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Th. von der Pfordten
R. Regierungsrat, im R Bayer,
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10. Jahrgang
1914
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Zeitſchrift für Rechtspflege
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Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Kgl. Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
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X. Jahrgang 1914.
1914.
München, Berlin und Leipzig.
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).
Drud: Dr. F. P. Datte rer & Cie. (Inh. Arthur Selliet), München- F reiſing.
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Kr
Bürgerliches Recht.
Zivilprozeß.
Freiwillige Gerichtsbarkeit.
Strafrecht.
. Staatsrecht.
Verwaltungsrecht
Juſtizverwaltung.
Finanzweſen
Allgemeines
5
. Handelsrecht.
Gewerberecht
. Gerichtsverfaſfung
Zivilprozeß
Konkursverfahren. San eigen
Freiwillige Gerichtsbarkeit. Zwangserziehung
Inhaltsverzeichnis zum Regiſter.
1. Syſtematiſches Verzeichnis.
A. Abhandlungen.
Handelsrecht
. Zwangs⸗
vollſtreckung
Srunbiuchnefen
Straſprozeß . 8
B. Kleine Mitteilungen.
Bürgerliches Recht
. Handelsrecht
Zivilprozeß. Zwangsvollſtredung
Freiwillige Gerichtsbarkeit.
Gerichtskoſten, n in :
. Strafrecht 2
. Strafprozeß
Verwaltungsrecht
Juſtizverwaltung .
C. Rechtſprechung.
Bürgerliches Recht
A. Reichsrecht.
a) Allgemeiner Teil f
b) Recht der Schuldverhältniſſe 3
1. Allgemeiner Teil
2. Einzelne Schuber
e) Sachenrecht IB .
d) Familienrecht
e) Erbrecht
k) Einführungs⸗ und Vebergangerect
B. Landesrecht a
Sefelafreit
140151
Seite
8. Grundbuchweſen ; XI
9. Gerichtskoſten. Gebühren XII
10. Strafrecht ; XII
A. Reichsrecheht XI
a) Strafgeſetzbuch XII
b) Nebengeſetze XIII
B. Landesrecht XIII
11. Strafprozeß XIV
12. Staatsrecht und Verwaltungsrecht XIV
D. Geſetzgebung und Verwaltung.
1. Geſetzgeberiſche n aus Anlaß des
Krieges ; . XIV
2. Bürgerliches Recht Ne XIV
3. Handels-, Wechſel⸗ und ecetra XIV
4. Zivilprozeß. XIV
5. Strafrecht 8 XIV
6. Gerichtsverfaſſung XIV
7. Gebühren XIV
8. Verſicherungsrecht XIV
9. Kirchenrecht XV
10. Staatsrecht und Verwaltung. XV
11. Verkehrsweſen XV
12. Militärverwaltung XV
13. Juſtizverwaltung XV
. Statiſtik XV
15. Internationales Recht. XV
E. Sprachecke. XV
II. Alphabetiſches Verzeichnis XvI
III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen.
A. Reichsgeſetze XXIV
B. Landesgeſetze . XXVIII
C. Anhang XXIX
IV. Verzeichnis der Mitarbeiter XXX
V. Beſprochene Bücher und Zeitſchriften XXXI
I. Syftematiſches Verzeichnis.
(Die Zahlen bedeuten die Seiten.)
1. Bürgerliches Recht. Handelsrecht.
Die Haftung des Staates für Zingehörige des
baveriſchen Heeres. Regierungsrat im Staats⸗
miniſterium der Juſtiz Theodor von der
Pfordten
Eigentum am Ueberbau. Amtsrichter Aug. Schmitt
n München
igentumßuerpättnifle beim Bau auf der Grenze.
eichsgerichtsrat L. Buſch in Leipzig
Zur Rechtſprechung über die Kommunmauern.
Rechtsanwalt Dr. Georg Nützel in München
Die drei Hauptfragen des Kommunmauerrechts.
Juſtizrat Rechtsanwalt Dr. Karl Buhmann
in München 197, 223
. und Ablöſung der neurechtlichen
chener Gemeinſchaftsmauer. Landgerichts⸗
rat Heinrich Lieberich in München 237, 260, 290
Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Verträge mit
89. Automatenfirmen. Rechtsanwalt Dr. Otto
Hipp in München
Studien zur Rechtſprechung auf dem Gebiete des
ternationalen Privatrechts. Dr. jur. Peter
lein, Privatdozent an der Univerſität Königs⸗
berg i. Pr.
Einfluß des Krieges auf Rechte und Verbindlich⸗
keiten des Bürgerlichen Rechts. Reichsgerichts⸗
rat Karl Mansfeld in Leipzig 349
Wohnſitz, Wohnung und Geſchäftslokal der Militär:
perſonen während des Krieges. Landgerichts⸗
rat Joſeph Schiedermair in München
Die Novelle zum Handelsgeſetzbuche. Landgerichts⸗
rat A. Bedall in München 365
Umwandlung einer Geſellſchaft mit beſchränkter
aftung in eine Aktiengeſellſchaft. Dr. Hermann
ein, Notariatspraktikant in München
Unwirkſamkeit und Nichtigkeit des Rechtsgeſchäfts.
Oberlandesgerichtsrat Dr. Wilhelm Silber»
ſchmidt in Zweibrücken 133,
Iſt die Hypothek auf einem im Miteigentume nach
Bruchteilen ſtehenden Grundſtücke eine Geſamt⸗
hypothek? Amtsrichter Dr. Emil Höchſtädter
in München
Die zwangsweiſe Verwaltung auf Grund des
8 1a BGB. Rechtsanwalt Dr. Fritz Rockſtroh
in Berlin
7
58
157
179
225
313
3593
417
160
92
118
2. Zivilprozeß. Konkursverfahren. Zwangsvollitredung.
Sind verkündete amtsgerichtliche Beſchlüſſe im
Parteibetrieb oder von Amts wegen zuzuſtellen?
Amtsrichter Hans Dittrich in München
Sind in dem Verfahren vor den Amtsgerichten
verkündete Beſchlüſſe des Gerichts von Amts
37
A. Abhandlungen.
wegen zuzuſtellen? Profeſſor, Kgl. Geheimer Rat
Dr. L. v. Seuffert in München 57
| Die Zuſtellung von Beſchlüſſen im amtsgericht-
|
)
| Erläuterungen
lichen Verfahren. Rechtsanwalt am Kammer:
gericht Dr. Richard Kann in Berlin
Beitreibung von Wechſelforderungen. Landgerichts⸗
rat Dr. Albert Bittinger in München
Bargebotserhöhungen. Amtsrichter Hans Ditt⸗
rich in München 242, 264
Das Aufrechnungsrecht des Erſtehers im Zwangs⸗
verſteigerungsverfahren. Rechtsanwalt Richard
Berolzheimer in München
Die Berechnung des pfändbaren Gehaltes oder
Lohnes (8 850 ZPO., 88 1. 3, 4 Lohn BG.)
Amtsrichter Dr. Hermann Stepp in Nürnberg 401
zam Geſetze vom 4 Auguſt 1914, betr.
den Schutz der infolge des Krieges an Wabr⸗
nehmung ihrer Rechte behinderten Perſonen.
Reichsgerichtsrat Karl Mansfeld in Leipzig 333
Die Zwangsverſteigerung aus dem ne und
dem persönlichen Vollſtreckungstitel. Amtsrichter
Dr. Wilhelm Kriener in Landshut 439
3. Freiwillige Gerichtsbarkeit. Grund buchweſen.
113
203
379
Zur Frage der Unterichriitäbeglaubigung nach
bayeriſchem Notariatsrechte. Reichsgerichts rat
Gottfried Schmitt in Leipzig
Bayeriſche Eigenarten im Vormundſchaftsweſen.
Amtsrichter Matthias Mayr in München
Zu 8 22 Abſ. 2 der Grundbuchordnung. Land⸗
gerichtspräſident Eugen Krafft in Landshut
Prüfungspflicht des Regiſterrichters in Geſchmacks⸗
muſterſachen. Oberamtsrichter Franz Simon
in Augsburg 137, 164,
Rechtskräftige Urteile und Rechtswidrigkeiten der
Beteiligten im Verfahren der freiwilligen Ges
richtsbarkeit. Rechtsanwalt Dr. Eugen Joſef
in Freiburg i. Br.
4. Strafrecht. Strafprozeß.
Konkurrenz von Preßdelikten. Rechtskraftfragen.
Zur Auslegung der 88 73 StGB. und 415 St; O.
Profeſſor Dr. Friedrich Oetker in Würzburg
Rechtspflege und Irrenfürſorge (Mit 4 bildlichen
Darſtellungen). Direktor der Heil- und Pflege⸗
anjtalt Dr. Guſtav Kolb in Erlangen
Ueber Strafvollſtreckung. Amtsrichter Edmund
Fumian in Straubing 114,
Der Vorentwurf zu einem Strafvollzugsgeſetz.
Miniſterialrat Dr. Karl Meyer in München
Verleſung von Schriftſtücken Verſtorbener im
Strafverfahren. Reichsgerichtsrat Valentin
Grimm in Leipzig
35
81
— — 000000700
Verleſung der Aussagen von Kriegsteilnehmern
(8.250 StPO.). Oberlandesgerichtsrat Neu⸗
miller in München
Zur Auslegung des Art. 92 Ziff. 1 des bayeriſchen
Forſtgeſetzes. Sd Auguſt Mayer
in Memmingen
Das Geſetz gegen den Verrat militäriſcher Geheim⸗
niſſe. I. Staatsanwalt Hahn in München 336,
Zur Bildung von Geſamtſtrafen. Landgerichtsrat
Dr. Jakob Keßler in München
Idealkonkurrenz und Aenderung der Strafklage im
Standrecht. I. Staatsanwalt A. Zeiler in
Zweibrücken
5. Staatsrecht.
Straferlaß und Strafmilderung im Dienſtſtraf⸗
verfahren des bayeriſchen Deamtengejebed. Ober:
poſtinſpektor Korzendorfer in
Straferlaß und Strafmilderung im Dienſtſtraf⸗
verfahren des baveriſchen Deamtengejebe. Mini-
ſterialrat Dr. Max Reindl in München
Der Einfluß des Krieges auf die Wählbarkeit jn
Gemeindeämtern. Juſtizrat Dr. M. Mayer in
Frankenthal
Ein Beitrag 75 Auslegung des bayeriſchen Fidei⸗
bommißedi ts. Rechtsanwalt Link in Würz⸗
urg
I. Syſtematiſches Verzeichnis.
egensburg 201
217
414
6. Verwaltungsrecht.
Der Ueberweiſungs⸗ und Scheckverkehr der Poſt.
393 Poſtrat im Kgl. Babe, Verkehre eat
| Dr. Arthur Niggl
317 7. Juſtizverwaltung.
350 Die neuen Vorſchriften für die Behandlung der
amts- und ſchöffengerichtlichen Strafſachen und
die neuen Dienſtvorſchriften für die Amtsanwälte.
376 | Landgerichtsrat Emanuel Habel in München
u
12
8. Finanzwesen.
Geenen beim Erwerb eines Geſell⸗
ſchaftsgrundſtückes durch einen Geſellſchaſter.
Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Eßlinger in
| Münden
| Amneftie und Koftenvorfchu len: der Rechte
Dr. Hermann Rehm in Straßburg i. E.
61
413
9. Allgemeines.
Senatspräſident von Payr. Ein Nachru
Dam Oberſten Landesgerichte Georg Ma
München
Reichsgerichtsrat a. D. Ernſt von
| Nachruf. Senatspräſident des
395 Chriſtian v. Kolb in Leipzig
. Rat
ler in
neider. Ein
eichsgerichts
257
B. Kleine Mitteilungen.
1. Bürgerliches Recht.
Der ſogenannte 1500 Mark⸗Vertrag. Rechtsanwalt
Dr. det in Aſchaffenburg
Ueber die Gültipteit von ſogenannten Schein⸗
abtretungen. Rechtsanwalt
Hirſchberg i. Schl.
aftung für unrichtige Angaben im Handelsteil
Ye den e nn Riß in
Uünden
Eine Srape aus dem Pflegſchaftsrecht. Rechts⸗
anwalt Dr. Werner in Bamberg
Die Zertrümmerung der im Zwangswege erwor⸗
benen Landanweſen durch Güterhändler. Amts⸗
richter Dr. Zeitler in München
Zum dieren Geck rer an gggeſeh Oberlandes⸗
gerichtsrat Gechter in Bamberg
Wirkt die Zahlungsfriſt des 8 1 der Bekannt⸗
machung vom 7. Auguft 1914 auch zugunſten
des Bürgen. Kann dieſer die Einrede der
Vorausklage erheben? Rechtsanwalt Dr. Flierl
in Nürnberg
2. Handelsrecht.
Zur Ausführung der Verträge der Kreiſe Unter⸗
franken und Oberfranken mit den Ueberlands⸗
Elektrizitäts⸗Zentral⸗Aktiengeſellſchaften. Hof⸗
rat, Rechtsanwalt Dr. Full in Würzburg
Der 8243 HGB bei der gemiſchten wirtſchaftlichen
Unternehmung. Geh. Juſtizrat, Rechtsanwalt Dr.
Full in Würzburg
3. Zivilprozeß. Zwangsvollſtreckung.
Welcher Gerichtsſchreiber iſt zuſtändig zur Ent⸗
pegennaßme der nach 8 911 380 vorzu⸗
chießenden Haft⸗ und Verpflegungskoſten?
Amtsrichter Dr. Stepp in Nürnberg
Form des Schuldnerverzeichniſſes nach 8 915
383 Rechtsanwalt Levinger in Munchen
r. Pfeiffer in
166
340 O ßehaltungsrechts trotz Unguläffigteit der u.
| Sind verkündete amtsgerichtliche Beſchlüſſe im
Parteibetrieb oder von Amts wegen zuzuſtellen ?
Amtsrichter Dittrich in München
Buläſſigkeit der Widerklage trotz Unzuläſſigkeit der
| ne Rechtsanwalt Di. 805 lin in
Nürnberg 204
Zuläſſigkeit der Widerklage trotz Unzuläſſigkeit der
Aufrechnung? Rechtsanwalt Dr. Fürnrohr
in München
Zuläſſigkeit der Widerklage und des Zu
18 167
188 251
rück⸗
r. Berlin in Nürn⸗
Rechtsanwalt
424
rechnung
berg
96 |
Anwendbarkeit des 8 930 Abi. 3 ZPO. bei Ver⸗
äußerung gepfändeter Sachen? Wie find feine
= Vorausſetzungen darzutun? Rechtsanwalt Dr.
Leſſer in Poſen 269
Einiges über Vollſtreckungsklauſeln der Notare.
Amtsrichter Dittrich in München 321
442
Antragſteller und Hauptſache bei der einſtweiligen
Verfügung. Rechtsanwalt Landau in Nürn⸗
berg
wiſchenſtreit über den Vollzu
8 840 Juſtizrat Hofrat Dr. Ful
in Würzburg
Zwangsvollſtreckung auf Grund gemeindlicher Aus⸗
ſtandsverzeichniſſe. Oberamtsrichter Schmitt
in Klingenberg 268
381
der Wandlung.
„Rechtsanwalt
17
166
4. Freiwillige Gerichtsbarkeit.
Zuſtändigkeit zur Behandlung des Nachlaſſes eines
in Deutſchland verſtorbenen, aber im Gebiete
eines Gerichtskonſuls wohnhaften Deutſchen.
Rechtspraktikant Werner in München 122
19
41
VI
5. Serichtskoſten, Gebühren, Stempel.
St = Verweiſungsbeſchluß des 8697 ZPO. na
6 GKG. gebührenpflichtig? 8 3
u des Wertes von Anweſen, die Sa
bebaut und teilweiſe unbebaut ſind, im Hinblick
auf die Stempelbefreiun W Ba Tarif 11 letzter
Abſatz der Spalte 2 des Reichsſtempelgeſetzes
Zu Art. 9 Abſ. 1 Ziff. 2 Geb. Amtsrichter
Diemayr in München
6. Strafrecht.
. zu einem Reichsgeſetze über den Voll⸗
der Freiheitsſtrafen und ſichernden Naß.
10 men. Strafanſtaltsdirektor Leybold
Landsberg
Die Vollſtreckung von Freiheitsſtrafen an der
Stelle uneinbringlicher Reſtbeträge von Geld⸗
Kae Amtsgerichtsdirektor Tiſch in Neuftadt
122
121
Zu 8 264 a StGB. Landgerichtsrat Hagen in
Kempten
Kann dem amtlichen Vor eiehten (8 196 StGB.)
die un zur Veröffentlichung nach 8 200
au 1 StGB zuge ſprochen werden? Amts⸗
ger chtsdirektor iſch in Neuſtadt a. d. H.
Eine ne grumbfäßliche Entiebeibung zu 8 136 StGB.
taatsanwalt v. Valta in Paſſau
5 Berichtigu e des Minderjährigen
nach dem 18 geſetz. Segel ff der Beteiligung
i. S. des 8 11 des Preß Rechtsanwalt Dr.
Siegel in München
7. Strafprozeß.
Die vorläufige Einſtellung nach 8 208 StPO.
II. Staatsanwalt Reuß in Augsburg
297
355
— zu e — — —
Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für ür Rechtspflege ir in Bayern.
1914.
e des Vollzugs unge en Strafen
durch richterliche Entſcheidung. I. Staatsanwalt
Weber in Landshut
Hinderung des Vollzugs ungeſetzlicher Strafen
durch richterliche ntſcheidung. Rechtskundiger
Hilfsarbeiter Cammerer im Staatsminiſte⸗
rium der Juſtiz in München
298
Unerwünſchte Nebenwirkung einer Polizeivor⸗
ſchrift. Landgerichtsrat Hümmer in München 206
Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens
wegen Unzuſtändigkeit des Gerichts. II. Staats⸗
anwalt und Privatdozent Dr. Doerr in München 228
Vertreter und Beiſtände beim Sübnetermin in
Beleidigungsſachen. Dr. Bolthardt, Leiter
des ſtädtiſchen achrichtenamts in Nürnberg 339
Die Wiederaufnahme des Strafbefehlsverfahrens.
Amtsrichter Hahmann in München 404
Berechnung der Strafzeit, wenn der Verurteilte
uf Grund des 9 489 StPO. verhaftet wurde.
Amtsrichter Dr. Käb in Neumarkt i. O.
Iſt 8 207 Abſ. 2 StPO. auch bei Strafbefehls⸗
anträgen anzuwenden? II. Staatsanwalt v.
Valta in Paſſau 442
8. Verwaltungsrecht.
Ueber die polizeiliche Genehmigung ſtehender
Fichtdpielt eater in Bayern. Gerichtsaſſeſſor
Hellwig in Berlin⸗Friedenau 97
9. Juſtizverwaltung.
N | Die Verhältniſſe der baveriſchen Notariatsgehilfen.
Miniſterialrat Schmitt in München
C. Rechtſprechung.
RG. bedeutet a, Obs. = Oberſtes Landesgericht, OLG. = Oberlandesgericht, LG. — Landgericht.
BGH. = Verwaltungsgerichtshof, GK. =
1. Bürgerliches Recht.
A. Neichsrecht.
a) Allgemeiner Teil.
Verſchwendung i. S. des 86 Nr. 2 BGB. kann
auch dann 5 wenn ſich jemand durch
nachläſſige Wirtſchaft der IRA der Ver⸗
armung ausſetzt, ohne übermäßige Ausgaben
zu machen. RG. 325
Ausſchließung aus einem Aerzteverein; der Aus⸗
Nee kann mit dem Antrage klagen, den
Ausſchließungsbeſchluß für unwirkſam zu er«
klären, auch wenn er vor der Ausſchließung
jeinei Austritt erklärt hat. Wann veritößt das
og. Verkehrsverbot gegen die guten Sitten? RG. 207
Ausſchließung des Mitglieds eines eingetragenen
Vereins. Zuſtändigkeit der Hauptverſammlung
oder des Schiedsgerichts. Rechtsungültigkeit des
Ausſchließungsbeſchluſſes wegen eines Mangels
des Verfahrens (85 133, 157, 32 ff. Al 55 ff. BGB.).
OLG. Nürnberg
Findet gegen die Ablehnung der Eintragung eines
wirtſchaftlichen Vereins die ſofortige den Vor—
ſchriſten der ZPO. folgende Beſchwerde nach
§ 60 Abſ. 2 BGB. oder die einfache und un⸗
befriſtete Beſchwerde aus 8 19 8G. ſtatt?
Sind die 88 28 und 199 FGG. Kenn ans
wendbar? RG. 1
110
Gerichtshof für Kompetenzkonflikte.
| Sind Tanks und a Beſtandteile eines
Brauereigrundſtücks? RG.
Verbindung von Gegenſtänden mit einem Grund⸗
ſtücke durch den 1 „Vorübergehender
Zweck“ i. S. des 8 95 BGB. RG.
Anwendung des 8 104 Nr. 2 BGB. auf einen
Geiſteskranken mit „lichten ee 41
Formbedürftigkeit von Verträgen zugunſten Dritter;
iſt ein Vertrag formbedürftig, durch den Ge⸗
ſchkwiſter ſich verpflichten, ihrer Mutter mit
Rückſicht auf ihre Bedürftigkeit eine monatliche
Rente zu zahlen? Zum Begriffe des Leibrenten⸗
verſprechens. RG. 358
Schon die Möglichkeit der Häufung der Vertrags⸗
| ſtrafen kann den Vertrag als ſittenwidrig er-
ſcheinen laſſen. RG.
Sittenwidriger,
Agenturvertrag
Verſtößt gegen die guten Sitten, wer einem
anderen Mittel zum Spiel gewährt? RG. 148
eee Einwirkung einer Partei auf den
Eintritt einer Bedingung (8 162 BGB.); kann
eine ſolche Einwirkung darin erblickt werden,
daß eine Partei nichts unternimmt um die un⸗
richtige Entſcheidung einer Behörde zu beſeitigen?
99
weil Beſtechung vorſehender
RG. 168
Anerkennung des Anſpruchs i. S. des 8 208 BGB.
90 RG.
b) Recht der Shuldverbältnifie.
1. Allgemeiner Teil.
Beſtehen des Vertragsverbältniſſes trotz ver⸗
weigerter Vollziehung des eee
Zum Schadensbegriff i. S. des 8 249 BGB.;
Schadenserſatzpflicht wegen Nichterfüllung der
die uren im Falle der Zwangsverſteigerung
die Forderung eines Hypothekgläubigers u.
I. Syſtematiſches Verzeichnis.
VII
den Kaufvertrag (88 462 ff., 346 ff., 269 BGB.,
898 29 ZPO.). OLG. Nürnberg 77
Der „Selbitloftenpreiß" iſt keine 5 eines
Grundſtücks RG. 167
Bei en Verkauf eines Grundſtücks kann der Ver⸗
kläufer aus der Zuſicherung eines beſtimmten
| n nr Umſtänden auch dann in
Yen ch genommen werden, wenn die Zuſiche⸗
rung nur mündlich erfolgt und in dem no⸗
tariellen Vertrag die Gewährleiſtung für einen
zubieten. G. 445 beſtimmten Flächeninhalt aus 4
geſchloſſen iſt. RG. 42
W eee eee a Bird ein me wegen Formmangels 8 nictigeß Scen-
Ze une des Reiſenden, der fich beim Gehen Abf. 28 288 . 1 lig da daß der S denkende
BGB. dadurch gültig, daß ch
u Den 1 8 anden ſeſthalt der Eiſenbahnfahrt 900 1 191 0 ee 2
als Darlehen zu ſchulden bekenn ie ver⸗
eng bei beiderſeits e 118 a ſich er Schuld, we . 0 Begrün⸗
möglichkei ung einer Schuld, wenn der Gläubiger ſeinen
Kann ſich der wegen unrichtiger Auskunft über Anſpruch auf ein ſchriftliches Darlehensbekennt⸗
Grundbuchverhältniſſe haftbar gemachte Notar nis ſtützt und zugibt, kein Darleben gegeben zu
auf ein Mitverſchulden des Verletzten berufen, haben ? RG. 169
wenn dieſer eine Benachrichtigung des Grund⸗ Schenkung von Todes wegen an die Ehefrau. Was
buchamts nicht geprüft hat RG. 43 iſt . der Schenkung, wenn der Mann
Mißbräuchliche Benutzung eines Kraftwagens ge⸗ ein Grundſtück für ſich kauft, es aber unmittelbar
legentlich der Ausbeſſerung; Gehilienbaftung der Frau aufgelaſſen wird? Widerruf ber
(8 778 BGB.) SLG. München 109 1 f. alle 5. groben Wan Be l
alle de iderru er Rückgabe⸗
m u e deſſen, er 8 1 eu des Mannes? RG. 125
Wann hört der Gläubigerverzug auf? RG.
Beſtimmbarkeit der Leiſtung beim ne Re
(83 313, 315 BGB.).
Es kann vereinbart werden, daß der .
des Rechts auf die Vertragsſtrafe bei der
füllungsannahme nicht erforderlich ſein ſoll. RG.
Der Antrag, die Vertragsſtrafe zu ermäßigen,
. nicht den Grund des Anſpruchs, e
RG. 426
n Betrag.
. wand einer prozeſſualen Sicherheit in eine
2 BOB. RG. 148
Hinterlegung nach 8 372
Zu 88 398 und 185 BGB., 8 43 KO. Iſt die Ab⸗
a aller, auch der künftigen Forderungen
einer beſtimmten Perſon wirkſam? Wie, wenn
der Abtretende berechtigt ſein ſoll, dieſe Forde⸗
rungen ſelbſt für ſich einzuziehen und in ſeinem
Geſchäftsbetriebe zu verwenden gegen die Ver⸗
pflichtung, dem Abtretungsempfänger monatlich
ein genaus Verzeichnis der Forderun na zu über⸗
ſenden? Ausſonderungsrecht des Abtretungs⸗
empfängers im Konkurſe des Abtretenden? RG. 444
Iſt der 8 406 BGB. anwendbar, wenn im Ver:
i der Zwangsverſteigerung die
Forderung gegen den Erſteher auf die Gläubiger
übertragen wird? RG.
Zu 88 426 Abſ. 1 und 774 Abſ. 2 BGB. Geſamt⸗
ſchuldneriſche Verbürgung der Geſellſchafter
einer G. m. b. H. oder eines Teiles von ihnen
1 ein der Geſellſchaft gewährtes Darlehen;
welchen Anteilen haften die Bürgen in
eſem Fall untereinander? RG.
RG.
5 des 8 427 BGB.
2. Einzelne Schuldverhältniſſe.
Uebernimmt bei einem Kaufvertrage der Käufer
die Zuwachs ſteuer ganz oder zum Teile, fo erhöht
ſich der Kaufpreis, aus dem Gebühren und Zu⸗
wachsſteuer zu entrichten ſind, um die über⸗
nommene Zuwachsſteuer (Zuw StG. 88 1, 24, 29;
BGB. 8 449; GebG. Art. 186 Abſ. 2). Obs.
Erfüllungsort für den Wandelungsanſpruch des
Käufers; Vereinbarung des Gerichtsſtands für
425
Mietvertrag ohne ziffermäßige Feſtſetzung des
> RO. 169
Mietzinſes.
Anfechtung des Mietvertrags wegen argliſtiger
Täuſchung. Offenbarungspflicht des . a
Haftung aus dem Mietvertrage. RG. 444
Haftung der Wirtsfrau, die eine Kegelbahn ver⸗
mietet, für Unfälle infolge eines Mangels des
Bretterbelags. Mitverſchulden des kegelnden
Gaſtes. ithaftung des Ehemanns der Ver⸗
mieterin. RG.
Haftung des Vermieters für einen Unfall des
Mieters infolge Eisbildung auf dem bei ſtarker
Kälte naß aufgewiſchten Treppenlinoleum. RG. 101
n des Hausverkehrs durch Geräte ai
n Treppen. RG. 300
Un an der Ueberwachungspflicht des Hauseigen⸗
tümers, der ſein Haus im ganzen vermietet hat.
G.
Schadenserſatzanſpruch des durch dienſtliche Ueber⸗
laſtung in ſeiner Geſundheit geſchädigten Be⸗
amten. RG.
Der „wichtige Grund“ zu friſtloſer Kündigung
des Dienſtverhältniſſes. RG. 271
103 Vertragshaftung wegen Unfalls des Kurgaſtes
| durch glatten Fußboden im Kurhauſe. RG. 230
Anforderungen an die Beleuchtung bei einer klein⸗
ſtädtiſchen Gaſtwirtſchaft. RG.
| Haftet der Wirt für Verkehrsſicherheit der dem
Verkehr nicht freigegebenen Nebenräume? RG. 426
Vertrag mit dem Rechtsanwalt als Werkvertrag;
Emrede der Wandlung. RG. 229
Rücktritt vom Werkvertrage wegen wiſſentlich un⸗
wahrer Angaben des Unternehmers. RG. 168
e der Widerruflichkeit des Mäkler⸗
| auftrag RG.
| Kenntnis des Geſchäftsherrn von der Mäklertätig—
keit als Vorausſetzung für den Mäklerlohn⸗
an ſpruch. RG. 384
Bürgſchaft gegenüber einer Firma. RG. 252
Schriftſorm der Bürgſchaftserklärung; Hauptver—
bindlichkeit als Vorausſetzung der Bürgſchaft:
100
42
100
— nn ͤ eöD—y—y— 8 — — —R³—̈g — —
— — J——
191
nn
Ge ng der urſprünglichen e
keit durch eine andere (88 765, 766 BG
OLG. Senden
Die an! e Veräußerung eines Grundſtücks
oder des Anſpruchs su Auflaſſung des Grund»
tücks u der Abſicht, das Grundſtück dem Zu⸗
G riffe der Gläubiger 15. en 8 iſt nicht auf
rund der 88 134, 138 BGB. wegen Verſtoßes
gegen ein geſetzliches Verbot oder gegen die
19 0 Sitten nichtig, kann aber als ein gegen
en u 99 0 verſtoßendes Geſchäft i. S
817 BGB. angeſehen werden; kann der
Veräußerer ar der Vorſchrift in 8 817 Satz 2
die Rückübertragung des Grundſtücks wen
431
G. 300
Aufftellung gefährlicher Anlagen. RG.
Haftung der Gemeinde für Verkehrsſicherheit bei
Straßenarbeiten. RG.
auiprüge we ar Erteilung einer unrichtigen Aus⸗
Klage auf Unterlaſſung ſetzt die
Ge 185 nicht nur die Möglichkeit einer Wieder⸗
bolung voraus. 2 Anwendung des 8 826 BGB.
in einem Falle, wo die Auskunft aus 185
läſſigkeit falſch erteilt worden iſt. RG.
Beamtenhaftung des Notars, der die Erfüllung
ihm perſönlich obliegender Pflichten ſeinem
Sekretär überlaſſen hat. RG.
Zu 8 839 BGB., Art. 126 Not GG.; baftet der
Notar gelbſt dem G Geſchädigten, wenn er eine
amtliche Haftung für den grundbuchamtlichen
Vollzug einer unvollziehbaren Urkunde über⸗
nommen bat? Ob“ G.
Liegt eine Verletzun ung der Amtspflicht „bei einem
rteil in einer Rechtsſache“ vor, wenn der
Richter die i en des Verſäumnis⸗
urteils nicht mit der erforderlichen e
prüft?
Verletzung der ‚gürlongeptiict der dienſtberech⸗
tigten öffentlich⸗ rechtlichen Körperſchaft durch
den ſatzungsmäßig berufenen Vertreter.
Kein ee eee der
auf einer Eisbahn tödlich
den Unternehmer.
c) Sachenrecht.
Können Rückprall des Regens und Winddruck als
Einwirkung vom Nachbargrundſtück aus gelten?
interbliebenen des
erunglückten gegen
RG.
253
149
67
101
447
43
RG. 170
88 906, 1004 BGB.; 8 26 GewO. Haftung des
Eiſenbahnfiskus für Brandſchaden infolge
Funkenwurfs. LG. München I
Vertragsmäßiges „Grenz⸗, An⸗ und Aufbaurecht“;
wofür und von wem wird die Entſchädigung
geſchuldet, die im Falle des Anbauens entrichtet
werden ſoll? Abtretbarkeit der Entſchädigungs⸗
e Konkurseröffnung, Zwangsverſteige⸗
ng a und Zwangsvergleich bei dem Anbauenden
Jen ollendung des Anbaues. OLG. Nürnberg
Vorausſetzungen des Anſpruchs auf den Rand
N
Wann gebt auf den Bauherrn das Eigentum an
Bauteilen über, die der Bauhandwerker in einen
Neubau liefert? RG.
Vormerkung für einen Anſpruch auf Hypothek:
beſtellung aus einem Vertrage zugunſten Dr 1 85
(
Bezeichnung der Forderung bei der Hypothek—
beſtellung; gehört dazu unter allen Umſtänden
die Angabe des Schuldners und des Schuld-
grundes? Wirkungen einer ungenügenden Be—
zeichnung; abſtrakte Verhindlichkeiten genügen
als Grundlage für eine Hypothek. RG.
110
Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
RG. 270
301
1914.
Zu 88 1150, 268 Abſ. 1 und 880 Abſ. 5 BGB.;
Ausübung des e durch den In⸗
haber eines Rechtes, das im Range zwiſchen
mehreren Hypotheken des ee ver⸗
langenden Gläubigers ftebt; der Auslöſende
bat bei der Verteilung des bar zu zahlenden
Verſteigerungserlöſes fur die Beträge an Zinſen
und Koſten, die er als nunmehriger Gläubiger
der ſeinem Rechte vorgehenden Hypotheken zu
fordern hat, Anſpruch auf Befriedi gung im Range
vor der dem urſprünglichen Gläubiger ver⸗
bliebenen Hypothek, mögen die Hypotheken auch
ür die gleiche Forderung beſtellt und ihnen
e ſich gleicher Rang eingeräumt geweſen ſein.
Kann bei Abtretung einer 1 pothek Der neue
Gläubiger den bisherigen auf Verſchaffun
in den Händen eines Dritten befindlichen 15
thekenbriefes verklagen, nachdem er den Anſpruch
gegen den Dritten auf Herausgabe des Briefes
hat pfänden und ſich aur Einziehung überweiſen
laſſen? Kann er dem bisherigen Gläubiger im
Prozeß eine Friſt nach 8 283 BGB. ſetzen und
in welcher Höhe kann er nach Ablauf der rt
Schadenerſatz beanſpruchen?
Höchſtbetragshypothek für den Ausfall bei 55
anderen
Verpfändung einer Hypothek; Forderung von Hypo⸗
thekzinſen durch den Pfandgläubiger; Einwen⸗
dungen gegenüber ſeiner dinglichen und ſeiner
1289
d) Familienrecht.
Zu 88 1298, 1300 BGB.: Der Schadenserſatzklage
wegen Bruchs des Verlöbniſſes kann der be⸗
klagte Teil nicht mit dem Einwande begegnen,
daß das Verhalten des klagenden Teiles nach
dem Rücktritt, insbeſondere im Prozeß, den
Rücktritt rechtfertige, oder daß er jetzt wieder
zur Eheſchließung mit dem klagenden Teile
bereit ſei. RG.
Das a nach 8 1477 Abſ. 2 BGB.
gehört zum Nachlaß und kann deshalb von dem
Teſtamentsvollſtrecker ausgeübt werden. 2. Stel⸗
lung des Teſtamentsvollſtreckers bei der Aus⸗
einanderſetzung des Geſamtguts 3. Das Ueber⸗
nahmerecht kann ſchon vor der Tilgung der Ge⸗
ſamtgutsverbindlichkeiten und der Teilung aus⸗
geübt werden, wenn andere Geſamtgutsgegen⸗
ſtände zur Verſilberung zur Verfügung ſtehen
und ihr Erlös zur Deckung der Geſamtguts—
verbindlichkeiten ohne Zweifel treibt
Kann eine Zuſtimmung i. ©. des 8 1565 Abſ. 2
BGB. dann angenommen werden, wenn der
eine Gatte den Ehebruch des andern gewünſcht
und herbeigeführt bat, um einen Grund zur
Scheidung zu haben? RG.
Wann hat die Zuſtimmung, zum Ehebruch 1989
zurückgenommen zu gelten?
Berufung des Ehegatten auf guten . im
Falle des 8 1567 Abſ. 2 Nr. 1 BGB. RG.
Nichtigkeit einer Vereinbarung zwiſchen Ehegatten,
wonach die Frau auf ihren Unterhaltsanſpruch
verzichtet, wogegen der Mann ſich verpflichtet,
ihr einen Grund zur Scheidung zu geben. Kann
die Frau trotz des Verzichts von dem Manne
Unterhalt beanſpruchen, nachdem dieſer verein—
barungsgemäß durch ſein Verhalten die Schei—
sung ermöglicht hat und für den ſchuldigen
Teil erklärt worden iſt? Die exceptio doli
generalis.
—
20
G. 383
ypothek oder Geſamthypothek? RG. 341
perſönlichen Klage (85404, 405, 407, 1275, 1138,
9 BGB.). RG. 405
272
RG. 273
E
192
RG. 357
I. Syſtematiſches Verzeichnis.
Zu 8 1610 BGB.: Können bei der ie l
des Unterbalts für ein minderjähriges Kind
neben den Verhältniſſen des Vaters auch d
der Großeltern berückſichtigt werden? RG. 342
86080 5 des perſönlichen Verkehrs nach 8 1636
durch das Vormundſchaftsgericht. Kann
das Vormundſchaftsgericht die von dem Be⸗
ſchwerdegericht getroffene Regelung ſpäter ab⸗
ändern? Ob LG. 428
Zu 5 1645 BGB.: Wann
zum Beginn eines neuen
verſagen
Haftet der Vater eines minderjährigen 1
ſen Kindes für die Gebühren und Auslagen
in einem Rechtsſtreite des Kindes? (BGB.
8 1654, GKG. 8 92). Ob LG. 154
Zur Auslegung des 8 1666 BGB. Obe G. 254
Mißbrauch des Fürſorgerechts (8 1666 BGB.).
Ob G. 277
Zu 8 1666 BGB.: Entziehung des Rechtes den
Aufenthalt zu beſtimmen ſtatt der beantragten
Entziehung der Sorge für die Perſon. ObL G. 388
5 B. bebung von Maßregeln nach 0 5
die Genehmigung
Kann Jemand ſeinen Enkel, der ſein einziger ehe⸗
licher Abkömmling iſt, an Kindes Statt an⸗
nehmen? (8 1741 BGB.). Grundſätze I die
Geſetzesauslegung. bLG. 409
Vorausſetzungen für die Aufſtellung A Ab⸗
weſenheitspflegers (8 1911 BGB.). OLG. 305
Notwendigkeit der ü een eines .
pfleger3 für einen 1 enen, der nach d
Lebensvermutung den Anfall einer Erbſchaſt
erlebt hat, aber zur Zeit des Antrags auf Be⸗
ſtellung eines Abweſenheitspflegers als tot zu
betrachten iſt. (88 1911, 18, 19, 1960 85 8 5
e) Erbrecht.
. des mit beſtimmten einzelnen Gegenſtänden
Bedachten. che des gegenſtändlich be⸗
ſchränkten Erbſcheins a cht des GBA.
hinſichtlich eines Erbſcheins. B. 8
„2087, 2369; GBO. 8 30. be G. 26
Bedeutung der eee Rechnung
über die Auslagen und die Vergütung des
Nachlaßverwalters, Zuſtändigkeit zu ihrer Ver⸗
beſcheidung und Verfahren hiebei. (BGB.
88 1975, 1915, 1962, 1835, 1836, 1837, 1840 —
1843, 1892, 1987; GF G. 88 20, 75). Ob“ G. 130
Auslegung eines Teſtaments: die Bezeichnung
einer Perſon als Erbe ſteht der Annahme nicht
entgegen, daß ſie nur den e eee
haben ſolle. 170
Welche Bedeutung hat es, wenn der N in
ſeinem Teſtamente beſtimmt, daß jeder Erbe
auf den Pflichtteil geſetzt fein ſoll, der gegen eine
Anordnung im 5 e gerichtliche Schritte
unternehmen wird RG. 385
Auslegung eines 25 und Erbvertrags, in dem
Brautleute die allgemeine Gütergemeinſchaft
vereinbarten und für den Fall ihres beider—
ſeitigen kinderloſen Todes die Schweſter der
au zur Erbin einſetzten, für den Fall des Vor⸗
ablebens des Mannes aber keine ausdrückliche
Beſtimmung trafen. Wert des Beſchwerde⸗
er im Erbſcheinsverfahren. BSD,
133). Ob“ G. 106
Iſt 8 2094 BGB. anwendbar, wenn der Erblaſſer
ſeine Frau und ein erwartetes Kind je zur
Hälfte zu Erben einſetzt, das Kind aber tot
Erwerbsgef un 185 418
e wird? Kann eine Die letztwillige
erfügung wegen Irrtums angefochten werden
und was iſt die Folge der Anfechtung? RG. 126
Pflicht des Teſtamentsvollſtreckers, Rechnung zu
legen und den 1 eaberzuneeie zu leiſten. In⸗
wieweit erſtreckt ſich der Offenbarungseid 9200
auf Ausgaben?
u. datiertes eigenhändiges Teſtament. 25 231
e Teſtament, das Lücken für ſpätere
nordnungen läßt und bei dem die Unterſchrift
auf einer leeren Seite ſteht. Beweislaſt. RG. 23
Wann beginnt im Falle des 8 2306 BGB. die Aus⸗
ſchlagungsfriſt, wenn Zweifel über die Gültigkeit
der letztwilligen Verfügung beſtehen ? G. 21
Verteilung der Pflichtteilslaſt zwiſchen dem Erben
und dem Vermächtnisnehmer. RG. 302
f) Einführungs⸗ und Uebergangsrecht.
W die ſog. 5 9 8 Schützengeſellſchaften
n Bayern und die Stellung des San
miſſariats. Ausſchließung von der Mitglied⸗
Keen Beſchreitung des Zivilrechtswegs. Zu⸗
tändigkeit der Generalverſammlung. Tages⸗
ordnung hierfür. Vorladung und Anhörung
des auszuſchließenden Mitglieds. Begründung
des e auf Ausſchließung und Mittei⸗
u an das Mitglied. Vorläufige Vollſtreck⸗
barkeit des Urteils (K. B. VO. vom 25. Auguſt
1868, betr. eine allgem. Shübenorbrung, 88 25,
32, 39 BGB., Art. 82, 163 EG. B B.; 83 709,
710 3800). LG. Nürnberg
Auslegung der us 83 und 84 UeG. in bezug
auf eine durch den Tod der Ba aufgelöſte
Gemeinſchaft des Zugewinſtes nach Bayer. LR.
Berechnung der Gegenſtandsſumme eines 910
ments nach Art. 111 Geb. Obe
Zur sun altrechtlicher Ehe⸗ und 1
ObLG.
gu 55 28 Abſ. 1, 79 er 3 UeG. BGB, 8 2361
BGB., 8 20 Einziehung eines Erbſcheins,
der ein berwirktes Nutznießungsrecht des über⸗
lebenden i an den Erbteilen der Kinder
anführt. Iſt der Konkursverwalter eines der
Kinder und Erben berechtigt, die Verwirkung
|
410
73
276
des Nutznießungsrechtes geltend zu machen, die
N des Erbſcheins zu beantragen und
gegen die Abweiſung des Antrags ſich zu be⸗
ſchweren? Wie wird die Verwirkung des Nutz⸗
nießungsrechts geltend gemacht? Ob LG. 387
B. Landesrecht.
Mae. hi einer Fährgerechtigkeit und
der erechtigten gebührenden Reichniſſe.
Zuſtändigkent der Gerichte, wenn über die 688
nispflicht geſtritten wird. 29
2. Handelsrecht. Geſellſchaftsrecht.
Begriff des Kleingewerbes. ee unan für
die Annahme eines kaufmänniſchen? un Pe
einem Fiſchhandelsgeſchäfte. (HGB. 85 2, 4;
| ADHGB. Art. 4, 10). Dies 47
Mehrere Firmen eines een e 58 1955
|
17, 18, 30, 50 Abſ. 3 46
Unter welchen 1 kann ein 2 8 75
geſchäftliches Unternehmen in ſeine Firma die
e als graphiſche Kunſtanſtalt aufs
nehmen ? Ob G
| Zur Auslegung des 8 18 Abſ. 2 HGB.: Mißbräuch⸗
liche Verwendung der Bezeichnung „Fleiſch⸗
zentrale“. Ob LG. 388
G. 254
X Inhaltsverzeichnis d der Jeitſchrift t für Rechtspflege in! in Bayern. 1
Kann ein Prokuriſt einer Aktiengeſellſchaft bei
der Anmeldung der Erteilung einer Prokura
zum Handelsregiſter mitwirken? (8 53 85 =;
Muß ſich der lebenslänglich angeſtellte Hand⸗
lungsgehilſe die Deriesung an einen anderen
Ort gefallen laſſen? RG.
Umgehung des Wettbewerbsverbots.
Wo befindet ſich die Hauptniederlaſſung einer
Aktiengeſellſchaft? Kann eine ſolche mehrere
Niederlaſſungen haben, von denen keine „ Ja
niederlaſſung“ iſt? (S8 182, 50 Abſ. III
88 335 f., 312 HGB,; ſtille Geſellſchaft 125 l
lehensvertrag? Auch Sicherungsübereignung
kann als „Rückgewähr“ angeſehen WEGE Bene
HGB. trifft aber nur eine ſchon in das Ver⸗
mögen des Geſchäftsinhabers übergegangene
Einlage, die an ſich dem Zugriff der Gläubiger
ungehindert ofſenſtand und durch Herausnahme
dem Geſchäft wieder entzogen wird. Wenn eine
Einlage erſt nach der Sicherung erfolgt, ſo kann
von einer Verſchlechterung des Vermögens⸗
ſtandes der Gläubiger überhaupt nicht die Rede
ſein; eine Vereinbarung im 8 ellſchaftsvertrag
ſelbſt fällt nicht unter 8 34 RG.
Kann der ſtille Selten der Zweignieder⸗
laſſung eines Bankgeſchäfts das ihm zuſtehende
Prüfungsrecht durch einen bevollmächtigten be⸗
ne Bücherreviſor ausüben laſſen? Erſtreckt
ſich das Recht auch auf die zwiſ N der Haupt⸗
1914.
RG. 192
323
und eee en gewechſelten Schrift⸗
ſtücke? (58 338, 1185668. 5716 808.) Ob“ G. 26
Verſchwiegenheitspflicht des Bankiers. RG. 271
Iſt ein Bankier verpflichtet, ſeinen Auftraggeber
auf die wirtſchaftlichen Bedenken aufmerkſam
zu machen, die „gegen die Ausführung des Auf⸗
trags fprechen ? RG
Haftung der Eiſenbahn für ODE Transports
verzögerung innerhalb der tarifmäßigen Liefer⸗
friſt (Art. 41 des internat. Uebereinkommens
über den Eiſenbahnfrachtverkehr i. d. F.
19. September 1906, 8 466 B.)
vom
Form eines Vertrags, der die Verpflichtung zur
Abnahme von Geſchäftsanteilen einer G. m. b. H.
enthält.
Wiederherſtellung des gelöſchten ung einer
durch Konkurs aufgelöſten G. m. b. H. Dauer und
LG. Zweibrücken 281
RG. 407
Aufgaben des Liquidationsverfahrens. Ob“ G. 173
3. Gewerberecht.
Das Schankrecht der Bierbrauer nach Art. 9 lit. b
Ziff. 1 des bayer. GewG. v. 30. n as
Anwendbarkeit des 826 GewO. auf Anlagen, die
49
vor dem Inkrafttreten der GewO. eee
RG. 253
genehmigt worden ſind.
Wie iſt die dreijährige Friſt des 8 57 Ziff. 3 Gew.
zu berechnen, wenn die Strafvollſtreckun ws
brochen und dem Verurteilten für den Reit der
male eine Bewährungsfriſt bewilligt worden
BHH. 282
$ 120a GewO. als „Schutzgeſetz“.
Begriff des Werkmeiſters. Wettbewerbsverbot
RG. 208
(51331 Gew.). Bindung durch Ehrenwort. RG. 384
4. Gerichtsverfaſſung.
Zuſtändigkeit zur Verbeſcheidung der Beſchwerde
und der weiteren Beſchwerde des Landesver—
ſicherungsamtes gegen ein Amtsgericht wegen
— — GVUU—UNœk—ů3ß33322 4 ͤß—ͤP2kͤßößX«‚Qvu4-ęꝝę Dñ8Gͥͤ Le
|
|
Sue DR, der Rechtshilfe in a älteren
Sache 25 11805 1571; GVG. 88 15
Art. 85 E
ungen = ae (88 159 ee:
GG.). OLG. München
81 9 200 GVG.: Die Reviſion kann nicht auf
die 1 von Geſchworenen über den Her⸗
gang bei der
werden.
5. Zivilprozeß.
Streitwert eines eee (83 3PO.).
ünchen
7-160;
Ob“ G. 105
51
eratung und Abſtimmung geſtützt
RG. 152
76
87 3PO. kann nicht auf perſönliche ei 15
barkeiten angewendet werden.
Vernehmung von Streitgenoſſen als Zeugen. 22 150
ae n für Lichtbilder 855 e e
18 Brogebtofen, (8 91 ZRO en
Beru en der im Rechtsſtreit 1 unnd der
Koſtenerſtattungsanſpruch aus einem Vorprozeß
auf demſelben rechtlichen Verhältnis? RG. 34
Koſtenhaftung des eee einer armen
Partei (88 114 ff. ZPO.
Kein Armenrecht zwecks mem ( 6 114 Prin ).
52
OLG. München 51
München 51
Wie iſt das San de enge 12 e
zu behandeln
Erſatzzuſtellung oder öffentliche Zuſtellung? Kein
RG. 210
Verſchulden des Rechtsanwalts.
Erheblichkeit des Vertagungsgrunds 5 227, 224
38PO.). OLG
München 109
Wiedereinſetzung in den vorigen Stand: Ver⸗
ſchulden eines ſonſt als zuverläſſig erprobten
Kanzleiangeſtellten ſällt dem Rechtsanwalt nicht
zur Laſt; der mit der Behandlung des Ge⸗
richtsein laufs ee Beamte iſt verpflichtet,
einen bei ihm 5 85 aufenen Schriftſatz au
5 und . halt au Wüst 51 233
Abi. I, 232 Abſ. P.).
Pic München 132
Unabwendbarer Zufall.
Wiedereinſetzung in den vorigen Stand, unab⸗
wendbarer Zufa RG.
geſtſtellungsintereſſe
ſtellungsklage.
Iſt eine Klage zuläſſig, die auf die Feſtſtellung
des Nichtbeſtehens von Schadenserſatzanſprüchen
aus 8 823 BGB. für die Vergangenheit und die
ukunft gerichtet iſt? Einfluß der nachträg⸗
ichen Erhebung der Schadenerſatzklage durch den
Beklagten auf die Zuläſſigkeit der Feſtſtellungs⸗
klage: kein Anſpruch auf Feſtſtellungsurteil, das,
ohne einen beſtimmten Rechtsſtreit zu ſchlichten,
auf die Entſcheidung einer reinen u
hinauslaufen würde. RG.
Koſten des Verfahrens bei Zurücknahme des Ans
trags auf einſtweilige Verfügung wegen Ver⸗
änderung der Umſtände. Befugnis des Bezirks⸗
amts zur ſtaatsaufſichtlichen Prüfung gemeind⸗
licher Verträge auf Lieferung von elektriſchem
Strom? (88 271, 93 ZPO.; Art. 1, 159, 112
Gem O!).
Teilweiſe Zurücknahme der Klage durch Uebergang
von der Feſtſtellungs⸗ zur Leiſtungsklage. Still-
ſchweigende Zuſtimmung des Beklagten zu A
Zurücknahme.
bei der negativen Fi
Keine Einrede der Rechtshängigkeit wegen nn
beim ausländiſchen Gerichte ſchwebenden Rechts⸗
ſtreits, wenn ausſchließlicher inländiſcher Ge—
richtsſtand vereinbart war.
RG. 303
69
OLG. Nürnberg 214
RG. 128
I. Syſtematiſches Verzeichnis.
Wirkung der Rechtskraft.
Rechtskraftwirkung des Urteils; Umfang des durch
0 ‚Selage erhobenen Anſpruchs Folgen der Ver⸗
igerung der Eidesleiſtung in einem anderen
echtsſtreit, freie richterliche Ueberzeugung,
ati eines anderen Rechtsſtreits als Ur⸗
nden. Nutzungen einer rechtlos erhaltenen
Summe als Bereicherung, kene Klage
hierauf nach rechtskräftiger Entſcheidung über
die Hauptſache, Verzicht auf Nutzungen,
jährung des Anſpruchs hierauf — 88 32
325 l, 463 ff., 415 ff., 286 ZPO.: 818, 197 B08
OLG. Nürnberg 390
Vorausſetzungen für die Anwendung des 8: 15
BRD. G. 209
Das Gericht darf die Erlaſſung eines .
urteils gegen den Beklagten nicht deshalb ab⸗
lebnen, weil nicht feſiſteht, ob der Beklagte
Kriegsteilnehmer iſt, und der Kläger ſich weigert
eine Beſtätigung hierüber 8 0
N LG. München 450
Abänderung eines durch Beweisbe chluß feftges
ſtellten Eides ohne mündliche Verhandlung.
Wirkung des geleiſteten Eides. RG.
1. Zurückverweiſung in die erſte Inſtanz, wenn
deren Urteil „die Klage“ dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt, die Begründung aber ſich
nur mit dem nen der beiden eingeklagten An⸗
ſprüche befaßt? 2. Auslegung eines nachträg⸗
lichen Verzichtes auf Anſprüche wegen der
Mängel eines dur Kauf oder Tauſch erworbe⸗
nen Grundſtücks; Wirkſamkeit eines ſolchen Ver⸗
zichts im Falle argliftigen Verhaltens des nr
äußerers.
9 der Sache 3
in
Landgeri
Inwieweit kann ein nach 8 539 ZPO. erlaſſenes
Urteil mit der Reviſion angefochten werden?
un iſt das Untergericht an ein Ee
rteil gebunden? G. 210
Klage auf Dienſtlohn im Urkundenprozeſſe. 3 23
un öſterreichiſche Ehegatten die Zuſtändigkeit
der deutſchen Gerichte für eine Klage auf Ehe⸗
ſcheidung vereinbaren? Kann eine ſolche Ver⸗
einbarung wegen Irrtums angefochten N
Rom! im Mahnverfahren der Anſpruch auf Duldung
der Kae eee in das e
Gut geltend gemacht werden? LG. Eichſtätt 28
PO. 8 695. ee e e nach Zurück⸗
nahme des Widerſpruchs? LG. Nürnberg 255
Inwieweit kann gegenüber einer Klage aus 8717
PO. eingewendet werden, daß der Geſchädigte
echtöbehelje zur Einſtellung der len
nicht benützt habe? Kann § 831 BGB. auf das
Verhältnis des Auftraggebers zum prozeßbevoll⸗
mächtigten Rechtsanwalt angewendet werden?
G. 2
Begriff der Vollſtreckungskoſten 6855 788, 106 ZPO.).
OLG. München
Umfang des Pfändungsvorrechts für den Unter⸗
Belt unehelicher Kinder (88 850 ZPO.: 4, 4a
ohn BG.). OLG. München 347
Unzuläſſigkeit der Pfändung künftiger oder un⸗
beſtimmt bezeichneter Forderungen (8 851 3P O.).
OLG. München 234
Kann eine Zwangs⸗Sicherungshypothek für eine
Forderung eingetragen werden, für die ſchon
eine durch N beftellte eee
eingetragen ift? 36
Strafandrohung zur Erzwingung poſitiven a
99
45
51
151
OLG. München 155 Schiedsgericht oder i ene Schieds⸗
richter in eigener Sache. Einrede ey res
des Schiedsvertrags (88 1025 ff O.,
88 317 ff., 138 BGB.). 55900. Nürnberg 175
Ablehnung eines Schiedsrichters, rechtliches Gehör
der Parteien vor dem Schiedsgerichte (88 1032,
42 ff., 1034, 1041 ZPO.). OLG. Nürnberg 52
Ob die Anordnung einer Pflegſchaft ſachlich be⸗
gründet war, hat der Prozeßrichter nicht 1
prüfen.
e Zuſtändigkeit des e
geri 326
6. n Zwangsverſteigerung.
ngsvergleich der Gläubiger
eil ſeiner Forderung ver⸗
Wenn in einem
i au den
gi tet, für den er in dem Zwangsvergleiche
ine Deckung erhält, ſo verliert er damit für
dieſen Teil der Forderung die Rechte aus einer
für ie beſtehenden Hypothekvormerkung. Haf⸗
tung des Rechtsanwalis, der als Vertreter des
Gläubigers einem ſolchen eee, zu⸗
ſtimmt. RG.
Beitritt zu einem einſtweilen eingeſtellten Ver⸗
ſteigerungsverfahren wegen des 0 n
OLG. München 309
102
7. Freiwillige Gerichtsbarkeit.
Zwangserziehnug.
Aufſchluß aus Akten an Ordinariate.
LG. Memmingen 363
ur Auslegung der 88 57 Nr. 6 59 GG., A
B ee gung F 0805
Einem vor dem Inkrafttreten des BGB. wegen
Geiſteskrankheit 0159 500. ſteht das Be⸗
ſchwerderecht des auch dann nicht
zu, wenn 1 en daß er unter der
Herrſchaft des BGB. nur wegen eee
entmündigt worden wäre.
Aus welchen Gründen kann bei ſtreitigen .
verhältniſſen eine Geſellſchaft m. b. H. das
Regiſtergericht die Verfügung bis nach der Ent⸗
5650.90 des Rechtsſtreits ausſetzen ? 00805
G. 428
211
Kann die Verwaltun sbehörde die Schreibweiſe
eines Namens mit bindender Wirkung für das
mit dem ſtandesamtlichen Berichtigungsver⸗
fahren befaßte Gericht feſtſtellen? (Per StG.
88 65, 66). ObL G. 359
Inwieweit hat der Regiſterrichter das ordnungs⸗
mäßige Zuſtandekommen des Generalverſamm⸗
lungsbeſchluſſes einer Genoſſenſchaft zu prüfen?
Darf er einen ſatzungswidrig zuſtande gekom⸗
menen Beſchluß eintragen? (88 16, 51 Gen G.).
Ob G. 307
Unter welchen Vorausſetzungen Kennen vorläufige
Maßregeln nach Art. 4 ZwEG. are
geordnet werden ? bLG.
Großeltern haben gegen die Anordnung der
Zwangserziehung über einen Enkel in der Regel
kein Beſchwerderecht (Zw. Art. 4, 12; FGG.
88 20, 57 Abſ. 1 Ziff. 9, Abſ. 2). Obe G. 172
Zu den Koſten der Zwangserziehung i. S. des
Art. 8 ZwErzG. gehören nur ſolche, die auf die
Zwangserziehung ſelbſt erwachſen; Abgrenzung
9 den von der Armenpflege zu trag ben
oſten 196
8. 1 8 184 Nr. 3 StGB. ift auch dann anwendbar,
ü 3 wenn ein beim Beiſchlaf zu benützender Gegen⸗
Kann die Verpfändung des Nacherbenrechts in das ſtand nur en Perſonen angeboten
Grundbuch eingetragen werden? (GBO. 88 19, worden iſt. Zum Begriffe der N,
22, 40, 52). RG. 12 oder Anpreiſung eden dem „Publikum“.
Zur Auslegung des 8 40 GBO. Ob LG. 305 RG.
Zur Auslegung des 8 54 GBO. Obs G. 327 Zu 8 184 Abſ. 1 Nr. 3 StGB.: Ankündigung oder
Welche Vorſchriften gelten in Bayern für die An⸗ Anpreiſung gegenüber „dem Publikum“. RO. 447
legung eines Grundbuchblattes für reale Ge⸗ Zu 1 7 StGB.: Antragsberechtigung des Gar⸗
9 8 b 05 (EG. BGB. Art. 74; AG. niſonsälteſten. RG. 447
GBO. GBO. 8 83; DA. Gr BAe. Abgrenzung des Anwendungsgebietes der 88 242
88 510 fl. Art. 115 GrAnlG.). ObèL G. 72 und 370 Nr. 5 StGB. bei fortgeſetzter Ent⸗
Löſchung einer altrechtlichen Verfügun 0 ch | wendung. RG. 408
kung im Grundbuch (Art.189 EG. B 193 Macht ſich der gegen Proviſion arbeitende Agent
d ! e t >= e
ichte 5 , uldig, wenn er Irrtumserregung den
9. Gerichtskosten. Gebühren Abſchluß von eiche berbei⸗
Formelle Erforderniſſe einer gerichtlichen Wert⸗ führt, bei denen die Verſicherungsnehmer für
feſtſetzung; Streitwert eines Arreſts; Anwalts⸗ ihre Verpflichtung zur Prämienzahlung einen
beſchwerde (88 16 GG.; 3, 6 3PO.; 12 RAG). . Gegenwert durch die Verpflich⸗
O München 234 a der ei chaft zur Ent⸗
Iſt der Antrag nach 8 16 GKG. dem Anwalts: ädigung erhalten? Welche Bedeutung kommt
zwang unterworfen? Iſt in jedem Fall das bier der Möglichkeit zu, daß die Verſicherungs⸗
Urteil der Vorinſtanz als im ganzen dune nehmer den Vertrag anfechten und ihnen da⸗
angefochten anzuſehen, wenn die Rechtsmittel⸗ durch Koſten erwachſen? RG. 171
ſchrift nur die Anmeldung des Rechtsmittels, Tateinheit oder ⸗mehrheit bei gleichzeitigem Ge⸗
nicht aber auch einen beſtimmten Antrag ent⸗ brauchmachen von mehreren gefälſchten Ur⸗
hält? Streitwert in der Berufungsinſtanz. kunden? Liegt in der betrügeriſchen Bewirkung
OLG. 5 00 430 ı einer Gutſchrift ſtets eine e
e des Verweiſungsbeſchluſſes nach gung i. S. des 8 263 StGB.? RG. 304
8 697 3D. OLG. Augsburg 175 8 267 StGB. ſetzt den Willen voraus, auf den
Der Verweiſungsbeſchluß nach § 697 ZPO. iſt Rechtsverkehr einzuwirken. RG. 253
nicht gebührenpflichtig. OLG. Bamberg 213 Urkundenfälſchung durch Fälſchung des Blanko⸗
Für die Rückſendung der bei der Reviſionseinlegung indoſſaments des Bezogenen auf einem Wechſel,
vorzulegenden Ausfertigung des angefochtenen der weder in blanco akzeptiert iſt noch einen
ni nicht erhoben werden Ausſtellungsvermerk und das Giro des Aus⸗
Keine Koſtenfeſt b tl - ſchrift die Bedeutung einer rechts- und beweis⸗
10 el ung ü ARE i 234 erheblichen Urkunde? Feſtſtellung des Gehilfen⸗
(GKG. § 80 b) Obe G. 48 ſtellers aufweiſt? Wann hat die Namensunter—
Zuſtändigkeit für die Feſtſetzung der Koſten im vorſatzes bei der Beihilfe zur n,
)
Privatklageverfahren. Weder der Priwatkläger 8 23
noch der Angeklagte hat in dieſem Verfabren at als rechts- und beweiserhebliche 185 128
das Recht der weiteren Beſchwerde. ObvG. 108 Verfälſchung von Aufrechnungsbeſcheinigungen
Reiſekoſten der Gendarmen bei Wahrnehmung nach 81419 RVO. Wirkung der Rechtskraft
eines gerichtlichen Termins. ObLG. 155 von Strafbeſcheiden der Verſicherungsämter.
Gebühren des Verteidigers in Wiederaufnahme— RG. 193
verfahren. ObLG. 279 Unterdrücken einer dem Täter nicht oder nicht
Die Gebührenermäßigung nach Art. 14 Satz 2
Abſ. 3 Geb. tritt nicht ein, wenn die Rechte aus
dem Meiſtgebot in der Zeit zwiſchen dem Ver⸗
ſteigerungstermin und einem zur Verkündung
der Entſcheidung über den Zuſchlag anbe⸗
StGB.).
Der Tatbeſtand der Beihilfe zu dem Vergehen
des § 284 StGB. wird nicht ſchon dadurch erfüllt,
daß jemand die Wetten dritter Perſonen an Be
— nd mn u —
ausſchließlich gehörigen Urkunde (8 274 Nr. 1
RG. 408
raumten weiteren Termin oder erſt in dieſem Buchmacher weitergibt. 25
letzteren Termin abgetreten worden find. Obs G. 344 | Verhältnis zwiſchen 8 284 StGB. und 8897 6
Beſchwerdegegenſtand bei Beſchwerden wegen Er- RennwettG. RG. 233
teilung eines Erbſcheins, wenn Grundſtücke zum u: 8. i Verträge und der
Nachlaſſe gehören. Obs G. 46 Ob“ G. 361
ERROR: 9 i. S. des 8 305 StGB. RG. 342
10. Strafrecht. 8 e at nicht a Denn al Be⸗
; amter überhaupt kein Recht zur Gebühren⸗
A. Reichs recht. erhebung hat. RG. 172
a) Strafgeſetzbuch. Der bayeriſche Depeſchenträger iſt Beamter i. S.
Anrechnung der Unterſuchungshaft (8 60 StGB.) | des 5359 StGB.: Bedeutung beamtenrechtlicher
bei Bildung einer Geſamtſtrafe nach 879 StGB. Vorſchriften der Bundesſtaaten für die Beamten⸗
RG. 253 eigenſchaft. Ob“ G. 361
Bringt ein außergerichtlicher Vergleich einen Straf— Zu 8 360 Nr. 8 StGB.: Wer darf in Bayern das
antrag zum Erlöſchen, ohne daß dieſer der Be— Wort „von“ vor ſeinem Namen führen? Ob“ G. 430
hörde gegenüber zurückgenommen worden iſt? Unter welchen Vorausſetzungen iſt ein mit der
Obs G. 346 Ausübung eines Gewerbes verbundener ruhe⸗
„Ankündigen“ und „Anpreiſen“ i. S. des 5 ſtörender Lärm nach 8 360 Nr. 11 StG.
Abſ. 1 Nr. 3 StGB. RG. 233 ſtrafbar? ObL G. 174
2——— — — . —ñ———— — — —
I. Syſtematiſches es Verzeichnis
Iſt das „Leichenbitten“ als Bettel zu on: ?
Zum Grundſatze der Spezialität im Auslieferungs⸗
verkehr beſonders mit Oeſterreich; darf wegen
Vergehens des Diebſtahls verurteilt werden,
wer von dort wegen ſchweren Diebſtahls aus⸗
geliefert iſt? RG.
b) Nebengeſetze.
Der Inhaber eines Wandergewerbeſcheins beda
neben dem „ nis no
Legitimationsſcheins nach * bſ. 1 GewO.
zur Ausübung der daſelbſt bezeichneten Be⸗
triebsart. ObL®.
Zum Begriffe des gewerbsmäßigen Vermittelungs⸗
agenten für Darlehen; iſt auch die auf Ver⸗
Khaffung eines Bankkredits beſonders in der
Form des Kontokorrents abzielende a
i. S. des 8 11 NMGG., wenn er die ihm von
anderen gelieferten Stoffe nicht prüft? RG. 70
Verſchnitt von Traubenmaiſche mit Wein oder
Moſt. RG.
Getränkes. Handelt der Herſteller fahrläſſig
Ueberſtreckung des Weines und Verkauf als eine
einheitliche ſtrafbare Handlung. RG. 72
Erlaubte Zuckerung. RG. 233
Vorausſetzungen der unerlaubten Zuckerung des
Weins. Welchen Zweck muß der Zuckernde im
Auge haben? RG.
Begriff des weinähnlichen Getränkes. Verwendung
211 von Tamarindenmus bei der Herſtellung eines
weinähnlichen Getränkes. RG. 104
Bogelfcäubgeieb: Die Verjährung bindert nicht
e Einziehung der geſchützten Vögel; $1 der
Bd. vom 19. Oktober 1908 trifft N
71
die eines ſolchen Agenten? 345⁵ Verträge 8 Art. 131
Verhältnis des 8 153 GewO. (Streikparagraph) Der Vorſatz i. S. des 8 1492 RVO.; n fe er
zu dem eine härtere Strafe androhenden all⸗ ſchon zur Zeit der Lohnabzüge vorhanden fein ?
gemeinen Strafgeſetze. Ob“ G. 308 RG. 326
Der Vormund iſt nach 8 153 GewO. ftrafbar, Zu 8 14 Waren G., 815 WettbewG.: auf Grund
wenn er ſein Mündel durch Anwendung der welcher Beſtimmung iſt der Kaffeehausbeſitzer zu
in biefem Paragraphen genannten Mittel zur Betreten. der gewöhnlichen Kaffee in Taſſen vers
Teilnahme an einem Streik zu beſtimmen ver⸗ . die durch ein auf ihnen angebrachtes
ſucht ObL G. 131 9 stel n Gellänleg ee us fei zur
erſtellun eträn er bon n⸗
e Nr. 2 Die Beſrberung baber des Warenzeichens in Verkehr e
poſtzwangspflichtiger Gegenſtände, die ein be⸗ | koffeinfreie Kaffee verwendet? RG. 427
gabiter Angeſtellter für feinen Geſchäftsherrn Beſtrafung aus 8 16 WEG. wegen e
ewirkt, 15 nicht notwendig eine Delörberung des Wortes Camembert. G. 343
30 Welch Bezahlung“ i. S. des 8 1 PoſtG. Der Begriff des „Unternehmens“ einer 1 15
3 cher Ort gilt als Urſprungsort einer baren G ending beſonders i. S. des 8 134
eitung 5 3 nalen! 1 a Ur⸗ Verb. RG. 327
DEUNGPDTTEDT. SOME. DEU. SEEIEDEN DETALIIENEN. Unterſchied zwiſchen ee und Ordnungs⸗
welcher Ort als Urſprungsort gelten ſoll?
Een eng Bere Sa ene, fee“ h 89.
; 8 icher Verſu 44
zwangspflichtige Gegenſtände befördert, ſolche
unentgeltlich auch noch von einem anderen Ab⸗ 2 1 Deutsch N Sübltof aus der
ſender mitgegeben werden? RG. 151 weiz nach Deutſchland und von hier nach
Iſt ein Kaufmann ſo krank, daß er die Bilanz
auch unter Mitwirkung einer Hilfskraft nicht
gehen Ta fann, Lu durch einen andern ziehen
ſſen müßte, ſo kann er für die Unterlaſſung
nicht geſtraft werden.
Dürfen die Kundſchaft („Faſſon“) und andere re
ſchaftliche Güter, die keinen beitimmten Ber:
mögensgegenſtand darſtellen, als Aktivum in
die Bilanz eingeſtellt werden?
Beginn und Dauer der Impfpflicht und der Straf:
rechtlichen Verantwortlichkeit der geſetzlichen
Vertreter.
Begriff des „Aufkaufens“ von Tieren im Sinne
der Vorſchriften zur Verhütung von eee
R
„Feſtlegung“ der Hunde auf Grund des 59185
ſeuchengeſetzes. RG.
Darf allgemein angeordnet werden, daß auch
an deres Fleiſch als friſches Fleiſch einer aber⸗
maligen amtlichen Beſchau unterworfen Posch
Vorausſetzungen für die formelle Gültigkeit einer
ortspolizeilichen Vorſchrift. Was verſteht man
unter Vertrieb i. S. des § 20 Abi. 2 FleiſchbG.?
Nur der Vertrieb friſchen Fleiſches darf dem
Beſchauzwang innerhalb der Gemeinde unter—
worfen werden; darüber hinausgehende orts⸗
polizeiliche Vorſchriften ſind ungültig. RG.
Wann darf ein Getränke als „Heidelbeerwein“ be—
zeichnet werden? Verfälſchung eines ſolchen
ObLG. 212
128
Oeſterreich kann zwei ie ſtrafbare Hand—
| lungen i. S. des 8 74 StGB. enthalten, auch
wenn die Wiederausfuhr nach Oeſterreich von
vornherein geplant geweſen iſt. RG.
172 Kann ein deutſches Gericht einen Deutſchen be⸗
ſtrafen, der von der Schweiz aus nach Oeſter⸗
reich Saccharin einſchmuggelt, ohne Deutlich
land zu berühren? (8 17 ZollK. v. 6. Dez. 1 15 5
24
RG. 446
B. Landesrecht.
| Unter welchen Vorausſetzungen darf erlegtes Wild
oder deſſen Erlös eingezogen werden? wie iſt
der Ausdruck „können“ in Art. 18 PStGB. und
in 8 42 StGB. aufzufaſſen? Obe“ G. 329
Vorausſetzungen 5 die Rechtsgültigkeit einer nach
em Art.67 Abſ. 2 PStGB. angeordneten Maß⸗
gel. Ob“ G.
Der ie en darf auf die Schlachtung
von Schweinen für den eigenen Hausbedauf
ausgedehnt werden. Obe.
Kann die Gültigkeit einer auf Grund des Art. 75
PStGBterlaſſenen geſundheitspolizeilichen Vor—
ſchrift durch einen Wechſel in den hygieniſchen
Anſchauungen berührt werden? Was iſt unter
„reinem Mehl“ zu verſtehen? Ob G. 389
Zu Art. 101 P StGB.: Kann die Baupolizeibehörde
das Anſtreichen von Fenſterläden verlangen?
Verjährung von Baupolizeiübertretungen.
LG. Memmingen 451
154
75 309
193
XIV Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1914.
. wiſchen 8 367 Nr. 15 StGB. und Hängt die Anwendung des 8 208 StPO. von der
Art von was verſteht man unter Erhebung der öffentlichen Klage ab? Ob“ G. 308
baten Zimmer i. S. der Bauordnung? Ob“ G. 28 Neue Tatſachen i. S. des 8 210 StPO. R. 427
Umfang der Verpflichtung der in Art. 143 Ziff. 1 Beweisantrag oder Beweisermittelungsantrag?
P StGB. genannten Gewerbetreibenden, be⸗ RS. 409
onders der Bierwirte zum ſichtharen Anſchlage Undeutliche Belehrung über die . des
er Preiſe ihrer Verkaufsgegenſtände. Ob“ G. 448 rechtlichen Geſichtspunkts (8 264 StPO.). RG. 327
Zur Auslegung des Art. 92 Ziff. 1 Forſtch. Obs G. 329 Kein Berichtigun sverfahren, wenn 5 Ge⸗
Verhältnis zwiſchen Forſtberechtigungen und forſt⸗ ſchworenen die 51885 nach der Strafbarkeits⸗
polizeilichen Vorſchriften in der Pfalz. Ob“ G. 277 einſicht verneinen und zugleich die Frage nach
Wer ohne behördliche Genehmigung eine Brücke mildernden Umſtänden beſahen. RO.
baut, iſt nach dem Waſſ Nergelebe, nicht nach a Die Reviſion kann auf Verletzung des $ 415 StPO.
8 367 Nr. 15 StGB. ſtrafb 213 geſtützt werden. Ein Vergleich im Privatklage⸗
Verpflichtet auch ein ae N zur verfahren verbraucht nicht die Strafklage zu⸗
Anzeige nach Art. 2 GG.? Ob LG. 173 ungunſten anderer zur Privatklage e
Hundeabgaben apf Die von den Gemeindever⸗ b 108
waltungen für die Anmeldung der Hunde be⸗ Prozeſſuale Stellung eines e aber
kannt gegebenen Amtsſtunden ſind von den nicht entmündigten für ſich und als geſetzlicher
Hundebeſitzern bei Vermeidung der Beitrafung Vertreter feiner Tochter auftretenden P5805
einzuhalten. Ob“ G. 107 klügers. Obe G. 389
Luſtbarkeitsſteuer. Was verſteht man unter Ver⸗ Unter welchen Vorausſetzungen und zu welchem
anſtaltung einer öffentlichen Luſtbarkeit. ObL G. 48 fr ua iſt der Beſchluß über Entſchädigung
Wandergewerbeſteuergeſetz. Bedeutung und Trag⸗ aßſen 5 bud erlittene n 8
weite des Begriffs: ee, Täti age :
keit“ 49
11. Strafprozeß. 112. Staatsrecht und Verwaltungsrecht.
Sit es zuläſſig. dab ein e r einen ſcbenden Ausübung öffentlicher Gewalt. RG. 192
der nach Belehrung durch Vor as | Ausübung der Jagd auf ausmärkiſchen San 5
ſich des Zeugniſſes entſchlagen hat, noch darüber
Bee was er als Zeuge bekunden ſoll? Muß Eee und Gehaltsſperre (Art. 187, 211
der Vorſitzende sn erteidiger eine ſolche Bes K. Bo O. v. 6. Sept. 1908, GVBl. ©. 681).
lebrung geſtatten? RG. 129 OLG. München 279
für Nahrungs⸗ und Genußmittel als Hilfsbeamte über einen Anſpruch aus dem Kirchen⸗ und
der Staats anwaltſchaft. Ablehnung dieſer Be⸗ |
amten als Sachverſtändige. RG. 70 Aiervernen auch den zultandt W ſpruch nich
Wie iſt in dem Falle des 8 111 StPO. zu ver⸗ aus dieſem Verbande, ſondern aus einem privat⸗
ahren? Wer iſt der Verletzte? ObL G. 27 rechtlichen Vertrag abzuleiten. GH K.
|
Beamte der bayeriſchen Unterſuchungsanſtalten Die Verwaltungsbehörden ſind zur Cntfeibung
Kläger ausdrücklich erklärt, feinen
|
D. Geſetzgebung und Verwaltung.
. 1. Das Geſetz gegen den Verrat militäriſcher Ge⸗
Geſetzgeberiſche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges. 331 heimniſſe. 284
2. Bürgerliches Necht. Herſtellung von Malzwein. 312
Vertretung des Reichsfiskus. 156 Herſtellung von Kognak. 312
on vom 14. Mai 1914 zur Aenderung des Ge⸗ n ;
ſetzes über die ne Rechte der Beſitzer 6. Gerichtsverſaſſung.
von Schuldverſchreibungen vom 4. Dezember Die Beſchäftigung von Hilfsrichtern beim Reichs⸗
1899 256 gerichte. 32
3. Handels-, Wechſel⸗ und Scheckrecht. | 5 BE über den Kriegszuſtand vom
Das Geſetz zur Aenderung der 88 74, 75 und des
8 76 Abſ. 1 HGB. 311 7. Gebühren.
Das Poſtſcheckgeſetz. 196 Das Geſetz betr. Aenderung der Gebührenordnung
Das Geſetz über die Folgen der Verhinderung für Zeugen und Sachverſtändige. 311
wechſel⸗ und ſcheckrechtlicher Handlungen im Geſetz vom 21. Auguſt 1914 über Aenderungen
Ausland. 216 im Gebührenweſen. 348
Oman des . vom 555 nl
1914 betr. die weitere Verlängerung der Friſten
des Wechſels⸗ und Scheckrechts. 348 8. Berſicherungsrecht.
Die Bekanntmachungen vom 30. Dezember 1913,
| 4. Zivilprozeß. den Vollzug des 8 169 der Reichsverſicherungs⸗
Aenderung der Zivilprozeßordnung. 311 ordnung betr, und vom 31. Dezember 1913, die
Krankenverſicherungspflicht der im Juſtizdienſt
5. Strafrecht. beſchäftigten Perſonen betr. 56
Bayer. Geſetz vom 21. all 1914, betr. die Ab⸗ Die Beiträge zur Kranken-, Invaliden-, und Ans
änderung des AG. GVG 364 geſtelltenverſicherung. 156
I. Syſtematiſches Verzeichnis. | XV
9. Kirchenrecht. 13. Juſtizverwaltung.
Verwaltung des Kirchenſtiftungsvermögens. Die Strafregiſter. 32
Das Rechnungsweſen bei den Strafanſtalten. 80
3
Die Mitteilungen der Staatsanwälte, Amtsan⸗
wälte und Gerichte. 112
10. Staatsrecht und Verwaltung.
Armengeſetz vom 21. Auguſt 1914. 348
De 10 15858 des Reichs und Staatzangebörig - f in Begnadigungsſachen. 5
eitsgeſe
Die Azetylenverordnung. 32 ie Beſtrafungen der An⸗ Er
Schulpflichtverordnungen. 79
Die Verſorgung der Notare und ihrer Hinter⸗ 5
Die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten. 80 bliebenen.
Die Leumundszeugniſſe und die polizeilichen Per⸗ Die Vorbedingungen für den höheren Juſtiz⸗ *
ſonalakten. 2 112 Verwaltungsdienſt.
Das Bayeriſche Zentralpolizeiblatt. 112 Dienſtaufſicht über die Gewerbes und die gan.
mannsgerichte. 364
11. Berkehrsweſen.
Die Poſtordnungen. 56
Die Koſten der Stellvertretung der vor Juſtiz⸗
oder Verwaltungsbehörden geladenen Beamten
14. Statiſtik.
Zur Statiſtik der Uebertretungen. 256
Statiſtiſches zu dem Geſetze vom 19. Juni 1912,
der Verkehrsverwaltung. 392 betreffend die Aenderung des Strafgeſetzbuchs. 311
12. Rilitärberwaltung. 15. Juternationales Necht.
Militärweſen. 236 Der Rechtshilfe⸗ und Auslieferungsverkehr mit
Die neuen Beſtimmungen über die Beurlaubung | Bulgarien. 132
der Militäranwärter vom 1. Januar 1914. 56 Der Auslieferungsverkehr mit Panama. 132
E. Sprachecke.
oder aber. Aus der Rechtsſprache des Reichsgerichts. 312
Ein gemeingefährliches Wort. 132 „Frau Erſte Staatsanwalt“. 312
„Aus dieſem Grund fällt Klage nötig“. 236 Ein einfaches Mittel. 332
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
(Die Zahlen bedeuten die Seiten.)
A.
Ablehnung der Beamten der bayer. Unterſuchungs—
anſtalten für Nahrungs⸗ und Genußmittel als
Sachverſtändige 70
— der Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Une
zuſtän digkeit des Gerichtes 228
Ablöſungsrecht des 8268 Abſ. 1 (1150) BGB.
Ausübung durch den Inhaber eines Rechtes, das
im Range zwiſchen mehreren Hypotheken des Be—
friedigung verlangenden Gläubigers ſteht 20
Abtretung aller künftigen Forderungen 444
— einer Briefhypothek 383
Abweſenheitspfleger bei Erbſchaftsanfall von
Verſchollenen 25
— Vorausſetzungen für die Aufſtellung 305
— Klage und Zwangsvollſtreckung gegen ihn 340 f.
Adelsprädikat „von“, Führung in Bayern 430
Aktiengeſellſchaft, Bargründung 417
— Nachgründung 417
— Gründerverantwortung 417
— qualifizierte Gründung 419
— Einzahlung auf die Aktien 418
— Hauptniederlaſſung 344 f.
— mehrere Niederlaſſungen ohne Hauptniederlaſſung 344f.
Aktive Armee i. S. der GemO. 415
Amtsanwälte, die neuen Dienſtvorſchriften für — 12, 15
Amtsbefugnis, Ueberſchreitung 447 f.
Am neſtie 413
Anbau an der Grenze ſ. Kommunmauer und Ueberbau,
Aenderung der e
— der $s 74, 75, 76 Abſ. 1 HGB.
der Gebührenordnung für Zeugen und Sach—
verſtändige 31¹
im Gebührenweſen, Geſetz vom 21. Auguſt 1914 348
des Kriegszuſtandsgeſetzes 364
des AG GG. | 364
Anerkennung des Anſpruches i. S. des 8208 BGB. 20
Anfechtung des Mietvertrags wegen argliſtiger
31¹
Täuſchung 230
Angehörige des bayer. Heeres, Haftung des
Staates für ſie 7 ff.
— Anitspflichtverletzung
Ankündigung gegenüber dem Publikum 233, 275, 447
Anlagen, gefährliche, Aufſtellung — 253
Anmeldung der Erteilung einer Prokura zum
Handelsregiſter 276
Annahme an Kindes Statt des eigenen Enkels 409
Anpreiſen i. S. des § 184 Abf. 1 Nr. 3 StGB. 233
— gegenüber dem „Publikum“ 275 f.
Anſpruch, Grund und Betrag 426
— auf Anerkennung i. S. des 8 208 BGB. 20
auf Duldung der Zwangs svollſtreckung in das ein⸗
—
gebrachte Gut im Mahnverfahren 28
— auf Erfüllungsintereſſe bei argliſtiger mündlicher
Zuſicherung eines beſtimmten Flächeninhaltes eines
Grundſtückes 42
— wegen Erteilung einer unrichtigen Auskunft 67
— auf Notweg, Vorausſetzungen 191
Anspruch aus Kirchen- und Pfarrverband, Zu—
ſtändigkeit zur Entſcheidung 214
der Hinterbliebenen eines tödlich Verunglückten
aus Vertrag 342
des Minderjährigen auf Preßberichtigung 382 f.
auf Mäklerlohn, Kenntnis des Geſchäftsherrn von
der Mäklertätigkeit 384
des durch dienſtliche Ueberlaſtung geſchädigten Be—
amten auf Schadenserſatz 386
Antrag des Ehemannes auf Eintragung ſeiner Frau
als Miteigentümerin eines Grundſtückes 81 f.
Antragsberechtigung 447
Anwachſung eines Erbteils 126 f.
Anwaltsbeſchwerde 234
Anwaltszwang beim Antrag nach $ 16 GGG. 430
An wendung von öſterreichiſchem Recht auf eine von
einem Oeſterreicher in Deutſchland geſchloſſene
Ehe 313 ff
Anzeigepflicht des Güterzertrümmerers auch bei
formloſen Kaufvertrag 173
Argliſt des Veräußerers 68
— des Vermieters beim Abſchluß des Mietvertrags 355
Argliſteinrede, allgemeine 58
Armengeſetz vom 21. Auguſt 1914 348
Armenrecht zwecks Anerkenntnis 51
Aerzteverein, Ausſchließung 207 f.
Aufkaufen von Tieren, Begriff 105
Aufrechnung gegen die Aktiendeckungsſchuldigkeit 418
— Unzuläſſigkeit 424
— im Verteilungsverfahren der Zwangsverſteigerung 103
— des Erſtehers im Zwangsverſteigerungsverfahren 379ff.
Aufrechnungsbeſcheinigung nach § 1419 RV O.,
Verfälſchung 193
Aufrechnungsverbot 424
Aufſchluß aus Akten an Ordinariate 363
Aufſicht des Vormundſchaftsgerichtes 36
Aufſtellung gefährlicher Anlagen 253
Aufwandsentſchädigung, unpfändbar, un—
übertragbar 311
Aufzug, Unfall 444 f.
Ausführungsbeſtimm ungen vom 15. Sep-
tember 1913 zum Reichsſtempelgeſetz 176
— des Bundesrats vom 8. November 1913 zum Wehr—
beitragsgeſetz 176
Ausgleichung zwiſchen Geſamtſchuldnern 425
Auskunft, unrichtige 67
Auslegung von Teſtamenten 170 f.
— des Art 92 Ziff. 1 des bayer. Forſtgeſetzes 317 iR 329
— des S 54 GBO. 327 ff.
— des bayer. Fideikommißediktes 395 ff.
Auslieferung aus Bulgarien 132
— aus Panama 132
Auslieferungsverkehr, Spezialität 343
Ausſchlagungsfriſt des § 2306 BGB., Beginn 21
Ausſchließung aus einem Vereine 110
— aus einem Aerztevereine 207 f.
— der Widerruflichkeit des Mäklerauftrages 169
Ausſetzung der Verfügung des Negiſtergerichts 211
Ausſouderungsrecht 444
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
Ausſpähung militäriſcher Geheimniſſe 338
Ausſtandsverzeichniſſe, gemeindliche, Zwangs⸗
vollſtreckung auf Grund von — 268
Ausübung anvertrauter öffentlicher Gewalt durch
Angehörige des bayer. Heeres
— öffentlicher Gewalt 192
Außer verfolgungſetzung, Rechtskraft 427
Automatenfirmen ſog. Verträge mit — nichtig
oder anfechtbar 225
Azetylen verordnung 56
B.
Bankier, Verſchwiegenheitspflicht 271
eugnisverweigerungsrecht 272
—
erpflichtung zur Aufklärung des no 407
Bargebotserhöhungen .
Bargrün dung
Bau auf der Grenze ſ. Kommunmauer und bee
Bauplan, Abweichung vom — 452
Baupolizeiliche Auflagen 451
Bau polizeiliche ee en, Verjährung 452
Bauvollendungsanzeige 452
Bauwerk i. S. des § 305 StGB. 342
Bayeriſches Heer, Haftung des Staates für An⸗
gehörige des bayer. Heeres 7
Beamte der bayer. Unterſuchungsanſtalten für
Nahrungs- und Genußmittel 70
Beamter i. S. des § 352 StGB. 172
Bedingung, Einwirkung auf den Eintritt — 443
Begnadigungsſachen, Aktenbehandlung 112
Beihilfe zur Urkundenfälſchung 23
— zum Vergehen nach 8 284 StGB. 24
Beiſtände beim Sühnetermin in Beleidigungsſachen 339f.
Beiträge zur Kranken-, Invaliden⸗ und Angeſtellten⸗
verſicherung 156
Beitritt zu einem einſtweilen eingeſtellten Zwangs-
verſteigerungsverfahrens wegen des Zubehörs 309
Bekämpfung übertragbarer Krankheiten 80
Belehrung über Zeugnisverweigerungsrecht 129 f.
Berechnung der Strafzeit 421
— der Beſitzveränderungsgebühr beim Erwerb eines
Geſellſchaftsgrundſtückes durch einen Geſellſchafter 61ff.
— der Gegenſtandsſumme eines Teſtamentes 73f.
— des pfändbaren Gehaltes oder Lohnes 401 ff.
Berichtigungs verfahren 129
Berichtigungsanſpruch ſ. Anſpruch
Beſchlagnahme auf Grund des dinglichen oder
des perſönlichen Vollſtreckungstitels 441
Beſchlagnahmte Sachen, Verfügung darüber
im Strafverfahren 27
Beſchlüſſe, amtsgerichtliche, deren 9757 1
57, 113, 167
Beſchwerde, ſofortige, wegen Ablehnung der
Erlaſſung eines Strafbefehls 442
— keine weitere gegen Koſtenfeſtſetzung im Privat⸗
klageverfahren 108
— keine der Großeltern gegen Anordnung der Zwangs-
erziehung über den Enkel 17
— ſofortige nach § 60 Abſ. 2 BGB., nicht unbefriſtete
aus 8 19 FGG. bei Ablehnung der Eintragung
eines wirtſchaftlichen Vereines 190 ff.
— bei Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens
wegen Unzuſtändigkeit 228
— Anwalts⸗ 234
Beſchwerde des Konkursverwalters gegen Nichte
einziehung eines Erbſcheines 38
Beſitzveränderungsgebühr beim Erwerb eines
Geſellſchaftsgrundſtückes durch einen Geſellſchafter 9 Li.
Beſtandteile eines Brauereigrundſtücks
Beſtimm barkeit der Leiſtung beim ie
kauf 207
Beſtrafungen, frühere der Angeklagten und Zeugen,
Ermittelung der — 176
9 f.
5
|
|
Betrug bei Abſchluß von Verſicherungsverträgen
durch den gegen Proviſion arbeitenden Agenten 171
Bettel 449
Beteiligung i. S. des § 11 PreßG. 383
Beweisantrag und 5 409
Beweisbeſchluß auf Eid 102
Beweislaſt hinſichtlich der Begründung einer u) 10
— beim eigenhändigen Teſtament 31 f.
Bezirksamt, Befugnis zur e
Prüfung gemeinblicher Verträge auf Lieferung
von elektriſchem Strom 214
Bierbrauer, Schankrecht 49
Bierpreis, Anſchlag 448
Bilanz, Aktivpoſten 446
— Unterlaſſung ihrer Ziehung wegen Krankheit 172
Bottich, Beſtandteil eines Brauereigrundſtückes? 99 f.
Briefhypothek, Klage auf Verſchaffung des Hypo⸗
thekenbriefs 383
Brückenbau ohne Genehmigung 213
Buchmacher 24
Bürgenhaftung 442
Bürgſchaft gegenüber einer Firma 252 f.
— Form und Vorausſetzung 431
Bürgſchaftsleiſtung, Geſamtſchuldneriſche 42⁵
C.
„Camembert“ als Herkunftsbezeichnung 343
D.
Darlehensvertrag oder ſtille Geſellſchaft 323 ff.
Depeſchenträger 361
Dienſtvorſchriften, die neuen für Amtsanwälte 12, 15
E.
Ehebruch, Zuſtimmung des andern Gatten 425
— Zurücknahme der Zuſtimmung 192
— Verzeihung 426
Ehenichtigkeit 136
Ehe⸗ und Erbverträge, altrechtliche, Auslegung 276f.
Ehrenwort 384 f.
Eidesleiſtung, Verweigerung, Folgen in einem
anderen Rechtsſtreite
Eigenarten, bayeriſche im Vormundſchaftsweſen 35
Eigentumsübergang an Bauteilen für einen
Neubau 1
Einfluß des Krieges auf Rechtsverhältniſſe des
bürgerlichen Rechts 349 f.
Einrede der Rechtshängigkeit 128
— des Schiedsvertrags 175
— der Wandlung eines mit einem Rechtsanwalt ge⸗
ſchloſſenen Vertrages 230
Einſtellung, vorläufige, nach 8 208 Std. 40
— nur zuläſſig nach Erhebung der öffentlichen Klage 308
— einſtweilige des Zwangsverſteigerungsverfahrens
hinſichtlich des Zubehörs eines beſchlagnahmten
Grundſtückes 309
Einſtweilige Verfügung, Antragſteller, u
8
jache Lf.
Einziehung geſchützter Vögel 131
— von erlegtem Wild oder ſeinem Erlös 329
— eines Erbſcheines, Recht des Konkursverwalters
zum Antrag auf — 387
Emeritierung und Gehaltsſperre 279 ff.
Entmündigung wegen Geiſteskrankheit
vor 1. Januar 1900
Entſchädigung für unſchuldig erlittene Unter—
ſuchungshaft 27
Erbeinſetzung, ſtillſchweigende 106
— unter auflöſender Bedingung 385 f.
Erbrecht des mit beſtimmten einzelnen Gegenſtänden
Bedachten
a
20
XVIII Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1914.
Erbſchein, gegenſtändlich beſchränkter 26
— Beſchwerdegegenſtand, wenn Grundſtücke zum RI
laß gehören
— Wert des Beſchwerdegegenſtandes 105
— Einziehung 38
Erfüllungsort für Wandelungsanſpruch des Käufers 77
Erläuterungen zum Geſetz vom 4. Auguſt 1914
betr. den Schutz der infolge des Krieges an Wahr⸗
nehmung ihrer Rechte gehinderten Perſonen 333 ff.
Erſatzanſprüche infolge Amtspflichtverletzung durch
Angehörige des bayer. Heeres
Erwerbsgeſchäft, Beginn mit vormundſchafts⸗
gerichtlicher Genehmigung 4
Exceptio doli generalis 358
“
Fährgerechtigkeit 29
Fahr läſſigkeit i. S. des 8 11 Nahr Mittel. 70 f.
Familie, Familienwechſel i. S. des bayer.
Fideikommißedikts 395 ff.
„Feſtlegung“ von Hunden 128 f.
Feſtſtellungsintereſſe bei der negativen Fest.
ſtellungsklage 128
Feſtſtellungsklage, nachträgliche Erhebung der
Scha denserſatzklage durch den Beklagten 69
— keine zur Entſcheidung einer reinen Rechtsfrage 69
Firma einer in eine AG. umgewandelten G. m. b. H. 418
— mehrere eines Kaufmannes 46
— Bürgſchaft gegenüber einer — 252 f.
Fiſchhandelsgeſchäft 47
Fleiſchbeſchau, wiederholte 75
— az wang 75, 193
Forderungen, künftige oder unbeſtimmt bezeichnete
Pfändung 234
Forſtberechtigungen 318 f.
— in der Pfalz 277
Freies Ermeſſen 414
Freiheitsſtrafen, w.
Fr iſt des 857 Ziff. 3 GewO erechnung bei bedingter
Beendigung 282
Friſtſetzung nach 8 283 BGB. 383 f.
Fünfzehnhundertmark⸗Vertrag, ſog. 18
— und 8 288 StGB. 361
Fürſorge des Vormundſchaftsgerichtes ö 36
Fürſorgerecht Mißbrauch des — 277
Fürſorgepflicht, Verletzung der — durch den Ber-
treter einer öffentlich-rechtlichen Körperſchaft 270
G.
Garniſonälteſter, Antragsberechtigung 447
Garniſonort als Wohnſitz 353 ff.
Gebühren, bei Umwandelung einer G. m. b. H. in
eine AG. 419 ff.
— beim Erwerb eines Geſellſchaftsgrundſtückes un
einen Geſellſchafter 61f.
— beim Verfahren nach 8 144 3G. 227 f.
— des Verteidigers im Wiederaufnahmeverfahren 279
Gebühren äquivalent 420
q nach Art. 14 Satz 2 Abſ. 3
Geb 344
. 36
Gehaltsſperre und Emeritierung 279 ff.
Gehilfenhaftung 109
Gegenſtände i. S. d. S 264 a StGB. 297 f.
Geiſteskranker mit lichten Zwiſchenräumen 41
— nicht entmündigter als Privatkläger für ſich und
ſein minderjähriges Kind 389
Geldſtrafen, uneinbringliche Reſtbeträge: Freiheits-
ſtrafen an ihrer Stelle 121
Gemeindeämter, Wählbarkeit von Kriegsteil—
nehmern 414
Gemeinſchaftsmauer ſ. Kommunmauer
Gendarmen, keine Militärperſonen 11
— Reiſekoſten 155
66, 178
Genehmigung, polizeiliche, von Lichtſpieltheatern 971
Gerichtsſtand, vereinbarter 77
Gerichtsſchrei be r, 5 911 888 du Entgegen⸗
nahme der Koſten des 8 911 ZPO 19
7 Geringſtes Gebot 441
Gef amtſchuld, Anteilsverhältnis nach innen 425
Geſ amtſtrafen bei Kollektiv⸗, fortgeſetzten und
Dauer⸗Delikten 376 ff.
Geſchäftslokal von Militärperſonen während des
| Krieges 355
Geſchäftsvereinfachung 176
Geſchmads muſterſachen ſ. Regiſterrichter
Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung,
Umwandlung in eine Aktiengeſellſchaft 417
— Veräußerung des Geſchäfts im ganzen 418, 420
— Verbürgung der Geſellſchafter 425
— Wiederherſtellung des gelöſchten Eintrages einer
durch Konkurs aufgelöſten — 173
Geſellſchafter, ſtiller, Prüfungsrecht, Umfang und
Ausübung 26
Geſetzesauslegung 436
Geſesesberiſche Maßnahmen aus Anlaß des
Krieges 331 f.
Getränke, weinähnliches 104
Gewerbeberechtigung, reale in Bayern, Grund⸗
buchblatt 72 f.
Gläubigerverzug, Beendigung des — 228 f.
Graphiſche Kunſtanſtalt, Erforderniſſe 254
Grenzeinrichtung ſ. Kommunmauer
Grenzmauer ſ. Kommunmauer und Ueberbau
Grund des Anſpruchs 2
Grundbuchamt, Prüfungsrecht hinſichtlich Erb-
ſcheins 26
Grun dbuchamtlicher Vollzug, Haftung für — 447
Grundbuchblatt, für reale e
in Bayern
Güterzertrümmerung der im Zwangswege er-
worbenen Landanweſen durch Güterhändler 96
% Ae
f es —
Guter Glauben im Falle des 8 1567 Abſ. 2
Nr. 1 BGB. 209
Gute Sitten, Verſtoß 67, 100, 148 f., 166, 168, 175,
20 8, 296, 250, 300, 357, 385
— f. auch Verſtoß
H.
Haftbeſehl nach $ 489 StPO. 421
Haft- und Verpflegungskoſten nach § 911 ZPO.
Zuſtändigkeit des Gerichtsſchreibers
Haftung des Staates für Augehörige des bayeriſchen
| Heeres
— für feine Angeſtellten 386 f.
— des Eiſenbahnfiskus für Brandſchäden infolge
Funkenwurfes 110
— der Gemeinde für Verkehrsſicherheit bei Straßen-
bahnarbeiten 149
— des Vaters eines minderjährigen Kindes für
Koſten in einem Rechtsſtreite des Kindes 154
— für Gehilfen 109
— des Notars 43, 101, 447
— des Beſtellers eines Arztes für den den Arzt
fahrenden Kutſcher 168
Haftung für unrichtige Angaben im Handelsteil
der Tageszeitungen 188
— wegen Unfalles des Kurgaſtes durch glatten Fuß⸗
boden im Kurhauſe 23
— der Eiſenbahn für ſchuldhafte Transportverzögerung
innerhalb der tarifmäßigen Lieſerfriſt 281
Handlungsgehilfe, lebenslänglich angeftellter;
Verſetzung 358 f
| — Wettbewerbverbot 365 ff.
Handlungslehrling 375
Hausverwalter, Erfüllungsgehilfe des Vermieters 445
— — —
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
Hausverkehr, Gefährdung 300
Heidelbeerwein 70 f.
Heimatſchutz 451
Herſtellung von Malzwein 312
— von Kognak 312
Hilfsbeamte der Staatsanwaltſchaft, Ablehnung
als Sachverſtändige 70
Hilfsrichter beim Reichsgericht 32
Hinterlegung aus prozeſſualer Sicherheit 148
Höchſtbetragshypothek für den Ausfall bei
einer anderen Hypothek 341
Hunde, Anmeldung 107f.
Hypothek, Befriedigung aus dem Grundſtück 440f.
— auf einem im Miteigentum nach Bruchteilen
ehenden Grundſtücke 92 ff.
eſtellung, Bezeichnung der Forderung 301 f.
— Wirkung ungenügender Bezeichnung 301f.
— abſtrakte Verbindlichkeiten als ihre Grundlage 301 f.
— Höchſtbetragshypothek für den Ausfall bei einer
andern — oder Geſamthypothek? 341
— Zwangsſicherungshypothek neben 8
rungshypothek
— Verpfändung; Einwendungen gegen die e
und perſönliche Klage des Pfandgläubigers 405 f.
Hypothekgläubiger,
bietung ſeiner Forderung
J. (i.)
Idealkonkurrenz, im Standrecht 433 ff.
— bei mehreren in einem Zeitungsartikel enthaltenen
Beleidigungen
Impfpflicht, Beginn und Dauer der — und der
ſtrafrechtlichen Verantwortlichkeit der BERBDEN
Bertreter
Intereſſen berechtigte
Irrenfürſorge und Rechtspflege 82 ff.
J. (i.)
Jagdrecht auf ausmärkiſchen Bezirken 52
Juſtiz»- und Verwaltungsdienſt, höherer,
Vorbedingungen 236
K.
Kaffeeverkauf in Taſſen mit einem für einen
anderen geſchützten Warenzeichen 427
Kinotheater ſ. Lichtſpieltheater
Kirchenſtiftungs vermögen, Verwaltung des — 256
Klage, teilweiſe Zurücknahme durch Uebergang von
Feſtſtellungs⸗ zur Leiſtungsklage ſtillſchweigende
Zuſtimmung des Beklagten zu dieſer Zurücknahme 22
— auf Dienſtlohn im Urkundenprozeſſe 23
auf Unterlaſſung 6
auf Feſtſtellung des Nichtbeſtehens von Schadens⸗
erſatzanſprüchen aus § 823 BGB. für Vergangen-
heit und Zukunft 69
des aus einem Aerzteverein Ausgeſchloſſenen auf
Unwirkſamkeit der Ausſchließung, auch wenn er
vor der Ausſchließung feinen Austritt erklärt hat 2077.
aus 8 717 ZPO.; Einwendung, der Geſchädigte
habe Rechtsbehelfe zur Einſtellung der Vollſtreckung
nicht benützt 232
auf Nutzungen nach rechtskräftiger Entſcheidung
über die Hauptſache 390
Klageanſpruch, Umfang 390
Klageerhebung gegen Kriegsteilnehmer 451, 452
Kleingewerbe 47
„Können“ i. S. des Art. 18 PStGB. u des 8 42
StGB. 329 f.
Kognak, Herſtellung 312
Kommunmauer 179 ff, 197ff., 223ff, 237ff., 260 ff., 290ff.
— Entſchädigung; von wem geſchuldet? Abtretbar⸗
keit der Entſchädigungsforderung 194f.
— Konkurseröffnung, Zwangsverſteigerung und
Zwangsvergleich vor Vollendung der — 194f.
Verpflichtung zur Aus⸗
444
Kommunmauer, ſ. auch Ueberbau f
Konkurrenz von Preßdelikten 1
Konkurrenzklauſel ſ. Wettbewerbverbot
[Konkursverwalter 387
Koſten, Niederſchlagung 414
— des 8 911 ZPO. 19
— Haftung des Nachlaßverwalters einer armen Partei 51
— der Zwangserziehung, Begriff 196
— des Verfahrens bei Zurücknahme des Antrages
auf einſtweilige Verfügung wegen Veränderung
der Umſtände 21
— der Stellvertretung der vor Juſtiz⸗ oder Ver⸗
waltungsbehörden geladenen Beamten der Ver⸗
kehrsverwaltung 392
Koſtenfeſtſetzung keine bei außergerichtlichem Ver⸗
gleiche 234
Koſtenvorſchuß 413
Kraftwagen, mißbräuchliche Benützung während
der Ausbeſſerung 109
Krankenverſicherungspflicht der im Juſtiz⸗
dienſt beſchäftigten Perſonen 0
Krankheiten übertragbare; Bekämpfun
Krieg, geſetzgeberiſche aßnahmen aus Anlaß des 331.
— Einfluß des — auf Rechte und Verbindlichkeiten
des bürgerlichen Rechtes 349
Kriegsbehinderte; Schutzmaßregeln für 333 ff.
Kriegsteilnehmer, Verleſung ihrer Ausſagen a ft
— Wählbarkeit zu Gemeindeämtern
Kriegsteilnehmer, Unterbrechung des Ber
fahrens 50
— Klageerhebung 451
Kündigungsprozeß, Streitwert 76
Kundſchaft als aktiver Bilanzpoſten 446
Kunſtanſtalt graphiſche, Erforderniſſe 254
Kutſcher als Erfüllungsgehilfe des Beſtellers eines
Arztes 168
L.
Lärm, ruheſtörender bei Ausübung eines Gewerbes 174
Legitimationsſchein 211
Leichenbitten 449
Leiſtung, Beſtimmbarkeit der — beim .
kauf
— i. S. des $ 817 BGB. 301
Leumundszeugniſſe 112
Lichtſpieltheater, ſtehende, ihre polizeiliche Ge⸗
nehmigung in Bayern 97
Liebesbriefe als rechts⸗ uud beweiserhebliche Ur-
kunden
Liquidation einer G. m. b. H.
— Dauer und Aufgaben der
Löſchung einer altrechtlichen en,
kung im Grundbuch 3
Luſtbarkeit, öffentliche 48
— Steuer 48
M.
Mäklerauftrag, Ausſchließung der .
keit
Mäklerlohnanſpruch ſ. Anſpruch
Mahnverfahren auf Duldung der Zwangsvoll—
jtredung in das eingebrachte Gut 28
Malzwein, Herſtellung 312
Maßnahmen, ſichernde 66
— geſetzgeberiſche aus Anlaß des Kriegs 331 f.
Maßregel nach Art. 67m P StGB., Vorausſetzungen
ihrer Gültigkeit 154
— vorläufige, nach Art. 4 Abſ. 2 ZwéEcG., Voraus⸗
ſetzungen 254
— nach $ 1666 BGB. 388
— Wiederaufhebung 306
Mehl 390
Wieser Haftung aus dem 444 f.
— ohne Feſtſetzung des Mietzinſes 169
XX N Inhalts verzeichnis der der Zeitſchrift für Rechtspflege in 1 Bayern. ir
Militäranwärter, Beurlaubung 56
Militäriſche Geheimniſſe, Verrat — 284, 336 ff.
— Ausſpähung 337 f.
— fahrläſſige Preisgabe — 337 f.
— Verabredung des Verrates und der Ausſpähung 351
— Pflicht zur Anzeige von Verrat und Ausſpähung 352
Militärge richte, Zuſtändigkeit 433 f.
Militärperſonen, Wählbarkeit zu Gemeinde⸗
ämtern 415
— Wohnſitz, Wohnung und Geſchäftslokal e
des Krieges 353 ff.
Militärweſen 236
Mitbürgen, Ausgleichung 425
Mitteilungen der Staatsanwälte, Amtsanwälte
und Gerichte 112
Mitverſchulden des Reiſenden während der Eifen-
bahnfahrt 191
Mitwirkendes Verſchulden 270 f.
N.
Nachbargrundſtück, Einwirkung vom Rückprall
des Regens und Windes 170
Nacherbenrecht, Eintragung ſeiner Verpfändung
ins Grundbuch 123
Nachlaß verwalter,
des —
Nachlaß verwaltung, Bedeutung 130
Namensunterſchrift, rechts⸗ und beweiserheb—
liche Urkunde 5
Ne bis in idem 437
— bei Beſchränkung der Berufung auf das Strafmaß 1, 7
Nichtigkeit des Rechtsgeſchäfts 133 ff, 160 ff.
Notar, Haftung 43, 101, 447
— Verſorgung der — und ihrer Hinterbliebenen 236
— Vollſtreckungsklauſeln der 321 ff.
N otariatsgehilfen, bayerische, ihre Verhältniſſe 9 fi
Notweg, Vorausſetzungen
O.
Oeffentliche Klage, Wiederaufnahme 427
Oeſterreich, Auslieferung 343
Offenbarungseid des Teſtamentsvollſtreckers 44
Offiziere, Beleidigung, Antragsberechtigung 447
Auslagen und Vergütung
130
— Haftung des Staates für bayeriſche — 7
Ordnungsſtrafe nach dem VZ. 449 f.
P.
Perſönlicher Verkehr, Regelung 428
Perſonalakten, polizeiliche 112
Perſonen des Soldatenſtandes 10
Pfändbarer Gehalt (Lohn), Berechnung 401 ff.
Pfändung künftiger oder unbeſtimmt bezeichneter
Forderungen unzuläſſig
Pfändungspfandrecht und ä
an derſelben Sache
Pfändungsvorrecht für Unterhalt 1 1
Kinder, Umfang 347
Pfandrecht, Befriedigung aus dem Pfandgegen—
ſtand 439
Pflegſchaft, keine Prüfung des Prozeßrichters, ob
ſie richtig angeordnet 150
Pflichtteilslaſt, Verteilung zwiſchen Erben und
Vermächtnisnehmer 302 f.
Polizeiblatt, bayeriſches 112
Polizeihaft 421
Polizeivorſchrift, Nebenwirkung 206
Poſt, Ueberweiſungs- und Scheckverkehr 285 it.
Poſtgebühren 48
Poſtordnungen 56
Poſtſcheckgeſetz 196
Poſtzwang 151
— pflichtige Gegenſtände, Beförderung 151
Preis, Anſchlag in den Verkaufsräumen 449
Preisgabe militäriſcher Geheimniſſe 337 f.
Preßdelikte, Konkurrenz, Rechtskraftfragen l
Privatkläger, Koſtentragungspflicht 413
— Geiſteskranker 389
Protokolle eines anderen Rechtsſtreites als Be-
weismittel 390
Prozeßkoſten, Auslagen für Lichtbilder und Orts-
beſichtigung 52
Publikum 447
R.
Raum, heizbarer 28
Rechnungslegung durch Teſtamentsvollſtrecker 44
Rechnungsweſen bei den Strafanſtalten 80
Rechtsanwalt, Haftung 102
— Prüfungspflicht bei Zuſtellung 210
Rechtsanwaltſchaft, Zulaſſung zur — 284
Rechtsgeſchäft, Unwirkſamkeit, Nichtigkeit 133 ff., = 5
Rechtshängigkeit, Einrede
Rechtshilfe, unzuläſſige 191
— in Arbeiterverſicherungsſachen 105
Rechtshilfeverkehr mit Bulgarien 132
Rechtskraft, der Außerverfolgungſetzung 427
— Wirkung bei Verſäumnisurteil 155
— Wirkung bei Strafbeſcheiden der Verſicherungs—
ämter 193
— Wirkung des Urteiles 390 f.
Rechtskraftfragen bei Konkurrenz von Preß—
delikten
Rechtspflege und Irrenfürſorge 82 ff.
Rechtswidrigkeiten der Beteiligten im Verfahren
der freiwilligen Gerichtsbarkeit 294 ff
Regiſterrichter, Prüfungspflicht in Geſchmacks—
muſterſachen 137 ff., 164 ff., 185 ff.
— Prüfungspflicht in Genoſſenſchaftsſachen, Nicht⸗
eintragung eines ordnungswidrigen General—
verſammlungsbeſchluſſes 30
Reichsfiskus, Vertretung 156
Reviſion wegen Verletzung des § 415 STD. 108
— keine auf Mitteilung von Gescher über den
Hergang bei der Beratung und Abſtimmung 152 f.
— gegen ein nach § 539 ZPO. erlaſſenes Urteil 210
Richter, Amtspflichtverletzung 43
Rückgewähr durch Sicherheitsübereignung 323 f.
S.
Sacharinſchmuggel aus der Schweiz unmittelbar
nach Oeſterreich 275
Schaden, Begriff 445
Schadenerſatz, Höhe 383 f.
Schadenerſatzanſpruch ſ. Anſpruch
Schadensteilung bei beiderſeits verſchuldeter Un—
möglichkeit 148
Schankrecht der Bierbrauer 49
Scheckgeheimnis der Poſt 288
Scheckverkehr der Poſt 285 ff
Schenkung von Todes wegen 125 f.
Schenkungsverſprechen 169
Schiedsgericht, rechtliches Gehör 52
— oder Schiedsgutachten? 175
Schiedsgutachten 175
Schiedsrichter, Ablehnung 52
— in eigener Sache 175
Schieds vertrag, Einrede und Nichtigkeit des — 175
Schlachthaus zwang, Ausdehnung auf Schlachtung
von Schweinen für den eigenen Hausbedarf 309
Schreibweiſe eines Namens, Feſtſtellung der — 359
Schriftſtücke Verſtorbener, Verleſung im Straf—
verfahren 258 ff.
Schubhaft 421
Schützengeſellſchaften, privilegierte in Bayern, .“
Ausſchließung eines Mitgliedes 411
— Zuſtändigkeit der Generalverſammlung 411
——. a en en Eee m nn =
Schübengefelljchaften, Klage gegen die Aus⸗
ſchließung 411
— Stellung des Schützenkommiſſariates 410
Schuldnerverzeichnis, Form 41
Schuldverſchreibungen 256
Schulpflichtverordnungen 79
Schutzgeſetz 208, 253
Schutzmaßregeln für Kriegsbehinderte 333 ff.
Selbſtkoſtenpreis, keine Eigenſchaft einer Sache 167 f.
Sichernde Maßnahmen 66, 177 f.
Sicherheit, prozeſſuale, Umwandlung in Hinter⸗
legung 148
Sicherungsübereignung als Rückgewähr 323 f.
Siegelbruch, Vorausſetzungen 356
Sondergerichte, Zuſtändigkeit 433 ff
Sperrjahr bei Liquidation einer G. m. b. H. 418, 419
Spezialität im Auslieferungsverkehr, beſ. mit
Oeſterreich 343
Standrecht, Idealkonkurrenz und Aenderung der
Strafklage 433 ff.
— Juſtandig keit 433 ff.
— Verweiſung vom Standrecht an das ordentliche
Gericht und umgekehrt 37 ff
Statiſtiſches zum Geſetz vom 19. Juni 1912 betr.
die Aenderung des Strafgeſetzbuches 311
Stempelbefreiung bei teils bebauten teils un⸗
bebauten Anweſen 122 f.
Stille Geſellſchaft oder Darlehensvertrag? 323 ff.
Stiller Geſellſchafter, Prüfungsrecht, Umfang,
Ausübung durch Bevollmächtigten 26
Strafandrohung zurErzwingung poſitiven Tuns 151
Strafantrag, Berechtigung 447
— Erlöſchen des — bei außergerichtlichem Vergleich 346
Strafanſtalten, Rechnungsweſen 80
Strafbefehl, Ablehnung der Erlaſſung er N
Wiederaufnahme des Verfahrens 404
S trafbeſcheide der Verſicherungsämter Wirkung,
ihrer Rechtskraft 193
Strafen „ungeſetzliche Hinderung ihres Vollzugs 96, 298f.
Stra fer la ß im Dienſtſtrafverfahren 201 ff.
— des bayer. BG. 217ff.
Strafhaft 117, 421
Strafklage, Aenderung der — im Standrecht 133 05
— Verbrauch im Privatklageverfahren
Strafmilderung im Dienſtſtrafverfahren 1
bayer. BG. 201 ff., 217 ff.
Strafregiſter 32
Strafſachen, amts⸗ und ſchöffengerichtliche, neue
Vorſchriften für ihre Behandlung. 12,
Strafvollſtreckung 114 ff., 175 ff
Strafvollzugsgeſetz, Vorentwurf 177
Strafzeit, Berechnung 117, 143 f., 421
15
Streitgenoſſen als Zeugen 0
Streitwert eines Kündigungsprozeſſes 76
— eines Arreſtes 234
— sjeitfegung, gerichtliche 234
Stundung, Einrede der — 442
Süßſtoff, Einfuhr aus Schweiz, Wiederausfuhr nach
Oeſterreich 24
T.
Tätigkeit, landwirtſchaftliche
Tageszei tun gen, unrichtige Angaben im i
49
teil 188 ff.
Tamarindenmus 104
Tank, Beſtandteil eines Brauereigrundſtücks? 99 f.
Tatbe ſtand, mangelhafter 211
Tateinheit bei gleichzeitiger Gebrauchnahme Be
mehreren gefälſchten Urkunden 304
Tatſachen, neue 209, 427
Teſtament, Auslegung 170 f.
— unrichtig datiertes eigenhändiges 231
— eigenhändiges mit Lücken für jpätere Anordnungen
und der Unterſchrift auf einer leeren Seite 231 f.
II. Alphabetiſches Verzeichnis.
XXI
Teſtamentsvollſtrecker 44
— Stellung bei Auseinanderſetzung des Geſamtgutes 274
Traubenmaiſche 104
Treu und Glauben 444
U.
Ueberbau ö8ff., 157ff., 181, 194 f., 197ff., 223 ff., 237ff.
Kommunmauer
Ueberlands⸗Elektrizitäts⸗Zentralaktien⸗
geſellſchaften, Verträge mit bayer. Kreisge⸗
meinden 17, 1
Uebernahmerecht nach § 1477 Abſ. 2 BGB., ge-
hört zum Nachlaß 273 f.
— kann vom Teſtamentsvollſtrecker ausgeübt werden 273f.
— Zeitpunkt und Vorausſetzung ſeiner Ausübung ä
Ueberſtreckung von Wein
Uebertretungen, Statiſtik 256
Ueberweiſung⸗ und Scheckverkehr der Poſt 285 ff.
Unabwendbarer Zufall, Begriff 304
— Verſehen des Gerichtsſchreibers 303
— Verhalten des Gerichtes 304
Unfall an einem Aufzug 444 f.
— in einer Wirtſchaft 101, 426
— in einer Kegelbahn 42
— auf einem Treppenlinoleum 101
— auf einer Ortsſtraße 149
— während der Eiſenbahnfahrt 191
— des Kurgaſtes durch glatten Fußboden im Kur⸗
hauſe 230
— des Mieters durch Geräte auf der Treppe
Unterbrechung des Verfahrens gegen Kriegs-
teilnehmer 450 f.
Unterlaſſungsklage 67
Unterhalt eines minderjährigen Kindes; Bemeſſung
des — 342
Unterhaltsübereinkommen 37
Unternehmen einer ſtrafbaren Handlung, Begriff 327
Unternehmung, gemiſchtwirtſchaftliche 17, 166
Unterſuchungshaft Anrechnung 4 f., 423
— bei Geſamtſtrafe nach 8 79 StGB. 253
— Entſchädigung für unſchuldig erlittene 27
Unwirkſamkeit des Rechtsgeſchäfts 133, 160 ff.
Unzüchtiger Gebrauch, zum — beſtimmt 275
Urkundenfälſchung, Beihilfe; ee ee
durch Fälſchung von Blankoindoſſament
— bei 1 von 1
nach $ 14 VO. 193
— nur beim Willen auf den Rechtsverkehr einzuwirken 253
Urkundenprozeß, Klage auf Dienſtlohn im — 23
Urkundenunterdrückung 408
Urſprungsort einer Zeitung, doppelter — 151
Urteile, rechtskräftige, im Verfahren der freiwilligen
Gerichtsbarkeit 294 ff
V.
Veränderung des rechtlichen Geſichtspunktes, Be—
lehrung 327
Veräußerung des Geſchäfts einer G. m. b. H. im
ganzen 418, 420
— fiduziariſche von Gegenſtänden in der Abſicht,
ſie dem Zugriffe der Gläubiger zu entziehen, Wir—
kung 300
Verbindung von Sachen mit einem Grundſtück
durch den Pächter 229
Verbrechens mehrheit bei mehreren in einem
Zeitungsartikel enthaltenen Beleidigungen 1
Verbürgung, geſamtſchuldneriſche 425
Verfälſchung von Heidelbeerwein 70 f.
Verfahren der freiwilligen Gerichtsbar—
keit, Wirkung rechtskräftiger Urteile im — 294 ff.
— Rechtswidrigkeiten der Beteiligten im — 294 ff.
Vergleich im Privatklageverfahren 108
— außergerichtliche, keine Koſtenſeſtſetzung 234
XXII
Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in in n Bayern.
air
Verhältnis zwiſchen 8 284 StGB. und 88 3, 6
. 233
wiſchen e und eee,
orſchriften in der Pfalz
— des 8 153 Gewd. zu dem eine härtere Strafe m
drohenden allgemeinen Strafgeſetze 308
— dasſelbe rechtliche 342
— zwiſchen 8 242 StGB. und § 370 Nr. 5 StGB. 408
Verjährung bei Baupolizeiübertretungen 452
Verkehrsſicherheit 300, 426
Verkehrs verbot gegenüber Aerzten 207 f.
Verleſung von Schriftſtücken Verſtorbenen im Straf⸗
verfahren 258
— der Ausſagen von Kriegsteilnehmern 393 ff.
Verlöbnis, Bruch des —, Schadenserſatzklage, Ver⸗
halten des klagenden Teiles nach dem Bruche 2
— neuerliche Bereitwilligkeit des Beklagten zur es
ſchließung
Vermieter, Haftung 42, 101, 300, ur
— Ueberwachungspflicht, Umfang 100
— Offenbarungspflicht 230
— Schutzpflicht 300
Vermittlungs agent für Darlehen, Begriff 345 f.
Vermögensbeſchädigung durch Bewirkung
einer Gutſchrift 304
Veröffentlichungsbefugnis des nn
Vorgeſetzten
Verrat militäriſcher Geheimniſſe 284, os 7
50 ff.
Verſäumnisurteil gegen Kriegsteilnehmer ah
Verſchönerung des Stadtbildes 451 f.
Verſchollen er Erbſchaftsanfall, Abweſenheitspfleg⸗
ſchaft 25
Verſchulden, mitwirkendes 270 f.
Verſchwen dung durch nachläſſiges Wirtſchaften 325
Verſch wiegenheitspflicht des Bankiers 271
Verſetzung des lebenslänglich angeſtellten Hand—
lungsgehilfen 358
Verſtoß gegen die guten Sitten bei fahr-
läſſiger falſcher Auskunft 67
— bei Häufung von Vertragsſtrafen 100
— bei Gewährung von Mitteln zum Spiel 7 A
— bei Forderungsabtretungen
— bei einem Beſtechung vorſehenden Agenturvertrag 168
— bei Schiedsvertrag, wenn Beteiligte Schiedsrichter
in eigener Sache ſein ſollen 175
durch das ſog. Verkehrsverbot gegenüber Aerzten 208
— bei Verträgen mit ſog. Automatenfirmen 226
— bei Verträgen zur Umgehung des Güterzertrüm—
merungsgeſetzes 250
bei Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes 271
— bei den frauduloſen Geſchäften des §S 311 KO. und
83! AnfG 300
— bei Verträgen zwiſchen Eheleuten zur Erleichterung
der Eheſcheidung 357 f.
— bei Erlangung eines Urteiles, Wirkung 357
— bei Wettbewerbverbot unter Bindung auf Ehren:
wort 384 f.
Verſuch, untauglicher 449 f.
Vertagungsgrund, Erheblichkeit des — 09
Verträge bayer. Kreisgemeinden mit Ueberlands—
Elektrizitäts-Zentral-Aktiengeſellſchaften
— mit Automatenfirmen, nichtig oder anfechtbar? 225 f.
— zur Umgehung des Güterze rtrümmerungsgeſetzes 248 jf.
— zugunſten Dritter, Form 358, 150
Vertrag, ſog. 1500 Mark — 18, 361
— mit Rechtsanwalt als Werkvertrag 229 .
— über die Verpflichtung zur Abnahme von Ge⸗
ſchäftsanteilen einer G. m b. H., Form 4
Vertragsanſpruch Hinterbliebener eines Verun—
glückten 342
Vertragsſtrafe, Ermäßigung 426
— Häufung 100
Vertrags verhältnis trotz verweigerter Unter—
ſchrift des Vertragsentwurfs 147
SQ — . ar S1 de =
Vertragsverletzung, zugleich unerlaubte Hand⸗
lung 208
Vertreter beim Sühnetermin in Beleidigungs⸗
ſachen 339 f.
Vertrieb i. S. des S 20 Abſ. 2 FleiſchbG. 193 f.
Verwaltung, zwangsweiſe auf Grund 8 1434
BGB. 118 ff.
Verweiſungsbeſchluß nach 8 697 8218 Ge⸗
bührenpflicht 175, 213 f., 299 f.
Verzicht, nachträglicher auf Anſprüche aus Män⸗
geln eines Grundſtückes 68 f.
— auf Vorbehalt des Rechtes auf Vertragsſtrafe
— des Gläubigers im Zwangsvergleich
— der Frau auf Unterhalt gegen die Verpflichtung
des Mannes, ihr einen Grund zur Scheidung zu
geben 357
Vollſtreckungs befehl nach Zurücknahme des
Widerſpruchs? 255
100
102
Vollſtreckungsklauſeln der Notare 321
Vollſtreckungskoſten, Begriff 51
Vollſtreckungstitel, Zwangsverſteigerung 185
dem dinglichen oder dem perſönlichen — 39 ff.
Vollzug ungeſetzlicher Strafen, Hinderung des 5 Er
— des Reichs⸗ und Staatsangehörigkeitsgeſetzes 284
— der Wandlung, Zwiſchenſtreit 403
Volontär 375
Vorausklage, Einrede der — 442
Vorbehaltsklauſel des internationalen Privat-
rechtes 315 ff.
Vo 89658 geſetzter, Veröffentlichungsbefugnis nach $ .
0
ee Einſtellung, ſ. Einftellung
Vormerkung für Anſpruch auf Hypothekbeſtellung
aus einem Vertrage zugunſten Dritter 150
Vormund, Strafbarkeit nach 8 153 Gewd. 131
Vormundſchaftsgerichtliche Genehmigung 448
Vorſatz i. S. des 8 1492 RVO. 326
Vorſchriften, neue, für die Behandlung der amts-
und ſchöffengerichtlichen Strafſachen 12,
— ortspolizeiliche, Vorausſetzungen ihrer Gültigkeit 77
— geſundheitspolizeiliche; ihre Gültigkeit beim a
hygieniſcher Anſchauungen 389 f
Vorübergehender Zweck 229
W.
Wählbarkeit zu Gemeindeämtern 414
Wandlung 403
Wandelungsanſpruch des Käufers, Erfüllungsort 77
Warenzeichenſchutz 427
Wechſelforderungen, Beitreibung von — 203f.
Wein, Vorausſetzung der Zuckerung 71
— ſeine Ueberſtreckung und Verkauf als einheitliche
Handlung
Werkmeiſter, Begriff 384 f.
Werkvertrag, Rücktritt 168
Wertzuwachsſteuer, Uebernahme der — durch
Käufer erhöht Kaufpreis 153
Wette, Weitergabe an Buchmacher a
Wettbewerbverbot für Handlungsgehilfen a ft
— für Handlungslehrlinge
— für Volontäre 355
— für Gewerbsgehilfen (Werkmeiſter) 384 f.
— Umgehung des 192
Wichtiger Grund zur Kündigung des Sl,
verhältniſſes 271
— infolge des Krieges 349 f.
Wiederaufnahme der öffentlichen Klage 427
— des Strafbefehlsverfahrens 404
Wiedereinſetzuug in den vorigen Stand 132, 304
Widerklage, Zuläſſigkeit 424
— trotz Unzuläſſigkeit der Aufrechnung? 204 ff., 2514.
Wild, Einziehung 329 f.
Wirt, Haftung für Verkehrsſicherheit
— Umfang der Beleuchtungspflicht 101
Wirt, Verpflichtung zur e ſeiner nn,
gegenſtände 44
— Bierpreisanſchlag f.
Wirtſchaftliche Güter als Bilanzpoſten 446
= ohnſitz von Militärperſonen während des Krieges 353 ff.
Wohnung von Militärperſonen während des
Krieges 353 ff.
3.
Zahlungsfriſt, gerichtliche Bewilligung 442
„Zentrale“, mißbräuchliche Verwendung der Be⸗
zeichnung — 388
Zollvergehen 449
Zeugnisverweigerungsrecht des Bankiers 272
Zuckerung des Weines; Vorausſetzungen 71
— erlaubte 233
Zugewinſtgemeinſchaft 73 f.
Zurückbehaltungsrecht, Zuläſſigkeit 424
Zurückverweiſung in die erſte Inſtanz 68
— unrichtige an das Landgericht 192
Zurückbehaltungsrecht, ſeine Behandlung 1
Prozeſſe 25
— in Verbindung mit Widerklage 251
— ſittenwidrige Ausübung 271
„ urſächlicher 70f.
Zuſicherung, mündliche beim Grundſtückskauf 42
Zuſtändigkeit des Standrechts 33 ff.
— militärgerichtliche 433 f.
— des Gerichtsſchreibers zur Entgegennahme 1
Haftkoſten nach $ 911 ZPO.
II. Alphabetisches Verzeichnis.
XXIII
Zuſtändigkeit eines deutſchen Gerichtes für Ehe⸗
ſcheidung öſterr. Ehegatten auf Grund Vereinbarung 45
— Vereinbarung unanfechtbar 46
— zur Verbeſcheidung der Beſchwerden wegen ver⸗
weigerter Rechtshilfe in Arbeiterverſicherungsſachen 105
— zur Koſtenfeſtſetzung im Privatklageverfahren 108
— zur Ausſchließung des Mitgliedes eines einge⸗
tragenen Vereines 110
— zur Behandlung des Nachlaſſes eines in Deutſch⸗
land verſtorbenen, aber im Auslande im Gebiete
eines Gerichtskonſuls wohnhaften Deutſchen 122
— zur Verbeſcheidung der Rechnung über Auslagen
und Vergütung des Nachlaßverwalters 130
— zur Entſcheidung über Anſpruch aus Kirchen⸗ und
Pfarrverband, auch wenn Kläger ſeinen Anſpruch
aus einem privatrechtlichen Vertrag ableiten will 214 f.
— ausſchließliche des Kaufmannsgerichts 26
Zuſtellung verkündeter amtsgerichtlicher 57 f. 118 1
7
— öffentliche oder Erſatz — 210
— gemeindlicher Ausſtandsverzeichniſſe vor der
Pfändung 268 f.
Zuſtim mung (ſtillſchweigende) des Beklagten zur
Zurücknahme der Klage 22
gang un pohel neben Vertrags⸗
ſicherungshypothek 360
Zwangsverſteigerung aus dem dinglichen oder
dem perſönlichen Vollſtreckungstitel 439 ff
Zwangsvollſtreckung auf Grund ee
Ausſtandsverzeichniſſe 268 f.
Zweck vorübergehender 229
Zwiſchenſtreit über den Vollzug der Wandlung 403
III. verzeichnis der Geſetzesſtellen.
(Die fetten Zahlen bedeuten die Paragraphen oder Artikel, die kleinen die Seiten.)
A. Neichsgeſetze.
1. Bürgerliches Geſetzbuch.
Nr. 2 325
59, 99, 157 ff.,
180, 199, 239
59, 157 ff., 180
197. 229, 239
99, 310
161
42, 161, 225,
230
161, 336
23
106, 110
166, 300
161
161
100,148 f., 166,
168, 175, 226,
250, 300f.,
357 f., 385
42, 162, 250
162 f
162 f, 227
161
169
169
110, 350
161 f.
443
208, 445
254
43, 148, 191
Abſ. 1 20
77
125, 251, 342,
424
125, 424
349
67,102, 149, 191
102, 109, 168,
420
350
270, 350, 386
271, 350
261
261
241, 261, 263, 293
223, 241, 261,
336
180, 224
300, 358
390
224 f.
43, 69 f., 149
188
67, 208, 357f.
232, 233
8, 9, 11, 43,
101, 447
270, 342
150
290
290
Abſ. 5 20
150, 161, 207
302, 306
170
158
110
170
58 f., 159 f.,
197 ., 239
181
191
180,199 f. 223,
240 ff.,
261 f.,
1233
158
59, 61, 157 ff.,
1
336
110, 261, 292
92
223, 239, 242
318
439 f.
1231 fl. 439f.
1273
1274
1275
1277
1280
1282
1298
1299
1300
1317
1394
1442
1475
1476
1477
1565
1567
1570
1596
1597
272, 405
272
272
136
160
28
274 f.
2747.
273 ff.
42)
209
426
161
161
15% 325 1962 155 5. Wechſelordnung.
1610 34 1966 1 23
1686 428 1975 130 | a 2 nn
1645 387 ; 1987 35
1666 254 f., 277, 1997 336
306, 388 2082 26 eee
1671 306 2075 386 44 387 14 287f.
1792 36 2078 161 13 288
1799 36 2084 106, 232 |
1833 8 2086 232 7. Bekanntmachung des Bundesrats vom 29. Auguſt 1914
1835 1 2087 26 | die wei i der Friſten des Wechſels⸗
186 180 2094 1267 | betr. die er 1 hf
1837 36, 130, 306 2118 124 ! ö
1840 130 2160 162 1348 2 348
1841 130 2215 44 |
1842 130 2218 45 | 8. Geſetz betr. die Geſellſchaften m. b. H.
a N 41 44 70 173, 419
1886 307 2307 303 60 173 73 418
1892 130 2318 303 |
1909 2320 303
1911 25, 305 2321 303 | 9. Genoſſenſchaftsgeſetz.
1915 130 2324 303 11 307 51 307
1921 340 2337 162 16 307
1922 26 2359 295
1923 162 2361 295, 387 | 10. Vörſengeſetz.
1944 Abſ. 2 21 2862 295 686 160
1960 2869 26 |
2. Eiuführungsgeſetz zum Bürgerlichen Geſetzbuch. 11. Geſetz vom 11. Januar 1876 betr. das Urheberrecht
3 320 82 410 | an Muſtern und Modellen.
7 313 109 320, 329 | 164, 185 f. 9 137 ff., 187f.
13 313 f 111 320, 329 8 138 10 10 !
15 313 113 318f., 329 | 7 142 11 187
17 313 115 318 f., 329 | 8 141 12 138 ff.
2 313 168 410 |
5 313 1 | 12. Warenzeichengeſetz.
27 314 168 193 1 ä
30 5 5 5 235 |
55 319, 329 18
74 72 . 189 328 13. Geſetz gegen den unlauteren Wettbewerb.
77 8, 9 189 193 15 427
|
N 3. Handelsgeſetzbuch. | 14. Gewerbeorbnnng.
a pi 3 5 28 110, 208 60d 105
13 345 140 294 39a 97. 118 160
5 35 Abſ. 7 346 120a 208
18 46, 254, 388 146 294 44 A5. 3 49 1831 384
en win 355 105 148 Ziff. 4 346
25 a 57 282. 153 131, 308
25 252 192 417
30 46, 418 195 419 |
39 418 207 417 | 15. Reichsverſicherungsorduung.
40 446 208 417 115 105 1495 193
50 46, 345 221 418 1419 193 1571 105
51 345 248 18, 166f 1492 326
53 276 271 296 | Ä
59 365 313 418 g i Sordnung.
70 350 335 323 | 16. Einführungsgeſetz zur Reichsverſicherungso 8
74 311, 365 388 26, 294 | 85 105
75 311, 365 312 323 ff.
76 3001 311,366 355 346 f ö 17. Perſonenſtandsgeſetz.
92 35 466 281 f 22 360 65 359f.
117 296, 350 | 564 360 66 295, 35977.
| | 9 360
4. Geſetz vom 10. Juni 1914 betr. die Aenderung der mu
Ss 74, 75, 76 Abſ. 1 des Handelsgeſetzbuches. | 18. Gerichtsverfaſſungsgeſetz.
