgenommen 
und zwangsweiſe in das Gefängnis (die Strafanftalt) 
eingeliefert wird; er hat die Entziehung der Freiheit. 
die mit der Feſtnahme und der Ausführung der Zwangs⸗ 
maßregel der Einlieferung in den Ort der Vollſtreckung 
verknüpft iſt, ſelbſt verſchuldet. Dieſe Entziehung 
beruht auf dem Geſetze (8 489 StPO.) und iſt eine 
vom Geſetze gewollte Zwangsmaßregel, ohne die in 
vielen Fällen der widerſpenſtige Sinn eines Ver⸗ 
urteilten nicht gebrochen und der ſtaatliche Strafanſpruch 
nicht verwirklicht werden könnte.“ Das Ob“ G. fußt 
alſo auf einem angeblichen Verſchulden des Ver⸗ 
urteilten. Allein von einem ſolchen wird man doch 
wohl nicht gut reden können, wenn weiter nichts feſt · 
ſteht, als daß der Verurteilte der Ladung zum Straf⸗ 
antritt keine Folge geleiſtet hat. Abgeſehen von den 
nicht ſeltenen Fällen, wo der Verurteilte das nötige 
Reiſegeld nicht beſitzt und desbalb die Zwangsreiſe 
vorzieht, iſt es wohl auch grundſätzlich verkehrt, einem 
Verurteilten einen Vorwurf daraus zu machen, daß 
er es auf das äußerſte ankommen läßt und erft den 
Zwang zum Strafantritt abwartet. Dazu find die 
ſtaatlichen Zwangsmittel da, damit von ihnen im ge⸗ 
gebenen Falle Gebrauch gemacht werde. Es dürfte 
nicht angehen, jemanden bloß deswegen, weil er den 
Staat zur Anwendung ſeiner Zwangsmittel nötigt, 
in Strafe zu nehmen, d. h. in den hier fraglichen 
Fällen die Freiheitsentziehung zu verlängern. Die 
Sache iſt hier vielleicht ähnlich gelagert wie bei dem 
in der Hauptverhandlung leugnenden Angeklagten, 
dem man nicht etwa das Leugnen als ſtraferſchwerenden 
Umſtand anrechnen darf.“) So gut der Angeklagte 
das „Recht“ hat, zu leugnen, ebenſogut hat der Ver⸗ 
urteilte das „Recht“, der Ladung zum Strafantritt 
keine Folge zu leiſten. Beſonders verſtändlich wird 
dies ſein, wenn der Verurteilte — der z. B. nur auf 
Indizien hin verurteilt wurde — tatſächlich unſchuldig 
iſt, alſo ſachlich zu unrecht ſeine Strafe abſitzen muß. 
Im übrigen aber iſt eben doch bei vielen Menſchen 
der Freiheitsdrang größer als die Bereitwilligkeit, 
behördlichen Anordnungen Folge zu leiten. Dann 
wird eben der ſtaatliche Zwang ausgelöſt und damit 
iſt die Sache erledigt. 

Nicht anders ſteht es mit der Verhaftung wegen 
Fluchtverdachts. Eine ſolche Verhaftung zum Zwecke 
des Strafvollzugs erfolgt ja eben deshalb, weil die 
Strafvollſtreckungsbehörde von vornherein annimmt, 
daß eine Ladung zum Strafantritt ohne Erfolg fen 
werde. Die obigen Ausführungen für den Fall des 
Ungehorſams gegen die Ladung gelten auch bier. Es 
kommt vielleicht hier ſogar noch weiter in Betracht, 
daß naturgemäß die Entſchließung der Strafvoll: 
ſtreckungsbehörde ſehr raſch getroffen werden muß 
daß ſich aber der Fluchtverdacht bei näherem Zu⸗ 

) Vgl. Käb in dieſer Zeitſchrift Jahrgang 1907 
S. 467 ff. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


ſehen als unbegründet erweiſen könnte. Dieſe Möglich» 
keit wird es in ſolchen Fällen wohl erſt recht angezeigt 
erſcheinen laſſen, die Schubhaft ſchon von dem Zeit⸗ 
punkt der Aufnahme in ein Gerichtsgefängnis oder 
ſicheres Polizeigefängnis an auf die Strafe anzurechnen. 

Die vom Ob“LG. beigebrachten Gründe dürften 
alſo doch wohl nicht hinreichen, um die daraus ge⸗ 
zogene Schlußfolgerung zu rechtfertigen. Bei der 
Mittelmeinung wie ſie dieſes Gericht nunmehr ver⸗ 
tritt, handelt es ſich ja ohnedies immer nur höchſtens 
noch um einige Tage, die nicht angerechnet werden 
könnten; geſetzlich geregelt ſind die hier fraglichen 
Fälle nicht; alſo beſteht wohl kein Hindernis, auch 
noch dieſe wenigen Tage auf die Strafe anzurechnen. 

Die Entſcheidung auf ein Verſchulden des 
Verurteilten zu gründen hat auch deshalb etwas Miß⸗ 
liches, weil bei Zugrundelegung der Anſchauung des 
Ob G. die Strafvollſtreckungsbehörden wohl vers 
pflichtet wären, ein Verſchulden des Verurteilten feſt⸗ 
zuſtellen, ehe ſie die Strafzeitberechnung vornehmen. 
Denn der ganze Strafvollzug wird ja von Amts wegen 
betrieben. Es müſſen alſo zum mindeſten naheliegende 
Umſtände feſtgeſtellt werden, die für die Strafzeit⸗ 
berechnung von Belang ſein können, wie insbeſondere 
auch der Umſtand, ob der Verurteilte nicht nur wegen 
Mangels des Reiſegelds der Ladung zum Straf⸗ 
antritt keine Folge geleiſtet hat.“) Es könnte ſich dann 
ergeben, daß die Ausnahmen von dem Grundſatz — daß 
die Strafe erſt mit der Einlieferung in die betreffende 
Strafanſtalt beginne — ſo zahlreich werden würden, 
daß man ſie als die tatſächliche Regel betrachten könnte. 
Dieſer Umſtand würde ja allerdings an ſich nicht maß⸗ 
gebend ſein, aber er gibt doch wohl einen kleinen 
Fingerzeig, in welcher Richtung die auch den Be⸗ 
dürfniſſen der Praxis am meiſten entſprechende An⸗ 
ſicht zu ſuchen ſei. 


III. Sinngemäße Anwendung des 8 482 StPO. 


Die Strafprozeßordnung iſt — das kann wohl 
nicht beſtritten werden — ein etwas lücken haftes Geſetz, 
und ſo gut ſich die Praxis ſchon damit geholfen hat, 
zur Ausfüllung vorhandener Lücken Beſtimmungen 
der ZPO. heranzuziehen, ebenſogut muß es auch zu⸗ 
läſſig fein, Beſtimmungen der StPO. felbft in ge 
eigneten Fällen entſprechend anzuwenden. Hier nun 
kommt 8 482 in Betracht. Die hilfsweiſe Heranziehung 
dieſer Geſetzesſtelle muß aber m. E. dazu führen, daß 
auf die Strafzeit auch die auf Grund des Haftbefehls 
erfolgte Verwahrung in einem Gerichtsgefängnis oder 
gleich ſicheren Polizeigefängnis unverkürzt anzu⸗ 
rechnen iſt. Von Unterſuchungshaft kann allerdings 
im Falle des 8 489 nicht mehr geſprochen werden, 
weil ja nichts mehr zu unterſuchen iſt, aber es handelt 
ſich doch — wie bei der Unter ſuchungshaft — um eine 
Freiheitsentziehung, die im Intereſſe der raſchen und 
ſicheren Durchführung des ſtaatlichen Strafanſpruchs 
verhängt wird; hier wie dort ſoll durch die Freiheits⸗ 
entziehung die angenommene Fluchtgeſahr — dieſe 
kommt wenigſtens in der weitaus größten Zahl der 
Fälle in Betracht — beſeitigt werden. Iſt der Ver⸗ 
urteilte auf Grund des 8 489 in ſicheren Gewahrſam 
verbracht, ſo iſt die Fluchtgefahr beſeitigt. Ein anderes 


6) Die Strafvollſtreckungsbehörden werden ſchon 
deshalb ſehr peinlich vorgehen müſſen, damit ſie ſich 
nicht allenfalls einer Verfehlung gegen 8 341 StGB. 
(letzte Alternative) ſchuldig machen. 


423 


Hindernis fteht dem Strafvollzug auch nicht entgegen, 


da ja das Urteil rechtskräftig iſt. Eine beſondere Vor⸗ 
ſchrift entſprechend 8 482 iſt eben für die Fälle des 
8 489 wohl deshalb nicht erlaſſen worden, weil der 
Geſetzgeber es als ſelbſtverſtändlich erachtet hat, daß 
dieſe Haft — da ja bereits ein rechtskräftiges Urteil 
vorliegt — auch ohne weiteres auf die Strafe ange⸗ 
rechnet werde.“) Bei dieſer Freiheitsentziehung darf 
es alſo ebenſowenig wie bei der Unterſuchungshaft im 
Falle des 8 482 darauf ankommen, ob die Freibeits⸗ 
entziehung in der „zuſtändigen“ Strafanſtalt ſtattfindet. 
Sowohl die Unterſuchungshaft als auch die Polizei⸗ 
haft nach 8 489 — jetzt angenommen, daß es ſich wirk⸗ 
lich um Polizeihaft und nicht um Strafhaft handle — 
ſind tatſächliche, vom Staate verhängte Freiheits⸗ 
entziehungen. Der innere Grund, warum die Unter⸗ 
ſuchungshaft nach 8 482 angerechnet werden muß, 
iſt offenbar der, daß vom Standpunkt des Angeklagten 
aus — weil er ſich dem Urteil unterworfen hat oder 
die Rechtsmittelfriſt verſtrichen iſt — die Strafhaft 
bereits beginnen lönnte. Im Falle des 8 489 könnte 
aber — da ein rechtskräftiges Urteil vorliegt — nicht 
nur vom Standpunkte des Verurteilten aus, ſondern 
auch vom Standpunkte des Staates aus die Strafhaft 
bereits beginnen, alſo mu ß auch die „Polizeihaft“ nach 
8 489 un verkürzt auf die Strafe angerechnet werden. 

Das Ob“. ſpricht auch ſelbſt (Bd. 9 S. 160 
oben) von analoger Anwendbarkeit der 88 482, 493 
StPO. und des 8 60 StGB.; in Wirklichkeit wendet 
es aber nur den 8 60 StGB. („kann angerechnet 
werden“) ſowie den 8 493 StPO. (der allerdings ſchon 
die Worte: „iſt anzurechnen“ gebraucht) analog an, 
nicht aber den 8 482 StPO., der unverkürzte An⸗ 
rechnung vorſchreibt, es alſo nicht in das pflichtmäßige 
Ermeſſen der Straſvollſtreckungsbehörde oder — im 
Falle des 8 490 StPO. — des Richters ſtellt, ob ſie 
etwas und wieviel ſie anrechnen wollen. Von einer 
unverkürzten Anrechnung kann aber nur dann ge⸗ 
ſprochen werden, wenn die ganze Zeit von der Ein⸗ 
lieferung in ein Gerichts⸗ oder ſicheres Polizeigeſängnis 
an auf die Strafe angerechnet wird. N 

Das Ergebnis iſt alſo folgendes: Entweder iſt 
die Haft auf Grund des 8 489 StPO. Strafbaft, 
dann iſt die Anrechnung auf die Strafe ſelbſtverſtändlich. 
Aber auch wenn ſie Polizeihaft iſt, muß die Anrechnung 
erfolgen auf Grund des ſinngemäß anzuwendenden 
8 482 StPO. 

Amtsrichter Dr. Käb in Neumarkt i. O. 


) Man bedenke auch noch folgendes: Trifft ein 
Verurteilter nach Erlaß eines Urteils aber erſt an dem 
Tage, an dem die Rechtsmittelfriſt abläuft, Anſtalten 
zur Flucht und wird verhaftet, ſo wird ihm, wenn 
dann am nächſten Tage das Urteil rechtskräftig wird 
oder wenigſtens er ſelbſt kein Rechtsmittel mehr ein⸗ 
legt, nur ein Bruchteil eines Tages auf die Strafzeit 
nicht angerechnet. Wartet er aber mit den Anſtalten 
zur Flucht bis nach Rechtskraft des Urteils — was 
doch wohl milder zu beurteilen iſt, weil die Verjährung 
der Strafvollſtreckung ſich in längeren Friſten voll⸗ 
zieht als die Verjährung der Strafverfolgung — 
ſo kann es kommen, daß er zu ſeiner Strafe eine Zu⸗ 
lage von einigen Tagen bekommt. Dieſes Ergebnis 
kann vom Geſetzgeber nicht gewollt ſein. 


424 


— — — — — — 


Zeit ſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


Juläſſigkeit der Widerklage und des Zurüdbehal: 
tungsrechts trotz Unzuläſſigkeit der Aufrechnung ? Rechts⸗ 
anwalt Dr. A. Fürnrohr bekämpft in Nr. 12 dieſer Zeit⸗ 
ſchriſt (S. 250) meine Darlegungen, nach denen bei Un⸗ 
zuläſſigkeit der Aufrechnung auch die Widerklage nicht 
ſtatthaft iſt. 

1. Fürnrohr verbindet zunächſt ohne weiteres die 
Erörterung zweier Fragen, die nicht durchaus nach den 
gleichen Geſichtspunkten zu entſcheiden ſind. Er meint, 
„daß die Widerklage in ſolchen Fällen wohl ſtets in 
Verbindung mit der Ausübung des Zurückbehaltungs⸗ 
rechts (8 273 BGB.) auftritt“. Dabei hat er offenbar 
nicht den Fall der Widerklage auf Feſtſtellung des 
Zurückbehaltungsrechtes) im Auge; denn er ſpricht 
ja von der „Ausübung“ und der Geltendmachung 
des Zurückbehaltungsrechtes, wie er auch als deren 
Folge die Verurteilung des Klägers Zug um Zug 
(8 274 BGB.) erwähnt. 

Das Zurückbehaltungsrecht wird im Rechtsſtreit 
ausſchließlich durch Einrede“ zur Geltung gebracht. 
Eine Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch 
Klage oder Widerklage iſt ausgeſchloſſen; denn es 
begründet keinen Anſpruch, ſondern ſchafft nur einen 
Abwehrbehelf.“ 

Neben der Einrede des Zurückbehaltungsrechts ſteht 
alſo die Widerklage auf den Leiſtungsanſpruch ſelbſt. 
Wenn alſo auch beide Behelfe zuſammen auftreten 
würden, würde die Zuläſſigkeit des einen an ſich nichts 
für oder wider die Zuläſſigkeit des andern dartun, wie 
denn auch die prozeſſualen Bedenken, die gegen die 
Zuläſſigkeit der Widerklage zu erheben ſind, das Zurück⸗ 
behaltungsrecht nicht treffen. Es wären alſo beide 
getrennt zu behandeln, ſelbſt wenn ſie, wie Fürnrohr 
meint, zuſammentreffen würden. 

Der Ausgangspunkt Fürnrohrs iſt aber unrichtig. 
Die Widerklage tritt nicht „wohl ſtets“ in Verbindung 
mit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts auf. 
Im Gegenteil! Beide ſchlie ßen ſich gegenſeitig aus. 
Wäre Fürnrohrs Meinung richtig, ſo würde das Urteil 
nicht nur, wie er meint, dabin lauten können, daß der 
Beklagte zur Zahlung von 100 M Zug um Zug gegen 
Zahlung von 100 M an ihn verurteilt würde. Das 
wäre nur die Entſcheidung über die Klage unter Be⸗ 
rückſichtiaung der Einrede des Zurückbehaltungsrechts 
(8 274 BGB.). Damit iſt aber die Widerklage noch 
nicht erledigt. Auch über ſie müßte im Urteilsſatz 
entſchieden werden. Iſt ſie zuläſſig und begründet, 
ſo lann der Ausſpruch nicht anders als auf Verurteilung 
des Klägers und Widerbeklagten lauten. 

Die Folge iſt, daß der Kläger im Ergebnis doppelt 
verurteilt iſt. Er muß, will er die ihm zuerkannten 
100 M haben, 100 M anbieten (8 756 ZPO.). Ungehindert 
aber kann der Beklagte aus dem den Kläger verurteilen⸗ 
den Teil des Urteilsſatzes vollſtrecken. Der Beklagte, 
der in dem ihm günſtigſien Fall nichts ſchuldig iſt, er⸗ 
hält alſo noch 100 M. Es kann nicht Aufgabe des 
Vollſtreckungsgerichts ſein, hier eine Berichtigung ein⸗ 
treten zu laſſen. Das Urteil ſelbſt darf nicht über 
einen Anſpruch doppelt entſcheiden, daher müßte der 
Beklagte, ſtünden ihm wirklich Zurückbehaltungsrecht 
und Widerklage zu, zwiſchen beiden wählen. Beide 


1) Bol. Warneyer 1908 S. 440 Nr. 550. 

) Staudinger Anm. I 5 zu 8 273, 1 zu 8 274; 
Planck Anm. 1 zu 8 273; RGR Komm. Anm. 1 zu 
§ 273, Anm. 1 zu 8 274. 

) RGR Komm. Anm. 1 zu 8 273. 


nebeneinander ſind ebenſo unmöglich, wie die Einrede 
der — nicht vorſorglichen — Aufrechnung zuſammen 
mit der Widerklage auf Grund des gleichen Anſpruchs. 
Abgeſehen davon würde, wenn das Zurückbehaltungs⸗ 
recht gegeben wäre, für die Widerklage auch das Rechts⸗ 
ſchutzbedürfnis entfallen; denn es kann ja der Anſpruch 
auf Verneinung des Klageanſpruchs durch Einrede 
a gemacht werden, jo daß es der Widerklage nicht 
bedarf. 

2. Wenn auch die Fragen nach der Buläffigkeit 
der Widerklage und des Zurückbehaltungsrechts ſich 
nicht durchweg nach den gleichen Geſichtspunkten ent⸗ 
ſcheiden, ſo iſt doch Fürnrohr darin beizuſtimmen, daß 
beide im Ergebnis auf das gleiche Ziel hinauslaufen, 
nämlich auf Vereitelung des geſetzlichen oder vertrags⸗ 
mäßigen Ausſchluſſes der Aufrechnung. Und aus 
dieſem Grund iſt allerdings anzunehmen, daß, ebenſo 
wie die Widerklage, ſo auch die Ausübung des Zurück⸗ 
behaltungsrechts bei Unzuläſſigkeit der Aufrechnung 
unſtatthaft iſt. Iſt die Aufrechnung durch Geſetz oder 
Verbot ausgeſchloſſen, ſo muß der Schuldner ſeine 
Verpflichtung erfüllen, unbekümmert um etwaige ihm 
zuſtehende Gegenrechte. Damit entfällt das Zurück⸗ 
bebaltungsrecht ſchon nach dem Wortlaut des 8 273 
Abſ. 1 BGB.; denn es greift nur Platz, ſofern ſich 
nicht aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt.“ 

Schon in der Entſcheidung vom 24. April 1908) 
hat das Reichsgericht erklärt: „wenn ein Zurück⸗ 
behaltungsrecht wegen einer fälligen Geldforderung 
geltend gemacht wird, ſo iſt dies in Wahrheit regel⸗ 
mäßig die Erklärung der Aufrechnung,“ und es bat 
hieran in ſtändiger Rechtſprechung feſtgehalten. 

Zu unrecht greift Fürnrohr dies an. Das Reichs⸗ 
gericht verwechſelt nicht die Gleichheit des Erfolgs mit 
der Gleichheit des Mittels. Es weiſt nur die unter 
einer falſchen Bezeichnung auftretende Aufrechnung 
zurück. Daß die falſche Bezeichnung eines rechtlichen 
Vorgangs belanglos iſt, iſt ein anerkannter Rechtsſatz. 
Es gehört ja gerade zum Weſen der Geſetzesumgebung. 
daß ſie einen verbotenen Erfolg mit einem ſcheinbar 
erlaubten Mittel erreichen will. 

Der wahre Wille des Geſetzes wie der Partei iſt 
zu erforſchen. Dieſer aber geht, wenn die Aufrechnung 
ausgeſchloſſen iſt, dahin, daß die Rechte des Gläubigers 
von etwaigen Gegenrechten des Schuldners unberührt 
bleiben ſollen. Andernfalls wären ja alle geſetzlichen 
Aufrechnungsverbote völlig wirkungs⸗ und daher ſinn⸗ 
loſe Beſtimmungen. 

Wenn ſchließlich Fürnrohr den Ausſchluß der 
Aufrechnung ſchlechthin als „ſinnwidrig“ bezeichnet, 
ſo verkennt er offenbar deſſen außerordentliche wirt⸗ 
ſchaftliche Notwendigkeit. Im Gegenſatz zu ihm haben 
die Geſetzgeber dieſe von jeher anerkannt. Geſetzliche 
Aufrechnungsverbote hat es im römiſch gemeinen Recht“ 
wie im preußischen ®) und bayeriſchen“ Landrecht ge⸗ 
geben, und nicht weniger finden ſie ſich im geltenden 


) JW. 1911 S. 536. 

) Warneyer 1908 S. 440 Nr. 550 und Recht 1908 
Nr. 2135. 

e) Recht 1913 Nr. 2848; RG. Bd. 83 S. 138. 

) Windſcheid, Pandekten 5. Aufl. Bd. 2 8 350 
Ziff. 7 und die Quellenſtellen in Fußnoten 24 — 28 
§ 397 Fußn. 5. 

s) AVR. Teil 1 Tit. 16, SS 363 f., 366, 368 ff. 

) Kreittmayer, Annot. Teil 4 Kap. 15 5 1 Ziff. 3. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


franzöſiſchen Recht.“) In keinem dieſer Rechte iſt ein 
Verbot des vertragsmäßigen Aufrechnungsverzichts ent⸗ 
halten: im römiſch⸗gemeinen Recht war deſſen Zu⸗ 
läſſigkeit allgemein anerkannt,“) im preußiſchen Land⸗ 
recht ausdrücklich ausgeſprochen.) 

Wenn Fürnrohr nun auch der Anſicht fein mag, 
daß alle diefe Beſtimmungen den Denkgeſetzen wider⸗ 
ſprechen, fo muß er ſich doch damit ab finden, daß un⸗ 
zweifelhaft das geltende Recht Aufrechnungsverbote 
aufftellt und den Aufrechnungsverzicht nicht verbietet. 
Damit, daß er geſetzliche Beſtimmungen für ſinnwidrig 
erklärt, kann er ſie mit ihren Folgerungen nicht aus 
der Welt ſchaffen. Er mag klagen über die dura lex; 
sed ita scripta est. 


Rechtsanwalt Dr. Berlin in Nürnberg. 


Aus der Lechtſprechung. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 


1 


Zu 53 426 Abſ. 1 und 774 Abſ. 2 568. Geſamt⸗ 
ſchuldneriſche Berbürgung der Geſellſſchaſter einer G. m. b. H. 
oder eines Teiles von ihnen für ein der Geſellſchaft ge: 
währtes Darlehen; nach welchen Anteilen haften die 
Bürgen in dieſem Fall untereinander? Aus den 
Gründen: Nach der Veſtimmung des 8 426 Abſ. 1 
BGB., die gemäß 8 774 Abſ. 2 BGB. auch für Mit⸗ 
bürgen gilt, find Geſamtſchuldner im Verhältnis zu⸗ 
einander zu gleichen Anteilen verpflichtet, „ſoweit nicht 
ein anderes beſtimmt iſt“. Die gleichmäßige Verteilung 
ſetzt einen Regeltatbeſtand voraus, bei dem anderes 
nicht in Betracht kommt, als eben nur die geſamt⸗ 
ſchuldneriſche Verpflichtung nach außen, die dann nach 
innen die Haftung nach gleichen Anteilen zur Folge 
haben ſoll. Dieſer Regelfall iſt in dem vielgeſtaltigen 
Leben durchaus nicht häufig, ſo daß ſich der Grundſatz 
der gleichartigen Verteilung in d 426 Abſ. 1 praktiſch als 
ein Hilfsſatz darſtellt (RG. 75, 251; RGR.⸗Komm Anm. 2 
zu §8 426). Die Ordnung in § 426 Abſ. 1 BGB. gilt überall 
da nicht, wo die Geſamtſchuldner unter ſich durch ein 
rechtliches Band vereinigt find, das den Maßſtab für die 
Verteilung der inneren Haftung nach dem ausdrücklich 
oder ſtillſchweigend erklärten Willen der Geſamtſchuldner 
abgibt Die Geſellſchafter einer G. m. b. H. ſtehen ſich 
nun nicht fremd gegenüber, wie die Aktionäre einer 
Aktiengeſellſchaft, wenn auch die G. m. b. H. gleich 
dieſer eine von der Geſamtheit der Geſellſchafter ver- 
ſchiedene ſelbſtändige juriſtiſche Perſon iſt; ſie ſtehen 
in einem Vertragsverhältnis zu einander, das eine be⸗ 
ſondere Art des Geſellſchaftsvertrags iſt (88 2, 3, 14ff., 
45 GmbH.). Es iſt gerade die Eigentümlichkeit der 
G. m. b. H., durch die ſich das Innenverhältnis der 
Geſellſchaft des BB. nähert (S 706 BGB.), daß die 
Beteiligung der Geſellſchafter der G. m. b. H. am Stamm⸗ 
kapital und damit auch am Gewinn und Verluſt, „der 
Geſchäftsanteil“ ($ 14), verſchieden feſtgeſetzt werden 
kann (88 5, 14, 29 Abſ. 2, 26 GmbH.). Es iſt darum 
von voruherein anzunehmen, daß im inneren Verhält- 
niſſe der Geſellſchafter bei allen Verpflichtungen, die 
ſie in Angelegenheiten der Geſellſchaft übernehmen, der 
Geſchäftsanteil den Maßſtab für die Verteilung unter: 
einander bilden ſollte. Der Kläger will das nur gelten 

10) (Cod. eiv. Art. 1293, auch 1294, 1298. 

11) Windſcheid a. a. O. Fußn. 29 S. 337. 

1) ALR. Teil I Tit. 16 § 372. 


425 


laſſen, wenn ſich alle Geſellſchafter an der Berbürgung 
beteiligt hätten, wie dies auch zunächſt beabſichtigt war. 
Der Maßſtab verſage aber, wo nur ein Teil der Ge⸗ 
ſellſchafter eine allerdings aus dem Geſellſchaftsverhält⸗ 
nis heraus entſtandene Verpflichtung Dritten gegen⸗ 
über übernommen habe. Das iſt nicht anzuerkennen. 
Unmittelbar kann freilich in ſolchem Falle das Ver⸗ 
hältnis der Geſchäftsanteile an der Geſellſchaft nicht 
zugrunde gelegt werden; die Einheit wird eine andere; 
es bildet ſich gewiſſermaßen eine Geſellſchaft zu einem 
Einzelzweck innerhalb des Geſellſchaftsverhältniſſes zur 
G. m. b. H. mit demſelben Beteiligungsverhältnis, mit - 
demſelben Zähler, aber mit neuem Nenner. Der Maß⸗ 
ſtab der Beteiligung der einzelnen Mitbürgen an der 
Geſellſchaft ändert ſich entſprechend dem Beteiligungs⸗ 
verhältnis an der Bürgſchaft von ſelbſt in ähnlicher 
Weiſe, wie wenn von einem Ausgleichungspflichtigen 
der auf ihn entfallende Beitrag nicht erlangt werden 
kann (8 426 Abſ. 1 Satz 2 BGB.). Der Satz des Be- 
rufungsurteils: Hätte man die Ausgleichungsfrage 
unter den Mitbürgen bei der Uebernahme der Bürg⸗ 
ſchaft erörtert, ſo würden ſie ſich einſtimmig für das 
Verhältnis ihrer Geſchäftsanteile entſchieden haben, iſt 
durchaus richtig und bedenkenfrei. Er enthält nicht, 
wie die Reviſion meint, eine Erörterung der für die 
Entſcheidung nicht maßgebenden Frage, wie die Mit⸗ 
bürgen vernünftigerweiſe die Ausgleichung unter ſich 
hätten vereinbaren ſollen, aber nicht vereinbart haben, 
ſondern die Feſtſtellung einer ſtillſchweigenden Ver⸗ 
trags vereinbarung, die aus den Umſtänden des vor⸗ 
liegenden Einzelfalles entnommen wird (vgl. Urt. des 
erk. Senats VI 331/07 vom 15. April 1908). (Urt. des 
VI. 3S. vom 25. Juni 1914, VI 177/1914). E. 
3471 


II 


Kann eine Zuſtimmung i. S. des 5 1565 Abſ. 2 888. 
daun angenommen werden, wenn der eine Gatte den 
Ehebruch des andern gewünſcht und herbeigeführt hat, 
um einen Grund zur Scheidung zu haben? Aus den 
Gründen: Das BG. ſtellt feſt, daß die Beklagte mit 
dem vom Kläger mit ihrer Ueberwachung betrauten 
Zeugen K. den Beiſchlaf vollzogen hat. Es nimmt 
gegenüber dem Einwande der Beklagten, ſie ſei von K. 
vergewaltigt worden, auch an, daß ſie ſich ihm frei⸗ 
willig hingegeben habe. Andererſeits aber erachtet 
es für dargetan, daß der Kläger dem Ehebruche zus 
geſtimmt habe. Zwar ſieht es nicht als bewieſen an, 
daß der Kläger K. ausdrücklich beauftragt habe, mit 
der Beklagten geſchlechtlich zu verkehren; wohl aber 
entnimmt es aus dem Verhalten des Klägers, be⸗ 
ſonders auch aus ſeinem Benehmen bei und nach dem 
von ihm ſelbſt beobachteten Ehebruche, daß er die 
Beiſchlafsvollziehung gewünſcht habe, daß er abſichtlich 
die Umſtände herbeigeführt habe, unter denen die Be⸗ 
klagte der Verführung unterlag, und daß er mit dem 
Ehebruch einverſtanden geweſen ſei. Es iſt der An⸗ 
ſicht, daß die hierin zu findende Zuſtimmung zum Ehe⸗ 
bruch ihre Wirkſamkeit behalte, obwohl ſie aus dem 
Wunſche heraus erteilt ſei, geſchieden zu werden, und 
hält deshalb übereinſtimmend mit dem LG. die auf 
den Ehebruch der Beklagten geſtützte Scheidungsklage 
gemäß § 1565 Abſ. 2 BGB. für unbegründet. Die 
Reviſion wirft dem OLG. in erſter Linie vor, es habe 
den Begriff der Zuſtimmung verkannt. Sie führt unter 
Berufung auf die Mot. zum J. Entw. des BGB. 
(IV S. 587) aus: Zuſtimmung läge nur vor, wenn 
der Kläger ſich den Ehebruch der Beklagten zu eigen 
gemacht und zu erkennen gegeben hätte, daß die Be— 
gehung des Ehebruchs ſeine eheliche Geſinnung nicht 
beeinträchtige und ihm die Fortſetzung der Ehe nicht 
unmöglich mache. Genau das Gegenteil aber ſei der 
Fall. Der Kläger habe vor dem Auftreten K.s einen 
ſtarken Verdacht gehabt, daß die Beklagte die eheliche 
Treue nicht wahre. Er habe deshalb ein berechtigtes 


426 


el daran gehabt, ſich davon zu überzeugen, ob 
e in der Tat ſo weit fallen würde, ſich K. hinzu⸗ 
geben. Eine Zuſtimmung zum Chebruche ſei aus dieſem 
Verhalten nicht zu entnehmen. Dieſer Angriff geht 
fehl. Die Zuſtimmung, von der in 8 1565 Abſ. 2 die 
Rede iſt, hat ebenſowenig wie die in 8 1570 behandelte 
Verzeihung rechtsgeſchäftlichen Charakter. Sie iſt viel⸗ 
mehr ein rein tatſächlicher Vorgang und braucht des⸗ 
halb auch nicht gerade dem anderen Gatten gegenüber 
erklärt zu werden, ja ſie braucht nicht einmal zu 
deſſen Kenntnis gebracht zu werden, ſondern es genügt 
zur Zuſtimmung, wenn der verletzte Ehegatte in irgend 
einer Weiſe ſein Einverſtändnis mit dem Ehebruch zu 
erkennen gibt. Das hat der Senat bereits wiederholt 
und noch ganz kürzlich i (vgl. die Urteile 
vom 17. März 1910 IV 253/09 JW. 476 Nr. 16 und 
vom 14. Mai 1914 IV 71/14). Wenn Zuſtimmung in 
rn kommt, wird allerdings in der Regel die Sache 
o liegen, daß der zuſtimmende Gatte zu erkennen 
gibt, daß die Begehung des Ehebruchs feine eheliche 
Geſinnung nicht berührt und ihm die Fortſetzung der 
Ehe nicht unmöglich macht (vgl. die Motive an der 
von der Reviſion angeführten Stelle). Aber not⸗ 
wendige Vorausſetzung der Zuſtimmung iſt das nicht. 
Vielmehr iſt für die Frage, ob die Zuſtimmung wirk⸗ 
ſam erteilt iſt, ohne weſentliche Bedeutung, ob und in 
welchem Maße die eheliche Geſinnung des zuſtimmen⸗ 
den Gatten durch den Ehebruch des anderen Gatten 
berührt wird, mit dem er ſich einverſtanden erklärt. 
Insbeſondere wird der Zuſtimmung ihre Wirkſamkeit 
auch dadurch nicht genommen, daß ſie aus dem Wunſche 
heraus erteilt worden iſt, geſchieden zu werden. Auch 
das hat der Senat in Fällen, die dem hier zur Ent⸗ 
ſcheidung ſtehenden völlig gleich lagen, ſchon mehrfach 
anerkannt (vgl. außer dem bereits erwähnten Urteile 
vom 14. Mai 1914 vor allem das dort angezogene 
Urteil vom 14. Februar 1907 IV 337/06). Der Gatte, 
der, um einen Scheidungsgrund zu erlangen, einen 
Ehebruch des anderen Gatten herbeiführt, wünſcht 
dieſen Ehebruch. Wer aber ein gewiſſes Geſchehen 
wünſcht, iſt, wie ſich Opet ausdrückt (Bemerkung Ic 
zu 8 1565), notwendig damit einverſtanden, daß ſich 
dieſes Geſchehen verwirklicht, er ſtimmt ihm alſo zu. 
(Urt. des IV. 35. vom 8. Juni 1914, IV 592/1913). 
3470 E. 


III. 


. Der Antrag, die Bertragsſtraſe zu ermäßigen, be: 
trifft nicht den Grund des Anſpruchs ſondern den Be: 
trag. Aus den Gründen: Die in der Rechtslehre 
ſtreitige Frage, ob der Antrag des Schuldners auf 
Strafermäßigung den Grund des Zahlungsanſpruchs 
betrifft oder nur den Betrag, iſt in letzterem Sinne 
zu beantworten. Das eine Vertragsſtrafe herabſetzende 
Urteil hat allerdings rechtsgeſtaltende Bedeutung. in— 
dem ein Teil der Forderung aufgehoben und zu einem 
anderen Teile verurteilt wird. Der aufgehobene Teil 
der Forderung gilt als von Anfang an nicht geſchuldet, 
der Teil, zu deſſen Zahlung verurteilt wird, als von 
Anfang an geſchuldet. Dieſe Bedeutung des Urteils 
entſtammt eben ſeiner rechtsgeſtaltenden Kraft. Allein 
8 343 BGB ſagt nicht, es ſei das Verſprechen der Strafe 
zu dem unverhältnismäßigen Teil nicht verbindlich, 
das Geſetz erkennt vielmehr an, daß die Strafe an 
ſich verwirkt iſt, läßt ſie aber wegen Unverhältnis— 
mäßigkeit aus Billigkeitsgründen nachträglich herab— 
ſetzen. Dieſe Billigkeitsrückſichten brauchen nicht not— 
wendig in den bereits bei Vertragsſchluß vorhandenen 
Tatſachen zu liegen. Es ſind vielmehr unter Um— 
ſtänden auch ſolche Tatſachen bei Prüfung der Un— 
verhältnismäßigkeit mit heranzuziehen, die ſich erſt 
nach Vertragsſchluß eingeſtellt haben, und deren Ein— 
treten von niemand vorausgeſehen werden konnte. 
Hieraus erhellt, daß der Antrag auf Herabſetzung der 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


— —ð:ĩ ́—ĩ——ͤ——ů äü—ĩ—v5— — . .; — . ‚˖äꝛ— — . — U0˙.˙.cſĩ.U. D.ö́ir ³é[1«ńũ m:— EP ..ä eä . —.!.kuͥ! —!1Ubñ 5?́'ß!ͤͤüñ⸗4ã';!,ñũł3 . 


der Strafleiſtung betrifft, und daß nicht dieſelben Tat⸗ 
ſachen für Grund und Betrag des Anſpruchs auf Strafe 
maßgebend ſind. Danach kann ein Urteil über den 
Grund des Anſpruchs vorab erkennen und die Ent⸗ 
ſcheidung über den Antrag auf Strafermäßigung dem 
Verfahren über den Betrag vorbehalten. Aus dieſen 
Gründen kann auch die Entgegnung, es könne wegen 
der Kaufmannseigenſchaft des Schuldners deſſen Er⸗ 
mäßigungsantrag keine Beachtung finden, gleichfalls 
dem Verfahren über den Betrag vorbehalten werden. 
(Urt. d. III. 3S. vom 24. September 1914, III 169/14). 

3464 


IV. 


Haftet der Wirt für Verkehrsſicherheit der Dem Ber: 
kehr nicht freigegebenen Nebenräume 7 Der Kläger war 
in der Neujahrsnacht aus dem Tanzſaal in den Lichthof 
gegangen, dort an ein Fenſter des Wirtſchaftsſaales 
getreten, um ſeine Bekannten durch das Fenſter zu be⸗ 
glückwünſchen, und in den unter dem Fenſter befind⸗ 
lichen unbedeckten Lichtſchacht geſtürzt. 

Aus den Gründen: Daraus, daß der Lichthof 
gelegentlich zu anderen Jahreszeiten den Gäſten zum 
Aufenthalt gedient hat, kann nicht auf ſeine Widmung 
zum Gäſteverkehr oder auch nur auf eine Zulaſſung 
dieſes Verkehrs in der Neujahrsnacht geſchloſſen werden. 
Wenn der Wirt z. B. bei Ueberfüllung des Caſthofs 
ſeine eigenen Wohnräume Gäſten überläßt, ſind dieſe 
Räume damit nicht für alle Zukunft Vertragserfüllungs⸗ 
räume geworden, für deren Verkehrsſicherheit er jedem 
abſichtlich dorthin geratenen Gaſte einzuſtehen hätte. 
Der Wirtſchaftsgarten, der im Sommer von Gäſten 
ſtändig benützt wird, braucht im Winter nicht ohne 
weiteres durchaus verkehrsſicher gehalten zu werden. 
Ob der Beklagte aus dem Gaſtaufnahmevertrag haften 
würde, wenn der Gaſt infolge einer Verwechſel ung 
irrtümlich den Lichthof betreten hätte, oder wenn die 
Gefahrenquelle, die unbedeckte Lucke, unmittelbar vor 
der aus dem Tanzſaal in den Lichthof führenden Tür 
ſich befunden hätte, bedarf der Unterſuchung nicht. Denn 
der Kläger hat nicht irrtümlich ſondern abſichtlich den 
Lichthof betreten, und die Lucke liegt weitab vom Ein⸗ 
gang. an einer Stelle, wo kaum je ein Gaſt auch nur 
das Geringſte zu tun gehabt haben könnte, auch wenn 
der Lichthof dem Gäſteverkehr freigegeben geweſen wäre. 
Die Winterkälte der Neujahrsnacht, die fehlende Be⸗ 
dachung des Raumes, der Mangel eigener Beleuchtung 
des Hofes mußten dem Kläger und jedem Gaſte, der den 
Hof betrat, ſchlechthin ſofort klar machen, daß der Hof 
nicht zu den Räumen gehörte, die der Wirt der Be⸗ 
nutzung durch die Gäſte freigeben wollte. Es kommt 
deshalb nicht darauf an, ob der Zugang in den Lichthof 
für den ihn abſichtlich Betretenden mehr oder minder 
erſchwert war, ob die Türe verſchloſſen, eine Klinke vor⸗ 
handen war oder nicht. Auch wenn man in Betracht 
zieht, daß es ſich um eine Silveſterfeier im Rheinland 
handelte, bei der der Genuß erheiternder Getränke und 
fröhliche Ausgelaſſenheit eine Rolle ſpielten, kann nicht 
geſagt werden, daß ein die Verkehrsſorgfalt beobachten⸗ 
der Wirt damit hätte rechnen müſſen, ein Gaſt könne 
auf den eigenartigen Silveſterſcherz verfallen, vom Licht⸗ 
hofe aus die Inſaſſen des Saales zu beglückwünſchen. 
Die Gewährleiſtung der Verkehrsſicherheit des Licht⸗ 
hofs gehörte deshalb nicht zu den Vertragspflichten des 
Beklagten gegenüber dem Kläger. Das Fehlen der Lucken⸗ 
bedeckung in der Neujahrsnacht gereicht ihm nicht zum 
Verſchulden. Die gegenteilige Annahme würde eine un— 
erträgliche Ueberſpannung der Anforderungen an die 
im Verkehr erforderliche Sorgfalt bedeuten. Die Er— 
ſtreckung der für die Verkehrsräume beſtehenden Siche⸗ 
rungspflicht auf leicht zugängliche Nebenraͤume tft nur 
inſoweit zu zugeben, als es ſich um den Schutz gegen Ber: 


wechſelungen. auch wohl um die Fürſorge für Trunkene 


Strafe wie das dementſprechende Urteil den Umfang 


handelt. Gegenüber einem ſeiner Sinne Mächtigen, der 
dem Verkehr nicht gewidmete Nebenräume bewußt be: 


tritt, beſteht dieſe Sicherungspflicht jedenfalls nicht in 

dem Sinne, daß jede mögliche Gefahrenquelle in jenen 

Räumen beſeitigt werden müßte. (Weiter wird aus⸗ 

geführt, daß erſt recht keine Haftung aus unerlaubter 

Handlung begründet fei). (Urt. des III. ZS. vom 16. Sep⸗ 

tember 1914, III 171/14). — a — 
3448 


B. Strafſachen. 
1 


Neue Tatſachen i. S. des 3 210 Stß odo. Aus den 
Gründen: Der Beſchwerdeführer Sch. iſt durch Be⸗ 
ſchluß vom 9. September 1913 von der Anſchuldigung 
eines Verbrechens aus 88 218, 48 StB. „aus dem 
tatſächlichen Grunde des Mangels eines ausreichenden 
Beweiſes“ außer Verfolgung geſetzt worden. Mit An⸗ 
klageſchrift vom 17. Oktober 1913 hat der Staatsanwalt 
die öffentliche Klage wieder aufgenommen, weil in⸗ 
zwiſchen in der nicht zu Ende geführten Hauptver⸗ 
handlung gegen die Mitangeklagte S. und Genoſſen 
vom 8. Oktober 1913 der Zeuge Auguſt F., ein Bruder 
der S., der bis dahin vor Gericht kein Zeugnis ab⸗ 
gegeben hatte, eingehend als Zeuge zur Sache aus⸗ 
geſagt hatte. Auch die Zeugin Lina F., die Frau des 
Auguſt F., hatte ſich in der Hauptverhandlung zur 
Ablegung des früher vor Gericht verweigerten Zeug⸗ 
niſſes bereit erklärt; ſie war aber zur Sache nicht ver⸗ 
nommen, 199755 die Hauptverhandlung ausgeſetzt 
worden, offenbar um dem Staatsanwalt Gelegenheit 
zu geben, die öffentliche Klage gegen den Beſchwerde⸗ 
führer Sch. wieder aufzunehmen, und in einer neuen 
Hauptverhandlung die Unterſuchungsſache gegen dieſen 
gleichzeitig mit der gegen die anderen Angeklagten ent⸗ 
ſcheiden zu können. Sowohl Auguſt F. als auch Lina 
F. hatten im Vorverfahren nur bei einer polizeilichen 
Vernehmung ausgeſagt und damals hatte nach den 
Akten Auguſt F. im weſentlichen die gleichen Angaben 
gemacht, wie nach dem Sitzungsprotokoll in der Haupt⸗ 
verhandlung am 8. Oktober. Entſprechend der Anklage⸗ 
ſchrift, worin auf das Vorliegen der Vorausſetzungen 
des § 210 StPO. eingehend hingewieſen war, iſt gegen 
Sch. das Hauptverfahren eröffnet worden. Das Urteil 
prüft die Anwendung des 8 210 StPO. und hält fie 
für gerechtfertigt, weil „die Erklärung der Verwandten, 
von ihrem Zeugnis verweigerungsrecht keinen Gebrauch 
mehr machen zu wollen, die Geltendmachung eines 
neuen Beweismittels darſtelle“. Der Verteidiger rügt 
Verletzung des 8 210 StPO.; in der Erklärung der 
Verwandten, von ihrem Zeugnisverweigerungsrechte 
keinen Gebrauch mehr machen zu wollen, ſei nicht die 
Geltendmachung eines neuen Beweismittels zu finden. 
Dahingeſtellt kann bleiben, ob es zu billigen iſt, daß die 
StR. die Erklärung der Verwandten, von ihrem Zeugnis⸗ 
verweigerungsrecht keinen Gebrauch mehr machen zu 
wollen, als, Geltendmachung eines neuen Beweismittels“ 
bezeichnet. Es liegt in der Natur der Sache, daß ſie hier⸗ 
bei vor zugsweiſe die Tatſachen im Auge hat, 
daß Auguſt F. und Lina F. eine Wiederholung ihrer 
den Sch. belaſtenden polizeilichen Angaben vor Gericht 
in Ausſicht geſtellt und überdies Auguſt F. dieſe An⸗ 
gaben bereits einmal eingehend vor Gericht wiederholt 
hatte. Dieſe Tatſachen lagen zur Zeit der Außerver- 
folgungſetzung noch nicht vor und unbedenklich konnten 

e als „neue Tatſachen“ i. S. des § 210 StPO. in 
etracht gezogen werden. Bei der Beratung des Ent⸗ 
wurfs der StPO. in der Reichstagskommiſſion hat der 
Regierungsvertreter erklärt, daß „nach ſeiner Anſicht 
unter neuen Tatſachen und Beweismitteln alle die- 
jenigen zu verſtehen ſeien, welche, nach Lage der Akten 
zur Zeit der Entſcheidung über die Eröffnung des Haupt- 
verfahrens unbekannt, nicht benützt werden konnten, 
einerlei ob fie früher oder ſpäter zur Entſtehung ge- 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 28. 427 


kommen ſeien“ (Protokoll S. 329; Hahn, Mat. zur StPO. 
S. 818). Dies entſpricht dem Sinne des Geſetzes, das 
eine Rechtskraft des Beſchluſſes auf Außerverfolgung⸗ 
ſetzung nur in beſchränkter Weiſe nämlich inſoweit ein⸗ 
treten läßt, als nicht in der Folgezeit Umſtände hervor⸗ 
treten oder ſich ereignen, durch die der vordem un⸗ 
genügende Verdacht gegen den Beſchuldigten in einer 
Weiſe verſtärkt wird, daß er nunmehr als „hinreichend“ 
i. S. des §S 201 StPO. erachtet werden kann. Alle 
derartigen tatſächlichen Umſtände, alſo namentlich auch 
ſolche, durch die das Gewicht bereits früher vorgelegener 
Verdachtgründe oder Beweiſe erhöht wird, müſſen als 
neue Tatſachen i. S. des Geſetzes angeſehen werden 
und nicht etwa nur ſolche, die unmittelbar oder mittel⸗ 
bar zu der den Gegenſtand der Unterſuchung bilden⸗ 
den Handlung ſelbſt gehören. Es unterliegt daher 
feinem rechtlichen Bedenken, daß die StK. wegen der 
Vorgänge, die ſich in der Hauptverhandlung vom 8. Ok⸗ 
tober 1913 abgeſpielt hatten, insbeſondere wegen der 
Tatſache, daß Auguſt F. bereits vor Gericht den Sch. 
belaſtet hatte, die Vorausſetzungen des $ 210 StPO. 
als gegeben angeſehen hat. (Urt. des I. StS. vom 
18. Juni 1914, 1 D 272/14). E. 
3469 


II. 


3nu 814 Waren., 3 15 Wettbe s.: auf Grund 
welcher Beſtimmung iſt der „ zu beſtraſen, 
der gewöhnlichen Kaffee in Taſſen verſchänkt, die durch ein 
auf ihnen angebrachtes Warenzeichen den Anſchein er⸗ 
wecken, als ſei zur Herſtellung des Getränkes der von 
dem Inhaber des Warenzeichens in Berkehr gebrachte 
koffeinfreie Kaffee verwendet? Aus den Gründen: 
Die Angeklagten haben in ihrem Kaffeehaus in ſog. 
Hagtaſſen gewöhnlichen Kaffee verſchänkt, und ihn, 
wenn koffeinfreier Hagkaffee nicht vorhanden war, auch 
ſolchen Gäſten verabreicht, die Hagkaffee forderten. Es 
fragt ſich, ob fie dadurch gegen 8 14 Waren ZG. ver: 
ſtoßen haben, der den unter Strafe ſtellt, der wiſſent⸗ 
lich Waren oder deren Verpackung und Umhüllung 
mit einem geſchützten Warenzeichen widerrechtlich ver⸗ 
ſieht oder dergleichen widerrechtlich gekennzeichnete 
Waren in Verkehr bringt oder feilhält. Dieſe Frage 
mußte verneint werden. Nach 8 14 a. a. O. wird nur 
beſtraft, wer ein für einen anderen, hier die Neben⸗ 
klägerin, eingetragenes Zeichen als Warenzeichen d. h. 
ſo verwendet, daß Dritte in den Glauben verſetzt werden 
oder verſetzt werden können, die Waren, an denen oder 
an deren Umhüllung es angebracht iſt, ſtammten aus 
der beſtimmten Erzeugungs⸗ oder Vertriebsſtelle her, 
die ſich für die von ihr erzeugten oder in ihrem Auf⸗ 
trag anderweit erzeugten, aber von ihr vertriebenen 
Waren des benutzten Zeichens zu bedienen pflegt 
(RG. Bd. 42 S. 87 ff.). Wer ein Stück einer Ware oder 
deſſen Umhüllung mit ſeinem Warenzeichen verſieht, 
erklärt damit, dafür einzuſtehen, daß dieſes gezeichnete 
Stück von ihm angefertigt oder zum mindeſten als 
ſeine anderweit in ſeinem Auftrag angefertigte, aber 
von ihm zu vertreibende Ware von ihm in Verkehr 
gebracht iſt — RG. 43, 87 (108); 23, 365, (369); 30, 95 
(97). Wenn die Anbringung des Zeichens an der von 
einem anderen hergeſtellten Ware oder deren Um⸗ 
hüllung dieſen Sinn nicht 11 555 kann, greift ſie in das 
Zeichenrecht des Zeicheninhabers nicht ein. Dadurch, 
daß die Angeklagten Kaffee in ihrem Kaffeehauſe in 
Hagtaſſen verſchänkten, konnte keiner ihrer Abnehmer 
in den Glauben verſetzt werden, der von ihnen dort 
verabreichte, unmittelbar vor der Beſtellung friſch 
gekochte Kaffee rühre von der Nebenklägerin her, ſei 
von dieſer angefertigt oder in den Verkehr gebracht, 
da jedermann weiß, daß der Kaffee als friſches Getränk 
ſtets vom Verkäufer ſelbſt, dem Kaffeehausbeſitzer, her⸗ 
geſtellt wird und niemals von der Nebenklägerin her⸗ 
rühren kann. Die Abnehmer ſind alſo nur in den 
Glauben verſetzt, das Getränk ſei aus Hagkaffee zu⸗ 


bereitet, Hagkaffee ſei der Grundſtoff des Getränks. 
Das friſch hergeſtellte Kaffeegetränk konnte nicht im 
Betriebe der Nebenklägerin hergeſtellt oder auch nur 
vorhanden geweſen ſein; dieſes Getränk oder deſſen 
Umhüllung konnte unmöglich von der Nebenklägerin 
mit deren Warenzeichen verſehen geweſen ſein, und 
deshalb konnte der Nebenklägerin auch nicht bezüglich 
einer ſolchen, erſt von den Angeklagten herzuſtellenden 
Ware ein ausſchließliches Recht i. S. des $ 12 Waren ZG. 
zuſtehen. Das Warenzeichen ſchützt die Ware, für die 
es eingetragen iſt, oder ſolcher Ware gleichartige Ware 
(RG. 26, 234/35). Gleichartig find nur ſolche Waren, 
bei denen die Möglichkeit der Verwechſelung oder der 
Täuſchung im Verkehr vorliegt, Waren derſelben 
Gattung, die zu gleichen Zwecken verwendet werden, 
Waren, die in den gleichen Geſchäften an denſelben 
Kundenkreis abgeſetzt zu werden pflegen, Waren, bei denen 
das Publikum durch Anbringung des Zeichens in den 
Glauben verſetzt werden kann, daß fie aus dem Geſchäfts⸗ 
betriebe des Warenzeicheninhabers herrühren (RG. 60, 
324; 67, 36). Limonadeneſſenz und genußfertige Limo— 
nade ſind in dieſem Sinne als gleichartige Waren an— 
geſehen worden, weil beide in derſelben Betriebsſtätte 
hergeſtellt zu werden pflegen. Das trifft aber auf Kaffee 
als Bohne und Kaffee als Getränk nicht zu. Wer 
ein Kaffeegetränk zubereitet, ſtellt in ihm unter Benutzung 
von Kaffeebohnen oder gemahlenem Kaffee eine neue 
Sache i. S. des $ 950 BGB. her. Was bei der Hers 
ſtellung des Getränkes von den Stoffen übrig bleibt, 
die von der Nebenklägerin koffeinfrei gemacht werden, 
wird aus dem Getränk als für dieſes wertlos beſeitigt; 
in dem von den Angeklagten friſch hergeſtellten Kaffee⸗ 
getränk ſind von der von der Nebenklagerin vertriebenen 
Ware nur noch die durch den Aufguß kochenden Waſſers 
erhaltenen Auszugsſtoffe enthalten. Der Kaffeehaus— 
beſitzer verkauft alſo eine ganz andere Ware als die⸗ 
jenige, für die das Warenzeichen beſtimmt geweſen iſt; 
für ſeine Ware beſteht kein Warenzeichenſchutz. Hieraus 
folgt, daß die Verurteilung der Angeklagten aus 8§ 14 
Waren 3G. zu Unrecht ausgeſprochen iſt. — Die An⸗ 
geklagten haben aber durch den Gebrauch der Hagtaſſen 
den Anſchein erwecken wollen und können, daß der 
Grundſtoff des von ihnen vertriebenen Getränkes koffein— 
freier Hagkaffee ſei, und damit gegen $ 15 WettbewG. 
verſtoßen. Ein Vergehen gegen $ 15 erfordert nicht, 
daß zu Zwecken des unlauteren Wettbewerbs gehandelt 
iſt; die Beſtimmung geht inſoweit über den Rahmen 
hinaus, den das Geſetz in ſeiner Ueberſchrift zieht. 
Das hat das Reichsgericht bereits in den Eniſcheidungen 
Bd. 31 S. 63 und 84 ausgeſprochen und hieran in 
ſtändiger Rechtſprechung feitgehalten. Strafbar iſt nach 
§ 15 jedermann, der wider beſſeres Wiſſen über die 
Waren eines anderen der Wahrheit zuwider Tatſachen 
behauptet, die geeignet find, den Betrieb des Geſchäftes 
dieſes anderen zu ſchadigen, und eine ſolche Behauptung 
über die Waren der Nebenklagerin haben die Ange— 
klagten dadurch aufgeſtellt, daß ſie den Gäſten gegen— 
über, die Kaffee Hag und damit ein koffeinfreies Kaffee— 
getränk forderten, in den Hagtaſſen gewöhnlichen Kaffee, 
und dazu noch in verdunntem Sioffe verabreichten; 
ſie haben dadurch wider beſſeres Wiſſen behauptet, daß 
der koffeinfreie Kaffee der Nebenklaägerin ſich von ges 
wöhnlichem Kaffee nicht unterſcheide, alſo Bevorzugung 
vor dieſem in keiner Weiſe und aus keinem Grunde 
verdiene (RGSt. 45, 376; RG. 60, 189). (Urt. des 
J. StS. vom 29. Juni 1914, 1 227/14). E. 
3468 


Oberſtes Landesgericht. 
Zivilſachen. 
I. 
Einem ver dem Inkrafttreten des BGB. wegen 


Geiſteskrankheit Eutmundigten ſteht das Beſchwerderecht 
des 599 F566. auch dann nicht zu, wenn anzunehmen iſt, 


Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


daß er unter der Herrschaft des 888. nur wegen Seiſtes⸗ 


ſchwäche entmündigt worden wäre. J. St. wurde durch 
Beſchluß des Amtsgerichts vom 13. Auguſt 1896 wegen 
Geiſteskrankheit entmündigt. Er erachtet ſich durch 
eine Verfügung ſeines Vormunds für beſchwert und 
hat gegen ſie bei dem Vormundſchaftsgericht proteſtiert. 
Von dieſem wurde ihm eröffnet, daß es nur einſchreiten 
könne, wenn der Vormund pflichtwidrig handle, eine 
Pflichtwidrigkeit liege nicht vor. Die Beſchwerde des 
J. St. wurde vom 80 zurückgewieſen, weil fie gemäß 
8 59 Abſ. 2 FGG. unzuläſſig ſei. 

Die weitere Beſchwerde des J. St. wurde aus 
folgenden Gründen als unzuläſſig verworfen: 
Nach 8 59 Abſ. 2 86G. find die Vorfchrijten des Abſ. 1, 
wonach ein unter Vormundſchaft ſtehender Mündel in 
allen ſeine Perſon betreffenden Angelegenheiten ohne 
Mitwirkung ſeines geſetzlichen Vertreters das Be⸗ 
ſchwerderecht ausüben kann, nicht anwendbar auf Per⸗ 
ſonen, die gefhäftsunfähig find. Geſchäftsunfähig iſt 
nach § 104 Nr. 3 BGB., wer wegen Geiſteskrankheit 
entmündigt iſt. J. St. wurde zwar ſchon vor dem 
Inkrafttreten des BGB. wegen Geiſteskrankheit ent⸗ 
mündigt; in Art. 155 EG. BGB. iſt aber beſtimmt, 
daß, wer zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. wegen 
Geiſteskrankheit entmündigt iſt, von dieſer Zeit an 
einem nach den Vorſchriften des BEB. wegen Geiſtes⸗ 
krankheit Entmündigten gleichſteht. Es ſind alſo auf 
ihn die Beſtimmungen des 8 104 Nr. 3 BGB. und des 
§ 59 Abſ. 2 FGG. anzuwenden. Die von J. St. ein⸗ 
gereichte von ihm ſelbſt verfaßte Beſchwerdeſchrift 
macht allerdings nicht den Eindruck, daß er nicht fähig 
ſei, die Bedeutung des Antrags zu erkennen und ſeinem 
Willen verſtändlichen Ausdruck zu geben. Die An⸗ 
nahme iſt deshalb nicht unzutreffend, daß unter der 
Herrſchaft des BGB. feine Entmündigung nur wegen 
Geiſtesſchwäche erfolgt wäre. Allein die beſtimmte 
Vorſchrift des Art. 155 EG. BGB. ſchließt es aus, 
bei den vor dem Inkrafttreten des BGB. wegen Geiſtes⸗ 
krankheit Entmündigten zu unterſcheiden, welchen Grad 
die geiſtige Erkrankung erreicht hat und ob ſie nach 
dem Rechte des BGB. auch als Geiſteskrankheit zu 
betrachten wäre (vgl. Planck, BGB. 3. Aufl. Bd. VI 
Erl. zu Art. 155). Mit Rückſicht auf die geſetzgeberiſchen 
Erwägungen, auf denen die Vorſchrift des 5 59 JG. 
beruht, iſt es hiernach freilich eine Härte, daß dem St. 
das Beſchwerderecht im Umfange des 8 59 Abſ. 1588. 
verweigert werden muß. (Beſchl. des I. 35. vom 
9. Sept. 1914, Reg. III Nr. 79/1914). M. 

8473 


II. 


Regelung des perſönlichen Berkehrs nach $ 1636 888. 
durch das Bormundſchaftsgericht. Kann das Bermund⸗ 
ſchaſtsgericht die von dem Beſchwerdegericht getroffene 
Regelung ſpäter abändern? Aus der Ehe des Bäcker⸗ 
meiſters St. W. mit A. Sp. ſind vier Kinder im Alter 
von 3—8 Jahren hervorgegangen. Die Ehe zwiſchen 
St. W. und A. Sp. iſt für nichtig erklärt worden. Die 
Sorge für die Perſon der Kinder ſteht nach den SS 1702. 
1635 BB. dem Vater zu. Der perſönliche Verkehr 
zwiſchen der Mutter und den Kindern wurde durch das 
Vormundſchaftsgericht dahin geregelt, daß der Mutter 
geſtattet fei, mit den Kindern je am erſten Sonntag 
in den Monaten Mai und Oktober in dem Anweſen 
des Mühlbeſitzers H. in M. zu verkehren. Auf die Be 
ſchwerde der A. Sp. hat das LG. angeordnet, daß St. 
W. die Kinder jährlich 12 mal zum Verkehr mit der 
Mutter in das Anweſen des J. H. in M. zu bringen 
habe. Nach der erſten ſolchen Zuſammenkunft in M. 
erklärte J. H., daß er ſein Haus zu dieſem Zweck nicht 
mehr zur Verfügung ſtelle. Nun erklärte ſich der Vor⸗ 
mundſchaftsrichter bereit, die Zuſammenkünfte zwiſchen 
der Mutter und den Kindern in feiner Wohnung ſtatt— 
finden zu laſſen, und es fand dort eine Zuſammen— 
kunft ſtatt, nachdem ſich beide Parteien mit dieſer 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


429 


——gL— 4 [—E àqã ũ 9ũA ͤ — 


Regelung einverſtanden erklärt hatten. Als die Zu⸗ 
ſammenkunft ic den Vorſchlag des Vormundſchafts⸗ 
richters im nächſten Monat wiederholt werden ſollte, 
erklärte St. W., er könne nicht zugeben, daß ſchon wieder 
ein Verkehr zwiſchen ſeinen Kindern und ihrer Mutter 
ſtattfinde, und beantrage den Verkehr beſchlußmäßig 
zu regeln. Als Grund für ſeine Weigerung gab W., 
der ſich inzwiſchen wieder verheiratet hat, an, er und 
ſeine Frau hätten viel unter den Anfeindungen der 
A. Sp. und ihrer Verwandtſchaft zu leiden, insbeſondere 
werde er mit anonymen Schmähbriefen überhäuft. 
Nach der letzten Zuſammenkunft hätten f9 die Kinder 
auffallend ſcheu gegen ihre Stiefmutter benommen, er 
fürchte deshalb, daß ſie gegen diefe aufgehetzt würden; 
eine zu häufige Wiederholung des Verkehrs gefährde 
das Zuſammengewöhnen der Kinder mit ſeiner jetzigen 
Frau und dadurch die Erziehung der Kinder. Das 
Vormundſchaftsgericht ordnete nun an, daß für das 
nächſte Vierteljahr von der Zuſtellung des Beſchluſſes 
an der Mutter ein einmaliger Verkehr in der Dauer 
von einer Stunde mit den Kindern geſtattet werde und 
zwar in der Wohnung des Vormundſchaftsrichters und 
unter deſſen Aufſicht, daß aber der Mutter nicht geſtattet 
ſei, den Kindern Geſchenke mitzubringen. Auf die Be⸗ 
ſchwerde der A. Sp. hob das LG. den amtsgerichtlichen 
Beſchluß auf und ordnete an, daß es bei der in dem 
früheren landgerichtlichen Beſchluß erfolgten Regelung 
fein Bewenden habe mit der Maßgabe, daß den Ort 
der Zuſammenkünfte der Vormundſchaftsrichter zu be⸗ 
ſtimmen habe. Das LG. nahm an, in den Verhält⸗ 
niſſen, die zur Erlaſſung ſeines früheren Beſchluſſes 
geführt hätten, habe ſich nur inſofern etwas geändert, 
als die Zuſammenkünfte nicht mehr bei J. H. in M. 
ſtattfinden könnten, das Vormundſchaftsgericht habe 
daher nur in dieſem Punkt eine neue Anordnung 
treffen können und ſei nicht berechtigt geweſen, ſich 
hinſichtlich der Zahl und der Zeitdauer der Zuſammen⸗ 
künfte über den früheren Beſchluß hinwegzuſetzen. Auf die 
weitere Beſchwerde des St. W. hin wurden die Beſchlüſſe 
des AGG. und des LG. aufgehoben und die Sache an 
das AG. zurückverwieſen. 

Aus den Gründen: Wenn auch für das Gebiet 
der freiwilligen Gerichtsbarkeit im allgemeinen eine 
materielle Rechtskraft i. S. der ſtreitigen Gerichtsbarkeit 
nicht anzuerkennen iſt, ſo iſt dem LG. doch darin bei⸗ 
zuſtimmen, daß es auch auf dieſem Gebiete dem unteren 
Gerichte nicht geſtattet iſt, eine Verfügung des über⸗ 
geordneten Gerichts lediglich deshalb abzuändern, weil 
es ſie für ungerechtfertigt erachtet. Das Gericht der 
erſten Inſtanz iſt zwar — abgeſehen von den geſetzlich 
beſtimmten Ausnahmefällen — im Gebiete der frei⸗ 
willigen Gerichtsbarkeit berechtigt, jederzeit von Amts 
wegen oder auf Antrag ein neues Verfahren einzuleiten 
und nach § 18 FGG. feine eigene frühere Entſcheidung 
abzuändern, oder — bei geänderter Sachlage — eine 
von einer früheren Entſcheidung des vorgeſetzten Ge⸗ 
richts abweichende Verfügung zu treffen; es kann ſich 
aber nicht bei gleichgebliebener Sachlage über eine 
früher ergangene Entſcheidung der vorgeſetzten Gerichte 
hinwegſetzen. Das ergibt ſich aus dem Weſen des 
Inſtanzenzugs. Mit Unrecht hat aber das LG. ange⸗ 
nommen, daß ſich die für den früheren Beſchluß maß⸗ 
gebend geweſenen Verhältniſſe nicht geändert hätten. 
Eine ſolche Aenderung iſt zu erblicken in 1. der Tat- 
ſache, daß der Mühlbeſitzer H. ſeine Zuſtimmung zur 
Abhaltung der Zuſammenkünfte zwiſchen der Mutter 
und den Kindern in ſeinem Hauſe zurückgezogen hat; 
2. der Wiederverheiratung des St. W.; 3. den von 
dieſem vorgelegten anonymen Schmähbriefen. Ange— 
ſichts der Weigerung des J. H., fernerhin ſein Haus 
zur Verfügung zu ſtellen, muß ein anderer Ort für 
die Zuſammenkünfte beſtimmt werden; dies kann unter 
Umſtänden auch eine andere Regelung der Zahl und 
der Dauer der Zuſammenkünfte notwendig machen, da 
nicht ohne weiteres angenommen werden kann, daß 


— — — ſ— 


ein anderer geeigneter Platz zur Verfügung ſteht, an 
dem die Zuſammenkünfte in gleicher Zahl und Zeit⸗ 
dauer wie bei H. ſtattfinden können; jedenfalls hat 
ſich aber die Suchlage durch die Wiederverehelichung 
des St. W. und durch bas Vorliegen der an dieſen und 
die Angehörigen ſeiner jetzigen Frau gerichteten Schmäh⸗ 
briefe in einer Weiſe geändert, die bei Entſcheidung 
der hier ſtrittigen Frage nicht außer acht gelaffen 
werden kann. Zweck der Beſtimmung des 8 1636 BGB. 
iſt es, dem nicht fürſorgeberechtigten Elternteil eine 
Auſſicht zu ermöglichen, ob der andere Teil ſeinen 
Erziehungspflichten nachkommt, und den auf der Ver⸗ 
wandtſchaft beruhenden natürlichen Zuſammenhang auf⸗ 
recht zu erhalten, eine Entfremdung zwiſchen dem Kind 
und dem von der Erziehung ausgeſchloſſenen Eltern⸗ 
teil zu verhindern. Um nun der Mutter die Aufſicht 
über die Erziehung ihrer Kinder zu ermöglichen, dazu 
bedarf es hier keiner beſonderen Maßregeln. Die 
Kleinheit der örtlichen Verhältniſſe, die Tatſache, daß 
die Mutter die Kinder täglich auf der Straße ſehen 
und beobachten kann, verbürgen ihr die Auſſicht in 
ausreichender Weiſe. Was aber den zweiten Punkt 
anlangt, ſo ſind bei der Regelung des Verkehrs durch 
das Vormundſchaftsgericht zwar die ſich aus 8 1636 
BGB. ergebenden Rechte des von der Fürſorge aus⸗ 
geſchloſſenen Elternteils gebührend zu berüdfichtigen, 
oberſte Richtſchnur muß aber immer das leibliche und 
geiſtige Wohl des Kindes bilden; es muß daher, ſo⸗ 
weit als mit dem Zwecke des 8 1636 BGB. irgendwie 
vereinbar, jedem ſchaͤdlichen Einfluß des nicht fürſorge⸗ 
berechtigten Elternteils auf das Kind vorgebeugt werden 
und es ſind andrerſeits die Beſtimmungen auch ſo zu 
treffen, daß die Intereſſen des fürſorgeberechtigten 
Teils nicht ungebührlich beeinträchtigt werden (vgl. 
Planck Anm. 3b, RGR.⸗Komm. Anm. 1 zu § 1636). Es 
iſt nun ohne weiteres klar, daß mit der Wiederverehe⸗ 
lichung des Vaters in der Perſon der zweiten Frau 
ein neuer Faktor in das Leben der Kinder eingetreten 
iſt, der bei der Regelung des Verkehrs zwiſchen ihnen 
und ihrer leiblichen Mutter berückſichtigt werden muß. 
Wenn auch der Stiefmutter das Recht und die Pflicht, 
für die Perſon der Kinder zu ſorgen, nicht zuſteht, ſo 
iſt es doch bei den gegebenen Verhältniſſen, insbeſondere 
dem jugendlichen Alter der Kinder, ſelbſtverſtändlich, 
daß tatſächlich in erſter Linie ſie die Erziehung zu 
leiten hat. Eine gedeihliche Erziehung iſt nur möglich 
auf Grund eines mit der erforderlichen Autorität ge⸗ 
paarten Vertrauensverhältniſſes. Unter Verhältniſſen, 
wie fie hier gegeben find, iſt es alſo erſtes Erforder⸗ 
nis, daß die Stiefmutter ſich das Vertrauen der Kinder 
erwirbt, daß dieſe ſich daran gewöhnen, in ihr eine 
wirkliche Mutter zu erblicken, daß ihr aber anderer⸗ 
ſeits auch die nötige Autorität gewahrt wird. Es muß 
alſo alles von den Kindern ſo weit als möglich ferne 
gehalten werden, was ihr Vertrauen zu der Stiefmutter 
und deren Autorität beeinträchtigen würde, und zwar 
um ſo mehr, als jede derartige Beeinträchtigung not⸗ 
wendig auch ungünſtige Folgen für das Verhältnis 
zwiſchen dem fürſorgeberechtigten Elternteil und den 
Kindern nach ſich ziehen muß. Die erbitterte Feind⸗ 
ſchaft, die die A. Sp. gegen St. W. hegt, muß ſich natur⸗ 
gemäß auch auf deſſen jetzige Frau übertragen, es be— 
ſteht alſo die dringende Befürchtung, daß die Mutter 
verſucht, den Kindern das Vertrauen zu ihrer Stief- 
mutter zu entziehen und deren Autorität zu untergraben. 
Daß dieſe Gefahr tatſächlich beſteht, geht aus den von 
dem Beſchwerdeführer vorgelegten Schmähbriefen, ins⸗ 
beſondere den an die jetzige Frau des Beſchwerdeführers 
und ihren Vater gerichteten, deutlich genug hervor. 
Es iſt alſo eine Aenderung der Verhältniſſe eingetreten, 
die zu einer von dem früheren Beſchluß des LG. ab- 
weichenden Beurteilung der Sache und insbeſondere 
dazu führen kann, die Rechte der A. Sp. mehr einzu⸗ 
ſchränken, als es in dieſem Beſchluſſe geſchehen iſt. 
Da das LG. das nicht berückſichtigt, ſondern ohne 


430 


materielle Würdigung entſchieden hat, konnte fein 
Beſchluß nicht aufrecht erhalten werden. — Aber auch 
der Beſchluß des Vormundſchaftsgerichts mußte auf⸗ 
gehoben werden. Dieſes hat nur für das nächſte Viertel⸗ 
jahr eine Verfügung getroffen und will demnach den 
Verkehr nicht für längere Zeit ſondern nur von Fall zu 
Fall regeln. Dabei hat es aber die berechtigten In⸗ 
tereſſen der Mutter nicht gebührend berückſichtigt. Eine 
derartige Regelung mag in ganz beſonders gelagerten 
Fällen angängig ſein, wo eine weiter hinausgehende 
Vorſorge aus tatſächlichen Gründen unmöglich iſt; ſie 
tft aber hier nicht zuläſſig, da nicht erſichtlich iſt, warum 
nicht eine allgemeine Regelung möglich ſein ſollte. Es 
kann der Mutter nicht zugemutet werden, daß ſie immer 
erſt das Gericht anruft, wenn ſie mit ihren Kindern 
verkehren will, und ſich unter Umſtänden jedesmal erſt 
das Recht zum Verkehr im Inſtanzenzug erkämpft. 
Sie kann verlangen, daß ihre Beziehungen zu ihren 
Kindern auf eine feſte Grundlage geſtellt werden, ſie 
muß auch in die Lage verſetzt werden, die ihr zuge⸗ 
ſprochenen Rechte nötigenfalls auf dem Wege der Voll⸗ 
ſtreckung rechtzeitig zu verwirklichen. Dies aber wird 
ihr tatſächlich vereitelt, wenn ſie bei jeder von Fall 
zu Fall erfolgenden Anordnung des Vormundſchafts⸗ 
gerichts damit rechnen muß, daß dieſe mit der Be⸗ 
ſchwerde und weiteren Beſchwerde angefochten wird. 
Eine allgemeine Regelung liegt auch im Intereſſe der 
Kinder ſelbſt, da dieſe von den fortgeſetzten Streitig⸗ 
keiten Kenntnis erhalten und dadurch ihre Gemüter 
noch weiter verwirrt würden, als es bei den unerquick⸗ 
lichen Verhältniſſen ohnehin unausbleiblich iſt. Das 
AG. wird alſo eine generelle Regelung zu treffen und 
dabei zu berückſichtigen haben, daß das Geben von 
Geſchenken nicht unter den Begriff des perſönlichen 
Verkehrs fällt, daß es ſohin auch nicht von dem Vor⸗ 
mundſchaftsgericht auf Grund des 8 1636 BGB. unter» 
fagt werden kann. (Beſchl. des I. ZS. vom 20. Juni 
1914, Reg. III Nr. 53/1914). M. 
3472 


Strafſachen. 