1 74 367 750 373 . 3
Zn 20 754 374 m 105 100 10
8 7 2 e 0
n 740 370 751 374 | 158 105 200 1525.
75 37 6 Abſ. 1 375 . 8 |
"5a 352 er S. a ; i 19. Einführungsgeſetz zum Gerichtsverfaſſungsgeſetz.
75b 373 III 375 1 3
XXVI Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914.
20. Zivilprozeßordnung. 6 333, 335 9 333 ff
3 76, 234 725 321 | 7 333, 335 f. 10 333
6 195 726 321 f 8 335 11 334
1 727 321 I
as 77 780 325 f | 22. Belanutmahung vom 7. Auguſt 1914 über die gericht:
42 52 781 323 liche Bewilligung von Zahlungsfriſten (RG Bl. 357).
43 52 7832 323 1 442 2 442
ni 10 85
1 7 f
57 335. 742 322. 4855 = RRR
68 130 750 268 f. 322 5 326
78 431 Er 767 310, 323, 404
9 !
= 210 214, 7 5 31⁰ | 24. Lohnbeſchlaguahmegeſetz.
106 51 776 310 1 401f. 4 401f.
114 51 788 51 3 401f.
128 102 794 441 |
180 355 795 321, 441 | 25. Zwangsverſteigerungsgeſetz.
188 355 800 323 10 Abſ. 5 380, 56 247
224 109 808 440 f. 59 267
227 109 804 185, 440 20 292, 310 63 94
232 132 808 21 292 64 94
288 132, 303, 304 814 439 22 292 65 310
287 129f. 815 334 23 292, 441 78 268
238 132 821 334 24 292 89 379
247 334 525 27 310 91 379
248 336 829 185 f. 292 209 310 92 379
219 333, 336 330 30 310 104 379
250 336 885 341, 380 31 310 105 381
252 336 840 32 310 107 380
258 ne 844 186 37 Nr. 5 310, 109 380
256 69 f., 208 847 234 0 111 380
257 204 848 120 44 441 112 94
271 22, 214 850 311,347, 401f. 415 265 118 246, 379 ff
274 175 851 1419 242 125
280 403 855 120 50 242 ff. 148 228
286 390 857 120, 185 51 242 ff. 144 227
294 334 860 382 242 ff. 148 292
318 211 864 94, 360 55 310 172 310
317 38, 57, 113 867 |
322 156, 296, 328, 868 360 26. Konkursordnung
330 an 209 161 73 335
328 209 f. 883 120, 334 5 { 2
30 335 76 335
325 328, 390 885 120
328 Nr. 1 128 887 151 31 35 102 335
: j 32 335 117 186
320 175 57, 133 888 151 1 121 288
330 890 151 | -
385 450 900 Abſ. 3 37, 39, .
360 102 58, 113 27. Gerichts koſtengeſetz.
415 390 901 58 16 234, 430 80b 48
461 102 911 19 18 213 88 413
468 102, 390 915 41 26 175, 213, 299 90 413
464 390 916 293
1 385. 575,113 1 7 28. Gebührenordnung für Rechtsanwälte.
497 39 922 114 12 234 68 279
537 68 926 382 67 279 70 279
588 192, 210 930 269 f.
539 210 985 184, 293, 382 29. Geſetz über die Angelegenheiten der freiwilligen
565 210 986 184, 382 Gerichtsbarkeit.
592 23 940 184, 293, 382 2 81 75 130
597 23 952 335 12 995 86 294
616 209 970 335 18 429 93 296
688 28 987 335 19 190 ff. 95 294
1 u 20 130f.,306,387 127 211
697 175 1025 175, 333 28 190 fl. 145 294. 296
70% 410 1082 52 57 Nr. 6 306 146 294
9 0 . 59 306 fl., 428 176 Abſ. 3 34f
717 232 1041 52 63 307 183 34
73 Abſ. 1 122 199 190 ff.
21. Geſetz vom 4. Auguft 1914 betr. den Schutz der
2 2 N . N a 1
infolge des . ihrer Rechte ge 30. Grundbuchordnung.
333 ff., 450 4 333 ff. 19 123 ff. 29 306
333 ff. 5 333f. 22 81., 123 f., 306 36 26
40 123 ff., 305 f. 52 123 f.
43 302 54 302, 327 ff.
48 93, 305 83 72.
49 93
31. Strafgeſetzbuch.
28 121 223 308
29 122 240 308
42 329 f. 241 308
49 23, 24 242 408
49a 436 263 171 f., 304 f.
60 145, 253 264 3 297f.
67 452 267 253, 304
73 1, 233, 304, 274 Nr. 1 408
433 ff. 284 24, 233
74 24 288 301, 361 ff
79 253, 376 ff. 305 342
92 337 352 172
113 434 ff. 359 361
136 356 360 Nr. 1 353
184 Abſ. 1 Nr. 3 360 Nr. 8 430
233, 275, 447 360 Nr. 11 174
185 6, 308 361 Nr. 4 449
186 6 367 Nr. 15 28,213,
193 6 451
169 355, 447 870 Nr. 5 408
200 355
32. Einführungsgeſetz zum Strafgeſetzbuch.
2 319
33. Nahrungsmittelgeſetz.
2 76 4 76
3 76 11 70f.
34. Fleiſchbeſchaugeſetz.
2 309 24 75 f., 309
20 75 f., 193 f., 309 29 75f.
35. Weingeſetz.
III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen.
— ——— — nn
XXVII
209 228 372 4, 6
210 228, 427 399 405
244 259 415 1, 108
248 258 ff. 420 339
249 258 ff. 447 442
250 258 ff., 39g ff. 448 442
260 259 482 146, 423
264 327 489 4210.
351 Abſ. 2 442 490 96, 298 f
852 108 496 413
43. Geſetz betr. die Eutſchädignug für unſchuldig er:
littene Unterſuchungshaft.
1 28 4 27.
44. Reichsbeamtengeſetz.
118 218
45. Geſetz vom 22. Mai 1910 über die Haftung des
Reiches für ſeine Beamten.
1 9
46. Offizierspenſionsgeſetz.
5 10 38 10, 11
47. Maunſchaftsverſorgungsgeſetz.
3 10 41 10, 11
48. Reichs militärgeſetz.
38 415
49. Kriegsleiſtungsgeſetz.
3 12 14 12
6 12 35 12
50. Naturalleiſtungsgeſetz.
14 11
51. Geſetz gegen den Verrat militäriſcher Geheimniſſe.
2 104 10 104 1 337 9 352
4 104 26 104 2 338, 352 10 352, 364
9 104 27 105 3 337. 11 352
4 338, 352 12 353
i 5 351 13
36. Süßſtoffgeſet. 6 351, 364 14 353
7 24 7 351, 364 16 353
8 337’, 352 8 353
37. Geſetz betr. die Wetten bei öffentlich veranſtalteten 2
Pferderennen. 52. Militärſtrafgerichtsordnung.
1 6 233 2 434 3 433
8 233 f.
38. Preßgeſetz | 53. Konſulargerichtsbarkeitsgeſetz.
|
11 382. 15 353 2 122 I 1
7 122 19 122
39. Impigeieh. Ä 54. Bojtgefeg.
1 212 12 213 a W
3 212 14 213 a 14
4 212 2 f.
| 5 288 27 151f.
40. Vogelſchutzgeſetz.
7 131 1 | 55. Poſtſcheckgeſetz.
1 286 7 288
41. Viehſeuchengeſetz. | 5 280 i = 885
40 128 105, 128 | 2 57, 289
f N 4 286 f. 289 10 288
42. Strafprozeßordnung. | 5 286
99 288 202 228 | en
100 288 207 228, 442 f. | 56. Reichspoſtſcheckordnung.
101 288 208 40, 308, 433, 1286 3 288
111 27 434 28257. 4 288
XXVIII Inhaltsverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914.
„ Ale ee —. — einen .. ͤ ͤ—.!.. . a — — ꝓ ́G—!——x—x—x—3—x—ßxÄKx—rßx«‚ͥ Ä—w—
5 286 8 286, 288 | 61. Wertzuwachs ſteuergeſetz.
6 288 ff. 9 286 f. | 1 153 29 153
7 286 ff. 24 153
57. Internationales Uebereinkommen über den Eiſen⸗ 62. Vereinszollgeſetz.
bahnfrachtverkehr in der Faſſung vom 19. September 1906. 134 327 187 Abſ. 2 449f.
41 281 f. 1385 449f. 152 449 f.
136 Ziff. 10 449f.
58. Reichsſchuld buchgeſetz. |
3 288 9 288 63. Handels: und Zollvertrag mit Oeſterreich vom
6. Dezember 1891.
59. Reichsſtempelgeſetz. 10 275
7 419 88 123 |
Tarif 11 lit. a und d 123 — Spalte 2 letzter Abſatz 122 | 64. Zollkartell mit Oeſterreich vom 6. Dezember 1891.
17 275
60. Novelle zum Reichs ſtempelgeſetz vom 3. Juli 1913.
Tarif 4 12 b 419 Tarif 442 8 419 65. Geſetz betr. die Ausführung des mit Oeſterreich⸗
f 4 1 d 419 1 A 419 Ungarn abgeſchloſſenen Zollkartells vom 9. Juni 1895.
141 d 2 419 41e 1 420 2 24
4
B. Landesgeſetze.
1. Ausführungsgeſetz zum Bürgerlichen Geſetzbuche. 12. Forſtgeſetz.
60 9 70 238, 260, 262, 23 318 90 329
61 11 290, 292 21 319f. 92 ip 1 317 ff.,
68 180, 184, 224, 77 290 25 319f. 32
238, 260,262 f., 78 291 41 319, 321 93 329
290 ff. 165 9 42 319, 321 94 329
69 238, 260, 262, 77 319, 321 95 329
290, 292 88 329 96 329
89 329
2. Uebergangsgeſetz.
24 328 83 73f. | 13. Forſtſtrafgeſetzbuch für die Pfalz.
28 387 81 737. 9 277 ff. 19 277.
62 328 9 328
79 387 | 14. Jagdgeſetz.
i 2 52f. 5 Abſ. 2 53
3. Zwangserziehungsgeſetz. 3 52f. 6 53, 186
4 254 8 196 | 4 52 23 329.
4. Ausführungsgeſetz zum Gerichtsverfaſſungsgeſetz. 15. Verordnung vom 6. Juni 1909 die Ausübung und
26 11 73 364 Behandlung der Jagd betr.
35 364 80 339 8 329f. | 10 329 f.
71 364 9 329f. 18 329.
5. Bayer. Geſetz vom 21. Auguſt 1914, betr. die Abänderung 16. Güterzertrümmerungsgeſetz.
des Ausführungsgeſetzes zum Gerichtsverfaffungsgeſetz. 1 97, 248 fl. 4 97
364 2 97, 173 5 97
6. Ansführungsgeſetz zur Grundbuchordnung. 17. Polizeiſtrafgeſetzbuch.
17 72%. 57 328 14 309 74 75f., 193f., 309
18 329 f. 75 389
ü 32 97. 83 107
F zur . 33 97 101 28, 451
1 268 127 323 50 70 m 8 448
Hp 9: 58 79 1% i
N e 67 Abſ. 2 154 144
10 72 8. Grundbuchanletzungsgeſetz. 18. Bayeriſches Strafgeſenbuch von 1813.
110 Abſ. 2 435 42 Nr. 1 438
9. Münchener Stadtrechtsbuch.
349 237 351 237 19. Kriegszuſtandsgeſetz.
350 237 4 364, 436 6 Nr. 3 304
» 0
10. Notariatsgeſetz. 6 Nr. 2 u. 8 431
16 248 35 34f. 20. Verwaltungsgerichtshofsgeſetz.
17 248 126 447. 7 8, 9, 11
!
11. Waſſergeſetz. 21. Aneführungsgeſetz zur Strafprozeßordnung.
78 213 202 213 2gff. 421
III. Verzeichnis der Geſetzesſtellen. XXIX
— —
— — — — I — — — — — — . — — — — — — . — — .. ——
22. Beamtengeſetz. 16 410f. 36 410 f.
10 202 115 201 18 410f. 38 410
13 11 116 201 10 410 41 4105
28 220 117 222 25 411 45 411
30 220 176 280 35 411
31 280 178 280 |
57 221 192 10 31. Beſchluß der deutſchen Bundesverſammlung vom
110 201. 217,219f. 211 280 f. 26. Jannar 1854 wegen gegenſeitiger Auslieferung von
114 201 f. Perſonen, welche wegen gemeiner Verbrechen oder Ver⸗
gehen zur Unterſuchung gezogen ſind.
28. Gewerbegeſetz von 1868. I Abf. 1 343
9 lit. b 49
| 32. Landratsgeſetz.
24. Gemeindeordnung. 15 18
1 214 159 214
112 214 173 Ziff. 4 415 38. Geſetz vom 11. Auguſt 1914 betr. die Dienſtaufſicht
| über die Gewerbe: und Kaufmannsgerichte.
25. Pfälziſche Gemeindeordnung. | 1 364 2 364
108 Ziff. 3 415
34. Bauordnung.
26. Geſetz vom 8. Mai 1851 über das Einſchreiten 34 Abſ. 3 28 65 Abſ. 2 28
der bewaffneten Macht.
3 10 5 10 35. Hauſierſteuergeſetz.
4 10 7 49 16 49
ee 5 3 e 36. Hundeabgabengeſetz vom 14. Auguſt 1910.
1 11 2 9, 11 12 107 13 107
28. Verfaſſungsurkunde. 37. Gebührengeſetz.
V. Beil. 8 430 Titel VIII 4 218, 221 7 227 48 187
Sin
a Ze a 14 Sas 2 Wil. 3 147 48
f N 344 186 153
77 398 ff. 22 227 258 63
44 187 258 2 420
30. Verordnung vom 25. Auguft 1868 betr. eine 46 187
allgemeine Schützenorduung.
1 410 5 410 38. Preuß. Geſetz über den Belagerungszuſtand.
2 410 13 410 9 436 10 434, 436
C. Anhang.
1. Oeſterr. Jurisdiktionsnorm.
76 45 104 45
100 45 ö
2. Oeſterr. Hofdekret vom 17. Juli 1835.
313
3. Oeſterr. Allgemeines Bürgerliches Geſetzbuch.
4 313 ff. 63 314
62 314 64 314
IV. verzeichnis der Mitarbeiter.
(Hier ſind nur die Mitarbeiter berückſichtigt, die Abhandlungen und kleine Mitteilungen eingeſendet haben).
Selte
Bedall, Landgerichtsrat, München 365
Berlin, Dr., Rechtsanwalt, Nürnberg 204, 424
Berolzheimer, Rechtsanwalt, München 379
Bittinger, Dr., Landgerichtsrat, München 203
Buhmann, Dr., Juſtizrat, Rechtsanwalt, Mün⸗
chen 197, 223
Buſch, Reichsgerichtsrat, Leipzig 157
ammerer, rechtsk. Hilfsarbeiter im Staats⸗
miniſterium der Juſtiz, München 298
Diemayr, Amtsrichter, München 227
Dittrich, Amtsrichter, München 37, 167, 242, 264, 321
Doerr, Dr., II. Staatsanwalt und Privatdozent,
München 228
Eßlinger, Dr., Rechtsanwalt, München 61
Flierl, Or., Rechtsanwalt, Nürnberg 442
Fürnrohr, Dr., Rechtsanwalt, München 251
Full, Dr., Hofrat, Geh. Juſtizrat, Rechtsanwalt,
Würzburg 17, 166, 403
Fumian, Amtsrichter, Straubing 114, 143
Gechter, Oberlandesgerichtsrat, Bamberg 248
Grimm, Reichsgerichtsrat, Leipzig 258
Haager, Dr., Rechtsanwalt, Aſchaffenburg 18
Habel, Landgerichtsrat (jetzt Staatsanwalt am
Oberlandesgerichte), München 12
Hagen, Landgerichtsrat, Kempten 297
Hahmann, Amtsrichter, München 404
Hahn, 1. Staatsanwalt, München 336, 350
Hellwig, Dr., Gerichtsaſſeſſor, Berlin⸗Friedenau 97
Hipp, Dr., Rechtsanwalt, München 225
Höchſtädter, Dr., Amtsrichter, München 92
Hümmer, Landgerichtsrat, München 206
Joſef, Rechtsanwalt, Freiburg i. B. 294
Käb Dr., Amtsrichter, Neumarkt i. O. 421
Kann, Dr., Rechtsanwalt, Berlin 113
Keßler, Dr., Landgerichtsrat, München 376
Klein, Dr., Privatdozent, Königsberg 313
Kolb v., Senatspräſident des Reichsgerichts, Leipzig 257
Kolb, Dr., Direktor der Heil- u. Pflegeanſtalt
Erlangen 82
Korzendorfer, Oberpoſtinſpektor, Regensburg 201
Krafft, Landgerichtspräſident, Landshut (jetzt
Senatspräſident, München) 81
Kriener, Dr., Amtsrichter, Landshut 439
Lan dau, Rechtsanwalt, Nürnberg 381
Leſſer, Dr., Rechtsanwalt, Poſen 269
Levinger, Rechtsanwalt, München 41
ut, a Er —— T — — n —— ͤ T — ——ʃ — . — — — — ę—— — — . — — . —
Zeitler, Dr., Amtsrichter,
Seite
Leybold, Strafanſtaltsdirektor, Landsberg 66
Lieber ich, Landgerichtsrat, München 237, 260, 290
Link, Rechtsanwalt, Würzburg 395
Mahler, Oberſtlandesgerichtsrat, München 33
Mansfeld, Reichsgerichtsrat, Leipzig 333, 349
Mayer, Dr. Auguſt, Landgerichtsrat, Memmingen 317
Mayer, Dr. Moritz, Juſtizrat, Rechtsanwalt,
Frankenthal 414
Mayr Matthias, Amtsrichter, München 35
Meyer, Dr. Karl, Miniſterialrat, München 177
Neumiller, Oberlandesgerichtsrat, 393
Niggl, Dr., Poſtrat, München 285
Nützel, Dr, Rechtsanwalt, München 179
Oetker, Dr, Profeſſor, Würzburg 1
Pfeiffer, Dr., Rechtsanwalt, Hirſchberg i. Schl. 166
Pfordten von der, Regierungsrat im Staats⸗
miniſterium der Juſtiz, München 7
Rehm, Dr., Profeſſor, Straßburg i. E. 413
Reindl, Dr., Miniſterialrat, München 217
Reuß, II. Staatsanwalt, Augsburg 40
Riß, Amtsgerichtsrat, München 188
Rockſtroh, Dr., Rechtsanwalt, Berlin 118
Schiedermair, Landgerichtsrat, München 353
Schmitt Auguſt, Amtsrichter, München 58
Schmitt Georg, Oberamtsrichter, Klingenberg 268
Schmitt Gottfried, Reichsgerichtsrat, Leipzig 34
Schmitt Hermann, Miniſterialrat, München 94
Seuffert v., Dr., Geheimer Rat, Profeſſor,
München 57
Siegel, Dr., Rechtsanwalt, München 382
Silberſchmidt, Dr., Oberlandesgerichtsrat,
Zweibrücken 133, 160
Simon, Oberamtsrichter, Augsburg 137, 164, 185
Stepp, Dr., Amtsrichter, Nürnberg 19, 401
Tiſch, Amtsgerichtsdirektor, Neuſtadt a. H. 121, 355
Valta v., II. Staatsanwalt, Paſſau 356, 442
Volkhardt, Dr., Leiter des ſtädt. Nachrichten⸗
amtes, Nürnberg 339
Weber, I. Staatsanwalt, Landshut 96
Wein, Dr., Notariatspraktikant, München 417
Werner, Dr., Rechtsanwalt, Bamberg 340
Werner, Rechtspraktikant, München 122
Zeiler, J. Staatsanwalt, Zweibrücken 438
München 96
— —
V. Beſprochene 1 und Seitſchriften.
W Dr. Au Strafgeſetzgebung des een,
Alsberg, > N. „,Juſtizirrtum u. Wiederaufnahme 30
Arnheim, Dr. H., nn 55
Ausführungsbetimmungen v.! Sept. 1913
zum RStempG. (Bech 176
— Wehrbeitraggeſet (Bech 176
Bendix, Dr. Ludwig, Das Problem der Rechts⸗
ſicherheit 283
Birkmeyer, Dr. Karl v., Schuld und Gefährlichkeit
in ihrer Bedeutung für die Strafbemeſſung 235
Bleyer, J., e bayer. Juſtiz⸗ u. Ver⸗
waltungsgeſetze. 32
Bürgerliches ee uch, mit beſonderer Berück⸗
ſichtigung der Rechtſprechung des Reichsgerichts.
Bearbeitet von Reichsgerichtsräten. 2. Aufl.
Caspari, J., Strafgeſetzbu 9 5 das Deutſche er
nebſt Einführungsgeſetz
Clad, Dr. C., Der 5
Clarus, Dr. G., Konkursverbrechen 364
Dietz, Karl, Schätzer⸗Anweiſung 235
Doerr, Dr. F., Deutſches Kolonialſtrafprozeßrecht 216
Eberma yer, Dr. L., Der Entwurf eines Deutſchen
Strafgeſetzbuches 330
Eichelsbacher, Dr. F., Der Zwang au religiöſer
Betätigung in Familie und Schule. 2. Aufl. 216
Eltzbacher, Dr. P., Schutz vor der Oeſſentlichkeit 156
Feuchtwanger, Ludwig, Der Eintritt Bayerns in
das Reichsarmenrecht 78
Foerſter, Fr. W., Strafe und Erziehung 31
Friedrichs, Dr. K., Handbuch der Prozeßpraxis 412
Giriſch, Dr. E., H. Hellmuth und H. Pachelbel,
Handwörterbuch des bayer. Staatskirchenrechts.
2. Aufl. 79
Groß, Handbuch für an als Syſtem
der Kriminaliſtik. 6. Aufl. 392
Güthe, Dr. Gg., Grundbuchordnung 29
— Die wirtſchaftlichen und rechtlichen Grundlagen
d. mod. Hypothekenrechts 39
Haaß, Dr. F., Weltpoſtverein u. Einheitsporto 30
Hager, Dr. P. und Dr. E. Bruck, Reichsgeſetz über
den Berfigerungsvertrag, 3. Au l. 132
Hein, Dr. O., Handbuch der Zwangsvollſtreckung
2. Aufl. 5 9. Willers 310
Heinsheimer, Dr. K., Praktiſche Uebungen im
bürgerlichen Becht 32
Hellwig, Dr. A., Rechtsquellen des öffentlichen
Kinematographenrechts 311
Helmolts Weltgeſchichte. 2. Aufl. 30
Hofacker, Dr. W., Erläuterungen zum Weingeſetz 53
Jolas, Heinr., und Fr. Knoll, Regers Militär⸗
dienſtgeſetzgebung des Deutſchen Reichs
Juriſtenkalender, Deutſcher, 1914
Kahn⸗ Obermeyer, Wehrbeitragsgeſetz 79
Kauffmann, Dr. M., Das n
im Strafrecht
Kitzinger, Dr. F., Verhinderung ſtrafbarer a
lungen durch Polizeigewalt 55
Kleinfeller, Gg., Lehrbuch des deutſchen Konkurs-
rechts 216
53
432
348
1
Knaf, Der a 284
Knitf chky, Dr. W. E., Geſetzgebung des Deutſchen
Reichs. 5. Aufl. v. O. Rudorff 112
Krech, Dr. Joh., Grundbuchordnung. 4. Aufl. 215
Kohler, R., Reichsverſicherungsordnung 55
Kollmann, O., Religionsverhältniſſe der Kinder
in Bayern 54
Kriegs notgeſetze vom 4. Auguſt 1914 (Bech 364
Kriegsgeſetze vom 4. Auguſt 1914 (Schweitzers
Textausgabe) 348
Kriegs⸗, Zivil⸗ und Finanzgeſetze vom
4. Aug. 1914 (Guttentag) 364
Langhein rich, Dr. E., Kirchengemeindeordnung 78
Licht, E., Die Kriegsgeſetze des bürgerlichen Rechtes
für Laien und Juriſten 412
Maier, Jul., Deutſche Rechtsanwaltsgebührenordnung 452
Ma rbe, Dr. K. „Grundzüge der forenſiſchen Piychologie 78
Meyers Kon verſations⸗Lexikon. 6. Aufl.
Bd. XXIII. (2. Jahres⸗Supplement 1910/11) 111
— — 6. Aufl. Bd. XXIV. (3. Jahres⸗Supplement
1911/12) 54
Merzbacher, S., Reichsgeſetz 9 = Geſellſchaften
mit beſchränkter Haftung. 5. A 284
eee mit Beamten⸗
hinterbliebenengeſetz 43
Mittelſtein, Dr. Max, Die Miete nach dem Rechte
des Deutſchen Reiches. 3. Aufl. 236
Neu 15 mp, Dr. Ernſt, Die gewerberechtlichen Neben⸗
geſetze
Noeſt, Dr. B., u. E. Plum, Reichsgerichtsent⸗
en in Zivilſachen. 80. Bd. 32
81. Bd. 284
Oberhäuſer, Aug., Weingeſetz 215
Philippovi ch, Dr. E. von, Grundriß der politiſchen
Oekonomie. 1. Bd. Allg. Volkswirtſchaftslehre.
. Aufl. 432
Pinzger, Dr. W., Geſetz betr. die G. m. b. H. 392
P ollwein, Mar kus, Bayer. Jagdgeſetz und die
Geſetze über den Erſatz des 1 9. Aufl. 330
Reger, A., Bayer. Armengeſetz. 7. Aufl. 31
Reiche , 9 ans, Mäklerproviſion 31
Reinh ar d, P., Gef ſetz über die Zwangsverſteigerung
und die Zwangsverwaltung. 4. Aufl. 32
Rixen, Dr. P., Zur Frage der Anrechnung d. Irren-
anſtaltsaufenthalts auf die Strafzeit 412
Rofen müller, Gg., Jahrbuch der Entſcheidungen
ſ. Warneyer.
Roſenthal, Heinrich, Bürgerliches Geſetzbuch 9. Aufl. 330
= haefer, Dr. H., Allgemeine gerichtliche Pſychiatrie 31
Schweitze r 8 Bayer. Finanzkalender 1914 111
Schmitt, Hermann, Geſchäftsordnung für die No—
tariate in Bayern vom 30. Oktober 1913 331
Schneider, Rud., Zivilprozeſſe für den Rechts-
unterricht 412
Seydel, Max von, Bahyeriſches Staatsrecht, neu be⸗
arbeitet von Dr. J. Graßmann und Dr. Robert
Piloty. 2. Bände 235
Siebert, Dr. Th., Bedingte Strafausſetzung 32
Sieskind, Dr. J., Prozeßrechtlicher Schutz der
Kriegszeit 452
XXXII Inhaltverzeichnis der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 191%
Simon, Dr. F., Schadenerſatzanſprüche bei Körper—
verletzung u. Tötung im Zweikampf 31
Soergel, Dr. H. Th., Rechtſprechung 1913 z. Zivil⸗,
Handels- und Prozeßrecht. 14. Jahrg. 196
Spiegel, Dr. L., Geſetz und Recht 77
Stärzl, H., Der Juſtizſtaatsdienſt 283
Staubs Kommentar zum Handelsgeſetzbuch.
9. Aufl. Bd. II 111
Struve, Dr. Karl, Die ſtrafrechtliche Behandlung
der Jugend in England 283
Sutner, K. A. von, Geſetz über den Kriegszuſtand
vom 5. November 1912 45
Tat, Die (Zeitſchrift) 391
Thuleſius, Konkurrenzklauſel 54
Ueberreiter, Dr F. J., Die rechtlichen Verhält- i
niffe der Ortsſtraßen beſonders in Bayern. 2. Aufl. 216 |
Unger, Dr. M., Der Selbſtmord in der Beurteilung
des geltenden Deutſchen Bürgerlichen Rechts 32
Warneyers Jahrbuch der Entſcheidungen.
A. Zivil-, Handels- u. Prozeßrecht 12. Jahrgang 1913 432
B. Strafrecht u. Strafprozeß. 8. Jahrg. 1913 432
Warneyer, Dr. O., Konkursordnung 412
Weißenhorn, Bankdepotgeſetz 8 8. 156
Wendler, E., Strafrechtl. Behandlung der Be—
teiligung mehrerer am Verbrechen und der Begriff
der „Teilnahme“ 32
Wolff, Dr. Emil, u. F. Birkenbihl, Die Praxis
der Finanzierung bei Errichtung, Erweiterung,
Verbeſſerung, Fuſionierung und Sanierung von
Aktiengeſellſchaften uſw. 283
Nr. 1.
München, dei den 1 1. Januar 1914.
10. Jahrg.
Zeitſchrift für Rechtapflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
K. 1. Staatsanwalt, im K. Baner.
Staats miniſterium der Juſti:.
in Bayern
Verlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Zellier)
Münden, Berlin u. Leipfig.
Geufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.)
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäyrlich
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
jede Poſtanſtalt.
f
Konkurrenz von Preßdelikten. Nechtskraft⸗
fragen. Zur Auslegung der §§ 73 StG B.
und 415 SPD.
Von Profeſſor Dr. Friedrich Oetker in Würzburg.
Tatbeſtand. In einer Zeitung erſchien ein
Artikel mit ſcharfen perſönlichen Angriffen gegen
X, Y und andere. Der Verfaſſer des Artikels
und verantwortliche Redakteur der Zeitung, Z,
wurde auf Privatklage des Y hin rechtskräftig zu
einer Gefängnisſtrafe von 8 Tagen verurteilt; die
Strafe iſt verbüßt. Unabhängig von hat auch
X wegen der ihn beleidigenden Stellen des Ar⸗
tikels Privatklage gegen Z erhoben und, nachdem
jenes Urteil bereits rechtskräftig geworden war,
Verurteilung des Angeklagten zu einer Gefängnis⸗
ſtrafe von 3 Wochen erwirkt. Dieſes Urteil hat
der Angeklagte mit Berufung angefochten, weil die
Strafe zu hoch ſei.
Gutachten.
Rechtsfragen:
I. In welchem rechtlichen Verhältnis
ſtehen die in dem Artikel enthalte⸗
nen Beleidigungen des X und Y zu:
einander?
II. Welchen Einfluß hat die rechtskräf⸗
tige Verurteilung des Angeklagten
im Privatklagverfahren Y—Z auf
den ſchwebenden Prozeß X — 2
III. Kann der Grundſatz ne bis in idem
in Betracht kommen gegenüber einer
auf das Strafmaß beſchränkten Be⸗
rufung?
Der Sachverhalt ergibt drei
I.
Beſteht zwiſchen den im Artikel ent:
haltenen Beleidigungen des Y und X
ideale Konkurrenz oder iſt Verbrechens—
mehrheit anzunehmen?
Bei Wortdelikten fällt die Frage der Hand⸗
Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a.
Anzeigengebübr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile
oder deren Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗
anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
Nachdruck verboten. 1
lungseinheit oder der Mehrheit ſelbſtändiger Hand⸗
lungen zuſammen mit der Frage, ob eine einheit⸗
liche oder eine Mehrheit ſelbſtaͤndiger Gedanken⸗
aͤußerungen anzunehmen iſt.
Einheitskriterium für Gedankenaͤußerungen kann
nicht ſein die Identität, Gemeinſamkeit des körper⸗
lichen Gegenſtands, auf den ſie geſchrieben, gedruckt
ſind, der Wand, Tafel, des Papiers, des Zeitungs⸗
blatts, der Zeitungs nummer. Ein ſolcher Zuſammen⸗
hang im Mittel iſt rein äußerlich und mit der
Mehrheits⸗, der Selbſtändigkeitsannahme durch⸗
aus vereinbar.
Das Delikt durch Gedankenäußerung iſt Delikt
durch Gedanken en t äußerung; ein Monolog, den A
nur ſich ſelbſt gehalten, ein Schriftſtück, das er nicht
abgeſandt, ſondern im Tiſchkaſten belaſſen hat,
können nicht deliktiſche Tatbeſtände ergeben. Die
Gedankenäußerung muß dem Deſtinatär, der Per⸗
ſon, den Perſonen, für die ſie beſtimmt iſt, —
Oetker in Goltd Arch. Bd. 26 S. 277 ff.; Lorſch,
Angegriffene, Deftinatäre, Gedankentraͤger bei der
Beleidigung (1904) S. 36 ff. — zugänglich ge⸗
macht, die Zeitungsnummer insbeſondere, in der
beleidigende Angriffe ꝛc. ꝛc. enthalten ſind, muß
ausgegeben worden ſein. Dieſer eine Akt der
Ausgabe hindert aber nicht, in der Druckſchrift
mehrere ſelbſtändige deliktiſche Gedankenäußerungen
zu finden, ſo wenig als die Beförderung zweier
beleidigender Briefe an B und C in demſelben an
fie beide adreſſierten Umſchlag die gleiche Auf:
faſſung ausſchließen würde. Ein hochverräteriſcher
und ein beleidigender Artikel in derſelben Zeitungs⸗
nummer begründen nicht wegen des einen Aus⸗
gabeakts Idealkonkurrenz.
Die Ausgabe als ſolche bringt nicht den Be⸗
leidigungstatbeſtand zum Abſchluß, ſie iſt nur die
Bedingung, unter der allein die gedruckten Beleidi-
gungen zur Wirkung kommen, von den Deſtinatären,
alſo von den Perſonen, auf welche der Wille der
Gedankenmitteilung geht, geleſen werden können.
Dieſe Wirkung kann, wenn mehrere Gedanken-
2 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
aͤußerungen — ob untereinander ſelbſtändig oder
nicht — vorliegen, da ſie doch nur ſukzeſſiv von
derſelben Perſon geleſen werden können, getrennt
von der einen, der andern Perſon geleſen werden,
nie in einem Akte ſich vermitteln.
Die Ausgabe der Zeitung kann als Urſache gedacht
werden für das Leſen ihres Inhalts als Wirkung.
Aber es iſt das Leſen nicht der Verbrechen erfolg,
ſondern ein Stück der Verbrechenshandlung — ihr
Schlußglied —, das vom Taͤter nicht eigenhändig,
ſondern fremdhändig, durch das Medium des De⸗
ſtinatärs, geſetzt wird. Wenn 20 Perſonen den
beleidigenden Artikel geleſen haben, ſo hat die Tat
nicht 20 Erfolge, ſondern nur den einen Erfolg,
Verletzung fremder Ehre, gehabt. Das Gedanken⸗
aͤußerungsdelikt iſt Gedankenmitteilungsdelikt, es
kann nicht zuſtande kommen, wenn die Rezeption
der Gedankenäußerung ausbleibt; Oetker a. a. O.
S. 279, Lorſch a. a. O. S. 37 ff. Inſofern iſt der
Täter eines Wortdelikts ſtets auf fremde Mit⸗
wirkung angewieſen. Die mehreren Gedanken⸗
äußerungen einer Zeitungsnummer, zuſammen⸗
hängend in dem einen Ausgabeakt, gehen als
Gedankenmitteilungen durch die Mehrheit der Per⸗
zeptionsakte wieder auseinander. Und dieſe ſind
Teile, nicht Erfolge des deliktiſchen Handelns.
Zwei Handlungsweiſen ergeben nicht deshalb eine
Handlung im Sinne des 8 73 StGB., weil ihnen
ein Akt gemeinſam iſt.
Die gegenteilige, von Binding, Handbuch des
Strafrechts 1 S. 581; Olshauſen zu 873 Bem. 19e;
Merkel in von Holtzendorffs Handbuch IV S. 227;
Klöppel, Reichspreßrecht S. 323; v. Bar, Geſetz und
Schuld im Strafrecht III S. 530; Meyer⸗Alljeld,
Lehrbuch des Strafrechts S. 365 Anm. 15; Frank zu
§ 73 Bem. III 3b; Höpfner, Einheit und Mehrheit
der Verbrechen I S. 198 ff. vertretene Anſicht, daß
mehrere in einem Preßerzeugnis begangene Delikte,
einerlei ob ſie ſich in einem Artikel oder in ver⸗
ſchiedenen Artikeln derſelben Nummer befanden,
weil durch das eine Mittel und die eine Handlung
der Ausgabe des Preßerzeugniſſes begangen, ſtets
ideal konkurrierten, wird der Tatſache nicht gerecht,
daß erſt die Rezeption ſeitens der Deſtinatäre den
deliktiſchen Tatbeſtand abſchließt. Hingegen nehmen
John, Fortgeſetztes Verbrechen S. 135; v. Liſzt,
Oeſtereich. Preßrecht S. 264, 265, Reichspreßrecht
S. 148 Realkonkurrenz an, wenn die deliktiſchen
Aeußerungen ſelbſtändige Bedeutung haben; ebenſo
RSt. III, 3, 436 ff.; I. 21, 276 ff.; II, 33, 47 ff.
Bei übler Nachrede und Verleumdung ſind die
Deftinatäre der Gedankenäußerung ſtets von den
Angegriffenen verſchieden; Lorſch S. 48 ff., vgl.
auch Olshauſen zu $ 186 Bem. 3b; a. A. Binding,
Lehrbuch 1 S. 158. Die Behauptung dem einen
gegenüber geſchieht in bezug auf einen andern,
deſſen Ehre dadurch angegriffen wird. Der Taͤter
erreicht den deliktiſchen Erfolg, die Verletzung
fremder Ehre, indem er den Gedanken — mündlich,
geſchrieben, gedruckt — äußert, entäußert und einen
andern, den vom Angegriffenen verſchiedenen Deſti⸗
natär, die Aeußerung perzipieren läßt. Das iſt
im Rechtsſinne ganz ſeine Handlung.
Im Falle der einfachen Beleidigung können An⸗
gegriffener und Deſtinatär verſchieden oder dieſelbe
Perſon ſein: A richtet eine beſchimpfende Aeußerun
im Hinblick auf den B (er ſei ein „Schuft“ ꝛc. =
an dieſen ſelbſt oder tut es dem C gegenüber. Unter
der letzteren Vorausſetzung kommt die Beleidigung
des B, ebenſo wie üble Nachrede, Verleum dung
gegen ihn, dadurch zuſtande, daß ſich A der Mit⸗
wirkung des C, der als Deftinatär die Aeußerung
perzipiert, bedient. Identität des Angegriffenen
und des Deſtinatärs iſt als Perſonalunion zu
denken: A verletzt die Ehre des B, indem er ihn
ſelbſt mithandeln, die Aeußerung perzipieren läßt.
Immer wird durch Mehrheit der Perzeptionsakte
gegenüber einer Mehrheit von Gedankenäußerungen
in derſelben Zeitungsnummer die Einheit der Aus⸗
gabe dergeſtalt aufgewogen, daß die Annahme der
Deliktseinheit nicht auf ſie gebaut werden kann.
ft demnach nicht die Einheit der Ausgabe Ein⸗
heitsmerkmal, ſo natürlich auch nicht die Anord⸗
nung des Erſcheinens durch den verantwortlichen
Redakteur, der, wenn er nicht ſelbſt der Verfaſſer iſt,
als deſſen Werkzeug handelt, ſo daß inſofern wieder
ein zum Teil fremdhändiges Handeln vorliegt.
Dieſe Anordnung iſt ein Geſamtakt, der ſich auf
alle einzelnen Artikel der Zeitungsnummer bezieht.
Daß das Imprimatur für die verſchiedenen Artikel
geſondert erteilt wird, fällt nicht ins Gewicht.
Denn dieſe Verfügungen haben nur vorbereitende
Bedeutung für die Anordnung des Erſcheinens der
Nummer. Aus der Einheit des Imprimatur für
einen Artikel kann — ſowenig wie aus der Einheit
der Geſamtanordnung — gefolgert werden, daß die
in dem betreffenden Texte — hier dem Artikel —
enthaltenen deliktiſchen Aeußerungen als Delikts⸗
einheit zu betrachten ſeien.
Verſagt ſomit für die Beurteilung der Einheits⸗
frage der äußerliche Geſichtspunkt der einheitlichen
Ausgabe, des einheitlichen Imprimatur, ſo bleibt nur
übrig, nach einem materiellen Kriterium zu ſuchen.
Dieſes bietet ſich in der Beſchaffenheit der deliktiſchen
Aeußerungen. Verbinden ſie ſich für eine verſtändige
Geſamtbetrachtung zu einem zuſammenhaͤngenden
Gedankeninhalt oder ſind verſchiedene ſelbſtaͤndige
Gedanken in ihnen enthalten? Das eine wie das
andere kann zutreffen, mag die Verletzung einer
oder mehrerer Perſonen gegeben ſein. Wirft A
dem B und dem C ein gemeinſames anſtößiges
Verhalten vor, ſo iſt das eine Gedankenäußerung,
einerlei, ob es in einem Satze beiden gegenüber
oder getrennt erſt im Hinblick auf den einen, dann
den andern geſchieht. Wird dem D erſt ein Sitt⸗
lichkeitedelikt zur Laſt gelegt, dann an anderer
Stelle ſein Geſchäftsgebaren als unredlich bezeichnet,
fo liegen zwei ſelbſtändige Aeußerungen und folglich,
die Erforderniſſe der Strafbarkeit unterſtellt, zwei
beleidigende Handlungen vor. Die Verteilung delik:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 3
tiſcher, beleidigender ꝛc. c. Aeußerungen auf ver:
ſchiedene „Artikel“ einer Zeitungsnummer ſchließt
nicht notwendig die Einheitsannahme aus. Es
können zwei Artikel desſelben Verfaſſers in der⸗
ſelben Nummer trotz dieſer äußeren Gliederung
ein einheitliches Ganzes ſein, ſo daß demgemaͤß
auch die Möglichkeit beſteht, in ihnen enthaltene
Wortdelikte als eine Einheit zu erachten.
Nicht ausſchlaggebend iſt die Gleichheit des
Motivs, des Zwecks; vgl. auch RGSt. II, 33, 49
und 34, 134 ff. Es kann ſehr wohl aus demſelben
Beweggrunde heraus, aus Rachſucht z. B.,
A mehrere ſelbſtändige Beleidigungen gegen meh:
rere oder dieſelbe Perſon verüben. Nur unter⸗
ſtützend, als ein Indiz der auch ſonſt angezeigten
Zuſammengehörigkeit deliktiſcher Aeußerungen mag
Gleichheit des Motivs ꝛc. ꝛc. in Betracht kommen;
entſprechend wird Verſchiedenheit der Motive ein
Gegenindiz gegen Annahme des Zuſammenhanges
zu liefern vermögen.
Der ſprachlichen Verbindung gleichartiger An⸗
griffe gegen mehrere — A, B, C, D find Schufte —
ſteht die ſachliche Zuſammengehörigkeit entſprechen⸗
der getrennter Vorwürfe — A iſt ein Schuft, B iſt
ein Schuft uſw. — völlig gleich. Es wäre ein rein
formaler Unterſchied, in jenem Falle einen, in dieſem
mehrere beleidigende Akte anzunehmen.
Mehrheit deliltiſcher Aeußerungsakte bei Einheit
des Verletzten ergibt, jenachdem fie auf einen ver:
brecheriſchen Willen oder eine Mehrheit ſelbſtändiger
Entſchließungen zurückführen, fortgeſetztes Verbrechen
oder Verbrechens mehrheit.
Nach alledem iſt die Frage der Handlungs⸗
Einheit,⸗Mehrheit für geſchriebene, gedruckte Wort⸗
delikte, Injurien insbeſondere, nach den gleichen
Grundſaͤtzen zu beurteilen, wie fie beim Mittel
des geſprochenen Wortes gelten. Daß Schrift und
Druck die Handlung dauernd zu verkörpern ver⸗
mögen, Verbreitung in gedruckter Geſtalt die In⸗
tenfität des Angriffes außerordentlich ſteigert, hat
für das Maß der Strafbarkeit, nicht für die
Prüfung des Tatbeſtandes auf Einheit, Zuſammen⸗
geſetztſein Bedeutung.
Die Anwendung der ſo gewonnenen Kriterien
auf den inkriminierten Artikel lehrt: Die Vorwürfe,
die darin gegen den Privatkläger X erhoben wurden,
ſind völlig ſelbſtändige Gedankenäußerungen gegen⸗
über dem nachfolgenden Angriff auf X. Es beſteht
zwiſchen dieſen Aeußerungen weder ſprachliche Ver⸗
bindung, noch ſachliche Zuſammengehörigkeit. Wird
aus der Verſchiedenheit der Behauptungen, die ſich auf
zeitlich, örtlich, ſachlich getrennte, durchaus ſelbſtändige
Vorgange beziehen, näher dargelegt. Weil verſchiedene
Perſonen angegriffen ſind und dieſe Mehrheit der
Angegriffenen bei allen Delikten gegen die Perſön⸗
lichkeit, insbeſondere gegen die Ehre, die Annahme
der Einheit des verbrecheriſchen Willens ausſchließt,
Binding, Handbuch I S. 532, v. Liſzt, Lehrbuch
S. 239, laſſen ſich die Angriffe gegen X einer⸗
ſeits, Y andererſeits nicht zu einem fortgeſetzten Ver⸗
ans verbinden, find vielmehr völlig ſelbſtändige
elikte.
II.
Welchen Einfluß hat die rechtskräf⸗
tige Verurteilung des Angeklagten im
Privatklagverfahren V— Z auf das Pri⸗
vatklagver fahren X—Z?
1. Die Selbſtändigkeit der in dem Artikel ent⸗
haltenen Delikte wider Y und X findet in Selb⸗
ſtändigkeit der Rechtsverfolgung durch die Ver⸗
letzten ihren prozeſſualen Ausdruck. Die von *
und X erhobenen Privatklagen waren daher nicht
dem 8 415 StPO. — Mehrheit der Klagrechte
infolge von Idealkonkurrenz oder von Mit⸗An⸗
tragsrecht neben dem Antragsrecht des Verletzten
— unterworfen. Für die jpätere Klage galt nicht
die Form der Beitrittsklage, 8 415 Abſ. 2, und
das erſtergangene rechtskräftige Urteil beeinflußt
nicht, wie nach Abſ. 3 — „jede in der Sache ſelbſt
ergangene Entſcheidung äußert zugunſten des Be⸗
ſchuldigten ihre Wirkung auch gegenüber ſolchen
Berechtigten, welche die Privatklage nicht erhoben
haben“ — zutreffen würde, die noch ſchwebende
Sache. Rechtskräftige Abweiſung der einen Klage
ſchadet nicht dem andern Kläger. Die Anerkennung
beider Strafanſprüche führt zu zwiefacher Beſtrafung
des Angeklagten. Somit hat das Schöffengericht
mit Recht in ſeinem zweiten, auf die Privatklage
des X hin ergangenen Urteil dieſes weitere Delikt
trotz der vorausgegangenen Beſtrafung der wider Y
verübten Injurie mit beſonderer Strafe belegt.
Wird angenommen, daß zur Zeit des zweiten Ur⸗
teils die früher erkannte Strafe bereits verbüßt
war, ſo erfordert jedes Delikt eine völlig ſelb⸗
ſtändige Beſtrafung. Denn nach 8 79 StGB.
kommen die Grundjäße über reale Konkurrenz
dann nicht zur Anwendung, wenn Verurteilung
wegen einer vor der früheren Verurteilung be⸗
gangenen ſtrafbaren Handlung erſt erfolgt, nach⸗
dem die erſterkannte Strafe bereits verbüßt war.
Unter der gegenteiligen Vorausſetzung hingegen
treffen die mehreren Delikte, obwohl in verſchie⸗
denen Urteilen erfaßt, doch zu einheitlicher Straf⸗
anwendung nach den Regeln der realen Konkur⸗
renz zuſammen, 8 79 StGB. Es hätten daher
in dieſem Falle im zweiten Urteile die jetzt und
die früher ausgeſprochene Gefängnisſtrafe zu einer
Geſamtſtrafe vereinigt werden müſſen, ſo daß auf
eine Zufatzſtrafe erkannt worden wäre. Da der
Angeklagte das Urteil mit Berufung wegen der
Strafhöhe angefochten hat, ſo wäre nunmehr
vom Berufungsgericht die Strafe entſprechend zu
mindern. Die Geſamtſtrafe hat hinter der Summe
der Einzelſtrafen mindeſtens um eine Strafeinheit
— hier einen Tag Gefaͤngnis — zurückzubleiben.
Folglich müßten, auch wenn das Berufungsgericht
die vom erſten Richter verhängte Einzelſtrafe bei⸗
behielte, doch die Geſamt⸗ und folgeweiſe die Zuſatz⸗
4 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
ſtrafe dieſe Ermäßigung — um mindeſtens einen wirken ſollen; der Beklagte iſt nicht gehalten, den
Tag Gefängnis — erfahren. Hätte hingegen auch gleichen Anſpruch wiederholt von ſich abzuwehren.
der Privatkläger das zweite Urteil angefochten — Nach rechtskräftiger Bejahung des Anſpruchs könnte
ſchlechthin oder im Strafmaß —, ſo könnte das
Beruſungsgericht die von der Vorinſtanz ausge⸗
ſprochene Strafe auch erhöhen. Denn das Verbot
der reformatio in pejus beſteht nur, wenn ledig⸗
|
|
die weitere Klage nicht zu weiterer Beſtrafung,
ſondern nur zur Anerkennung eines konkurrierenden
Klagrechts führen; das Strafverfahren aber kennt
nicht Feſtſtellungsurteile und es würde hier für
lich der Angeklagte ꝛc. ꝛc. Berufung eingelegt hat, ein ſolches Begehren auch an jedem erkennbaren
8 372 StPO. Folglich könnte es in biefen Falle Rechtsſchutzintereſſe fehlen.
nicht nur zur Beibehaltung der früher. Einzel:
ſtrafe als Se ſondern auch zu einer jene
überſteigenden Zuſatzſtrafe kommen.
2. Die Auffaſſung, daß zwiſchen Wortdelikten
derſelben Zeitungsnummer wegen der Einheitlich⸗
keit des Ausgabeakts ſtets ideale Konkurrenz be⸗
ſtehe, ergibt, ſofern es ſich um Privatklagdelikte
handelt, die Anwendung des 8 415 StPO. Um
der Rechtslage unter jedem Geſichtspunkte gerecht
zu werden, ſoll hypothetiſch angenommen werden,
daß zwiſchen den beiden von Y und von X ins |
kriminierten Beleidigungen das Verhältnis idealer
Konkurrenz beſtände, und unter diefer Voraus⸗
ſetzung die Wirkſamkeit des 8 415 geprüft werden.
Die Auslegung dieſes Geſetzes iſt ſtark umſtritten.
Die beiden in Literatur und Praxis vertretenen
Auffaſſungen, der Paragraph beziehe ſich nur auf
Konkurrenz des Verletzten und des Mitantragsberech⸗
tigten, er ſei gleichmäßig hierauf und auf das
Vorhandenſein von Mitverletzten infolge von idealer
Konkurrenz von Verletzungen anzuwenden, ſind
unhaltbar; vgl. Oetker, Konkurrenz von Privat⸗
klagrechten (1910) S. 12 ff. Vielmehr fallen kon⸗
kurrierende Klagrechte der einen und der andern
Art unter die Beſtimmungen des Geſetzes, doch
nehmen dieſe für beide weſentlich verſchiedene Ge⸗
ſtalt an. Der Mitantragsberechtigte und der Mit⸗
verletzte werden, wenn einer der Berechtigten die
Privatklage bereits erhoben hat, auf Beitritt zu
dem ſchwebenden Verfahren beſchränkt, Abſ. 2.
Natur und Wirkungen dieſes Rechtsakts ſind für
beide vom Geſetz umfaßte Konkurrenzen verſchieden
zu bemeſſen (Oetker a. a. O. S. 14 ff., 23 ff.), aber
es erübrigt ſich die Darlegung, da ja im ge⸗
gebenen Falle die beiden Privatkläger, Y und X,
unabhängig voneinander geklagt haben und in
beiden Sachen Urteile bereits ergangen ſind. Hin⸗
gegen bedarf Abſ. 3 des 8 415 der Unterſuchung.
Es muß geprüft werden, ob infolge der hier an⸗
erkannten Rechtskraftswirkung das in der Sache X
wider Z ergangene rechtskräftige Urteil abermaliger
Verurteilung und Beſtrafung des Beſchuldigten auf
die Klage des X hin entgegenſtehen würde.
Da der Verletzte und der Mitantragsberechtigte
ganz den gleichen Strafanſpruch geltend machen, ſo
beſteht inſofern volle Rechtskraftswirkung des auf
Klage des einen hin ergangenen Sachurteils gegen:
über dem andern Kläger; Oetker a. a. O. S. 7, 30.
Die Verneinung des Anſpruchs trifft auch den
Mitklagberechtigten; er hätte dem andern Ver⸗
fahren beitreten, auf günſtiges Urteil darin hin⸗
|
ö
Weſentlich anderer Beurteilung unterliegt die
Konkurrenz der Mitverletzten. Oeffentliche Klage
würde die ideal⸗konkurrierenden Delikte, Strafantrag
für ſie alle vorausgeſetzt, als ungetrennte Tateinheit
(im Sinne des Geſetzes, 8 73 StGB.) erfaſſen. Da⸗
gegen kann von den mehreren Privatklägern jeder
nur das ihn betreffende Delikt verfolgen. Die Straf⸗
anſprüche, die in öffentlicher Klage verbunden ſein
würden, werden von den Privatklägern geſondert
geltend gemacht. Auf die zuerſt zur Aburteilung
kommende Klage hin iſt nur Beſtrafung wegen des
von ihr erfaßten Delikts, nicht Feſtſtellung idealer
Konkurrenz und Beſtrafung des Beſchuldigten unter
dieſem Geſichtspunkte erreichbar. Könnte nun nicht
noch nachher infolge der weitern Klage das weitere
Delikt feſtgeſtellt und der idealen Konkurrenz Rech⸗
nung getragen werden, ſo ließe ſich der Klagen⸗
trennung halber ein der materiellen Rechtslage ent⸗
ſprechendes Ergebnis überhaupt nicht erzielen. Ein
ſolcher durchaus unbefriedigender Ausgang kann
nicht im Willen des Geſetzgebers gelegen ſein. Der
Privatklaͤger A hat vielleicht nur eine unbedeu⸗
tende formale Beleidigung erlitten, die zur Ver⸗
hängung geringfügiger Geldſtrafe geführt hat. Es
wäre ſchlimme Rechtsverweigerung, wenn deshalb
dem in dem gleichen Artikel ſchwer verleumdeten B
die Klage verſagt ſein ſollte.
Iſtein Offizialdelikt mit öffentlicher Klage verfolgt
worden, während für ein ideell konkurrierendes An⸗
tragsdelikt der Antrag noch fehlte, ſo bildete nur jenes
Delikt den Entſcheidungsgegenſtand und es tritt auch
nur inſofern die Rechtskraftswirkung ein; vgl. Oetker
a. a. O. S. 40 Anm. 1, (wo die weitere Literatur
und die Judikatur angegeben ſind). Die Klage
wegen eines Anſpruchs, deſſen Mitberückſichtigung
im Urteil durch ein rechtliches Hindernis, den
Antragsmangel, ausgeſchloſſen war, kann nicht
konſumiert ſein. Folglich iſt trotz der ſchon vor⸗
liegenden rechtskräftigen Entſcheidung auf neue
öffentliche (oder Privat⸗) Klage hin — rechtzeitige
nachträgliche Antragsſtellung vorausgeſetzt — über
dieſen weitern Anſpruch zu entſcheiden. Aber unter
Wahrung der Grundſätze über ideale Konkurrenz!
Es darf nicht zu Doppelbeſtrafung kommen. Lautete
das erſte Urteil auf Freiſprechung, ſo hat ſich die
Konkurrenz erledigt und es iſt das mit der zweiten
Klage verfolgte Delikt wie eine iſolierte Begehung
zu würdigen. Hatte der erſte Richter verurteilt
und der zweite erachtet das weiter inkriminierte
Delikt ebenfalls für feſtſtehend, ſo werden folgende
Unterſcheidungen notwendig:
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 5
a) Es beſteht ungleichartige Ideal⸗
konkurrenz mit ungleichen geſetzlichen
Strafrahmen.
a) Das erſte Urteil war mit dem
Delikt befaßt, das die Anwendung des
ſchwereren Strafgeſetzes bedingte (8 73
StGB.).
Das Hinzukommen des weiteren leichteren De⸗
likts hätte einen Straferhöhungsgrund geliefert.
Aber der erſte Richter konnte ihn nicht berüd-
ſichtigen, weil für das weitere Delikt die Klage
fehlte, und der zweite Richter kann es nicht, weil
die rechtskräftig gewordene Strafbemeſſung ſich der
Verſchärfung entzieht. Sonach muß das zweite
Urteil dahin lauten, daß der Angeklagte des
weiteren Delikts ſchuldig ſei und auch hierfür mit
der vom erſten Richter ausgeſprochenen Strafe
belegt werde; Oetker a. a. O. S. 33. Das iſt
keineswegs ein bloßes Feſtſtellungsurteil. Denn
die eine Strafe im Falle idealer Konkurrenz trifft
beide Delikte, und es iſt daher die Erſtreckung der
früher erkannten Strafe auf das weitere Delikt
Verurteilung wegen dieſer Straftat. Kommt es
ſomit auch nicht zu einem Strafzuſatz, fo ent⸗
ſpricht doch die Erwirkung des richterlichen Aus⸗
ſpruchs dem Intereſſe des zweiten Klägers an
Genugtuung und Rufreparation. Das iſt beſonders
einleuchtend im Hinblick auf das nach 8 200 StGB.
dem Beleidigten zuzuſprechende Publikationsrecht.
Auch geltend gemachter Bußanſpruch würde ab⸗
fällig, wenn nicht Verurteilung wegen des nun⸗
mehr eingeklagten Delikts zu der früheren Strafe
in Erweiterung des Beſtrafungsobjektes erfolgte
($ 188 StGB.: „Bußzuerkennung neben der
Strafe“).
5) Auf das
war das leichtere
wenden.
Kommt auch der zweite Richter zur Verur⸗
teilung, ſo hat er an der Hand des ſchwereren
Strafgeſetzes die Strafe für das weitere Delikt
unter weſentlicher Rückſichtnahme auf den Straf:
erhöhungsgrund der idealen Konkurrenz zu be⸗
ſtimmen; Binding, Handbuch 1 S. 634, 635, Oetker
a. a. O. S. 33, 34. Sind die Strafarten gleich,
ſo wird von der ſo gefundenen Strafe die früher
erkannte, mag ſie bereits vollſtreckt ſein oder nicht,
abgezogen und zuſätzlich auf den Reſt erkannt.
ſt im zweiten Urteil auf ſchwerere Strafart
zu erkennen,) jo muß, da gleichzeitige Anwendung
beider Geſetze nach I 73 StGB. unzuläaͤſſig wäre,
unter Verwandelung der früher ausgeſprochenen,
noch nicht vollſtreckten Strafe in die nun maß⸗
gebende Strafart die Strafe einheitlich beſtimmt
werden, wobei der Wegfall der früheren Strafe
auszuſprechen iſt. Es darf nicht eingewandt werden,
erſtabgeurteilte Delikt
Strafgeſetz anzu⸗
daß auf die anderweite Strafart doch bereits rechts⸗
kräftig erkannt ſei. Denn die Rechtskraftswirkung
beſteht nur unter Vorbehalt einer bei ſpäterer
Feſtſtellung idealer Konkurrenz infolge des § 73
StGB. zu vollziehenden Strafumwandelung.“) Iſt
im gleichen Falle das frühere Urteil bereits voll⸗
ſtreckt, ſo hat der zweite Richter die verbüßte
Strafe nach entſprechender Umwandelung in Abzug
zu bringen und nur auf den Reſt zu erkennen.“)
Es kommt dann allerdings entgegen dem 8 73
StGB. zur Anwendung zweier Strafgeſetze. Aber
an der einmal geſchehenen Vollſtreckung iſt eben
nichts zu ändern. Der zweite Richter bleibt des⸗
halb doch ſeinerſeits an die Vorſchrift des § 78
gebunden, kann nicht zum milderen Geſetz greifen.
Durch Umwandelung und Abzug iſt ein der vollen
ausſchließlichen Anwendung des 8 73 materiell
gleichwertiger Effekt herbeizuführen.
b) Die Idealkonkurrenz iſt gleid:
artig.
Gleichzeitige Aburteilung bringt das eine
Strafgeſetz auf beide Delikte einheitlich zur An⸗
wendung; Binding, Handbuch I S. 577 ff.; Ols⸗
hauſen zu $ 73 Bem. 16; RGSt. I, 2, 255 ff. Von
keinem der Delikte kann geſagt werden, es
ſei Strafzumeſſungsgrund für die Beſtrafung
des andern. Immer hat hier der zweite Richter
die Aufgabe zu erfüllen, die ſich dem erſten, nur
mit dem einen Delikt befaßten Richter nicht
darbot Feſtſetzung der Strafe für den Delikts⸗
komplex. Im übrigen iſt zu unterſcheiden:
a) Der zweite Richter greift zu derſelben Straf⸗
art wie der erſte, ſei es, daß nur eine Strafart
im Geſetz angedroht iſt, ſei es, daß eine Alter⸗
native von Strafarten im zweiten Urteil ebenſo
entſchieden wird, wie im erſten. Die Rechtskraft
des erſten Urteils bringt mit ſich, daß deſſen
Strafe jedenfalls bleiben muß. Aber ſie iſt vom
zweiten Richter zu erhöhen, mindeſtens um eine
Strafeinheit, weil ſonſt die Konkurrenz unberück⸗
ſichtigt bliebe.) Auf das Plus iſt zuſätzlich zu
erkennen. Dieſe Strafbeſtimmung geſchieht gleich⸗
9) Der gleiche Vorbehalt gilt für den Fall realer
Konkurrenz: Hat das erſte Urteil die leichtere Strafart
verhängt, ſo muß der zweite Richter dieſe Strafe in die
für das weitere Delikt und damit für die Geſamtſtrafe
($ 74 Abſ. 2 StGB.) maßgebende ſchwerere Strafart
umwandeln; Olshauſen zu 8 79 Bem. 120.
) Die Reduktion geſchieht durch Entſcheidung in
der Vollſtreckungsinſtanz (8 490 StPO.), wenn der zweite
Richter die Vollſtreckung, weil ihm unbekannt, nicht
berückſichtigt hatte.
) Nicht richtig Oetker a. a. O. S. 32, 33: das
zweite Urteil habe nur das weitere Delikt feſtzuſtellen
und die Strafe des erſten Urteils darauf mitzubeziehen.
Das trifft nur zu für den Fall ac. Nur dort hat das
weitere Delikt die Bedeutung eines Straferhöhungs⸗
grundes, den nachträglich, nach ſchon rechtskräftig ge⸗
wordener Strafbemeſſung zu berückſichtigen der zweite
Richter außerſtande iſt Unter der Vorausſetzung sub b
1) Dieſe Eventualität iſt bei Oetker S. 33 nicht hingegen ſtehen die beiden Delikte gleichwertig neben:
mitberückſichtigt.
einander.
—
mäßig, mag das erſte Urteil bereits vollſtreckt
ſein oder nicht. ö
5) Droht das Geſetz alternativ Geld: oder
Freiheitsſtrafe (88 185, 186 StGB.), jo würde
bei gleichzeitiger Aburteilung beider Delikte immer
nur auf die eine oder andere Strafe erkannt
werden können. Sukzeſſive Aburteilung aber führt
unter Umſtänden dazu, daß der zweite Richter auf
den Deliktskomplex die andere ſchwerere Strafart
ſetzt, gegenüber der Verhängung der leichteren
durch den erſten Richter. Erachtet der zweite Richter
das hinzukommende Delikt für ſo ſchwer, daß es
nur durch Freiheitsſtrafe geſühnt werden könne,
ſo hindert ihn die vom erſten Richter erkannte
Geldſtrafe nicht daran, für den Komplex
Freiheitsſtrafe zu beſtimmen. Es tritt dann die
gleiche Sachbehandlung wie unter aß ein.
c) Beſtehen für ungleichartige Idealkonkurrenz
die gleichen Strafrahmen (3. B. bei 88 185 und
186 StGB.), jo iſt zu verfahren wie bei gleich⸗
artiger Idealkonkurrenz. —
Ganz die naͤmlichen Grundſaͤtze, wie fie hiernach
auf die Folge zweier öffentlicher oder einer öffentlichen
und einer Privatklage in Anwendung kommen, würden
an ſich wegen Gleichheit des Grundes auch für ſukzeſſiv
erhobene Privatklagen wegen ideell konkurrierender
Delikte Geltung beanſpruchen. Es kann ſich nur
fragen, ob die pofitive Beſtimmung in Abſ. 3 des
8 415 modifizierend einwirkt. Dem Sachurteil auf
die Erſtklage wird hier zugunſten des Beſchuldigten
Wirkung gegeben auch gegenüber ſolchen Berech⸗
tigten, welche die Privatklage nicht erhoben haben.
Abweiſende Sachentſcheidung iſt dem weiteren
Kläger inſofern und nur inſofern präjudiziell, als fie
das den beiden Anſprüchen — des Erſt⸗ und des Zweit⸗
klaͤgers — gemeinſame Fundament verneint, Oetker
a. a. O. S. 31 ff. Iſt die Klage des A wegen
Preßbeleidigung abgewieſen worden, weil die be⸗
leidigenden Wendungen des Artilels nicht auf ihn,
ſondern den B zu beziehen ſeien, ſo kann darin
unmöglich ein Hindernis für die Klage des letz⸗
teren liegen. Nicht anders, wenn dem Beſchul⸗
digten im Hinblick auf den Erſtklaͤger der Recht⸗
fertigungsgrund des 8 193 StB. — Wahrneh⸗
mung berechtigter Intereſſen — zugebilligt worden
war. Daraus folgt nicht, daß die gleiche Voraus⸗
ſetzung auch gegenüber dem mitverletzten B gegeben
ſei; dieſe Frage wäre vielmehr vom zweiten Richter
zu entſcheiden. Iſt hingegen Freiſprechung erſolgt,
weil die Autorſchaft des Beſchuldigten an dem
Artikel verneint wurde, ſo ſteht allerdings jeder
weiteren auf den Artikel geſtützten Beleidigungs⸗
klage gegen ihn die Rechtskraft des Urteils entgegen.
Inſofern enthält § 415 Abſ. 3 allerdings eine
6 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
S. 32 ff. Die Zubilligung des einen Anſpruchs
iſt doch ebenſowenig Verneinung des andern gar
nicht mit eingeklagten als in ihr deſſen Bejahung
gefunden werden könnte. Der erſte Richter war
ja nur mit dem einen Anſpruch befaßt. Die
Prüfung, ob ein weiterer Anſpruch wegen ideell
konkurrierenden Delikts beſteht, iſt ganz unbeſchränkt.
Nur volles Mißverſtändnis des Geſetzes könnte zu
gegenteiliger Annahme führen. Ja auch der klare
Wortlaut ſteht entgegen, denn als die „Sache“,
in der die erſte Eutſcheidung ergangen iſt, erſcheint
doch nur die Klage wegen des erhobenen Anſpruchs.
Die Klage wegen eines weiteren Anſpruchs kann
nur inſofern berührt ſein, als auch ihr durch das
erſte — verneinende — Urteil die Grundlage ent:
zogen worden iſt.
Hiernach iſt vom Standpunkte idealer Konkurrenz
zwiſchen den in dem inkriminierten Artikel enthaltenen
Beleidigungen wider Y und wider X die konkrete
Rechtslage dahin zu beſtimmen. Die Privatklage des
X findet an der vorgängigen von X erwirkten rechts⸗
kräftigen Verurteilung des Beſchuldigten kein Hinder⸗
nis. Ein Einwand der Rechtskraft wäre inſofern völlig
verfehlt. Es iſt in keiner Weiſe rechtlich zu beanſtan⸗
den, daß das Schöffengericht den Beſchuldigten auch
wegen der weiteren, von dem früheren Straf⸗
verfahren nicht erfaßten Beleidigung des X ver⸗
urteilt hat. Nur durften nicht, wie geſchehen, in
beiden Urteilen unabhängig voneinander Strafen
ausgeſprochen werden, als ob es ſich um tatſächlich
und rechtlich völlig getrennte Begehungen handelte.
Die Verurteilung iſt in beiden Sachen auf Grund
des $ 186 StGB. erfolgt und beide Male hielt
das Gericht wegen der Schwere der Beleidigungen
Gefängniöftrafen für geboten: alſo gleichartige
Idealkonkurrenz unter gleichmäßiger Löſung der
ſtrafgeſetzlichen Alternative — Gelditrafe, Haft,
Gefängnis — für jedes Einzeldelikt. Der zweite
Richter hätte für den Deliktskomplex einheitlich
eine Gefaͤngnisſtrafe beſtimmen müſſen, unter ent⸗
ſprechender Erhöhung der ſchon rechtskräftig auf
das eine Teildelikt geſetzten Strafe, wobei diefes
Plus als Zuſatzſtrafe auszuſprechen war (vgl. oben
ba). Die Schwere der weiter feſtgeſtellten Belei⸗
digung rechtfertigte eine erhebliche Straſverſchär⸗
fung. Es bleibt zu prüfen, ob in der Berufungs⸗
inſtanz der volle Betrag der im zweiten Urteil
verhängten Strafe als Zuſatzſtrafe beibehalten werden
kann. Erhöhung wäre wegen des Verbots der
reformatio in pejus, 8 372 StPO., zweifellos
unzuläſſig. Aber wie bei realer Konkurrenz die
Geſamtſtrafe mindeſtens um eine Strafeinheit ge⸗
ringer ſein muß als die Summe der Einzelſtrafen,
die Zuſatzſtrafe daher nicht der vom zweiten Richter
Sondernorm für ideale Konkurrenz; gegenüber beſtimmten Einzelſtrafe gleichkommen kann und
einer weiteren Klage aus real konkurriendem Delikt | der Berufungsrichter durch ſo bemeſſene Zuſatzſtraſe
beſteht nicht entſprechende Rechtskraftswirkung.
das Verbot der reformatio in pejus verletzen
Die Bejahung des Anſpruchs im erſten Urteil würde, ſo würde gleiche Bindung des Berufungs—
läßt die ferneren auf Feſtſtellung weiterer Anſprüche
gerichteten Klagrechte ganz unberührt, Oetker a. a. O. kurrenz der ſukzeſſiv abgeurteilten Vergehungen
urteils auch unter Vorausſetzung idealer Kon—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 7
anzunehmen ſein, zumal in den Augen des Geſetzes
dieſe Konkurrenz den leichteren Fall bildet (88 73,
74 StGB.). Vorliegend würde der zweite Richter
bei Kenntnis des ſchon ergangenen Urteils nicht
in iſolierter Würdigung das weitere Delikt mit
Strafe belegt haben; da es aber geſchehen iſt, ſo
muß die Situation in der Berufungsinſtanz im
Hinblick auf reformatio in pejus nun auch analog
dem Falle realer Konkurrenz bemeſſen werden.
Ebenſo wäre unter Vorausſetzung der Berufung
auch des Privatklägers das für reale Konkurrenz
gewonnene Ergebnis anwendbar.
III.
Kann der Grundſatz ne bis in idem
in Betracht kommen gegenüber einer
auf das Strafmaß beſchränkten Be:
rufung? a
Der Angeklagte hat Berufung nur wegen des
Strafmaßes eingelegt. In dieſer Beſchränkung
liegt ein teilweiſer Verzicht auf das Rechtsmittel,
d. h. auf die Anfechtung des Schuldentſcheids; es
kann ſich daher die Kognition des Berufungs⸗
richters nur auf den Strafentſcheid beziehen. Eine
Strafverſchärfung iſt durch das Verbot der ref.
in pejus ausgeſchloſſen. Nur Aufrechterhaltung
oder Minderung der Strafe kann in Frage kommen.
Die vorgängigen Ausführungen haben gelehrt, daß
unter der doppelten e einer Mehrheit
ſelbſtändiger Delikte und des Wegfalls realer Kon⸗
kurrenz wegen ſchon geſchehener Verbüßung der
früher erkannten Strafe die volle in erſter In⸗
ſtanz ausgeſprochene Strafe beibehalten werden
kann, während für den Fall realer und bei An⸗
nahme idealer Konkurrenz Reduktion dieſer Strafe
mindeſtens um eine Einheit erfolgen muß.
Infolge Beſchränkung der Berufung auf den
Strafentſcheid iſt der Schuldentſcheid rechtskräftig
geworden. Sonach kann die Berufung nicht auf
einen prozeſſualen Verſtoß geſtützt werden, der auch
dem Schuldentſcheid anhaften würde.“) Denn durch
Nichtanfechtung des präjudizierenden rechtskräftig
gewordenen Schuldentſcheids würde der Mangel
auch für den präjudizierten Strafentſcheid geheilt
ſein; Oetker, Gerichtsſaal Bd. 65 S. 446 ff. Da⸗
her iſt es ein innerer Widerſpruch, wenn der An⸗
geklagte zur Rechtfertigung ſeiner auf den Straf⸗
entſcheid beſchränkten Berufung den Einwand rechts⸗
kraftig entſchiedener Sache geltend macht, der die
Unzuläſſigkeit abermaliger Verurteilung überhaupt
ergeben würde. Kann aber eine Berufung nur
gegen den Strafentſcheid nicht geſtützt werden auf
einen auch den Schuldentſcheid affizierenden pro⸗
zeſſualen Mangel, ſo folgt, daß dem Berufungs⸗
) Wohl wäre zuläffig. einen prozeſſualen Verſtoß
geltend zu machen, der lediglich den Strafentſcheid be⸗
rührte: es iſt z. B. ein Zeuge zu Unrecht vereidigt, nicht
vereidigt worden, der nur über einen Strafzumeſſungs⸗
grund (vorgängige Reizung ꝛc. ꝛc.) vernommen wurde.
richter auch nicht zuſteht, von Amts wegen einen
ſolchen Defekt bei derart beſchränkter Berufung zu
berückſichtigen; Oetker a. a. O. S. 447.5) Annahme
des Gegenteils aus 8 369 Abſ. 2 StPO. herzu⸗
leiten, enthielte ein völliges Mißverſtändnis dieſes
Geſetzes.
die Faftung des Etaates für Angehörige
des bayeriſchen Heeres.
Bon Theodor von der Pfordten.
Das GVBl. veröffentlicht in Nr. 70 das Ge⸗
ſetz vom 6. Dezember 1913 über die Haftung
des Staates für Angehörige des bayeriſchen Heeres.
Auf den erſten Blick fieht es mit feinen zwei Ar⸗
tikeln ſehr einfach aus. Aber ſchon die dem Re⸗
gierungsentwurfe beigegebene Begründung zeigt,
daß es ſich hier um einen ziemlich verwickelten
Stoff handelt. Noch deutlicher tritt das hervor,
wenn man die Vorgeſchichte des Geſetzes genauer
ins Auge faßt: es ergibt ſich dann, daß es eine
an Unklarheiten reiche Entwickelung ſchließt. Ein
kurzer geſchichtlicher Rückblick wird auch das Ver⸗
ſtändnis für die Tragweite der Neuregelung fördern.
I.
1. Bor dem 1. Januar 1900 gab es in Bayern
keine geſetzliche Beſtimmung, die die Haftung des
Staats für Amtshandlungen der Beamten all⸗
gemein geregelt hätte. Die Rechtslehre verſuchte
zum Teil, die bürgerlich⸗ rechtliche Schadenserſatz⸗
pflicht des Staates für widerrechtliche Handlungen
ſeiner Beamten und Bedienſteten in Ausübung
der Staatsgewalt aus den „verfallungsmäßigen
Garantien“ der Verfaſſungsurkunde abzuleiten,)
zum Teil wollte ſie mit der „Fiktion“ nachhelfen,
daß die Handlungen der Beamten den Staats⸗
angehörigen gegenüber als Handlungen des Staates
ſelbſt zu gelten hätten, die er als ſeine eigenen
vertreten müſſe,) zum Teil lehnte fie die Haftung
wegen des Mangels einer ausdrücklichen Vorſchrift
ab.“) Die Rechtſprechung erkannte zwar die Haftung
e) Es möchte geltend gemacht werden, daß ein unter
Verletzung des ne bis in idem ergangenes Strafurteil
abſolut nichtig wäre (Oetker im „Rechtsgang“ Bd. 1 S. 17).
Aber es braucht hier auf die ſchwierige Frage der Be⸗
handlung eines abſolut nichtigen Urteils im Rechts⸗
mittelverfahren nicht eingegangen zu werden, da der
„abſolut nichtige“ Entſcheid als ſolcher mit dem Rechts⸗
mittel nicht angefochten iſt, die auf die Straffrage be⸗
ſchränkte Berufung vielmehr die Anerkennung der Gültig⸗
keit des Schuldentſcheids begrifflich vorausſetzt. Vom
Standpunkte dieſes Gutachtens aus erledigt ſich die Frage
ſchon durch die Verneinung der Rechtskraftverletzung.
1) Becher, Rechtsrh LR. Bd. I S. 286.
*) Roth, Bayer. ZR II. Aufl. Bd. I S. 252.
2) Seydel, Bayer. SiR. II. Aufl. Bd. II S. 609
Anm. 88.
8 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
des Staates grundſätzlich an, war aber nicht einig
darüber, ob der Staat unmittelbar oder nur nach
dem Beamten hafte.“
War ſo die Rechtsgrundlage für die Haftung
des Staates an ſich ſchon unſicher, ſo ergaben ſich
noch beſondere Schwierigkeiten bei der Frage, ob
und inwieweit der bayeriſche Staat auch für die
Amtshandlungen von Perſonen des Soldatenſtandes
ſchadenserſatzpflichtig ſei. Denn es war von jeher
e ob ſolche Perſonen unter den viel⸗
eutigen, in verſchiedenen 45 verſchieden um⸗
grenzten Begriff des Beamten fallen. Die Zweifel
mochten vielleicht nicht berechtigt ſein, ſoweit der
Heeresdienſt auf Grund öffentlich⸗ rechtlichen Ver⸗
trags geleiſtet wird. Denn dieſer Dienſt weiſt,
wie Seydel mit Recht hervorhebt, „alle ent⸗
ſcheidenden Merkmale des gleichartigen bürgerlichen
Staatsdienſtverhältniſſes auf.““) Mehr Grund
hatten die Bedenken bei den Perſonen, die nur
zur Erfüllung der Wehrpflicht dienen. Gleich⸗
wohl bildete ſich nach der herrſchenden Meinung
ein Gewohnheitsrecht — richtiger würde man viel⸗
leicht ſagen: ein Gerichtsgebrauch — aus, der den
Staat für Rechtsverletzungen bei Ausübung öffent⸗
licher Gewalt durch Militärperſonen haftbar machen
wollte. Die Gerichte konnten ſich aber nicht ent⸗
ſchließen, auch die volle Zuſtändigkeit für ſich zu
beanſpruchen, behielten vielmehr den vorgeſetzten
Militärbehörden die Entſcheidung der Frage vor,
ob die Militärperſon geſetz⸗ oder dienſtwidrig ge⸗
handelt habe.“) Das war inſoferne folgerichtig,
als die Gerichte in dieſem Punkte vor den An⸗
ſprüchen der Verwaltungsbehörden ſtändig zurück⸗
gewichen waren, auch da, wo es ſich um die Haf⸗
tung des Staates für Zivilbeamte handelte, und
ſo ohne eine äußere Rechtsgrundlage und ohne
zwingenden inneren Anlaß die Einrichtung der
„Vorentſcheidung“ hatten entſtehen laſſen.“) Schwerer
begreiflich iſt es, daß Rechtslehre und Rechtſprechung
das auf ſchwankendem Boden ruhende Recht der
Militarbehörden zur Vorentſcheidung auch dann
noch anerkannten, als 8 11 Abſ. 2 EGGVG. und
Art. 7 Abſ. 2 VGHG. vom 8. Auguſt 1878 das
Recht der Vorentſcheidung geſetzlich feſtlegten. Ab⸗
geſehen von der Unſicherheit des Beamtenbegriffes
ſpielte dabei die Erwägung eine Rolle, daß der
durch Art. 7 Abſ. 2 VGH. zur Vorentſcheidung
berufene Verwaltungsgerichtshof „der Würdigung
militariſcher Dienſthandlungen ebenſo fremd gegen:
) Vgl. die Nachweiſungen bei Becher, Materialien
Abt IV, V Bd. 1 S. 78.
) Bayer. StR. II. Aufl. Bd. III S. 725.
6) S. das Erkenntnis des OGH. vom 7. Februar 1878,
Beil. IV z. GVBl. 1878, S. 17 des Anhangs.
) Vgl. über die Entwickelung Seydel a. a. O.
Bd. 1 S. 597 ff.; der Verſuch Seydels, eine innere Be⸗
rechtigung dieſer Entwickelung nachzuweiſen, iſt m. E.
nicht geglückt. Denn ſie lief im Grunde genommen doch
darauf dinaus, daß die Verwaltung zum Richter in
eigener Sache beſtellt wurde.
— — N— >
über ſtehe, wie das Zivilgericht. “) Wie wenig
durchſchlagend dieſer Grund iſt, ergibt ſich daraus,
daß das Reichsgeſetz vom 22. Mai 1910 über die
Haftung des Reichs für ſeine Beamten überhaupt
keine Vorentſcheidung für nötig hielt und daß jetzt
das bayeriſche Geſetz vom 6. Dezember 1913 dem
Verwaltungsgerichtshof die Entſcheidung der Vor⸗
frage überträgt, zu deren Löſung er nach der früheren
Rechtslehre nicht befähigt wäre.
2. Das Inkrafttreten des BGB. hätte die
Gelegenheit geboten, die Unklarheiten zu beſeitigen.
Das BGB. regelte klar und erſchöpfend die
Haftung des Staates für ſeine Angeſtellten im
wirtſchaftlichen Verkehr (88 31, 89, 278, 831) und
ſchied fie Scharf von der Haftung für Verletzungen
der Amtspflicht bei Ausübung ſtaatlicher Hoheits⸗
rechte. Nur für deren Ausgeſtaltung blieb den
Landesrechten noch ein Spielraum. $ 839 BGB.
überbürdet dem Beamten ſelbſt die Haftung, wenn
er vorſaͤtzlich oder fahrläffig die ihm einem Dritten
gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt; Art. 77
EGBGB. gibt den Landesrechten die Möglichkeit,
dieſe Haftung auf den Staat zu übernehmen und
unmittelbare Anſprüche des Geſchädigten gegen den
Beamten auszuſchließen. Die Vieldeutigkeit des
Begriffs „Beamter“ brachte es wieder mit ſich,
daß auch damals die Haftung des baheriſchen
Staates für Amtshandlungen von Militärperſonen
nicht befriedigend und in einer jeden Zweifel aus⸗
ſchließenden Weiſe geordnet wurde.
Die Verſuche der Rechtslehre, den Beamten⸗
begriff im 8 839 zu erfaſſen, führten alsbald zu
neuen Streitfragen, insbeſondere konnte man ſich
nicht darüber einigen, ob und inwieweit Perſonen
des Soldatenſtandes darunter fallen.“) Ein Teil
der Ausleger ſuchte allgemeine innere Merkmale
aufzuſtellen,“) andere wollten für Reichsbeamte
das Reichsſtaatsrecht, für Landesbeamte das Landes⸗
ſtaatsrecht entſcheiden laſſen. “!) Erblickt man das
entſcheidende Merkmal in der Anſtellung kraft
öffentlich⸗rechtlichen Dienſtvertrags und in der Ueber⸗
tragung ſtaatlicher Gewalt, ſo wird man ſich kaum
e) Seydel a. a. O. Bd. J S. 604. Krais, BlAdmpr.
XXæXIII S. 120 wollte wenigſtens eine Ausnahme für
Offiziere und Soldaten machen, die unter beſonderen
Verhältniſſen der Zivilbevölkerung gegenüber mit polizei⸗
licher Zwangsgewalt“ bekleidet fein ſollten. Damit wäre
wohl nichts gebeſſert, ſondern nur eine neue Quelle von
Zweifelsfragen eröffnet worden.
) Eine eingehende Unterſuchung findet ſich in dem
Vortrage von Rehm, Hirths Annalen 1900 S. 369 ff.
10) Kommentar von Reichsgerichtsräten II. Aufl. Bem.2
zu 8 839: „Das Merkmal der Beamteneigenſchaft im
allgemeinen iſt das auf Anſtellung gegründete öffentlich⸗
rechtliche Dienſtverhältnis und die Unterſtellung des
Dienſtverpflichteten unter eine beſondere Dienſtgewalt.“
Der Kommentar meint dann weiter, „einer Aufzählung
der Beamtenklaſſen, die für 8 839 in Betracht kommen,
bedürfe es nicht.“ Richtiger wäre es wohl zuzugeben,
daß die erſchöpfende Aufzählung unmöglich iſt.
11) Planck, III. Aufl., Bem. 2 zu 8 839, Staus
dinger 5./6. Aufl. Bem. 36 zu § 839.
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 9
der Folgerung entziehen können, daß wenigſtens
die Offiziere — vielleicht auch die Kapitulanten —
unter 8 839 fallen.“) Das Reichsgericht hat denn
auch dieſen Schritt getan und die Offiziere, ſoweit
ſie öffentliche Dienſtverrichtungen ausüben, unter
die Staatsbeamten in dem „weiteren Sinne“ des
8839 BGB. und des Art. 77 EGBGB. gerechnet.!“
Art. 60 AGBGGB. machte von dem Vorbehalt
in Art. 77 EGBGB. Gebrauch; Art. 165 AGBGB.
brachte den Art. 7 Abſ. 2 VGH GG., der von der
Vorentſcheidung handelt, mit dem neuen Recht in
Uebereinſtimmung. Die Landesgeſetzgebung hätte
den Kreis der Beamten, für die der Staat haften
ſollte, gegenüber dem 8 839 BGB. einſchränken
konnen; ausdrücklich hat fie das jedenfalls nicht
getan. Dagegen tauchte ſofort wieder der Zweifel
auf, ob die Perſonen des Soldatenſtandes zu den
Beamten i. S. des Art. 60 AGBGB. und des
Art. 7 Abi. 2 VGHGG. zu zählen ſeien. In der
Ausſchußverhandlung der Kammer der Reichsräte
ſtellte der Berichterſtatter Dr. v. Schmitt den Satz
auf: „Die Soldaten und die Offiziere ſind keine
Beamten“. Dieſe Aeußerung war in ſolcher All⸗
gemeinheit und Beſtimmtheit nicht gerechtfertigt.
Denn der Regierungsentwurf zum AG. (Art. 53)
bot keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Landes⸗
recht vom Beamtenbegriff des 8 839 BGB. ab⸗
weichen wollte, und dieſer Begriff war damals
noch leineswegs in dem Sinne geklärt, wie Reichs⸗
rat v. Schmitt annahm. Aber — wie es ſo häufig
geſchieht — die für die Auslegung des fertigen
Geſetzes unverbindliche Anſicht wurde von einem
Teile der Rechtslehrer jofort aufgegriffen und ohne
weitere Prüfung angenommen.) So blieb die
Rechtslage nach wie vor unſicher und da man doch
wohl nicht annehmen konnte, daß der Begriff des
Beamten im Art. 60 AGBGGB. ein anderer ſei
als im Art. 7 Abſ. 2 VGHG., ) jo wurde auch
das früher durch Gerichtsgebrauch anerkannte, jeder
12) Vgl. Oertmann, Recht der Schuldverhältniſſe,
Bem. 2a zu 8 839, der jogar die Militärperſonen ſchlecht⸗
hin einbeziehen will, ſoweit ſie öffentliche Funktionen
ausüben; ähnlich Delius, Haftpflicht der Beamten,
II. Aufl. S. 169.
10) JW. 1912 S. 638 /9 Nr. 10. Die früheren Ent⸗
ſcheidungen des Reichsgerichts, auf die dort verwieſen
wird, beſchäftigen ſich mit der Frage nicht ausdrücklich,
ſondern ſcheinen ſie als gar nicht zweifelhaft ſtillſchweigend
zu bejahen.
1) Krais, BlAdmpPr. 50 S. 312; Stengel in
Hirths Annalen 1901 S. 487; a. M. anſcheinend Henle⸗
Schneider, II. Aufl. Bem. 1 zu Art. 60 UG BGB., wo
der Beamtenbegriff nach inneren Merkmalen beſtimmt wird.
1) Eine andere Anſchauung vertritt Piloty in der
neuen Bearbeitung des Bayeriſchen Staatsrechts von
Seydel Bd. I S. 441. Er nimmt an, daß für die
Militärperſonen „wohl auch das materielle Haftungs⸗
recht gilt, nicht aber das Recht der Vorentſcheidung.“
Er rechnet die Militärperſonen, die Offiziere und die
richterlichen Militärbeamten nicht unter die Beamten
i. S. des Art. 7 Abſ. 2 VGHG., weil „ihr Dienſt nicht
geeignet jei, einer Würdigung durch den VGH. unter⸗
zogen zu werden.“ Ich habe ſchon früher darauf hin⸗
gewieſen, daß dieſer Beweisgrund nicht ſehr überzeugend
feſten Grundlage entbehrende Vorentſcheidungsrecht
der Militärbehörden (d. h. des Kriegsminiſteriums)
nicht aus der Welt geſchafft.“)
Das Reichsgeſetz vom 22. Mai 1910 (RGBl.
S. 798), das die Haftung der Reichsbeamten nach
5 839 BGB. dem Reiche auferlegte, ſtellte in 8 1
Abſ. 3 die Perſonen des Soldatenſtandes den Reichs⸗
beamten gleich und ſchnitt damit die Zweifel ab,
die ſich bei der Auslegung des Begriffs eines Reichs⸗
beamten hätten ergeben können. Die dem baye⸗
riſchen Kontingent angehörenden Perſonen des
Soldatenſtandes blieben ausgeſchloſſen, weil die
bayeriſche Heeresverwaltung nicht auf Rechnung
des Reichs geführt wird. Das Reichsgeſetz kennt
keine Vorentſcheidung.“)
Durch das bayeriſche Geſetz vom 6. Dezember
1913 wird jetzt auch für Bayern ein klarer und ein⸗
facher Rechtszuſtand geſchaffen, der dem im Reiche
geltenden nahezu vollſtändig angeglichen iſt und
im Weſentlichen auch gleiches Recht für Zivilbeamte
und für Perſonen des Soldatenſtandes bringt.
II.
1. Das Geſetz befaßt ſich nur mit den Erſatz⸗
anſprüchen, die infolge einer Amtspflichtverletzung
bei Ausübung anvertrauter öffentlicher Gewalt
entſtehen, nicht mit der Haftung aus Handlungen
im wirtſchaftlichen Verkehr.“) Die Grenze iſt
nicht immer ganz leicht zu ziehen. Bei den Be⸗
ratungen im Ausſchuſſe der Kammer der Reichs⸗
räte wurde als Beiſpiel für die Ausübung der
Militärhoheit insbeſondere die Tatigkeit hervor:
gehoben, die unmittelbar auf die militäriſche Aus⸗
bildung der Truppe gerichtet iſt, z. B. Schieß⸗
übungen, Gefechtsübungen, Uebungen der Pioniere
im Brückenbau, Sprengübungen u. dgl. Es ſind
aber noch andere Falle denkbar. Zwei Haupt⸗
gebiete der Ausübung öffentlicher Gewalt, nämlich
die Handhabung der Dienſtgewalt und die Fürſorge
für Leben und Geſundheit der Untergebenen, ſcheiden
allerdings nahezu ganz aus. Denn nach Art. 2
des Geſetzes vom 6. Dezember 1913 bleiben die Vor⸗
ſchriſten anderer Geſetze unberührt, ſoweit ſie für
beſtimmte Fälle die Haftung des Staates über
einen gewiſſen Umfang hinaus ausſchließen. Eine
iſt; er kann wohl nur für die richterlichen Militärbeamten
anerkannt werden (davon ſpäter).
10) S. OLG. Nürnberg, Seuffdl. Bd. 75 S. 721;
Erhard, BaygfR. 1912 S. 101 ff. Erhard nimmt übri⸗
gens m. E. mit Unrecht an, daß das OLG. das Vorentſchei⸗
dungsrecht des Kriegsminiſteriums ausdrücklich anerkannt
habe. Das Gericht ſcheint vielmehr offen gelaſſen zu
haben, ob die Vorentſcheidung dem VGH. oder den
Militärbehörden zuſteht.
11) Vgl. über das Gejeg vom 22. Mai 1910 auch
Jahrg. 1910 dieſer Zeitſchrift S. 240.
18) Um den Umfang der Abhandlung nicht allzuſehr
zu vergrößern, wurden die allgemeinen Fragen bier
nicht behandelt, die ſich bei der Auslegung des 8839 BGB.,
des Art 60 AG BGB. und des Art. 7 Ubi. 2 VGSHG.
ergeben. Sie ſind in den Kommentaren zur Genüge
erörtert.
10 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
ſolche Vorſchriſt it 841 MannſchVG., der den behörde verkündet. Die Verantwortung fällt alſo
nach dieſem Geſetze verſorgungsberechtigten Per⸗ inſoweit der Zivilbehörde zur Laſt. Dagegen hat
ſonen aus dem Grunde einer Dienſtbeſchädigung der militäriſche Befehlshaber Art und Dauer des
gegen die Militärverwaltung beſtimmt umgrenzte | Waffengebrauchs zu beſtimmen (Art. 4 Abſ. 2);
Anſprüche gewährt. Als „Dienſtbeſchädigung“ in beſtimmten Fällen (Art. 5) hat die bewaffnete
(§ 3 Mannſch VG.) werden u. a. auch die Folgen Macht auch ohne Signal und Aufforderung ein⸗
aus einer Mißhandlung Untergebener angeſehen,“) zuſchreiten. Sie hat ferner auch nach der Wieder⸗
ſo daß alſo die Haftung wegen einer Ueberſchrei⸗ herſtellung der Ordnung zu den notwendigen Ver⸗
tung der Dienſtgewalt gegenüber einem Unter⸗ haftungen ſowie zur Ablieferung der Gefangenen
gebenen außerhalb des Bereiches des Geſetzes vom mitzuwirken. Hiernach kann ein Anſpruch auf
6. Dezember 1913 fällt. Das gleiche gilt von Grund des Geſetzes vom 6. Dezember 1913 entſtehen,
Dienſtbeſchadigungen, die eintreten, weil der Bor: wenn Perſonen des Soldatenſtandes bei der ihnen
geſetzte bei einer militäriſchen Uebung die ihm zugewieſenen ſelbſtändigen Tätigkeit ihre Amts⸗
gegenüber feinen Untergebenen obliegende Sorg= pllicht ſchuldhaft verletzen oder überſchreiten.
faltspflicht verletzt.“) u Unter das Geſetz vom 6. Dezember 1913 kann
Eine Verletzung der Amtspflicht bei Ausübung ſchließlich auch die Leiſtung militäriſcher Hilfe bei der
militäriſcher Gewalt könnte unter Umſtänden an: Zwangsvollſtreckung fallen. Die Verantwortung für
genommen werden, wenn ein militäriſcher Vor⸗ ihre Inanſpruchnahme trägt freilich auch hier die
Ar ame von ns 3 da 11 Zivilbehörde.“
ebrauch macht, wo ſein Eingreifen möglich un 5 ar
geboten ift, wenn er z. B. vorläglid ober fahr: | 5 8 9 en en 29. es 3
läſſig Ausſchreitungen feiner Untergebenen gegen bemerkt das Reichsgericht beiläufig, daß auch der
die Zivilbevölkerung nicht hindert. Betrieb der militariſchen Einrichtungen 91 der
Zur Ausübung ſtaatlicher Hoheitsrechte gehören Artilleriewerkſtätten) als ein Ausfluß des Militär⸗
der Waffengebrauch des Militärs (insbeſondere der boheitsrechts angeſehen werden könne, ſoweit dieſer
Wachen und Boften),*') ſeine Mitwirkung bei Feſt⸗ Betrieb „an ſich“ — im Gegenſatze zu Anord⸗
nahmen) und in Bayern insbeſondere das Ein; | nungen und, Handlungen der Militärbehörden
ſchreiten der bewaffneten Macht zur Erhaltung der aus Anlaß“ eines ſolchen Betriebs — in Be⸗
lichen Ordnung.“ 3 tracht kommt. Aber eine Verletzung der Amts⸗
daelt. 15 hat bei ee 1 pflicht durch die Einrichtung eines Betriebs „an
4 die Din; 174 75 ß. ſich“ iſt wohl nicht denkbar; das Reichsgericht hat
dee in wee arg de n Gy de | 1,010 gane deb ber Air m mitt
Geſetzes vom 8. Mai 1851 vorgeſchriebene drei⸗ techniſche Betriebe durch ganze oder teilweiſe Unter⸗
malige Aufforderung zum Auseinandergehen wird ſagung oder auch nur durch Anordnung einer
in der Regel durch einen Abgeordneten der Zivil⸗ Beſchränkung nicht eingreifen dürfe.“)
2 2. Das Geſetz beſtimmt, daß die Perſonen des
1e Vgl. Romen, Militärpenſionsgeſetze, S. 46 | Soldatenſtandes im Sinne einzelner geſetzlicher
Dem. 4 zu 83 Mannſch VG. | Vorſchriften den Staatsbeamten gleichſtehen. Damit
|
0) Wegen der Offiziere uſw. | 838 i. V. m 85 Off PG.; drückt es aus, daß es ſich hier im Grunde ge⸗
hiernach gelten im allgemeinen die nämlichen Vorſchriften ;
wie für die Mannſchaften. Wegen eines Unfalls, den nommen um eine geſetzliche Auslegung des Be⸗
amtenbegriffes handelt.
155 une 5 bei net Schießübung erleidet, weil
ie unzweckmäßig angelegt war oder weil die erforder⸗ Wer Perſon des Soldatenſtandes iſt ergibt
lichen Sicherungsmaßregeln nicht getroffen waren, kann : . a
der Staat nicht auf Grund des baderiſchen Geſezes vom ſich aus Abſchnitt A der Anlage zum Mil StGB.
6. Dezember 1913 haftbar gemacht werden. (RGBl. 1872 S. 204). Die Militärbeamten (Ab⸗
mie Pu 85 133, 134 ff.; vgl. ſchnitt B dieſer Anlage) gehören zwar zu den
a Militärperſonen, aber nicht zu den Perſonen des
25) Garniſonsdienſtvorſchrift 88 117 ff. = g ER .
as) 9 8. Mai 1851, BB 1851/52 S. 9 f. Soldatenſtandes (vgl. 5 4 Milt B.). Die ſog.
vgl. auch 8 113 Abſ. 3 StGB. Die Rechtsgrundlage für | „Zivilbeamten der Militärverwaltung“ gehören
155 1 195 das . ui ul auch nicht zu den Militärperſonen. Militärbeamte
oweit m a e)e vom 8. ar 1891 un te all⸗ FRE 1,4% :
gemeinen Vorſchriften des StGB., der StRD. und der und Zivilbeamte der . .
Mil StG. über Notwehr, Nothilfe, Notitand, Verhaf— Sl eech rt. 192 ff 5 as .
eamtengeſe rt. 192 ff.). € ar und iſt un⸗
beſtritten, daß ſie bayeriſche Landesbeamte find
und daß deshalb für ſie ſowohl Art. 60, 61
AG BGB. als Art. 7 Abſ. 2 VGH. gelten. Auch
tung und vorläufige Feſtnahme eingreifen (vgl. Dietz,
Handwörterbuch des Militärrechts S. 862 ff., und Endres,
die bayeriſchen richterlichen Militärjuſtizbeamten
Der militäriſche Waffengebrauch, Berlin 1903). Es wird
angenommen, daß es einer beſonderen geſetzlichen Re—
gelung des Rechts zum Waſſengebrauche nicht bedürfe,
weil es ſich aus der Beſtimmung des Heeres von ſelbſt
ergebe; die in den militäriſchen Dienſtvorſchriften auf: |
geſtellten Regeln ſeien ſozuſagen nur Selbſtbeſchrän-
kungen, die allerdings auch von den Gerichten beachtet
werden müßten. Hier iſt nicht der Ort, die ziemlich
heikle Frage genauer zu unterſuchen.
20 8 758 Abſ. 3, 8 789 BRD.
20) 93. 55. 174.
2% RG. 44, 225.
find Militärbeamte (vgl. Art. 202 BG.).“) 8)
Für fie gilt jedoch die Ausnahme in Art. 7
Abi. 2 Satz 4 VGHG., wonach eine Vorentſchei⸗
dung nicht erforderlich iſt; ſie ſind zu den „Beamten
der ſtreitigen Gerichtsbarkeit“ zu rechnen.
Die Gendarmen Kr nicht Militärperſonen.“))
3. Art. 61 Abſ. 1 AGBGB., der jetzt auch
für die Perſonen des Soldatenſtandes gilt, dehnt
die Haftung des Staates auf den Fall aus, daß
ſich der Beamte bei der Verletzung ſeiner Amts⸗
pflicht im Zuſtande der Bewußtloſigkeit oder in
einem die freie Willensbeſtimmung ausſchließenden
Zuſtande krankhafter Störung der Geiſtestätigkeit
befunden hat und deshalb gemäß § 827 BGB.
für den Schaden nicht verantwortlich iſt. Doch
tritt die Haftung gemäß Art. 61 Abſ. 3 AGBGB.
i. V. mit $ 839 Abſ. 1 Satz 2 BGB. nur ein,
wenn der Geſchaͤdigte nicht auf andere Weiſe Erſatz
erlangen kann. Das RG. vom 22. Mai 1910
geht noch etwas weniger weit; es erklärt das Reich
für haftbar, „wie wenn dem Beamten Fahrläſſig⸗
keit zur Laſt fiele, jedoch nur inſoweit, als die Billig⸗
keit die Schadloshaltung fordert“.
Beamte ſchuldhaft durch den Genuß geiſtiger Ge⸗
Hat ſich der
die Landgerichte ohne Rückſicht auf den Wert des
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. 11
in Art. 13 Abſ. 1 und Abſ. 3 Satz 2 BG. Kein
Rückgriffsrecht beſteht dann, wenn der Staat haftet,
obwohl der Offizier oder Soldat ſelbſt gemäß § 827
BGB. für die Handlung nicht verantwortlich wäre.
Das entſpricht dem, was bisher ſchon für die Ge⸗
meinde⸗ und anderen Kommunalbeamten nach
Art. 61 AGBGB. galt, (Art. 61 Abſ. 3 erklärt
den Art. 60 Abſ. 4 nicht für entſprechend an⸗
wendbar), und was nach Art. 13 Abſ. 2 BG.
i. B. mit 8 827 BGB. für die Staatsbeamten
rechtens iſt. Hat ſich die Perſon des Soldaten⸗
ſtandes durch den Genuß geiſtiger Getränke u. dgl.
ſchuldhaft in einen vorübergehenden Zuſtand der
Unzurechnungsfähigkeit verſetzt, ſo iſt das Rück⸗
griffsrecht des Staates nicht ausgeſchloſſen, weil
die Haftung des Staates in dieſem Falle eben
nicht auf Art. 61 AG BGB., ſondern auf Art. 60
beruht (ſiehe oben unter 3).
5. Auch prozeßrechtlich wird jetzt für die Per⸗
ſonen des Soldatenſtandes das gleiche Recht ge⸗
ſchaffen, wie es für die Beamten gilt. Die Vor⸗
entſcheidung fällt in jedem Falle der Verwaltungs⸗
gerichtshof. Gemäß Art. 26 AGGVG.““) find
tränke oder durch ähnliche Mittel in einen vorüber⸗
gehenden Zuſtand der Bewußtloſigkeit uſw. verſetzt, |
jo haftet er, wie wenn ihm Fahrläſſigkeit zur Laſt
fiele (§ 827 Satz 2 BGB.); in dieſem Falle geht |
Streitgegenſtandes zuſtändig für die Anſprüche gegen
den Staat wegen Verſchuldens von Staatsbeamten
und für die Anſprüche gegen öffentliche Beamte
wegen Ueberſchreitung ihrer amtlichen Befugniſſe
die Erſatzpflicht auf den Staat ſchon nach Art. 60
AG BGB. über, nicht nach Art. 61 AGBGB.
Art. 61 Abf. 2 AG BGB. ſchränkt die Aus:
dehnung im Abſ. 1 wieder ein für den Fall, daß
bei einem Urteil in einer Rechtsſache die Amts⸗
pflicht verletzt wurde; das iſt von Bedeutung für die
richterlichen Handlungen der Militärjuſtizbeamten.
4. Nach Art. 80 EGBGB. können die Landes⸗
rechte die vermöͤgensrechtlichen Verbindlichkeiten
der Beamten aus dem Amts⸗ und Dienſtverhält⸗
niſſe regeln. Auf Grund dieſer Ermächtigung
hatte Art. 60 Abſ. 4 AGBGB. beſtimmt, daß
der Beamte dem Staate den Schaden zu erſetzen
hat, der ihm aus der Verletzung der Amtspflicht
entſteht. Dieſes Rückgriffsrecht des Staates iſt
oder wegen pflichtwidriger Unterlaſſung einer
Amtshandlung (ſ. dazu wegen der Zulälfigfeit der
Reviſion $ 547 Nr. 2 3P O.). Das Geſetz vom
6. Dezember 1913 beſeitigt jetzt den Zweifel, welche
Perſonen des Soldatenſtandes von dieſer Vorſchrift
betroffen werden.
Unberührt geblieben iſt die Vorſchrift des Art. 2
AGZPO., wonach Anſprüche gegen den Fiskus
erſt dann gerichtlich verfolgt werden können, wenn
ſich der Beteiligte an die zunächſt zuſtändige höhere
Verwaltungsſtelle um Abhilfe gewendet und eine
abſchlägige oder innerhalb ſechs Wochen gar keine
eee erhalten hat.““)
Art. 2 des Geſetzes vom 6. Dezember 1913
hält die Vorſchriften anderer Geſetze aufrecht, u
dann durch Art. 13 BG. neu geregelt worden; weit fie für beſtimmte Fälle die Haftung des
Art. 60 Abſ. 4 AG BGB. trifft jetzt nur noch
Rückgriffsanſprüche der Gemeinden und anderer
Kommunalverbände gegen ihre Beamten (ehe
Art. 226 BG.). Es war deshalb notwendig, in
dem Geſetz vom 6. Dezember 1913 Vorſchriften
über die Erſatzpflicht der Perſonen des Soldaten:
ſtandes gegenüber dem Staate zu treffen (Art. 1
Satz 2). Sie entſprechen der Sache nach den Vorſchriften
) Oberkriegsgerichtsräte und Kriegsgerichtsräte;
darüber, ob auch die juriſtiſchen Mitglieder des baye—
riſchen Senats beim i bayeriſche Staats:
beamte find, ſiehe Reindl, Ben. 1 zu Art. 202 BG.
S 807.
28) Darüber, daß die Militärgerichtsſchreiber nicht zur
Ausübung öffentlicher Gewalt berufen ſind,
hard in dieſer Zeitſchrift 1912 S. 81.
) Erhard a. a. O.
Staates über einen gewiſſen Umfang hinaus aus:
ſchließen. Er entſpricht dem $ 5 des Reichsgeſetzes
vom 22. Mai 1910. Schon unter II 1 wurden
zwei Vorſchriften erwähnt, für die dieſer Vorbe⸗
halt von Bedeutung iſt: § 38 OffPenſG. und § 41
MannſchvVGG. Dazu kommen noch, wie in der
Ausſchußverhandlung der Kammer der Reichsräte
hervorgehoben wurde, Vorſchriften des Natural:
leiſtungsgeſetzes,“) das allerdings in der Begrün—
dung des Regierungsentwurfs zum Reichsgeſetze
vom 22. Mai 1910 nicht aufgeführt iſt. Nach
30) Die Vorſchrift beruht auf dem Vorbehalte in
8 70 Abſ. 3 GVG.
ſiehe Er:
) Val. dieſe Zeitſchrift 1911S 472 und 1912 S. 82.
2 In der Faſſung des Geſetzes vom 24. Mai 1898
(RG Bl. S. 361).
12
8 14 dieſes Geſetzes wird unter Ausſchluß des Rechts⸗
wegs durch eine Schätzungskommiſſion der Schaden
feſtgeſtellt, der durch die Benützung von Grund—
ſtücken zu Truppenübungen und durch die Mit:
benutzung von Brunnen und Tränken ($S 11, 12)
entſtanden und aus Militärfonds zu vergüten iſt.
Nach der herrſchenden Auslegung des Geſetzes iſt
auch der Umfang der Erſatzanſprüche beſchränkt:
vergütet werden nur Schäden, die das Grundſtück
ſelbſt betroffen haben oder doch mit dem Grund:
ſtücke zuſammenhängen, dagegen insbeſondere nicht
der Schaden durch Beeinträchtigung der Jagd oder
Fiſcherei.) Uebrigens wird auch das Kriegs⸗
leiſtungsgeſetz vom 13. Juni 1873 (RGBl. S. 162)
zu den Geſetzen zu rechnen ſein, die unter Art. 2
fallen (ſ. die 88 3, 6, 14, 35 dieſes Geſetzes).
Die neuen Vorſchriften für die Behandlung
der amts- und ſchöffeugerichtlichen Straf⸗
ſachen und die neuen Dienſtvorſchriften für
die Amtsauwälte.
Bon Emanuel Habel, Landgerichtsrat in München.
Die bayeriſchen Vorſchriften für die Geſchäfts⸗
behandlung der amts⸗ und ſchöffengerichtlichen
Straſſachen, die durch die Bekanntmachung vom
20. Auguſt 1879 (JMBl. S. 377) veröffentlicht
ſind, haben ſich in mehr als einem Menſchenalter
bewährt, ſie waren nicht nur für die Zeit der
Einführung der StPO. ein unentbehrliches Hilfs⸗
mittel, ſondern die Grundzüge, auf denen ſie die
Behandlung der amtsgerichtlichen Strafſachen auf—
bauen, entſprechen auch heute noch dem Bedürfniſſe
der Praxis. Es mag deshalb auf den erſten Blick
auffallend erſcheinen, daß die bayeriſche Juſtiz⸗
verwaltung noch vor der Umgeſtaltung der StPO.
mit einer Neubearbeitung der Vorſchriften hervor:
tritt, die für den Amtsrichter in Straſſachen und
für den Amtsanwalt das Handwerkszeug bilden,
mit dem ſie täglich zu arbeiten haben. Allein
die Reform des Strafprozeſſes iſt leider wieder
in weitere Ferne gerückt; vor der Umgeſtaltung
des materiellen Strafrechts, die auch noch eine
Reihe von Jahren in Anſpruch nehmen wird, iſt
an eine umfaſſende Neuregelung des Strafprozeſſes
nicht mehr zu denken. Dieſe Hinausſchiebung wird
ſogar dazu führen, einen Teil der Strafprozeß—
reform, naͤmlich die geſetzliche Regelung der Jugend—
gerichtsbarkeit vorweg zu nehmen. Obgleich die
„
F
4
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
ſchöffengerichtlichen Strafſachen im allgemeinen
unberührt bleiben. Soweit das neue Geſetz Aus⸗
führungsvorſchriften notwendig macht, wird eine
eigene Bekanntmachung alle auf die Jugendge⸗
|
|
|
in naher Aussicht ſtehende Verabſchiedung des
Geſetzentwurfs über das Strafverfahren gegen
Jugendliche in erſter Linie die Amtsgerichte mit—
betrifft, ſo wird doch das Verfahren in amts- und
) Dietz, Handwörterbuch des Militärrechts S. 359.
richtsbarkeit bezüglichen Beſtimmungen der Juſtiz⸗
verwaltung zuſammenfaſſen müſſen. Dieſer Um⸗
ſtand konnte alſo der Neubearbeitung der alten
Schöffengerichtsinſtruktion nicht im Wege ſtehen.
Dagegen war dieſe Neubearbeitung gerade im
jetzigen Zeitpunkt erforderlich, weil fie Hand in
Hand geht mit der Erlaſſung endgültiger Dienſt⸗
vorſchriften für die Amtsanwälte. Vor mehr als
einem Jahre wurde die Amtsanwaltſchaft, die in
den Landesteilen rechts des Rheins in den Händen
der inneren Verwaltung gelegen war, in den
Geſchäftsbereich der Juſtizverwaltung übernommen.
Den neuen Amtsanwälten wurde die Führung
der Geſchäfte durch eine vorläufige, nicht veröffent⸗
lichte Geſchäftsanweiſung erleichtert. An ihre Stelle
treten jetzt die neuen Dienſtvorſchriften, die ſich im
weſentlichen mit der vorläufigen Geſchäftsanweiſung
decken. Demzufolge war auch die Neubearbeitung
der Schöffengerichtsinſtruktion nicht mehr zu um⸗
gehen; ſie ſtellte ſich nur noch als ein Torſo dar,
weil die für die Amtsanwälte allein maßgebenden
Vorſchriften zum größten Teil in die Dienſtvor⸗
ſchriften für die Amtsanwälte aufgenommen werden
mußten und weil die Inſtruktion auch ſonſt im
Laufe der Jahre durch Einzelvorſchriften vielfach
durchbrochen worden war. Die neuen Vorſchriften
für die Behandlung der amts- und ſchöffengericht⸗
lichen Straſſachen und die neuen Dienſtvorſchriften
für die Amtsanwälte treten am 1. Januar 1914
in Kraft. Sie ſind durch die Bekanntmachung
vom 29. November 1913 (JM Bl. S. 419) ver:
öffentlicht. Die gleiche Nummer des Juſtizminiſterial⸗
blatts enthält zwei weitere Bekanntmachungen
von demſelben Tage über die Mitteilung von
Strafnachrichten an das Ausland (JM Bl. S. 691)
und über die Mitteilungen der Staatsanwälte,
Amtsanwälte und Gerichte (JMBl. S. 694).
Erſtere faßt die Vorſchriften zuſammen, die bisher
für die Strafnachrichten an das Ausland im
einzelnen erlaſſen worden waren, und regelt zu⸗
gleich neu die Strafnachrichten für Frankreich und
Rußland, die andere Bekanntmachung faßt die bisher
veröffentlichten Vorſchriften über die Mitteilungen
zuſammen und gliedert fie in vier ſachlich ge—
trennte Abteilungen (Mitteilungen in Strafſachen
mit Rückſicht auf die Perſon des Beſchuldigten, Mit⸗
teilungen in Strafſachen wegen des Gegenſtandes der
Unterſuchung, ſonſtige Mitteilungen in Strafſachen
und Mitteilungen der Staatsanwälte in nichtſtraf—
rechtlichen Sachen). Dieſe drei Bekanntmachungen
bilden im Zuſammenhalte mit der Bekanntmachung
vom 12. Juli 1913 (JM Bl. S. 91), worin die für
Bayern geltenden Vorſchriften über das Strafregiſter
vereinigt ſind, und mit der Bekanntmachung vom
23. Auguſt 1913, die Bildung der Schöffengerichte
und der Schwurgerichte und die Vorbereitung der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
Schwurgerichtsfitzungen betr., (JMBl. S. 193) einen
beträchtlichen Fortſchritt auf dem Wege zur Ver⸗
einfachung und Bereinigung des JM Bl. einerſeits
und zur Erleichterung der Geſchäftsführung in
Strafſachen andererſeits. Die fünf Bekannt⸗
machungen haben es durch Einarbeitung und Er⸗
ſetzung früherer Vorſchriften ermöglicht, mehr als
100 ältere Bekanntmachungen und Entſchließungen
aufzuheben.
Im folgenden ſoll auf einige Neuerungen und
auf Vorſchriften hingewieſen werden, die von be⸗
ſonderer Bedeutung ſind.
1. Die Vorſchriften für die Behandlung
der amts⸗ und ſchöffengerichtlichen
Strafſachen.
Man kann darüber ſtreiten, ob es heute,
wo die Strafprozeßordnung ſeit mehr als
30 Jahren in Geltung iſt, noch notwendig war,
in Dienſtvorſchriften auf die geſetzlichen Vorſchriften
ſelbſt ſo einzugehen, wie es auch in der neuen
Bearbeitung geſchehen iſt, allein für die Bejahung
dieſer Frage ſpricht vor allem der Umſtand, daß
es ſich um Vorſchriften handelt, die nicht nur für den
erfahrenen Richter ſondern auch für junge Beamte,
namentlich für die Amtsanwälte gelten, die ſich
erſt in die Praxis einarbeiten müſſen. Dazu
kommt, daß eine zuſammenhängende Anweiſung
ohne Heranziehung der geſetzlichen Vorſchriften
kaum durchführbar geweſen waͤre.
In dem Abſchnitt über Bildung und Auf⸗
bewahrung der Akten, der im weſentlichen die
beſtehende Uebung billigt, find nunmehr auch aus:
reichende Vorſchriften über die Ausſcheidung der
Akten getroffen.
Der Abſchnitt über das vorbereitende Ver⸗
fahren iſt neu eingefügt. Dadurch wird die Voll⸗
ſtändigkeit der Vorſchriften nicht unweſentlich
erhöht. Von Wichtigkeit ſind insbeſondere die
Hinweiſe auf die Bek. vom 16. Juli 1907
(JMBl. S. 201) über die Einſchränkung der
Unterſuchungshaft und auf die Bek. vom 8. Ja⸗
nuar 1908 (JMBl. S. 1) über die Zeugnis⸗
zwangshaft. Bemerkenswert iſt die Einführung
eines Haſtverzeichniſſes des Amtsrichters (§ 14
Abſ. 3). Dadurch wird die ſehr wichtige Ueber⸗
wachung des Vollzuges von Haftbefehlen erleichtert
und dazu beigetragen werden, daß Ueberſehen
vermieden werden, die auf dieſem Gebiete von den
unangenehmſten Folgen begleitet ſein können.
Für die Anträge auf Erlaſſung von richterlichen
Strafbefehlen iſt das ſogenannte Sammelverfahren
beibehalten, nämlich die Möglichkeit der Zuſammen⸗
faſſung mehrerer Anträge auf einem Formblatte.
Dieſes Verfahren hat ſich in Bayern gut bewährt.
Bei der großen Menge von Strafbefehlsan⸗
trägen (nach der Juſtizſtatiſtik wurden 1912 im
Königreich 229 529 Strafbefehle erlaſſen) iſt
darauf Bedacht genommen worden, jede Der:
mehrung des Schreibwerkes zu vermeiden, und | wird.
18
eine ſolche Vermehrung hätte es bedeutet, wenn
der Amtsanwalt für jeden Strafbefehlsantrag ein
eigenes Formblatt mit Datum und Unterſchriſt
hätte ausfüllen müſſen. Auch dem Richter bietet
die Zuſammenfaſſung mehrerer Anträge auf einem
Blatte manchen Vorteil. Daß der Strafbefehl
nach dem Antrag noch in Ur⸗ und Abſchrift her⸗
zuſtellen iſt, bildet jetzt für die Gerichtsſchreiberei
keine Mehrbelaſtung, weil beide Schriftſtücke durch
die Schreibmaſchine mittels Durchſchlags gleich⸗
zeitig hergeſtellt werden können. Iſt der Straf⸗
befehl erlaſſen, ſo braucht der auf dem ſogenannten
Mantel (Formbl. 7) ſtehende Antrag des Amts⸗
anwalts nicht mehr zu den Akten abgeſchrieben
zu werden; denn der Strafbefehl muß mit ihm
übereinſtimmen. Nur wenn kein Strafbefehl er⸗
laſſen wird und die Sache noch zu weiteren
Amtshandlungen und damit zur Aktenbildung
Anlaß gibt, müſſen die Akten auch eine Abſchrift
des Strafbefehlsantrags enthalten, damit ein voll⸗
ſtändiges Bild des Prozeßganges vorhanden iſt.
Allein dieſe Fälle ſpielen keine große Rolle gegen⸗
über der weit überwiegenden Zahl von An⸗
trägen, die auf dem gewöhnlichen Wege erledigt
werden. Selbſtverſtändlich bedarf es einer Abſchrift
des Antrags zu den Akten nicht, wenn der „Mantel“
nur dieſen einen Antrag enthält. Dann wird
die Urſchrift des Antrags zu den Akten genommen.
Das gilt z. B. auch im Falle des 8 27 Abi. 3
für den Fall der Beſchwerde des Amtsanwalts
gegen die Zurückweiſung ſeines Antrags.
Dem in der Praxis da und dort aufgetauchten
Zweifel, welcher Tag als Tag der Erlaſſung des
Strafbefehls zu gelten hat, der Tag, an dem der
Richter auf den Antrag die Abfaſſung des Straf⸗
befehls verfügt oder der Tag, an dem er die
hiernach vom Gerichtsſchreiber entworfene Urſchrift
des Strafbefehls unterzeichnet, treten die neuen
Vorſchriften dadurch entgegen, daß nach § 29 der
Gerichtsſchreiber bei der Herſtellung des Entwurfes
der Urſchrift den Tag der richterlichen Verfügung
des Strafbefehls einzuſetzen hat, ſo daß der Tag,
an dem der Richter die Strafbefehlsurſchrift unter:
zeichnet, nicht mehr hervortritt.
In dem Abſchnitt über das ordentliche Ver⸗
fahren trägt $ 35 den vielfachen Klagen Rechnung,
daß die Beteiligten häufig übermäßig lang bei
Gericht warten müſſen, bis ihre Sache zum Auf⸗
ruf kommt. Der Richter hat bei der Anſetzung
der Termine, insbeſondere auch bei der Be—
ſtimmung der Stunde ihres Beginnes, auf den
Umfang und die ſonſtigen Umſtände des einzelnen
Falles Rückſicht zu nehmen. Die Termine ſollen
in der Regel nicht alle auf die gleiche Stunde an⸗
geſetzt werden. Sie ſind unter Beachtung der
Eiſenbahn-, Bolt: und ſonſtigen Verkehrsver—
bindungen tunlichſt ſo zu beſtimmen, daß Be:
teiligten, die von auswärts kommen müſſen, die
Hin: und Zurückreiſe am gleichen Tage ermöglicht
Allen Klagen werden freilich auch dieſe
14
Vorſchriften nicht abzuhelfen vermögen; denn die
Dauer der einzelnen Termine iſt von ſo vielen
Zufällen abhängig, daß ſelbſt der gewandteſte
Richter die Dauer nicht immer genau vorherſehen
und die feſtgeſetzten Stunden nicht immer ein⸗
halten kann. Die Sache hat auch ihre Kehrſeite.
Wenn die Termine noch ſo zweckmäßig verteilt zu
ſein ſcheinen, kann es vorkommen, daß die eine
oder andere Sache in letzter Stunde wegfällt und
daß das Gericht warten und vielleicht die Sitzung
nachmittags fortſetzen muß, weil die anderen Be⸗
teiligten noch nicht erſchienen ſind.
Bei den Vorſchriften über das Privatklage⸗
verfahren (88 46 — 48) iſt hervorzuheben, daß die
Beſtimmungen der Bek. vom 4. März 1912
(JMBl. S. 54) übernommen ſind, wonach die
Privatklageabſchrift dem Staatsanwalt oder Amts⸗
anwalt zu überſenden iſt, der nach ihrem Inhalt
zur etwaigen Erhebung der öffentlichen Klage in
erſter Linie zuſtändig erſcheint (über die Gründe
dieſer Anordnung ſiehe BayziR. 1912 S. 184,
vgl. auch Löwe, StPO. Bem. 4b zu $ 422). Als
Amtsanwalt, dem die Abſchrift der Privatklage
nach § 422 der StPO. mitzuteilen iſt, kann auch
ein anderer Amtsanwalt in Frage kommen, als
derjenige, der bei dem mit der Privatklage be⸗
faßten Gericht aufgeſtellt iſt, z. B. wenn die Privat⸗
klage zum Gerichte des Wohnorts des Beſchuldigten
erhoben iſt, der Gerichtsſtand der begangenen Tat
aber in einem anderen Gerichtsbezirke begründet
iſt. Selbſtverſtändlich hat die auf die Privat:
klage bezüglichen Eintragungen im Anzeigever⸗
zeichnis (8 46 Abſ. 4, § 47 Abſ. 4 a. E.) ſtets
der Amtèanwalt zu machen, der bei dem mit der
Privatklage befaßten Gericht aufgeſtellt iſt. Im
übrigen entſprechen die 83 46, 47 im weſentlichen
den Vorſchriſten, die ſchon bisher durch die Ent:
ſchließung des Staatsminiſteriums der Juſtiz vom
1. Maͤrz 1900 Nr. 9341 für das Verfahren auf
Privatklage erlaſſen waren.
Für die Hauptverhandlungen ſchreibt § 51
vor, daß ſie in der Regel nach der Reihenfolge
der Sitzungsliſte ſtattfinden. Dadurch wird den
namentlich an größeren Gerichten nicht ſeltenen
und unerfreulichen Auseinanderſetzungen zwiſchen
Richter und Verteidiger über die Reihenfolge der
Verhandlungen einigermaßen vorgebeugt werden
können.
graphen der Hinweis auf die Bek. vom 25. Juni
1908 über die Ermittelung früherer Beſtrafungen
der Angeklagten und Zeugen (JMBl.
Immer wieder werden Klagen laut, daß die Vor—
ſchriften dieſer außerordentlich zweckmäßigen Be—
kanntmachung nicht genügend beachtet werden und
daß die zuläſſige und gebotene Rückſicht auf die
S. 131).
Zeitſchrift me ee N in ne 1914. Nr. 1.
| geleitet und durchgeführt wird ($ 74).
Beachtenswert iſt in Abſ. 3 diejes Para—
— — — ——
war oder abgeurteilt wurde und ob er etwa eine
frühere Strafe noch zu verbüßen habe, iſt in 8 51
Abſ. 3 dahin gemildert, daß der Angeklagte
hierüber zu befragen iſt, wenn Anhaltspunkte für
die Bejahung dieſer Frage vorliegen. Damit iſt
dem vernünftigen und pflichtmäßigen Ermeſſen
des Richters der erforderliche Spielraum gewährt.
Es gibt gerade bei den Schöffengerichten eine
große Zahl von Faͤllen, wo es ohne weiteres
zweifellos iſt, daß dieſe Frage zu verneinen iſt.
Um in ſolchen Fällen den Angeklagten nicht un⸗
nötig bloßzuſtellen, kann alſo von der Stellung
der Frage abgejehen werden. Durch die Bor:
ſchriften in 855 Abſ. 2— 6 wird die Vollſtändig⸗
keit des Protokolls über einige wichtige Punkte
(Militärverhältniſſe, Haftfrage uſw.) gewährleiſtet.
Abſ. 7 läßt gebräuchliche, jedes Mißverſtandnis
ausſchließende Abkürzungen zu. Nach dieſer Faſſung
wird die Abkürzung von Eigennamen in der Regel
als unzuläſſig zu erachten ſein.
Ueber die Zuſtellung des Urteils verbreitet ſich
§ 59. Er gibt aber keine erſchöpfende Darſtellung
darüber, in welchen Fällen und wem das Urteil
zuzuſtellen iſt. Es ſind nur die wichtigſten Fälle
hervorgehoben. Der zweite Satz des Abſ. 4 tritt
der vielfach beſtehenden Uebung entgegen, daß auch
dann dem Vertretenen zugeſtellt wird, wenn die
Zuſtellung an den zuſtellungsbevollmächtigten Ver⸗
treter oder Verteidiger zuläſſig iſt, alſo nicht nach
den Vorſchriften der StPO. an den Vertretenen
ſelbſt erfolgen muß.
Im Abſchnitt über Strafvollſtreckung iſt wie
bisher (8 64 der alten Vorſchriften) auf Grund
der Ermächtigung des $ 483 Abſ. 3 der StPO.
den Amtsrichtern die Vollſtreckung übertragen. Der
Einklang mit den in der Zwiſchenzeit erlaſſenen
Vorſchriften, insbeſondere mit der Hausordnung
für die Gerichtsgefängniſſe iſt hergeſtellt. Dabei
iſt der Grundſatz durchgeführt, daß in der Regel
alle in Gerichtsgefängniſſen zu vollſtreckenden Stra⸗
fen in dem Geſängnis zu verbüßen ſind, in deſſen
Bezirke ſich der Verurteilte aufhält (8 73), und
daß die Vollſtreckung von Strafen, die in einem
Gerichtsgefängnis am Sitze des aburteilenden Amts⸗
gerichts zu erſtehen ſind, vom Amtsrichter unmittel⸗
bar, alſo ohne Erſuchen des Staatsanwaltes, ein⸗
Das gilt
auch für die Strafvollſtreckungsgefängniſſe (§8 1, 6
der Hausordnung f. d. Ger.⸗Gefängniſſe). Die
bisher vorgeſchriebene, aber häufig nicht beigegebene
Perſonalbeſchreibung bei Vollſtreckungserſuchen an
Strafanſtalten iſt ausdrücklich erlaſſen, ſie war ſo,
wie ſie erfolgte, zu Zwecken der Identitätsfeſtſtellung
ganz wertlos.
Privatverhältniſſe der Beſchuldigten und nament:
lich der Zeugen manchmal vernachläſſigt wird. Die
frühere Vorſchrift, daß im Protokoll jedesmal feſt—
zuſtellen iſt, ob der Angeklagte vor oder nach der
in Rede ſtehenden Straftat ſchon in Unterſuchung
|
Durch die Faſſung des § 78 Abi. 3 (früher
§ 73 Abſ. 3) iſt dem Umſtand Rechnung
getragen, daß jetzt auch Strafen, die in Landge—
richtsgefängniſſen zu verbüßen ſind, in der Regel
in dem für den Aufenthaltsort des Verurteilten
maßgebenden Gefängnis zu vollſtrecken ſind. Abſ. 5
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
ſieht die Erlaſſung von Steckbriefen (8 489
Abſ. 2, 3 der StPO.) vor, die wohl nur für den
mit der Vollſtreckung betrauten Amtsrichter des
aburteilenden Gerichts in Frage kommen wird,
weil es ſich um Fälle handelt, in denen der Aufent⸗
halt des Verurteilten unbekannt iſt und deshalb
nach Abſ. 4 die Ermittelung und weitere Ver⸗
folgung des Verurteilten dem erſuchenden Richter
zu überlaſſen iſt.
Die 88 79, 80 befaſſen ſich mit der Voll⸗
ſtreckung von Strafen gegen Verurteilte, die ſich
in einem anderen Bundesſtaat aufhalten, 8 79
betrifft Strafen mit einer Vollſtreckungsdauer bis
zu 6 Wochen, § 80 Strafen mit einer Vollſtreckungs⸗
dauer von mehr als 6 Wochen. Letztere find in
Bayern zu vollſtrecken, wenn nicht die Vorſchriften
über die Vollſtreckung von Geſamtſtrafen bei der
Beteiligung mehrerer Bundesſtaaten oder eine be⸗
ſondere Vereinbarung (vgl. Löwe, StPO. Bem. 4
zu $ 163 des GVG.) in Frage kommt. Das kann
z. B. der Fall ſein, wenn der Verurteilte in einem
von der bayeriſchen Grenze weit entfernten Gefäng⸗
nis eine längere Freiheitsſtrafe verbüßt und im
Anſchluß daran eine von einem bayeriſchen Gericht
ausgeſprochene Freiheitsſtrafe in einem Gerichts⸗
gefängnis zu verbüßen hat. Es kommt vor, daß
der andere Bundesſtaat gegen Sicherung des Koſten⸗
erſatzes die Vollſtreckung der Anſchlußſtrafe über⸗
nimmt. So kann auch im umgekehrten Falle von
den bayeriſchen Strafvollſtreckungsbehörden ver:
fahren werden. Bei Freiheitsſtrafen, die in einer
Strafanſtalt zu vollſtrecken find, wird eine ſolche
Vereinbarung nicht in Frage kommen können. Wenn
§ 80 beſagt, daß die Vollſtreckung in Bayern nach
den 88 75— 77 im Zuſammenhalt mit $ 10 Abſ. 2
der Hausordnung für die Gerichtsgefängniſſe erfolgt
(Vollſtreckung in dem dem Aufenthaltsorte nächſt⸗
gelegenen Gefängnis), ſo ſind damit die Fälle ge⸗
meint, in denen ein Amtsgericht oder ein Staats⸗
anwalt um die Vollſtreckung zu erſuchen iſt. Für
den Fall, daß das Gefängnis des aburteilenden
Gerichts ſelbſt das dem Aufenthaltsort des Ver⸗
urteilten nächſtgelegene iſt, bedurfte es keiner be⸗
ſonderen Vorſchrift, weil dann nach § 74 der
Amtsrichter des aburteilenden Gerichts ſelbſt die
Vollſtreckung einzuleiten und durchzuführen hat.
Nicht unwichtig iſt die an ſich allerdings eigent⸗
lich ſelbſtverſtändliche Vorſchrift des § 87 Abſ. 2,
wonach der Amtsrichter für die Vollſtreckung der
richterlichen Anordnung, daß ein Urteil oder ein
Strafbefehl öffentlich bekannt zu machen ſei, zu
ſorgen und den Vollzug zu überwachen hat. Solche
Anordnungen kommen häufig auch im Privatklage⸗
verfahren vor; es iſt dann nicht Sache des Privat⸗
klaͤgers für die richterlich angeordnete Veröffent⸗
lichung zu ſorgen, ſondern Sache der Vollſtreckungs⸗
behörde. Anders iſt es, wenn die Veröffentlichung
nicht angeordnet iſt, ſondern z. B. nach § 200 Abſ. 1
des StGB. dem Privatkläger nur die Befugnis
zur Veröffentlichung zugeſprochen iſt. Für dieſe
15
Veröffentlichung hat zunaͤchſt der Privatkläger zu
ſorgen. Daß der Amtsrichter den Vollzug der von
ihm angeordneten Veröffentlichung überwacht, iſt
wichtig wegen der Frage der Verjährung der Straf⸗
vollſtreckung aus $ 10 des Preßgeſetzes, wenn die
3 in der Zeitung nicht rechtzeitig
erfolgt.
Neu bearbeitet ſind auch die Formblätter für
die amts⸗ und ſchöffengerichtlichen Strafſachen. Im
großen und ganzen find ſie zwar die gleichen ge⸗
blieben wie bisher, doch find einige neue hinzu⸗
gekommen und mehrere Neuerungen eingeführt.
Ueberall iſt auf eine gemeinverſtändliche. dem
jetzigen Sprachgebrauch angepaßte Ausdrucksweiſe
geachtet. Die für die Ausſüllung beſtimmten
Zwiſchenräume der Vordrucke entſprechen natürlich
wegen des Formats des JMBl. nicht überall dem
wirklichen Bedürfnis, dieſem wird deshalb bei der
Herſtellung der Formblätter Rechnung getragen
werden muſſen.
Im Formblatt 9 (Strafbefehl bei Geldſtrafen)
iſt neben der Einzahlung durch Poſtanweiſung auch
die Einzahlung durch Poſtſcheck erwähnt. Einer ſchon
jetzt viel verbreiteten, ſehr zweckmäßigen Uebung
kommt das Formblatt 10 entgegen. Es vereinigt
für den Fall, daß der Eröffnungsbeſchluß der An⸗
klageſchrift völlig entſpricht, dieſe und die Urſchrift
des Eröffnungsbeſchluſſes. In anderen Fällen iſt
das Formblatt 11 für den Eröffnungsbeſchluß
zu benützen. Die Zeugen: und Sachverſtändigen⸗
ladungen geben jetzt auf der Rückſeite die maß⸗
gebenden geſetzlichen Vorſchriften über die Folgen
des Ausbleibens und der Verweigerung des Gut⸗
achtens wieder. Auf der Vorderſeite iſt darauf
beſonders hingewieſen. Das Formblatt 16 für die
Ladung des Angeklagten zur Hauptverhandlung
enthält nicht den Vordruck über die Zuſtellung einer
Abſchrift der Anklageſchrift. Damit iſt zum Aus⸗
drucke gebracht, daß von der Mitteilung einer ſolchen
Abſchrift in der Regel abgeſehen werden kann.
(Vgl. Löwe, StPO. Bem. 2 zu § 214.) Dagegen
muß das auf der Rückſeite der Ladung enthaltene
Beweismittelverzeichnis ſorgfältig ausgefüllt werden,
1 115 Angeklagte in dieſer Hinſicht gennu unter⸗
richtet iſt.
2. Die Dienſtvorſchriften für die Amts⸗
anwälte.
Wie ſchon erwähnt, decken ſich die neuen
Dienſtvorſchriften im weſentlichen mit der vor⸗
läufigen Geſchäftsanweiſung für die Amtsanwälte,
die im Jahrgang 1912 dieſer Zeitſchrift (S. 387)
kurz beſprochen wurde. Sie ſchließen ſich, ſoweit
es möglich war, an die Dienſtvorſchriften für die
Staatsanwälte vom 29. Oktober 1910 an und ge⸗
währleiſten ſo eine einheitliche Handhabung des
ſtaatsanwaltſchaftlichen Dienſtes in ganz Bayern.
Ausgenommen von der Uebernahme der Amtsan⸗
waltſchaft in den Geſchäftsbereich der Juſtizver—
waltung iſt nur die Amtsanwaltſchaft beim Amts⸗
16 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
gerichte München, die bis auf weiteres mit der
Polizeidirektion München vereint bleibt. Mit den
beſonderen Verhältniſſen dieſer Amtsanwaltlſchaft
befaßt ſich der letzte Paragraph der Dienſtvor⸗
ſchriften. Im übrigen gelten die Vorſchriften auch
für dieſe Amtsanwaltſchaft mit einigen wenigen Aus⸗
nahmen, die ſich aus deren Sonderſtellung ergeben.
Den zahlreichen und wichtigen Beziehungen
zwiſchen der Amtsanwallſchaft und der inneren Ber:
waltung iſt durch eine Reihe von Vorſchriften
Rechnung getragen. Der Geſchäftskreis des Amts⸗
anwalts umfaßt vor allem diejenigen Straſſachen,
die für die Diſtriktsverwaltungsbehörden von be:
ſonderem Intereſſe find, wenn fie den nötigen
Ueberblick über den Sicherheitszuſtand in ihrem
Bezirke und den erforderlichen Einfluß in polizei⸗
lichen Angelegenheiten behalten ſollen. Deshalb
wird namentlich auf die ſorgfaltige Einhaltung der
hierüber gegebenen Vorſchriften durch die Amtsan⸗
wälte und auf die Pflege guter Beziehungen zwiſchen
beiden Behörden großes Gewicht zu legen ſein.
Die für die Verwaltung belangreichen Beſtim⸗
mungen finden ſich in den 88 14, 36, 48, 59, 92
und 93. Nach 8 14 Abſ. 2 hat der Erſte Staats⸗
anwalt bei den Beſichtigungen der Amtsanwalt⸗
ſchaften, ſoweit es tunlich iſt, mit dem Vorſtand
der Diſtriktsverwaltungsbehörde ins Benehmen zu
treten. Auch der Amtsanwalt wird nicht ſelten
Veranlaſſung haben, mit dem Bezirksamtmann oder
ſeinem Vertreter wichtigere Angelegenheiten münd⸗
lich zu beſprechen; dazu wird ſich für die nicht am
Sitze des Bezirksamts befindlichen Amtsanwälte
namentlich Gelegenheit bieten, wenn ſie zu Schöffen⸗
gerichtsſitzungen dorthin kommen. Nach 8 36 Abſ. 4
iſt den Erſuchen der Diſtriktsverwaltungsbehörde
und der ihr vorgeſetzten Stellen um Geſtattung der
Einſicht in Ermittelungsakten ſtattzugeben, ſoweit
die Akten entbehrlich ſind. Eine Anrufung der Ent⸗
ſchließung des Staatsanwalts durch den Amtsan⸗
walt findet alſo hier nicht ſtatt.
Von beſonderer Wichtigkeit für die Diſtrikts⸗
verwaltungsbehörden iſt es, von den Anzeigen ſtraf⸗
barer Handlungen, die die Polizeiverwaltung be:
rühren, Kenntnis zu erhalten. Deshalb find nach
854 der Dienſtvorſchrift für die Gendarmeriemann⸗
ſchaft die Anzeigen von Uebertretungen zunächſt dem
Bezirksamt vorzulegen, das für die Weitergabe an
den Amtsanwalt ſorgt. Dazu iſt nun in $ 48 der
Dienſtvorſchriften für die Amtsanwälte beſtimmt,
daß der Amtsanwalt alle Anzeigen ſtrafbarer Hand⸗
lungen, an deren Verfolgung für die Diſtriktsver⸗
waltungsbehörde ein Verwaltungsintereſſe beſtehen
kann, dieſer Behörde zur Kenntnis zu bringen hat,
ſofern er nicht weiß, daß ſie ſchon Kenntnis hat.
Ferner ſoll den Erſuchen der Diſtriktsverwaltungs⸗
behörde wegen der Behandlung von Strafſachen
entſprochen werden. Beide Anordnungen ſind noch
näher erläutert. Da beſondere Vorſchriften darüber,
in welcher Weiſe die Benachrichtigung der Diſtrikts—
verwaltungsbehörde zu erfolgen hat, nicht gegeben
ſind, wird jede Art (ſchriftlich, mündlich, telephoniſch)
genügen. Eine Abſchrift der Anzeige zu überſenden,
wird in der Regel nicht notwendig ſein. Die Mit⸗
teilungspflicht findet ihre Ergänzung in $ 59 Abſ. 5,
wonach der Diſtriktsverwaltungsbehörde die Ein⸗
ſtellung eines Verfahrens bekannt zu geben iſt,
wenn ihr die Anzeige von der Gendarmerie vor⸗
gelegt oder durch den Amtsanwalt zur Kenntnis
zu bringen war oder wenn ſie ſelbſt die Anzeige
erſtattet hat.
Die 88 92, 93 gewährleiſten den Verwaltungs⸗
behörden den erforderlichen Einfluß auf die Ein⸗
legung von Rechtsmitteln durch den Amtsanwalt.
Maßgebend bleibt jedoch ſtets die Entſchließung
des Erſten Staatsanwalts, wenn der Amtsanwalt
glaubt, dem Erſuchen der Verwaltungsbehörde nicht
entſprechen zu können.
Neu eingeführt find durch die 88 26 und 27
die Haſtverzeichniſſe und die Verzeichniſſe der zur
Verhaftung ausgeſchriebenen Perſonen. Aehnliche
Verzeichniſſe ſind in der Praxis mehrfach ſchon in
Benützung. Daß ihre Führung nun allgemein vor⸗
geſchrieben iſt, iſt angeſichts der wichtigen hier in
Betracht kommenden Intereſſen der Beteiligten nur
zu begrüßen; die Möglichkeit eines Verſehens oder
Irrtums, die hier leicht von weittragenden Folgen
ſein kann, wird durch die ſorgfältige Führung der
Verzeichniſſe weſentlich vermindert werden. Das
Verzeichnis der ausgeſchriebenen Perſonen ſoll ins⸗
beſondere auch zur Kontrolle des rechtzeitigen Wider⸗
rufs von Ausſchreibungen und zur raſchen Orien⸗
tierung dienen, wenn bei dem Eingang der Feſt⸗
nahmeanzeige die Akten ſelbſt augenblicklich nicht
zur Hand ſind.
Beſonderer Wert iſt auch in den Dienſtvor⸗
ſchriſten für die Amtsanwälte darauf gelegt, daß
jede unnötige Bloßſtellung Beteiligter vermieden
wird (8 44 Abſ. 3). Das kann namentlich bei der
Ladung von Beſchuldigten, Zeugen und Sachver⸗
ſtändigen, wo es angängig erſcheint, durch die Ver⸗
meidung förmlicher Zuſtellungen und durch die
Unterlaſſung der Nennung des Namens Beſchul⸗
digter oder ſogar des Betreffs geſchehen (3 63 Abſ. 3).
In ähnlicher Weiſe trägt § 61 den Intereſſen Be⸗
teiligter bei der Einſtellung des Ermittlungsver⸗
fahrens Rechnung.
Die Anträge auf Verhängung der Unterſuchungs—
haft ſollen nach 8 45 Abi. 2 und nach der Bek.
vom 16. Juli 1907 (JMBl. S. 201) ſchon im
allgemeinen ſoweit eingejchränft werden, als es mit
dem Intereſſe der Strafverfolgung vereinbar iſt;
ganz beſonders wichtig iſt es aber, daß Jugend—
liche von der Unterſuchungshaft möglichſt verſchont
bleiben. Das hebt § 69 Abſ. 2 ausdrücklich her:
vor. Er weiſt auch darauf hin, wie allenfalls bei
Jugendlichen der Zweck der Unterſuchungshaft durch
andere Mittel erreicht werden kann, nämlich durch
Unterbringung in einer Anſtalt oder einer Familie.
Dieſe Unterbringung zur Abwendung der Unter—
ſuchungshaft bildet eine der Hauptaufgaben der ſo
8 ar Are rg ——— nen, Sr 9 Ben PR
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
— — . • äj—ͥ 4 —Ehn ....
ſegensreich wirkenden, zahlreichen Jugendfürſorge⸗
verbände und organe. Das Bedürfnis nach ſolcher
Unterbringung tritt vor allem in größeren Städten
hervor und es darf erfreulicherweiſe geſagt werden,
daß dort faſt überall heute ſchon Gelegenheit dazu
in ausreichendem Maße beſteht. Der Amtsanwalt
wird ſich unſchwer mit den maßgebenden Vereinen
und Perſönlichkeiten in Verbindung ſetzen können
und ſicher das bereitwilligſte Entgegenkommen
finden. Gerade eine Unterbringung, die unter dem
Drucke eines ſchwebenden Strafverfahrens erfolgt,
kann unter Umſtänden auf das künftige Leben des
Jugendlichen einen entſcheidenden, günſtigen Einfluß
ausüben. Auch im übrigen muß auf ein verſtänd⸗
nisvolles Zuſammenwirken der Strafverfolgungs⸗
behörden und der Jugendfürſorgeorgane der größte
Wert gelegt werden. Kaum eine andere Behörde
iſt ſo ſehr wie der Staatsanwalt und der Amts⸗
anwalt in der Lage, Jugendliche, die ſich gegen
das Strafgeſetz verfehlt haben, durch Heranziehung
der geeigneten Kräfte auf den richtigen Weg zu⸗
rückzuführen oder Kindern, die unter ſtrafbaren
Handlungen (Mißhandlungen, Sittlichkeitsvergehen
u. dgl.) zu leiden hatten, den erforderlichen Schutz
zu verſchaffen. Auf dieſe doppelte Aufgabe weiſt
8 70 noch beſonders hin.
Eine überſichtliche Zuſammenſtellung der zahl⸗
reichen, auf den Verkehr mit dem Ausland bezüg⸗
lichen Vorſchriften gibt 8 71.
Einige wichtige Grundſätze für die Schlußvor⸗
träge des Amtsanwalts in der Hauptverhandlung
enthält $ 89. In Abſ. 5 dieſes Paragraphen iſt
darauf hingewieſen, daß bei der Verurteilung von
Militärperſonen zu prüfen iſt, ob nicht auf
eine militäriſche Ehrenſtrafe zu erkennen iſt.
Neben der Verurteilung zur Hauptſtrafe ſind
durch das MilStGB. (88 30 —41) militäriſche
Ehrenſtrafen teils vorgeſchrieben, teils zugelaſſen.
Beim Schöffengericht werden allerdings die Fälle
ziemlich ſelten ſein. Es wäre z. B. denkbar, daß
eine Militärperſon wegen Kuppelei dem bürger⸗
lichen Gericht gemäß § 4 der Millitärſtrafgerichts⸗
ordnung zur Aburteilung überlaſſen wird, daß die
Sache dem Schöffengericht überwieſen wird und
das dieſes neben einer Gefängnisſtrafe von mehr
als drei Monaten die Aberkennung der bürgerlichen
Ehrenrechte auf mehr als drei Jahre ausſpricht.
In dieſem Falle müßte nach $ 31 des Mil StGB.
das Schöffengericht auch auf Entfernung aus dem
Heere oder der Marine erkennen. In Fällen, wo
auf eine militäriſche Ehrenſtrafe nicht erkannt werden
muß, ſondern nur erkannt werden kann, wird
allerdings der Amtsanwalt zu einem ſolchen An⸗
trag zumeiſt nur kommen, wenn die Ehrenſtrafe
durch die Militärbehörde dem Amtsanwalt gegen⸗
über ausdrücklich angeregt worden iſt. Zu prüfen
iſt vor allem immer, ob es ſich überhaupt um eine
ſolche Militärperſon handelt, bei der für das bürger⸗
liche Gericht militäriſche Ehrenſtrafen in Frage
kommen können. Beſonders zu beachten iſt nämlich,
daß das bürgerliche Gericht auf militäriſche Ehren⸗
ſtrafen nur gegen Militärperſonen des aktiven
Heeres oder der aktiven Marine (8 38 A des
Reichsmilitärgeſetzes vom 2. Mai 1874, 8 162 des
MilStGB.) erkennen kann, nicht aber gegen Per:
ſonen des Beurlaubtenſtandes (Reſerviſten, Land⸗
wehrleute) während der Beurlaubung. Die mili⸗
täriſchen Ehrenſtrafen und ihr Eintritt für Perſonen
des Beurlaubtenſtandes während der Beurlaubung
find vielmehr in 8 42 des Mil StGB. beſonders
und erſchöpfend geregelt. (Vgl. Weigel, Zuſtändig⸗
keitsgrenzen S. 229, Koppmann⸗Weigel, Mil StGB.
Bem. 6 zu § 30).
Den Dienſtvorſchriften ſind auch einige neue
Formblätter beigegeben, insbeſondere für das Haft⸗
verzeichnis und für die Ausſchreibungen im Zentral⸗
polizeiblatt.
Kleine Mitteilungen.
Zur Ausführung der Verträge der Kreiſe Unter⸗
franken und Oberfranken mit den Ueberlands⸗Elektrizitäts⸗
Zeutral⸗Aktiengeſellſchaften. In der „Deutſchen Ju⸗
riſtenzeitung“ Nr. 18 von 1911 iſt eıne Abhandlung
unter der Ueberſchrift die „gemiſchte wirtſchaftliche
Unternehmung, eine neue Geſellſchaftsform“ vom Wirkl.
Geh. Oberregierungsrat, Dr. Friedrich Freund, Mini⸗
ſterialdirektor in Berlin, veröffentlicht. In dieſer iſt
nach verſchiedenen Vorſchlägen zur Wahrung öffentlicher
Intereſſen (Staat, Gemeinde, Provinz, Kreis, Zweck⸗
verband) auf Seite 1119 folgendes geſagt: „Dieſe Vor⸗
ſchläge würden eines Aktes der Reichsgeſetzgebung be⸗
dürfen, da die beſtehenden Reichsgeſetze eine ſo aus⸗
geſtaltete Sonderſtellung der öffentlichen Korporation
teils ausſchließen, teils — wie bei der G. m. b. H. —
nur auf Umwegen ermöglichen.“
Die vorbeſchriebene Abhandlung mit der ausge⸗
hobenen Schlußfolgerung kam mir in Erinnerung, als
ich vor einigen Tagen die Verhandlungen der Land⸗
ratsverſammlungen von Unterfranken und von Ober⸗
franken über den Abſchluß von Verträgen mit der
Elektrizitäts⸗Aktiengeſellſchaft vorm. Schuckert & Co.
in Nürnberg und der Brown⸗Boweri & Co, Aktien⸗
geſellſchaft in Mannheim, betreffend elektriſche Ueber⸗
landzentralen geleſen habe.
Die Vertrags⸗Entwürfe ſind zwar nicht veröffent⸗
licht und ſind mir auch nicht zugänglich, aber nach
allem, was man aus den Landratsverhandlungen ent⸗
nehmen kann, ſollen für die von den Kreiſen Unter⸗
und Oberfranken zu beſchaffenden Millionen⸗Kapitalien
dieſe Kreisgemeinden Aktien der vorgenannten Aktien⸗
geſellſchaften übernehmen und zur Vertretung und
Wahrung der Intereſſen der Kreisgemeinden und ihrer
Angehörigen Sitze und Stimmen im Aufſichtsrat und
gewiſſe Kontrollrechte vertraglich zugeſichert und ge⸗
ſichert erhalten.
Da erſcheint es angezeigt, zu prüfen, ob denn die
oben angeführte Aeußerung in der Freundſchen Ab⸗
handlung richtig iſt, zumal da ſie im Hinblick ſowohl
auf die vom Verfaſſer eingenommene Stellung als
auch auf fein ſonſtiges wiſſenſchaftliches Anſehen An⸗
ſpruch auf Beachtung erheben kann.
18 Beitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
Das veranlaßte mich, die Aeußerung des inzwiſchen,
ſoviel mir bekannt geworden, in Penſion gegangenen
Berliner Miniſterialdirektors nachzuprüfen und zu ſehen,
ob ſich die zwiſchen den genannten Kreisgemeinden
mit den zwei Aktiengeſellſchaften geplanten Verträge
mit reſtloſer Sicherung der Stellung der Erſteren auf
Grund der beſtehenden Geſetze verwirklichen laſſen.
Ich kam bei dieſer Nachprüfung zu folgendem
Ergebnis:
Wenn, wie es wahrſcheinlich ift, in den geplanten
Verträgen beſtimmt werden ſoll, daß den beiden Kreis⸗
regierungen von Unterfranken und von Oberfranken
das Recht zuſtehen ſoll, je ein Mitglied in den Auf⸗
ſichtsrat zu ſenden, ſo dürfte allerdings die Rechts⸗
wirkung einer ſolchen Vertragsbeſtimmung nach den
dermaligen geſetzlichen Beſtimmungen über die Aktien⸗
geſellſchaft recht fraglich ſein.
Nach 8 243 HGB. beſteht der Aufſichtsrat aus
den von der Generalverſammlung zu wählenden Mit⸗
gliedern. Die Beſtimmung von Mitgliedern des Ver⸗
waltungsrates durch Dritte kennt das Geſetz nicht.
Durch Vertrag mit Dritten kann auch an dieſen geſetz⸗
lichen Verfaſſungsbeſtimmungen nichts geändert werden.
Soll nun der Einfluß der Kreisregierung oder
Kreisvertretung (Landrat) durch Abordnung eines oder
mehrerer Mitglieder in den Aufſichtsrat der genannten
Aktiengeſellſchaften rechtlich geſichert werden, ſo dürfte
es zutreffend ſein, daß ohne Eingreifen der Reichs⸗
geſetzgebung dieſer Zweck nicht erreicht werden kann.
In dem Verwaltungsrat der auf Grund des beſtehen⸗
den Geſetzes gebildeten Aktiengeſellſchaft haben nur
von der Generalverſammlung gewählte Mitglieder von
Rechts wegen Sitz und Stimme. Die beabſichtigte Ab⸗
ordnung von Auſſichtsmitgliedern ſetzt eine neue Geſell⸗
ſchaftsform für die gemiſchte wirtſchaftliche Unter⸗
nehmung — der Kreisgemeinden und der Aktiengeſell⸗
ſchaften — voraus, für welche die rechtliche Unterlage
nach der dermaligen Geſetzgebung nicht zu beſchaffen iſt.
Aber noch in einer anderen Richtung dürfte es
an der geſetzlichen Grundlage für die Durchführung
des zwiſchen den genannten Kreisgemeinden und den
genannten Aktiengeſellſchaften geplanten Vertragsver⸗
hältniſſes für die elektriſchen Ueberlandzentralen der
Letzteren mangeln.
Wenn die Kreisgemeinden die nach Art. 15 lit. f
des Landratsgeſetzes aufzunehmenden Kapitalien in
Aktien der genannten Geſellſchaften anlegen wollten,
um auf dem Wege als Großaktionäre in der organiſchen
und wirtſchaftlichen Betätigung der Geſellſchaften zur
Vertretung und Sicherung der öffentlichen Kreis⸗
intereſſen einen gebührenden Einfluß auszuüben, ſo
begegnet die Frage der geſetzlichen Zuläſſigkeit der
Anlage von Kreiskapitalien in Aktien der Geſellſchaften
und ihres Eintritts in letztere ſelbſt als Aktionär
wohlberechtigten Bedenken.
Das Landratsgeſetz vom 28. Mai 1852 zählt in
Art. 15 auf, was zum Wirkungskreiſe des Landrates
gehört. Unter den von a. bis n. aufgeführten Beſtim⸗
mungen iſt keine, welche es dem Kreiſe und deſſen Ber:
tretung, dem Landrate, ermöglichte, Kapitalien in
Anteilſcheinen einer Aktiengeſellſchaft anzulegen und
als Aktionäre an ſolchen ſich zu beteiligen. Soll ſolches
gleichwohl nach den mit den genannten Aktiengeſell⸗
ſchaften abzuſchließenden Verträgen geſchehen, ſo würde
nur übrig bleiben, nicht nur die in Art. 15 f vorge⸗
ſchriebene Genehmigung zur Schuldaufnahme durch
|
ein Landesgeſetz zu beſchaffen, ſondern in dieſes auch
die ausdrückliche Zweckbeſtimmung aufnehmen zu laſſen
„behufs Anlage der Kapitalien in Aktien der genannten
Geſellſchaft und Eintritts der Kreisgemeinden in die
Geſellſchaften als Aktionär“.
Hofrat Dr. Full, Rechtsanwalt in Würzburg.
Der fogenaunte 1500 Mark⸗Bertrag. Ueber die
Frage, ob die ſog. 1500 Mark⸗Verträge gegen die guten
Sitten verſtoßen, hat das LG. Aſchaffenburg am
18. November 1913 als Berufungsinſtanz entſchieden.
Ein Redakteur, der 4000 M Gehalt bezog, hatte 2500 M
hievon durch einen Nachtragsvertrag ſeiner Ehefrau
von ſeinem Arbeitgeber zuſichern laſſen und hiebei
offen in ſeiner Zeitung erklärt, daß er dies getan habe,
damit ſeine Gläubiger aus zahlreichen, mitunter recht koſt⸗
ſpieligen Privatklagen keine Befriedigung finden könnten.
Die Entſcheidung ſtellt ſich auf den Standpunkt des
Reichsgerichts. Eine Nichtigkeit wegen Verſtoßes gegen
die guten Sitten ſei nur gegeben, ſoweit der Geſamt⸗
betrag der Vergütung das Maß deſſen überſteigt,
was zum Unterhalte des Dienſtverpflichteten und ſeiner
Familie bei einer beſcheidenen, dem Stande des Dienſt⸗
verpflichteten entſprechenden Lebensführung erforder⸗
lich iſt. Bei den gegebenen Verhältniſſen werden 3000 41
als mäßiger ſtandesgemäßer Unterhalt angenommen,
fo daß 1000 M dem Zugriff der Gläubiger offen bleiben.
Hiebei iſt auch berückſichtigt, daß der Redakteur nicht
durch mißliche Verhältniſſe, ſondern durch ſtrafbare
Handlungen in die Schulden geriet. Es verſtoße gegen
das Anſtandsgefühl aller billig und gerecht denkenden
Menſchen, nicht nur in dem Standes⸗ und Lebens⸗
kreiſe des Schuldners, ſondern des ganzen Volkes,
wenn er mit ſeiner Familie zum ſtandesgemäßen
Lebensunterhalt mehr als unumgänglich notwendig iſt,
verbraucht und ſeine Gläubiger leer ausgehen laſſe.
Es wird dann weiter geſagt, daß der Vertrag, ſoweit
er über 3000 M abgeſchloſſen ſei, Gültigkeit habe und
nur bezüglich 1000 M nichtig fei, weil nach dem Willen
und dem Intereſſe der Vertragſchließenden gemäß
8 139 BGB. anzunehmen fei, daß fie den Vertrag
auch dann geſchloſſen hätten, wenn ſie von vorneherein
den über das zuläſſige Maß der Zuwendung hinaus⸗
gehenden Teil der Vergütung den Gläubigern hätten
überlaſſen müſſen. N
Dieſer Anſicht iſt entgegenzuhalten, daß es ſich
bei der Zuwendung der 2500 M an die Ehefrau um
ein einheitliches und nicht um ein zuſammengeſetztes
Rechtsgeſchäft handelt. Die geſetzliche Vorſchrift ſpricht
ausdrücklich von Teilen eines Rechtsgeſchäfts. Die
Gehaltsbeſtimmung in einem Dienſtvertrage und die
Gegenleiſtung hiefür werden als einheitliches Rechts⸗
geſchäft zu erachten ſein und wenn die Gehaltszu⸗
wendung an eine dritte Perſon zum Teil nichtig iſt,
ſo dürfte die ganze Zuwendung nichtig ſein. Es kann
auch nicht einſach als Parteiwille unterſtellt werden,
daß der Vertrag wenigſtens teilweiſe zugunſten der
Ehefrau geſchloſſen worden wäre. Es läßt ſich nicht
ermitteln, welche Maßnahmen der Schuldner getroffen
hätte, wenn er die teilweiſe Nichtigkeit des Vertrags
gekannt hätte. Im übrigen beweiſt die Entſcheidung,
daß es dringend nötig iſt, durch eine Novelle zur
Zivilprozeßordnung Abhilfe zu ſchaffen und der Recht⸗
ſprechung eine ſichere Grundlage zu geben, ſei es durch
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 191-4. Nr. 1.
eine Erhöhung des unpfändbaren Einkommens, ſei es
durch eine
amtengehälter ähnlich wäre, oder durch ſonſtige Ab⸗
ſtufung der Pfändungsgrenze je nach der Höhe des
Einkommens. So wie die Dinge zurzeit liegen, dürſte
die Auslegung der Gehaltsverträge im Sinne der
Schuldner einer Geſetzesumgehung gleichkommen. Die
Rechtſprechung eilt der Geſetzgebung voraus.
Rechtsanwalt Dr. Haager in Aſchaffenburg.
Welcher Gerichtsſchreiber iſt zuſtändig zur Ent⸗
gegennahme der nach 5 911 300. vorzuſchießenden Haſt⸗
und Berpflegungsksſten? Der Gläubiger E. erwirkte
gegen den in Strelitz (Mecklenburg) wohnenden Schuld⸗
ner M. beim Amtsgericht Nürnberg Verſäumnisurteil
auf Zahlung von 90 . Da die beim Schuldner in
Strelitz verſuchte Pfändung erſolglos war, beantragte
der Gläubiger beim Amtsgericht Strelitz die Anbe⸗
raumung eines Termins zur Leiſtung des Ofſenbarungs⸗
eides durch den Schuldner und erwirkte im Termin
gegen ihn Haftbefehl. Inzwiſchen verzog der Schuldner
von Strelitz nach Nürnberg, und der Gläubiger be⸗
ſchloß, hier den Haftbefehl zu vollſtrecken. Um dem
Gerichtsvollzieher den nach 8 911 ZPO. erforderlichen
Nachweis liefern zu können, überſandte er an die
Gerichtsſchreiberei des Amtsgerichts Nürnberg den
Betrag von 30 M als Haftkoſtenvorſchuß, die Gerichts⸗
ſchreiberei lehnte jedoch die Annahme ab, weil die
Koſten beim Amtsgericht Strelitz einzuzahlen ſeien.
Die ſodann an die Gerichtsſchreiberei des Amtsgerichts
Strelitz übermittelte Summe von 30 M wurde auch
dort nicht angenommen, da der Schuldner in Nürn⸗
berg wohne, übrigens der Haftkoſtenvor ſchuß in Strelitz
54 M betrage. Erſt nach längeren Verhandlungen ers
klärte ſich auf nochmaliges Erbieten des Gläubigers
die Gerichtsſchreiberei des Amtsgerichts Strelitz bereit,
einen Vorſchuß von 54 M anzunehmen, worauf der
Gläubiger ihn einſandle. Der Haftbefehl wurde aber
nicht mehr vollſtreckt, da nun der Schuldner freiwillig
zahlte, nachdem ihm der vorerwähnte Zuſtändigkeits⸗
ſtreit gegen den Willen des Gläubigers zu einer Stun⸗
dung von ungefähr 3 Monaten verholfen hatte.
Dieſer Fall regt die Frage an, welches Gericht,
d. h. welche Gerichtsſchreiberei zur Annahme des Haft.
koſtenvorſchuſſes zuſtändig iſt.
Soweit Gerichte innerhalb Bayerns in Frage
kommen, iſt die Zuſtändigkeit zur Annahme des Haft⸗
koſtenvorſchuſſes geregelt durch 8 24 der Min Bek. vom
23. April 1883 (JM Bl. S. 194). Diefer beſtimmt: „Die
Erhebung der Koſten der Zwangs⸗ und der Sicher⸗
heitshaft, welche in einer bürgerlichen Rechtsſtreitigkeit
oder im Konkursverfahren angeordnet iſt, obliegt dem
Gerichtsſchreiber des Gerichts, welches die Haft ange⸗
ordnet hat, auch wenn die Haft in dem Gefängnis
eines andern Gerichts vollzogen wird“.
Dieſe Beſtimmung iſt ſelbſtverſtändlich nur für
innerbayeriſche Verhältniſſe maßgebend, ſie iſt in dieſem
Rahmen auch durchaus zweckentſprechend, da der Ge⸗
richtsſchreiber des die Haft anordnenden Gerichts nicht
nur die Offenbarungseidsakten zur Hand hat, ſondern
auch unmittelbar mit dem Fiskus die fraglichen Koſten
verrechnen kann. Die letztere Vorausſetzung trifft aber
nicht zu, wenn der Vorſchuß bei dem Gerichtsſchreiber
eines außerbayeriſchen Gerichts einbezahlt wird, die
Haft dagegen am Sitze eines bayeriſchen Gerichts zu
|
Regelung, die den Vorſchriften für Ber |
19
vollſtrecken iſt. In einem ſolchen Fall müßte der Ge⸗
richtsſchreiber des außerbayeriſchen Gerichts den Vor⸗
ſchuß an den Gerichtsſchreiber des Amtsgerichts über⸗
ſenden, in deſſen Bezirk die Haft vollſtreckt werden
ſoll, da die Verpflegungskoſten mit dem bayeriſchen
Fiskus zu verrechnen ſind, er aber dieſe Verrechnung
ſelbſt nicht vornehmen könnte. Die Einzahlung des
Vorſchuſſes bei dem die Haft anordnenden Amtsgericht
würde alſo in einem ſolchen Falle dennoch ſtets dazu
führen, daß der Vorſchuß an den Gerichtsſchreiber des
Amtsgerichts gelangte, bei welchem die Haft vollſtreckt
wird, und zwar auf einem recht unnötigen Umweg.
Hierzu kommt noch folgendes: Der Betrag des
Haftkoſtenvorſchuſſes kann in verſchiedenen Bundes⸗
ſtaaten verſchieden ſein, da ſich ſeine Höhe nach den
für die Strafhaft geltenden landesgeſetzlichen Vor⸗
ſchriften bemißt (GKG. 8 79 Nr. 8). Muß es nun als
ſelbſtverſtändlich gelten, daß der Gerichtsſchreiber nur
einen Vorſchuß von ſolcher Höhe anzunehmen braucht,
der den landesrechtlichen Vorſchriſten entſpricht, ſo
unverſtändlich wäre es, wenn ein Gläubiger genötigt
ſein ſollte, zum Zwecke einer Haftvollſtreckung in Nürn⸗
berg, für die monatlich 30 M Verpflegungskoſten er⸗
wachſen, in Strelitz 54 u, alſo nahezu den doppelten
Betrag vorzuſchießen. Dies würde dem Zweck der
Vorſchrift des 8 911 ZPO. widerſprechen, die die Vor⸗
ſchußleiſtung für einen Monat anordnet.
Schließlich braucht ſich aber der Gläubiger wegen
der Einzahlung des Vorſchuſſes gar nicht an den Ge⸗
richtsſchreiber des Amtsgerichts zu wenden, ſondern
er kann den erforderlichen Betrag an den von ihm
mit der Vornahme der Verhaftung beauftragten
Gerichtsvollzieher bezahlen, welch letzterer nach der
bayeriſchen Dienſtanweiſung (8 179 daſelbſt) — jo auch
in Preußen, Württemberg und Baden — zur Empfang⸗
nahme ermächtigt iſt. Der Gerichtsvollzieher wird ſich
ſelbſtverſtändlich ſtets mit dem Betrage begnügen, der
nach dem Geſetze ſeines Staates erforderlich iſt, und
den Betrag nach Vollziehung des Haftbefehls an den
Gerichtsſchreiber abliefern. Angenommen nun, daß
auf Grund einer im vorliegenden Fall an den Gerichts⸗
vollzieher in Nürnberg geleiſteten Vorſchußzahlung von
30 M die Verhaftung erfolgte, ſo kann dieſe Haft nach⸗
träglich nicht aus dem Grunde wieder aufgehoben
werden, weil etwa das Amtsgericht Strelitz den ihm
vom Gerichtsvollzieher überſandten Betrag wegen un⸗
genügender Höhe anzunehmen ſich weigerte. Der Ge⸗
richtsvollzieher wird den einmal verhafteten Schuldner
ohne Genehmigung des Gläubigers nicht auf ſeine
Gefahr aus der Haft entlaſſen, anderſeits kann er aber
auch den an ihn gezahlten Vorſchuß nicht behalten, da
er nicht der zur Verrechnung mit dem Fiskus oder der
Geſängnisbehörde zuſtändige Beamte iſt. Vielmehr
wird er den Betrag alsdann dem Gerichtsſchreiber des
Amtsgerichts Nürnberg übergeben müſſen, an den, wie
oben gezeigt, der Vorſchuß auf jeden Fall gelangen
würde.
Soll alſo die von dem Amtsgericht eines andern
deutſchen Bundesſtaates angeordnete Haſt am Sitze
eines bayeriſchen Amtsgerichts vollſtreckt werden, fo
wird ſich der Gerichtsſchreiber des letzteren Gerichts
nicht weigern können, den ihm vom Gläubiger ange—
botenen nach 8 911 ZPO. zu leiſtenden Vorſchuß an⸗
zunehmen.
Amtsrichter Dr. Stepp in Nürnberg.
Aus der Aechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
1
Auerkeunung des Anſpruchs i. S. des 8 208 B88.
Aus den Gründen: Der Kläger ſieht eine Aner⸗
kennung ſeines Anſpruchs durch F. darin, daß dieſer
ihm ſofort nach dem Unfall und einige Tage ſpäter
erklärt habe, er komme für allen Schaden auf, Kläger
könne ſich ruhig an ihn halten, er ſei durch Verſicherung
gedeckt. Eine ähnliche Erklärung ſollen F. und der
Beklagte 2 auch noch nach dem 8. Dezember 1908, alſo
innerhalb der dreijährigen Verjährungsfriſt, abgegeben
haben. Der Kläger behauptet nicht, daß F. ihm, etwa
ſchenkungshalber, Erſatz des Schadens verſprochen habe,
gleichviel ob er dazu verpflichtet ſei oder nicht. Das
Berufungsgericht vermißt daher mit Recht in jenen
Aeußerungen eine Anerkennung der Schadenserſatz⸗
pflicht. Zur Anerkennung i. S. des 8 208 BGB. iſt
erforderlich, daß die Erklärung oder das Verhalten
des Schuldners das Bewußtſein von dem Beſtehen der
Schuld deutlich ergibt. Daran fehlt es hier. Die
Aeußerungen des FJ. waren zur Beruhigung des Klägers
beſtimmt. Sie hatten, wie ihre Faſſung zeigt, den
Inhalt, daß er zur Entſchädigung des Klägers bereit
ſei, weil und ſoweit er verſichert ſei. Sollte F. die
Worte, er komme für den Schaden des Klägers auf,
wiederholt haben, auch ohne den Zuſatz, er ſei verſichert,
ſo iſt ihr Sinn, daß der Kläger ſich an ihn halten
könne, weil er verſichert ſei, doch der gleiche geblieben.
Derartige Verſprechungen von Verſicherten, ſie kämen
für den Schaden auf, werden in der Regel nicht un⸗
bedingt, ſondern unter dem Vorbehalt gegeben, daß
die Verſprechenden ſchadenserſatzpflichtig und durch die
Verſicherung gedeckt ſeien. Darin iſt aber keine An⸗
erkennung des Anſpruchs zu finden, wie fie 8208 voraus-
ſetzt. Eine andere Beurteilung könnte insbeſondere
dann Platz greifen, wenn für den Erſatzpflichtigen ſein
Verſchulden an dem Schaden außer Zweifel ſtände und
er dieſes und ſeine Haftpflicht zugeben wollte. In
ſolchen Fällen werden aber gemeinhin andere Wen⸗
dungen gewählt, als F. ſie gebraucht haben ſoll.
(Urt. d. VI. 35. vom 9. Oktober 1913, VI 292/13).
3169 — — · n.
II.
Zu 88 1150, 268 Abſ. 1 und 880 Abi. 5 BGB.;
Ausübung des Ablöſungsrechts durch den Inhaber eines
Rechtes, das im Range zwiſchen mehreren Hypstheken
des Befriedigung verlangenden Gläubigers ſteht; der
Auslöſende hat bei der Verteilung des bar zu zahlenden
Berſteigeruntzserlöſes für die Beträge an Zinſen und
Koſten, die er als unnmehriger Gläubiger der feinem
Nechte vorgehenden Hypetheken zu fordern hat, Auſpruch
auf Befriedigung im Range vor der dem urſprünglichen
Gläubiger verbliebenen Hypothek, mögen die Hypotheken
auch für die gleiche Forderung beſtellt und ihnen unter
ſich gleicher Nang eingeräumt geweſen ſein. Am 4. Ok⸗
tober 1897 wurde in Abt. II eines Grundbuchblatts
für den Kläger ein Durchgangsrecht eingetragen. Da—
mals war das Grundſtück mit den Hypotheken Nr. 22,
23, 25/29 und 35 von zuſammen 410000 M belaſtet.
Am 22. Juni 1898 wurde unter Nr. 36 eine zu 5%
verzinsliche Hypothek von 340000 M für die Beklagte
eingetragen. Am 11. Auguſt 1899 wurden dann auch
die zuerſt genannten Hypotheken auf die Beklagte um—
geſchrieben und zugleich im Grundbuche vermerkt, daß
die ganzen 750000 M fortan mit 5% verzinſt werden
und unter ſich gleichen Rang haben ſollen. Im No—
vember 1911 wurde die Zwangsverſteigerung einge—
leitet. Alleinige betreibende Gläubigerin war die Be—
20 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
— v ' :.: !'e᷑ . — i ——ꝛ3jÜCAᷓöw̃ꝙd....k3ß.ł᷑xörẽ:KKKKĩßÄK—K——88ßð0to 88x. ᷑ ſͤ8ꝛc-ʃʃ'ͤ —4-.......!.!ͤ⸗!ͤö. Börm
die Verſteigerung zu verlieren, übte der Kläger das
Ablöſungsrecht gemäß SS 268, 1150 BGB. aus und
befriedigte die Beklagte wegen der Anſprüche, die ſeinem
Rechte vorgingen. Die Beklagte nahm darauf den
Zwangsverſteigerungsantrag wegen der auf die Hypo⸗
theken Nr. 22, 23, 25/28 und 35 treffenden Beträge
zurück. Wegen der weiteren Beträge wurde das Ver⸗
fahren fortgeſetzt. Am 16. Februar 1912 wurde das
Grundſtück verſteigert. Die auf den Kläger überge⸗
gangenen Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29, 35 fielen in
das geringſte Gebot, ebenſo ſein Durchgangsrecht.
Aus den Gründen: Wenn ein Hyvpotheken⸗
gläubiger Befriedigung wegen ſeiner Hypothek aus dem
belaſteten Grundſtück verlangt, ſo iſt nach 88 1150, 268
Abſ. 1 Satz 1, Abſ. 3 BGB. jeder, der Gefahr läuft,
durch die Zwangsvollſtreckung ein Recht an dem Grund⸗
ſtück zu verlieren, berechtigt, den Gläubiger zu be⸗
friedigen; ſoweit er den Gläubiger befriedigt, geht die
Hypothek auf ihn über, jedoch kann der Uebergang
nicht zum Nachteile des Gläubigers geltend gemacht
werden. Der erk. Senat hat bereits in dem zum Ab⸗
drucke beſtimmten Urteil vom 2. April 1913 V 504/12
(vol. JW. 1913 S. 643 Nr. 8) ausgeſprochen, daß bei
der Frage, ob der Uebergang einer Hypothek auf den
Ablöſenden zum Nachteil des bisherigen Hypotheken-
gläubigers geltend gemacht werde, die Rechte des
letzteren lediglich als Inhaber der von der Ablöſung
betroffenen Hypothek in Betracht zu ziehen ſeien, und
eine andere dem nämlichen Gläubiger etwa noch Zus
ſtehende Hypothek an dem Grundſtück nicht zu berück⸗
ſichtigen ſei. Gegründet iſt dieſe Rechtsanſicht haupt⸗
ſächlich darauf, daß das dingliche Hypothekenrecht durch
die Befriedigung des Hypothekengläubigers nicht er⸗
liſcht, vielmehr auch dann fortbeſteht, wenn der Schuld⸗
ner ſelbſt den Gläubiger befriedigt, und ein Aufrücken
der nachfolgenden Hypotheken, ſei es auch desſelben
Gläubigers, verhindert; nach den geſetzgeberiſchen Vor⸗
arbeiten hätten die auf die Verhütung der Benach⸗
teiligung des Hypothekengläubigers bezüglichen Bes
ſtimmungen nur den Fall der Ablöſung eines Teiles
der Hypothekforderung betreffen ſollen; hier nament⸗
lich ſolle der dem Gläubiger verbleibende Reſt der
Hypothek den Vorrang haben. Daran iſt feſtzuhalten.
Danach aber macht der eine Hypothek Ablöſende den
Uebergang der Hypothek nicht „zum Nachteil des Hy⸗
pothekengläubigers geltend“, wenn er nach zwangs⸗
weiſer Verſteigerung des belaſteten Grundſtücks bei
der Verteilung des bar zu zahlenden Verſteigerungs—
erlöſes den auf die abgelöſte Hypothek entfallenden
Erlösteil für ſich in Anſpruch nimmt, wiewohl der
Gläubiger wegen einer anderen ihm an dem nämlichen
Grundſtück zuſtehenden Hypothek nicht volle Befriedi⸗
gung erlangt. Mit Recht hat daher der Beruſungs⸗
richter dem Kläger die 15 293.86 M zugeſprochen, die
dieſer an Zinſen und Koſten aus den auf ihn über-
gegangenen Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 an⸗
gemeldet hat, wiewohl die Beklagte mit der Hypothek
Nr. 36 teilweiſe ausgefallen iſt. Unzutreffend iſt die
Ausführung der Reviſion, die Beklagte ſei durch die
Ablöſung, ſoweit ſie ſich auf die rückſtändigen Jinſen
und Koſten erſtreckt habe, benachteiligt, weil gemäß
§ 1178 BGB. die Hypothek für dieſe Zinſen und Koſten
erloſchen wäre, wenn der Schuldner ſelbſt fie befriedigt
hätte. Die Beklagte iſt wegen der aus ihren Hypo—
theken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 ſich ergebenden An⸗
ſprüche vom Kläger voll befriedigt worden. Deshalb
war es für ſie als Gläubigerin dieſer Hypotheken von
keiner Bedeutung, daß die Hypothek für die Rückſtände
von Zinſen und Koſten nicht erloſch, wie es im Falle
ihrer Befriedigung durch den Schuldner geſchehen wäre,
ſondern in der Hand des Klägers ebenſo wie die Hy—
pothek für das Kapital fortbeſtand. An ihrer weiteren
Hupothek Nr. 36 erlitt die Beklagte infolge Fortbe—
ſtehens der Hypothek allerdings einen Ausfall; aber
klagte. In der Beſorgnis, das Durchgangsrecht durch dieſer Umſtand hatte für die Frage außer Betracht zu
bleiben, ob fie durch Geltendmachung des Ueberganges
jener Hypothek auf den Kläger benachteiligt wurde;
denn nach dem Vorerörterten iſt hiefür nur die Rechts⸗
ſtellung der Beklagten als Gläubigerin der abgelöſten
Hypotheken maßgebend. — Unrichtig iſt ferner die
Meinung der Reviſion, die Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29
und 35 hätten mit der Hypothek Nr. 36 eine einheit⸗
liche Hypothek gebildet und deshalb ſei ihre Ablöſung
nur die Ablöſung eines Teiles der ganzen einheitlichen
Hypothek der Beklagten. Die Hypothek Nr. 36 war ein
ſelbſtändiges dingliches Recht an dem belaſteten Grund⸗
ſtück. Sie iſt mit den anderen Hypotheken der Be⸗
klagten nicht zu einem dinglichen Recht vereinigt ge⸗
weſen, mag auch die
die Hypotheken dienten, eine einheitliche geweſen ſein.
War letzteres der Fall, ſo beſtanden die Hypotheken
je für einen Teil der Forderung als mehrere im Ver⸗
hältnis zueinander ſelbſtändige Hypotheken (RG. 75,
249). Auch ſonſt iſt es ohne Belang, ob den Hypo⸗
theken eine einheitliche Forderung oder mehrere ver⸗
ſchiedene Forderungen zugrunde lagen. Für die Zu⸗
läſſigkeit und die Wirkung der Ausübung des Ab⸗
löſungsrechts aus 8 1150 BGB. kommen allein die
dinglichen Hypothekenrechte in Betracht, nicht die ge⸗
ſicherten perſönlichen Forderungen. Ferner iſt die
Selbſtändigkeit der Hypothek Nr. 36 auch nicht durch
die Rangänderung im Jahre 1899 berührt worden,
wodurch die Hypothek Nr. 36 gleichen Rang mit den
Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 erhielt. Den
Hypotheken iſt dadurch nur ein anderer Inhalt gegeben
worden. Die Hypothek Nr. 36 konnte auch mit den
anderen Hypotheken nicht vereinigt werden, wenigſtens
nicht ohne Zuſtimmung des Klägers, da das Durch⸗
gangsrecht des Klägers den Rang zwiſchen den Hypo⸗
theken hatte. Die Reviſion macht weiter geltend, der
Kläger könne jedenfalls Befriedigung wegen der ab⸗
gelöſten Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 nur in
gleichem Range mit der Hypothek Nr. 36 verlangen.
Wäre die letztere Hypothek in andere Hände überge⸗
gangen, ſo würde er wegen jener Hypotheken Befrie⸗
digung auch nur in gleichem Range mit ihr erlangen
können. Mindeſtens ſei daher inſoweit der Anſpruch
des Klägers unbegründet. Das Einlöſungsrecht ſei kein
der Hypothek anhaftendes bedingtes Recht, ſondern
eine Befugnis, die erſt im Augenblick der Zwangs⸗
vollſtreckung entſtehe. Es ſei alſo nicht richtig, daß der
Kläger ſchon vor Eintragung der Hypothek Nr. 36 die
rechtliche Möglichkeit erlangt gehabt habe, die ihm
vorgehenden Hypotheken durch Ablöſung an ſich zu
bringen. Er müſſe vielmehr bis zu dem Augenblick,
in dem die Befriedigung aus dem Grundſtück gefordert
werde, alles dulden, was nicht die Rangſtellung ſeines
dinglichen Rechtes verſchlechtere. Dieſe aber bleibe auch
im vorliegenden Falle unberührt. Jedoch auch dieſer
Angriff der Reviſion kann nicht für begründet erachtet
werden. Allerdings war der Kläger nach SS 268 Abſ. 1,
1150 BGB. erſt, als die Beklagte Befriedigung wegen
ihrer Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 aus dem
belaſteten Grundſtück verlangte, wegen der Gefahr des
Verluſtes ſeines Durchgangsrechts berechtigt, die Be⸗
klagte zu befriedigen. Der Kläger braucht aber nicht
gegen ſich gelten zu laſſen, daß der erſt nach ſeinem
Durchgangsrecht eingetragenen Hypothek Nr. 36 durch
die ohne ſeine Zuſtimmung erfolgte Rangänderung im
Jahre 1899 der gleiche Rang mit den gemäß $S 268
Abt. 3, 1150 BG. auf ihn übergehenden Hypotheken
Nr. 22, 23, 25/29 und 35 eingeräumt worden iſt. Dies
iſt zwar nicht aus dem vom OLG. angeführten $ 880
Abſ. 5 BGB. zu entnehmen, da die Rangänderung vor
dem Inkrafttreten des BGB. ſtattgefunden hat; wohl
aber aus dem damals geltenden, übrigens im weſent—
lichen mit 8 880 Abſ. 5 BGB. übereinſtimmenden 8 35
Satz 3 Preuß. EigérwG. vom 5. Mai 1872 in Ver⸗
bindung mit 8 37 Pr. ALR. I, 20, wonach der Pfand⸗
gläubiger, der die Befriedigung aus der verpfändeten
Forderung, zu deren Sicherung
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
21
—
Sache betreibt, ſchuldig iſt, gegen vollſtändige Befrie⸗
digung ſein Pfandrecht einem jeden abzutreten, der
ein dingliches Recht auf die Sache hat. Danach konnte
vor der Rangänderung der Kläger als Inhaber des
Durchgangsrechts die dieſem vorgehenden Hypotheken
Nr. 22, 23, 25/29 und 35 durch Befriedigung der
Beklagten mit dem Vorrange vor der ſeinem Durch⸗
gangsrecht nachſtehenden Hypothek Nr. 36 erwerben,
wenn die Beklagte für jene Befriedigung aus dem
Grundſtück ſuchte. Hätte er nun nach der Rangänderung
jene Hypotheken nur mit der Wirkung einlöſen können,
daß die Hypotheken als im gleichen Range mit der
Hypothek Nr. 36 ſtehend auf ihn übergingen, ſo wäre
er tatſächlich infolge der Rangänderung ee ges
ſtellt. Dies würde aber der Vorſchrift des 8 35 EigErwm®.
widerſprechen, wonach dadurch, daß ein voreinge⸗
tragener Gläubiger fein Vorrecht einem nachſtehenden
einräumt, die Vorrechte der Zwiſchenpoſten nicht ge⸗
ändert werden. Hieraus ergibt ſich, daß dem Kläger
wegen aller Anſprüche aus den auf ihn übergegangenen
Hypotheken Nr. 22, 23, 25/29 und 35 das Vorrecht vor
der Hypothek Nr. 36 zuſteht und er daher aus dem
baren Verſteigerungserlös Befriedigung vor den Be⸗
trägen beanſpruchen kann, die die Beklagte aus ihrer
Hypothek Nr. 36 angemeldet hat. (Urt. des V. 88.
vom 20. Sept. 1913, V 158/1913). E.
3170
III.
Wann beginnt im Falle des 5 2306 BGB. die Ans:
ſchlagungsfriſt, wenn Zweifel über die Gültigkeit der
letztwilligen Verfügung beftehen? Aus den Gründen:
Das ORG. geht zutreffend davon aus, daß der Kläger, da
der ihm im Teſtamente ſeiner Mutter hinterlaſſene Erbteil
größer als ſein Pflichtteil iſt, den Pflichtteil nur verlangen
könnte, wenn er den Erbteil rechtzeitig ausgeſchlagen
hätte (8 2306 Abſ. 1 Satz 2). Zu rechtlichen Bedenken
Anlaß gibt jedoch die Annahme, die am 7. Oktober 1912
vom Kläger dem Nachlaßgerichte gegenüber erklärte
Ausſchlagung der Erbſchaft aus dem Teſtamente ſei
verſpätet und ſomit nicht zu beachten. Das OLG. ver⸗
weiſt zur Rechtfertigung ſeiner Annahme darauf, daß
die ſechswöchige Ausſchlagungsfriſt des 8 1944 BGB.
nach $ 2306 mit dem Zeitpunkte beginne, in dem der
Pflichtteilsberechtigte von der Beſchränkung oder der
Beſchwerung Kenntnis erlangt habe, beim Kläger ſei
das aber ſpäteſtens zur Zeit der Klageerhebung im April
1911 der Fall geweſen. Dieſe Begründung iſt mindeſtens
nicht ausreichend. Nach 8 2306 Abſ. 1 Satz 2 Halbſ. 2
beginnt zwar die Ausſchlagungsfriſt „erſt, wenn der
Pflichtteilsberechtigte von der Beſchränkung oder Bes
ſchwerung Kenntnis erlangt“. Damit ſoll aber, worauf
ſchon das Wort „erſt“ hinweiſt, nicht beſtimmt ſein,
daß die Ausſchlagungsfriſt mit dem bezeichneten Zeit⸗
punkt unter allen Umſtänden wirklich beginne, ſondern
nur, daß ſie keinesfalls vor dieſem Zeitpunkte beginnen
kann. Neben der beſonderen Vorausſetzung der hier
in Rede ſtehenden Beſtimmung müſſen vielmehr auch
die in 8 1944 Abſ. 2 angeordneten allgemeinen Voraus-
ſetzungen für den Beginn der Ausſchlagungsfriſt ge⸗
geben ſein. Darüber herrſcht in der Rechtslehre volle
Meinungsübereinſtimmung, und auch der Senat hat
ſich in dieſem Sinne ausgeſprochen (RGZ. Bd. 59 S. 341).
Für den durch Teſtament als Erbe berufenen Pflicht⸗
teilsberechtigten beginnt daher die Ausſchlagungsfriſt
nicht vor dem Zeitpunkt, in dem er von dem Anfall
und dem Grunde der Berufung Kenntnis erlangt. Die
„Kenntnis“, von der 8 1944 Abſ. 2 ſpricht, fällt nicht
ſchlechthin mit der Kenntnis der Tatſachen zuſammen,
auf die ſich die Berufung gründet. Vor allem muß der
Erbe wiſſen (vgl. auch § 1949 Abſ. 1), ob ihm die Erb⸗
ſchaft als geſetzlichem oder als Teſtamentserben ange—
fallen iſt. Hält daher ein durch Teſtament berufener
Erbe, der auch zu den geſetzlichen Erben gehören würde,
das Teſtament aus irgendwelchem Grunde für nichtig,
22
wenn auch irrig, fo iſt der Beginn der Ausſchlagungs⸗
friſt ausgeſchloſſen, ſolange der Irrtum vorhält, ſofern
wenigſtens durch das Teſtament im Falle ſeiner Gültig⸗
keit das geſetzliche Erbrecht geſchmälert werden würde.
Nun hatte der Kläger ausdrücklich behauptet, er habe
ſich bei der Annahme der Erbſchaft in einem Irrtume
über den Berufungsgrund befunden, indem er damals
der auch jetzt noch geteilten Anſicht u ſei, das
Teſtament ſei wegen Geſchäfts unfähigkeit der Erblaſſerin
nichtig, er ſei deshalb geſetzlicher Erbe und habe zur
Ausſchlagung keinen Anlaß. Auf dieſe Behauptung hätte
das OLG. eingehen müſſen. Sie bezieht ſich zwar ihrem
Wortlaute nach auf einen Irrtum über den Berufungs⸗
grund „bei der Annahme der Erbſchaft“. Aber da der
Kläger offenbar nicht eine durch ausdrückliche Erklärung
oder ſchlüſſige Handlungen erfolgte eigentliche Annahme
der Erbſchaft (i. S. der erſten der beiden in 8 1943 er⸗
wähnten Möglichkeiten) hat behaupten wollen, die eine
nachträgliche Ausſchlagung ausgeſchloſſen hätte, ſo kann
ſeine Behauptung nach ihrem Zuſammenhange nur ſo
verſtanden werden, daß geſagt ſein ſollte, er habe ſich
bei der Unterlaſſung der Ausſchlagung aus dem Teſta⸗
ment in einem Irrtum über die angenommene Gültig⸗
keit des Teſtaments und damit über den wahren Be⸗
rufungsgrund befunden. Die Unrichtigkeit dieſer Be⸗
hauptung des Klägers hat das ORG. nicht feſtgeſtellt.
Ebenſowenig iſt feſtgeſtellt, daß der Kläger, überhaupt
oder früher als 6 Wochen vor dem 7. Oktober 1912,
von der Geſchäftsſähigkeit der Erblaſſerin und damit
von der Gültigkeit ihres Teſtaments Kenntnis erlangt
hätte. Endlich iſt nicht feſtgeſtellt, daß der Kläger vor
dem 7. Oktober 1912 die Erbſchaft durch ausdrückliche
Zeitſchrift für Rechtspflege
oder ſtillſchweigende Erklärung angenommen und ſich
dadurch, wenigſtens vorbehaltlich des Einfluſſes der
88 1949 und 1954 BGB., der Möglichkeit wirkſamer
Ausſchlagung beraubt hätte. (Urt. v. 18. September
1913, IV 179/1913).
3174
— — en.
IV.
Teilweiſe Zurücknahme der Klage durch Weber:
gang von der Feſtſtellungs⸗ zur Leiſtungsklage. Still:
ſchweigende Zuſtimmung des Beklagten zu dieſer Zurück⸗
nahme. Aus den Gründen: Die Reviſion bean⸗
ſtandet, daß die Vorgerichte einen Teil der Anſprüche
des Klägers wegen Verjährung abgewieſen haben.
Sie verkennt nicht, daß die Klageſchrift nur eine auf
den Erwerbsſchaden beſchränkte Feſtſtellungsklage ent⸗
hielt, meint aber, daß inſoweit eine Unterbrechung der
Verjährung ftattgefunden habe und daß daher die im
Juni 1912 erhobenen erweiterten Anſprüche in dieſem
Umfange nicht verjährt ſeien. Auch der Vorderrichter
erkennt an, daß durch die Erhebung der Feſtſtellungs⸗
klage die Verjährung der vom Kläger auf die Schä—
digung ſeiner Erwerbsfähigkeit geſtützten Anſprüche
gemäß § 209 Abſ. 1 BGB. unterbrochen wurde, dieſe
Wirkung ſei aber dadurch beſeitigt, daß der Kläger in
der mündlichen Verhandlung vom 7. Januar 1911 den
Feſtſtellungsantrag nicht mehr geſtellt und ihn inner⸗
halb der durch 8 212 BGB. beſtimmten Friſt von ſechs
Monaten nicht erneuert habe. Darin, daß der Kläger von
der Feſtſtellungsklage zur Leiſtungsklage übergegangen
ſei, liege eine Einſchränkung und eine teilweiſe Zurück—
nahme der urſprünglichen Klage, mit der ſich die Be—
klagte einverſtanden erklärt habe. Daß der Vorder—
richter bei feinen Erwägungen die SS 211, 212 BGB.,
§ 271 3PO. verletzt habe, kann nicht zugegeben werden.
Zutreffend iſt zunächſt, daß in dem Nichtverleſen eines
Antrags oder in dem Verleſen eines beſchränkten An—
trags eine vollſtändige oder teilweiſe Zurücknahme der
Klage liegen kann. Welche Bedeutung dieſen Vorgängen
in Zweifel zukommt, kann unerörtert bleiben, denn
der Vorderrichter hat ſeine Auffaſſung aus den be—
ſonderen Umſtänden zutreffend begründet. Der Kläger
in Bayern. 1914. Nr. 1.
hatte zur Stütze des Feſtſtellungsantrags angeführt,
er ſei erheblich in ſeiner Erwerbstätigkeit beeinträchtigt,
es ſei fraglich, ob er je wieder zu einer gewinnbringenden
Tätigkeit imſtande ſein werde. Wenn er nun ſpäter
zu einem bezifferten Antrage vorbehaltslos überging,
ſo läßt ſich das nur dahin verſtehen, daß der neue
Antrag den früheren erſetzen ſollte, dieſer alſo fallen
gelaſſen werde, ſoweit er etwa umfaſſender war. Es
kommt hinzu, daß der im Januar 1911 erhobene Renten⸗
anſpruch nach der Feſtſtellung des Os. auf die Be⸗
hauptung völliger Erwerbsunfähigkeit gegründet wurde,
ein Feſtſtellungsantrag neben ihm ſonach zwecklos ge⸗
weſen wäre. Mit dem Urteile des Senats in Bd. 66
S. 12, auf das ſich die Reviſion bezieht, ſteht die ge⸗
billigte Auffaſſung nicht im Widerſpruche, denn auch
dort iſt nur geſagt, die Einſchränkung eines Antrags
könne zwar eine teilweiſe Zurücknahme der Klage be⸗
deuten, wenn ſich ein entſprechender Wille feſtſtellen
laſſe, ſie brauche aber dieſe Bedeutung nicht zu haben
(vgl. RZ. 65, 36). Die Reviſion will darauf Wert
legen, daß man im Januar 1911 noch über den Grund
des Anſpruchs verhandelt habe und daß nur hierüber
Beweis erhoben ſei, es ſei nicht einzuſehen, weswegen
ſich der Kläger in dieſer Prozeßlage in bezug auf die
Höhe der Rente habe feſtlegen ſollen. Dieſe Erwägung
würde es rechtfertigen, wenn der Kläger bei der Feſt⸗
ſtellungsklage verblieben wäre; ging er aber trotzdem
zu der Leiſtungsklage über, ſo läßt ſich das mit dem
Vorderrichter nur dahin verſtehen, daß er glaubte,
nunmehr ſeinen Schaden überſehen zu können, daß er
dieſen ganzen Schaden geltend machen wollte und daß
die Leiſtungsklage an die Stelle der Feſtſtellungsklage
treten ſollte. N
Die Reviſion wendet ſich weiter gegen die An⸗
nahme des OL G., die Beklagte habe ſich mit einer teil⸗
weiſen Zurücknahme der Klage einverſtanden erklärt,
indem ſie ihr nicht widerſprach. Daß dieſe von dem
Vorderrichter gegebene Begründung nicht ganz ohne
Bedenken iſt, muß zugegeben werden. Zwar kann die
Einwilligung zur Zurücknahme einer Klage auch durch
ſchlüſſige Handlungen erklärt werden, die bloße Un⸗
tätigkeit reicht aber noch nicht aus (RG. 75, 290).
Trotzdem war die Entſcheidung des OLG. aufrecht zu
erhalten, weil die Einwilligung der Beklagten ſich auch
aus ihrem poſitiven Verhalten ergibt. In dem von
der angeführten Entſcheidung betroffenen Falle hatte
der damalige Beklagte ſich mit der teilweiſen Zurück⸗
nahme der Klage ausdrücklich nicht einverſtanden er⸗
klärt und die Abweiſung des zurückgenommenen An⸗
trags beantragt, auch in einem ſpäteren Antrage auf Be⸗
richtigung des Tatbeſtandes betont, daß er die Zurück⸗
nahme der Klage nicht genehmigt habe. Bei dieſer Sach⸗
lage konnte nicht ſeine Zuſtimmung zu der teilweiſen
Zurücknahme der Klage darin erblickt werden, daß er
bei Einlegung der Berufung nicht auf ſeinen An⸗
trag zurückgekommen war, den Kläger beſonders
mit dem zurückgenommenen Teilanſpruch abzuweiſen.
Ganz anders ſteht es hier. Gegenüber dem geänderten
Antrage beantragte die Beklagte am 7. Januar 1911
die Klageabweiſung, ohne gegen die Aenderung und
die hierin liegende Zurücknahme der Feſtſtellungsklage
Einwendungen zu erheben und ohne in bezug auf die
Feſtſtellungsklage beſondere Anträge zu ſtellen. Das
konnte nach Lage der Sache nicht anders verſtanden
werden, als daß fie mit der Umwandlung der Feſt⸗
ſtellungsklage in eine Leiſtungsklage einverſtanden war.
Da nun die ziffermäßig beſtimmte Leiſtungsklage not—
wendig enger war als der urſprüngliche Feſtſtellungs⸗
anſpruch, ſo hätte es beſonders nahe gelegen, daß die
Beklagte, wenn ſie in dem anhängigen Rechtsſtreite
eine Entſcheidung über die Feſtſtellungsklage gewollt
hätte, dies irgendwie ausdrückt hätte. Darin, daß fie
dies nicht tat und ferner der geänderten Klage nur
einen Abweiſungsantrag entgegenſetzte, muß ihre Zu—
ſtimmung zu dem Ausſcheiden des Feſtſtellungsanſpruchs
aus dem Prozeſſe, d. h. zu der teilweiſen Zurücknahme
der Klage, gefunden werden. Hiernach muß angenommen
werden, daß der Kläger die Feſtſtellungsklage am 7. Ja⸗
nuar 1911 wirkſam zurückgenommen hat. (Urt. d.
VI. 3S. vom 2. Oktober 1913, VI 255/13).
3166 — — n.
V.
Klage auf Dienſtlohn im Urkundenprozeſſe. Die Be⸗
klagte hat dem Kläger (einem Detektiv) folgende Ur⸗
kunde ausgeſtellt: „Nach meiner Eheſcheidung bekommt
Herr K. G. ein Honorar von 4500 M.“ Ihre Ehe iſt
geſchieden worden. Im Urkundenprozeſſe verlangt der
Kläger nunmehr Zahlung von 4500 . Das LG. hat
ſtattgegeben und der Beklagten die Ausführung ihrer
Rechte im ordentlichen Verfahren vorbehalten. Die
Berufung der Beklagten wurde zurückgewieſen. Die
Revifion hatte Erfolg.
Gründe: Das OLE. findet in dem Scheine kein
abſtraktes Schuldverſprechen i. S. des $ 780 BGB.,
ſondern die Zuſage einer Vergütung für Dienſte bei
einer Eheſcheidung. Es nimmt auch an, daß der Kläger
nach 8 614 BGB. dieſe Dienſte vorzuleiſten hatte. Dieſe
Auffaſſung, die den Schein unter das Recht des Dienſt⸗
vertrags ſtellt, iſt frei von Rechtsirrtum. Das OLG.
hält nun dieſen Schein, obwohl er nicht ergebe, welche
Dienſte der Kläger zu leiſten hatte und welche er tat⸗
ſächlich geleiſtet hat, gleichwohl für ausreichend, um
die Klage zu begründen; denn er habe die Vermutung
der Vollſtändigkeit für ſich, und es ſei die einzige Tat⸗
ſache eingetreten, an die die Fälligkeit des Dienſtlohnes
geknüpft worden ſei, die Eheſcheidung.
Die Reviſion iſt begründet. Der Urkundenprozeß
der ZPO. ſchafft nicht ein beſonderes Klagerecht aus
der Urkunde als ſolcher, ſondern gibt nur den Urkunden
als Beweismitteln einen Vorzug. Daher bleibt es auch
im Urkundenprozeſſe bei der allgemeinen Regel, daß
der Kläger feinen Anſpruch vollſtändig zu beweiſen
hat und zwar muß er nach § 592 ZPO. ſämtliche zur
Begründung des Anſpruchs erforderlichen Tatſachen
durch Urkunden beweiſen. Alſo muß eine im Urkunden⸗
prozeſſe verfolgte Klage auf Dienſtlohn auch die nach
§ 614 BGB. klagebegründende Tatſache unter Urs
kundenbeweis ſtellen, daß der Kläger die Dienſte wirk⸗
lich verrichtet hat, für deren Leiſtung er die Vergütung
beanſpruchen kann ($ 253 Abſ. 2 Nr. 2, 8 592 ZPO.).
Der Schein enthält nach der Annahme des OLG. nur
die Zuſage einer Dienſtvergütung, aber nichts darüber,
daß der Kläger die vertraglich übernommenen Dienſte
tatſächlich verrichtet hat. Auch das OLG. gelangt nicht
zu der nach 8 614 BGB. erforderlichen Feſtſtellung,
daß durch den Schein, dem es ausdrücklich die Ver⸗
mutung der Vollſtändigkeit zuſpricht, auch die Vor⸗
leiſtung der zu vergütenden Dienſte bewieſen werde.
Daraus, daß die Fälligkeit des Honorars an die Tat⸗
ſache der Eheſcheidung geknüpft worden iſt, kann rechtlich
höchſtens entnommen werden, es habe die Beklagte bei
Niederſchrift des Scheines vorausgeſetzt, daß der Kläger
im Zeitpunkt ihrer Eheſcheidung ſeine Dienſte geleiſtet
haben werde. Dagegen bietet der Schein keine Hand—
habe auch für die weitere Auslegung, daß der Kläger
die Dienſte wirklich bis zu jenem Zeitpunkte geleiſtet
hat. Da der Kläger ſohin über die klagebegründende
Tatſache der Dienſtleiſtung keinen Beweis mit den im
Urkundenprozeſſe zuläſſigen Beweismitteln angetreten
hat, iſt die Klage auf Zahlung von Dienſtlohn im
Urkundenprozeſſe unſtatthaft und daher nach $ 597
Abſ. 2 ZPO. in dieſer Prozeßart abzuweiſen. (Urt.
d. VI. 3S. vom 13. Oktober 1913, VI 351/13).
3166 | — on
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
|
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23
B. Strafſachen.
1
Urkundenſälſchung durch Fälſchung des Blauko⸗
indoſſaments des Bezogenen auf einem Wechſel, der
weder In blanco akzeptiert iſt nech einen Ansſtellungs⸗
vermerk und das Girs des Ausſtellers aufweiſt? Wann
hat die Namensunterſchrift die Bedentung einer rechts.
und beweiserheblichen Urkunde? Feſtſtellung des Ge:
hilfenverſatzes bei der Beihilfe zur Urkundeufälſchung.
Aus den Gründen: Nach den Urteilsgründen hat
der Angeklagte A. unter Beihilfe der Befchwerdeführerin
„eine Urkunde fälſchlich angefertigt, die eine Wechſel⸗
verbindlichkeit eines Akzeptanten ausdrückte und als
ſolche zum Nachweiſe einer Verbindlichkeit des angeb⸗
lichen Akzeptanten und Wechſelſchuldners oder zum
mindeſten als Schuldſchein über irgendeine Verbindlich⸗
keit eines Sebaſtian St. erheblich war“. Dieſe Be⸗
urteilung der Rechts⸗ und Beweiserheblichkeit des von
dem Angeklagten A. und der Beſchwerdeführerin her⸗
geſtellten Schriftſtücks iſt mit dem Inhalt der darauf
bezüglichen tatſächlichen Feſtſtellungen nicht vereinbar.
Danach hat der Angeklagte ein Wechſelformular ſoweit
ausgefüllt, daß darin Sebaſtian St. für eine an die
Ordre von A. an einem beſtimmten Fälligkeitstag zu
entrichtende Wechſelſumme bezogen erſchien; ein Aus⸗
ſtellungsvermerk fehlte, namentlich hatte auch A. das
unter Benützung des Formulars gefertigte Schriftſtück
ſelbſt dann nicht mit einem auf ihn ſelbſt lautenden
Ausſtellungsvermerk verſehen, als er es an einen Dritten
weitergab, um ſich Geld zu verſchaffen. „Auf der Rück⸗
ſeite“ des Wechſelformulars hatte die Beſchwerdeführerin
den Namen „St.“ geſchrieben. Wenn das LG. in dieſer
Namensſchrift die fälſchliche Anfertigung eines, Akzepts“
erkennt, ſo iſt dies rechtsirrig; denn die Niederſchrift
des Namens des Bezogenen, die nicht mit einem die
Annahmeerklärung enthaltenden Zuſatz verbunden iſt,
gilt nur dann als wechſelmäßige Annahme, wenn fie
auf die Vorderſeite des Wechſels geſchrieben wird (Art. 21
WO.) Die Niederſchrift eines Namens auf der Kück⸗
ſeite eines Wechſels kann die Bedeutung eines Blanko⸗
indoſſaments haben, das auch vom Bezogenen wirkſam
abgegeben werden kann, ſofern er dabei als Nachmann
des Remittenten erſcheint, der ſich zuerſt des Wechſels
mittels Indoſſaments zu begeben hat (Art. 12, 36 WO.).
Das Blankoindoſſament des Bezogenen auf einem Wechſel,
der weder in blanco akzeptiert iſt noch insbeſondere
einen Ausſtellungsvermerk aufweiſt, iſt allerdings eben⸗
falls ohne gegenwärtige wechſelrechtliche Bedeutung und
regelmäßig überhaupt rechtlich unerheblich; denn ſo⸗
lange der Wechſelauftrag aus der Tratte nicht zu ent⸗
nehmen iſt, haftet wechſelrechtlich niemand für die Er⸗
füllung des in dem gezogenen Wechſel beurkundeten
Zahlungsauftrags und das Indoſſament vermag daher
Wechſelrechte nicht zu übertragen, zumal es die Wieder⸗
holung des Auftrags in ſich ſchließt. Ueberdies kann
ein Indoſſament des Bezogenen, als welcher hier der
auf der Rückſeite durch ſeine angebliche Namensunter⸗
ſchrift girierende Seb. St. auf der Vorderſeite in der
Adreſſe bezeichnet war, wie bereits hervorgehoben, wirt
ſam erſt erfolgen, nachdem der Remittent den Wechſel
durch Indoſſament übertragen hat. Ein ſolches In-
doſſament des Remittenten trug aber der Wechſel nicht.
Als „Schuldfchein über irgendeine Verbindlichkeit“ kann
die Namensſchrift auf der Rückſeite eines Papiers, deſſen
Vorderſeite nur einen unvollſtändigen Zahlungsauftrag
ohne Angabe des Schuldgrundes und Benennung des
Auftraggebers aufweiſt, nicht gelten. Die Namensſchrift
für ſich allein hat nicht die Bedeutung einer rechts- und
beweiserheblichen Urkunde, ſolange ſie nicht als Unter⸗
ſchrift eines ſog. abſtrakten Schuldverſprechens (SS 780,
126 BGB.) anzuſehen iſt, oder die Beziehung der Namens:
ſchrift zu dem Gedankeninhalt der auf der Vorderſeite
befindlichen Erklärungen erkennbar iſt und durch dieſe
in Verbindung mit der Namensſchrift die Uebernahme
24
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1,
oder Anerkennung etwaiger in dieſen Erklärungen zum BVorſatzes es unternahmen, verbotswidrig Süßſtoff über
Ausdruck gelangter Verbindlichkeiten durch den Urheber
der Namensſchrift bezeugt wird. Aus dem Zuſammen⸗
Jung zwiſchen dem unvollſtändigen Inhalt der unter
enützung des Wechſelformulars vorbereiteten Erflä-
rung einerſeits und der Namensſchrift andererſeits kann
aber, wie ſich aus den Feſtſtellungen ergibt, eine ver⸗
pflichtende oder ſonſt rechtserhebliche Erklärung ſich nicht
ergeben. Freilich iſt, wie in der Entſcheidung Bd. 24
S. 192 nachgewieſen, 1 wie das Blankoakzept auf
einem in allen ſonſtigen Teilen noch offenen Wechſel⸗
formular, auch das Blankoindoſſament auf einer Tratte
zugunſten eigener Ordre, die nicht an erſter Stelle mit
dem Giro des Ausſtellers und Remittenten verſehen iſt,
doch zum Beweis von Rechten und Rechtsverhältniſſen
erheblich, weil und ſoweit dem fälſchlich angefertigten
Indoſſament Rechtswirkſamkeit und Vollwertigkeit da⸗
durch verſchafft werden kann, daß der Remittent nach⸗
träglich durch Vorausſtellung ſeines Giros die fälſchlich
angefertigten Blankoindoſſamente zu wechſelrechtlich
verpflichtenden Erklärungen geſtaltet, ſobald der Wechſel
wieder in ſeine Hände kommt. Zunächſt hatte der Tat⸗
richter darüber zu entſcheiden, ob hier der Angeklagte A.
ſowohl den Ausſtellungsvermerk nachholen wie nament⸗
lich auf der Rückſeite des Wechſels ein der Namensſchrift
St. vorauszuſtellendes Remittentengiro noch anbringen
konnte, ob alſo die Namensſchrift St: bei dem Gebrauch
ſchon beweis⸗ und rechtserheblich war, weil ſie in dieſem
Zeitpunkt ſchon geeignet war, zu einem vollgültigen
Indoſſament durch nachträglichen Zuſatz des A. ſchen
Giros an einer Stelle des Papiers oberhalb der fälſch⸗
lich angebrachten Namensſchrift um⸗ und ausgeſtaltet
zu werden. Zurzeit iſt in dem angefochtenen Urteil
der äußere Tatveſtand einer vollendeten Urkunden⸗
fälſchung nicht nachgewieſen; die Annahme, es handle
ſich um die fälſchliche Anfertigung eines Akzepts, iſt
rechtsirrig, im übrigen aber die Berückſichtigung der
vorſtehenden Geſichtspunkte unterblieben. Bei der
wiederholten Verhandlung der Sache wird bei Ermitte⸗
lung des Verſchuldens der Beſchwerdeführerin zu be⸗
rückſichtigen ſein, daß es nicht genügt, wenn ſie durch
die Kenntnis „der betrügeriſchen Gewohnheiten des Ans
geklagten A.“ davon unterrichtet war, daß die von ihr
hergeſtellte Unterſchriſt zur Begehung ſolcher Betrü⸗
gereien beſtimmt war. Es iſt erforderlich, daß die
Angeklagte diejenigen Umſtände kannte, auf Grund
deren rechtlich der von ihr hergeſtellten Namensſchrift
die Bedeutung einer beweiserheblichen Urkunde, ſei es
für ſich allein, ſei es in Verbindung mit den von A.
vorbereiteten ſchriftlichen Erklärungen beizumeſſen iſt.
Weiter muß ſie gewußt haben, daß der Täter das unter
ihrer Mitwirkung hergeſtellte Schriftſtück zur Täuſchung
Dritter durch urkundliche Beweisführung benutzen wollte.
(Urt. des I. StS. vom 16. Oktober 1913, 1 D 658/1913).
3172 E.
II.
Die verbstene Einfuhr von Süßſtofſ aus der Schweiz
nach Dentſchland und von hier nach Oeſterreich kann zwei
ſelbſtändige ftrafbare Handlungen i. S. des z 74 StG.
enthalten, auch wenn die Wiederaus fuhr nach Oeſterreich
von vornherein geplant geweſen iſt. Aus den Gründen:
Der Angeklagte wurde am 22. Februar 1912 gemäß
8 2 Gef. betr. die Ausführung des mit Oeſterreich⸗
Ungarn abgeſchloſſenen Zollkartells vom 9. Juni 1895
zu Strafe verurteilt, weil er in Gemeinſchaft mit ans
deren am 25. Mai 1910 es unternommen hatte, Süßſtoff,
deſſen Einfuhr in Oeſterreich verboten iſt, dem Verbote
zuwider dorthin einzuführen; das Urteil wurde am
3. Auguſt 1912 rechtskräftig. In dem angefochtenen
Urteil vom 15. Mai 1913 iſt der Angeklagte für über⸗
führt erachtet, ſich gemeinſchaftlich mit den früheren
|
die Schweizer Grenze nach Deutſchland einzuführen,
und daß ſie die eingeſchmuggelten Waren teils durch
Verkauf im Inland teils durch Weitertransport nach
Böhmen, alſo nach öſterreichiſchem Gebiete, verwerteten.
Hiernach iſt allerdings anzunehmen, daß der Angeklagte
5 Süßſtoff, wegen deſſen unerlaubter Einfuhr
nach Oeſterreich er rechtskräftig verurteilt war, durch
eine der ſtrafbaren Teilhandlungen an ſich gebracht
hatte, deren Begehung ihm das angefochtene Urteil zur
Laſt legt. Nach dem Zuſammenhang der Urteilsgründe
kann jedoch unbedenklich unterſtellt werden, daß die
verbotswidrige Einfuhr des Süßſtoffes in Deutſchland
beendigt war, ehe der Angeklagte und feine Genoſſen
zur Wiederausfuhr nach Oeſterreich ſchritten, und daß
der Süßſtoff hier zuvor einige Zeit gelagert, alſo im
Inland zur Ruhe gelangt geweſen iſt (RGSt. Bd. 39
S. 66 [71]; es beſtand deshalb kein rechtliches Hindernis,
die Einfuhr des Süßſtoffes nach Deutſchland und ſeine
Einfuhr nach Oeſterreich, mochte es auf dieſe auch ſchon
vor jener abgeſehen geweſen ſein, nicht als eine Hand⸗
lung im natürlichen Sinne, ſondern als zwei ſelbſtändige
Handlungen nach § 74 StGB. aufzufaſſen, richtete ſich
doch die erſte gegen die Finanzhoheit des Deutſchen
Reiches, während die andere widerrechtlich in die Zoll⸗
rechte des öſterreichiſch⸗ungariſchen Staates eingriff. Der
gemeinſame Zweck, der beide Handlungen verband, die
Erlangung von Gewinn aus der unerlaubten Einfuhr
der Ware nach Deutſchland und Oeſterreich, ſteht dem
nicht entgegen. Die Willensakte, durch die der Tatbeſtand
der verſchiedenen ſtrafbaren Handlungen hergeſtellt
wurde, ſind auch nicht zu einem Teile dergeſtalt zu⸗
ſammengefallen, daß ein Teil der geſamten Tätigkeit
des Ein» und Ausführens zur Herſtellung des Tatbe⸗
ſtandes beider Delikte mitgewirkt hat (RGSt. Bd. 32
S. 137). (Urt. des I. StS. vom 6. Oktober 1913, 1 D
628/1913). E.
3171
III.
Der Tatbeſtand der Beihilfe zu dem Vergehen des
§ 284 StG. wird nicht ſchon dadurch erfüllt, daß jemand
die Wetten dritter Perſonen an einen Buchmacher weiter:
gibt. Aus den Gründen: Nach der Feſtſtellung
des LG. hat der Angeklagte als Kellner in einem Café,
das als Treffpunkt für Wettluſtige bei Pferde-Wett⸗
rennen bekannt iſt, in zwei Fällen Wettzettel nebſt
den Wettbeträgen von einem Reiſenden erhalten und
an einen unbekannten Dritten weitergegeben, der vor
der Tür des Lokals wartete. Er habe hierbei gewußt,
daß der Dritte wegen der vorgeſchrittenen Stunde die
Wettzettel nicht mehr an die Rennbureaus weitergeben
konnte, ſondern die Wetten ſelbſt halten mußte und
daß er hieraus einen Erwerb machte, alſo gewerbs—
mäßiger Buchmacher war. Der Angeklagte habe für
die Weitergabe der Wettzettel erhebliche Vorteile außer
dem ihm als Kellner zufließenden Trinkgelde nicht
empfangen; er habe die Zettel im weſentlichen nur
aus dem Grunde weitergegeben, weil er fi den Caſé—
gäſten habe gefällig erweiſen wollen. Auf Grund
dieſes Sachverhalts hat das LG. den Angeklagten
wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Glückſpiel ver—
urteilt in der Annahme, es genüge zum Tatbeſtand
der Beihilfe, daß der Angeklagte durch Zuweiſung von
Wetten dritter Perſonen an den unbekannten Buch—
macher das ihm bekannte ſtrafbare Treiben des letzteren
unterſtützt habe. Das iſt rechtsirrig. Das Vergehen
des 8 284 StGB. ſetzt feiner ſtrafrechtlichen Natur nach
eine Beteiligung noch anderer Perſonen voraus. Glück—
ſpiele kann nur treiben, wer mitſpielende Genoſſen
findet. Die letzteren ſind aber nicht ſchon um deswillen
ſtrafbar, weil fie ſich an dem Spiel in dem Bewußt—
Mitangeklagten dadurch gegen 87 SüßſtoffG. mit $ 134 ſein beteiligen, daß dadurch dem gewerbsmäßigen
BZoll G. vom 1. Juli 1809 vergangen zu haben, daß Spieler der Betrieb ſeines verbotenen Gewerbes ers
ſie ſeit mehreren Jahren auf Grund eines und desſelben
möglicht wird. Vielmehr iſt für die Strafbarkeit der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1. | 25
Teilnahme oder ſonſtigen Mitwirkung beim Spiel zu
unterſcheiden zwiſchen den Fällen, in denen jemand zu
dem gewerbsmäßigen Spieler in gar keiner Beziehung
ſteht, daher es auch nicht auf eine Förderung des
Spielers in ſeiner ſtrafbaren Erwerbstätigkeit abge⸗
ſehen hat, ſondern ſich dieſe Tätigkeit in eigenem oder
dritter Perſonen Intereſſe zunutze machen will, und
den anderen Fällen, in denen der Teilnehmer mit der
Zuführung von Spielenden (oder Wettenden) den Zweck
und die Abſicht verfolgt, das verbotene Spielgewerbe
zu fördern, alſo die Begehung der ſtrafbaren Hand⸗
lung zu erleichtern, ſei es, weil er von dem gewerbs⸗
mäßigen Spieler für ſein Mitwirken Entgelt erhält,
oder aus einem ſonſtigen in feinen Beziehungen zum
gewerbsmäßigen Spieler liegenden Grunde. Dieſen
Standpunkt hat der erk. Senat ſchon wiederholt ver⸗
treten, ſo beſonders in den Urt. vom 11. März 1912
ID 1187/11, vom 3. Juni 1912 I D 252/12 und vom
10. Oktober 1912 IN 686/12. Hier nun iſt dem Ans
eklagten aus der Weitergabe der ihm übergebenen
ettzettel und Wettbeträge an den unbekannten Buch⸗
macher von dieſem irgendein Vermögensvorteil an⸗
ſcheinend nicht zugefloſſen. Seine Tätigkeit ſcheint viel⸗
mehr durch die Trinkgelder, die er von den Cafégäſten
als Kellner erhielt, mitabgegolten worden zu ſein. Be⸗
abſichtigte er hiernach durch ſein Tun lediglich die ſtraf⸗
loſe Spielbeteiligung der Cafeégaͤſte zu fördern, ohne
dadurch zugleich im Intereſſe des unbekannten Buch⸗
machers wirken zu wollen. fo tft es belanglos, wenn
er das bloße Bewußtſein hatte, durch ſein Tun werde
das Buchmachergewerbe des unbekannten Dritten ge⸗
fördert. Hierdurch allein ohne hinzukommende Jör⸗
derungsabſicht wird der Tatbeſtand der ftrafbaren
Beihilfe zum gewerbsmäßigen Glückſpiel nicht erfüllt.
(Urt. des I. StS. vom 20. Oktober 1913, 1 D 594/1913).
3173 E.
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Notwendigkeit der Aufſtellung eines Abweſenheits⸗
pflegers für einen Berſchollenen, der nach der Lebens:
vermutung den Anfall einer Erbſchaft erlebt hat, aber
zur Zeit des Antrags auf Beſtellung eines Abweſenheits⸗
yflegers als tot zu betrachten iſt. (88 1911, 18, 19,
1960 BGB.). Am 25. Februar 1911 ſtarb in B. Thekla
von G. Als Erbe iſt der am 15. April 1870 geborene
Zahntechniker Richard Z. neben 24 Miterben berufen.
Sein Aufenthalt iſt ſeit 1. März 1902 unbekannt. Das
Nachlaßgericht hat einen Nachlaßpfleger nach 8 1960
BGB. beſtellt. Deſſen Antrag, für Richard Z. eine Ab⸗
weſenheitspflegſchaft einzuleiten, hat das Amtsgericht
M. abgelehnt. Der Nachlaßpfleger legte Beſchwerde
ein und machte geltend, es könne nicht nachgewieſen
werden, daß Richard Z. zur Zeit des Erbſchaftsanfalls
noch gelebt habe; es müſſe Todeserklärung beantragt
werden. Da die letzte Nachricht über Z. auf den
1. März 1902 falle, ſo ſei zu vermuten, daß Z. am
1. März 1912 geſtorben ſei, alſo den Anfall der
Erbſchaft noch erlebt habe. Die Beſtellung des Ab⸗
weſenheitspflegers bezwecke, die Erbſchaft für den Ab⸗
weſenden anzunehmen, damit das Nachlaßgericht den
beantragten gemeinſchaftlichen Erbſchein erteilen könne.
Das LG. wies die Beſchwerde zurück. Auf die weitere
Beſchwerde wurden die Beſchlüſſe aufgehoben und das
Bormundſchaftsgericht angewieſen, erneut zu verfügen.
Gründe: Die Anſchauung des LG., daß vor Er⸗
laſſung des Ausſchlußurteils keine Vermutung dafür
beſtehe, daß Z. den Erbfall noch erlebt habe, ſteht im
Widerſpruche mit der in 8 19 mit 8 18 Abſ. 2 BGB.
ausgeſprochenen Lebensvermutung. Der 8 19 erweitert
die Lebensvermutung auch für ſolche Fälle, in denen
keine Todeserklärung erfolgt iſt. Die Fortdauer des
Lebens ſoll bis zu dem Zeitpunkte vermutet werden,
der nach 8 18 Abf. 2 in Ermangelung eines anderen
Ergebniſſes der Ermittlungen als Zeitpunkt des Todes
anzunehmen iſt. Die Lebensvermutung hat dieſelbe
Bedeutung wie die durch die Todeserklärung begründete
Todes vermutung, deren Kehrſeite fie bildet (Kretzſchmar
im „Recht“ 15. Jahrg. 1911 S. 573). Da der Erbfall
hier am 25. Februar 1911 eintrat, die letzte Nachricht
von dem Verſchollenen aber vom 1. März 1902 ſtammt.
ſo iſt hier anzunehmen, daß der Verſchollene den Erb⸗
fall noch erlebte. Iſt die Verneinung der Lebensver⸗
mutung nicht zutreffend, ſo iſt auch die weitere An⸗
nahme des LG. nicht haltbar, daß der Nachlaß noch
nicht geteilt werden könne, da zunächſt nicht feſtgeſtellt
werden könne, ob Z. Erbe wurde. Freilich iſt Z. gegen⸗
wärtig ſchon ſo lange verſchollen, daß die Lebensver⸗
mutung des 8 19 jetzt nicht mehr Platz greift. Allein
daraus folgt nur, daß jetzt keine geſetzliche Vermutung
für ſein Leben mehr beſteht. Dagegen darf hieraus
nicht geſchloſſen werden, daß nunmehr der Verſchollene
als tot zu gelten hat. Es bewendet vielmehr bei den
allgemeinen Grundſätzen, nach welchen Leben und Tod
ungewiß ſind; das Leben hat alſo zu beweiſen, wer
ſich auf das Leben, und den Tod hat zu beweiſen, wer
ſich auf den Tod beruft. Hieraus ergibt ſich auch, daß
die Frage zu bejahen iſt, ob noch eine Abweſenheits⸗
pflegſchaft zuläſſig iſt, wenn die Lebensvermutung für
den Verſchollenen zu der Zeit nicht mehr begründet
iſt, zu welcher die Anordnung der eee beantragt
wird (vgl. Bay Not Z. 1910 S. 327; 1911 S. 17, 21).
Die in der Sammlung Bd. 4 S. 80 und Bd. 5 S. 677
veröffentlichten Entſcheidungen vertreten keine ab⸗
weichende Anſicht; es handelte ſich damals um Nach⸗
läſſe, die dem Verſchollenen erſt nach dem Ablaufe der
Lebensvermutung angefallen waren, ein Abweſenheits⸗
pfleger aber kann für den Verſchollenen die Erbſchaft
nur annehmen, wenn feſtſteht, daß der Verſchollene den
Erbfall erlebt hat. Nun kann allerdings nicht der
Umſtand allein die Anordnung einer Abweſenheits⸗
pflegſchaft erforderlich machen, daß Ungewißheit beſteht,
ob ein Abweſender, der unbekannten Aufenthalts iſt,
einen Erbfall erlebt hat. Entſcheidend iſt nach 8 1911
BGB., deſſen ſonſtige Erforderniſſe vorausgeſetzt, viel⸗
mehr, ob eine Vermögensangelegenheit des Abweſenden
der Fürſorge bedarf. Die Vorgerichte verneinen dies,
weil ja die Sicherung des Nachlaſſes i. S. des 8 1960
BOB. mit der Beſtellung eines Nachlaßpflegers ge⸗
ſchehen ſei. Nun kann zwar ein Abweſender ſchon
dadurch genügend geſchützt ſein, daß ein Nachlaßpfleger
ſeine Intereſſen wahrnimmt (BGB., Komm. v. Reichs⸗
gerichtsräten Bem. 3 zu 8 1911); aber durch das Vor⸗
handenſein eines Nachlaßpflegers allein iſt nicht jedes
Bedürfnis einer Fürſorge durch einen Abweſenheits⸗
pfleger ausgeſchloſſen. Auch wenn der Nachlaß durch
die Beſtellung eines Nachlaßpflegers geſichert iſt, kann
um des Abweſenden ſelbſt willen die raſche Nachlaß⸗
auseinanderſetzung wünſchenswert ſein. Zur Ausein⸗
anderſetzung iſt aber der Nachlaßpfleger nicht berufen.
Gleiches gilt nach der herrſchenden Anſicht von der
Ausſtellung eines Erbſcheins. Gerade um die Aus⸗
einanderſetzung und die Ausſtellung eines Erbſcheins
zu ermöglichen, will der Beſchwerdeführer die Ab:
weſenheitspflegſchaft angeordnet haben und er begründet
die Notwendigkeit der Auseinanderſetzung damit, daß
durch ſie die Gefahr ferngehalten werden ſoll, die ſich
aus dem längeren Ungeteiltſein des Nachlaſſes zumal
im Hinblick auf die durch ein Aufgebotsverfahren nach
8 965 ZPO. notwendige Verzögerung ergibt. (Beſchl.
d. 1.35. vom 14. November 1913, Reg. III 82/1913).
M*
3168
26 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
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II.
Kann der ſtille Geſellſchafter der Zweigniederlaſſun
eined Baukgeſchäfts das ihm zuſtehende Prüfungo rech
durch einen bevollmächtigten deeidigten Bücherreviſer
andüben laſſen? Erſtreckt fi das Recht anch auf die
zwiſchen der Haupt: und Zweigniederlaſſung gewechselten
Schriſtſtücke? (88 338, 118 HGB.; 8 716 BGB.).
Gründe: Dem L. iſt darin beizutreten, daß der
Antrag auf Zulaſſung eines Bevollmächtigten nicht
gerechtfertigt iſt. Das dem ſtillen Geſellſchafter im
8 338 Abſ. 3 HGB. eingeräumte Prüfungsrecht iſt wie
in den Fällen des 8 716 BGB. und des 8 118 HGB.
dem Geſellſchafter nur perſönlich gegeben. Seine Aus⸗
übung durch einen rechtsgeſchäftlich Bevollmächtigten
iſt daher nur ausnahmsweiſe, zur Vermeidung grober
Härten, dann zuläſſig, wenn es der Geſellſchafter nicht
ſelbſt ausüben kann (Planck, 3. Aufl. Anm. 2 zu 8 716
BGB., Staub, 9. Aufl. Anm. 3 zu 8 118 GB.). Diefe
Vorausſetzung liegt hier nicht vor. Weder die vor⸗
ausſichtliche Dauer der Prüfung noch die Entfernung
laſſen es unbillig erſcheinen, wenn dem Antragſteller
die perſönliche Ausübung zugemutet wird. Es kann
auch unbedenklich angenommen werden, daß der An⸗
tragſteller vermöge ſeines Berufs die zur Vornahme
der Prüfung erforderlichen Geſchäftskenntniſſe beſitzt,
zumal es ſich für ihn hauptſächlich nur um die Frage
handelt, ob die Gegnerin bei Gewährung der be⸗
anſtandeten Kredite die im Verkehr erforderliche Sorg⸗
falt angewendet hat. Ueberdies wäre es ihm unbe⸗
nommen, im Bedarfsfalle die Zuziehung eines Sach⸗
verſtändigen anzuregen (RJ A. Bd. 6 S. 124).
Anders verhält es ſich mit dem weiteren Verlangen
des Antragſtellers. Die Antragsgegnerin will von der
Vorlage allgemein alle Schriftſtücke ausſcheiden, die
zwiſchen ihr und der Zentraldirektion gewechſelt wurden,
weil fie innere, vertrauliche Angelegenheiten beträfen
und ausſchließlich unter der Verfügung der Zentral⸗
direktion ſtänden. Dieſe Ausſcheidung iſt mit dem
Weſen der Zweigniederlaſſung nicht vereinbar. Die
Zweigniederlaſſung iſt dem Hauptgeſchäfte gegenüber
wirtſchaftlich und rechneriſch ſelbſtändig. Sie kann
mit dem Hauptgeſchäft in Geſchaftsverkehr treten und
es in ihren Büchern als Gläubiger oder Schuldner
buchen (vgl. Brendel in Gruch. Beitr. Bd. 33 S. 224).
Wenn daher die Antragsgegnerin von dem Haupt-
geſchäfte Gelder vorgeſtreckt erhält und hiefür Zinſen
zahlt, fo hat fie dieſe Geſchäſte zu buchen und die hier⸗
über zwiſchen ihr und dem Hauptgeſchäfte gewechſelten
Schriſtſtücke bilden einen Beſtandteil ihrer eigenen
Buchführung. Anderſeits iſt die Zweigniederlaſſung
trotz ihrer wirtſchaftlichen und rechneriſchen Selbſtändig⸗
keit auch dann von dem Geſchäftsherrn abhängig, wenn
ſie, wie hier, nicht durch den Geſchäftsherrn ſelbſt,
ſondern durch einen Geſchäftsführer betrieben wird,
ſei es daß ſich der Geſchäftsherr allgemein Geſchäfte
beſtimmter Art vorbehält oder daß er einzelne Ge⸗
ſchäfte der Zweigniederlaſſung ſelbſt erledigt (Brendel
a. a. O. S. 222, Staub Anm. 5 zu 8 13 HGB.). In
dieſen Fällen handelt der Geſchäftsherr nicht als Leiter
des Hauptgeſchäfts ſondern als Leiter der Zweignieder⸗
laſſung und die hiebei zwiſchen ihm und der Zweig—
niederlaſſung gewechſelten Schriftſtücke bilden wieder
Beſtandteile der Buchführung der Zweigniederlaſſung.
Wenn daher der Vorſtand der D. Bank ſelbſt und ſogar
gegen den Willen des Betriebsleiters der Zweignieder—
laſſung deren Kunden Kredit gewährt hat, ſo handelte
er hiebei nicht für das Hauptgeſchäft, ſondern für die
Zweigniederlaſſung; die hierüber zwiſchen ihm und
dieſer gewechſelten Schriftſtücke zählen zu den Papieren
der Zweigniederlaſſung. Die von der Antragsgegnerin
vorgeſchützte Ausſcheidung iſt ſohin ſachlich unhaltbar.
Sie ſteht aber auch im Widerſpruch mit dem Sinne
des Geſetzes. Der ſtille Geſellſchafter hat nach 8 338
HGB. das Recht auf Einſicht aller Bücher und Pa—
—d 0•— ä ! ÜPu—&ñ; i ĩ—— — —-¼ — 33322 ů 3—;ĩ᷑ —ñʒ— — —
die Anwendung des 8
piere des Komplementars, in denen die Berhältniffe
des Geſchäftes verzeichnet ſind. Ohne Einſicht der vor⸗
enthaltenen Schriftſtücke tft es ihm aber nicht möglich, ſich
über die Geſchäftsverhältniſſe ſeines Komplementars
genügende Aufklärung zu verſchaffen. Die Weigerung
kommt ſohin in ihrer Wirkung der Verweigerung der
Prüfung überhaupt 98802 und iſt daher ein „wichtiger
Grund“ i. S. des 8 338 Abſ. 3 HGB. (Staub Anm. 6
zu 8 166 HGB.). Als ſolcher könnte auch die ungünſtige
Geſchäftslage im Zuſammenhalte mit den bedenklichen
Kreditgewährungen gelten, fie würde aber für ſich allein
338 Abſ. 3 nicht rechtfertigen,
da in dieſer Richtung die Intereſſen des Antrags
ſtellers durch die Ausübung des im Abſ. 1 gewährten
ordentlichen Prüfungsrechts genügend gewahrt werden
können. (Beſchl. des I. 35. vom 31. Oktober 1913,
Reg. III 54/1913). W.
3167
III.
Erbrecht des mit beſtimmten einzelnen Gegenständen
Bedachten. Zaläſſigteit des gegenſtändlich beichräuften
Erdſcheins. Prüfungerecht des 88A. hinſichtlich eines
Erbſcheins. (BGB. 88 1922, 2032, 2087, 2369; GO. 8 36).
Der Graf B. hat in einem eigenhändigen Teſtamente
ſeinen Nachlaß erſchöpfend unter ſeine Gattin und ſeine
Kinder ſo verteilt, daß er jedem beſtimmte Vermögens⸗
ſtücke zuwendete. Das A. betrachtete die einzelnen
Bedachten hinſichtlich der ihnen zugewendeten Gegen⸗
ſtände als Alleinerben und ſtellte ihnen beſondere auf
die zugewendeten Gegenſtände beſchränkte Erbſcheine aus.
In dem der Witwe erteilten Erbſchein iſt bezeugt, daß
das Anweſen Hs.⸗Nr. 11 auf fie übergegangen iſt. Die
Witwe beantragte, ſie als Eigentümerin einzutragen,
und legte den Erbfchein vor. Das GA. wies den
Antrag zurück, weil ein beſchränkter Erbſchein nur in
dem Sonderfalle des 8 2369 BGB. zuläſſig ſei. Die
Beſchwerde wurde zurückgewieſen. Auch die weitere
Beſchwerde blieb erfolglos.
Gründe: 8 36 Abſ. 1 Satz 1 880. iſt nicht ver⸗
letzt. Dieſe Vorſchrift ſoll dem GBA. die Prüfung des
Erbrechts erleichtern. Deshalb ſchreibt ſie vor, daß der
Nachweis der Erbfolge durch den Erbſchein nicht bloß
geführt werden kann, ſondern — bei geſetzlicher Erb⸗
folge — geführt werden muß. Sie ſagt aber nicht,
daß der Erbſchein für das GBA. bindend iſt. Eine
ſolche Beſtimmung iſt zur Erreichung des Zweckes
nicht erforderlich und widerſpricht auch dem Weſen
des Erbſcheins, der nicht ein Erbrecht ſchafft, ſondern
es nur nachweiſt. Gibt der Inhalt des Erbſcheins zu
Bedenken Anlaß oder liegen Tatſachen vor, die ihn
als unrichtig erſcheinen laſſen, fo hat das GBA. die
Pflicht, ſich über die Rechtslage zu vergewiſſern. Die
Entſcheidungen des Kammergerichts (RJ A. Bd. 10 S. 64,
Bd. 12 S. 63) ſtehen nicht entgegen; denn dort handelte
es ſich um die zwiſchen dem GBA. und dem Nachlaß⸗
gericht ſtreitig gewordene Auslegung eines Teſtaments.
während hier die Erteilung eines ſeinem Inhalte nach
unzuläſſigen Erbſcheins in Frage ſteht.
Allerdings kann der Anſicht des GBA. nicht bei⸗
getreten werden, daß ein beſchränkter Erbſchein nur
in dem Sonderfalle des §S 2369 BGB. zuläſſig ſei (vgl.
den Beſchluß vom 11. Februar 1913, Nr. 9/10 dieſes
Jahrg. der Zeitſchrift S. 200). Mit Recht wurde aber
das Verfahren des Nachlaßgerichts beanſtandet, weil
es trotz der Annahme einer Mehrheit von Erben die
einzelnen Bedachten für die ihnen zugewendeten Gegen—
ſtünde als allein erbberechtigt behandelt und fo gegen
den Begriff der Geſamtrechtsnachfolge i. S. der SS 1922,
2032 BGB. verſtoßen hat. § 2087 Abſ. 2 BGB. ent⸗
hält keine Ausnahme. Zwar kann der Beſchwerde zu—
gegeben werden, daß nach dieſer Vorſchrift auch ein
Bedachter Erbe ſein kann, dem nur einzelne Gegen:
fände zugewendet find. Trifft dies aber zu, dann iſt er
nicht Sondernachfolger in die ihm zugewendeten Gegen⸗
ſtände, ſondern Geſamtrechtsnachfolger i. S. der
88 1922, 2032. (Beſchl. des I. 35. v. 17. Okt. 1913,
Reg. III 88/1913). W.
3155
B. Strafſachen.
I.
Wie iſt in dem Falle des 3 111 EIPO. zu verfahren?
Wer iſt der Ber letzte? Einige bei mehreren Bauern
eſtohlene Kupferkeſſel wurden von den Dieben zu
Platten geſchlagen, an den Alteiſenhändler B. ver⸗
kauft, von der Gendarmerie beſchlagnahmt und auf
Beranlaffung des Staatsanwalts beim Landgerichte
verwahrt. Die Diebe wurden verurteilt, der als Helfer
angeklagte B. freigeſprochen. Weder die Urteilsformel
noch das Protokoll über die Hauptverhandlung 8 5
eine Entſcheidung über die Hinausgabe des Kupfers
(88 273, 274 StPO.); nur in den Gründen iſt aus⸗
geführt: „Bezüglich des beſchlagnahmten Kupfers hat
der Staatsanwalt die Einziehung, der Angeklagte B.
die Hinausgabe an ihn Bean Beides iſt nicht an⸗
gemeſſen. 340 StGB. trifft nicht zu; dagegen iſt ge⸗
mäß 8 111 StPO. dieſes geſtohlene Kupfer, an welchem
B. gemäß 88 932, 935 BB. kein Eigentum erlangt
hat, den Beſtohlenen von Amts wegen hinauszugeben,
ohne daß es einer Verfügung bedarf.“ Der Staats⸗
anwalt ließ das Kupfer an die Gendarmerie zur Hinaus⸗
gabe an die Beſtohlenen ſchicken. Auf deren Bericht,
daß das zur Unkenntlichkeit zerſchlagene Kupfer von
den Beſtohlenen wohl nicht wieder erkannt werden
würde, ſtellte der Staatsanwalt an die Strafkammer
den Antrag, daß über das Kupfer Verfügung getroffen
werde, und ſchlug vor, das Kupfer als Fundgegenſtand
zu behandeln (JM Bl. 1899 S. 585). Die Strafkammer
lehnte ab, weil nicht ſie, ſondern der Staatsanwalt
zuſtändig ſei, abgeſehen hievon die Meinung der Gen⸗
darmerie unbegründet ſei. Der Beſchluß der Straf⸗
kammer wurde auf die Beſchwerde des Staatsanwalts
aufgehoben; ſie wurde angewieſen, über die Hinausgabe
des Kupſers nach 8 111 StPO. beſchlußmäßig zu ent⸗
ſcheiden und den Beſchluß den davon betroffenen Per⸗
ſonen (8 111 Abſ. 2 und 8 35 Abſ. 2 StPO.) durch
Zuſtellung (8 36 StPO.) bekannt machen zu laſſen.
Aus den Gründen: Die Strafkammer hatte
und hat über die Hinausgabe des in ihre Verfügungs⸗
gewalt gekommenen Kupfers durch förmlichen Beſchluß
zu entſcheiden (Löwe, Note 6 zu 8 111 StPO; JM Bl.
1880 S. 473; Obs SSt. Bd. 3 S. 141, Bd. 5 S. 405).
Ein ſolcher Beſchluß liegt nicht vor, es entbehren des⸗
halb die nach der Verkündung des Urteils von dem
Staatsanwalt getroffenen Verfügungen, ſeine Anträge
und die hierauf ergangenen Beſchlüſſe der Straſkammer
der rechtlichen Grundlage; die Beſchlüſſe waren als
nichtig aufzuheben (8 351 StPO.) Bei der Beſchluß⸗
faſſung wird die Strafkammer folgendes zu erwägen
haben: Die nach 8 111 StPO. zuläſſige, richterliche
Verfügung, „ift eine vorläufig den Beſitzſtand regelnde
Entſcheidung“. Die endgültige Regelung der Eigentums⸗
oder ſonſtigen Rechte an den verwahrten Gegenſtänden
bleibt bei dem Mangel einer gütlichen Einigung dem
os überlaffen. Die bei einem Dritten in
eſchlag genommenen Gegenſtände können nur mit
deſſen ausdrücklicher Einwilligung dem Verletzten aus⸗
geantwortet werden, andernfalls müſſen ſie dem Dritten
zurückgegeben werden. B. hat durch die Freiſprechung
aufgehört, Beſchuldigter zu ſein; er iſt von da ab der
Dritte, bei dem das Kupfer beſchlagnahmt worden iſt.
Als Käufer des — wenn auch geſtohlenen — Kupfers
iſt er deſſen Beſitzer geworden (88 854. 1006 BGB.).
Das Kupfer könnte demnach nur mit Zuſtimmung des
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
27
B. an die Beſtohlenen als die Verletzten hinausgegeben
werden. In dem Antrage des B. auf Hinausgabe des
Kupfers an ihn iſt ſein Widerſpruch gegen die Hinaus⸗
gabe an die Beſtohlenen enthalten; das Kupfer iſt mit⸗
hin an B. hinauszugeben, weil bei ihm als Beſitzer
das Kupfer beſchlagnahmt worden war. Schließt ſich
das LG. dieſen Erwägungen an, ſo wird es demgemäß
beſchließen; es wird dann dafür zu ſorgen ſein, daß
der Beſchluß den Beteiligten, wozu außer den Ver⸗
urteilten und dem B. auch die Beſtohlenen gehören
werden, auf dem Wege des 8 36 StPO zugeſtellt und
vollſtreckt wird; der Strafkammer bleibt unbenommen,
den beteiligten Beſtohlenen eine Friſt zur Beibringung
des Nachweiſes der die Rückgabe an B. hindernden
Verfügung des Zivilrichters beizubringen (Löwe, Note 3
zu 8111 StPO.) Durch einen ſolchen Beſchluß bleiben
nach dem Abſ. 2 des 8 111 die Anſprüche der Beſtohlenen
auf das Kupfer unberührt; hierüber haben ſie ſich mit
B. auseinanderzuſetzen; der Strafkammer iſt ein Ein⸗
griff in die Beſitzrechte des B. nicht geſtattet. (Beſchl.
v. 6. Oktober 1913, Beſchw.⸗Reg. Nr. 824/1913). Ed.
3176
II.
Unter welchen Borandfchungen und zu welchem Zeit:
punkt iſt der Beſchluß über Eutſchädigung für unſchuldig
erlittene Unterfuchungshaft zu faſſen? Gegen den ver⸗
hafteten Angeklagten war das Hauptverfahren wegen
eines Verbrechens des 1 eröffnet. Die Straf⸗
kammer nahm nur ein Vergehen nach 8 248 a StGB.
an, ſtellte mangels Strafantrags das Verfahren ein
und hob den Haftbefehl auf. Der Staatsanwalt legte
die Reviſion ein; er ſtellte an den Vorſitzenden der
Strafkammer den Antrag, daß über die Verpflichtung
der Staatskaſſe zur Entſchädigung des Angeklagten für
unſchuldig erlittene Unterſuchungshaft Beſchluß gefaßt
werde. Der Vorfitzende lehnte ab, weil das Urteil
noch nicht rechtskräftig ſei. Die Strafkammer, der der
Staatsanwalt ſeinen Antrag zur Verbeſcheidung vor⸗
legte, erließ folgenden Beſchluß: „Die Verfügung des
Vorſitzenden wird beſtätigt, weil auf die Reviſion des
Staatsanwalts gegen das Urteil vom 13. September
1913 dieſes Erkenntnis aufgehoben werden und eine
andere Entſcheidung in der Sache ergehen könnte und
damit ein Beſchluß über Entſchädigung für erlittene
Unterſuchungshaft gegenſtandslos wäre.“ Der Staats⸗
anwalt legte gegen den Beſchluß die Beſchwerde ein.
Sie wurde zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Nach dem klaren Wort⸗
laute des 8 4 Abſ. 1 des Geſ. vom 14. Juli 1904, betr.
die Entſchädigung für unſchuldig erlittene Unterſuchungs⸗
haft, wornach „über die Verpflichtung der Staatskaſſe
zur Entſchädigung von dem Gerichte gleichzeitig mit
ſeinem den Verhafteten freiſprechenden Urteile durch
beſonderen Beſchluß Beſtimmung zu treffen iſt“, war
einerſeits der Vorſitzende zur Verbeſcheidung nicht zu⸗
ſtändig, anderſeits die Anſchauung der Strafkammer
unzutreffend. Sind die Vorausſetzungen zur Erlaſſung
eines 1 nach 8 4 gegeben, ſo hat das Gericht,
das den Verhafteten freigeſprochen oder außer Ver⸗
folgung geſetzt hat, gleichzeitig mit dem Urteil oder
dem Beſchluſſe, d. i. in unmittelbarem Anſchluß an
das Urteil oder den Beſchluß — bei dem Urteile noch
vor deſſen Verkündigung — durch beſonderen Beſchluß
darüber Beſtimmung zu treffen, ob die Staatskaſſe
zur Entſchädigung verpflichtet iſt oder nicht. Der Zweck
der geſetzlichen Vorſchrift ſpringt in die Augen. Das
Gericht, das über die Straftat des Verhafteten ſei es
durch Urteil, ſei es durch Beſchluß, entſchieden hat,
kann allein auf Grund des unmittelbaren Eindrucks
der Hauptverhandlung oder des vorgetragenen Prozeß—
ſtoffes ſachgemäß entſcheiden; durch die geſetzliche Vor⸗
ſchrift wird auch verhütet, daß in einem ſpäteren Zeit»
punkte das Gericht nicht mehr mit den Richtern beſetzt
werden kann, die den Verhafteten freigeſprochen oder
28
außer Verfolgung geſetzt haben. Daraus folgt auch,
daß in unzuläſſiger Weiſe der Beſchluß der Straf⸗
kammer nicht von den fünf Richtern erlaſſen worden
iſt, die das Urteil gefällt haben, ſondern von drei
Richtern, unter denen ſich zwei Richter befinden, die
bei dem Urteile nicht mitgewirkt haben (Burlage, Die
Entſchädigung für unſchuldig erlittene Unterſuchungs⸗
aft, Anm. 11 zu 8 4 Abſ. 1 und 4 des Geſ. S. 81).
bgeſehen davon kann die Strafkammer vor und bei
der Verkündung des Urteils in der Regel gar nicht
wiſſen, ob die Reviſion eingelegt wird.
Der Antrag des Staatsanwalts muß aber aus einem
anderen von der Strafkammer nicht beachteten Grunde
zurückgewieſen werden. Nach 8 1 Abſ. 1 des Geſ. kann
der Verhaftete entſchädigung aus der Staatskaſſe ver:
langen, wenn er freigeſprochen oder durch Beſchluß
außer F geſetzt iſt und das Strafverfahren
ſeine Unſchuld ergeben oder dargetan hat, daß gegen
ihn kein begründeter Verdacht vorliegt. Nach der Be⸗
une des Entwurfs (Verh. des Reichstags 1903/04
. Anlageband, Aktenſtück 202) entſteht in den Fällen
des 8 259 Abſ. 2 StPO., in denen zwar eine ſtraf⸗
würdige Tat ſeſtgeſtellt, die Strafverfolgung aber wegen
mangelnden Strafantrags ausgeſchloſſen oder mit an⸗
deren Worten: der Verhaftete nicht freigeſprochen oder
nicht außer Verfolgung geſetzt iſt, überhaupt kein Ent⸗
ſchädigungsanſpruch. Fehlt demnach ein freiſprechendes
Urteil oder ein den Verhafteten außer Verfolgung
ſetzender Beſchluß, fo beſteht auch kein Anlaß zu einem
Beſchluſſe nach 8 4 Abſ. 1 und 4 (Burlage, Anm. 19
S. 36 und Anm. 2 S. 78). Die Strafkammer hätte des⸗
halb den Antrag des Staatsanwalts zurückweiſen ſollen,
weil der Angeklagte nicht freigeſprochen worden war.
(Beſchl. v. 4. Nov. 1913, Beſchw.⸗Reg. Nr. 833/1913).
3177 Ed.
III.
unterschied zwischen 5 367 Nr. 15 StS. und
Art. 101 P Sts.; was verſteht man unter heizbarem
Zimmer i. S. der Bauerdunng ? Der Angeklagte ließ
in G. ein einſtöckiges Wohnhaus erbauen. Das Be⸗
zirksamt genehmigte das Baugeſuch unter Hinweis auf
die im Plane vermerkte Reviſionserinnerung: „Ueber
dem Kehlgebälk im Speicherraum ſind heizbare Lokale
unterſagt (8 34 Abſ. III BauO.).“ Der Angeklagte
wurde wegen einer Uebertretung nach 8 367 Nr. 15
StGB. verurteilt, weil er im Speicherraum feines
Wohnhauſes ein heizbares Lokal ohne baupolizeiliche
Genehmigung und mit eigenmächtiger Abweichung vom
Bauplan habe herſtellen laſſen. Seine Reviſion wurde
verworfen.
Aus den Gründen: Bei Genehmigung der Bau⸗
geſuche ſollen die beſonderen Anordnungen nach 8 71
BauO. deutlich in die Pläne eingezeichnet und durch
ausdrückliche Aufnahme in die Ausfertigung der Ges
nehmigung dem Bauunternehmer kundgegeben werden.
Unzuläſſig find Einzelanordnungen, die in keiner geſetz⸗
lichen Beſtimmung ihre Grundlage haben. Hierüber
ſteht dem Strafrichter ein Prüfungsrecht zu, wie ſich
aus Art. 15 PStGBB. und aus allgemeinen Rechts⸗
grundſätzen ergibt (vgl. ObL SSt. Bd. 10 S. 333 und
Bd. 11 S. 99). Die in der BauO. felbft enthaltenen
Vorſchriften ſind ohne beſondere Kundgabe verbindlich
und bei Strafe zu befolgen. Gewiſſe Beſtimmungen
der BauO. enthalten zwingendes Recht und zu dieſen
gehört $ 34 Abſ. 3, nach dem die Herſtellung von Dach⸗—
wohnungen oder einzelnen heizbaren Räumen über dem
Kehlgebälk unterſagt iſt. Von der Einhaltung dieſer
Vorſchrift kann nur die Kreisregierung bei ganz be—
fonderen Verhältniſſen nach 8 65 Abſ. 2 BauO. be⸗
freien. Deshalb iſt der Bauunternehmer an ſich ver—
pflichtet, die Vorſchrift des §8 34 Abſ. 3 Baud. zu be⸗
folgen; inſoweit hat ihm alſo die Diſtriktspolizeibehörde
nur eine ſich aus der BauO. ſelbſt ergebende recht⸗
lich bedeutungsloſe Verpflichtung auferlegt. Da keine
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
eigenmächtige Abweichung von dem genehmigten Bau⸗
plane vorliegt, iſt nicht eine Uebertretung nach 8 367
Nr. 15 StGB., ſondern der Tatbeſtand des Art. 101
P StGB. gegeben, weil eine Verfehlung gegen 8 34
Abſ. 3 der BauO. vorliegt.
Was unter einem heizbaren Raume zu verſtehen
ſei, erläutert die BauO. nicht. Die Auffaſſung, daß
ein heizbarer Raum nur ein wirklich mit Heizvor⸗
richtungen verſehener Raum ſei, iſt zu enge und wird
den Verhältniſſen nicht gerecht. Es muß vielmehr ge⸗
nügen, wenn der Berechtigte einen Raum dazu be⸗
ſtimmt, geheizt zu werden, und wenn er gleichzeitig
bauliche Veranſtaltungen trifft, die den Raum zu dieſem
Zweck geeignet machen. In dieſer Hinſicht iſt feſt⸗
geſtellt, daß der Angeklagte das Dachzimmer in Schwemm⸗
ſteinmauerwerk einbauen und in dem durch das Zimmer
aufwärts führenden Kamin eine Oeffnung für einen
ſpäter anzuſchließenden Ofen anbringen ließ, ſo daß
alſo die Heizungsanlage jederzeit hergeſtellt und in
Betrieb geſetzt werden konnte. Dieſe Feſtſtellung recht⸗
fertigt den Schluß, daß ein heizbarer Raum hergeſtellt
wurde. (Urt. v. 4. Nov. 1913, Rev.⸗Reg. Nr. en)
3175
Landgericht Eichſtätt.
Kann im Mahnverſahren der Anſpruch auf Duldung
der Zwangs vollſtreckung in das eingebrachte Gut geltend
gemacht werden? Ein Geſuch um Zahlungsbefehl, ge⸗
richtet gegen einen Ehemann auf Duldung der Zwangs⸗
vollſtreckung in das eingebrachte Gut (8 739 3p O.),
wurde koſtenfällig zurückgewieſen, weil ein ſolcher An⸗
ſpruch nicht im Mahnverfahren verfolgt werden könne.
Da die Entſcheidung in der Hauptſache gemäß $ 691
Abſ. III ZPO. nicht angeſochten werden konnte, fo blieb
nur die Möglichkeit, den Koſtenausſpruch der Verfügung
wegen unrichtiger Entſcheidung in der Hauptſache
(8 6 GKG.) zu befeitigen. Eine Erinnerung mit dem
Antrage auf Niederſchlagung der Koſten (§ 4 Abſ. I
GKG.) blieb erfolglos. Auf Beſchwerde gemäß 8 4
Abſ. II GKG. wurden die Koſten wegen unrichtiger Be⸗
handlung der Sache (8 6 GKG.) niedergeſchlagen und
gef über die Zuläſſigkeit des Mahnverfahrens aus:
geführt:
„Nach dem Wortlaute des 8 688 ZPO. muß aller⸗
dings an ſich der den Gegenſtand des Zahlungsbefehls
bildende Anſpruch wie beim Urkundenprozeſſe auf
gahlung’ einer beſtimmten Geldſumme oder auf die
eiſtung einer beſtimmten Menge anderer vertretbarer
Sachen gerichtet ſein; Anſprüche auf Leiſtung anderer
Gegenſtände oder auf ein Tun oder Nichttun irgend⸗
welcher Art eignen ſich nicht für das Mahnverfahren.
Hievon macht jedoch das Geſetz in dem durch die No⸗
velle von 1898 eingefügten Satz 2 eine Ausnahme zu⸗
gunſten der Anſprüche auf Kapital, Zinſen und Nebens
leiſtungen aus einer Hypothek, sun oder Renten⸗
ſchuld i. S. der 88 1113, 1147, 1191 und 1199 BGB.
Die Gründe, die zu dieſer Ausnahme führten, treffen
auch zu, wenn nur die Duldung der Zwangsvoll⸗—
ſtreckung in das eingebrachte Gut der Ehefrau begehrt
wird. Denn dieſer Anſpruch iſt nur eine Ergänzung
des gegen die Ehefrau erhobenen Hauptanſpruchs;
ohne ihn könnte der Hauptanſpruch ſelbſt keinen vollen
Erfolg haben. Daraus ergibt ſich die Zuläſſigkeit des
Mahnverfahrens, wie auch des Urkunden und Wechſel—
prozeſſes für den Anſpruch gegen den Mann auf Duls
dung der Zwangsvollſtreckung in das eingebrachte Gut
der Ehefrau, ſofern ſich nur der Hauptanſpruch zum
Mahnverfahren eignet.“) (Beſchl. v. 26. Sept. 1913).
3178 Mitgetellt von Rechtsanwalt Dr. Buff in München.
1) llebereinſtimmend: Seuffert, ZRO. 11. Aufl. Bem. 26 4 zu
§ 739 3D.
Aus der Rechtſprechung
des Gerichtshofs für Kompetenzkouflikte.
Rechtliche Figenſchaft einer Fährgerechtigkeit und
der dem Berechtigten gebührenden Neichniſſe. Zuſtändig⸗
keit der Gerichte, wenn Über die Neichnispflicht geſtritten
wird. Die Ortſchaft und die Kirchenſtiftung B. üben
gemeinſchaftlich das Recht der Ueberfahrt über den
Main aus; die Ortſchaft hat einen Anteil von ½, die
Kirchenſtiftung einen Anteil von ¼. Nach der Be⸗
hauptung der in haben die Bewohner
der 7 „ U., S. und T. das Recht auf freie
Ueberfahrt, aber als Entgelt ein jährliches nach den
Beſitzverhältniſſen abgeſtuftes Korn⸗ oder Geldreichnis
zu entrichten. Die ron ruhe als deutſchrecht⸗
liche Reallaſt auf der Ortsmarkung der einzelnen Ort⸗
ſchaften und erſtrecke ſich auf alle Ortsbewohner mit
oder ohne Grundbeſitz. Als einige Einwohner von S.
die Reichniſſe nicht mehr entrichteten, wurde bei ihnen
auf Grund eines von der Gemeindeverwaltung B. für
vollſtreckbar erkärten Ausſtandsverzeichniſſes gepfändet.
Die Schuldner erhoben Einwendungen zum Bezirksamt.
Dieſes erklärte ſich für unzuſtändig. Später erhoben
die Ortſchaft und die Kirchenſtiftung B. gegen die
ſäumigen Schuldner Klage auf Leiſtung der rückſtändigen
Reichniffe. Das AG. gab ihr ſtatt, das LG. wies fie ab,
weil das zugrundeliegende Rechtsverhältnis öffentlich⸗
rechtlich ſei und über die Abgabenpflicht die Berwaltungs⸗
behörden zu entſcheiden hätten. Der Gerichtshof für
Kompetenzkonflikte, den die Ortſchaft und die Kirchen⸗
ſtiftung B. angingen, erklärte die Gerichte für zuſtändig.
Aus den Gründen: Die Anſprüche gehören
dem bürgerlichen Rechte an, wenn der Tatbeſtand, aus
dem ſie abgeleitet werden, nach der Darlegung der
Kläger geeignet iſt, ein bürgerlich⸗rechtliches Verhält⸗
nis zu bilden. Das trifft hier zu. Die Antragſteller
behaupten nicht, daß ſie den Fährbetrieb in ihrer Eigen⸗
ſchaft als Kirchenſtiftung und als Ortſchaft auf Grund
eines öffentlichen Rechts ausüben: das wäre auch bei
der Kirchenſtiftung nach dem bayeriſchen Verwaltungs⸗
rechte geradezu ausgeſchloſſen. Sie ſtützen ſich auf ein
Recht, das fie als Träger bürgerlich rechtlicher Ver⸗
mögensrechte von Privatperſonen erworben haben
wollen, das alſo ſchon vor dem Erwerb Gegenſtand
des bürgerlichen Rechtsverkehrs geweſen ſein ſoll. Hier⸗
nach behaupten die Antragſteller den Tatbeſtand eines
bürgerlichen Rechtsverhältniſſes. Dieſer Annahme ſtehen
rechtliche Bedenken nicht entgegen. Zwar iſt der Main
ein öffentlicher Fluß und gehören nach gemeinem deutſchen
Rechte die Fährgerechtigkeiten auf den öffentlichen Flüſſen
zu den niederen Regalien. Pen wurden aber nicht
als unveräußerliche ſtaatliche Hoheitsrechte ſondern als
fiskaliſche Rechte angeſehen, die durch Uebertragung
an Private Gegenſtand eines bürgerlichen Rechtes werden
konnten (vgl. JW. 1910 S. 616 Nr. 7, VGH. Bd. 13 S. 65,
Seuff Bl. Bd. 59 S. 409, Bd. 64 S. 453).
Hat ſohin das von den Antragſtellern behauptete
Rechtsverhältnis nach ihrer Darlegung als ein bürger⸗
lich⸗ rechtliches Verhältnis zu gelten, fo erfaßt dieſes
begriffsmäßig auch die Regelung der Rechtsbeziehungen
der Beteiligten zueinander und die ſich daraus ergeben⸗
den Rechtsfolgen. Ob die Kläger auf Grund der nach
ihrem Vorbringen auf der Ortsmarkung ruhenden Real⸗
laſt das Recht haben, von ſämtlichen Ortsbewohnern
mit oder ohne Grundbeſitz die Fährabgabe zu ver⸗
langen, iſt eine Frage, die zum Grunde der Sache gehört
und für den Erfolg, nicht aber für die Zuläſſigkeit der
Klage von Bedeutung iſt. Zu Unrecht folgert daher
das LG. aus der Tatſache, daß die Kläger die Abgabe
auch von Perſonen forderten, die keinen Grundbeſitz
haben, die Pflicht zur Leiſtung der Reichniſſe beruhte
auf dem Gemeindeverbande. Kommt das LG. zu der
ih daß die Anſprüche ganz oder teilweiſe
rechtlich nicht begründet ſind, die von den Antrag⸗
-
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
29
ſtellern aus dem von ihnen behaupteten bürgerlich⸗
rechtlichen Rechtsverhältnis abgeleitet werden, ſo ſind
ſie eben inſoweit als unbegründet abzuweiſen. Uebrigens
geht das LE. ſchon deshalb fehl, weil es nicht das
ganze Forderungsverhältnis ſondern nur die Seite des
Schuldners betrachtet. Die öffentlich⸗rechtliche Pflicht
des Schuldners ſetzt aber die öffentlich⸗rechtliche Be⸗
rechtigung des Gläubigers voraus. Zwiſchen der
Kirchenſtiftung und der Ortſchaft B. einerſeits und der
Ortſchaft S. anderſeits beſteht aber kein öffentlich⸗
rechtlicher Verband, der das Schuld⸗ und Forderungs⸗
verhältnis herſtellen könnte. Die Klaganſprüche könnten
ſohin in keinem Falle aus dem Gemeindeverbande her⸗
geleitet werden (Urt. vom 26. November 1913).
4181
ee ne (9°
Bücheranzeigen.
Güthe, Dr. Georg, Kammergerichtsrat. Die Grund⸗
buchordnung fürdas Deutſche Reich und die
preußiſchen Ausführungsbeſtimmungen. 1.2. Band.
XLV, 2012 Seiten. Berlin 1913, Franz Vahlen. Geh.
Mk. 46. —; geb. Mk. 52. —.
Wie es Menſchen gibt, die beim Eintritt in das
ſchaffende Leben keiner Führung und keiner Empfehlung
bedürfen, ohne Stütze ſich einen Platz an der Sonne
verſchaffen und hier von Stufe zu Stufe ſteigen, ſo
gibt es auch Bücher, die nach dem erſten Erſcheinen all⸗
gemein ohne weiteres als vollwertig erkannt und ge⸗
würdigt werden und den Markt beherrſchen. Zu dieſen
Büchern zählt Güthe's Kommentar, der ſchon in ſeiner
1. Auflage im Jahre 1905 die Führung in der grund⸗
buchrechtlichen Literatur übernommen und in nicht
ganz acht Jahren die 3. Auflage erlebt hat. Das Buch
ruht auf einer gediegenen wiſſenſchaftlichen Unterlage,
iſt aber auch auf einem reichen Schatze praktiſchen Er⸗
fahrungen aufgebaut und läßt keinen Zweifel darüber,
daß ſein Verfaſſer, der inzwiſchen vom Amtsrichter
zum Kammergerichtsrat und von hier zum vor⸗
tragenden Rat im Preußiſchen Juſtizminiſterium vor⸗
gerückt iſt, ein ausgezeichneter Kenner des Grundbuch⸗
rechts iſt, aber auch ein ausgezeichneter Grundbuch⸗
richter war, der gerade dieſem Zweige ſeiner dienſt⸗
lichen Tätigkeit nicht nur mit pflichtgemäßem Intereſſe,
ſondern mit einem warm empfindenden Herzen gegen⸗
überſtand.
Das Buch berückſichtigt zunächſt nur preußiſche Ver⸗
hältniſſe, iſt jedoch ſchon längſt im ganzen Reichsge⸗
gebiet im Gebrauch und erfreut ſich namentlich auch
bei uns in Bayern außergewöhnlicher Beliebtheit. An
den eigentlichen Kommentar zur Grundbuchordnung
ſchließt ſich ein vortrefflicher Kommentar zum preuß.
Ausführungsgeſetz z. GBO. an, darauf folgen miniſte⸗
rielle Vorſchriften und ſchließlich ein „alphabetiſches
Verzeichnis der Legitimationsfragen nebſt einer Ueber⸗
ſicht über die dinglichen Rechte“. In dieſem Schluß⸗
abſchnitte find die dem Grundbuchrichter häufig ent⸗
gegentretenden Fragen nach der Rechtsfähigkeit, der
Geſchäftsfähigkeit, der Vertretungsbefugnis und der Ver⸗
fügungsberechtigung alphabetiſch umfaſſend und er⸗
ſchöpfend dargeſtellt. Außerdem ſind kleinere oder größere
Abhandlungen über die einzelnen dinglichen Rechte
eingefügt, die über den neueſten Stand der Rechtſpre⸗
chung und der Literatur zuverläſſig Aufſchluß geben
und nach Inhalt und Form geradezu Meiſterſtücke ſind.
Es kann ſelbſtverſtändlich im Rahmen dieſer Be⸗
ſprechung auf den Inhalt des Buches in ſachlicher Hinſicht
nicht näher eingegangen werden; nur über eine Frage
kann ich nicht mit Stillſchweigen hinweggehen. In
Nr. 13 S. 117 des laufenden Jahrgangs dieſer Zeit—
ſchrift habe ich die von Güthe in der 2. Auflage ſeines
Kommentars zu 83 GBO vertretene, nun in der 3. Auf⸗
30 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
lage in Anmerkung 21 wiederkehrende Anſicht bekämpft,
Im übrigen verweiſe ich auf meine Beſprechung
daß für Miteigentumsanteile ein Grundbuchblatt nicht des Buches in der Zeitſchr. f. Kol onialrecht 1913 S. 292 f.
angelegt werden dürfe und daß es auch unzuläſſig ſei,
Miteigentumsanteile einem Grundſtück als Beſtandteile
zuzuſchreiben. Zu meinem lebhaften Bedauern konnte
Güthe meine Gründe in der neuen Auflage ſeines
Kommentars nicht mehr würdigen; meine Ausführungen
ſind nur in dem Nachtrag erwähnt. Ich will aber
die Hoffnung nicht aufgeben, daß Güthe in der nächſten
Auflage ſeine Anſicht revidiert und ſchließlich der von
uns in Bayern allgemein, insbeſondere auch in unſerer
Dienſtanweiſung vertretenen Anſicht, der ſich notge⸗
drungen nun auch die Württembergifche Juſtizverwal⸗
tung angeſchloſſen hat, endgültig zum Siege verhilft.
Miniſterialrat H. Schmitt im Juſtizminiſterium zu München.
Alsberg, Dr. Max, Rechtsanwalt in Berlin, Juſti z⸗
irrtum und Wiederaufnahme. Berlin 1913,
Dr. P. Langenſcheidt. Broſch. Mk. 9.—.
Alsberg iſt nicht der erſte, der die Irrtumsgefahren
und Fehlerquellen ſtrafrichterlicher Urteilsfindung be⸗
leuchtet. Vor zwei Jahren hat Juſtizrat Sello ſeine
„Irrtümer der Strafjuſtiz und ihre Urſachen“ ver⸗
öffentlicht. Beide Werke unterſcheiden ſich aber in der
Hauptſache darin, daß Sello vornehmlich den kriminal⸗
pſychologiſchen und Alsberg den prozeßtechniſchen
Fehlerquellen nachgeht. Was Alsberg hier bietet, iſt
ewiß nicht neu; aber in ſo überzeugender Anſchaulich⸗
eit iſt bisher die Ueberſpannung an ſich berechtigter
Prozeßgrundſätze nicht dargetan worden. Das gilt
vor allem für den Grundſatz der Mündlichkeit des Ver⸗
fahrens mit der Konzentration der Hauptverhandlung
und ihren nur beſchränkt nachprüfbaren Zufallsergeb⸗
niſſen. Allerdings hält ſich Verfaſſer nicht immer von
der Einſeitigkeit und Uebertreibung frei, in die Ver⸗
teidiger vermöge ihrer Parteiſtellungnahme gewöhnlich
verfallen; das iſt namentlich e nicht unbedenk⸗
lich, als Laien, an die er ſich ebenfalls wendet, leicht
zu falſchen Schlüſſen gelangen. Bei ſeinen Ausführungen
könnte man z. B. faſt meinen, als ob bei uns Tag für
Tag ſo und ſo viele Unſchuldige der Juſtiz zum Opfer
fallen. Die Verurteilung eines einzigen wirklich Un⸗
ſchuldigen iſt freilich ſchon ein überaus bedauerns⸗
wertes Ereignis; eine ſolche Verurteilung iſt aber doch
glücklicherweiſe bei uns eine Seltenheit, am eheſten
noch bei den ſog. Volksrichtern, insbeſ. beim Schwur⸗
gericht in ſeiner dermaligen Verfaſſung, möglich. Die
Vorwürfe des Verfaſſers gegen die Strafverfolgungs⸗
behörden halte ich in ihrer Allgemeinheit nicht für
berechtigt, fo tadelnswert auch das Verhalten vieler
Staatsanwälte iſt, die im Beſchuldigten ſchon den
Schuldigen erblicken, tunlichſt den für den Beſchuldigten
ungünſtigſten Standpunkt einnehmen und alle zweifel⸗
haften Falle lieber vor den Richter bringen, ſtatt das
Verfahren (nach dem auch für den Staatsanwalt gels
tenden Satz in dubio pro reo) unter eigener Verant-
wortung pflichtgemäß einzuſtellen. Auf dieſe Weiſe hat
die Rechtſprechung manchen ſtrafgeſetzlichen Beſtim⸗
mungen allmählich eine vom Geſetzgeber nicht gewollte
Wirkung beigelegt. Schließlich darf ich nicht ver⸗
ſchweigen, daß ich bezüglich der von den damit befaßt
geweſenen Verteidigern ausführlich mitgeteilten Fälle
von Verurteilung Unſchuldiger den Eindruck habe, als
ob die Schilderung bisweilen nicht ganz ſachlich und
aktenmäßig ſei. All das hindert mich aber nicht, die
Vorzüge des Alsbergſchen Buches und ſeines Strebens
nach Befreiung der Wiederaufnahme von den ihr auf—
erlegten Feſſeln anzuerkennen (vgl. auch Recht 1913
S. 306); wer etwas erreichen und durchſetzen will, muß
unter Umſtänden gelegentlich übertreiben. Der Bers
teidiger Alsberg iſt hier zum Ankläger unſeres heutigen
Strafprozeſſes geworden, und Ankläger halten ſich
auch nicht immer von Uebertreibungen und Einſeitig—
keiten frei.
— ä— — —— — ͤRb-—— ͤ u
— — — ä — . —
und die Tatſache, daß im Kolonialprozeß manche der
Alsbergſchen Forderungen längſt verwirklicht find.
München. Dr. Doerr.
Haaß, Dr. Fr., Weltpoſtverein und Einheits⸗
porto (Welt⸗Pennyporto). VIII, 174 S. mit 4 Ta⸗
bellen und 1 Titelbild. Stuttgart 1913, W. Kohl⸗
hammer. Mk. 3.—; geb. Mk. 4.—.
Der Verfaſſer behandelt in den erſten zwei Teilen
die Geſchichte und die Aufgaben des Weltpoſtvereins
und die Entwicklung des Briefpoſtportos in Deutſchland.
Im dritten Teil verſucht er die Notwendigkeit und Nütz⸗
lichkeit des Weltpennyportos darzulegen, alſo der Er⸗
mäßigung des Auslandsbriefportos auf 10 Pfennig.