Zu 5 360 Nr. 8 StGB.: Wer darf in Bayern dab 
Wort „von“ vor feinem Namen führen? Aus den 
Gründen: In der Pfarrmatrikel von W. finden ſich ſeit 
ein paar Jahrhunderten Einträge von Angehörigen der 
N von H.: als letzter dieſes Namens ift der im 
Jahre 18.. geborene Johann von H. eingetragen; 
dieſer nahm vermutlich wegen Betriebes eines Bier⸗ 
ausſchanks den bürgerlichen Namen Vonh. an; unter 
dieſem Namen iſt auch fein Sohn K. in die Pfarr; 
matrikel eingetragen; er und nach ſeinem Tode deſſen 
Witwe ſuchten vergeblich um die Genehmigung des 
früheren Namens von H. nach. Trotzdem legte die Witwe 
ſich jetzt den Namen von H. bei. Laut Mitteilung des 
Reichsherolds iſt eine Familie „von H.“ in der bayes 
riſchen Adelsmatrikel nicht eingetragen; die Witwe 
Vonh. gehöre dem Adelsſtande nicht an und dürfe das 
Beiwort „von?“ als Adelsprädikat nicht führen. Das 
Berufungsgericht verurteilte die Witwe Vonh. wegen 
einer Uebertretung nach dem $ 360 Nr. 8 StGB.; ihre 
Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Wenn auch der Inhalt 
und die Wirkungen des Namensrechtes vorwiegend 
privatrechtlich ſein mögen, ſo gehören doch Entſtehung 
und Aenderung der Namen, von hier nicht in Betracht 
kommenden Privatrechtstiteln wie 8 1355 BGB. ab- 
geſehen, dem öffentlichen Rechte an; ganz dieſem an— 
gehörig iſt aber das Standesrecht (v. Henle-v. Schneider, 
Ausf., 2. Aufl. S. 12 u. 13). Nun kennt das öffent 
liche Recht Bayerns das Bei- oder Vorwort „von? 
ausſchließlich als Adelsprädikat; dieſes Wort bezeichnet 
nach 8 6 der V. Verfeil. (Adelsedikt) den fünften Grad 


Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


der dort anerkannten Ordnung des Adels ſtandes (OL 
München 2, 544; 3, 511; 8, 438; Bay Obs. in BlfRA 
68, 327: Oertmann, BayLandesprivatR. S. 56). Hieraus 
ergibt ſich, daß in Bayern das Wort „von“ nicht Be⸗ 
ſtandteil eines bürgerlichen Namens ſein kann, ſondern 
immer Adelsprädikat iſt und demnach nicht den namens⸗ 
rechtlichen Vorſchriften des BGB. unterliegt (Stau: 
dinger BGB., Aufl. 7/8, 4, 155 Bem. 10 zu 8 1355) 
Uebrigens kommt auf die Entſcheidung der Frage, ob 
in Bayern das Wort „von“ in Verbindung mit einem 
bürgerlichen Namen vorkommen kann, für den vor⸗ 
liegenden Fall nichts an; maßgebend iſt, daß nach den 
Feſtſtellungen die Angeklagte ſich des Namens „von 
H.“ bedient, um ſich als adelig zu bezeichnen. Daß die 
Angeklagte mit der Wiederannahme und Führung des 
Namens „von H.“ auf den dieſer Familie nach ihrer 
Behauptung zukommenden Adel zurückgreifen, nicht 
etwa einen bürgerlichen Namen der vorhin bezeichneten 
Art geltend machen wollte, folgt insbeſondere aus ihrer 
vom Schöffengerichte feſtgeſtellten, vom BG. über⸗ 
nommenen Erklärung, daß ihr Schwiegervater die Na⸗ 
mensänderung (eigenmächtig) vorgenommen habe, weil 
er als Führer einer Schankwirtſchaft ſich nicht als 
adelig bezeichnen laſſen wollte; hiernach iſt mit Recht 
angenommen, daß die Angeklagte auf den älteren Namen 
offenbar als auf eine Adelsbezeichnung zurückgreift. 
Nun hat ſie ſelbſt nie behauptet, daß dieſer Name in 
die bayeriſche Adelsmatrikel eingetragen ſei, das Gegen: 
teil ſteht durch die vollbeweiſende Auskunft des Herolds⸗ 
amts feſt. Unter dieſen Umſtänden iſt nicht zu unter⸗ 
ſuchen, welche Wirkungen die bisherige Unterlaſſung 
des Eintrags nach den älteren und neueren Adelsedikten 
und nach den dazugehörigen (übrigens durchaus ver⸗ 
faſſungsgemäßen) Ausführungsverordnungen für einen 
etwaigen Fortbeſtand des Adels ſelbſt gehabt hat; es 
genügt der Hinweis auf den Wortlaut des 8 8 Abſ. 1 der 
V. BerfBeil., auf die ſchon hervorgehobene Eigenſchaft 
des Wortes „von“ als Vorrecht des bayeriſchen Adels, 
und auf die Belangloſigkeit der Frage, ob ein bayeriſcher 
Staatsangehöriger früher irgend welchem außerbaye⸗ 
riſchen Adel angehört hat oder nicht. Nicht minder 
belanglos iſt eine Erörterung darüber, ob die Ablegung 
des Adelsprädikates durch Johann von H., richtiger durch 
bloße Weglaſſung des „von“, als durch die Annahme 
des Namens „Vonh.“ hätte erfolgen können oder ſollen; 
maßgebend iſt, daß für die Angeklagte ein Adelstitel 

in der Adelsmatrikel für das Königreich Bayern nicht 
eingetragen iſt. Die unter Anklage geſtellte Handlungs- 

weiſe der Beſchwerdeführerin war, wie das BG. be⸗ 

denkenfrei feſtgeſtellt hat, von dem durch den Mißerfolg 

ihrer früheren Schritte und durch ausdrückliche poli- 

zeiliche Warnung begründeten Bewußtſein getragen, 

daß ſie den bürgerlichen Namen „Vonh.“ nicht mit dem 

ein Adelsprädikat enthaltenden Namen „von H.“ ver⸗ 

tauſchen dürfe; ihr Tun war ferner von dem Willen 

getragen, ſich durch Führung des letzteren Namens als 

eine Adelige, als die Angehörige einer adeligen a» 

milie, geltend zu machen. Hiegegen richtet ſich das 

Verbot des 8 360 Nr. 8 StGB., den nach alledem das 

BG. durchaus zutreffend angewandt hat. (Urt. vom 

17. September 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 539/1914). Ed. 7. 

3467 


Oberlandesgericht Bamberg. 


Iſt der Antrag nach 8 16 Gg. dem Anwalts- 
zwang unterworfen? Yit in jedem Fall das Urteil der 
Vorinſtanz als im ganzen Umfang angefochten anzu: 
ſehen, wenn die Rechtemittelſchrift nur die Anmeldung 
des Rechtsmittels, nicht aber anch einen beſtinmten 
Antrag enthält? Streitwert in der Bernfungsinſtar). 
Während eines Scheidungsſtreites beantragte die 
klagende Ehefrau, im Wege einſtweiliger Verfügung 


ern 8% 


L u 


— — — — — — ——jjäẽꝓ—— — 


— auszuſprechen, a) daß ihr geſtattet werde, je die 
Dauer des Rechtsſtreits getrennt von ihrem Ehemann 
des zu leben, b) daß ihr die Sorge für die Perſon der 
in? Tochter zugeſprochen werde, c) daß der Beklagte ver⸗ 
61.2 pflichtet ſei, feiner Frau und dem ihr zuzuſprechenden 
‘m Kinde Unterhalt zu gewähren durch Zahlung einer 
n. o Gel drente von etwa 250 M monatlich, eventuell eines 
n nt nach richterlichem Ermeſſen zu beſtimmenden Betrages. 
gt :: Das nach mündlicher Verhandlung ergangene End⸗ 
u Sb urteil erkannte zu a nach Antrag, zu e ſprach es die 
Ita: Verpflichtung des Beklagten aus, der Klägerin eine 
mit tu monatliche Unterhaltsrente von 150 M zu zahlen; im 
den übrigen d. h. alſo zu b ganz und zu c, ſoweit eine 
nad: höhere Monatsrente als 150 M begehrt wurde, lehnte 
ens: das Urteil die Erlaſſung der einſtweiligen Verfügung 
Ta ab. Gegen das Urteil legte RA. Dr. S. namens des 
run; Beklagten Berufung ein. Antragsſtellung und Bes 
ach ite gründung wurden einem beſonderen Schriftſatze vor⸗ 
en, „behalten, der aber nicht einlief, weil [yon vor dem 
eichner zur Verhandlung beſtimmten Termin die Berufung 
aus iter zurückgenommen wurde. Dieſe Erklärung wurde im 
3. üb. Verhandlungstermin wiederholt, die Sache wurde ans 
die u tragsgemäß zur Bereinigung des Koſtenpunktes vers 
ide, tagt. RA. B., der erſtinſtanzielle Prozeßbevollmächtigte 
icht des Beklagten, beantragte bei dem OLG. ſchriftlich die 
ain Ke Feſtſetzung des Streitwerts. Das O. ſetzte den 
amt Streitwert für die Berufungsinſtanz auf 360 M feſt. 
toren Aus den Gründen: Zunächſt fragt es fi, ob 
in in: der bei dem OLG. nicht zugelaſſene erſtinſtanzielle 
ie JIrozeßbevollmächtigte des Beklagten zur Stellung des 
ne ntrags berechtigt iſt. Bekanntlich beſteht in der 
gelet⸗ Mechtslehre und in der Rechtſprechung Streit darüber, 
zung ob der Antrag nach 8 16 GKG. dem Anwaltszwang 
takten unterliegt. Pfafferoth, Gerichtskoſtenweſen (9) S. 132 
8 ver: Nr. 4 ſpricht ſich, wenn auch etwas unſicher, im Ans 
reinen ſchluß an OLG. Dresden vom 30. März 1901 für Frei⸗ 
gat: th heit des Antrags vom Anwaltszwang aus. Rittmann, 
„det GKG. (6) S. 97 lehrt, daß der Antrag dem Anwalts⸗ 
‚isn zwang des 8 781 ZPO. unterliege, und beruft ſich 
Adels hiefür auf einen Beſchluß des OLG. Frankfurt a. M. 
‚rien vom 27. April 1897 und einen ſolchen des OLG. Bam⸗ 
erbal: berg I. 3S. vom 11. Juli 1903, letzterer abgedruckt in 
mir? Seuff A. Bd. 60 Nr. 85. Gegen die Anſicht, daß der 
Airgun: Antrag nach 8 16 GKG. dem Anwaltszwang unterliege, 
zug wendet ſich mit beachtenswerten Ausführungen eine in 
anıet Bay ZfR. 1907 S. 245 ff. erſchienene Abhandlung, auf 
l. welche wegen des Standes der Streitfrage der Kürze 
lan halber Bezug genommen wird. Der JS. des Os. 
f nn: Bamberg weicht nach Prüfung der Streitfrage von der 
\r$ im Beſchluß ſeines I. ZS. vom 11. Juli 1903 vertretenen 
ad de Anſicht ab und ſchließt ſich der inzwiſchen vom VI. 38. 
zer des RG. in ſeinem Beſchl. vom 6. März 1911 (Bureaubl. 
0 für gerichtl. Beamte, Berlin 11, 57) dargelegten An⸗ 
f in ſchauung an, wonach der Antrag nach $ 16 GKG. vom 
de Anwaltszwang befreit iſt. Der entſcheidende Teil des 
„„ Beſchluſſes findet ſich in Warneyers Jahrb. 10. Jahrg. 
zur 1911 S. 562. Nach „Recht“ 1911 Nr. 1629 iſt der Be⸗ 
0 ß im weſentlichen begründet wie folgt: „Da nach 
b 11 GKG. verglichen mit 8 4 1II GKG. die Partei 
far eine gegen einen Wertfeſtſetzungsbeſchluß an fich zu⸗ 
u läſſige Beſchwerde ohne Mitwirkung eines Anwalts ſelbſt 
5 ſchriftlich einlegen kann, ſo muß ſie folgerichtig auch 
1 bei dem Antrag auf Wertfeſtſetzung ſelbſt (§ 16 1 GKG.) 
ſich der gleichen Form bedienen können und daraus 
folgt dann wieder, daß ein ſolcher Antrag auch durch 
einen beliebigen Bevollmächtigten ſchriftlich geſtellt 
werden kann.“ — Welches iſt nun hier der Streitwert 

für die Berufungsinſtanz? Iſt dem Wortlaute der Be⸗ 
rufungsſchrift entſprechend die Berufung gegen das 

u ganze Endurteil gerichtet? Nach Willenbücher, Koſten— 
15 feſtſetzungsverfahren (7) 8 13 II N. 6 Abſ. II wird die 
n Prozeßgebühr in der Berufungs- oder Reviſionsinſtanz 
beſtimmt durch den Antrag in der Rechtsmittelſchrift 
h, des Rechtsmittelklägers. Iſt ein ſolcher Antrag nicht 
1 geſtellt, ſo darf der Gegner annehmen, daß das Urteil 


— 
— 


ſchlu 
. 8 16 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


431 


im ganzen angefochten ſei, ſoweit es zum Nachteil des 
Rechtsmittelklägers lautet. Bei 8 10 N. 4 Abſ. IV 
a. a. O. wird geſagt: „In der Berufungsinſtanz gilt, 
wenn die Berufung ohne beſtimmten Antrag eingelegt 
iſt, der ganze Inhalt des Urteils, ſoweit es dem Be⸗ 
rufungskläger nachteilig iſt, als angefochten.“ Siehe 
nn auch Pfafferoth a. a. O. 89 N. 6 lit. 1 S. 48. 

uch die Beſchlüſſe des RG. vom 15. Januar 1890 und 
7. Januar 1899 (RG.Z. 25, 380 ff. und JW. 99, 970 
ſprechen davon, daß beim Fehlen eines Antrags in der 
Rechtsmittelſchrift anzunehmen ſei, das Urteil ſei im 
ganzen Umfang angefochten. Würde hier nur der 
Wortlaut der den Beklagten verurteilenden Formel 
des Urteils berückſichtigt, ſo wäre freilich die ganze 
gegen ihn ergangene Entſcheidung ihm nachteilig. Dies 
wäre aber nicht ſachentſprechend. Es iſt vielmehr aus 
dem ganzen Urteil zu entnehmen, was in Wirklichkeit 
der unterliegenden Partei nachteilig iſt. Aus dem Tat⸗ 
beſtand und den Gründen des Urteils geht hervor: 
der Bekl. unterwarf ſich bei der mündlichen Ver⸗ 
handlung ſofort dem Antrag unter a und beſtritt nur 
zu c feine Verpflichtung, eine höhere Monatsrente als 
120 M zu zahlen. Dementſprechend lautet auch fein 
Antrag. Es war alſo ſchon im Lauf der Verhandlung 
erſter Inſtanz nur noch der Antrag unter b ſtrittig 
geblieben und von dem Antrag unter c der Unterſchied 
zwiſchen 250 M und 120 M. Da der Antrag unter b 
ganz abgewieſen und auf den Antrag unter c hin nur 
eine Monatsrente von 150 M zugeſprochen wurde, konnte 
alsbald erſehen werden, daß die Berufung nur auf den 
Unterſchied zwiſchen der zugeſprochenen und der vom 
Beklagten ſofort zugeſtandenen Monatsrente ſich er⸗ 
ſtreckte. Zwiſchen den beiden Beträgen iſt ein Unter⸗ 
ſchied von 30 M, woraus ſich nach § Ya Abſ. III Gg. 
ein Streitwert von 360 M berechnet. Nur die Zus 
erkennung einer Monatsrente, welche die von ihm ſelbſt 
zugeſtandene um 30 M monatlich überſteigt, iſt in 
Wirklichkeit dem Beklagten nachteilig. In dieſer Hin⸗ 
ſicht tritt der FS. der Anſchauung bei, die in einem 
Beſchluß des R., VI. ZS., vom 4. März 1897 dargelegt 
iſt (JW. 97, 1851). Dort wird ausgeführt: „Richtig 
iſt zwar, daß der Streitwert eines Rechtsmittels, ſolange 
noch kein Antrag des Rechtsmittelklägers vorliegt, ſich 
nur darnach beſtimmt, wie weit der letztere durch die 
von ihm angefochtene Entſcheidung formell beſchwert 
iſt. Aber ein verurteilter Beklagter iſt nicht ſchlecht⸗ 
hin zum ganzen Belauf feiner Verurteilung formell 
beſchwert, ſondern nur ſoweit er gegen ſeinen 
Antrag verurteilt iſt ..“ Demnach war der 
Streitwert für die Berufungsinſtanz auf 360 M feſtzu⸗ 
ſetzen. (Beſchluß des FS. vom 12. September 1914, L 


227/14 10. Oberlandesgerichtsrat Gechter in Bamderg. 
34165 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Schriftform der Bürgſchaftserklärung; Hauptver⸗ 
bindlichteit als Berausſetzung der Burgſchaft; Erſetzung 
der urſprünglichen Hauptverbinolichkeit durch eine andere 
(88 765, 766 863.) Aus den Gründen: Der 
Schuldſchein des H. über 700 M iſt zwar vom Bürgen 
W. ohne eigene Bürgſchaftserklärung nur mitunter⸗ 
zeichnet, allein nach dem ſich anſchließenden Nachtrag 
vom gleichen Tage, den ebenfalls H. und W. unter⸗ 
ſchrieben haben, ſoll „obige Erklärung und Bürgſchaft 
für weitere 800 M, im ganzen für 1500 M gültig fein“. 
Da unbeſtrittenermaßen das Schuldbekenntnis von H. 
und die Bürgſchaftserklärung von W. abgegeben wurde, 
o liegt eine formgerechte Burgſchaftserklärung des W. 
ſar 1500 M Schuld des H. an B. vor und kommt der 
Mangel einer Bürgſchaftserklärung in dem von W. 
nur mitunterzeichneten erſten Schuldſchein nicht weiter 
in Betracht (8 766 BGB.; Staudinger, 7/8. Bd. Il. 2 


430 


materielle Würdigung entſchieden hat, konnte fein 
Beſchluß nicht aufrecht erhalten werden. — Aber auch 
der Beſchluß des Vormundſchaftsgerichts mußte auf⸗ 
gehoben werden. Dieſes hat nur für das nächſte Viertel⸗ 
jahr eine Verfügung getroffen und will demnach den 
Verkehr nicht für längere Zeit ſondern nur von Fall zu 
Fall regeln. Dabei hat es aber die berechtigten In⸗ 
tereſſen der Mutter nicht gebührend berückſichtigt. Eine 
derartige Regelung mag in ganz beſonders gelagerten 
Fällen angängig ſein, wo eine weiter hinausgehende 
Vorſorge aus tatſächlichen Bründen unmöglich ıft; fie 
iſt aber hier nicht zuläſſig, da nicht erſichtlich iſt, warum 
nicht eine allgemeine Regelung möglich ſein ſollte. Es 
kann der Mutter nicht zugemutet werden, daß ſie immer 
erſt das Gericht anruft, wenn ſie mit ihren Kindern 
verkehren will, und ſich unter Umſtänden jedesmal erſt 
das Recht zum Verkehr im Inſtanzenzug erkämpft. 
Sie kann verlangen, daß ihre Beziehungen zu ihren 
Kindern auf eine feſte Grundlage geſtellt werden, ſie 
muß auch in die Lage verſetzt werden, die ihr zuge⸗ 
ſprochenen Rechte nötigenfalls auf dem Wege der Voll⸗ 
ſtreckung rechtzeitig zu verwirklichen. Dies aber wird 
ihr tatſächlich vereitelt, wenn ſie bei jeder von Fall 
zu Fall erfolgenden Anordnung des Vormundſchafts⸗ 
gerichts damit rechnen muß, daß dieſe mit der Be⸗ 
ſchwerde und weiteren Beſchwerde angefochten wird. 
Eine allgemeine Regelung liegt auch im Intereſſe der 
Kinder ſelbſt, da dieſe von den fortgeſetzten Streitig⸗ 
keiten Kenntnis erhalten und dadurch ihre Gemüter 
noch weiter verwirrt würden, als es bei den unerquick⸗ 
lichen Verhältniſſen ohnehin unausbleiblich iſt. Das 
AG. wird alfo eine generelle Regelung zu treffen und 
dabei zu berückſichtigen haben, daß das Geben von 
Geſchenken nicht unter den Begriff des perſönlichen 
Verkehrs fällt, daß es ſohin auch nicht von dem Vor⸗ 
mundſchaftsgericht auf Grund des 8 1636 BGB. unter⸗ 
ſagt werden kann. (Beſchl. des I. 35. vom 20. Juni 
1914, Reg. III Nr. 53/1914). M. 
3472 


Strafſachen. 


Zu 8 360 Nr. 8 StGB.: Wer darf in Bayern das 
Wort „von“ vor feinem Namen führen? Aus den 
Gründen: In der Pfarrmatrikel von W. finden ſich ſeit 
ein paar Jahrhunderten Einträge von Angehörigen der 
1 1 von H.: als letzter dieſes Namens iſt der im 
Jahre 18.. geborene Johann von H. eingetragen; 
dieſer nahm vermutlich wegen Betriebes eines Bier⸗ 
ausſchanks den bürgerlichen Namen Vonh. an; unter 
dieſem Namen iſt auch ſein Sohn K. in die Pfarr⸗ 
matrikel eingetragen; er und nach ſeinem Tode deſſen 
Witwe ſuchten vergeblich um die Genehmigung des 
früheren Namens von H. nach. Trotzdem legte die Witwe 
ſich jetzt den Namen von H. bei. Laut Mitteilung des 
Reichsherolds iſt eine Familie „von H.“ in der baye⸗ 
riſchen Adelsmatrikel nicht eingetragen; die Witwe 
Bonh. gehöre dem Adelsſtande nicht an und dürfe das 
Beiwort „von“ als Adelsprädikat nicht führen. Das 
Berufungsgericht verurteilte die Witwe Vonh. wegen 
einer Uebertretung nach dem 8 360 Nr. 8 StGB.; ihre 
Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Wenn auch der Inhalt 
und die Wirkungen des Namensrechtes vorwiegend 
privatrechtlich ſein mögen, ſo gehören doch Entſtehung 
und Aenderung der Namen, von hier nicht in Betracht 
kommenden Privatrechtstiteln wie $ 1355 BGB. ab- 
geſehen, dem öffentlichen Rechte an: ganz dieſem an— 
gehörig iſt aber das Standesrecht (v. Henle:v. Schneider, 
AusfG., 2. Aufl. S. 12 u. 13). Nun kennt das öffent- 
liche Recht Bayerns das Bei- oder Vorwort „von“ 
ausſchließlich als Adelsprädikat; dieſes Wort bezeichnet 
nach 8 6 der V. BerfQeil. (Adelsedikt) den fünften Grad 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


der dort anerkannten Ordnung des Adelsſtandes (OLE. 
München 2, 544; 3, 511; 8, 438; Bay Obs. in BlfRA. 
68,327; Oertmann, BayLandesprivat#. S. 56). Hieraus 
ergibt ſich, daß in Bayern das Wort „von“ nicht Be⸗ 
ſtandteil eines bürgerlichen Namens ſein kann, ſondern 
immer Adelsprädikat iſt und demnach nicht den namens⸗ 
rechtlichen Vorſchriften des BGB. unterliegt (Stau⸗ 
dinger BGB., Aufl. 7/8, 4, 155 Bem. 10 zu 8 1355). 
Uebrigens kommt auf die Entſcheidung der Frage, ob 
in Bayern das Wort „von“ in Verbindung mit einem 
bürgerlichen Namen vorkommen kann, für den vor⸗ 
liegenden Fall nichts an; maßgebend iſt, daß nach den 
Feſtſtellungen die Angeklagte ſich des Namens „von 
H.“ bedient, um ſich als adelig zu bezeichnen. Daß die 
Angeklagte mit der Wiederannahme und Führung des 
Namens „von H.“ auf den dieſer Familie nach ihrer 
Behauptung zukommenden Adel zurückgreifen, nicht 
etwa einen bürgerlichen Namen der vorhin bezeichneten 
Art geltend machen wollte, folgt insbeſondere aus ihrer 
vom Schöffengerichte feſtgeſtellten, vom B. über⸗ 
nommenen Erklärung, daß ihr Schwiegervater die Na⸗ 
mensänderung (eigenmächtig) vorgenommen habe, weil 
er als Führer einer Schankwirtſchaft ſich nicht als 
adelig bezeichnen laſſen wollte; hiernach iſt mit Recht 
angenommen, daß die Angeklagte auf den älteren Namen 
offenbar als auf eine i zurückgreift. 
Nun hat ſie ſelbſt nie behauptet, daß dieſer Name in 
die bayeriſche Adelsmatrikel eingetragen ſei, das Gegen⸗ 
teil ſteht durch die vollbeweiſende Auskunft des Herolds⸗ 
amts feſt. Unter dieſen Umſtänden iſt nicht zu unter⸗ 
ſuchen, welche Wirkungen die bisherige Unterlaſſung 
des Eintrags nach den älteren und neueren Adelsedikten 
und nach den dazugehörigen (übrigens durchaus ver⸗ 
faſſungsgemäßen) Ausführungsverordnungen für einen 
etwaigen Fortbeſtand des Adels ſelbſt gehabt hat; es 
genügt der Hinweis auf den Wortlaut des 8 8 Abſ. 1 der 
V. BerfBeil., auf die ſchon hervorgehobene Eigenſchaft 
des Wortes „von“ als Vorrecht des bayeriſchen Adels, 
und auf die Belangloſigkeit der Frage, ob ein bayeriſcher 
Staatsangehöriger früher irgend welchem außerbaye⸗ 
riſchen Adel angehört hat oder nicht. Nicht minder 
belanglos iſt eine Erörterung darüber, ob die Ablegung 
des Adelsprädikates durch Johann von H. richtiger durch 
bloße Weglaſſung des „von“, als durch die Annahme 
des Namens „Vonh.“ hätte erfolgen können oder ſollen; 
maßgebend iſt, daß für die Angeklagte ein Adelstitel 
in der Adelsmatrikel für das Königreich Bayern nicht 
eingetragen iſt. Die unter Anklage geftellte Handlungs- 
weiſe der Beſchwerdeführerin war, wie das BG. be⸗ 
denkenfrei feſtgeſtellt hat, von dem durch den Mißerfolg 
ihrer früheren Schritte und durch ausdrückliche poli⸗ 
zeiliche Warnung begründeten Bewußtſein getragen, 
daß fie den bürgerlichen Namen „Vonh.“ nicht mit dem 
ein Adelsprädifat enthaltenden Namen „von H.“ ver⸗ 
tauſchen dürfe; ihr Tun war ferner von dem Willen 
getragen, ſich durch Führung des letzteren Namens als 
eine Adelige, als die Angehörige einer adeligen FJa— 
milie, geltend zu machen. Hiegegen richtet ſich das 
Verbot des 8 360 Nr. 8 StGB., den nach alledem das 
BG. durchaus zutreffend angewandt hat. (Urt. vom 
17. September 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 539/1914). Ed. 72 
3467 


Oberlandesgericht Bamberg. 


Iſt der Antrag nach 8 16 ENG. dem Anwalts- 
zwang unterworfen? Iſt in jeden Fall das Urteil der 
Borinſtanz als im ganjen Umfang angelochten anzu 
ſehen, wenn die Nechtsmittelſchrift unr die Anmeldung 
des Nechtsmittels, nicht aber anch einen beſtimmten 
Antrag enthält? Streitwert in der e 
Während eines Scheidungsſtreites beantragte die 
klagende Ehefrau, im Wege einſtweiliger Verfügung 


— — — a—— - — V —— 
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auszuſprechen, a) daß ihr geſtattet werde, für die 
Dauer des Rechtsſtreits getrennt von ihrem Ehemann 
zu leben, b) daß ihr die Sorge für die Perſon der 
Tochter zugeſprochen werde, c) daß der Beklagte ver⸗ 
pflichtet ſei, ſeiner Frau und dem ihr zuzuſprechenden 
Kinde Unterhalt zu gewähren durch Zahlung einer 
Geldrente von etwa 250 M monatlich, eventuell eines 
nach richterlichem Ermeſſen zu beſtimmenden Betrages. 
Das nach mündlicher Verhandlung ergangene End⸗ 
urteil erkannte zu a nach Antrag, zu c ſprach es die 
Verpflichtung des Beklagten aus, der Klägerin eine 
monatliche Unterhaltsrente von 150 M zu zahlen; im 
übrigen d. h. alſo zu d ganz und zu c, ſoweit eine 
höhere Monatsrente als 150 M begehrt wurde, lehnte 
das Urteil die Erlaſſung der einſtweiligen Verfügung 
ab. Gegen das Urteil legte RA. Dr. S. namens des 
Beklagten Berufung ein. Antragsſtellung und Be⸗ 
gründung wurden einem beſonderen Schriftſatze vor⸗ 
behalten, der aber nicht einlief, weil ſchon vor dem 
zur Verhandlung beſtimmten Termin die Berufung 
zurückgenommen wurde. Dieſe Erklärung wurde im 
Verhandlungstermin wiederholt, die Sache wurde an⸗ 
tragsgemäß zur Bereinigung des Koſtenpunktes ver⸗ 
tagt. RA. B., der erſtinſtanzielle Prozeßbevollmächtigte 
des Beklagten, beantragte bei dem OLG. ſchriftlich die 
Feſtſetzung des Streitwerts. Das OLG. ſetzte den 
Streitwert für die Berufungsinſtanz auf 360 M feſt. 
Aus den Gründen: Zunächſt fragt es ſich, ob 

der bei dem OLG. nicht zugelaſſene erſtinſtanzielle 
Irozeßbevollmächtigte des Beklagten zur Stellung des 
untrags berechtigt iſt. Bekanntlich beſteht in der 

Rechtslehre und in der Rechtſprechung Streit darüber, 
ob der Antrag nach 8 16 GKG. dem Anwaltszwang 
unterliegt. Pfafferoth, Gerichtskoſtenweſen (9) S. 132 
Nr. 4 ſpricht ſich, wenn auch etwas unſicher, im An⸗ 
ſchluß an OSG. Dresden vom 30. März 1901 für Frei⸗ 
heit des Antrags vom Anwaltszwang aus. Rittmann, 
GKG. (6) S. 97 lehrt, daß der Antrag dem Anwalts⸗ 
zwang des 8 781 ZPO. unterliege, und beruft ſich 
hiefür auf einen Beſchluß des OLG. Frankfurt a. M. 
vom 27. April 1897 und einen ſolchen des OSG. Bam⸗ 
berg I. 35. vom 11. Juli 1903, letzterer abgedruckt in 
Seuff A. Bd. 60 Nr. 85. Gegen die Anſicht, daß der 
Antrag nach $ 16 GKG. dem Anwaltszwang unterliege, 
wendet ſich mit beachtenswerten Ausführungen eine in 
BaygziR. 1907 S. 245 ff. erſchienene Abhandlung, auf 
welche wegen des Standes der Streitfrage der Kürze 
halber Bezug genommen wird. Der JS. des Os. 
Bamberg weicht nach Prüfung der Streitfrage von der 
im Beſchluß ſeines J. ZS. vom 11. Juli 1903 vertretenen 

Anſicht ab und ſchließt ſich der inzwiſchen vom VI. 38. 

des RG. in ſeinem Beſchl. vom 6. März 1911 (Bureaubl. 

für gerichtl. Beamte, Berlin 11, 57) dargelegten An⸗ 
ſchauung an, wonach der Antrag nach $ 16 GKG. vom 

Anwaltszwang befreit iſt. Der entſcheidende Teil des 

Beſchluſſes findet ſich in Warneyers Jahrb. 10. Jahrg. 

1911 S. 562. Nach „Recht“ 1911 Nr. 1629 iſt der Be⸗ 

ſchluß im weſentlichen begründet wie folgt: „Da nach 

8 1611 GKG. verglichen mit 8 41II GKG. die Partei 

eine gegen einen Wertfeſtſetzungsbeſchluß an ſich zu⸗ 

läſſige Beſchwerde ohne Mitwirkung eines Anwalts ſelbſt 

ſchriftlich einlegen kann, ſo muß ſie folgerichtig auch 

bei dem Antrag auf Wertfeſtſetzung ſelbſt (§ 16 1 GKG.) 

ſich der gleichen Form bedienen können und daraus 

folgt dann wieder, daß ein ſolcher Antrag auch durch 

einen beliebigen Bevollmächtigten ſchriftlich geſtellt 

werden kann.“ — Welches iſt nun hier der Streitwert 

für die Berufungsinſtanz? Iſt dem Wortlaute der Be⸗ 

rufungsſchrift entſprechend die Berufung gegen das 

ganze Endurteil gerichtet? Nach Willenbücher, Koſten— 

feſtſetzungsverfahren (7) 8 13 JI N. 6 Abſ. II wird die 

Prozeßgebühr in der Berufungs- oder Reviſionsinſtanz 

beſtimmt durch den Antrag in der Rechtsmittelſchrift 

des Rechtsmittelklägers. Iſt ein ſolcher Antrag nicht 

geſtellt, ſo darf der Gegner annehmen, daß das Urteil 


N Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 431 


— . ——»äůä — ä — 


im ganzen angefochten ſei, ſoweit es zum Nachteil des 
Rechtsmittelklagers lautet. Bei 8 10 N. 4 Abſ. IV 
a. a. O. wird gefagt: „In der Verufungsinſtanz gilt, 
wenn die Berufung ohne beſtimmten Antrag eingelegt 
iſt, der ganze Inhalt des Urteils, ſoweit es dem Be⸗ 
rufungskläger nachteilig iſt, als angefochten.“ Siehe 
A auch Pfafferoth a. a. O. 89 N. 6 lit. 1 S. 8. 

uch die Beſchlüſſe des RG. vom 15. Januar 1890 und 
7. Januar 1899 (RG. 25, 380 ff. und JW. 99, 970 
ſprechen davon, daß beim Fehlen eines Antrags in der 
Rechtsmittelſchrift anzunehmen ſei, das Urteil ſei im 
ganzen Umfang angefochten. Würde hier nur der 
Wortlaut der den Beklagten verurteilenden Formel 
des Urteils berückſichtigt, ſo wäre freilich die ganze 
gegen ihn ergangene Entſcheidung ihm nachteilig. Dies 
wäre aber nicht ſachentſprechend. Es iſt vielmehr aus 
dem ganzen Urteil zu entnehmen, was in Wirklichkeit 
der unterliegenden Partei nachteilig iſt. Aus dem Tat⸗ 
beſtand und den Gründen des Urteils geht hervor: 
der Bekl. unterwarf ſich bei der mündlichen Ber: 
handlung ſofort dem Antrag unter a und beſtritt nur 
zu c feine Verpflichtung, eine höhere Monatsrente als 
120 M zu zahlen. Dementſprechend lautet auch fein 
Antrag. Es war alſo ſchon im Lauf der Verhandlung 
erſter Inſtanz nur noch der Antrag unter d ſtrittig 
geblieben und von dem Antrag unter c der Unterſchied 
zwiſchen 250 M und 120 41. Da der Antrag unter b 
ganz abgewieſen und auf den Antrag unter c hin nur 
eine Monatsrente von 150 M zugeſprochen wurde, konnte 
alsbald erſehen werden, daß die Berufung nur auf den 
Unterſchied zwiſchen der zugeſprochenen und der vom 
Beklagten ſofort zugeſtandenen Monatsrente ſich er⸗ 
ſtreckte. Zwiſchen den beiden Beträgen iſt ein Unter⸗ 
ſchied von 30 M, woraus ſich nach § Ya Abſ. III GKG. 
ein Streitwert von 360 M berechnet. Nur die Zu⸗ 
erkennung einer Monatsrente, welche die von ihm ſelbſt 
zugeſtandene um 30 M monatlich überſteigt, iſt in 
Wirklichkeit dem Beklagten nachteilig. In dieſer Hin⸗ 
ſicht tritt der FS. der Anſchauung bei, die in einem 
Beſchluß des R., VI. ZS., vom 4. März 1897 dargelegt 
iſt (JW. 97, 1851). Dort wird ausgeführt: „Richlig 
iſt zwar, daß der Streitwert eines Rechtsmittels, ſolange 
noch kein Antrag des Rechtsmittelklägers vorliegt, ſich 
nur darnach beſtimmt, wie weit der letztere durch die 
von ihm angefochtene Entſcheidung formell beſchwert 
iſt. Aber ein verurteilter Beklagter iſt nicht ſchlecht⸗ 
hin zum ganzen Belauf ſeiner Verurteilung formell 
beſchwert, ſondern nur ſoweit er gegen ſeinen 
Antrag verurteilt iſt ..“ Demnach war der 
Streitwert für die Berufungsinſtanz auf 360 1 feſtzu⸗ 
ſetzen. (Beſchluß des FS. vom 12. September 1914, L 


227/14 U). Oberlandesgerichtsrat Gechter in Bamberg. 
3465 


Oberlandesgericht Nürnberg. 