Dieſe Frage hat ſchon vor Jahren in erſchöpſender Weiſe
Arved Jürgenſohn behandelt (Weltportoreform, das
nahende Weltpennyporto in neuer Beleuchtung, Berlin
1909,10). Haaß führt als Gründe für die Ermäßigung
an, daß die Finanzen faſt aller Weltpoſtvereinsländer
(fol heißen: aller Verwaltungen der Weltpoſtvereins⸗
länder) „glänzend“ ſeien und daß die hohen Einnahmen
der Poſtverwaltungen hauptſächlich von der Briefpoſt
herrührten, alſo auch wieder teilweiſe für die „Brief⸗
ſchreiber“ verwendet werden ſollten. Zu gleicher Zeit
befürwortet der Verfaſſer, ein Württembergiſcher Poſt⸗
beamter, „zum Ausgleich für etwaige Abmängel“ eine
Erhöhung des Paketpoſttarifes, ſowie der Gebühren
für Telegramme und Zeitungen. Denn dieſe Geſchäfts⸗
zweige ſeien unrentabel. Der Verfaſſer überſieht da vor
allem, daß das Briefpoſtporto doch nur zum geringſten
Teil für Briefe ins Ausland gezahlt wird, daß alſo
die Leute, die durch die Erhöhung der Tarife für Paket⸗
poſt uſw. gefhädigt werden, nur zum kleinſten Teil
durch die Auslandsportoermäßigung ſchadlos gehalten
werden. Im übrigen wird eine derartige Ermäßigung
des Auslandsportos für längere Zeit bei allen Poſt⸗
verwaltungen Mehrausgaben und Mindereinnahmen
von Millionen zur Folge haben. Denn die zweifellos
ſofort einſetzende Steigerung des Verkehrs wird zunächſt
erhebliche Ausgaben für Perſonal, für Tranfitgebühren
erfordern, während ſich ein Ausgleich durch erhöhte
Einnahmen erſt im Laufe der Jahre einſtellt. So hat
die engliſche Poſtverwaltung infolge des im Jahre
1908/9 eingeführten Pennyportos im Verkehre mit
Nordamerika heute noch einen jährlichen Ausfall von
123 000 Pfd. Sterl. Die Reichspoſtverwaltung wird
daher ſchwerlich auf dem nächſten Weltpoſtkongreß die
Einführung des Weltpennyportos beantragen oder be⸗
gutachten, wie der Verfaſſer hofft. Dabei ſoll nicht be⸗
ſtritten werden, daß die Gebühren der deutſchen Poſt⸗
verwaltungen in verſchiedener Richtung einer Nach⸗
prüfung bedürfen und daß das 10 Pfennig⸗Weltporto
im Laufe der Zeiten kommen wird.
In der Anmerkung auf Seite 68/69 iſt geſagt, daß
in Frankreich nach dem Geſetze vom 5. nivöse an. V die
Haftpflicht der Poſtverwaltung für einen gewöhnlichen
Brief nur in dem Falle ausgeſchloſſen ſei, daß der Verluſt
oder die Beſchädigung „ohne Abſicht“ erfolgt ſei. Dies
iſt unrichtig. Keine Poſtverwaltung des Weltpoſtvereins
haftet für Verluſt oder Beſchädigung eines gewöhnlichen
Briefes.
Regensburg.
Helmelts Weltgeſchichte. Zweite, neu bearbeitete und
vermehrte Auflage, herausgegeben von Dr. Armin
Tille. Mit etwa 1000 Abbildungen im Text, 400 Ta⸗
feln in Farbendruck, Aetzung und Holzſchnitt ſowie
100 Karten. Verlag des Bibliographiſchen Inſtitutes
. Bände in Halbleder gebunden zu je
Wenn auch heute dem Juriſten mit Recht die wirt⸗
Oberpoſtinſpektor Korzendorfer.
ſchaftlichen Vorgänge der Gegenwart das Wichtigſte
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
ſind, ſo darf er doch ſich dadurch nicht abhalten laſſen,
allenthalben die geſchichtliche Entwicklung feſtzuſtellen.
Es iſt nötig, das zu betonen. Darum darf auch dem
Juriſten, der auf der Höhe bleiben und ſich den Ueber⸗
blick bewahren will, das Studium der oben angeführten
neuen Auflage von Helmolts Weltgeſchichte empfohlen
werden. Denn die Beſonderheit dieſer, nebenbei be⸗
merkt, auch in einer engliſchen Ausgabe und ruſſiſchen
Ueberſetzung verbreiteten Weltgeſchichte beſteht darin,
daß ſie ſich nicht mit der ſonſt üblichen hiſtoriſchen
Darlegung von Geſchehniſſen vom europäozentriſchen
Standpunkt aus begnügt, ſondern auf den Spuren von
J. G. Eichhorn, Karl Ritter und vor allem Friedrich
Ratzel die geographiſche Anordnung und die ethno⸗
geographiſche Betrachtungsweiſe wählt. Helmolt ver⸗
wertete die geographiſche Anordnung nicht bloß in
der Schilderung von Volksgeſchichten, ſondern auch
in der Kennzeichnung von Kulturkreiſen und überhaupt
von wechſelſeitiger Beeinfluſſung der Völker. Darum
beſchränkt ſich ſeine Weltgeſchichte nicht auf die ſog.
Kulturvölker; fie ergreift auch die auf relativ niedriger
Stufe 5 gebliebenen Völker, die untergegangenen
wie die heute noch vorhandenen. So iſt die Welt⸗
geſchichte eine auf Geographie und Ethnographie auf⸗
gebaute Kulturgeſchichte.
Danach genügt es wohl, noch zu erwähnen: der
1. Band der neuen Auflage bietet nach einem Ueber⸗
blick über die Geſchichte der Weltgeſchichtsſchreibung
von dem neuen Herausgeber Dr. Armin Tille eine mit
Freuden zu begrüßende Urgeſchichte der Menſchheit von
dem Münchener Geheimrat Dr. Johannes Ranke und
ſodann aus der Feder der berufenſten Sachkenner,
jedoch aus dem oben entwickelten einheitlichen Geiſte
nach annähernd gleichen, formell beſtimmten Grund⸗
ſätzen, eine bis zur Neuzeit fortgeführte Geſchichte der
oſtaſtatiſchen Reiche, einſchließlich Hochaſiens und Si⸗
biriens und Indoaſiens, und endlich einen Ueberblick
über die geſchichtliche Bedeutung des indiſchen Ozeans.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Schaefer, Dr. H., Allgemeine gerichtliche Pſy⸗
chiatrie für Juriſten, Mediziner, Pädagogen. Zweite,
vermehrte Auflage. 271 S. Berlin 1914, Ernſt Hof⸗
mann & Co. Mk. 3.—.
Von dem im Jahrgang 1910 S. 222 f. dieſer Zeit⸗
ſchrift und in Krit BI Schr. für Geſetzgebung und Rechts⸗
wiſſenſchaft Bd. 50 S. 170 f. beſprochenen Buch iſt
ſoeben die in der Hauptſache, auch in der Anordnung
und Behandlung des Stoffes unverändert gebliebene
Neuauflage erſchienen. Hinzugekommen ſind bloß die
Abſchnitte über Halbwachzuſtand und pathologiſche
Rauſchzuſtände (S. 154 ff., 167 ff.), wodurch der Um⸗
fang des Buches, das leider immer noch des Sachre⸗
giſters entbehrt, um 15 Seiten gewachſen iſt. Einer
dritten Auflage wäre eine ſorgfältigere Durchſicht zu
1 S. 265 iſt das Datum 28. Juli 1908 richtig
zu ſtellen.
München. Dr. Doerr.
Foerſter, Fr. W., Profeſſor der Pädagogik an der Uni:
verſität Wien (künftig in München), Strafe und
Erziehung. Vortrag, gehalten auf dem Dritten
deutſchen Jugendgerichtstag in Frankfurt a. M.
Zweiter, unveränderter Abdruck. 41 S. München 1913,
C. H. Beck'ſche Verlagsbuchhandlung.
Die Schrift iſt der im weſentlichen unveränderte
Abdruck des vom Verfaſſer auf dem Jugendgerichts⸗
tage zu Frankfurt a. M. im Oktober 1912 gehaltenen
Referats. Da das pädagogiſch⸗juriſtiſche Thema weite
Kreiſe beſchäftigt, will ſie Verfaſſer auf gefährliche Ein⸗
ſeitigkeiten und Unzulänglichkeiten in der neueren Praxis
gegenüber jugendlichen Delinquenten aufmerkſam
— . — ͤ ö ũ— ——— ¹2w2— — ——— ——— ——— ——
machen. Seine Grundanſchauungen hat er in ſeinem
Buche „Schuld und Sühne“ (vgl. Jahrg. 1911 S. 490f.
dieſer Zeitſchrift) dargelegt. Der Vortrag iſt jedoch
keine bloße Wiederholung jener Darlegungen, ſondern
enthält eine Reihe neuer Argumente, insbeſondere
gegen das moderne Schlagwort: „Erziehung ſtatt
Strafe“, gegen die grundſätzliche Bewilligung einer
Bewährungsfriſt nach dem erſten Delikt und für die
Einrichtung beſonderer Jugendgefängniſſe und einer
ernſthaften Arbeitstherapie ꝛc. Die nachſichtige, laxe
Behandlung des erſten Straffalles hat das charakte⸗
riſtiſche Wort geprägt, daß ein Delikt ſtraffrei ſei,
und die Scheu vor dem erſten Delikt, den wirkſamſten
prophylaktiſchen Faktor, vielfach zerſtört (S. 16 f.).
Mit Recht wendet ſich Verfaſſer auch gegen die ge⸗
dankenloſe Idee des „unbeſtimmten Strafurteils“ als
Beiſpiel verwirrender Vermiſchung von Straf und
Erziehungsprinzip (S. 23 ff.). „Der Jugend imponiert
nur die ſtrenge und präziſe Gerechtigkeit — im unbe⸗
ſtimmten Strafurteil würde ſich ihr ethiſches Empfinden
gar nicht zu orientieren willen” (S. 26). S. 39 ff. find
die zu dem Vortrag aufgeſtellten Leitſätze abgedruckt,
die einen raſchen Ueberblick über ſeinen in einer kurzen
Beſprechung kaum anzudeutenden Gedankenreichtum
gewähren.
München. Dr. Doerr.
Simon, Dr. F., Die Schadenserſatzanſprüche
bei Körperverletzung und Tötung im
Zweikampf. Heft IV der von Kiſch herausge⸗
gebenen Zivilrechtlichen und prozeßrechtlichen Ab⸗
handlungen. XI u. 73 S. Straßburg 1913, Verlag
von Karl J. Trübner. Mk. 2.—.
Die Schrift, eine Straßburger Doktorarbeit, be⸗
handelt dasſelbe Thema, das vor ihr Gröber zum
Gegenftande feiner gleichnamigen Diſſertation (Er⸗
langen 1907) gemacht hat, dringt aber mehr als dieſe
in die Tiefe. Dr.
Neichel, Hans, Profeſſor an der Univerſität Zürich,
Die Mäklerproviſion. X u. 279 S. München
1913, C. H. Beck ſche Verlagsbuchhandlung. Mk. 8.—.
Verfaſſer behandelt in überaus gründlicher Weiſe
die Vorausſetzungen für den Anſpruch des Mäklers
auf Proviſion und damit, über das im Titel des Buches
bezeichnete eigentliche Thema hinausgehend, den Mäk⸗
lervertrag überhaupt. Das deutſche Recht ſteht zwar
im Mittelpunkte der Betrachtung; aber auch das öſter⸗
reichiſche und ſchweizeriſche iſt berückſichtigt. Theorie
und Praxis kommen gleichmäßig auf ihre Rechnung.
München. Dr. Doerr.
Neger, A., Rat des K. Verwaltungsgerichtshofs. Hand⸗
ausgabe des bayeriſchen Geſetzes über die öffent⸗
liche Armen⸗ und Krankenpflege vom 29. April
1869 in der Faſſung der Bek. vom 30. Juli 1899.
Siebente durchgeſehene und ergänzte Auflage. Ans⸗
bach 1913, C. Brügel & Sohn. Geb. Mk. 3.60.
Ueber den Wert und die Bedeutung dieſes Werk⸗
chens iſt kein Wort zu verlieren; dafür ſprechen der
Name des Herausgebers und die Tatſache, daß es ſchon
in ſiebter Auflage erſcheint. Wenn auch dem bayeriſchen
Armengeſetze vorausſichtlich nur noch eine kurze Lebens⸗
dauer beſchieden ſein wird, ſo iſt es doch zu begrüßen,
daß der Verlag noch eine zuſammenfaſſende Bearbeitung
des geltenden Armengeſetzes veranlaßt hat. Das Aus⸗
führungsgeſetz zum Unterſtützungswohnſitzgeſetz muß
und wird an das geltende Armengeſetz anknüpfen. Für
jeden, der ſich mit dem Armenrecht zu befaſſen hat,
wird es dann angenehm fein, ein Werkchen zu befigen,
das eine vollſtändige und verläſſige Ueberſicht über
das vergangene, aber trotzdem noch weiter wirkende
Recht bietet. W.
Heinsheimer, Dr. ee Praktiſche Uebungen
im bürgerlichen Recht. 2. vermehrte Auflage.
8°. VIII, 166 S. Berlin 1913, Otto Liebmann.
kart. Mk. 3.50.
Eine Sammlung kleiner, teils der gerichtlichen
Praxis, teils dem wirklichen Rechtsleben entnommener
Fälle, die zunächſt für den Studierenden beſtimmt auch
dem jungen Rechtspraktikanten für ſeine Weiterbildung
auf dem Gebiet der Rechtsanwendung gute Dienſte N
Wendler, Eruſt, Referendar. Die ſtrafrechtliche
Behandlung der Beteiligung Mehrerer
am Verbrechen und der Begriff der „ Teil⸗
nahme“. XII, 95 Seiten. Borna⸗Leipzig 1913,
Buchdruckerei Robert Noske.
Eine zwar gute, aber kaum Neues bietende Diſſer⸗
tation, die zu den Teilnahmetheorien, insbeſondere gegen
die akzeſſoriſche Natur der Teilnahme, kritiſch Stellung
nimmt und angeſichts der Strafrechtsreform das Haupt⸗
gewicht auf Erwägungen de lege ferenda legt. D.
Siebert, Dr. Theodor, Staatsanwalt in Danzig. Be⸗
dingte Strafausſetzung nach der Allgem.
Verfügung vom 11. November 1912. Berlin 1913,
R. v. Deckers Verlag, G. Schenck. 44 S. Gebd. Mk. 1.80.
Die Schrift enthält die für die bedingte Straf⸗
ausſetzung oder die Bewilligung einer Bewährungs⸗
friſt in Preußen geltenden Beſtimmungen mit kurzen
Erläuterungen zum praktiſchen Gebrauche.
Unger, Dr. Max, Der Selbſtmord in der Beur⸗
teilung des geltenden Deutſchen Bürger⸗
lichen Rechts. VIII, 295 Seiten. Berlin 1913,
Carl Heymanns Verlag. Mk. 6.—.
Das Buch behandelt nach einem kurzen hiſtoriſch⸗
philoſophiſchen Abſchnitt, einer ethiſchen und rechtlichen
Wertung des Selbſtmords im deutſchen Zivilrecht aus:
führlich den privatrechtlichen Einfluß der Selbſttötung
z. B. auf beſtehende Schuldverhältniſſe oder im Familien⸗
recht, ſowie das — dem Willen des Selbſtmörders ent⸗
ſprechende oder zuwiderlaufende — Eingreifen Dritter,
die Förderung oder Verhinderung eines Selbſtmords.
Die ſich an dieſen knüpfenden Probleme des öffent⸗
lichen Rechts (insbeſondere Verſicherungsrechts) werden
zum Schluſſe dem Rahmen des Themas entſprechend
nur kurz geſtreift. D.
Bleyer, J., Landgerichtsrat in München. Sammlung
bayeriſcher Juſtiz⸗ und Verwaltungs-
geſetze. J. Bändchen: Juſtizgeſetze. Textausgabe
mit Sachregiſter. VII, 512 Seiten. München 1913,
C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung (Oskar Bed).
Gebd. Mk. 2.80.
Dieſe dankenswerte, geſchickt angelegte Sammlung
gibt die gegenwärtige Faſſung der Geſetze genau wieder
und gewährt in Anmerkungen Aufſchluß über die Ent»
wicklung. Bei dem zerfahrenen Stande der Geſetzgebung
ſind ſolche Sammlungen ein ſehr brauchbarer Behelf.
Noeſt, Dr. B., Juſtizrat, Rechtsanwalt beim Amtsgericht
in Solingen, und E. Blum, Rechtsanwalt beim Ober⸗
landesgericht in Köln. Die Reichsgerichts⸗
entſcheidungen in Zivilſachen. 80. Band.
XXIII, 190 Seiten. Berlin 1913, Karl Heymanns
Verlag. Broſch. Mk. 2.—, gebd. Mk. 2.50.
Wir verweiſen auf die früheren Beſprechungen dieſer
trefflich geleiteten Sammlung. An der neuen Lieferung
müſſen insbeſondere wieder die gedrängten aber ſehr
lehrreichen Anmerkungen zu einzelnen Entſcheidungen
gerühmt werden.
32 \ Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1.
Neinhard, Paul, Landgerichtspräfident in Leipzig. Ge⸗
etz über die Zwangsverſteigerung und
ie Zwangsverwaltung vom 24. März 1897
nebſt dem Einführungsgeſetze (Faſſung vom 20. Mai
1898). Vierte Auflage. IX, 481 S. Leipzig 1913,
4 che Verlagsbuchhandlung (Arthur Roßberg).
Geb. Mk. 7.50.
Der Berfafler, der durch feinen großen, ſehr klar
geſchriebenen Kommentar zum Zw. bekannt iſt, hat
ſeine kleinere, gedrängte Ausgabe wieder auf den
neueſten Stand gebracht und dadurch den Gerichten ein
vortreffliches Hilfsmittel gegeben.
— — e — —
Geſetzgebung und Verwaltung.
‚ Die Beſchäftigung ven Hilfsrichtern beim Reiche:
defucdtg Nach § 134 G8. dürfen an ſich Hilfsrichter
eim Reichsgerichte nicht zugezogen werden. Dieſer
Grundſatz wurde durch Art. XII des Geſ. betreffend die
Zuſtändigkeit des Reichsgerichts vom 22. Mai 1910
(RGBl. S. 767) durchbrochen. Der Reichskanzler wurde
damals ermächtigt, bis zum 31. Dezember 1913 Hilfs⸗
richter zur Erledigung der Geſchäfte der Zivilſenate
einzuberufen. Dieſe Hilfsrichter dürfen nach dem in
Nr. 71 des RGBl. 1913 S. 779 verkündeten Geſetze
vom 8. Dezember 1913 noch bis zum 1. Juni 1914 be⸗
ſchäftigt werden. Bemerkenswerter als das Geſetz ſelbſt
iſt die dem Entwurfe (Bundesrats⸗Druckſache 82/1913)
beigegebene Begründung. Sie zeigt, daß immer noch
keine durchgreifende Entlaſtung des Reichsgerichts er⸗
zielt worden iſt. Zwar ſind die Rückſtände in den
Zivilſenaten im großen und ganzen beſeitigt. Auch
ſind infolge der Entlaſtungsmaßregeln in Zivilſachen
die Reviſionen in der Zeit von 1909 bis 1911 von
4344 bis auf 3531 zurückgegangen, aber im Jahre 1912
ſetzte ſchon wieder eine ſteigende Bewegung ein. Ferner
macht ſich jetzt erneut eine übergroße Anſpannung der
Strafſenate bemerklich, die zu einer Vermehrung der
Richterzahl führen wird. Zu der Beſetzung der neuen
Stellen ſollen vor allem die am 1. Juni 1914 noch
vorhandenen Hilfsrichter verwendet werden.
3182
Die Strafrenifter. (Bekanntmachung vom 25. No⸗
vember 1913, JM Bl. S. 725). In die Strafregiſter ſind auch
die militärgerichtlichen Verurteilungen aufzunehmen.
Für ihre Mitteilung an die Strafregiſterbehörden gelten
aber beſondere Beſtimmungen (Bundesratsverordnung
§ 6). Hierzu hat das Kriegsminiſterium neue Vollzugs⸗
vorſchriften mit der Bekanntmachung vom 12. Septem-
ber v. Irs. (Kr Bl. S. 586) erlaſſen, in der die Bekannt⸗
machung der Staatsminiſterien der Juſtiz und des
Innern über die Strafregiſter vom 12. Juli v. Irs.
(JMBl. S. 91) zur entſprechenden Darnachachtung be⸗
kanntgegeben wurde. Die Bekanntmachung des Kriegs⸗
miniſteriums enthält außerdem die nötigen Anord⸗
nungen wegen der durch den Bundesratsbeſchluß vom
17. April v. Irs. eröffneten Möglichkeit der Löſchung
von Strafen im Strafregiſter.
Die wichtigſten Vorſchriften dieſer Bekanntmachung,
die für die Juſtizbehörden nicht unmittelbar von Be⸗
deutung iſt, werden durch die Bekanntmachung des
Staatsminiſteriums der Juſtiz vom 25. November v. Irs.
im Juſtizminiſterialblatt veröffentlicht.
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellierd München und Berlin.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
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Ar. 2. München, den 15. Januar 1914. 10. Jahrg.
Zeitſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
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Th. von der Pfordten m N ein 2. Schweitzer Verlag
K. 1. Staatsanwalt, im K. Bayer. (Arthur Zellier)
Staats miniſterium der Juſti;. Münden, Berlin u. Leippig.
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.)
ger
Die Zeltſchrift erſcheint am I. und 15. jedes Monats
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Nachdruck verboten. 33
Senatspräſident von Payr.
Ein Nachruf.
Von Georg Mahler, Rat am Oberſten Landesgerichte in München.
In der Nacht zum 8. Januar 1914 iſt der Senatspräſident des Oberſten Landesgerichts, Joſeph
von Payr, nach kurzem Leiden unerwartet aus einem arbeitsreichen Leben geſchieden.
Joſeph von Payr wurde am 7. Oktober 1844 in Pfaffenhofen a. d. Ilm geboren. Im Jahre
1869 legte er die Staatsprüfung ab. 1875 erhielt er ſeine erſte Anſtellung als funktionierender
Staatsanwalts⸗Subſtitut bei dem Bezirksgerichte in Straubing. Als Erſter landgerichtlicher Staats⸗
anwalt wurde er im Jahre 1891 zur Dienſtleiſtung in das Staatsminiſterium der Juſtiz berufen,
wo er im Jahre 1893 zum Regierungsrat, 1896 zum Oberregierungsrat und 1898 zum Minifterials
rat befördert wurde. In dieſer Stellung oblag ihm insbeſondere die umfangreiche Geſchaftsaufgabe
der allgemeinen Dienſtaufſicht über die Strafrechtspflege. Zugleich führte er lange Jahre den Vorſitz
in der Begnadigungskommiſfion. 1901 wurde er zum Generalſtaatsanwalt bei dem Oberſten Landes:
gerichte befördert und 1906 zum Senatspräſidenten bei dieſem Gerichte ernannt.
Joſeph von Payr vereinigte mit einem klaren und ruhig abwägenden Verſtand einen Scharf:
finn von eindringender Kraft. Er beherrſchte die verſchiedenen Zweige der Rechtswiſſenſchaft und
weite Gebiete des allgemeinen Wiſſens waren ihm vertraut. Offenen Auges verfolgte er die Er⸗
ſcheinungen des Lebens, um ſie in ihrem Zuſammenhange zu erfaſſen und die unerläßliche Grund⸗
lage eines ſicheren Urteils zu gewinnen. Nie ermüdete ſeine Schaffenskraft und Schaffensfreude.
Seine Pflichttreue iſt kaum zu übertreffen, ſie ließ ihn nicht raſten, als das todbringende Leiden ihn
bereits befallen hatte. Seiner reichen Lebenserfahrung entſprechend offenbarte von Payr als Richter
eine abgeklärte Denkweiſe. Nichts ſchien ihm mit den Aufgaben des Richters weniger vereinbar, als
das Haften an dem Buchſtaben des Geſetzes. Alle Beſtrebungen, die Rechtſprechung in Ueberein⸗
ſtimmung mit dem allgemeinen menſchlichen Empfinden und den Forderungen des Lebens zu bringen,
fanden ſeinen Beifall. Seine Bemühungen um die Förderung der Kriminaliſtik find weiteren Kreiſen
bekannt. Unter ſeinem Vorſitze wurde nicht eine Sache entſchieden, die er nicht zuvor aufs jorgiältigite
nach der tatjächlihen wie nach der rechtlichen Seite geprüft hatte. Manche die Allgemeinheit berührende
Frage, insbeſondere auf dem Gebiete des Polizeiſtrafrechts, verdankt in erſter Linie feiner umfaſſenden
Geſetzeskenntnis und ſeinem Scharfſinn eine befriedigende Löſung. Nicht wenige Urteile gerade in
ſchwierigen und verwickelten Fällen ſind mit ſeltener Gründlichkeit und ſicherer Beweisführung von
ihm ſelbſt verfaßt. Sein fördernder Einfluß auf die Rechtſprechung des Strafſenats kann nicht von
bloß vorübergehender Bedeutung ſein.
Wie von Payr in der Erfüllung feiner Berufspflichten gegen ſich ſelbſt unerbittlich ſtreng war, jo er:
wartete er auch von anderen, daß ſie die volle Kraft für die Aufgaben des Berufs einſetzen. Er war aber
ein Vorgeſetzter von unangreifbarer Gerechtigkeit und vornehmer Geſinnung und erwarb ſich durch ſeine
Offenheit und natürliche Liebenswürdigkeit auch im dienſtlichen Verkehr allgemeine Hochſchätzung.
Als Schriftſteller iſt er u. a. wiederholt mit gelegentlichen Abhandlungen in dieſer Zeitſchrift hervorge⸗
treten. In allen ſeinen Schriftwerken war er auf eine ſorgfältige Behandlung der Sprache beſonders bedacht.
Die bayerijche Rechtspflege hat durch den Tod Joſeph von Payrs einen ſchweren Verluſt erlitten.
34 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
Zur Frage der Unterſchriftsbeglaubigung
nach bayeriſchem Notariats rechte.
Von Reichsgerichtsrat Gottfried Schmitt in Leipzig.
In der letzten Nummer des Jahrgangs 1913 der
Blaͤtter für Rechtsanwendung unterzieht Herr Rechts⸗
anwalt Dr. Eugen Joſef in Freiburg i. B. die Frage
der „Beglaubigung der Unterſchriſt unbekannter
Beteiligter, insbeſondere in Bayern“, einer kriti⸗
ſchen Erörterung. Er beanſtandet, daß im Art. 35
des bayeriſchen Notariatsgeſetzes der $ 176 Abſ. 3
Satz 2 des Reichsgeſetzes über die Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf das Verfahren
bei der Beglaubigung von Unterſchriften für ent⸗
ſprechend anwendbar erklärt iſt. Nach ſeiner Mei⸗
nung iſt dieſe landesrechtliche Vorſchrift nicht nur
ſachlich ungerechtfertigt, ſondern auch im Wider⸗
ſpruch mit dem Reichsrecht und daher unverbindlich.
Ich bin entgegengeſetzter Meinung und ſehe
mich mit Rückſicht auf meine Beteiligung an dem
Zuſtandekommen der Vorſchrift des Art. 35 zur
Gegenäußerung veranlaßt, nicht wegen der prak⸗
tiſchen Bedeutung der Frage, die in Wirklichkeit
nur ſehr geringfügig iſt und Joſefs Angriff wohl
nicht veranlaßt hat, ſondern aus dem Grunde,
weil es nicht den Anſchein haben darf, als halte
ſich die bayeriſche Geſetzgebung nicht innerhalb der
Grenzen, die ihr durch das Reichsrecht gezogen find,
und weil es nicht dazu kommen ſoll, daß das Ver⸗
trauen der Beteiligten in die Gültigkeit der Ge⸗
ſetze geſchwächt wird. Eine Gegenäußerung ſcheint
mir auch um deswillen um ſo nötiger, weil die
bayeriſche Juſtizverwaltung erſt in allerjüngiter
Zeit die Geſchäftsordnung für die Notariate er⸗
neuert und dabei die dem Art. 35 des Notariats⸗
geſetzes entſprechende Vorſchrift des 8 206 Abſ. 3
der alten Geſchaftsordnung ſachlich unverändert
in den 3 233 der neuen Geſchäftsordnung über⸗
nommen, ſich alſo neuerlich zu derſelben Rechts⸗
anſchauung bekannt hat, die Joſef als irrig und
dem Reichsrecht zuwiderlaufend anficht. Und nun
zur Sache!
Nach 8 176 Abſ. 3 JGG. ſoll das gericht⸗
liche oder notarielle Protokoll über die Beurkun⸗
dung eines Rechtsgeſchäfts eine Angabe darüber
enthalten, ob der Richter oder der Notar die Be⸗
teiligten kennt, oder, ſofern dies nicht der Fall iſt,
in welcher Weiſe er ſich Gewißheit über ihre Per⸗
ſönlichteit verſchafft hat. Hieraus ergibt ſich der
Satz: „Der Richter oder Notar iſt verpflichtet, ſich
vor der Beurkundung Gewißheit über die Perſön⸗
lichkeit der Beteiligten zu verſchaffen.“ Bezüglich der
Beglaubigung von Unterſchriften ſchreibt 8 183 FGG.
vor, daß der Beglaubigungsvermerk die Bezeichnung
desjenigen enthalten muß, der die Unterſchriſt
vollzogen oder anerkannt hat. Hieraus ergibt ſich
ebenfalls ohne weiteres die Verpflichtung des Rich⸗
ters oder Notars, ſich vor der Beglaubigung Ge:
wißheit über die Perſönlichkeit des Unterſchreibenden
oder Anerkennenden zu verſchaffen. In dieſem
Punkt iſt alſo nach dem maßgebenden Reichsrecht
kein Unterſchied zwiſchen den Pflichten des Urkund⸗
beamten bei der Beurkundung und bei der Be⸗
glaubigung der Unterſchrift. Dagegen iſt bemerkens⸗
wert die Betonung der Pflicht zur Bezeichnung deſſen,
der unterſchrieben oder anerkannt hat, im Beglau⸗
bigungsvermerk. In dem Saͤtzchen: „Der Vermerk
muß die Bezeichnung ... enthalten“ liegt mehr, als
im erſten Augenblicke hervortritt. Es liegt darin
der Gedanke, daß gerade dieſe Bezeichnung das
Weſentliche an der Beglaubigung iſt, daß ohne
fie eine Unterſchriftsbeglaubigung im eigentlichen
Sinne des Wortes und im Sinne des 8 183 FGG.
unmoglich ift und nicht vorliegen kann. Die ſach⸗
liche Richtigkeit deſſen iſt einleuchtend. Denn die
Beglaubigung einer Unterſchrift durch einen Richter
oder Notar iſt nichts anderes als die amtliche Feſt⸗
ſtellung des Richters oder Notars, daß dieſe Unter⸗
ſchrift von der Perſon herrührt, als deren Unter⸗
ſchrift ſie abgegeben iſt und ſich darſtellt. In dieſer
amtlichen Feſtſtellung erſchöpft ſich die Beglaubi⸗
gung der Unterſchrift. Hiernach wird deutlich, warum
das Geſetz über die Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit, das in ſeinem zehnten Abſchnitt
lediglich die gerichtliche und notarielle Beurkundung
von Rechtsgeſchaften und die gerichtliche und notarielle
Beglaubigung von Unterſchriften und Handzeichen
reichsrechtlich regelt, zwar für die Beurkundung im
8 176 Abſ. 3 Satz 2 vorſchreibt:
„Kann der Richter oder der Notar ſich über
die Perſönlichkeit der Beteiligten Gewißheit nicht
verſchaffen, wird aber gleichwohl die Aufnahme
der Verhandlung verlangt, ſo ſollen der Sach⸗
verhalt und dasjenige, was zur Feſtſtellung der
Perſönlichkeit beigebracht worden iſt, in das
Protokoll aufgenommen werden“ 2
aber im $ 183 davon abſieht, eine ähnliche Vor⸗
ſchrift für den Fall der Beglaubigung einer Unter:
ſchrift oder eines Handzeichens zu geben. In
der Feſtſtellung des Notars oder des Richters,
daß jemand, von deſſen Perſönlichkeit er ſich keine
Gewißheit habe verſchaffen können, vor ihm die
Unterſchrift abgegeben oder anerkannt habe, würde
eben keine Beglaubigung der Unterſchrift im
eigentlichen Sinne des Wortes, ſondern eine Ab⸗
lehnung der Beglaubigung unter Vornahme einer
anderen Feſtſtellung liegen und, da das Reichs⸗
geſetz nur die Beglaubigung der Unterſchriſten im
eigentlichen Sinne des Wortes zum Gegenſtande
ſeiner Regelung gemacht hat, ſo hatte es hier
keinerlei Veranlaſſung zu einer Vorſchrift im Sinne
des 5 176 Abſ. 3 Satz 2.
In all dem ſtimmt Herr Rechtsanwalt Dr. Joſeſ
mit mir wohl überein. Unſere Wege trennen ſich
erſt von nun an. Er ſcheint zu meinen, daß es
im Sinne des Art. 35 des bayer. Not. liege, zu
beſtimmen:
„Der Notar kann in Bayern die Echtheit
einer Unterſchrift im Sinne des $ 183 GG.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 35
auch dann beglaubigen, wenn er ſich von der
Perſönlichkeit deſſen, der ſie vor ihm abgibt
oder anerkennt, keine Gewißheit verſchaffen kann.
Er hat in ſolchem Falle, wenn auf der Be⸗
glaubigung beſtanden wird, im Sinne des 8 176
Abſ. 3 Satz 2 FGG. zu verfahren. Die Be:
glaubigung hat dann alle Wirkungen einer ge
richtlichen oder notariellen Beglaubigung im
Sinne des 8 183 JGG.“
Sofern Herr Dr. Joſef den Art. 35 dahin
auslegt, täuſcht er ſich über Sinn und Tragweite
des bayeriſchen Geſetzes. Das bayeriſche Notariats⸗
geſetz iſt keineswegs nur Ausführungsgeſetz zum
GG., ſondern darüber hinaus beſtimmt, auf den
nicht unmittelbar vom Reichsrecht erfaßten Gebieten
die geſamte Amtstätigkeit der bayeriſchen Notare
zu regeln. Die Vorſchriften des Notariatsgeſetzes
dürfen darum nicht ohne weiteres als Ausführungs⸗
und Ergänzungsvorſchriften zum FGG. beurteilt
werden, ſondern es iſt ſtets auch zu erwägen, ob ſie
nicht ein Gebiet zum Gegenſtand haben, das außer⸗
halb des Rahmens des Reichsrechts liegt. Um ein
ſolches Gebiet aber handelt es ſich gerade hier. Das
FGG. erfaßt von den notariellen Geſchäften nur
die Beurkundung von Rechtsgeſchäften und die Be⸗
glaubigung von Unterſchriften und Handzeichen.
Es läßt die Beurkundung von Rechtsgeſchäften zu,
auch wenn der Notar nicht imſtande iſt, ſich über
die Perſönlichkeit der Beteiligten Gewißheit zu ver⸗
ſchaffen, es läßt die Beglaubigung d. h. die Be⸗
ſtätigung der Echtheit der Unterſchriſt, nicht zu,
wenn der Notar ſich über die Perſönlichkeit des
Unterzeichnenden oder Anerkennenden keine Gewiß⸗
heit verſchafft hat. Darüber aber, ob ein Notar, der
pflichtgemäß die Beſtätigung der Echtheit der Unter⸗
ſchrift verweigert, berechtigt iſt, den Hergang bei
dieſer Verweigerung feſtzuſtellen, enthält das Reichs⸗
recht keinerlei Beſtimmung. Es kann nicht aner⸗
kannt werden, daß das FGG. ſtillſchweigend —
nämlich durch ſein Stillſchweigen bei 8 183 im
Gegenſatze zu feinem Reden bei $ 176 — die Feſt⸗
ſtellung verbiete. Denn alle notarielle Tatigkeit,
die nicht Beurkundung eines Rechtsgeſchäfts, nicht
wirkliche Beglaubigung einer Unterſchrift oder eines
Handzeichens iſt, liegt jenſeits des Gebiets, das ſich
das FGG. gewählt hat, liegt in dem Gebiete, daß
das Reichsrecht dem Landesrecht überlaſſen hat. In
dieſem Rahmen iſt dann auch die Vorſchriſt des
Landesrechts berechtigt und in dieſem iſt ſie zu ver⸗
ſtehen. Art. 35 des Notariatsgeſetzes enthält, ſoweit
er den 8 176 Abſ. 3 Satz 2 für anwendbar erklärt, in
Wirklichkeit nichts anderes als folgende Gedanken:
„Kann der Notar, der um Beglaubigung einer
Unterſchrift angegangen wird, ſich von der Per⸗
ſönlichkeit deſſen, der die Unterſchrift abgibt oder
anerkennt, keine Gewißheit verſchaffen, ſo kann
er nach der Natur der Sache und nach $ 183
JGG. die Echtheit der Unterſchrift nicht feſtſtellen,
die Beglaubigung nach $ 183 FGG. nicht vor⸗
nehmen, ſondern muß die ſe Beglaubigung unter:
laſſen. Dies ſoll ihn aber nicht hindern, unter
Abſtandnehmen von ſolcher Beglaubigung auf
Wunſch der Beteiligten den Hergang ſo feſtzu⸗
ſtellen, wie es 8 176 JGG. für den ähnlichen
Fall bei der Beurkundung vorſieht!“
So verſtanden verſtößt die Vorſchrift weder gegen
den Begriff der Unterſchriftsbeglaubigung noch gegen
das Reichsrecht. Fraglich kann nur ſein, ob für
ſie ein Bedürfnis beſteht. Die bayeriſche Staats⸗
regierung hat dieſes Bedürfnis jederzeit ſehr ge⸗
ring eingeſchätzt, fie ſetzt im $ 233 (206) der Ge⸗
ſchäftsordnung ausdrücklich voraus, daß der Notar
eine ſolche Feſtſtellung in der Regel als nutzlos
ablehnen werde, ſieht aber andrerſeits bei der Not⸗
wendigkeit der Wahl zwiſchen Zulaſſen, Zweifel⸗
haftlaſſen und Verbieten auch keinen hinreichenden
Anlaß zu einem Verbot.
Daß mit Art. 35 des Notariatsgeſetzes endlich
nicht beabſichtigt ſein kann, wie Herr Rechtsanwalt
Dr. Joſef argwöhnt, den Perſonen, die Anſpruch
auf eine öffentlich beglaubigte ſchriftliche Erklärung
haben, zuzumuten, daß ſie ſich mit einer ſo be⸗
glaubigten, d. h. in Wirklichkeit nicht beglaubigten
Unterſchriſt begnügen, ergibt ſich aus dem Vor⸗
ſtehenden wohl von ſelbſt. Auch in dieſer Beziehung
ſind alſo die erhobenen Bedenken unbegründet.
Bayeriihe Eigenarten im Vormundſchafts⸗
weſen.
Von Amtsrichter Matthias Mahr in München.
Das BGB. hat dem Deutſchen Reiche auch auf
dem Gebiete des Vormundſchaftsweſens die Rechts⸗
einheit gebracht. Abgeſehen von rein formellen
Verſchie denheiten in der Aktenführung ſollten ſonach
im ganzen Deutſchen Reiche die Vormundſchafts⸗
ſachen völlig gleich behandelt werden. Von dieſer
idealen Rechtseinheit ſind wir aber in Wirklichkeit
noch recht weit entfernt. Wenn man öfter Vor⸗
mundſchaftsakten verſchiedener deutſcher Bundes⸗
ftaaten in die Hand bekommt, kann man die größte
Mannigfaltigkeit nicht bloß in nebenſächlichen Punk⸗
ten, ſondern auch in grundlegenden Fragen des
Vormundſchaftsweſens beobachten. So habe ich,
um hier nur ein Beiſpiel herauszugreifen, aus
württembergiſchen Vormundſchaftsakten erſehen, daß
dort beim Tode eines Vaters oder einer Mutter
im mer ſogleich eine Pflegſchaft für die minder:
jährigen Kinder angeordnet wird, um zu prüfen,
ob nicht die Auseinanderſetzung mit dem überleben⸗
den Elternteil zu begehren ſei. Bei uns wird be⸗
kanntlich keine Pflegſchaft eingeleitet, wenn der Vater
oder die Mutter erklärt, in Erbengemeinſchaft mit
den Kindern bleiben zu wollen.
Auch die Praxis der bayeriſchen Vormund⸗
ſchaftsgerichte zeigt viele Eigenarten, die in anderen
deutſchen Bundesſtaaten unbelannt ſind. Zum Teil
beruhen dieſe Eigenarten auf Vorſchriften unſerer
86 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
Vormundſchaftsordnung vom 19. Januar 1900
(JM Bl. S. 181 ff.), die ſich ziemlich weit in das
Gebiet des materiellen Rechts begeben hat, zum
Teil ſind ſie auf das Feſthalten an dem früheren
Rechtszuſtande zurückzuführen, dem gegenüber ſich
oft das neue Recht nicht einleben konnte.
Die folgenden Ausführungen wollen nur einige
der wichtigſten und auffälligſten baveriſchen Eigen:
arten auf dem Gebiete des Vormundſchaftsrechts
darſtellen und ihre Berechtigung prüfen.
1. Der Gegenvor mund.
Nach 8 1792 BGB. kann neben dem Vormund
ein Gegenvormund beſtellt werden. Ein Gegen⸗
vormund ſoll beſtellt werden, wenn mit der Vor⸗
mundſchaft eine Vermögensverwaltung verbunden
iſt, es ſei denn, daß die Verwaltung nicht erheblich
oder daß die Vormundſchaſt von mehreren Vor⸗
mündern gemeinſchaftlich zu führen iſt.
Beſitzt ein Mündel Vermögen, ſo ſollte Bier:
nach die Beigabe eines Gegenvormunds die Regel
fein; nur bei einfachen Vermögensverwaltungen
dürfte davon abgeſehen werden. In Bayern da⸗
gegen bildet die Beſtellung eines Gegenvormunds
eine ſeltene Ausnahme.) Auch bei ganz erheblichen
Vermögensverwaltungen vermißt man meiſtens den
Gegenvormund. Die Gründe, warum ſich dieſe Ein⸗
richtung bei uns nicht einbürgern konnte, dürften
im weſentlichen folgende ſein:
Die umfangreichen Ueberleitungsarbeiten beim
Inkrafttreten des BGB. mögen eine genaue Prüfung
der einzelnen Akten unter dem Geſichtspunkte des
81792 BGB. beeinträchtigt haben. Damals hätte
den Vormündern unter Hinweis auf das neue Recht
die Notwendigkeit der Beſtellung von Gegenvor⸗
mündern begreiflich gemacht werden können. War
aber dieſe Gelegenheit einmal verpaßt, ſo wurde
und wird die Beigabe eines Gegenvormunds meiſt
als Mißtrauen, häufig ſogar als Kränkung emp:
funden. Dieſe Verkennung des Weſens der Gegen⸗
vormundſchaft beſteht auch heute noch und jeder
Vormundſchaftsrichter wird beſtätigen, mit welchen
Schwierigkeiten in dieſer Hinſicht gekampſt werden
muß. Meiſt wird der Gegenvormund als ein über:
flüſſiger Ballaſt betrachtet, der die Verwaltung nur
hemmt und erſchwert. Der tiefere Grund hierfür
liegt in einer anderen bayeriſchen Eigenart, die
unter 2 erörtert werden ſoll, nämlich in der In:
tenſität der Aufſicht und Tätigkeit der bayeriſchen
Vormundſchaftsgerichte, die über den Rahmen des
Reichsrechts weſentlich hinausgeht. Man kann eben
nicht recht einſehen, warum zwiſchen Vormund und
Vormundſchaftsgericht noch eine Zwiſchenperſon ein⸗
geſchoben werden ſoll, wo doch ſchon das Vormund—
ſchaftsgericht ſich um jede Kleinigkeit kümmert und
alle einzelnen Maßnahmen des Vormunds über—
wacht. Dieſe Empfindung gewinnt eine gewiſſe
) Nach der Bayeriſchen Juſtizſtatiſtik für 1912 wurden
nur in 29 von 33 978 angeſallenen Vormundſchaſten
Gegenvormünder bejtellt.
Berechtigung durch die Tatſache, daß die Auſſichts⸗
tätigkeit des Gerichts bei uns um nichts geringer
iſt ſelbſt in den Fällen, wo wirklich ein Gegen⸗
vormund beſtellt iſt.
Gleichwohl iſt die bayeriſche Praxis mit dem
Geſetz (8 1792 BGB.) nicht in Einklang zu bringen.
Allerdings läßt 8 1792 BGB. dem Ermeſſen des
Vormundſchaftsgerichts einen weiten Spielraum;
er ermächtigt ihn aber nicht, die geſetzliche Regel
in das Gegenteil umzuwandeln. Der Mündel hat
ein geſetzliches Recht auf den verſtärkten Schutz,
den der Gegenvormund nach 8 1799 BGB. bieten
ſoll. Im Hinblick auf 8 1818 BGB. wäre dem
bayeriſchen Vormundſchaftsrichter daher anzuraten,
zum Mindeſten bei neu anfallenden Vormund⸗
ſchaften immer gewiſſenhaft die Frage zu prüfen,
ob nicht ein Gegenvormund zu beſtellen ſei.
2. Fürſorge und Aufſicht des Vormund⸗
ſchaftsgerichts.
Das Vormundſchaftsgericht hat über die ge⸗
ſamte Tätigkeit des Vormunds und des Gegen⸗
vormunds die Aufſicht zu führen und gegen Pflicht⸗
widrigkeiten durch geeignete Gebote und Verbote
einzuſchreiten — 81837 BGB. Es hat insbeſondere
die Rechnung des Vormunds zu prüfen — 8 1843
BGB. Zum eigenen Handeln für den Mündel
iſt es nur in den Fallen des $ 1846 BGB. befugt.
Das BGB. beruht hiernach auf dem Grundſatze
der Selbſtändigkeit des Vormunds. Dieſer iſt
der geſetzliche Vertreter des Mündels; er hat alles
zu tun, was im Intereſſe des Mündels zu tun iſt.
Und wenn er etwas tut, was nicht pflichtwidrig
iſt, muß ihn das Vormundſchaſtsgericht gewähren
laſſen und darf ihm keine gegenteiligen Anweiſungen
geben, mag auch die Handlungsweiſe des Vormunds
vielleicht nach Anſicht des Vormundſchaftsgerichts
nicht zweckmäßig ſein. Das ſchließt ſelbſtverſtändlich
nicht aus, daß der Vormundſchaftsrichter dem Vor⸗
mund an die Hand zu gehen und ihn nach beſtem
Willen und Gewiſſen zu unterſtützen hat ($ 12 der
bayeriſchen Vormundſchaftsordnung).
Aber die bayeriſche Praxis geht m. E. hierin
viel zu weit. Der bayeriſche Vormundſchaftsrichter
„regiert“ zu viel. Er ſetzt nicht ſelten ſeine Meinung
gegen die Anſicht des Vormunds durch und erteilt
dem Vormund bindende Aufträge in Faͤllen,
wo er ihm höchſtens einen Rat geben ſollte. Die
protokollariſchen Erklärungen der Vormünder in
den Akten ſind in vielen Fällen nicht Willens⸗
erklaͤrungen der Vormünder, ſondern des Richters,
der den Vormund das und das erklaͤren „laͤßt“.
Weitverbreitet in Bayern iſt auch das eigene
Handeln des Vormundſchaftsgerichts an Stelle des
Vormunds. Alles macht der Vormundſchaftsrichter.
Er erkundigt ſich nicht nur nach dem Aufenthalt
zahlungsſäumiger Kindsväter, ſondern ſchreibt
ihnen auch Mahnbriefe, er wendet ſich an die
Armenpflege um Unterſtützung, wenn der Mündel
hilfsbedürftig iſt, kündet „im Namen des Bor:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
munds“ Forderungen uſw. Und nun gar, wenn
dem Mündel irgendwo eine Erbſchaft anfällt oder
ſonſtiger Vermögenserwerb in Ausſicht ſteht. Da
lieſt man nicht ſelten, daß der Vormund gleich
von vorneherein dem Vormundſchaftsgericht Voll
macht erteilt, alle „geeignet erſcheinenden“ Schritte
in dieſer Sache zu unternehmen. Und der Vor⸗
mundſchaftsrichter unternimmt alle ihm geeignet
erſcheinenden Schritte, ohne zu bedenken, daß er
damit gegen den oberſten Grundſatz des Vormund⸗
ſchaftsrechts verſtößt, und ohne zu bedenken, daß
er damit den Vormund ſeiner Verantwortlichkeit
($ 1833 BGB.) entbindet und feine eigene Haftung
ins Ungemeſſene ſteigert.
Die Gründe für dieſe bayeriſche, dem Reichs⸗
recht fremde Praxis dürſten auch überwiegend in
dem Feſthalten an dem früheren Rechtszuſtande zu
ſuchen ſein. Es darf nicht wundernehmen, wenn
dabei die Vormünder ſich nie an Selbſtändigkeit
gewöhnt haben und es als ganz natürlich betrachten,
wenn der „Obervormund“ alles macht. — Und
es wird allerdings eine ſaure Arbeit ſein, die Vor⸗
münder zur Selbſtändigkeit zu erziehen. Dieſe
Arbeit muß aber geleiſtet werden, ſoll nicht noch
in hundert Jahren unſere alte Obervormundſchaft
beſtehen. — Sorgfältige Auswahl der Vormünder
bei ſchwierigen Sachen, Beigabe von Rechtsanwälten
als Vertreter bei verwickelten Angelegenheiten dürfte
zunächſt das wirkſamſte Mittel zur Beſſerung ſein.
Die Angſt davor, dem Mündel durch Aufſtellung
von Rechtsanwälten Koſten zu verurſachen, verſtehe
ich nicht. Warum ſollte ein Mündel hierin beſſer
geſtellt ſein als ein Volljähriger, der eine ſchwierige
Rechtsangelegenheit zu beſorgen hat?
3. Das Unterhaltsübereinkommen.
Die Unterhaltspflicht des Vaters eines unehe⸗
lichen Kindes beruht auf Geſetz. Die Leiſtungen
des Kindsvaters haben ſich nach dem jeweiligen
Bedarf zu richten. Eine Abmachung des Kinds⸗
vaters und des Vormunds über den Unterhalt iſt
Sache freier Vereinbarung und bedarf der Ge⸗
80310 des Vormundſchaftsgerichts — 81714
BGB. Ein Zwang, einen ſolchen Vertrag zu
ſchließen, kann nicht geübt werden.
Nach der Bayeriſchen Vormundſchaftsordnung
hat das Vormundſchaftsgericht entſprechend dem
früheren bayeriſchen Rechtszuſtande darauf hinzu⸗
wirken, daß ein Unterhaltsübereinkommen abge⸗
ſchloſſen wird. Zu dieſem Zweck iſt die Kindsmutter
und der Kindsvater vorzuladen. In den meiſten
anderen deutſchen Bundesſtaaten iſt dieſes Verfahren
nicht üblich.
Die vertragsmäßige Regelung des Unterhalts
hat zweifellos gewiſſe Vorteile. Zunächſt pflegt bei
dieſer Gelegenheit die Vaterſchaft in einer öffent⸗
lichen Urkunde feſtgeſtellt zu werden, ſo daß die
exceptio plurium nicht mehr erhoben werden kann
(8 1718 BGB.). Außerdem iſt die Höhe der Unter⸗
haltsrente ein für allemal ohne Rückſicht auf den
ne
87
jeweiligen Bedarf beſtimmt, jo daß Streit hierüber
unter den Beteiligten abgeſchnitten iſt. Endlich
bildet das Unterhaltsübereinkommen in der Regel
einen ſofort vollſtreckbaren Titel.
Anderſeits hat aber die bayeriſche Behandlung
der Unterhaltsfrage in der Praxis bedenkliche Nach⸗
teile gezeitigt. Die vertragsmäßig feſtgelegte Unter:
haltsrente iſt 16 Jahre lang unabänderlich. Auch
bei einer noch ſo einſchneidenden Veränderung der
Verhältniſſe find Kind und Vater an die verein-
barte Rente gebunden (vgl. im N hierzu die
durch Urteil feſtgeſetzte Rente, g 323 ZPO.). Zahl:
reich ſind hierüber die Klagen von Kindsmüttern
und Vormündern. In München insbeſondere, wo
ſich die Lebensverhältniſſe in den letzten Jahren fo
verteuert haben, ſind die Klagen ſehr lebhaft. Hier
wurden noch vor 8 und 10 Jahren häufig Unter:
haltsrenten von 8 und 10 Mk. monatlich mit
Genehmigung des Vormundſchaftsgerichts verein⸗
bart, und mit dieſen Beträgen ſollen jetzt Kinder
im Alter von 8 und 10 Jahren erzogen werden;
dies iſt geradezu unmöglich. Noch geringere Unter⸗
haltsbeträge wurden und werden heute noch vielfach
bei ländlichen Amtsgerichten vereinbart. Der Zug
nach der Großſtadt bringt aber mit ſich, daß viele
der ländlichen Kindsmütter ſich in den Städten
verheiraten und ihre vorehelichen Kinder mitnehmen.
Auch in dieſen Fällen ſtellen ſich dann bald die
Klagen über die niedrigen Alimente ein.
Dieſen Mißſtänden kann nur dadurch abgeholfen
werden, daß bei jedem Unterhaltsübereinkommen
der Vorbehalt der Erhöhung der Unterhaltsrente
gemacht wird. Das iſt früher faſt nie geſchehen und
geſchieht auch auf dem Lande heute noch ſelten.
Häufig find allerdings die Kindsväter nicht zu
bewegen, ihr Einverſtändnis mit einem ſolchen
Vorbehalt zu erklären. In dieſen Fällen halte ich
es für beſſer, überhaupt kein Unterhaltsüberein⸗
kommen zu treffen, ſondern nur das Vaterſchafts⸗
bekenntnis zu beurkunden und im übrigen abzu⸗
Be wie der Kindsvater feine Unterhaltspflicht
erfüllt
Sind verkündete amtsgerichtliche Veſchlüſſe
im Parteibetrieb oder 67 Amts wegen
zuzuſtellen?
Von Amtsrichter Haus —³ in München.
Die Beantwortung dieſer Frage iſt befonders
im Offenbarungseids verfahren von Be:
deutung, weil nach $ 900 Abſ. 3 ZPO. die Eides⸗
leiſtung erſt nach Rechtskraft der Entſcheidung über
den vom Schuldner gegen ſeine Verpflichtung zur
Eidesleiſtung erhobenen Widerſpruch erzwungen
werden kann; ſie ſpielt in dieſer Hinſicht um ſo
1) Unter beſonderer Berückſichtigung der Stellung
der Münchener Gerichte.
88 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
mehr eine ziemlich bedeutende Rolle, weil die Er⸗
hebung von Widerſprüchen durchaus nichts ſeltenes
iſt und faſt ſtets aus offenſichtlich haltloſen Gründen
und nur zu dem Zweck erfolgt, dadurch die Eides⸗
leiſtung möglichſt hinauszuſchieben. Das Anſehen
des Gerichts und das berechtigte Intereſſe des
Glaͤubigers erfordern es in dieſen Fallen, daß der
den Widerſpruch zurückweiſende Beſchluß möglichſt
ſchnell und ſicher der Rechtskraft zugeführt wird.
Es iſt deshalb bedauerlich, daß in der Frage,
wie dies zu geſchehen hat, ob durch Zuſtellung im
Parteibetrieb oder von Amts wegen, eine ziemliche
Rechtsunficherheit beſteht.
Vor Einführung der Zivilprozeßnovelle vom
1. Juni 1909 war die Rechtslage klar: die Zu⸗
ſtellung hatte im Parteibetrieb zu erfolgen. Die
Streitfrage entſtand erſt durch den neuen § 496
Abſ. 1, der für das amtsgerichtliche Verfahren be⸗
ſtimmt, daß die Zuſtellungen unbeſchadet der Vor⸗
ſchrift des 8 317 Abſ. 1 von Amts wegen zu er⸗
folgen haben; ſie wird hervorgerufen durch den
Umſtand, daß $ 496 Abſ. 1 den von der Zuſtellung
der Beſchlüſſe handelnden 8 329 nicht unbe:
rührt läßt, während andererſeits in $ 329 Abſ. 2
auf den in § 496 Abſ. 1 vorbehaltenen § 317
Abſ. 1 Bezug genommen iſt.
Schon kurz nach Einführung der Novelle hatte
das Landgericht München I Gelegenheit, zu
der Frage Stellung zu nehmen; im Beſchluß vom
25. April 1910, Beſchw.⸗Reg. 202, führte es aus:
Von dem Amtsbetrieb in amtsgerichtlichen Zu⸗
1 find gem. 8 496 Abſ. 1 der Novelle mit
8 317 Abſ. 1 ZPO. nur die Urteile ausgenommen.
Die Motde zu dieſer Ausnahme und der Umſtand,
daß in 8 496 Abſ. 1 der 8 329 Abſ. 2 ZPO. keine
Erwähnung gefunden hat, laſſen keinen Zweifel dar⸗
über, daß der Geſetzgeber die (verkündeten) Be⸗
ſchlüſſe nicht von der Offizialzuſtellung ausnehmen
wollte. Es iſt daher nicht angängig zu folgern: weil
nach 8 329 Abſ. 2 ZPO. die Zuſtellung der (verkündeten)
Beſchlüſe wie die der Urteile nach 8 317 Abſ. 1 dem
Betreiben der Parteien überlaſſen iſt, deshalb muß ſich
die Ausnahme des 8 496 Abſ. 1 auch auf die in 8 329
Abſ. 2 erwahnten Beſchlüſſe beziehen. Vielmehr erfordert
die Anwendung des 8 496 Abſ 1 die Zuſtellung des
. Beſchluſſes im Wege des Amts be⸗
triebs. Die Beſtimmung des 8 329 Abſ. 3, wonach
nur die nicht⸗ verkündeten Beſchlüſſe von Amts wegen
zugeſtellt werden muſſen, bildet kein Hindernis. Die
Benimmungen des 8 329 finden nach 8 495 auf das
Verfahren vor dem Amtsgericht nur Anwendung, ſoweit
nicht in den beſonderen für das amtsgerichtliche Ver-
fahren getroffenen Beſtimmungen Abweichungen enthalten
find. Letzteres iſt aber nach der Novelle vom I. Juni 1909
in 8 496 Abſ. 1 der Fall.
Das Amtsgericht München (Vollſtreckungs⸗
gericht) hat ſich dieſe Rechtsanſchauung in feſtſtehen⸗
der Rechtſprechung und Praxis zu eigen gemacht,
indem es feitdem, alſo 3'/s Jahre lang, alle auf
Widerſpruch des . er⸗
gehenden Beſchlüſſe von Amts wegen zuſtellen
berechneten Beſchwerdefriſt auf Antrag des Bläu:
bigers neuen Termin zur Abnahme des Eides be⸗
ſtimmte und bei Nichterſcheinen des Schuldners in
dieſem Termin den etwa beantragten Haftbefehl
zur Erzwingung der Eidesleiſtung erließ.
Neuerdings hatte ſich nun auch das Ober⸗
landesgericht München mit dieſer Streitfrage
zu befaſſen. Mit Beſchluß vom 27. Oktober 1913,
Beſchw.⸗Reg. 692, hat es ausgeſprochen, daß die
Zuſtellung verkündeter amtsgerichtlicher Beſchlüſſe
im Parteibetrieb zu erfolgen habe. Die Akten⸗
lage iſt aber leider derart, daß man von einer
grundſätzlichen Stellung des Oberlandes⸗
gerichts nicht gut ſprechen kann; der Hergang iſt
folgender: Der Gläubiger B. begehrte von ſeinem
Schuldner H. die Leiſtung des Offenbarungseides;
im Termin vom 18. September 1913 beſtritt H.
ſeine Verpflichtung zur Eidesleiſtung; der Wider⸗
ſpruch wurde durch ſofort verkündeten Beſchluß
zurückgewieſen; dieſer Beſchluß wurde am 27. Sep⸗
tember von Amts wegen und am 1. Oktober im
Parteibetrieb zugeſtellt; am 15. Oktober erhob H.
gegen den Beſchluß ſofortige Beſchwerde zum Land⸗
gericht München I, das am 16. Oktober entſprechend
ſeiner langjährigen Rechtsanſchauung die Beſchwerde
mit einem Satz als verjpätet und ohne weiteres
Eingehen auf ihren Inhalt zurückwies; auf weitere
Beſchwerde hat dann das Oberlandesgericht, das
von der feſtſtehenden gegenteiligen Rechtſprechung
ſeiner beiden unteren Inſtanzen und den hiefür
maßgebenden Gründen anſcheinend keine Kenntnis
hatte, den landgerichtlichen Beſchluß autgepoben,
wobei es ohne jede nahere seen ung
(nur unter Bezugnahme auf 88 496 I, 317, 329
ZPO. und auf die Kommentare von Gaupp⸗ Stein
und Förſter⸗Kann und die bei Gaupp⸗Stein an⸗
geführten Entſcheidungen und Schriftſteller) aus⸗
ſprach, daß „die Friſt für die Einlegung der ſo⸗
fortigen Beſchwerde erſt mit der am 1. Oktober 1913
auf Parteibetreiben erfolgten Zuſtellung“ begann.
Hiezu möchte ich folgendes bemerken:
8 496 Abſ. 1 ZPO. lautet: „Die Zuſtellungen
erfolgen unbeſchadet der Vorſchrift des §317 Abſ. 1
von Amts wegen“. Davon, daß auch $ 329 Abſ. 2
unberührt bleibt, iſt im Geſetz nichts enthalten;
wer dies trotzdem behaupten will, muß für ſeine
Anſicht Gründe anführen; der bloße Hinweis auf
Gaupp⸗Stein und Förſter⸗Kann kann als
ausreichende Begründung nicht betrachtet werden;
denn durch die bloße Tatſache, daß eine Rechts⸗
anſicht von verſchiedenen Seiten aufgeſtellt iſt, wird
die Richtigkeit dieſer Anſicht noch nicht bewieſen;
und leider laſſen es eben auch Gaupp-Stein und
Förſter⸗Kann an einer Begründung ihrer
Meinung fehlen. Freilich ſind in beiden Kom⸗
mentaren für die Richtigkeit ihrer Rechtsanſchauung
verſchiedene Literaturnachweiſe gebracht, auf die das
Oberlandesgericht ja mittelbar ebenfalls Bezug
| nimmt; mit dieſen Literaturnachweiſen hat es aber
ließ, nach Ablauf der von dieſer Zuſtellung ab |
folgende Bewandtnis:
a) bei Gaupp⸗Stein und Förſter-Kann iſt Be⸗
zug genommen auf einen Aufſatz von Craſemann
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 39
(DIZ. 16, 255); der hier einſchlägige Inhalt dieſes
Aufſatzes, der übrigens unſere Frage nur nebenher
berührt, läßt ſich kurz folgendermaßen zuſammen⸗
faſſen: Gaupp⸗Stein wurde nach Erſcheinen des
anläßlich der Novelle von 1909 zur 9. Auflage
herausgegebenen Anhangbandes irrtümlich die
Meinung unterſchoben, daß er aus 8 497 3 PO.
folgere, daß auch das Verfahren über den Wider⸗
ſpruch des Offenbarungseidsſchuldners dem Amts⸗
betrieb unterſtellt ſei; Craſemann weiſt dieſe ver⸗
meintliche Anſicht von Gaupp⸗Stein zurück und
führt dann weiter aus: „Ueber die Art der Zu⸗
ſtellung von Entſcheidungen, die im Offenbarungs⸗
eidesverfahren, insbeſondere in Gemäßheit des 8 900
Abi. 3 ZPO. ergehen, find keine Vorſchriften durch
die Novelle getroffen; es müſſen daher die allge⸗
meinen Beſtimmungen der ZPO. über Zuſtellung
von Beſchlüſſen zur Anwendung kommen. Nach
dem Grundſatz des § 329 3PO. muß ein ſolcher
Beſchluß, welcher in der Regel auf Grund einer
mündlichen Verhandlung ergeht und daher ver⸗
kündet wird durch die Partei, nicht
von Amts wegen zugeſtellt werden.“ Von einer
Auseinanderjegung mit dem Inhalt des
hier einſchlägigen $ 496 Abſ. 1 iſt in
dem ganzen Aufſatz keine Rede.
1 b) Bei Gaupp-Stein iſt ferner hingewieſen auf
eine Entſcheidung des OLG. Kolmar und auf
einen Aufſatz von Weig;; erſtere iſt abgedruckt im
Jahrgang 1903 der Juriſtiſchen Zeitſchrift ſür das
Reichsland Elſaß- Lothringen, letzterer im Jahrgang
1899 der Juriſtiſchen Wochenſchrift; beide ſtammen
alſo aus einer Zeit, wo ſicher noch niemand an die
Novelle von 1909 und deren 8 496 Abſ. 1 ge:
dacht hat.
c) Bei Gaupp⸗Stein wird endlich eine 1910
veröffentlichte Entſcheidung des LG. Hamburg
angeführt, die mir nicht zugänglich war, aber als
Entſcheidung eines Gerichts mittlerer Inſtanz
jedenfalls nicht von ausſchlaggebender Bedeutung
ſein kann, zumal ja das Landgericht München I,
wie oben ausführlich dargelegt, in gegenteiligem
Sinn entſchieden hat.
Für die Zuſtellung im Parteibetrieb, jedoch
ebenfalls ohne Anführung von Gründen, ſpricht
ſich bei 8 496 Abſ. 1 auch Neumiller aus.
Die geſamte übrige Literatur ſcheint der An⸗
ſicht zuzuneigen, daß auch verkündete amtsgericht⸗
liche Beſchlüſſe von Amts wegen zuzuſtellen ſind;
ich möchte hier anführen:
a) Delius, zu 3496 Abſ. 1: „Die Zuſtellung
der Urteile und gerichtlichen Vergleiche erfolgt
nicht von Amts wegen, ſondern auf Partei⸗
betrieb“.
b) Neukamp, zu 8 496 Abſ. 1: „Die Zu:
ſtellung der Urteile erfolgt ausnahmsweiſe
im Partei betrieb“.
c) Seuffert, zu 8496 Abſ. 1: „Für die
Zuſtellung der Urteile verbleibt es bei dem
Parteibetrieb (8 317 Abſ. 1)“.
d) Skonietzki⸗Gelpcke, zu $ 496 Abſ. 1:
„Der Parteibetrieb bei der Urteilszuſtellung
gilt für alle der Zuſtellung bedürftigen Urteile“.
Bei 8 900 Abſ. 3 kommen nur Neukamp und
Seuffert ?) einigermaßen auf die Frage zurück; fie
tun dies aber in etwas unklarer Weiſe, indem ſie
ausſprechen, daß nichtverkündete Beſchlüſſe von
Amts wegen zuzuſtellen ſind, waͤhrend ſie ſich über
die Zuſtellung der verkündeten Beſchlüſſe nicht
äußern. Im übrigen ſind auch bei 8 496 Abſ. 1 bei
keinem der vier Kommentare nähere Ausſührungen
enthalten; jedoch dürſte aus der Tatſache, daß ſie
in dem gegebenen Zuſammenhang nicht auch von
der Zuſtellung der Beſchlüſſe reden, zu folgern
ſein, daß fie die in $ 496 Abſ. 1 beſtimmte Aus⸗
nahme von der Regel des Amtsbetriebs nicht auch
auf Beſchlüſſe ausgedehnt wiſſen wollen. In nicht
mißzuverſtehender Weiſe drückt ſich in dieſer Hinſicht
e) Struckmann⸗Koch aus, der zu $ 496
Abſ. 1 ausführt: „Nur für die Urteilszu⸗
ſtellung iſt zur Vermeidung überflüſſiger
Zuſtellungen der Parteibetrieb beibehalten
worden; dies gilt auch für Vergleiche“ und
zu 8 900 Abſ. 3: „Gegen die (von Amts
wegen zuzuſtellende) Entſcheidung ſteht beiden
Teilen die ſofortige Beſchwerde zu“.
Dieſe Ausführungen von Struckmann⸗Koch
entſprechen dem klaren Wortlaut des Geſetzes und
der allgemein anerkannten Regel, daß eine aus⸗
dehnende Auslegung von Sondervorſchriften unzu⸗
läſſig iſt; denn gegenüber der Beſtimmung, daß
im amtsgerichtlichen Verfahren alle Zuſtellungen
von Amts wegen zu erfolgen haben, bilden die
Worte „unbeſchadet der Vorſchriſt des 8317 Abſ. 1“
unzweifelhaft eine Ausnahmevorſchrift.
Auch die Entſtehungsgeſchichte des
Geſetzes weiſt darauf hin, daß dieſe Vorſchrift
bewußt nur für Urteile, nicht auch für Beſchlüſſe
getroffen werden ſollte.
Die Begründung der Novelle (Reichstagsver⸗
handlungen 1908, Anlagenband 246 S. 4568)
ſchildert bei $ 496 Abſ. 1 zunächſt die Vorzüge
der dem Gewerbegerichtsgeſetz nachgebildeten Zu⸗
ſtellung von Amts wegen und fährt dann fort:
„Nur für die Zuſtellung der Urteile ſoll es bei dem
Parteibetrieb verbleiben. Dies beſtimmt der Abſ. 1, in⸗
dem er die Vorſchrift des 8 317 Abſ. 1 auch für das
amtsgerichtliche Verfahren unbeſchränkt aufrecht erhält.
Obwohl darin eine Abweichung von dem Verfahren vor
den Gewerbe⸗ und Kaufmannsgerichten liegt, ſo empfiehlt
ſie ſich doch, um den Parteien die Möglichkeit zu erhalten,
die Zwangsvollſtreckung gleichzeitig mit den nach 88 750,
751 erforderlichen Zunellungen vornehmen zu laſſen;
bei der Zuſtellung von Amts wegen würde das aus—
geſchloſſen ſein. Auch werden durch eine ſolche Regelung
überflüſſige Zuſtellungen vermieden .... Wie im Geſeßz
einer beſonderen Hervorhedung nicht bedarf, ſind auch
Vergleiche, welche vor dem Amtsgericht adgeſchloſſen
werden, nicht von Amts wegen zuzuſtellen. Die Zuſtellung
eines Vergleichs iſt nur erforderlich, wenn aus ihm eine
Zwangsvollſtreckung ftattfinden ſoll; die Zuſtellung iſt
) Von Stonietzki liegt der zweite Band noch nicht vor.
40 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
daher 1 ebenſo wie die anderer vollſtreck⸗
barer Urkunden von der Partei zu betreiben.“
Die Gründe, die hier für die durch Hinweis
auf 8 317 Abſ. 1 gemachte Ausnahme angeführt
find, treffen im allgemeinen nur für Urteile zu,
nicht aber für Beſchlüſſe und insbeſondere nicht für
Beſchlüſſe, durch die der Widerſpruch des Schuldners
gegen ſeine Verpflichtung zur Leiſtung des Offen⸗
barungseides zurückgewieſen wird; denn aus dieſen
Beſchlüſſen findet weder eine Zwangsvollſtreckung
Kleine Mitteilungen.
Die vorlänſige Einſtellung nach $ 208 StPO. Nach
8208 StOP. kann das Gericht, wenn ein Verfahren
mehrere derſelben Perſon zur Laſt gelegte Handlungen
betraf und für die Strafzumeſſung die Feſtſtellung des
e 93 5 5 e 1
auf Antrag der Staatsanwaltſchaft beſchließen, da
das Verfahren wegen der Straffälle, deren Feſtſtellung
für die Strafe unweſentlich iſt, vorläufig eingeſtellt
a werde. Dieſe Vorſchrift, von der um der Vereinfachung
1 noch wird ei Ale um en des Verfahrens und der Koſtenerſparnis willen mög⸗
überfläffig ſein, weil fie im Gegenſatz zu den Ur⸗ lichſt häufig Gebrauch gemacht werden ſollte, ſcheint
teilen nicht die Inſtanz beendigen, ſondern nur ihrem Wortlaut nach nicht den Fall zu treffen,
ein Hindernis aus dem Wege räumen, das vom daß die weiteren Straffälle nach der Urteilsfällung
Schuldner der 5 des ge ar un Kenntnis nn aan on ne bat
gegengeſetzt wird. Der Umſtand, daß es die Be⸗ auch das baveriſche . in ſeinem Beſchluß vom
gründung für nötig hielt, neben den Urteilen auch 27. Dezember 1905 (Bd. VI S. 253) entſchieden, und
die Vergleiche zu erwähnen, während der Beſchlüſſe es hat auch in einer Entſcheidung vom 13. Dezember
% P.; 1913 ſeinen Standpunkt nicht verlaſſen. Die Begrün⸗
mit keinem Wort Erwähnung geſchah laßt eben: dung beruht im weſentlichen darauf, daß das Geſetz
falls darauf ſchließen, daß von der Ausnahme nur dung '
; nur eine vorläufige Einſtellung zulaſſen wollte, daß
r auch die Beſchlüſſe betroffen aber dieſe Einſtellung natürlich endgültig fein müßte,
0 . wenn ſie nach dem Urteil erfolgen würde.
Der Reichstagskommiſſion (Anlagenband 254 Dieſe Auslegung des Geſetzes kann unmöglich
S. 8038) lag der Antrag vor, dem 8 496 Abſ. 1 richtig fein. Denn fie würde entweder dazu führen,
30. folgende Faſſung zu geben: „Die Zuſtel: daß ein Unrecht an dem Angeklagten begangen wird
lungen, auch der Urteile, erfolgen unbeſchadet der oder daß eine leere Form erfüllt wird. Beides kann
Vorſchrift des 8 198 von Amts wegen“. Der aber nicht der Wille des Geſetzgebers geweſen ſein.
Regierungsvertreter trat dem Antrag mit ſolgenden Man N 15 155 den 1
Ausführungen entgegen: wegen erbrechen un erge en lebſta
„Würden die Urteile von Amts wegen zugeſtellt, ſo zu etwa 4 Jabren 55 verurteilt
würden ſich zunächſt die Zuſtellungen mindenens ver⸗ und befindet ſich zur Verbüßung der Strafe im Ge
doppeln, weil beiden Parteien zugeſtellt werden müßte. fängnis. Hinterher wird noch ein geringes Vergehen
Es würden auch abgeſehen davon viele unnütze Zu⸗ | angezeigt. Es iſt ohne weiteres klar, daß die Geſamt⸗
ſtellungen erfolgen, weil zahlreiche Streitigkeiten ſich nach ſtrafe nicht höher ausgefallen wäre, wenn die neue Tat
Verkündung des Urteils durch Zahlung, Vergleich uſw. dem Gerichte ſchon zur Zeit des Urteils bekannt ges
erledigen, ohne daß das Urteil zugeſtellt wird. Der weſen wäre. Nun ſoll der Staatsanwalt trotzdem
Regierungsentwurf beſtrebe fi, überflüifige Zuſtellungen gezwungen ſein, Anklage zu erheben. Was iſt die Folge?
zu vermeiden; außerdem bringe der Antrag den Nachteil Entweder d A klagte erhält i d Ver⸗
mit ſich, daß die Parteien nicht mehr über den Lauf der ntweder der Angellagie er in ber neuen er
Rechtsmittelfriſt des Urteils verfügen könnten, zum min, bandlung eine Zuſatzſtrafe, wenn auch nur von 1 Tage:
deſten genötigt ſeien, dei Gericht ausdrücklich zu bean⸗ dann geſchieht ihm ſicher Unrecht, denn es geht doch
tragen, daß das Urteil nicht zugeſtellt wird.“ nicht 1 900 Dan > ſtellen, en, 15 re
2 Mr einem Grunde, den er nicht zu vertreten hat, die Sache
Der Antrag wurde hierauf abgelehnt; ſein erſt nachträglich abgeurteilt werden konnte. Oder das
Inhalt und die Ausführungen des Regierungs⸗ | a
Gericht Stellt ſich auf den allein richtigen Standpunkt
vertreters zeigen aber, daß auch die Kommiſſion und verurteilt ihn zwar zur Strafe, beläßt es aber
bei der in 8 496 Abſ. 1 beſtimmten Ausnahme bei der früheren Gefamtitrafe: dann iſt doch die neue
Ei 17 . 3 Auge an — 0 br 55 5 zu der Sn die Ladung 170 Reihe
inſchränkung als zu einer Ausdehnung dieſer Aus- von Zeugen und die Verſchubung des Angeklagten
nahme geneigt war. nötig war, wirklich nichts als eine Farce, wie ſie ſchon
Angeſichts dieſer Verhältniſſe erſcheint es nicht um des Anſehens der Gerichte willen vermieden werden
ausgeſchloſſen, daß das Oberlandesgericht München müßte. . |
in einem künftigen Fall ſeine Rechtsanſchauung Das Ob“ G. hält ſich bei feinen Entſcheidungen zu
i 5 ſehr an den Buchſtaben und überſieht dabei den Sinn
ändert, wenn auch leider kaum zu erwarten iſt, |
TR des Geſetzes. Der Geſetzgeber hat nicht etwa nur eine
daß es ſich in abſehbarer Zeit wieder mit diefer borläufige Einſtellung zugelaſſen und eine endgültige
Frage zu befaſſen hat. Einſtweilen haben ſich die
N f . Einſtellung verboten, ſondern er hat eben nur an den
Vollſtreckungsrichter des Amtsgerichts München aus erſten Fall gedacht, den zweiten aber nicht in den Kreis
praktiſchen Gründen dahin geeinigt, es bis auf ſeiner Erwägungen gezogen. Ich wüßte nicht, was im
weiteres bei der bisherigen Uebung zu belaſſen, Wege ſtehen ſollte, die Anwendung des 8 208 SPO.
d. h. die Beſchlüſſe von Amts wegen zuzuſtellen im Wege der Analogie auch auf Fälle der zweiten Art
und die Rechtsmittelfriſt vom Tag der Amtszu- auszudehnen. Man hält ſich ja auch ſonſt nicht an
ſtellung an zu berechnen. den genauen Wortlaut der Beſtimmung: denn ſonſt
dürfte auch nicht wegen Uebertretungen neben Ver⸗
brechen oder Vergehen vorläufig eingeſtellt werden,
Zedttſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
weil ja da immer neben der Zuchthaus⸗ oder Gefängnis⸗
ftrafe auf Haft oder Geldſtrafe erkannt werden müßte,
und ebenſowenig bei mehreren Verbrechen des Be⸗
trugs i. R., weil da ſtets neben der Zuchthausſtrafe
auch Geldſtrafen ausgeſprochen werden müßten, und
inſoweit alſo die weiteren Fälle nicht als für die
Strafzumeſſung unweſentlich erſcheinen können.
Meines Wiſſens ſtellen ſich auch die meiſten Straf⸗
kammern auf den hier vertretenen Standpunkt und
weichen fomit bewußt von dem des Ob“. ab.
Schwieriger iſt die Frage, wie es zu halten ſei,
wenn die weitere Tat in einem anderen Gerichtsbezirk
begangen worden iſt wie in dem des Urteils. M. E.
ſollte dann der Staatsanwalt, der die früheren Sachen
angeklagt hat, die neue Sache in analoger Anwendung
des 8 13 StPO. übernehmen und Antrag nach 8 208
ſtellen. Wenn das Gericht hierauf nicht eingehen würde,
bliebe nichts übrig, als daß der Staatsanwalt trotz
der Beſtimmung in 5 152? StPO. ſelbſt die Einſtellung
in analoger Anwendung des 8 208 verfügte. Ich ver⸗
kenne nicht, daß das eine etwas gewaltſame Ausdehnung
dieſer Beſtimmung wäre; aber es wäre immer noch
weit beſſer als die Herbeiführung einer ſinn⸗ und
zweckwidrigen neuen Verhandlung.
II. Staatsanwalt Reuß in Augsburg.
Form des Schuldnerverzeichniſſes nach § 915 390.
Das Verzeichnis der Schuldner, die den Offenbarungs⸗
eid geleiſtet haben oder gegen die wegen Eidesver⸗
weigerung die Haft verhängt wurde, wird auf Grund des
8915 3 PO. und der 88 156 ff. der Geſchäftsanweiſung für
die Gerichtsſchreibereien der Amtsgerichte in Zivilſachen
in einer Form geführt, die den Bedürfniſſen des Ver⸗
kehrs kaum entſpricht. Hundertmal am Tag wird bei
größeren Gerichten angefragt, ob der oder jener im
Schuldnerverzeichnis eingetragen ſei, hundertmal muß
dann der Beamte nicht ein, ſondern fünf Verzeichniſſe
nachſchlagen, weil zu jedem Jahresheft der in 8 915
Abſ. 2 ZPO. vorgeſchriebenen Löſchung wegen ein
geſondertes Namensverzeichnis geführt wird: dieſe
Namensverzeichniſſe ſelbſt find zwar nach den 25 Buch⸗
ſtaben des Alphabets eingeteilt, innerhalb des ein⸗
zelnen Buchſtabens aber ſtehen die Namen ungeordnet
der Reihenfolge des Eintrages nach, ſo daß der nach⸗
ſchlagende Beamte mit geſpannter Aufmerkſamkeit
Zeile für Zeile leſen muß, um den geſuchten Namen
nicht in den vielen Seiten zu überſehen, die ein häufiger
Anfangsbuchſtabe wie E oder M füllt.
Privatunternehmer haben längſt die Vorteile der
Kartenverzeichniſſe (ſog. Kartotheken) erkannt; auch
unſere Behörden ſollten ſolche Hilfsmittel ſich zunutze
machen, ſo gut wie ſie allenthalben Schreibmaſchinen
und Vervielfältigungsmittel verwenden. Das Geſetz
ſteht nicht im Weg, da es über die Geſtaltung des
Verzeichniſſes keine näheren Vorſchriften macht; aber
auch die Geſchäftsanweiſung läßt das Kartenverzeichnis
zu; denn das Schuldnerverzeichnis ſelbſt (Anl. 33) könnte
beibehalten werden, nur das in 8 156 Abſ. 3 für den
Bedürfnisfall angeordnete Namensverzeichnis wäre als
Kartenregiſter anzulegen; die Form dieſes Namens⸗
verzeichniſſes iſt aber nicht vorgeſchrieben. Es können
alſo ohne weiteres die Namensverzeichniſſe zu den
fünf Jahresheften zuſammengelegt werden; wenn der
Schuldner nach Ablauf der fünf Jahre aus dem Ver⸗
—— 2 —— . ̃ N—NNUU—b———ů— ———— —ZA¹äũ— l ̃ ͤ wÿmUʒ— —̃ — — ͤ —— 'F— —2ę+:ñ
41
zeichnis zu löſchen iſt, wird die Karte ausgehoben und
vernichtet.
Noch zweckmäßiger wäre es freilich, das Schuldner⸗
verzeichnis ſelbſt mit den in Anl. 33 GAGSchr. vor⸗
geſehenen Angaben als Kartenregiſter anzulegen, dann
iſt ein eigenes Namensverzeichnis überflüſſig und es
genügt ein Griff ins Kartenregiſter, um die Angaben
über die zu verſchiedenen Zeiten erlaſſenen Haftbefehle,
Konkursanträge und die ſchließliche Eidesleiſtung auf
einer Karte vereint vorzufinden.
Die Einrichtungen der Kartenregiſter (mit Sperr⸗
vorrichtungen u. dgl.) ſind ſo vervollkommnet, daß
Verwirrung der Reihenfolge oder Verluſt einzelner
Blätter nicht zu beſorgen iſt: werden doch auch die
nicht minder wichtigen Strafregiſter in Form von
Blattſammlungen geführt.
Rechtsanwalt Levinger in München.
Aus der Nechtſprechung.
Reichsgericht.
Zivilſachen.
I.
Anwendung des 8 104 Kr. 2 BGB. auf einen Geiftes:
kranken mit „lichten Zwiſchen räumen“. Aus den
Gründen: Das OL. ſtellt feſt, daß die Erblaſſerin
zur Zeit der Errichtung des Teſtaments oder, wie es
an einer anderen Stelle des Urteils heißt, bei der Er⸗
richtung des Teſtaments „dauernd“ an einer krankhaften
Störung der Geiſtestätigkeit gelitten habe, durch die ihre
freie Willensbeſtimmung ausgeſchloſſen geweſen ſei.
Gegen dieſe Feſtſtellung und die darauf gegründete An⸗
nahme, daß das Teſtament wegen Geſchäͤfts unfähigkeit der
Erblaſſerin nichtig ſei (8 104 Nr. 2, § 105 Abſ. 1 BGB.)
wendet ſich die Reviſion. Nach dem Ergebniſſe der Be⸗
weisaufnahme könne darüber kein Zweifel beſtehen, daß
die Erblaſſerin, wenn ſie geiſteskrank geweſen ſein ſollte,
nicht etwa an einer ſolchen Erkrankung gelitten habe,
die ſie dauernd und ununterbrochen geſchäftsunfähig
gemacht habe, ſondern nur an einer ſolchen Störung,
die ſog. lichte Zwiſchenräume von erheblicher Zeit⸗
dauer zugelaſſen habe, in denen volle Geſchäftsfähigkeit
beſtanden habe. Allein mit der Annahme des OL G., daß
die Erblaſſerin „dauernd“ an Verfolgungswahnſinn ges
litten habe, iſt dem, was die Reviſion von, lichten Zwiſchen⸗
räumen“ in dem Zuſtande der Erblaſſerin fagt, der Boden
entzogen (8 561 Abſ. 2 ZPO.). Aus den Feſtſtellungen des
OLG. iſt nichts dafür zu entnehmen, daß die Erblaſſerin
in der erwähnten Zeit jemals geiſtig geſund oder doch
nicht mehr in ihrer freien Willensbeſtimmung beein⸗
trächtigt geweſen wäre; auch unter den Parteien war
in den früheren Rechtszügen von „lichten Zwiſchen⸗
räumen“ nie die Rede. Das OLG. erklärt ausdrücklich,
die krankhaften Wahnvorſtellungen hätten die Erb⸗
laſſerin nicht nur dauernd, ſondern auch derart be»
herrſcht, daß fie ihre Angelegenheiten „in ihrer Geſamt⸗
heit“ nicht zu beſorgen vermocht habe. Wenn es bei
dieſem Ausſpruch auf 86 BGB. hinweiſt, fo iſt das
zwar inſofern ungenau, als die Tatbeſtandsmerkmale
des 8 104 Nr. 2 aus dieſer Geſetzesbeſtimmung ſelbſt
und nicht im Anſchluß an 8 6 Nr. 1 zu gewinnen find,
wie das RG. wiederholt ausgeſprochen hat (val. die
Urt. vom 4. Juni 1909, IV 391/08 JW. 411 Nr. 2 und
vom 10. Dez. 1910, V 377/10 JW. 179 Nr. 1), ſachlich
aber iſt es einwandfrei. Das OLG. will zweifellos
ſagen, die freie Willensbeſtimmung der Erblaſſerin ſei
infolge der krankhaften Störung der Geiſtestätigkeit,
42
an ber fie mindeſtens feit 1900 dauernd gelitten habe,
allgemein ausgeſchloſſen geweſen. Auf dieſer Grund⸗
lage aber konnte es die Geſchäftsunfähigkeit der Erb⸗
laſſerin i. S. des 8 104 Nr. 2 unbedenklich feſtſtellen.
Die Geſchäftsunfähigkeit i. S. des § 104 Nr. 2 ſchließt
nicht aus, daß der Geiſteskranke vollkommen ordnungs⸗
mäßig einzelne Geſchäfte erledigt, die ſeine krankhaften
Vorſtellungen oder Triebe nicht berühren. Es bedarf
. aber keines beſonderen Nachweiſes dafür, daß der ge⸗
ſchäftsunfähige Geiſteskranke auch gerade bei dem ein⸗
zelnen Geſchäft, um das es ſich handelt, unter dem Ein⸗
fluſſe ſeiner krankhaften Vorſtellungen oder Triebe ge⸗
ſtanden habe und von ihnen beherrſcht geweſen ſei.
Beweis dafür, daß die Erblaſſerin gerade bei der Er⸗
richtung ihres Teſtaments nicht unter dem Einfluß ihrer
Wahnvorſtellungen geſtanden habe, hatten die Beklag⸗
ten nicht angetreten. Es braucht daher nicht erörtert
zu werden, wie ein derartiger Beweisantrag zu beur⸗
teilen geweſen wäre. (Urt. des IV. ZS. vom 22. Sept.
1913, IV 161/1913). E.
3192
II
Bei dem Verlauf eines Grundſtäcks kaun der Ber:
Täufer ans der Iuſicherung eines beſtimmten Flächen⸗
inhalts unter Umſtänden auch daun in Anſpruch ge:
nommen werden, wenn die Zuſicherung uur mündlich
erfolgt und in dem notariellen Vertrag die Gewähr⸗
leiſtung für einen beſtimmten Flächeninhalt ansgeſchloſſen
iſt. Aus den Gründen: Das OLG. geht davon
aus, daß die Verkäuferin die Größe der Beſitzung wieder⸗
holt auf 100 Morgen angegeben habe, während ſie
tatſächlich nur 88 Morgen beträgt. Es hat in dieſer
Angabe eine vertragsmäßige Zuſicherung geſehen, die
zwar, weil in den notariellen Vertrag nicht aufge⸗
nommen, der in § 313 BGB. vorgeſchriebenen Form
entbehre, aber doch wirkſam ſei, weil dieſer Mangel
durch die Auflaſſung und die Eintragung in das Grund⸗
buch geheilt worden ſei. Die Reviſion macht hiergegen
geltend, dieſe Begründung würde nur haltbar ſein,
wenn feſtgeſtellt wäre, daß die Vertragsparteien bei
der Auflaſſung an dieſer in den notariellen Vertrag
nicht aufgenommenen Zuſicherung feſtgehalten hätten.
Dieſe Rüge wäre an ſich zu beachten; denn das OLG.
hat eine dahin gehende begründete Feſtſtellung nicht
getroffen, eine Vermutung aber für eine derartige An⸗
nahme beſteht nicht (Warneyer Erg.⸗Bd. 1909 Nr. 350),
und dies um ſo weniger, wenn, wie hier, in den nota⸗
riellen Vertrag ein Ausſchluß der Gewähr für be⸗
ſtimmte Flächengrößen aufgenommen worden iſt. Das
LG. hat dieſen Ausſchluß zwar dahin gedeutet, daß
nur der gutgläubige Veräußerer gegen Einwendungen
aus etwaigen Unſtimmigkeiten zwiſchen den kataſter⸗
mäßigen Größenbezeichnungen und dem wirklichen
Flächeninhalt geſchützt werden ſolle. Das OLG. hat
es aber dahingeſtellt gelaſſen, ob dieſe Deutung zu—
treffe oder die andere, nach der auch die Haftung aus
mündlichen Angaben über den Flächeninhalt dadurch
abgelehnt werden ſolle. Der letzteren Deutung gegen—
über wäre aber der Reviſion darin beizupflichten, daß
damit die Annahme einer vertragsmäßig bindenden
Zuſicherung einer beſtimmten Flächengröße unverein—
bar wäre. Es kann dies aber hier dahingeſtellt bleiben,
denn, wenn das OLG. die Argliſt der Beklagten eins
wandfrei feſtgeſtellt hätte, könnte entgegen der An⸗
nahme der Reviſion der Anſpruch auf das Erfüllungs—
intereſſe geltend gemacht werden. Es würde ſich dann
um die betrügliche Zuſicherung einer Eigenſchaft handeln,
da nach $ 468 BGB. bei Zuſicherung einer beſtimmten
Größe eines Grundſtücks ebenſo wie für eine zuge—
ſicherte Eigenſchaft zu haften iſt, jo daß nach der feſt—
ſtehenden Rechtſprechung des RG. S 463 BGB. ſinn⸗
gemäß anwendbar wäre.
betrügliche Zuſicherung vor, dann wäre ein in den
notariellen Vertrag aufgenommener Gewährausſchluß
— — — —ß — — — ——— ͤͤ——— ——— — 5 ʒ ¶ — ————————— ³ äy—— ꝶ—— — — — — — ——— —
Liegt aber eine derartigen,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
nichtig gemäß 8 476 88.; denn wer betrügliche Zu⸗
ſicherungen einer Eigenſchaft gemadt hat und feine
darauf bezüglichen Angaben bei dem Vertragsſchluß
nicht richtig ſtellt, der verſchweigt argliſtig einen Mangel
der Sache (JW. 1911 S. 808 Nr. 13). Zur Herbei⸗
führung dieſer Nichtigkeit bedarf es nicht, wie die Re⸗
viſton meint, einer Anfechtung i. S. des 8 123 BG.
Dieſe Wirkung tritt vielmehr ohne weiteres ein, wie
ſich aus 8 476 BG ergibt; fie ergreift aber nicht
etwa, wie die Reviſion unter Berufung auf 8 139 888.
darzutun verſucht, auch den übrigen Vertragsinhalt,
da 8 139 BGB. auf die Sondervorſchrift des 8 476 BGB.
keine Anwendung findet (RG. Bd. 62 S. 125). Der
Gewährleiſtungsausſchluß — und nur er allein —
würde daher nichtig ſein, und der Beklagte aus § 463
BGB. auf das Erfüllungsintereſſe haften, falls die Ver⸗
käuferin, wenn auch nicht in vertraglich bindender Weiſe,
die Größe mit 100 Morgen angegeben hätte, ſei es,
daß ſie die Unrichtigkeit dieſer Angabe kannte, ſei es,
daß ſie mit der Möglichkeit rechnete, daß es auch er⸗
heblich weniger ſein könnte, ſie aber die Aeußerung
getan hätte, um den Kläger zum Kaufe, oder doch zum
Kaufe zu dem vereinbarten Preiſe zu beſtimmen (War⸗
neger Erg.⸗Bd. 1913 Nr. 42). Dann aber könnte der
Kläger, wie geſagt, das Erfüllungsintereſſe beanſpruchen,
ſo daß es nicht, wie die Reviſion meint, darauf an⸗
käme, ob die Verkäuferin geneigt geweſen ware, zu
dem darnach ſich ergebenden niedrigeren Preiſe zu ver⸗
kauſen. Aber die Argliſt der Verkäuferin muß nach der
einen oder der anderen oben erwähnten Richtung
nachgewieſen werden. (Urt. des V. ZS. v. 20. Okt.
1913, V 41/1913). E.
3190
III.
Haltung der Wirtsfran, die eine Kegelbahn ver:
mietet, für Unfälle infolge eines Mangels des Bretter:
belags. Mitverſchulden des kegelnden Gaſtes. Mithaf⸗
tung des Ehemanns der Vermieterin. Dem Kläger,
einem Mitglied des nicht rechtsfähigen Vereins „Frei⸗
tagskegelklub“, iſt auf der zur Wirtſchaft gehörigen
Kegel bahn beim Auflegen der Kugel ein längerer Splitter
unter den Nagel des Mittelfingers der rechten Hand
gedrungen, wodurch der Finger ſteif geworden iſt. Mit
der gegen die Wirtsleute gerichteten Klage verlangt
er die Entrichtung einer Jahresrente ufm. Das LG.
hat die Klage abgewieſen. Das OLG. hat den Renten-
anſpruch gegenüber beiden Beklagten zu /s dem Grunde
1116 für gerechtfertigt erklärt. Die Reviſion blieb er⸗
olglos.
Aus den Gründen: Die Annahme des OG.,
daß die beklagte Ehefrau dem Kläger aus dem über
die Benutzung der Kegelbahn geſchloſſenen Mietver-
trage für die Folgen des Unfalls hafte, läßt keinen
Rechtsirrtum erkennen. Sie war die Vermieterin der
Kegelbahn; der Kläger war als Mitglied des nicht
rechtsfähigen Vereins Mieter. Als ſolcher kann er
gemäß den Grundſätzen des $ 538 BGB. Schadenserſatz
beanſpruchen, wenn er durch eine mangelhafte Bes
ſchaffenheit der Mietſache körperlich verletzt worden
iſt. Die beklagte Ehefrau war auf Grund des Miet-
vertrags verpflichtet, ihren Mietern die Kegelbahn in
einem ſolchen Zuſtande zu überlaſſen, daß fie bei ſach⸗
gemäßer Ausübung des Kegelſports nicht Gefahr liefen,
ſich körperlich zu verletzen. Dies gilt auch für die Be⸗
ſchaffenheit des Auflegebretts, mit dem der Kegler beim
Auflegen der Kugel leicht in Berührung kommen kann.
Das auf der Kegelbahn befindliche Auflegebrett hatte
zur Zeit des Unfalls einen Fehler, der ſeine Taug—
lichkeit zum vertragsmäßigen Gebrauche hinderte. Es
war ausgekegelt und infolgedeſſen riſſig und mürbe.
Für den aus dem Mangel ſich ergebenden Schaden
hatte die beklagte Ehefrau aufzukommen. Wie das
OLG. zutreffend ausgeführt hat, mußte fie, nachdem
ihr der früher vorgekommene Unfall des J. mitgeteilt
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
worden war, dem für ſie erkennbaren Mangel ab⸗
hel fen, ſei es, daß fie das Brett ausbeſſern oder es durch
ein neues erſetzen ließ. Sie wußte aus der Mittei⸗
lung, daß das Brett bei dem Unfall des J. erheblich
geſplittert hatte, und mußte ſich bei Anwendung von
nur einiger Sorgfalt ſagen, daß die Weiterbenutzun
ihren Mietern gefährlich werden könne. Sie hat jedoch
jegliche Verbeſſerung unterlaſſen. Darauf, daß ihre
Haftung durch die Kenntnis des Klägers von dem
mangelhaften Zuſtande des Brettes ausgeſchloſſen werde
($ 539 BGB.), kann fie ſich nicht berufen; denn der
Kläger hat von dem Splittern des Bretts nichts be⸗
merkt, was ſich aus der Dürftigkeit der Beleuchtung
und dem Orte ihrer Anbringung erklärt, der bewirkte,
daß die Kegler in ihrem eigenen Schatten gekegelt
haben; von dem Unfall des J. hat er vor ſeiner Ver⸗
letzung nichts gewußt. |
Auch die weitere Annahme des OLE., daß den
Kläger ein mitwirkendes Verſchulden an dem Unfall
treffe, läßt keinen Rechtsirrtum erkennen. Zutreffend
hat das OLG. darauf hingewieſen, daß er von dem
e Zuſtand des Brettes Kenntnis gehabt habe,
und daß er deshalb die Möglichkeit des Splitterns habe
in Erwägung ziehen müſſen; beſondere Vorſicht ſei für
ihn insbeſondere deshalb geboten geweſen, weil er die
Gewohnheit gehabt habe, die Kugel mit ſehr tiefer
Handhaltung auf dem Brette aufzuſetzen. Bei An⸗
wendung dieſer Vorſicht mußte der Kläger darauf Ve⸗
dacht nehmen, eine Berührung der Hand mit dem
Brette zu vermeiden. Wenn das OLG. bei der Schadens⸗
zumeſſung der Vermieterin die Tragung des größeren
Teils des Schadens auferlegt hat, ſo iſt auch dies
rechtlich nicht zu beanſtanden; auf die Verletzung ihrer
Vermieterpflichten iſt in erſter Linie der Unfall zurück⸗
zuführen und ihr Verſchulden iſt das überwiegende.
Unbegründet iſt endlich die Reviſion des beklagten
Ehemanns. Das OLG. hat zwar bei dieſem zutreffend
keine Haftung aus dem Mietvertrag angenommen, da
er den Mietvertrag nicht in eigenem Namen, ſondern
in dem ſeiner Frau abgeſchloſſen hat. Dagegen hat
es ſeine Haftung aus unerlaubter Handlung gemäß
8 823 Abſ. 1 bejaht, weil er die Wirtſchaft für feine
Ehefrau geleitet habe und als Leiter ebenſo wie die
Inhaberin ſelbſt den Gäſten gegenüber verpflichtet ge⸗
weſen ſei, für die Inſtandhaltung der Geräte und Ein⸗
richtungen Sorge zu tragen. Dieſe Auffaſſung iſt nicht
zu beanſtanden. Wer es gegenüber einem andern über⸗
nommen hat, an deſſen Stelle Obliegenheiten zu er⸗
füllen, deren Vernachläſſigung geeignet iſt, das Leben,
den Körper oder die Geſundheit Dritter zu verletzen,
macht ſich, wie das Reichsgericht ſchon in feiner Ent⸗
ſcheidung vom 7. Dezember 1905 (JW. 1906 S. 55)
ausgeſprochen hat, einer unerlaubten Handlung im
Sinne von 8 823 ſchuldig, wenn er die Sorge für die
Erfüllung jener Obliegenheiten vorſaͤtzlich oder fahr⸗
läſſig verletzt. Für die Widerrechtlichkeit der Unter⸗
laſſung iſt es unerheblich, ob die Rechtspflicht zur
Vornahme der Handlung auf Geſetz oder Vertrag be⸗
ruht. (Urt. des III. ZS. v. 17. Okt. 1913, III 229/1913).
3197
— — - n.
IV.
Kaun ſich der wegen unrichtiger Auskunft über
Grundbuchverhältniſſe haftbar gemachte Notar auf ein
Mitverſchulden des Verletzten berufen, wenn dieſer eine
ce Sk dei des Grundbuhamtsd nicht geprüft hat?
Aus den Gründen: Nicht zu billigen iſt die Entſchei⸗
dung in der Frage eines mitwirkenden Verſchuldens nach
8 254 B88. Das OLG. findet ein ſolches Verſchulden
darin, daß L. es unterlaſſen hat, die Benachrichtigungen
des Grundbuchamtes durchzuleſen und zu prüfen. Nun iſt
zuzugeben, daß ſolche Mitteilungen den Zweck haben, die
Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Eintragung den Ab—
ſichten der 5 I entſpricht. Es liegt daher auch
im Intereſſe des Benachrichtigten, die Prüfung vor⸗
43
zunehmen. Allein ausſchlaggebend wäre das nur, wenn
etwa das Grundbuchamt einen Fehler begangen hätte
und hierwegen in Anſpruch genommen werden ſollte.
Hier aber, wo es ſich um die Pflichtwidrigkeit des
Notars handelt, iſt zu berückſichtigen, daß die Erklärung,
auf Grund deren die Eintragung im Grundbuch erfolgte,
unter Zuziehung des Notars zuſtande gekommen war,
und daß er, der Rechtskundige, nach der Behauptung
der Kläger das Fortbeſtehen der Sicherheiten auf den
anderen Grundſtücken noch ausdrücklich beſtätigt hatte.
Wenn das richtig iſt, dann durften ſich die Kläger
darauf verlaſſen, daß alles in Ordnung ſei, und wenn
ſie im Vertrauen auf die Erklärung des Beklagten es
unterließen, die Benachrichtigung des Grundbuchamtes
zu prüfen, ſo kann ihnen jedenfalls der Beklagte daraus
keinen Vorwurf machen. Auch der Umſtand, daß dem
L. drei Benachrichtigungen zugeſandt wurden, mußte
bei dieſer Sachlage nicht notwendig den Verdacht her⸗
vorrufen, daß die Eintragung im Grundbuch der Abſicht
der Beteiligten nicht entſpraͤche. Die Unterlaſſung des
L. iſt daher hier, wo die Haftung des Notars in Frage
ſteht, entweder überhaupt kein Verſchulden oder gegen⸗
über dem groben, die erſte She Urſache des
Schadens bildenden Verſchulden des Notars ſo gering⸗
fügig, daß es nicht gerechtfertigt iſt, den Klägern auch
nur einen Teil des Schadens aufzuerlegen. (Urt. des
III. 35. vom 14. Okt. 1913, III 209/13). — — —n.
3198
V
Liegt eine Verletzung der Amtspflicht „bei einem
Urteil in einer Rechts ſache“ vor, wenn der Richter die
Voraus ſetzungen des Beriäummisnrteild nicht mit der
erforderlichen Sorgfalt prüft? Aus den Gründen:
Der dritte Klagegrund geht dahin: Der Richter habe
das Verſäumnisurteil gefällt, obwohl er aus den Ge⸗
richtsakten hätte feſtſtellen können und müſſen, daß die
Terminsſtunde noch nicht herangekommen ſei, der Fall
der Verſäumnis alſo noch nicht vorgelegen habe. Dieſen
Klagegrund verwirft das OL G.: Allerdings ſei es die
Amtspflicht des Richters geweſen, vor Erlaß des Ur⸗
teils durch Einfiht der in den Akten befindlichen Ter⸗
minsbenachrichtigung zu prüfen und feſtzuſtellen, ob
die nicht erſchienene Partei ordnungsmäßig und recht⸗
zeitig geladen, ob die Terminsſtunde herangekommen
und der Fall der Verſaͤumnis gegeben ſei. Indem er
ſich ſtatt deſſen auf das ihm vorliegende Termins ver⸗
zeichnis verlaſſen habe, habe er gegen ſeine Amtspflicht
verſtoßen. Nun treffe den Staat wegen der Amtspflicht⸗
vecletzungen der Beamten keine weitere Haftung, als
fie der 8 839 BGB. für dieſe ſelbſt feſtſetze. Es frage
ſich aber, ob die dem Richter zur Laſt fallende Verletzung
ſeiner Amtspflicht „bei dem Urteile in einer Rechts⸗
ſache“ begangen ſei, ein Fall, für den der 8 839 Abſ. 2
Satz 1 die hier unſtreitig nicht erfüllte Vorausſetzung
für die Haftung aufſtelle, daß „die Pflichtverletzung mit
einer im Wege des gerichtlichen . zu ver⸗
hängenden öffentlichen Strafe bedroht“ ſei. Der Kläger
verneine die Frage, indem er ausführe, daß das Ver⸗
ſehen des Richters vor Erlaß des Urteils, und zwar
in dem Unterlaſſen der Prüfung liege, ob zur Zeit der
Verhandlung der Sache die dafür beſtimmte Termins⸗
ſtunde herangekommen geweſen ſei. In der Tat ſeien
Stimmen laut geworden, welche die Sonderſtellung des
Richters nach 8 839 Abſ. 2 auf die eigentlich urteilende,
entſcheidende Tatigkeit beſchränken und ſie bei der prozeß⸗
leitenden Tätigkeit nicht anerkennen wollten. Insbe⸗
ſondere nehme Hachenburg, Vorträge über das BGB.
2. Aufl. S. 434, indem er ſich auf eine Aeußerung des
Abgeordneten Lenzmann bei der Beratung des Ent=
wurfs im Reichstage (Sten. Ber. 1895/97 Bd. 4 S. 2861)
beruft, an, daß die Prüfung der Vorausſetzungen
für den Erlaß eines Verſäumnisurteils eine prozeß—
leitende und keine urteilende Tätigkeit enthalte und daß
deshalb der Richter ein hierbei vorgekommenes Ver-
44 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
ſehen vertreten müſſe. Allein das Geſetz ſpreche ganz
allgemein von einer „bei einem Urteil“ begangenen
Verletzung der Amtspflicht, und zur Urteilsfällung ge⸗
höre nicht nur die eigentliche Entſcheidung und Be⸗
gründung, ſondern auch die Feſtſtellung des Tatbeſtandes
und der ſonſtigen geſetzlichen Vorausſetzungen, bei einem
Verſäumnisurteile alſo auch die Prüfung und Ent⸗
ſcheidung der Frage, ob der Fall der Verſäumnis über⸗
92105 gegeben ſei. Derſelben Meinung ſeien auch nam⸗
afte Vertreter der Wiſſenſchaft. Bei einer ſolchen Aus⸗
dehnung des Begriffes „bei dem Urteil“ ſei aber an⸗
zunehmen, daß der Richter das ihm zur Laſt fallende
len bei Erlaß des Verſäumnisurteils begangen
e
Die Reviſion macht auch jetzt wieder geltend, es
handele ſich hier nicht um ein Verſehen „bei dem Ur⸗
teil“, ſondern das Urteil ſei die notwendige Folge
eines vorherliegenden Verſehens im Verfahren, eine
Folge davon, daß die Verhandlung vor dem Richter
zu einer Zeit aufgerufen und durchgeführt worden fei,
zu der er in eine Verhandlung noch nicht habe ein⸗
treten dürſen. Es iſt zuzugeben, daß der Richter ver⸗
pflichtet war, auch ſchon vor Eintritt in die Verhand⸗
lung und vor Zulaſſung der erſchienenen Partei zu
dem Antrage auf Erlaß des Verſäumnisurteils zu prüfen,
ob die geſetzlichen Vorausſetzungen für das Verſäum⸗
nisverfahren überhaupt erfüllt ſeien, wozu vor allem
nach 8 220 ZPO. gehörte, daß die Sache nach Eintritt
der Terminsſtunde aufgerufen worden war (vgl. JW.
1907 S. 392 Nr. 12). Wenn ihm daher auch daraus kein
Vorwurf gemacht werden kann, daß er ſich bei der An⸗
ordnung des Aufrufs der einzelnen Sachen zunächſt
an das ihm von der Gerichtsſchreiberei vorgelegte Ter⸗
minsverzeichnis hielt, ſo hätte er doch, ehe er im Ver⸗
ſäumnisverfahren die einſeitige mündliche Verhand⸗
lung der erſchienenen Partei gemäß 8 331 ZPO. ſtatt⸗
finden ließ, prüfen müſſen, ob der nicht erſchienene
Beklagte auch für die angenommene Terminszeit geladen
worden ſei. Allein das hierbei von ihm begangene
Verſehen iſt nicht urſächlich geworden für den Schaden.
Denn auch unmittelbar ehe der Richter das Verſäum⸗
nisurteil ſelbſt erließ, hätte er auch hiefür noch das
Vorliegen der geſetzlichen Vorausſetzungen feſtſtellen
müſſen, wie denn der 8 335 Abſ. 1 Nr. 2 ZPO. aus⸗
drücklich vorſchreibt, daß der Antrag auf Erlaß eines
Berfäumnisurteils De LEN iſt, wenn die nicht
erſchienene Partei nicht ordnungsmäßig geladen war.
Denn daraus ergibt ſich, daß das Geſetz ſelbſt davon
ausgeht, der Richter habe vor der Entſcheidung über
jenen Antrag ſelbſt nochmals zu prüſen, ob der Fall
der Verſäumnis gegeben ſei und er müſſe, wenn ſich ergebe,
daß dies nicht der Fall ſei, den Antrag zurückweiſen,
obwohl er zunächſt das Verſäumnisverfahren zuge⸗
laſſen habe. Hieraus folgt aber, daß das wirklich ur⸗
ſächliche Verfehen bei Erlaß eines zu Unrecht ergange⸗
nen Verſäumnisurteils dem Bereiche der urteilenden
Tätigkeit des Richters angehört und deshalb unter
8 839 Abſ. 2 Satz 1 des BGB. fällt. (Urt. des III. 38.
vom 24. Okt. 1913, III 254/13).
3196
— — — .
VI.
Pflicht des Teſtaments vollſtreckers, Nechnung zu legen
und den Oſſenbarungseid zu leiſten. Inwieweit erſtreckt
ſich der Offenbarungseid auch auf Ausgaben 7 Aus den
Gründen: Dem OLG. iſt darin beizutreten, daß die
Klägerin als Miterbin gemäß $ 259 Abſ. 2 und 8 260
Abſ. 2 BGB. von dem Teſtamentsvollſtrecker die Be⸗
eidigung des von ihm aufgenommenen Nachlaßverzeich—
niſſes und der Rechnung über die Verwaltung des
Nachlaſſes fordern kann. Nach § 2215 BGB. iſt der
Teſtamentsvollſtrecker den Erben gegenüber zur Auf—
nahme des ihnen mitzuteilenden Nachlaßverzeichniſſes
verpflichtet und hat demgemäß unter den Voraus—
ſetzungen des 8 260 Abſ. 2 die Vollſtändigkeit des im
Verzeichnis angegebenen Nachlaßbeſtandes zu be⸗
ſchwören. Die den Erben gegenüber beſtehende Ver⸗
pflichtung des Teſtamentsvollſtreckers zur Rechnungs⸗
legung über die Verwaltung folgt aus 8 2218 in Ver⸗
bindung mit 88 666, 667. Vermöge dieſer Pflicht hat
der Teſtamentsvollſtrecker auf Verlangen des Erben
unter den Vorausſetzungen des 8 259 Abſ. 2 auch den
Offenbarungseid zu leiſten.
Die Reviſion erachtet den Teſtamentsvollſtrecker
zur Eidesleiſtung nicht ſür verbunden, weil die Ver⸗
pflichtung hierzu erſt nach völliger Beendigung ſeiner
Berwaltungstätigkeit erwachſe, welche Vorausſetzung
hier nicht vorliege, da unſtreitig noch nicht der geſamte
Nachlaß verteilt ſei. Unſorgfältige Verwaltung oder
das Verſchweigen beſtimmter Tatſachen könnten zwar
Schadenserſatzanſprüche der Berechtigten auslöſen, nicht
aber den Zeitpunkt der Verpflichtung zur Eidesleiſtung
ändern. Auch daraus ſei für eine frühere Eidesleiſtung
nichts herzuleiten, daß der Erbe nach $ 2218 Abſ. 2
bei einer länger dauernden Verwaltung jährlich Rech⸗
nung fordern könne. Damit ie dem Teſtaments⸗
vollſtrecker nicht die Pflicht zu wiederholter, jährlicher
Eidesleiſtung auferlegt. Dieſer Angriff erſcheint nicht
begründet. Der 8 2218 erklärt allerdings auf das
Rechtsverhältnis zwiſchen dem Teſtamentsvollſtrecker
und den Erben die Vorſchrift des 8 666 für entſprechend
anwendbar und in 8 666 iſt beſtimmt, daß der Beauf⸗
tragte nach der Ausführung des Auftrags Rechenſchaft
abzulegen hat. Die Pflicht zur Rechnungslegung, die
in der zur Recheunſchaftsablegung nach 8 259 Abſ. 1
inbegriffen iſt, trifft hiernach den Teſtamentsvollſtrecker
grundſätzlich erſt, wenn er die ihm als Teſtaments⸗
vollſtrecker obliegende Aufgabe erfüllt hat. Dies darf
aber nicht dahin verſtanden werden, daß er ausnahms⸗
los fämtliche aus feiner Aufgabe ſich ergebenden Ver⸗
richtungen beendet haben muß und daß ausnahmslos
ein jedes Stück des Nachlaſſes verteilt ſein muß. Zu
den Pflichten des Teſtamentsvollſtreckers, der die Aus⸗
einanderſetzung unter den Erben zu bewirken hat
(8 2204 Abſ. 1), gehört es, daß er ſich über die Ber;
wertung der ſämtlichen Nachlaßgegenſtände den Erben
gegenüber ausweiſt, wenn er zur endgültigen Aus⸗
einanderſetzung ſchreitet, da nur auf dieſer Grundlage
die Verteilung vorgenommen werden kann. Es ergibt
ſich hieraus eine Pflicht der Rechnungslegung, deren
Erfüllung ſpäteſtens zur Zeit der Auseinanderſetzung
zu erfolgen hat und nicht etwa deshalb aufgeſchoben
werden darf, weil der Teſtamentsvollſtrecker noch nach
der Auseinanderſetzung gewiſſe mit der Ausführung
des Teilungsplans zuſammenhängende Geſchaäͤfte zu
erledigen hat.. . Der Umſtand, daß z. B. zur
Deckung von Prozeßkoſten ein beſtimmter Betrag zurück⸗
behalten iſt, ſteht der Rechnungslegungspflicht ebenſo⸗
wenig entgegen, wie im Konkursverfahren die Schluß⸗
rechnung des Verwalters nicht dadurch aufgehalten
wird, daß bei dem Vollzuge der Schlußverteilung
Beträge zurückzubehalten und zu hinterlegen find
(88 162 ff. KO.). Der Teſtamentsvollſtrecker hat denn
auch in Erfüllung ſeiner geſetzlichen Pflicht tatſächlich
Rechnung gelegt und er kann ſich demgemäß, da die
Vorausſetzungen des § 259 Abſ. 2 bedenkenfrei feſt⸗
geſtellt ſind, nicht der nach 8 259 begründeten Ver⸗
pflichtung entziehen, die Rechnung durch Offenbarungs⸗
eid zu bekräftigen. Ohne Einfluß auf die Pflicht zur
Leiſtung dieſes Eides iſt es, daß gegen den Teſtaments⸗
vollſtrecker, der ſeine Pflichten verletzt, insbeſondere
Nachlaßgegenſtände ſchuldhaft verſchweigt, zugleich
Schadenserſatzanſprüche erhoben werden können. Ebenſv—
wenig kann die Beeidigung des Nachlaßverzeichniſſes
verweigert werden. Es bildet zuſammen mit der an
das Verzeichnis ſich anlehnenden Verwaltungsrechnung
die Grundlage der Verteilung, deren Richtigkeit feſt—
ſtehen muß, wenn geprüft werden ſoll, ob die Erben
aus dem Nachlaſſe nicht noch weitere Beträge zu
empfangen haben.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 45
Die Reviſion hält die Ausdehnung des Offen⸗
barungseides auf die Ausgaben für unzuläfſig. Der
Offenbarungseid des 8 259 erſtrecke ſich nur auf die
Einnahmen, weil eine Unvollſtändigkeit der Ausgaben
nur dem Rechnungslegungspflichtigen nachteilig ſei.
Auch in dem Offenbarungseide aus 88 260, 2028 ſei
für die eidliche Erhärtung der Angaben über die ge⸗
leiſteten Ausgaben kein Raum. Dieſe Ausführungen
ſind im allgemeinen richtig. Dem Rechnungslegungs⸗
berechtigten kann nur daran liegen, daß ihm die Ein⸗
nahmen vollſtändig mitgeteilt werden, nicht auch daran,
daß er die ſämtlichen Ausgaben erfährt. Soweit die
Ausgaben nicht mitgeteilt werden, gereicht dies nur
dem Rechnungslegungspflichtigen zum Schaden, der
dieſe Ausgaben nicht erſetzt erhält. Dem entſpricht es,
daß der nach 8 259 Abſ. 2 von dem Rechnungslegungs⸗
pflichtigen zu leiſtende Offenbarungseid nur darauf
geſtellt iſt, daß er nach beſtem Wiſſen die Einnahmen
ſo vollſtändig angegeben habe, als er dazu imſtande
ſei. In ähnlicher Weiſe iſt der bei Vorlegung eines
Berzeichniffes über einen Vermögensinbegriff nach
8 260 Abſ. 2 zu leiſtende Offenbarungseid dahin feſt⸗
geſetzt, daß der Vorlegungspflichtige nach beſtem Wiſſen
den Beſtand (Aktivbeſtand) ſo vollſtändig angegeben
habe, als er dazu imſtande ſei. In Einklang hiermit
iſt in 8 2027 nur von dem Beſtande der Erbſchaft und
in 8 2028 von den Erbſchaftsgegenſtänden die Rede,
ohne daß die Schulden oder Ausgaben erwähnt ſind.
Cleichwohl kann die Entſcheidung des OLG. nicht ge⸗
mißbilligt werden. Der Vorderrichter verkennt nicht,
daß der Offenbarungseid aus 88 259, 260 nur die
Einnahmen und den Bermögensbeftand zum Gegenſtand
hat. Er führt aber aus: Wenn in den Auskünften
Nachlaßausgaben tufgefaßne ſind, die nicht gemacht
find, fo ſei damit in gleicher Höhe der tatſächlich
vorhandene Nachlaßbeſtand zu niedrig angegeben. Das
iſt zutreffend und iſt geeignet, die in dem Berufungs⸗
urteile dem Offenbarungseide gegebene Ausdehnung zu
rechtfertigen. Die Auskunfts- und Rechnungslegungs⸗
pflicht des Teſtamentsvollſtreckers hat nach 88 2218,
666, 677, 259, 260 weſentlich die e daß er in
Anſchluß an das von ihm aufzuſtellende Nachlaßver⸗
zeichnis den Beſtand des Nachlaſſes nachzuweiſen hat,
wie er ſich durch die Verwaltung des Nachlaſſes ge⸗
ſtaltet hat und an die Erben abzuliefern iſt. Es
entſpricht dies der in 8 667 beſtimmten Verpflichtung
des Beauftragten, alles, was er zur Ausführung des
Auftrages erhalten hat und was er aus der Geſchäfts⸗
führung erlangt hat, dem Auftraggeber herauszugeben.
Die gleiche Verpflichtung hat nach 82218 der Teſtaments⸗
vollſtrecker zu erfüllen. Mit dieſer Herausgabepflicht
iſt zugleich, da ſie ſich auf einen Inbegriff von Gegen⸗
ſtänden, auf die Erbſchaft, erſtreckt, nach 8 260 die
Verpflichtung verbunden, den Erben ein Verzeichnis
des ihnen herauszugebenden (unter ſie zu verteilenden)
Nachlaßbeſtandes vorzulegen und die Vollſtändigkeit
dieſes Verzeichniſſes zu beſchwören. Der Teſtaments⸗
vollſtrecker genügt daher ſeiner Auskunftspflicht nicht
ſchon dadurch, daß er die Einnahmen vollſtändig in
Rechnung ſtellt, er hat auch den verbliebenen Nachlaß⸗
beſtand vollſtändig anzugeben. Zu dieſem Zwecke hat
er ſorgfältig zu prüfen, ob die von ihm in Rechnung
geſtellten Nachlaßausgaben auch wirklich gemacht ſind,
da andernfalls der herauszugebende Beſtand ein höherer
ſein müßte. Die Verpflichtung, nach beſtem Wiſſen die
Vollſtändigkeit des Nachlaßbeſtandes zu beſchwören,
ſchließt die Verpflichtung in ſich, den Nachlaßbeſtand,
(wozu auch etwaige Erſatzforderungen gehören), nicht
der Wirklichkeit zuwider dadurch als niedriger hin⸗
zuſtellen, daß 1 berückſichtigt werden, die gar
nicht zu Zwecken des Nachlaſſes gemacht ſind. Es iſt
daher nicht zu beanſtanden, daß das OL G., um dieſe
Verpflichtung dem Teſtamentsvollſtrecker deutlich vor
Augen zu führen, einen hierauf bezüglichen Zuſatz in
den Eidesſatz aufgenommen hat, wonach der Beklagte
beſchwören ſoll, die von ihm als geleiſtet bezeichneten
Nachlaßausgaben auch wirklich für Nachlaßzwecke ge⸗
leiſtet zu haben. (Urt. des IV. 3S. vom 20. Sept. 1913,
IV 243/13).
3199
— — — n.
VII.
Können öſterreichiſche Ehegatten die Zuſtändigkeit
der deutſchen Gerichte für eine Klage auf Eheſcheidung
vereinbaren? Faun eine ſolche Vereinbarung wegen Irr⸗
tums angefochten werden? Die Parteien haben vor dem
Standesbeamten in N. die Ehe geſchloſſen. Die Frau
erhob gegen den Mann beim LG. in N. Klage auf Ehe⸗
ſcheidung. Unter Berufung darauf, daß er öſterreichi⸗
fcher Staatsangehöriger ſei, wandte der Mann die Un⸗
zuſtändigkeit des angerufenen Gerichts ein. Das LG. kam
zu dem Ergebniſſe, daß der Mann und infolge der Ver⸗
heiratung auch die Frau öſterreichiſche Staatsangehörige
ſeien, und wies auf Grund des 8 606 Abſ. 4 ZPO. die
Klage ab. Die Klägerin legte Berufung ein und be⸗
rief ſich für die Zuſtändigkeit der deutſchen Gerichte
nunmehr auch auf eine fpätere ſchriftliche Erklärung des
Beklagten, in der diefer die deutſchen Gerichte ausdrück⸗
lich als für den Scheidungsſtreit zuſtändig anerkannt
hat. Das OLE. ſtellte gleichfalls ſeſt, daß die Parteien
öſterreichiſche Staatsangehörige ſeien, kam aber mit
Rückſicht auf die Erklärung des Beklagten zu einem
anderen Ergebnis als das Q®. und erklärte die Einrede
der Unzuſtändigkeit des Gerichts für unbegründet. Zu⸗
gleich verwies es die Sache zurück. Die Reviſion blieb
erfolglos.
Gründe: 1. Entſcheidend für die Frage, ob das
nach 8 606 Abſ. 1 ZPO. an ſich für den Rechtsſtreit
zweifellos zuſtändige BE. in N. auch nach öſterreichi⸗
ſchem Recht zuſtändig tft (8 606 Abſ. 4), find die 88 76,
100 und 104 der öſterreichiſchen Jurisdiktionsnorm
(JN.) vom 1. Auguſt 1895. Das OLE. iſt der Anſicht,
daß nach den 88 76 und 100 JN. das LG. in N. nicht
zuſtändig ſei. Es erklärt daher ausdrücklich, daß das
die Klage wegen Unzuſtändigkeit abweiſende landge⸗
richtliche Urteil nach der damaligen Sachlage zu Recht
ergangen ſei. Eine Aenderung iſt aber ſeiner Meinung
nach durch die Erklärung des Beklagten eingetreten,
in der zwar das LG. in N. nicht ausdrücklich genannt,
ſondern nur das OSG. erwähnt ſei, die aber unzweifel⸗
haft ſo zu verſtehen ſei, daß ſich der Beklagte der Zu⸗
ſtändigkeit des OLG. für den zweiten Rechtszug und
der des LG. in N. für den erſten Rechtszug habe unter⸗
werfen wollen. Der Erklärung mißt das OLG. auf
Grund des 8 104 Abſ. 1 IN. entſcheidende Bedeutung
bei. Es verkennt nicht das Bedenken, das daraus ent⸗
nommen werden könnte, daß die Erklärung erſt nach
dem Erlaſſe des landgerichtlichen Urteils abgegeben
iſt, während nach 8 104 Abſ. 1 Satz 2 JN. die Verein⸗
barung dem Gerichte „ſchon in der Klage“ urkundlich
nachgewieſen werden muß. Weſentlich erſcheint ihm
jedoch nur, daß das öſterreichiſche Recht die Zuſtändig⸗
keitsvereinbarung zuläßt. Die Vorſchrift in 8 104 Abſ. 1
Satz 2 JN. ſei eine für das öſterreichiſche Prozeßver⸗
fahren gegebene Ordnungsvorſchrift ohne ſachliche Be⸗
deutung, ſie könne alſo für die deutſchen Gerichte nicht
bindend ſein, wenn die Vereinbarung in Deutſchland
geſchloſſen ſei. Nach deutſchem Rechte könne aber die
Vereinbarung auch noch im Laufe des Rechtsſtreits ge⸗
ſchloſſen werden, da die Einrede der Unzuſtändigkeit
zu den verzichtbaren Einreden gehöre und ſich eine der
Vorſchrift in 8 104 Abſ. 1 Satz 2 JN. gleiche Vorſchrift
im deutſchen Rechte nicht finde. In der Zuſtändigkeits⸗
vereinbarung ſeien allerdings die Parteien inſofern
beſchränkt geweſen, als ſie nur die Zuſtändigkeit des
nach den deutſchen Geſetzen zuſtändigen deutſchen Ge⸗
richts hätten vereinbaren können. Das ſei aber ge⸗
ſchehen. Auch die Vorſchrift des 8 40 Abſ. 2 3PO.
könne deshalb der Vereinbarung nicht entgegenſtehen,
da es ſich hier nicht um Vereinbarung der Zuſtändig—
46 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
keit eines nach deutſchem Recht ſonſt unzuſtändigen Ge-
richts handele, ſondern nur um die Beſeitigung des
Hinderniſſes, das das ausländiſche Recht der Zuſtändig⸗
keit des nach den deutſchen Geſetzes an ſich zuſtändigen
Gerichts bereiten würde.
Die ſich an die Beſtimmung ing 104 Abſ. 1 Satz 2 JN.
anlehnenden N bekämpft die Reviſion, in⸗
dem fie dem OLG. unzuläſſige Verquickung deutſcher
und öſterreichiſcher Rechtsſätze vorwirft und die Anſicht
vertritt, die Frage, ob das LG. in N. auch nach öſter⸗
reichiſchem Rechte zuſtändig iſt, ſei einzig und allein
nach den öſterreichiſchen Geſetzen zu beurteilen. Bei
ihrer Rüge geht die Reviſton erſichtlich davon aus, daß
auf eine Verletzung öſterreichiſchen Rechts das Rechts⸗
mittel nicht geſtützt werden könne (8 549 3 O.), daß
vielmehr die Auslegung, die das OLG. der öſterreichi⸗
ſchen Jurisdiktionsnorm gegeben hat, auch für das
Reviſionsgericht maßgebend ſei (8 562 3 PO.) . Dieſer
Ausgangspunkt der Reviſion iſt, obwohl es ſich im
Streitfall um die Frage nach der Zuſtändigkeit des an⸗
gerufenen Gerichts, alſo um einen Punkt handelt, den
das OLG. von Amts wegen zu prüfen hatte, zutreffend
und entſpricht dem, was der Senat in anderen Fällen
als richtig anerkannt hat (vgl. JW. 127 Nr. 4 Schluß).
Infolgedeſſen iſt auch die Annahme des OLG. nicht
nachzuprüfen, daß die Vorſchrift in 8 104 Abſ. 1 Satz 2
JN., wonach die in Satz 1 geſtattete Vereinbarung der
Parteien über die Zuſtändigkeit eines an ſich unzu⸗
ſtändigen Gerichts dieſem „ſchon in der Klage“ ur⸗
kundlich nachgewieſen werden muß, nur eine den deut⸗
ſchen Richter nicht bindende Ordnungsvorſchrift iſt.
Von dieſer Grundlage aus läßt es ſich aber nicht be⸗
anſtanden, wenn das OLG. in 8 104 Abf. 1 Satz 2 JN.
kein Hindernis findet, die Zuſtändigkeit des LG. in N.
auch nach öſterreichiſchem Rechte für gegeben zu er⸗
achten. Seine Ausführungen, denen auch die Vor⸗
ſchrift in 8 263 Abſ. 2 Nr. 2 ZPO. nicht entgegenſteht
(vgl. RG. Z. Bd. 52 S. 136 und Warneyer Ergänzung
1913 Nr. 37 S. 48), ſind vielmehr im Ergebniſſe ein⸗
wandfrei, mag auch nicht jeder einzelnen Wendung zu⸗
zuſtimmen ſein. Dies umſomehr, als der deutſche Pro⸗
zeßrichter, ſoweit ihm nicht Schranken gezogen ſind,
grundſätzlich ſtets von der Maßgeblichkeit des deutſchen
Prozeßrechts auszugehen hat.
2. Der Beklagte hat ſeine Erklärung, auf die ſich
die Anwendung des § 104 JN. aufbaut, wegen Irr⸗
tums angefochten, weil er bei der Abgabe ein Schreiben
der Klägerin und ihr aus dieſem Schreiben hervor⸗
gehendes übles Verhalten noch nicht gekannt habe.
Demgegenüber führt das OLG. aus, eine Zurücknahme
der Erklärung ſei nicht zuläſſig, weil die einmal ge⸗
ſchloſſene Vereinbarung für die Parteien bindend ſei,
ebenſowenig könne aber eine Anfechtung wegen Irr—
tums erfolgen ($ 119 BGB.), weil der vom Beklagten
behauptete Irrtum nur ein Irrtum im Beweggrunde
ſei. Die Reviſion bemängelt auch das, indem ſie be—
merkt, die Frage, ob der Beklagte die Erklärung mit
Recht angefochten habe, ſei ebenfalls nicht nach deut—
ſchem, ſondern nach öſterreichiſchem Rechte zu entſcheiden.
Auch dieſer Angriff geht fehl. Bei der Erklärung handelt
es ſich um eine Willenskundgebung des Beklagten in
einem vor einem deutſchen Gerichte ſchwebenden Rechts-
ſtreite, die die Zuſtändigkeit eines deutſchen Gerichts
zum Gegenſtande hatte. Solche Erklärungen können
in ihrer Wirkſamkeit nur nach deutſchem Rechte beur—
teilt werden. Nach deutſchem Recht aber ſind rein pro—
zeſſuale Willenserklärungen, die eine Verfügung über
die Geſtaltung der Beziehungen der Parteien zueinander
im Prozeß enthalten, wegen Irrtums überhaupt nicht
anfechtbar. Das hat das Reichsgericht für die Zurück—
nahme von Rechtsmitteln ausgeſprochen (RGZ. 81
S. 177), es muß aber auch für Zuſtändigkeitsverein—
barungen gelten. (Urt. des IV. 35. vom 22. Sept. 1913,
IV 333/13).
3200
-———ın.
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Mehrere Firmen eines Kaufmanns (GEB. 88 13,
17, 18, 30, 50 Abſ. 3). Der Kaufmann und Orthopäd
Franz M. betreibt in D. fabrikmäßig die Herſtellung
von Körper⸗Geradehaltern und iſt für dieſen Geſchäfts⸗
betrieb feit 16. Mai 1913 im Handelsregiſter des Amts⸗
gerichts D. mit der Firma „Zentrale Franz M.“ ein⸗
getragen. Am 19. Juni 1913 meldete M. zur Eintra⸗
gung in das Handelsregiſter des Amtsgerichts N. an,
daß er in N. eine Handelsniederlaſſung errichtet habe,
deren Gegenſtand die Vertretung der Firma Zentrale
Franz M. in D. bilde und die die Firma „Franz M.“
führe. Nach dem Ergebniſſe der Ermittelungen wies
das Amtsgericht die Eintragung zurück, da der Ge⸗
ſchäftsbetrieb des Franz M. in N. weder eine zweite
felbſtändige Hauptniederlaſſ ee eine eintragsfähige
Zweigniederlaſſung noch ein Agenturgeſchäft ſei. Die
Beſchwerde des M. hatte keinen Erfolg. Auf die weitere
Beſchwerde wurden die Entſcheidungen aufgehoben und
das Amtsgericht angewieſen erneut zu verfügen.
Aus den Gründen: Der Beſchwerdeführer will
ſeine Niederlaſſung in N. nicht als Zweigniederlaſſung
des Geſchäfts in D., ſondern als ſelbſtändige Firma
eintragen laſſen. Nach der überwiegenden Anſicht kann
jeder Kaufmann, der mehrere Niederlaſſungen hat, ver⸗
ſchiedene Firmen führen, vorausgeſetzt, daß die Geſchäfte
getrennt und ſelbſtändig betrieben werden (Staub,
HGB., 9 Aufl., Bem. 3 zu 817; Brand, HGB. Bem. I, 6
Abſ. 2 zu 8 17, Bem. 2, b zu 8 50 u. a.). Der Senat
ſchließt ſich dieſer Anſicht an, für die auch der Wort⸗
laut des § 50 Abſ. 3 HGB. ſpricht. Betreibt der nämliche
Kaufmann in verſchiedenen Niederlaſſungen die Her⸗
ſtellung und den Verkauf der gleichen Ware, ſo hängt
es von ſeinem Willen ab, ob der Betrieb einheitlich
oder in jedem Geſchäft ſelbſtändig geführt wird. Keine
Vorſchrift hindert ihn, am Orte ſeines Wohnſitzes oder
an einem anderen Orte ein Handelsgeſchäft — ſei es
das gleiche, das er an ſeinem Wohnſitze betreibt, oder
ein anderes — unter der gleichen oder unter einer
anderen Firma zu betreiben, ſofern er nur den 88 18
und 30 HGB. Rechnung trägt. Es kommt alſo nur
darauf an, ob die Niederlaſſung in N. gegenüber dem
Geſchäfte in D. ſelbſtändig iſt.
Der Beſchwerdeführer hat den Vertrieb ſeiner ortho⸗
pädiſchen Geradehalter ſo eingerichtet, daß er an ver⸗
ſchiedenen Orten Mittelpunkte geſchaffen hat, von denen
aus ſie in einem beſtimmten Umkreis verkauft werden.
Einer dieſer Mittelpunkte iſt N. Dort hat er eine Ge⸗
hilfin aufgeſtellt, die in ſeinem Namen die Beſtellungen
aufſucht und entgegennimmt, die Maße nimmt und
zur Ausführung des Auftrags an die Fabrik abgibt,
die die fertigen Waren zugeſchickt erhält, an den Be⸗
ſteller auslieſert, etwaige Aenderungen beſorgt und die
Kaufpreiſe empfängt. Dort werden durch eine eigene
Buchhalterin die Beſtellungen und die Ablieferungen
der Waren ſowie die Zahlungen verbucht. Dorthin
begibt ſich der Geſchäftsherr von Zeit zu Zeit, um die
Führung der Geſchäfte zu uͤberwachen. Der Vetrieb
iſt alſo von dem in D. äußerlich wahrnehmbar getrennt.