Schriftform der Bürgſchaftserklärung; Hauptver⸗ 
bindlichteit als Beransſetzung der Burgſchaft; Erſetzung 
der urſprünglichen Hanptverbinolichkeit durch eine andere 
(83 765, 766 883... Aus den Gründen: Der 
Schuldſchein des H. über 700 M iſt zwar vom Bürgen 
W. ohne eigene Bürgſchaftserklärung nur mitunter⸗ 
zeichnet, allein nach dem ſich anſchließenden Nachtrag 
vom gleichen Tage, den ebenfalls H. und W. unter⸗ 
ſchrieben haben, ſoll „obige Erklärung und Bürgſchaft 
für weitere 800 M, im ganzen für 1500 M gültig fein“. 
Da unbeſtrittenermaßen das Schuldbekenntnis von H. 
und die Bürgſchaftserklärung von W. abgegeben wurde, 
ſo liegt eine formgerechte Burgſchaftserklärung des W. 
für 1500 M Schuld des H. an B. vor und kommt der 
Mangel einer Bürgſchaftserklärung in dem von W. 
nur mitunterzeichneten erſten Schuldſchein nicht weiter 
in Betracht ($ 766 BGB.; Staudinger, 7/8. Bd. II. 2 


43 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 


S. 1497 Anm. Ib 3 zu $ 766; RG. 77, 378; 78, 37). — 
Da durch den Bürgſchaftsvertrag der Bürge ſich gegen⸗ 
über dem Gläubiger eines Dritten verpflichtet, für die 
Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzuſtehen 
(8 765 BGB.), fo wird für die Bürgſchaft eine — wenn 
auch künftige — Hauptverbindlichkeit vorausgeſetzt; 
ſoweit eine ſolche fehlt oder nicht entſteht, entſteht auch 
keine Bürgſchaftsverbindlichkeit. Nach dem Vertrag 
zwiſchen H. und B. hatte letzterer dem erſteren noch 
weitere 800 M Darlehen zu geben; ſoweit B. ſein Dar⸗ 
eee nicht erfüllte, entſtand keine Dar⸗ 
lehensſchuld des H., ſoweit wurde auch die hierfür über⸗ 
nommene Bürgſchaft des W. nicht wirkſam. Daß ein 
Darlehensverſprechen durch die „Anrechnung“ einer 
älteren Schuld des Schuldners erfüllt werden könnte, 
iſt begrifflich ausgeſchloſſen, zumal wenn die ältere 
Schuld noch gar nicht fällig iſt. In Wirklichkeit haben 
B. und H. das Darlehensverſprechen nachträglich auf⸗ 
gehoben und den Schuldſchein über 800 M auf die 
ältere Schuld des H. in gleicher Höhe erſtreckt. Da die 
Bürgſchaftserklärung des W. ſich nur auf ein künftiges 
Darlehen des B. bezog, wurde die an deſſen Stelle 
geſetzte ältere Darlehensſchuld des H. nicht von ſelbſt 
von jener Erklärung ergriffen, ſondern nur auf Grund 
einer neuen Einigung zwiſchen B. und W. Hierfür 
bedurfte es nicht einer neuen ſchriftlichen Erteilung 
der Bürgſchaftserklärung des W., da deſſen ſchon vor⸗ 
liegende ſchriftliche Erklärung für die urſprüngliche 
Schuld des H. noch nicht verbraucht oder ſonſtwie er⸗ 
ledigt war; ſie konnte formlos für eine andere Schuld 
des H. aufrecht erhalten werden (RGRRomm. (2.) I. 
703 Anm. 1 8 766; RG. 70, 415; 59, 42; Warneyer, 
Jahrb. 1910 S. 121: Recht 1903 S. 551 zu 8 765). Daß 
W. ſchließlich ebenſo wie H. in dieſe Aenderung willigte 
und dem Gläubiger B. ſeine Einwilligung kundgab, iſt 
an (wird näher ausgeführt). — (Urt. des II. 38. 
vom 3. Juni 1914, L 249/13). Br. 
3450 


Bücheranzeigen. 


Clad, Dr. jur. Clevis, Der Ausverkauf. Geſchicht⸗ 
liche Entwicklung und ſyſtematiſche Darſtellung 
ſeiner Regelung im Geſetz gegen den unlauteren 
Wettbewerb. Leipziger Inauguraldiſſertation. Leipzig 
1913, Serigſche Buchhandlung. Preis Mk. 4. 

Die Schrift zerfällt in zwei Teile mit eigener 
Seitenzählung. Im erſten Teile (1— 142) ſtellt der 
Verf. zunächſt überſichtlich die geſchichtliche Entwicklung 
der Regelung des Ausverkaufsweſens dar (4-36). 
Die folgende ſyſtematiſche Darſtellung (36 — 142) be⸗ 
ſchäftigt ſich ſodann mit dem Rechtsgrund des Schutzes 
gegen unlauteren Wettbewerb (37—44), ferner 
(44—142) mit dem Begriff des Ausverkaufs, feinen 
formellen und materiellen Vorausſetzungen und den 
Mitteln, ſowohl den zivil- wie ſtrafrechtlichen, zur 
Bekämpfung des Ausverkaufsſchwindels, ſoweit der 
Ausverkaufsſchwindel als Erſcheinung des unlauteren 
Wettbewerbs in Frage kommt. 

Der zweite Teil des Buches (1—172) enthält die 
Ueberſicht über die von den „höheren Verwaltungs⸗ 
behörden auf Grund der 88 7 Il und 9 JI WettbewG. 
getroffene Regelung des Ausverkaufsweſens und den 
Abdruck der Verordnungen der Verwaltungsbehörden, 
wie ſie Ende 1912 galten. Die ſorgfältige Schrift, 
welche ſehr reiche Angaben über Literatur und Recht— 
ſprechung enthält, wird der Praxis gute Dienſte leiſten. 

Königsberg. Privatdozent Dr. Klein. 


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Warnehers Jahrbuch der Entſcheidungen. 

A. Zivil-, Handels⸗ und Prozeßrecht. Herausgegeben 
von br. Otte Warneyer, Oberlandesgerichtsrat in 
Dresden. 12. Jahrg. 1913. XX, 556 Seiten. 

B. Strafrecht und Strafprozeß. Herausgegeben 
von Georg Noſenmüller, Landgerichtsrat in Dresden. 
8. Jahrgang 1913. XX, 245 Seiten. Leipzig 1914, 
Roßbergſche Verlagsbuchhandlung (Arthur Roßberg). 
Gebd. A Mk. 10.—, B Mk. 7.—. 


Diefe umfaſſende Sammlung der deutſchen Recht- 
ſprechung, auf die auch in den Urteilen des Reichs⸗ 
gerichts nicht ſelten verwieſen wird, iſt von uns ſchon 
wiederholt angezeigt worden und ſo bekannt, daß es 
wohl genügt, auf das Erſcheinen der neuen Bände 
hinzuweiſen. E. 


von Philippevich, Dr. Eugen, Profeſſor an der Univerfität 
Wien. Grundriß der Politiſchen Oekonomie. 
Erſter Band. Allgemeine Volkswirtſchafts⸗ 
lehre. Zehnte, neubearbeitete Auflage (21.— 23. 
Tauſend). 512 Seiten. Tübingen 1913, J. C. B. Mohr 
(Paul Siebeck). 11.— Mk., gebd. 12.— Mk. 


Unter politiſcher Oekonomie verſteht Ph. die äußer⸗ 
liche Zuſammenfaſſung der drei ſelbſtändigen Wiſſen⸗ 
ſchaften: theoretiſche Volkswirtſchaftslehre (National⸗ 
ökonomie, in neuerer Zeit auch Sozialökonomie ge- 
nannt), Volkswirtſchaftspolitik und Finanzwiſſenſchaft 
(Staatswirtſchaftslehre). Die Zuſammenfaſſung be⸗ 
deutet alſo nicht, daß die verſchiedenen Wirtſchafts⸗ 
wiſſenſchaften Teile einer einheitlichen Wiſſenſchaft 
ſind; ſie entſpringt vielmehr nur äußeren Gründen, 
weil die Objekte durch ſachliche Beziehungen miteinander 
verbunden ſind. Als wir 1898 in München zu den 
Füßen Brentanos ſaßen, verwies er uns, wenn 
mich mein Gedächtnis nicht trügt, vor aller übrigen 
Literatur auf den (1893 in erſter Auflage erſchienenen) 
ſeit 1896 in zweiter Auflage vorliegenden obigen Band. 
Die Verbreitung dieſes Grundriſſes im Laufe von 
20 Jahren ſpricht deutlicher als eine lange Beſprechung 
für das Werk. Auch heute noch iſt es, wie mir erſt 
neulich einer unſerer jüngeren Profeſſoren der National- 
ökon omie beſtätigte, als das beſte Lehrbuch zu empfehlen. 
Von ſeinen bekannten Vorzügen hebe ich nur die Klar⸗ 
heit und Gedankentiefe heraus. Die neue Auflage bes 
rückſichtigt natürlich auch die neueſte Literatur und 
Statiſtik. Ausführlicher behandelt ſie das Bevölkerungs⸗ 
problem und die Verſicherung als das Mittel, Ver⸗ 
mögensverluſte ohne Schädigung des Geſamtvermögens 
der Volkswirtſchaft auszugleichen und Einkommen oder 
Kapital in Zeiten eintretenden Bedarfs ſicher zu ſtellen, 
ſo daß der Verbrauch normal weiter verläuft ohne 
Störungen des Verbrauchs der Einzelwirtſchaft und 
dadurch der Gütererzeugung. In der Darſtellung der 
ſozialen Bewegung iſt dem Wachſen der ſyndikaliſtiſchen 
Beſtrebungen Rechnung getragen. 
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


Militärhinterbliebenengefeg vom 17. Mai 1907 und 
Beamtenhinterdliebenengeſetz vom 17. Mai 1907 nebſt 
dazu gehöriger Begründung, Ausführungsbeſtim— 
mungen, Anmerkungen uſw. 116 S. Stuttgart 1914, 
Verlag von J. Heß. Geh. Mk. 2.—, geb. Mk. 2.50. 

Ein Buch, das jetzt — leider! — einem dringenden 

Bedürfnis entgegenkommt, das dieſem Bedürfnis aber 

auch mit feinen Anmerkungen, Beiſpielen für die Be 

rechnungsweiſe uſw. in erfreulicher Weiſe zu dienen 

geeignet iſt. E. 


Verantwortl. Herausgeber i. V.: E. Eckert, Land⸗ 
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig. 


Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


— rn 


Ar. 24. 


München, den 15. Dezember 1914. 


— —— — — — 


10. Jahrg. 


Jeitſchrift für Rechtspflege 


Herausgegeben von 


h. von der Pfordten 


Regierungsrat im K. Bayer. 
Staats miniſterium der Juſtig. 


in Bayern 


Berlag von 


3. Schweitzer Verlag 


(Arthur Seller) 
Berlin u. f 


([Keufferts Blätter für RNechtsau wendung 8d. 79.) 


Die Zelitſchriſt erſcheint am 1. 5. jedes Monats /. 
Err 
lebe ohne . 


Nachdruck verboten. 


Fdealkonkurrenz und Aenderung der Straf: 
klage im Standrecht. 


Bon A. Zeiler, I. Staatsanwalt in Zweibrücken. 


1. Im Falle der Idealkonkurrenz beſtimmt 
ſich die Zuftändigkeit nach dem ſchwerſten der zur 
Verfolgung ſtehenden Delikte (Olshauſen 8 73 
Anm. 39). Gilt dies auch für die Sondergerichte? 
auch in dem Sinne, daß nun das zuſtaͤndige Ge⸗ 
richt die Tat aus jedem rechtlichen Geſichtspunkte 
zu beurteilen hat? 

In dem Falle RGE. 33, 405 lag dem An⸗ 
geklagten eine Tat zur Laſt, die ein Vergehen der 
ſahrläſſigen Tötung und zugleich eine Zuwider⸗ 
handlung gegen die Vorſchriften der Rhein⸗ 
ſchiffahrtspolizeiordnung vom 3. Juli 1897 bildete. 
Die Strafkammer ſprach bezüglich der fahrläſſigen 
Tötung frei und erklärte ſich zur Beurteilung der 
Tat aus dem Geſichtspunkt der Uebertretung für 
unzuſtändig, weil das Rheinſchifſahrtsgericht als 
Sondergericht zuſtändig ſei. Das Reichsgericht 
billigte die Anſchauung, und aus den Gründen 
ergibt ſich auch, daß das Reichsgericht es für un⸗ 
zuläſſig gehalten hätte, wenn die Strafkammer 
im Falle einer Verurteilung wegen fahrläſſiger 
Tötung auch über die damit rechtlich zuſam men⸗ 
fließende Uebertretung abgeurteilt hätte. Wenn 
aber angenommen wird, daß die Strafkammer 
wegen der fahrläſſigen Tötung verurteilte, was 
geſchieht mit der in Idealkonkurrenz in Betracht 
kommenden Uebertretung? Dann iſt die Tat 
nicht nach ihrem ganzen tatſaͤchlichen und recht: 
lichen Umfange gewürdigt. Muß alſo der Staats⸗ 
anwalt nach dem Legalitaͤtsprinzip die Würdigung 
der Tat unter dem Geſichtspunkte der Uebertretung 
noch nachtraͤglich herbeiführen? Prozeßrechtlich 
möglich iſt dies ja (Löwe, 14. Aufl. S. 529 
Anm. 30 b), aber es wäre offenſichtlich leeres Stroh 
gedroſchen: die Strafe würde bei der zweiten Ab⸗ 


. Leitung und Geſchäftsſtelle: Münden, Ottoſtraße 1a. 
. ke eg he 30 Ri be für die eee WPetitzelle 

8 r deren Raum. ederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗ 
% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft. 


433 


Pr um keinen Tag höher ausfallen, die 

Koſten wären unnütz aufgewendet, alle Beteiligten 
zwecklos beläftigt. 8 208 StPO. bietet hier keine 
Handhabe, da er, abgeſehen von anderem, auf den 
Fall der Idealkonkurrenz nicht zugeſchnitten iſt. 
Aber immerhin, der Staatsanwalt wird nicht 
ängftlic am Buchſtaben haften, ſondern über das 
Legalitätsprinzip wegſehen und den Mut haben, 
die weitere Verfolgung zu unterlaſſen. Zur Be⸗ 
gründung läßt ſich ja ſagen: die „Tat“ ſei ſchon 
abgeurteilt. Erſte Pflicht iſt, die Strafrechtspflege 
nicht dem Geſpötte auszufetzen. 

In der genannten Entſcheidung hat alſo das 
Reichsgericht die an die Spitze dieſes Aufſatzes 
geſtellte Regel für das Verhältnis zwiſchen dem 
ordentlichen Gericht und einem Sondergericht 
nicht angenommen. Bei Löwe (8 13 GVG. 
Anm. 15a) iſt bemerkt: „Im Verhältnis der ordent⸗ 
lichen Gerichtsbarkeit zu der Sondergerichtsbarkeit 
iſt jede der beiden Gerichtsbarkeiten eine ausſchließ⸗ 
liche. Es iſt alſo nicht ſtatthaft, zuſammenhängende 
Sachen, von denen die eine zur Zuſtändigkeit eines 
ordentlichen Gerichts, die andere zu der eines 
Sondergerichtes gehört, verbunden vor eines dieſer 
Gerichte zu bringen“. Dieſer Satz hat anſcheinend 
nur den Fall des fachlichen Zuſammentreffens im 
Auge; über die Idealkonkurrenz iſt bei Löwe nichts 
bemerkt. Aber auch, wenn das Reichsgericht a. a. O. 
die Scharfe Scheidung der Zuſtändigkeiten zwiſchen 
dem ordentlichen und dem Sondergerichte betont 
hat, ſo wird das gleichwohl keine allgemeine 
Geltung beanſpruchen können. So iſt in der 

MSISD. die Zuſtändigkeitsfrage in anderer 
Weiſe geregelt. § 3 beſtimmt, daß Militärperſonen 
wegen gewiſſer Amtsverbrechen und Amtsvergehen 
der bürgerlichen Strafgerichtsbarkeit unterworfen 
find, daß aber die Millitaͤrgerichtsbarkeit Platz 
greift, wenn mit der Handlung eine Zuwiderhand⸗ 
lung gegen die Militärſtrafgeſetze zuſammentrifft; 
d. h. alſo die Militarſtrafgerichtsbarkeit iſt zuſtändig 


434 


zur Aburteilung der Tat aus jedem rechtlichen Ge⸗ 
ſichtspunkt und zwar gleichgültig, ob das mili⸗ 
täriſche Delikt gegenüber dem bürgerlichen das 
leichtere oder das ſchwerere iſt. Ebenſo unter⸗ 
wirft zwar 8 2 RM StG. die Militärperſonen 
wegen gewiſſer anderer Zuwiderhandlungen den 
bürgerlichen Strafgerichten, aber auch hier wird, 
wenigſtens nach der überwiegenden Meinung, 
wiederum die militärgerichtliche Zuſtändigkeit an⸗ 
genommen, wenn mit der ausgenommenen Zu⸗ 
widerhandlung ein anderes gemeines oder mili⸗ 
täriſches Delikt zuſammentrifft (vgl. Weigel, Zus 
ſtaͤndigkeitsgrenzen, 82 M StG. Anm. 5). Dieſes 
⸗Zuſammentreffen“ gilt ſogar für den Fall der 
Realkonkurrenz (RGE. 25, 347), alſo natürlich 
erſt recht für die Idealkonkurrenz, ſo daß alſo die 
zum Sondergericht zuſtändige Tat von dieſem nach 
allen rechtlichen Geſichtspunkten zu würdigen iſt. 

Nach dem Ausgeführten wird ſich alſo eine 
allgemeine Regel nicht aufſtellen laſſen dahin, 
daß beim rechtlichen Zuſammentreffen von Delikten, 
die teils dem ordentlichen, teils dem Sondergerichte 
zugewieſen find, jedes dieſer Gerichte die Tat nur 
aus dem ihm eigentlich zukommenden Geſichts⸗ 
punkt aburteilen dürfte. Was für das einzelne 
Sondergericht gilt, wird ſich nur entſcheiden laſſen 
nach der Art und der Zweckbeſtimmung des Sonder- 
gerichts ſowie nach der Art der in Frage ſtehenden 
ſtrafbaren Handlung und dem Verhältnis der zu⸗ 
ſammentreffenden Delikte zu einander. In 8 3 
M Std. iſt zwar die Zuſtändigkeitsregel des 
Abſ. 2 ausdrücklich durch das Geſetz beſtimmt, 
für die Falle des 8 2 dagegen fehlt es an einer 
ausdrücklichen Geſetzesvorſchrift, und die Frage 
konnte daher hier nur unter Anwendung der all⸗ 
gemeinen Auslegungsregeln ihre Löſung finden. 

Nach dieſen Geſichtspunkten wird nun auch die 
Frage zu prüfen fein, wie die Idealkonkur⸗ 
renz beim Standrecht zu behandeln iſt. 

Nach dem preuß. Geſetz über den Belagerungs⸗ 
zuſtand vom 4. Juni 1851 8 10 und ebenſo nach 
Art. 6 Nr. 2 des bayer. Geſetzes vom 5. November 
1912 über den Kriegszuſtand gehört u. a. zur Zu⸗ 
ſtaͤndigkeit eines Kriegsgerichts, in Bayern des 
ſtandrechtlichen Gerichts, der Widerſtand gegen die 
Staatsgewalt, nicht aber die Körperverletzung, 
weder ihre leichten noch ihre ſchweren Formen. 
Nehmen wir einen Widerſtand gegen einen Schuß: 
mann nach 8 113 StGB. an, wobei der Widerſtand 
zum Teil in einer vorſaͤtzlichen Körperverletzung 
beſteht. Man ſollte meinen, wenn der gewöhn⸗ 
liche Widerſtand um der öffentlichen Sicherheit 
willen dem Standrechte zugewieſen iſt, ſo muß es 
ein Widerſtand, der unter einer Körperverletzung 
und gar unter einer ſchweren Körperverletzung ge: 
leiſtet worden iſt, alſo ein beſonders ſchwerer und 
gefährlicher Widerſtand, offenbar erſt recht ſein. 
Obwohl alſo für die Beurteilung der Tat aus 
dem ſchwereren Geſichtspunkt (der Körperverletzung) 
die Zuſtändigkeit des ſtandrechtlichen Gerichts nicht 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


beſtimmt iſt, ſo iſt doch nicht um deswillen, weil 
die Tat auch unter dieſen ſchwereren Geſichtspunkt 
fällt, ihre Aburteilung dem Standrecht entzogen, 
ſoweit ſie unter dem Geſichtspunkt des Widerſtands 
gewürdigt werden ſoll. Das Standrecht iſt alſo 
ſicher zur Aburteilung der Tat zuftändig, wenig: 
ſtens einmal zunächſt aus dem Geſichtspunkte des 
Widerſtands. Da das Standrecht nach ſeinem 
Zweck und der Geſtaltung ſeines Verfahrens raſcher 
arbeitet als das ordentliche Gericht, ſo wird alſo 
die Tat — ſofern wir einmal annehmen, es müßten 
wegen der mehreren rechtlichen Geſichtspunkte ge: 
trennte Verſahren vor dem Sondergericht und dem 
ordentlichen Gerichte durchgeführt werden — vor 
dem ſtandrechtlichen Gerichte früher er⸗ 
ledigt. Dann kommt wieder die Frage, ob die 
Tat, die vom Standrecht aus dem Geſichtspunkt 
des Widerſtands behandelt worden iſt, nun auch 
noch vor dem ordentlichen Gerichte verfolgt werden 
muß. Man wird das vielleicht unterlaſſen, wenn 
die Körperverletzung mäßige Bedeutung hat. Auch 
hier iſt 10 gegen 1 zu wetten, daß es im Straf⸗ 
maß keine Aenderung geben wird. War z. B. die 
Körperverletzung ein kräftiger Stockſtreich über den 
Arm des Schutzmanns, ſo wird dieſe Art der Aus⸗ 
führung des Widerſtands ſelbſtverſtändlich ſchon 
vom Standrecht beim Ausmaß der Strafe berüd: 
ſichtigt, ſo daß alſo für ein folgendes Verfahren 
vor dem Schöffengericht kein vernünftiger Ver⸗ 
fahrenszweck mehr übrig bleibt. Wie aber, wenn 
der Täter den Schutzmann nicht über den Arm, 
ſondern über den Kopf geſchlagen und damit Siech⸗ 
tum oder Tod verurſacht hat? Das Höchſtmaß 
der Strafe beträgt nach 8 113 StGB. zwei Jahre 
Gefängnis; damit iſt natürlich die Tat, in 
ſofern ſie auch Verbrechen der Körperverletzung iſt, 
nicht ausreichend geſühnt, und es müßte unter 
dem Geſichtspunkt der Körperverletzung eine zweite 
Verhandlung vor Strafkammer oder Schwurgericht 
durchgeführt werden. Kann aber hier die zweite 
Verhandlung nicht umgangen werden, ſo ſehe ich 
keine rechtliche Möglichkeit, davon abzuſehen in 
Fallen, wo nur eine bloße Körperverletzung nach 
88 223 oder 223 a StGB. in Frage ſteht. Eine 
Sachbehandlung nach dem Vorbilde des 8 208 
StPO., wie fie die bayer. Vollzugsvorſchriften 
zum Kriegszuſtandsgeſetz in 8 33 dem Staats⸗ 
anwalt empfehlen, kann nicht erfolgen, da für 
dieſe Behandlung nur ſolche ſtrafbare Hand⸗ 
lungen geeignet ſind, die zur ſtandrechtlichen Zu⸗ 
ſtändigkeit gehören. Soweit aber eine gerichtliche 
Einſtellung des Verfahrens nach § 208 zu er⸗ 
wägen wäre, kamen die vorhin ſchon erwähnten 
Bedenken in Frage. 

Die ganze Schwierigkeit wäre vermieden, wenn 
ſich eine Befugnis des Standrechts begründen ließe, 
die Tat nach allen rechtlichen Beurteilungsmoͤglich⸗ 
keiten zu behandeln, alſo in unſerem Falle eine 
Zuſtandigkeit des Standrechts, den Täter nicht nur 
wegen Widerſtands, ſondern zugleich wegen Körper⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 435 


verletzung zu verurteilen, und zwar wegen leichter 
oder gefährlicher Körperverletzung, ja ſelbſt wegen 
erſchwerter Körperverletzung nach 88 224 und 226. 

Vor mir liegt ein Urteil eines ſtandrechtlichen 
Gerichts in einer Sache wegen Widerſtands, bei 
dem der Täter u. a. dem Schutzmann einen Stock⸗ 
ſtreich über die Hand gegeben hat. Das ordent⸗ 
liche Gericht hätte hier regelrecht verurteilt wegen 
eines Vergehens der gefährlichen Körperverletzung 
in rechtlichem Zuſammentreffen mit einem Ver⸗ 
gehen des Widerſtands. Das ſtandrechtliche Gericht 
getraute ſich nicht, ſeine Zuſtändigkeit zur Ver⸗ 
urteilung wegen Körperverletzung anzunehmen und 
verurteilte „wegen eines Vergehens des Wider⸗ 
ſtands gegen die Staatsgewalt zu drei Monaten 
Gefängnis“. In den Gründen aber iſt ausgeführt: 
„Str. hat ... einem Beamten durch Gewalt Wider: 
ſtand geleiſtet dadurch, daß er ſich von ihm los⸗ 
riß und ihm einen Stockſchlag über die Hand ver⸗ 
ſetzte. Dieſe Handlung begründet ein Vergehen 
des Widerſtands gegen die Staatsgewalt nach $ 113 
StGB. und zugleich ein Vergehen ber gefährlichen 
Körperverletzung nach 8 223 a StGB. Die Strafe 
war deshalb nach $ 73 aus 8 2238 zu entnehmen.“ 
Das kann nicht richtig ſein. Wenn ſich das Ge⸗ 
richt getraute, die Tat unter dem Geſichtspunkt 
der Körperverletzung zu würdigen und nach 8 73 
die Strafe aus der Strafvorſchrift über die Körper⸗ 
verletzung zu entnehmen, ſo hat es den Angeklagten 
in Wirklichkeit wegen Körperverletzung verurteilt 
und durfte und mußte dieſe Verurteilung im Ur⸗ 
teilsſatze zum Ausdruck bringen. 

Tatſaͤchlich halte ich nun, wie ich im folgenden 
zeigen möchte, das Standrecht für zuſtändig, die 
Tat auch unter dem Geſichtspunkt der Körper ⸗ 
verletzung zu würdigen, und es hätte, ſelbſt wenn 
dieſe ein Verbrechen nach $ 224 oder § 226 gebildet 
hätte, nach dieſen Strafbeſtimmungen verurteilen 
dürfen. 

Schrifttum und Rechtſprechung laſſen bei der 
Unterſuchung der Frage faſt ganz im Stich. 
Stengleins Kommentar zu den ſtrafrechtlichen 
Nebengeſetzen (Bd. 1, zum preuß. Geſ. von 1851) 
bemerkt zwar in Anm. 2 zu § 10, die Zuſtändig⸗ 
keit des Kriegsgerichts beſchränke ſich auf die im 
Geſetze bezeichneten ſtrafbaren Handlungen „auch 
im Falle des Zuſammenfluſſes oder der Konnexi⸗ 
tät mit andern Delikten; dieſe ſeien getrennt ab: 
zuurteilen,“ und unter Zuſammenfluß iſt offenbar 
der Fall der Idealkonkurrenz gemeint. Der Kom: 
mentar gibt aber keinerlei Begründung für ſeine 
Auffaſſung, tut auch der Unzuträglichkeiten keine 
Erwähnung, zu denen die „getrennte Aburteilung 
des andern Deliktes“ führen muß. Für Bayern 
habe ich eine Belegſtelle im Schrifttum nicht finden 
können. Hier ſind durch das Geſetz von 1912 im 
weſentlichen die Beſtimmungen des bayer. Straf— 
geſetzbuchs von 1813 über das Standrecht aufrecht: 
erhalten und nur in manchen Punkten den neu— 
zeitlichen Anſchauungen angepaßt worden. Die 


Frage der Behandlung ideell konkurrierender Delikte 
im Standrecht ſcheint aber den Früheren kein Kopf: 
zerbrechen gemacht zu haben. Weder der von 
Gönner bearbeitete amtliche Kommentar, noch 
der private Kommentar von Rottmann laſſen 
ſich zu der Frage vernehmen. Neuerdings hat 
auch der kleine Kommentar zum bayer. Kriegs⸗ 


zuſtandsgeſetze von Sutner die Frage nicht beachtet. 


Ich verkenne nun allerdings nicht, daß die 
Strafbeſtimmungen des bayer. Strafgeſetzbuchs von 
1813 vom Geſetzgeber kaum im Sinne meiner 
Auffaſſung gemeint waren. Bekannt war jenem 
Geſetz die Idealkonkurrenz wohl, es hat ihre Be⸗ 
handlung in Art. 110 Abſ. 2 ausdrücklich geregelt. 
Aber bei der Regelung des Standrechts war ſich 
der Geſetzgeber des Falles einer Idealkonkurrenz 
offenbar nicht bewußt. Das Standrecht war vor⸗ 
geſehen wegen ſchweren Aufruhrs unter beſtimmten 
Vorausſetzungen und dann, wenn in gewiſſen 
Gegenden Mord, Raub, Brandſtiftung ungewöhnlich 
überhand nehmen würden. Dann ſollte als Wirkung 
des Standrechts die ordentliche Kriminalgerichts 
barkeit in Anſehung jener Verbrechen und inner⸗ 
halb der beſtimmten Diſtrikte außer Kraft treten, 
über die Uebeltäter mit Beſchleunigung abgeurteilt 
und jeder, der überwieſen oder geſtändig ſei, 
ob als Täter oder Gehilfe, mit dem Tode be⸗ 
ſtraſt werden. Das Geſetz kannte alſo als Strafe 
für alle Standrechtsfälle nur die Todesſtrafe, und 
dabei war es dann klar, daß jede Sorge um die 
Behandlung der Idealkonkurrenz und auch nur der 
Gedanke daran überflüſſig geweſen wäre. Anders 
ſchon nach dem preuß. Geſetze von 1851. Dieſes 
unterwarf der ſtandrechtlichen Behandlung eine 
Reihe von ſtrafbaren Handlungen mit den im 
ordentlichen Strafrecht angedrohten Strafen und 
fügte weitere Strafdrohungen mit einem Strafmaß 
bis zu einem Jahre hinzu. Dem ſchließt ſich dann 
das bayer. Geſetz von 1912 an, während weiter⸗ 
hin für Bayern nach Art. 3 des Geſetzes, im 
übrigen nach 8 4 EG. RStGB. nur an die Stelle 
der lebenslangen Zuchthausſtrafe die Todesſtrafe 
treten ſoll. Nunmehr alſo hat natürlich die Frage 
erhebliche Bedeutung, wie die Idealkonkurrenz zu 
behandeln ſei. 

Im Sinne des alten bayer. Geſetzes ſowohl 
wie des preuß. Geſetzes iſt nun freilich die Auf⸗ 
faſſung die wahrſcheinlichere, daß ſich die Geſetz⸗ 
geber bei der Idealkonkurrenz das Zuſammentreffen 
mehrerer ſtrafbaren Handlungen dachten, deren ge⸗ 
ſondertes rechtliches Schickſal dann nichts auffallen: 
des bildete. So umſchreibt das bayer. Strafgeſetz⸗ 
buch die Idealkonkurrenz mit den Worten: „Wenn 
ein Verbrecher in ein und derſelben Handlung zu 
gleicher Zeit mehrere Verbrechen begangen hat.“ 
Aber dieſe Auffaſſung des Geſetzgebers iſt für unſere 
heutige Beurteilung der Frage nicht entſcheidend, 
da die geſetzlichen Beſtimmungen hier wie bei den 
Vorſchriften über das Standrecht nicht ausdrück⸗ 
lich die Folgerung aus einer ſolchen Auffaſſung 


436 


ziehen und die Beſtimmungen, fo wie fie erlafien 
find und in ihrem Ineinandergreifen ebenſogut 
auch in dem gegenteiligen Sinn aufgefaßt werden 
können. Das heißt: wenn eine jener Auffaſſung 
entſprechende Behandlung der Frage dem erkenn⸗ 
baren Zwecke gewiſſer Vorſchriften zumiderläuft, 
ſo kann die Auffaſſung des bag — über ſie, 
wenn er ſich der Folgerungen aus 

nicht durchaus bewußt geworden iſt, jedenfalls 
aber die für unſere Frage maßgebende 
Folgerung im Geſetz nicht zum Ausdruck 
gebracht hat, nicht als Hindernis dafür an⸗ 
geſehen werden, daß die Frage in dem dem Zwecke 
des Geſetzes entſprechenden Sinne beurteilt werde. 

Auch ſonſt bringt eine wörtliche Auslegung 
der beiden Geſetze kein zuverläſſiges Ergebnis. 
Allerdings ſagt 8 10 des preuß. Geſetzes, es ge⸗ 
höre vor die Kriegsgerichte die Aburteilung der 
Verbrechen des Hochverrats ..., des Mordes, der 
tätlichen Widerſetzung . .., des Raubes, und 
beſtimmt Art. 6 des bayer. Geſetzes, das Stand⸗ 
recht ſei „zuſtändig für das Verbrechen des Hoch⸗ 
verrats und des Landesverrats, für das Verbrechen 
und das Vergehen des Widerſtands gegen die 
Staatsgewalt .., für das Verbrechen des Mordes, 
des Raubs und der Erpreſſung ..., aber dieſer 
Wortlaut nötigt nicht zu der Auffaſſung, als 
wäre dem Sondergericht der abſtrakte Tatbegriff 
überwieſen, der in den 88 113, 117, 249, 317 uff. 
umſchrieben iſt; er kann vielmehr auch ſo auf⸗ 
gefaßt werden, daß das Sondergericht urteilen 
ſoll über die Tat als Inbegriff des menſchlichen 
Handelns, wie es ſich in wirklicher Gegebenheit 
zeigt, mit allem Drum und Dran, als lebendiges 
Geſchehnis, das um ſeiner Beſonderheit willen und 
im Hinblick auf die Zeitumſtände und den Ort 
ſeiner Begehung dem kraftvoll und raſch arbeitenden 
Gerichte überwieſen iſt. Dieſes Sondergericht iſt 
dann eben nicht zuſtändig für den Widerſtand ge⸗ 
nau in der Umgrenzung des § 113, ſondern zus 
ſtändig für jede Tat, die nach einer ihrer tat⸗ 
ſaͤchlichen und rechtlichen Seiten den Tatbeſtand 
des 8 113 erfüllt. 

Nichts geſagt iſt darum natürlich mit dem 
Einwande, daß „die Sondergerichte nur innerhalb 
ihrer ar Zuſtändigkeiten urteilen dürfen“. 
Das iſt ſelbſtverſtaͤndlich; aber es iſt eben die 
Frage, ob nicht die Zuſtändigkeit über den Rahmen 
hinausreicht, der ſich auf den erſten Blick aus 
dem Wortlaut des Geſetzes ergibt. 

Gegenüber den angeführten Geſetzesſtellen ſcheint 
nun eine andere im Gegenteil für eine weitere 
Auffaſſung der Zuſtändigkeit zu ſprechen. Das 
preuß. Geſetz bedroht in 89 verſchiedene Hand⸗ 
lungen mit einer Gefaͤngnisſtrafe bis zu einem 
Jahre, „wenn die beſtehenden Geſetze keine höhere 
Freiheitsſtrafe beſtimmen“, und verordnet in § 10 
auch für die hier genannten Handlungen die Zu— 
ſtändigkeit des Kriegsgerichts, und eine gleiche 
Regelung trifft das bayer. Geſetz in den Art. 4 


einer Auffaſſung 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


und 6 Nr. 8. Es ſcheint mir nun ausgeſchloſſen, 
daß dieſe Zuſtändigkeitsregelung ſo aufgefaßt werden 
müßte, als wäre das Standrecht für die bezeichneten 
Handlungen nur zuftändig, ſofern nicht im ge 
ebenen Fall vom ordentlichen Strafgeſetz eine 
1 Strafe angedroht iſt. Erfüllt z. B. die 
Aufforderung zur Uebertretung einer zur Erhaltung 
der öffentlichen Sicherheit getroffenen Anordnung 
den Tatbeſtand des 8 49a StGB., fo wäre es 
widerſinnig, um deswillen die Zuſtändigkeit des 
Standrechts zu verneinen. Die Zuſtändigkeit iſt 
vielmehr anzunehmen, obwohl das preußiſche wie 
das bayeriſche Geſetz die Zuſtändigkeit mit Worten 
nur anordnen für die in der Beſtimmung 
des Sondergeſetzes mit Strafe bedrohten 
oder nach dieſem Geſetze ſtrafbaren Hand⸗ 
lungen. Die Ablehnung der Zuſtändigkeit wäre 
widerfinnia deshalb, weil die im Sondergeſetze 
bezeichneten Handlungen, ſofern ſie ſchon unter 
eine ſchärfere Strafbeſtimmung des ordentlichen 
Geſetzes fallen, als ſchwerere Gefährdungen der 
öffentlichen Sicherheit gelten müſſen, alſo doch erſt 
recht das Eingreifen des Standrechts zu ihrer Ab⸗ 
urteilung erforderlich machen. Obwohl alſo hier 
nicht das Sondergeſetz die Handlung „mit Strafe 
bedroht“, ſondern dafür nur auf das ordentliche 
Straſrecht verweiſt, jo muß doch auch hier (in 
Uebereinſtimmung mit Stengleins Kommentar 
a. a. O. 8 10 Anm. 2) die ſtandrechtliche Zu⸗ 
ſtändigkeit gelten, und dieſe Erwägung könnte 
wohl zu der Folgerung führen, daß das gleiche 
gelten muß für den Fall, daß die Tat in recht⸗ 
lichem Zuſammentreffen ſowohl gegen jene Straf⸗ 
beſtimmung des Sondergeſetzes als zugleich 
gegen eine Strafbeſtimmung des allgemeinen Straf⸗ 
geſetzes verſtoße. 