Würde allerdings die Niederlaſſung in N. bloße Vorbe⸗
reitungs- oder Vermittelungs-oder Hilfsgefchäfte feines
Geſchäfts in D. beſorgen, ſo würde ihr die Selbſtändig⸗
keit fehlen. Denn die feſtſtehende Rechtſprechung ſpricht
bei einem ſolchen Abhängigkeits verhältnis einer Nieder
laſſung mit Recht die Eigenſchaft einer firmenfähigen
Zweigniederlaſſung ab. In einem ſolchen Falle können
um ſo weniger mehrere firmenfähige Hauptniederlaſ—
ſungen vorliegen. Allein in der Niederlaſſung in N.
werden ſelbſtändig Geſchäfte gemacht und zwar nicht
bloß nebenſächliche oder nach genau gegebenen An—
weiſungen ſchematiſch zu erledigende, ſondern auch für
das Geſchäft weſentliche mit einer gewiſſen Freiheit
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 47
— ——— —
der Entſchließung für die Leiterin. Dadurch, daß die
Waren in D. hergeſtellt und von dort verſendet und
daß dorthin die Gelder abgeliefert werden, wird die
Selbſtändigkeit der Niederlaſſung in N. nicht beein⸗
trächtigt, auch nicht dadurch, daß von einem Lager
fertiger Waren in der onen zu N. nicht ges
ſprochen werden kann, da die Waren erſt nach Maß
und auf Beſtellung geliefert werden können, ein Vor⸗
rat alſo gar nicht möglich iſt. Die Niederlaſſung in
N. hat auch ein beſonderes Geſchäftsvermögen. Ein
ſolches ſind mindeſtens die ausſtehenden Forderungen
und die von der Handlungsgehilfin vereinnahmten noch
nicht abgelieferten Kaufpreiſe, andrerſeits die Schulden
für Löhne und Miete. Die Höhe dieſes Vermögens
it nicht von Belang. (Beſchl. des I. ZS. v. 8. Nov.
1913, Reg. III 87/1913). W.
3183
II.
Begriff des Kleingewerbes. Boraubſetzungen für die
Annahme eines kaufmänniſchen Betriebs bei einem Fiſch⸗
udelsgeſchäfte. (G. 88 2, 4; ADHEB. Art. 4, 10).
us den Gründen: Das LG. meint, daß die Vor⸗
ſchriften des HB. über die Firma auf M. K. nicht an⸗
zuwenden ſeien, weil ſein Gewerbebetrieb nicht über
den Umfang des Kleingewerbes hinausgehe (84 HGB.).
Als Maßſtab dafür, ob ein Gewerbebetrieb den Um⸗
fang des Kleingewerbes überſchreite, gelte nicht nur
der Umfang des Geſchäfts und die Höhe des Umſatzes,
ſondern auch die Art des Geſchäftes. Der Senat teilt
die Meinung, daß zum Begriffe des Kleingewerbes ein
Gewerbebetrieb gehört, der ſowohl wegen ſeines Um⸗
fanges als auch wegen feiner Art keine kaufmänniſche
3 80 erfordert; der Begriff „Kleingewerbe“ in
94 GB. iſt im engſten Zuſammenhange mit dem 82
HEB. auszulegen, dieſer aber ſpricht von einem Ge⸗
werbebetrieb, der nach Art und Umfang einen in kauf⸗
männiſcher Weiſe eingerichteten Geſchäftsbetrieb er»
fordert. Dieſe Anſicht iſt herrſchend (vgl. Staub 9. Aufl.
Bd. 1 S. 67; Ritter S. 14; Düringer⸗ Hachenburg S. 154;
Brand S. 20, 29 u. a.).
Das Geſchäft des K. iſt eines der größten dieſer
Art in N., weiſt einen jährlichen Umſatz von ungefähr
90000 M auf und verwendet ftändig 4 Hilfskräfte. Es
iſt alſo nach feinem Umfang erheblich. Das LG. meint
aber, die einfache Art, wie der große Umſatz erzielt
werde, mache kaufmänniſche Einrichtung unnötig. Es
beruft ſich darauf, daß K. keinen eigentlichen Laden
mit Schaufenſtern und den bei großen Lebensmittel⸗
geſchäften üblichen geſundheitlichen Einrichtungen habe,
daß er ſeine Fiſche in einer Art kleinen, offenen Altane
verkaufe, die hinter ſeinem, abſeits von allem Geſchäfts⸗
verkehr in einer Nebengaſſe liegenden Hauſe über das
vorbeifließende Gewäſſer hinausrage und einen äußerſt
beſchränkten Eindruck mache. Allerdings können unter
Umſtänden auch Betriebs-, Lager⸗ und Geſchäftsräume
Anhaltspunkte für die Notwendigkeit kaufmänniſcher
Betriebsweiſe geben. Es kommt aber darauf an, um
welche Waren es ſich handelt; für das Geſchäft des
K. iſt ein am Waſſer liegendes Haus am geeignetften;
er braucht bei ſeinem bekannten Geſchäfte keinen Laden
mit Schaufenſtern; die Lagerung der Fiſche in ſolchen
Fenſtern iſt ganz unzweckmäßig; der Verkauf in einem
offenen Raume und in der Art, daß jeder Fiſch friſch
aus dem Waſſer geholt wird, iſt die beſte geſundheit⸗
liche Einrichtung. K. hat das Haus um 45 000 M er⸗
worben, alſo ein bedeutendes Kapital verwendet; das
ſpricht aber für die Notwendigkeit kaufmänniſcher Be⸗
triebsweiſe. Das LG. ſtützt ſich vor allem darauf,
daß K. ſeine Ware im weſentlichen gegen bar kaufe
und verkaufe, nur die Hotels rechneten monatlich ab;
Forderungen und Schulden ſeien ſo gut wie nicht vor⸗
genden: Dies ſpricht nicht gegen die Notwendigkeit
aufmänniſcher Betriebsweiſe. K. hat einen großen
Kreis von Lieferanten; wenn er auch im weſentlichen
gegen bar kauft und verkauft, ſo macht er doch auch
erhebliche Verkäufe an Hotels und Wirtſchaften auf
kurzen Kredit. Der ordnungsmäßige Betrieb erfordert
hiernach kaufmänniſche Einrichtungen, insbeſondere
eine geordnete Buchführung; K. führt auch Bücher;
ob dieſe den kaufmänniſchen Anforderungen genügen,
iſt gleichgültig. Denn entſcheidend iſt nicht, ob die
ührung des Geſchäfts durch den gegenwärtigen In⸗
aber, ſondern ob der ſachliche Befund eine kauf⸗
männiſche Betriebsweiſe erforderlich macht.
K. darf hiernach eine Firma führen. Es fragt ſich
noch, ob er die eingetragene Firma „Heinrich M.“
führen darf. Das trifft zu, wenn es die ee
des K., Simon M. und Heinrich M. durften und Hein⸗
rich M. beim Geſchäftsübergang auf Simon M. und
dieſer beim Geſchäftsübergang auf Michael K. in die
ortführung der Firma ausdrücklich willigten. Das
G. verneint auch dieſe Fragen, weil Heinrich M. und
Simon M. gleichfalls nicht firmenberechtigt geweſen
ſeien. Jedoch mit Unrecht. Bezüglich des Heinrich M.,
der das Geſchäft bis zum Jahre 1890 unter der Firma
„Heinrich M.“ geführt hat, iſt das ADHGB. anzu⸗
wenden. Nach deſſen Art. 10 waren die Vorſchriften
über die Firmen, die Handelsbücher und die Prokura
auf Höker, Trödler, Hauſierer u. dgl. Handelsleute von
geringem Gewerbebetriebe nicht anzuwenden. Die Aus⸗
legung der Worte: „u. dgl. Handelsleute von geringem
Gewerbebetrieb“ war nicht unbeſtritten. Nach der
einen Meinung war jeder Minderkaufmann i. S. des
Art. 10, deſſen Gewerbebetrieb einen geringen Um⸗
fang hatte; die andere Meinung verlangte auch noch
eine Aehnlichkeit mit den Geſchäften der Höker, Trödler
und Hauſierer. Nicht ganz zutreffend iſt die Annahme
in der Denkſchrift zum HGB. vom 10. Mai 1897 (S. 15),
daß ſich die Worte: „u. dgl. Handelsleute von ge⸗
ringem Gewerbebetrieb“, nach übereinſtimmender An⸗
ſicht der 1 und Rechtſprechung nur auf Per⸗
ſonen beziehen, deren Gewerbebetrieb ſeinem Gegen⸗
ſtand nach mit den Betrieben der Höker, Trödler und
Hauſierer verwandt ſei; für die andere Anſicht haben
ſich Thöl Bd. I 8 39, Anſchütz und Völderndorff Bd. I
S. 679 ausgeſprochen. Zu dieſer Frage braucht aber
keine Stellung genommen zu werden, da Heinrich M.
weder nach der einen noch nach der anderen Richtung
unter die Minderkaufleute fallen würde Er verkaufte
/s feiner Fiſche in feinem Anweſen und nur an einem
Tage der Woche ließ er ſeine Waren auch auf dem
Markte feilbieten; es kann deshalb nicht davon ge⸗
1 werden, daß ſein Geſchäft Aehnlichkeit mit
em eines Hökers hatte. Es handelte ſich aber auch bei
einem Umſatze von jährlich 10 000 - 12 000 M nicht um
einen geringen Gewerbebetrieb. Heinrich M. war hier⸗
nach Vollkaufmann, er durfte eine Firma führen und
wäre berechtigt und verpflichtet geweſen, ſie in das
Handelsregiſter eintragen zu laſſen. Gemäß Art. 22
ADH. konnte er dieſes Firmenrecht auf den Erwerber
des Geſchäfts übertragen ohne Rückſicht darauf, ob
die Firma im Handelsregiſter eingetragen war oder
nicht. (Beſchl. des I. ZS. vom 10. Oktober 1913, Reg. III
65/1913). W.
3184
III.
Beſchwerdegegenſtand bei Beſchwerden wegen Er⸗
teilung eines Erbſcheins, wenn Grundſtücke zum Nach⸗
laſſe gehören. Sophie A. hat ihre 5 Kinder zu Erben
eingeſetzt jedem beſtimmte Nachlaßgegenſtände, ins⸗
beſondere dem Sohne Paul vorweg die Villa in S.
mit Nebengebäuden und ſämtlichen hiezu gehörigen
Grundſtücken zugewendet. Nachdem die Beteiligten
die Erbſchaft angenommen hatten, beantragte Paul A.
die Ausſtellung eines Erbſcheins darüber, daß er Erbe
des geſamten Grundbeſitzes in S. geworden ſei, und
gab den Wert auf 1000 000 M an. Das Amtsgericht
ſtellte den Erbſchein in dieſem Sinne für Paul, A. aus;
48 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2,
der Grundbeſitz wurde im Grundbuch umgeſchrieben.
Später beſchloß das Amtsgericht, daß der dem Paul A.
bezüglich des Grundbeſitzes ausgeſtellte Erbſchein ein⸗
gezogen werde, weil er unrichtig ſei. Die Beſchwerde
wurde vom Landgerichte zurückgewieſen. Den Wert
des Beſchwerdegegenſtandes ſetzte das 88. auf 1000000 M
feſt. Auf die Beſchwerde gegen die Wertsfeſtſetzung
ſetzte das Obs G. den Wert auf 12 000 M feſt.
Gründe: Der Wert des Beſchwerdegegenſtandes
iſt hier nicht der Wert der Grundſtücke, ſondern maß⸗
gebend iſt das Intereſſe, das der Beſchwerdeführer an
dem Erfolge der Beſchwerde hat, und dieſes Intereſſe
beſteht in der Erſparung der Koſten, die durch einen
Auseinanderſetzungsvertrag über den Grundbeſitz in S.
entſtehen. Nach Art. 147 Geb. wird für Verträge
über die Auseinanderſetzung in Anſehung eines Nach⸗
laſſes, ſoweit ſie Grundſtücke zum Gegenſtand haben,
die Gebühr von 1% der Gegenſtandsſumme, ir aus
1000000 * 10000 M erhoben. Im Hinblick hierauf
und auf die Notariatskoſten iſt es angemeſſen, den
Wert des Streitgegenſtandes auf 12 000 M feſtzuſetzen.
(Beſchl. des I. JS. v. 5. Dez. 1913, Reg. III .
8188 .
IV.
Far die Rückſendung der bei der ee er
vo enden Ausfertigung des angefochtenen Urteils
dürfen Poſtgebähren nicht erhoben werden (GKG. 8 80 b).
In einer Streitſache hat der Rechtsanwalt T. für
die Beklagten Reviſion eingelegt und eine Aus⸗
fertigung des angefochtenen Urteils vorgelegt. Das
Obs. erklärte ſich für zuſtändig. Dem von den Re⸗
viſionsklägern für die Reviſionsinſtanz beſtellten Rechts⸗
anwalt wurde auf Antrag die vorgelegte Ausfertigung
des Berufungsurteils von der Gerichtsſchreiberei des
Obs. als portopflichtige Dienſtſache zurückgeſandt.
Auf Erinnerung des Rechtsanwalts hin erklärte das
Obs G. die Erhebung von Poſtgebühren für die Rück⸗
ſendung als nicht gerechtfertigt.
Gründe: Nach 8 1 GKG. werden in den vor die
ordentlichen Gerichte gehörenden Rechtsſachen, auf
welche die ZPO., die StPO. oder die KO. anzuwenden
ſind, Gebühren und Auslagen der Gerichte nur nach
dem GKG. erhoben. Im 8 79 Nr 1 und 8 i. d F. der
Nov. v. 1. Juni 1909 ſind die zu erhebenden baren Aus⸗
lagen aufgeführt. Die in § 79 Nr. 2 a. F. aufgeführten
Poſtgebühren werden nicht mehr erhoben; dagegen
werden nach $ 80 b n. F. zur Deckung der von den
Parteien nicht zu erſetzenden baren Auslagen Pauſch—
ſätze erhoben, die Poſtgebühren werden alſo durch die
Pauſchſätze mit abgegolten (Sydow, GKG., 9 Aufl Anm.
und 2 zu 8 80 b). Diefe Beſtimmungen find in bürger-
lichen Streitigkeiten auf alle von dem Gerichte oder
der Gerichtsſchreiberei ausgehenden Poſtſendungen an-
zuwenden, ſoferne dieſe mit der anhängigen Streits
ſache zuſammenhängen Dies iſt bei der Rückſendung
der mit der Reviſionsſchrift vorgelegten Ausfertigung
des Urteils der Fall. Nach 8 553 a ZPO. ſoll mit der
Reviſionsſchrift eine Ausfertigung oder beglaubigte Ab—
ſchrift des Urteils, ſowie der Nachweis der Zuſtellung
vorgelegt werden. Dieſe Vorſchrift ſoll dem Gerichte
die Prüfung ermöglichen, ob die Reviſion in der ges
ſetzlichen Form und Friſt eingelegt iſt (§ 554 a); die
Abſchrift iſt dem Reviſionskläger zurückzugeben (f. a.
§ 11 Abſ. IV der Geſchel f. d Gerichtsſchreibereien der
LG. in ZS. vom 2. März 1910 bezüglich der Rückgabe
der gemäß § 518 Abſ 3 ZPO. vorgelegten Ausfertigung
oder beglaubigten Abſchrift; § 1 der Geſchel f. d. Ge:
richtsſchreibereien der Oe in ZS. vom 2. März 1910,
JM Bl. S. 480, 547). (Beſchl. des II. 3 S. v. 3. Dez. 1913,
Reg. I 119/113). W.
3139
B. Strafſachen.
I
Luſtbarkeitsſtener. Was verficht man unter Ber:
auſtaltung einer öffentlichen Luſtbarkeit 7 Der Schank⸗
wirt Sch. in H. ſpielte abends in ſeiner Wirtſchaft mit
zwei Gäſten A und B Skat; fie machten um 10 Uhr
eine Eſſenspauſe; bis A und B ihren Imbiß einge⸗
nommen hatten, ſpielte Sch. auf der Violine drei kleine
volkstümliche Stücke und wurde auf ſein Anſuchen von
dem Gaſte W., einem Berufsmuſiker, unentgeltlich be⸗
gleitet. An einem anderen Tiſche hatte ein Gaſt ſeinen
Tiſchgenoſſen ein Fäßchen Bier zum beſten gegeben; gegen
12 Uhr kam zu dieſen ein weiterer Gaſt C, der, aus Ge⸗
fälligkeit von W. auf dem Klavier begleitet, auf der
Violine des Sch. ein Stück ſpielte. Um 12 ½ Uhr ent⸗
fernten ſich alle Gäſte. Sch. wurde angeklagt, daß er
abends in feiner Wirtſchaft eine mufifalifhe Unter⸗
haltung ohne Anzeige und Entrichtung der Armen⸗
abgabe veranſtaltet und ſich dadurch gegen 8 1 der
ortsp. Vorſchrift der Stadt H. verfehlt habe. Sch.
wurde freigeſprochen. Die Reviſion des Staatsanwalts
wurde verworfen.
Aus den Gründen: Maßgebend für die Pflicht
zur Entrichtung örtlicher Abgaben und zur Anzeige⸗
erſtattung iſt 8 1 der Gemeindeſatzung und 8 1 der
ortsp. Vorſchrift, wonach für die Beranſtaltung öffent⸗
licher Luſtbarkeiten“ örtliche Abgaben zu entrichten und
von dieſen Veranſtaltungen Anzeige zu erſtatten iſt.
Die Begriffe Veranſtaltung und öffentliche Luſtbarkeit
dürfen nicht voneinander losgelöſt, ſondern nur in
ihrem inneren Zuſammenhange betrachtet werden. Der
Ausdruck „Veranſtalten“ findet ſich in Strafgefegen
(3. B. S 286 StGB., Art. 32 PSt GB.), in der GewO.
88 33a, 55 Abſ. 1 Ziff. 4, 105 1 Abſ. 1 und 154 Abſ. 1
Ziff. 3; ebendaſelbſt und in 8 33 b GewO. außer in
8 286 StGB. findet ſich auch der Ausdruck Luſtbarkeit.
Nirgends ſind dieſe Begriffe umſchrieben; auch die Ge⸗
meindeſatzung und die ortsp. Vorſchrift enthalten keine
Begriffsbeſtimmung. Die Satzung zählt zwar Bei⸗
ſpiele auf, dieſe können aber nur dann Geltung be⸗
anſpruchen, wenn die Ausdrücke „öffentlich“, „Ver⸗
anſtaltung“ und „Luſtbarkeit“ auf den Einzelfall zu⸗
treffen. „Oeffentlichkeit“ iſt gegeben, wenn die Ver⸗
anſtaltung nicht auf beſtimmte Perſonen beſchränkt,
ſondern jedermann zugänglich iſt (Obs SSt. 12 S.
245 ff.). Als weſentliches Merkmal des Begriffs „Ver⸗
anſtaltung“ darf nach der ſprachlichen und rechtlichen
Bedeutung angenommen werden, daß jemand dritten
Perſonen auf irgendeine Weiſe die Abſicht kundgibt,
eine beſtimmte, das Publikum berührende Handlung
herbeizuführen oder ins Werk zu ſetzen. Von einer
Veranſtaltung kann ſomit dann nicht die Rede ſein,
wenn jemand etwas unternimmt ohne die Abſicht,
durch das Unternehmen in Beziehungen zum Publikum
zu treten.
In der Entſcheidung des VGH. vom 16. Dez. 1911
(Samml. Bd. 33 S. 62) iſt ausgeführt, daß von den
preußiſchen, ſächſiſchen und heſſiſchen oberſten verwal⸗
tungsrichterlichen Inſtanzen aus dem Sprachgebrauch
und der Verkehrsſitte in Uebereinſtimmung mit der
Rechtslehre unter „Luſtbarkeiten“ ſolche Veranſtal⸗
tungen, Darbietungen und Vorführungen zu verſtehen
ſind, die nach der Abſicht der Veranſtaltenden dazu
beſtimmt und geeignet ſind zu ergötzen und zu unter⸗
halten. Der Senat erachtet dieſe Begriffsbeſtimmung
für erſchöpfend und zutreffend. Demnach kann von
der „Veranſtaltung einer Luſtbarkeit“ nicht geſprochen
werden, wenn eine oder mehrere Perſonen einer augen—
blicklichen Eingebung oder Laune folgend zur Befriedi—
gung ihres eigenen Empfindens ohne die Abſicht, hiedurch
andere Perſonen zu ergötzen und zu unterhalten, eine
Handlung unternehmen, z. B. ſingen oder muſizieren.
In dieſem Sinne hat ſich auch das Kammergericht aus—
geſprochen (Recht Bd. 16 S. 212, DJ. Bd. 17 S. 349).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
Die von Sch. und W. einerſeits, dann die von W. und
C anderſeits geſpielten Muſikſtücke lagen ſchon zeit⸗
lich ſo weit auseinander, daß von einem inneren Zus
ſammenhange, von einer einheitlichen Muſikaufführung
nicht die Rede ſein kann. Darnach ſind beide Muſik⸗
vorträge geſondert zu prüfen. Sch. benützte die durch
je raſcheres Eſſen geſchaffene kurze Pauſe zwiſchen
em Abendimbiß und dem Wiederbeginne des Karten⸗
Irre: um fi mit Hilfe des W. durch Spielen auf der
ioline ein muſikaliſches Vergnügen zu bereiten; es
lag nicht in ſeiner Abſicht, die Gäſte zu unterhalten
und zu ergößen. Die gleichen Gedanken und Abſichten
herrſchten bei W. und C, als ſie miteinander ein Stück
ſpielten. Aus dem gleichen Grunde wie Sch. griff auch
C zur Violine und W. begleitete ihn auf dem Klavier,
um deſſen Freude am Spiel voll zu machen. Fehlte
mithin bei Sch. die Abſicht, eine feine Gäſte berührende
Muſikaufführung ins Werk zu ſetzen und durch ſein
Spiel die Gäſte zu unterhalten und zu ergötzen, fo
iſt die Annahme einer durch Sch. erfolgten Veran⸗
ſtaltung einer Luſtbarkeit ausgeſchloſſen. Wäre die
vom Staatsanwalt vertretene Auffaſſung von der Be⸗
deutung und Tragweite des 8 1 der Gemeindeſatzung
richtig, ſo müßte im Stadtbezirke H. für jeden Aus⸗
bruch einer heiteren Wein» oder Bierlaune, die ſich in
einem Gaſthaus oder in einem ſonſtigen öffentlichen
Bergnügungsraume durch Geſang oder Spiel kund⸗
gibt, die Anzeige erſtattet und die Abgabe entrichtet
werden. Daß der Geſetzgeber nicht ſolche Ergebniſſe
herbeiführen wollte, liegt auf der Hand. (Urt. v. 21. Okt.
1913, Rev.⸗Reg Nr. 444/1913). Ed.
3180
II.
RE Bedeutung und Trag⸗
weite des Begriffs: „land wirtſchaftliche Tätigkeit“. Der
in B. wohnhafte Angeklagte hat als Relſender der
Firma W. in J. in mehreren Jahren in verſchiedenen
Orten des Amtsgerichtsbezirks M. ohne Begründung
einer gewerblichen Niederlaſſung und ohne Beſtellung
bei Landwirten Beſtellungen auf eiſerne, von der Firma
W. gefertigte und in den Handel gebrachte Backöfen
aufgeſucht. Er beſaß eine Gewerbelegitimationskarte,
aber keinen Beſteuerungsnachweis nach Art. 7 HaufSt®.
Das Schöffengericht ſprach frei. Das LG. verurteilte
auf Grund des Art. 16 des Geſetzes. Die Reviſion
des Angeklagten drang durch.
Aus den Gründen: Das Aufſuchen von Be⸗
ſtellungen auf die von der Fima W. in den Handel gebrach⸗
ten eiſernen Backöfen war nach Art. 2 Ziff. 1 Hauſ StG.
und 8 44 Abſ. 3 GewO. der Steuer vom Gewerbebetrieb
im Umherziehen nicht unterworfen, weil die zum Kauf
angebotenen Backöfen Waren find, die in dem Geſchäfts⸗
betriebe der Landwirte verwendet werden. Unter den
Begriff des Geſchaftsbetriebs i. S. des § 44 Abſ. 3 GewO.
fällt auch die auf Erzielung von Gewinn gerichtete land⸗
wirtſchaftliche Tätigkeit (Slg. XI S. 264). An der von
der Strafkammer und von dem Senat in dem bezeichneten
Urteile vertretenen Auffaſſung, daß landwirtſchaftliche
Tätigkeiten nur ſolche ſind, die unmittelbar der Er⸗
zeugung von Früchten, von Vieh und von Milch uſw.
dienen, kann bei erneuter Prüfung nicht ohne eine ge⸗
wiſſe Einſchränkung feſtgehalten werden. Die auf Er⸗
zielung von Gewinn gerichtete landwirtſchaftliche Be⸗
triebstätigkeit iſt mit der Erzeugung von Früchten, Vieh
und Milch nicht abgeſchloſſen, zu ihr muß vielmehr
auch jede Tätigkeit gezählt werden, die auf Erhaltung,
Veredelung und nutzbringende Verwertung der lands
—
1) Anmerkung des Herausgebers. Der Entſcheidung iſt
durchaus beizuſtimmen. Sle iſt aber auch um deswillen lehrreich,
weil fie zeigt, mit welchen Nichtigkeiten oft die Gerichte bis binauf
zur hö pſten Inſtanz beläſtigt werden. Auch um eines angeblichen
„Berwaltungsintereſſes“ willen ſollte ein ſolcher Fall nicht bis an
das Oberſte Landesgericht hinaufgerrieben werden, am wenigſten in
einer Zeit, in der alles nach Geſchäftsverelnfachung ruft!
—— . —ᷣ᷑————————————— MNwů dN . 4—
49
wirtſchaftlichen Erzeugniſſe abzielt. Denn erſt hiedurch
wird der Endzweck der berufsmäßig ausgeübten Land⸗
wirtſchaft erreicht, nämlich Gewinn durch die Bewirt⸗
ſchaftung des Bodens zu erzielen. Dem landwirtſchaft⸗
lichen Geſchäftsbetriebe muß daher zugerechnet werden
z. B. die Umwandlung von Milch in Butter, Butter⸗
ſchmalz und Käſe, die Erzeugung von Fruchtbranntwein
oder Spiritus aus den im Betriebe der Land wirtſchaft
gewonnenen Früchten, das Erhalten von Obſt durch
Dörren, kurz jede Tätigkeit, die den landwirtſchaftlichen
Betrieb für den Inhaber zu einem nutzbringenderen
geſtalten ſoll. Deshalb kann auch das Backen von Brot
aus Getreide, das der Landwirt gewonnen hat, eine
zum landwirtſchaftlichen Betriebe gehörige Tätigkeit
ſein. Denn auch dieſe Tätigkeit ſoll unmittelbar den
Betrieb der Landwirtſchaft nutzbringender machen.
Wenn ſelbſtgewonnenes Getreide zum Backen von Brot
verwendet wird, ſo wird nach den Erfahrungen des
Lebens eine größere Menge Brot hergeſtellt, als mit
dem durch den Verkauf der gleichen Menge Getreide
erzielten Preiſe gekauft werden kann. Daran wird
nichts dadurch geändert, daß das Baden von Brot
im eigenen Backofen nicht gerade der Landwirtſchaft
eigen, ſondern auch bei anderen Berufsklaſſen gebräuch⸗
lich iſt. Das Backen von Brot aus ſelbſtgewonnenem
Getreide fällt alſo in den Rahmen des landwirtſchaft⸗
lichen Geſchäftsbetriebs. Es kann nicht darauf an⸗
kommen, ob die Landwirte, die der Angeklagte beſucht
hat, alle wirklich ihr Brot aus ſelbſt gewonnenem Ge⸗
treide backen. 8 44 GewO. geſtattet das Aufſuchen von
Warenbeſtellungen bei Perſonen, in deren Geſchäfts⸗
betriebe Waren der angebotenen Art verwendet werden.
Diefe Vorſchrift iſt dahin auszulegen, daß es genügt,
wenn Waren der angebotenen Art im allgemeinen in
dem Geſchäftsbetriebe der Perſon verwendet werden,
die zum Aufſuchen einer Beſtellung beſucht wird; es
kommt nicht 1 an, daß ſie in einzelnen Fällen
in dem Geſchäftsbetrieb ausnahmsweiſe nicht verwendet.
werden. Es genügt, daß es im allgemeinen in getreide⸗
bauenden Gegenden bei den Landwirten gebräuchlich
iſt, das für den Haushalt und für die Dienſtleute
nötige Brot aus ſelbſtgewonnenem Getreide ſelbſt zu
backen. Darnach iſt der Gewerbebetrieb des Angeklagten
der Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen nicht
unterworfen. (Urt. vom 25. Oktober 1913, Rev.⸗Reg.
Nr. 488/1913). Ed.
8185
III.
Das Schankrecht der Bierbrauer nach Art. 9 lit. b
91 1 des bayer. Gew. v. 30. Jaunar 1868. (Siehe dieſe
eitſchrift 1912 Nr. 16/17 S. 322 und Nr. 19 S. 377).
Die Angeklagte wurde in III. Inſtanz freigeſprochen.
Aus den Gründen: Die Entſtehungsgeſchichte
des Art. 9 lit. b Ziff. 1 des Geſ. v. 30. Januar 1868
zeigt einerſeits die Abſicht, die Schankbefugnis der Brauer
eher zu erweitern als einzuſchränken (vgl. Obs SSt. 2
S. 72; Bd. 5 S. 135; Bd. 9 S. 187), anderſeits führt
ſie dazu, daß bei der Beurteilung der Ausſchankberechti⸗
gung der Brauer von dem Grundſatze der Gewerbe⸗
freiheit ausgegangen werden muß und nicht auf den
früheren Rechtszuſtand oder die geſchichtliche Entwicklung
eines Brauereiunternehmens zurückgegriffen werden
darf. Bei der Entſcheidung der Frage, ob die Ange⸗
klagte das von ihr gebraute Bier auf ihrem Anweſen
ausſchenken darf, iſt nicht davon auszugehen, ob das
ausgeſchenkte Bier ein eigenes Erzeugnis der Ange⸗
klagten iſt, ſondern davon, ob die Angeklagte Brauer
im geſetzlichen Sinn iſt. Nur der Brauer hat die kon⸗
zeſſionsfreie Ausſchankbefugnis und dieſe Befugnis iſt
auf ſein eigenes Erzeugnis beſchränkt. Die Angeklagte
iſt Brauer i. S. des Geſetzes. Die Generalſtaatsan⸗
waltſchaft hält der Reviſion entgegen, daß Brauer iſt,
wer das Brauereigewerbe ſelbſtändig „mit eigens für
ihn“ beſtimmten Einrichtungen und Vorrichtungen be—
treibt. Dieſer Satz gilt zweifellos für die Faͤlle, in
50 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. N
denen eine phyſiſche Perſon als Alleineigentümerin
der Einrichtungen und Vorrichtungen die Brauerei auf
eigene Rechnung betreibt; es iſt nur ein Brauer i. S.
des bürgerlichen Rechtes und i. S. des Gewerbeweſens
vorhanden. Stirbt der Alleineigentümer und ſetzen
mehrere Erben als ſeine Rechtsnachfolger den Betrieb
auf gemeinſchaftliche e fort, ſo ſteht ihnen nur
ein Recht i. S. des Gewerbeweſens aber in ihrer
Geſamtheit zu. Wird eine Brauerei von einer Geſell⸗
ſchaft oder juriſtiſchen Perſon auf gemeinſame Rechnung
betrieben, ſo liegt nur ein Betrieb für eine wirtſchaft⸗
liche Rechnung vor, daher auch nur ein Brauer i. S.
des Gewerbeweſens. Für die eine Verbandsperſönlich⸗
keit gelten die Vorſchriften des öffentlichen Rechtes,
ſoweit nicht durch die beſondere Natur der Perſönlichkeit
Ausnahmen notwendig ſind; ſolche Ausnahmen gelten
ſelbſtverſtändlich nicht für den Betrieb und für die bei
dem Betriebe beſchäftigten Perſonen.
Die Geſetze des bürgerlichen Rechtes geſtatten, daß
ſich mehrere phyſiſche Perſonen zum Betrieb eines wirt⸗
ſchaftlichen Unternehmens und zur Erzielung von Ge⸗
winn aus ihm vergeſellſchaften. Im Falle der Auf⸗
löſung geht zumeiſt die bisherige Verbandsperſönlich⸗
keit unter. Setzt ein Teil der Genoſſen das Unters
nehmen auf ſeine Rechnung fort, ſo entſteht in der
Regel eine neue Verbandsperſönlichkeit; die neue Form
des Unternehmens iſt maßgebend, wie für das bürgerlich⸗
rechtliche Verhältnis der Genoſſen nach innen und
außen, ſo auch für die gewerberechtliche Seite. Nach
bürgerlichem Rechte iſt es zuläſſig, daß die Teilnehmer
(Genoſſen, Geſellſchafter) einer „Sozietätsbrauerei“ eine
nur teilweiſe Auflöſung der bisherigen Betriebs⸗ und
Erwerbsform vereinbaren. Die Teilnehmer können
nur ein Stück der bisherigen Gemeinſchaft aufheben
und die Gemeinſchaft bezüglich eines anderen Stückes
fortſetzen. Eine ſolche Auseinanderſetzung findet ihren
ſchärfſten Ausdruck dann, wenn der bisher gemein⸗
ſchaftliche Betrieb durch Sonderbetriebe und Sonder⸗
erwerbe erſetzt wird und nur eine Art Betriebsmittel⸗
gemeinſchaft inſofern übrig bleibt, als gewiſſe Ein⸗
richtungen und Vorrichtungen, die bisher dem gemein-
ſamen Betrieb dienten, nunmehr dem Sonderbetrieb
und Sondererwerb — unter Fortdauer des gemein⸗
ſamen Eigentums — dienſtbar gemacht werden. Iſt
eine ſolche Betriebs⸗ und Erwerbsform nach bürger⸗
lichem Rechte zuläſſig, ſo kann auch nicht daran ge⸗
zweiſelt werden, daß ſie unter Umſtänden eine wirt⸗
ſchaftlich gerechtfertigte Maßregel iſt. Ja, es iſt denk⸗
bar, daß die bisherigen Geſellſchafter zu einer beſchränk⸗
ten Aufteilung und Auseinanderſetzung unter dem Druck
einer wirtſchaftlichen Zwangslage gekommen ſind und daß
ſie ohne dieſe eine reſtloſe Auflöſung vorgezogen hätten.
Es wird zuzugeben ſein, daß Beteiligte unter Um⸗
ſtänden eine ſolche Aenderung der bisherigen Verhält-
niſſe vorgenommen haben, um rechtswidrige Ziele zu
erreichen. Sollte dies die Abſicht geweſen ſein, z. B.
die Abſicht vorgelegen haben, unter der Form der
„Auflöſung“ und der „Schaffung neuer ſelbſtändiger
Betriebe“ vermehrte Rechte zum Betriebe neuer Bier—
ſchankſtellen zu begründen, ſo wird einem ſolchen Treiben
leicht begegnet werden können. Wo aber Anhaltspunkte
dafür fehlen, daß eine Aufteilung mit dem Ziele rechts—
widriger Erfolge geſchah, wo vielmehr alle Anzeichen
dafür vorhanden ſind, daß die Beteiligten aus guten
wirtſchaftlichen Erwägungen einen Gemeinſchaftsbetrieb
durch Sonderbetriebe erſetzt und nur die Einrichtungen
und Vorrichtungen zu gemeinſamem Eigentume zu—
rückbehalten haben, da iſt die Frage gerechtfertigt, ob
einem ſolchen Unternehmen, das nach bürgerlichem echte
zuläſſig und wirtſchaftlich mit guten Gründen unter:
ſtützt iſt, nicht auch die gewerberechtlichen Vorſchriften zu:
ſtatten kommen ſollen. Bei der Prufung dieſer Frage
iſt zuzugeben, daß als Brauer im Regelfalle zu gelten
hat, wer die Brauerei mit eigens für ihn beſtimmten
Einrichtungen und Vorrichtungen betreibt und daß der
zur Entſcheidung ſtehende Fall von dieſem Regelfall
in manchem Stück abweicht und einer gewiſſen Eigen⸗
art nicht entbehrt. Aber der Richter wird zu prüfen
haben, ob einer beſtimmten Erſcheinung des wirtſchaft⸗
lichen Lebens, auch wenn ſie von den Erſcheinungen des
Regelfalls abweicht, nicht doch ein Raum und eine Da⸗
ſeinsberechtigung innerhalb der Rechtsordnung zuge⸗
wieſen werden kann.
Das Geſetz will, die Gewerbebehoͤrde kann nicht ver⸗
hindern, daß der Brauer ſein ſelbſterzeugtes Bier aus⸗
ſchenkt; es ſind alſo inſoweit Schankſtellen zuläſſig, als
es Brauer gibt, die je im bezeichneten Raume das eigene
Erzeugnis ausſchenken. Man kann alſo nicht wohl davon
reden, daß die Ausnahmevorſchrift des Art. 9 ſtreng
auszulegen ſei. Darüber ſchweigt das Geſetz, daß das
Bler von dem „Erzeuger“ nur ausgeſchenkt werden
dürfe, wenn es auf einer ihm gehörenden Brauſtätte
erzeugt iſt; der Satz, daß Brauer iſt, wer das Brauerei⸗
gewerbe ſelbſtändig mit „eigens für ihn“ beſtimmten Ein⸗
richtungen und Vorrichtungen betreibt, trägt in das
Geſetz mit den Worten „eigens für ihn“ etwas hinein,
was wohl dem Regelfalle entſpricht, aber als geſetz⸗
liches Erfordernis des Ausſchankrechts doch erſt zu er⸗
weiſen iſt. Wie ſchon oft, hat auch hier das Leben zu
Ausnahmen geführt, deren Berechtigung auch die Ge⸗
werbepolizeibehörden anerkennen mußten. War ein
Brauer aus irgendeinem Grunde (Brandfall u. dgl.)
verhindert, auf ſeiner Brauſtätte Bier zu erzeugen, ſo
kam es vor, daß ein anderer Brauer ihm geſtattete,
in ſeiner Brauſtätte (mit eigenem Perſonal, aus eigens
von ihm beigeſchafften Stoffen) Bier zu erzeugen, das
dann der Erzeuger, nachdem es in ſeinen Kellern der
Reife zugeführt worden war, in ſeinem Lokal aus⸗
ſchenkte, ohne von der Behörde beanſtandet zu werden.
Würdigt man den vorliegenden Fall an der Hand
der Feſtſtellungen und der Verhältniſſe, wonach ein
Teil der vorhandenen Einrichtungen und Vorrichtungen
dem P. und der Angeklagten gemeinſam iſt i. S. des
bürgerlichen Rechts, aber im betriebstechniſchen Sinne
doch wieder für den Sonderbetrieb beider eigens be-
ſteht, ein anderer Teil der Einrichtungen und Vor⸗
richtungen, der für die Erzeugung des Bieres unent⸗
behrlich iſt, im geſonderten Eigentume ſteht, jeder der
Beteiligten einen Sonderbetrieb zu Zwecken des Sonder⸗
erwerbs unternimmt, ſo iſt nicht einzuſehen, warum
nicht jeder als Brauer i. S. des Geſetzes gelten könnte.
Gegen dieſe Auffaſſung ſpricht nicht: 1. das Urteil des
OLG. München vom 31. Juli 1884 (3 S. 175, ſ. a. 6
S. 433, 7 S. 365); hier hat ein „Konſortium“ ein Kom⸗
munbrauhaus gekauft; die Mitglieder der Genoſſen⸗
ſchaft werden im Urteile als „Geſellſchafter“ bezeichnet;
2. die Entſcheidung des VGH. vom 30. Januar 1889
(XI S. 49), die von einer Mehrheit von Perſonen ſpricht,
die ein gemeinſames Brauereianweſen zum Zwecke der
Biererzeugung erworben hat. Hier iſt nur ein Teil
gemeinſam und ſteht zur Entſcheidung, ob das, was
gemeinſam iſt, den Sondererwerb und Sonderbetrieb
trotz alledem zu einem gemeinſchaftlichen ſtempeln kann.
Die Annahme, daß der Angeklagten und dem P. nur
ein „ungeteiltes Braurecht“ zuſtehe, kann auch nicht
auf das Reſkript vom 8. Juli 1803 oder auf den Be⸗
ſchluß des Landgerichts K. vom 17. Oktober 1861 ge»
ſtutzt werden. Mochte auch durch jenes Reſkript den
drei Anſteigerern der Kloſterbrauerei nur ein Brau—
recht verliehen worden ſein und vom Landgerichte K.
die im Beſchluſſe vom 17. Oktober 1861 ausgeſprochene
Anſchauung auf dieſes Reſkript geſtützt worden ſein; ſo
hängt doch ſeit der Geltung des Gef. v. 30. Januar
1868 und der GewO. (§ 1) die Berechtigung, Bier zu
brauen, nicht mehr von einer gewerbepolizeilichen Er—
laubnis ab. Seit der Geltung dieſer gewerberechtlichen
Vorſchriften konnen die Angeklagte und P. die Bier—
brauerei ohne die Erlaubnis der Gewerbepolizeibehörde
betreiben. (Urt. v. 11. Nov. 1913, Rev.⸗Reg. Nr. 459/1913).
3187 Ed.
————
Oberlandesgericht München.
1
Unzuläſſigkeit der Rechtshilfe (5815968 8.,25668.).
Nach dem Ableben des Schmiedmeiſters B. in N. wurden
die Akten nach Anhörung der Erben mangels Rücklaſſes
weggelegt. Als aber ein Vollſtreckungsgläubiger
auftrat und einen Erbſchein verlangte, erkannten die
am Sitze des Nachlaßgerichts anweſenden Erben an, daß
die Erbſchaft wegen Friſtablaufs als ungenommen gelte
und beantragten Inventarerrichtung. Die auswärtigen
Erben ſollten hierzu im Rechtshilfewege einvernommen
werden. Der Miterbe Franz B. ſchloß ſich beim AG. M.
auch den Erklärungen der früher Vernommenen an; der
weitere Miterbe Friedrich B. in St. erſchien trotz wieder⸗
holter Aufforderung des dortigen Amtsgerichts nicht.
Nunmehr erſuchte das Nachlaßgericht um deſſen Ladung
als Zeugen „über den Akteninhalt“ unter Strafandro⸗
hung. Das AG. St. lehnte dies ab und die Beſchwerde
des AG. N. blieb erfolglos.
Aus den Gründen: Die Verweigerung der
Rechtshilfe iſt zutreffend begründet. Allerdings hat
das erſuchte Gericht die Notwendigkeit des Erſuchens
nicht nachzuprüfen. Unzuläſſig iſt es aber auch im
Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, einen Be⸗
teiligten als Zeugen zu vernehmen und als beteiligt
iſt jeder Miterbe anzuſehen, auch wenn ein Gläubiger
den Antrag auf Erbſchein geſtellt hat (Joſef. Komm. z.
FS. zu § 15; vgl. KGJ. Bd. 29 S. 78). Auf dem
gleichen Standpunkt ſteht auch Haberſtumpf, Nachlaß⸗
behandlung S. 40, welche Stelle das Amtsgericht N.
für ſich anführt; denn dort heißt es ausdrücklich, daß
„dritte Perſonen“ als Zeugen vernommen werden
können und dem Gerichtszwang unterliegen. — Um
etwas anderes als die Erbſcheinserteilung handelt es
ſich offenſichtlich bei der Vernehmung nicht, da die Akten
bereits weggelegt waren und das Verfahren nur wegen
des Erbſcheinsantrags wieder in Lauf gekommen iſt.
Soweit aber allenfalls die Nachlaßbehandlung als ſolche,
insbeſondere das Inventar in Frage kommt, kann B.
erſt recht nicht Zeuge fein ($ 2063 BGB.). Dies ergibt
ſich insbeſondere aus der Erklärung, die der Miterbe
Franz B. vor dem Amtsgericht M. abgegeben hat;
über die gleichen Punkte will offenbar das Amtsgericht
N. auch eine Erklärung des Friedrich B. haben. Dies
find aber lauter Parteierklärungen. Die Gebühren⸗
freiheit dieſes Beſchluſſes folgt aus § 47 GKG. mit
Art. 39 Geb. (vgl. Seuff Bl. Bd. 77 S. 293). (Beſchl.
vom 19. Auguſt 1913, Beſchw.⸗Reg. Nr. 516/13).
3101 N
II.
Koſtenhaftung des Nachlaßverwalters einer armen
Partei (86 114 . 35 O.). Der Malermeiſter K. ſtarb
während eines im Armenrecht geführten Rechtsſtreits
auf Entſchädigung gegen das Eiſenbahnärar, nachdem
er Zwiſchenurteil auf Bejahung des Anſpruchsgrunds
erlangt hatte. Der über feinen Nachlaß beſtellte Vers
walter ſchloß ſodann vor dem Gericht I. Inſtanz einen
Vergleich auf 21000 M Abfindung und gegenſeitige
Koſtenaufhebung. Alsbald erließ das Landgericht einen
Beſchluß, wonach dem Nachlaßverwalter das Armen⸗
recht „entzogen“ wurde, weil ihm dieſes Recht geſetzlich
nicht zukomme. Nunmehr berechnete der Gerichtsſchreiber
II. Inſtanz die Hälfte der geſamten Gerichtskoſten auf
die Klagepartei und forderte den Nachlaßverwalter zur
Zahlung auf. Dieſer erhob Erinnerungen, denen auch
inſofern ſtattgegeben wurde, als das OLG. den Koſten⸗
anſatz zu Laſten des Nachlaßverwalters „dermalen“
inſoweit für unzuläſſig erklärte, als es ſich um Koſten
für Prozeßakte handelte, die bereits vor der Streitaufs
nahme durch den Nachlaß vverwalter lagen.
Ausden Gründen: Die Behandlung als Ferien-
ſache erſchien zur Beſchleunigung der Nachlaßabwick—
lung angemeſſen (88 202 ff. GG.); die Erinnerungen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
51
ſind auch ſachlich begründet. Es kann derzeit dahin⸗
geſtellt bleiben, ob die Koſtenaufhebung im Vergleich
vom 26. April 1913 etwa nach Vernehmung der damals
anweſenden Beteiligten wirklich mit der Einſchränkung
ausgelegt werden kann, die ihr das Erſtgericht geben will
(nämlich auf die Koſten 1 Beſtellung der Nachlaßver⸗
waltung) und wie dieſe Auslegung mit 8 98 ZPO. und
88 86, 89 G., ſowie mit dem Begriff der Rechts⸗
nachfolge vereinbar iſt. Jedenfalls können die vor der
Aufnahme durch den Nachlaßverwalter entſtandenen, dem
verſtorbenen Kläger geſtundeten Koſten von dem Nach⸗
laßverwalter nur kraft ausdrücklichen Nachzahlungs⸗
beſchluſſes (8 125 ZPO.) angefordert werden. Ein
ſolcher Beſchluß iſt formell geboten, obwohl dem Nach⸗
laß verwalter als ſolchem aus Rechtsgründen das Armen⸗
recht überhaupt nicht bewilligt werden kann; der Ent⸗
ziehungsbeſchluß I. Inſtanz ſteht dem nicht gleich, be⸗
deutet vielmehr nach der Sachlage nur die Feſtſtellung
des Erlöſchens des Armenrechts I. Inſtanz für die Zu⸗
kunft. Solange ein ſolcher Nachzahlungsbeſchluß, für den
die I. Inſtanz allein zuſtändig iſt, mangelt, iſt der be⸗
anſtandete Koſtenanſatz auch für die II. Inſtanz unzuläͤſſig.
(Beſchl. vom 22. Auguſt 1913, L 450/08). N.
3102
III.
Kein Armenrecht zwecks Anerkenntnis (8 114 ZPO.).
Der Dienſtknecht Michael St. verklagte ſeinen Großvater
auf Zahlung von 1000 Entgelt für langjährige
Hausdienſte, zahlbar laut ausdrücklichen Verſprechens
bei Anweſensverkauf. Der Vater des Klägers beſtätigte
unbeeidigt das Verſprechen; gleichwohl wies das Land⸗
gericht mangels genügenden Beweiſes die Klage ab.
Während des Laufes der Berufungsinſtanz ſtarb der
Verklagte und wurde von ſeinen drei Söhnen, darunter
dem Vater des Klägers, beerbt. Dieſer ſuchte um das
Armenrecht nach, weil er den Anſpruch ſeines Sohnes
im Gegenſatz zu den anderen Miterben zur Vermei⸗
dung weiterer Koſten anerkennen wolle, dies aber ohne
Anwalt nicht könne. Das Geſuch wurde abgewieſen.
Aus den Gründen: Das Armenrecht ſetzt nach
8 114 ZPO. eine nicht ausſichtslofe „Rechts verteidigung“
voraus. Der Geſuchſteller will ſich aber nicht ver⸗
teidigen, ſondern den Anſpruch vorbehaltslos aner⸗
kennen und mittels des nachgeſuchten Armenrechts nur
den Unterſchied zwiſchen den Koſten eines Verſäumnis⸗
und eines Anerkenntnisurteils erſparen. Dazu bedürfte
er allerdings eines Anwalts (8 78 ZBO.); allein ein
ſolches Anerkenntnis fällt nicht unter den Begriff der
Rechtsverteidigung, mag man ihn auch noch ſo weit
ausdehnen und es kann ihm hiezu ein Anwalt nicht
beigeordnet werden. Der Geſuchſteller hat übrigens
in der vollſtreckbaren Urkunde des 8 794 Nr. 5 ZPO.
in Verbindung mit dem Urkundenarmenrecht (Art. 53
NotG. mit Art. 4 Geb.) einen Ausweg, der das Pros
zeßarmenrecht entbehrlich macht. (Beſchl. vom 3. Nov.
1913, Armen⸗Reg. 338/13 J). N.
3149
IV.
Begriff der Vollſtreckungskoſten (SS 788, 106 ZPO.).
Dem Möbelfabrikanten W. war durch einſtweilige Ver⸗
fügung eine Anzahl unlauterer Reklamemittel bei Mei⸗
dung einer Geldſtrafe von 1500 M verboten worden. Da
er gleichwohl dieſe Reklame weiter trieb, erging gegen
ihn Strafbeſchluß in Höhe von 1500 . Inzwiſchen
wurde auf Berufung das Verbot teilweiſe aufgehoben
und auf Beſchwerde die Strafe entſprechend herabgeſetzt;
in beiden Entſcheidungen wurden die Koſten entſprechend
verteilt. Bei der Koſtenfeſtſetzung beanſpruchte der Be—
klagte auch ſolche Auslagen, die ihm durch Befolgung
nicht aufgehobener Verbote entſtanden waren, insbe—
ſondere durch Ueberkleben einzelner Worte in ſeinen
Plakaten und Katalogen. Dieſe Koſten blieben unbe—
rückſichtigt und die Beſchwerde war erfolglos.
52
Aus den Gründen: Es iſt kaum verſtändlich,
wie die Klagepartei den Verſuch machen kann, als Prozeß⸗
lasten im 5 Papierauslagen feſtſetzen zu
laſſen, die nur durch ihre ſtrafbare Zuwiderhandlung
gegen das Urteil erforderlich wurden und weder unter
die Quotenteilung des Urteils noch die des Beſchwerde⸗
beſchluſſes fallen. Die Grundloſigkeit dieſes Verlangens
tritt beſonders klar hervor, wenn man erwägt, daß
nicht einmal die durch ungerechtfertigte Vollſtreckung
entſtandenen Schäden im Wege der Koſtenfeſiſetzung
gegen den Gläubiger beitreibbar find (8 788 Abſ. 2 ZPO.).
(Beſchl. v. 21. Nov. 1913, Beſchw.⸗Reg. Nr. 743/13).
3179 N.
V.
Auslagen für Lichtbilder und Ortsbeſichtigung als
Prozeßksſten (8 91 ZPO.). In einem Rechtsſtreit be⸗
zichtigten ſich beide Parteien gegenſeitig unlauterer Re⸗
klame und legten Photographien der Geſchäftsräume
und beanſtandeten Plakate vor. Auch beſichtigte der
Prokuriſt des Beklagten eine als Möbelfabrik bezeich⸗
netes Geſchäft des Klägers in Württemberg. Die Feſt⸗
ſetzung der dadurch verurſachten Koſten (rund 60 +50 M)
wurde vom LG. und OL. gebilligt.
Aus den Gründen: Die Beſchaffung der be⸗
anſtandeten Lichtbilder hat die Erledigung des Rechts⸗
ſtreits weſentlich und zwar in einer Weiſe gefördert,
wie ſie z. B. hinſichtlich der Ausdehnung, Raumver⸗
teilung und Fenſterzahl auch nicht annähernd durch
koſtſpielige Vernehmungen zu erreichen geweſen wäre;
ähnliches gilt hinſichtlich der Möbelfabrik in St. (Würt⸗
temberg). Auch die perſönliche Einſicht in dieſe Fabrik
durch einen Beauftragten des Beklagten war zur Er⸗
ſparung weitwendiger ſonſtiger Maßnahmen durchaus
ſachgemäß; am allerwenigſten brauchte ſich der Gegner
davon durch die Erwägung abhalten laſſen, der Klage⸗
teil werde dieſe Verhältniſſe ohnehin wahrheitsgetreu
angeben. Mit der Vorlegung von Lichtbildern in
größerem Maßſtab iſt übrigens die Klagepartei ſogar
vorangegangen. Die Zugehörigkeit dieſer Auslagen
zu den Prozeßkoſten iſt nicht zu beanſtanden und ihre
Höhe glaubhaft. (Beſchl. v. 21. Nov. 1913, Beſchw.⸗Reg.
Nr. 741/13). N.
8180
Oberlandesgericht Nürnberg.
Ablehnung eines Schiedsrichters, rechtliches Gehör
der Parteien ver dem Schied gerichte (SS 1032, 42 ff.,
1034, 1041 8PO.). Aus den Gründen: Wie ein
Richter kann nach § 1032 auch ein Schiedsrichter wegen
Beſorgnis der Befangenheit gemäß $ 42 ZPO. abge
lehnt werden, d. h. wenn ein Grund vorliegt, der ge⸗
eignet iſt, Mißtrauen gegen ſeine Unparteilichkeit zu
rechtfertigen. Der Kläger gab als ſolchen Grund an,
daß der Schiedsrichter B. ihm am Tage vor der Er⸗
laſſung des Schiedsſpruchs bei einer ſchiedsgerichtlichen
Ortbeſichtigung vorgeworfen habe, „er ſei ein Pfuſcher,
der nichts verſtehe, er ſolle das Bauen gehen laſſen,
wenn er es nicht verſtehe“, ferner daß B. in einem
früheren Rechtsſtreite des Klägers gegen einen Vers
wandten des B. Sachverſtändiger geweſen und auch
dort mit ihm hintereinandergekommen ſei. Letztere
Tatſache kann nach § 43 ZPO. als Ablehnungsgrund
nicht mehr geltend gemacht werden; denn der Kläger
hat ſchon vor dem Schiedsrichter B. verhandelt, ohne
dieſe ihm bekannt geweſene Tatſache als Ablehnungs—
grund geltend zu machen. Darauf, daß der Kläger
erſt durch ſeinen Vertreter im ſchiedsrichterlichen Ver—
fahren darüber aufgeklärt wurde, es bilde das frühere
Verhalten des Schiedsrichters B. einen Ablehnungs—
grund, kommt es nicht an; denn die Tatſache, in welcher
der Ablehnungsgrund gefunden werden ſoll, war dem
Kläger längft vor dem Beginne des ſchiedsrichterlichen
|
Ä
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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
Verfahrens bekannt und nur das iſt weſentlich. Ob
der Kläger die Bedeutung der Tatfache ſofort gekannt,
oder erſt ſpäter erfahren hat, HH gleichgültig. Der Vor⸗
fall bei der Ortsbeſichtigung bildet keinen Ablehnungs⸗
grund; der Schiedsrichter B. hat nur in etwas heftiger
Weiſe ſeine Anſchauung über den Fall kundgegeben.
Das rechtfertigt die Beſorgnis der Befangenheit eben⸗
ſowenig, wie es Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit
eines ſtaatlichen Richters rechtfertigen würde, wenn
dieſer in der Verhandlung ſeine Anſicht über den wahr⸗
ſcheinlichen Ausgang eines Prozeſſes äußern würde.
Die Ablehnung des Schiedsrichters B. iſt ſohin unbe⸗
gründet; ein unfähiger Schiedsrichter hat demnach bei
dem Schiedsgerichte nicht mitgewirkt, eine Unzuläſſig⸗
keit des Verfahrens (§ 1041 Nr. 1 3PO.) liegt info»
weit nicht vor (JW. 1909, 5524).
Das Geſetz enthält keine Vorſchriften darüber, in
welcher Weiſe die Schiedsrichter die Verpflichtung, den
Parteien rechtliches Gehör zu gewähren, zu erfüllen haben;
in Ermanglung einer Parteivereinbarung iſt das Ermeſſen
der Schiedsrichter maßgebend. Der Vorſchrift des § 1034
PO. iſt Genüge geleiſtet, wenn den Parteien die Gelegen⸗
heit geboten wird, alles vorzubringen, was ſie zur Wah⸗
rung ihrer Rechte für A Im ſchieds⸗
richterlichen Verfahren iſt das Erfordernis des recht⸗
lichen Gehörs weniger ſtreng zu nehmen als im ordent⸗
lichen Prozeßverfahren. Außerdem iſt es Sache der
Parteien im ſchiedsrichterlichen Verfahren, in ihren Er⸗
klärungen, zu denen fie im Beginne des Verfahrens
oder ſpäter Gelegenheit haben, das geſamte Sach⸗ und
Rechtsverhältnis zu berückſichtigen und auch auf vor⸗
ſorgliche Geſichtspunkte einzugehen. Die Parteien
können nicht beanſpruchen, über eine jede von dem
Schiedsgerichte ermittelte oder von Anfang an bekannte
Tatſache eine Mitteilung zu erhalten und ſich hierüber
in tatſächlicher oder rechtlicher Hinſicht zu äußern. Wenn
eine Partei von dem Schiedsgerichte gehört war, ſo
braucht ſie zur Beweisaufnahme nicht zugezogen und
auch darnach nicht nochmals gehört zu werden (RG. 47,
427; Bay Obs. 6, 382; JW. 1905, 5431 und 15746;
1910, 7025; Rechtſpr. Os. 21, 125). Der Schiedsſpruch
kann hiernach auch nicht auf Grund des § 1041 Nr. 4
ZPO. aufgehoben werden. (Urt. des II. ZS. v. 3. Juni
1913, L. 39/13). Br.
3141
Aus der Nechtſprechung des Verwaltungs:
gerichtshofs.
Ausübung der Jagd auf ausmärkiſchen Bezirken.
Die „ausmärkiſchen Bezirke“ i. S. des Art. 3 Abſ. 2
GemO. gaben von jeher zu Streitfragen darüber An⸗
laß, wem auf ihnen das Jagdausübungsrecht zuſteht.
Als zweifellos wurde ſtets anerkannt, daß auf ſolchen
ausmärkiſchen Bezirken, welche den Erforderniſſen des
Art. 2 Jagd. entſprechen, dem Eigentümer des aus⸗
märkiſchen Bezirks die Befugnis zur Ausübung des
Jagdrechts zukommt (vgl. Pollwein, Das Geſetz, die
Ausübung der Jagd betr., Anm. 11 zu Art. 4). Ebenſo
war man darüber einig, daß auf ausmärkiſchen Be⸗
zirken, welche die Eigenſchaft eines Einſchlußgebietes
i. S. des Art. 3 Jagd. an ſich tragen, der Eigentümer
des umſchließenden Gutskomplexes das Jagdrecht aus—
übt. Die Streitfrage, wem auf ausmärkiſchen Bes
zirken, die weder unter Art. 2 noch unter Art. 3 Jagd
fallen, das Jagdausübungsrecht zuſteht (vgl. Poll wein
a. a. O., Anm. I 1 zu Art. 4) wurde in dem Beſchluß
des VGH. Bd. 28 S. 200 endgültig dahin entſchieden,
daß auf ihnen der Eigentümer zur Ausübung befugt
iſt, weil das Geſetz ein Ruhen des Jagdrechts nicht
kennt und die politiſche Gemeinde nach Art. 4 Jagd.
nicht in Frage kommen kann.
Dieſen Grundſatz eignet ſich auch eine neue Ent⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 53
una Den I. Senats vom 1. Oktober 1913 an (Samml.
Bd. 34 Nr. 49 S. 246), indem fie zugleich an der in
8. 22 S. 210, Bd. 28 S. 201, Bd. 7 S. 48, Bd. 24
S. 394 ausgeſprochenen Anſchauung feſthält, daß auf
ſolchen Sebieten eine Gemeinde das Jagdausübungs⸗
recht auch nicht dadurch erwerben kann, daß ſie ent⸗
gegen den geſetzlichen Beſtimmungen das Jagdrecht
durch Verpachtung ausübt. Andrerſeits aber betont
die Entſcheidung, daß dem Eigentümer eines ausmär⸗
kiſchen Bezirks, ſelbſt wenn dieſer den Erforderniſſen
des Art. 2 Jagd. nicht gerecht wird, zwar auf dieſem
Gebiete, eben mangels eines anderen berechtigten
Subjekts, die Jagdausübung zuſteht, daß aber der aus⸗
märkiſche Bezirk, deſſen Eigentümer auch auf dem von
ſeinem Eigentum umſchloſſenen Gebiet (Inklaven i. S.
des Art. 3 Jagd.) die Ausübung des J gore be⸗
anſprucht, den Erforderniſſen des Art. 2 Jagd. ent⸗
ſprechen muß. Hier gilt es nicht, eine Lücke des Ge⸗
ſetzes auszufüllen, hier iſt ein auf dem eingeſchloſſenen
Grundftüd zur Jagdausübung berechtigtes Subjekt vor⸗
handen, dem ſein Recht nach der klaren und unzwei⸗
deutigen Faſſung des Geſetzes nur geraubt wird, wenn
die in Betracht kommende Grundfläche „von einem
ſolchen Gutskomplexe“, alſo einem in Art. 2 beſchrie⸗
benen Gutskomplexe umſchloſſen iſt. Eine entſprechende
Anwendung des Geſetzes iſt nicht angängig, wo der Wort⸗
laut des Geſetzes klar iſt und eine entſprechende An⸗
8 durch Schaffung neuer Rechtsnormen dem
Geſetzgeber vorgreifen würde (Samml. Bd. 20 S. 84).
Daß durch eine ſolche zwingend gebotene Auslegung
des Art. 3 Jagd. ſehr kleine, zerſtreut liegende Jagd⸗
gebiete geſchaffen werden können, iſt eine unvermeidbare
olge (Pollwein a. a. O. S. 55, 59, 7. Auflage, Art. 5
agd Z., Samml. Bd. 28 S. 200); für dieſen Punkt
5 Abhilfe nach Art. 5 II und 6 Jagd. getroffen
werden. B.
Bücheranzeigen.
Das Bürgerliche Geſetzbuch mit beſonderer Berückſichti⸗
gung der Rechtſprechung des Reichsgerichts. Erläutert
von Georg Hoffmann, Erler, Burlage, Buſch, Dr. Ebbecke,
giehl, Schaffeld und Schmitt, Reichsgerichtsräten.
2. vermehrte Auflage. 3 Bände (862, 543 und 853
Seiten). Berlin 1913, J. Guttentag. Geb. Mk. 60.—.
Die 1. Auflage dieſes Kommentars war ſehr ver:
ſchieden beurteilt worden: auf der einen Seite wurden
übertriebene Lobeshymnen laut, als ſei hier etwas
noch nie Dageweſenes, Unübertreffliches geliefert worden,
auf der anderen waren Stimmen der Enttäuſchung zu
hören. Das Erſcheinen der 2. Auflage wird wohl den
Streit verſtummen laſſen. Es muß anerkannt werden,
daß die Verfaſſer jetzt etwas Vorzügliches geſchaffen
haben und — nicht geblendet durch den äußeren Er⸗
folg der 1. Auflage — ernſtlich bemüht waren, die
berechtigten Wünſche nach einer Vervollkommnung des
Werkes zu erfüllen. Schon dem Umfange nach wird
mehr geboten und dieſe Vergrößerung iſt nicht allein
auf das natürliche Anwachſen des Stoffes zurückzu⸗
führen, ſondern auch auf ein ergiebigeres Durcharbeiten
der Teile, die in der 1. Auflage etwas zu dürftig ge⸗
ſtaltet worden waren. Damit iſt auch die Art der
Erläuterung einheitlicher und geſchloſſener geworden.
Auf die ſyſtematiſche Gliederung und wiſſenſchaſtliche
Vertiefung iſt mehr als früher Gewicht gelegt. Auch
die Literatur iſt jetzt berückſichtigt; daß dabei ſparſam
verfahren wurde, erklärt fi aus der Geſamtanlage
des Werkes, das nicht eine Fundgrube für die wiſſen⸗
ſchaftliche Einzelforſchung ſein ſoll. Es ſind insbeſondere
die großen Kommentare da angeführt, wo fie eine ab⸗
weichende Anſicht vertreten.
Die Rechtſprechung des Reichsgerichts iſt aus der
amtlichen Sammlung, der Juriſtiſchen Wochenſchrift,
Warneyers „Ergänzungsband“, Seufferts Archiv und
Gruchots Beiträgen entnommen. Dieſe Erweiterung
gegenüber der 1. Auflage iſt begrüßenswert. Aber es
dürfte vielleicht hier noch weiter gegangen werden.
Die Abgrenzung unter den vorhandenen Zeitſchriften
und Sammlungen iſt etwas willkürlich und führt mit⸗
unter dazu, daß der Leſer gerade das Werk nicht zur
Hand hat, auf das verwieſen iſt. Auch beſteht die
Möglichkeit, daß eine Entſcheidung als ungedruckt be⸗
zeichnet und nur mit Aktenzeichen und Datum ange⸗
führt wird, die doch in einer der größeren oder kleineren
Zeitſchriften ſamt der Begründung abgedruckt iſt. Welche
Gefahren aber die Benützung einer Entſcheidung mit
ſich bringt, deren Gründe man nicht geleſen hat, brauche
ich wohl nicht näher auseinanderzuſetzen.
von der Pfordten.
Hofacker, Dr. W., Erläuterungen zum Wein⸗
geſetz vom 7 April 1909. XI, 218 Seiten. Ver⸗
lag von W. Kohlhammer in Stuttgart, Berlin, Leipzig.
Broſch. Mk. 3.—, gebd. Mk. 4.—.
Der Verfaſſer verwirft die bisherige hauptſächlich
auf die ſog. 1 geſtützte Geſetzesaus⸗
legung, die in ihrem Ergebniſſe die Behörden nicht
befriedige und auch für das Publikum keine Klarheit ge⸗
ſchaffen habe. Ausgehend von dem Gedanken des Zweckes
im Recht ſtellt der Verfaſſer den Grundſatz auf, die
Bereitung von Wein an ſich ſei eine freie an kein Ge⸗
fetz gebundene Arbeitstätigkeit und das Wein. beziehe
ſich nur auf den für den Verkehr beſtimmten Wein.
Auf dieſer Grundlage aufbauend kommt der Verfaſſer
zu Ergebniſſen, die dem klaren Wortlaut des Geſetzes
widerſprechen, deren einzelne Beſprechung hier jedoch
zu weit führen würde. Der erwähnte Grundſatz er⸗
gibt ſich nach der Meinung des Verfaſſers ohne weiteres
aus 8 903 B88., 8 1 GewO. und 8 1 NM. — Allein
für den Satz: „Keine Strafe ohne Strafgefetz“, der
überdies zur Auslegung des Strafgeſetzes ſelbſt nichts
bietet, bedarf es des Hinweiſes auf die erwähnten Para⸗
graphen des B., des NM. und der GewO. nicht. Deren
Heranziehung iſt aber nicht nur überflüſſig, ſondern
auch juriſtiſch verfehlt. § 903 BGB. hebt nur die
zivilrechtlichen Befugniſſe des Eigentümers anderen
zivilrechtlich Beteiligten gegenüber hervor und will und
kann keinen ändernden Einfluß auf Beſtimmungen des
öffentlichen Rechtes üben (Staudinger zu § 903 BGB. Ig);
das Wein. aber hat es mit öffentlich⸗ rechtlichen Vor⸗
ſchriften zu tun, auch iſt ihm ganz gleichgültig, ob ein Wein⸗
fälſcher Eigentümer oder etwa nur Pächter oder Ver⸗
walter iſt. Die GewO. bezieht ſich auf den hier haupt⸗
ſächlich in Betracht kommenden Weinbau, der kein
„Gewerbe“ ift, überhaupt nicht (Landmann zu 81 Gew.
Note 1a), und außer den in 8 1 GewO. erwähnten Bes
ſchraͤnkungen ergeben ſich noch weitere aus ſpäteren
Reichsgeſetzen, insbeſondere eben aus dem Wein. (Land⸗
mann ebenda Anm. 3). Ferner iſt das Wein. keine
Ausführungsvorſchrift zum NM. mehr, daher nicht
gehindert, nicht bloß den Verkehr mit Wein, ſondern
auch ſchon die Herſtellung von Wein zu überwachen
und zu regeln. Endlich läßt ſich mit der Zweckbeſtimmung
des Geſetzes ebenſogut das Gegenteil der Hofackerſchen
Behauptungen beweiſen. Das Wein. bezweckt aller»
dings die Geſundung des Verkehrs mit Wein herbei»
zuführen. Da aber die Beſtimmung eines Faſſes Wein
für den Verkehr im allgemeinen etwas nicht Sicht⸗
bares iſt und vom Beſitzer des Weines jederzeit ge⸗
ändert werden kann, läßt das Wein. eben um feinen
Zweck — die Geſundung des Verkehrs — ſicher zu er⸗
reichen, ſchon die Herſtellung des Weines überwachen
und regeln, ohne Unterſchied, ob der Wein ſpäter in
den Verkehr kommen ſoll oder nicht. — Keinesfalls
laſſen ſich mit ſolchen Lehren geſetzliche Vorſchrſiften
für einen großen Teil ihres Geltungsbereiches ohne
weiteres für ungültig erklären. Ob die Weinkontrolleure,
54
denen bei Beanſtandungen dann ſtets entgegenge-
halten werden kann, das betr. Faß Wein ſei nicht
für den Verkehr beſtimmt, von der Hofackerſchen Aus⸗
legung beſonders befriedigt ſind, ob dem Publikum nun⸗
mehr die bisher vermißte Klarheit geſchaffen iſt, und
ob die Gerichte, insbeſondere das Reichsgericht, ihre
in vielen Punkten abweichende Meinung aufgeben
und ſich nunmehr dem neuen Propheten anſchließen,
darf wohl in Zweifel gezogen werden. Geſchieht dies aber
nicht, dann iſt nicht nur keine Klarheit geſchaffen, ſondern
die zahlreichen Streitfragen des Wein. find noch um
eine anſehnliche Habt weiterer vermehrt.
Mag man aber auch in vielem mit dem Verfaſſer
nicht übereinſtimmen, das muß doch rückhaltlos an⸗
erkannt werden, daß er ſeinen Stoff völlig beherrſcht,
überall ein durchaus ſelbſtändiges Urteil zeigt und
ſeine Erläuterungen in einer Weiſe durchgeführt hat,
daß ſie auch für den wiſſenſchaftlichen Gegner lehr⸗
reich ſind und viel Stoff zum Nachdenken bieten.
Jedenfalls hat eine Reihe von Punkten eine neue und
dankenswerte Beleuchtung erfahren.
Zum Schluß noch eine Bemerkung, die mehr Aeußer⸗
liches betrifft. Die Ausgabe enthält als Beilagen das
Nahrungsmittel G., das Wettbewerbs., das Warenbe⸗
zeichnungs G. und einige Paragraphen des BGB., auch die
Bek. des Reichskanzlers vom 1. Auguſt 1910 und die Bun»
des ratsbek. vom 9. Juli 1909, es fehlen aber die zur letzt⸗
genannten Bek. gehörigen Muſterformulare, ferner die
landesgeſetzlichen Ausführungsvorſchriften, Mängel, die
von jenen, die ſich nur eine Ausgabe des Wein G. ans
ſchaffen wollen, wohl ſchmerzlich empfunden werden.
München. Landgerlchtsret Zoeller.
Drittes Jahres ⸗ Supplement 1911/1912 (Band XXIV) zu
Menerd Großem Reuverſations⸗Lexikon, ſechſte, gänzlich
neubearbeitete und vermehrte Auflage. 1020 Seiten
Text mit über 1150 Abbildungen, Karten und Plänen
im Text und auf 110 Bildertafeln (darunter 7 Farben⸗
drucktafeln und 14 ſelbſtändige Kartenbeilagen) ſo⸗
wie 8 Textbeilagen. (Verlag des Bibliographifchen
Inſtituts in Leipzig und Wien). In Halbleder ge—
bunden Mk. 10.— oder in Prachtband Mk. 12.—.
Ein Führer durch die Fragen der Gegenwart darf
das ſoeben erſchienene neueſte Jahres⸗Supplement zu
Meyers Großem Konverſations⸗Lexikon (des Geſamt⸗
werkes Band 24) genannt werden. Alle die Zeitfragen,
die in den letzten 2—3 Jahren die Gemüter bewegten,
haben in dem neuen Bande des „Großen Meyer“
in ſachlichen Artikeln ihren Niederſchlag gefunden. Je
länger wir in dem ſchön ausgeſtatteten Bande blättern,
um ſo mehr erkennen wir, welche unerſchöpfliche Fund⸗
grube der Belehrung hier dem Gebildeten wiederum
geboten wird. Es wäre ein Leichtes, dies durch Hunderte
von Beiſpielen zu erhärten, doch beſchränken wir uns
darauf, einige wenige Fragen herauszugreifen. Der
Artikel „Börſe“ berichtet über die neueſten einſchlägigen
Geſetze, Verordnungen, Uſanceänderungen uſw., der
Artikel „Ausverkauf“ beſchäftigt ſich mit den auf dieſem
Gebiet eingeriſſenen Mißbräuchen und den geſetz—
geberiſchen Gegenmaßregeln. Unter „Konkurſe“ wird
eine intereſſante Statiſtik über dieſe Symptome unſeres
Wirtſchaftslebens aufgemacht. Mit der Arbeiterfrage
befaſſen ſich zahlreiche Artikel, wie z. B. „Arbeiterver-
ſicherung“, „Arbeitsmarkt“, „Arbeitsnachweis“, „Reichs⸗
arbeitsblatt“, „Schieds- und Einigungsämter“, „Vers
ſicherung im Deutſchen Reich“, „Sozialpolitiſche Geſetz—
gebung“ u. a. Auch andere ſoziale Fragen werden in
zahlreichen Artikeln beſprochen. Daß die Redaktion die
Zeitereigniſſe bis zum letzten Tage verfolgt hat, bes
weiſen unter anderem die unter „Türkiſches Reich“
behandelte Geſchichte des Balkankrieges und die Bio—
graphie des am 5. November 1912 erwählten amerika—
niſchen Präſidenten Woodrow Wilſon, die Artikel
„Kamerun“ und „Marokko“. Schließlich möchten wir
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
noch auf den reichen bildlichen Schmuck an Tafeln
und Textilluſtrationen hinweiſen, mit dem auch dieſer
Schlußband des „Großen Meyer“ ausgeſtattet iſt.
Kollmann, Ottmann, Regierungsakzeſſiſt. Die Re⸗
ligionsverhältniſſe der Kinder in Bayern.
Handausgabe mit Erläuterungen zu den 88 12—23
des Religionsedikts. 65 Seiten. Ansbach 1913,
C. Brügel & Sohn. Mk. 1.20.
Der Verfaſſer gibt in Form von Erläuterungen
zu den 88 12—23 Nel&b. eine gedrängte, doch übers
ſichtliche Darſtellung des Rechtes der religiöſen Kinder⸗
erziehung in Bayern. Die Rechtſprechung des BES.
und namentlich die einſchlägigen Rechtsſätze des BB.
ſind erſchöpfend nr Das Werkchen wird daher
der Praxis gute Dienſte leiften. Zu bedauern tft, daß
der Verfaſſer der Arbeit nicht weitere Grenzen geſteckt
und nicht auch die beträchtliche Literatur zum Vergleich
herangezogen hat. Bei der großen Zahl der auf dem
behandelten Geblete beſtehenden Streitfragen hätte die
Arbeit dadurch an praktiſcher Brauchbarkeit weſent⸗
lich gewonnen. $ 16 Anm. 2 II Satz 1 bedarf wohl
der Berichtigung.
Klſſingen. Bezirksamtsaſſeſſor Dr. Langbeinrich.
Allſeld, Dr. phil., ordentlicher Profeſſor an der Unis
verſität Erlangen. Die Strafgeſetzgebung des
Deutſchen Reichs. Sammlung aller Reichsgeſetze
ſtrafrechtlichen und ſtrafprozeſſualen Inhalts mit
einem Geſamtregiſter. 2. Auflage. XI, 1315 Seiten.
München und Berlin, J. Schweitzer Verlag (Arthur
Sellier). Geb. Mk. 13.—.
Dieſe Sammlung, die vornehmlich zu Prüfungs⸗
zwecken und für das Rechtsſtudium beſtimmt iſt, aber
wegen ihrer Zuverläſſigkeit und Reichhaltigkeit auch
von den Praktikern gerne benützt wird, iſt wieder auf
den neueſten Stand gebracht. Beſonders wertvoll iſt
der ausgiebige Abdruck ſtrafrechtlicher Nebengeſetze.
Thuleſins, Die Konkurrenzklauſel. München und
11 1913, J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).
Mk. 3. —.
Der Geſetzentwurf betr. Aenderung der 88 74 bis
76 HGB. wird demnächſt das Plenum des Reichstags
beſchäftigen. Die betroffenen Kreiſe haben es an einer
zum Teil recht kräftigen Kritik des Entwurfes nicht
fehlen laſſen. Ueber das Ergebnis und die Reform-
beſtrebungen bietet die Schrift von Thuleſius einen
erſchöpfenden Ueberblick. Der Verfaſſer prüft von wirt⸗
ſchaftlichen Geſichtspunkten aus, ob die Konkurrenz⸗
klauſel erlaubt oder zu verbieten iſt, ob eine Verbeſſe⸗
rung des geltenden Rechtes notwendig und wie ſie aus⸗
zugeſtalten iſt. Eine Ueberſicht der allmählichen Ent⸗
wicklung der Konkurrenzbeſchränkungen wird durch den
Vergleich mit der einſchlägigen ausländiſchen Geſetz⸗
gebung geſchaffen (S. 12 ff.), über Zweck der Beſchrän⸗
kungen S. 30 ff. Auſſchluß gegeben, der Beweis für die
Berechtigung S. 41 ff. angetreten. Der Verfaſſer tft
gerecht genug, um auf den mit der Anwendung der Kon
kurrenzklauſel geübten Mißbrauch hinzuweiſen (S. 48 ff.)
und kommt zu dem von jedem ſachlich Urteilenden auch
geteilten Ergebnis, daß das geltende Recht den Schutz
des wirtſchaftlich Schwächeren nicht hinreichend wahrt
(S. 58).
Die Schrift erachtet die Klauſel auch unter Bes
tonung des „Sozialen“ für zuläſſig (S. 20, 67), gibt
eine ſtatiſtiſche Ueberſicht über ihre Anwendung (S. 49 ff.),
und weiſt auf ihre Unzuläſſigkeit bei zeitlicher und
örtlicher Ausdehnung gemäß § 138 BGB. hin (S. 56).
Es werden auch die entgegenſtehenden Bedenken her—
vorgehoben, hergeleitet aus der perſönlichen Freiheit
(S. 24), aus dem bloßen Verhältnis von Angebot und
Nachfrage (S. 26); es wird der Anſpruch auf den Schutz
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2. 55
der perſönlichen Freiheit (S. 30) betont und aus dieſen
Gründen eine Einſchränkung als erſtrebenswert bezeich⸗
net. Die Ergebniſſe der Rechtſprechung werden durch Xeits
ſaͤze hervorgehoben (S. 61, 77). Die Bemühungen um
Aenderung des beſtehenden Rechtes werden eingehend
geſchildert (S. 65 ff.) und hiebei des Zuſammenhangs
wegen an die Beratung des jetzt noch geltenden Rechtes
in der Reichstagskommiſſion angeknüpft. Hieran reiht
ſich die Aufzählung der leitenden Gedanken des vor⸗
liegenden Geſetzentwurfes (S. 74 ff., 90 ff., 94, 102). Be⸗
achtenswerte Vorſchläge zur Verhütung künftiger Miß⸗
bräuche find S. 85 ff., 98, 107 aufgeführt. Mit Recht
bezeichnet der Verfaſſer S. 99 den Wortlaut des Ge⸗
ſetzentwurfes als zu verwickelt. Auf S. 100 nimmt er
Stellung zu verſchiedenen Anregungen aus beteiligten
Kreiſen. Wem an gründlicher Prüfung der vorliegenden
Fragen liegt, dem iſt die Monographie ebenſo zu emp⸗
fehlen, wie dem mit der Rechtsanwendung befaßten
Laien und Berufsjuriſten.
München. Juſtizrat Dr. Frankenburger.
Arnheim, Dr. Hugo, Juſtizrat, Rechtsanwalt am Kammer⸗
gericht. Grundbuchordnung. Kommentar zur
Grundbuchordnung für das Deutſche Reich nebſt den
für Preußen erlaſſenen Ausführungsbeſtimmungen.
Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage. 959 Seiten.
Berlin 1913, J. Guttentag, Verlags buchhandlung,
G. m. b. H. Mk. 25.—.
Faſt gleichzeitig mit den großen Kommentaren von
Güthe und Predari iſt auch Arnheims Kommentar in
neuer Auflage erſchienen; er zeigt eine vielfach ver⸗
änderte Geſtalt und verwertet die Ergebniſſe der Recht⸗
ſprechung und der Rechtslehre in umfaſſender Weiſe.
Die ganze Art der Bearbeitung zeigt uns den Ver⸗
faſſer nicht nur als einen hervorragenden Kenner des
Grundbuchrechts, ſondern auch als einen bewährten
Praktiker, der in ſeiner früheren Tätigkeit als Grund⸗
buchrichter in Berlin reiche Erfahrungen geſammelt hat.
Wie Güthes Kommentar iſt Arnheims Buch in
erſter Linie für die preußiſche Praxis beſtimmt; es
enthält in einem Anhang nicht nur die preußiſchen Aus⸗
führungsvorſchriſten und eine Ueberſicht über die Ver⸗
tretung juriſtiſcher Perſonen im Grundbuchverkehre für
Preußen, ſondern auch zu jeder einzelnen Geſetzesſtelle
beſondere Bemerkungen vom Standpunkte der preußi⸗
ſchen Geſetzgebung aus. Für Preußen iſt dieſe Be⸗
handlung jedenfalls ein beſonderer Vorzug, für die
übrigen Gebiete des Reichs aber bedeutet die eingehende
und ausſchließliche Berückſichtigung der preußiſchen Ge⸗
ſetzgebung vielfach eine nicht unerhebliche Belaſtung
und Verteuerung des Buches. Vielleicht trägt der Ver⸗
faſſer bei der nächſten Auflage auch den Intereſſen
der nicht preußiſchen Gebietsteile Rechnung, indem er
eine beſondere Ausgabe für das Reich veranſtaltet, in
welcher die lediglich auf Preußen ſich beziehenden Aus⸗
führungen, die jetzt ſchon von den auf Reichsrecht be⸗
une Ausführungen getrennt find, ausgeſchieden
werden.
In ſachlicher Hinſicht will ich nur zwei Punkte
hervorheben. Mit Güthe und allen anderen nord⸗
deutſchen Grundbuchkommentatoren teilt auch Arn⸗
heim im Anſchluſſe an die vom Kammergericht ver⸗
tretene, aber unzulänglich begründete Auffaſſung bei
83 (Anm. 3) die Meinung, daß Bruchteile kein Grund⸗
buchblatt erhalten dürfen, da ſie keine Bodenfläche ſind.
Dieſe Begründung reicht jedenfalls nicht aus, um die
gegenteilige bayeriſche Praxis, die auf 8 220 der Dienſt⸗
anweiſung für Grundbuchämter (nicht, wie Arnheim
meint, auf dem Ausf. z. GBO.) beruht, als unhalts
bar erſcheinen zu laſſen; bei 8 5 (Anm. 4) kommt Arn⸗
heim zwar in etwas eingehenderer Weiſe auf die Sache
zurück, verweiſt aber auch hier ſchließlich nur wieder
auf 8 3. Wie bei der Beſprechung des Gütheſchen
Kommentars (vgl. S. 29) möchte ich auch hier der Hoff⸗
nung Ausdruck geben, daß Arnheim in der nächſten
Auflage zu meinen Ausführungen auf S. 117 des vor⸗
jährigen Jahrgangs dieſer Zeitſchrift in entgegenkom⸗
mender Weiſe Stellung nimmt, wenn er die Frage
wieder im reichsrechtlichen Teile erörtert.
Bei 8 45 beſpricht Arnheim die Frage, ob die Unter⸗
1 des Grundbuchbeamten nachgeholt werden könne.
ährend er in Anm. 5 ſagt, daß an Stelle der Grund⸗
buchbeamten, welche die Eintragung angeordnet oder
vorgenommen haben, deren Amtsnachfolger und Ver⸗
treter in Erledigung der ihnen für den Vorgänger oder
Vertretenen obliegenden Befchäfte die Eintragung unter⸗
zeichnen können, führt er in Anm. 6 aus, daß die Unter⸗
ſchrift nur von denjenigen Beamten nachgeholt werden
dürfe, welche die Eintragung von vornherein hätten
unterzeichnen müſſen. Ich weiſe auf dieſe beiden Stellen
nur um des willen hin, weil die Gefahr beſteht, daß
diejenigen, welche ſich über die auch für unſere Praxis
überaus wichtige Frage unterrichten wollen, ſich mit
den Ausführungen in Anm. 5 für befriedigt erklären
und jene in Anm. 6 überſehen. Auf die Frage ſelbſt
hoffe ich an einem anderen Orte zurückkommen zu können.
Minifteriolrat H. Schmitt im Juſtizminiſterium zu München.
Kitzinger, Dr. Friedrich, a. o. Profeſſor an der Univerſi⸗
tät München. Die Verhinderung ſtrafbarer
Handlungen durch Polizeigewalt. Grund⸗
züge der Rechtspolizei und Beitrage 5 Konſtruk⸗
tion des Strafrechts. München 1913, C. H. Beck'ſche
Verlagsbuchhandlung. Mk. 8.50.
Die feſſelnde Schrift ſucht auf Grund theoretiſcher
Unterſuchungen den ſyſtematiſchen Grundriß eines Hand⸗
buchs der Rechtspolizei zu geben und vom Strafrecht
aus zu einer Grundanſchauung über den Begriff und
das Weſen der Polizei zu gelangen. Sie geht nach kritiſcher
Würdigung der verſchiedenen Anſichten davon aus, daß
die Verhinderung ſtrafbarer oder nur verbotener Hand⸗
lungen durch Polizeigewalt dem juriſtiſchen Weſen
nach nichts anderes als Selbſthilfe iſt, wodurch der
Staat ſeinen bedrohten Anſpruch auf normgemäßes
Verhalten der Einzelnen verwirklicht oder ſichert. Die
theoretiſchen Ausführungen werden ergänzt durch die
Beibringung reichen Materials aus der Geſetzgebung,
der Praxis und der Literatur; namentlich iſt die Ueber⸗
ſicht über die Geſetzgebung in Deutſchland zu begrüßen,
die ſich mit der Verhinderung ſtrafvarer Handlungen
durch Polizeigewalt befaßt (S. 31 ff.). Bemerkenswert
ſind die Ausführungen über die Tragweite der recht⸗
lichen Grundlagen der Polizeigewalt (S. 97 ff.) und
über ihre Anwendung in der Praxis, beſonders in
Preußen (S. 108 ff.). Der Hinweis auf den Abſ. III
des § 134 GewO. (S. 98) iſt nicht mehr zeitgemäß, weil
ſeine Vorſchrift, die zuletzt durch die Novelle vom 27. De⸗
zember 1911 (RGBl. S. 139) geändert wurde, nunmehr
als Abſ. U des § 134 unter dem Strafſchutze des § 150
Abſ. I Nr. 2 GewO. ſteht. — Das Werk enthält eine Reihe
von wertvollen Anregungen für die Geſetzgebung, die
Wiſſenſchaft und die Praxis. H.
Kohler, Nudolf, K. Regierungsaſſeſſor. Die Reichs⸗
verſicherungsordnung vom 19. Juli 1911
nebſt Einführungsgeſetz. 4. Band Lig. 1/2. Ans»
bach 1913, C. Brügel & Sohn. Mk. 2.40.
Die neu ausgegebenen Lieferungen bringen die
Neben» und Ausführungsgeſetze, ſowie zahlreiche Voll—
zugsvorſchriften.
Juriſtenkalender, Dentfcher, bearbeitet von Dr. A. Hall:
mann, Rechtsanwalt in Berlin. Berlin 1914, Otto
Liebmann, Verlagsbuchhandlung. Mk. 3.20.
Der hübſch mit guten Bildern ausgeſtattete Kalender
iſt hier ſchon mehrmals angezeigt worden. Er erſcheint
heuer wieder in der alten Form.
66 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Die Azetylen verordnung. Ueber die Herſtellung,
die Aufbewahrung und die Verwendung von Azetylen
ſowie über die Lagerung von Kalziumkarbid erging
unter Aufhebung der BO. vom 15. Oktober 1905 (GBl.
S. 611) eine neue Verordnung unterm 14. Dezember
1913 (G BBl. S. 919), zu der das Miniſterium des Innern
unterm 18. Dezember 1913 (GBl. S. 941) eine Voll⸗
zugsbekanntmachung erließ. Wie die VO. vom 15. Ok⸗
tober 1905 (vgl. wegen dieſer Landmann, GewO. 8 16
Anm. 17), fo beruht auch die neue BO. auf einem Be⸗
ſchluſſe des Bundesrats ($ 1003 der Prot. vom 28. No⸗
vember 1912), über dieſen Gegenſtand übereinſtimmende
Vorſchriften zu erlaſſen. Die Verordnung ſchafft zu⸗
nächſt für den, der Azetylen herſtellen und verwenden
oder Kalziumkarbid lagern will, eine Anzeigepflicht;
der Genehmigung nach 8 16 GewO. unterliegen die
Azetylenanlagen bekanntlich nicht, da zu den dort er⸗
wähnten Gasbereitungs⸗ und Gasbewahrungsanſtalten
olche Anſtalten nicht gerechnet werden, bei welchen
ie Erzeugung nicht auf dem Wege der trockenen De⸗
ſtillation organiſcher Stoffe, ſondern auf andere Weiſe
erfolgt (Landmann a. a. O. Anm. 7), und die Azetylen⸗
anlagen auch unter die ebenfalls in 8 16 GewO. er⸗
wähnten chemiſchen Fabriken wohl nur in Ausnahme⸗
a gerechnet werden können. An die Regelung der
nzeigepflicht ſchließen ſich ſehr ins Einzelne gehende Be⸗
ſtimmungen über die Ausführung von Azetylenanlagen
und Kalziumkarbidlagern, ferner über den Betrieb der
Azetylenapparate und die Lagerung von Kalziumkarbid.
Die Laterne des Radfahrers wird durch die BO. nicht
berührt, denn dieſe will keine Anwendung finden auf
die Vorrichtungen zur Beleuchtung von Fahrzeugen, auf
tragbare Lampen und tragbare Laternen ſowie auf die
Lagerung der hierzu erforderlichen Menge Kalziumkarbid,
wenn gewiſſen Vorſichtsmaßregeln genügt iſt, insbeſon⸗
dere die Füllung 2 kg nicht überſteigt und nicht mehr als
10 kg Kalziumkarbid auf Vorrat gelagert werden. Als
15 rechtlichen Grundlagen führt die BO. an den $ 367
r. 5 und den $ 368 Nr. 8 StG. und den Art. 131
PSt GB.; die Beſtimmungen über die Pflicht zur Tra⸗
gung der Koſten der vorgefchriebenen Prüfungen und
achprüfungen „ſowie aller Vollzugsmaßnahmen? —
dieſe Koſten ſoll der Anzeigepflichtige tragen — werden
ihre Stütze in „den allgemeinen Grundſätzen des Poli⸗
zeirechts“ ſuchen.
3194
Die Poſt ordnungen. Die beiden ſchon vielfach ge⸗
änderten Poſtordnungen, nämlich die für den Verkehr
zwiſchen dem Reichspoſtgebiet, Württemberg und Bayern
geltende Poſtordnung vom 20. März 1900 und die ledig⸗
lich für den inneren Verkehr Bayerns geltende baye-
riſche Poſtordnung vom 27. März 1900, wurden neuer⸗
dings durch Bekanntmachungen vom 10. und vom 15. De⸗
zember 1913 (GVBl. S. 913 und 916) geändert. Er⸗
heblich iſt die nachſtehende beiden gemeinſame Aenderung
der bisherigen Vorſchriften über den Poſtproteſt. Die
Poſtverwaltung will ſich nunmehr mit einigen Wechſel—
arten, die ſie bisher von der Proteſterhebung durch
die Poſt ausſchloß, teilweiſe befaſſen; ſie will Wechſel
in franzöſiſcher Sprache, Wechſel mit Notadreſſe oder
Ehrenakzept, endlich Wechſel, die unter Vorlegung
mehrerer Exemplare desſelben Wechſels oder unter Bor:
legung des Originals und einer Kopie zu proteſtieren
ſind, erſt nach der erſten vergeblichen Vorzeigung oder
nach dem erſten vergeblichen Verſuch der Vorzeigung
an einen Gerichts vollzieher, Notar uſw. weitergehn,
während bisher die Weitergabe erfolgte, ohne daß
„ poſtſeitig“ eine Vorzeigung ſtattfand. Wechſel mit
— — ͤ́ñut̃ikxkx3xxͤ nn . ĩ —4.::J Ä ———3333ͤ nn
Notadreſſe oder Ehrenakzept werden jedoch nur dem
Bozogenen vorgezeigt.
1
Die Bekanntmachungen vom 30. Dezember 1913, den
Vollzug des 6 169 der Neichsverſicherungserdunng betr.,
und vom 31. Dezember 1913, die Rrankenverſicherungs:
pflicht der im zn. beichäftigten Perſonen betr.,
JBl. 1914 S. 1 und 2) regeln die Frage der Ver:
ſicherungspflicht nach dem zweiten Buche der NEO.
(Krankenverſicherung), wie dies bezüglich der Invaliden⸗
verſicherung und der ** durch die
Bekanntmachung vom 23. Dezember 1912 geſchehen iſt
(J Mol. S. 354; vgl. Bay ZR. 1913 S. 56). Von den
im Juſtizdienſt beſchäftigten Perſonen ſind hiernach die
ſämtlichen etatsmäßigen Beamten, ſoweit ſie überhaupt
unter § 165 RVO. fallen würden, ferner die nichtetats⸗
mäßigen Aſſiſtenten und die i
durch Zuſicherung der in $ 169 RBO. und Art. 49 AG.
hiezu vorgeſehenen Leiſtungen (anderthal bfacher Betrag
des Krankengeldes) von der Krankenverſicherungspflicht
befreit. Die Fortzahlung des Gehaltes für die Dauer
der Regelleiſtungen der Krankenkaſſen wird in der Regel
den Anforderungen des 8 169 RBO. genügen. Soweit
dies ausnahmsweiſe bei einem Gerichtsſchreibergehilfen
nicht der Fall iſt, wird der Gehalt bis zum 1½½ fachen
Betrag des Krankengeldes ergänzt. Die juriſtiſch vor⸗
gebildeten bezahlten Hilfsarbeiter und Grundbuchkom⸗
miſſäre unterliegen der Verſicherungspflicht überhaupt
nicht, weil es ſich bei ihnen um eine höhere, mehr
geiſtige Tätigkeit handelt. Verſicherungsfrei ſind nach
8 172 Nr. 1 RBO. die aus dem Mlilitärdienſt ſchon aus⸗
geſchiedenen, probeweiſe angeſtellten Militäranwärter
und die Inzipienten, weil ſie lediglich für ihren Beruf aus⸗
gebildet werden, und nach § 172 Nr. 2 die bei einer Ju⸗
ſtizbehörde probeweiſe verwendeten Perſonen des Sol⸗
datenſtandes. Die übrigen im Juſtizdienſt Befchäftigten,
die zu den in 8 165 RVO. bezeichneten Perſonen ge⸗
hören, unterliegen der Krankenverſicherungspflicht; dies
gilt namentlich für die in Ziff. III der Bekanntmachung
vom 31. Dezember 1913 aufgeführten aushilſsweiſe
beſchäftigten Perſonen, ferner auch für die Nota⸗
riatsgehilfen, die bisher ſchon krankenverſicherungs⸗
pflichtig waren. Die Beiträge für die zuletzt Genannten
ſind wie bisher ganz von den Notaren zu entrichten.
Im Uebrigen verbleibt es, ſoweit nicht in einzelnen
Fällen bisher ſchon anders verfügt iſt oder künftig anders
verfügt wird, bei der geſetzlichen Regelung, wonach
der Verſicherte ſelbſt ?/s der Beiträge zu entrichten hat.
Die durch die Zuſicherung nach § 169 R830 befreiten
Perſonen (etatsmäßige Beamte, nichtetatsmäßige Aſſi⸗
ſtenten und Gerichtsſchreibergehilſen) können der Kran⸗
kenverſicherung freiwillig beitreten. Die Krankenkaſſe
kann das Recht des Beitritts aber von einer beſtimmten
Altersgrenze und von der Vorlage eines ärztlichen Ge⸗
ſundheitszeugniſſes abhängig machen (8176 Abſ. Lu. III
RVoO.). Auch kann die Satzung eine Wartezeit be⸗
ſtimmen ($ 207 RBO.) Ferner können die Leiſtungen
auf Krankenpflege ohne Krankengeld oder auf Kranken⸗
hauspflege ohne Hausgeld oder deren Erſatz (§ 185)
ohne Krankengeld oder auf das Krankengeld ohne Kran⸗
kenhilfe beſchränkt werden ($ 215 RV O.).
Die neuen Beſtimmungen über die Beurlaubung der
Militäranwärter vom 1. Januar 1914 (GBl. S. 975)
ſind für die äußeren Juſtizverwaltungsbehörden nicht
unmittelbar von Bedeutung. Es genügt, wenn hier
auf die Vorſchrift in Ziff. 9 und die dazu gehörende
Fußnote 4 hingewieſen wird.
3193
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ur. 3.
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
K. 1. Staatsanwalt im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſti:.
München, den 1. Februar 1914.
10. Jahrg.
Zeitſchrift für Rechtspflege
in Bayern
Verlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Seller)
München, Berlin u. Leipzig.
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8». 79.)
> “to
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /.
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich :
Mt. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
jede Poſtanſtalt.
Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße In.
Anzeigengebübr 30 Pfg. für die halbgeſpaltene Petitzeil:
oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗
anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
Nachdruck verboten. 57
Sind in dem Verfahren vor den Amtsgerichten
verkündete Beſchlüſſe des Gerichts von Amts
wegen zuzuſtellen?
Von Profeſſor Dr. L. v. Senffert, Kgl. Geh. Rat, in München.
In dem gegenwärtigen Jahrgange dieſer Zeitſchrift
Nr. 2 S. 37 ff. berichtet Herr Amtsrichter Dittrich,
das Landgericht München I habe in einem Beſchluſſe
von 1910 geſagt, nur die Urteile, nicht auch die verkün⸗
deten Beſchlüſſe der Amtsgerichte ſeien von der Zu⸗
ſtellung von Amts wegen ausgenommen. Ferner: das
Amtsgericht München habe ſich dieſe Rechtsan⸗
ſchauung in feſtſtehender Rechtſprechung und Praxis
zu eigen gemacht. Das Oberlandesgericht München
habe in einem Beſchluſſe vom 27. Oktober 1913 ausge⸗
ſprochen, daß die Zuſtellung verkündeter amtsgericht⸗
licher Beſchlüſſe im Parteibetrieb zu erfolgen habe.
Herr Dittrich bemüht ſich, den Standpunkt des
Amtsgerichts ausführlich zu verteidigen.
4 Da ich in meinem Kommentare zur ZPO. Nr. 1
zu 8 496 geſagt habe: „Für die Zuſtellung der
Urteile verbleibt es bei dem Parteibetriebe (8 317
Abſ. 1)“, glaubt Herr Dittrich, daß ich mich feiner
Anſicht zuneige. Ich möchte das verneinen und die
Gründe anführen, aus welchen ſich ergibt, daß die
Zuſtellung der verkündeten amtsgerichtlichen Be⸗
ſchlüſſe nicht von Amts wegen, ſondern auf Be⸗
treiben der Parteien zu erfolgen hat.
In dem 8 496 Abſ. 1 3 O. iſt ſeit der No:
velle vom 1. Juni 1909 angeordnet, daß im Ver⸗
fahren vor den Amtsgerichten die Zuſtellungen von
Amts wegen erfolgen un beſchadet der Vor:
ſchrift des 8317 Abf. 1. In dem 8 317 Abſ. 1
iſt beſtimmt, daß die Zuſtellung der Urteile auf
Betreiben der Parteien erfolgt. Nun finden nach
8 329 Abſ. 2 ZPO. die Vorſchriften des 8 317
auf Beſchlüſſe des Gerichts und auf Verfügungen
des Vorfitzenden, ſowie eines beauftragten oder er:
ſuchten Richters entſprechende Anwendung. In
kündete Beſchlüſſe des Gerichts und nicht verkündete
Verfügungen des Vorſitzen den und eines beauftragten
oder erſuchten Richters den Parteien von Amts wegen
zuzuſtellen find. Alſo findet die Vorſchrift des
§ 317 Abſ. 1 auf die verkündeten Beſchlüſſe
und Verfügungen Anwendung. Wenn nun in 8 496
Abſ. 1 bei Anordnung der Zuſtellung von Amts
wegen die Vorſchrift des $ 317 Abſ. 1 vorbehalten
iſt, ſo erſtreckt ſich logiſcherweiſe dieſer Vorbehalt
auch auf die Falle, für welche in 8 329 die An⸗
wendung des § 317 Abſ. 1 geboten iſt, alſo auf
verkündete Beſchlüſſe des Amtsgerichts und ver⸗
kündete Verfügungen des Vorſitzenden und eines
erſuchten Richters, der ja immer ein Amtsrichter
iſt (GVG. §. 158). In der von Herrn Ditt⸗
rich S. 39 zitierten Begründung des Entwurfs
zur Novelle von 1909 (S. 31) iſt allerdings geſagt:
„Nur für die Zuſtellung der Urteile ſoll es bei
dem Parteibetriebe verbleiben.“ Daraus ergibt
ſich aber nichts anderes, als daß der Verfaſſer der
Begründung zunaͤchſt an die Urteile gedacht hat.
Davon, daß ſich der Vorbehalt des 8 317 Abſ. 1
auf die Zuſtellung der Urteile beſchränken folle,
iſt aus der Begründung nichts zu entnehmen. Das
Wort „nur“ beweiſt durchaus nicht, daß der Ver⸗
faſſer der Begründung den Vorbehalt der Zu⸗
ſtellung im Parteibetrieb auf die Urteile beſchränken
wollte; denn das Wort „nur“ betont lediglich den
Gegenſatz der Zuſtellung der Entſcheidungen zu dem
Prinzip der Zuſtellung von Amts wegen. Aber
auch, wenn der Verfaſſer der Begründung die Be⸗
ſchränkung auf Urteile gewollt hätte, ſo wäre das
bedeutungslos für die Anwendbarkeit des § 317
Abſ. 1 auf die verkündeten Beſchlüſſe und Der:
fügungen, weil die Beſchraänkung im Geſetze nicht
enthalten und der Text des $ 329, wonach der
8 317 Abſ. 1 auf verkündete Beſchlüſſe und Ver⸗
fügungen entſprechende Anwendung findet, durch
die Novelle von 1909 nicht geändert worden iſt.
In der Begründung des Entwurfs zur Novelle
§ 329 Abſ. 2 iſt dann angeordnet, daß nicht ver⸗ von 1909 S. 31 iſt zu § 496 Abſ. 1 bemerkt:
68 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
„Auch werden durch eine ſolche Regelung (sc.
durch den Vorbehalt des $ 317 Abſ. 1 für das
Verfahren vor den Amtsgerichten) überflüſſige Zu⸗
ſtellungen vermieden.“
Würde man den in 8 496 Abſ. 1 angeordneten
Vorbehalt des $ 317 Abſ. 1 nicht auf die ver⸗
kündeten Beſchlüſſe ꝛc. erſtrecken, ſo müßten im
Verfahren vor den Amtsgerichten ſehr viele ganz
überflüſſige Zuſtellungen von Amts wegen beſorgt
werden.
Beiſpiele: Es müßten die auf Grund der
83 142, 143, 144, 145, 146, 147 3BO. er:
gehenden Beſchlüſſe, welche nur auf Grund einer
mündlichen Verhandlung erlaſſen werden können
und daher verkündet werden müſſen (arg. 8 329
Abſ. 1) von Amts wegen zugeſtellt werden, obwohl
deren Zuſtellung gar keine praktiſche Bedeutung
hat, da dieſe Beſchlüſſe nicht durch Beſchwerde an⸗
fechtbar find.
Auch die auf Grund der 88 148, 149, 150,
151, 152, 153, 154 ZPO. ergehenden Ausſetzungs⸗
beſchlüſſe können nur auf Grund einer mündlichen
Verhandlung ergehen und müſſen alſo verkündet
werden. Sie ſind zwar mit einfacher Beſchwerde
anfechtbar (arg. $ 252), aber die Zuſtellung hat
auch in dieſen Fallen gar keine prattifche Beben:
tung, da die Beſchwerde ohne die Zuſtellung ein⸗
gelegt werden kann.
Der Beſchluß, durch welchen der Antrag auf
Erlaſſung des Verſäumnisurteils auf Grund des
8 335 ZPO. zurückgewieſen wird, muß natürlich
verkündet werden. Die Zuſtellung dieſes Beſchluſſes
iſt ganz uͤberflüſſig; denn die Friſt der nach § 336
zuläſſigen ſofortigen Beſchwerde beginnt in dieſem
Falle mit der Verkündung des Beſchluſſes (8 577
Abſ. 2 Satz 1).
Ganz unnötig wäre es, einen auf Grund münd⸗
licher Verhandlung ergangenen Beweisbeſchluß den
Parteien zuzuſtellen.
Auch die Zuſtellung eines auf Grund des § 505,
des 8 506 oder des 8 697 nach mündlicher Ber:
handlung ergangenen Verweiſungsbeſchluſſes wäre
ganz zwecklos.
Nach § 764 Abſ. 3 können die Entſcheidungen
des Vollſtreckungsgerichts ohne mündliche Verhand⸗
lung erfolgen. Erfolgt die Entſcheidung des Voll:
ſtreckungsgerichts auf Grund einer hiernach zuläl:
ſigen mündlichen Verhandlung, ſo iſt die Entſchei⸗
dung zu verkünden. Einen ſolchen Beſchluß den
Parteien von Amts wegen zuzuſtellen, hätte gar
keine praktiſche Bedeutung. Man betrachte folgen⸗
den Fall: Gegen die Pfändung beweglicher Sachen
erhebt der Schuldner Einwendung nach § 766 mit
der Behauptung, daß die tatſächlich gepfändeten
Sachen zu den nach $ 811 Nr. 4 der Pfändung
nicht unterworfenen Sachen gehören. Das Gericht
ordnet mündliche Verhandlung an, weil über dieſe
Einwendung nicht leicht ohne nähere Erörterung
zu entſcheiden iſt, und ladet beide Parteien zu der
Verhandlung. Auf Grund der Verhandlung ver:
— — . [—
kündet es den Beſchluß, daß der Einwendung ſtatt⸗
egeben wird und daher die Pfändung unzuläſſig iſt.
Seht kann der Gläubiger die Zwangsvollſtreckung
nicht mehr betreiben, alſo die gepfändeten Sachen
nicht verſteigern laſſen, ſondern er muß die Sachen
dem Schuldner herausgeben, oder die Pfändungs⸗
marken beſeitigen laſſen (arg. 88 775 Nr. 1, 770).
Der Gläubiger kann natürlich ſofortige Beſchwerde
einlegen (arg. 8 793); aber ſchon vor Ablauf der
Beſchwerdefriſt kann der Schuldner den Fortbetrieb
der Zwangsvollſtreckung oder die Unterlaſſung der
Herausgabe auf Grund der 88 775 Abſ. 1, 776
wieder nach 8 766 bekämpfen. Was hätte es für
einen Zweck, den beiden Parteien den verkündeten
Beſchluß von Amts wegen zuzuſtellen? Auch wenn
das Gericht in einem ſolchen Falle die Ein⸗
wendung des Schuldners ablehnt, wäre die Zus
ſtellung des verkündeten Beſchluſſes an die Par⸗
teien nicht von praktiſchem Wert; denn, da der
Beſchluß ohne Rückſicht auf Beſchwerde vollziehbar
iſt (arg. 8 572 Abſ. 1), kann der Gläubiger auf
Grund des Beſchluſſes die Vollſtreckung fortſetzen,
ſoweit nicht nach Einlegung der Beſchwerde des
Schuldners die Vollziehung nach beſonderer An⸗
ordnung (8 572 Abſ. 2) ausgeſetzt wird.
In dem von Herrn Dittrich ſpeziell behandelten
Falle, daß in dem die Leiſtung des Offenbarungs⸗
eides betreffenden Verfahren (3 900) die Ein:
wendungen, welche der zur Leiſtung des Offen⸗
barungseides (8 807) geladene Schuldner zur Be⸗
ſtreitung der Verpflichtung zur Leiſtung des Eides
geltend gemacht hat, durch verkündeten Beſchluß
verworfen worden ſind, iſt meines Erachtens der
Beſchluß nicht von Amts wegen den Parteien zu⸗
zuſtellen. Zwar hat in dieſem Falle der Glaͤu⸗
biger ein Intereſſe an der Rechtskraft des Be⸗
ſchluſſes, weil er die Leiſtung des Offenbarungs⸗
eides und alſo auch den Haftbefehl zur Erzwingung
der Eidesleiſtung (8 901) nicht vor Eintritt der
Rechtskraft des Beſchluſſes verlangen kann, wenn
nicht bereits ein früherer Widerſpruch rechtskräftig
verworfen iſt (8 900 Abſ. 3); aber dadurch, daß er
den Beſchluß zuſtellen läßt, kann er die Beſchwerdefriſt
eröffnen. Dazu kann er nach 8 166 Abſ. 2 die Ver⸗
mittelung des Gerichtsſchreibers verlangen und der
Gerichtsſchreiber hal daher nach $ 168 einen Gerichts⸗
vollzieher mit der Zuſtellung zu beauftragen, ſofern
nicht der Gläubiger erklärt hat, daß er ſelbſt einen
Gerichtsvollzieher beauftragen wolle.
Eigentum am leberban.
Von Amtsrichter Auguft Schmitt in München.
1
Wenn der Eigentümer eines Grundſtücks bei der
Errichtung eines Gebäudes — alſo nicht eines Bau⸗
werks ſchlechthin — über die Grenze baut, ſpricht
man von einem Ueberbau (3 912 BGB.). Ueber⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 59
bau iſt hiernach der auf einem fremden Grundſtück
befindliche Teil eines einheitlichen Gebäudes. Dieſer
Gebäudeteil muß nicht in dem fremden Grund⸗
ſtücke wurzeln; ein hoch über dem Boden in das
Nachbargrundſtück vorſpringender Balkon oder Erker
ift ebenſogut ein Ueberbau, wie ein mit Grund:
mauern in fremdem Boden ruhender Gebaͤudeteil.
Der Ueberbau beeinträchtigt das Nachbargrund⸗
ſtück. Der Nachbar, der kraft ſeines Eigentums
andere von jeder Einwirkung auf fein Grundſtück
ausſchließen kann, iſt an ſich berechtigt, die Be⸗
ſeitigung des Ueberbaus zu verlangen. Das Recht
hat jedoch aus wirtſchaftlichen Gründen, — um
nutzloſer Zerſtörung von Werten vorzubeugen und
beſonders den Fortbeſtand eines einmal errichteten
Gebäudes nach Möglichkeit zu ſichern, — dem
Nachbar die Pflicht auferlegt, den Ueberbau unter
gewiſſen Vorausſetzungen zu dulden. Dieſe Vor⸗
ausſetzungen liegen vor, wenn ſich der Eigentümer
in gutem Glauben befunden, und der Nachbar
nicht vor oder ſofort nach der Grenzüberſchreitung
Widerſpruch erhoben hat. Der Nachbar kann dann
nur Entſchädigung durch eine Geldrente, ſowie
jederzeit Kapitalabfindung gegen Abtretung der
überbauten Fläche verlangen.
Das Recht des Eigentümers iſt zwar einer
Grunddienſtbarkeit ähnlich, aber kein eigentliches
Recht an einem fremden Grundſtücke im Sinne
des Bürgerlichen Geſetzbuchs. Einer ſolchen Kon⸗
ſtruktion widerſpricht ſchon rein äußerlich die
Stellung des 8 912 in dem Abſchnitt über den
Inhalt des Eigentums, ſowie der Umſtand, daß
die Eintragung der Berechtigung im Grundbuch
ausgeſchloſſen iſt.
8 912 enthält nur eine geſetzliche Eigentums⸗
beſchränkung. Bezeichnet $ 903 den Inhalt des
Eigentums als unbeſchränkte ausſchließliche Herr:
ſchaft über die Sache, ſoweit nicht Geſetz oder
Rechte Dritter entgegenſtehen, ſo bildet 8 912 ein
Beiſpiel, in dem das Geſetz dem Eigentümer eine
Schranke auferlegt. Prozeßrechtlich betrachtet gibt
die Vorſchrift des 8 912 dem gutgläubig über:
bauenden Eigentümer zum Schutze gegen den Be⸗
ſeitigungsanſpruch des Nachbars eine Einrede.
II.
Durch den Ueberbau wird an dem Eigentum
der überbauten Fläche nichts geändert; dies iſt
ohne weiteres klar.
Mehr Schwierigkeiten verurſacht die Beant⸗
wortung der Frage nach dem Eigentum am Ueber⸗
bau ſelbſt. Dieſe Frage muß mangels einer be⸗
ſonderen geſetzlichen Beſtimmung aus den Vorſchriften
über die Beſtandteile der Sachen und über die
Verbindung von Sachen (83 93, 94, 95, 946)
entſchieden werden. Für den Fall, daß der über⸗
bauende Eigentümer die Duldung des Ueberbaus
verlangen kann, iſt man in der Literatur überein⸗
ſtimmend — wenn auch auf verſchiedenen Wegen —
zu der Löſung gelangt, daß der überbauende Eigen⸗
tümer auch das Eigentum am Ueberbau erwirbt.
Im übrigen gehen die Meinungen auseinander,
und zwar laſſen ſich in der Hauptſache zwei Rich⸗
tungen unterſcheiden.
1. Planck (4. Aufl., Erl. 4 zu 8 94) folgert
aus dem Grundſatze des § 94 I (superficies solo
cedit), daß ein auf zwei Nachbargrundſtücken —
einerlei von wem — errichtetes Gebäude regelmäßig
weſentlicher Beſtandteil eines jeden Grundſtücks zu
dem entſprechenden reellen Teile iſt und daher im
Alleineigentum jedes Nachbars bis zur Grenze ſteht.
Das Gebäude iſt aber nur weſentlicher Beſtandteil
eines der Grundſtücke, wenn bezüglich der Ueber⸗
bauung des anderen Grundſtücks $ 951 Satz 2
maßgebend iſt, wenn alſo der Gebäudeteil auf dieſem
Grundſtücke in Ausübung eines Rechtes an dieſem
Grundſtücke durch den Berechtigten errichtet worden
iſt. Zu den im 8 95 genannten Rechten rechnet
Planck auch die dem Grundſtückseigentümer nach
8 912 zuſtehende Berechtigung, von dem Nachbar
die Duldung des Ueberbaus zu verlangen.
Die gleiche Anſicht vertritt der Kommentar von
Reichsgerichtsräten (Erl. 1 zu 8 94), ferner Wolff
(Grenzüberbau S. 134). Auch die Motive (III
S. 287, VII) ſtehen auf dem gleichen Standpunkte.
2. Im Gegenſatz zu dieſer herrſchenden Lehre
befindet ſich Staudinger (7./8. Aufl., Erl. 7 zu 8 94).
Staudinger führt aus, daß es für die Eigentums⸗
frage am Ueberbau auf den guten oder böſen
Glauben des Ueberbauenden nicht ankomme. Man
müſſe vielmehr davon ausgehen, daß der Ueberbau
weſentlicher Beſtandteil des einheitlichen Gebäudes
ſei (§ 93) und daher nicht Gegenſtand beſonderer
Rechte ſein könne.
Die Regel des § 941 müſſe inſoweit zurück⸗
treten, weil die Zuſammengehörigkeit der einzelnen
Gebäudebeſtandteile unter ſich enger ſei als die
einzelner Gebaͤudebeſtandteile mit dem Grundftüde.
Der Unterſchied zwiſchen den beiden eben ent⸗
wickelten Auffaffungen ſpringt ſofort in die Augen.
Die Löſung, welche die von Planck vertretene
Meinung durch eine juriſtiſche Konſtruktion auf
dem Umwege über die 88 912, 95 findet, gewinnt
Staudinger lediglich auf Grund objektiver Betrach⸗
tung und zwar durch einen Schluß aus der Natur
der Sache.
III
Das Reichsgericht hat vor kurzem in einem
Urteile vom 1. Oktober 1913, 157/13/V, zu der
Frage Stellung genommen (JW. 1914 S. 38 ff.).
Seiner Entſcheidung lag folgender Fall zugrunde:
Der Eigentümer eines Grundſtücks hatte ein Ge⸗
bäude mit einer Grundfläche von 346 qm errichtet;
194 qm ſtanden auf ſeinem Grundſtücke a, der
Reſt bedeckte das Nachbargrundſtück d. Der Nachbar
hatte den Ueberbau zu dulden. Nachdem der Eigen⸗
tümer ſpäter auch das Grundſtück b erworben hatte,
kamen die beiden, verſchieden mit Hypotheken be⸗
60
laſteten Grundſtücke zur Zwangsverſteigerung. Der
Zuſchlag erfolgte auf Grund eines Geſamtausgebots.
Der Vollſtreckungsrichter hatte nach 8 112 3G.
den aus dem Erlös verbleibenden Ueberſchuß auf
die beiden Grundſtücke nach dem Verhältnis ihres
Wertes zu verteilen und ſetzte den Wert des Grund⸗
ſtücks a unter Berückſichtigung des ganzen Gebaͤudes
feſt, während er den Wert des Grundſtücks d nur
nach der Bodenfläche bemaß. Gläubiger des Eigen:
tümers, welche deſſen Anſpruch auf den Ueberſchuß
des Erlöſes aus dem Grundſtück b gepfändet hatten,
erhoben gegen den Verteilungsplan Widerſpruch und
verlangten, daß dem Bodenwert des Grundſtücks b
der Wert des auf ihm ſtehenden Gebäudeteiles zu:
gerechnet werden müſſe.
Das Reichsgericht entſchied auf die Widerſpruchs⸗
klage hin, daß der Ueberbau, weil er zu dulden
war, ähnlich wie im Falle des § 95 I Satz 2 nicht
Beſtandteil des Grundſtücks b geworden ſei. Er ſei
jedoch nach 8 93 weſentlicher Beſtandteil des ein⸗
heitlichen Gebäudes. Sei nun aber der auf dem
Grundſtück a ſtehende Hauptteil des Gebäudes
weſentlicher Beſtandteil des Grundſtücks a und der
Ueberbau weſentlicher Beſtandteil des Gebäudes,
ſo ſei auch der Ueberbau Beſtandteil des Grund⸗
ſtücks a. Ob die Sache nicht ebenfo zu beurteilen
geweſen wäre, wenn der kleinere Teil des Gebaͤudes
auf dem Grundſtück a geſtanden wäre, ließ das
Reichsgericht dahingeſtellt.
IV
Die Entſcheidung des Reichsgerichts iſt zu be⸗
grüßen. Das Ergebnis entſpricht nicht nur dem
Rechtsempfinden, ſondern auch dem praktiſchen Be⸗
dürfniſſe, welches die einheitliche Behandlung eines
einheitlichen Gebäudes fordert. Allein ſo erfreu⸗
lich das Ergebnis iſt, man hätte gewünſcht, daß
das Reichsgericht in der Begründung nicht einfach
die von ihm ſchon früher vertretene Meinung wieder⸗
holt, ſondern zu den von Staudinger im Gegen⸗
ſatz zur herrſchenden Lehre aufgeſtellten Grundſätzen
ausdrücklich Stellung genommen hätte.
Hiezu hätte um jo mehr Anlaß beſtanden, als
Staudinger nicht nur für den engumgrenzten Tat:
beſtand des § 912, ſondern für ſämtliche Fälle der
einheitlichen Ueberbauung mehrerer Grundſtücke ein
praktiſch befriedigendes Ergebnis findet. Anders
bei der herrſchenden Lehre, wie im Folgenden dar⸗
geſtellt werden ſoll.
Muß der Ueberbau nicht geduldet werden, ſo
kommt man mit Plancks ſtrenger Durchführung
des in § 941 ausgeſprochenen Grundſatzes zu dem
Ergebniſſe, daß jeder der beiden Grundſtückseigen⸗
tümer Alleineigentümer des auf ſeinem Grundſtücke
ſtehenden Gebaͤudeteils iſt. Die Eigentumsgrenze
im Gebäude wird durch eine ſenkrecht zur Grund—
ſtücksgrenze gedachte Schnittfläche gebildet. Dies
führt in der Wirklichkeit zu unerträglichen Folgen.
Auf die Schwierigkeiten bei der Vermietung, Be⸗
— — —— — . ——— | nn nn.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
lehnung oder beim Verkauf eines foldyen Gebäudes
will ich gar nicht eingehen. Iſt es nicht eine nie
verſiegende Quelle von Reibungen und Streitig⸗
keiten, wenn die beiden Nachbarn und zwar jeder
in ſeinem Eigentum nach freiem Belieben ohne
Rückſicht auf den andern ſchalten und walten bis
zu jener Grenze, die in Wirklichkeit gar nicht vor⸗
handen, ſondern nur gedacht iſt? Der Nachbar,
deſſen Grundſtück überbaut iſt, hat wohl den Be⸗
ſeitigungsanſpruch; allein dieſer Anſpruch wird ſehr
oft nicht zur erwünſchten Klaͤrung führen. Denn
der Nachbar, der Eigentum an dem Ueberbau
hat, hat eben deswegen an der Beſeitigung viel⸗
fach kein Intereſſe.
Einfach iſt hiegegen auch in dieſem Falle Stau⸗
dingers Löſung. Auch hier iſt der Ueberbau weſent⸗
licher Beſtandteil des Gebäudes. Der Nachbar hat
kein Eigentum am Ueberbau, ſondern nur den
Beſeitigungsanſpruch. Letzterer bringt aber keine
Verwirrung; im Gegenteil, der Nachbar, den der
Ueberbau nur beläftigt, wird viel eher mit Ber:
wirklichung des Beſeitigungsanſpruchs drohen, und
der Eigentümer des Gebäudes hat daher alle Ur⸗
ſache, ſich ſchleunigſt mit dem Nachbar zu vertragen.
V.
Wie ſteht es nun, wenn der Hauptteil eines
einheitlichen Gebäudes auf das Nachbargrundſtück
hinübergebaut worden iſt? Wer mit der herrſchen⸗
den Meinung geht, muß die Vorfrage entſcheiden,
ob in einem ſolchen Falle von einem Ueberbau ge⸗
ſprochen werden kann. Meisner (Nachbarrecht,
II. Aufl. S. 165) bejaht dieſe Frage und auch das
Reichsgericht ſcheint — nach der Schlußbemerkung
in der Urteilsbegründung — dieſer Anficht zuzu⸗
neigen. Man kommt alſo, wenn der Ueberbau
nicht geduldet werden muß, zu dem Ergebniſſe wie
unter IV; muß er aber geduldet werden, dann
waͤre der Grundſtückseigentümer Eigentümer des
ganzen Gebäudes, obwohl die Hauptſache hievon
auf dem Eigentum des Nachbars ſteht.
Keines der beiden Ergebniſſe kann befriedigen.
Hier kann es ſich übrigens meines Erachtens nicht
mehr um einen Ueberbau handeln; es liegt kein
„Hinüberbauen“, ſondern eher ein „Herüber⸗
bauen“ vor. Nach dem Sprachgebrauch iſt ein
Ueberbau nur dann anzunehmen, wenn das Gebaͤude
der Hauptſache nach auf dem Grundſtücke des bauen⸗
den Eigentümers ſteht und nur mit einem ver:
hältnismäßig geringeren Teile die Grenze über⸗
ſchritten worden iſt.
Mit den Leitſätzen Staudinger's gelangt man
auch hier zu einer befriedigenden Löſung, ohne daß
auf 8 912 zurückgegriffen zu werden braucht. Eigen
tümer des Gebäudes iſt der Nachbar, weil der Haupt:
teil des Gebäudes weſentlicher Beſtandteil ſeines
Grundſtücks und der auf dem Grundſtück des Bauen:
den ſtehende Gebäudeteil weſentlicher Beſtandteil
des Gebäudes iſt.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
Die Frage, ob der Hauptteil eines Gebäudes
auf dem einen oder anderen Grundſtücke ſteht, iſt
übrigens keineswegs nach der Größe der überbauten
Flächen ausſchließlich, ſondern unter Berückſichtigung
der geſamten Umſtände zu entſcheiden.
VI.
Der Grundſatz superficies solo cedit gilt kraft
ausdrücklicher geſetzlicher Vorſchrift (§ 95 I Satz 2)
nicht, wenn jemand in Ausübung eines Rechtes an
einem fremden Grundſtücke ein Gebäude mit dieſem
Grundſtücke verbunden hat. Es handelt ſich hier
um Dienſtbarkeiten, Nießbrauch und Erbbaurecht.
In dieſen Fällen wird das Gebäude überhaupt
nicht Grundſtücksbeſlandteil, ſondern bleibt als ſelb⸗
ſtͤͤndige Sache Eigentum des Berechtigten und kann
Gegenſtand beſonderer Rechte ſein.
Auch in dieſen Fällen iſt ein Ueberbau möglich,
wenn nämlich der Berechtigte über die Grenze des
ihm dienenden Grundſtücks in das Nachbargrund⸗
ſtück hineingebaut hat.
Wurde das Gebäude von einem Erbbauberech⸗
tigten errichtet, ſo hat der Nachbar unter den
Vorausſetzungen des § 912 den Ueberbau zu dulden
($ 1017 BGB.); in allen übrigen Fällen beſteht
keine Duldungspflicht. Im erſteren Fall iſt nach
Planck das ganze Gebäude Eigentum des Berechtigten,
in letzteren wird es nur zum Teil ſein Eigentum,
der Reſt gehört nach 8 94 I dem Eigentümer des
Nachbargrundſtücks.
Nach Staudinger bleibt auch hier die Einheit
des Gebaͤudes gewahrt; es gehört entweder dem
Berechtigten oder wenn es in der Hauptſache
auf dem Nachbargrundſtücke ruht, dem Eigentümer
dieſes Grundſtücks.
VII.
Angeſichts dieſer Ergebniſſe drängt ſich die Frage
auf, ob denn die Regel des § 94 I in ihrer ganzen
Strenge auch auf die Ueberbaufälle angewendet
werden muß. Ich gebe zu, daß dieſe Anwendung
juriſtiſch möglich, nicht aber, daß ſie zwingend iſt.
Die 88 94, 95, 946 behandeln expressis verbis
nur den Regelfall der Verbindung eines Gebäudes
mit einem Grundſtücke. Es läßt ſich daher eben⸗
ſo gut auch denken, daß § 94 nur den Regelfall,
nicht aber auch den immerhin verwickelten Fall
der Verbindung eines einheitlichen Gebäudes mit
mehreren Grundſtücken treffen, ſondern dieſen
Fall der Praxis zur Entſcheidung nach den beſonderen
Umſtänden des Falles vorbehalten wollte. Merk⸗
würdig iſt es doch gewiß, daß man bei der ſtrengen
Durchführung des Grundſatzes ſchon in den Fällen,
wo der Ueberbau geduldet werden muß, zu der
mindeſtens künſtlichen Konſtruktion eines Rechtes
aus 8 912 ſeine Zuflucht nehmen muß, um dann
wenigſtens durch 8 95 I Satz 2 zu einem annehm⸗
baren Ecgebniſſe zu gelangen.
Freilich bringt § 94 in Verbindung mit $ 946
61
klar zum Ausdrucke, daß das Grundſtück dem Ge⸗
baude gegenüber ſtets als die Hauptſache zu behandeln
iſt. Allein gegen dieſen Grundſatz verſtößt Stau⸗
dinger nicht, er beſchränkt ihn nur aus praktiſchen
Gründen in unweſentlicher, jedoch aus dem Grund⸗
ſatz des § 93 leicht zu rechtfertigender Weile. Es
hat alſo auch die Staudingerſche Anſicht einen
geſetzlichen Boden.
Laßt das Geſetz mehrere Löſungen zu, jo hat
der Richter diejenige anzuwenden, welche der Natur
der Sache und dem praktiſchen Bedürfniſſe ent⸗
ſpricht. So richtig es einerſeits iſt, daß eine ge⸗
ſetzliche Vorſchriſt nicht deshalb umgangen werden
darf, weil ſie Härten ergibt, ſo richtig iſt es ander⸗
ſeits, daß in Zweifelsfällen die Entſcheidung mit
Rückſicht auf die Vermeidung von unbefriedigen⸗
den Ergebniſſen zu treffen iſt. Fehlt es in einem
Falle an einer ausdrücklichen geſetzlichen Vorſchrift,
ſo iſt nach der Natur der Sache zu entſcheiden, und
es beſteht kein Anlaß zur analogen Anwendung
anderer Vorſchriften, am wenigſten aber von ſolchen,
die ſich einer klaren Löſung entgegenſtellen.
Ich komme daher zu dem Schluſſe, daß in der
Praxis die Staudingerſchen Leitſätze den Vorzug
vor der konſtruktiven Löſung Plancks verdienen.
Denn Staudinger kommt in ſämtlichen Ueberbau⸗
fällen zu einem praktiſch verwertbaren Ergebniſſe.
Seine Löſung trägt in jedem Falle der in der Pra⸗
xis unabweisbaren Forderung Rechnung, daß eine
Gebäude Einheit auch rechtlich als Einheit behan⸗
delt werden muß.
Gebührenberechnung beim Erwerb kines
Geſellſchaftsgrundſtückes durch einen
Geſellſchaſter.
Von Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Eßlinger in München.
I.
Eine offene Handelsgeſellſchaft verkauft ein zum
Geſellſchaftsvermögen gehörendes Grundſtück an
einen ihrer beiden Geſellſchafter. Oder der eine
der beiden Geſellſchafter ſcheidet aus der Geſell⸗
ſchaft aus, ſo daß das ganze Geſellſchaftsvermögen,
einſchließlich des Geſellſchaftsgrundſtückes, nunmehr
dem andern Geſellſchafter zuſteht.
Wie iſt in ſolchen Fällen die Gebühr für die
Befitveränderung zu berechnen? Aus dem vollen
Werte des Grundſtückes oder nur aus dem Teile,
welchen der Geſellſchafter zu ſeiner bisherigen Be⸗
teiligung hinzu erwirbt?
Das bayer. Oberſte Landesgericht hält ſeit
Jahren daran feſt, daß die Gebühr aus dem
ganzen Werte des Grundſtückes zu berechnen
ſei. Eine Prüfung dieſer Rechtſprechung dürfte aus
zwei Gründen von Wert ſein.
62
Zunaͤchſt vom Standpunkt der Steuergerechtig-
keit aus. Die Gebühren werden erhoben zur Be⸗
ſteuerung von Umſätzen. Inſoweit aber der Ge:
ſellſchafter bisher ſchon an dem Geſellſchaftsvermögen
beteiligt war, zu dem das Grundſtlück gehört, liegt
wirtſchaftlich kein Umſatz vor. Die Erhebung der
Gebühr aus dem ganzen Werte iſt daher eine Un⸗
billigkeit.
Der Grundſtücksverkehr iſt von der neueren
Geſetzgebung außerordentlich ſtark belaſtet worden.
Jede Unbilligkeit in der Anwendung der Geſetze
wird daher doppelt bitter empfunden. Enthält
ſonach die vom Oberſten Landesgericht feſtgehaltene
Rechtſprechung in der erwähnten ſehr häufig vor:
kommenden Frage eine Unbilligkeit, ſo beſteht An⸗
laß, nachzuprüfen, ob dieſe Härte wirklich eine
zwingende Folge des Geſetzes und von ihm ge⸗
wollt iſt.
Ein weiterer Grund, aus dem es ſich lohnen
dürfte, jene Entſcheidungen zu beſprechen, liegt in
den dabei zu erörternden zivilrechtlichen Fragen
von grundſäͤtzlicher Bedeutung. Denn es kommt
hier darauf an, welcher Natur die Beteiligung des
einzelnen Teilnehmers einer Gemeinſchaft zur
geſamten Hand an den gemeinſchaftlichen Gegen⸗
ſtänden iſt, eine Frage, die noch wenig geklärt iſt.
II
Das bayer. Oberſte Landesgericht hat nicht
von Anſang an ſeinen derzeitigen Standpunkt ein⸗
genommen.
Im Beſchluſſe vom 11. Mai 1882 (Bd. 9
S. 603) wird die Gebühr bei der Uebernahme
eines Anweſens durch einen von zwei bisher gleich⸗
berechtigten Geſellſchaftern einer offenen Handels⸗
geſellſchaft aus der Hälfte des Anweſenswertes
berechnet, „weil nach dem Allgemeinen Deutſchen
Handelsgeſetzbuch eine offene Handelsgeſellſchaft
keineswegs als juriſtiſche Perſon zu betrachten,
vielmehr lediglich als Sozietät anzuſehen iſt, welche
freilich von der römiſchen Sozietät in mehrfacher
Beziehung, namentlich in bezug auf deren Stellung
nach außen, mehrfach ſich unterſcheidet“.
So richtig dieſe Entſcheidung im Ergebnis war,
wie unten näher darzulegen ſein wird, ſo angreifbar
iſt die Begründung, welche dem Verdacht Raum
gibt, als werde die völlige Weſensverſchiedenheit
zwiſchen der römiſchen Sozietät und der offenen
Handelsgeſellſchaft überſehen und die Verſchieden⸗
heit nur in Einzelheiten erblickt. Dieſe angreifbare
Begründung hatte leider zur Folge, daß, auf
Grund einer vermeintlich beſſeren Einſicht in das
Weſen der offenen Handelsgeſellſchaft, auch das
Ergebnis fallen gelaſſen und die Gebühr nunmehr
aus dem ganzen Werte berechnet wurde. Seit Be:
ginn der 90 er Jahre wird in einer Reihe von
Entſcheidungen immer wieder der Satz aufgeſtellt,
die offene Handelsgeſellſchaft ſei ein von der Perſon
der einzelnen Geſellſchafter verſchiedenes Rechts⸗
ſubjekt, alſo juriſtiſche Perſon. Aus dieſer
’
t
1
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
— . ——— — à— . —
zivilrechtlichen Konſtruktion mußte naturgemäß die
Rechtsfolge gezogen werden, daß beim Uebergang
eines Anweſens von der Geſellſchaft auf einen ein⸗
zelnen Geſellſchafter dieſer das ganze Eigentum
neu erwerbe, an dem er vorher keinen Teil gehabt
habe, alſo auch die volle Gebühr bezahlen müſſe.
Nun konnte allerdings die Konſtruktion, daß
die offene Handelsgeſellſchaft nach den Beſtimmun⸗
gen des HGB. eine ſelbſtändige Rechtsperſönlichkeit
ſei, nichl lange aufrecht erhalten werden. Schon
im Beſchluß vom 3. November 1900 (n. S. Bd. 1
S. 523) wird ſie fallen gelaſſen.
Nun wird aber ausgeführt, die Auffaſſung der
offenen Handelsgeſellſchaft als juriſtiſche Perſon
ſei zwar nicht richtig, ſie habe aber früher viele An⸗
hänger gehabt und liege auch den Beſtimmungne
des Bayer. GebG. zugrunde, wie ſich aus der Vor:
ſchriſt über das Gebührenäquivalent ergebe. Dieſe
Auffaffung des Geſetzgebers müſſe daher für die
Anwendung des Gebührengeſetzes maßgebend ſein.
Für die Anwendung des Gebührengeſetzes
ſei alſo die als unrichtig erkannte Konſtruktion der
offenen Handelsgeſellſchaft als juriſtiſche Per⸗
ſon beizubehalten. Demgemäß ſei die volle Ge⸗
bühr zu erheben.
An dieſer Rechtsauffaſſung hat das bayer. Oberſte
Landesgericht ſtändig bis = feſtgehalten. Nur
hat es in letzter Zeit mit dieſer Begründung eine
weitere verbunden, welche ſich der neueren Recht⸗
ſprechung des Reichsgerichtes (Bd. 65 S. 231,
Bd. 68 S. 412) über das Weſen der Geſamthand⸗
berechtigung anſchließen und auch hieraus die Rich⸗
tigkeit des eingenommenen Standpunktes ableiten
will.
Die Praxis hat ſich, trotz der gleichmäßigen
Entſcheidungen des Ob“ G., nicht bei ihnen beruhigt.