Doch ich will auf dieſe Betrachtung nicht ein⸗ 
mal viel Gewicht legen, zumal da ſie nur eine 
einzelne Gruppe von ſtrafbaren Handlungen trifft. 
Ausſchlaggebend ſcheint mir vielmehr eine andere 
Erwägung. 

Der Zweck der beiden Geſetze iſt der, daß zu 
Zeiten einer beſonderen Gefährdung der öffent: 
lichen Sicherheit, zumal in Kriegszeiten und in 
den dem Kriegsſchauplatze nahegelegenen Gebiets⸗ 
teilen die Aburteilung der ſtrafbaren Handlungen, 
die die öffentliche Sicherheit in beſonderem Maße 
gefährden, mit beſonderer Beſchleunigung, mit be⸗ 
ſonderem Nachdruck und beſonderer Strenge er⸗ 
folge. Und wenn dann auch beiſpielsweiſe die 
Körperverletzung nicht unter den ſtrafbaren Hand⸗ 
lungen genannt iſt, für die die Zuſtaͤndigkeit des 
Standrechts beſtimmt iſt, ſo ſteht das doch nicht 
im Wege, daß der Geſichtspunkt der Körperver⸗ 
letzung mitgewürdigt werde, wenn die Körperver⸗ 
letzung eine Erſcheinungsform des Widerſtandes, 
des Raubes bildet und die Tat in der Regel ſogar 
zu einer beſonders ſchweren ſtempeln wird. 

Läßt ſich das Geſetz nach ſeinem Wortlaut in 
verſchiedenem Sinne auslegen, ſo iſt es unſere Auf⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


gabe, nach Möglichkeit die Auslegung zu ſuchen, 
die zum vernünftigſten Ergebniſſe fahrt Die Ein⸗ 
engung der Zuſtändigkeit würde aber hier zu dem 
angefichts des Zwecks jener Geſetze ganz verkehrten, 
ja unmöglichen Ergebniſſe führen, daß die Be⸗ 
urteilung der Tat zunaͤchſt unter dem milderen 
Geſichtspunkte zu einer vielleicht in keinem Ver⸗ 
hältnis zu ihrer Schwere ſtehenden Sühne vor 
dem Standrecht führen würde (zwei Jahre Ge⸗ 
fängnis für einen Widerſtand mit Totſchlag !) und 
daß ſich daran mit der notwendigen Folge 
einer Beſeitigung dieſer Strafe nun doch 
noch das umſtändliche und vielleicht langdauernde 
ordentliche Verfahren mit Vorunterſuchung, ſchwur⸗ 
gerichtlicher Verhandlung und Revifionsinſtanz an: 
hängen müßte. Die ſtandrechtliche Verhandlung 
könnte hier nicht ernſt genommen werden; was ſie 
hier als einzig Greifbares brächte, die ſofortige 
Feſtſetzung des Täters, würde in ſolchen Fallen 
beim ordentlichen Verfahren auch geleiſtet durch die 
Unterſuchungshaft. 

Alſo dem Standrecht ſoll die volle Aburteilung 
zuſtehen. Freilich entbehrt das Verfahren im 
bayeriſchen Standrecht und in noch ſtärkerem Maße 
das vor dem Kriegsgericht des preußiſchen Geſetzes 
gewiſſer Sicherheiten für den Angeklagten. Aber 
das kann nicht irre machen. Das Standrecht iſt 
gerade angeordnet für eine Reihe der ſchwerſten 
Delikte und hat in nicht wenigen dieſer Fälle ſo⸗ 
gar auf die Todesſtrafe zu erkennen. Es iſt alſo 
durchaus nicht im Sinne der Geſetze gelegen, die 
ein ſolches Verfahren geſchaffen haben, wenn man 
ſich deren Geltungsbereich durch eine weitgehende 
Rückſicht auf die in friedlichen und ruhigen Zeiten 
freilich ſelbſtverſtändlichen Rechtsbürgſchaften des 
Angeklagten eingeengt denken wollte. Darf das 
Standrecht alſo wegen Mordes und Hochverrats 
ſowie an Stelle der lebenslangen Zuchthausſtrafe 
bei einer Reihe anderer ſtrafbarer Handlungen zum 
Tode verurteilen, ſo iſt nicht abzuſehen, wenn denn 
einmal die Tat um ihrer Gefährlichkeit für die 
oͤffentliche Sicherheit willen zur ſtandrechtlichen 
Verurteilung verwieſen iſt, daß nicht das Stand⸗ 
recht zugleich wegen Urkundenfaͤlſchung den Täter 
ſollte ſtrafen können, dem dieſe das Mittel und 
die Begehungsart für ein Vergehen der ſtraf⸗ 
baren Ausſtreuung wiſſentlich falſcher Gerüchte 
geweſen iſt. 

Nun möchte ich allerdings die Erweiterung der 
ſtandrechtlichen Zuſtändigkeit nicht in dem Sinne 
aufgefaßt wiſſen, als ob damit dem ſtandrecht⸗ 
lichen Gerichte zur Rechtspflicht gemacht wäre, 
in jedem Falle die Tat unter jedem rechtlichen 
Geſichtspunkte zu würdigen. Es werden Faͤlle 
möglich ſein, wo es vorteilhaft iſt, wenn ſich das 
Standrecht auf die Würdigung der Tat aus dem 
ihm eigentlich zuſtehenden Geſichtspunkt beſchränkt. 
So ſelbſtverſtändlich immer dann, wenn die Sache 
zur Würdigung aus dem andern Geſichtspunkt 
noch nicht vollkommen geklärt iſt oder etwa, wenn 


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437 


zur Verurteilung nach dieſer Richtung noch eine 
Vorausſetzung zu erfüllen, namentlich noch ein 
Strafantrag beizubringen iſt. Aber abgeſehen 
hiervon wird das Standrecht davon, den anderen 
Geſichtspunkt mit zu würdigen, mitunter dann Ab⸗ 
ſtand nehmen, wenn es ſich dabei um ein Delikt 
handelt, das dem eigentlichen Tätigkeitsgebiete des 
Standrechts ferne liegt. Bei der Beſonderheit des 
Standrechts muß eine gewiſſe mäßige Verſchwommen⸗ 
heit, die damit in die Zuſtändigkeitsregelung kommt, 
in den Kauf genommen werden. 

Es bleibt bei dieſer Auffaſſung allerdings noch 
ein Bedenken beſtehen, das ſich erheben kann, wenn 
das Standrecht die Tat nur aus dem eigentlichen 
ſtandrechtlichen Geſichtspunkte gewürdigt hat und 
die Sache nun zur Aburteilung aus dem anderen 
Geſichtspunkte vor das ordentliche Gericht gebracht 
wird. Es fragt ſich nämlich, ob dieſes Gericht 
hier nicht durch das ne bis in idem an der Ab⸗ 
urteilung gehindert wäre, da doch, wie ich an⸗ 
nehme, ſchon das ſtandrechtliche Gericht aus dieſem 
Geſichtspunkt wenigſtens hätte urteilen dürfen, 
alſo ein rechtliches Hindernis für die Aburteilung 
der Tat aus jedem Geſichtspunkt nicht beſtanden 
hätte. Aber bei dem eigentümlichen Verhältnis, 
das zwiſchen dem Standrecht und dem ordentlichen 
Verfahren beſteht, wäre dieſe ſonſt allerdings be⸗ 
rechtigte Folgerung verfehlt. Da das Verſahren 
im Standrecht ſummariſch geſtaltet iſt und lange 
Vorbereitungen ausſchließt, kann es leicht geſchehen, 
daß der für die ſtandrechtliche Verhandlung bei: 
gebrachte Stoff zur Bildung eines beſtimmten 
Urteils oder zur Erſchöpfung der Sache nach allen 
Geſichtspunkten nicht ausreicht, und daß dann, 
jet es ganz oder zum Teil, die Sache ins ordent⸗ 
liche Verfahren übergeleitet werden muß. Soweit 
dann die Tat im Standrecht nicht abgeurteilt 
werden kann, kann einer Behandlung im ordent⸗ 
lichen Verfahren das ne bis in idem nicht ent⸗ 

egenſtehen. Für die Frage aber, ob es die Tat 
(überhaupt und erſchöpfend) aburteilen kann, kann 
nur die pflichtmäßige Entſcheidung des 
ſtand rechtlichen Gerichts maßgebend 
ſein. Hat dieſes, ganz oder zum Teil, ſeine Un⸗ 
zuſtändigkeit ausgeſprochen, ſo hat es hiebei ſein 
Bewenden, dann iſt es unzuſtaͤndig geweſen und 
es kann nicht im ſpaͤtern Verfahren eingewendet 
werden, daß das Standrecht die Tat auch nach 
dem jetzt vor den ordentlichen Richter gebrachten 
Gefichtspunkt hätte würdigen können und ſollen. 

2. Nahe verwandt mit der behandelten Frage 
iſt eine zweite: ob das Standrecht, das „zur 
Unterſuchung und Aburteilung“ beiſpielsweiſe des 
Verbrechens des Raubes berufen iſt, wegen Dieb⸗ 
ſtahls verurteilen kann, wenn es die Tat nur als 
ſolche beurteilt, oder wegen Körperverletzung oder 
tätlicher Beleidigung oder wegen verſuchter Not⸗ 
zucht an Stelle des Raubverſuchs, den man zu⸗ 
erſt angenommen hatte, oder wegen Totſchlags 
ſtatt wegen Mordes. Kurz, hat das einmal mit 


438 


der Sache befaßte Standrecht bei der Aenderung 
des rechtlichen Geſichtspunkts freie Hand? 

Für eine ſolche Regelung würde ſprechen, daß 
damit einer Weitſchweifigkeit des Verfahrens vor⸗ 
gebeugt würde, die darin liegt, daß ſich vielleicht 
erſt durch eine langwierige Verhandlung im Stand⸗ 
recht die Aenderung des rechtlichen Geſichtspunkts 
ergibt und nun die Sache zur Wiederholung der 
ganz gleichen Verhandlung an das ordentliche Ge⸗ 
richt abgegeben werden müßte, ohne daß hier ein 
anderes Ergebnis zu erwarten wäre. Und man 
konnte jagen: wenn das Standrecht mit feinem 
ſummariſchen Verfahren den Angeklagten wegen 
Raubs auf Jahre ins Zuchthaus ſchicken kann, 
warum ſoll es ihn nicht auf Monate ins Gefängnis 
ſchicken dürfen, nun da der Tatbeſtand des Raubes 
nicht nachweisbar iſt, dafür aber Körperverletzung 
und Diebſtahl im ſachlichen Zuſammentreffen ge⸗ 
geben find? Ich meine, es ſprache manches für 
eine Regelung der Sache dahin, daß das Stand⸗ 
recht, einmal mit der Sache befaßt, fie nun auch 
abzuurteilen hätte, mag ſich die Tat auch als eine 
nichtſtandrechtliche Verfehlung ergeben. Aber freilich, 
dem ſteht eine gewichtige Erwägung entgegen: Das 
Standrecht hat ſeine innere Berechtigung nur inſo⸗ 
fern, als es ſich um Verbrechen handelt, die die 
öffentliche Sicherheit in beſonderem Maße gefährden, 
und nur um dieſes höheren Intereſſes der öffent⸗ 
lichen Sicherheit willen iſt die durch das ſum⸗ 
mariſche Verfahren verurſachte Beſchneidung der 
Rechtsſicherheiten des Angeklagten hinzunehmen. 

Nach dem gegebenen Rechte iſt jedenſalls die 
angedeutete Erweiterung der ſtandrechtlichen Zu⸗ 
ſtändigkeit nicht anzunehmen. Nach dem bayeriſchen 
Geſetze iſt das Standrecht „zuftändig für das Der: 
brechen“ z. B. des Raubs, nach dem preußiſchen 
Geſetze „gehört vor es die Unterſuchung und Ab⸗ 
urteilung“ des Verbrechens. Der juriſtiſche Sinn 
der gebrauchten Worte iſt derſelbe. Wenn alſo 
das Standrecht zu der Auffaſſung kommt, daß 
nicht Raub vorliegt, ſondern Körperverletzung und 
Diebſtahl, ſo ſteht es eben nicht mehr vor einem 
„Verbrechen des Raubs“ und es iſt ihm der Ge⸗ 
genſtand für ſeine Betätigung entfallen. Es kann 
alſo nur ſeine Unzuſtändigkeit ausſprechen, womit 
die Sache ans ordentliche Gericht übergeht „zur 
förmlichen Unterſuchung“, wie das bayeriſche Ge: 
ſetz ſich ausdrückt. Der Fall liegt anders als der 
der Idealkonkurrenz; denn hier bleibt, wenn auch 
der Widerſtand mit Körperverletzung zuſammen— 
trifft, die Tat eben doch Widerſtand und damit 
zum Standrecht zuſtaͤndig. 

Nun ergibt ſich freilich eine Schwierigkeit. Der 
ordentliche Richter iſt durch die Entſcheidung des 
Standrechts in der tatſächlichen und rechtlichen 
Beurteilung der Tat nicht beſchränkt. Hat alſo 
das Standrecht an Stelle des Raubs nur einen 
Diebitabl angenommen, jo kann ſehr wohl der 
ordentliche Richter wieder auf die urſprüngliche 
Auffaſſung zurückkommen, alſo Raub für gegeben 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


halten. Aber — für Raub gilt ja die ausſchließliche 
Zuftändigfeit des Standrechts, was das alte 
bayriſche Strafgeſetzbuch in Art. 442 Nr. 1 un⸗ 
zweideutigſt mit den Worten ſagt: in Anſehung 
der ſtandrechtlichen Sachen „trete die ordentliche 
Kriminalgerichtsbarkeit außer Wirkſamkeit.“ Doch 
wenn die Sache wieder ans Standrecht abzugeben 
wäre, beſtünde die angenehme Ausſicht, daß ſich 
das Spiel noch ein paar mal wiederholte. Das iſt 
ſelbſtverſtändlich als ausgeſchloſſen anzuſehen und 
es muß vielmehr angenommen werden, daß die 
Sache, nachdem einmal das Standrecht 
ſeine Unzuftändigfeit ausgeſprochen hat, 
an das ordentliche Gericht übergeht und nun bei 
ihm — zur Beurteilung der Tat nach jedem 
rechtlichen Geſichtspunkte — bleibt. Zwar muß 
jede Sache ſtandrechtlicher Zuſtändigkeit zunächſt 
vor das Standrecht kommen, aber wenn dies ſeine 
Zuſtändigkeit geprüft und verneint hat, jo hat es 
bei dieſer einmaligen Befaſſung ſein Bewenden 
und lebt die ordentliche Zuſtändigkeit im vollen 
Umfange wieder auf. Der Fall muß gleich dem 
im bayeriſchen Geſetze ausdrücklich geregelten Falle 
ſtehen, daß das Standrecht zwar ſeine Zuſtaͤndig⸗ 
keit bejaht, aber den Angeklagten nicht mit der im 
Geſetze vorgeſchriebenen verſtärkten Mehrheit für 
ſchuldig findet. Die ordentliche Zuſtändigkeit iſt 
alſo für die ſtandrechtlichen Sachen gewiſſermaßen 
nur bedingterweiſe durch die ſtandrechtliche Zu⸗ 
ſtändigkeit ausgeſchaltet. 

Was hier für die Aenderung des rechtlichen 
Geſichtspunktes bei einer vor das ſtandrechtliche 
Gericht gebrachten Sache bemerkt iſt, gilt ebenſo 
und erſt recht für Sachen, die zuerſt beim ordent⸗ 
lichen Gerichte behandelt worden find. Wird hier 
die Unzuſtändigkeit erkannt, ſo hat das Gericht 
feine Tatigkeit einzuſtellen. Die Sache kommt 
dann vors Standrecht, das aber wiederum durch 
die tatſaͤchliche und rechtliche Auffaſſung des 
ordentlichen Gerichts nicht beengt iſt. Daraus 
ergibt ſich die Möglichkeit, daß nun auch das 
Standrecht ſeine Zuſtändigkeit verneint, z. B. die 
Tat, die das ordentliche Gericht als Raub anſah, 
nur für Diebſtahl hält. Damit muß die Sache 
ans ordentliche Gericht zurückkehren, und zwar 
jedenfalls an dasjenige Gericht, bei dem die Sache 
zuletzt geweſen iſt, alſo möglicherweiſe an die 
Rechtsmittelinſtanz, und damit wird die Sache in 
der Prozeßlage weiter geführt werden, bis zu der 
ſie früher gediehen war. Und mag jetzt auch dieſes 
Gericht auf ſeiner früheren Auffaſſung beharren, 
die Sache alſo wieder als ein Verbrechen ſtand⸗ 
rechtlicher Zuſtändigkeit erachten, ſo muß es doch 
nach dem vorhin Ausgeführten endgültig bei ſeiner 
Zuſtändigkeit bleiben, da eben die Ablehnung der 
Zuſtändigkeit durch das Standrecht endgültig wirkt. 
Nur das waͤre natürlich möglich, daß das mit 
der Sache wieder befaßte Gericht nach den all: 
gemeinen Zuſtaͤndigkeitsregeln des Pro⸗ 
zeßrechts nicht zuſtändig iſt, alſo die Sache 


wegen Aenderung des rechtlichen Geſichtspunktes 
an das Gericht zu verweiſen hätte, das nun, von 
der Sonderzuſtändigkeit des Standrechts abgeſehen, 
zur Aburteilung zuſtändig wäre. 

Dieſe Abgabe der Sache vom ordentlichen Ge⸗ 
richt an das Standrecht würde ſich alſo ebenſo 
vollziehen, wie ſie geſchehen muß in dem Falle, 
daß bei der der Verhängung des Kriegszuſtands nach⸗ 
folgenden Anordnung des Standrechts beim ordent⸗ 
lichen Gerichte Verfahren anhängig find, für die 
nun die ſtandrechtliche Zuſtändigkeit entſteht tal. 
Bayzif. 1912, 488. Sutner a. a. O. ©. 24). 
Das ordentliche Gericht ſoll hier „ſeine Tätigkeit 
einſtellen“. Das iſt keine eine ſpätere Wiederbe⸗ 
faſſung des Gerichts abſchneidende Verfügung. Da⸗ 
gegen könnten ſich in einem einzelnen beſtimmten 
Fall für dieſe ſpätere Wiederbefaſſung Bedenken 
erheben. Ergibt ſich nämlich die Zuſtändigkeit des 
Standrechts erſt auf Grund der durchgeführten 
Hauptverhandlung des ordentlichen Gerichts, ſo 
wäre es nicht ungefährlich, wenn das Gericht nach 
der Regel des $ 259 StPO. wegen ſeiner Un⸗ 
zuſtändigkeit durch Urteil das Verfahren einſtellte. 
In dieſer der Rechtskraft fähigen Entſcheidung möchte 
ein Hindernis für eine ſpatere Wiederbefaſſung des 
Gerichts mit der Sache erblickt werden, und wir 
hätten dann unanfechtbare Unzuſtändigkeitsent⸗ 
ſcheidungen des ordentlichen wie des ſtandrechtlichen 
Gerichts. § 19 StPO. trifft dann nicht zu und 
ſonſt iſt die Löſung eines ſolchen Zuſtändigkeits⸗ 
ſtreits nicht vorgeſehen (Löwe, GVG. 913 Anm. 15 0). 
Doch wird eine Unzuſtändigkeitserklärung des ordent⸗ 
lichen Gerichts, wenn ſie auch durch Einſtellungs⸗ 
urteil erfolgt, aufgefaßt werden können und müſſen 
in dem Sinn, daß das Gericht nur zur Zeit 
ſeine Zuftändigfeit verneint. Mehr kann es auch 
rechtlich nicht ausſprechen, weil in jedem Fall, auch 
wo zur Zeit der Unzuſtändigkeitsentſcheidung die 
ſtandrechtliche Zuſtändigkeit über jeden Zweifel er⸗ 
haben ware, die Möglichkeit bliebe, daß das nun 
zunächſt auf das Standrecht übergehende Verfahren 
durch Aufhebung des Kriegszuſtands oder des Stand⸗ 
rechts zum ordentlichen Gericht zurückkehrt. Dieſer 
Fall eines Uebergangs der Sache ans ordentliche 
Gericht iſt im preußiſchen Geſetz wie im bayeriſchen 
ausdrücklich vorgeſehen. 

3. Es mag zweifelhaft ſein, ob die hier erörterten 
Fragen einmal den Weg ans Reichsgericht finden. 
Inzwiſchen geht es nicht an, ſich mit dem Ge⸗ 
danken zu tröſten, daß man ja die Sache ruhig ans 
Standrecht bringen undes dieſem überlaſſen könne, wie 
es entſcheide, da ja die Möglichkeit einer Urteilsanfech⸗ 
tung nicht beſtehe. Das Standrecht iſt nicht eine in den 
Wolken thronende Schickſalsmacht, die blind ihre 
Sprüche gäbe, ſondern es beſteht aus pflichtmäßig 
handelnden Männern, zum Teil aus Richtern der 
ordentlichen Rechtspflege, und für dieſe alle iſt 
wie für den Staatsanwalt die Prüfung der Rechts: 
frage nach der Zuſtändigkeit eine ernſte Sache. 
Und wenn auch, wenigſtens dann, wenn ein ſtand— 


Z3ieitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 439 


rechtliches Gericht ſeine Zuſtaͤndigkeit entgegen der 
hier vertretenen Anſchauung zu enge faßt, ein 
ſachlicher Nachteil inſofern nicht entſteht, als dann 
einfach das Unterlaſſene im ordentlichen Verfahren 
nachgeholt wird, ſo iſt doch der Nachteil nicht 
niedrig einzuſchätzen, daß durch zu ängſtliche Be⸗ 
handlung der Zuſtändigkeitsfrage ein unnbtiges 
oder ein fruchtloſes Strafverfahren verurſacht wird. 


Die Zwangsverſteigerung aus dem dinglichen 
und dem perſönlichen Vollſtreckungstitel. 


Von Amtsrichter Dr. Wilhelm Kriener in Landshut. 
I. 


1. G(laubiger) hat zur Sicherung einer Geld⸗ 
forderung gegen Schuldner) ein Vertragspfand⸗ 
recht an einer beweglichen Sache. Der Inhalt 
des Pfandrechts iſt: G. hat ein dingliches Recht 
auf Befriedigung aus der Sache. Dabei erfolgt 
die Befriedigung in der Weile: G. iſt nach Fällig⸗ 
keit der Forderung berechtigt, das Pfand nach 
den Vorſchriften der 88 1234 — 1240 BGB. zu 
verkaufen: (88 1228, 1233 BGB.) Der Gläubiger 
iſt alſo dinglich berechtigt, die Sache zu verkaufen, 
der Schuldner iſt verpflichtet, den Verkauf zu 
dulden. Ein Vollſtreckungstitel iſt an ſich nicht er⸗ 
forderlich; erwirkt G. einen ſolchen im Sinne des 
8 1233, II BGB., ohne daß S. durch fein Ber: 
halten dazu Anlaß gegeben hat, ſo treffen den G. 
die an des Titels. 

G. hat wegen einer Geldforderung einen 
Bolltretungstite gegen S. erwirkt. Auf Grund 
dieſes perſönlichen Vollſtreckungstitels hat G.: 

a) gegen S. einen öffentlich⸗perſönlichen An⸗ 
ſpruch auf dingliche Sicherung der Forderung, und 
zwar, ſoweit bewegliche Sachen des S. in Frage 
ſtehen, einen perſönlichen Anſpruch auf Begründung 
an Pfändungspfandrechtes nach 88 803, 808 


b) ſodann auf Grund des erworbenen Pfän⸗ 
dungspfandrechtes einen öffentlich⸗dinglichen An⸗ 
ſpruch auf Zwangsverſteigerung der Sache nach 
5 814 3PO. 

3. G. hat wegen der nämlichen Geldforderung 
ein Vertragspfandrecht und zudem noch einen 
perſönlichen Vollſtreckungstitel; dieſen kann er ſchon 
um deſſentwillen neben dem Pfandrecht erwerben, 
weil ja noch keineswegs feſtſteht, ob das Vertrags⸗ 
en zur Befriedigung der Forderung ausreichen 
wird. 

G. hat nun einmal auf Grund ſeines Pfand⸗ 
rechtes: 

a) ein dingliches Recht auf 1 des „ne 
in der Form der 88 1234—1240 B 

Ferner hat er auf Grund keines N 
Vollſtreckungstitels: 


440 


b) ein perſönliches Recht auf Erwerbung eines 
Pfändungspfandrechtes an der nämlichen Sache, und 

c) auf Grund dieſes erworbenen Pſändungs⸗ 
pfandrechtes ein dingliches Recht auf Zwangsver⸗ 
ſteigerung der Sache in der Form des 8 814 38 O. 

Man könnte einwenden: G. kann nicht an der 
nämlichen Sache ein Vertragspfandrecht und in 
der Richtung auf ſie einen perſönlichen Anſpruch 
auf ein Pfändungspfandrecht, ebenſowenig kann er 
an derſelben Sache zugleich ein Vertrags⸗ und ein 
Pfändungspfandrecht haben, zumal nach 9804 3PO. 
das letztere im allgemeinen den . Inhalt hat 
wie ein ſolches nach 8 1204 B 


Die Einwendung iſt aber 3 richtig; das 
Vertragspfandrecht gibt dem G. das Recht zum 
Verkauf nach 88 1234 — 1240 BGB., das Pfän⸗ 
dungspfandrecht gibt dem G. das Recht zur 
Zwangsverſteigerung nach 8814 BGB. Zu beidem 
iſt G. berechtigt, und es iſt ſeine Sache, welche 
Art von Befriedigung er wählen will. 

G. kann alſo die mit dem Vertragspfand be⸗ 
laſtete Sache auſ Grund ſeines perſönlichen Voll⸗ 
ſtreckungstitels dem Gerichtsvollzieher übergeben, 
und dieſer pfändet fie nach 8 808 ZPO., um fie 
ſodann zu verſteigern. Bis zur Verſteigerung 
ruhen dann auf der Sache zwei Pfandrechte des 
G.: an erſter Stelle ſein Vertragspfandrecht, an 
zweiter Stelle ſein Pfändungspfandrecht. Aller⸗ 
dings wird in der Uebergabe der Sache an den 
Gerichtsvollzieher meiſt ein ſtillſchweigender Ver⸗ 
zicht des G. auf fein Vertragspfandrecht zu er- 
blicken ſein. 

4. Es iſt alſo zu unterſcheiden: 

a) G. hat wegen einer faͤlligen Forderung ein 
Vertragspfandrecht; er hat das dingliche Recht 
zum Verkauf nach $ 1233 Abſ. 1 BGB. 

b) G. hat wegen einer Forderung einen Voll⸗ 
ſtreckungstitel; er hat ein perſönliches Recht auf 
Pfändungspfandrecht und ſodann ein dingliches 
Recht auf Zwangsverſteigerung nach $ 814 ZPO. 

c) G. hat Vertragspfandrecht und perſönlichen 
Vollſtreckungstitel; er kann nach Belieben: 

a) ohne Rückſicht auf den Titel die Sache nach 
8 1233 Abſ. 1 BGB. verkaufen laſſen, oder 

8) auf Grund des Titels die Sache mit oder 
ohne Verzicht auf ſein Vertragspfandrecht durch 
den Gerichtsvollzieher nach 8 803 ZPO. pfaͤnden 
und dann nach 8 814 ZPO. verſteigern laſſen. 


II. 


1. G. hat zur Sicherung einer Geldforderung 
gegen S. eine Hypothek an einem Grundſtück. Der 
Inhalt der Hypothek iſt: G. hat ein dingliches 
Recht auf Befriedigung aus dem Grundſtück. 
Dieſe Befriedigung kann aber nicht wie beim 
Pfandrecht an beweglichen Sachen im Wege des 
Verkaufs des Grundſtücks erfolgen; vielmehr er— 
ſolgt nach 8 1147 BGB. die Befriedigung im 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


Wege der Zwangsvollſtreckung. G. muß alſo, um 
hier zum Ziele zu gelangen, vor allem einen Voll⸗ 
ſtreckungstitel aus der Hypothek, alſo einen ding⸗ 
a Vollſtreckungstitel, gegen S. erwirken: 
„S. iſt verpflichtet, zur Berriebigung wegen der 
Hypothek die Zwangsvollſtreckung in das Grund⸗ 
ſtück zu dulden.“ 


Auf Grund der Hypothek und des zu ihr 
gehörigen Vollſtreckungstitels iſt dann G. dinglich 
berechtigt, das Grundftüd in dem in der Zivil⸗ 
prozeßordnung und im Zwangsverſteigerungsgeſetz 
geordneten Verfahren verſteigern zu laſſen, S. ver⸗ 
pflichtet, die Zwangsverſteigerung zu dulden. 


2. G. hat wegen einer Geldforderung einen 

. Vollſtreckungstitel gegen S. erwirkt: 
S. iſt ſchuldig, an G. 10000 M zu zahlen.“ 
Auf Grund dieſes Titels hat G. 

a) gegen S. einen öffentlich⸗perſönlichen An⸗ 
ſpruch auf dingliche Sicherung der Forderung, und 
zwar, ſoweit Grundſtücke des S. in Frage ſtehen, 
einen perſönlichen Anſpruch auf Beſchlagnahme des 
Grundſtücks; dem Pfändungspfandrecht bei beweg⸗ 
lichen Sachen entſpricht die Beſchlagnahme bei 
Grundſtücken; beide geben einen dinglichen Anſpruch 
auf vorzugsweiſe Befriedigung aus der Sache; 
die Beſchlagnahme hat alſo bei dem Grundſtück 
die Wirkung, als ob auf ihm eine Art Pfändungs⸗ 
hypothek zur näaͤchſt 8 Rangſtelle eingetragen 
wäre; ſ. § 10 Ziff. 5 3G. 

b) ſodann auf Grund der Beſchlagnahme einen 
öffentlichen⸗ dinglichen Anſpruch auf Zwangsver⸗ 
ſteigerung des Grundſtücks nach Maßgabe des 
Zwangsverſteigerungsgeſetzes. 

Hier iſt noch zu bemerken: 

Die Zwangsvollſtreckung in ein Grundſtück 
zerfällt, ohne Rückſicht darauf, ob ſie aus einer 
Hypothek mit dinglichem Vollſtreckungstitel oder 
aus einer Forderung mit einem perſönlichen Voll⸗ 
ſtreckungstitel ſtattfindet, in zwei Abſchnitte: in 
Beſchlagnahme des Grundſtücks und in Verſteigerung 
des Grundſtücks. Im letzteren Fall, alſo bei Zwangs⸗ 
vollſtreckung aus einer Forderung, hat die Beſchlag⸗ 
nahme die Wirkung des Entſtehens einer Art 
Pfändungshypothek zu nächſtoffener Rangſtelle und 
es entſteht hieraus das Recht auf Befriedigung 
an dieſer Rangſtelle. Im erſteren Falle, alſo bei 
Zwangsvollſtreckung aus einer Hypothek, entfällt 
ſelbſtredend dieſe Wirkung der Beſchlagnahme; 
denn hier gibt die ſchon und zwar an beſſerer 
Rangſtelle vorhandene Hypothek das Recht auf 
Befriedigung mit dem ihr zukommenden Range. 
Hier kann daher weder von der Begründung einer 
Art Pfändungshypothek noch von einem perſön⸗ 
lichen Anſpruch auf Begründung einer ſolchen die 
Rede ſein; dieſe beiden Anſprüche werden hier er⸗ 
ſetzt durch die ſchon vorhandene Hypothek. Daher 
ſagt auch $ 10 Abſ. 5 3G: Ein Recht auf 
Befriedigung aus dem Grundſtück (aljo eine Art 
Hypothek) gewährt der Anſpruch des Glaͤubigers, 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


aber nur inſoweit, als er nicht in einer der vor⸗ 
hergehenden Klaſſen, hier alſo in Klaſſe IV, zu be⸗ 
friedigen iſt. 

Wird alſo die Zwangsverſteigerung aus einer 
Hypothek betrieben, ſo hat die Beſchlagnahme nicht 
die ihr an ſich zukommende Doppelwirkung einer 
Pfändungshypothek nach 8 10 Abſ. 5 3G. und 
eines Veräußerungsverbotes nach 8 23 3 G., 
Kies lediglich die Wirkung eines Veräußerungs⸗ 
verbotes. 


3. G. hat wegen der nämlichen Geldforderung 
eine Hypothek und zudem noch einen perjönlichen 
Vollſtreckungstitel. 

a) Auf Grund der Hypothek, der kein ding⸗ 
licher Vollſtreckungstitel zur Seite ſteht, kann G. 
Befriedigung aus dem Grundftüde nicht verlangen. 

b) Aus ſeinem perſönlichen Vollſtreckungstitel 
hat G. das perſönliche Recht auf Beſchlagnahme 
des Grundſtücks und damit auf Erwerbung einer 
Art Pfandungshypothek, die in jedem Falle Rang 
nach der Vertragshypothek hat. 

c) Sodann hat G. auf Grund dieſer Beſchlag⸗ 
nahme ein dingliches Recht auf Zwangsverſteigerung 
des Grundftüdes. 

Angenommen, auf dem Grundftüd des S. find 
folgende Hypotheken eingetragen: 


I. Hypothek des G. zu 10 000 M. 

II. Hypothek des H. zu 5000 M. 

Nach 8 44 3G. müſſen die dem perſönlichen 
Beſchlagnahmeanſpruch des G. zu 10000 M vor: 
gehenden Hypotheken des G. und H. zu zuſammen 
15 000 M im geringſten Gebot beſtehen bleiben. 
Wird daher wegen dinglicher Ueberſchuldung des 
Grundſtücks ein Gebot nicht abgegeben, ſo iſt das 
Verfahren nach 877 3G. einſtweilen einzuſtellen. 
Und gelangt etwa die Forderung des G. mit 
3000 M zum Zuge, fo geht um dieſen Betrag die 
Hypothek des G. auf den bisherigen Eigentümer 
nach 8 1164 BGB. über. 

Denn darüber kann nach dem bisher Geſagten 
und insbeſondere auf Grund des 8 1147 BGB. 
kein Zweifel beſtehen, daß der Hypothekglaubiger 
auf Grund eines perſönlichen Schuldtitels nicht 
aus der Hypothek vollſtrecken kann. Dies iſt zwar 
von Steiner, Kommentar zum ZVG. S. 57 Anm. 19 
und S. 70 Anm. in Frage geſtellt, aber bei Jaäͤckel⸗ 
Büthe S. 87/88 mit zwingenden Gründen verneint. 

4. Es iſt alſo hier zu unterſcheiden: 

a) G. hat eine Hypothek; damit allein kann 
er die Befriedigung der Forderung aus dem Grund⸗ 
ſtück nicht betreiben. 

b) G. hat wegen einer Forderung einen Voll⸗ 
ſtreckungstitel; er kann das Grundſtück beſchlag⸗ 
nahmen und verſteigern laſſen, er hat jedoch die 
letzte Rangſtelle. 

c) G. hat Hypothek und perſönlichen Voll⸗ 
ſtreckungstitel; er hat die nämlichen Rechte wie 
vorher, maßgebend für die Legung des geringſten 
Gebotes iſt die Forderung, nicht die Hypothek. 


. — X . ⁵7⏑ęc7fñꝗ e ½½½½½½½˙½½.˙...⁰Ü. U...... —T— . 


441 


d) G. hat Hypothek und dinglichen Voll⸗ 
ſtreckungstitel; er kann aus der Hypothek mit dem 
ihr zukommenden Rang vollſtrecken laſſen. 


III. 


In den allermeiſten Fällen wird die Hypothek 
leich bei ihrer Begründung im Hinblick auf 
1147 BGB. mit dem Vollſtreckungstitel des 

58 794, 795 ZPO. verſehen. 