Wiederholt haben landgerichtliche Zivilkam mern
als Beſchwerdeinſtanzen entweder die Gebühren⸗
pflicht ganz verneint, weil bei dem Eigentum zur
geſamten Hand der Geſellſchafter ſchon vorher auf
das Ganze berechtigt und nur durch das gleiche
Recht der anderen eingeſchränkt geweſen ſei, weil
alſo ein Eigentumswechſel überhaupt nicht ſtatt⸗
gefunden habe, oder den Standpunkt einer an⸗
teiligen Gebührenſchuld eingenommen. Der letzteren
Auffaſſung haben ſogar häufig die Rentämter ſelbſt,
bis zur Korrektur durch die vorgeſetzte Stelle, ge⸗
huldigt; ſo ſehr entſprach ſie dem natürlichen Ge⸗
fühl. Auch der bayeriſche Verwaltungsgerichtshof
hat dieſen letzteren Standpunkt vertreten (vgl. z. B.
die Entſcheidung vom 26. November 1911 in
Sachen Gießel, abgedruckt in der Augsburger
Abendzeitung vom 30. November 1911).
III.
Es iſt nun die juriſtiſche Begründung, welche
das bayeriſche Oberſte Landesgericht für ſeine Stel⸗
lungnahme gibt, im einzelnen näher zu unter⸗
ſuchen.
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 63
Urſprünglich beruhte, wie ſchon ausgeführt, die
Berechnung der vollen Gebühr durch das Oberſte
Landesgericht darauf, daß es die offene Handels⸗
geſellſchaft als juriſtiſche Perſon auffaßte. Als dieſe
Konſtruktion fallen gelaſſen werden mußte, wurde
‚fie für das Gebührenrecht aufrecht erhalten mit der
Behauptung, daß fie dieſem zugrunde liege und
deshalb bei ſeiner Anwendung weiter zu gelten
e.
Kein Fortſchritt der Rechtswiſſenſchaft ware
mehr möglich, wenn jedes Geſetz die unrichtigen
rechtlichen Konſtruktionen ſeiner Zeit als gewiſſer⸗
maßen kriſtalliſierten Irrtum unwandelbar in ſich
bergen würde. Die Verfaſſer des bayeriſchen
Geb. (oder der hier einſchlägigen Beſtimmungen)
mögen ſich die offene Handelsgeſellſchaft als
juriſtiſche Perſon vorgeſtellt haben; das Geſetz
ſelbſt enthält dieſe unrichtige Konſtruktion nicht und
bindet nirgends an ſie. Wohl hat das Oberſte
Landesgericht Recht, wenn es zur Verteidigung
ſeiner Anſchauung gegenüber dem recht unglücklichen
Angriff, daß die Konſtruktion der offenen Handels⸗
geſellſchaft als juriſtiſche Perſon im Widerſpruch
mit dem Reichsrecht ſtehe, darauf hinweiſt, daß das
GebG. in das bürgerliche Recht nicht eingreife und
daß es zwar nicht beſtimmen könne, daß die offene
Handelsgeſellſchaft juriſtiſche Perſon ſei, wohl aber,
daß ſie auf ſeinem Gebiete wie eine juriſtiſche Per⸗
ſon behandelt werden ſolle (Slg. n. F. 4, 798).
Gewiß; das bayeriſche Recht könnte eine ſolche
Beſtimmung treffen, die für das Gebiet des Ge⸗
bührenrechtes eine geſetzliche Fiktion ſchaffen würde.
Jedoch müßte der Nachweis erbracht werden, daß
es eine ſolche Beſtimmung tatſächlich getroffen hat.
Das Oberſte Landesgericht will den Beweis in der
Beſtimmung des Art. 258 (früher 218, dann 254)
des GebG. finden. Dort iſt aber nur geſagt, daß
juriſtiſche Perſonen, Handels- und Verſicherungs⸗
geſellſchaften, Genoſſenſchaften, Vereine ſowie andere
Geſellſchaften und Anſtalten unter gewiſſen Voraus:
ſetzungen ein Gebührenäquivalent zu bezahlen haben.
Man könnte daraus, daß die Handelsgeſellſchaften,
unter die doch auch die offene Handelsgeſellſchaft
fällt, neben den juriſtiſchen Perſonen eigens genannt
wurden, eher den Schluß ziehen, daß ihre Unter⸗
ſtellung unter die juriſtiſchen Perſonen doch nicht
als etwas ſo ganz Feſtſtehendes betrachtet wurde.
Keinesfalls aber folgt aus der Gleichſtellung der
offenen Handelsgeſellſchaft mit der juriſtiſchen Per⸗
ſon in einem einzigen Punkt durch eine beſondere
geſetzliche Beſtimmung, daß nun auch in allen
anderen Beziehungen die offene Handelsgeſellſchaft
als juriſtiſche Perſon behandelt werden ſolle.
Auch in der Ausdrucksweiſe des Art. 258 will
das Oberſte Landesgericht die Rechtsperſönlichkeit
der offenen Handelsgeſellſchaft ausgeſprochen finden:
„Das Geſetz ſpricht in Art. 258 von einem Eigen⸗
tum der offenen Handelsgeſellſchaft an den Grund⸗
ſtücken; das Eigentum des Geſellſchafters iſt da⸗
von verſchieden“ (Slg. n. F. 12, 261). Auch dieſe
Beweisführung iſt nicht überzeugend. Die offene
Handelsgeſellſchaft kann unter ihrer Firma Rechte
aller Art erwerben, auch Eigentum an Grundſtlücken.
Es iſt daher zulaͤſſig und üblich, von dem Eigentum
der offenen Handelsgeſellſchaſt zu ſprechen, ohne daß
damit etwas anderes gemeint wäre, als das den
Geſellſchaftern in ihrer geſellſchaftlichen Verbunden⸗
heit zur geſamten Hand zuſtehende Eigentum. Wenn
alſo Art. 258 Geb®. von Eigentum der offenen
Handelsgeſellſchaft ſpricht, ſo drückt er damit noch
nicht einmal die Rechtsanſchauung aus, daß die
offene Handelsgeſellſchaft juriſtiſche Perſon ſei. Noch
viel weniger aber liegt in dieſer Ausdrucksweiſe die
Vorſchrift enthalten, daß die offene Handelsgeſell⸗
ſchaft in allen gebührenrechtlichen Beziehungen und
Fragen gleich einer juriſtiſchen Perſon behandelt
werden ſolle.
Genau Entſprechendes gilt von dem Inhalt und
der Ausdrucksweiſe des gelegentlich auch zur Be⸗
gründung herangezogenen Art. 41 AG. A DHB.
wo in Eränzung des Hypothekengeſetzes vom
1. Juni 1822 beſtimmt wird, daß wenn „eine
Handelsgeſellſchaſt“ der Beſitzer der unbeweglichen
Sache ſei, deren Firma, nicht aber die Namen der
Geſellſchafter einzutragen ſei.
In einer der neueſten Entſcheidungen des
Oberſten Landgerichtes (vom 31. März 1913, Slg.
n. F. 14 S. 192) wird noch ausgeführt, der beſte
Beweis für die Richtigkeit der Auslegung des
Oberſten Landesgerichtes ſei der Umſtand, daß „der
Geſetzgeber“, obgleich ihm deſſen Rechtſprechung
habe bekannt fein müſſen, bei den ſpäteren Aen⸗
derungen des GebG. keinen Anlaß genommen habe,
ihr entgegenzutreten. Die Vorſtellung eines „per⸗
ſönlichen Geſetzgebers“ verführt hier alſo dazu, auch
die Unterlaffung einer Geſetzesänderung zur
Auslegung heranzuziehen. Nur das Geſetz gilt,
nicht die Meinungen, die „der Geſetzgeber“ angeb⸗
lich bei der Erlaſſung des Geſetzes gehabt haben
ſoll, oder gar die vielleicht auseinandergehenden
Anſchauungen, die das Zuſtandekommen eines Ge⸗
ſetzes verhindert haben mögen.
Aus dem bayeriſchen Geb®. aber läßt ſich, wie
gezeigt, nicht der Satz ableiten, daß die offene
Handelsgeſellſchaft gebührenrechtlich als juriſtiſche
Perſon zu behandeln ſei.
Daraus ergibt ſich, daß die offene Handels⸗
geſellſchaft auch auf dem Gebiete des GebG. als
das zu behandeln iſt, was ſie iſt. Sie iſt aber
kraft des HGB. und des dieſes ergänzenden BGB.
eine Gemeinſchaft zur geſamten Hand.
Demnach iſt ſie auch gebühren rechtlich als
ſolche zu behandeln.
Dazu kommt noch, daß der Erwerb von Ge⸗
ſellſchaftsgrundſtücken durch einen Geſellſchafter bei
der offenen Handelsgeſellſchaft gebührenrechtlich doch
nicht wohl anders beurteilt werden kann, als bei
der Geſellſchaft des bürgerlichen Rechtes, und daß
es doch gewiß nicht anginge zu behaupten, die
64 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
Geſellſchaft des bürgerlichen Rechtes ſei im Sinne
des Geb. als juriſtiſche Perſon zu behandeln.“)
In neuerer Zeit hat denn auch das Oberſte
Landesgericht feine Entfcheidungen auf dieſem Ge:
biete in erſter Linie mit Ausführungen begründet,
die von der Natur des Geſamthandsverhältniſſes
ausgehen; nur unterſtützend wird dann beigefügt,
daß auch daran feſtgehalten werde, daß auf dem
Gebiete des Geb. die offene Handelsgeſellſchaft
juriſtiſche Perſon ſei (vgl. insbeſondere den Beſchluß
vom 4. April 1911,
S. 259 — 261). Es iſt nicht recht folgerichtig, wenn
die Konſtruktionen der offenen Handelsgeſellſchaſt
als juriſtiſche Perſon und als Geſamthand, und
zwar die letztere offenbar auch mit Geltung für das
Gebiet des Gebührenweſens, nebeneinandergeſtellt
werden, und zwar nicht etwa in einem Eventual⸗
verhältniſſe, ſondern wenigſtens der Wortfaſſung
des angeführten Beſchluſſes nach, als gleichwertig.
Allein in dieſem Verſuch, die Konſtruktion als
juriſtiſche Perſon nicht ganz aufzugeben, zeigt ſich
wohl nur das Beſtreben, mit der bisherigen Recht⸗
ſprechung in einem gewiſſen Zuſammenhang zu
bleiben; das Ergebnis ſoll nunmehr offenbar in
erſter Linie aus der Konſtruktion als Geſamthand
gewonnen werden.
Das Oberſte Landesgericht führt hier ungefähr
folgendes aus (Slg. 12 S. 259/60, 276, 300/01):
Die offene Handelsgeſellſchaft ſei eine Rechts⸗
gemeinſchaft zur geſamten Hand. Der einzelne
Geſellſchafter ſei an den einzelnen Beſtandteilen des
Geſellſchaftsvermögens unmittelbar berechtigt. Unter
Miteigentum verſtehe das BGB. nur das Mit⸗
eigentum nach Bruchteilen; der ſachenrechtliche In⸗
halt des Eigentums „der Geſamthand“ und der
Berechtigung ihrer einzelnen Mitglieder ſei im
BGB. nicht geregelt. Es ſtehe alſo nichts entgegen,
dieſe letztere Berechtigung nicht als Eigentum zu
behandeln, und da andererſeits gerade die Geſamt⸗
hand die Befugniſſe des Eigentümers ausübe, eine
Mehrheit von Eigentumsrechten an einer Sache als
Ganzem jedoch ausgeſchloſſen ſei, erſcheine es ent⸗
ſprechend, die Berechtigung der einzelnen
Teilhaber an der einzelnen Sache nicht
1) Die Konſtruktion der offenen Handelsgeſellſchaft
als einer juriſtiſchen Perſon auf dem Gebiete des Ge—
bübrenrechtes führt in einigen häufig vorkommenden
Fällen zu Ergebniſſen von beſonders großer Unbilligkeit.
Nach Art. 116 Geb. beträgt die Gebühr bei Vertragen
zwichen nahen Angehörigen 1°/,. während fie ſonſt 2%
ausmacht. Erwirbt alıo jemand von ſeinem Bruder ein
Grundſtück, jo hat er dafür 1% des Wertes Gebühr zu
entrichten. War er aber mit ſeinem Bruder in offener
Handelsgeſellſchaft und dadurch ſchon zuvor an dem
Grundſtücke beteiligt, jo hat er nach der Rechtſprechung
des Oberſten Landesgerichtes nicht etwa entſprechend
weniger Gebühr zu bezahlen, ſondern 2% vom vollen
Wert des Grundſtückes; denn er erwirbt ja das Grund—
ſtück von der Geſellſchaft (nicht etwa den fehlenden Anteil
von ſeinem Bruder !), und mit der Geſellſchaſt iſt er ja
nicht verwandt. Ein Ergebnis, das für ſich allein ſchon
das Oberſte Landesgericht zu einer Revifion jeiner The—
orie veranlaſſen ſollte.
Slg. 12 S. 250 ff., hier
— — nn —
unter dem Begriff des Eigentums im Sinne
des BGB. unterzubringen. Allerdings ſei bei der
geſamten Hand grundſätzlich jeder Gemeinſchafter
auf das Ganze berechtigt; diefe eingeſchränkte Be⸗
rechtigung auf das Ganze ſei aber eben wegen der
Einſchränkung nicht Eigentum. Einer näheren
poſitiven Beſtimmung über die Art dieſer Berech⸗
tigung des Einzelnen bedürfe es für die Zwecke der
Gebührenbewertung nicht.
In der Tat: Wenn das Recht des einzelnen
Geſellſchafters an der zum Geſellſchaftsvermögen
gehörenden Sache nicht Eigentum iſt, ſo iſt ohne
weiteres klar, daß der Geſellſchafter, welcher eine
bisher zum Geſellſchaftsbermögen gehörige Sache
zum Alleineigentum erwirbt, das ganze Eigentum
daran neu erwirbt und daher auch die Gebühr aus
dem vollen Werte zu bezahlen hat. Aber die Frage
nach der Art der Berechtigung des Geſellſchafters
an den Gegenftänden des Geſellſchaftsvermoͤgens
läßt ſich doch nicht ſo leicht beiſeite ſchieben; ſie
drängt ſich gebieteriſch auf und verlangt eine Ant⸗
wort, wenn ſich die Behauptung Anerkennung er⸗
ringen ſoll, daß dieſe Berechtigung des Geſellſchafters
an der Geſellſchaftsſache nicht Eigentum ſei. Wer
iſt Eigentümer einer zum Geſellſchaſtsvermögen ge⸗
hörenden Sache? Das Oberſte Landesgericht ſpricht
von einem „Eigentum der Geſamthand“, leugnet
das Eigentum der einzelnen Geſellſchafter und will
dieſen nur eine andere Berechtigung an der Sache
(alſo ein anders geartetes dingliches Recht) zu⸗
ſprechen. Allein die Geſamthand iſt nicht juriſtiſche
Perſon, nicht Rechtsſubjekt (weshalb auch der irre⸗
führende Ausdruck „die Geſamthand“ an Stelle von
„die Geſellſchafter zur geſamten Hand“ beſſer unter⸗
bliebe). Demgemäß können nur die Geſellſchafter
die Eigentümer der Sache ſein. Und ferner: welcher
Art ſollte denn das dingliche Recht der Geſellſchafter
ſein, wenn es nicht Eigentum iſt? Unſer Recht hat
einen geſchloſſenen Kreis dinglicher Rechte. Es iſt
klar, daß aus Eigentum kein anderes dingliches
Recht dadurch werden kann, daß das Eigentum,
das bisher einem Einzelnen zuſtand, etwa durch
Erbgang oder durch Einlegung in eine Geſellſchaft
an eine Gemeinſchaft zur geſamten Hand gerät.
Das Recht der einzelnen Geſellſchafter
iſt alſo Eigentum. Diejes Eigentum ſteht den
mehreren Geſellſchaſtern gemeinſchaftlich, oder, was
genau dasſelbe iſt, jedem einzelnen zu einem An⸗
teile zu, (der aber kein Bruchteil if). Das Recht
ſelbſt ändert ſeinen Inhalt grundſaͤtzlich keineswegs
danach, ob es einem Einzelnen oder mehreren zu⸗
ſteht, noch auch im letzteren Fall danach, in welchem
Rechtsverhältnis die mehreren zueinander ſtehen
und nach welchem Rechtsverhäͤltniſſe die Verteilung
der aus dem Rechte fließenden Befugniſſe und die
Ordnung ihrer Ausübung geſchieht.
IV.
Wir gelangen demnach zunächſt zu folgenden
Ergebniſſen:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
1. Die offene Handelsgeſellſchaft iſt auch im
Bayeriſchen Gebührenrechte nicht als juriſtiſche Per⸗
ſon, ſondern als Gemeinſchaſt zur geſamten Hand
zu behandeln.
2. Beim Erwerb eines Geſellſchaftsgrundſtückes
durch einen einzelnen Geſellſchafter iſt davon aus⸗
zugehen, daß der erwerbende Geſellſchaſter ſchon
bisher anteilig an dem Brundflüde berechtigt war.
Was folgt nun hieraus?
Zunächſt keineswegs, daß der Rechtsvorgang
gebührenfrei zu belaſſen ſei. Denn ein Erwerb
von Eigentum liegt ja vor. Daran darſ auch die
Tatſache nicht irre machen, daß das Eigentum zur
geſamten Hand gewiſſermaßen elaſtiſch iſt, ſo daß
das Recht des Einzelnen beim Wegfallen eines
Mitberechtigten ſich ohne weiteres ausdehnt. Dieſe
Ausdehnungsfähigkeit einer Mitberechtigung iſt
nichts, was dem Geſamthandseigentum allein eigen⸗
tümlich wäre; fie kann vielmehr auch bei der Tei⸗
lung von Rechten nach Bruchteilen vorkommen
(ogl. z. B. die Anwachſung im römiſchen Erbrecht).
Die Behauptung, daß der einzelne Teilhaber ſchon
vorher auf das Ganze berechtigt und nur durch die
gleiche Berechtigung der anderen beſchränkt ſei, iſt
nichts als ein anderer (und in mancher Beziehung
irreführender) Ausdruck für die von vorneherein be:
ſtebende Möglichkeit der Ausdehnung des Rechtes.
Wird dieſe Möglichkeit zur Tatſache, ſo bedeutet
das einen Rechtserwerb, ſowohl zivilrechtlich, als
auch vom Standpunkte des Gebührenrechtes.
Aber dieſer Rechtserwerb bezieht ſich nicht auf
das ganze Eigentum. Es darf der Umſtand
nicht unberückſichtigt bleiben, daß der Erwerbende
ſchon vorher anteilig berechtigt war. Er erwirbt
nur den anderen Anteil oder die anderen Anteile.
Wie iſt nun dieſer Vorgang gebührenrechtlich
zu behandeln? Das bayeriſche Gebührenrecht ent:
hält, wie gezeigt, keine unmittelbar anwendbare
Vorſchrift. Die Löſung der Frage iſt daher auf
dem Wege der Analogie und unter Berückſichti⸗
gung der Erforderniſſe der Billigkeit zu ſuchen.
Die Berechnung der Gebühr nach dem ganzen
Werte des Grundſtückes ſetzt den Fall anteiligen
Erwerbes demjenigen des Erwerbes der ganzen
Sache gleich. Dies iſt weder vom Standpunkt der
Analogie noch von demjenigen der Billigkeit und
der wirtſchaftlichen Würdigung des Vorganges als
richtig anzuerkennen. Vielmehr weiſen alle dieſe
Gefichtspunkte auf die Behandlung entſprechend
dem Falle anderer Rechtsanteile, namlich derjenigen
nach Bruchteilen, hin. Der Erwerb einer Sache,
an der der Erwerber ſchon einen Anteil zur geſamten
Hand hat, ſteht nicht dem Falle am nächſten, in
welchem der Erwerber der Sache noch fremd gegen⸗
überſteht, ſondern demjenigen, in welchem er ſchon
durch einen Bruchteil daran beteiligt iſt. In Er⸗
mangelung beſonderer geſetzlicher Vorſchriften iſt
er daher entſprechend dieſem Falle zu behandeln.
Es ſtellt ſich heraus, daß jene urſprüngliche Ent⸗
—— —— —ö—ä—ů—bäũ- d ä . ' — ä . — —äb: o'. dů— äö . m - — ——ͤ b ü—äùä ä. .' bt— bẽ—ä——ää ä ä ä ä äö. ä . . eẽ.ẽ.ää öä w. .ä ä ..i ͤ.̃ſzẽę M' . •—ji——
|
65
ſcheidung des Oberſten Landesgerichtes vom 11. Mai
1882, in der die offene Handelsgeſellſchaft als
Sozietät aufgefaßt und darum die Gebühr nach
Bruchteilen berechnet war, nur darin fehl ging. daß
ſie die Berechnung nach Bruchteilen unmittelbar an⸗
wandte; hiebei wurde das Weſen der Geſamthands⸗
berechtigung verkannt. Aber die Anwendung jener Be⸗
rechnung im Wege der Analogie und damit das
Ergebnis jener früheren Entſcheidung erweiſt ſich
als richtig, da das Eigentum des Geſellſchafters
zwar nicht Bruchteilseigentum iſt, aber immerhin
einem ſolchen näher ſteht, wie einer Alleinberechti⸗
gung. Ganz beſonders gilt dies im wirtſchaftlichen
Sinne. Ob ein Grundſtück vier Geſellſchaftern
einer römiſch⸗ rechtlichen Sozietät oder einer Ge:
ſellſchaft des bürgerlichen Rechtes oder einer offenen
Handelsgeſellſchaft gehört, bedeutet für das wirt⸗
ſchaftliche Intereſſe des einzelnen Geſellſchafters
an dem Grundftüd keinen beſonders tiefgreifenden
Unterſchied. Jeder von vier gleichberechtigten Ge⸗
fellſchaftern wird, auch wenn es ſich nicht um eine
Geſellſchaft nach Bruchteilen handelt, ſein Intereſſe
an dem Grundſtücke in dem vierten Teil ſeines
Wertes erblicken, und er wird erſtaunt ſein, wenn
ihm beim Erwerb des Grundſtückes für ſich allein
aus der Gemeinſchaft die Bezahlung der vollen
Gebühr zugemutet wird, wie wenn er an dem
Grundſtück noch gar kein Recht gehabt hätte.
Die vorſtehenden Ausführungen beſchränkten
ſich auf die offene Handelsgeſellſchaft; fie gelten
aber ebenſo ſür die Geſellſchaft des bürger⸗
lichen Rechtes. Bei dieſer fehlt von vornherein
die Möglichkeit, zu behaupten, daß ſie im Sinne
des Gebührengeſetzes als juriſtiſche Perſon zu gelten
habe. Daß auch das, tatſaͤchlich beſtehende, Ge⸗
ſamthandsverhältnis bei richtiger Auffaſſung der
darin wurzelnden Anteilsberechtigungen einer Be⸗
rechnung der Gebühr nach Bruchteilen nicht ent⸗
gegenſteht, wurde bereits oben gezeigt. Uebrigens
hat das Oberſte Landesgericht ſelbſt keinen Anſtand
genommen, die Anteilsrechte an Grundſtücken bei
einer ehelichen Gütergemeinſchaſt entſprechend den
Bruchteilen anzunehmen, die ſich bei der Aus⸗
einanderſetzung einmal ergeben werden (vgl. Slg.
13 S. 637).
Es darf daher die Hoffnung ausgeſprochen
werden, daß die in der Anwendung der vollen
Beſitzveränderungsgebühr beim Uebergange geſell⸗
ſchaftlichen Eigentums auf einen Geſellſchafter
liegende unbillige Geſetzesauslegung wieder auf⸗
gegeben werde, um jo mehr, als die neuere Geſetz⸗
gebung des Reichs und der meiſten Bundesſtaaten
dieſe Härte vermeidet.“)
9) Vgl. 8 25 Wert guw St.; Tarifſt. 1e des neuen
und 11e des bisherigen RStemp St.; Tarifſt. 25 de?
PrStempStG.; Art. 12 des WürttlUmſatzStG.
66 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
Kleine Mitteilungen.
Borſchläge zu einem Neichsgeſetze Über den Bollzug
der Freiheitsſtraſen und ſichernden Maßnahmen. Mit⸗
glieder des Ausſchuſſes des Vereins der deutſchen
Strafanſtaltsbeamten (E. V.) haben nach wiederholter
Beratung in einer engeren und erweiterten Kommiſſion
Vorſchläge ſamt Begründung zu dem Entwurf eines
Reichsgeſetzes über den Vollzug der Freiheitsſtrafen
und ſichernden Maßnahmen ausgearbeitet, und der
Vereinsausſchuß hat nun den Mitgliedern des Vereins
die Vorſchläge nebſt Begründung geſendet, um ihnen
Gelegenheit zur Nachprüfung und Aeußerung zu geben.
Die Vorſchläge ſtellen, wie der Name ſagt, nicht
den Entwurf eines Strafvollzugsgeſetzes dar, ſondern
wollen nur die Grundlage für die künftige Aus⸗
arbeitung eines Entwurfes ſchaffen. In den Tagen
vom 26.— 28. Mai ds. Is. wird in Hamburg eine all⸗
gemeine Mitgliederverſammlung des Vereins abge⸗
halten werden. Bei der Ver ſammlung wird den Haupt
gegenſtand der Tagesordnung die Beratung und Be⸗
ſchlußfaſſung über die bekanntgegebenen Kommiſſions⸗
vorſchläge bilden. Dabei ſoll der Vereinsausſchuß
Vollmacht erhalten, namens des Vereins die Vorſchläge
(mit den etwa von der Vereinsverſammlung zu be⸗
ſchließenden Aenderungen) dem Reichsjuſtizamt vorzu⸗
legen. Man wird im Verein und außerbalb des
Vereins die Aufſtellung der Vorſchläge lebhaft begrüßen
können, weil ſie, wenn nicht den erſten, ſo doch einen
ſehr wichtigen und großen Schritt auf dem Wege be⸗
deuten, den Strafvollzug im ganzen Reich in weiterem
Umfange als bisher einheitlich zu geſtalten. Es muß
erreicht werden, daß Perſonen, denen auf Grund der
Reichsgeſetze die Freiheit entzogen iſt, im weſentlichen
einheitlichen Vorſchriften unterliegen, mag die Freiheits⸗
ſtrafe oder ſichernde Maßnahme in Bayern, Preußen,
Sachſen oder einem anderen Bundesſtaat vollzogen
werden. Manches Rückſtändige, was ſich in den ein⸗
zelnen Bundesſtaaten noch finden mag, würde beſeitigt
werden, wenn die Vorſchläge bindende Geltung erlangen
würden. Die beabſichtigte ſchärfere Betonung des
Unterſchieds im Vollzug der Zuchthaus⸗ und der
Gefängnisſtrafe würde einen erheblichen Fortſchritt
bedeuten. Auch enthalten die Vorſchläge einige, aller⸗
dings dürftige Beſtimmungen über die in den Rahmen
des künftigen Strafgeſetzbuches gedachten Anſtalten zum
Vollzuge der Sicherungshaft mit einer begrenzten Uns
beitimmtbeit der Verwahrungsdauer für gemeingefähr⸗
liche Perſonen, die kriminell geworden ſind. Anderſeits
iſt nicht zu verkennen, daß die Vorſchläge in bezug
auf Schaffung von Sonderanſtalten und Sonderab⸗
teilungen zu weitgehende Anſprüche machen; denn wenn
nach den Vorſchlägen verfahren werden würde, würden
wir Sonderanſtalten und Sonderabteilungen erhalten
nicht nur für den Vollzug der Zuchthaus ſtraſe, der
Gefängnisſtrafe, der Strafe der Einſchließung und der
Haftſtrafe, je mit Trennung der männlichen, weiblichen,
jugendlichen und erwachſenen Gefangenen, ſondern
es ſollten auch ausgeſondert werden die Gefangenen,
welche nicht im Beſitze der bürgerlichen Ehrenrechte
ſind, und in den Anſtalten oder Abteilungen ſür Jugend⸗
liche die erheblich Vorbeſtraften und die vermindert
Zurechnungsſähigen. Ferner wären neben Anſtalten
oder Abteilungen für erwachſene körperlich Gebrechliche
(Invalide) und für Gefangene, die im Strafvollzug in
Geiſteskrankheit verfallen ſind, noch Anſtalten oder
Abteilungen zu errichten für Erwachſene, welche
als gemindert Zurechnungsfähige verurteilt worden
ſind, natürlich ſtets unter Trennung der Geſchlechter
und der Zuchthaus⸗ und der anderen Sträflinge. Dazu
5 in den Arbeitshäuſern räumlich auszuſondern
ein:
a) die Zuhälter,
b) die Diebe, Hehler und Betrüger,
c) die übrigen, hauptſächlich alſo die Bettler, Land⸗
ſtreicher und Dirnen, wieder unter Trennung der
Geſchlechter.
Bei den in Ausſicht genommenen Sonderanſtalten
oder ⸗abteilungen für die ſichernde Verwahrung ge⸗
meingefährlicher Rechtsbrecher iſt neben der Aus⸗
einanderhaltung der Geſchlechter wohl auch wieder
eine Trennung der geiſtig Minderwertigen, der Trinker
und der anderen Perſonen, die gewerbs⸗ und gewohn⸗
heitsmäßig Verbrechen begehen, durchzuführen, wenn
nicht trotz begreiflicher Abneigung vorgezogen wird, die
Minderwertigen und Trinker öffentlichen Irrenanſtalten
zuzuweiſen.
So viele Sonderanſtalten und ⸗abteilungen dürften
kaum veranlaßt ſein und ein Uebermaß von Schwierig⸗
keiten bieten; beſonders dann, wenn die Trennung der
Anſtaltsbevölkerung nach dem Glaubensbekenntnis in
größerem Umfang feſtgehalten oder eingefübrt werden
müßte. In zeitgemäß eingerichteten Zellenſtrafanſtalten,
welche die Möglichkeit der Durchführung ſtrenger und
gemildeter Einzelhaft, voller und eingeſchränkter Ge⸗
meinſchaftshaft bieten, kann vieles von dem, was die
Vorſchläge durch Sonderanſtalten und Sonderabtei⸗
lungen erreichen wollen, auch ohne ſolche Abteilungen
und Anſtalten erzielt werden.
Manches in den Vorſchlägen bedarf noch dringend
einer Klarſtellung: z. B.: Die Frage, wie weit der
Vollzug der ſtrengen Einzelhaft ohne die Zuſtimmung
des Gefangenen die Dauer von 3 Jahren überſteigen
darf oder muß; ferner, ob man wirklich auf die Dis⸗
ziplinarſtrafe des Ausſchluſſes von der Bewegung im
Freien verzichten und ſogar Arreſtgefangene obliga⸗
toriſch zur Bewegung im Freien zulaſſen ſoll, was
m. E. gegen Begriff und Zweck der Arreſtſtrafe ver⸗
ſtoßen würde auch dann, wenn, wie vorgeſchlagen,
ſolche Gefangene von anderen Gefangenen im Hof
getrennt gehalten werden würden.
Wenn das Ziel, den Strafvollzug in den deutſchen
Bundesſtaaten weitgehend zu vereinheitlichen, erreicht
werden ſoll, werden die in den Vorſchlägen allzu oft
gewählten Ausdrücke: „können, dürfen, ſollen, tunlichſt,
möglichſt, wenn, ſoferne, wenn angängig, ſoweit an⸗
gemeſſen“ uſw. ſehr erheblich eingeſchränkt werden
müſſen; ſonſt bleibt eben die Verſchiedenheit beſtehen.
Im allgemeinen wird in den bayeriſchen Straf⸗
anſtalten kein Bedürfnis beſtehen, bald wieder ab⸗
ändernde Vorſchriften zu erhalten. Denn die ſeit 1907
in Kraft getretene, hohen Anſprüchen an einen zeit⸗
gemäßen Strafvollzug genügende Hausordnung ſamt
den dazu ergangenen Ausführungsvorſchriften er⸗
möglicht eine weitgehende Individualiſierung. Leb⸗
hafter wird der Wunſch ſein, in den Anſtalten, in
welchen wegen baulicher Unzulänglichkeiten die Durch⸗
führung der Hausordnung noch nicht vollſtändig mög⸗
lich iſt, dieſe Unzulänglichkeiten zu beſeitigen. Auch
bedarf die Abgrenzung der Stoffe, welche reichs⸗
geſetzlich feſtgelegt, und derjenigen, welche durch An⸗
ordnung des Bundesrats geregelt werden ſollen, noch
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 67
reiflicher Erwägung. Es wird recht viele geben, die
der Meinung ſind, daß zunächſt weitere bundes⸗
rätliche Anordnungen einer reichsgeſetzlichen Feſt⸗
legung vorzuziehen ſeien. Der lebhafte Wunſch, an
der künftigen Ausgeſtaltung des Strafvollzuges mit⸗
zuwirken, beſteht bei allen Beteiligten.
Strafanſtaltsdirektor Leybold in Landsberg.
Aus der Nechtſprechung.
Reichsgericht.
Zivilſachen.
1
Auſpräche wegen Erteilung einer nurichtigen Ans:
kunft: 1. Die Klage auf Unterlaſſung ſetzt die Gefahr,
nicht nur die Möglichkeit einer Wiederholung voraus.
2. Anwendung des 5 826 BGB. in einem Falle, we
die Auskunft ans Fahrläſſigkeit falſch erteilt worden
iſt. Aus den Gründen: 1. Nach feſtſtehender Recht⸗
ſprechung (vgl. RGR Komm. I Vorbem. 6 vor 8 823 unter
II und III S. 774) ſetzt die Unterlaſſungsklage die ernſt⸗
liche und durch Tatſachen n Beſorgnis vor⸗
aus, daß die zu unterlaſſende Handlung wiederholt
werden könne. Die Wiederholungsgefahr iſt Voraus⸗
ſetzung für die Verurteilung. Sie muß ale nicht nur
zur Zeit der Klagerhebung beſtanden haben, ſondern
fortbeſtehen auch in demjenigen Zeitpunkte, wo die
Verurteilung ausgeſprochen werden ſoll. Fällt ſie im
Laufe des Rechtsſtreits weg, ſo wird damit auch die Be⸗
rechtigung zur Unterlaſſungsklage beſeitigt. (Vgl. dieſe
Zeitſchrift 1913 S. 229). Der Beklagte hatte das Vorliegen
einer ſolchen Wiederholungsgefahr ausdrücklich beſtrit⸗
ten; er habe fein Geſchäft mit Firma, Aktiven und
Paſſiven auf eine Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung
übertragen, mit deren Geſchäftsführung er nichts zu
tun babe; ſeitdem lebe er als Privatmann und werde
alſo Auskünfte über den Kläger nie mehr erteilen. Das
Os G. weiſt demgegenüber darauf hin, daß der Beklagte
ſchon in erſter Inſtanz ſich auf den Standpunkt geſtellt
habe, zu ſolchen Auskünften an etwa anfragende Fir⸗
men geradezu verpflichtet zu ſein; auch nachdem er
kein Geſchäft mehr betreibe, bleibe doch „eine Anfrage
bei ihm möglich“. Hier iſt verkannt, daß eine ſolche
bloße Möglichkeit — ohne weitere die Wahrſcheinlich⸗
keit ihrer Verwirklichung ne tatſächliche Unter
lagen — nicht genügt. Nachdem der Beklagte ſchon
im Mai 1911 ſein Geſchäft aufgegeben hat — nach der
im März gl. Is. erfolgten Erhebung der Klage —, ift
die Ausſicht, er werde noch einmal in die Lage kommen,
über den Kläger eine Auskunft des mit der Klage be⸗
kämpften Inhalts zu erteilen, ſchon zur Zeit der Er⸗
laſſung des Berufungsurteils (21. Februar 1913) fo
fernliegend und unwahrſcheinlich geweſen, daß ſchon
aus dieſem Grunde das Unterlaſſungsbegehren abzu⸗
weiſen geweſen wäre.
2. Richtig iſt, daß ein Verſtoß gegen die guten
Sitten dann vorläge, wenn feſtſtünde, daß der Be⸗
klagte ſich bewußt geweſen iſt, keine genügenden An⸗
haltspunkte für die Anzweifelung der Redlichkeit des
Klägers zu haben: die mit Bewußtſein vom Nicht⸗
wiſſen oder mit Bewußtſein ohne Ueberzeugung aufs
geſtellte Behauptung beſtimmter Tatſachen iſt eine
argliſtige und deshalb ſittenwidrige Handlung i. S.
des 8 826 (vgl. beſ. RG. 76, 313 ff., 320; Urt. des
erk. Senats vom 4. Nov. 1912 VI 178/1912 und vom
10. Februar 1913 VI 476/1912). Hiervon wohl zu
ſcheiden aber iſt der Fall, wo der Auskunft Erteilende
lediglich dadurch fehlt, daß er bei gehöriger Sorgfalt
zur Erkenntnis der Unwahrheit ſeiner Mitteilung hätte
elangen müſſen, aber nicht gelangt iſt: ein ſolches
fahrläſſiges Verhalten (8 276 BGB.) iſt nicht wie jenes
erſtangeführte als Argliſt zu kennzeichnen und nur
unter beſonderen Umſtänden ein Verſtoß gegen die
guten Sitten, wie unten noch näher darzulegen ſein
wird. Das Os G. läßt die Möglichkeit offen, daß der
Beklagte bei Erteilung ſeiner Auskunft nicht gewußt
hal, ſondern nur „bei gewöhnlicher Ueberlegung hätte
wiſſen müſſen“, daß ihm genügende Anhaltspunkte für
die Anzweifelung der Redlichkeit des Klägers fehlen;
damit legt es dem Beklagten zur Laſt, er habe ein
leichtfertig gewonnenes Urteil ausgeſprochen. Die
Frage iſt nun, ob unter den beſonderen Umſtänden des
Falles in einem ſolchen Verhalten mit ausreichendem
Grunde ein Verſtoß gegen die guten Sitten gefunden
worden iſt. Das iſt nicht anzuerkennen. Daß jene
Beurteilung auch für bloß fahrläffig falſche Auskunfts⸗
erteilung am Platze ſein kann, iſt in der Rechtſprechung
beſonders des erk. Senats ſchon wiederholt ausgeſprochen
worden. Hervorgehoben ſeien die Fälle RG. 72, 175,
wo es ſich um die Begutachtung des Geiſteszuſtandes
durch einen Arzt, JW. 1911, 584 *, wo es ſich um Aus⸗
kunft über die Kreditwürdigkeit durch einen Bankier
handelte; erwähnt ſei dazu auch die Entſcheidung JW.
1912, 7494, wo die fahrläſſige Verbreitung unwahrer
Behauptungen im Lohnkampfe beurteilt wird, anderer⸗
ſeits auch das Urteil vom 20. Mai 1912 VI 416/1911,
wo für die Auskunft eines Rechtsanwalts über Ver⸗
mögensverhältniſſe eines Dritten eine Sittenwidrig⸗
keit verneint worden iſt. Im Einklang mit dieſer Recht⸗
ſprechung iſt grundſätzlich davon auszugehen, daß in
der fahrläſſig falſchen Auskunfterteilung nur unter be⸗
ſonderen Umſtänden ein Verſtoß gegen die guten Sitten,
gegen das Anſtandsgefühl aller billig und gerecht Denken⸗
den zu finden iſt, ſo beſonders dann, wenn der Aus⸗
kunft um der Berufsſtellung des Erteilenden willen
ein beſonderes Anſehen beigemeſſen wird, und nur bei
einer beſonders zu beurteilenden Fahrläſſigkeit. Daß bei
der Auskunfterteilung des vormaligen Prinzipals über
den Angeſtellten die Umſtände regelmäßig von der hier
in Frage kommenden beſonderen Art ſein werden, iſt
nicht zu verkennen: das Urteil des Prinzipals über
den Angeſtellten beanſprucht der Stellung des Dienſt⸗
herrn entſprechend beſonderes Gewicht. Die Redlich⸗
keit des Angeſtellten anzweifeln heißt ihm das Fort⸗
kommen abſchneiden. Zutreffend hebt das OLG. hier
auch noch beſonders hervor, daß der Kläger lange Zeit
in einer Vertrauensſtellung ſich bewährt hatte, daß
ihm bei ſeiner Entlaſſung ein Mißtrauen in ſeine Ehr⸗
lichkeit nicht zu erkennen gegeben worden war und daß
die von der Auskunft für den Kläger zu gewärtigen⸗
den ſchädlichen Folgen dem Beklagten unmittelbar vor
Augen lagen. Würden hiernach einerſeits die vom
Os. hervorgehobenen Umſtände im allgemeinen die
Annahme eines Sittenverſtoßes zulaſſen, ſo muß doch
andererſeits für eine ſolche weiter ein erhöhter Grad
von Fahrläſſigkeit verlangt werden. Würde der Vor⸗
wurf der Sittenwidrigkeit immer für begründet er⸗
achtet, wenn jemand bei reiflicher Ueberlegung, bei
Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt
(8 276 BGB.) zu der Ueberzeugung von der Unrich⸗
tigkeit der von ihm erteilten Auskunft hätte gelangen
müſſen, fo würde damit der Vorſchrift des 8 826 BGB.
ein Anwendungsgebiet eröffnet, das über den Rechts⸗
begriff der guten Sitten und das vom Geſetz Gewollte
erheblich hinausginge. Gegen das Anſtandsgefühl aller
billig und gerecht Denkenden verſtößt nicht jedes der
erforderlichen Sorgfalt entbehrende, leichtfertige Ur⸗
teil; regelmäßig dann erſt, wenn es gewiſſenlos ge⸗
nannt zu werden verdient, wird man von einem Ver⸗
ſtoß gegen die guten Sitten ſprechen können. Dieſen
Vorwurf wird derjenige verdienen, der, ohne ſachlich
eindringende Prüfung, aber auch ohne ausreichendes
Verantwortlichkeitsgefühl und ohne billig denkendes
Mitempfinden für die Geſchicke anderer urteilt und ſein
68
Urteil äußert, wo er berufen iſt, ein für das Da⸗
ſein eines anderen entſcheidendes Urteil abzugeben.
Daß das OL. ſich dieſer — ſittlich zu kennzeichnen⸗
den — Grenze nicht bewußt iſt, ergibt der Satz: „wer
das nicht tut, verſtößt gegen die im Verkehr gewöhn⸗
liche Sorgfalt“. Ein Verſtoß gegen die gewöhnliche
Sorgfalt iſt keinesfalls ſchon ein Verſtoß gegen die
guten Sitten. Zur Entlaſtung des Beklagten in dieſer
Hinſicht würde es nach dem Ausgeführten allerdings
nicht ohne weiteres ausreichen, daß er an die Wahr⸗
heit des über die Redlichkeit des Klägers Geſagten
ſelbſt geglaubt hat: er kann gewiſſenlos gehandelt
haben, indem er bei dieſem Glauben verharrte und
Mittel und Wege verſchmähte, ſein Urteil zu prüfen
und zu berichtigen. (Urt. des VI. 3S. vom 20. Okt.
1913, VI 228/1913). E.
8202
II.
1. Zurüdverweilnng in die erſte Jnſtanz, wenn deren
Urteil „die Klage“ dem Grunde nach für gerechtfertigt
erklärt, die Bearündung aber ſich nur mit dem einen
der beiden eingeklagten Auſpriche befaßt? 2. Auslegung
eines nachträglichen Berzichtes auf Anſprüche wegen der
Mängel eines durch Kauf oder Tauſch erworbenen Grund:
ſtücks; Wirkſamkeit eines ſolchen Verzichts im Falle arg:
liſtigen Verhaltens des Beränßerers. Aus den Grün⸗
den: 1. Nach dem Tatbeſtande des Urteils erſter In⸗
ſtanz hat der Kläger geltend gemacht, daß ihm zwei
Anſprüche gegen den Beklagten zuſtänden, ein Anſpruch
auf Zahlung von 16000 M, weil zwei Kellerräume
vom Beklagten fälſchlich als zu Wohnungszwecken be⸗
nutzbar bezeichnet worden ſeien, und einer auf Zahlung
von 3000 M wegen falſcher Angabe der Höhe der Ver⸗
waltungskoſten. Dieſe dem Grunde und dem Betrage
nach von einander verſchiedenen Anſprüche wurden nicht
dadurch zu einem einzigen Anſpruch, daß im Rechts⸗
ſtreite der Kläger, wiewohl er die Klage auf beide An⸗
ſprüche ſtützte, den Beklagten nur zur Zahlung von
8000 M zu verurteilen beantragte; er hätte nach § 268
Nr 2 ZPO. den Klagantrag ohne Aenderung der Klage
auf Verurteilung zur Zahlung von 19000 M erweitern
können (RG. in JW. 1911 S. 658 Nr. 34). Das OLG.
nimmt an, der erſte Richter habe durch fein nach 8 304
3PO. erlaſſenes Zwiſchenurteil nur über den zuerſt
genannten Anſpruch entſchieden, der entſcheidende Teil
des Urteils ſei dahin aufzufaſſen: Die Klage iſt dem
Grunde nach gerechtfertigt, ſoweit fie auf die Nicht-
bewohnbarkeit der Kellerwohnungen geſtützt iſt. Es
hat deshalb über den zweiten Anſpruch nicht entſchieden,
ſondern die Sache zur weiteren Verhandlung und Ent⸗
ſcheidung hierüber an die erſte Inſtanz zurückverwieſen.
Dies Verfahren wäre richtig und die von der Reviſion
gerüg'e Verletzung des 8 537 ZPO. läge nicht vor,
wenn die Auslegung zutreffend wäre, die das OLG.
dem Urteil erſter Inſtanz gibt. Im § 537 ZPO. iſt
nur vorgeſchrieben, daß vom Berufungsrichter alle
Streitigkeiten zu berückſichtigen ſind, die den aberkannten
oder zuerkannten Anſpruch betreffen, ſelbſt wenn über
ſie in erſter Inſtanz nicht verhandelt oder nicht ent⸗
ſchieden worden iſt; wenn aber der Klagantrag auf
mehrere ſelbſtändige Anſprüche gegründet iſt und der
erſte Richter nur über einen der Anſprüche erkannt
hat, gelangt auf die gegen dieſes Urteil eingelegte Be—
rufung nur dieſer Anſpruch in die Berufungsinſtanz
und der Berufungsrichter hat ſich einer Entſcheidung
über die anderen Anſprüche zu enthalten (RG. Bd. 18
S. 387, Bd. 59 S. 399, Bd. 77 S. 123). Es kann jedoch
der Auslegung des Berufungsrichters nicht beigetreten
werden, und da es ſich um Auslegung eines Urteils
handelt, iſt das Reviſionsgericht nicht an fie gebunden
(RGE. Bd. 13 S. 404. Warneyer Erg. 1911 Nr. 11).
Der erſte Richter hat „die Klage“ dem Grunde nach
für gerechtfertigt erklärt. Nach dem Tatbeſtande des
Urteils iſt die Klage ſowohl auf den Anſpruch wegen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
Nichtbewohnbarkeit der Kellerräume als auch auf den
Anſpruch wegen falſcher Angabe der Verwaltungskoſten
egründet und der entſcheidende Teil des Urteils ent⸗
ält keinen Zuſatz, aus dem zu entnehmen wäre, daß
die Entſcheldung nur einen der beiden Anſprüche be⸗
treffe; der Urteilsausſpruch umfaßt deshalb beide An⸗
1 und beide find damit dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt. Allerdings erörtern die Ent⸗
ſcheidungsgründe nur den Anſpruch wegen der Keller⸗
räume, nicht auch den Anſpruch wegen der Ber:
waltungskoſten. Soweit jedoch hinſichtlich des letz⸗
teren Anſpruchs eine Begründung der n
fehlt, liegt nur ein Mangel des Urteils i. S. des § 55
Nr. 7 ZPO. vor. Nach dem maßgebenden entſcheidenden
Teil des Urteils iſt auch der Anſpruch wegen der Ber-
waltungskoſten dem Grunde nach für gerechtfertigt er⸗
klärt. Die Reviſion macht daher mit Recht geltend,
daß auf die Berufung des Beklagten auch diefer An⸗
ſpruch in die Berufungsinſtanz gekommen ſei und der
Berufungsrichter ſich einer Entſcheidung hierüber hatte
unterziehen müſſen. Der Kläger iſt auch durch die Unter⸗
laſſung dieſer Entſcheidung beſchwert, denn infolge der
vom Berufungsrichter ausgeſprochenen Zurückverwei⸗
ſung der Sache muß über den Anſpruch wegen der
Verwaltungskoſten noch in erſter Inſtanz weiter vers
handelt und entſchieden werden und hiedurch können
größere Koſten entſtehen. Daher iſt die Reviſion be⸗
züglich des Anſpruchs wegen der Verwaltungskoſten
begründet.
2. Aber auch die Entſcheidung des OLE. über den
Anſpruch wegen der Nichtbewohnbarkeit der Kellerräume
wird von der Reviſton mit Recht angefochten. Das
OLG. weiſt den Anſpruch nur deswegen ab, weil der
Kläger durch ein Abkommen vom 20. Sept. 1911 ſich
des Anſpruchs begeben habe; es findet in dem Schrift⸗
ſtück einen allgemeinen Verzicht des Klägers auf alle
Anſprüche, die ihm aus dem Tauſchvertrage mit dem Be⸗
klagten vom 4./ 16. Sept. 1911 zuſtänden. Dabei unter⸗
ſtellt es die Behauptung des Klägers als richtig, daß
ihm der Beklagte beim Vertragsſchluſſe die Unbenutz⸗
barkeit der beiden Kellerräume zu Wohnungszwecken
argliſtig verſchwiegen und ſogar erklärt habe, die Keller⸗
räume hätten zwar jetzt eine Zeitlang leer geſtanden,
ſie ſeien aber nunmehr vermietet und würden demnächſt
bezogen werden, und ferner, daß der Kläger erſt im
November 1911 davon erfahren habe, daß die Keller-
räume für Wohnungszwecke nicht freigegeben geweſen
ſeien; man könne jedoch auch auf Anſprüche verzichten,
von deren Daſein man nichts wiſſe, wenn nur der
Wille auf einen derartig umfaflenden Verzicht gerichtet
ſei. Dies iſt allerdings richtig; jedoch nur unter der
Vorausſetzung, daß der Wille, einen Verzicht in ſolchem
Umfange zu leiſten, auch deutlich ausgedrückt wird.
In dem Schriftſtück vom 20. Sept. 1911 hat zunächſt
der Beklagte in Abänderung des Tauſchvertrages
gewiſſe Leiſtungen übernommen; dann haben die
Parteien ſich einander zur Vorlegung der Zinsgquit⸗
tungen über bezahlte Hypothekenzinſen und der Be⸗
klagte ſich ferner dazu verpflichtet, die Auflaſſung
ſeines Grundſtücks in P. zu erteilen. Die nun folgenden
Erklärungen lauten: „Damit ſind ſämtliche Anſprüche
er edigt, die zwiſchen den Vertragsteilen aus den be—
zeichneten Verträgen einander zuſtanden. Herr von 3.
(Kläger) insbeſondere erkennt an, das Grundſtück in
P. heute eingehend beſichtigt zu haben und erklärt infolge⸗
deſſen, keinerlei Anſprüche aus dem baulichen Zuſtande
des Grundſtücks noch ſonſtwie aus dem Vertrage ers
heben zu können.“ Dieſe Erklärungen enthalten den
Willen des Klägers, auf Anſprüche jeder Art, auch auf
ihm noch nicht bekannte zu verzichten, nicht ſo zweifels⸗
frei, daß eine andere Auslegung, insbeſondere die An⸗
nahme eines beſchränkieren Verzichtwillens, ausge:
ſchloſſen wäre. Namentlich laſſen die Worte: „zuſtanden,
erledigt, infolgedeſſen, erheben zu können“ die Mög—
lichkeit einer Auslegung dahin offen, daß der Kläger
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 69
nur ſolche Anſprüche für erledigt hat erklären wollen
und erklärt hat, über die vorher unter den Parteien
verhandelt worden war oder die mit der vom Kläger
an dem nämlichen Tage vorgenommenen Beſichtigung
des Grundſtücks im Zuſammenhange ſtanden. Daher
durfte das OLG. das Schriftſtück nicht dahin deuten,
daß der Kläger darin auf ſämtliche Anſprüche gegen
den Beklagten, auch auf die ihm noch unbekannten,
verzichtet habe, ohne zuvor den vom Kläger angetretenen
Zeugenbeweis darüber zu erheben, daß die Erklärungen
des Klägers über ſeine Anſprüche gegen den Beklagten
ſich nur auf die zwiſchen den Parteien vorher ent⸗
ſtandenen Streitigkeiten, namentlich wegen des baulichen
Buftandes des Hauſes, bezogen hätten. — Das OLE.
erörtert im Anſchluß an ſeine Ausführung, daß ein
Berzicht auch Anſprüche umfaſſen könne, die dem Ver⸗
zichtenden unbekannt ſeien, weiter, ob der Wirkſam⸗
keit eines ſolchen umfaſſenden Verzichts hier etwa die
Vorſchrift des § 476 BGB. entgegenſtehe, und verneint
dies. Nach dieſer Vorſchriſt, die gemäß 8 515 BGB.
auf Tuuſchverträge entſprechende Anwendung findet,
iſt eine Vereinbarung nichtig, durch welche die Ver⸗
Rae des Verkäufers zur Gewährleiſtung wegen
Mängel der Sache erlaſſen oder beſchränkt wird, wenn
der Verkäufer den Mangel argliſtig verſchweigt. Eine
ſolche zugunſten des Verkäufers getroffene Vereinbarung
iſt verſchieden von einem Verzicht des Käuſers, der alle
Anſprüche wegen Mängel der Sache umfaßt. Hat der
Käufer eine derartig umfaſſende Verzichtserklärung ab⸗
gegeben, ſo kann er auch wegen argliſtig verſchwiegener
Mängel einen Anſpruch gegen den Verkäufer nicht geltend
machen, ſofern nicht die Verzichtserklärung nach den
allgemeinen für Rechtsgeſchäfte geltenden Vorſchriften
nichtig iſt oder durch Anfechtung nichtig wird. Hier
kame daher 8 476 BGB. nur dann in Betracht, wenn
in dem Schriftſtück vom 20. Sept. 1911 ein alle An⸗
ſprüche wegen Mängel des Grundſtücks in P. umfaſſender
Verzicht des Klägers nicht enthalten, aber daraus eine
Vereinbarung zwiſchen den Parteien i. S. des § 476
BGB. zu entnehmen wäre. Das hat das OLG. nicht
feſtgeſtellt. Es iſt daher ein näheres Eingehen auf
die Frage der Vereinbarung ung Bemerkt mag
nur werden, daß eine ſolche Vereinbarung nicht nur
im Kaufvertrage, ſondern auch in einer ſpäteren Ab⸗
machung getroffen werden kann (vgl. Mot. z. I. Entw. Bd. 2
S. 238), insbeſondere in einem Abkommen, in dem,
wie hier, vor der Auflaſſung des verkauften Grund»
ſtücks die Beſtimmungen des Kaufvertrages geändert
werden. Hat der Verkäufer einen Mangel argliſtig
verſchwiegen, ſo iſt auch eine ſolche nachträgliche Ver⸗
einbarung nach 8 476 BGB. nichtig, da fie der im Kauf⸗
vertrage getroffenen gleichſteht; eine Anfechtung der
Vereinbarung oder des ganzen Abkommens durch den
Käufer wegen argliſtiger Täuſchung iſt zur Herbei⸗
führung der Unwirkſamkeit nach dem Wortlaute des
476 BGB. nicht erforderlich. Unzutreffend iſt die
einung des OL G., das argliſtige Verſchweigen des
Mangels müſſe in dieſelbe Gegenwart fallen, in welcher
die Vereinbarung ſtattfinde, ein argliſtiges Verſchweigen
in der Vergangenheit genüge nicht. Hat der Verkäufer
beim Vertragsſchluß einen Mangel argliſtig verſchwiegen,
ſo muß er bei einer ſpäteren Vereinbarung, wodurch
ihm die Verpflichtung zur Gewährleiſtung erlaſſen wird,
das Beſtehen des Mangels nunmehr aufdecken, widrigen⸗
falls er als den Mangel auch gegenwärtig argliſtig
verſchweigend i. S. des 8 476 BGB. anzuſehen iſt. (Urt.
des V. 35. vom 20. Okt. 1913, V 204/1913). E.
3208
III.
Iſt eine Klage zuläſſig, die auf die Feſtſtellung des
Nichtdeſtehens von Schadenserſatzanſprüchen aus § 823
BGB. für die Vergangenheit und die Zukunft gerichtet
iſt! Einfluß der e Erhebung der Schaden⸗
erſatzklage durch den Beklagten auf die Zuläſſigkeit der
Feſtſtellnnasklage; kein Anſpruch auf ein Feſtſſellungs⸗
urteil, das, ohve einen beſtimmten Nechteſtreit zu ſchlichten,
auf die Entiheidung einer reinen Rechtsfrage hinans⸗
laufen würde. Aus den Gründen: Der Kläger und
der Beklagte ſind Nachbarn: dieſer iſt Eigentümer des
Gutes Ka., jener hatte das Gut Ko. gepachtet und es
nachmals eigentümlich erworben. In einem zu dem
Gute Ko. gehörigen Wäldchen beſinden ſich wilde Ka⸗
ninchen. Wegen des durch dieſe ſeinem Gute im Herbſt
und Winter 1908,09 angeblich zugefügten Schadens hat
der Beklagte, geſtützt auf 8823 Abſ. 1 B88, Klage auf Ers
ſatz eines Betrags von 2600 M gegen den Kläger erhoben:
dieſer Anſpruch iſt durch Urteil vom 31. Oktober 1911
dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden.
Wegen weiterer gleicher Schäden, die ihm im Jahre
1910/11 entſtanden ſeien, hat auf Antrag des Beklagten
im April und im Auguſt 1911 je ein Beweisſicherungs⸗
verfahren ſtattgefunden. Der Kläger behauptet, die
Kaninchen, die auf dem Gute des Beklagten Schaden
angerichtet hätten, ſtammten nicht aus dem zum Gute
des Klägers gehörigen Wäldchen; in dieſem fänden
ſich Kaninchen nur in durchaus normaler Menge: um
eine das normale Maß überſteigende Bermehrung zu
verhindern, habe der Kläger die verſchiedenſten Maß⸗
regeln getroffen. Die Beweisſicherungsverfahren be⸗
zweckten offenbar, dieſen auch wegen des Schadens in
Anſpruch zu nehmen, der dabei von den Sachverſtän⸗
digen feſtgeſtellt worden ſei und der fpäter noch ent⸗
ſtehen werde. Der Klagantrag geht dahin, feſtzuſtellen,
daß der Kläger und die ſpäteren Beſitzer des Gutes Ko.
dem Beklagten für Kaninchenſchaden auf dem Gute Ka. —
abgeſehen von dem im Urteile vom 31. Oktober 1911
behandelten Schaden — nicht erſatzpflichtig ſeien, weder
für die Vergangenheit noch für die Zukunft, zum min⸗
deſten jedenfalls dann nicht, wenn ſie im bisherigen
Umfang für die Vertilgung der Kaninchen ſorgten.
Die Vorgerichte haben die Klage abgewieſen. Das
OLG. bezeichnet die Anſprüche, deren Nichtbeſtehen die
Kläger feſtgeſtellt wiſſen wollen, als Schadenserſatz⸗
anſprüche auf Grund des 8 823 Abſ. 1 B88 Es legt, was
die Anſprüche für die Vergangenheit — d. h. bis zur letz⸗
ten mündlichen Verhandlung — anlangt, dar, daß den
Klägern an der begehrten Feſtſtellung jegliches Inter⸗
eſſe abgehe, weil kein Zeitraum beſtehe, für welchen
der Beklagte nicht entweder ſchon die Leiſtungsklage
erhoben oder durch ſein Verhalten den Mangel einer
Gefahr der Inanſpruchnahme des Klägers klargelegt
hätte Was aber die Feſtſtellung der Anſprüche für
die Zukunft anlange, ſo ſei ein Schadenserſatzanſpruch
aus einer noch nicht geſchehenen unerlaubten Hand⸗
lung kein Rechtsverhältnis, über deſſen Beſtehen oder
Nichtbeſtehen i. S. des 8 256 ZPO. das Gericht ſchon
jetzt zu entſcheiden gezwungen werden könne. Dieſe
Ausführungen find zutreffend und laſſen keinen Rechts⸗
irrtum erkennen. Was den ſchon entſtandenen Schaden
anlangt, ſo hat die Reviſton das Urteil nur angegriffen,
ſoweit es den Schaden betrifft, den der Beklagte im
April 1911 durch Beweisſicherung hat feſtſtellen laſſen
und im Laufe des gegenwärtigen Rechtsſtreits einge⸗
klagt hat. Sie macht geltend, das Feſtſtellungsintereſſe
des Klägers könne nicht dadurch beſeitigt werden, daß
der Beklagte eine beſondere Klage auf die Leiſtung er⸗
hebe; es komme vielmehr darauf an, ob bei der Klage⸗
erhebung das Feſtſtellungsintereſſe vorhanden geweſen
ſei. Dieſe Anſicht iſt unzutreffend. In ſtändiger Recht⸗
ſprechung (val. Entſch. ZS. Bd. 71 S. 68 ff, Warneyer,
Erg.⸗Bd. V Nr. 453, VI Nr 69) hat das RG. ausge⸗
führt, daß der Kläger den Anſpruch auf Feſtſtellung
nicht aufrecht erhalten kann, wenn nachträglich der
Gegner die Leiſtungsklage erhoben hat und nicht mehr
befugt iſt, ſie zurückzunehmen, und daß jene Klage ab—
gewieſen werden muß, wenn der Feſtſtellungskläger
ſeinen Anſpruch aufrecht erhält.
Was den in Zukunft entſtehenden Schaden anlangt,
ſo mag dem Reviſionskläger zugegeben werden, daß er
70 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
ein Intereſſe an der Feſtſtellung hat, daß ein Erſatz für
Kaninchenſchaden überhaupt nicht gewährt zu werden
brauche, gleichviel wie ſich der Grundeigentümer den auf
feinem Grundſtück hauſenden Tieren gegenüber verhalte.
Es fehlt aber hier an der weiteren Vorausſetzung des 8 256
ZPO., daß das Nichtbeſtehen eines Rechts verhältniſſes
feſtgeſtellt werden ſoll Das Rechtsverhältnis muß
ſchon beſtehen: die Hoffnung auf ein künftig entſtehendes
oder die Befürchtung eines ſolchen gewährt noch kein
Recht auf richterlichen Schuß, ſofern nicht der künftige
Anſpruch die Folge eines beſtehenden Rechtsverhält⸗
niſſes iſt (Gaupp⸗Stein, ZPO. (10) zu $ 256 unter II, 4).
Das iſt hier nicht der Fall. Der Reviſionskläger glaubt
in den „nachbarlichen Beziehungen“ ein Rechtsverhäͤlt⸗
nis finden zu können; allein das nachbarliche Verhält⸗
nis gibt nur den äußeren Anlaß zur Entſtehung des
Schadens, für den der Beklagte unter gewiſſen Voraus⸗
ſetzungen vom Kläger Erſatz zu verlangen ſich für be⸗
rechtigt hält. Daß er deſſen Nachbar iſt, iſt rechtlich
von nebenſächlicher Bedeutung; erheblich iſt nur, daß
infolge eines vom Beklagten für ſchuldhaft gehaltenen
Verhaltens des Klägers das Grundeigentum des Be»
klagten — nach deſſen Annahme widerrechtlich — ver⸗
letzt werden wird. Ein Feſtſtellungsurteil, wie es der
Kläger in erſter Linie begehrt, würde eine reine Rechts⸗
frage entſcheiden. Er überſieht aber auch — und das
gilt beſonders für den beſchränkten Klagantrag —,
daß der Beklagte ſich nur im Falle des Verſchuldens
des Klägers oder einer Perſon, für die er einzuſtehen
hat, zu einer Forderung auf Schadenserſatz für be⸗
rechtigt erachtet. Es iſt ausgeſchloſſen, ſchon jetzt aus⸗
zuſprechen, daß ein dem Beklagten künftig etwa ent-
ſtehender Schaden im Hinblick auf ein künftiges, in
ſeinen Grundzügen näher beſchriebenes Verhalten des
Klägers nicht als ſchuldhaft verurſacht angeſehen
werden könne und deshalb vom Kläger nicht zu er⸗
ſetzen ſei. Denn erſt ein neues Verſchulden bringt —
nach der Auffaſſung des Beklagten — den Erſatzan⸗
ſpruch zur Entſtehung und ein Feſtſtellungsurteil würde
keinen Rechtsſtreit ſchlichten, ſondern ebenfalls auf die
Entſcheidung einer reinen Rechtsfrage hinauslaufen,
wenn es ausſpräche, daß der Kläger wegen eines dem
Beklagten an ſeinem Grundeigentum durch Kaninchen
künftig zugefügten Schadens dann nicht erſatzpflichtig
ſein würde, wenn er gewiſſe Maßnahmen zur Vertil⸗
gung oder zur Verhütung der Vermehrung der Kanin⸗
chen getroffen haben ſollte. Daß der Kläger ein recht⸗
liches Intereſſe daran hat, ſchon jetzt feſtgeſtellt zu
ſehen, daß er dem Beklagten gegenüber überhaupt
nicht verpflichtet ſei, irgendwelche Maßregeln zur Ver⸗
tilgung oder gegen die Vermehrung der wilden Ka⸗
ninchen zu treffen, mag keinem Zweiſel unterliegen,
ebenſo, daß es ſich inſoweit um die Feſtſtellung eines
Rechtsverhältniſſes handeln würde. Nach den zus
treffenden, von der Reviſion auch nicht beanftandeten
Ausführungen des OLG. wollte jedoch der Kläger nur
feſtgeſtellt wiſſen, daß dem Beklagten Schadens⸗
erſatzanſprüche auf Grund von § 823 BGB. nicht ent⸗
ſtehen können; das Begehren einer Feſtſtellung jenes
Inhalts kann im Klagantrag nicht gefunden werden.
Ob es nicht Pflicht des OLG. geweſen wäre, auf eine
Abänderung des Klagantrags hinzuwirken, kann dahin—
geſtellt bleiben, da die Reviſion das nicht gerügt hat.
(Urt. des VI. ZS. v. 23. Okt. 1913, VI 266/1913). E.
3191
B. Strafſachen.
J.
Beamte der bayeriſchen Unterſuchungsanſtalten für
Nahrungs- und Genußmiitel als Hilfsbeamte der Staats⸗
anwaltſchaſt. Ablehnung dieſer Beamten als Sachver⸗
ſtändige.) Aus den Gründen: Unrichtig iſt es,
1) S. dazu das Urteil des Reichsgerichts im Jahrg. 1913 Defer
Zeitſchrift S. 23 und die Mitteilung von Dirtmann, edenda S. 106.
—
—
daß das LG. die Ablehnung des Sachverſtändigen des⸗
halb zurückweiſt, weil Dr. Sch. nicht als Hilfsbeamter
der Staatsanwaltſchaft, ſondern als Inſpektor der K.
Unterſuchungsanſtalt für Nahrungsmittel und zwar
in ſeiner Eigenſchaft als ſachverſtändiger Beamter dieſer
Anſtalt das Gutachten abgegeben habe, in dem der
Beſchwerdeführer eine ſtaatsanwaltliche Handlung er⸗
blickt. Denn durch die Min Bek. vom 19. Juli 1909
ſind für den Vollzug des Weingeſetzes die ſachverſtändigen
Beamten der öffentlichen Unterſuchungsanſtalten für
Nahrungs und Genußmittel als Hilfsbeamte der Staats⸗
anwaltſchaft beſtellt worden. War alſo die Abgabe
dieſes Guchachtens eine ſtaatsanwaltliche Handlung
des Dr. Sch., ſo war ſeine Ablehnung als Sachver⸗
ſtändiger in der Hauptverhandlung berechtigt. Das
Gutachten iſt nun zwar äußerlich von der Unterſuchungs⸗
anſtalt erſtattet und von deren II. Direktor unterzeichnet,
allein es beginnt mit den Worten: „Zu den beiden
Anklagepunkten hat auf Grund des Ergebniſſes der
Vorunterſuchung Inſpektor Dr. Sch. Folgendes zu be⸗
merken:“ Der Unterſuchungsrichter hat die Anſtalt um
„Mitteilung über den Stand der Sache“ und um Aus-
kunft erſucht, bis wann der Eingang des zu erſtattenden
Gutachtens“ zu erwarten ſei. Das Schreiben des Unter⸗
ſuchungsamtes bezeichnet ſich nicht als Zutachten und
es iſt auch, insbeſondere ſoweit es ſich auf den Be⸗
ſchwerdeführer bezieht, kein techniſches Gutachten, ſondern
ein Zuſammenfaſſen des Ergebniſſes der Vorunter⸗
ſuchung mit der Schlußäußerung: „Aus all dem An⸗
geführten dürfte es wohl kaum einem Zweifel unter⸗
liegen, daß ſowohl M., als auch St. an dem Bezug
der Birnweine, an dem Verſchnitte der Birnweine mit
Traubenweinen und dem Verkauf des Obſttrauben⸗
meines als Traubenwein gemeinſam mit L.teilgenommen
haben.“ Hiernach iſt dem Verteidiger zuzugeben, daß
Dr. Sch. als Verfaſſer des Schreibens anzuſehen iſt
und daß dieſes eine Art von Aktenauszug war, der
dazu dienen konnte, dem Staatsanwalt das Studium
der Akten und die Anfertigung der Anklageſchrift zu
erleichtern. Dr. Sch. iſt daher in dieſer Sache als
Hilfsbeamter der Staatsanwaltſchaft tätig geweſen,
und ſeine Ablehnung war gerechtfertigt, da es ſich um
einen Grund handelt, der die Mitwirkung eines Richters
nach dem Geſetz ausſchließt, einerlei ob die Beſorgnis
einer Befangenheit anzuerkennen war oder nicht. (Urt.
des I. StS. vom 20. Nov. 1913, 1 D 689 / 13). —— —ı.
3207
II.
Wann darf ein Getränke als „Heidelbeerwein“ be:
zeichnet werden?! Verfälſchung eines ſolchen Getränkes.
Handelt der Herſteller fahrläſſig i. S. des tz 11 NN.,
wenn er die ihm von anderen gelieferten Stoſſe nicht
prüft? Aus den Gründen: Heidelbeerwein iſt
kein Wein i. S. des Weingeſetzes. Welche Anforde⸗
rungen an ein Getränke zu ſtellen find, um es als Heidel⸗
beerwein erklären zu können, iſt eine tatſächliche Frage.
Eine geſetzlich feſtgelegte Begriffsbeſtimmung hierfür
gibt es nicht und es kann insbeſondere dazu die ge⸗
ſetzliche Begriffsbeſtimmung für Wein (Traubenwein)
nicht von rechtlichem Belang ſein. Die Strafkammer
hat feſtgeſtellt, daß das Publikum bisher die beiden
Arten der Herſtellung von Heidelbeerwein, nämlich die
durch alfoholifhe Gärung und die „auf kaltem Wege“,
„in Uebereinſtimmung mit einem großen Teile der Bros
duzenten“ für normal gehalten und ſich bei der Aus⸗
wahl von Heidelbeerwein für das eine oder andere
Erzeugnis nur nach dem Preiſe beſtimmen ließ. Gegen
dieſe Feſtſtellung verſucht die Reviſion vergebens unter
Berufung auf den Begriff „Wein“ geltend zu machen,
daß als Heidelbeerwein nur ein ſolches Getränke zu
bezeichnen ſei, das eine alkoholiſche Gärung durchge—
macht habe. Erfolglos muß auch der Angriff bleiben,
daß die Strafkammer bei der Frage, welche Anforde-
rungen vom Publikum im Verkehr an ein als Heidel—
beerwein zu bezeichnendes Getränk zu ſtellen ſind, von
—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 71
rechtlich verfehltem Geſichtspunkt ausgegangen fei. Die
Strafkammer hat ihren Ausführungen die Anſchau⸗
ungen des „Tonfumierenden Publikums“ zugrunde ges
legt. Wenn ſie ſagt, dieſes Publikum befinde ſich dabei
„in Uebereinſtimmung mit einem großen Teile der Pro⸗
duzenten“, ſo iſt es zwar auffallend, daß die ſtrengeren
Anſchauungen des anderen, offenbar größeren Teiles
der Produzenten auf die Anforderungen des kaufenden
und verbrauchenden Publikums ohne Einfluß geblieben
ſein ſollten, aber das iſt eine Frage tatſächlicher Natur
und rechtlich iſt es nicht ausgeſchloſſen, daß in Fällen
der vorliegenden Art das kaufende und verbrauchende
Publikum in ſeiner Allgemeinheit andere Anforderungen
ſtellt, als die Produzenten und ſeine Anforderungen als
maßgebend erachtet werden müſſen.
Dagegen wird mit Recht die Begründung bean⸗
ſtandet, mit welcher die Strafkammer die Annahme
einer Verfälſchung verneint hat. Wohl wird zunächſt
auf Grund der Ausſagen eines Zeugen über die im
Betriebe der Angeklagten übliche Herſtellung ausge⸗
führt, daß hiernach der Waſſerzuſatz nicht einmal 50 %
betragen habe, alſo unter der vom Sachverſtändigen
als zune ſhg bezeichneten Grenze geblieben ſei. Zweifel⸗
haft iſt, ob die Strafkammer das Gutachten der Sach⸗
verſtändigen über den zuläſſigen Waſſergehalt richtig
verſtanden und nicht vielmehr Gehalt und Zuſatz ver⸗
wechſelt hat. Jedenfalls aber hat ſie nicht gegenſtänd⸗
lich feſtgeſtellt, welchen Waſſerzuſatz (zu den ſonſtigen
Herſtellungsſtoffen) das im Betriebe der Angeklagten
hergeſtellte Getränk tatſächlich enthalten hat, ſondern
ſie hat nur dargelegt, welchen Waſſerzuſatz die Ange⸗
klagten bei der Herftellung des Getränks dem von ande⸗
ren Firmen gelieferten Rohbeerenſaft und den ſonſt
verwendeten Stoffen geben ließen. Aus den weiteren
Ausführungen des Urteils geht hervor, daß ſchon der
den Angeklagten gelieferte und von ihnen verwendete
Rohſaft „überſtreckt“ war, das hergeſtellte Getränk dem⸗
zufolge einen die zuläſſige Grenze überſchreitenden
Waſſerzuſatz enthielt und daher gegenſtändlich verfälſcht
war. Ein Berſchulden der Angeklagten und insbeſondere
die Anwendbarkeit des 8 11 NM. verneint die Straf⸗
kammer bloß deshalb, weil die Angeklagten die Ueber⸗
ſtreckung des ihnen gelieferten Rohſafts nicht gekannt
und bei dem Umſtand, daß ſie nur von ſoliden Firmen
bezogen, keinen Grund gehabt hätten, die gelieferten
Fruchtſäfte nachzuprüfen. Damit hat die Strafkammer
den Begriff der N verkannt. Fahrläſſig
handelt, wer durch Nichtanwendung der nach den ge⸗
gebenen Umſtänden gebotenen Sorgfalt einen rechts⸗
widrigen Erfolg herbeiführt. Die gebotene Sorg⸗
falt muß der Handelnde ſelbſt üben; er darf ſich nicht
ſchlechthin auf die Sorgfalt anderer verlaſſen, deren
er ſich zu oder bei ſeinem Handeln bedient, ſondern
er hat, ſoweit ihm das nach den Umſtänden möglich
iſt, die Tätigkeit ſolcher Perſonen nachzuprüfen oder
zu überwachen. Den Angeklagten war es möglich, die
Tätigkeit der Firmen, die ihnen zu ihren Zwecken liefer⸗
ten, nachzuprüͤfen und fie waren in ihrem Betriebe dazu
auch verpflichtet. Jeder, der ſich gewerbsmäßig mit
der Herſtellung uud dem Verkaufe von Nahrungs- oder
Genußmitteln befaßt, hat ſich bei der Herſtellung über
die Beſchaffenheit feines Erzeugniſſes zu unterrichten
und zu vergewiſſern und dazu iſt ſelbſtverſtändlich auch
eine Prüfung der von anderen gelieferten Stoffe er⸗
forderlich. Haben die Angeklagten ſich in dieſer Be⸗
ziehung auf die Redlichkeit derer verlaſſen, von denen
ſie dieſe Stoffe bezogen hatten, ſo haben ſie die ihnen
ſelbſt obliegende Sorgfalt nicht geübt und den hier⸗
durch herbeigeführten Erfolg zu verantworten. So⸗
weit Feilhalten und Verkauf in Frage kommt, haben
die Angeklagten weiterhin auch die ihnen obliegende
Pflicht verletzt, ſich fortdauernd über die Beſchaffenheit
der den Gegenſtand ihres Geſchäftsbetriebs bildenden
Erzeugniſſe unterrichtet zu halten. (Urt. des I. StS.
vom 20. Nov. 1913, 1 D 797/13).
3211
— — n.
III
Berausſetzungen der erlaubten Zuckerung des Weins.
Welchen Zweck muß der Zuckernde im Auge haben? Aus
den Bründen: Das Urteil iſt dem Geſetz nicht ge⸗
recht geworden, weil es das Verfahren des Angeklagten
auch inſoweit nicht beanſtandet, als er mit der Zuckerung
anſcheinend die im Geſetz allein zugelaſſene Verbeſſerung
des Weins nicht einmal gewollt hat; jedenfalls be⸗
gründet der Mangel ausreichender Feſtſtellungen in
dieſer Richtung den Verdacht, daß irrig kein Gewicht auf
die Zwecke gelegt wurde, die der Angeklagte mit der
Zuckerung verfolgte. Die Zuckerung iſt nur zugelaſſen,
wenn fie nach der Abſicht des Zuckernden dazu dienen ſoll,
natürlichen Mängeln des Weins von ganz beſtimmter Art
abzuhelfen; ſie muß ſich alſo in der Richtung dieſes Zwecks
bewegen und andererſeits in den dadurch gezogenen
Grenzen bleiben. Der Zweck der Zuckerung muß darin
beſtehen, einen verhältnismäßig alkoholärmeren und
ſäurereicheren Wein durch Vermehrung des Alkohol⸗
und Zuckergehalts⸗ oder durch Verminderung der über⸗
ſchießenden Säure einem Wein im Geſchmack gleich⸗
zuſtellen oder wenigſtens anzunähern, der aus Trauben
gleicher Art und gleicher Herkunft in guten Jahrgängen
ohne Zuſätze erzielt werden kann. Dem Zuckernden
muß als Vorbild ein Wein der erwähnten Art vor⸗
ſchweben, dem er den zu zuckernden Wein im Geſchmack
ganz oder wenigſtens teilweiſe gleichſtellen will, ſoweit
dabei Alkohol⸗„Zucker⸗ und Säuregehalt in Frage kommen.
Dieſem Zweck muß er deshalb auch ſeine Zuckerungs⸗
maßnahmen in überlegter und vernünftiger Weiſe an⸗
paſſen. Für den, der die Zuſammenſetzung vorbild⸗
lichen Welns, der in gleichen Lagen wie der zu zuckernde
in guten Jahrgängen erzielt wird, überhaupt nicht
kennt, der über das Moſtgewicht und über den natür⸗
lichen Säurerückgang der als Normalwein in Frage
kommenden gleicher ger Weine guter Jahrgänge nicht
unterrichtet iſt, noch mehr aber für den, der die Ver⸗
e nach ihren Urſachen oder nach
ihrem Maße nicht überſieht, wird eine Zuckerung, wie
fie das Geſetz zuläßt, kaum ausführbar, wenn nicht
unmöglich ſein. Das entſpricht aber durchaus der Ab⸗
ſicht des Geſetzes, das den Begriff der Verbeſſerung
genau begrenzen und beſtimmen wollte und davon aus⸗
ging, daß es ſich dabei nur um eine Ergänzung oder
Verminderung ganz beſtimmter Beſtandteile in der Zu⸗
ſammenſetzung handeln dürfe, über deren Umfang und
Bedeutung der Zuckernde unterrichtet ſein müſſe. Des⸗
halb hat auch das Geſetz offenbar die Zuckerung vor⸗
zugsweiſe in die Hände des erſten Erzeugers und nicht
in die ſpäterer Erwerber legen wollen und die ur⸗
ſprünglich vorgeſehene örtliche Beſchränkung der Zucke⸗
rung verfolgte ausgeſprochen den Zweck, zu verhindern,
daß außerhalb des engeren Ernteweinbaugebiets ge⸗
zuckert werde, weil nur innerhalb dieſes beſchränkten
Gebiets Sicherheit dafür gegeben war, daß die bei der
Zuckerung notwendige Kenntnis von der Beſchaffen⸗
heit des Weins in bezug auf Zucker-, Alkohol- und
Säuregehalt in dem Sinne vorhanden war, daß der
Zuckernde wußte, wie Weine des Weinbaugebiets be⸗
ſchaffen ſind, die in guten Jahrgängen erzielt werden.
Die Verbeſſerungsbedürftigkeit eines Weins iſt deshalb
nicht nach dem perſönlichen Geſchmack und ſonſtigen
Anſchauungen und Zweckvorſtellungen des Zuckernden
zu beurteilen, ſondern danach, wie ein Wein gleicher
Art und Herkunft in guten Jahrgängen beſchaffen wäre.
Nur dann, wenn dieſe Durchſchnittsbeſchaffenheit des
guten Jahrgangs in bezug auf Zucker, Alkohol- oder
Säuregehalt nicht vorhanden iſt, kann von einem natür⸗
lichen, alſo durch Witterungseinflüſſe oder ſonſtige
Naturverhältniſſe begründeten „Mangel“ oder einem
natürlichen ‚Uebermaß“, die Rede fein. Die Begriffe
zwingen für ſich ſchon zu einem Vergleich mit einer
anderen Sache und wer einem „Mangel“ oder einem
„Uebermaß“ abzuhelfen beabſichtigt, der muß not—
wendigerweiſe ein beſtimmtes Normalverhältnis in Be—
—
tracht ziehen. Wenn das Geſetz nur das ergänzen läßt,
was dem Wein infolge der Ungunſt des Jahres, nament⸗
lich infolge ungenügender Reife der Trauben fehlt,
dann muß die Abſicht, die auf Abſtellung der Mängel
gerichtet ſein muß, auch lediglich auf eine ſolche Er⸗
gänzung gerichtet fein, die ſich begrifflich und dem Maße
nach durch die fehlenden Beſtandteile beſtimmt. Das
iſt nicht der Fall, wenn Weine, die nach Art und Her⸗
kunft als Naturweine auch im beſten Fall zuckerarm
und fäurereich find, ohne jede Rückſicht hierauf gezuckert
werden, nur um fie ſüß, alkohol haltig, haltbar oder
voll zu machen. Der Zuckerer mag das unter Um⸗
ſtänden für Vorzüge und den hierauf berechneten Zucker⸗
zuſatz für eine VBerbeſſerung halten, im Sinne des Ge⸗
ſetzes iſt es eine ſolche nicht; nicht ſolche Veränderungen,
mögen ſie vom Standpunkt des Geſchmacks oder wirt⸗
ſchaftlich nicht zu beanſtanden ſein, hat das Weingeſetz bei
Freigabe der Zuckerung im Auge gehabt, ſondern aus⸗
ſchließlich eine genau begrenzte Abſtellung natürlicher
Mängel, die der Wein nach Herkunft und Art nicht zu haben
brauchte, wenn er inſoweit nicht abhängig wäre von den
Einflüſſen der Witterung und ſonſtigen natürlichen Ver⸗
hältniſſen. Solchen „Mängeln“ abzuhelfen, muß die
Abſicht des Zuckernden ſein. Das iſt aber in bezug
auf den Angeklagten nicht nachgewieſen. Nur weil
ihm der ſchon gezuckerte Wein immer noch „zu ſauer
vorkam“ und „feine Kirchweihgäſte ſüßen Wein trinken
wollten“, hat der Angeklagte nochmals Zucker zugeſetzt.
Ob der Pfälzer Wein aus gleicher Lage und von
aleicher Art nicht eben ſo ſauer ſchmeckte, ob nicht die
Säure durch die frühere Zuckerung ſchon ſo herabge⸗
ſetzt war, daß ſie die der gleichartigen Weine nicht
mehr überſtieg, ob alſo nicht inſoweit und in bezug
auf Zuckergehalt der Wein von einer ſolchen Beſchaffen⸗
heit war, wie es ſeiner Eigenart als Pfälzer Wein
aus beſtimmter Lage oder als Verſchnittwein Pfälzer
Weine entſprach, oder was ihm umgekehrt daran ſehlte,
darüber ſagt das Urteil nichts. Wenn dem Angeklagten
etwa Pfälzer Wein gleicher Art aus beſten Sabraungen
auch noch zu ſauer wäre, und nicht ſüß genug für feine
Bäjte, ſo würde er dadurch gewiß nicht das Recht er⸗
langen, dieſen Wein, deſſen Säure ſeine Eigenart iſt,
zu verändern und daraus einen Wein von einer Süße
oder ſonſtigen Eigenſchaften herzuſtellen, wie ſie dem
Pfälzer Wein nicht zukommen. Gerade dazu ſoll eben
die Zuckerung nicht mißbraucht werden, um durch Er⸗
höhung des Zucker⸗ und Alkoholgehalts des Weins
oder durch Minderung der Säure, die gerade für den
Naturgeſchmack des Weins beſtimmend iſt, einen Wein
anderer Art oder anderer Herkunft vorzutäuſchen. (Urt.
des I. StS. vom 6. Nov. 1913, D 568/13).
3209
—— —n
IV.
Ueberſtreckung des Weines und Verkauf als eine ein:
heitliche ſtraſbare Handlung. Aus den Gründen:
Für die Herſtellung und den Verkauf von nachgemachten
oder verfälſchten Nahrungs» oder Genußmitteln iſt in
ſtändiger Rechtſprechung des Reichsgerichts anerkannt,
daß regelmäßig Herſtellung und Verkauf beim Vor⸗
liegen des erforderlichen Vorſatzes eine einheitliche Straf:
tat darſtellen. Die Herſtellung bildet nur den erſten,
nicht ſelbſtändigen Teil der beabſichtigten einheitlichen
Handlung, die ſich aus der Herſtellung und dem Ver⸗
kaufe zuſammenſetzt und, als ſolche erſt mit dem Ver⸗
kaufe vollendet wird (RGSt. Bd. 25 S. 101; Goltd A.
Bd. 53 S. 289). Gleiches hat auch für die geſetzwidrige
Herſtellung von Wein und deſſen Verkauf zu gelten
und die Reviſion geht fehl, wenn ſie meint, die Ueber⸗
ſtreckung von Wein und der Verkauf dieſes Weines
könnten nicht zu einer einheitlichen Straftat zuſammen—
gefaßt werden. Weder aus dieſem Geſichtspunkt noch
ſonſt unterliegt es einem rechtlichen Bedenken, daß die
im Eröffnungsbeſchluſſe angeführten Einzelhandlungen
als eine in Fortſetzung begangene einheitliche Straf—
72 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
tat erachtet worden ſind. War nun aber eine einheit⸗
liche Straftat zum Gegenſtande der Anklage und danach
der Aburteilung gemacht, fo hatte neben der Berur-
teilung eine Freiſprechung nicht zu erfolgen, auch wenn
ſich einzelne Teile der Anklage als unhaltbar erwieſen,
alſo insbeſondere nicht hinſichtlich ſolcher Einzelhand⸗
lungen, die zwar nach der Anklage einen Beſtandteil
der angenommenen Einheitstat bilden ſollten, in denen
aber nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ein
ſtrafrechtlicher Tatbeſtand nicht nachzuweiſen war (RGSt.
Bd. 39 S. 146). Weiterhin war dann auch der 8 499
StPO. nicht anzuwenden und ebenſowenig der 8 849
Abſ. 1 StPO. (Entſch. Bd. 29 S. 106), ſondern der An⸗
geklagte war gemäß 8 497 St O. ſchlechthin zur Koſten⸗
tragung zu verurteilen. Fraglich könnte ſein, ob
nicht etwa zu beanſtanden iſt, daß die Strafkammer
das feſtgeſtellte Vergehen aus 83 Abſ. 1 Satz 1, 8 13
Wein G. mit dem Vergehen aus 8 5 Abſ. 1 Wein®. zu
einer einheitlichen Straftat vereinigt hat, obſchon nicht
nachzuweiſen war. daß auch der als Naturwein ver⸗
kaufte gezuckerte Wein zu den überſtreckten Weinen ge⸗
hörte. Es kann dies aber unerörtert bleiben, da der
Angeklagte durch dieſe Vereinigung keinesfalls beſchwert
iſt. Selbſt wenn die Strafkammer in den Handlungen,
die für eine Verurteilung ſchließlich noch in Betracht
kamen, ſtatt einer fortgeſetzten Tat zwei ſelbſtändige
Straftaten gefunden haben würde, hätte eine Frei⸗
ſprechung und eine Anwendung des 8 499 StPO. nicht
einzutreten gehabt. (Urt. des I. StS. vom 1. Dez. 1913,
1 D 833 / 13).
3212
-—- —ı.
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
1
Welche Borſchriften gelten in Bayern für die Um:
legung eines Grundbnchblattes für reale Gewerbeberech⸗
tianngen? (EG. BGB. Art. 74: AG. EBD. Art. 17;
GO. § 83; DA. GrBAe. 55 510 ff., Art. 10 GrAnlG.).
In dem beim Stadtmagiſtrat W. um 1826 angelegten Ka⸗
taſter der realen Gewerbe iſt der Beſitzer des Hauſes
Nr. 334 in W. Georg M. als Inhaber der Bäckerei
und des Bierſchankrechts vorgetragen, im Kataſter der
radizierten Gewerbe iſt er als Inhaber einer Bier-
brauerei- und Taferngerechtigkeit verzeichnet. Das Vier:
ſchankrecht und die Taferngerechtigkeit gingen 1832 durch
Kaufvertrag mit dem Hauſe, auf dem ſie ausgeübt wurden,
auf den Bäcker Andreas R. in W. über. 1848 ver⸗
kaufte Andreas R. dieſes reale Bierſchank⸗ und Tafern⸗
recht an den Bierbrauer Michael O. in W. Der Stadt⸗
magiſtrat W. genehmigte, daß O. das Bierſchank⸗ und
Tafernrecht auf ſeinen Garten, das jetzige Anweſen zum
Nußbaum, übertrug. Die Uebertragung wurde in den
Kataſtern eingetragen. Durch notarielle Verträge über⸗
gab 1877 Michael O. das Gartenanwefen an Julius
St.; von dieſem ging es durch Kaufvertrag 1878 an
die Eheleute H. und im Erbwege ſodann auf Frau H.
allein über. Dieſe übergab es 1903 ihrem Sohne Au⸗
guſt H., der es 1905 an die Eheleute S. verkaufte. Letz⸗
tere verkauften das Anweſen notariell am 11. September
1911 an einen Verein in N., der am 18. Dezember 1911
als Eigentümer eingetragen wurde. In den Verträgen
ſind die Wirtſchaftsgerechtſamen nicht erwähnt. Jedoch
iſt in den Verträgen von 1911, 1903 und 1905 vereins
bart, daß das Wirtſchaftsanweſen mit allen ſeinen Rechten
übergehen ſoll. In den Kataſtern iſt die Reihe der
Inhaber des realen Bierſchankrechts von Georg M.
bis zum Verein fortgeſetzt. Mit notarieller Urkunde
vom 2. November 1912 verkaufte der Verein an die
Eheleute F. in W. und an die Eheleute K. ebendort
das bisher zu dem Wirtſchaftsanweſen gehörige, im
Grundbuch nicht eingetragene reale Bierſchankrecht. Auf—
laſſung und Eintragungsbewilligung wurden erklärt
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 5 78
und die Eintragung beantragt. Das GBA. lehnte ab,
weil der Verein fein Eigentum an dem Realrechte nicht
nachgewieſen habe. Die Beſchwerde wurde zurückge⸗
wieſen, weil zwar nachgewieſen ſein möge, daß der
Bierbrauer Michael O. Inhaber eines realen Bier⸗
ſchankrechts war, der Uebergang dieſes Rechtes auf die
Beſitznachfolger des O. aber nicht erwieſen ſei. Auf
die weitere Beſchwerde hob das Obs G. die Entſchei⸗
dungen auf und wies das GBA. an, erneut zu prüfen
und zu entſcheiden.
Gründe: 1. Nach Art. 74 Eg. BOB. bleiben die
landesrechtlichen Vorſchriften über die Gewerbeberech⸗
tigungen unberührt; der Erwerb, die Aufhebung,
Uebertragung und Belaſtung dieſer Rechte iſt ſonach
auch jetzt dem Landesrecht unterſtellt. Die Vorbehalte
zugunſten der Landesgeſetze gelten auch für das Brund»
buchweſen (8 83 8 O.). Nach bayeriſchem Rechte ſtehen
die realen Gewerbeberechtigungen den Grundſtücken
gleich, ſofern fie frei veräußerlich find. Dieſer Grund⸗
ſatz war früher anerkannt (vgl. Roth, Bayer. ZR. 1. Aufl.
Bd. 2 8 118 Note 42, Rehm, Bayer. Not. 1893 zu
Art. 14 Note 9, Obs Z. Bd. 9 S. 638). In der Geſetz⸗
gebung zur Ausführung des BG. iſt er zwar nicht
ausdrücklich ausgeſprochen worden; im AG. G8. hat je⸗
doch Art. 17 die Ueberſchrift „Rechte, die den Grund⸗
ſtücken gleichſtehen“ und hieraus ergibt ſich, daß auch
dieſes Geſetz davon ausgeht, daß auf reale nicht radi⸗
zierte Gewerbeberechtigungen die ſich auf Grundſtücke
beziehenden Vorſchriften Anwendung finden. Für die
rechtsgeſchäftliche Uebertragung von realen Gewerbe⸗
berechtigungen iſt mithin für die Zeit vor dem Inkraft⸗
treten des Liegenſchafts rechts des BG. nach Art. 14
Not. vom 10. November 1861 ein notarieller Vertrag,
ſeitdem die Auflaſſung und Eintragung in das Grundbuch
(88 873, 925 8838.) erforderlich. Bei der Grundbuch⸗
anlegung mußten reale Gewerbeberechtigungen in das
Grundbuch nicht eingetragen werden. Es iſt zwar in
§ 195 DA. GB Ae. vorgeſchrieben, daß reale nicht radi⸗
zierte Gewerberechte, die, wie Wirtſchaftsgerechtſamen,
auch jetzt noch von Bedeutung ſind, in einem Anhange
zum Sachregiſter zu verzeichnen ſind. Allein damit
gilt das reale Gewerberecht noch nicht als eingetragen.
Wird es nach der Grundbuchanlegung veräußert oder
belaſtet, ſo muß für das Recht nach Art. 17 Abſ. 2 AG.
GO. ein Grundbuchblatt angelegt werden. Das kann
ſo geſchehen, daß das Recht auf ein beſonderes Grund⸗
buchblatt eingetragen oder daß es im Titel des Blattes
angeführt wird, das für das Grundſtück beſteht, mit
dem das Recht verbunden iſt; in letzterem Falle liegt
ein gemeinſchaftliches Grundbuchblatt für das Grund⸗
ſtück und das Gewerberecht vor.
Hier iſt die reale Gewerbeberechtigung nicht ein⸗
getragen. Für den Bezirk des Amtsgerichts W. gilt
das Grundbuch ſeit dem 1. Mai 1909 als angelegt.
Seitdem konnte das Realrecht nurmehr durch Auf⸗
laſſung und Eintragung rechtsgeſchäftlich übertragen
werden. Der Beſchwerdeführer behauptet, es am 11. Sep⸗
tember 1911, alſo nach der Grundbuchanlegung, er⸗
worben zu haben. Es kann dahingeſtellt bleiben, ob
eine Auflaſſung des realen Gewerberechts ſtattgefunden
hat. Jedenfalls iſt ſie nicht eingetragen worden. Der
i iſt mithin gegenwärtig nicht der In⸗
haber des realen Gewerberechts. Er kann es alſo auch
nicht weiterveräußern. Hieraus folgt jedoch noch nicht,
daß ſein Antrag an das GBA. unbegründet iſt. Denn
dieſer bezweckt ein zweifaches: er will, daß für das
Gewerberecht ein Grundbuchblatt angelegt und daß auf
dieſem Blatte die zwiſchen dem Beſchwerdeführer und
den Käufern vereinbarte Uebertragung eingetragen wird.
Auf den erſten Teil des Antrags, die Anlegung eines
Orundbuchblattes, iſt nicht die GBO. anzuwenden. Dafür
gelten vielmehr die Vorſchriften über die Grundbuch—
anlegung, ſoweit ſie nicht eine Ausnahme enthalten
oder eine ſolche ſich aus der Natur der Sache ergibt
(vgl. Henle⸗Schmitt, Grundbuchweſen S. 273). Der
Fall liegt nicht anders, als wenn ein Grundſtück nach⸗
träglich eingetragen werden ſoll, das bis zur Grund⸗
buchanlegung nicht eingetragen worden iſt. Die Vor⸗
ſchriften, durch welche die DA. G Ae. das Verfahren
bei der Anlegung von Grund buchblättern für nicht ein⸗
getragene Grundſtücke regelt (88 510 ff.), ſind alſo ent⸗
ſprechend anzuwenden. Hiernach ſteht das GBA. der
Frage, ob das Gewerberecht beſteht, anders gegenüber,
als wenn die EBD. gelten würde. Es hat alle zus
läſſigen Beweismittel zu benützen und entſcheidet 195
freiem Ermeſſen. Es kann deshalb insbeſondere na
freiem Ermeſſen prüfen, welche Bedeutung dem Um⸗
ſtande zukommt, daß das Gewerberecht ſowie die fort⸗
laufenden Uebertragungen von O. bis zu dem Be⸗
ſchwerdeführer in dem Kataſter eingetragen ſind ſowie
daß es ſtändig ausgeübt worden iſt. Die Vorgerichte
haben nur geprüft, ob durch die Urkunden der Ueber⸗
gang nachgewieſen iſt, während doch der das Anle⸗
gungsverfahren beherrſchende Grundſatz der Ermitte⸗
lung des Eigentümers von Amts wegen (8 2 BO. vom
23. Juli 1898, DA. 88 510 ff.) auch in dem Verfahren
der Anlegung eines Grund buchblattes für eine Gewerbe⸗
berechtigung entſprechend gilt. Der Grundbuchrichter
iſt nicht auf die ihm von den Antragſtellern vorgeleg⸗
ten Nachweiſe beſchränkt, ſondern er hat alle Schritte
zu tun, die zur Entſcheidung über das Vorhandenſein
des Rechtes und die ren des Berechtigten erforder⸗
lich und geeignet ſind. Er hätte deshalb prüfen ſollen,
ob nicht neben der Uebertragung des Eigentums an
den Grundſtücken auch die Uebertragung der dort aus⸗
eübten Gewerberechte gewollt und nur aus Verſehen oder
echtsunkenntnis nicht ausdrücklich beurkundet worden
iſt. Bejahenden Falles hätte ihm Art. 10 OrBAnlG. vom
18. Juni 1898 den Weg geboten, um dem wegen Nicht⸗
einhaltung der geſetzlichen Formvorſchriften bisher nur
tatſächlich beſtehenden Zuſtande nachträglich auch die
rechtliche Grundlage zu geben. (Beſchl. des I. ZS. vom
28. Nov. 1913, Reg. III 55 / 1913). W.
3205
II.
Auslegung der Art. 83 und 84 ue. in bezug anf
eine durch den Ted der Frau aufgeldite Semeinſchaft
des Zugewinſtes nach Bayer. LR. Berechnung der
Gegenſtandsſumme eines Teſtaments nach Art. 111 Geb.
Am 26. Januar 1911 ſtarb Fanny B., die Gattin des
Kaufmanns B. Die Ehegatten B. hatten 1864 im Ges
biete des Bayer. LR. geheiratet und dort ihren erſten
ehelichen Wohnſitz genommen. Einen Ehevertrag haben
ſie nicht geſchloſſen. Am 11. Juli 1898 errichteten ſie
ein gemeinſames Teſtament. Darin iſt für den Fall,
daß die Frau vor dem Manne ſtirbt, beſtimmt, daß
Erben der Frau ihre vier Kinder ſein ſollen, daß aber
ihr damals aus ihrem Eheeinbringen von 20 000 Gulden
und den von ihr erſparten Wertpapieren beſtehendes
Vermögen ausſchließlich ihrer Tochter Emma L. zu⸗
fallen fol. Des weiteren iſt (im 8 17) erwähnt, daß
die Frau keinen Anſpruch auf die eheliche Errungen⸗
ſchaft macht, und beigefügt: „Sollte eines meiner Kinder
trotzdem nach meinem Tode gegen meinen überlebenden
Gatten Anſprüche hiewegen erheben, fo ſoll der über-
lebende Ehegatte Haupterbe ſein und die Kinder nur
den Pflichtteil erhalten.“ Das Teſtament wurde er⸗
öffnet; die Kinder erklärten ihrem Vater gegenüber,
daß ſie die Ausgleichung des Ehegewinns nicht ver⸗
langen, der Vater nahm dieſe Erklärung an. Der reine
Rücklaß wurde auf rund 45000 M angegeben. Der
Gerichtsſchreiber berechnete die Teſtamentsgebühr nach
einem Werte von 45 000 M. Die Reviſion beanſtandete
dieſe Berechnung, weil zum Nachlaſſe auch der Anſpruch
auf Ausgleichung des Ehegewinns gehöre; dieſer An⸗
ſpruch ſei in die Gegenſtandsſumme einzurechnen, über
die im Teſtament verfügt iſt, es werde deshalb die Wert⸗
feſtſetzung nach Art. 43 Geb. angeregt. Der Gerichts-
74
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
ſchreiber beantragte die Feſtſetzung des Nachlaßwerts. Bayer. LR. (Teil I Kap. 6 8 37), weil dieſe erbrechtlichen
Das Nachlaßgericht ſetzte den Wert für die Berechnung
der Teſtamentseröffnungsgebühr auf 45 000 feſt.
Es nahm an, nach Art. 111 Geb. bemeſſe ſich die
Gebühr nach der Gegenſtandsſumme, über die in dem
Teſtamente verfügt iſt. Nach dem Bayer. LR. ſei der
überlebende Ehemann nicht ſchuldig, ſeinen Kindern
aus dem Errungenſchaftsvermögen einen Anteil als
e zuzuweiſen, er behalte die ganze Errungen⸗
ſchaft. Nach dem zur Zeit der Teſtamentserrichtung gel⸗
tenden Rechte hätten daher die Erben gar keinen An⸗
ſpruch gegen den Witwer auf Ausgleichung des Ehe⸗
ewinns gehabt. Der 8 17 des Teſtaments ſei nur vor⸗
f orglich aufgenommen, um Streitigkeiten auszuſchließen.
Das Ue®. gewähre allerdings in Art. 83 dem über⸗
lebenden Ehegatten und den Erben des vorverſtorbe⸗
nen Gatten einen Anſpruch auf Ausgleichung des Ehe⸗
gewinns; dieſe Vorſchrift könne aber nicht herange⸗
zogen werden, weil ſie bei der Teſtamentserrichtung
noch nicht galt. Uebrigens gehöre a Anſpruch nicht
a Nachlaſſe. Die Beſchwerde der Regierungsfinanz⸗
ammer wurde zurückgewieſen. Auch ihre weitere Be⸗
ſchwerde hatte keinen Erfolg.
Gründe: Nach gemeinem Rechte gab es zwei
Arten von Errungenſchaftsgemeinſchaft: die reine Er⸗
rungenſchaftsgemeinſchaft und die Gemeinſchaft des ehe⸗
lichen Zugewinſtes. Bei der reinen Errungenſchafts⸗
gemeinſchaft bildete die Errungenſchaft eine beſondere,
ausgeſchiedene Vermögensmaſſe, es gab bei ihr drei
Vermögensmaſſen, Vermögen des Mannes, Vermögen
der Frau und das gemeinſchaftliche Vermögen; bei der
Gemeinſchaft des Zugewinſtes war während der Dauer
der Gemeinſchaft das gemeinſchaftliche Vermögen nicht
ausgeſchieden, es gab nur zwei Vermögensmaſſen: Ver⸗
mögen des Mannes und Vermögen der Frau; die Er⸗
rungenſchaft wurde erft nach der Beendigung des Güter⸗
ſtandes feſtgeſtellt; abgeſehen von dem Vorbehaltsgute
wurde das geſamte Vermögen der Ehegatten vereinigt,
hievon die der Gemeinſchaft zur Laſt fallenden Ver⸗
bindlichkeiten abgezogen und die eingebrachten Güter
der Ehegatten zurückgegeben, der Reſt bildete die Er⸗
rungenſchaft. Nach den meiſten Landesrechten gebührte
von der ſo feſtgeſtellten Errungenſchaft jedem Ehe⸗
gatten die Hälfte, das UeG. nimmt an, daß es auch
95 dem Bayer. LR. fo war (Bayer. LR. Teil I Kap. 6
§ 38). Der übergeleitete Güterſtand des Bayer. LR.
iſt in Art. 83, 84 Ue®. geregelt. Art. 83 beſtimmt, daß,
wenn zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. die Er⸗
rungenſchaftsgemeinſchaft nach dem Bayer. LR. beſteht,
an ihre Stelle der Güterſtand der Verwaltung und
Nutznießung nach den Vorſchriften des BGB. tritt, daß
aber, wenn die Verwaltung und Nutznießung des Mannes
auf andere Weiſe als durch Ehevertrag endigt, jeder
Ehegatte von dem andern die Ausgleichung des Ehe⸗
gewinns nach den bisherigen Vorſchriften verlangen
kann, wie wenn keine Aenderung des Güterſtandes ein⸗
getreten wäre, daß der Anſpruch nicht übertragbar iſt
und in einem Jahre verjährt. Damit iſt der Inhalt
des aus dem Bayer. LR. übergeleiteten Güterſtandes
feſtgelegt. Obwohl aljo der Güterſtand der Verwal⸗—
tung und Nutznießung des BGB., in den der geſetzliche
Güterſtand des Bayer. LR. übergeleitet wurde, keinen
Anſpruch der Frau auf den Ehegewinn kennt und der
geſetzliche Güterſtand des Bayer. LR. aufgehoben iſt,
ſoll dennoch nach dem übergeleiteten Güterjtande
jeder Ehegatte, alſo auch die Frau, einen ſolchen
Anſpruch haben, „wie wenn keine Aenderung des
Güterſtandes eingetreten wäre“; der Ehegewinn ſoll
in der bisherigen, oben angeführten Wetſſe feſtgeſtellt
und verteilt werden. Mit dem geſetzlichen Guͤterſtande
des Bayer. LR. waren auch erbrechtliche Folgen ver—
bunden; ſolche find auch für den übergeleiteten Güter—
ſtand in Art. 84 UeG. geordnet. Allein dieſe kommen
hier ebenſowenig in Frage als die aufgehobenen erb—
rechtlichen Folgen des geſetzlichen Güterſtandes des
Folgen nur für die geſetzliche Erbfolge maßgebend find,
während es ſich hier um teſtamentariſche Beerbung
handelt. Der Anſpruch des Ehegatten auf die Aus⸗
gleichung des Ehegewinns iſt fo, wie er in Art. 83 Vie.
geordnet iſt, ein weſentlicher Beſtandteil des umge⸗
wandelten Güterſtandes, er entſteht kraft Geſetzes, er iſt
ein perſönlicher Anſpruch des einen Ehegatten gegen
den andern, gehört zu dem Vermögen des Ehegatten,
infolgedeſſen zu ſeinem Nachlaß und iſt vererblich
(Obs G. 4 S. 170). Daß er, um verwirklicht zu werden,
geltend gemacht werden muß, hat er mit allen Fordes
rungsanſprüchen gemein. Daß er vermöͤgensrechtlich
und geldwertig iſt, bedarf keiner Darlegung. Das LE.
nimmt an, der Anſpruch auf Ausgleichung des EChe⸗
gewinns nach Art. 83 Ue®. werde erſt dann ein geld⸗
wertes Recht, wenn er geſetzlich zuläſſig ſei und wenn
ihn der berechtigte Ehegatte oder ſeine Rechtsnachfolger
geltend machen. Es unterſcheidet alſo zwei Anſprüche,
den Anſpruch auf Ausgleichung an ſich und den durch
die Erhebung dieſes Anſpruchs erſt geborenen, geld⸗
werten Anſpruch auf Ausgleichung ſelbſt; es mißt der
Erhebung des Anſpruchs eine beſondere Bedeutung,
eine rechtſchaffende Wirkung zu, damit verkennt es die
rechtliche Bedeutung des Anſpruchs nach Art. 83 Ue®.
Allein die Entſcheidung iſt aus anderen Gründen
aufrecht zu erhalten. Die Gebühr des Art. 111 Geb.,
um die es ſich hier handelt, iſt zu berechnen nach der
Gegenſtandsſumme, über die in dem Teſtamente ver⸗
fügt iſt. Der Erblaſſer braucht in ſeinem Teſtamente
nicht über ſein ganzes Vermögen zu verfügen, er kann
auch nur über einen Teil verfügen. Dann wird die
Gebühr des Art. 111 nur nach dem Werte dieſes
Teiles berechnet. Gleichgültig iſt, welches dann das
erbrechtliche Schickſal des anderen Teils iſt. Eine Zu⸗
weiſung des ganzen Ehegewinns an den Mann, die
die Finanzkammer in den Teſtaments⸗Beſtimmungen der
Frau B. erblicken will, iſt jedenfalls nicht erfolgt. Die
Erblaſſerin hat ausdrücklich erklärt, daß ſie keinen An⸗
ſpruch auf Ausgleichung des Ehegewinns erhebe. Darin
liegt ein Verzicht auf den Anſpruch ihrerſeits minde⸗
ſtens von Todes wegen, der Verzicht iſt zuläſſig (Henle⸗
Schneider, AG. Anm. 11 zu Art. 83 UeG.). Dabei han⸗
delt es ſich um einen Verzicht im weiteren Sinn, um
die Erklärung, von einem Rechte keinen Gebrauch machen
zu wollen, ohne daß damit die Uebertragung auf einen
andern verbunden wäre. Es kann aber keinem Zweifel
unterliegen, daß die Gebühr des Art. 111 für die in
dem Teſtament enthaltene Uebertragung von Vermögen
erhoben werden ſoll, daß das GebG. unter Verfügung
Uebertragung verſteht. Da es ſich aber hier nur um
die Aufgabe eines Rechtes handelt, kann die Gebühr
des Art. 111 nicht erhoben werden. In dem Teſtament
iſt weiter beſtimmt, daß der überlebende Ehemann
Haupterbe ſein und die Kinder nur den Pflichtteil er⸗
halten ſollen, wenn trotz des von der Erblaſſerin er⸗
klärten Verzichts eines der Kinder gegen den überleben⸗
den Ehemann Anſpruch wegen des Ehegewinns erheben
ſollte. Darin liegt eine „Verfügung“ über den Ans»
ſpruch auf Ausgleichung des Ehegewinns i. S. des
Art. 111 Geb. Das LG. ſpricht von einem Anſpruche,
der „alsdann“ der Erblaſſerin oder an ihrer Stelle
ihren Erben hinſichtlich der ehelichen Errungenſchaft
„allenfalls“ zuſtehen würde. Ein ſolcher Anſpruch be—
ſteht nicht. Die Erblaſſerin hat auf den Anſpruch in
dem 8 17 des Teſtaments rechtsverbindlich verzichtet,
ſie hatte alſo den Anſpruch nicht mehr. Die Kinder
hatten ihn von ſich aus überhaupt nicht, denn er ſteht
nur den Ehegatten gegeneinander zu, die Kinder hätten
den Anſpruch nur von der Mutter erben können. Weil
aber die Mutter den Anſpruch aufgegeben hatte, er
alſo zur Zeit des Erbfalls nicht mehr zu ihrem Vermögen
gehörte, haben ihn die Kinder nicht geerbt, ſie konnten
ihn daher mit Ausſicht auf Erfolg gegen ihren Vater
auch nicht geltend machen. Wollte man die Beſtimmung
—— — nn
des Teſtaments, daß unter Umſtänden der Ehemann
Haupterbe und die Kinder auf den Pflichtteil geſetzt
ſein ſollen, als teſtamentariſche Verfügung auch über
den Anteil der Frau an dem Ehegewinn auffaſſen, ſo
wäre ſie ungültig und könnte keine Gebührenpflicht be⸗
gründen (Obs GZ. Bd. 7 S. 594), weil dann die Erb⸗
laſſerin über einen vermeintlichen Vermögensbeſtand⸗
teil verfügt hätte, der ihr nicht zuſtand. Allein die
Beſtimmung iſt gar keine teſtamentariſche Verfügung.
Die Kinder hätten ihrem Vater, wenn auch nicht mit
Ausſicht auf rechtlichen Erfolg, ſo doch tatſächlich durch
die Erhebung des vermeintlichen Anſpruchs Schwierig⸗
keiten bereiten können. Um ſie davon abzuhalten, alſo
gewiſſermaßen als Abſchreckungsmittel wurde offenſicht⸗
lich die Beſtimmung in das Teſtament aufgenommen,
nicht um über den Ausgleichungsanſpruch zu verfügen.
(Beſchl. des II. ZS. vom 10. Dez. 1913, Reg. V 26/1913).
3206 W.
B. Strafſachen.
„Darf allgemein angeordnet werden, daß auch anderes
Fleiſch als friſches Fal einer abermaligen amtlichen Be:
ſchan unterworfen werde? Der Magiſtrat der Stadt A., die
18. November 1904
einen Schlacht- und Viehhof beſitzt, hat am 10. Februar 1905
unter Bezugnahme auf die Art. 3 15 1 Ziff. 1, 74, 75
und 145 Ziff. 2 P StGB. und den § 20 Abſ. 2 Fleiſch s.
vom 3. Juni 1900 orts polizeiliche Vorſchriften über die
Fleiſchbeſchau beſchloſſen. Der § 9 lautet: „Fleiſch von
Rindvieh, Schweinen uſw., welches zum Zwecke der
Berwendung zum menſchlichen Genuſſe eingeführt wird,
iſt unmittelbar nach der Einfuhr dem Fleiſchbeſchauer
zur Beſichtigung im Schlachtviehhofe vorzulegen und
darf zuvor nicht in die Wohnungen der Empfänger,
auf den Markt oder in die Verkaufsläden verbracht
werden. Fleiſch i. S. dieſer Vorſchrift iſt nicht bloß
das friſche, ſondern auch das zubereitete Fleiſch von
Schlachttieren, alſo insbeſondere auch Fette und Würſte,
Schinken und überhaupt geräuchertes Fleiſch, Speck.
Wuüͤrſte und Schinken fallen unter dieſe Beſtimmungen
nicht, wenn ſie nicht zum Wiederverkauf eingebracht
werden.“ Die Gebühr für jede im Schlachtviehhofe
vorzunehmende Beſchau des von auswärts in rohem
Zuſtande eingeführten Fleiſches oder Fleiſchbeſtand⸗
teiles und Fleiſchfabrikates wurde auf zwei Pfennige
für ½ kg feſtgeſetzt. Der Angeklagte W. bezog als
Geſchäftsführer des Allgemeinen Konſumsvereins für
die Stadt A. wiederholt von einer bayeriſchen Firma
Rauchfleiſch und Wurſtwaren zum Weiterverkauf an
die Mitglieder; er legte die bezogenen Waren dem Fleiſch⸗
beſchauer zur Beſichtigung im Schlacht viehhofenicht
vor und zahlte die Beſchaugebühr nicht. Er wurde
von der Anklage wegen einer Zuwiderhandluug gegen
Art. 74 Abſ. 1 Ziff. 1 PStEB. und gegen den 8 Y der
ortsp. Vorſchrift freigeſprochen, weil die ortsp. Vor⸗
er in 89 inſoweit unwirkſam ſei, als hierdurch die
eſchau des in die Stadt eingeführten zubereiteten
leiſches von Schlachttieren angeordnet wird. Die
erufung und die Reviſion des Staatsanwalts wurden
verworfen.
Aus den Gründen des Urteils des Reviſions⸗
gerichts: Der Grund zur Erlaſſung des FleiſchBG. vom
3. Juni 1900, ſein Zweck und die Bedeutung und Tragweite
der für die Entſcheidung maßgebenden Geſetzesſtellen
(88 20,24, 29) erhellen am deutlichſten aus der, Begründung
des Geſetzentwurfs“ und den Verhandlungen des Reichs-
tags (Verh. d. Reichst. S. 1079, 1081, 1082, 1089, 1090,
1091, 1898 / 1900; II. Anl.⸗Bd. Aktenſtück Nr. 138 und V.
Anl.⸗Bd. S. 3789, 3792). Grundlegend find folgende
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. 75
—— — — — —— — — — —— nn
Vorſchriften des Geſetzes, wobei nach dem 84 als Fleiſch
Teile von warmblütigen Tieren, friſch oder zubereitet
zu verſtehen ſind, ſoferne ſie ſich zum Genuſſe für
Menſchen eignen, und als Teile auch die aus warm⸗
blütigen Tieren hergeſtellten Fette und Würſte, andere
Erzeugniſſe nur inſoweit gelten, als der Bundesrat
dies anordnet. a) Das für den menſchlichen Genuß
beſtimmte Fleiſch muß nach der Schlachtung des Tieres
bei Vermeidung der im Geſetze ſelbſt angedrohten Strafe
einer amtlichen Unterſuchung unterzogen werden. b) Die
einmalige Unterſuchung genügt und gilt für das ganze
Reichsgebiet. c) Verboten iſt die allgemeine Anordnung
einer nochmaligen Unterſuchung von Fleiſch, welches
der amtlichen Beſchau ſchon unterlegen hat. d) Aus⸗
nahmsweife darf das einmal amtlich unterſuchte Fleiſch
einer nochmaligen Beſchau nur in den vom Geſetze vor⸗
geſehenen Fällen unterworfen werden ($ 20 Abſ. 1 und 2
und 8 24). e) Die Fleiſchbeſchau iſt einheitlich für das
geſamte Reichsgebiet geregelt. Die Bundesſtaaten dürfen
nicht abweichende Beſtimmungen treffen. Sie können
dagegen weitergehende Vorſchriften über die Fleiſch⸗
beſchau in den Fällen des § 20 Abſ. 2 und des § 24
erlaſſen.
Der 8 20 Abſ. 1 enthält den das Geſetz beherrſchenden
Grundſatz, daß einmal amtlich unterſuchtes Fleiſch nicht
mehr amtlich unterſucht werden darf und läßt eine
Ausnahme nur für den Fall der Feſtſtellung darüber
zu, ob das Fleiſch inzwiſchen verdorben iſt oder ſonſt
eine geſundheitsſchädliche Veränderung erlitten hat.
Daß das Geſetz in dem letzten Satz nur einen Aus⸗
nahmefall im Auge hatte, ergibt ſich aus der Saflung
des Abſ. 1 einerſeits, aus der Beſtimmung des Nbf.:
anderſeits. Wäre nämlich die Anſchauung richtig, daß
auf Grund des § 20 Abf. 1 die allgemeine Nachbeſchau
eines bereits amtlich unterſuchten Fleiſches zuläſſig ſei,
fo hätte die Beſtimmung in Abſ. 1 keinen Sinn; der
Geſetzgeber hätte bei ſolcher Auffaſſung die abermalige
Beſchau nicht grundſätzlich verbieten dürfen, ſondern
die Nachbeſchau im allgemeinen für zuläſſig erklären
müſſen. Wäre ſchon nach dem Abſ. 1 die allgemeine
Anordnung der Nachbeſchau des Fleiſches i. S. des § 4,
mithin des friſchen oder zubereiteten Fleiſches zuläſſig,
— zu letzterem gehören vornehmlich Schinken, Rauch⸗
fleiſch und Würſte —, ſo iſt nicht einzuſehen, wozu es
noch des Abſ. 2 des 8 20 bedurft hätte, wornach friſches
Fleiſch innerhalb der Gemeinde dem Beſchauzwang
unterworfen werden kann. Was ſchon durch Abſ. 1
erlaubt ſein ſoll, bräuchte nicht erſt durch Abſ. 2 ge⸗
ſtattet zu werden. Es iſt deshalb unzuläſſig, auf Grund
des § 20 Abſ. 1 oder 2 bereits amtlich unterſuchtes
zubereitetes Fleiſch allgemein einer nochmaligen Be⸗
ſchau zu unterwerfen; durch eine ſolche Anordnung
würde die Ausnahme zur Regel. Die in dem § 20
Abſ. 1 ausnahmsweiſe zugelaſſene abermalige amtliche
Unterſuchung iſt nur zuläſſig, wenn die Polizeibehörde
Grund zu der Annahme hat, daß das unterſuchte Fleiſch
verdorben iſt oder ſonſt eine geſundheitsſchädliche Ver⸗
änderung erlitten hat.
Durch § 20 Abf. 1 ſoll den Polizeibehörden das
Recht der Kontrolle geſichert bleiben. Die Polizeibe⸗
hörde darf mithin an den Orten, wo das bereits amt⸗
lich unterſuchte Fleiſch feilgeboten oder verkauft wird,
nachſchauen, ob ſolches Fleiſch ſeit der amtlichen Unter⸗
ſuchung nicht eine geſundheitsſchädigende Veränderung
erlitten hat. Ergibt ſich dabei der Verdacht einer
ſolchen Veränderung, dann iſt der Verfügungsberechtigte
auf Auffordern verpflichtet, das beanſtandete Fleiſch
neu amtlich unterſuchen zu laſſen. Unzuläſſig aber iſt
es, allgemein zu verlangen, daß das amtlich unterſuchte
Fleiſch an einen beſtimmten Ort und zur nochmaligen
Unterſuchung gebracht werde. Der Geſetzgeber wollte der
einmal vorgenommenen amtlichen Unterſuchung grund⸗
ſätzlich Gultigkeit für das ganze Reichsgebiet verſchaffen
und eine nochmalige Beſchau ausſchließen. Deshalb
kann auf Grund des 8 20 Abf. 1 keine allgemeine An⸗
76 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
— — . äq— — — —
ordnung einer nochmaligen Unterſuchung von Fleiſch
erlaſſen werden.
In 8 20 Abſ. 2 und in § 24 find erſchöpfend die
Fälle aufgezählt, in welchen die Bundesſtaaten weiter⸗
gehende Vorſchriften erlaſſen dürfen; eine ſinngemäße
Anwendung auf andere Fälle iſt ausgeſchloſſen. Mithin
dürfen auch auf Grund dieſer Beſtimmung nicht landes⸗
rechtliche Vorſchriften dahin erlaſſen werden, daß all⸗
17 80 ohne Rückſicht auf die in den SS 24 und 20
bſ. 2 genannten Ausnahmefälle amtlich unterſuchtes
Fleiſch nochmals zu unterſuchen ſei.
Nach der Meinung des Staatsanwalts iſt der ſtraf⸗
rechtliche Schutz für Zuwiderhandlungen gegen die all⸗
gemeine Anordnung der Nachbeſchau in Art. 74 Abſ. 1
Ziff. 2 PStSB. zu ſuchen. Iſt es an fi ſchon eine
nicht unbedenkliche Auffaſſung, daß zur Sicherung des
Vollzugs eines Reichsgeſetzes ohne weiteres das Straf⸗
recht der Bundesſtaaten in die Breſche treten ſoll, fo
iſt ſie nach dem Grundſatze, daß Reichsrecht vor Landes⸗
recht geht, unzutreffend, wenn eine Sache durch ein
Reichsgeſetz erſchöpfend geregelt iſt; bedroht in ſolchen
Fällen das Reichsgeſetz ein Tun oder Unterlaſſen nicht
mit Strafe, ſo kann das gleiche Tun oder Unterlaſſen
nicht nach Landesrecht mit Strafe bedroht werden, es
müßte denn durch das Reichsgeſetz die Erlaſſung landes⸗
rechtlicher Vorſchriften vorbehalten fein. Das Fleiſch B.
enthält nur Vorbehalte nach dieſer ung in den
88 24 und 20 Abſ. 2, aber nicht in dem § 20 Abſ. 1.
Abgeſehen hievon geht die Bezugnahme auf Art. 74
Abſ. 1 Ziff. 2 P StG. überhaupt fehl. Nur auf Grund
der Ziff. 1 des Art. 74 können Vorſchriften über die
Beſchau des Fleiſches erlaſſen werden, Ziff. 2 betrifft
Vorſchriften über die Beſchau anderer verfäuflicher
Nahrungsmittel, Eßwaren, d. h. ſolcher, die nicht von
Fleiſch ſtammen. Die Ziff. 2 bezieht ſich gar nicht auf
die Fleiſchbeſchau. In der Reviſionsbegründung iſt zu⸗
treffend ausgeführt, daß das durch die Ziff. 1 des Art. 74
ſeinerzeit geſchaffene Recht zur Regelung der Fleiſch⸗
beſchau ſeit dem Inkraftſein des Fleiſch BZ. im weſent⸗
lichen ſeine Bedeutung verloren hat; die auf Grund
des Art. 74 Abſ. 1 Ziff. 1 erlaſſenen oder noch zu er⸗
laſſenden Vorſchriften können nur inſoweit eine recht⸗
liche Wirkſamkeit beanſpruchen, als ſie ihre Grundlage
in den SS 24 und 20 Abſ. 2 haben. (S. Beſchluß des
Staats miniſteriums des Innern vom 3. Nov. 1902, abs
gedr. bei Uſchold, Kommentar zum Fleiſch BG. S. 227).
Die Zulaſſigkeit der allgemeinen Anordnung der
Fleiſchnachbeſchau wird in der Reviſionsbegründung
ſchließlich durch den Hinweis auf § 29 Fleiſch BG. und
den 84 Abſ. 2 NM. zu retten verſucht. Nach $ 29
Fleiſch8G. bleiben die Vorſchriften des NM. unbe⸗
rührt; nach dem 8 4 Abſ. 2 NM. bleiben landesrecht⸗
liche Beſtimmungen unberührt, welche der Polizei weiter⸗
gehende Befugniſſe als die in SS 2 und 3 bezeichneten
geben. Nach dem 8 2 darf der Beamte nur die Räume
betreten, in denen die Gegenſtände zur ſofortigen Vers
äußerung bereit liegen; den Eintritt in die Aufbe-
wahrungsräume, die nicht zugleich dem Verkehre dienen
(Magazin, Keller, Speicher), geſtattet der § 2 nicht.
Unter den Vorausſetzungen des § 3 darf der Beamte
nicht nur in die Verkaufsräume, ſondern auch in die zur
Herſtellung und Aufbewahrung der Waren beſtimmten
Räume (Magazine, Keller, Speicher, Arbeitsräume) eins
treten, aber nur während der im §2 bezeichneten Zeit,
alſo wie nach §S 2 nur während der üblichen Geſchäfts—
ſtunden oder ſolange die Räume dem Verkehre geöffnet
find (von der Pfordten, Erl. z. NG. Anm. 2 und 3
zu § 2, Anm. 2 zu § 3). Darnach muſſen behufs Aus»
übung der nach dem NM. dem zuſtaͤndigen Beamten ein—
geräumten Befugniſſe die Verkaufs- oder anderen Räume
von dem Beamten aufgeſucht werden und es kann auf
Grund dieſer geſetzlichen Beſtimmungen keine allgemeine
Anordnung dahin erlaſſen werden, daß die Nahrungs-,
Genußmittel⸗ und Gebrauchsgegenſtände, mithin auch
Fleiſch oder Fleiſchwaren, aus den Verkaufs- oder ſon⸗
— —— — — —
ne Räumen des Verfügungsberechtigten an einen
anderen Ort, etwa in den Schlachtviehhof, zur Vornahme
der Kontrolle gebracht werden.
Nach den SS 2 und 3 dürfen die Beamten der Pos
lizei von den Gegenſtänden, welche ſich in den ange⸗
gebenen Räumlichkeiten beſinden oder welche an öffent⸗
lichen Orten, ei Märkten, Plätzen, Straßen oder im
Umherziehen verkauft oder feilgehalten werden, Proben
zum Zwecke der Unterſuchung gegen Empfangsbeſchei⸗
nigung entnehmen. § 4 Abſ. 2 hat mithin nur die
Bedeutung, daß den Beamten der Polizei bei der Vor⸗
nahme der Lebensmittelkontrolle in den bezeichneten
Räumen, Orten uſw. landesrechtlich weitergehende Bes
fugniſſe eingeräumt werden können; auch auf Grund
des 8 4 darf nicht angeordnet werden, daß die Lebens⸗
mittel von den Räumen und Orten, Platzen, wo fie
verkauft oder feilgehalten werden, ohne Zuſtimmung
des Verfügungsberechtigten zum Zwecke der Kontrolle
an einen von der Polizei beſtimmten Ort gebracht
werden. Nach dem NM. iſt es geradezu verboten
anzuordnen, daß Fleiſch oder Fleiſchwaren zum Zwecke
der Unterſuchung in den Schlachtviehhof oder einen
ſonſtigen von der Polizei beſtimmten Ort gebracht
werden. (Urt. vom 22. Nov. 1913, Rev.⸗Reg. 539/1913).
3218 Ed.
Oberlandesgericht München.
Streitwert eines Ründigungsprszeſſes (5 3.8 PO.) Die
Kommanditgeſellſchaft Sch. & Cie. beſtand aus dem Kläger
Dr. Sch. als perſönlich haftendem Geſellſchafter und der
Beklagten als Kommanditiſtin; deren Einlage betrug
30 000 M, wovon 20 000 M nach dem Eintritt in die Ge⸗
ſellſchaft (September 1912) bezahlt wurden und 10000 M
in der erſten Hälfte des Jahres 1913 entrichtet werden
. Am 25. April 1913 ließ die Kommanditiſtin
urch ihren Anwalt den Geſellſchaftsvertrag außer⸗
ordentlich kündigen und Dr. Sch. zur Herauszahlung
der 20 000 M aufzufordern. Daraufhin erhob dieſer
gegen die Kommanditiſtin Klage mit dem Antrage feſt⸗
zuſtellen, daß der zwiſchen den Parteien beſtehende Ge⸗
ſellſchaftsvertrag zu Recht beſteht und die von der Be⸗
klagten erklärte außerordentliche Kündigung dieſes Ver⸗
tragsverhältniſſes unwirkſam iſt. Dieſer Rechtsſtreit
wurde durch außergerichtlichen Vergleich erledigt und
die Klage zurückgenommen. Das LG. ſetzte den Streit⸗
wert auf 30 000 M feſt, da dieſer Betrag dem Intereſſe
des Klägers an der Feſtſtellung des Fortbeſtandes des
Vertrages mit der Beklagten entſpreche. Hiergegen
erhob der Kläger Beſchwerde, weil der Streitwert viel
zu hoch feſtgeſetzt ſei; denn es ſollte ja nur die Frage
entſchieden werden, ob bei einer Kommanditgeſellſchaft
eine außerordentliche Kündigung des Geſellſchaftsver⸗
hältniſſes möglich iſt. Die Beſchwerde blieb erfolglos.
Aus den Gründen: Indem der Kläger den
Rechtsbeſtand des Geſellſchaftsvertrages und die Uns
wirkſamkeit der außerordentlichen Kündigung der Be—
klagten feſtgeſtellt wiſſen wollte, beabſichtigte er nicht
einen theoretiſchen Ausſpruch darüber zu erwirken, ob
bei einer Kommanditgeſellſchaft eine außerordentliche
Kündigung zuläſſig iſt, ſondern er begehrte eine Feſt⸗
ſtellung dahin, daß die Beklagte nicht berechtigt iſt,
die Ruckzahlung der Einlage zu 20000 M zu fordern
und die Einzahlung der fälligen 10000 M zu verweigern.
Das LG. hat deshalb den Streitwert mit Recht auf
30000 M feſtgeſetzt. (Beſchl. vom 20. Okt. 1913, Beſchw.⸗
Reg. Nr. 659/13). N.
3148
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. ö 77
Oberlandesgericht Nürnberg.
Erfüllungsort für den Wandelnnabanſpruch des Kän⸗
fers; Bereinbaruna des Gerichtsſtands für den Kaufber:
traa (55 462 ff., 346 ff., 269 B., § 29 ZPO.) Der
Kläger verlangte bei dem Landgericht A. ſeines Wohn⸗
ſitzes die Wandelung des mit N. in H. (Weſtfalen) ab⸗
geſchloſſenen Kaufvertrags über eine Maſchine und die
Verurteilung des Beklagten N., Zug um Zug gegen
Rücknahme der Maſchine an den Kläger die erhaltene
Qehlung famt Zinſen und Auslagen zurückzugewähren.
ie vom Beklagten vorgeſchützte Einrede der Unzu⸗
ſtändigkeit wurde zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Die Einwilligung in die
Wandelung und die Rückgabe der geleiſteten Zahlung
bildet den Hauptanſpruch, neben dem noch die Rück⸗
nahme der Maſchine und der Erſatz von Auslagen als
Nebenforderung verlangt wird. Die ſtreitige Verpflich⸗
tung iſt an ſich da zu erfüllen, wo ſich die Handelsnieder⸗
laſſung des Beklagten befindet (8 269 B.). Da aber
die Verpflichtungen aus der Wandelung Zug um Zug
zu erfüllen find, hat der Kläger dem Beklagten die
Maſchinen zurückzugeben und iſt dieſer nur gegen gleich⸗
zeitige Uebergabe der Maſchine zur Rückerſtattung der
geleiſteten Zahlung und zur Befriedigung der Neben⸗
forderungen (Zinſen und Auslagen) des Klägers ver⸗
pflichtet, andrerſeits aber auch der Kläger nicht ver⸗
pflichtet, die Maſchine herauszugeben, wenn er nicht
Zug um Zug dagegen . (8$ 467, 346,
348 BEB.; Rechtſpr. Os. 6, 380 ff.). Da aber der
Käufer dem Verkäufer die Sache nicht zurückzuſchicken
braucht, die Auswechſelung gegen den Kaufpreis viel⸗
mehr am Wohnſitze des Käufers ſtattzufinden hat, wo
ſich die Sache infolge des Kaufvertrags befindet, ſo iſt
an dieſem Orte zu erſüllen (Seuff A. 64 Nr. 55). Nach
829 3PO. wäre alſo das angegangene Gericht zuftändig.
Es fragt ſich aber, ob nicht ein anderer Gerichtsſtand
durch Vereinbarung zwiſchen den Parteien begründet
wurde. In dem Beſtellſchein, der die Grundlage für
die Ausführung des Vertrags zu bilden hat, befindet
fi der vorgedruckte Vermerk: „Es ſoll als Erfüllungs⸗
ort — Gerichtsſtand — H. gelten.“ Ob der Kläger
dieſe Vertragsbedingung anzuerkennen hat oder nicht,
kann dahingeſtellt bleiben. Denn es folgt daraus noch
nicht, daß das Gericht in H. nunmehr an die Stelle
des an ſich zuſtändigen Landgerichts A. zu treten hat;
der Beklagte hat keinen Beweis dafür gebracht, daß
bei dem Vertragsſchluß der Wille vorhanden war und
ausgedrückt wurde, das geſetzlich zuſtändige Gericht
auszuſchließen. Das Intereſſe des Beklagten, ſeine
Kunden auf Erfüllung ihrer Verpflichtungen am Ge⸗
richte ſeiner Niederlaſſung verklagen zu können, iſt offen⸗
ſichtlich: dieſe Möglichkeit erhielt der Beklagte jedoch
auch durch die nur wahlweiſe Zuſtändigkeit jenes Ge⸗
richts. Jedenfalls aber bezog ſich die Vereinbarung
naturgemäß nur auf die Erfüllung der im Beſtellſchein
geregelten Vertragspflichten. Hier handelt es ſich jedoch
gar nicht um die urſprüngliche Verpflichtung aus dem
Vertrage; denn ſtreitig iſt nicht die vertragsmäßige
Leiſtungspflicht des Verkäufers, ſondern deſſen Ver⸗
pflichtung zur Einwilligung in die Wandelung und
zur Rückgabe des Empfangenen (Seuff A. 47 Nr. 55).
Hätten die Vertragsteile für alle Klagen eine ausſchließ⸗
liche Zuſtändigkeit in H. ſchaffen wollen, ſo hätten ſie
dies als Abweichung von dem geſetzlichen Gerichtsſtand
unzweideutig ausdrücken müſſen (Seuff A. 52 Nr. 193;
54 Nr. 248). Da dies nicht geſchehen iſt, muß ſich der
Beklagte im geſetzlichen Gerichtsſtande verklagen laſſen.
(Urt. des II. ZS. vom 27. Mai 1913, L 722/13).
3208 Bir.
Vücheranzeigen.
Spiegel, Dr. Ludwig, o. ö. Profeſſor an der deutſchen
Univerſität in Prag. Geſetz und Recht, Vorträge
und Auffäbe zur Rechtsquellentheorie. 139 Seiten.
1 und Leipzig 1913. Duncker & Humblot.
Der alten Schule, die das Recht im weſentlichen
in Geſetz und Gewohnheit zu finden glaubte, ſind Gegner
erſtanden, die untereinander zwar mannigfach im Streite,
ſich doch wohl in zwei Gruppen ſammeln laſſen: in
voluntariſtiſche Gefühlsjuriſten und in ſoziologiſche
Juriſten. Den Gefühlsjuriſten iſt Rechtsquelle der
Rechtswille oder das Rechtsgefühl; das Recht erſchließt
ſich nach ihnen demjenigen, der ſich in es einzufühlen
verſteht. Bei den Soziologen ſind zwei Richtungen
erkennbar. Die Angehörigen der einen halten das
Recht für gleichbedeutend mit geſellſchaftlicher Zweck⸗
mäßigkeit, die freilich nur neben dem klaren Geſetze
Beachtung finden könne. Die anderen ſehen eine mit
dem Geſetze mindeſtens gleichberechtigte Rechtsquelle in
der Geſellſchaft, inſoferne die Anſchauungen der maß⸗
gebenden Geſellſchaftsſchicht Recht ſein ſollen. Gemein⸗
ſam iſt ihnen allen mit ihrem Gegner, der hiſtoriſchen
Schule, die Grundlage: die Rechtsquellenlehre. Die
Neuerer ſuchen andere Quellen und verlangen etwa,
daß die Rechtswiſſenſchaft ſich nicht auf die Quellen⸗
kunde beſchränken dürfe, aber ſie ſagen ſich von den
Quellen nicht los. Es iſt merkwürdig, daß ein für
die Rechtsfrage demgegenüber theoretiſch ziemlich gleich⸗
gültiger, wenn auch praktiſch bedeutſamer Umſtand die
Aufmerkſamkeit der Kritiker beſonders auf ſich gezogen
hat, der Umſtand nämlich, daß die Neuerer zum Teil
ihre Anſchauungen auch auf Koſten der bisherigen bevor⸗
zugten Rechtsquellen gelten laſſen wollen, d. h. daß ſie
zum Teil „Freirechtler“ find. Nun kann aber auch der
geſetzestreueſte Juriſt den wichtigſten Satz, mit dem er
arbeitet, aus keinem Geſetz herleiten, den Satz nämlich:
das Geſetz iſt Rechtsquelle. Dieſer Satz mag ſich in
Geſetzen finden, ſeine Geltung kann er nicht auf das
Geſetz ſtützen; ſtützt ſich doch umgekehrt die Anerkennung
des Geſetzes als Rechtsquelle auf ihn. Er iſt ein Er⸗
kenntnisſatz und daher nur beachtlich, wenn er richtig
iſt. Das Geſetz iſt etwas Wirkliches; es bleibt wirklich,
auch wenn es Irrtümer enthält. Wenn der Satz von
der Rechtsquellennatur des Geſetzes als falſch dargetan
wird, wird daher dem Geſetze kein Schaden zugefügt,
ſondern ihm nur eine Eigenſchaft abgeſprochen, die
ihm zu Unrecht zugeſchrieben wurde. Wichtiger als
die Verſchiedenheit in den Anſchauungen über die zu
bevorzugenden Quellen iſt es, daß auch die Neuerer
am Rechtsquellengedanken feſthalten; auch ihnen iſt
„Recht! che eine Herkunfts⸗ als eine Eigenſchafts⸗
bezeichnung. Jede Rechtsquellenlehre, die freirechtliche
wie die der hiſtoriſchen Schule und die der Naturrechtler,
ſucht im Recht etwas ſelbſtändig Vorhandenes, wie
etwa in der Sitte. Die Erkenntnis des geltenden, des
beſtehenden Rechts iſt das Ziel der Arbeit. Wenn man
die Wiſſenſchaften, die das Beſtehende ermitteln wollen,
Beſtandswiſſenſchaften nennt, ſo iſt auch die Rechts⸗
wiſſenſchaft eine Beſtandswiſſenſchaft. Freilich iſt das
Beſtehende, womit ſie ſich befaßt, etwas Eigenartiges.
Man kann es mit dem hergebrachten Ausdruck „Norm“
bezeichnen. Darunter wäre der allgemeine oder doch
für einen Einzelfall entſcheidende Rechtsſatz zu ver⸗
ſtehen. Dieſe Norm hat die Eigenart, gleichzeitig als
eine Richtſchnur für das Handeln des Einzelnen und
als ein Erkenntnisſatz für den beurteilenden Richter
angeſehen zu werden. Die Rechtsquellenwiſſenſchaft
unterſcheidet ſich alſo von anderen Beſtandwiſſenſchaften
dadurch, daß der Beſtand, den ſie feſtſtellen will, nicht
nur in Tatſachen beſteht, ſondern daß der Erkenntnis-
ſatz ſelbſt, mit dem dann gearbeitet wird, wie etwas
Beſtehendes zu ermitteln verſucht wird; ſie ſcheidet
18 Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
jedoch dadurch nicht etwa aus dem Kreiſe der Beſtands⸗
wiſſenſchaften aus. Nun gibt es außer den Beſtands⸗
wiſſenſchaften aber noch eine andere Art von Wiſſen⸗
ſchaften. Als Beiſpiel kann man die Zweckwiſſen⸗
ſchaften anführen, d. h. die Wiſſenſchaften, die nicht
nur etwas Beſtehendes ermitteln, ſondern die Be⸗
deutung eines Tatbeſtandes von einem beſtimmten
Geſichtspunkt aus, hier dem der Zweckmäßigkeit, er⸗
kennen wollen. Man kann derartige Wiſſenſchaften
Bedeutungswiſſenſchaften nennen. Es beſteht ziemlich
unabhängig von den Schulgegenſätzen eine ſtarke Strö⸗
mung unter den Juriſten, die Rechtswiſſenſchaft als
eine Bedeutungswiſſenſchaft zur Anerkennung zu bringen
und ihr damit einen Dienſt zu erweiſen, wie er größer
kaum gedacht werden kann. Alle Verſuche in dieſer
Richtung müſſen aber ſcheitern, ſolange an der Rechts⸗
quellenlehre feſtgehalten wird. Denn dieſe Lehre iſt
immer gleichbedeutend mit beſtandswiſſenſchaftlichen
Gedankengängen und führt daher ſtets von Neuem zur
Vermengung des Rechtlichen (der Bedeutungsfrage)
mit dem Tatbeſtandlichen (dem rechtserheblichen Ver⸗
halten der Geſamtheit). Ein weiteres Hindernis für
die Anerkennung der Rechtswiſſenſchaft als ſelbſtändige
Bedeutungswiſſenſchaft beſteht darin, daß man nicht
danach ſtrebt, die Selbſtändigkeit des Rechts heraus⸗
zuarbeiten, ſondern ſich darauf befchränkt, Zweckmäßig⸗
keitsgeſichtspunkte zu verwenden und damit das Recht
uberhaupt in Wohlgefallen aufzulöſen.
An dieſe Schickſalsfragen des Rechts und ſeiner
Wiſſenſchaft rühren auch die Aufſätze und Vorträge
Spiegels, und darin wird man, ungeachtet aller Einzel⸗
feinheiten, ihr Verdienſt zu finden haben. Spiegel
arbeitet mit gefühlsmäßigen und ſoziologiſchen Er⸗
wägungen. . iſt er wohl ebenſowenig wie
Gegner der Rechtsquellenlehre, die er nicht abſchaffen
ſondern ergänzen will. Aber er ſteht der herrſchenden
Lehre ſehr kritiſch gegenüber und hat den wichtigen
Schritt von der rein genetiſchen Auffaſſung zur Be⸗
ſchreibung getan, der den Uebergang zur Bedeutungs⸗
wiſſenſchaft vorbereitet, wenn auch noch nicht vollzieht.
Und von ſeinem Standpunkt aus trägt er ſoviele be⸗
gründete Bedenken gegen die herrſchenden Anſchauungen
zuſammen, daß man aus dem Buche, über ſeinen eigenen
Inhalt hinausgehend, den dringenden Rat zu vernehmen
glaubt, ſich endlich nach einem Erſatz für die Rechts⸗
quellenlehre umzuſehen.
Gleich der erſte Vortrag über das Erbe des ab⸗
ſolutiſtiſchen Staates führt mitten in die intereſſanteſten
Probleme. War früher das Geſetz als Willensäußerung
des abſoluten Herrſchers Rechtsquelle, ſo iſt es heute
das Gleiche als Willensäußerung des Geſetzgebers.
Der Willensträger hat gewechſelt, der Wille wird nach
wie vor als Recht angeſehen. Der Staat iſt konſtitutionell
geworden, das Recht iſt abſolut geblieben. Der zweite
Vortrag (Jurisprudenz und Sozialwiſſenſchaft) ver—
langt in lehrreichen Ausführungen die Befruchtung der
Rechts = durch die Geſellſchaftswiſſenſchaft, der dritte
(Entwürfe und Geſetze) behandelt aufſchlußreich das
Gebiet der Geſetzestechnik. An zwei kritiſche Aufſätze
(Savignys „Beruf“ und Gönners Gegenſchrift, und:
Hatſcheks Betrachtungen über das kontinentale Rechts-
quellenſyſtem) ſchließt ſich ſodann eine Abhandlung
über den refere législatif oder die Anfrage bei Hof
(zur Ausfüllung von Geſetzeslücken und Klärung von
Zweifeln). Den Beſchluß macht ein bedeutender Bei—
trag „zur Lückenlehre“. Nicht das Recht, nur das Geſetz
kann Lücken haben. Worauf ſich das Recht nicht er—
ſtreckt, das fällt nicht in eine Rechtslücke, ſondern aus
dem Recht heraus. Von dieſem Standpunkt aus wird
dann Zitelmanns Lückenlehre äußerſt feſſelnd beſprochen.
Eine kurze Inhaltsangabe kann der Bedeutung
des kleinen Buches nicht gerecht werden. Es enthält
in jedem Teil eine Fülle geiſtvoller Bemerkungen und
ſcharfſinniger Beobachtungen, und hat eine Eigenſchaft,
die man bei einer Sammlung kleinerer Abhandlungen
—
ſelten findet: es läßt den Leſer, der einmal das Ganze
aufgenommen hat, nicht mehr locker. Wie eine glänzende
zuſammenhängende Darſtellung fordert es immer wieder
dazu heraus, mit dem Leſen von neuem zu beginnen.
München. Amtsrichter Sauerländer.
Narbe, Dr. K., o. ö. Profeſſor und Vorſtand des Pſycho⸗
logiſchen Inſtituts der Univerfität Würzburg Grund⸗
züge der Forenſiſchen Pſychologie. 120 Seiten.
München 1913, C. H. Beckſche Verlagsbuchhandlung
(Oskar Beck). Geb. Mk. 4.—.
Das Buch gibt die Vorleſungen wieder, die Pro⸗
feſſor Marbe während des erſten bayeriſchen Fortbil⸗
dungskurſes für Juſtizbeamte im Mai 1913 in Mün⸗
chen gehalten hat. Wir begrüßen freudig das Erſcheinen
dieſer intereſſanten, lehrreichen Vorträge und zwar nicht
bloß im Intereſſe derer, die ſie nicht gehört haben,
ſondern gerade auch im Intereſſe der ſeinerzeitigen
Hörer. Ihnen bietet das Buch die wünſchenswerte
Möglichkeit zur Auffriſchung des Gedächtniſſes. Nichts
wäre bedauerlicher, als wenn einer z. B. aus der Bor;
leſung über die Pſychologie der Zeugenausſage nichts
behalten hätte als den allgemeinen Eindruck, daß man
den Zeugenausſagen mit Vorſicht oder gar mit Miß⸗
trauen gegenüberſtehen müſſe, ohne noch zu wiſſen,
welcher Art denn die Irrtümer ſind, die man bei Zeugen
beobachtet hat, nach welcher Richtung z. B. bei der
Schätzung räumlicher und zeitlicher Entfernungen die
Angaben von der Wirklichkeit abzuweichen pflegen.
E.
Lanaheinrich, Dr. Eruſt, K. Bezirksamtsaſſeſſor in Bad
Kiſſingen. Kirchengemeinde ordnung für das
Königreich Bayern vom 24. September 1912 mit den
Vollzugsvorſchriften. Lief. 4 (Schluß). XII, 337 — 585
Seiten. München, Berlin und Leipzig 1914, J. Schweitzer
952 11 (Arthur Sellier). Mk. 5.80 (vollſtändig geb.
.11.—).
Die Ausgabe iſt jetzt durch das Erſcheinen der
4. Lieferung abgeſchloſſen. Der Verfaſſer hat ſchon
durch ſeine tief eindringende Abhandlung über die
zivilrechtliche Bedeutung der RED. in dieſer Zeitſchrift
(Jahrg. 1913) dargetan, daß er das Geſetz nicht aus⸗
ſchließlich vom Standpunkte des Verwaltungsbeamten
aus betrachtet, ſondern daß er auch im bürgerlichen
Rechte gut zuhauſe iſt. Seinen Erläuterungen darf
gleichfalls nachgerühmt werden, daß fie dem Zuſammen⸗
hang des Geſetzes mit dem Reichsrecht und dem übrigen
bayeriſchen Landesrechte überall gründlich un
Langheinrich beſchränkt ſich nirgends auf den bei Aus⸗
gaben neuer Geſetze gebräuchlichen Abdruck von Aus-
ſchnitten aus den Vorarbeiten, vermeidet es anderer⸗
ſeits aber auch, ſich in langatmige Streitfragen ein⸗
zulaſſen, ſondern gibt knapp und beſtimmt das zum
Verſtändniſſe des ſchwierigen Geſetzes und zu ſeiner
Anwendung im Leben Erforderliche.
von der Pfordten.
Feuchtwanger Ludwig, Der Eintritt Bayerns in
das Reichsarmenrecht. 43 S. München⸗Leipzig,
1 von Duncker & Humblot, Preis: geheftet
Mk. 1.20.
Der Auſſatz iſt aus einem Vortrag entſtanden, den
der Verfaſſer am 26. Februar 1913 in der Münchner
Volkswirtſchaftlichen Geſellſchaft gehalten hat; er bietet
einen kurzen geſchichtlich kritiſchen Abriß über die Ent⸗
wickelung der ſtaatlichen Armenpflege feit der Refor⸗
mationszeit, behandelt dann in gleicher Weiſe das
Armenrecht des Deutſchen Reiches von 1871 bis 1908,
wobei insbeſondere die deutſche Sozialgeſetzgebung in
intereſſante Beziehungen zur öffentlichen Armenpflege
gebracht wird und ſchließt mit einer Würdigung des
bayeriſchen Armenweſens für die Zeit vom Jahre 1869
bis zum Erlaſſe des Geſetzes, welches den Eintritt
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3. f 79
—
Bayerns in das Recht des Unterſtützungswohnſitzes
anbahnt. Dem Politiker und Volkswirtſchaftler gibt
das Büchlein einen guten geſchichtlichen Ueberblick über
die Kräfte und Urſachen, die zur kommenden Entwick
lung des Armenweſens geführt haben. W.
Kauffmann, Dr. Nax, Privatdozent für Medizin an der
Univerſität Halle. Das Verſchuldungsprin⸗
zip im Strafrecht. 70 S. Halle 1912, Verlag
der Buchhandlung des Waiſenhauſes.
Der Verfaſſer ſucht nach einem allgemeinen, Vor⸗
ſatz und Fahrlaſſigkeit umfaſſenden Schuldbegriff und
findet ihn in dem „Wiſſen um die Verantwortlichkeit
eines Verhaltens“. Dieſes Ergebnis der Abhandlung
bedeutet kaum einen Fortſchritt in der Lehre von der
ſtrafrechtlichen Schuld. Auch die Darſtellung befrie⸗
digt wenig. Einen breiten Raum nehmen Stellen aus
rechtswiſſenſchaftlichen und philoſophiſchen Werken ein.
Sie ftören öfters den Gedankengang. Die eigenen An⸗
ſichten des Verfaſſers find nicht immer mit der wün⸗
ſchenswerten logiſchen Schärfe entwickelt.
München. II. Staatsanwalt Dr. Dürr.
6. Giriſch, Dr. jur. et rer. pol., H. Hellmuth und H.
achel bel. Handwörterbuch des bayer. Staats⸗
irchenrechts. Zweite, vollſtändig durchgearbeitete
und vermehrte Auflage. 527 Seiten. München 1914,
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).
Die 1. Auflage dieſes Buches erſchien im Jahre
1911, alſo zu einer Zeit, da das bayer. Staatskirchen⸗
recht noch der Läuterung durch die Kirchengemeinde⸗
ordnung entbehrte und in ſeiner übergroßen Zahl von
Quellen kaum zu überſehen war. Die 2. Auflage iſt
jetzt, nachdem die Kirchengemeindeordnung Geſetz ge⸗
worden, nicht minder lebhaft zu begrüßen. Das Werk
gibt in Geſtalt eines Wörterbuchs eine vollſtändige,
kurz und überſichtlich gefaßte Darſtellung des geſamten
bayer. Staatskirchenrechts. Einer ſeiner Hauptvorzüge
iſt, daß es die Quellen erſchöpfend und zuverläſſig,
nicht nur zuſammenfaſſend an der Spitze jeder Ab⸗
handlung, ſondern auch nach den einſchlägigen Sätzen
der Darſtellung beſonders angibt. Der Theoretiker
wie der Praktiker iſt dadurch in die Lage geſetzt, ſich
im einzelnen Fall über Geſetz, Rechtſprechung und
Literatur ſchnell und ſicher zu unterrichten. Beſonders
ſchätzbare Dienſte wird das Buch für den unmittelbaren
Vollzug der Kirchengemeindeordnung leiſten; die ge⸗
meinverſtändliche Darſtellungsweiſe macht es auch zur
Beratung von Nichtjuriſten, namentlich der Kirchen
verwaltungsvorſtände, ſehr geeignet. Den noch in der
Vorbereitung ſtehenden jungen Juriſten wird das Buch
längſt unentbehrlich fein.
Bad Kiffingen. Bezirksamtsaſſeſſor Dr. Langheinrich.
Kahn⸗Obermeher, Wehrbeitragsgeſetz mit den bayes
riſchen Vollzugsvorſchriften. 250 Seiten. München 1914,
J. Schweitzer (Arthur Sellier). Preis geb. Mk. 3.—.
Die Eigenart dieſes in „Schweitzers blauen Text-
ausgaben“ erſchienenen Kommentars liegt darin, daß
er zurzeit der einzige iſt, der beſonders für bayeriſche
Verhältniſſe berechnet iſt. Deshalb find nicht nur neben
den Ausführungsbeſtimmungen des Bundesrates die
bayeriſchen Vollzugsvorſchriften, die bekanntlich ſehr
wichtige Paragraphen, z. B. über die Veranlagung der
fortgeſetzten Gütergemeinſchaft und der Erbengemein-
ſchaft, über die Einſchätzung des Ertragswertes uſw.,
enthalten, vollſtändig mit allen Formularen abgedruckt,
we es iſt auch bereits in den Anmerkungen auf
e verwieſen und es iſt überall an den zahlreichen
Stellen, an denen das Landesſteuerrecht maßgebend
iſt, alſo vor allem bei der Feſtſetzung des Einkommens,
bei dem Veranlagungsverfahren und bei der Durch
führung des Generalpardons, die bayeriſche Rechtslage
eingehend berückſichtigt. Die Anmerkungen geben eine
ſehr gediegene und recht ausführliche Erläuterung des
ſchwierigen Geſetzes; fie beſchränken ſich nicht etwa, wie
dies manchmal bei den raſch nach dem Erſcheinen eines
neuen Geſetzes auftauchenden „Kommentaren“ der Fall
iſt, auf eine Wiedergabe der Geſetzgebungsmaterialien.
Lehrreich iſt es, den bekannten Kommentar von Dr.
A. Hoffmann, dem wegen der Stellung ſeines Verſaſſers
im Reichsſchatzamte eine beſondere Bedeutung zukommt,
über einige Streitfragen mit der vorliegenden Aus⸗
gabe zu vergleichen. Nach Hoffmann ſollen die Er⸗
mäßigungsvorſchriften des § 33 nur anwendbar ſein,
wenn die beiden Vorausſetzungen hinſichtlich des Ver⸗
mögens und des Einkommens nebeneinander vorliegen;
nach ihm ſoll der Generalpardon möglichſt eng aus⸗
zulegen ſein. In beiden Punkten vertreten Kahn und
Obermeyer — meiner Anſicht nach mit Recht — die
gegenteilige Meinung. Nach den Ausführungen des baye⸗
riſchen Finanzminiſters im Landtage dürfte allerdings
der Generalpardon in Bayern in noch weitergehendem
Maße durchgeführt werden, als es nach der Anſicht
der beiden Verfaſſer anzunehmen iſt. Insbeſondere
dürfte auch einem Erben — entgegengeſetzt der S. 123
ausgeſprochenen Meinung — die befreiende Wirkung
des Generalpardons zugute kommen, wenn er inner⸗
halb der vom Geſetze beſtimmten Zeit berichtigende
Angaben über die Vermögens⸗ und Einkommensver⸗
hältniſſe des Verſtorbenen freiwillig bei der zuſtän⸗
digen Stelle abgibt. Da auch die Ausſtattung, den
weitverbreiteten „blauen“ Textausgaben entſprechend,
recht gut iſt, kann das Buch allen Beitragspflichtigen,
die in Bayern ihren Wohnſitz haben, für die Abgabe
ihrer Bermögenserflärung empfohlen werden.
München. Flnanzaſſeſſor Dr. Süß.
Geſetzgebung und Berwaltung.
Schulpflichtverordunngen. Die bayeriſchen Vor⸗
chriften über die Schulpflicht (ſ. Art. 58 Abſ. 3 PStGB.)
nd durch die Verordnungen vom 22. Dezember 1913
über die Schulpflicht und über die Berufsfortbildungs⸗
ſchulen (GVBl. 1913 S. 957, 966) mit Wirkung vom
1. Januar 1914 nicht unerheblich geändert worden.
Der ſachliche Inhalt der Reform bedarf hier keiner
näheren Darſtellung. Es ſind zwei Arten von Fort⸗
bildungsſchulen vorgeſehen, die Volksfortbildungs⸗
ſchulen und die Berufsfortbildungsſchulen. Die Sonn⸗
tagsſchule iſt der Volksfortbildungsſchule gewichen.
Dieſe iſt ein Teil der öffentlichen Volksſchule. Die
Werktagsſchule heißt jetzt Volkshauptſchule. Die Bes
rufsfortbildungsſchulen ſind gegenüber den öffentlichen
Volksſchulen ſelbſtändige Unterrichtsanſtalten; „öffent⸗
lich“ i. S. der Verordnung ſind ſie, wenn ſie von einer
Gemeinde errichtet ſind. Der Eintritt in eine Berufs⸗
fortbildungsſchule iſt an ſich freiwillig; weitgehende
Ausnahmen geſtatten aber, ihren Beſuch zur Pflicht
zu machen.
Für die Rechtspflege kommt zunächſt das Ver⸗
hältnis der neuen Vorſchriſten zu Art. 56 und Art. 58
P StB. in Betracht. Eine Angleichung des Wort⸗
lautes der geſetzlichen Vorſchriften an die neuen Ver⸗
hältniſſe war im Rahmen der Verordnungen ſelbſt⸗
verſtändlich nicht möglich. Damit hat aber das Geſetz
ſeinen Inhalt nicht verloren. Bei ſachgemäßer Aus⸗
legung können vielmehr Schwierigkeiten nicht entſtehen.
Der Richter hat im Einzel alle und nach den örtlichen
Verhältniſſen zu prüfen, ob nach dem Sinne und Zwecke
des Geſetzes der ſtrafbare Tatbeſtand erfüllt iſt. Selbſt⸗
verſtändlich iſt z. B. ein Fortbildungsſchüler nicht des⸗
halb bei dem Beſuche einer öffentlichen Tanzunter⸗
haltung ſtraflos, weil Art. 56 Abſ. 2 nut von „Sonn⸗
tagsſchulpflichtigen“ ſpricht, die Sonntagsſchule als
ſolche aber beſeitigt iſt. Aehnliche Apweichungen
80
ächlichen Verhältniſſen kommen auch ſonſt vor und
nd gerade auf dem Gebiete der Schule, wo das Fort⸗
bildungsſchulweſen eine örtlich verſchiedene Entwicklun
genommen hat, nichts Neues. Die Praxis war ſich
nie im Zweifel, daß an die Stelle der Sonntagsſchule
auch ſtrafrechtlich die Schulgattung zu treten hat, durch
erf 1 f. dem Wege der Verwaltungsorganiſation
e f
Das Nechunngsweſen bei den Strafanſtalten. Die
Bekanntmachung vom 24. Dezember 1913, die Kaſſen⸗,
Buchführungs⸗ und Rechnungsgeſchäfte der Strafan⸗
ſtalten betr. (JMBl. S. 755) bedeutet auf dem Wege
zu der Neuordnung des Strafanſtaltsweſens, die be⸗
reits in der Denkſchrift zum Juſtizetat für die Finanz⸗
periode 1914/1915 angekündigt iſt, einen weſentlichen
Schritt vorwärts. Bisher beſtand die Tätigkeit der
ſog. Nebenbeamten bei den Strafanſtalten (zweiten Direk⸗
toren, Inſpektoren, e hauptſächlich in der Füh⸗
rung der Kaſſen⸗ uno Rechnungsgeſchafte. Zur Unter.
ſtützung der Anſtaltsborſtände bei ihren vielſeitigen
Dienſtgeſchäften und zu den eigentlichen Aufgaben
eines höheren Strafanſtaltsbeamten konnten ſie nur in
ganz beſchränktem Maße herangezogen werden; und
je mehr ſich dieſe Aufgaben mit der Einführung der
neuen Hausordnung, mit dem Uebergang von der be⸗
quemen Schablone in der Behandlung der Gefangenen
zu der Zeit, Geduld, Ausdauer und Menſchenkenntnis
erfordernden Individualiſierung und mit der Ausnützung
der Arbeitskräfte der Gefangenen für öffentliche Zwecke,
beſonders für Kulturunternehmungen aller Art, ſteigerten,
deſto fühlbarer machte ſich das Bedürfnis, die Neben⸗
beamten von ihrer formalen, ihrer Vorbildung nicht
entſprechenden Tätigkeit zu entlaſten und ihre Mit⸗
wirkung bei den Kaſſen⸗ und Rechnungsgeſchäften auf
das unbedingt notwendige Maß en Diefem
Bedürfniffe trägt die Bekanntmachung Rechnung. Sie
überträgt die Beſorgung der eigentlichen Kaſſen⸗, Buch⸗
führungs⸗ und Rechnungsgeſchäfte den Buchhaltern,
deren jede Strafanſtalt künftig zwei erhalten ſoll ($ 3).
Einer der Buchhalter führt die Handkaſſe, die Kaſſe⸗
tagebücher und die Bank⸗ und Poſtſcheckkontogegen⸗
bücher, empfängt und leiſtet die Zahl ungen und ſtellt
die Jahresrechnung, der andere Buchhalter führt die
Kaſſehauptbücher unter Beiſchaffung, Prüfung und Ferti⸗
gung der Belege und beſorgt die Sollſtellung der Ein⸗
nahmen ($ 4). Die Tätigkeit des Nebenbeamten er⸗
ſtreckt ſich künftig nur noch auf die Leitung und Ueber⸗
wachung der Kaſſen⸗, Buchführungs⸗ und Rechnungs⸗
geſchäfte und der Rechnungsſtellung, auf die Führung
der Hauptkaſſe und auf die Bearbeitung aller wichtigeren
Berichte, Anträge und Aufſtellungen (8 1).
Die Bekanntmachung enthält ferner eine Reihe
formeller Vorſchriften über die Führung der Bücher
und Nebenrechnungen, die das Buchführungs⸗ und Rech⸗
nungsweſen auf möglichſt zweckmäßige, einfache, klare
und überſichtliche Formen zurückführen, allen veralteten
Wuſt und alles überflüſſige Schreibwerk zu beſeitigen
trachten und dabei auch manches Extrazöpfchen ab⸗
ſchneiden, das der einen oder anderen Strafanſtalt im
Laufe der Jahre gewachſen war.
Die Bekanntmachung vom 24. Dezember 1913, die
Koſten der Unterbringung und Verpflegung in den
Strafanſtalten betr. (JMBl. S. 751) enthält Ausfüh⸗
rungsvorſchriften zu der Verordnung vom 26. Juli 1913
(GBl. S. 433). Als für weitere Kreiſe bemerkens—
wert mag daraus hervorgehoben werden, daß jetzt
endlich die Beitreibung der Koſten des Strafverfahrens
und der Straſvollſtreckung dem nämlichen Rentamt
übertragen iſt. Bisher lag die Beitreibung der Straf—
vollſtreckungskoſten dem Rentamt ob, in deſſen Bezirk
fan dem Wortlaute des Geſetzes und den tat⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 3.
der Schuldner ſeinen Wohnſitz hat, die Beitreibung
der Koſten des Strafverfahrens dem Rentamt, in deſſen
Bezirk das Gericht liegt, von dem das Urteil erſter
Inſtanz erlaſſen wurde. Beide Rentämter waren un⸗
abhängig voneinander tätig; beide hatten die Ver⸗
mögensverhältniſſe des Verurteilten zu erforſchen, beide
ſelbſtändig das Beitreibungsverfahren innerhalb ihrer
Zuſtändigkeit durchzuführen. Dieſes überflüffige, ſchwer⸗
fällige und zeitraubende Nebeneinanderarbeiten zweier
Behörden in einem Verfahren, das die Beitreibung
der durch eine gerichtliche Entſcheidung einem Schuld⸗
ner überbürdeten Koſten bezweckt, iſt durch 8 4 der Be⸗
kanntmachung beſeitigt. Das Rentamt, in deſſen Be⸗
zirk das Gericht erſter Inſtanz liegt und dem die Bei⸗
treibung der Koſten des Strafverfahrens obliegt, hat
künftig auch die Koſten der Strafvollſtreckung beizutreiben.
8215
Die Bekämpfung der e Krankheiten.
Die Bek. vom 9. Mai 1911 (GBl. 426) über die Be-
kämpfung übertragbarer Krankheiten, die auf der Srund⸗
lage des Art. 67 Abſ. 2 P StGB. für Bayern die recht⸗
liche Handhabe zur Bekämpfung der übertragbaren
nicht im Reichsſeuchengeſetz vom 30. Juni 1900 behan⸗
delten Krankheiten bildet, wurde ergänzt durch die Bek.
des Staatsminiſteriums des Innern über die Bekämp⸗
fung der übertragbaren Kinderlähmung (Poliomyelitis
anterior acuta) vom 5 Januar 1914 (GBl. 2), die
auch für piece Krankheit eine ähnliche Anzeigepflicht
ſchafft, wie ſie auf Grund der Bek. vom 9. Mai 1911
ſchon für eine Reihe von Krankheiten beſteht. Im Zu⸗
ſammenhang damit ſteht eine mit Bek. des Staatsmini⸗
ſteriums des Innern vom 4. Januar 1914 (GBl. 2)
erfolgte Ergänzung der Dienſtanweiſung für die Leichen⸗
ſchauer, die dieſen die Anzeige von jedem Todesfall
an dieſer Krankheit zur Pflicht macht.
3216
Sprachecke
des Allgemeinen Dentſchen Sprachvereins.
oder aber. Eine neue Sprachdummheit iſt jüngſt
aufgekommen und macht natürlich glänzend Schule.
„Die Frauen und Mädchen werden gebeten, entweder
Hüte ohne Rand aufzuſetzen oder aber den Hut in der
Kirchenbank abzunehmen.“ — „ . . . Unterſchied, ob
man für ſich arbeitet oder aber für andere Leute um
Lohn.“ — „Eine Ausfahrt oder ein Spaziergang oder
aber ein Ritt durch den Tiergarten. — „Ju
gendein altes, kleines Gaſthaus, oder aber die Wirt⸗
ſchaft, die du gewöhnlich beſuchſt.“ — . .. den Störer
der parlamentariſchen Ordnung vornehm zu ignorieren
oder aber Gewalt anwenden zu laffen.” — „ . » . ob
er nur eine Mark oder aber mehr zu bezahlen habe.“
— „in Hypotheken oder aber in Staatspapieren ans
zulegen.“ — „wo das nackte Felsgeſtein offen am Tage
liegt oder aber in mächtigen Blöcken die Erde bedeckt.“
— Auch neue Sätze fängt man ſchon ſo an: „Oder
aber wir gehen einer allgemeinen Zerſetzung entgegen.“
— Und ſo oderabert es ſich heute allenthalben; ein
alleinſtehendes „oder“ findet man kaum mehr. Was
das „aber“ bezwecken ſoll, iſt nicht klar; überflüſſig
iſt es überall, ebenſo wie „auch“, das man ebenfalls
immer häufiger neben „oder“ findet. Alſo weg mit
dem Aber und dem Auch! „oder“ allein genügt voll«
kommen.
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Nr. 4 u. 5
München, den 20. Februar 1914.
10. Jahrg.
Herausgegeben von
Th. von der Piordten
K. 1. Staatsanwalt Im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtl:.
Zeitſchrift für Rechtspflege
in Bayern
Verlag von
J. Schweitzer Verlag
(Arthur Seller)
Künchen, Berlin u. Leipzig.
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.)
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats //.
un Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich :
Mt. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
jede Poſtanſtalt.
Nachdruck verboten.
Zu § 22 Wi. 2 der Grundbuchordnung.
Von Engen Krafft, Landgerichtspräſident in Landshut.
Auf S. 381 des vorigen Jahrganges dieſer Zeit⸗
ſchrift iſt eine Entſcheidung des Oberſten Landes⸗
gerichts abgedruckt, die ſich mit der Frage befaßt, ob
der Ehemann, der mit ſeiner Frau in vertragsmäßiger
allgemeiner Gütergemeinſchaft nach BGB. lebt, für
ſeine Frau wirkſam den Antrag ſtellen kann, daß ſie
als Miteigentümerin eines Grundſtücks eingetragen
werde, ehe er noch ſelbſt als Eigentümer eingetragen
iſt, und ob $ 22 Abſ. 2 GBO. ein Hindernis bildet.
Die Entſcheidung ſpricht ſich für die Wirkſamkeit
des Antrags aus. Es ſoll hier nicht unterfucht
werden, ob das Ergebnis richtig iſt, ſondern nur, ob
die Begründung der Entſcheidung zutrifft. Meines
Erachtens erheben ſich dagegen nicht allzuleicht zu
beſeitigende Bedenken.
Die Entſcheidung ſagt, die Zuſtimmung der
Frau ſelbſt zur Eintragung ſei allerdings notwen⸗
dig, weil 5 22 Abſ. 2 GBO. entſprechend anzu⸗
wenden ſei und nicht eine Verwaltungshandlung |
des Mannes hinſichtlich des Geſamtguts in Frage
ſtehe; aber die Zuſtimmung ſei als vorliegend zu
erachten, weil mit Rückſicht auf die Sachlage als
offenkundig anzunehmen ſei, daß die Frau den
Mann zur Erklärung ihrer Zuſtimmung ſtillſchwei⸗
gend bevollmächtigt habe. Und dies wird wieder
daraus geſchloſſen, daß das ganze Intereſſe der
Frau darauf gehe, daß ſie als Miteigentümerin
eingetragen werde.
Die Frage iſt nun nicht, was die Frau bei
verſtändiger Würdigung der Sachlage tun würde,
ſondern was ſie wirklich getan hat, nicht alſo,
ob ſie unter jener Vorausſetzung Vollmacht erteilen
würde, ſondern ob ſie dem Manne jene tatſächlich
erteilt hat. Welchen Inhalt ſoll nun dieſe unter⸗
ſtellte Vollmacht haben? Gewiß kann ſie nicht eine
Generalvollmacht ſein, denn zur Annahme einer
Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a.
Anzeigengebübr 30 Pfg. fur die halbgeſpaltene Petitzeile
oder deren Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗
anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
81
ſolchen fehlt jeder Anhalt — alſo nur eine Voll⸗
macht, beim Grundbuchamt für die Frau zu be⸗
antragen, daß die Frau als Miteigentümerin eines
vom Manne zu erwerbenden Grundſtücks oder un⸗
beſtimmter vom Manne zu erwerbender Grunbftüde
eingetragen werde. Aber die Annahme einer ſolchen
tatſächlich, wenn auch ſtillſchweigend erteilten
Vollmacht ſetzt doch vor allem anderen voraus,
daß die Frau von der Abſicht des Mannes, be⸗
ſtimmte Grundſtücke oder irgendwelche Grundſtücke
zu erwerben, Kenntnis habe, oder ſich dieſe
Abſicht mindeſtens als möglich vorſtelle. Wenn die
Frau keine Ahnung davon hat, daß der Mann
Grundſtücke erwerben wolle, wie ſollte ihr tatſäch⸗
licher Wille darauf gerichtet ſein, ihren Mann zum
Antrag auf Eintragung ihres Miteigentums zu
bevollmachtigen? Keine Erfahrung des täglichen
Lebens ſpricht nun aber dafür, daß die Frau, deren
Mann Grundftüde erwirbt, ſolche Kenntnis immer
oder auch nur regelmäßig habe.
Unterſtellt man indeſſen, daß ſie davon Kennt⸗
nis habe, woraus iſt zu ſchließen, daß ſie in dieſem
Falle den Vollmachtswillen habe? Das Oberſte
Landesgericht ſagt, weil das ganze Intereſſe der
Frau auf Eintragung ihres Miteigentums gehe.
Aber entſcheidend iſt doch nicht die objektive
Sachlage, ſondern die Kenntnis der Frau
hievon. Erſt wenn dieſe zu bejahen iſt, kann man
allenfalls ſagen, daß die Frau den Vollmachts⸗
willen habe. Wer aber möchte behaupten, daß jede
Frau ohne weiteres einen richtigen Einblick in die
Rechtslage habe, die durch die Eintragung ihres
Miteigentums im Grundbuch geſchaffen wird? Um
dieſe Rechtslage überblicken zu können, dazu gehört
ſchon ein tüchtiger Juriſt; ſelbſt der Verfaſſer der
Motive zum BGB. hat ſie laut der hier beſprochenen
Entſcheidung nicht völlig überſchaut — wie ſollte
man das von einer Frau ohne weiteres voraus—
ſetzen dürfen? Und ſelbſt wenn man dieſe Einſicht
unterſtellen wollte, ſo lehrt doch die Erfahrung des
82
täglichen Lebens und insbeſondere das Rechtsleben,
daß ſich die Menſchen ſehr häufig keineswegs von
Gründen der Zweckmäßigkeit und Vernunft be⸗
ſtimmen laſſen, ſondern daß fie vielfach — viel⸗
leicht ſogar öfter — unzweckmäßig und unvernünftig
handeln. Und ſodann lehrt die Erfahrung, daß
ſich die Menſchen auch dann, wenn ſie der letztere
Vorwurf durchaus nicht trifft, nicht ausſchließlich
durch Gründe beſtimmen laſſen, die der Rechtslage
entnommen find, ſondern vielmehr auch durch
rechtsfremde Beweggründe. Beiſpielsweiſe iſt es in
einem Falle wie dem hier in Frage ſtehenden ſehr
wohl möglich, daß eine Frau, obwohl fie einen
durchaus richtigen Einblick in die Rechtsfolgen der
Eintragung ihres Miteigentums im Grundbuch
hat, dieſe doch aus durchaus vernünftigen Gründen
nicht will, z. B. weil ſie nicht wiſſen laſſen will,
daß ſie mit ihrem Manne in Gütergemeinſchaſt
lebe, und befürchtet, daß das durch die Eintragung
ihres Miteigentums im Grundbuch bekannt werde.
Man kann ſelbſtverſtändlich hiegegen nicht einwen⸗
den, daß derartige rechtsfremde Intereſſen nicht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. b.
ſchutzwürdig ſind; denn ſelbſt zugegeben, daß das
der Fall wäre, obwohl es ſich allgemein und im
vorhinein ſicher nicht ſagen läßt, ſo kommt es nicht
auf die Schutzwürdigkeit der von der Frau ins
Auge gefaßten Intereſſen, ſondern ausſchließlich
darauf an, ob die Frau den Willen der Bevoll⸗
mädtigung hat oder nicht; die Frage des Beweg⸗
grundes ſpielt hier gar keine Rolle.
Richtig und durch die Erfahrung des täglichen
Lebens beſtätigt iſt nun allerdings, daß die Frauen
in der erdrückenden Mehrzahl der Fälle ihrer Ein⸗
tragung als Miteigentümerin im Grundbuch nach⸗
träglich zuſtimmen. Aber aus dieſer feſtſtehender⸗
maßen nach erlangter Kenntnis der
Rechtsänderung erfolgten Zuſtimmung folgt
doch nicht die Voll machtserteilung für eine Hand⸗
lung, die erſt in der Zukunft vorgenommen werden
ſoll und von der gar nicht feſtſteht, daß der Frau
ihr Bevorſtehen bekannt war. Auch läßt ſich ſehr
wohl denken, daß die Frau gegen den Erwerb ge⸗
weſen iſt und deshalb durchaus nicht gewillt war,
ihre Zuſtimmung zur Eintragung ihres Miteigen⸗
tums zu erteilen und daß ſie erſt nach dem Erwerb
dahin belehrt worden iſt, daß ihr Widerſtand
nutzlos ſei. Es kann alſo daraus, daß die Frauen
nachträglich, wenn perſönlich gehört, ganz regel⸗
mäßig zuſtimmen, für die vorliegende Frage nichts
geſchloſſen werden.
„Endlich noch eins: Es iſt ein Grundſatz des
Rechts, daß der Wille für ſich allein nichts bedeutet,
ſondern nur der nach außen kundgegebene
Wille. Aus welchen Tatſachen oder Erfahrungs-
ſätzen will man nun aber für Fälle der vorliegenden
Art allgemein ableiten, daß die Frau den etwa
vorhandenen inneren Willen in einer für das Rechts⸗
leben ausreichenden Weiſe kundgegeben habe?
Auch zu dieſer Annahme wird wiederum gehören,
daß die Frau wenigſtens eine Vorſtellung von dem
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Vorhaben ihres Mannes gehabt und daß ſie dar⸗
aufhin ihrem Willen, daß er ſie in der fraglichen
Richtung vertrete, in irgendeiner Weiſe ſchlüſſigen
Ausdruck gegeben hat. Für das eine wie für das
andere dürfte der Anhalt fehlen.
— —
Jechtspflege und Irrenfürſorge.
Bon Dr. Guſtab Kolb, Direktor der Heil⸗ und Pflege
anſtalt Erlangen.
Die Pſychiatrie iſt eine junge Wiſſenſchaft.
Weit länger als die übrigen mediziniſchen Dis⸗
ziplinen hat ſie unter dem Drucke philoſophiſch⸗
ſpekulativer Betrachtungsweiſe zu leiden gehabt;
erſt ſeit wenigen Jahrzehnten hat die exakte pfy⸗
chologiſche Forſchung, hat die pathologiſche Ana⸗
tomie und haben die Fortſchritte der Serologie
wirklich wiſſenſchaftliches Arbeiten ermöglicht.
Die Pſychiatrie hat die Fehler und die Vor⸗
züge dieſer Jugend: ein raſches Fortſchreiten, eine
ſtarke Schaffenskraft ſind die Vorzüge, aus ihnen
ergeben ſich die Nachteile eines raſchen Wechſels
der Anſchauungen und einer gewiſſen Unüber⸗
ſichtlichkeit; wer außerhalb der Wiſſenſchaft ſteht
— beſonders der Richter —, wird dieſe Nachteile
um jo mehr empfinden, als naturgemäß die ein:
zelnen Pſychiater dieſen Fortſchritten nicht gleich⸗
mäßig folgen, ſondern der eine langſamer, der
andere raſcher. Er wird ſie um ſo ſchwerer emp⸗
finden, als faſt jede pſychiatriſche Schule ihre eigene
verwickelte Namengebung hat, ja zuweilen mit
gleichen Namen Vorgänge bezeichnet, die von den
verſchiedenen Schulen als weſensverſchieden auf⸗
geſaßt werden. Unter Paranoia verſteht die
Münchner Schule z. B. elwas ganz anderes als
die frühere Göttinger und Berliner Schule.
In praktiſcher Hinſicht bemerken wir eine raſch
fortſchreitende Entwicklung der Irrenfürſorge, eine
raſche, in weiten Kreiſen als beängſtigend emp⸗
jundene Zunahme der Zahl der in Irrenanſtalten
verpflegten Kranken, eine Zunahme, die weſentlich
raſcher erfolgt, als die Zunahme der Bevölkerung.“)
Dieſes raſche Anwachſen der Krankenziffer hat
im weſentlichen 4 Gründe:
1. Die Geiſteskrankheiten nehmen etwas zu.
Dieſe Zunahme iſt im weſentlichen bedingt durch
das zunehmende Zuſammenſtrömen der Bevölkerung
in Großſtädten (Lues, Alkohol, Wohnungsnot,
Erwerbstätigkeit der Frau)), durch den zunehmenden
Uebergang von der pſpychiatriſch geſunden land⸗
wirtſchaftlichen Tätigkeit zur Induſtrie.
—
1) Siehe dazu die Tafel I (Bayern) undjdie Tafel II
(Mittelfranken) Seite 83.
) Der Prozentſatz der Erwerbstätigen iſt von 1882
bis 1907 von 35% auf 39.7% geſtiegen — im weſent⸗
lichen durch die zunehmende Erwerbstätigkeit der Frau.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
Tafel I. Zunahme der in bayerifchen
verpflegten Geiſteskranken (auf je 1
Geſamtbevölkerung).
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Tafel II. Die Zunahme der in den mittelfränkiſchen
Kreisirrenanſtalten verpflegten Geiſteskranken.
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2. Die Lebensdauer der Geiſteskranken und
Minderwertigen wird durch die neuzeitliche Irren⸗
fürſorge, durch die neuzeitliche ſoziale Geſetzgebung
verlängert.
3. Der Hauptgrund ift, daß in zunehmendem
Maße auch leichtere Fälle unſeren Anflalten zu:
geführt werden, da der neuzeitliche Verkehr, die
zunehmende Bevölkerungsdichtigkeit, die verwickel⸗
rrenanſtalten
er
83
teren Daſeinsbedingungen, die erhöhten Anforde⸗
rungen an die geiſtigen Fähigkeiten, der erſchwerte
Kampf ums Daſein auch jene geiſtig nicht nor⸗
malen Menſchen immer häufiger den Anſtalten zu⸗
führen, die früher außerhalb der Anſtalten ge⸗
halten werden konnten.
4. Der vierte Grund iſt darin zu ſuchen, daß der
zunehmende Wohlſtand geſtattet, die erforderliche
| Anzahl von Anſtaltsplätzen bereit zu ftellen.
Daß dieſe Gründe die maßgebenden find, lehrt
ein Blick auf die gegenwärtige Entwicklung der
Irrenfürſorge in den verſchiedenen Ländern — die
Entwicklung der Irrenfürſorge geht im weſent⸗
lichen parallel mit jenen oben angegebenen Er⸗
ſcheinungen.“)
Ein Blick auf die Tafel III macht klar, daß
ſich aus dieſen Verhältniſſen wichtige Folgen für
die Rechtspflege ergeben müſſen: Nehmen wir an,
die Psychiater in Galizien, wo auf etwa 2000
Einwohner ein „ trifft, wollten nach
denſelben Geſichtspunkten exkulpieren, wie ein Arzt
in London, wo auf 186 Einwohner ein Anſtalts⸗
platz vorhanden iſt. Die Folge wäre, daß in einem
Jahre ebenſoviele Rechtsbrecher exkulpiert würden,
als es in Galizien Platze in Irrenanſtalten gibt.
Entweder müßte man alle Exkulpierten laufen
laſſen — oder man müßte nur ihretwegen neue
Anſtalten bauen. Dann aber würde ſich die un⸗
natürliche, allem Rechtsempfinden Hohn ſprechende
Folge ergeben, daß der Verbrecher Irrenanſtalts⸗
behandlung erhält, deren Segnungen vielen Tauſenden
ebenſo der Behandlung bedürftigen, aber nicht ver⸗
brecheriſchen Geiſteskranken vorenthalten werden,
d. h. der verbrecheriſche Geiſteskranke oder Minder⸗
wertige würde nur auf Grund ſeines ungeſetzlichen
Handelns eine Vorzugsſtellung gegenüber dem nicht
verbrecheriſchen Leidensgenoſſen erhalten.
Wir haben damit ein wichtiges Geſetz erkannt:
Die forenſiſch⸗pſychiatriſche Beurtei⸗
lung der Rechtsbrecher iſt bis zu einem
gewiſſen Grade abhängig von dem
Stande der Irrenfürforge des Landes.
Daß den Anſtalten in zunehmendem Maße
auch leichtere Falle zugehen, lehrt die Durchſicht
der Grundbücher unſerer Anſtalten; in der 1846
eröffneten Anſtalt Erlangen findet ſich
1884 zum 1. Male Neuraſthenie,
1891 zum 1. Male Hyſteriſches Irreſein,
1898 zum 1. Male Degeneratives Irreſein,
1900 zum 1. Male Alkoholismus chronicus
als Diagnoſe.
Die gleiche Folgerung ergibt ſich aus der Tat⸗
ſache, daß die durchſchnittliche Dauer des Auf⸗
enthaltes eines in unſere Anſtalten aufgenommenen
Kranken langſam abnimmt — die in größerer
Anzahl zugehenden leichter Kranken können im
Durchſchnitt nach einer kürzeren Behandlungsdauer
entlaſſen werden.
) S. Tafel III (Seite 84).
E:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
Tafel III. Auf je 1000 Einwohner treffen Geiſteskranke in Irrenanſtalten
222
York
ER
.
Zur Tafel lll: In den Rubriken „Deutſches Reich“, „Schwelz“, „Oeſterreich“ ftellt die erſte Spalte die Durchſchnittsziffer für das ganze Gebiet dar.
Dieſer Zugang auch von leichteren Kranken,
ebenjo wie die allmählich fortſchreitende Anſamm⸗
lung von gebeſſerten, beruhigten, aber lebens—
untüchtig gewordenen Kranken mußte allmählich
eine Hebung des durchſchnittlichen geiſtigen Standes
der Kranken zur Folge haben. Das mußte zu—
nächſt die bauliche Entwicklung unſerer Seren:
anſtalten beeinfluſſen — an Stelle der alten, durch
Mauern und Gitter verwahrten, gefängnisähnlichen
Anſtalt trat faſt überall die moderne Irrenanſtalt:
freundliche Einzelgebäude, meiſt ohne Gitter, mit
großem Arbeitsbetrieb, mit der Möglichkeit großer
Bewegungsfreiheit — an Stelle des mechaniſchen
Zwanges iſt Arbeit, individuelle Behandlung, Be⸗
wegungsfreiheit, Gewöhnung an Recht und Sitte
getreten.
In Eglfing und Haar haben Vocke und Neit:
hardt techniſch, äſthetiſch und in ihren Einzelanlagen
pſychiatriſch vorbildliche Anſtalten geſchaffen; unter
der Leitung von Kundt und Haug iſt eine ſchöne
Anſtalt in Mainkofen entſtanden, unter der Leitung
Prinzings in Günzburg im Entſtehen begriffen,
Homburg, Lohr, Wöllershof, Kutzenberg, Ansbach,
Gaberſee ſind in dieſem Sinne erbaut. Dank einer ziel:
bewußten Führung hat ſich unſere bayriſche Irren⸗
fürſorge in den letzten Jahren in erfreulichſter Weiſe
entwickelt.
Für unſer Verhältnis zur Rechtspflege mußten
ſich aus alledem weſentliche Veränderungen ergeben:
Während früher nur ein verſchwindend kleiner
Bruchteil der Inſaſſen einen Geiſteszuſtand auf⸗
wies, der ſie noch fähig der freien Willensbeſtimmung
erſcheinen ließ, iſt der Prozentſatz dieſer Kranken
in raſch fortſchreitender Zunahme begriffen; wäh:
rend die Kranken früher peinlich hinter Schloß
und Riegel verwahrt wurden, trat ein zunehmend
großer Prozentſatz in Berührung mit der Außenwelt.
Es gibt Anſtalten, die 50 bis 60/0 ihrer Kranken
vollkommene Bewegungsfreiheit in dem ja meiſt
mehrere 100 Tagwerk großen Anſtaltsgebiet, 10
bis 20 %/o ber Inſaſſen auch außerhalb des Anſtalts⸗
gebietes mit oder ohne Begleitung geſtatten.“)
Während früher unſere Rechtspflege an der
Schwelle der Irrenanſtalt gewiſſermaßen Halt
machen konnte, iſt dieſe Schranke gefallen. Jedem
Kranken, der nicht vollſtändig der freien Willens⸗
beſtimmung beraubt iſt, ſteht der Weg zum Richter,
zum Rechtsanwalt offen.
Die Vorteile, die unſeren Anftalten aus dieſem
Verkehre erwachſen, können gar nicht hoch genug
eingeſchätzt werden. Unſer Perſonal, an deſſen
Geduld und Hingebung ja oft faſt unerträgliche
Anforderungen geſtellt werden, fühlt ſich ſtets unter
der Aufficht des Geſetzes, unſere Kranken werden
daran gewöhnt, nicht den Weg roher Gewalt, ſon⸗
dern den des Rechtes zu gehen; ſie fühlen, daß
ſie nicht mehr außerhalb des Kreiſes der Geſetze,
ſondern daß ſie unter dem Schutze des Geſetzes
ſtehen, dafür aber auch der ſtrafenden Hand des
Geſetzes nicht unter allen Umſtänden entzogen find.
Dieſer wachſende Zugang auch von leichten
Kranken war ebenſo die Urſache als der Ausdruck
einer Erſcheinung, die für das Verhältnis zwiſchen
Rechtspflege und Pſychiatrie von größter Bedeu⸗
tung war. Die Auffaſſung des Begriffes „Geiſtes⸗
krankheit“ iſt in den letzten Jahrzehnten im Volks⸗
bewußtſein eine verfeinerte geworden; breite Schichten
wiſſen, daß man nicht tobſüchtig zu ſein braucht,
um in eine Irrenanſtalt zu kommen, wiſſen, daß
unfinniges Benehmen nicht in allen Fallen von
Geiſteskrankheit dauernd ſofort erkennbar in die
Erſcheinung tritt. Bis in breite Schichten iſt die
Erkenntnis gedrungen, daß es geiſtige Störungen
gibt, welche die geiſtige Gemeinſchaft zwiſchen Ehe⸗
gatten mehr trennen als der geiſtige und leib⸗
liche Tod.
9 Ich habe kürzlich einen Herrn, der ſeit über 4 Jahren
in der Anſtalt iſt, in Begleitung eines Pflegers nach
München reiſen laſſen, um eine kleine, von ihm in der An⸗
ſtalt gemachte Erfindung auszunützen. — An einem Garten⸗
feft in dem ½ Stunde von der Anſtalt Erlangen entfernten
Sieglitzhof konnten 300 Kranke = über / (36%) der Geiſtes⸗
kranken der Anftalt Erlangen teilnehmen. — 16% der
Verpflegten dürfen Spaziergänge außerhalb der Anſtalt
unternehmen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 85
Es lag nahe, daß ſich damit auch eine ver⸗
feinerte Auffaſſung des juriſtiſchen Begriffes der
Ausſchließung der freien Willensbeſtimmung, der
geiſtigen Gemeinſchaft, der Unfähigleit zur Be⸗
ſorgung der Angelegenheiten uſw. anbahnen mußte.
Dieſe verfeinerte Auffaſſung kam zum Ausdruck in
der Gefeßgebung?), in der Rechtſprechung'), in der
Zunahme der Fälle, in denen das Vorliegen eines
zweifelhaften Geiſteszuſtandes erkannt und die pſy⸗
chiatriſche Begutachtung angeordnet wurde.)
Dieſe verfeinerte Auffaſſung entſpricht einer fort⸗
ſchreitenden Entwicklung unſeres ganzen Volkslebens
und iſt von uns allen, beſonders von den Pſychiatern
aufs Freudigſte begrüßt und gefördert worden.
Auch unſere Wiſſenſchaft hat aus der Beobach⸗
tung der unſeren Anſtalten allmählich zugehenden
leichteren Störungen eine Fülle von Erfahrungen
und Fortſchritten geſchöpft — neben den ſchon lange
bekannten, wenn auch meiſt anders benannten
ſchweren Geiſteskrankheiten gelang es, weſensgleiche
Züge auch unter den leichten Störungen zu finden
und ſie zu kliniſchen Krankheitsgruppen zuſammen⸗
zufaſſen. Die verfeinerten Unterſuchungsmethoden
geſtatteten uns den Nachweis auch leichterer Stoͤ⸗
rungen; ſie geſtatteten den ſtrengen Nachweis, daß
der Rauſch, wiſſenſchaftlich geſprochen, eine vorüber⸗
gehende Geiſteskrankheit iſt, die in der Regel er⸗
hebliche Störungen mit ſich bringt; ſie geſtatteten
den Nachweis der pathologiſchen Erſcheinungen bei
dauerndem Alkoholgenuß.
Und darin, daß etwa zu gleicher Zeit das Volks⸗
bewußtſein eine verfeinerte Auslegung der richter⸗
lichen Vorausſetzung des Begriffes der freien
Willensbeſtimmung und die Wiſſenſchaft eine be⸗
trächtliche Erweiterung des wiſſenſchaftlichen
Begriffes der Geiſteskrankheit brachten, lag eine ge⸗
wiſſe Gefahr; die Gefahr, daß nicht nur der Richter
den Begriff des Ausſchluſſes der freien Willens⸗
beſtimmung, ſondern auch der Pſychiater den Be⸗
griff der Geiſteskrankheit, der krankhaften Störung
der Geiſtestätigkeit weſentlich weiter faßt, ſo daß der
gleiche Gedanke doppelt zur Wirkung gelangt.
Es lag für den Pſychiater ja nahe, die leichteren,
kliniſch als Krankheit gut abgegrenzten Zuſtände
auch forenſiſch als Geiſteskrankheiten zu bezeichnen,
ja ſogar ſchließlich aus der bloßen Tatſache des
Nachweiſes pathologiſcher Züge den Ausſchluß der
freien Willensbeſtimmung zu folgern.
Die überwältigende Mehrzahl der Piychiater
hat die darin liegende Gefahr raſch erkannt und
bald vermieden.
) Ich erinnere an die Einführung der Entmün⸗
digung wegen Geiſtesſchwäche.
5 erinnere an die erweiterte Ausdehnung des
Begriffes der Aufhebung der ehelichen Gemeinſchaft.
1) Ich erinnere daran, daß in Preußen in den
Jahren 1904 und 1905 durchſchnittlich 457, in den
Jahren 1906 mit 1908 dagegen durchſchnittlich 576 Fälle
zweifelhaften Geiſteszuſtandes zur Beobachtung einer
Irrenanſtalt zugewieſen wurden.
86
—
1215 wurden dabei von folgenden Erwägungen
geleitet:
1. Geſetzgeber und Rechtſprechung haben den
Kreis der Zuftände begrenzt, die wir als krank⸗
hafte Störung der Geiſtestätigkeit bezeichnen dürfen.
2. Die Zahl der Geiſteskranken und pſychopa⸗
thiſch minderwertigen Perſonen iſt ſehr groß; wir
dürfen annehmen, daß in unſeren Kulturländern
auf mindeſtens 200 Menſchen ein Geiſteskranker
im engeren Sinne des Wortes, auf mindeſtens
20 Perſonen eine geiſteskranke oder pſychopathiſch
minderwertige Perſönlichkeit trifft. London hatte
1906 auf 185 Einwohner, Irland 1906 auf 188
Einwohner je einen anſtaltsverpflegten Geiſteskranken.
Der Kanton Zürich hatte 1911 je einen anſtalts⸗
verpflegien Geiſteskranken auf 233, Hamburg 1911
je einen auf 276, England 1906 je einen auf
287 Einwohner.“)
Zu diefen Geiſteskranken kommen die geiſtig ab⸗
normen Minderwertigen; wir werden uns ihre Zahl
am beſten klar machen, wenn wir von der Kind⸗
heit ausgehen: Wir haben da
a) die leicht Schwachſinnigen, die in den Städ⸗
ten unſere Hilfsklaſſen bevölkern. Ihre Zahl iſt
mindeſtens auf 1 zu 100 zu ſchätzen. Sie bilden
einen Teil der
b) geiſtig nicht normalen Kinder, deren Koller
im Kanton Appenzell auf je 23 Kinder eines nach⸗
weiſen konnte. Zu dieſen geiſtig nicht normalen
Kindern kommen im jpäteren Lebensalter hinzu
c) die Epileptiker, ſoweit die Krankheit nach
dem Kindesalter beginnt oder offenbar wird und
nicht zur Anſtaltsbehandlung führt:
d) die zahlreichen, nicht in Anftalten befind⸗
lichen Trinker,) Berauſchten und die Menſchen mit
pathologiſcher Alkoholreaktion;
e) die große Zahl der aus den Anſtalten mit
leichtem Defekt Entlaſſenen und derer, die früher
leichte Störungen ohne Anſtaltsbehandlung durch⸗
machten ;'°)
f) die große Zahl der durch Greiſenalter oder
Gefaͤß veränderungen (Schlaganfall) pſychiſch Ge⸗
ſchwächten, die nicht in Irrenanſtalten gelangen;
g) die pſychopathiſch Minderwertigen, ſoweit
deren Störung im weſentlichen erſt nach Abſchluß
der Schulzeit hervortritt;
h) die in Anſtalten untergebrachten Geiſtes⸗
kranken, Epileptiker, Schwachſinnigen, Trinker.
Dabei iſt allerdings zu berückſichtigen, daß die
Mehrzahl der ſpäter Hinzukommenden aus den
Kreiſen der nicht normalen Kinder hervorgehen
wird und daß bei den älteren Schulkindern (unter
dem Einfluſſe der Geſchlechtsreife) eine möglicher⸗
weile ſpaͤter in einzelnen Fällen zurücktretende pſy⸗
chopathiſche Minderwertigkeit hervortreten kann.
2) Siehe dazu die Tafel III (S. 84).
In Deutſchland mindeſtens 460000, darunter
20 000 weibliche; auf etwa 40 Männer 1 Trinker.
10) Ich erinnere an die Fieberdelirien, Alkohol⸗
delirien, leichte Störungen im Wochenbett.
— ——— ꝗöt:Pã——— — — —— —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
Sichere Angaben über die Prozentzahl der
Minderwertigen, gewonnen durch eine gleichmäßige
Durchmuſterung der Bevölkerung, beſitzen wir nicht,
immerhin konnte Cramer nachweiſen, daß ſich in
Göttingen unter 1000 Studierenden 80 geiſtig
Minderwertige befanden, d. h. auf 13 Studierende
1 geiſtig Minderwertiger. Dieſe Prozentziffer gibt
nur die Minderwertigen wieder, die ſelbſt die
Sprechſtunde Cramers aufjuchten, vernadjläffigt die
Zahl derer, welche andere Aerzte zu Rate zogen
oder nicht zum Arzt gingen.
Bei der Würdigung dieſer Ziffer iſt zu be⸗
rückſichtigen, daß die leichten Schwachſinnszuſtände
wohl ſchon ausgeſchaltet ſind. Nach Büttner erreichen
durchſchnittlich nur 20 °/0 der ins Gymnaſium Ein⸗
getretenen ihr Ziel. Es iſt ferner zu berüdfichtigen,
daß es ſich bei den Studenten überwiegend um
Elemente handelt, die einer Anzahl von Schädlich⸗
keiten weniger ausgeſetzt ſind, als der Durchſchnitt
der Bevölkerung. Andererſeits iſt die Nachwirkung
der Geſchlechtsreife und die Gefahr der vorwiegend
einſeitig geiſtigen Betätigung zu würdigen.
Gegen eine zu weit gehende Ausdehnung der
Exkulpierung ſprach ferner der Umſtand, daß
3. die Kriminalität der geiſtig abnormen Per⸗
ſönlichkeiten ganz weſentlich höher iſt, als dem
Durchſchnitte der Bevölkerung entſprechen würde.
Nach Mönckemöller litten von 200 noch nicht
25 Jahre alten Zöglingen der Erziehungsanſtalt
Lichtenberg bei Berlin mehr als die Hälfte an
angeborenem Schwachſinn. ““)
Cramer konnte unter 286 Zöglingen von 4 han⸗
noverſchen Fürſorgeerziehungsanſtalten 63°/o geiftig
Abnorme; Rizor unter 789 Fürſorgezöglingen Weſt⸗
falens 691 Schwachſinnige; Knecht unter 172
männlichen Fürſorgezöglingen in Pommern 437%,
unter 73 weiblichen 66°/o geiſtig Minderwertige;
Kluge 45—50 % defekte und abnorme Zöglinge;
Thoma bei 620 badiſchen Zöglingen 51,9 geiftig
Abnorme nachweiſen.
Von 1793 entlaſſenen Fürſorgezöglingen der
Provinz Sachſen haben ſich nur 58% Ä ber männ⸗
lichen, 79,4% der weiblichen ſeit 2 Jahren ſtraf⸗
frei gehalten. Ende 1908 befanden ſich von den
in Fürſorgeerziehung befindlichen Jugendlichen in
Preußen 9,3 eo im Strafvollzug; von der Be⸗
völkerung durchſchnittlich 1,3 ß = d. h. Fürſorge⸗
zöglinge etwa 7 mal mehr als dem Bevöͤlkerungs⸗
Durchſchnitt entſpricht.
Von 8008 i. J. 1909 der Fürſorgeerziehung
in Preußen überwieſenen Zöglingen waren 28,9%
beſtraft, 21,1 °/o mit Gefängnis beſtraft. Für Ber:
lin entfällt auf 296 Minderjährige zwiſchen 14 und
18 Jahren bereits ein Fürſorgezögling.
Bonhoeffer konnte unter 404 Vagabunden
ein Drittel und unter ca. 190 Proſtituierten
faſt ein Drittel allein an Schwachſinnigen nachweiſen.
Unter den 190 von Bonhoeffer unterſuchten Proſti⸗
— —— —ä nn
11) Siehe zum Folgenden Tafel IV (Seite 87).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
Tafel IV. Prozente der Abnormen unter der Bevölkerung,
den Fürſorgezögling.. 50 Proſtituierten und in
nſtalten.
18 fürforgezöglinge froſtituierte
taten
der
ı De und
Hannes WefrtzenlPamimernl Bogen. |Sor*öfer} Millor] Sichel | An
AG ;
|
Infaßen
95
H
O
5
tuierten waren 68% geiftig nicht normal; “Müller:
Köln fand 80 %% Minderwertige; Sichel⸗Frankfurt
fand unter 152 Proftituierten 71,7% Perſonen ano:
malen Geiſteszuſtandes. Andererſeits fand Thomſen
in England unter 943 Gefangenen nicht weniger
als 218 = 23,1 %ũ Fälle allein von angeborenem
Schwachſinn.
Unter den 3134 Büßern, welche in den
Jahren 1902 mit 1905 durchſchnittlich in preu⸗
ßiſchen Zuchthäuſern untergebracht waren, befanden
ſich allein durchſchnittlich 768 = 24,7 %% Gewohn⸗
heitstrinker und zwar bemerkenswerterweiſe bei den
Männern 24,4%, bei den Frauen 24,5% , während
im Bevölkerungsdurchſchnitt der Prozentſatz der
weiblichen Trinker weit hinter dem der Männer
zurückbleibt.
Nach Sichard fanden ſich unter ſeinen Zucht⸗
hausſträflingen allein 29,5% Gewohnheitstrinker
und zwar unter den Brandſtiftern 34%, unter
den Sittlichkeitsverbrechern 36/0. Eine Durd:
muſterung der Häftlinge der 3 brandenburgiſchen
Landesarmen⸗ und Korrigenden anſtalten
ergab unter 658 Häftlingen 42 Imbezille, 225
Trinker, 140 Geiſteskranke, 189 = 28,7 % ÿaus⸗
geſprochen geiſteskranke, 201 = 30,5 %%
—— — 4 — ¾l—l———— X— ———
87
pſychopathiſch minderwertige, insgeſamt
59,2 °/o geiſtig defekte Häftlinge.
Nach Siemerling finden ſich unter ben ver:
brecheriſchen Perſouen Geiſteskranke 10 mal ſo
häufig als im Bevölkerungsdurchſchnitt.
Nehmen wir das gleiche Verhältnis auch für die
geiſtig Minderwertigen an, ſo würde auf 20 Rechts⸗
brecher ein Geiſteskranker, auf 2 ein geiſtig Minder⸗
wertiger treffen.
Bonhoeffer und Aschaffenburg nehmen an, daß
ſich unter den Rückfälligen 75% Minderwertige
befinden — nach unſeren Ausführungen iſt dieſe
Ziffer ſicher nicht zu hoch, ſie iſt vielleicht noch zu
nieder gegriffen.
Wir ſehen alſo, daß in den Kreiſen, aus denen
erfahrungsgemäß die meiſten Rechtsbrecher hervor⸗
gehen, die geiſtigen Defektzuſtände auffallend ſtark
vertreten ſind und wir ſehen, daß fich unter den
Beſtraſten ein ſehr hoher Prozentſatz mit Defekt⸗
zuſtänden befindet.
Die große Kriminalität der Berauſchten
iſt ja allgemein bekannt, ich darf vielleicht nur
daran erinnern, daß in Bayern über 11°/o aller
Verurteilungen wegen Verbrechen und Vergehen
auf Grund von ſtrafbaren Handlungen erfolgen,
die im Zuſtande der Trunkenheit begangen wurden;
ich darf erinnern, daß in Bayern von den Verur⸗
teilungen wegen ſchwerer Körperverletzung und
Körperverletzung mit Todesfolge /s, von den
Verurteilungen wegen Religionsvergehen und wegen
Widerſtand die Hälfte, wegen e und
gefährlicher Körperverletzung etwa /s wegen Hand⸗
lungen im Zuſtande der Trunkenheit erfolgte.“)
Ich darf daran erinnern, daß von 249 Gefangenen,
die 1906 im pommerſchen Bentralgefängnis Gollnow
untergebracht waren, 170 68,3 / ihre Tat in der
Trunkenheit oder infolge der Trunkſucht verübten.
Alle die oben erwähnten Zuſtände, insbeſondere
auch den Rauſch kann man als Geiſteskrankheit
12) Aus den Veröffentlichungen der bayeriſchen Juſtiz⸗
ſtatiſtik für 1911 und 1912 ergibt ſich folgende Ueberſicht:
Von den ſtrafbaren
Verurteilungen
e. e : e BEE
überhaupt 76062 8571
wegen 1 Körper⸗[ 14123 3303
wegen Religtonsvergehen 71 32 u
wegen Widerſtands u. dgl. | 1491 609
0 Sachbeſchädigung 1 2269 651 .
Dabei iſt zu berückſichtigen, daß dieſe Statiſtik ſich
auf die Fälle beſchränkt, in denen der Einfluß des Alko⸗
holgenuſſes auf die ſtrafbare Handlung im Urteil feit-
geſtellt wurde. Daneben kommen natürlich zahlreiche
Fälle vor, bei denen dieſer Einfluß nicht mit Sicher⸗
heit ermittelt werden konnte.
88
im weiteſten wiſſenſchaftlichen Sinn des Wortes
bezeichnen; wiſſenſchaſtlich geſprochen kann man bei
ihnen faſt durchgehends die Fähigkeit zur freien
Willeusbeſtimmung im weiteſten Sinne des Wortes
unter den Umftänden, unter denen ſtrafbare Hand⸗
lungen vor ſich gehen, zum mindeſten nicht beweiſen.
Würden wir dieſen wiſſenſchaftlichen Standpunkt
für die Rechtſprechung annehmen, fo würden die
gewohnheitsmäßigen Rechtsbrecher bald faſt aus⸗
nahmslos, die übrigen zu einem erheblichen Prozent:
ſatz zu exkulpieren ſein. Praktiſch würde eine ſolche
allgemeine Exkulpierung kaum andere Folgen haben,
als daß an Stelle der Strafe eine ſichernde Ver⸗
wahrung treten müßte, die Strafanftalten vielleicht
einen anderen Namen erhalten würden, im übrigen
aber nach wie vor die Rechtsbrecher aufnehmen
müßten.
Wir modernen Pſychiater wünſchen naturgemäß
auch den zahlreichen anomalen Rechtsbrechern zu
helfen, wir ſehen aber den einzig möglichen Weg
zu dieſer Hilfe nicht in der allgemeinen Exkulpierung,
ſondern in der beſonderen Berückſichtigung im Straſ⸗
vollzug. Und damit glauben wir der Allgemein⸗
heit wie den pathologiſchen Verbrechern zu dienen:
der Allgemeinheit, indem wir den tief im Volks⸗
bewußtſein wurzelnden Sühnegedanken nicht antaſten,
den Rechtsbrechern, indem wir ihnen in der Regel
die zeitlich begrenzte Strafe an Stelle der ſonſt
zu erwartenden unabſehbaren Verwahrung erhalten.
Wir meinen, man muß ſich doch ſtets fragen:
Würden denn unſere pſychiatriſch geleiteten Anſtalten
genügen, um in ihnen allen in jenem Umfange exkul⸗
pierten Rechtsbrechern eine Heilerziehung, eine Heil⸗
behandlung zuteil werden zu laſſen?
Und da müſſen wir ſagen: Unſere Irrenfürſorge
iſt im Vergleich zu England, Schottland, Irland noch
quantitativ ſo wenig entwickelt, daß wir auf Jahr⸗
zehnte hinaus nicht daran denken können, in großem
Umfange exkulpierte Rechtsbrecher aufzunehmen.
Wenn wir in Deutſchland die quantitative
Anſtaltsfürſorge Englands von 1906 erreichen
wollen, müſſen wir in Deutſchland 80 000 neue
Anſtaltsplätze zu den vorhandenen 133000 hinzu
bereitſtellen; das bedeutet, 1 Krankenbett zu 6000 /
angenommen, rund 500 Millionen Mark für Bau
allein, die nur allmählich, im Laufe längerer Jahre
bereitgeſtellt werden können.
Man muß ſich weiter fragen, ob wir von einer
Irrenanſtaltsbehandlung aller anomalen Rechts—
brecher eine weſentlich größere Beſſerungswahr—
ſcheinlichkeit in krimineller, eine erheblich beſſere
Heilungs möglichkeit in medizinischer Hinſicht zu er:
warten haben würden, als durch den Strafvollzug?
Auch dieſe Frage iſt — abgeſehen von den
Jugendlichen — im allgemeinen zu verneinen.
In dem Alter, in dem die anomalen Verbrecher
gewöhnlich ſtehen, kann die Anſtaltsbehandlung
verhältnismäßig ſelten mehr leiſten als der neu:
zeitliche, ärztlich beratene Strafvollzug, zumal
die trotz aller Mahnungen immer zunehmende
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
Größe unſerer Irrenanſtalten eine individuelle Be⸗
handlung erſchwert. Uneingeſchraͤnkt zuzugeben ift,
daß ein rückſichtslos und nur unter dem Geſichts⸗
winkel des Vergeltungsgrundſatzes geleiteter Straf⸗
vollzug für viele pſychopathiſch Minderwertige er⸗
hebliche Gefahren in ſich bergen würde.
Andererſeits birgt auch die Irrenanſtaltsbehand⸗
lung für viele pſychopathiſch Minderwertige Gefahren
und Nachteile in ſich. So, wie die Kranken unſerer
Irrenanſtalten jetzt beſchaffen ſind und auch auf
Jahrzehnte hinaus noch ſein werden, ſtehen die
anomalen Verbrecher ſehr häufig geiſtig weit über
unſeren übrigen Anſtaltsinſaſſen; dadurch erlangen
ſie — die im Leben ſich aus eigener Kraft in der
Regel kaum zu halten vermögen — in der Anſtalt
eine gewiſſe beherrſchende Stellung, da unter Blinden
der Einäugige König iſt. Der Krankenhauscharakter
unſerer Anſtalten bringt es mit ſich, daß Beleidi⸗
gungen, Angriffe durch Irrenanſtaltsinſaſſen gegen
Behörden, Aerzte, Angeſtellte meiſt ohne Gegen⸗
wehr hingenommen, vorgebrachte Beſchwerden
ſtets verfolgt, die Wünſche, ſchon um des lieben
Friedens willen, nach Möglichkeit erfüllt und die
Rechtsbrecher ſo in bezug auf Unterkunft, Ver⸗
köſtigung, Vergnügungen, Behandlung, Erfüllung
ihrer Wünſche, geſellſchaftliche Stellung, an An⸗
ſprüche gewöhnt werden, die ſie zum Kampfe ums
Daſein vollends untüchtig machen; ihr meiſt ge⸗
hobenes Selbſtgefühl, ihre vielfach vorhandenen
querulatoriſchen Neigungen ſteigern ſich, das Be⸗
wußtſein der ſicheren Straflofigkeit laßt die Hem⸗
mungen gegen verbrecheriſche Antriebe ſchwinden.
Dazu kommt: Da die Pſpychopathen ihre aſo⸗
zialen Neigungen auch in der Anſtalt betätigen,
zu Hetzereien, Komplotten, Fluchtverſuchen neigen,
können ſie nicht alle dauernd entſprechend ihrem
geiſtigen Zuſtand in den Abteilungen für leicht
Erkrankte gehalten werden, die Verpflegung in den
Abteilungen für ſchwer Kranke aber iſt in der Regel,
beſonders in alten und überfüllten Anſtalten, für
Pſychopathen weit ſchlechter als der Aufenthalt in
einer nach neuzeitlichen Grundſaͤtzen geleiteten Straf⸗
vollzugsanſtalt. Zugegeben, daß der Pſychopath
im Strafvollzug manches ſieht und hört, was nicht
gut für ihn iſt — in der Irrenanſtalt wird das
noch öfter der Fall ſein. Endlich ſcheint es, daß
gerade die unabſehbare und auch durch Wohlver⸗
halten nicht ſicher abkürzbare Dauer des Aufent⸗
haltes in der Irrenanſtalt für die pſychopathiſchen
Perſönlichkeiten vielfach etwas ſtark Aufregendes
hat und ſchlechter vertragen und ſchwerer emp:
funden wird, als eine zeitlich begrenzte Strafe.
Nur andeutungsweiſe will ich davon reden, daß
in einzelnen Fallen der Wunſch nach Exkulpierung
einen gewiſſen Willen zur Krankheit auslöſen und
ſo zur Entſtehung von ſog. Situationspſychoſen
mitwirken, d. h. einen eine echte Geiſteskrankheit
auslöſenden Umſtand bilden kann.
Schließlich darf ich nicht unerwähnt laſſen, daß
es für einen entlaſſenen Gefangenen zwar oft nicht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. b.
leicht, für einen aus der Irrenanſtalt entlaſſenen
Rechtsbrecher in der Regel aber noch ſehr viel ſchwerer
iſt Arbeit zu finden, zumal da bei uns in Bayern
wohl für entlaſſene Gefangene, nicht aber für ent⸗
laſſene Geiſteskranke Fürſorgeeinrichtungen beſtehen,
zumal da wohl der Gefangene für feine Tätigkeit
Lohn erhält und ſich beim Austritt im Beſitze einer
wenn auch kleinen Summe ſieht, nicht aber der An⸗
ſtaltsinſaſſe.
Alles in allem müſſen wir fagen: Für einen
nicht kleinen Prozentſatz der minderwertigen Rechts⸗
brecher iſt der Strafvollzug gut und heilſam.
Die Mehrzahl der Minderwertigen erträgt den
Strafvollzug ohne Schaden. Ein Reſt von Minder⸗
wertigen erträgt den Strafvollzug, wenn der patho⸗
logiſchen Veranlagung bei der Durchführung des
Strafvollzuges Rechnung getragen wird.
Vereinzelte Pſychopathen find im Straſpollzuge
nicht zu halten.
— SS
Der Entwurf zum StGB. hat den
einzigen Weg eingeſchlagen, der allen dieſen Ver⸗
hältniſſen Rechnung trägt:
Er behalt unter genauerer Faſſung die bis⸗
herigen Vorausſetzungen fürdie Unzurechnungs⸗
fähigkeit im weſentlichen bei, d. h. er erweitert
den Kreis der zu Exkulpierenden im weſentlichen
nicht unmittelbar, er erwahnt nur neben der krank⸗
haften Störung der Geiſtestätigkeit ausdrücklich die
Geiſtesſchwäche, deren höhere Grade ſchon jetzt ja
allgemein als krankhafte Störung der Geiftestätigfeit
aufgefaßt werden; er verlangt Einſicht oder freie
Willensbeſtimmung als Vorausſetzungen des ſchuld⸗
haften Handelns. Damit aber, daß er die untere
Altersgrenze für ſchuldhaftes Handeln auf 14 Jahre
erhöht, geſtattet er dem Richter und dem Pſychiater
den Begriff beſonders der Geiſtesſchwaͤche weiter zu
faſſen und er geſtattet nach den Motiven zum Ent⸗
wurf auch angeborene pathologiſche Veranlagung in
größerem Umfange zu berüdfichtigen.
„Nicht ſchuldhaft handelt, wer zur Zeit der
Tat wegen Bewußtloſigkeit, wegen krankhafter
Störung der Geiſtestätigkeit oder wegen Geiſtes⸗
ſchwäche unfähig iſt, das Ungeſetzliche der Tat ein⸗
zuſehen, oder ſeinen Willen dieſer Einſicht gemäß
zu beſtimmen.“
Als wichtigſte Neuerung aber bringt der Ent⸗
wurf die Anerkennung der geminderten Zu⸗
rechnungsfähigkeit als obligatoriſchen Straf⸗
milderungsgrund, wenn die Fähigkeit aus einem
der mediziniſchen Gründe in hohem Maße ver⸗
mindert war, außer bei ſelbſtverſchuldeter Trunkenheit.
Todesſtrafe iſt beim gemindert Zurechnungs⸗
fähigen ausgeſchloſſen. An ihre Stelle tritt Zuchthaus.
An Stelle des Zuchthauſes kann Gefängnis
treten. Es kann auf das geſetzliche Mindeſtmaß der
Strafart herabgegangen werden. In beſonders
leichten Fällen kann von Strafe abgeſehen werden.
Strafverſchärfungen find unzulaͤſſig.
89
Bei der Vollſtreckung von Freiheitsſtrafen gegen
gemindert Zurechnungsſähige iſt deren Geiſteszuſtand
zu berückſichtigen. Wenn dieſer es erfordert, find
die Gefangenen in beſonderen Anſtalten oder Ab⸗
teilungen unterzubringen.
Es iſt demnach die Beſtrafung der geiſtig
Minderwertigen beibehalten, aber es ſind alle Vor⸗
kehrungen getroffen, die Möglichkeit einer Schädi⸗
gung des Minderwertigen durch die Strafe aus⸗
zuſchließen.
Der großen und überaus unheilvollen Bedeu⸗
tung, welche die Trunkſucht und der Rauſch
für die Kriminalität haben, iſt in einer Anzahl von
Beſtimmungen Rechnung getragen.
Selbſtverſchuldete Trunkenheit iſt kein Straf⸗
milderungsgrund. Damit iſt die Möglichkeit abge⸗
ſchnitten, ſich mildernde Umſtande anzutrinken. Sf
die Trunkenheit jo ſtark, daß wegen Bewußtlofigkeit
die Zurechnungsfähigkeit ausgeſchloſſen werden muß,
ſo entgeht der Täter trotzdem nicht einer Strafe.
Wer ſich durch eigenes Verſchulden in Trunken⸗
heit verſetzt, wird mit Gefängnis bis zu zwei
Jahren beſtraft, wenn er in der Trunkenheit ein
Verbrechen begeht, wegen deſſen er nicht be⸗
ſtraft werden kann.
Wer ſich durch eigenes Verſchulden in Trunken⸗
heit verſetzt, wird mit Haft oder Geldſtrafe bis zu
500 M beſtraft, wenn er in dieſem Zuſtand ein
Vergehen begeht.
Gegen den Zäter kann, wenn er auch ſonſt
Neigung zu Ausſchweifungen im Trinken gezeigt
hat, neben Verweis, Geldſtrafe und Freiheits⸗
ſtrafe von nicht mehr als 6 Monaten Wirts⸗
hausverbot für die Dauer von 3 Monaten bis
zu einem Jahre erlaſſen werden. Gegen einen
trunkſüchtigen Täter, der die Tat in der Trunken⸗
heit begangen hat, kann das Gericht neben einer
Freiheitsſtrafe auf Unterbringung in einer Trinker⸗
heilanſtalt erkennen, wenn die Strafe erforderlich
erſcheint, um ihn an ein geſetzmäßiges und ge:
ordnetes Leben zu gewöhnen.
Mit dem Wirtshausverbot, das ja auf dem
Lande immer eine gewiſſe Wirkſamkeit haben wird,
vor allem aber mit der Möglichkeit der Unter⸗
bringung in einer Trinkerheilanſtalt neben einer
Freiheitsſtrafe iſt das Uebel an der Wurzel gefaßt
— zur Strafe tritt die beſſernde und heilende
Maßnahme ergänzend hinzu.
Nach unſeren Erfahrungen iſt bei Trinkern
im Durchſchnitt ein Erfolg nach einjähriger Heil⸗
ſtättenbehandlung zu hoffen; iſt nach zweijähriger
Behandlung ein Erfolg noch nicht eingetreten, ſo
iſt er in der Regel nicht mehr zu erwarten.
Dieſen Tatſachen trägt der Entwurf durch Be⸗
ſchrankung des Aufenthaltes in der Heilanſtalt bis zur
Erreichung des Zweckes der Maßnahme, höchſtens
aber auf die Dauer von 2 Jahren Rechnung.
Die Erfahrung hat gelehrt, daß der Trinker
auch nach der Heilſtättenbehandlung häufig rück⸗
fällig wird, wenn er nicht an ſeiner Umgebung
90 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
— . —
einen Rückhalt hat, wenn ihm nicht in der Furcht Die Erfüllung dieſer zweiten, in ihrem Kerne
vor erneutem Einſchreiten längere Zeit hindurch durchaus berechtigten Forderung ſcheint kinderleicht,
wirkſame Hemmungen geſetzt werden. Dieſer Tat⸗ ſie iſt aber unendlich ſchwer.
ſache trägt die Beſtimmung Rechnung, daß bei Sie iſt verhältnismäßig leicht bei den ausge⸗
einer Entlaſſung vor Ablauf von 2 Jahren be: ſprochenen Geiſteskrankheiten, wenngleich auch hier
ſondere Verpflichtungen auferlegt, die Stellung | aus der häufig vorhandenen Neigung zu Rückfällen
unter Schutzauſſicht angeordnet, die Entlaſſung ſich Schwierigkeiten ergeben; ſie iſt unendlich ſchwer
widerrufen werden kann, bis die 2 Jahre um ſind. bei den Grenzzuſtänden. Hier lernten wir Fälle
Statt Heilſtättenbehandlung kann auch nur Schutz⸗ | kennen, von denen wir jagen mußten: für gewiſſe
aufſicht verfügt werden. | Gruppen von ſtrafbaren Handlungen ift der Mann
Gehören die Jugendlichen auch ſtreng ge⸗ verantwortlich, für andere wieder ganz unzurech⸗
nommen nicht zur Pſychiatrie, jo mögen doch hier nungsfähig. Wir lernten Faͤlle kennen, in denen
die vorgeſehenen Beſtimmungen kurz erwähnt werden, der Täter, der ſonſt nur das Bild einer dauern⸗
da gerade unter den jugendlichen Rechtsbrechern den Minderwertigkeit zeigte, nach Entdeckung der
ſich viele Pſychopathen finden und da gerade die Für⸗ Tat oder in der Unterſuchungshaft, oder ein anderer
ſorge für ſie die größten Beſſerungsausſichten bietet. während der Verhandlung vorübergehend ausge⸗
|
|
Die untere Grenze für das ſchuldhafte Handeln ſprochene geiftige Störungen zeigte; wir lernten
iſt auf 14 Jahre hinaufgeſetzt. Falle kennen, in denen ein ſelbſt geringer Alkohol⸗
Nicht ſchuldhaft handelt der Jugendliche, wenn genuß, eine gemütliche Erregung hinreichten, die
er wegen zurückgebliebener Entwicklung oder mangels ſonſt gegebene Zurechnungsfähigkeit auszuſchließen.
geiſtiger oder ſittlicher Reife unfähig iſt, das Un⸗ Kurz, wir lernten Fälle kennen, deren Zurechnungs⸗
geſetzliche der Tat einzuſehen oder — eine ſehr fähigkeit zu verſchiedenen Zeiten, unter verſchiede⸗
danker swerte Erweiterung! — ſeinen Willen dieſer nen Umftänden, für verſchiedene ſtrafbare Hand⸗
Einſicht gemäß zu beſtimmen. Die Strafe für lungen ganz verſchieden beurteilt werden mußte.
Jugendliche iſt in der gleichen Weiſe wie für Wann kann man da von Heilung ſprechen?
Minderwertige zu mildern. Dem Richter iſt ein Wie kann man bei einem ſolchen Pſychopathen
abſoluter Erſatz der Strafe durch Erziehungsmaß⸗ für längere Zeiträume verſprechen, daß er ſich nicht
regeln ermöglicht, wenn er dieſe nach der Beſchaffen⸗ mehr gegen das Geſetz verfehlen wird? Und anderer:
heit der Tat und nach dem Charakter und der bisheri⸗ ſeits — dürfen wir dieſe Menſchen, die vielleicht
gen Führung des Jugendlichen für ausreichend erachtet. bisher nur kleine Verfehlungen begangen haben.
Jugendliche Gefangene ſind von Erwachſenen deren Minderwertigkeit in ſehr vielen Fällen
vollſtändig getrennt zu halten; ſie ſind, wenn ſie unheilbar und dauernd iſt, lebenslänglich ver⸗
eine Freiheitsſtrafe von 1 Monat und darüber zu wahren? Dürfen wir ſie vor allem dauernd ver⸗
verbüßen haben, in beſonderen, ausſchließlich für wahren, wenn fie durch den Aufenthalt in der
fie beſtimmten Anſtalten oder Abteilungen unter: Irrenanſtalt geſchädigt werden, wenn fie der An⸗
zubringen, in denen fie bis zur Volljährigkeit be: ſtaltsverwahrung mit Nachdruck widerſtreben!
laſſen werden können. Der Entwurf zum Strafgeſetzbuch bringt eine
Gegen den für unzurechnungsfähig oder ge- Löſung, welche die Intereſſen der Allgemeinheit
mindert zurechnungsfähig erklärten Jugendlichen wahrt, ohne dem Pſpchiater die Erfüllung der Pflich⸗
können Erziehungsmaßregeln eintreten, wenn dieſe | ten, die wir auch dem pathologiſchen Rechtsbrecher
erforderlich ſind, um den Jugendlichen an ein geſetz⸗ gegenüber haben, unmöglich zu machen.
mäßiges Leben zu gewöhnen. Auch kann er ge: Der Schutz der Allgemeinheit iſt ge⸗
gebenenfalls nach der Strafe bis zur Dauer von ſichert durch die Beſtimmung, daß das Gericht die
3 Jahren und nicht über das 21. Lebensjahr hin- Verwahrung des wegen fehlender Zurechnungs⸗
aus unter Schutzaufſicht geſtellt werden. Be on oder außer alis Bes
. eſetzten oder als gemindert zurechnungsfähig Ver⸗
Der Umſtand, daß in den letzten Dezennien urteilten nach Abbuͤßung der Strafe in einer öffent⸗
recht häufig Exkulpierte einer Irrenanſtalt entweder lichen Heil- und Pflegeanſtalt anordnen kann.
gar nicht zugeführt oder aus ihr nach kurzer Zeit J
s . Die Intereſſen des Kranken ſind gewahrt
ll „ um 1 1 er dadurch, daß dieſe Maßnahme nicht obligatoriſch
ungen zu begehen, erneut exkulpiert, erneut aufs |; J ; :
genommen und wieder entlaſſen zu werden, hat it. dadurch, daß ihre Anordnung an die Voraus
in weiten Kreiſen Beunruhigung hervorgerufen. 12) Dieſe Forderung iſt nichts anderes als die vom
R Volke unbewußt gefundene Folge der wiſſenſchaftlichen Er-
: Unter dem Eindrude ſolcher fich vorübergehend kenntnis. daß die Exkulpierung parallel gehen muß der
hier oder dort häufender, durch Exkulpierte begange⸗ Entwicklung der Anſtaltsfürſorge. Da, wo die Exkul⸗
ner Delikte iſt die Forderung aufgeſtellt worden: | pierung der Entwicklung der Anſtaltsfürſorge voraneilt,
Der geſunde Rechtsbrecher gehört in die Straf- | gelangen Perſonen in unſere Anſtalten, die jo weit über
mn og: dem durchſchnutlichen geiſtigen Niveau der anderen An
anftalt, der geiſteskranke aber jo lange in die Irren⸗ an eh: a e lanser Dauetude Werwak:
anſtalt, bis er geheilt iſt oder nicht mehr zu ver: rung in der Anſtalt unmöglich iſt — und das widers
brecheriſcher Betätigung neigt.“) ſtrebt dem Rechtsempfinden des Volkes.
——
ſetzung gebunden ift, daß die öffentliche Sicherheit
dieſe Verwahrung erfordert, dadurch, daß die Ver⸗
wahrung nur durch Gerichtsbeſchluß über 2 Jahre
ausgedehnt werden und zunächſt nur für eine
raͤumlich begrenzte Zeit verfügt werden darf, nach
deren Ablauf neuer Gerichtsbeſchluß herbeizuführen
iſt, und endlich dadurch, daß die Verwahrung durch
Schutzaufſicht erſetzt werden kann.
Mit der Schutzaufſicht hat der Entwurf
zum Strafgeſetzbuch eine Einrichtung vorgeſchlagen,
die — mutatis mutandis — auch für unſere Irren⸗
ſürſorge nicht eine Forderung, ſondern ich möchte
ſagen, geradezu die Forderung des Tages darſtellt.
Wie lagen bisher die Verhältniſſe? Der in der
Irrenanſtalt ſorgfältigſt vor allen Schaͤdlichkeiten
Behütete war mit dem Augenblicke der Entlaſſung
vollſtändig auf ſich, auf die eigene Kraft angewieſen —
ein gewaltiger Sprung, etwa wie von einem Gym⸗
naſium, das jeden Wirtshausbeſuch verbietet, zur
akademiſchen Freiheit. Zugegeben, daß es in vielen
Gegenden Deutſchlands Hilfsvereine für entlaſſene
Geiſteskranke gibt, die z. B. in Heſſen, Baden,
Rheinprovinz vorzügliches leiſten — in Heſſen
verteilte der Verein 1911/12 36870 M Unter:
ſtützungen — die genaue Kenntnis des Kranken,
die ſich die Irrenanſtalt erwirbt, die Machtfülle,
die ſich in der Irrenanſtalt dem Kranken gegen⸗
über verkörpert, kann ein Verein nie beſitzen —
und uns in Bayern fehlen ſolche Vereine gänzlich.
Sie zu erſetzen und zu ergänzen, bedürfen wir
einer von unſeren Anſtalten ausgehenden freiwilligen
irrenärztlichen Schutzaufſicht; dieſe ermöglicht uns,
Kranke, die wir nicht in der Anſtalt zurückhalten
konnen, weil fie nicht gemeingefährlich oder nicht
entmündigt ſind, zu entlaſſen und trotzdem unter
einer Aufficht zu behalten, die eine Gefährdung
der Außenwelt wie des Kranken ausſchließt. Sie
geſtattet auch dem unbemittelten Kranken nach der
Entlaſſung ärztlichen Rat, ärztliche Hilfe, ärztlichen
Rückhalt zu gewähren; ſie geſtattet dem Entlaſſenen
durch finanzielle Unterſtützung, durch Nachweis von
Arbeitsgelegenheit über die erſten ſchweren Monate
nach der Entlaſſung hinwegzuhelfen; ſie ſichert im
Falle erneuter Erkrankung, im Falle der Nicht⸗
einhaltung der vorgeſchriebenen Bedingungen, im
Falle der Rückkehr zum Alkohol die ſofortige Zurück⸗
verbringung in die Anſtalt. Sie ermöglicht es, dem
Gerichte den ſicheren Nachweis an die Hand zu
geben, ob der Entlaſſene eine nach der Entlaſſung
begangene Tat in willensunfreiem Zuſtande be⸗
gangen hat; ſie ermöglicht es, Dritte vor der
Schädigung durch nicht ohne weiteres erkennbare
Geiſteskranke oder Geiſtesſchwache zu bewahren; ſie
ermöglicht, rechtzeitig die Entmündigung anzuregen;
ſie wird vielfach die Verehelichung ſolcher Perſonen
verhindern, bei denen ärztliche Bedenken beſtehen;
ſie wird uns allmählich einen Einblick geben in
die Häufigkeit pſychopathiſcher Erſcheinungen in der
Bevölkerung; ſie wird uns erleichtern, Fühlung zu
gewinnen mit anderen nicht in Anſtalten verpflegten
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 91
Geiſteskranken, mit den Hilfsſchulen, mit der Für⸗
ſorgeerziehung, mit der Trinkerfürſorge, mit der
Antialkoholorganiſation.
Die Schutzaufſicht wird uns geſtatten, die Bil⸗
dung von Unterſtützungsbereinen für entlaſſene
Kranke zu fördern und mit ihnen wie mit unſeren
verdienten Amtsaͤrzten Hand in Hand zu arbeiten.
Von der Schutzaufſicht des Entwurfes zum
StGB. wird ſie ſich ſtets dadurch unterſcheiden,
daß ſie eine freiwillige Leiſtung iſt, die nie ohne
oder gar gegen den Willen der Beteiligten durch⸗
geführt werden darf, und dadurch, daß bei ihr der
Schutz des Kranken die erſte, der Schutz der All⸗
gemeinheit erſt die zweite, wenn auch nicht weniger
wichtige Aufgabe iſt.
Sicher aber wird die irrenärztliche Schutzauf⸗
ſicht wertvolle Fingerzeige geben für die ſeinerzeitige
Durchführung der geſetzlichen Schutzaufſicht und viel⸗
leicht wird ſie einmal einen Beſtandteil der geſetz⸗
lichen Schutzaufſicht über geiſtig Anomale bilden.
Ich habe als erſter in Deutſchland dieſe Schutz⸗
aufficht über entlaſſene Geiſteskranke im organi⸗
ſatoriſchen Anſchluſſe an die Irrenanſtalt einge⸗
führt, übe ſie nunmehr ſeit über 6 Jahren und
freue mich, daß die Forderung der Schutzauſſicht
in unſeren Kreiſen raſch Boden gewinnt (Moeli,
Leppmann, Binswanger, Fiſcher), wenn auch über
die zwedmäßigfte Art der Ausführung noch nicht
Einigkeit beſteht.
In großzügiger und weitblickender Weiſe hat
unſerer Anſtalt der mittelfränkiſche Landrat für
1914 faſt 3000 M zur probeweiſen Durchführung
der Schugauffiht nach dem Antrage des Herrn
Oberbürgermeiſters Kutzer zur Verfügung geſtellt
und die Armenpflegen Nürnberg, Fürth und Er⸗
langen haben uns im Bedarfsfalle zu weiteren
Aufwendungen ermaͤchtigt.
Neben der ſpezialärztlichen Fürſorge für die
nicht in Irrenanſtalten untergebrachten Kranken
und Minderwertigen ſind die wichtigſten Ziele
unſerer Pſychiatrie die Entwicklung der Trinker⸗
fürſorge insbeſondere durch den Bau von Trinker⸗
beilftätten und die pſychiatriſche Beratung der Für⸗
ſorge für die Kinder und Jugendlichen.
Daß das modernſte Werk der juriſtiſchen Geſetz⸗
gebung die Anwendung der Schutzaufſicht in ſo
weitgehendem Maße vorſieht, daß es die Not⸗
wendigkeit der Trinker⸗ und der Jugendfürſorge
ſo kräftig betont, daß es mit Nachdruck eine Be⸗
rückſichtigung der Grenzfälle fordert, daß es piy:
chiatriſche Geſichtspunkte auch im Strafvollzug mit
Nachdruck da in den Vordergrund rückt, wo es
notwendig iſt, bringt auch uns Pſychiater unſeren
Zielen näher.
Richter und Arzt, Rechtspflege und Pſychiatrie
unter ähnlichen Geſichtspunkten gleichen Zielen zu—
ſtrebend — das iſt das erfreuliche Bild, das uns
der Entwurf zum Strafgeſetzbuch zeigt.
92 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
at die Hypothek auf einem im Miteigentum |
nach Bruchteilen ſtehenden Grundſtücke eine
Geſamthypothek?
Bon Dr. Emil Höch ſtädter, Amtsrichter in München.
Die Frage hat J.⸗R. Stillſchweig⸗Berlin in
Nr. 1 der JW. 1914 S. 7ff. klar und erſchöpfend
behandelt. Da ſie in der Praxis der Grundbuch⸗
aͤmter und der Vollſtreckungsgerichte nicht ſelten zu
entſcheiden iſt, empfiehlt ſich ihre Beſprechung auch
an dieſer Stelle unter Berückſichtigung der Ein⸗
richtungen des bayeriſchen Grundbuchweſens.
Die rechtliche Natur der Hypothek an einem
im Bruchteilseigentume ſtehenden Grundſtücke hat
ſchon unter der Herrſchaft des bayeriſchen Hypo⸗
thekenrechtes Erörterungen in der Literatur und
Rechtſprechung veranlaßt. Daß ideelle Anteile an
Grundſtücken Gegenſtand geſonderter Belaſtung ſein
können, war trotz des Fehlens ausdrücklicher Be⸗
ſtimmungen darüber im Hypothekengeſetze und in
der Inſtruktion dazu allgemein anerkannt; ) vgl.
Regelsberger, Bayer. HypRecht, zu 8 44 Anm. 4
bis 6; Entſch. d. Oberſten LG. ä. S. IX, 103;
XVI, 342. Dieſer Anſchauung entſprach auch
Art. 158 SubhO., der in den ideellen Anteil des
Schuldners an einem Grundſtücke die Zwangsvoll⸗
ſtreckung zuließ. Nur bis hieher aber reicht die
Einigkeit in Literatur und Rechtſprechung; die
Meinungsverſchiedenheiten beginnen, ſobald die
Frage nach dem Weſen der Hypothek zu ergründen
iſt, die auf dem ganzen Grundſtücke oder auf
mehreren Anteilen ruht. Vorbehaltslos wird von
keinem Schriftſteller dieſe Hypothek als Geſamt⸗
hypothek (Korreal⸗, Verband⸗, Solidarhypothek)
anerkannt. Becher, Landeszivilrecht (1896) gibt
im Bd. 1 S. 802 Anm. 13 eine Zuſammenſtellung
der Literatur über die Frage der Totalhypothek!)
und fährt dann, im weſentlichen mit Ortenau
a. a. O. 8 156 Anm. 6 übereinſtimmend, fort:
„Sind für die Anteile geſonderte Folien errichtet
und dann noch Hypotheken auf ſämtlichen Anteilen
beſtellt worden, jo liegen Verbandhypotheken vor.“
Es wird damit die Beurteilung der Totalhypothek
für den einzelnen Fall abhangig gemacht von ihrer
aͤußeren Erſcheinungsform im Hypothekenbuche, (die
Einſchreibung erfolgte dort entweder auf den Sonder⸗
blättern der Anteile oder auf dem für das ganze
Grundſtück angelegten Blatte), mithin von einer
reinen Zufälligkeit, die zu der materiellrechtlichen
1) Geſondert belaſten konnte aber — ebenſo wie
nach jetzigem Rechte — den ideellen Teil nur deſſen
Eigentümer, nicht der Eigentümer des ganzen Grund—
ſtückes (8 33 HypGG. und die oben zit. Literatur).
2) Der Ausdruck „Totalhypothek“ ſei im folgenden
der Kürze halber für die Hypothek auf dem ganzen
Grundſtücke oder auf mehreren ideellen Teilen beibehalten;
er findet ſich auch bei Ortenau zu Art. 158 SubhoO.
ſowie im früheren Preuß. HypRecht; vgl. den Aufſatz bas U 8 ü
. Seuff Arch. 65858, JW. S. 47315) ganz die gleichen
von J.⸗R. Stillſchweig.
Beurteilung der Hypothekrechte nicht die mindeſten
Beziehungen hatte.
Dies war der Stand der bahyeriſchen Geſetz⸗
gebung, Rechtſprechung und Literatur in ſeinem
weſentlichen Ergebniſſe, wie ihn das BGB. und die
GBO. bei ihrem Inkrafttreten vorfanden. Eine
Entſcheidung in der Frage der Totalhypothek hat
das neue Recht nicht zur Folge gehabt, der Streit
der Meinungen ſetzte ſich vielmehr fort und zwar
im weſentlichen in denſelben Richtungen, die oben
für das bayeriſche Recht angedeutet wurden, und
die ſich — vgl. den Aufſatz von Stillſchweig —
im weſentlichen auch für das Gebiet des preußi⸗
ſchen Rechtes herausgebildet hatten.
Aus der reichen Literatur ſeien hier nur die
Hauptrichtungen in Kürze angeführt.
Güthe (GBO. 3. Aufl. Bd. 1 S. 983 Anm. 3),
der die ganze Literatur über die Totalhypothekfrage
zuſammenſtellt, läßt die Totalhypothek vorbehalts⸗
los als Geſamthypothek gelten; er iſt, ſoviel ich
ſehe, der einzige Vertreter dieſer Anſicht.
Staudinger — zu 8 1132 Anm. 4 — vertritt
die herrſchende Meinung, indem er die Totalhypothek
nur dann als Geſamthypothek behandelt, wenn die
Anteile geſondert verpfändet worden ſind. Mit
ihm geht neben anderen Planck zu $ 1132 1a,
ferner von den für bayeriſches Recht ſchreibenden
Schriftſtellern Henle⸗Schmitt zu 8 59 Anm. 2 und
Meikel, GBO. zu 8 49 Anm. 2 a.
Der ſoeben kurz umſchriebenen herrſchenden An⸗
ſchauung vermag ich mich nicht anzuſchließen, da
ſie, ganz wie die Literatur zum bayeriſchen Hypo⸗
thekengeſetz, ein rein aͤußerliches Merkmal zum
entſcheidenden Gefichtspunkte der Frage macht.
Ich faſſe vielmehr — mit Güthe und Stillſchweig
— die Totalhypothek als Geſamthypothek auf und
betrachte dieſe Auffaſſung als die notwendige logiſche
Folge aus der Regelung, die das Recht an ideellen
Grundſtücksteilen im Geſetze gefunden hat.
8 1008 BGB. ſpricht vom „Eigentum nach
Bruchteilen“. Das Geſetz will, wie dieſe Faſſung
andeutet und wie ſich auch aus den Mot. III, 438
ergibt, das Eigentum am Bruchteil nicht als eine
Abart des Eigentumsrechts, als etwas vom Eigen⸗
tume Abgeleitetes, ſondern als volles Eigen⸗
tum im eigentlichen Sinne betrachtet wiſſen. Auf
das Miteigentum müſſen darum uneingeſchränkt
und ohne irgendwelche Umdeutung die ſaͤmtlichen
für das Eigentum an Grundſtücken geltenden Vor⸗
ſchriften Anwendung finden. Aus dieſem Satze
in Verbindung mit $ 1114 BGB. iſt zu folgern,
daß, wenn die Miteigentümer, ſei es jeder für
ſich ſeinen Anteil, ſei es gemeinſchaftlich das ganze
Grundſtück mit einer Hypothek belaſten, die Hypo⸗
thek jeden Anteil ſelbſtändig ergreift, eben weil
jeder Anteil einen völlig ſelbſtaͤndigen Belaſtungs⸗
gegenſtand darſtellt. Soweit befinde ich mich in
völliger Uebereinſtimmung mit dem Reichsgerichte,
das in ſeiner Enſcheidung vom 16. Maͤrz 1910
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 93
— rT̃—— LE, ͤ ́mũœ-wu— —ů—ꝛs—8—ů—ůů3ßv*—ĩ.ꝑ . ů—3—ßK5vK3—H0ͤ bNꝛÄ—“ðñ3⁊˙3rEL———ßxßÄx;˙ f ]¶V.nJu4—ů X— — 4 GE nn mn einen eenacnes ans . —— pP. r———————————
——ä—ä—ñ— . . ü.. —-—'—äö . b —öäẽͥ̃bſ—— üä—ẽ . .'. . ...' . ä' . — . . ͤ—p— t. ——ß—ii—— —— nn
Sätze ausſpricht. Nun macht aber das RG. eine
völlig unerwartete, m. E. nur aus vorgefaßter
Scheu gegen die unmittelbare Anwendung der Ge⸗
ſamthypothekſätze auf die Totalhypothek erklärbare
Schwenkung, indem es fortfährt: „- - . - - aller:
dings nicht in dem Sinne, daß eine Geſamthypothek
an den Anteilen entſtünde, denn die Hypothek iſt in
dieſem Falle, wenn auch der Anteil für ſich einem
Grundſtücke gleichzuſtellen iſt, doch nicht gemäß
8 1132 an mehreren Grundſtücken ſondern als
Einzelhypothek an dem einen Grundftüde beſtellt.“
Der daran unmittelbar anſchließende Satz: „Aber
jeder Anteil haftet für die ganze Forderung und im
Falle der Zwangsvollſtreckung kann der Gläubiger
in voller Höhe Befriedigung aus dieſem Anteile
verlangen“ läßt die Ablehnung der Geſamthypothek
durch das Reichsgericht“) vollends als durchaus
geſucht und darum wenig überzeugend erſcheinen.
Meine Auffaſſung von der Totalhypothek als
Geſamthypothok geſtattet, wie ſchon ihre Begrün⸗
dung ergibt, keine Unterſcheidung nach der Ent⸗
ſtehungsweiſe. Es liegt vielmehr in allen Fällen
der Totalhypothek eine Geſamthypothek vor, mag
die Hypothek von ſaͤmtlichen Miteigentümern in
einem einheitlichen Rechtsgeſchäfte auf das ganze
Grundſtück oder mag ſie von den einzelnen Mit⸗
eigentümern gleichzeitig oder nach und nach auf
die einzelnen Anteile gelegt worden ſein,“) oder
mag endlich die Totalhypothek ſich erſt nad:
träglich durch Umwandlung des zur Zeit der
Hypothekeintragung beſtehenden Alleineigentumes
am Grundſtücke in ein Bruchteilseigentum er⸗
geben haben.“)
Für die Grundbuchführung ergeben ſich aus der
Behandlung der Totalhypothek als Geſamthypothek
keinerlei Schwierigkeiten. Die auf mehreren oder auf
2) Ueber die Frage, ob die Vorſchriften über die Ge⸗
ſamthypothek auf die Totalhypothek nicht wenigſtens ana⸗
log anzuwenden ſeien, gehen in der Literatur und Recht⸗
ſprechung die Anſichten ebenfalls auseinander; ich verweiſe
vor allem auf die Entſch. des KG. vom 3. Oktober 1911,
RIA. 11, ſowie auf den Kommentar der Reichsgerichts⸗
räte zu 8 1132 Anm. 4 (2. Aufl.).
Y Ich verweiſe hier nochmals auf die ſchon oben
angeführte Entſcheidung des KG. vom 3. Oktober 1911,
in der das Ableiten von Unterſcheidungsmerkmalen aus
der Faſſung der Belaſtungserklärungen als durchaus
unhaltbar zurückgewieſen wird.
8) Dem letztgenannten Entſtehungsgrunde der Ge⸗
ſamthypothek entſpricht in der Umkehrung deren En⸗
digung durch Wiedervereinigung der Grundſtücksanteile
in einer Hand Ueber die umſtrittene Frage, ob bei der
Einſteigerung eines Miteigentumsanteiles durch den
Eigentümer des anderen Anteiles, der damit Allein⸗
eigentümer wird, die Sicherungshypothek nach 8 128
Zw. auf dem Anteile oder auf dem ganzen Grund⸗
ſtücke einzutragen iſt, vergleiche Komm. der RR. zu 81114
Anm. 4. Zu der weiteren hier auftauchenden Frage.
ob nach Vereinigung aller Grundſtücksanteile in der
Hand eines Eigentümers dieſer eine auf Anteilen laſtende
Hypothek auf den noch hypothekfreien Grundſtücksteil
ausdehnen kann, vgl. die Ausführungen bei Staudinger
u 8 1114 Anm. 2, c, d und die dort aufgeführte
iteratur. Ich halte die bejahende Entſcheidung des RG.
für rechtlich wohl begründ bar und für durchaus zweckmäßig.
allen ideellen Teilen beſtellte Hypothek wird entweder
auf dem Blatte des ganzen Grundſtückes oder auf
den für die einzelnen Anteile beſonders angelegten
Blättern vorgetragen, im letzteren Falle unter Be⸗
obachtung des 8 49 GBO.; vgl. für das Formelle die
Vorſchriften der Dienſtanweiſung f. d. G. 88 433;
220; 190, 172, 173; 346. Da bei Belaſtung
einzelner Anteile dieſe genau in ihrer Größe um⸗
ſchrieben ſein müſſen, wird die beantragte Ein⸗
tragung einer Hypothek auf älteren Blättern häufig
zu einer vorherigen Berichtigung des Grundbuches
durch Einſchreibung des Anteilsverhältniſſes führen.
GBO. 8 48; Meikel zu 8 48 Anm. 5 (8 742
BGB.). |
Zu unterſuchen iſt nun noch, ob auf dem Ge⸗
biete des materiellen Rechtes die Behandlung der
Totalhypothek als Geſamthypothek zu befriedigenden
Ergebniſſen führt. Den klaren und erſchöpfenden
Ausführungen Stillſchweigs in ſeinem mehrſach
zitierten Auſſatze iſt in dieſer Richtung nicht viel
hinzuzufügen.
Der Haupteinwand der Gegner der Geſamk⸗
hypothek ſtützt ſich in der Regel auf die Behaup⸗
tung: es ſei unbillig, daß dem Glaͤubiger einer
Einheitshypothek bei Verwandlung des Allein⸗
eigentums am Grundſtücke in Bruchteilseigentum
durch die hier vertretene Anſchauung die Hypothek
gegen ſeinen Willen in eine Geſamthypothek ver⸗
wandelt werde, und es bringe dieſe Verwandlung
auch den Nachhypothekglaubigern ſowie den Mit⸗
eigentümern ſelbſt vielfach unerwartete Nachteile.
(Den Nachweis ſolcher Härten ſucht u. a., auf
viele Beiſpiele geſtützt, ein Aufſatz von Dr. M. Leo
im Gruchots Beitr. Bd. 54 S. 257 ff. zu erbringen.)
Die Gegner überſehen jedoch bei ihrer Beweis⸗
führung, daß es dem Eigentümer (und den Mit⸗
eigentümern) eines Grundſtücks jederzeit freiſteht,
im Wege der amtlichen Vermeſſung mit anſchlie⸗
ßender Kataſtrierung und Grundbuchberichtigung
ohne Zuſtimmung der Hypothekgläubiger das Grund⸗
ſtück in mehrere ſelbſtändige Grundſtücke zu zer⸗
legen, daß in dieſem Falle die Einheitshypotheken
auf dem alten Grundſtücke zu Geſamthypotheken
auf den neugebildeten Grundſtücken werden (un:
beſtritten!), daß alſo ihr Widerſtand gegen die
Auffaſſung der Totalhypothek als Geſamthypothek
die von ihnen für die Beteiligten gefürchteten Nach⸗
teile nur dann abwendet, wenn mit der Teilung
des Eigentumes nicht auch eine geometriſche Teilung
des Grundſtückes erfolgt, ein Vorgang, der von
dem Willen der zu Schützenden, wie oben dar⸗
gelegt, in keiner Weiſe abhängig, mithin rein zu⸗
fälliger Natur iſt.
Daß die Vorſchrift des 8 1132 BGB. über
die Geſamthaft, die das Weſen der Geſamthypothek
ausmacht, auch für die Totalhypothek gilt, wird
vom RG. ſelbſt — trotz ſeiner Gegnerſchaft gegen
die hier vertretene Anſchauung — in der mehrfach
angeführten Entſcheidung vom 16. März 1910
anerkannt. Vorausſetzung des Rechtes des Gläu—
94 ö Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
bigers, in den Bruchteil geſondert zu vollſtrecken,
iſt naturgemäß, von der hier nicht in Betracht
kommenden zweiten Alternative des 8 864 Abi. 2
ZPO. abgeſehen, das Beſtehen der Gefamthypothek
als ſolcher, m. a. W. das Beſtehen von Bruch⸗
teilseigentum; in dieſem Umfange wird dieſes Recht
von ZPO. 8 864 Abſ. 2 (erfte Alternative) aus⸗
drücklich anerkannt. Ueber die Anwendung des
5 112 ZwVG. und der 88 63, 64 dieſes Geſetzes
vgl. Jaͤckel⸗Güthe, ZzwVG. 4. Aufl. zu den ge:
nannten Geſetzesſtellen.
Daß dem formellen Vollſtreckungsrecht das
materielle Verteilungsrecht des Totalhypothekgläu⸗
bigers entſpricht, — BGB. 8 1132 Abſ. 2 — hat
Stillſchweig überzeugend dargelegt.
Die Anwendung der übrigen im BGB. ent:
haltenen Vorſchriften (88 1172 — 1176. 1182)
auf die Totalhypothek führt zu durchaus befriedi⸗
genden Ergebniſſen; auf die durch Beiſpiele er:
läuterten Ausführungen Stillſchweigs, die keinerlei
Ergänzung bedürfen, kann hier Bezug genommen
werden. Als für die Grundbuchpraxis wichtig ſei
nur der Fall der Anwendung des 8 1173 BGB.
in der Form, in der er häufig verkommt, an einem
Beiſpiele erläutert. A und B find zu gleichen
Bruchteilen Eigentümer eines Grundſtückes und
zugleich perſönliche Schuldner und Geſamtſchuldner
einer dieſes belaſtenden Hypothekforderung zu 1000
Mark: A zahlt von dieſer Hypothek 400 M an
den Gläubiger C, der in der Form des 8 29
GBO. Quittung über die Zahlung erteilt und
Berichtigung des Grundbuches bewilligt; den Be⸗
richtigungsantrag ſtellt A.
Die Anwendung des 8 1173 Abſ. 1 und 2
mit 8 426 BGB., nach welch letzterer Vorſchriſt
der Schuldner A vom Schuldner B in der halben
Höhe des von ihm an den Gläubiger gezahlten
Betrages Erſatz verlangen kann,“) ergibt folgende
künftige Belaſtung des Grundſtückes:
Anteil des A Anteil des B
I. 600 600 M
II. 200 M 200 M
III. 200 A —
J. Iſt die Reſtſorderung des Gläubigers C
(vgl. 8 1176), II. iſt Eigentümerhypothek des A,
III. iſt Eigentümergrundſchuld des A; I. und II.
ind Total-(Geſamt⸗ Hypotheken. Als unbefrie:
digend kann dieſes Ergebnis ſicher nicht bezeichnet
werden; zuzugeben iſt den Gegnern nur, daß es
ſehr unüberfichtlihe und ſchwer zu faſſende Ein:
träge im Grundbuche notwendig macht.
Der Anwendung der Satze des BGB. über
5 f 0 t I
bie Gefamtbypothef auf die Totalbppothek entſpricht Höhegrad erreichte die Agitation im Jahre 1909, als
die Behandlung der Totalhypothek als Geſamthypo—
thek auch im Zwangsverſteigerungsverfahren; über
den Stand der Literatur zu dieſer Frage berichtet
die Einleitung des oben angeführten Aufſatzes bei
Gruchot 54 *. Weder bei der Feſtſetzung des
u Bol. hierzu IDR. Bd. 10 S. 395 f.
geringſten Gebotes noch bei der Regelung des Aus⸗
gebotes (Einzelausgebot und Geſamtausgebot) noch
bei der Verteilung des Erlöſes führt die Heran⸗
ziehung der die Verſteigerung geſamtverhaſteter
Grundſtücke betreffenden Vorſchriften zu irgend⸗
welchen weſentlichen Schwierigkeiten oder zu Här⸗
ten für die Beteiligten. Es wird deshalb auch faſt
ausnahmslos in der Literatur des Zwangsverſteige⸗
rungsrechtes die mindeſtens analoge Anwendung
der Geſamthypothekvorſchriften auf die Totalhypo⸗
thek vertreten.
Ebenſowenig wie im Zwangsverſteigerungsrechte
führt die von mir vertretene Auffaſſung der To⸗
talhypothek auf dem Gebiete des in der ZPO.
geregelten Immobiliarvollſtreckungsrechtes (ZPO.
83 864 871) zu Erſchwerungen oder Unbillig⸗
keiten. Dies gilt inſonderheit für die Anwen⸗
dung des § 867 Abſ. 2 ZPO. Beſteht Bruchteil⸗
eigentum und begehrt der Glaͤubiger auf Grund
eines gegen alle oder mehrere Miteigentümer ge⸗
richteten Vollſtreckungstitels eine Zwangshypothek
auf allen oder auf mehreren Anteilen, ſo wird die
ſeinem Antrage entſprechende Hypothek allerdings
eine Geſamthypothek; allein in dieſer Form, d. h.
als Hypothek am Grundbeſitz mehrerer Schuldner,
iſt die Zwangshypothek als Geſamthypothek zuläſſig
(herrſchende Meinung, vgl. Gaupp⸗Stein zu 8 867
Anm. V, 3); beſteht Alleineigentum am Grund⸗
ſtücke, jo wird die Zwangshypothek Einheitshypo⸗
thek auch dann, wenn die Bruchteile eines ehe⸗
maligen Miteigentumes infolge geſonderter Be⸗
laſtung noch eine gewiſſe Selbſtändigkeit haben, es
kommt alſo in dieſem Falle $ 867 Abſ. 2 über:
haupt nicht in Frage.
Kleine Mitteilungen.
Die Verhältniſſe der bayerifhen Notariatsgehilfen.
Die Verhältniſſe des Kanzleiperſonals unſerer Nota⸗
riate ſind in den letzten Jahren fortgeſetzt Gegenſtand
öffentlicher Erörterungen geweſen. Zwar hat die Staats⸗
regierung ſchon im Jahre 1902 und in der Folgezeit
eingehende Vorſchriften über die Beſchäftigungszeit,
Beurlaubung und die ſonſtigen Verhältniſſe der Ge⸗
hilfen erlaſſen, insbeſondere auch für minderjährige
ein Mindeſtgehalt von 600 M, für volljährige ein ſolches
von 900 M vorgeſchrieben. Aus der Behördeneigen⸗
ſchaft des Notariats leiteten die Gehilfen jedoch den
Anſpruch ab, als Beamte in den Staatsdienſt über⸗
nommen und vom Staate beſoldet zu werden, einen
Anſpruch, der natürlich unbefriedigt bleiben muß. ſo⸗
lange nicht die Notariate ſelbſt verſtaatlicht ſind. Den
mit dem Inkrafttreten des Beamtengefetzes die Ge⸗
hälter der Staatsbeamten eine zum Teil nicht uner⸗
hebliche Erhöhung erfuhren. Aus der weiteren Ent⸗
wicklung mag folgendes von Intereſſe ſein.
J. Um den fortgeſetzten Klagen über unzureichende
Gehälter den Boden zu entziehen, wurden die Nota:
riatskammern erſucht, ſelbſt die Gehaltsverhält⸗
Zeitſchrift ſür Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 95
niſſe zu regeln und ſie tunlichſt den Gehaltsverhält⸗ 6. Nach oben ift der Notar bei der Gehaltsregce⸗
niſſen der Gerichtsbeamten anzugleichen. Dieſer An⸗ lung nicht gebunden; nach wie vor können ſich die Ge⸗
regung haben die Notariatskammern im Sommer v. J. hilfen durch beſonderen Fleiß und beſondere Tüchtig⸗
in durchaus befriedigender Weiſe entſprochen. Unter leit einen höheren Gehalt verdienen. g
ihrer Leitung haben ſich die Notare auf folgende Grund⸗ Einzelne Mängel und Unvollkommenheiten, die
ſätze geeinigt. dem großzügig aufgebauten Werke noch anhaften, werden
1.x Den volljährigen Gehilfen wird künftig grund⸗ ſich in nicht zu ferner Zeit beſeitigen laſſen, ſobald
ſätzlich ein Mindeſtanfangsgehalt von 1200 M, nach weitere Erfahrungen geſammelt find. Jedenfalls kann
15 Dienſtjahren ein Mindeſtgehalt von 2250 M gewährt. man ſchon heute ſagen, daß die Notare mit dieſer Rege⸗
Der Gehalt wird alle 3 Jahre um 150 M erhöht, bis lung in der Hauptſache alles getan haben, was von
ein Endgehalt von 3150 M erreicht wird. ihnen unter den obwaltenden Verhältniſſen billiger⸗
2. Die Zahlung eines Gehalts in dieſer Höhe ſetzt weiſe verlangt werden kann. Ich habe dieſe auf kolle⸗
voraus, daß die Erträgniſſe des Notariats es geſtatten gialer Vereinbarung beruhende Ordnung der Verhält⸗
alle Vorrückungen zu zahlen und daß überdies auch niſſe, die auch von den Gehilfen dankbar anerkannt
die Leiſtungen der Gehilfen derart find, daß fie alle wird, an anderer Stelle als eine ſoziale Tat be
Vorrückungsbeträge beanſpruchen können. zeichnet; ich kann dieſes Wort nicht laut und deutlich
3. Die Leiſtungsſähigkeit des Notars wird in der genug wiederholen.
Weiſe begrenzt, daß jeder Notar für Gehilfengehälter II. Mit den Gehaltsverhältniſſen haben auch die
als Höchſtbetrag nur einen beſtimmten Prozentſatz Penſionsverhältniſſe der Gehilfen eine weſent⸗
ſeines Roheinkommens aufzuwenden braucht und zwar liche Verbeſſerung erfahren. Bisher haben die Nota⸗
bei einem Roheinkommen von riatsgehilfen von ihrem Penſionsverein Penſionen be⸗
7 000 — 10 000 M bis zu höchſtens 18%, zogen, die einem Drittel der Beamtenpenſion gleich⸗
10 001 13 000 1 „ „ x 22% kommen. Die Penſionen wurden aus der Staatskaſſe
13 001 — 16 000 M „ „ u 24%, durch fortlaufende Unter haltsbeträge in der Höhe von
16 00122 000 „ „ „ 25%, ½ ôder entſprechenden Beamtenpenſion ergänzt, fo daß
22 00125 000 M „ „ „ 286%, die Geſamtverſorgung eines Gehilfen tatſächlich einer
25 00130 000 „ „ „„ 28 vollen Beamtenpenſion gleichkam. Die vom Penſions⸗
30 001 —45 000 M 5 „ 30%, verein bezogene Penſion durfte jedoch den Betrag von
Notare mit einem Roheinkommen von weniger als 525 M, der aus der Staatskaſſe gewährte Unterhalts-
7000 M werden durch die Regelung überhaupt nicht | betrag den Betrag von 1050 M nicht überſchreiten, fo
betroffen; für Notare mit einem Roheinkommen von daß der Höchſtbetrag der Geſamtverſorgung ſich nur
mehr als 45000 M iſt ein Höchſtaufwandsbetrag nicht | auf 1575 M berechnete.
feſtgeſetzt, ſie gewähren in jedem Falle ihren Gehilfen | Der Penſionsverein wurde nun in der Weiſe aus⸗
wenigſtens die Gehälter, die fie nach ihrem Dienſt⸗ geſtaltet, daß die Gehilfen künftig von ihm die ganze
alter beanſpruchen können. Veerſorgung als Penſion beziehen, die nach Maßgabe
Soweit die Erträgniſſe eines Notariats es nicht | des Beamtengeſetzes berechnet wird. Der Höchſtbetrag
geſtatten, die dem Gehilfen zukommenden Vorrückungen der Geſamtverſorgung wurde von 1575 M auf 1800 M
zu gewähren, wird auf zweifache Weiſe Abhilfe geſchaffen: erhöht. Auch die Witwen und Waiſen der Gehilfen,
a) Durch ein von den Notariatskammern einge⸗ die bisher nur geringfügige Penſionen vom Penſions⸗
richtetes Stellenamt, deſſen Führung dem Notariat verein erhielten, haben künftig Anſpruch auf Penſionen
Oettingen übertragen iſt, ſoll es jedem Gehilfen er⸗ in der Höhe der Beamten⸗Witwen⸗ und Waiſenpen⸗
|
möglicht werden, eine Stelle zu erhalten, auf welcher ſionen. Doch darf die Witwenpenſion zunächſt den Be⸗
ihm weitere Vorrückungen gewährt werden können. trag von 600 M nicht überſchreiten, während die Waiſen⸗
b) Wenn einem Gehilfen die Erreichung einer | penfion nur bis zum 18. Lebensjahre gewährt wird.
Stelle mit weiteren Vorrückungen im Gehalte nicht Daß die Hauptlaſt des Penſionsvereins von den
rechtzeitig oder überhaupt nicht gelingt, wird ihm wenig⸗ Notaren getragen wird, ſei nur nebenbei erwähnt.
ſtens die Hälfte des Unterſchieds zwiſchen dem ihm III. Damit zu all dem auch der äußere Glanz
nach ſeinem Dienſtalter zukommenden Gehalt und ſeinem nicht fehle, wurde einem lange gehegten Wunſche der
wirklichen Gehalt aus einer von den Notariatskammern Gehilfen entſprechend auch die Titelführung ge⸗
gegründeten Kaſſe als Zulage gewährt. regelt. Auf Grund allerhöchſter Entſchließung vom
4. Bezüglich der Leiſtungsfähigkeit der Gehilfen 24. Dezember 1913 wurde geſtattet, daß die Notariats⸗
wird unterſchieden zwiſchen Gehilfen, die ſelbſtändig gehilfen vom vollendeten 23. Lebensjahre an den Titel
zu arbeiten vermögen und ſolchen, die im weſentlichen eines Notariatsaſſiſtenten und, wenn ſie nach Vollen⸗
nur mit mechaniſchen Arbeiten, reinen Schreibarbeiten, dung des 21. Lebensjahres 15 Jahre als Gehilfen tätig
Botengängen uſw. betraut ſind. Während die ſelbſtän⸗ geweſen ſind und ſelbſtändig zu arbeiten vermögen, den
digen Gehilfen nach 15 Dienſtjahren von 1800 M ſofort Titel eines Notariatsbuchhalters führen. Die Führung
auf 2250 M vorrücken, ſteigen die unſelbſtändigen Ge- des Titels iſt grundſätzlich nur mit Genehmigung des
hilfen von 1800 M zunächſt auf 1950 M und erreichen Notars zuläſſig. Die Genehmigung darf nur erteilt
mit 2100 M ihren Höchſtgehalt. | werden, wenn das dienſtliche oder außerdienſtliche Ber:
5. Um den Uebergang zu erleichtern und den Ver⸗ halten des Gehilfen tadelfrei iſt.
hältniſſen der Gerichtsſchreibereibeamten Rechnung zu | Ausnahmsweiſe dürfen den Titel Notariatsbuch—
tragen, wurde der derzeitige Höchſtgehalt für einen halter aber auch diejenigen Notariatsgehilfen führen,
ſelbſtändigen Gehilfen zunächſt auf 2550 M, der Höchſt⸗ die nach der Vollendung des 21. Lebensjahres wenig⸗
gehalt für einen unſelbſtändigen Gehilfen auf 1800 1 ſtens 12 Jahre Gehilfen find, tatſächlich die Stelle
und der nächſte Vorrückungstermin auf 1. Juli 1916 eines erſten Gehilfen verſehen und vorzügliche Dienit:
jeſtgeſetzt. leiſtungen aufzuweiſen haben. Die Genehmigung zur
*
Führung des Titels in die ſem Falle hat ſich das Juſtiz⸗
miniſterium vor behalten.
Nicht unerwähnt darf ſchließlich bleiben, daß die
Notariatsgehilſen ſeit dem vorigen Jahre auch an den
allerhöchſten Ordensauszeichnungen teilnehmen.
Damit hat auch das Dienſtver hältnis der Gehilfen
nach außen und ihre ſoziale Stellung an Anſehen und
Feſtigkeit gewonnen. So können die Gehilfen mit
Befriedigung auf das zurückblicken, was ſie für ſich
und ihren Stand erreicht haben. Mit Befriedigung
dürfen aber auch die Notare ihr Werk betrachten, das
in ehrender Weife Zeugnis ablegt für ihr ſoziales
Empfinden und ihr Standesbewußtſein und das be⸗
weiſt, daß die Notare die Zeichen der Zeit verſtanden
haben und gewillt find, das Notariat in feinen Grund-
feſten zu ſichern.
Miniſterialrat H. Schmitt in München.
Hinderung des Vollzugs ungeſetzlicher Strafen durch
richterliche Entſcheidung. Dieſer Grundſatz (vgl. dieſe
Zeitſchrift 1913 S. 296) iſt jüngſt wieder in zwei richter⸗
lichen Entſcheidungen vertreten worden. |
1. Der Angeklagte E. wurde am 23. September
1913 vom Schöffengericht bei dem Amtsgericht A.
wegen Körperverletzung zu einem Monat Gefängnis
verurteilt. Die Strafe wurde durch die Amneſtie vom
5. November 1913 erlaſſen. Am 6. November 1913
hatte ſich E. vor dem Schöffengericht bei dem Amts⸗
gericht E. wegen Körperverletzung zu verantworten
und er wurde hiewegen zu acht Monaten Gefängnis
verurteilt. Da dem Gericht bei Erlaſſung des Urteils
der Gnadenerlaß vom 5. November 1913 noch nicht
bekannt war, wurde nach 8 79 StGB. unter Eins
rechnung der am 23. September 1913 verhängten
Strafe von einem Monat eine Geſamtſtrafe von acht
Monaten vierzehn Tagen Gefängnis ausgeſprochen.
Das Urteil wurde rechtskräftig.
Nach dem Antrag des Amtsanwalts erließ das
Amtsgericht E. auf Grund des 8 490 StPO. Beſchluß
dahin, daß die Straſvollſtreckung aus dem Urteil vom
6. November 1913 nur bezüglich der Gefängnisſtrafe
von acht Monaten zu geſcheben habe, weil die ein⸗
gerechnete Strafe von einem Monat Gefängnis bereits
erlaſſen war, als das auf die Geſamtſtrafe lautende
Urteil gefällt wurde.
2. Am 11. November 1913 wurde vom Land⸗
gerichte L. der Angeklagte S. wegen Betrugs i. R.
zu drei Monaten Gefängnis verurteilt und unter Zu⸗
ſammenfaſſung mit einer Gefängnisſtrafe von acht
Tagen, die am 23. April 1913 vom Schöffengericht bei
dem Amtsgerichte R. ausgeſprochen worden war, wurde
auf eine Geſamtſtrafe von drei Monaten zwei Tagen
erkannt. Die Gefängnisſtrafe von acht Tagen war
aber durch die Amneſtie vom 5. November 1913 er:
laſſen geweſen. Als es zur Vollſtreckung des Urteils
vom 11. November 1913 kam, erhob der Staatsanwalt
Einwendungen nach 8490 StPO. und auf feinen Antrag
ſprach das Landgericht aus, daß die Strafvollſtreckung
aus dem Urteil nur bezüglich des Betrages von drei
Monaten ſtatthaft ſei, da wegen Erlaſſes der acht
tägigen Gefängnis ſtrafe die Bildung einer Geſamtſtrafe
unzuläſſig war und jede Strafvollitredung, die ſich
unmittelbar oder mittelbar auf die Verurteilung vom
23. April 1913 gründet, ungeſetzlich und unzulaäſſig ſei.
Dieſe Fälle zeigen aufs neue, daß die ausdehnende
Zeitſchriſt für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
Auslegung des 8 490 StPO geeignet iſt, ein dringendes
Bedürfnis der Rechtspflege zu befriedigen. Es iſt klar,
daß eine erlaſſene Strafe nicht vollzogen werden darf,
auch wenn ſie mit einer anderen Strafe zu einer
Geſamtſtrafe verbunden iſt. Keine Straſvollſtreckungs⸗
behörde würde dies tun. Die Frage iſt nur, auf welche
Weiſe abgeholfen werden kann. Die Vorausſetzungen
der Wiederaufnahme des Verfahrens ſind nicht gegeben.
Daß die Begnadigung in den Fällen der Sachlage
nicht entſpricht, in denen der Verurteilte ein gutes
Recht auf Schutz gegen ein offenbares Verſehen und
eine ſachlich ungeſetzliche Strafvollſtreckung hat, iſt
bereits früher in dieſer Zeitſchrift bemerkt worden.
In den vorliegenden Fällen hätte ſogar eine im Gnaden⸗
weg erlaſſene Strafe nochmals aus Gnade erlaſſen
werden müſſen. Dagegen eröffnet die neue Auslegung
des 8 490 StPO. einen klaren, einfachen, zweckmäßigen
Weg, auf dem dem Recht in allſeits befriedigender
Weiſe Genüge geſchehen kann. Dieſe Auslegung kommt
dem Verurteilten, dem beteiligten Gerichte, das zu ſeiner
Genugtuung ein Verſehen ſelbſt verbeſſern kann, und
dadurch der Rechtspflege im allgemeinen durch Er⸗
höhung ihres Anſehens zu gute.
I. Staatsanwalt Weber in Landshut.
Die Zertrümmerung der im Zwangswege erworbenen
Landanweſen durch Güterhändler. Gegenüber den Aus⸗
führungen von R. A. Dr. Theilheimer in Nr. 23/1913
dieſer Zeitſchrift, wonach das Güterzertrümmerungs⸗
geſetz vom 13. Auguſt 1910 auf die im Zwangsweg erwor⸗
benen Anweſen keine Anwendung finden ſolle, erlaube
ich mir, darauf hinzuweiſen, daß ich in Nr. 6/1913 der
Zeitſchrift für das Notariat in Bayern die gegenteilige
Anſicht vertreten und zu begründen verſucht habe.