Trotzdem iſt es gar nicht ſelten, daß der 
Glaͤubiger, wenn er zur Vollſtreckung aus der 
Hypothek ſchreiten will, zuvor noch aus der der 
Hypothek zugrunde liegenden Forderung ein Ur⸗ 
teil oder einen Vollſtreckungsbefehl erwirkt. Dies 
Verfahren wird ſogar von einigen Banken geübt, 
wenn fie aus rückſtändigen Hypothekannuitäten voll⸗ 
ſtrecken wollen. 


Einerſeits werden dadurch dem Schuldner völlig 
unnötige Koſten verurſacht. 


Anderſeits aber ſchaden ſich die Gläubiger 
ſelbſt; denn wenn ſie, wie dies oft geſchieht, nun⸗ 
mehr auf Grund des perſönlichen, ſtatt des ſchon 
vorhandenen dinglichen Vollſtreckungstitels die 
Zwangsvollſtreckung betreiben, ſo ſchaffen ſie damit 
die unter II, 3 geſchlderte, ihnen ſicherlich uner⸗ 
wünſchte Rechtslage; denn in den allermeiſten 
Fällen wird dann entweder der Zuſchlag überhaupt 
verſagt, oder es gelangt doch die Hypothek gar 
nicht und die Forderung nur zu einem Teilbetrage 
zur Bezahlung. 

Dieſe unerwünſchten Folgen traten bisher nur 
deswegen weniger in die Erſcheinung, weil die 
Notariate großenteils in jenen Fällen, in denen 
aus dem perſönlichen Vollſtreckungstitel vollſtreckt 
wurde, und feſtſtand, daß für die perſönliche For⸗ 
derung eine Hypothek auf dem Verſteigerungs⸗ 
objekt eingetragen war, das Verfahren ſo geſtalteten, 
als ob nicht aus der Forderung, ſondern aus 
der Hypothek vollſtreckt würde. 

Daß aber ein ſolches Verfahren den geſetzlichen 
Beſtimmungen widerſpricht, haben wir geſehen, und 
es ſteht dem Schuldner in jedem ſolchen Falle frei, 
nach 88 83 Abſ. und 100 3G. wegen Verletzung 
der Vorſchriften über die Feſtſtellung des geringſten 
Gebotes Beſchwerde einzulegen, die zur Aufhebung 
des Zuſchlags führen müßte. 

Es dürfte ſich daher empfehlen, einmal für die 
Notariate, daß ſie das geringſte Gebot den Vor⸗ 
ſchriften des 844 3G. entſprechend legen, dann 
aber für die das Zwangsverſteigerungsverfahren 
anordnenden Gerichte, daß ſie gegebenenfalls die 
Antragſteller veranlaſſen, das Verfahren nicht aus 
dem perſönlichen, ſondern aus dem dinglichen Voll⸗ 
ſtreckungstitel zu betreiben. 


442 


Wirkt die Zahlungstrift des 6 1 der Bekanntmachung 
vom 7. Auauſt 1914 auch zugunſten des Bürgen 7 Kann 
dieſer die Ginrede der Beransklage erheben 7 Der Haupt⸗ 
ſchuldner hatte den Gläubiger gemäß 8 2 der Bekannt⸗ 
machung vor das Amtsgericht geladen, die Forderung 
anerkannt und Zahlungsfriſt auf drei Monate erwirkt. 
Da es ſich um einen hohen Betrag — 10000 1 — 
handelte, der Gläubiger den Eingang der Forderung 
dringend notwendig batte, erhob er gegen den durch⸗ 
aus zahlungskräftigen Bürgen Klage. Dieſer brachte 
den Einwand der mangelnden Vorausklage und der 
Stundung. Für letztere nahm er ausdrücklich auf die 
amtsgerichtliche Friſtbewilligung Bezug. 

Beide Einwendungen ſind m. E. zurückzuweiſen. 
Wenn auch die Bürgenhaftung den Vollſtreckungs⸗ 
verſuch gegen den Hauptſchuldner vorausſetzt, ſo kann 
dies doch in einem Falle nicht richtig ſein, wo durch 
gerichtlichen Akt die Unzulänglichkeit des Schuldnerver⸗ 
mögens dargetan iſt. Erklärt der Richter durch Urteil, 
„daß die Lage des Beklagten die Zahlungsfriſt recht⸗ 
fertige“, ſo liegt darin die behördliche Beſtätigung, 
daß der Schuldner infolge eines von ihm nicht zu ver⸗ 
tretenden Umſtandes zahlungsunfähig ſei, mindeſtens 
in dem Sinne, daß ihm eine Vollſtreckung „unver⸗ 
hältnismäßige Nachteile bringe“. Wird aus dieſem 
Grunde, wenn auch auf Zeit, durch richterliche Ver⸗ 
fügung der Zugriff zum Vermögen des Schuldners 
dem Gläubiger verwehrt, ſo kann der Bürge nicht 
mit ſeiner Einrede gehört werden. Die Bürgſchaft 
iſt gerade dazu da, in dem Umfange Sicherheit zu 
bieten, in welchem nach Höhe und Falligkeit die Forde⸗ 
rung zur Zeit der Bürgſchaftsübernahme beſtanden hat, 
und der Gläubiger braucht dem Bürgen gegenüber 
auch nicht den verhältnismäßig geringen Nachteil zu 
tragen, den ihm dem Hauptſchuldner gegenüber nach 
deſſen Lage der 8 1 der Verordnung zumutet. 

Auch die Einrede der Stundung iſt unbegründet. 
Zunächſt ſchlägt der Hinweis auf 8 767 BGB. fehl. 
Der Beſtand der Forderung wird durch die Zahlungs⸗ 
friſt nicht geändert. Die Forderung, die fällig iſt, 
bleibt fällig; der Fälligkeitstermin wird nicht hinaus⸗ 
geſchoben. Andernfalls könnte weder Anerkenntnis⸗ 
urteil ergehen, noch wäre die Beſtimmung in Abſ. 3 
des 8 1 der Bekanntmachung über den Zinſenlauf ver⸗ 
ſtändlich, da von einer noch nicht fälligen Forderung 
mangels Abrede keine Zinſen verlangt werden können. 
Die gerichtliche Zahlungsfriſt gibt auch dem Schuldner 
keine Einrede im Sinne des 8 768. Zweck des Ver⸗ 
fahrens nach 8 2 der Bekanntmachung iſt gerade, unter 
Verzicht auf jede Einrede und unter Anerkennung der 
Forderung Zahlungsfriſt aus Gründen zu erhalten, 
die für gewöhnlich im Rechtsleben keine Beachtung 
finden. Die „Stundung“ — der Ausdruck iſt unrichtig — 
iſt nicht wirkſam auf Grund einer Parteivereinbarung 
zwiſchen Gläubiger und Hauptſchuldner, auf welche 
ſich der Bürge berufen könnte, ſondern auf Grund 
einer im Intereſſe der Allgemeinheit, vielleicht entgegen 


dem Willen des Gläubigers erlaſſenen Anordnung des 


Richters, die die augenblickliche Zahlungsunfähigkeit 


des Schuldners in dem oben erwähntem Sinne voraus⸗ 


ſetzt. Die Einrede nach 8 768 richtet ſich aber gerade 
gegen den Beſtand der Hauptſorderung ſelbſt, während 
hier rein in der Perſon des Schuldners liegende Gründe 
Beachtung finden, die nicht zum wenigſten dem öffent- 


— . • E ͤ — - — 


lichen Intereſſe entſpringen. Gegen dieſes Unvermögen 
des Schuldners den Gläubiger zu ſchützen, iſt aber 
Sinn und Zweck des Bürgſchaftsvertrags. 

Dieſe Anſchauung wird wohl mit den wirtſchaft⸗ 
lichen Zwecken der „Kriegsgeſetze“ beſſer im Einklang 
ſtehen, als die gegenteilige Anſchauung, die einem 
millionenreichen Bürgen ohne Grund Zahlungsaufſchub 
gibt und damit zu einer dem Wirtſchaftsleben nach⸗ 
teiligen Stockung des Geldverkehrs führt. 

Ich verkenne nicht, daß ſich, wie überall, ſo auch 
bier Gegengründe finden laſſen. Vielleicht tragen dieſe 
Zeilen dazu bei, die nicht unwichtige Frage weiter zu 
erörtern. 

Rechtsanwalt Dr. Flierl in Nürnberg. 


Iſt 5 207 Abſ. 2 EBD. auch bei Strafbeſehls⸗ 
anträgen anzuwenden ? Es iſt zweifelhaft, ob der Amts⸗ 
richter den Antrag des Amtsanwaltes auf Erlaſſung des 
Strafbefehls gemäß 88 447, 448 StPO. zurückweiſen 
kann, wenn er die Klage für unzuläſſig oder unbe⸗ 
gründet erachtet. Denn 8 448 enthält keine er ſchöpfenden 
Beſtimmungen, wie der Amtsrichter auf den Antrag 
zu verfügen hat. Zunächſt läge es nach 8 448 Abſ. 2 
nahe, daß zur Aufklärung des Sachverhaltes immer 
eine mündliche Verhandlung ſtattſinden ſoll, wenn 
Amtsanwalt und Richter in der Beurteilung der 
Straftat nicht übereinſtimmen. Das kann aber nach 
dem Wortlaute des Geſetzes nur geſchehen, wenn Bedenken 
gegen das Strafbefehls. Verfahren als ſolches, alſo 
gegen die gewählte Art des Verfahrens oder gegen 
die Art und die Höhe der Strafe beſtehen. Wie aber 
iſt es, wenn der Amtsrichter die Tat nicht für ſtraf⸗ 
bar hält oder wenn fie nach feiner Anficht die ſchöffen⸗ 
gerichtliche Zuſtändigkeit überſchreitet? Hier hat das 
Geſetz keine unmittelbare Vorſchrift gegeben. Die Vor⸗ 
ſchrift liegt aber mittelbar in Abſ. 1 des 8 448. Der 
Amtsrichter hat in ſolchen Fällen den Antrag des 
Amtsanwaltes abzulehnen und zwar ſofort ohne Haupt⸗ 
verhandlung: 8 207 Abſ. 2 StPO. iſt nicht anzuwenden. 
Gegen den richterlichen Beſcheid hat der Amtsanwalt 
das Rechtsmittel der ſofortigen Beſchwerde. 

Der Strafbefehl iſt eine ohne vorgängige Ver⸗ 
handlung ergehende amtsrichterliche Entſcheidung, die 
unter gewiſſen Vorausſetzungen das Urteil vertritt. 
Er iſt bis zur Zuſtellung nach außen ohne Bedeutung. 
An ſich kann der Amtsrichter allerdings ſeine Un⸗ 
zuſtändigkeit nicht durch Beſchluß ſelbſt ausſprechen 
(8 207 Abſ. 2 StPO.); einen ſolchen Beſchluß faßt 
er aber auch nicht, wenn er den Strafbefehlsantrag 
wegen Unzuſtändigkeit ablehnt. Die Sach- und Rechts⸗ 
lage iſt vielmehr folgende: Die Grenze für das 
Strafbefehlsverfahren iſt überschritten und der Straf- 
befehl wäre geſetzwidrig. Dies allein ſteht zur Ent⸗ 
ſcheidung. Zur Sache ſelbſt wird nicht erkannt, die 
Strafklage wird nicht ſachlich erledigt. Die Ablehnung 
des Strafbefehles ſteht der Erneuerung der öffent⸗ 
lichen Klage nicht im Wege. 

Bei Ablehnung des Antrags ergeben ſich auch 
keine Schwierigkeiten. Der Amtsanwalt hat gegen 
den Ablehnungsbeſchluß die Beſchwerde und zwar die 
ſofortige nach Analogie der 88 202, 209 Abſ. 2 StPO. 
Wird die Beſchwerde für begründet erachtet, ſo erläßt 
das Beſchwerdegericht gem. 8 351 Abſ. 2 StPO. zu⸗ 
gleich die in der Sache erforderliche Entſcheidung. 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


— äüU¾t 


Die Frage, ob das Beſchwerdegericht nun ſelbſt den 


Strafbefehl erlaſſen kann oder nicht, iſt müßig. Eine 
ſachliche Entſcheidung, die Gegenſtand der Anfechtung 
iſt, liegt nicht vor. Der Amtsrichter hat vielmehr 
die vom Beſchwerdeführer beantragte Anordnung nicht 
getroffen. Hier kann die Beſchwerde auch eine ein⸗ 
fache Anweiſung an das Gericht erſter Inſtanz, alſo 
die Anordnung des Erlaſſes, der Ausfertigung und 
Zuſtellung des Strafbefehles zur Folge haben (RGSt. 
19, 333 und 337, Löwe 1913 S. 860). 

Wird dagegen nach 8 207 Abſ. 2 StPO. verfahren, 
ſo entſtehen Weiterungen, wenn die Zuſtändigkeit der 
Strafkammer bejaht wird. Bei einer Ueberweiſungs⸗ 
ſache muß vor der Eröffnung des Hauptver fahrens 
vor dem Schöffengerichte die Staatsanwaltſchaft ge⸗ 
hört werden; ſoll vor der Strafkammer verhandelt 
werden, fo muß gemäß 8 198 Abſ. 2 StPO. die Ans 
klage, alſo hier der Strafbefehl, der die öffentliche 
Klage mittelbar enthält, der Staatsanwaltſchaft zur 
Ergänzung gegeben, nicht minder muß die Friſt des 
8 199 StPO. gewahrt werden. Für dieſe Weiterungen 
mag eine ſörmliche Anklageſchrift des Amtsanwaltes, 
nicht aber der meiſt knappe Strafbefehlsantrag ge⸗ 
nügen. 8 207 Abſ. 2 StPO. findet ſich auch in dem 
Abſchnitte: „Entſcheidung des Gerichts über die Er⸗ 
öffnung des Hauptverfahrens“, eine analoge Anwen⸗ 
dung auf das Strafbefehlsverfahren iſt ungerechtfertigt 
und unzweckmäßig. 

Dieſen Standpunkt teilen auch die neuen bayer. 
Vorſchriften ſür die Behandlung der amts⸗ und ſchöffen⸗ 
gerichtlichen Strafſachen vom 29. November 1913 
(JM Bl. S. 419). 8 27 ſagt: 

„Hält der Amtsrichter die Erlaſſung eines Straf⸗ 
befehls für unzuläſſig, z. B. wegen des Mangels eines 
Strafantrages, ſo weiſt er den Antrag durch Beſchluß 
unter kurzer Begründung in Spalte 8 des For⸗ 
mulars 7 zurück. 


Will der Amtsanwalt gegen den Beſchluß Be⸗ 
ſchwerde erheben (8 353 StPO.), fo bemerkt er dies 
in Spalte 9 des Formblattes und legt die Beſchwerde, 
wenn die Begründung umfangreicher iſt, geſondert bei.“ 

Die Kommiſſion für die Reform des Strafprozeſſes 
hat in 1. und 2. Leſung die Einführung folgender Be⸗ 
ſtimmungen bei 8 448 einſtimmig angenommen: 

„Der Amtsrichter hat den Antrag durch Beſchluß 
abzulehnen, wenn die Vorausſetzungen des 8 178 Abſ. 1 
StPO. alſo insbeſondere örtliche und ſachliche Un⸗ 
zuſtändigkeit des Gerichts vorliegen oder der Be⸗ 
ſchuldigte der ihm zur Laſt gelegten Tat nicht hin⸗ 
reichend verdächtig erſcheint“ (ſ. Protokolle, heraus⸗ 
gegeben vom Reichsjuſtizamte 1905 Bd. J, 1. Leſung 
S. 329; Bd. II, 2. Leſung S. 253). 


Die von einem Kommiſſions⸗Mitgliede gegen den 
Antrag hervorgehobene Möglichkeit, daß gegen den 
zurückweiſenden Beſchluß Beſchwerde eingelegt werden 
könne und dadurch eine Erſchwerung des Verfahrens 
eintrete, ſchien der überwiegenden Mehrheit gegenüber 
dem Bedürfniſſe der Praxis und der durch 8 201 StPO. 
gegebenen Analogie nicht ausſchlaggebend. 


II. Staatsanwalt v. Valta in Paſſau. 


Aus der Aechtſprechung. 


Reichsgericht. 
A. Zivilſachen. 


I. 


Unzuläſſige Einwirkung einer Partei auf den Ein⸗ 
tritt einer Bedingung (8 162 BEB.); kann eine ſolche 
Einwirkung darin erblickt werden, daß eine Partei 
nichts unternimmt um die nurichtige Enticheidung einer 
Behörde zu beſeitigen ? Der Kläger verkaufte dem Be⸗ 
klagten den Hof Nr. 15 zu E. mit allen Rechten und 
Gerechtigkeiten, namentlich mit der von ihm vor über 
30 Jahren erworbenen Kruggerechtigkeit für 32 000 M. 
Mit Bezug auf dieſe beſtimmt der 87 des Vertrages: 
„Dieſer Vertrag wird ausdrücklich unter der Bedingung 
geſchloſſen, daß der Käufer in der Ausübung der Krug⸗ 
gerechtſame behördlicherſeits nicht gehindert wird, es 
müßte denn ſein, daß der Hinderungsgrund in ſeiner 
Perſon läge; in letzterem Fall iſt der Vertrag rechts⸗ 
beſtändig“. Auf ein an die Kreisdirektion W. ge⸗ 
richtetes Geſuch erhielt der Beklagte mit Schreiben 
vom 20. Mai 1911 die Erlaubnis zum Betriebe der 
Gaſtwirtſchaft mit a von Branntwein und 
Spirituofen, während ihm die Erlaubnis zum Klein» 
handel mit Branntwein und Spirituoſen unter Hin⸗ 
weis auf die in E. ſchon beſtehende Kleinhandlung 
und mit dem Bemerken verſagt wurde, daß die Krug⸗ 
gerechtigkeit, die ſein Vorgänger ſeiner Zeit erworben, 
nur die Befugnis zum Betriebe der Gaſtwirtſchaft mit 
Ausſchank von Branntwein und Spirituoſen, nicht 
aber die zum Kleinhandel umfaſſe. Darauf focht der 
Beklagte den Kauf wegen argliſtiger Täuſchung an 
und klagte auf Feſtſtellung der Nichtigkeit des Ver⸗ 
trages, Rückerſtattung der auf den Kaufpreis gezahlten 
Beträge und Erſtattung von Vertragskoſten; ſeine 
Klage wurde abgewieſen. Inzwiſchen hatte der Kläger 
mit der gegenwärtigen Klage einen Anſpruch auf 
Zahlung des Reſtkaufgeldes geltend gemacht. Der 
Beklagte wendete ein, daß er an der Ausübung der 
ihm mitverkauften Kruggerechtigkeit 5 gehindert 
ſei, als ihm die Behörde den dazu gehörigen Klein⸗ 
handel mit Branntwein und Spirituoſen nicht ge⸗ 
ſtattet habe, und daß der Vertrag danach gemäß dem 
8 7 aufgelöſt ſei. Das LG. wies die Klage auf Grund 
dieſes Einwandes ab. OLE. und NG. billigten die 
Abweiſung. 

Aus den Gründen: Nach dem Vertragswillen 
der Parteien ſollte in der mitverkauften Kruggerechtig⸗ 
keit die Befugnis zum Kleinhandel mit Branntwein 
und Spirituoſen enthalten ſein; dies war nach der 
Abſicht der Parteien von Belang und namentlich für 
den Entſchluß des Beklagten beſtimmend, den Kauf, 
wie geſchehen, abzuſchließen. Mit Recht nimmt das 
BG. ferner an, daß die Zugehörigkeit der Befugnis 
zum Kleinhandel zur Kruggerechtigkeit rechtlich inſofern 
von weſentlicher Bedeutung geweſen ſei, als die Bes 
hörde bei einer Realgewerbeberechtigung die Erteilung 
der nach 833 GewO. zur Ausübung des Gewerbes 
allerdings auch dann erforderlichen Erlaubnis nicht 
von dem Nachweis eines Bedürfniſſes abhängig machen 
durfte. Es ſtellt ſodann unter Bezugnahme auf ſein 
im Vorprozeß ergangenes Urteil feſt, daß die dem 
Beklagten verkaufte Kruggerechtſame das Recht zum 
Kleinhandel mitumfaßt, findet aber in der unſtreitigen 
Tatſache, daß die Kreisdirektion dem Beklagten die 
Erlaubnis zum Kleinhandel mit der Begründung ver⸗ 
ſagt hat, daß die Kruggerechtſame den Kleinhandel 
nicht umfaſſe, eine Hinderung in der Ausübung dieſer 
Gerechtſame behördlicherſeits, die aus Gründen erfolgt 
ſei, die nicht in der Perſon des Beklagten lägen, und 
durch die deshalb der Vertrag gemäß feinem §7 hin⸗ 
fällig geworden ſei. Ohne Grund erhebt die Reviſion 
hiergegen den Vorwurf einer Verletzung des $ 162 


444 nn Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


BGB. oder des dieſer Beſtimmung zugrunde liegenden 
Rechtsgedankens. Der Vorwurf wäre nur dann ge⸗ 
rechtfertigt, wenn der Beklagte die feſtgeſtellte Be⸗ 
hinderung in der Ausübung der Kruggerechtſame wider 
Treu und Glauben herbeigeführt hätte (vgl. 8 162 
Abf. 2), oder wenn die Behinderung darauf zurück⸗ 
Glauben wäre, daß der Beklagte eine nach Treu und 
Glauben von ihm zu erwartende Handlung nicht vor⸗ 
genommen hat (vgl. RG. 79 Nr. 21 auf S. 98/99). 
Weder von dem einen, noch von dem anderen 
kann hier die Rede ſein. Der Beklagte iſt um die 
Erlaubnis auch zum Kleinhandel eingekommen, er 
hat ſich dabei auf die ihm mitverkaufte Kruggerechtſame 
berufen, und die Erlaubnis zum Kleinhandel iſt ihm 
nur verſagt worden, weil die Behörde — allerdings, 
wie jetzt feſtſteht, zu Unrecht — annahm, daß ſich die 
Kruggerechtſame nicht darauf erſtrecke. Daß der Be⸗ 
klagte damals imſtande geweſen ſei, die Behörde auf⸗ 
zuklären, und daß er dies unterlaſſen habe, um die 
Verſagung der Erlaubnis herbeizuführen, iſt gar nicht 
behauptet. Die Reviſion meint: der Beklagte ſei aber 
in der Lage geweſen, den Beſcheid der Kreisdirektion 
durch eine Klage beim Verwaltungsgerichtshof an⸗ 
zugreifen, und, habe er ſich im Verwaltungsſtreit⸗ 
verfahren nicht ſelbſt die erforderlichen Unterlagen 
beſchaffen können oder wollen, ſo würde eine Streit⸗ 
verkündung dem Kläger die Gelegenheit dazu gegeben 
haben. Allein ſchon mit der Verſagung der Erlaubnis 
durch die Kreisdirektion war eine Hinderung in der 
Ausübung der Kruggerechtſame gegeben, und abgeſehen 
1 hebt das BG. zutreffend hervor, der Beklagte 
abe keinen Orund zu der Annahme gehabt, daß er 
mit einem Vorgehen, wie es ihm hier von der Reviſion 
angeſonnen wird, Erfolg haben werde. Daß er den 
Umfang der Kruggerechtſame betreffende Papiere in 
Händen gehabt, insbeſondere vom Kläger erhalten, 
oder daß dieſer ihn ſonſt über den Umfang der Krug⸗ 
gerechtſame unterrichtet habe oder damals hierzu auch 
nur in der Lage geweſen ſei, iſt nicht behauptet; erſt 
in der Berufungsinſtanz des Vorprozeſſes, alſo lange 
nach Ablauf der zweiwöchigen Friſt, innerhalb deren 
der Beſcheid der Kreisdirektion vom 20. Mai 1911 
mit der Klage im Verwaltungsſtreitverfahren an⸗ 
gegriffen werden konnte, ſind aus den Akten der Herzog⸗ 
lichen Kammer die Unterlagen für die Feſtſtellung 
des Umfanges der Kruggerechtſame beſchafft worden. 
Die Reviſion führt noch aus: es ſei nicht abzuſehen, 
warum dieſe Unterlagen nicht auch im Verwaltungs- 
ſtreitverfahren hätten herbeigeſchafft werden können. 
Dem iſt entgegenzuhalten, daß der Beklagte dies jeden⸗ 
falls nicht vorausſehen oder in ſeiner damaligen Lage 
auch nur erwarten konnte, und daß die Rückſicht auf 
Treu und Glauben den Beklagten jedenfalls nicht 
verpflichtete, der obrigkeitlichen Entſcheidung ohne jede 
Unterlage zur Feſtſtellung ihrer Angreifbarkeit und 
alſo auch ohne jede Ausſicht auf Erfolg mit Rechts- 
mitteln entgegenzutreten. Ob dem Beklagten die 
im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht trotzdem ge 
bot, ſich nach dem verſagenden Beſcheid der Kreis⸗ 
direktion um nähere Auskunft über den Umfang der 
Gerechtſame an den Kläger zu wenden und auf alle 
Fälle den Beſcheid mit der Klage beim Verwaltungs- 
gerichtshof anzugreifen, kann dahingeſtellt bleiben; 
denn eine bloße Fahrläſſigkeit (8 276 BGB.) erfüllt, 
auch wenn dadurch der Eintritt der Bedingung herbei— 
geführt iſt, noch immer nicht die Merkmale eines wider 
Treu und Glauben verſtoßenden Verhaltens, wie es 
der 8 162 zu feiner Anwendung erfordert. (Urt. des 
V. ZS. vom 23. September 1914, V 171/1914). E. 
8135 
II. 
Zu 35 398 und 185 BGB., 5 43 KO. Iſt die 


Abtretung aller, auch der künftigen Forderungen einer 
beftimmten Perſon wirkſam! Wie, wenn der Abtretende 


berechtigt ſein ſoll, Diele Forderungen ſelbſt Tür ſich 
einzuziehen und in feinem Geſchäftsbetriebe zu verwenden, 
gegen die Verpflichtung, dem Abtretungzemyfänger menat - 
lich ein un Verzeichnis der Forderungen zu über: 
enden? Aus ſenderungs recht des Abtretungsempfängers 
m Konkurſe des Abtretenden? Aus den Gründen: 
Die Abtretung künftiger ungen iſt auläffig 
(RG. 55, 334, 402; 58, 72; 75, 225; 67, 168); fie muß 
jedoch diejenigen Erforderniſſe erfüllen, an die eine 
jede Abtretung von Forderungen gebunden iſt. Dazu 
gehört, daß der Gegenſtand der Abtretung, der Inhalt 
er Forderung, beſtimmt oder wenigſtens beſtimm bar 
iſt, und daß der Abtretungsempfänger die Verfügungs⸗ 
macht über die abgetretene Forderung erlangen ſoll 
und erlangt. Eine Abtretung ſo allgemeinen Inhalts, 
wie hier, die ſich ſchlechthin auf alle Forderungen des 
Abtretenden, die gegenwärtigen und zukünftigen Außen⸗ 
ſtände aus feinem Geſchäftsbetrieb, erſtreckt, iſt wegen 
der Unbeſtimmtheit und Unbeſtimmbarkeit der zu⸗ 
künftigen Forderungen und der dadurch bedingten Un⸗ 
gewißheit des Inhalts und Gegenſtandes des Rechts⸗ 
geſchäftes rechtlich unwirkſam (NE. 67, 166; JW. 1911 
S. 576 Nr. 10 und Warneyer Rechtſpr. 1913 Nr. 400). 
Daran ändert es auch nichts, daß ausgemacht iſt, der 
Abtretende habe dem Abtretungsempfänger allmonat⸗ 
lich ein Verzeichnis der Außenſtände einzureichen. Eine 
88155 Vereinbarung iſt zur Ermöglichung zweifels⸗ 
eier Beſtimmtheit um ſo weniger geeignet, als die 
Rechtsübertragung von der Aufnahme in die Ver⸗ 
zeichniſſe nicht abhängig gemacht iſt (Warneyer Rechtſpr. 
1913 Nr. 400). Noch ſchwerer wiegt hier gegen die 
Gültigkeit der Forderungsübertragung der Mangel, 
daß dieſe in Wahrheit dem Abtretungsempfänger 
(Zeſſionar) die Verfügungsgewalt über die Forderungen 
gar nicht überträgt. Es iſt geradezu das Weſen der 
Rechtsübertragung, daß an die Stelle des bisherigen 
Berechtigten ein neuer tritt, der nunmehr nicht nur 
. innen dem Uebertragenden gegenüber, ſondern 
auch nach außen dem Verpflichteten gegenüber das 
Recht ausübt und der darüber nach ſeinem Willen 
verfügen kann. Mit einer Forderungs übertragung 
verträgt es ſich wohl und es wird bei Sicherheitsüber⸗ 
tragungen häufig vorkommen, daß der Abtretende von 
dem neuen Berechtigten, dem Abtretungsempfänger, 
ermächtigt wird, die Forderungen für deſſen Rechnung 
einzuziehen; eine Abmachung aber, wonach dem Ab⸗ 
tretenden ſchlechthin die weitere Verfügung über die 
übertragenen Forderungen verbleibt und er berechtigt 
iſt, ſie für ſich geltend zu machen, den Einziehungs⸗ 
betrag nach ſeinem Ermeſſen in ſeinem Geſchäftsbetriebe 
zu verwenden, iſt mit dem Weſen der Rechtsübertragung 
unvereinbar (RG. 37, 103, 106). Eine ſolche Rechts» 
übertragung iſt in Wirklichkeit keine; ſie kann als 
ernſtlich gemeint nicht angeſehen werden. Der vom 
BG. für die Gültigkeit der Uebertragung angezogene 
§ 185 BGB. hat für die zu entfcheidende Frage keinerlei 
Beweiskraft. Die Abtretungserklärung in dem Ber» 
trage vom 9. November 1909 zugunſten des Klägers 
iſt hiernach ungültig; daraus ergibt ſich, daß dem 
Kläger der geltendgemachte Ausſonderungsanſpruch 
nicht zuſteht. (Urt. des VI. 38. vom 7. Mai 1904, 
VI 123/1914). K. 
3484 


III. 


Haftung aus dem Nietvertrage. Aus den Grün⸗ 
den: Mit Unrecht verneint die Reviſion die Fahrſtuhl⸗ 
Haftung der Bekl. aus dem Mietvertrage. Daß beim 
Abſchluß des Vertrages der Kläger die gefährliche, den 
polizeilichen Vorſchriften zuwiderlaufende Beſchaffen⸗ 
heit des Fahrſtuhls gekannt hätte, iſt nicht feſtgeſtellt. 
Sein Anerkenntnis im 86 des Vertrages, daß „die 
Mieträume ſelbſt, deren Zubehör und Beſtandteile als 
gut und gebrauchsfähig gelten“, ergibt keinen Anhalt 
dafür. Dieſe Worte des Vordrucks enthalten nicht die 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


Erklärung, daß der Kläger alles Einzelne, insbeſondere 
den Fahrſtuhl, auf die Tauglichkeit und auf eine den 
polizeilichen Anordnungen entſprechende Beſchaffenheit 
eprüft und mit den vertraglichen Zuſagen im Ein⸗ 
lang gefunden habe. Wenn er in der Folge den Fahr⸗ 
ſtuhl mit all den ſich aus dem vertrags⸗ und polizei⸗ 
widrigen Zuſtande ergebenden Mängeln und Gefahren 
benutzt und, wie die Reviſion fagt, ſich niemals bei 
den Beklagten über die „angeblichen“ Mißſtände be⸗ 
ſchwert hat, fo folgt daraus nicht, daß er die Ge⸗ 
währung des gefährlichen, vorſchriftswidrigen Fahr⸗ 
ſtuhls als ordnungsmäßige Erfüllung der den Be⸗ 
klagten obliegenden Bertragsleiftung hat einräumen 
wollen. Bon einer Genehmigung des Zuſtandes, den 
er nicht herbeigeführt hatte und nicht ändern konnte, 
war nicht die Rede. Nach Treu und Glauben kann 
1 8 Verhalten als Mieter nicht entnommen werden, 
aß er einen Fahrſtuhl als Vertragserfüllung ange⸗ 
nommen habe, deſſen Zuſtand ſolche Gefahren in ſich barg 
und ſo gröblich im Widerſpruch zu den obrigkeitlichen 
Anordnungen ſtand. Dies ſein Verhalten ſchließt danach 
nicht eine Vertragshaftung der Beklagten wegen der 
Zuſtände aus, die ihnen als ordnungs⸗ und vertrags⸗ 
widrig bekannt waren oder doch hätten bekannt ſein 
müſſen, wenn fie ihrer Vertragspflicht ſorgfältiger 
Ueberwachung genügt hätten. Die Kenntnis ihres Haus⸗ 
verwalters als ihres a hinſichtlich 
der Verbindlichkeiten aus dem Mietvertrage, geht zu 
ihren Laſten und, daß der Hausverwalter die Mißſtände 
gekannt und, abgeſehen von der nicht ernſtlich ge⸗ 
meinten Abmahnung, während der ganzen Mietzeit des 
Klägers geduldet hat, iſt außer Streit. Die Angabe 
der Reviſion, der Kläger habe ſelbſt die Sicherungs⸗ 
maßnahmen am Fahrſtuhl außer Wirkſamkeit geſetzt, 
er und ſeine Angeſtellten hätten Nägel zur Verhinde⸗ 
rung des Borfpringens der Riegel angebracht, iſt tat⸗ 
beſtandswidrig. Die Tür zum Fahrſtuhlſchacht im 
Keller hat der Kläger offengelaſſen, weil ſie infolge 
des von den Bekl. nicht verhinderten Mißbrauchs immer 
offen ſtand. Das BG. führt aus, der Kläger hätte 
am Abend des Unfalls vom Keller erſt nach Schließung 
der Kellertür des Aufzugs aufwärts fahren können, 
wenn die automatiſche Sicherung in Ordnung geweſen 
wäre. Der Aufzugsſchacht ſei alfo dann verſperrt ge⸗ 
weſen und der Kläger hätte nicht in den Schacht ſtürzen 
können. Damit iſt ohne weiteres der urſächliche Zu⸗ 
ſammenhang feſtgeſtellt zwiſchen dem Unfall und dem 
vom Hausverwalter bewirkten Abklemmen des Zu⸗ 
leitungsdrahts, das den Zutritt des die Sicherung 
regelnden elektriſchen Stroms verhinderte. Die Siche⸗ 
rung ſollte ja gerade Gewähr dafür ſein, daß jede 
der Türen nur dann geöffnet werden konnte, wenn 
der Fahrſtuhl in gleicher Höhe mit dem betreffenden 
Stockwerk war. Ein mitwirkendes Verſchulden des 
Klägers iſt N angenommen worden. (Wird 
ausgeführt). Allein das Verſchulden der Beklagten 
oder das von ihnen zu vertretende ihres Erfüllungs⸗ 
gehitfen ift das bei weitem überwiegende. Es bildet 
ie eigentliche, durch die ihnen zur Laſt fallende Ver⸗ 
letzung der Vertrags⸗ und allgemeinen Rechtspflicht 
erſt geſchaffene Grundlage für die Unfalls möglichkeit. 
(Urt. d. III. ZS. vom 3. Juli 1914, III 128/14). 
3484 


— 4 — 


IV. 


Zum Schadens begriff i. S. des 3 249 88 .; Schadens: 
erſatzpflicht wegen Nichterfüllung der Verpflichtung, im 
Falle der Zwangs verſteigerung die Forderung eines Hypo» 
thekaländigers anszubieten. Für die Klägerin find auf dem 
gleichen Grundſtück Hypotheken von 58500 M und 36 500 
nebſt 4 !/s, im Verzugsfalle 5½% Zinfen eingetragen. In 
notariell beglaubigter Urkunde verpflichtete ſich der Be⸗ 
klagte der Klägerin: „falls das . . .. Pfandgrundſtück 
vor Rückzahlung der . . .. Hypotheken von 95 000 M 
zur Zwangsverſteigerung gelangen ſollte, die Forde— 


445 


rung . . . an Kapital, Zinſen und Koſten vollftändig 
auszubieten“, wogegen die Klägerin gehalten ſein 
ſollte, ihm oder unter ſeiner ſelbſtſchuldneriſchen Bürg⸗ 
ſchaft auch einem anderen Erſteher das Kapital von 
95 000 M bis zum Ablauf der urſprünglichen Beleihungs⸗ 
zeit unter den eingetragenen Bedingungen zu belaſſen. 
Wegen unpünktlicher Zinszahlung wurden die Hypo⸗ 
thekenkapitalien fällig und die Klägerin betrieb die 
Zwangsverſteigerung. Von der Einleitung der Zwangs⸗ 
verſteigerung und von dem Verſteigerungstermine gab 
ſie dem Beklagten Nachricht. Da dieſer in dem Termine 
trotzdem unvertreten blieb und auch von dritter Seite 
kein Gebot abgegeben wurde, gab ſie ſelbſt ein Gebot 
ab, ließ aber das Verfahren dann einſtweilen einſtellen. 
Darauf erhob ſie die gegenwärtige Klage mit dem An⸗ 
trage, den Beklagten zu verurteilen, an ſie 4996.55 M 
nebſt Prozeßzinſen zu zahlen. Zur Begründung machte 
ſie geltend: Der Eigentümer habe ihr zur Zeit der 
Zwangsverſteigerung 5½% Zinſen von den 95 000 M 
für die J vom 1. Juli 1912 bis 31. März 1913 d. i. 
3918.75 M geſchuldet, an Verwaltungsvorſchüſſen und 
Gerichtskoſten habe ſie 1077.80 M bezahlt; den von 
7 hiernach im Verſteigerungsverfahren angemeldeten 
etrag von 4996.55 M habe der Beklagte der in der 
Urkunde vom 30. Dezember 1911 übernommenen Ber- 
pflichtung gemäß ausbieten müſſen; da er dies nicht 
getan, ſei er ihr ſchadenserſatzpflichtig. 
Aus den Gründen: Das BG. nimmt in dem 
Streit der Parteien über den Inhalt der vom Be⸗ 
klagten laut der Urkunde vom 30. Dezember 1911 über⸗ 
nommenen Verpflichtung nicht Stellung. Es meint: 
auch wenn der Beklagte eine Verpflichtung in dem 
von der Klägerin vertretenen Sinne übernommen habe, 
cheitere der geltend gemachte Schadenserſatzanſpruch 
aran, daß der Klägerin noch kein Schaden entſtanden 
ſei; die Klägerin habe ſowohl wegen der berechneten 
Zinſen als auch wegen der berechneten Koſten einen 
Anſpruch auf Befriedigung aus dem Grundſtück, und 
es ſei mit der Wahrſcheinlichkeit zu rechnen, daß ſie 
mit jenen Zinſen und Koſten in dem noch nicht zu Ende 
geführten Zwangsverſteigerungsverfahren zur Hebung 
elange. Der Reviſion iſt zuzugeben, daß das B. 
de den Schadensbegriff verkannt hat. War der 
eklagte der von der Klägerin vertretenen Auffaſſung 
entſprechend verpflichtet, in dem ihm von dieſer be⸗ 
kannt gemachten Verſteigerungstermine zu erſcheinen 
und dafür zu ſorgen, daß ein ihre Forderung ein⸗ 
ſchließlich der Zinſen und Koſten deckendes Gebot ab⸗ 
gegeben wurde und „der Umſatz der Hypothek in Geld“ 
gelang, ſo würde die Klägerin bei gehöriger Erfüllung 
dieſer Verpflichtung namentlich wegen der nach dem 
8 49 3G. vom Erſteher im Verteilungstermine bar 
zu berichtigenden Zins⸗ und Koſtenbeträge durch Bar⸗ 
zahlung befriedigt worden ſein. Demgegenüber aber 
bedeutet der bei Nichterfüllung der Verpflichtung be⸗ 
1 Zuſtand einen der Klägerin erwachſenen Schaden, 
und zwar einen Vermögensſchaden auch dann, wenn 
mit der fpäteren Befriedigung der Zins» und Koſten⸗ 
anſprüche aus dem dafür haftenden Grundſtück als in 
ſicherer Ausſicht ſtehend gerechnet und zugleich der 
perſönliche Befriedigungsanſpruch gegen den Hypothek⸗ 
ſchuldner berückſichtigt wird. Im heutigen Wirtſchafts⸗ 
und Verkehrsleben kann fi an Verwend⸗ und Ber: 
wertbarkeit kein Vermögensſtück mit barem Gelde 
meſſen; das trifft namentlich auch gegenüber einer 
wenngleich dinglich geſicherten Geldforderung zu; für 
eine Bank, die mit der rechtzeitigen Befriedigung ihrer 
Geldforderungen rechnet und mit Rückſicht auf ihre 
Verpflichtungen rechnen muß, iſt dieſer Umſtand von 
beſonderer Bedeutung und gerade in dieſer Beziehung 
hat ſich die Klägerin durch die ſtreitige Vereinbarung 
ſichern wollen, wenn dieſe den ihr von der Klägerin 
beigelegten Sinn hat. Es kommt hinzu, daß die Be⸗ 
friedigung der Klägerin wegen ihrer Zins- und Koſten⸗ 
forderung die Sicherheit ihrer Kapital hypothek gemäß 


8 12 38®. beeinflußt. Das BB. gibt keine Begriffs: 
beſtimmung für den Schaden; es folgt hier aber, wie 
nicht zu bezweifeln, dem gewöhnlichen Sprachgebrauch 
und verſteht demgemäß unter Vermögensſchaden ins⸗ 
beſondere jede ungünſtigere Geſtaltung des Vermögens⸗ 
zuſtandes oder in Uebereinſtimmung mit der im 8 1 
Teil I Tit. 6 PrAs R. gegebenen Begriffsbeſtimmung 
jede ans des Zuſtandes eines Menſchen 
in Anſehung feines Vermögens. Die Abweiſung der 
Klage rechtfertigt ſich auch nicht etwa aus der Erwägung, 
daß der zum Schadenserſatz verpflichtete Beklagte nach 
dem 8 249 nur den Zuſtand herzuſtellen hat, der be⸗ 
ſtehen würde, wenn er feiner Verpflichtung genügt hätte, 
und daß in dieſem Falle zwar die Klägerin den mit 
der Klage geforderten Zinſen⸗ und Koſtenbetrag in 
Händen haben, dafür aber ihr entſprechender dinglicher 
und perſönlicher Anſpruch erloſchen ſein würde. Hier⸗ 
aus folgt zwar, daß die Klägerin als Schadenserſatz 
die Zahlung des Geldbetrages nur gegen „ 
dieſes ihres Anſpruchs beanſpruchen kann (RG. 62 Nr. 7 
auf S. 333 /4); dies iſt aber gegenüber dem Klageanſpruch 
nicht etwas anderes, ſondern nur ein minderes. In 
der Sache ſelbſt kann nicht entſchieden werden. Denn 
dieſe Entſcheidung hängt namentlich von der Auslegung 
der Urkunde vom 30. Dezember 1911 hinſichtlich der 
darin vom Beklagten übernommenen ſtreitigen Ver⸗ 
pflichtung ab, und dieſe Auslegung erfordert eine Tat- 
ſachenwürdigung, die dem Reviſionsgericht entzogen iſt. 
In Betracht kommt insbeſondere, daß ſich die Klägerin 
für ihre Auslegung auf die Auffaſſung des Großberliner 
Geſchäftsverkehrs bezogen hat. (Urt. des V. ZS. vom 
23. Sept. 1914, V 139/1914). E. 
3477 


B. Straffaden. 
I. 


Dürfen die Kundschaft („Faſſen“) und andere wirt: 
b Güter, die keinen beſtimmten Bermögensgegen⸗ 
and darſtellen, als Aktivum in die Bilanz eingeſtellt 
werden 7 Aus den Gründen: Die StͤK. beanſtandet, 
daß in die Aftivjeite der Bilanzen Poſten aufgenommen 
find, die dort als „Faſſon“ bezeichnet find, und die in 
den Bilanzen von 1907 bis 1910 regelmäßig und zwar 
im ganzen von 8000 M auf 20000 M steigen. Unter 
„Faſſon“ iſt unſtreitig der Wert der Kundſchaft der 
Geſellſchaft als Aktivum verbucht. Die Stͤ. erachtet 
die Einſetzung und Bewertung einer Kundſchaft der 
Geſellſchaft als Aktivum in deren Bilanz nur ſoweit 
für zuläſſig, als ein Gegenwert für ſie von der Geſell— 
ſchaft gegeben iſt, nämlich in der Eröffnungsbilanz 
dann, wenn die Geſellſchaft bei ihrer Errichtung die 
Kundſchaft eines beſtehenden Geſchäfts gegen Entgelt 
übernommen hat, und in den Bilanzen der folgenden 
Jahre nur dann, wenn Kundſchaften anderer Firmen 
zur Erweiterung des Geſchäfts gegen Entgelt über: 
nommen worden find; fie erachtet dagegen die forts 
geſetzte und jeder greifbaren Unterlage entbehrende 
Erhöhung eines ſolchen in die Eröffnungsbilanz auf— 
genommenen Poſtens in den folgenden Bilanzen im 
Anſchluß an das Gutachten des Sachverſtändigen für 
unzuläſſig. Gegen dieſe Auffaſſung wendet ſich die 
Reviſion; ſie meint, daß unter die Aktiven der Bilanz 
alle greifbaren Vermögenswerte der Geſellſchaft auf— 


er: Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


genommen werden müßten, und rechnet zu ſolchen Ver⸗ 
Konkurs gerät, ehe er ſie verwertet hat, und demzufolge 


mögenswerten auch die Kundſchaft des Geſchäfts, zu 
deren Erlangung und Erweiterung beſtimmte Auf— 
wendungen im Laufe des Geſchaͤftsjahres gemacht 
werden müßten, und die auch jederzeit veraäͤußerlich 
ſei und zwar zu ſteigendem Preiſe, je weiter ſie ſich in 
dem einzelnen Geſchäſtsjahr ausdehne. Sie ſchildert im 
einzelnen die Art des Geſchafts der Geſellſchaft und 


der Gewinnung der Kundſchaft; die Gewinnung jedes 
einzelnen Kunden erfordere von dem Geſchäft erhebliche 
Auslagen, ſei aber auch zugleich ein bleibender Vorteil 
des Geſchäfts, da die Kunden durch langfriſtige Ber- 
träge an die Geſellſchaft gebunden ſeien; deshalb habe 
mit der Zunahme der Kundſchaft der urſprünglich für 
ſie eingeſetzte Aktivpoſten von Jahr zu Jahr erhöht 
werden müſſen. Die Kundſchaft, die die Geſellſchaft 
durch Uebertragung ihrer Rechte aus den mit den 
Kunden geſchloſſenen Verträgen auf eine andere Firma 
habe verwerten können, ſei ein ſtändig ſteigender Ber- 
mögenswert der Geſellſchaft geweſen. Die Anſicht der 
Reviſion kann nicht gebilligt werden. Nach 840 HGB., 
8 41 Gmb. find in die Bilanz ſämtliche Bermögens- 
gegenftände und Sachen der Geſellſchaft nach dem 
Werte einzuſetzen, der ihnen in dem Zeitpunkte bei⸗ 
zulegen iſt, für den die Aufſtellung ſtattfindet. Als 
Aktivum iſt hiernach alles zu verbuchen, was zu dieſer 
Zeit Gegenſtand des Rechtsverkehrs iſt, alſo nicht nur 
körperliche Gegenſtände, ſondern auch Rechte, wie Pa⸗ 
tent⸗, Verlags⸗ und Lizenzrechte. Dagegen find idee lle 
Werte, die ſich nicht in einem gegen jeden durchzu⸗ 
ſetzenden Rechte ausdrücken, rein wirtſchaftliche Güter, 
nur dann als Bilanzpoſten anzuerkennen, wenn die 
Geſellſchaft ſie von dritter Seite erworben und zu ihrer 
Erlangung Aufwendungen gemacht hat, ſo ein erwor⸗ 
benes Fabrikationsgeheimnis, die mit dem Geſchäfte 
eines Dritten erworbene Firma oder die übernommene 
Kundſchaft eines anderen Geſchäfts. Denn in ſolchem 
Falle ſind dieſe Güter, die im Beſitze des Veräußerers 
rein wirtſchaftliche Güter waren, im Zeitpunkt der 
Veräußerung durch Benutzung einer damals gegebenen 
Veräußerungsgelegenheit Vermögensgegenſtände des 
früheren Beſitzers geworden und als ſolche find fie 
von der Geſellſchaft erſtanden und damit Gegenſtände 
ihres Vermögens geworden. Dagegen können die ſelbſt 
erworbene Kundſchaft, die eigene Firma, die eigenen 
Fabrik⸗ und Erfindungsgeheimniſſe nicht als Aktivum 
in einer Bilanz erſcheinen, und demzufolge auch nicht 
mit ihrem Wachstum oder ihrer Vermehrung in der 
Bilanz erhöht werden. Das iſt ebenſowenig möglich 
wie die Einſtellung des aus noch unerfüllten gegen⸗ 
ſeitigen Verträgen für den Fall der Erfüllung erwar⸗ 
teten Nutzens oder der zum Zwecke des Abſchluſſes ge⸗ 
machten Aufwendungen. Anſprüche aus ſolchen Ver⸗ 
trägen haben ebenſowenig wie das eigene Fabrikations⸗ 
geheimnis, die eigene Firma oder die ſelbſt erworbene 
Kundſchaft bereits einen Vermögenswert für die Geſell⸗ 
ſchaft in dem Zeitpunkte, für den die Bilanz aufgeſtellt 
wird. Denn zu dieſem Zeitpunkte iſt die an ſich mögliche 
Verwertung nicht beabſichtigt; vielmehr beruht in 
dieſem Zeitpunkt auf ihrer Beibehaltung der Fort- 
beſtand und die Entwicklungsmöglichkeit des Geſchäfts 
der Geſellſchaft; ſie bilden ein von der Geſellſchaft nicht 
zu verwertendes, ſondern ein von ihr allein zu nutzendes 
wirtſchaftliches Gut, das erſt zu einem Vermögenswert 
wird, wenn ſich die Gelegenheit bietet, fie durch Ver⸗ 
äußerung an Dritte zu verwerten, und fie auch tat» 
ſächlich verwertet werden. Alsdann bilden aber auch 
nicht ſie, ſondern der durch ihre Verwertung erzielte 
Geldbetrag das in die Bilanz im Zeitpunkte dieſer Ber: 
wertung einzuſtellende Aktivum. Würden ſie ſchon 
vorher als ein Vermögensgegenſtand von beſtimmtem 
Wert in die Bilanz der Geſellſchaft eingeſetzt, während 
die Geſellſchaft ſie nutzt und von ihrer Veräußerung 
abſieht, ſo bewirkte dieſe Einſetzung eine Unrichtigkeit 
der Bilanz in den Aktiven. Denn wenn wie hier der 
Berechtigte an dieſen rein wirtſchaftlichen Gütern in 


der Konkursverwalter in die Lage kommt fie zu vers 
werten, ſo würde dieſer für das Fabrikationsgeheimnis 
oder die Kundſchaft oder die Firma der in Konkurs 
verfallenen Geſellſchaft kaum einen Liebhaber finden, 
dieſe Güter alſo zu dem von ihrem Inhaber angenom- 
menen Werte wohl nicht verwerten können; für ein 


Zettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2 447 


— no... k— — — nn 


Fabrikationsgeheimnis, die Kundſchaft oder die Firma 
einer Geſellſchaft, die dieſe nicht vor der Konkurs⸗ 
eröffnung haben ſchützen können, findet ſich ſchwerlich 
ein Abnehmer. Das wirtſchaftliche Gut bleibt unver⸗ 
wertbar oder weniger verwertbar, es iſt kein oder nur 
ein geringer Vermögenswert der Geſellſchaft im Zeit⸗ 
punkt der Konkurseröffnung; es war ein beſtimmter 
Bermögenswert alſo auch nicht vorher, insbeſondere 
nicht in dem Zeitpunkt, für den die Bilanz aufzuſtellen 
war. Solche im Zeitpunkt der Bilanzaufſtellung einen 
beſtimmten i nicht darſtellende 
wirtſchaftliche Büter müſſen daher, fo lange fie nicht 
durch Veräußerung verwertet werden, aus den Ak⸗ 
tiven der Bilanz ausgeſchloſſen bleiben, und nicht ſie, 
ſondern erſt ihr Beräußerungspreis dürfen in die Bi⸗ 
lanz eingeſtellt werden. Der Veräußerungspreis muß 
aber in die Bilanz aufgenommen werden. (Urt. des 
I. StS. vom 27. Juni 1914, 1 D 370/1914). E. 
3483 


II. 


Zu 5 184 Abſ. 1 Nr. 3 Ds; . ung oder 
Aupreiſung gegenüber „dem us den 
Gründen: Die StR. hat 5 e 
dahin aufgefaßt, daß dem Angeklagten Verübung des 
Vergehens durch Verſenden der Preisliſte, das in 
R. und W. ſtattfand, zur Laſt gelegt werde. Daß 
die einzelne Preisliſte immer nur einer einzelnen 
Perſon überſandt wurde, ſchließt nicht aus, daß die 
in der Verſendung liegende Anpreiſung oder An⸗ 
kündigung an das Publikum Aan e hat. Nach 
der ausdrücklichen Urteilsfeſtſtellung hat der Angeklagte 
die Preisliſten jedem überfandt, der ſich auf die in 
den Karten enthaltene Aufforderung hin meldete. Die 
Ueberſendung erfolgte mithin, wie die StR. ohne 
Rechtsirrtum annimmt, an eine Mehrzahl unbeſtimmt 
welcher und wie vieler Perſonen, alſo an das Publi⸗ 
kum. Der einzelne Empfänger kam nur als Glied 
dieſes Publikums in Betracht. (Urt. des V. StS. vom 
2. November 1914, 5 D 606/1914). E. 

3481 


III. 


Zu 3 196 St.: Untragöberchtigung a Gar: 
niſensälteſten. Aus den Gründen: dem an⸗ 
gefochtenen Urteil iſt angenommen, der Angeklagte 
habe durch ſeine Handlungsweiſe nicht nur „die beiden 
zunächſt betroffenen Offiziere“, ſondern alle deutſchen 
Offiziere beleidigt. Dem Umſtand, daß nur 108 einen 
beſtimmten Teil der beleidigten Angehörigen des 
deutſchen Offizierſtands, nämlich für die in C. gar⸗ 
niſonierenden Offiziere Strafantrag geſtellt iſt, ‚an 
im übrigen nur die von den Leutnanten H. und O. 
perſönlich geſtellten Strafanträge vorliegen, wird in 
dem Urteil und insbeſondere auch in deſſen ent⸗ 
ſcheidendem Teil in rechtlich zutreffender Weiſe Rech⸗ 
nung getragen. Der von dem Garniſonälteſten der 
C.⸗er Garniſon geſtellte Strafantrag iſt rechtswirkſam. 
Nach 88 17, 16 der Disziplinarordnung für das Heer 
ſind die Garniſonälteſten zur Handhabung der 
Disziplin gegen alle am Ort befindlichen Offiziere 
inſoweit zuſtändig, als Handlungen gegen militär⸗ 
polizeiliche Vorſchriften oder gegen ihre eigene dienſt⸗ 
liche Autorität in Frage ſtehen, und auch inſoweit, 
als die Disziplinargewalt gegen ſolche Offiziere aus⸗ 
zuüben iſt, die einen anderen mit Disziplinargewalt 
ausgeſtatteten und zur Beſtrafung zuſtändigen Vor— 
geſetzten nicht am Orte haben. Daraus ergibt ſich 
mit Notwendigkeit, daß der Garniſonälteſte nicht nur 
Vorgeſetzter der ihm in ſeiner eigentlichen militäriſchen 
Dienſtſtellung disziplinär unterſtellten Offiziere ſondern 
überhaupt der Offiziere der Garniſon iſt. Das iſt 
auch in einem Erlaß des Kriegsminiſteriums vom 


— 


3. Auguſt 1894 anerkannt und überdies bereits in der 
Entſcheidung 3. D. 1147/10 vom 23. Januar 1911 aus⸗ 
geſprochen (vgl. Entſch. Bd. 3 S. 246). (Urt. des I. en 
vom 27. Juni 1914, 1 D 572/1914). 

3482 


Oberſtes Landesgericht. 


Zivilſachen. 
I. 


Zu 3 839 BEB., Art. 126 Not.; haftet der Notar 

elbſt dem Geſchädigten, wenn er eine amtliche Haftung 
ür den grundbuchamtlichen Vollzug einer unvollziehbaren 
rkunde übernommen hat? Der Privatier B. B. in W. 

gab ſeinem ihn um ein Darlehen angehenden Neffen 
gleichen Namens, Kaufmann in P., einen Hypotheken- 
brief, inhaltlich deſſen für erſteren eine Hypothek zu 
1500 M mit 150 M Kaution beſtellt iſt, zu dem Zweck, 
daß er ſich damit Kredit verſchaffe. Der Neffe wandte 
ſich an die P.⸗er e um ein 
Darlehen. Dieſe ſicherte ihm das Darlehen gegen 
Berpfändung der Hypothek zu und verwies ihn wegen 
der Verpfändung an den Notar H. in der Meinung, 
der Darlehenſuchende ſei der Hypothekgläubiger. Der 
Notar errichtete die Verpfändungsurkunde und überſah 
dabei, daß der bei ihm erſchienene Neffe nicht der Hypo⸗ 
thefgläubiger war. Er ließ ihn deshalb erklären, daß 
er die für ihn eingetragene Hypothek verpfände, und 
erteilte der Darlehensgläubigerin folgende von ihm 
unterzeichnete und mit dem Amtsſiegel verſehene Be⸗ 


ſtätigung: „Hypothekverpfändung zu as wurde wie 


vorbedungen heute beurkundet. Für den richtigen an⸗ 
tragsgemäßen Vollzug wird amtlich gehaftet“. Auf 
Grund dieſer Beſtätigung erhielt der Neffe das Dar⸗ 
lehen ausbezahlt. Als die Verpfändungsurkunde dem 
Grundbuchamt zum Vollzug vorgelegt wurde, wurde 
die Verwechſlung entdeckt und der Vollzug abgelehnt. 
Die Darlehensgläubigerin erhob, da ſie von B. B 
Deckung nicht erlangen konnte, gegen den Fiskus 1 0 
den Notar Klage. Die Genoffenſchaft habe nur auf 
Grund der vom Schuldner zugeſicherten und vom 
Notar garantierten Sicherheit für ihr Darlehen die 
Baluta ausbezahlt. Der Notar habe bei Aufnahme 
der Urkunde und der Vollzugsbeſtätigung ſeine Amts⸗ 
pflicht dadurch fahrläſſig verletzt, daß er es an der 
nötigen Sorgfalt bei der amtlichen Feſtſtellung der 
Perſon des Verpfänders mangeln ließ und durch ſeine 
Mitteilung, daß er für den Vollzug der Hypothek⸗ 
verpfändung amtlich hafte, die Klägerin zur Aus 
zahlung des Darlehens beſtimmte. Der Fiskus habe 
für dieſes Verſchulden ſeines Beamten einzutreten. 
Der Notar hafte aber auch noch 1 als Ge⸗ 
ſamtſchuldner neben dem Fiskus, weil er durch ſeine 
Erklärung vom 28. April 1911 der Bank gegenüber 
perſönlich dafür eingeſtanden ſei, daß der Bank die 
verlangte Sicherheit zuteil werde. Die Klage gegen 
den Notar wurde vom Obs. abgewieſen. 

Aus den Gründen: Soweit die Klage gegen 
den Notar dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt 
wurde, beruht das Urteil auf einer Verletzung des 
8 839 BGB. und des Art. 126 Not. Ohne Rechts⸗ 
irrtum hat das BG. angenommen, daß der Notar 
durch den Satz der von ihm erteilten Beſtätigung vom 
28. April 1911: „für den richtigen antragsgemäßen 
Vollzug wird amtlich gehaftet“ keine perſönliche Haf- 
tung übernommen hat. Nicht zu beanſtanden iſt auch 
die Auslegung des vorſtehenden Satzes dahin: dem 
grundbuchamtlichen Vollzuge der Urkunde ſtehe kein 
rechtliches Hindernis im Wege, die beurkundete Hypo— 
thefverpfändung werde im Grundbuch eingetragen, 
hiefür ſtehe der Staat ein. Das BG. führt ferner 
aus, daß die Haftungserklärung des Notars über die 
dem Notar zuſtehende Amtsbefugnis hinausgehe, da 


— 


448 
der Vollzug der Urkunden im Grundbuche nicht a 
gabe der Notariate, fondern der Grundbuchämter fet; 


wenn ſich auch hinſichtlich der Erteilung ſolcher Haf⸗ 
tungserklärungen zwiſchen den Notariaten und Kredit⸗ 
anſtalten eine gewiſſe Uebung herausgebildet haben 
möge, ſo könne durch eine Ads mißbräuchliche Uebung 
der Amtshandlung des Notars nicht die Eigenſchaft 
der Geſetzwidrigkeit genommen werden. Das iſt zu⸗ 
treffend; auch daß ſolche Haftun 5 dazu 
angetan find, den Jlauben an die Begründung der 
Haftung des Staates zu erwecken und daher irre⸗ 
führend wirken, iſt richtig und mit Recht ſagt das 
Urteil des BG. weiter, es liege ein Verſtoß gegen die 
Amtspflicht i. S. des 8839 BGB. vor, wenn ein dem 
Publikum gegenüber mit öffentlicher Autorität be⸗ 
kleideter Beamter unter Ueberſchreitung ſeines Amts⸗ 
bereichs eine urkundliche Erklärung abgebe, die nach 
ihrer Form beim Publikum den Anſchein einer von 
einem zuſtändigen Beamten ausgeſtellten öffentlichen 
Urkunde, einer amtlichen Beurkundung zu erwecken 
und ſo irre zu führen, die Sicherheit des Verkehrs 
zu gefährden geeignet ſei (RG. 71, 60); der Notar 
habe 1 5 durch die Haftungserklärung fahrläffig 
en mtsbefugniſſe überſchritten und es fei an fi 
er Tatbeſtand des 8 839 WEB. nach der objektiven und 
der ſubjektiven Seite gegeben. Rechtsirrig iſt aber die 
Annahme, daß der Notar die Amtsbefugniſſe nicht in 
Ausübung ſeines Amtes überſchritten habe, wie Art. 126 
Not. vorausſetze, ſondern nur bei Gelegenheit der 
Ausübung und daß deshalb der Staat nicht nach 
Art. 126 Not. haftbar ſei, ſondern der Notar der 
Klägerin perſönlich hafte. it Recht bezeichnet es 
der Vertreter des Notars H. als einen Widerſpruch 
anzunehmen, daß dieſer eine amtliche Haftung für 
den gerichtlichen Vollzug einer von ihm aufgenommenen 
Urkunde nicht in Ausübung des Amtes, ſondern nur 
gelegentlich der Ausübung übernommen habe. Die 
Haftung für den Vollzug ſteht in innerem Zuſammen⸗ 
hang mit der Beurkundung; dieſe war die Voraus- 
binn die Beranlaffung zur Haftungserklärung. Aller⸗ 
ings war der Notar zu dieſer Haftungserklärung 
nicht zuſtändig und er hat hiedurch feine Amtsbefug⸗ 
niſſe überſchritten; die Ueberſchreitung iſt aber in Aus⸗ 
übung des Amtes geſchehen, und deshalb wäre nach 
Art. 126 Not G. für die Verletzung der Amtspflicht 
der Staat verantwortlich, gegen den aber die Klägerin 
einen Anſpruch aus der Haftungserklärung nicht herleitet. 
Hienach iſt die Klage gegen den Notar unbegründet 
und mit Recht vom LG. abgewieſen worden. (Urt. 
des I. 3S. vom 19. Juni 1914, Reg. I Nr. a 
474 A 


II. 


Zu 8 1645 BEB.: Wann iR die Genehmigung zum 
Beginn eines nenen Erwerbsgeſchäfts zu verſagen 7 Der 
Sen G. hat bei dem AG. L. beantragt, den Betrieb 
einer Schreinerei durch ſeinen am 9. Auguſt 1899 ge⸗ 
borenen Sohn Jakob vormundſchaftsgerichtlich zu ge— 
nehmigen. Zur Begründung hat er vorgebracht: Das 
Konkursverfahren über fein Vermögen ſei durch Schluß— 
verteilung beendet worden; er ſchulde ſeinen Gläubigern 
noch ungefähr 7000 . Er habe in A. eine Schreinerei 
begonnen, befürchte aber, daß ſeine Gläubiger ihm den 
Betrieb durch Pfändungen unmöglich machen würden, 
und bitte daher den Betrieb des Geſchäfts durch feinen 
minderjährigen Sohn zu genehmigen, der ſelbſt darin 
beſchäftigt ſei. Das AG. hat den Antrag abgewieſen; 
die Genehmigung könne nicht erteilt werden, da nicht 
eine Maßnahme begünſtigt werden dürfe, die nur den 
Zweck habe, den Gläubigern des Antragſtellers den Zu— 
griff zu weiterem Vermögen zu vereiteln. Das LG. hat 
die Beſchwerde des J. G. unter Anſchluß an die Gründe 
des Amtsgerichts verworfen. J. G. hat die weitere Be⸗ 
ſchwerde eingelegt. Die Beſchlüſſe der Vorinſtanzen 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


wurden aufgehoben und die Sache an das A. zurüd- 
gewieſen. 

Aus den Gründen: Die Beſtimmung des 8 1645 
BGB. beruht auf der Erwägung, daß die Neubegründung 
eines Erwerbsgeſchäfts außerhalb der gewöhnlichen Ver⸗ 
mögens verwaltung liegt und für das Kind in der Regel 
mit Gefahr verknüpft iſt (Mot. Bd. IV S. 768 ff.); die 
Vorſchrift iſt alſo ausſchließlich im Intereſſe des Kindes 
gegeben. Bei der Entſcheidung der Frage, ob die vor⸗ 
mundſchaftsgerichtliche Genehmigung zu erteilen oder 
zu verſagen iſt, iſt deshalb nur zu prüfen, ob der Ge⸗ 
ſchaͤftsbetrieb im Intereſſe des Kindes gelegen 10 oder 
nicht; anderweitige Erwägungen, beſonders Rückſichten 
auf den 5 een Gläubiger oder fonftige 
dritte Perſonen haben außer Betracht zu bleiben. Die 
Borinftanzen durften alſo nicht die Genehmigung mit 
der Begründung verſagen, daß der Geſchäftsbetrieb nur 
deshalb auf den Namen des Sohnes geführt werde, um 
den Gläubigern des Vaters den Zugriff auf deſſen Ver⸗ 
mögen zu vereiteln. Sie mußten vielmehr prüfen, ob 
der Geſchäftsbetrieb im Intereſſe des Sohnes gelegen 
iſt oder nicht. Dabei hätte berückſichtigt werden müſſen, 
daß zwar allerdings der Endzweck der ganzen Maßregel 
der fein mag, den Gläubigern des Vaters den Zugriff 
daß das Geſchäft und deſſen Erträgniſſe zu vereiteln, 
daß aber deswegen nicht ohne weiteres der Geſchäfts⸗ 
betrieb gegen das Intereſſe des Minderjährigen verjtößt. 
Die Führung des Geſchäfts auf den Namen des Sohnes 
wird hier vermutlich das einzige Mittel ſein, um dem 
Antragſteller und ſeiner Familie einen geordneten 
Nahrungsſtand zu verſchaffen. Daß dies auch im In⸗ 
tereſſe des minderjährigen Sohnes ſelbſt gelegen ſein 
kann, iſt kaum zu bezweifeln. Andererſeits wird durch 
den Geſchäftsbetrieb der 255 möglicherweiſe mit Ber⸗ 
bindlichkeiten belaſtet, die ſeinem weiteren Fortkommen 
hinderlich ſein können. Die Vorſchrift des 8 1645 iſt 
gerade auch mit Rückſicht darauf getroffen, zu verhindern, 
daß verſchuldete Bäter auf den Namen der Kinder Ge⸗ 
ſchafte beginnen (Romm Ber. d. Reichst. S. 2076). Es wäre 
deshalb zu prüfen geweſen, ob die Perſönlichkeit des An⸗ 
tragſtellers und die ſonſtigen Verhältniſſe eine Gewähr 
dafür bieten, daß eine Gefährdung des Sohnes nicht 
eintritt, wobei auch zu berückſichtigen war, daß eine 
Gefährdung des Minderjährigen auch durch die VBer⸗ 
ſagung der Genehmigung nicht ohne weiteres verhindert 
werden kann. Denn da der 8 1645 BB. nur eine Soll⸗ 
Vorſchrift enthält, ſind die von dem Vater für das Kind 
im Betriebe des Erwerbsgeſchäfts abgeſchloſſenen Rechts⸗ 
geſchäfte für das Kind auch bei der Verſagung der Ge⸗ 
nehmigung rechtsverbindlich. Eine Sicherung gegen die 
daraus entſpringenden Gefahren kann durch dei der 
Genehmigung aufzuerlegende Bedingungen ſowie durch 
die nach den SS 1667, 1668, 1670 8882. zuläſſigen Maß⸗ 
regeln erzielt werden. Es wäre Sache der Vorinſtanzen 
geweſen, zu prüfen, ob hiedurch den Intereſſen des Kindes 
nicht mehr gedient wird als durch die Verſagung des 
Geſchäftsbetriebs. Zur Duldung einer beſonderen Be 
aufſichtigung des Geſchäftsbetriebs und zur Rechnungs⸗ 
legung hat ſich der Antragſteller ſelbſt ohnehin ſchon 
bereit erklärt. (Beſchl. des I. ZS. vom 25. September 
1914, Reg. III Nr. 70/1914). M. 

3456 


— 


Strafſachen. 


I. 
Umfang der Baal der in Art. 143 Zif. 1 
StGB. genannten Gewerbeireibenden, beſonders der 
Bierwirte zum ſichtbaren Anſchlage der Preiſe ihrer Ber: 
kaufsgegenſtände. Der Angeklagte Gaſtwirt L. verſchenkte 
bisher das Bier in Gefäßen zu 11, Yzl und ½ l. ver⸗ 
zapft es aber nunmehr in Rückſicht auf das Schank⸗ 


gefäßgeſetz vom 24. Juil 180, in auf 0,9 und 0,45 1 zurück⸗ 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


geeichten Gefäßen, da der Abſtand des früheren Füll⸗ 
ſtrichs vom oberen Rande nicht 2 em betrug. Die Ge⸗ 
fäße zu / 1 blieben unverändert. Er ließ in feinem 
Gaſtzimmer anſchlagen: „Helles 0,91 28 Pfg., 0,45 1 
14 Pfg., / 17 Pfg.; dunkles 0,91 24 Pfg., 0,45 1 12 Pfg., 
741 6 Pfg. Das Berufungsgericht verurteilte den L. 
wegen einer Uebertretung nach Art. 143 Ziff. 1 P StGB. 
Die Reviſion wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Nach der auf Grund des 
Art. 143 900 1 BSISB. erlaſſenen ortspolizeilichen 
Vorſchrift haben die Bierwirte die Preiſe ihrer Verkaufs⸗ 
gegenſtände an oder in ihren Verkaufsräumen auf eine 
11 die Käufer ſichtbare Weiſe anzuſchlagen. Nach 

rt. 144 PSt B. muß grundſätzlich jede Menge abge⸗ 

eben werden, für deren Verweigerung eine genügende 

ntſchuldigung nicht vorliegt. Die Weigerung des 
Wirtes iſt nur dann gerechtfertigt, wenn das Verlangen 
des Gaſtes ihm etwas ge 900 oder bei Un⸗ 
ausführbares zumutet (O88. München Bd. 10 S. 122). 
L. beſtreitet ſeine rechtliche Verpflichtung, Bier in Mengen 
von 11 und / 1 abzugeben, nur deshalb, weil er dieſe 
Schankgefäße nicht führe. Allein es kann keine Rede 
davon fein, daß ihm etwas geſetzlich oder gefchäftlich 
Unausführbares zugemutet wird. Geſetzlich Unausführ⸗ 
bares nicht, weil ja das Geſetz ſelbſt dieſe Maße aus⸗ 
drücklich als Sollinhalt nicht nur geſtattet, ſondern fie 
noch ganz beſonders dadurch bevorzugt, daß es bei ihnen 
der Bezeichnung des Sollinhalts nicht bedarf (vgl. 8 1 
Schank Gef. vom 20. Juli 1881 und die Begr. zum Entw. 
dieſes Geſetzes — Reichst Druckſ. 1881 Nr. 72 Bd. 3 
S. 433 ff. insbeſ. 445). Inwiefern aber eine geſchäftliche 
Unausführbarkeit gegeben fein ſoll, iſt nicht erfindlich. 
Das BG. hat denn auch das Vorliegen eines genügenden 
Recht des ungsgrundes nicht anerkannt, vielmehr das 
Recht des Publikums, das Bier in den „üblichen Gefäßen 
von /, ½, 11 verabreicht zu erhalten“, damit begründet, 
daß A. ohne Schwierigkeit dieſe Mengen verabreichen 
kann und es in Bayern, wie L. wußte, bisher üblich ge⸗ 
weſen iſt, das Bier in Mengen von 1, ½ und / 1 
zu verlangen, die Bäfte dieſe Mengen auch jetzt noch 
verlangen und hiefür bezahlen. Darnach iſt die von 
dem B. feſtgeſtellte Verpflichtung des L. zur Ver⸗ 
abfolgung der früheren Maßgrößen 95 von rechtlichen 
Bedenken. Daran wird auch durch die Behauptung 
des L. nichts geändert, daß er in den zurückgeeichten 
Gefäßen dieſelbe Menge abgebe, wie in den früheren 
Gefäßen. Aus der Verpflichtung des L., das Bier in 
Mengen von 1, ½ und ¼ ! abzugeben, folgt feine Ber⸗ 
pflichtung zum Anſchlag der Preiſe für dieſe einzelnen 

engen. Der Geſetzgeder hat den Art. 143 Abſ. 1 PStGB. 
damit begründet, „daß die Konſumenten in die Lage 
geſetzt ſein müſſen, ſich ſelbſt gegen Ueberforderungen 
der Gewerbetreibenden augenblicklich durch Berufung 
auf die angeſchlagene Polizeitaxe zu ſchützen“ (ſ. Edel, 
P StGB. vom 10. November 1861 Bem. 3 zu Art. 198). 
Der zum Anſchlag der Preiſe verpflichtete Gewerbe⸗ 
treibende genügt ſeiner Verpflichtung nicht ſchon dadurch, 
daß er den Preis nach einer beliebigen Maßgröße an⸗ 
ſchlägt, ſo daß das Publikum ihn 9 durch vorherige 
Umrechnung zu ermitteln oder ſich hierüber um Auf⸗ 
ſchluß an den Verkäufer zu wenden genötigt iſt; die 
Preisanſchläge müſſen vielmehr ſo gehalten ſein, daß 
ſie die für die verabreichten Maße zur Erhebung kommen⸗ 
den Preiſe zweifelsfrei entnehmen laſſen und daß jede 
Täuſchung des Publikums ausgeſchloſſen iſt (vgl. Bek. 
des StM. des K. H. und des Aeußeren vom 20. Mai 1913, 
den Bierpreisanſchlag der Wirte betr. [Amtsblatt 
S. 456). Dem entſpricht die von L. beliebte Art und 
Weiſe des Anſchlages feiner Vierpreiſe in bisher ganz 
ungebräuchlichen Maßgrößen unter Nichtangabe des 
Preiſes auch für die üblichen und verlangten Maßgrößen 
nicht, fie iſt vielmehr geeignet, über die wirklichen Preiſe, 
zu denen der Angeklagte das Bier verabfolgt, irrezu⸗ 
führen, alſo ungenügend und der beſtehenden geſetzlichen 
Vorſchrift nicht entſprechend. Hier kommt aber nach 


— — 


449 


den Feſtſtellungen des BG. noch hinzu, daß die Gäſte 
des L. von ihm 11 und ½ 1 verlangen und daß er 
ihnen auch dieſe Biermengen verabreicht, allerdings in 
Schankgefäßen, deren Sollinhalt nicht mit 11 und ½1 
bezeichnet iſt. Schon hieraus allein ergibt ſich, ohne 
daß es einer beſonderen Darlegung bedarſ, daß L., um 
der ortspolizeilichen Vorſchrift zu entſprechen, die Preiſe 
für die verlangten und abgegebenen Biermengen an⸗ 


zuſchlagen hat. (Urteil vom 7. Juli 1914 Rev.⸗Reg. 
Nr. 390/1914). Ed. 
8400 


II. 


Iſt das „Leichenbitten“ als Bettel zu erachten ? 
Der Landwirt H. beauftragte die Maurersfrau W., 
Verwandte und Bekannte in der Pfarrei E. zur Be⸗ 
erdigung ſeines Schwagers einzuladen und a 
ihr einen den Auftrag beftätigenden Zettel. Die W. 
BE 5 in der üblichen Weiſe das „Leichenbitten“ und 
erhielt von den Eingeladenen kleine Gaben. Das Be⸗ 
rufungsgericht ſprach ſie von der Anklage wegen 
Bettelns frei; die Revifion des StA. wurde verworfen. 

Aus den Gründen: Nach 8 361 Nr. 4 Stg. 
wird beſtraft, wer aus wirklicher oder angeblicher 
Dürftigkeit eine fremde Perſon um eine milde Gabe 
für ſeinen Lebensunterhalt angeht. Dabei wird kein 
ausdrückliches Fordern von Gaben vorausgeſetzt; es 
genügt jede in a ger Weiſe hierauf gerichtete Tätig⸗ 
keit. Die Strafbarkeit des Angehens um Gaben entfällt 
aber aus beſonderen, in ſozialen Berhältniffen, in 
näheren Beziehungen oder in einer örtlichen Uebung 
liegenden Gründen. Nur dürfen ſolche Verhältniſſe 
nicht bloß vorgeſchützt ſein, um ungeſtraft milde Gaben 
einzuheimſen; denn dann liegt verſteckter Bettel vor 
(RG. 20, 434; Goltd A. 45, 49; Obs. 5, 27; 12, 101). 
Die Angeklagte war mit dem „Leichenbitten“ beauf⸗ 
tragt, wobei es ihr überlaſſen blieb, die Verwandten 
und Bekannten des Verſtorbenen herauszuſuchen. Da⸗ 
durch war eine gewiſſe Beziehung zu den einzuladenden 
Perſonen hergeſtellt. Feſtgeſtelltermaßen entſpricht es 
ferner einer örtlichen Uebung („einer alten Sitte”), daß 
die Eingeladenen in Geld oder Lebensmitteln eine 
Kleinigkeit hergeben; auch iſt nicht als erwieſen er⸗ 
achtet worden, daß ſich die W. als Leichenbitterin auf⸗ 
gedrängt oder daß ſie als ſolche ihre Bedürftigkeit in 
irgend einer Weiſe zu erkennen gegeben hätte. Dar⸗ 
nach ſind mit Recht alle weſentlichen Merkmale einer 
Uebertretung nach 8 361 Nr. 4 Std. verneint worden. 
(Urt. vom 26. Auguſt 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 511/1914). 

3489 Ed. 


III 


Unterſchied zwiſchen Zolldefrande und Ordnungs- 
widrigkeit. Der 135 B88. umfaßt die vollendete und 
die verſuchte Zollhinterziehung; untanglicher Verſuch. 
Der Angeklagte H., ein Pferdehändler, atte in Oeſter⸗ 
reich ein Pferd um den von ihm als wertentſprechend 
erachteten Preis von 1250 K = 1062 M gekauft, bei der 
Eingangszollſtation aber nur einen Preis und Wert 
von 1160 K = 986 M angegeben, um den Zollunter⸗ 
ſchied von 22 M (72 —50 M) zu erſparen. Das LG. 
nahm die Abſicht der Zollhinterziehung an, erkannte 
aber nach den 88 136 Ziff. 16, 137 Abſ. 2 und 152 V3. 
nur auf eine Ordnungsſtrafe, weil das Pferd nach dem 
in der Hauptverhandlung abgegebenen Sachverſtän⸗ 
digengutachten ſchon zur Zeit der Deklaration nur 
800-900 M wert, und darum die Verübung einer De⸗ 
fraude nach dem 8 135 V3. objektiv unmöglich ge⸗ 
weſen ſei. Das Urteil wurde aufgehoben. 

Aus den Gründen: Das LG. hat die Abſicht 
des H., den Zoll zu 22 M zu hinterziehen, unmittelbar 
aus ſeinem Verhalten bei der Einführung des Pferdes, 
der Deklaration und Kaufpreisangabe entnommen. Bei 
dieſer Sachlage war für Anwendung des 8 136 Ziff. 1c 
VG. kein Raum, da die Rechtsvermutung des $ 135 
BZG. ihrer Natur nach nur dann in Frage kommt, 


450 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


wenn die Tatbeſtandsmerkmale der Kontrebande oder 
Defraudation nicht ſchon anderweit unmittelbar nach⸗ 
nn 8 (RG. 47, 29 ff.; Stenglein, Neben. 3. Aufl. 
1118 Note 2). Da die Anwendung des 8 137 Abſ. 2 
B.. nur in den Fällen des 8 136 unter 1c uſw. zus 
läſſig, dieſer Fall aber hier nicht gegeben iſt, ſind dieſe 
Geſetzesſtellen und der 8 152 838. zu Unrecht als für 
die Entſcheidung maßgebend erachtet worden. Ab⸗ 
geſehen hievon iſt mit der Feſtſtellung der Hinter⸗ 
ziehungsabſicht die Verhängung einer Ordnungsſtrafe 
wegen einer Uebertretung i. S. des 8 152 unvereinbar, 
die nur das objektive Vorhandenſein einer Ordnungs⸗ 
widrigkeit vorausſetzt (Löbe, Doll StR. 4. Aufl. Note 2 
zu 8 152). Darnach kommt auch der 8 93 VG. nicht 
in Frage (RG. 47 S. 29 ff.), auch wenn der Zoll auf 
Pferde ein Wertzoll iſt. Nach 8135838. wird geſtraft, 
wer es unternimmt, die Ein⸗ und Ausgangsabgaben zu 
hinterziehen. Unter „Unternehmen“ iſt jede auf die 
Erreichung eines beſtimmten Zieles gerichtete äußere 
Tätigkeit zu verſtehen, ohne Rückſicht darauf, ob das Ziel 
erreicht worden iſt oder nicht, oder mit anderen Worten, 
der Tatbeſtand des 8 135 BZ®. iſt gegeben, wenn je⸗ 
mand in einer Weiſe nach außen tätig wird, aus der 
die Abſicht erkennbar iſt, dem Zollfiskus den als geſchuldet 
erkannten Zoll vorzuenthalten. Der Tatbeſtand des 
§ 135 umfaßt daher die vollendete wie die verſuchte 
Hinterziehung des Zolls (Löbe, Note 5 zu 8 134; RG. 19, 
194; 17, 35; 42, 266 ff.). In der letzteren Entſcheidung 
hat das RG. ausgeſprochen, daß zum „Unternehmen“ 
die Verſuchshandlungen — aber nicht die vorbereiten» 
den Sun Lungen — gehören. Hierin im Falle des 
8 135 V3. die Grenze zu finden, muß der Prüfung im 
Einzelfalle überlaſſen bleiben. H. hat ſeinen rechts⸗ 
widrigen, auf Hinterziehung des Zolls gerichteten Willen 
(Vorſatz) in äußerlich erkennbarer Weiſe en und 
alles getan, was nach feiner Meinung erforderlich und 
geeignet war, dem Zollfiskus den geſchuldeten Zoll rechts⸗ 
widrig vorzuenthalten. Dieſer in die äußere Erſcheinung 
getretene verbrecheriſche Vorſatz reicht zur Beſtrafung 
hin, ohne Rückſicht darauf, daß der zur Verübung der 
Tat auserſehene Gegenſtand ſich nachträglich als hiezu 
untauglich erweiſt (vgl. neuerdings RG. in dem Ur⸗ 
teile vom 2. Juni 1913, E. 47, 191 ff.). (Urt. vom 
4. Juli 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 364/1914). Ed. 
3488 


Oberlandesgericht München. 


Das Gericht darf die Erlaſſung eines Berſäumnis⸗ 
urteils gegen den Beklagten nicht deshalb ablehnen, weil 
nicht teheht, ob der Beklagte Kriegsteilnehmer ift, und 
der Kläger ſich weigert eine Beſtätiaung hierüber bei: 
re Aus den Gründen: Die Fälle, in denen 

er Antrag auf Erlaſſung eines Verſäumnisurteils zu⸗ 
rückzuweiſen iſt, find im 8335 ZPO. erſchöpfend auf— 
geführt. Das Militärſchutzgeſetz vom 4. Auguſt 1914, 
das zugunſten der Kriegsteilnehmer und der von ihnen 
vertretenen natürlichen Perſonen eine Unterbrechung 
des Verfahrens verordnet, hat in dieſer Hinſicht die 
Vorſchriften der Zivilprozeßordnung nicht ergänzt. Es 
fragt ſich daher, ob die dort beſtimmte Unterbrechung 
des Verfahrens unter die im § 335 ZPO. enthaltenen 
Fälle eingereiht werden kann. Es kommen dabei nur 
die Sätze des Abſ. 1 Nr. 1 und 2 der Geſetzesſtelle in 
Betracht, die Nr. 3 ſcheidet hier von vornherein aus. 
1. Der § 335 Abſ. 1 Nr. 1 30. ſetzt voraus, daß die 
erſchienene Partei die vom Gerichte wegen eines von 
Amts wegen zu berückſichtigenden Umſtandes erforderte 
Nachweiſung nicht zu beſchaffen vermag. In der Recht— 
ſprechung und in der Rechtslehre wird faſt widerſpruchs— 
los anerkannt, daß die Beſtimmungen über die Unter— 
brechung des Verfahrens und ihre Wirkungen nicht 
zwingendes Recht find, ſondern der Parteiwillkür unter— 
liegen und daß deshalb Verſtöße gegen dieſe Verfahrens— 
vorſchriften nach $ 295 ZPO. heilbar find (vgl. Stein, 
ZPO. S 295 IL 2b, 8 219 III, 8 251 JI; Struckmann- 


— 


— 
— 


Koch, BO. 8 249, 3; Förſter⸗Kann, ZPO. 8 249, 1 b, ce; 
Skonietzki⸗Gelpcke, ZPO. 8 249, 8 und die daſelbſt an⸗ 
eführten Erkenntniſſe der oberen Gerichte). Die Parteien 
önnen auf die Einhaltung der nur zu ihrem Vorteile 
beſtimmten Friſten, insbeſondere auch der Einlaſſungs⸗ 
friſt wirkſam verzichten (88 224, 249 Abſ. 1 a. a. OC.) 
und die während der Unterbrechung des Verfahrens 
in Anſehung der Hauptſache vorgenommenen Prozeß⸗ 
handlungen find nur „der anderen Partei gegenüber” 
ohne rechtliche Wirkung (8 249 Abſ. 2 a. a. O.), woraus 
mit Recht gefolgert wird, daß die während der Unter⸗ 
brechung ergangenen richterlichen Entſcheidungen nicht 
nichtig, ſondern nur anfechtbar find und durch Ge⸗ 
nehmigung der Partei, zu deren gunſten das Verfahren 
unterbrochen iſt, vollwirkſam werden (vgl. Stein a. a. O. 
8249 III 2). Das Gericht hat alſo auch im Verſäͤumnis⸗ 
verfahren nicht von Amts wegen die Frage zu berück⸗ 
na igen ob ein Unterbrechungsgrund vorhanden iſt, 
und iſt demzufolge auch nicht berechtigt, von der das 
Verſäumnisurteil beantragenden Partei von Amts 
wegen den Nachweis zu verlangen, daß kein Unter⸗ 
brechungsgrund vorliegt. Nur dann, wenn ihm ein 
Unterbrechungsgrund bekannt ift (Stein a. a. O. 8 249 IV) 
oder wenn ſich aus den Umſtänden des einzelnen Falles 
für den Unterbrechungsgrund eine derartige Vermutung 
ergibt, daß dem Antragſteller der Nachweis des Gegen⸗ 
teils billigerweiſe zugemutet werden darf, kann und 
muß das Gericht die weiteren richterlichen Handlungen 
verweigern, bis klargeſtellt iſt, daß der vermutete 
Unterbrechungsgrund nicht vorhanden iſt. Die erſtere 
Vorausſetzung beruht auf dem Gedanken des 8 291, 
wonach auch das Gegenteil von den Behauptungen. 
die ausdrücklich oder ſtillſchweigend im Rechtsſtreit auf⸗ 
geſtellt werden, keines Beweiſes bedarf, wenn es dei 
Gericht offenkundig iſt; die zweite Vorausſetzung ent⸗ 
ſpricht den Regeln, die ich aus dem im 8 286 beſtimmten 
Grundſatze der freien Beweiswürdigung ergeben (vgl. 
dazu Stein a. a. O. 8 282 IV 7). Die Vorſchrift in 8 331 
Abſ. 1 3 PO. ſteht nicht entgegen, da es ſich dabei nicht um 
eine klagebegründende Tatſache handelt. Das Militär⸗ 
ſchutzgeſetz enthält für das hinſichtlich der Unterbrechung 
zu beobachtende Verfahren keine beſonderen Vorſchriften: 
als ein die Zivilprozeßordnung ergänzendes Geſetz muß 
es ſeine eigene Ergänzung aus dieſem Geſetz entnehmen, 
ſofern nur ſein beſonderer Zweck keine andere Beurteilung 
erheiſcht (vgl. dazu auch die Begründung des Entwurfs 
zu 82 Abſ. 4 und Nr. II, 1 bayer. Vollzek. vom 16. Aug. 
1914). Das letztere trifft aber für die hier zu ent⸗ 
ſcheidende Frage nicht zu. Der Schutz, der dem Kriegs⸗ 
teilnehmer und der von einem ſolchen vertretenen 
natürlichen Perſon billigerweiſe gewährt werden muß, 
wird unter Ausgleichung mit den gegenteiligen Intereſſen 
vom Geſetze dadurch erſtrebt, daß dieſer Perſon und 
ihrem Geſamtrechtsnachfolger (8 239 ZPO.) gegen das 
im unterbrochenen Verfahren erlaſſene Urteil der Ein⸗ 
ſpruch, die ordentlichen Rechtsmittel und die Nichtig⸗ 
keitsklage zuſtehen (&$ 338, 511, 545, 579 Abſ. 1 Nr. 4 
BBO.), daß nach den SS 5 und 6 Mil Schutz. die Zwangs- 
vollſtreckung gegen einen Kriegsteilnehmer erheblichen 
Beſchränkungen unterliegt und die Eröffnung des Kon⸗ 
kurſes über das Vermögen eines Kriegsteilnehmers nur 
auf deſſen Antrag zuläſſig iſt. Es mag dahingeſtellt 
bleiben, ob dieſe Vorſchriften einen ausreichenden Schutz 
erreichen; maßgebend ift, daß das Geſetz ihn für zu— 
reichend erachtete, wie deutlich die Begründung des 
Geſetzentwurfes zu 85 ergibt. Mit Ruckſicht auf den 
Zweck des Geſetzes wird hiebei allerdings davon aus- 
zugehen fein, daß das Vollſtreckungsorgan und das 
Konkursgericht die ihnen angeſonnene, nach dem Mil. 
Schutz. aber unzuläſſige Maßnahme nur dann vor» 
nehmen dürfen, wenn ihnen glaubhaft nachgewieſen 
iſt, daß der Gegner kein Kriegsteilnehmer iſt; bei der 
Befriedigungshandlung muß hier im Auge behalten 
werden, daß die Rechte des Kriegsteilnehmers unwider⸗ 
bringlich verloren ſein könnten, wenn nicht von Amts 


Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. | 451 


wegen die Zuläſſigkeit der Maßregel geprüft werden 
dürfte. Wird daher ein Verſäumnisurteil begehrt, fo 
darf das Prozeßgericht, da mit dem Antrage ſti 
ſchweigend behauptet wird, daß der Gegner weder ein 
Kriegsteilnehmer noch eine von einem ſolchen vertretene 
natürliche Perſon iſt, in eine Prüfung dieſer Verhält⸗ 
niſſe nur dann eintreten, wenn das Gegenteil entweder 
ihm ſchon bekannt oder doch nach den beſonderen Um⸗ 
ſtänden des Einzelfalls zu vermuten iſt. Dieſe Ver⸗ 
mutung wird namentlich dann begründet fein, wenn 
die Klage nach 8 203 ZPO. öffentlich, nach 8 182 durch 
Niederlegung an drittem Orte oder nach 88 181 — 186 
durch Erſatzzuſtellung zugeſtellt wurde und letzteren 
Falles aus den Erklärungen des Empfängers oder 
Dritter, die vom Zuſtellungsbeamten in die Zuſtellungs⸗ 
urkunde aufzunehmen ſein werden, ſich ergibt, daß der⸗ 
jenige, dem zugeſtellt werden ſoll, zu den vom Geſetze 
geſchützten Perſonen gehört. Es wird hierdurch nicht 
rn en, daß wie fonft fo auch hier das Prozeß⸗ 
gericht nach 8 432 oder 8 144 ZBO. ſei es auf Antrag 
des Klägers oder von Amts wegen von Behörden amt⸗ 
liche Auskünfte oder Gutachten erholt, um ſo die Kriegs⸗ 
teilnehmereigenſchaft des Beklagten oder ſeines Ver⸗ 
treters ausreichend klarzuſtellen (vgl. dazu auch Stein 
ZBO. vor 8 373 W). Eine zu enge Auffaſſung vertritt 
hier Förder (JW. 1914 S. 814), wenn er die Prüfung 
des Gerichts nur von der Parteitätigfeit abhängig 
machen will. — 2. Auch die Vorſchrift im 8 535 Abſ. 1 
Nr. 2 ZPO. führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach 
iſt der Antrag auf Erlaſſung eines Verſäumnisurteils 
dann abzulehnen, wenn die nicht erſchienene Partei 
nicht ordnungsgemäß, B nicht u Al 
laden war. Sowohl der 8 2 wie der 8 9 Abſ. 2 Mil.- 
Schutz. ſetzen voraus, daß gegen einen Kriegsteilnehmer 
oder gegen eine von einem ſolchen vertretene natür⸗ 
liche Perſon eine Klage durch Zuſtellung rechtshängig 
gemacht werden kann. Das Geſetz läßt Rechtsſtreite 
gegen ſolche Perſonen „anhängig werden“, es läßt dieſe 
„verklagen“; ein Rechtsſtreit wird aber nach 8 263 ZPO. 
nur dadurch anhängig, daß die Klage erhoben, ſohin 
nach 8 213 dieſes Geſetzes die Klageſchrift dem Beklagten 
zugeſtellt wird. Verfehlt iſt es, ſchon der Einreichung 
der Klageſchrift bei Gericht zur Terminsbeſtimmung die 
Wirkung der Anhängigkeit beizumeſſen (ſo Sieskind, 
Prozeßrechtlicher Schutz der Kriegsteilnehmer S. 11); 
Anhängigkeit und Rechtshängigkeit einer Klage ſind 
ſtets dieſelben Begriffe. Zu der gleichen Auffaſſung 
gelangt man, wenn man den Begriff der Unterbrechung 
einer Prüfung unterſtellt. Jede Unterbrechung eines 
rozeßverfahrens ſetzt voraus, daß der Rechtsſtreit rechts⸗ 
ängig geworden iſt, weil etwas, was nicht vorhanden 
iſt, nicht unterbrochen werden kann. Die Vorſchriften 
in den 88 239 bis 245 ZPO. laſſen deutlich erkennen, daß 
das Verfahren auch i. S. des Geſetzes nur dann „unters 
brochen“ zu werden vermag, wenn die den Fortgang des 
Rechtsſtreits hindernde Tatſache nach der Erhebung 
der Klage, nach der Rechtshängigkeit der Streitſache ein⸗ 
ee iſt (RG. in JW. 1895 S. 324; Gruchots Beitr. 39, 
138; Os. 3, 136). Für die Anwendung des Mil.⸗ 
Schutz Z. folgt hieraus, daß gegen eine der hierin ge⸗ 
ſchützten Perſonen die Klage noch rechtsgültig erhoben 
und ihnen wirkſam zugeſtellt werden kann, daß aber 
unmittelbar im Anſchluß an die Zuſtellung das Ver⸗ 
fahren als unterbrochen anzuſehen iſt. Auch die Be⸗ 
ründung des Entwurfes zum Mil Schutz. bei 6 2 wie 
ie bayer. VollzBek. vom 16. Auguſt 1914 ſtehen auf 
dieſem Standpunkte. Dort iſt ausdrücklich bemerkt, 
die Erhebung der Klage, die erſt die Rechtshängigkeit 
begründe, ſei zuläſſig und wirkſam, was ſchon in den 
Worten des § 2 „oder anhängig werden“ angedeutet 
ſei, auch aus dem Begriffe der Unterbrechung folge 
und daher einer weiteren Hervorhebung im Geſetze 
nicht bedürfe; in der Regel freilich werde die Erhebung 
der Klage tatſächlich unterbleiben, weil, wenn auch ein 
Urteil, doch immerhin kein wirkſames Urteil einſt⸗ 


weilen erzielt werden könne. Dieſelbe Anſicht wird 
auch von Mannsfeld (Bay ZfR. 10, 333) vertreten. Wenn 
ihr gegenüber Kipp (DIZ. 19, 1026) darauf hinweiſt, 
daß es ſich um „Buchſtaben⸗Jurisprudenz“ handle, wenn 
man ein Verfahren erſt dann unterbrechen laſſen wolle, 
wenn es begonnen habe, ſo überſieht er, daß ſeine 
Auffaſſung nicht nur dem Sprachgebrauche, ſondern 
auch dem Wortlaut und der Abſicht des Geſetzes wider⸗ 
ſpricht und für den Gläubiger Härten ſchafft, die mit 
Rückſicht auf die prozeß⸗ und die bürgerlich⸗ rechtlichen 
Folgen der Klageerhebung nicht mehr einen Ausgleich 
der beiderſeitigen Intereſſen ſondern eine das billige 
Maß überfchreitende Faden der Kriegsteilnehmer 
bedeuten würde. Iſt aber die Klageerhebung gegen 
die in den 88 2 und 9 Mil Schutz. genannten Perſonen 
zuläſſig und wirkſam und wird das Verfahren gegen 
ſie erſt unmittelbar im Anſchluß an die Klagezuſtellung 
unterbrochen, ſo iſt auch die Beſtimmung des Ver⸗ 
andlungstermins zuläffig und wirkſam, da dieſe der 
lagezuſtellung vorauszugehen hat (8 261 ZPO.) In 
gleicher Weiſe iſt die Ladung gürtig, weil diefe ſchon 
in der Klageſchrift enthalten iſt (8 253 a. a. O.). Auch 
die durch das MilSchutz J. geſchützten Perſonen find 
dann durch die 2800. 5 der Klageſchrift i. S. des 
335 Abſ. 1 Nr. 2 BO. ordnungsmäßig geladen, fie 
nd es auch rechtzeitig, d. h. unter Wahrung der Ein⸗ 
laſſungsfriſt, ſolange nicht für das Gericht in der unter 
Nr. 1 bezeichneten Weiſe der Unterbrechungsgrund des 
Mil Schutz. dargetan iſt, weil inſolange die Unterbre⸗ 
chung des Verfahrens und damit auch das Aufhören des 
Friſtenlaufs (8 249 a. a. O.) nicht zu berückſichtigen iſt. 
Mit dieſen e wird auch die bayer. Vollz.⸗ 
Bek. vom 16. Auguſt 1914 (A II 1 Abſ. 4 a. E.) nicht im 
Widerſpruche ſtehen, inſofern ſie dem Prozeßgericht 
hinſichtlich des Unterbrechungsgrundes nicht eine „Be⸗ 
rückſichtigung“ von Amts wegen anſinnt und mit der 
Prüfung von Amts wegen ſichtlich nur die Vorſchrift 
des 8 144 3PO. im Auge hat. Wenn Mannsfeld a. a. O. 
meint, der Kläger habe ſtets glaubhaft zu machen, daß 
der Beklagte, ob Mann oder Frau, nicht C 
ſei, ſo liegt dem gegenüber auf der Hand, daß die 
Durchführung dieſer Auffaſſung erheblichen Schwierig⸗ 
keiten begegnet, den Verkehr in ungemeſſener Weiſe 
belaſtet, die Klageerhebung grundlos verzögert und 
möglicherweiſe den Gläubiger unnötig ſchädigt. Sie 
begünftigt grundlos ſäumige Schuldner, die nicht Kriegs⸗ 
teilnehmer ſind, während die Kriegsteilnehmer aus⸗ 
reichend vom 19 80 geſchützt ſind, wenn die hier ver⸗ 
tretene Anſicht richtig zur Geltung gebracht wird. (Beſchl. 
des IV. 8 S. vom 28. Okt. 1914, Beſchw.⸗Reg. Nr. 661/14). 
3477 Mitgetellt von Rechtsanwalt Dr. Os wald in München. 


Berichtigung: In Nummer 23 iſt auf S. 431 
in der zweiten Spalte zwiſchen den Zeilen 21 und 22 
einzuſchalten: „den Anſpruch unter b ſowie“. 


Landgericht Memmingen. 


u Art. 101 PStGS .: Kann die Baupolizeibehörde 
das Anſtreichen von Feuſter laden verlangen 7 Berjährung 
von Baupolizeiübertretungen. Die Baupolizeibehörde 
genehmigte einem Taglöhner einen Wohnhausbau unter 
der Bedingung, daß die Fenſterläden dunkelgrün an⸗ 
geſtrichen werden. Bei der Baukontrolle ſtellte ſich 
heraus, daß die Fenſterläden nur geölt waren. Die 
Koſten der Streichung hätten 30 M betragen. Das 
Bezirksamt verlangte Strafeinſchreitung. Das SHh®. 
ſprach frei; die Berufung des AA. wurde zurückgewieſen. 

Aus den Gründen: Die Anklage ſtützt ſich auf 
Art. 101 Abſ. 1 und 3 PStGB. und die diſtriktspol. 
Vorſchriften vom 10. Februar 1911 betr. Heimatſchutz, 
ſowie auf $ 367 Nr. 15 St. Nach Art. 101 Abſ. 3 
StGB. können um der Verſchönerung willen baupol. 
Vorſchriften durch diſtriktspol. Vorſchriften getroffen 


werden. Auf Grund des Art. 22 b und des Art. 101 


452 


Abſ. 3 hat das Bezirksamt diſtriktspolizeiliche Vor⸗ 
ſchriften zum Schutz des orts- und landſchaftlichen 
Bildes erlaſſen. Nach deren 8 6 find innerhalb der 
von der Baupolizei geſetzten Friſt häßliche Außenteile 
eines Gebäudes inſtand zu ſetzen. Nach 8 10 unter⸗ 
liegt jede Aenderung der Faſſaden von Gebäuden an 
Straßen uſw. der baupol. Genehmigung. Eine Aende⸗ 
rung der Faſſade kommt aber bei dem Anſtreichen der 
Fenſterläden nicht in Betracht. Die „Inſtandſetzung“ 
eines häßlichen Außenteils ſetzt einen Verfall voraus, 
der hier ausgeſchloſſen iſt. Beide Beſtimmungen ver⸗ 
ſagen ſomit. Beſſere Ausſicht hätte die Berufung auf 
& 1 gehabt, der verlangt: „Bei allen baulichen Bor» 
nahmen iſt in Form, Stoff und Farbe auf die Er⸗ 
11 und S ar eines befriedigenden Geſamt⸗ 
ildes und, wenn tunlich, auf die heimiſche Bauweiſe 
Rückſicht zu nehmen.“ Aber nach der Entſcheidung 
des Obs. vom 11. Nov. 1911 (Bay 3R. 1912 S. 114) 
können ſich baupol. an zur Verſchönerung nur 
auf die Geſamtanlage und die weſentlichen Beſtandteile 
eines Gebäudes, nicht aber auf die Anbringung von 
beweglichen Beigaben wie Schmuckfiguren, Fenſterläden 
uſw. erſtrecken, weil Gegenſtände dieſer Art nicht 
weſentliche Beſtandteile eines Gebäudes find und es 
— nach einem Ausdrucke im Landtage — ein „Miß⸗ 
brauch der Verſchönerungsſucht' fein würde, wenn 
trotzdem die Genehmigung eines Baugeſuches von der 
Anbringung ſolcher Gegenſtände abhängig gemacht 
würde (vgl. auch Obs St. 11, 340; 9, 254). Die Bau⸗ 
polizeibehörde kann alſo nicht die eee von 
Fenſterläden verlangen, noch weniger eine beſtimmte 
Farbe des Anſtriches vorſchreiben. 

Nach 8 367 Nr. 15 StB. wird ein Bauherr be⸗ 
ſtraft, der beim Bau eigenmächtig von dem durch die 
Behörde genehmigten Bauplan abweicht. Früher wurde 
die Anſicht vertreten, daß jede eigenmächtige Abweichung 
ſtrafbar macht (Obs SSt. 1, 252; 4, 231); fie iſt längſt 
dahin geändert, daß die der Genehmigung beigefügten 
beſonderen Anordnungen uſw. in der Bauordnung oder 
in ſonſtigen Verordnungen, in ober⸗ und ortspolizei⸗ 
lichen Vorſchriften begründet fein müſſen (Obs St. 4, 
150; 5, 107; 8, 285; 9, 24; 11 388 /9). Nach dem oben 
Ausgeführten kann aber die bezirksamtliche Anordnung 
nicht auf Art. 101 Abſ. 3 P StGB. und die diſtrikts⸗ 
pol. Vorſchriften gegründet werden; auch die Bauord⸗ 
nung enthält keine ſolche Ermächtigung. Die von der 
Baupolizeibehörde auferlegte Bedingung iſt unwirkſam, 
ihre Nichteinhaltung nicht ſtrafbar. 

Uebrigens wäre die Strafverfolgung verjährt. 
Die feſtſtehende Rechtſprechung des Obs. geht dahin, 
daß ein Bau mit der Vollendungsanzeige der Orts⸗ 
polizeibehörde an die Baupolizeibehörde rechtlich als 
vollendet gilt (8 73 BauO.) . Mit dieſem Zeitpunkt be⸗ 
ginnt die Verjährung, ſoweit nicht etwa ein gefahr- 

rohender Zuſtand geſchaffen wurde. Die Fortdauer 
des Geſchaffenen, nur ordnungswidrigen Zuſtandes iſt 
belanglos (vgl. RGSt. 26, 261 u. 37, 79). Belanglos 
iſt, daß das Bezirksamt noch vor der Verjährung dem 
K. eine neue Aufforderung zugehen ließ und daß es 
ihm ſpäter eine Vollzugsfriſt bis zum 1. Dezember 1913 
ſetzte. Dieſe Handlungen unterbrachen die Verjährung 
nicht und brachten ſie mangels geſetzlicher Vorſchrift 
auch nicht zum Ruhen (8 67 StGB.). Die Entſcheidung 
des OLG. München 2, 516 betrifft die Herbeiführung 
eines gefahrdrohenden Zuſtandes; die Ausführungen 
über Erſtreckung der Verjährung durch Friſtbeſtim⸗ 
mung der Bauvpolizeibehörde widerſprechen der ans 
geführten neuen Rechtſprechung, haben übrigens nur 
die Herbeiführung eines feuergefährlichen Zuſtandes im 
Auge. In dieſem Fall iſt die Verjährung auch ohne 
Friſtbeſtimmung gehemmt (Obs GSt. 3, 133; 5, 109). 
(Urt. vom 12. März 1914, Ber.⸗Reg. 27/14). M. 

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Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig.] 


geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 


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Pächeranzeigen. 


ieskind, Dr. J., Landrichter a. D. Prozeßrecht⸗ 
e licher 6055 der Kriegszeit. Berlin 1914, 
J. Guttentag G. m. b. O. Preis 1.60 Mk. 

Das Büchlein — es enthält 70 Seiten im Oktav⸗ 
format — iſt ein Kommentar zu dem Geſ. vom 4. Aug. 
1914, betr. den Schutz der infolge des Krieges an Wahr⸗ 
nehmung ihrer Rechte behinderten Perſonen. In einem 
Anhang find beigefügt das Geſ. v. gl. Tage über die 
Ermächtigung des Bundesrats zu wirtſchaftlichen Maß⸗ 
nahmen und über die Verlängerung der Friſten des 
Wechſel⸗ und Scheckrechts im Ja e kriegeriſcher Ereignifle, 
ferner die im Vollzug dieſes sr in der Zeit vom 
6.— 18. Auguſt 1914 ergangenen elanntmachungen des 
Reichskanzlers und fünf Verfügungen des preußiſchen 
Juſtizminiſters. Das Buch iſt eine eingehende und 
gründliche Arbeit und geeignet, der Praxis gute Dienſte 
zu leiſten. In einigen Punkten kommt der Berfaſſer 
zu anderen Ergebniſſen als die fuftematifche Darſtellung 
des Rechtes, die das bayeriſche are in 
der Bek. vom 16. Auguſt 1914 (JM l. 141) brachte. ſo 
in der Auslegung des Wortes „anhängig“ in 8 2 des 
Geſ. vom 4. Auguſt 1914, woraus er insbeſondere folgert, 
daß bei neuen Klagen eine Terminsanſetzung nicht mehr 
ſtattfindet. Schi 


v. Sniner, Karl Auguſt, K. Oberregierungsrat. Das 
Geſet über den Kriegs zuſtand vo m 5. No⸗ 
vember 1912 in der Faſſung vom 6. Auguſt 
1914. Mit Erläuterungen und einem Anhang. 111 S. 
München 1914, C. H. Beckſche Verlags buchhandlung, 
Oskar Beck. Geb. Mk. 1.—. RE ii 

Das Büchlein iſt ein guter Führer durch ein mo 
nur den N Juriſten bekanntes Rechtsgebiet. 

Es enthält in ſeinem Hauptteil außer dem Geſetz vom 

5. November 1912 noch die Bekanntmachungen vom 

13. und 17. März 1913, die Vollzugsvorſchriften zu 

dem Geſetz über den Kriegszuſtand ſowie die Voll⸗ 

ſtreckung der militärgerichtlich und ſtandrechtlich er⸗ 
kannten Todesſtrafen betreffend. Im Anhange finden 
wir unter elf Nummern die einſchlägigen Reichs⸗ und 

Landesgeſetze, unter Nr. 2 ein ehr bedauerliches Ueber⸗ 

bleibſel aus alter Zeit: „Die in der Pfalz in bezug 

auf den Kriegszuſtand geltenden franz o ſiſchen Ge⸗ 
ſetze () Daß ihre Geltung beſtritten iſt, macht die Sache 

kaum erfreulicher. —t. 


ulins, Gerichtsaſſiſtent in 5 

ls: N renordnung. 

102 S. 1914. Im Selbſtverlag des Berfaflers. 
Preis Mk. 1.20. 

Das Büchlein ſcheint mir eine beſondere Emp⸗ 
fehlung zu verdienen. Denn es bringt eine alpha⸗ 
betiſche Gebührenordnung: in der erſten Spalte, 
alphabetiſch geordnet, mehr als ein Sachregiſter, in 
der zweiten die Höhe der Gebühren, in der dritten 
die einſchlagenden Paragraphen der Gebührenordnung 
und in der vierten größten Spalte erläuternde Bes 
merkungen. Beigegeben ſind eine Wertſtufentabelle 
bis 100 000 Mk. mit %%, 0, 1/10, /o, /10 Gebühr 
nebſt Pauſchale und ein Abdruck der Gebührenordnung, 
in dem zum mindeſten die Verweiſungen (3. B. in 
8 20) durch Abdruck hätten erleichtert werden ſollen. 

Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel. 


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Verantwortl. Herausgeber i. B.: E. Eckert, Land⸗ 
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz. 


Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing. 


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