Meine Begründung ſtützte ſich hauptſächlich auf die
folgende Erwägung:
Der Güterhändler hat das im Zwangswege ein⸗
geſteigerte Anweſen wenn auch nicht unmittelbar, ſo
doch mittelbar durch ein Rechtsgeſchäft unter Le⸗
benden erworben, nämlich durch ſein Gebot, das den
Zuſchlag an ihn ausgelöſt hat.) Ein Geſetz, das ans
erkanntermaßen die Abſicht hat, die Güterzertrüm⸗
merungen einzuſchränken, darf nicht ſo ausgelegt werden,
daß in einer nicht geringen Anzahl von Fällen ſeine
Anwendung an einer, übrigens nicht einmal unbe⸗
ſtrittenen Begriffsbeſtimmung ſcheitert, und daß für
die Beteiligten ein Weg geöffnet wird, auf dem ſie
ohne beſondere Schwierigkeiten die Vorſchriften des
Geſetzes umgehen können.
Man kann in der Tat auch nicht einſehen, warum
der den Güterzertrümmerungen ſo abgeneigte Geſetz⸗
geber gerade dieſe Art des Erwerbes hätte privilegieren
wollen. Höchſtens das könnte man allenfalls, wenn
auch nicht aus dem Geſetzestext, ſo doch aus den amt⸗
lichen Motiven zum Entwurf (Beil Bd. IX Nr. 852 der
Vhdl. d. K. d. Abg. i. J. 1909/1910) herausleſen, daß
der Erwerb im Zwangsverſteigerungsverfahren dann
1) Anm. des Herausgebers: Ich halte dieſe
Begründung nicht für zutreffend. Es iſt ſchon zweifel—
haft, ob das Gebot in der Zwangsverſteigerung über—
haupt ein Rechtsgeſchäft iſt. Jedenfalls iſt es aber
nicht der Rechtsgrund für den Eigentumserwerb des
Erſtehers. Der Rechtsgrund iſt der im Zuſchlags—
beſchluſſe verkörperte Prozeßvorgang. Iſt der Zu—
[lag rechtskräftig, jo kommt es auf die Gültigkeit
es Gebots nicht mehr an.
nicht unter das Geſetz fällt, wenn ihn der Güter⸗
händler außerhalb ſeines Geſchäftsbetriebs betätigt
hat. Doch auch mit dieſer Einſchränkung iſt die Privi⸗
legierung nicht zu halten; denn es wäre dann nicht
erklärlich, warum die Privilegierung nicht auch Platz
greifen ſollte in den Fällen, in welchen der Güter⸗
händler ein Anweſen unmittelbar durch ein Rechts⸗
geſchäſt unter Lebenden außerhalb ſeines Geſchäfts⸗
betriebs (3. B. durch Annahme an Zahlungsſtatt für
ein außerhalb des Geſchäftsbetriebs gewährtes Dar⸗
lehen) erworben hat.
Ich komme demgemäß zu dem Schluß: Sowohl
beim Erwerb eines Anweſens im Zwangsverſteigerungs⸗
verfahren, wie bei der Zertrümmerung des ſo er⸗
worbenen Anweſens finden die Vorſchriften des Güter⸗
zertrümmerungsgeſetzes Anwendung mit der aus dieſem
Geſetz ſelbſt ſich ergebenden Einſchraͤnkung, daß das
Vorkaufsrecht nach Art. 1 mit der A' izeigepflicht nach
Art. 2 und das Rücktrittsrecht nach Art. 5! wegfallen,
und zwar das Vorkaufsrecht auf Grund des gemäß
Art. 41! anzuwendenden 8 512 BGB., und das Rück⸗
trittsrecht deshalb, weil das Geſetz ſeinem unzwei⸗
deutigen Wortlaut nach einen Vertrag zwiſchen dem
Subhaſtaten und dem Güterhändler auf Uebertragung
des Eigentums als Kauſalgeſchäft voraus ſetzen würde,
und weil ein ſolcher Vertrag als Kauſalgeſchäft beim
Erwerbe des Eigentums durch Zuſchlag im Zwangs⸗
verſteigerungsverfahren begrifflich nicht in Betracht
kommen kann.
Amtsrichter Dr. Zeitler in München.
Ueber die polizeiliche Genehmigung ſtehender Licht⸗
ſpieltheater in Bayern. In meiner Abhandlung über
die Konzeſſionspflicht der Kinematographentheater nach
bayeriſchem Landesrecht!) hatte ich ausgeführt, daß die
Verwaltungsbehörden in Bayern von den Inhabern
ſtehender Kinematographentheater vielfach eine ge⸗
werbepolizeiliche Erlaubnis zur Eröffnung des Betriebes
verlangen, daß ſie insbeſondere auch die Erlaubnis zur
Eröffnung neuer Kinematographentheater verſagen,
wenn ihrer Meinung nach ein Bedürfnis zur Eröffnung
eines neuen Kinos nicht vorhanden iſt. Ich ſuchte ferner
nachzuweiſen, daß dieſe Praxis der Verwaltungs⸗
behörden unzuläſſig ſei, da reichsrechtlich keine Kon⸗
zeſſionspflicht der ſtehenden Kinotheater beſtehe und
die Beſtunmungen des bayeriſchen Landesrechtes, ſo⸗
weit ſie etwa an ſich eine derartige Konzeſſionspflicht
aufſtellen, ſeit Inkrafttreten der Gewerbeordnung in
dieſer Beziehung nicht mehr angewendet werden könnten.
m Ergebnis, wenn auch nicht in der Begründung,
iſt mir Staatsminiſter a. D. Ritter von Landmann
in ſeiner Abhandlung über die polizeiliche Genehmigung
ſtehender i in Bayern ) beigetreten. Er
weiſt vor allem nach, daß die Art. 32 und 33 des
bayeriſchen PStGB., auf welche die um
behörden ihre Befugnis ſtützen, die Zulaſſung ſtehender
Lichtſpieltheater zu verſagen, in Wirklichkeit nur die
Ausübung des Gewerbes beſchränken; die Polizei darf
danach die Genehmigung zur Eröffnung eines ſtehen⸗
den Kinotheaters nicht etwa mangels Bedürfniſſes ver⸗
ſagen, ſondern nur dann, wenn aus allgemeinen poli⸗
zeilichen Gründen auferlegte Bedingungen ſicherheits⸗
10 Hell gig in der ‚Zeitſchrift für Rechtspflege
in Bayern“ 1913 S. 213 ff.
) v. Landmann, ebendort S. 237 ff.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 97
oder ſittenpolizeilicher Art von dem Kinobeſitzer nicht
beachtet werden. Daß ſolche Beſchränkungen der Aus⸗
übung des Gewerbes zuläſſig ſind, iſt auch für die
übrigen Bundesſtaaten unſtreitig.
Daß entgegen dieſer Auffaſſung manche Ver⸗
waltungsbehörden in Bayern noch immer glauben,
auf Grund des Art. 32 PtGB. die Zulaſſung zum
Gewerbebetriebe verſagen zu können, zeigt ein Ver⸗
waltungsſtreitverfahren, das die Kinobeſitzer L. und R.
in N. gegen den Stadtmagiſtrat N. angeſtrengt hatten.
L. und R. beabſichtigten in N. ein ſtehendes Ki⸗
nematographentheater zu eröffnen; ein angeſtellter Re⸗
zitator ſollte während der Vorſtellungen des beſſeren
Verſtändniſſes halber kurze Erläuterungen zu den
Bildern geben, dagegen war nicht in Ausſicht genommen,
die Vorführungen durch Geſang oder deklamatoriſche
Vorträge zu begleiten.
Mit Polizeiſenatsbeſchluß hat der Stadtmagiſtrat
N. ihnen die polizeiliche Erlaubnis zur öffentlichen
Veranſtaltung von Lichtſpielvorſührungen verſagt. In
den Entſcheidungsgründen wurde auf 8 33 a GewO.
und Art. 32 PStGB. Bezug genommen; 8 33 a GewO.
ſchreibe in Ziff. 3 die Prüfung der Bedürfnisfrage vor;
auch nach Art. 32 PStGB. ſei der Stadtmagiſtrat zur
Würdigung der Bedürfnisfrage berechtigt. Werde dieſe
Frage aufgeworfen, ſo könne ſie bei der Lage und
Zahl der ſchon vorhandenen und genehmigten Betriebe
nur verneint werden.
Gegen dieſen Beſchluß wurde Beſchwerde an die
Regierung, Kammer des Innern, eingereicht, in der be⸗
ſtritten wurde, daß es zuläſſig ſei, die Bedürfnisfrage
bei der Eröffnung ſtehender Kinematograpbentheater
zu prüfen.
Die Regierung erteilte den Beſcheid, daß der Be⸗
ſchluß des Polizeiſenats außer Wirkſamkeit geſetzt und
die Sache zur neuen Behandlung und Entſcheidung
an die erſte Inſtanz zurückverwieſen werde.
In den Entſcheidungsgründen wurde im weſent⸗
lichen folgendes ausgeführt: Bei der in Ausſicht ge
nommenen Art des Betriebes könne 8 33 a Gew.
nicht angewendet werden, da die Lichtſpielbilder nur
durch eine redende Perſon kurz erläutert werden ſollten.
Ebenſowenig könne die Würdigung der Bedürfnisfrage
auf Art. 32 PStGB. geſtützt werden, da auf Grund
dieſer Vorſchrift nur Anordnungen hinſichtlich der Art
und Weiſe der Ausübung der kinematographiſchen Vor⸗
führungen getroffen werden könnten, ihre Zulaſſung
aber nicht in Widerſpruch mit den Beſtimmungen der
GewO. von der Prüfung und Bejahung der Bedürf⸗
nisfrage abhängig gemacht werden könne. Der Be⸗
ſcheid fährt fort:“
„Sollte die Art des Betriebes ſich in Zukunft —
ſelbſtoerſtändlich vorausgeſetzt, daß derſelbe nach der
in eigener Zuſtändigkeit, namentlich auch in bau⸗, feuer-,
ſicherheits⸗ und geſundheitspolizeilicher Hinſicht vor⸗
zunehmenden Würdigung durch den Stadtmagiſtrat N.
genehmigt worden ſollte — ſo geſtalten, daß die Vor⸗
ausſetzungen des 8 33a GewO. erfüllt fein werden,
ſo hätte der Stadtmagiſtrat Veranlaſſung, auf dieſer
Rechtsgrundlage ein neues Verfahren einzuleiten. Dies
wäre insbeſondere dann der Fall, wenn durch die
kinematographiſchen Darſtellungen von Handlungen
und Ereigniſſen die optiſche Täuſchung hervorgerufen
würde, als ob ſich der im bewegten Bilde wieder⸗
55 2 In unerträglichem Juriſtendeutſch. Der Heraus—
geber
98
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
gegebene Vorgang vor den Augen des Zuſchauers ab⸗
ſpielte (Reger, 4. Erg Bd. S. 197, Bd. 31 S. 278).“
Dem hier vertretenen Standpunkt kann man voll⸗
ſtändig beitreten, ſoweit es ſich um Aufhebung des
Beſchluſſes des Stadtmagiſtrats bandelt. Dagegen iſt
es mir zweifelhaft, ob die Auffaſſung haltbar iſt, die
am Schluß des Beſcheides ausgedrückt iſt. Zwar iſt
richtig erkannt, daß die Erklärungen, die der ſogenannte
Rezitator in den Kinotheatern zu den einzelnen vor⸗
geſührten Bildern zu geben pflegt, nicht ein deklama⸗
toriſcher Vortrag i. S. des 8 33a GewO. find; auch
muß zugegeben werden, daß unter Umſtänden aller⸗
dings die Mitwirkung von Perſonen bei der Vorführung
von Films als die Veranſtaltung von geſanglichen oder
deklamatoriſchen Vorträgen aufgefaßt werden kann,
nämlich dann, wenn der Geſang oder der Vortrag die
Hauptſache iſt, die linematographiſche Vorführung alſo
nur die nebenſächliche Begleitung des Vortrages. In
der großen Mehrzahl der Fälle wird das Verhältnis
zwiſchen geſanglichem oder deklamatoriſchem Vortrag
einerſeits, den kinematographiſchen Vorführungen an⸗
dererſeits aber gerade umgekehrt ſein. Sind aber die
kinematographiſchen Vorführungen die Hauptſache, fo
iſt es meines Erachtens unzuläſſig, für die mit den
kinematographiſchen Vorführungen ein einheitliches
Ganzes bildenden geſanglichen oder deklamatoriſchen
Vorträge eine Konzeſſion zu verlangen: die geſang⸗
lichen und deklamatoriſchen Vorträge haben nämlich
durch ihre Verſchmelzung mit den kinematographiſchen
Vorführungen ihre Selbſtändigkeit verloren. Es gibt
dann nicht mehr beſondere Vorträge und davon ver⸗
ſchiedene kinematographiſche Vorführungen, vielmehr
iſt aus beiden eine höhere Einheit geworden, ein or⸗
ganiſches Ganzes, nämlich die von mir ſogenannte
„kombinierte kinematographiſche Vorführung“. Eben⸗
ſowenig wie die einfache kinematographiſche Vorführung
zurzeit noch einer Konzeſſionspflicht unterliegt, iſt dies
aber auch bei den kombinierten kinematographiſchen
Vorführungen der Fall.“
Dabei ſoll keineswegs verkannt werden, daß die
Frage ſtreitig iſt, doch mag darauf hingewieſen werden,
daß die Rechtſprechung überwiegend ſich in ähnlicher
Weiſe geäußert hat.“)
Daß nicht alle Kreisregierungen in Bayern die
richtige Auffaſſung teilen, daß bei gewöhnlichen kine⸗
matographiſchen Vorführungen die Einführung einer
Konzeſſionspflicht nicht zuläſſig ſei, ergibt ſich aus einer
Entſcheidung des zweiten Senates des bayeriſchen Ver⸗
waltungsgerichtshofes (Nr. 15 II/ 13) vom 11. April 1913.
E. hatte in L. ein ſtehendes Kino eröffnen wollen:
der Stadtmagiſtrat hatte ihm aber die Genehmigung
zur Eröffnung eines Kinos verſagt. Gegen den Wa:
giſtratsbeſchluß legte E. Beſchwerde bei der Regierung
ein, die aber verworfen wurde. Gegen dieſen Beſcheid
beſchwerte ſich E. bei dem Verwaltungsgerichtshof.
Durch die erwähnte Entſcheidung vom 11. April 1913
wies auch der Verwaltungsgerichtshof die Beſchwerde
zurück, aber nicht etwa. weil er die irrige Auffaſſung der
Vorinſtanz billigte, ſondern nur, weil er ſich zur Entſchei⸗
dung über dieſe Beſchwerde nicht für zuſtändig erachtete.
) Hellwig „Oeffentliches Kinematographenrecht“
(Preußiſches Verwaltungsblatt Bd. 34 S. 200%).
) Das Oberlandesgericht Breslau, das Kammer—
gericht und das Hamburger Schöffengericht vertreten
die richtige Theorie. A. A. das Oberlandesgericht
Dresden. Die ganze Frage hoffe ich an anderer Stelle
eingehender behandeln zu können.
In den Entſcheidungsgründen wurde im weſent⸗
lichen ſolgendes ausgeführt:
„Die Vorinſtanzen ſtützen ihre Anſicht, daß eine
Erlaubnis notwendig ſei, und die Verweigerung dieſer
Erlaubnis nicht auf eine Beſtimmung der GewO. — die
zweite Inſtanz hebt ausdrücklich hervor, daß die Ver⸗
anſtaltung nicht unter 8 33a GewO. falle und ein
freies Gewerbe ſei —, ſondern auf Art. 32 Abſ. I Ziff. 2
P StB. Die Regierung führt dazu unter Hinweis
auf die in Regers Entſch. (Erg. Bd. 3 S. 389 und 4
S. 197) abgedruckten Urteile des Oberſten Landesgerichts
des näheren aus, daß dies den Beſtimmungen der GewO.
nicht widerſpreche. Der Grundſatz der Gewerbefreiheit
ſei dort nur in dem Sinne aufgeſtellt, daß die „Zus
laſſung“ zum Betriebe eines Gewerbes nicht in weiterem
Umfange beſchränkt werden dürfe, als die GewO. vor⸗
ſchreibt oder zuläßt. Hinſichtlich der „Ausübung“ des
Gewerbes unterlägen jedoch auch die zum Betriebe
zugelaſſenen Gewerbeberechtigten den allgemeinen Ge⸗
ſetzen und den auf Grund dieſer Geſetze im öffentlichen
Intereſſe getroffenen Anordnungen. Die Ausübung
des Gewerbes ſei in Bayern auf Grund jener landes⸗
geſetzlichen Beſtimmung im Zuſammenhalt mit 8 15
der Zuſtändigkeitsverordnung vom 4. Januar 1872
von ortspolizeilicher Erlaubnis abhängig. Die Ers
laubnis könne nach Ermeſſen der Behörde unter Ve⸗
dingungen erteilt oder ganz verweigert werden und
der Magiſtrat habe ſie hier in zutreffender Weiſe
mangels eines Bedürfniſſes verweigert. Der über⸗
mäßigen Vermehrung fraglicher Unternehmungen und
damit einer das öffentliche Wohl gefährdenden Zus
nahme ihrer unerwünſchten Begleiterſcheinungen und
Folgen müſſe rechtzeitig durch Verſagung der Erlaubnis
entgegengetreten werden.
Die Beſchwerde widerſpricht dem. Eine Erlaubnis
ſei nicht, auch nicht auf Grund des Art. 32 P StGB.
erforderlich. Die in der GewO. begründete Zulaſſung
zum Betriebe des Gewerbes dürfe nicht nach freiem
Ermeſſen der Polizeibehörden beſchränkt oder verhindert
werden, es ſeien nur allgemeine polizeiliche Beſtim⸗
mungen, alſo ſicherheits⸗, geſundheits⸗, feuerpolizei⸗
liche Maßregeln, zuläſſig.“
Den 8 33a GewO. erachtete der Verwaltungs⸗
gerichtshof gleichfalls nicht ſür anwendbar.
In Gewerbeſachen ſei nach Art. 8 Ziff. 8 VGH.
der Verwaltungsgerichtshof zur Entſcheidung nur in
den Fällen berufen, in denen das nach 88 20 und 21
Gewd. vorgeſehene Verfahren nach den jeweils gelten⸗
den Beſtimmungen der GewO. einzutreten habe.
Es fehle ſomit eine Vorſchrift, durch welche die
gewerberechtliche Zuſtändigkeit des Verwaltungsge⸗
richtshofes begründet wäre. Auch ſonſt fehle es an
einer geſetzlichen Beſtimmung, die den Verwaltungs⸗
gerichtshof für zuſtändig erkläre, darüber zu entſcheiden,
ob die Vorinſtanzen die Verweigerung der Erlaubnis
auf die landesgeſetzlichen Vorſchriften des Art. 32
PStGB. ſtützen könnten.
Da mithin die Möglichkeit fehlt, daß im Ver⸗
waltungsſtreitverfahren für Bayern einheitlich feſt⸗
geſtellt wird, daß die von einem Teil der bayeriſchen
Verwaltungsbehörden bis auf den heutigen Tag ver⸗
vertretene irrige Geſetzauslegung beſeitigt wird, bleibt
nur übrig, daß das Staatsminiſterium bei Beſchwerden
der Geſuchſteller ſich mit der Frage befaßt und durch
Verwaltungsanordnungen dafür forat, daß ſämtliche
Verwaltungsbehörden Bayerns den Art. 32 PStGB.
fo auslegen, wie es der Rechtſprechung und der Li⸗—
teratur entſpricht.
Gerichtsaſſeſſor Dr. Hellwig in Verlin-Friedenau.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5. 99
— —— — — . — äÜ—i1Nů...... —— EEE :X —
Aus der Rechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivil ſachen.
1
Sind Tanks und Bsttiche Beſtandteile eines Brauerei⸗
arundſtäcks? Aus den Gründen: Das OLG. hat
dem Eigentumsvorbehalte die Wirkſamkeit abgeſprochen,
weil die Tanks und Bottiche weſentliche Beſtandteile des
Grundſtücks oder des Brauereigebäudes geworden ſeien,
ſo daß ein Sondereigentum an ihnen nicht mehr be⸗
ſtehen könne. Das Urteil ſtützt ſich auf folgenden Sach⸗
verhalt: Die Gegenſtände befanden ſich in Räumen,
die aus einem früheren Eiskeller zu Lager⸗ und Gär⸗
räumen hergerichtet waren. Um die Aufnahme der
Gegenſtände zu ermöglichen, mußten umfangreiche bau⸗
liche Veränderungen vorgenommen werden, namentlich
mußte die Decke des früheren Eiskellers höher gelegt
und mit Eiſenſchienen verſehen werden. Außerdem
wurden Zwiſchenräume eingeriſſen und neue Wände
aufgeführt, ſo daß Tanks und Bottiche in den Räumen,
wo fie untergebracht find, ringsum mit Mauern um»
geben find. Die Tanks ſtehen auf / m hohen Eiſen⸗
füßen und ſind mit dieſen durch eine Zementſchicht ver⸗
bunden. Die Vottiche ſitzen auf eiſernen Schienen und
ſind mit dieſen ebenfalls durch Zement verbunden.
Die Tanks und Bottiche aus den Räumen zu entfernen,
iſt nur bei teilweiſem Niederreißen der Mauern mög⸗
lich. Tanks und Bottiche ſind zum Betriebe der
Brauerei unbedingt notwendig, und die Einrichtung
hat nach dem Willen des Herſtellers dauernd ſein
ſollen. Sodann führt das OLG. aus: Nach der Ver⸗
kehrsanſchauung ſeien die Tanks und die Bottiche zu⸗
ſammen mit den Räumen, in denen ſie ſich befinden,
Beſtandteile des Brauereigebäudes, ſie bildeten mit
ihm ein einheitlich körperliches Ganzes. Deshalb ſeien
fämtlide Vorausſetzungen des 8 93 BGB. gegeben;
durch die Entfernung der Gegenſtände würde das
Brauereigebäude in ſeinem Weſen geändert. Denn
durch die Wegnahme würde das bisherige Ganze —
die Brauerei — aufgehoben, die Gär⸗ und Lagerräume
würden für den Brauereibetrieb unbrauchbar werden
und in ihrem wirtſchaftlichen Werte Einbuße erleiden.
— Die Fortnahme der Gegenſtände würde ferner auch
ſolche Eingriffe in das Gebäude erfordern, daß die
Beſchädigung einer Zerſtörung gleichkommen würde.
— Außerdem hätten die Tanks und Bottiche aber auch
als zur Herſtellung des Gebäudes eingefügte Sachen
zu gelten (8 94 Abſ. 2 BGB.).
Dieſe Ausführungen ergeben, daß das OLG. die
Begriffe der Sache, der Beſtandteile überhaupt und der
weſentlichen Beſtandteile insbeſondere verkennt und
die Vorſchriften der 88 93, 94 Abſ. 2, 97, 98 BGB.
irrig auffaßt. Zunächſt iſt nach der tatſächlichen Feſt⸗
ſtellung über die Lage und die Aufſtellung der Tanks
und Bottiche fowie nach dem Weſen dieſer Gegenſtände
überhaupt die Annahme unrichtig, daß die Gegenſtände
i. S. des 8 94 Abſ. 2 BG. zur Herſtellung des zum
Betriebe der Brauerei errichteten Gebäudes eingefügt
ſeien. Unter Gegenſtänden, die zur Herſtellung eines
Gebäudes eingefügt werden, ſind allerdings nicht aus⸗
ſchließlich Baumaterialien zu verſtehen. Nach den
Mot. zu 8 783 Entw. I (8 94 Abſ. 2 d. Gef.) Bd. 3
S. 44 wurde es abgelehnt, wie im 8 286 des ſächſ.
GB. als Beſtandteile eines Gebäudes nur die Baus
materialien zu bezeichnen, alſo die zur Herſtellung des
Gebäudes als ſolchen notwendigen Gegenſtände, weil
der Begriff der Baumaterialien ſchwer zu begrenzen
ſei, unter Umſtänden recht zweifelhaft ſein könne, ob
Türen, Fenſterflügel u. dgl. unter ihn fielen; durch
die gegebene Vorſchrift ſollten alle zur Herſtellung des
Gebäudes verwendeten und zu feiner dauernden Bil-
dung beſtimmten Gegenſtände betroffen werden. Aber
zur Herſtellung eines Gebäudes eingefügt iſt ein
Gegenſtand, abgeſehen von der erforderlichen Art
der Einbringung zwiſchen andere Gebäudeteile, nur
dann, wenn ſeine Einbringung dazu mitgewirkt
hat, daß das ihn als Gebäudeſtück in ſich ſchließende
Gebäude als Baulichkeit hergeſtellt wurde. Dieſe
Vorausſetzung iſt hier für die Tanks und Vottiche
im Verhältnis zu dem Gebäude, in dem ſie ſich be⸗
finden, nicht gegeben. Sie ſind im Innern des Ge⸗
bäudes aufgeſtellt und dieſe Aufſtellung hat nicht dazu
mitgewirkt, daß das Gebäude als Baulichkeit herge⸗
ſtellt worden iſt. Das OLG. meint augenſcheinlich,
der Begriff des Gebäudes im 8 94 Abſ. 2 BGB. um⸗
faſſe auch ein für einen gewerblichen Vetrieb dauernd
eingerichtetes Gebäude i. S. des 8 IE BGB., die Tanks
und Bottiche ſeien hier Einrichtungsgegenſtände hin⸗
ſichtlich des zum Betriebe der Brauerei eingerichteten
Gebäudes, des Brauhauſes, und daher ſeien ſie zur
Herſtellung des Brauhauſes eingefügt. Dieſe Auf⸗
faſſung iſt unzutreffend. Ein eingerichtetes Gebäude
i. S. des 8 98 BGB. kann allerdings zuſammen mit
den Einrichtungsgegenſtänden eine einzige Sache bilden
und es können auch die Einrichtungsgegenſtände we⸗
ſentliche Beſtandteile des Ganzen fein, nämlich in
erſterer Hinſicht, wenn die Einrichtungsgegenſtände mit
der Baulichkeit derart vereinigt ſind, daß das Ganze
ein einziger Körper (8 90 BGB.) iſt, und in letzterer
Hinſicht, wenn die Vorausſetzungen des 8 93 BG.
vorliegen. Aber auch in dieſem Falle ſind die Ein⸗
richtungsgegenſtände nicht i. S. des 8 94 Abſ. 2 BGB.
zur Herſtellung des Gebäudes, der Baulichkeit als
ſolcher, eingefügt. Das eingerichtete Gebäude iſt viel⸗
mehr, auch wenn es eine einzige Sache bildet, hin⸗
ſichtlich des Umfangs der Beſtandteile und hinſichtlich
der Erforderniſſe für die Eigenſchaft der Beſtandteile
als weſentlicher eine anders geartete Sache wie das
im 8 94 Abſ. 2 BGB. gemeinte Gebäude, das nur die
zu ſeiner Herſtellung eingefügten Gegenſtände als
wefentliche Beſtandteile in ſich ſchließt (RG. in JW.
1911 S. 574 Nr. 4. Warneyer Rſpr. 1913 Nr. 80).
Ferner ſind die Tanks und Bottiche nicht Einrichtungs⸗
gegenſtände in dem Sinne, daß ſie wegen dieſer Eigen⸗
ſchaft ohne weiteres als Teile des zum Brauereibe⸗
triebe dauernd eingerichteten Gebäudes zu gelten hätten.
Sie ſind zum Betriebe der Brauerei beſtimmte Gerät⸗
ſchaften. Stehen ſolche Gerätſchaften zu dem Brauerei⸗
gebäude in einem dieſer Beſtimmung entſprechenden
räumlichen Verhältniſſe, fo find fie nach 88 97, 98 BG.
Zubehör, wenn fie nicht Beſtandteile des Brauerei⸗
betriebes find. Beſtandteile aber find ſolche Gerät⸗
ſchaften nur dann, wenn ſie mit dem Brauereigebäude
derart vereinigt find, daß das Ganze ein einziger för»
perlicher Gegenſtand iſt und ſie Teile, Stücke dieſes
Körpers ſind. Hiervon geht auch der Berufungsrichter
bei Darlegung ſeines erſten Entſcheidungsgrundes aus,
der ſich nicht auf 8 94 Abſ. 2 BGB. ſtützt. Nicht bei⸗
zuſtimmen aber iſt ſeiner Anſicht, daß hier die Tanks
und Bottiche nach ihrem Zweck und nach der Art ihrer
Einbringung in das Brauereigebäude mit dieſem zu⸗—
ſammen eine einzige Sache bildeten und daher Be⸗
ſtandteile dieſer Sache ſeien. Die Zweckbeſtimmung
ergibt nicht, daß die Tanks und Bottiche Beſtandteile,
nicht Zubehör der Brauereiſache ſind. Denn auch als
Zubehör ſind ſie zum Betriebe der Brauerei beſtimmt.
Ebenſowenig folgt die Beſtandteilseigenſchaft daraus,
daß die Tanks und Bottiche ſich im Innern des Brauerei—
gebäudes befinden, da ſie gerade auch zufolge dieſer
Einbringung in einem ſolchen räumlichen Verhältniſſe
zu der Brauereiſache ſtehen, wie es Vorausſetzung für
die Annahme ihrer Zubehöreigenſchaft iſt. Für die
Frage, ob hinſichtlich eines für einen gewerblichen Be—
trieb dauernd eingerichteten Gebäudes die zu dem Be—
triebe beſtimmten Gerätſchaften Zubehör oder Beſtandteile
ſind, iſt vielmehr, wie in zahlreichen Entſcheidungen
—
8 138 Abſ. 1 B88. verſtoßenden Umſtand erblidt,
100 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
151 wurde (vgl. JW. 1911 S. 532 Nr. 2,
1912 S. 128 Nr. 1; Warneyer Rſpr. 1909 Nr. 58, 59;
1910 Nr. 97, 190; 1913 Nr. 80), entſcheidend, ob ſie
nee bewegliche Gegenſtände geblieben find,
auch nachdem fie zu dem eingerichteten Gebäude hinzu⸗
ebracht wurden, oder ob ſie ihre körperliche Selb⸗
tändigkeit derart verloren haben, daß ſie nur noch als
Sachteile, als Stücke des etwa einen einzigen körper⸗
lichen Gegenſtand bildenden eingerichteten Gebäudes in
Betracht kommen. Hier ſind die Tanks und Bottiche
nicht unſelbſtändige Stücke des Brauereigebäudes, ſon⸗
dern ſelbſtändige e Gegenſtände. Sie ſtehen
frei in Räumen des Gebäudes auf eiſernen Füßen und
eiſernen Schienen, die mit dem Boden nicht verbunden
ſind. Daß ſie, um ihnen eine größere Standhaftigkeit
au geben, durch eine 2 cm ſtarke And mit
en Unterlagen verbunden worden find, nimmt ihnen
die körperliche Selbſtändigkeit ebenſowenig, wie daß
bei ihrer Entfernung aus den Räumen, in denen ſie
ſich befinden, Oeffnungen in den Wänden hergeſtellt und
einige Veränderungen in der Einrichtung der Räume
vorgenommen werden müßten, weil ſie wegen ihres
großen Umfangs durch die Eingangstüren nicht hin⸗
ausgeſchafft werden könnten und weil der Art ihrer
Aufſtellung die Einrichtung der Räume entſpricht.
Sie ſind auch nach der Einbringung für ſich beſtehende
bewegliche Sachen, eben Tanks und Vottiche, geblieben.
Das Brauereigebäude und ſie bilden nicht einen ein⸗
zigen körperlichen Gegenſtand, ſondern eine Mehrheit
ſelbſtändiger, nur für den Zweck des Brauereibetriebes
zuſammengebrachter Sachen, alſo m. a W. nicht eine
einzige Sache, ſondern nur eine wirtſchaftliche Einheit,
und zwar in der Weiſe, daß die Tanks und Bottiche
Zubehör der Brauhausſache ſind. Der Berufungs⸗
richter betont zwar wiederholt, nach der Verkehrs⸗
auffaſſung ſei das Ganze eine einzige Sache. Jedoch
ift, da das OLG. über das Beſtehen einer Verkehrs⸗
auffaſſung keine Ermittelungen angeſtellt hat, unter
der genannten Verkehrsauffaſſung nichts anderes zu
verſtehen als die Anſchauung des OLG. Dieſe aber
iſt vor allem deswegen irrig, weil eine Mehrheit von
Sachen nur aus dem Grunde als eine einzige Sache
erachtet wird, daß ſie gemeinſam dem Zwecke eines
gewerblichen Betriebes dienen und die eine Sache ſich
im Innern der anderen befindet. (Urt. des V. 38.
vom 3. Dezember 1913, V 180/13). — — n.
3239
II.
Schon die Mönlichleit der Häufung der Bertrags⸗
ſtrafen kann den Vertrag als fittenwidrig erſcheinen
laſſen. Aus den Gründen: Nach der einwand⸗
freien Auslegung des Berufungsgerichts trifft $ 7 des
Vertrags, wonach der Beklagte bei Nichterfüllung der
im Vertrage von ihm übernommenen Verpflichtungen
für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung eine
ſofort fällige Vertragsſtrafe von 20 000 M zu entrichten
hat, ohne daß die Klägerin einen Schaden nachzu—
weiſen braucht, ſämtliche in den SS 1—6 genannten
Verpflichtungen. Die Unſittlichkeit der Strafberedung
wird nicht etwa nur in der ungewöhnlichen Höhe der
Strafe erblickt, die das Jahreseinkommen des Be—
klagten erheblich überſtieg. Es kommt noch etwas
Weiteres hinzu, nämlich der Umſtand, daß die Strafe
für jeden einzelnen Uebertretungsfall nicht nur des
Wettbewerbsverbots, ſondern aller einzelnen Vertrags—
verpflichtungen vereinbart worden iſt. Das genügt
nach der Rechtſprechung des Senats (vgl. RG. 68, 229;
JW. 13, 319°). Daß in dem erſten dieſer beiden Fälle
zu der außerordentlich hohen Vertragsſtrafe noch die
Verpflichtung des damaligen Beklagten mittels Ehren—
worts zum Schutze der bloßen Vermögensintereſſen
des damaligen Klägers hinzukam, ändert an der Sache
nichts. Denn nicht erſt in dem Hinzukommen der
ehrenwörtlichen. Verpflichtung hat der Senat den gegen
ſondern bereits in der Beſtimmung, daß die hohe
Strafe bei jeder Uebertretung der in dem damaligen
Vertrage gegebenen höchſt umfaſſenden und ins ein⸗
zelne gehenden Verpflichtungen verwirkt ſein ſolle.
Ganz abgeſehen davon läßt aber ſchon die bloße
e der Strafenhäufung für jeden einzelnen
Fall der Zuwiderhandlung die Bindung durch Vertrags⸗
1 als unſittlich erſcheinen mit Rückſicht darauf,
aß das Jahreseinkommen des Beklagten ſich auf etwa
15000 M belief. Denn dieſe Möglichkeit hätte dahin
führen können, daß der Beklagte der Klägerin in kurzer
Zeit einen Betrag ſchuldig geworden wäre, der ſein
Jahreseinkommen ganz außerordentlich überſtiegen und
ihn wirtſchaftlich zugrunde gerichtet hätte. Das wider⸗
ſpricht aber dem Gefühle aller gerecht und billig
Denkenden. (Urt. d. III. 3S. vom 12. Dezember 1913,
III 420/13). — a —
3220
III.
Es kann vereinbart werden, daß der Vorbehalt des
Rechts auf die Vertrags ſtrafe bei der Erfüllungsannahme
nicht erforderlich fein ſoll. Aus den Gründen:
Nach § 341 Abſ. 3 BGB. kann der die Erfüllung an⸗
nehmende Gläubiger die Vertragsſtrafe nur verlangen,
wenn er ſich das Recht dazu bei der Annahme vor⸗
behält. Ein ſolcher Vorbehalt iſt von der Beklagten
bei der Erfüllungsannahme nicht gemacht, er war
aber auch nach 8 5 des Werkvertrags nicht erforderlich.
Die Beſtimmung des 8 341 Abſ. 3 muß der Verein⸗
barung weichen, ſie iſt nicht zwingendes ſondern nach⸗
giebiges Recht. Sie dient dem Zwecke, Streitigkeiten
darüber abzuſchneiden, ob in vorbehaltloſer Annahme
ein Verzicht auf die Vertragsſtrafe gefunden werden
muß. Solchen Streitigkeiten iſt aber von vornherein
der Boden entzogen, wenn vertragsmäßig feſtſteht,
daß dem Mangel des Vorbehalts die Bedeutung eines
Verzichts nicht zukommen kann. Die Vertragsbeſtim⸗
mung läuft alſo dem Geſetzeszwecke nicht zuwider.
In der Begründung zu 8 421 des Entwurfs eines
BGB. iſt auch ausdrücklich geſagt, daß die Geſetzes⸗
vorſchrift nur inſoweit Anwendung finde, als nicht
Vertrags vereinbarungen entgegenſtehen. (Für die Zus
läſſigkeit ſolcher Vereinbarungen vgl. auch Planck Erl. 2
Abſ. 2, Oertmann Anm. 3 d zu § 341 BEB., Staub»
Könige Anm. 33 zu 8 348 HGB.). (Urt. des III. 3S.
vom 20. Januar 1914, III 418/13). — a —
3221
IV.
Umfang der UNeberwachungspflicht des Hanseigen-
tümers, der fein Hans im ganzen vermietet hat. Die
Beklagte hatte ihr Haus im ganzen vermietet, bei den
ihr vertragsmäßig obliegenden Herſtellungsarbeiten
war ein loſe auf dem Flur ſtehender Heizkörper vom
Platze bewegt worden, war umgefallen und hatte den
Kläger, ein dort ſpielendes Kind, verletzt. Aus den
Gründen: Die Annahme des Berufungsgerichts, daß
die Sorge für die Verkehrsſicherheit des Flurs vom
Beginn des Mietverhältniſſes an auf den Mieter aus
ſchließlich übergegangen ſei, trifft nicht zu. Aller⸗
dings geht regelmäßig beim Mieten eines ganzen
Hauſes auch der Beſiß an den Treppen und Fluren
und damit die Sorge für ihre Verkehrsſicherheit auf
den Mieter über, da nur ihm die Verfügungsbefugnis
über die Räume und die Beſtimmung über den Ber:
kehr im Haufe zuſteht. Ob jedoch daneben noch dem
Vermieter mit Rückſicht auf ſeine Verpflichtung, den
Mietsgegenſtand dauernd in einem zu dem vertrags-
mäßigen Gebrauche geeigneten Zuſtande zu erhalten,
eine gewiſſe Pflicht zur Ueberwachung des Zuſtandes
von Treppen und Fluren verbleibt und ob nicht ſchon
aus dieſem Grunde der Flur im Mitbeſitze der Be⸗
— ——
klagten geblieben iſt, kann hier auf ſich beruhen. Denn
ein Mitbeſitz der Beklagten und eine Pflicht zur Ueber⸗
wachung des Flurs folgt ſchon aus der Tatſache, daß
die Beklagte die Vornahme der Anſtreicher⸗ und
Tapeziererarbeiten im Flur dem Mieter gegenüber
vertraglich übernommen hatte und zur Zeit des Un⸗
falls noch ausführen ließ (wird näher dargelegt).
(Urt. des III. ZS. vom 5. Dezember 1913, III 373/13).
3222 — a —
V.
Anforderungen an die Beleuchtung bei einer klein⸗
ſtädtiſchen Gaſtwirtſchaft. Aus den Gründen: Der
Wirt hat zwar für die hinreichende Beleuchtung
der Gaſtwirtſchaftsräͤume und ihrer Zugänge zu ſorgen
und haftet bei ſchuldhaftem Verſtoß gegen dieſe Pflicht
allen dort Verkehrenden nach den Grundſätzen über
unerlaubte Handlungen und feinen Gäſten gegenüber
auch aus dem Gaſtaufnahmevertrage. In welchem
Maße die Beleuchtung ſtattfinden muß, darüber laſſen
ſich nicht allgemein geltende Grundſätze aufſtellen.
Insbeſondere iſt der vom OL. aufgeſtellte Grundſatz
zu beanſtanden, die Beleuchtung müſſe ſo hell ſein, daß
alle im Wege befindlichen Hinderniſſe ohne Anſtrengung
vom Gaſt erkannt werden könnten. Für das Maß der
Beleuchtung bildet die Anſchauung des Verkehrs die
Richtſchnur. Hiernach find bei kleineren, insbeſondere
auch bei ländlichen und kleinſtädtiſchen Wirtſchaften
im allgemeinen geringere Anforderungen an die Be⸗
leuchtung der Zugänge zu den Wirtſchaftsräumen zu
ſtellen, weil ſich die an geringere Beleuchtung gewöhnte
Bevölkerung mit größerer Sicherheit und Geſchicklich⸗
keit im Dunkeln fortzubewegen verſteht, als der an
ein helles Licht gewöhnte Großſtädter. Die Beleuchtung
der Wirtshauseingänge ſoll dazu dienen, den Wirts⸗
hausbeſuchern einen ſicheren und gefahrloſen Verkehr
zur Wirtſchaft und aus der Wirtſchaft zu ermöglichen.
Je größer die Verkehrshinderniſſe im Flur ſind, wie
3. B. unverſchloſſene Türen, durch die man in den
Keller ſtürzen kann, Stufen, die man nicht vermutet,
Läufer, über die man ſtolpern kann, oder im Flur
aufgeſtellte Gegenſtände, deſto heller muß die Beleuch⸗
tung ſein. Hier kommt in Betracht, daß B. ein kleiner
Ort von 7000 Einwohnern iſt, daß es ſich um eine
kleine Wirtſchaft handelt. — Dazu kommt, daß der die
Wirtſchaft verlaſſende Kläger beim Oeffnen der Gaſt⸗
zimmertür zunächſt durch das Licht des Gaſtzimmers
ſeinen Weg beleuchtet fand, und daß er ſich über den
Hausausgang und die einzuſchlagende Richtung nicht
im Unklaren befinden konnte, weil durch die geöffnete
Haustür das Licht der Straßenlaterne zum Flur
ereinſchien. Da ſich Verkehrshinderniſſe im kleinen
lur nicht befanden und mit dem Vorhandenſein weg⸗
geworfener Fruchtreſte im Hausflur auch bei Anwen⸗
dung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht ge⸗
rechnet werden konnte, genügte unter den gegebenen
Berhältniſſen die vorhandene Beleuchtung (Gaſtzimmer⸗
licht, Straßenlaterne), um gefahrlos den Ausgang zur
Haustür zu gewinnen. (Urt. des III. ZS. vom 22. De⸗
zember 1913, III 361/13). — a —
8228
VI.
Haftung des Vermieters für einen Unfall des Mie⸗
ters in olge Eisbildung auf dem bei ſtarker Kälte naß
aufgewiſchten Treppenlinolenm. Aus den Gründen:
Die Beklagte hatte ... die Verpflichtung, durch geeig⸗
nete Maßregeln der in der Eisbildung liegenden Ge⸗
fahr vorzubeugen. Die Sorgepflicht des Hauseigen⸗
tümers und Vermieters 2 den verkehrsſicheren Zus
fand der dem Verkehr, insbeſondere der Mieter, zur
Benutzung freigegebenen 9 richtet ſich nach den
einzelnen Umſtänden, auch nach den Zeitverhältniſſen.
Wie er außerhalb des Hauſes bei Glatteis zu ſtreuen
verbunden iſt, ebenſo hat er dafür zu ſorgen, daß ſich
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
101
innerhalb des Hauſes kein das Gehen gefährdendes
Eis bilde. Eine Eisbildung auf den Treppen eines
Hauſes, namentlich auf einem ohnedies glatten Lino⸗
leum, iſt für den Beſucher gefährlicher als eine ſolche
auf dem Bürgerſteige. Bei Anwendung einiger Sorg⸗
falt konnte die Beklagte auch erkennen, daß die von
ihr gebilligte Behandlung des Linoleums bei ſtrenger
Kälte mangelhaft ſei und die Gefahr der Eisbildun
und damit der Verletzung von Hausbeſuchern in ſich
ſchließe. Die bei ſolcher Sachlage gebotenen Maßregeln
hatte ſie von ſich aus in Ausübung ihrer Sorgepflicht
zu treffen. Sie durfte ſich nicht darauf verlaſſen, daß
ihre Magd der Kälte Rechnung tragen und in Abände⸗
rung der gewohnten Handhabung das Richtige vor⸗
nehmen werde. (Urt. des III. ZS. vom 3. Januar 1914;
III 410/13). — a —
8225
VII.
Beamtenhaftung des Notars, der die Erfüllung ihm
perſönlich obliegender Pflichten feinem Sekretär über-
laſſen hat. Aus den Gründen: Die Verantwortung
des beklagten Notars folgt hier aus 8 839 BGB. uns
mittelbar und hängt nicht davon ab, daß der Verletzte
nicht auf andere Weiſe Erſatz erlangen kann. Der
Notar hat die ihm kraft 1 Amtes obliegenden
Pflichten in eigener Perſon zu erfüllen. Zu dieſen
Pflichten aber gehört, daß er ſich bei der Beurkun⸗
dung eines Rechtsgeſchäfts vergewiſſert, daß der Inhalt
der Urkunde dem wahren Willen des Erklärenden ent⸗
ſpricht, daß dieſer ſich der Bedeutung der beurkundeten
Erklarung voll bewußt iſt. Dieſe Ueberzeugung muß
ſich der Notar perſönlich verſchaffen. Wenn er ſich
auch zur Vorbereitung der Verhandlung ſeiner Ge⸗
hilfen bedienen darf, ſo bleibt er doch verpflichtet,
perſönlich feſtzuſtellen, daß ſeine Gehilfen ſachgemäß
und erſchöpfend den Willen der Erſchienenen erkundet
und ſie belehrt haben. Nur ausnahmsweiſe, bei ein⸗
facher Sachlage, oder wenn die Erklärenden rechts⸗
und geſchäftskundige Perſonen ſind, wird hierzu die
a Verleſung der von dem Gehilfen entworfenen
Urkunde genügen. Hier war das Verfahren des Notars
unzuläſſig. Es handelte ſich um die Beurkundung von
drei miteinander zuſammenhängenden Rechtsgeſchäften
keineswegs einfacher Art, und die Kläger waren Land⸗
leute, bei denen er keine beſondere Rechts⸗ und Ge⸗
ſchäftskenntnis vorausſetzen konnte. Gleichwohl hat
der Beklagte die ganze Vorbereitung der Verhandlung,
die Erkundung des Willens der Vertragſchließenden
und die Erteilung der gebotenen Auskunft ſeinem
Sekretär überlaſſen, ſelbſt mit den Klägern überhaupt
nicht verhandelt und ſich darauf beſchränkt, das vor⸗
bereitete Protokoll zu verleſen. Er hat es unterlaſſen,
ſich davon zu überzeugen, ob die Kläger wußten, welche
Bedeutung ein anhängiger Rechtsſtreit für die ihnen
abgetretene Hypothek haben könne, und ob ſie Kenntnis
hatten von dem bei der Hypothek eingetragenen Sperr⸗
vermerk. Dieſes Verhalten mag dadurch veranlaßt
ſein, daß er meinte, ſich auf ſeinen Sekretär verlaſſen
zu können. Aber es verſtieß gegen die Pflicht, die ihm
ſein Amt auferlegte, und es kann auch keinem Zweifel
unterliegen, daß er dieſe ſeine Pflicht, perſönlich den
wahren Willen der Vertragſchließenden feſtzuſtellen,
kannte, daß er ſich alſo bewußt war, nicht den Pflichten
ſeines Amtes gemäß zu handeln. Es fällt ihm alſo
nicht nur Fahrläſſigkeit zur Laſt. Ein bewußtes Zu⸗
widerhandeln des Beamten gegen die ihm Dritten
gegenüber obliegende Amtspflicht genügt, um ſeine
unmittelbare nicht bloß fubfidiäre Verantwortung zu
begründen. Es iſt hierzu nicht etwa das Bewußtſein
erforderlich, daß durch dieſe Pflichtverletzung ein Schaden
für den Dritten entſtehen könne. Es iſt auch eine un—
abweisbare Forderung, daß der zum perſönlichen
Handeln verpflichtete Beamte unbeſchränkt für allen
Schaden einſtehen muß, der dadurch entſteht, daß er
102
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
—— —— — . ͤ .- l,ůꝛ—
anderen zu tun überläßt, was er ſelbſt zu tun ver⸗
pflichtet war. Der Notar, der ſich zur Erfüllung der
ihm obliegenden Amtspflicht eines Gehilfen bedient,
tut dies auf ſeine Gefahr und Verantwortung, ohne
den Verletzten auf die Möglichkeit eines anderweiten
Erſatzes verweiſen zu können. (Urt. des III. ZS. vom
19. Dezember 1913; III 419/13). — a —
3228
VIII.
Abänderung eines durch Beweisbeſchlun ſeſtgeſtellten
Eides ohne mündliche Verhandlung. Wirkung des ge⸗
leiſteten Eides. Aus den Gründen: Das BG. durfte
für die Beklagten durch Beweisbeſchluß folgenden Eid
feſtſtellen: „es iſt nicht wahr, daß ich dem Kläger eine
Proviſion für den Nachweis eines Käufers oder eines
Verwertungsintereſſenten hinſichtlich des.. Geländes.
verſprochen habe,“ da die Parteien ausweislich der
Eideszuſchiebung und der Eidesannahme über Norm
und Erheblichkeit des Eides einig waren und der Eid
ein ſelbſtändiges Angriffsmittel des Klägers enthielt
Es unterliegt auch keinem Bedenken, daß das
auf Antrag der Beklagten aus der Eidesnorm die
Worte „eines Käufers oder“ ſtrich. Abgeſehen davon
daß ſich hierdurch die Lage des Klägers nicht ver⸗
ſchlechterte, war die Abänderung nach § 469 ZPO. zu⸗
läſſig. Denn da die Beklagten für den Fall des Nach⸗
weiſes eines Käufers durch den Kläger dieſem einen
Proviſionsanſpruch ohne weiteres zubilligen wollten,
handelte es ſich bei der Streichung der drei Worte um
die Berichtigung eines nach der derzeitigen Prozeßlage
unerheblichen Umſtandes. Zuzugeben iſt dem Kläger,
daß die Veränderung der Eidesnorm ohne vorherige
mündliche Verhandlung einen Verſtoß des BG. gegen
88 360, 128 ZPO. enthielt. Deshalb find a durch
die Eidesleiſtung der Beklagten die im 8 463 3
angegebenen Wirkungen nicht eingetreten, da die 1 75
ſetzung für die Leiſtung des veränderten Eides, nämlich
ein ordnungsmäßiger Beweisbeſchluß, nicht vorlag.
Dieſe Grundlage wurde aber vom BG. nachträglich
geſchaffen, indem es auf die Prozeßrüge des Klägers
nach mündlicher Verhandlung die durch den früheren
Beſchluß angeordnete Aenderung billigte. Hierin iſt
nicht der vom BG. begangene Verſtoß nachträglich
gutgeheißen, vielmehr iſt damit ein den Erforderniſſen
des § 461 ZPO. entſprechender Beſchluß unter Wah
rung der Vorſchriften über die mündliche Verhandlung
gefaßt worden. Das BG. hat aber auch richtig damit
gehandelt, daß es nicht nochmals die Eidesleiſtung
anordnete. Es müſſen hier ähnliche Grundſaätze Platz
greiſen, wie wenn zunächſt ein in unzuläſſiger Weiſe
durch Beweisbeſchluß normierter Eid abgeleiſtet iſt
und ſich ſchließlich herausſtellt, daß die Norm des
bereits geleiſteten Eides für die Endentſcheidung maß—
gebend ſein muß. Für dieſen Fall hat ſich eine ſtän⸗
dige Rechtſprechung mit Recht gegen die nochmalige
Leiſtung des Eides ausgeſprochen. Dieſe würde auf
einen mit der Heiligkeit des Eides unvereinbaren
Formalismus hinauslaufen. Für den Gegner des
Schwurpflichtigen ſehlt es auch ſchon deshalb an einem
vernünftigen Grunde für die Wiederholung des Eides,
weil die Vorſchriften des Strafgeſetzbuchs über die Ver—
letzung der Eidespflicht und die Beſtimmungen der
ZPO. über die Anfechtung eines Urteils wegen einer
ſolchen Verletzung auch auf einen Parteieid Anwendung
finden, deſſen Auferlegung nach den ſachlichen oder
prozeſſualen Beſtimmungen nicht zuläſſig war. (Urt.
des III. ZS. vom 22. Dezember 1913, III 362/13).
3237
— 4 —
IX.
Wenn in einem Zwangsvergleich der Gläubiger aus⸗
drüdlich anf den Teil ſeiner Forderung verzichtet, für |
den er in dem Zuangsovergleiche feine Deckung erhält,
fo verliert er damit fur dieſen Teil der Forderung die
|
|
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|
|
Rechte aus einer für fie beſtehenden Hypsthekvormerkung.
Haftung des Rechtsanwalts, der als Vertreter des Glän:
digers einem ſolchen Zwangs vergleiche zuflimmt. Aus
den Gründen: Die beklagten Rechtsanwälte, denen
die Vertretung eines Gläubigers im Konkurs übertragen
war, werden aus dem Dienſtvertrage, der eine Geſchäfts⸗
beforgung zum Gegenſtande hat, nach 88 675, 276 BG.
auf Erſatz des durch ſchuldhafte Pflichtverletzung verur⸗
ſachten Schadens in Anſpruch genommen; für etwaiges
Verſchulden des von ihnen mit der Vertretung im
Zwangsvergleichstermine betrauten Referendars haften
fie nach 8 278 BGB. Es kommt lediglich darauf an,
ob die vorbehaltloſe Zuſtimmung zu dem Zwangs—
vergleichsvorſchlage ſie zum Schadenserſatz verpflichtet.
Der Schaden beſteht darin, daß der Kläger ſich für den
durch die Vergleichsſumme nicht gedeckten Betrag ſeiner
Forderung nicht mehr auf Grund der Vormerkung aus
dem Grundſtücke befriedigen kann. Nach dem Reichs⸗
gerichtsurteile vom 15. November 1911 — abgedruckt
in Entſch. 77, 403 — iſt dieſer Schaden durch jene Zu⸗
ſtimmung verurſacht. Dieſes im Löſchungsrechtsſtreit
ergangene Urteil des V. 83S. ſchafft nicht Rechtskraft
gegenüber den Beklagten, ſeinen Ausführungen iſt aber
durchweg beizutreten. Sie gehen, der herrſchenden
Meinung folgend (vgl. Jaeger, KO. [4] 8 173 Anm. 8),
von der Vertragsnatur des Zwangsvergleichs aus. Der
Zwangsvergleichsvertrag, fo wird dargelegt, könne die
Ausnahmevorſchrift des 8 193 Satz 2 KO. ändern. Hier
habe er den Inhalt gehabt, daß die Gläubiger 20 v. H.
ihrer Forderungen erhalten und auf den Reſt verzichten
ſollten. Der (jetzige) Kläger habe innerhalb des Zwangs⸗
vergleichsverfahrens keinen Vorbehalt gegenüber den
anderen Konkursgläubigern, dem Gläubigerausſchuß
oder dem Konkursgerichte gemacht. Der Inhalt des
Vertrags, der die Vermutung der Vollſtändigkeit für
ſich habe, entſcheide, vorherige Beredungen mit dem
Gemeinſchuldner ſeien ohne Bedeutung. Zudem ſei der
Gemeinſchuldner nicht der einzige Vertragsbeteiligte
neben dem (jetzigen) Kläger geweſen, vielmehr hätten
daran auch die übrigen Konkursgläubiger teilgenommen.
Sie hätten von einem ſtillſchweigenden Vorbehalt des
Abſonderungsrechts keine Kenntnis gehabt, der Vor—
behalt hätte aber, um wirkſam zu werden, ihnen kund⸗
gegeben werden müſſen. Durch den beſtätigten Zwangs.
vergleich habe der (jetzige) Kläger endgültig und vor»
behaltlos auf den Reſt ſeiner Forderung verzichtet,
für eine nicht beſtehende Forderung könne auch keine
Vormerkung in Kraft bleiben. Die Richtigkeit dieſer
Begründung unterliegt keinem Zweifel. Durch die Vor⸗
merkung hatte der Kläger ein — durch das Beſtehen
des geſicherten Anſpruchs bedingtes — Recht auf Be⸗
friedigung aus dem Grundſtücke, alſo ein Abſonderungs⸗
recht erlangt (RG. 78, 71). Es kommt nicht ein Ver⸗
zicht auf das Recht aus der Vormerkung in Frage
(dieſer hätte der Form des § 1168 Abſ. 2 bedurft),
ſondern ein Verzicht auf die Forderung, der den Weg—
ſall der Forderung und damit der zu ihrer Sicherung
eingetragenen, mit ihr ſtehenden oder fallenden, Bors
merkung zur Folge hatte. Wie zu entſcheiden wäre,
wenn der Kläger nicht — durch vorbehaltloſe Zu—
ſtimmung — ausdrücklich auf ſeinen Forderungsreſt
verzichtet hätte, läßt der V. Senat mit Abſicht uner⸗
örtert, es braucht auch hier nicht unterſucht zu werden.
Im Regelfalle läßt ja der die Zahlungspflicht auf einen
Teil der Forderung beſchränkende Zwangsvergleich ein
unvollſtändiges Recht, eine natürliche Verbindlichkeit
übrig, die eine genügende Grundlage bildet für die
Fortdauer von Pfandrechten, Hypotheken, Vormerkungen
(IW. 1910 S. 29 und Urt. 1 490/03 vom 8. Februar
|
|
1904, Jaeger Anm 5 zu 8193 KO.); doch kann ſelbſt⸗
verſtändlich der Gläubiger auch ſeine Rechte aus der
natürlichen Verbindlichkeit aufgeben, und das geſchieht
durch den ausdrücklichen Verzicht auf den Forderungs—
reſt. Das angefochtene Urteil nimmt an, daß die
ſchadenverurſachende vorbehaltloſe Zuſtimmungser⸗
klärung den Bellaglen nicht zum Verſchulden gereiche;
der dagegen gerichtete Reviſionsangriff iſt begründet.
Der Rechtsanwalt hat bei Wahrnehmung der Rechte
des Dienſtberechtigten die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt anzuwenden. Dazu gehört, daß er die vom
Auftraggeber oder für ihn zur Wahrung dieſer Rechte
abzugebenden Willens erklärungen ſorgfältig auf ihre
Tragweite prüft, ihre möglichen Folgen durchdenkt
und ſorgſam auf Grund der Rechtskenntnis abwägt,
die der Auftraggeber befugt war bei ihm vorauszu⸗
ſetzen. Das LG. begründet nun die Klagabweiſung
damit, es ſei immer Frage des Einzelfalls, wieweit
die Teilnahme eines Abſonderungsgläubigers an der
Schließung des Zwangsvergleichs als ein Verzicht auf
das dingliche Recht anzuſehen ſei. Die Beklagten hätten
ſo wenig wie der Kläger einen Verzichtswillen gehabt
und hätten ohne Verſchulden annehmen können, daß
alle Beteiligten mit dem Vorbehalt des Abſonderungs⸗
rechts einverſtanden ſeien. Das OLG. fügt hinzu, daß
nach einer früheren Rechtſprechung des RG.s es Sache tat⸗
ſächlicher Würdigung des Einzelfalls ſei, ob ein Ver⸗
zicht auf das Abſonderungsrecht angenommen werden
könne. In den einſchlägigen Entſcheidungen iſt jedoch
unterſucht, ob beſtimmte Handlungen der Gläubiger
(Geltendmachung der ganzen Forderung — nicht bloß
des Ausfalls — als Konkursforderung, Abſtimmung
mit der ganzen Forderung, Empfangnahme des auf
die ganze Forderung fallenden Vergleichsbetrages) als
Verzicht aufzufaſſen find (fo in RG. 37, 17 VI 205/1907;
16, 70; JW. 1896, 35 ; 1900, 344 1311/04, V 6/1900;
RG. 64, 425). In der Begründung zum Geſetz vom
17. Mai 1898 betr. Aenderung der KO. heißt es auf
Seite 45: „Der Frage, wiefern die Teilnahme des
Gläubigers an der Schließung des Zwangsvergleichs
als Verzicht au das dingliche Recht anzuſehen ift, wird
durch die Beſtimmung — jetzt 8 193 S. 2 — nicht
vorgegriffen.“ Alles dies kommt hier nicht in Betracht,
es handelt ſich nicht darum, ob durch ſchlüſſige Hand⸗
lungen die Beklagten auf das Abſonderungsrecht, rich⸗
tiger: auf den ganzen Forderungsreſt, verzichtet haben;
ſie haben vielmehr darauf ausdrücklich verzichtet. Beim
ausdrücklichen Verzicht iſt kein Raum fur die beim
Verzicht durch ſchlüſſige Handlungen notwendige tat⸗
ſächliche Würdigung des Einzelfalls; die vom OLG.
angeführte Rechtſprechung des RG., die ſich mit dem
ausdrücklichen Verzichte nicht beſchäftigt, kann keinen
Anhalt bieten für die Meinung der Beklagten, daß das
Abſonderungsrecht fortbeſtehe. Sie konnten bei ſorg⸗
fältiger Prüfung der geſetzlichen Vorſchriften, ins⸗
beſondere der 88 64, 193 KO. und der §§ 648, 883 BGB.,
unter Beachtung allgemeiner Rechtsgrundſätze nicht ver⸗
kennen, daß durch den ausdrücklichen Verzicht die For⸗
derung und durch die Vernichtung der Forderung das
Recht aus der Vormerkung erliſcht, und mußten die
Frage, ob das Abſonderungsrecht vorbehalten ſei, ver⸗
neinen. Die Ausführungen des V. ZS. geben nicht
etwa neue Rechtsgrundſätze. Daß der Zwangsvergleich
ein Vertrag iſt, entſpricht, wie bemerkt, der herrſchen⸗
den Meinung. Daß Vertragſchließende nicht der Gemein⸗
ſchuldner und der einzelne Gläubiger, ſondern der Ge⸗
meinſchuldner und alle Konkursgläubiger ſind, ergibt ſich
aus dem Weſen des Zwangsvergleichs und der Not⸗
wendigkeit grundſätzlicher Gleichſtellung aller Konkurs⸗
gläubiger (8 181 KO.). Endlich iſt die entſcheidende
Bedeutung der ſchließlichen Vertragsgeſtaltung gegen⸗
über vorherigen Beredungen durch die Rechtſprechung
längſt geklärt (RG. 52, 26). Nach alledem haben die
Beklagten fahrläſſig gehandelt, wenn fie bei der Zus
ſtimmung zum Zwangsvergleiche von der Meinung
ausgegangen ſind, das Abſonderungsrecht ſei dem Kläger
in rechtswirkſamer Weiſe vorbehalten. Bei der den
Beklagten obliegenden Prufung handelt es ſich nicht
um rechtlich zweifelhafte Fragen, denen gegenüber die
Beklagten ohne Verſchulden ſowohl der einen als der
anderen Meinung hätten folgen können. Ueber die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
Wirkung des ausdrücklichen Verzichts beſtehen keine
verſchiedenen Anſichten; die Beklagten haben darin
gefehlt, daß ſie ſeine Bedeutung nicht beachtet oder
rechtlich unzutreffend bewertet haben. Ob ihr urfädh-
liches Verſchulden mehr oder weniger ſchwer wiegt,
kommt für die Frage nach ihrer Haftung nicht in Be⸗
tracht. Der Umſtand, daß im Löſchungsrechtsſtreit das
OLG. das Abſonderungsrecht als fortbeſtehend ange⸗
nommen und dem ausdrücklichen Verzichte nicht die ihm
zukommende Bedeutung beigemeſſen hat, mag für den
Grad des Verſchuldens der Beklagten bezeichnend ſein,
beſeitigt aber ſelbſtverſtändlich ihr Verſchulden nicht.
Unter dieſen Umſtänden kann unerörtert bleiben, ob
die Beklagten als vorſichtige Rechtsanwälte nicht ſchon,
um dem Kläger nicht die Gefahr einer ungünſtigen
Entſcheidung aufzubürden (Urt. III 231/98, III 651/1909),
der Möglichkeit einer anderen Meinung als der ihrigen
Rechnung tragen und den Vorbehalt hätten ausſprechen
laſſen müſſen. (Urt. des III. ZS. vom 4. November 1913,
III 266/1913). E.
3214
X.
. Iſt der 8 406 BB. anwendbar, wenn im Ber:
nern der Zwangs verſteiger ung die Forderang
gegen den Erſteher auf die Blänbiger übertragen wird!
Aus den Gründen: Dem Os. muß zugegeben
werden, daß die Regel des § 406 BGB., wonach der
Schuldner eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger
zuſtehende Forderung auch dem neuen Gläubiger gegen-
über aufrechnen kann, auf den Fall der Uebertragung
der Forderung gegen den Erſteher nicht unmittelbar
angewendet werden kann, und daß es ſich bei dieſer
Uebertragung auch nicht um einen Fall der Uebertragung
einer Forderung kraft Geſetzes i. S. des § 412 BGB.
handelt. Allein dem $ 406 liegt, wie dem $ 404 BGB.,
der allgemeinere Rechtsgedanke zugrunde, daß die Rechts⸗
lage des Schuldners durch die Abtretung nicht ver⸗
ſchlechtert werden darf, insbeſondere auch nicht mit
Bezug auf die Möglichkeit, mit ſeinen Forderungen an
den bisherigen Gläubiger gegen die abgetretene Forde⸗
rung aufzurechnen. Und dieſer Rechtsgedanke darf und
muß auf den Fall einer Uebertragung der Forderung
gegen den Erſteher zur Vermeidung einer unbilligen
Rechts verkürzung wenigſtens dahin angewendet werden,
daß dem Erſteher eine Aufrechnungsmöglichkeit nicht
dadurch entzogen werden kann, daß die Forderung
anſtatt auf den eigentlich Berechtigten auf Grund einer
unwirkſamen Abtretung an den Abtretungsempfänger
übertragen wird. Hier insbeſondere iſt Folgendes zu
erwägen:
Allerdings konnte der Kläger (der Erſteher), ſo⸗
lange und ſoweit der Beklagte A. über die Forderung
gegen ihn nicht durch Uebertragung gemäß 5 118 3G.
die Verfügungsmacht erlangt hatte, auch dieſem Be⸗
klagten gegenüber nicht aufrechnen, dies auch dann nicht,
wenn man in dem an die Stelle der Eigentümer⸗
grundſchuld getretenen Recht auf Befriedigung aus dem
Verſteigerungserlöſe ein Pfandrecht an der Erlösforde⸗
rung gegen den Kläger als Erſteher erkennt und mit
dem VII. 35. des Reichsgerichts (RG Z. 57, 108) ans
nimmt, daß der Schuldner einer verpfändeten Forde⸗
rung an ſich berechtigt iſt, dagegen mit Forderungen
aufzurechnen, die ihm gegen den Pfandgläubiger zu—
ſtehen. Immerhin aber hatte er die rechtlich begründete
Ausſicht, demnächſt A. gegenüber aufrechnen zu können,
weil die Forderung (in der vollen Höhe der Eigentümer—
grundſchuld) nach $ 118 an dieſen als den Berechtigten
zu übertragen war. Durch die zu Unrecht erfolgte
Uebertragung auf den Beklagten W. als vermeintlichen
Rechtsnachfolger des A. würde ihm dieſe Aufrechnungs—
möglichkeit entzogen ſein. Darf aber durch die Ueber—
tragung einer Forderung die Rechtslage des Schuldners
nach dem dem § 406 zugrunde liegenden Rechtsgedanken,
insbeſondere hinſichtlich der Aufrechnungsmöglichkeit
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
— ñ—— 4 b — 2 ́uü-¹.bZ— — —
nicht verſchlechtert werden, ſo muß dem Kläger die
Möglichkeit offengelaſſen ſein, mit ſeinen Forderungen
an A. gegen die übertragene Forderung auch dem Be⸗
klagten W. gegenüber aufzurechnen. — Die Ausnahmen,
die der 8 406 in ſeinem zweiten Teile von der Regel
in ſeinem erſten Teile macht, begründen nach dem
vorliegenden Sachverhalt keine Einſchränkung. (Urt.
des V. 3S. vom 20. Dez. 1913, V 201/13). — — — gn.
3234
B. Strafſachen.
1
Berihnitt von Traubenmaiſche mit Wein oder Moft.
Aus den Gründen: Die Vermiſchung der vollen
Traubenmaiſche mit Wein oder Moſt iſt nach der Entſch.
Bd. 45 S. 215 ein nach 8 2 Wein. erlaubter Verſchnitt
und nicht ein nach 84 Wein. verbotener Zuſatz von
Stoffen. Auch ſolche Traubenmaiſche, die bereits einen
Teil der Brühe abgegeben hat, ſonach aus teilweiſe
entmoſteten Trauben beſteht, iſt zum Verſchnitt mit
Wein oder Moſt verwendbar. Offengelaſſen wurde
bisher, ob und bis zu welcher Grenze der Entmoſtung
den Beſtandteilen der friſchen Traube die Eigenſchaft
erhalten bleibt, als natürliches Erzeugnis des Wein⸗
ſtocks innerhalb der Kellerbehandlung zur Weinbereitung
noch weiter ausgenützt zu werden. Für die Entmoſtung
der friſchen Traube ſind an ſich keine Grenzen gezogen;
wie ſie grundſätzlich mit allen ihren ſafthaltigen Be⸗
ſtandteilen den Ausgangsſtoff zur Weinbereitung bildet,
ſo müſſen dieſe Beſtandteile ſämtlich zur Gewinnung
des Safts grundſätzlich bis zur äußerſten Grenze bei
der Moſtgewinnung herangezogen werden können. Die
Rückſicht auf die Beſchaffenheit des zu erzeugenden Weins
mag zu Einſchränkungen nötigen, das Geſetz fordert
dieſe nicht. Vom Standpunkt des Geſetzes aus iſt die
Maiſche, die einen Teil des Safts ohne Preſſung ab⸗
gegeben hat, nicht weniger tauglich zur Moſtgewinnung,
als die volle Maiſche; und auch bei den folgenden
Preſſungen, deren Zweck es iſt, den Saft aus allen
Beſtandteilen der Traube auszuſcheiden, begründet es
an und für ſich keinen Unterſchied, ob die Entmoſtung
durch die vorausgehenden Preſſungen ſchon mehr oder
weniger fortgeſchritten iſt; auch die ausgepreßte Maſſe,
die nur nach vorgängiger Auflockerung von neuem
Saft auf Druck hergibt, ſteht grundſätzlich der vollen
Maiſche gleich, ſoweit ihre Eigenſchaft als zur Wein⸗
bereitung taugliches und verwendbares Erzeugnis des
Weinſtocks in Frage kommt. Solange alſo die Ge—
winnung von Saft durch die in der üblichen Keller—
behandlung eingeführten Mittel möglich bleibt, handelt
es ſich um die Bearbeitung der friſchen Traube zur
Gewinnung von Moſt. Die bearbeitete Maſſe iſt, minde-
ſtens ſolange dies zutrifft, kein dem Wein oder Moſt
weſensfremder Stoff, fie iſt namentlich noch kein Rück⸗
ſtand der Weinbereitung. Wielange das der Fall iſt,
ob namentlich die Maſſe ſolange nicht als völlig ents
ſaftet zu gelten hat, als mittels der in der Kellerwirt—
ſchaft eingeführten Hilfsmittel Traubenſaft in ſolcher
Menge, wie ſie überhaupt praktiſch noch in Betracht
kommt, aus der Treſtermaſſe zu holen iſt, das braucht
auch hier nicht erörtert zu werden. Denn die Urteils—
gründe führen mehrfach an, daß die von dem Ange—
klagten verwendeten „Treſter“, nämlich die von den
„Kämmen“ befreiten Beeren, Schalen und Kerne, ſonach
ſafthaltige Teile der friſchen Traube, noch feucht ge—
weſen ſeien, und es iſt betont, daß ihnen noch Trauben—
ſaft angehaftet habe. Hiernach iſt es nicht aus 8 4
Wein. zu beanſtanden, vielmehr vom Standpunkt des
Geſetzes aus erlaubt, wenn der Angeklagte die er—
wähnten noch ſafthaltigen Beſtandteile friſcher Trauben
dem aus dieſen bereits zuvor gewonnenen Moſt zu—
geſetzt hat. Wenn die Treſter“, wie das Urteil die
angeführten, in dem feſtgeſtellten Zuſtand befindlichen
Beſtandteile der Traubenmaiſche bezeichnet, während
der zweitätigen Lagerung chemiſchen Veränderungen
durch den Luftzutritt ausgeſetzt waren, worauf in der
Reviſionsbegründung des Staatsanwalts hingewieſen
wird, fo ſteht dieſe Tatſache für ſich allein ihrer Ber:
wendbarkeit nicht entgegen. Solche natürliche Berändes
rungen der „Treſter“ würden — deren Verwendbar⸗
keit als friſche, ſafthaltige Treſter im vorſtehenden Sinne
ſtets vorausgeſetzt — nur dann von Bedeutung ſein,
wenn ſie ſo durchgreifend und umgeſtaltend geweſen
wären, daß aus dieſem Grunde die „Treſter“ als ver⸗
dorben oder ſonſt in ihrer Weſensart verändert und
umgewandelt und deshalb als ein dem Wein fremder
Beſtandteil angeſehen werden müßten. (Urt. des I. StS.
vom 6. Nov. 1913, I D 592/13).
3210
II
Begriff des weinähnlichen Getränkes. Verwendung
von Tamarindeummd bei der Herſtellung eines weinähn:
lichen Geträunkes. Aus den Gründen: Das L.
hat die Frage, ob das aus dem Moſterſatzſtoff herge⸗
ſtellte Getränk dem Wein derart ähnlich iſt, daß es
im Verkehr mit Wein verwechſelt werden kann, offen
gelaſſen, weil der Angeklagte auf Grund eines Gut⸗
achtens angenommen hat, daß der nach ſeinem Rezept
hergeſtellte Moſterſatz nicht mit Wein verwechſelt werde,
und ihm deshalb das Bewußtſein gefehlt hat, daß ſein
Moſterſatzſtoff zur Herſtellung eines Getränkes ver⸗
wendet werden könne, das Nachahmung von Wein ſei.
Dieſe Feſtſtellung ſchließt die Beſtrafung aus 8 26
Abſ. 1 Nr. 3 Wein. aus, ſoweit der Vertrieb des
Moſterſatzſtoffes in Betracht kommt. Das LG. hat ſich
allerdings auf den Nachweis beſchränkt, daß dem An⸗
geklagten der zu einem Vergehen gegen dieſes Geſetz
erforderliche Vorſatz l gefehlt hat, als er ſich
in Unkenntnis darüber befunden hat, daß das aus dem
Moſterſatzſtoff hergeſtellte Getränk Eigenſchaften auf⸗
weiſt, die es als nachgemachten Wein erſcheinen laſſen,
und nicht geprüft, ob dieſes Getränk weinähnlich iſt
und ob in der zu ſeiner Herſtellung beſtimmten Miſchung
Stoffe enthalten ſind, die nach den Beſtimmungen des
Wein. und der Ausführungsbeſtimmungen des BR.
zur Herſtellung weinähnlicher Getränke unzuläſſig ſind.
Dazu bot indes der Sachverhalt keinen Anlaß. Aller⸗
dings ſchließt der Umſtand, daß der „Moſterſatz“,
wenigſtens nach der Vorſtellung des Angeklagten, keine
Nachahmung von Wein iſt, nicht aus, daß er doch wein⸗
ähnlich war, da nicht jedes weinähnliche Getränk eine
Nachahmung von Wein zu ſein braucht, wie ſich aus
8 10 Wein G. ergibt. Nach den Feſtſtellungen hat der
Angeklagte den Moſterſatz als Erſatz für Obſtmoſt oder
Apfelwein angeprieſen und der Sachverſtändige B.
ihn als Nachahmung von Apfel- und Birnenwein bes
zeichnet, und deshalb liegt die Annahme ſogar ſehr
nahe, daß er ein weinähnliches Getränk iſt und der
Angeklagte dieſe Eigenſchaft gekannt hat. Aber ſelbſt
wenn dem ſo wäre, würde der Vertrieb des Moſterſatz⸗
ſtoffes nicht nach 8 26 Abſ. 1 Nr. 3 Wein. ſtrafbar
ſein. Denn dadurch ſollen beſtimmte Verfehlungen
gegen das WeinG. verhütet werden und zu dem Zweck
iſt der Vertrieb gewiſſer Stoffe verboten, die bei der
im Wein. geregelten Herſtellung von Getränken ver—
wendet werden ſollen. Das Wein. befaßt ſich aber
nur mit der Herſtellung ganz beſtimmter weinähnlicher
Getränke, nämlich der in § 10 aufgeführten weinähn⸗
lichen Getränke aus Fruchtſäften, Pflanzenſäften oder
Malzauszügen, andere weinähnliche Getränke, insbe⸗
ſondere auch Nachahmungen der in 8 10 bezeichneten,
fallen abgeſehen von 89, der hier nicht in Betracht
kommt, nicht unter das Wein. und deshalb iſt der
Vertrieb der zu ihrer Herſtellung dienenden Stoffe
auch nicht nach dem Wein. ſtrafbar. Dem entſpricht
es, daß in den Ausführungsbeſtimmungen des BR.
zu SS 10, 16 die Verwendung gewiſſer Stoffe nur bei
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
der Herſtellung der in 8 10 Wein. bezeichneten wein⸗
ähnlichen Getränke verboten iſt. (Vgl. RGSt. Bd. 46
S. 256). Zu dieſen Getränken gehört das aus dem
Moſterſatzſtoff des Angeklagten hergeſtellte Getränk
nicht, da zu ſeiner Herſtellung Fruchtſäſte, Pflanzen⸗
ſäfte und Malzauszüge nicht verwendet werden. Daß
Tamarindenmus kein Saft, alſo auch kein Frucht⸗ oder
Pflanzenſaft i. S. des § 70 Wein. iſt, wurde bereits
früher ausgeſprochen. Die Herſtellung von weinähn⸗
lichen Getränken aus Tamarindenmus fällt alſo nicht
unter das Wein., ſolange fie nicht Nachahmung von
Wein iſt. Daraus ergibt ſich, daß der Angeklagte auch
dann nicht aus 8 27 Abſ. 1 Nr. 3 Wein. zu beſtrafen
iſt, wenn das aus ſeinem Moſterſatzſtoff hergeſtellte
Getränk weinähnlich iſt. (Urt. d. I. StS. vom 11. Dez.
1913, I D 819/13).
3232
un,
III
Begriff des „Auffanfens“ von Tieren im Sinne der
Borſchriſten zur Verhütung von Viehſeuchen. Aus den
Gründen: Mit Recht iſt der Angeklagte für über⸗
führt erachtet worden, daß er ſich als Händler „mit
Aufkaufen von Tieren“ entgegen dem Verbot der Bes
hörde befaßt habe, und gemäß 8 74 Abſ. 1 Nr. 3
Vieh. beſtraft worden, weil er in einer Ortſchaft
innerhalb des Sperrbezirks dem Landwirt W. eine Kuh
ohne vorgängige Beſtellung und außerhalb ſeiner ge⸗
werblichen Niederlaſſung und zwar im Auftrag des
Landwirts S. abgekauft hat. In ſeinem zum Druck
beſtimmten Urteil vom 30. Oktober 1913, 1 D 718,13,
hat der Senat ſchon ausgeſprochen, daß dem Gebrauch
des Worts: „Aufkaufen“ in 8 168 der Ausführungs⸗
vorſchriften des BR. gegenüber dem in 8 55 GewO.
gewählten Ausdruck: „Ankaufen“ feine fachliche Be⸗
deutung zukommt, und daß der 855 GewO. deshalb
zur Auslegung der Ausführungsvorſchriften heran⸗
gezogen werden darf, weil die GewO. als aushilfsweiſe
Rechtsquelle zu gelten hat, ſoweit der Begriff des
Handels im Umherziehen einer Erklärung bedarf, den
die VBorſchriften des Vieh SGG. und die Ausführungs⸗
vorſchriften des BR. als gegeben aus der GewO.
herübergenommen haben. Von dieſem Standpunkte
aus iſt zwar zuzugeben, daß für das Verbot des
Handels im Umherziehen nur ſolche Kaufverträge hin⸗
ſichtlich Klauenvieh in Betracht kommen, die der Händler
zu Zwecken des Wiederverkaufs eingeht, wie ja auch
in dem für den Begriff des Hauſierhandels grund«
legenden $ 55 Abſ. 1 Nr. 2 GewO. nur das Ankaufen
„zum Wiederverkauf“ als Erſcheinungsmerkmal dieſer
Art von Handel hervorgehoben wird. Allein in dem
hier vor allem ins Auge zu faſſenden wirtſchaftlichen
Sinne kann nicht zweifelhaft ſein, daß auch der Kauf
ein Aufkaufen bedeutet, den der Händler innerhalb
ſeines Gewerbebetriebes im Auftrag eines andern, ſei
es a feinen Namen, ſei es als offener Stellvertreter,
abſchließt. Hat der Angeklagte aber auch bei dieſem
Geſchäft den üblichen Gewinn zu erzielen geſucht, ſo
kann angeſichts des Zwecks des Verbotes und des ihm
unterliegenden Geſetzes kein Unterſchied ſein, ob der
Angeklagte rechtlich Käufer der Kuh iſt, der ſich nur
zum Voraus eines Wiederabnehmers verſichert hat,
oder ob S. als Käufer zu gelten hat, und ob der Ge—
winn des Angeklagten in dem Unterſchied zwiſchen
Ankaufs⸗ und Verkaufspreis oder einer von ihm geltend
zu machenden Ankaufsgebühr beſtand. Der Grund,
weshalb Geſetz und Ausführungsvorſchrift unter be⸗
ſtimmten Vorausſetzungen das Verbot des Hauſier⸗
handels mit Vieh für zuläſſig erklären, kann, wenn
beachtet wird, daß das Aufſuchen von Beſtellungen
durch Händler ohne Mitführen von Tieren dem Auf—
kaufen von ſolchen gleichgeſtellt iſt, nur der fein, daß
nicht bloß den für die Seuche empfänglichen Tieren,
ſondern auch der Perſon der mit ihnen umgehenden
Händler die Fähigkeit der Seuchenverſchleppung bei—
105
— — —
gemeſſen wird. Dieſe Gefahr iſt gegeben, mag der
Händler im eigenen Namen und für eigene Rechnung
oder im Auftrag eines andern Klauenvieh „auflaufen“.
Auch die GewO. macht in dieſer Hinſicht keine Unter⸗
ſcheidung. In 8 55 daſelbſt gebraucht fie die Worte:
„in eigener Perſon“ und in 8 60 d Abſ. 2 wird gejagt:
„Wer für einen andern ein Gewerbe im Umherziehen
zu betreiben beabſichtigt, unterliegt für ſeine Perſon
den Beſtimmungen dieſes Geſetzes“. (Urt. des I. StS.
vom 8. Dez. 1913, I D 771/13).
3233
— — — .
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
1
uſtändigkeit zur Verbeſcheidung der Beſchwerde
er weiteren Beſchwerde des Landes verſicherungs⸗
a ai ein Amtsgericht wegen Verweigerung der
Nechtshilſe in einer älteren Sache (RBO. 88 115, 1571;
GVG. 88 157—160; Art. 85 EG. RVO.). Das bayer.
LBerfNl. erſuchte ein Amtsgericht, den Bauunternehmer
K. über die Beteiligung einiger Perſonen an einem
Neubau als Zeugen zu vernehmen. Das A. lehnte
ab. Das LBerffl. legte Beſchwerde zum Os. ein.
Das OLG. verwarf fie, weil es unzuſtändig ſei. Auf
die weitere Beſchwerde hob das Ob. die Beſchluͤſſe
auf und wies das AG. an, dem Erſuchen zu entſprechen.
Gründe: Nach 8 144 Gewuverſc. vom 30. Juni
1900 haben die öffentlichen Behörden den im Vollzuge
dieſes Geſetzes an ſie ergehenden Erſuchen des Reichs⸗
verſicherungsamtes, der Landesverſicherungsämter, der
Schiedsgerichte ſowie der Genoſſenſchafts⸗ und Sektions⸗
vorſtände zu entſprechen. Bei der Auslegung dieſer
Vorſchrift entſtanden Zweifel, ob auch die Genoſſen⸗
ſchafts⸗ und Sektionsvorſtände in Unfallverſicherungs⸗
ſachen Zeugen und Sachverſtändige durch die Amts⸗
gerichte eidlich vernehmen laſſen können (Handb. der
UBerf., 3. Aufl., Bd. 1 S. 640 Anm. 9). Daß aber
dieſe Berechtigung den Gerichten der Verſicherungs⸗
inſtanzen zuſteht, blieb unbeſtritten und iſt auch in der
Begr. zu 8172 Inv Verſc., dem Vorbilde des 8 144,
anerkannt (Verh. des Reichst., 1. Seſſ. 1898/1900
Anl Bd. 1 S. 747). Streit beſteht ferner über die Frage,
welche Rechtsmittel den Verſicherungsbehörden und
⸗trägern gegen Beſchlüſſe der Amtsgerichte zuſtehen,
durch die das Rechtshilfeverfahren abgelehnt wird
(Handbuch a. a. O.). Das Reichsgericht hat in den Be⸗
ſchlüſſen vom 7. Februar 1896 und 28. Februar 1912
(JW. 1896 S. 1451, LZ. 1913 Sp. 85) hinſichtlich der
Reichsverſicherungsgeſetze die entſprechende Anwendung
der 588 157 ff. GVG. verneint, während es in den Be⸗
ſchlüſſen vom 19. September 1894 und 11. Oktober
1906 (RG. 33, 423; 64, 179) bei ähnlicher Rechtslage
hinſichtlich des 8 32 PatG. vom 7. April 1891 die
88 157 ff. GBG. für entſprechend anwendbar erklärte.
Dagegen hat ſich das Obs G. in dem Beſchluſſe vom
2. Mai 1910 (n. Samml. Bd. 11 S. 316) für die ent⸗
ſprechende Anwendung des GVG. ausgeſprochen. Auch
die erneute Prüfung gibt keinen Anlaß, davon abzu⸗
gehen. Mit Recht hat ſich die Entſcheidung in ihrer
Begründung auf den Entwurf zur RVO. geſtützt.
Zwar enthält der Entwurf keine ausdrückliche Beſtim⸗
mung über das Beſchwerderecht. Die Begründung zu
8 128 (S. 68) läßt aber unbedenklich annehmen, daß
ebenſo wie die bisher beſtrittene Berechtigung der
Verſicherungsträger, die Amtsgerichte um eidliche Ver—
nehmung von Zeugen und Sachverſtändigen anzugehen,
ausdrücklich anerkannt wurde, auch die bisher beſtrittene
Geltung der SS 157 ff. GVG. als ſelbſtverſtändlich
vorausgeſetzt wurde. Die Annahme des OLG., daß
der Geſetzgeber im 8 1571 RVO. dieſen Standpunkt
und
mtes
106
— —
verlaſſen habe, trifft nicht zu. Zunächſt wird überſehen,
daß die Beſtimmung im Abſ. 4 nicht bloß für das
Feſtſtellungs verfahren gilt, ſondern nach 88 1652, 1701,
1789 auf das Spruch⸗ und das Beſchlußverfahren an⸗
zuwenden iſt. Die Annahme läßt aber auch den Zweck
außer Betracht, den der Geſetzgeber verfolgte. Hier⸗
nach ſollte das den Verſicherungsträgern und behörden
in § 128 (8 115 d. Geſ.) gewährte Recht auf gerichtliche
Rechtshilfe nicht erweitert, ſondern beſchränkt werden
(Reichst Verh. Bd. 279 S. 5051, 5052). Zu einer Bes
ſchränkung des Beſchwerderechts wäre aber kein Anlaß
gegeben geweſen, wenn der Geſetzgeber in § 128 (8 115
d. Geſ.) überhaupt kein Beſchwerderecht hätte einräumen
wollen. Nur weil der Geſetzgeber davon ausging, daß
nach 8 128 den Berfiierungsträgern und behörden
das Beſchwerderecht nach dem GBG. zuſtehen ſollte,
nahm er, wie ſich auch aus der Faſſung des Abſ. 4
des 8 1571 ergibt, Anlaß, dieſes Recht zu beſchränken.
Iſt ſohin auf das vorliegende Beſchwerdeverfahren
8 160 GVG. anzuwenden, fo iſt die Zuſtändigkeit des
Beſchwerdegerichts und, da in den Unfallverſicherungs⸗
geſetzen vom 30. Juni 1900 die Entſcheidung in letzter
Inſtanz nicht dem Reichsgerichte zugewieſen iſt, auch
die geRändigteit des ObL®. gegeben. (Beſchl. des
1. 35. vom 9. Januar 1914, Reg. II 1/1913). W.
3231
II.
Anslegun
eines 05 und Erbvertrags, in dem
Brantlente die allgemeine Gütergemeinſchaſt verein⸗
barten und für den Fall ihres beiderſeitigen kinderloſen
Todes die Schweſter der Fran zur Erbin einſetzten, für
den Fall des Berablebeus des Mannes aber keine ans⸗
drückliche Beſtimmung trafen. Wert des Beſchwerde⸗
genenftands im „ (BGB. 88 2084,
133). D. errichtete 1901 mit feiner Braut Margarete
Sch. einen notariellen Ehe⸗ und Erbvertrag. In Ziff. 1
erklärten die Vertragſchließenden, daß fie „die all⸗
gemeine Gütergemeinſchaft einführen und durch Erb⸗
vertrag für den Fall kinderloſen Abſterbens des letzt⸗
verſterbenden Eheteils die Schweſter der Margarete
Sch., die Marie H. und nach ihr deren Kinder als
Erben einſetzen“. 1912 ſtarb D. kinderlos. Das Amts⸗
gericht erteilte der Margarete D. einen Erbſchein, durch
den bezeugt wurde, daß Andreas D. auf Grund des
Erbvertrags von IE Ehefrau ausschließlich beerbt
worden iſt und daß als Nacherben die drei Kinder der
verſtorbenen Marie H. berufen ſind. Gegen die Er⸗
teilung des Erbſcheins legten die nächſten Verwandten
des Andreas D. Beſchwerde ein. Das Landgericht wies
die Beſchwerde zurück und ſetzte den Wert des Bes
ſchwerdegegenſtandes auf 1000 M feſt. Das Obe.
wies auch die weitere Beſchwerde zurück; nur ſetzte es
den Wert des Beſchwerdegegenſtandes auf 60 M bis
120 M feſt.
Gründe: Das LG. hat angenommen, daß bei
Errichtung des Ehe- und Erbvertrags beide Teile
willens waren, es ſolle beim Ableben des einen von
ihnen der Ueberlebende Alleinerbe werden. Dieſe Ans
nahme unterliegt keinem Bedenken. Die Beſchwerde—
führer machen aber geltend: Der Wille der Erbein⸗
ſetzung genüge allein nicht, er müſſe vielmehr im Teſta⸗
ment oder Erbvertrag auch ausgedrückt ſein; denn
außerdem liege keine Erbeinſetzung vor. Dies iſt zu—
zugeben. Wie aber im allgemeinen bei der Auslegung
einer Willenserklärung nicht deren buchſtäblicher Wort—
laut entſcheidet, ſondern nach dem wahren Willen zu
forſchen iſt, ſo auch bei einer letztwilligen Verfügung.
Die Auslegung findet nur darin ihre Grenze, daß ſie
in der Willenserklärung einen, wenn auch geringen
Anhalt finden muß und daß ſie einem völlig unzwei—
deutig erklärten Willen nicht geradezu zuwiderlaufen
darf. Zur Feſtſtellung des Willens iſt es zuläſſig und
nicht ſelten notwendig, auch die begleitenden Umſtände
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. b.
zu berückſichtigen, ja es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß
eine letztwillige Verfügung bezüglich eines weſentlichen
Punktes inſoferne ſtillſchweigend erfolgt, als der Wille
des Erblaſſers nur aus dem übrigen Teſtamentsinhalte
entnommen wird. Bei der Auslegung iſt nicht bloß
zu berückſichtigen, was ausgeſprochen iſt, ſondern auch.
was ohne ausgeſprochen zu ſein, die e
des Ausgeſprochenen bildet (vgl. Komm. v. RER. 8 208
Anm., Planck, BGB., Erbrecht III. Abſchn., Tit. 1,
Vorbem. 4, Recht 1905 S. 77). Prüft man an der Hand
dieſer Grundſätze den Ehe» und Erbvertrag, fo iſt es
zwar richtig, daß darin eine ausdrückliche Erbeinſetzung
der Witwe fehlt, allein aus den übrigen Verfügungen
im Zuſammenhalt mit den ſonſt bekannten Tatſachen
muß entnommen werden, daß der Wille auf dieſe Erb⸗
einſetzung gerichtet war und daß der Wille auch kund⸗
gegeben wurde. Die eee haben bes
ſtimmt, daß ſie für den Fall kinderloſen Abſterbens
des letztverſterbenden Eheteils die Schweſter der Mar⸗
garete D. oder bei deren Vorableben ihre Kinder zu
Erben einſetzen. Es wäre zwar denkbar und rechtlich
möglich, daß damit nur die Erbeinſetzung in den Nach⸗
laß des letztverſterbenden allein angeordnet und daß
im übrigen keine letztwillige Verfügung getroffen wurde;
allein für eine Verfügung von ſolch beſchränktem Um⸗
fang iſt nicht der mindeſte Anlaß erſichtlich; auch
würde ſie dazu führen, daß für den Fall des fpäteren
Ablebens des Andreas D. zwar deſſen Nachlaß von
der Schweſter ſeiner Ehefrau geerbt worden wäre,
der Nachlaß der letzteren aber nicht der Marie H. allein,
ſondern den geſetzlichen Erben der Margarete D. über-
haupt zugefallen wäre. Der Auslegung des LG., daß
die Erbfolge der Schweſter der Margarete D. in das
Vermögen der Eheleute D. als eine Geſamtheit geht,
muß daher beigepflichtet werden. Legt man dieſe Aus⸗
legung zugrunde, fo iſt die notwendige Vorausſetzung.
daß ſich das Vermögen in der Hand des Ueberleben⸗
den vereint; denn nur dadurch kann der erbweiſe
Uebergang des Vermögens beider Ehegatten auf den
Erben des Letztverſterbenden herbeigeführt werden.
Der Schluß, daß durch die Beſtimmung bezüglich der
Beerbung des Letztverſterbenden zugleich auch bezüg⸗
lich der Beerbung des Erſtverſterbenden Anordnung
getroffen ſei, muß daher gebilligt werden. Dieſer
Schluß ſtimmt auch mit den Umſtänden des Falles
überein. Das LG. hat mit Recht auf den großen Alters⸗
unterſchied zwiſchen den Vertragſchließenden hinge⸗
wieſen, der es nahelegte, für den Fall des Vorablebens
des Ehemanns zugunſten der Witwe zu forgen. Dieſer
Zweck wäre nur unvollkommen erreicht worden, wenn
Margarete D. auf den ihr als Ehefrau geſetzlich zu⸗
kommenden Erbteil beſchränkt geblieben wäre, ander⸗
ſeits beſtand für Andreas D. zur Herbeiführung der
geſetzlichen Erbfolge um ſo weniger ein Anlaß, als er
nähere Verwandte (Eltern oder Geſchwiſter) nicht
hinterließ. Die Erbeinſetzung der Witwe entſprach
aber auch dem bis zum 1. Januar 1900 in H. gelten⸗
den Fuldaer Recht. Nach dieſem ging, wenn zwiſchen
den Ehegatten Gütergemeinſchaft beſtand, im Falle
des Todes des einen Ehegatten, wenn Abkömmlinge
dieſes Ehegatten nicht vorhanden waren, deſſen Anteil
an dem Geſamtgut auf den überlebenden Ehegatten
über (Thomas, Syſtem aller Fuldaſchen Privatrechte
8 316, vgl. auch UeG. Art. 67). Es lag daher nahe.
daß die Ehegatten D. das, was bis zum Jahre 1900
Geſetz war, durch Erbvertrag feſtſetzten. Durch den
Hinblick auf den bisherigen Rechtszuſtand erklärt es
ſich auch, daß der überlebende Eheteil nicht ausdrück⸗
lich eingeſetzt wurde; denn dieſe Erbeinſetzung galt
als ſelbſtverſtändlich; ihren Willen, daß der über⸗
lebende Ehegatte Alleinerbe ſein ſolle, haben die Ehe—
gatten aber im Erbvertrage genügend deutlich dadurch
zu erkennen gegeben, daß ſie auf den Fall des Ablebens
des Zuletztverſterbenden die Schweſter der Margarete
D. zur Erbin des geſamten Vermögens beſtimmten.
Zu beanſtanden iſt die Feſtſetzung des Wertes des
Beſchwerdegegenſtandes; nicht der Wert des hinter⸗
laſſenen Vermögens bildet hier den Maßſtab; maß⸗
gebend iſt vielmehr nur das Intereſſe, das die Witwe
daran hat, daß ihr bezüglich ihrer Anſprüche auf den
Nachlaß ein Erbſchein erteilt werde; dieſes iſt weſent⸗
lich geringer, da durch den Erbſchein nur eine Ver⸗
mutung für das Erbrecht begründet wird (8 2365
B B.). (Beſchl. des I. ZS. vom 2. Januar 1914, Reg. III,
8 W.
30
B. Straffaden.
I.
Hundeabgabengeſetz. Die von den Gemeindeverwal⸗
a für die Anmeldung der Hunde befannt gegebenen
Amtsſtunden find von den Hundebeſitzern bei Vermeidung
der Beſtraſung einzuhalten. Der Stadtmagiſtrat A.
hat im Amtsblatte die Amtsſtunden zur Anmeldung
der Hunde bekanntgegeben. Sie wurden für die Stadt⸗
bezirke auf verſchiedene Tage und Stunden feſtgeſetzt.
Weiter wurde bekannt gegeben, daß Anmeldungen aus
anderen Bezirken nur angenommen werden, wenn
Zeit verfügbar iſt, daß bei der Anmeldung die Abgabe
zu entrichten ſei und gleichzeitig die tierärztliche Unter⸗
ſuchung ſtattfinde. Für den Stadtbezirk D, in dem der
Angeklagte K. wohnt, wurde der 10. Januar 1913 zur
Anmeldung beſtimmt. K. hat an dieſem Tage ſeinen
Hund nicht angemeldet. Er wurde vom Sch. wegen
einer Uebertretung nach 8 8 Abſ. 1 oberp. Vorſchr.
zur Sicherung und Ueberwachung der Hundeabgabe
vom 13. Juni 1911 verurteilt. Das Reviſionsgericht
hob das freiſprechende Urteil des Berufungsgerichts
auf und verwarf die Berufung gegen das Urteil des
Schöffengerichts.
Aus den Gründen: Auf Grund der in Art. 13
H Abg. enthaltenen Ermächtigung hat das Miniſterium
des Innern am 13. Juni 1911 zur Sicherung und
Ueberwachung der Abgabe oberp. Vorſchriften erlaſſen
(GBl. 1911 S. 907 ff.). Im §9 dieſer Vorſchriften
werden die Regierungen und die Gemeindeverwal⸗
tungen ermädtigt, zur Sicherung und Ueberwachung
der Hundeabgabe weitergehende ober⸗ und ortspolizei⸗
liche Vorſchriften zu erlaſſen. In § 40 Ziff. 2 der
Vollzugsanweiſung des StM. d. Innern vom 13. Juni
1911 (GBl. S. 909 ff.) iſt beſtimmt: „Als Zeitpunkt
der Abgabenentrichtung beſtimmt die Gemeindever⸗
waltung den Zeitpunkt, in dem die Anmeldepflicht
ſpäteſtens zu erfüllen iſt“ (ſ. die Erl. in 8 43 a. a. O.).
Nach Art. 83 Abf. 1 Ziff. 1 PStGB. iſt zu beſtrafen,
wer Hunde der durch ober⸗ oder ortspolizeiliche Vor⸗
ſchrift angeordneten und öffentlich bekannt gemachten
Viſitation entzieht oder nicht rechtzeitig unterſtellt.
Hierzu hat die Regierung von Schwaben am 21. Auguſt
1911 oberp. Vorſchr. erlaſſen, in denen u. a. beſtimmt
iſt: „... Soweit Abgabenpflicht beſteht, kann die
Unterſuchung mit der abgabenrechtlichen Vorführung
des Hundes verbunden werden. Alljährlich im Januar
und Februar find die regelmäßigen Hundeunter⸗—
ſuchungen vorzunehmen. Die Termine und Orte, an
welchen fie ftattfinden, werden von den Diſtriktspolizei⸗
behörden im Benehmen mit den Tierärzten feſtgeſetzt.
Die Hundeunterſuchungen werden durch den zuſtändigen
Tierarzt gemeindeweiſe an dem hierfür feſtgeſetzten Orte
und im Beiſein eines Vertreters der Ortspolizeibehörde
vorgenommen. Hundebeſitzer, welche die rechtzeitige
Vorführung ihrer Hunde verſäumt oder unterlaſſen
haben, find der Diſtriktspolizeibehörde anzuzeigen“.
Das H Abg. vom 14. Auguſt 1910 beſtimmt nur
den Tag der Fälligkeit der Abgabe und überläßt es
der Gemeindeverwaltung, den Zeitpunkt — nicht den
Zeitraum — für die Entrichtung der Abgabe feſtzu⸗
ſetzen. Eine Beſchränkung der Gemeindeverwaltungen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. b. 107
enthält das Geſetz nur inſofern, als im Art. 12 Abſ. 3
die Staatsregierung ermächtigt wird, den Gemeinden
nähere Anweiſungen über die Erhebung zu erteilen.
Soweit ſolche Anweiſungen nicht ergangen ſind, iſt die
Gemeindeverwaltung in der Beſtimmung des Zeit⸗
punkts für die Entrichtung der Abgabe unbeſchränkt.
Wurde nun die Beſtimmung des Zeitpunkts für die
Entrichtung der Abgabe aus Zweckmäßigkeitsgründen
den mit ihrer Erhebung befaßten Gemeindeverwal⸗
tungen überlaſſen, ſo wäre es unverſtändlich, wenn
das Geſetz ihnen gerade eine Regelung der Anmeldung
und Abgabenentrichtung verwehren wollte, die für eine
ichere und raſche Erledigung der Geſchäfte unerläßlich
ſt. Ebenſowenig kann aus den oberp. Vorſchr. des
St M. des Innern vom 13. Juni 1911 eine ro
dieſer Befugnis entnommen werden. Abgeſehen davon,
daß im 8 9 Abſ. 2 die Gemeindeverwaltungen ermäch⸗
tigt werden, noch weitergehende orts polizeiliche Vor⸗
ſchriften zu erlaſſen, ſo wird in 8 3 die Anmeldepflicht
mit der nach Art. 83 Abſ. 1 Ziff. 1 PStGB. vorzu⸗
nehmenden Hundeunterſuchung in Verbindung gebracht,
und im 8 40 Abſ. 1 Ziff. 2 VollzA. wird auf dieſen
8 3 verwieſen. Dadurch wird bekräftigt, was ſich ſchon
aus der Natur der Sache ergibt, daß ſowohl bei der
Erlaſſung des Geſetzes wie bei der der oberp. Vorſchr.
davon ausgegangen wurde, daß mit der Anmeldun
der Hunde und der Entrichtung der Abgabe ſtets au
die Unterſuchung verbunden wird. Erwägt man, welchen
Aufwand an Perſonal die Vornahme der Hundeunter⸗
ſuchung erfordert, ſo kann man unmöglich annehmen,
daß das Geſetz den Gemeinden die Maßnahmen ver⸗
wehren wollte, die einer nutzloſen Bereithaltung des
Perſonals vorbeugen. Dazu kommt, daß ein zu be⸗
achtendes Intereſſe der anmeldepflichtigen Hundehalter
an der Beſtimmung einer längeren Friſt für die Ans
meldung nicht anerkannt werden kann. Eine ſolche
Regelung enthielte nur eine ungerechtfertigte Bevor⸗
zugung der Orte mit größerer Einwohnerzahl, in denen
die Anmeldungen nicht an einem Tage erledigt werden
können, gegenüber den kleineren Orten, in denen die
Entgegennahme der Anmeldungen und die Unter⸗
i der Hunde an einem Tage erledigt werden
önnen.
In der Bek. des Stadtmagiſtrats A. iſt klar aus⸗
geſprochen, daß die im Bezirke wohnenden Hundehalter
an einem beſtimmten Tage ihrer Anmeldepflicht zu
genügen haben. Es iſt verfehlt, wenn das LG. im
Widerſpruche mit dem Wortlaute der Vorſchrift an⸗
nimmt, daß für jeden Hundehalter eine wirkſame An⸗
meldung an jedem der für die ſämtlichen Stadtbezirke
beſtimmten Tage zugelaſſen werden ſollte. Dieſe An⸗
nahme kann auch nicht mit der Beſtimmung gerecht⸗
fertigt werden, nach der die Anmeldung von Hunden
aus anderen Bezirken nur dann angenommen wird,
wenn Zeit verfügbar iſt. Denn einmal iſt die Bedeutung
dieſer Beſtimmung mit ihrer Anwendung auf nach⸗
trägliche Anmeldungen nicht erſchöpft. Die Beſtimmung
gilt vielmehr auch für Anmeldungen, die vor dem
geſetzlichen Termine vorgenommen werden und kommt
ſomit den Hundehaltern entgegen, für die die Anmel⸗
dung an dem für ſie feſtgeſetzten Tage mit Unbequem⸗
lichkeiten verbunden wäre. Ferner kommt in Betracht,
daß die Anmeldung und Unterſuchung unter allen
Umſtänden nachgeholt werden muß, auch wenn die
Anmeldung ohne Verſchulden des Hundehalters unter-
blieb. Die Beſtimmung dient alſo weſentlich dazu,
die freie Zeit der mit dem Geſchäfte befaßten Perſonen
auszunützen und die auf die nachträglichen Anmel—
dungen und Unterſuchungen noch zu verwendende Zeit
möglichſt abzukürzen. Endlich ſpricht gegen die Aus—
legung des LG., daß ein Recht auf die Annahme der
Anmeldung aus einem anderen Bezirke nicht beſteht.
Die Auslegung würde dazu führen, daß es dem Zufall
überlaſſen bleibt, ob eine Anmeldung als rechtzeitig
oder verſpätet anzuſehen iſt. Der Angeklagte mußte
108
demnach dafür forgen, daß fein Hund am 10. Januar
1913 angemeldet wurde. Dieſer Pflicht iſt er nach den
Feſtſtellungen des LG. nicht nachgekommen. Er hat
alſo den zur Sicherung der Abgabe erlaſſenen Be⸗
ſtimmungen in SS 1 und 3 der oberp. Vorſchr. vom
13. Juni 1911 zuwidergehandelt. Er kann die Verant-
wortung nicht deshalb ablehnen, weil er den Hausmeiſter
P. mit der Anmeldung beauftragte. Denn es war ſeine
Pflicht, die Ausführung des Auftrags zu überwachen.
Er hat ſich aber um die Ausführung nicht gekümmert.
Ein Irrtum darüber, daß die Anmeldung ſpäteſtens
an dem für ſeinen Bezirk feſtgeſetzten Tag vorgenommen
werden müſſe, wäre ſelbſt verſchuldet, denn er konnte
ſich bei der Behörde Aufſchluß erholen. (Urt. vom
22. Nov. 1913, Rev.⸗Reg. 536/1913). Ed.
3219
II.
Die Neviſien kann auf Verletzung des 3 415 StPO.
geſtützt werden. Ein Vergleich im Privatklageverfahren
verbraucht nicht die Strafklage zunngunſten anderer zur
ene Berechtigter. Die Ehefrau K. erhob Privat⸗
age gegen die X., weil fie behauptet hatte, das Kind
der Privatklägerin ſtamme nicht von dem Ehemann.
Vor dem Eintritt in die Hauptverhandlung kam ein
Vergleich zuſtande, wornach die Beklagte die Beleidi⸗
gungen widerrief und die Koſten übernahm. Das Ge⸗
richt erließ keinen Einſtellungsbeſchluß. — H., den die
Beklagte als den Vater des Kindes bezeichnet hatte,
erhob ſpäter gegen die X. wegen der Behauptung
gleichfalls Privatklage. Das Sch. erklärte durch Urs
teil unter Bezugnahme auf 8 415 StPO. die Straf⸗
verfolgung für unzuläſfig. Das L. verurteilte die
Angeklagte. Die Reviſion der Angeklagten wurde ver⸗
worfen. ö
Aus den Gründen: Die Reviſion verſtößt, in⸗
ſofern fie ſich auf den 8 415 StPO. gründet, nicht
gegen den $ 380 StPO. 8 415 gehört nicht ausſchließ⸗
lich dem Prozeßrecht an; er ergänzt, ſoweit er den
Grundſatz der ſachlichen Rechtskraft betont und er⸗
weitert, das Strafgeſetz, insbeſondere deſſen Vorſchriften
über Antragsvergehen. Daß die Reviſion auf § 415
geſtützt werden kann, iſt überwiegend anerkannt. Sach⸗
lich iſt fie unbegründet. Der Abſ. 2 des § 415, der
nie gleichzeitig mit dem Abſ. 3 anwendbar iſt, läßt die
Verfolgung des Privatklagerechts durch einen neben
dem erſten Privatkläger Verletzten nur im Wege des
Beitritts zu dem zuerſt anhängig gemachten Verfahren
zu. Dieſe Beſchränkung dauert jedoch nur, ſolange jenes
Verfahren anhängig iſt; die ſelbſtändige Verfolgung
durch den anderen Verletzten wird wieder zuläſſig, ſobald
das erſte Verfahren beendet iſt, nur darf es nicht durch
eine Entſcheidung in der Sache ſelbſt beendet worden ſein
(Abſ. 3). Dahingeſtellt kann hiernach bleiben, ob § 415
Abſ. 2, der nach der hier feſtgehaltenen Auslegung nur
eine Wirkung der Rechtshängigkeit betrifft, eine reine
Verfahrensnorm iſt oder nicht. Der Vorbehalt bezüglich
einer in der Sache ergangenen Entſcheidung betrifft
grundſätzlich nur einen Ausſpruch, der ſich mit der
Schuldfrage (im weiteren Sinne, unter Einbeziehung
der Antragsfragen; vgl. indeſſen RGSt. 41 S. 155)
befaßt; dieſer muß weſentlich Recht ſchaffen, nicht bloß
von anerkennender Art fein. Eine rechtſchaffende Wirs
kung kommt aber nur dem Urteil zu. Als Entſcheidung
kann weder ein Vergleich im Privatklageverfahren,
noch die als Beſtandteil eines ſolchen erklärte Zurück—
nahme der Privatklage gelten (vgl. RGSt. 27, 216,
217); beide beruhen auf dem Parteiwillen und erfolgen,
wenn auch oft mit äußerlicher, ſo doch nie unter ent—
ſcheidender Mitwirkung des Gerichts. Die Zurücknahme
der Klage (nicht der „Vergleich“, ein der StPO. fremder
Ausdruck) erledigt das Verfahren ohne weiteres, die
ihr regelmäßig folgende beſchlußmäßige „Einſtellung
des Verfahrens“ hat nur formelle Bedeutung (Löwe
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
— — — — — —
Bem. 7 zu 8 431 StPO. Die Wirkung hat aber die
Zurücknahme nur für den Privatkläger, dieſer kann
die zurückgenommene Klage nicht von neuem erheben
8 432 StPO.); das Recht eines andern Privatklage⸗
berechtigten ſteht dagegen unter der Vorſchrift des
8 415 Abſ. 3 (Löwe Bem. 2 zu 8 432), ihn bindet die
Zurücknahme nicht. Daß die Zurücknahme auch ohne
förmlichen Einſtellungsbeſchluß das Verfahren — ins⸗
beſondere i. S. des 8 415 Abſ. 2 — erledigt, folgt aus
der nur formalen Natur dieſes Beſchluſſes (RG St.
46, 129). Verſehlt iſt auch die Aufſtellung, der Ber-
gleich bilde eine „Sühne“ der Straftat und 8 415
wolle die Verdoppelung der Sühne im Wege eines
zweiten Verfahrens 1 Abgeſehen davon, daß
Sühne im ſtrafrechtlichen Sinne nur die Verurteilung
ſt — als „Ausſöhnung“ iſt Sühne ein prozeßrecht⸗
licher Begriff, ſ. 8 420 StPO. — ſpricht 8 415 Abſ. 3,
der allein von der Rechtskraftwirkung handelt, dieſe
Wirkung nur einer zugunſten des Beſchuldigten er⸗
Dane Entſcheidung zu. (Urt. vom 15. Mai 1913,
ev.⸗Reg. Nr. 528/ù1913). Ed.
3218
III.
Zuſtändigkeit für die Fier Pri der Roſten im
Privatklageverſahren. Weder der Privatlläger noch der
Angeklagte hat in dieſem Berfahren das Necht der wei⸗
teren Beſchwerde. In einem Privatklageverfahren
wurde der Angeklagte vom Berufungsgerichte zu den
Koſten der beiden Inſtanzen verurteilt. Auf den An⸗
trag des Privatklägers ſetzte der Gerichtsſchreiber des
Amtsgerichts die Koſten feſt. Auf die „Beſchwerde“
des Privatklägers wies das Amtsgericht die Erinne⸗
rungen nach 8 104 ZPO. zurück. Auf die Beſchwerde
des Privatklägers änderte die Strafkammer den
Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß I. Inſtanz ab; gegen dieſen
Beſchluß legte der Privatkläger neuerdings Beſchwerde.
der Angeklagte die weitere Beſchwerde ein. Beide Be⸗
ſchwerden wurden als unzuläſſig verworfen.
Aus den Gründen: Die StPO. enthält keine
Vorſchriften über die Feſtſetzung der Koſten und Aus⸗
lagen des Privatklageverfahrens. Nach 88 495, 496
Abſ. 2, 503 StPO. find die Vorſchriften der ZPO.
(88 104 ff.) heranzuziehen, aber die Vorſchriften der
StPO. bleiben im allgemeinen maßgebend. Die Koſten
und Auslagen des Privatklageverfahrens werden durch
das Gericht (nicht durch den Gerichtsſchreiber) der
I. Inſtanz feſtgeſetzt. Gegen dieſen Beſchluß ſteht die
einfache unbefriſtete Beſchwerde nach 8 346 StPO.
offen. Der von dem LG. als Beſchwerdegericht er⸗
laſſene Beſchluß kann nach 8 352 StPO. nicht mit der
weiteren Beſchwerde angefochten werden. Dies gilt
für den Privatkläger und den Angeklagten (8 352
Abſ. 2 StPO.). Zwar enthält die Entſcheldung des
LG. für dieſen einen neuen ſelbſtändigen Beſchwerde⸗
grund, ſo daß ihm ein Beſchwerderecht zuſtehen würde,
wenn 8 568 ZBO. entſprechend anzuwenden wäre.
Allein die Vorſchriften der ZPO. werden nur auf das
Verfahren über die Koſtenerſtattung in Privatklage⸗
ſachen entſprechend angewendet, das in der StPO.
nicht geregelt iſt. Hinſichtlich der Zuläſſigkeit der
weiteren Beſchwerde ſteht die ausdrückliche Vorſchrift
des 8 352 Abſ. 2 StPO. entgegen, ſelbſt dann, wenn
der Gegner erſt durch die Entſcheidung des LG. be⸗
ſchwert iſt. (Beſchl. vom 20. Nov. 1913, Beſchw.⸗Reg.
892 ‘
Nr. 5 1913). Ed.
3217
Oberlandesgericht München.
1
Riß bränchliche Beuntzung eines Kraftwagens gele⸗
gentlich der Ausbeſſerung: Gehliſenhaftung (8 278 8008)
Der Beſitzer eines Kraftwagens verbrachte dieſen auf
Grund vorangegangener Beſprechung zu einem Auto⸗
mobilreparateur in deſſen Werkſtätte zur Ausbeſſerung;
die Gehilfen benutzten die Abweſenheit des Meiſters
auf einer kurzen Reiſe dazu, mit dem Wagen nach Feier⸗
abend eine Spazierfahrt zu machen; dabei wurde der
Wagen 81 beſchädigt. Der Geſchäftsherr lehnte
jeden Schadenserſatz ab, weil die Beſchädigung nicht in
Ausübung der Ausbeſſerung, ſondern nur gelegentlich
erfolgt ſei, ſeine Reiſe auch kein eigenes Verſchulden
darſtelle; andererſeits habe auch der Kläger von einer
früheren Eigenmächtigkeit der Gehilfen Kenntnis ge⸗
habt. Er wurde in zwei Inſtanzen verurteilt.
Aus den Gründen: Unbeſtreitbar übernimmt
der Werkunternehmer bei Ausbeſſerungsarbeiten, deren
Gegenſtand vom Beſteller in die Werkſtätte gebracht
wird, kraft Vertrags auch die Pflicht zur ordnungs⸗
mäßigen Verwahrung und insbeſondere zur Behütung
vor mißbräuchlicher Benützung (ſog. „ſekundäre“ Unter⸗
laffungspftichten; vgl. Staudinger BGB. Bem. I 2b
278, Vorbem. zu 8 688). Ebenſoweit er-
ſtreckt ſich auch die Haftung des Meiſters für die Er⸗
füllungsgehilfen, alſo insbeſondere für die techniſchen
Werkſtättegehilfen nach 8 278 BGB. In den Kommen⸗
taren find im Anſchluſſe an Staub HGB. Exk. zu
8 58 (Bd. 1 S. 284) und Goldſchmidts Z. Bd. 10 S. 287
allerdings meiſt nur ſolche Beiſpiele aufgeführt, bei
denen ſich der Gehilfe in die Räume des Beſtellers be⸗
gibt und dort gelegentlich der Ausbeſſerung etwas be⸗
ſchädigt. Die mißbräuchliche Benützung von auszu⸗
beſſernden und zu dieſem Zwecke in die Werkſtätte des
Werkmeiſters gebrachten Sachen iſt aber viel häufiger
und wichtiger, als es hiernach ſcheinen könnte. Dies
gilt nicht nur für Kraftwagen wegen der hier beſon⸗
ders ſtrengen deliktshaftung bei Beſchädigungen, ſondern
auch für Schmuck, Kleider, Wäſche, Uhren und ähn⸗
liche vor oder nach der Ausbeſſerung leicht auf kurze
Zeit benützbare Luxusſachen, zumal aan dieſer
Gebrauchsdiebſtahl nicht geahndet wird. Da dieſe Fälle
ſelbſtverſtändlich niemals mit der eigentlichen Aus⸗
beſſerungsarbeit in notwendigem Zuſammenhang ſtehen,
5 tritt bei ihnen immer wieder die Grenzfrage zwiſchen
eſchädigung „in Erfüllung“ oder „bei Gelegenheit der
Erfüllung“ auf. Hält man aber feſt, daß die Vertrags⸗
haftung für Gehilfen überall da eintritt, wo der Werk⸗
meiſter ſelbſt aus dem Vertrage haften würde, wenn
er die ſtreitige Handlung perſönlich vorgenommen hätte,
und weiter, daß der Vertrag nicht nur die Verpflich⸗
tung zur ien Ausbeſſerung als ſolcher, ſondern
auch zur wirkſamen Obhut und Verwahrung ſowie zur
Sicherung gegen mißbräuchliche Benützung enthält, ſo
kann kein Zweifel ſein, daß ſolche Fälle wie hier unter
die abſolute und durch keinerlei eigenes Verſchulden
bedingte Gehilfenhaftung aus 8 278 fallen. Gerade
der Schutz vor den Folgen ſolchen Mißbrauchs iſt einer
der Zwecke des 8 278. Wie der Geſchaͤftsherr ſich da⸗
gegen ſchützen will, iſt ſeine Sache und äußerſtenfalls
eben ein Beſtandteil ſeiner Geſchäftsgefahr; jedenfalls
wäre es weitaus unbilliger, den Werkbeſteller mit ie
Gefahr zu belaſten. Auch daß die mißbräuchliche Fahrt
— wie natürlich — erſt nach Feierabend vorgenommen
wurde, kann den Beklagten nicht entlaſten; denn ſeine
Verwahrerpflichten beſtanden ja auch nach Geſchäfts⸗
ſchluß fort. Der jetzt ſtreitige Fall liegt inſoweit ganz
ähnlich wie der in RG. Bd. 63 S. 343, wo ſich die
Malergehilfen nach Feierabend in einem Neubau an
der Waſſerleitung die Hände reinigten und die Farb⸗
kübel ausſpülten, dabei aber den Waſſerhahn offen
ließen, ſo daß über Nacht Decken und Fußböden im großem
Umfang beſchädigt wurden; das Reichsgericht hat die
____Beitfeift für Medhtspfiege in Bayern. 1914. Ne. 4 u. 5.
109
Haflung des Malermeiſters angenommen, weil ein naher
und innerer Zuſammenhang mit der Arbeit ſelbſt be⸗
1 Mit Recht weiſt ferner der Kläger darauf hin,
daß ſchon die vom Beklagten gegebene zuſagende Ant⸗
wort (er ſolle den Wagen nur ſchicken) den Abſchluß
des dich daher der und Verwahrungsvertrags enthielt
und ſich daher der Kläger nicht mehr darum zu kümmern
brauchte, ob der Beklagte auch bei der Entgegennahme
des Wagens in der Werkſtätte perſönlich mitwirkte
oder überhaupt anweſend war. Es wäre Sache des
Beklagten geweſen, wenn er bei der Sr bereits
feine Reife vorhatte, die Ablieferung während feiner
vorausſichtlichen Abweſenheit auszuſchließen oder, wenn
die Notwendigkeit der Reiſe unvermutet eintrat, den
Kläger noch einmal telephoniſch zu benachrichtigen, daß
der Wagen jetzt nicht gebracht werden ſolle. Mangels
ſolcher beſonderen Abmachungen aber hätte der Kläger
auch dann den Anſpruch auf ordnungsmäßige Verwah⸗
rung und Schadenserſatz wegen Verletzung dieſer Pflicht
gehabt, wenn er den Wagen ohne jede e Ver⸗
abredung in das offene Geſchäft des Beklagten ver⸗
bracht hätte; denn die dort mit dem Willen des Werk⸗
unternehmers anweſenden Gehilfen gelten als ermäch⸗
tigt, ſolche Ausbeſſerungen auch in Abweſenheit des
Meiſters anzunehmen (vgl. RG. Z. Bd. 65 S. 295). Es
kann deshalb auch von einem Mitverſchulden des Klägers
keine Rede fein; denn er durfte glauben, daß der Bes
klagte 1 Vorſorge gegen Wiederholung einer
mißbräuchlichen Benützung bereits getroffen haben
werde. Er hatte ja auch in der Tat eine wirkſame
Abhilfe nämlich durch Wegnahme der Zündmagnete
gefunden; daß er ſie damals wegen ſeiner Abweſen⸗
heit nicht ſelber ausüben konnte und auch nicht ander⸗
weitig Vorſorge traf, konnte der Kläger weder vorher⸗
ſehen, noch fällt es ihm zur Laſt, zumal da der Beklagte
gar nicht behaupten kann, daß der Kläger oder deſſen
mit der Ablieferung des Wagens beauftragter Bedienſte⸗
ter von der 5 des Beklagten überhaupt etwas wußte.
Da hiernach § 278 BBB. zutrifft, bedarf es keiner wei⸗
teren Erörterung, ob den Beklagten ſelbſt ein Ver⸗
ſchulden zur Laſt fällt. Nur mag bemerkt werden, daß
der Kläger mit Recht auf die allbekannte Gefährlich⸗
keit des Mißbrauchs gerade von Kraftwagen durch
Dritte hinweiſt, die 10 zu Erörterungen über ge⸗
ſetzliche Maßnahmen im Kreiſe der Kraftwagenbeſitzer
geführt hat. Es wäre hiernach überhaupt zweifelhaft,
ob der Beklagte den Entlaſtungsbeweis nach 8 831
BGB. hinſichtlich feiner Gehilfen noch führen könnte,
wenn es — wie nicht — darauf ankäme. Insbeſondere
iſt unklar geblieben, wem denn eigentlich der Schlüffel
der Werkſtätte nach Feierabend anvertraut war und
ob nicht die Ablieferung des Schlüſſels an eine dritte
verläſſige Perſon außerhalb des Kreiſes der Gehilfen
anzuordnen geweſen wäre. (Urt. vom 13. Juni 1913,
L 282/13 J). N.
3038
II
Erheblichkeit des Bertagungsgrunds (SS 227, 224
3PO.). Gründe: Der Anwalt des Klägers begründet
ſeinen ſchriftlichen Antrag auf Terminsverlegung da⸗
mit, er habe noch nicht genügende Information von
ſeiner auswärtigen Partei erhalten; der Gegner hat
der Verlegung widerſprochen. Ein 1 Grund
dafür iſt auch tatſächlich nicht zu erſehen. Das Urteil
wurde am 20. November 1913 verkündet; am 26. gl. M.
erhielt der Kläger die Ausfertigung; am 29. gl. M.
erfolgte die Zuſtellung; am 24. Dezember 1913 wurde
die Berufung eingelegt und Termin auf 13. Februar
1914 angeſetzt. Der Kläger hatte alfo ſeit Ende Nos
vember Zeit, ſich die Berufungsbegründung zurecht zu
legen und den Schriftſatz ſo zeitig abzugeben, daß auch
dem Gegner und dem Gericht noch genügend Zeit zur
Vorbereitung bleibt. Zudem handelt es ſich um eine
einfache Sache ohne Beweisaufnahme in erſter Inſtanz
mit den nämlichen Anwälten wie in der Vorinſtanz. Es
beſteht alſo kein Grund, von der für den ordnungs⸗
mäßigen Geſchäftsbetrieb der Oberlandesgerichte wich⸗
tigen Regel abzuweichen, daß die Sache für den erſten
Termin verhandlungsreif gemacht werden ſoll (vgl.
88 518 Abſ. 3, 519 Abſ. 2, 520, 523, 272 ZPO.), wenn
er wie hier, mit einem Zwiſchenraum von zehn Wochen
ſeit der Urteilszuſtellung anberaumt iſt.) (Beſchl. vom
28. Januar 1914, L 946/13). N.
3224
O berlandesgericht Nürnberg.
Ausſchliezung des Mitglieds eines eingetragenen
Vereins. Zuſtändigkeit der Hanptverſammlung oder det
Schiedsgerichts. Nechtsungültigkeit des n
beſchluſſes wegen eined Mangels des Verfahrens (88 133,
157, 32 fl., 55 ff. 383.). Aus den Gründen: Nach
den Satzungen des beklagten Vereins haben ſich mit
der Ausſchließung eines Mitglieds zwei Organe zu be⸗
faſſen. Zunächſt muß ein Ausſchußbeſchluß darüber
vorliegen, daß die Ausſchließung des Mitglieds bei
der Hauptverſammlung zu beantragen iſt, ſodann iſt
über dieſen Ausſchließungsantrag zu entſcheiden. Dies
iſt in zweifacher Weiſe möglich; entweder entſcheidet
das nach den Satzungen zu berufende Schiedsgericht
ohne Berufung an die Hauptverſammlung oder es ent⸗
ſcheidet die Hauptverſammlung ſofort endgültig. Das
Schiedsgericht iſt zuſtändig, wenn das vom Ausſchuß⸗
antrag verſtändigte, auszuſchließende Mitglied die Ein⸗
berufung des Schiedsgert ts innerhalb 14 Tagen ver⸗
langt; die Hauptverſammlung iſt zuſtändig, wenn das
Mitglied die Einberufung des Schiedsgerichts nicht ver⸗
langt. Welches Organ zu entſcheiden hat, ſteht hier⸗
nach erſt feſt, wenn die Friſt für die Anrufung des
Schiedsgerichts unbenützt verſtrichen iſt; erſt dann kann
das Verfahren zur Einberufung der Hauptverſammlung
eingeleitet werden, das nach den Satzungen mit der
rechtzeitigen ſchriftlichen Einladung der Mitglieder unter
Bekanntgabe der Tagesordnung beginnt. Vor Ablauf
der Friſt beſteht ein für die Hauptverſammlung ge⸗
eigneter Ausſchußantrag überhaupt noch nicht und kann
daher den Mitgliedern als Gegenſtand der Tagesordnung
einer Hauptverſammlung auch noch nicht bekannt ge⸗
geben werden. Nach dem Zwecke der Satzungsvorſchrift
fol das ſchiedsgerichtliche Verfahren der nut
durch die Hauptverſammlung nebſt deren Vorbereitung
ſchlechthin vorgehen; beide Verfahren ſollen nicht neben⸗
einander laufen, was auch in den entſprechenden Fällen
des ſtaatlichen Prozeßrechts gilt. Nach dem Sinne der
Satzungen iſt die Angelegenheit, ſobald es das be—
treffende Mitglied verlangt, in dem engen Kreiſe des
nur aus 5 Perſonen beſtehenden Schiedsgerichts zu ent⸗
ſcheiden, ſtatt die mehr oder weniger breite Oeffent—
lichkeit der Hauptverſammlung zu beſchäftigen; ſchon
in der Bekanntgabe der Tagesordnung läge der erſte
Teil der Anrufung der Hauptverſammlung zur Ent—
ſcheidung über den Ausſchußantrag. Mit gutem Grunde
ordnen daher die Satzungen an, daß dieſer Antrag
„vorher“ dem Mitgliede bekannt zu geben iſt, alſo be—
1) Anberaumung des erſten Verbandlungstermins alsbald nach
Ablauf der zweiwoͤchentlichen Einlaſſungsfriſt (SS 61 Abſ. 2. 523 3PO.)
bat bei den Ox. wenig Wert, weil dier ja nur in den ſeltenſten
Fällen der Sieger 1. Inſtanz Verſäumnisurteil gegen ſich ergeben
läßt und auch Vergleichsanregungen verfruht waren. Die ZBO. jept
als Regel die Verbindung der Begrundung mit der Berufungsein—
legung voraus (3 520 Abſ. 2 und batte bis zum Jabre MO auch eine
ſachgemäße Vorſchrift fur rechtzeitige Beantwortung (S 484 d. F.): letz⸗
tere wurde aber durch die Novelle von 1s aufscboden und ſeildem
die Begründung durch geſonderten Schrifiſatz und damlt deren Ver—
zögerung immer bäufiger, fo daß entweder obne Beantwortungs—
ſchrift verdandelt oder bierwegen der erſte Termin vertagt werden
muß.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
vor Schritte zur Einberuſung der Hauptverſammlung
geſchehen. Selbſt wenn aber die Faſſung Zweiſel zu⸗
ließe, ſo hätte doch jene Auslegung Platz zu greifen,
die den Rechten des von der i sound bedrohten
Mitglieds Rechnung trägt, ſobald der Wortlaut der
Vorſchrift nach ihrem Sinn und Zwecke dieſe Aus⸗
legung zuläßt und der gegenteilige Wille des Vereins,
des Verfaſſers der Satzungen, keine unzweideutige
Faſſung gefunden hat oder hätte finden können.
Hiernach hat der beklagte Verein gegen die Satzungen
verſtoßen; denn der Ausſchließungsantrag des Aus⸗
ſchuſſes vom 18. Dezember 1912 wurde ſchon am 24.
gleichen Monats auf die Tagesordnung der Haupt⸗
verſammlung vom 24. Januar 1913 geſetzt, allen Mit⸗
dia ſofort angezeigt, aber dem Kläger erit am
Januar 1913 bekannt gegeben und trotzdem ſchon
in der genannten Hauptverſammlung entſchieden. Des⸗
halb iſt es bedeutungslos, daß der Kläger noch recht⸗
zeitig vor jener Hauptverſammlung die Einberufung
eines Schiedsgerichts hätte verlangen können; denn
der Kläger brauchte ſeine Maßnahmen nicht auf das
ſchon vorher unrichtig geſtaltete Verfahren des beklagten
Vereins oder ſeines Ausſchuſſes zu gründen. Es kann
ihm auch ein Verſtoß gegen Treu und Glauben nicht
deshalb zur Laſt gelegt werden, weil er in zuläſſiger
Weiſe das mit Mängeln behaftete Ausſchließungsver⸗
fahren durch die ordentlichen Gerichte nachprüfen ließ.
Die ſachliche Prüfung der Richtigkeit oder Zweckmäßig⸗
keit des Vereinsbeſchluſſes durch das Gericht iſt ohnehin
nicht mehr verlangt worden und könnte auch nach der
vorherrſchenden Anſicht nicht erfolgen, weil hierin ein
Eingriff in das Selbſtverwaltungsrecht des Vereins
liegen würde. Mit Recht hat ſohin das Landgericht
beim Vorhandenſein der Vorausſetzungen des 8 256
PO. für den Feſtſtellungsanſpruch des Klägers die
Rechtsungültigkeit des Ausſchließungsbeſchluſſes der
Hauptverſammlung vom 24. Januar 1913 wegen der
dargelegten Mängel des Verfahrens ausgeſprochen.
(Urt. des II. 35. vom 1. Dezember 1913, L an
3237 —t.
Landgericht München J.
35 906, 1004 B88. $ 26 Gew. Haftung des
Eiſenbahnſiskus für Brandſchäden infolge Funkenwurſs.
Aus den Gründen: (Das Urteil ſtellt feſt, daß ein
ſtarker Funkenwurf ftattgefunden hat und daß dadurch
ein Brand entſtehen konnte). Der Beklagte hat für den
Brandſchaden auf Grund eines allgemeinen Rechtsſatzes
zu haften, der die Bahn verwaltung in ſolchen Fällen
auch ohne eigenes Verſchulden für haftpflichtig erklärt.
Von der Regel, daß die Schadenserſatzpflicht grundſätzlich
ein Verſchulden vorausſetzt, läßt die feſtſtehende Recht⸗
ſprechung, insbeſondere die des Reichsgerichts, u. a.
eine Ausnahme zu in den Fällen, wo dem Verletzten
durch Sondervorſchriften die Befugnis entzogen iſt,
widerrechtliche Eingriffe in ſein Eigentum abzuwehren
und dadurch dem Schaden vorzubeugen; dies trifft
namentlich bei dem im öffentlichen Intereſſe geregelten,
behördlich genehmigten Eiſenbahnbetrieb zu, weil dem
Grundeigentümer durch die landespolizeiliche Genehmi—
gung der Bahnanlage die Möglichkeit entzogen iſt, auf
Einſtellung des Betriebs oder auf Unterlaſſung der
das Maß des § 906 BGB. überſchreitenden Einwir⸗
kungen zu klagen. (RG R Komm. § 906 N. 13, Vorbem. 2
vor $ 219; Vorbem. 1 vor § 823; Staudinger $ 906
IV 2 f.). Dieſer Rechtsgrundſatz wird aus den Grund—
gedanken der SS 903 ff., 1001 BG B. und aus der früheren
Praxis gefolgert; er hat auch in 8 26 GewO. Ausdruck
gefunden, iſt aber durch die Rechtſprechung erweitert
worden. Er beanſprucht allgemeine Geltung auf dem
Gebiete des bürgerlichen Rechts, ohne Rückſicht darauf,
— — — —
ob in einzelnen Staaten von der Befugnis des Art. 125
CG. B., den § 26 GewO. auch auf die Eiſenbahnen
uſw. zu erſtrecken, Gebrauch gemacht worden iſt oder
nicht. Es gilt alſo auch für die bayeriſchen Eiſen⸗
bahnen und zwar neben dem durch Art. 80 AG. BGB.
für anwendbar erklärten 8 26 Gew.
Nicht ſtichhaltig iſt der Einwand des Beklagten,
es müſſe ein Verſchulden der Eiſenbahn nachgewieſen
werden, weil für einen in der Vergangenheit liegenden,
d. h. ſchon vor der Klageerhebung eingetretenen Schaden
Erſatz verlangt werde. Allerdings wird in der Recht⸗
ſprechung ſolches . (vgl. RG RKomm. 8 906
N. 13; Landmann Gew. [6] I § 247; Recht 1909,
1938; 1910, 431; Warn R. 12, 343; abw. Gruch. 51,
154 ff.). Die Behauptung gilt aber nur für 826 GewO.;
auf Grund ne Vorſchrift kann nach der herrſchenden
Meinung allerdings ohne Nachweis eines Verſchuldens
nur für die Zukunft, d. i. für die Zeit nach der Klage⸗
erhebung, auf Schadenserſatz (z. B. für die erhöhte
Gefährdung und dadurch hervorgerufene Entwertung
des anliegenden Grundſtücks) geklagt werden. Im
Gegenſatz dazu gewährt aber der obenerwähnte all⸗
gemeine Rechtsſatz eine weitere Schadenserſatzpflicht
ohne Nachweis des Verſchuldens auch für den der Ver⸗
gangenheit angehörigen Schaden. Der tiefere Grund
liegt darin, daß der Grundeigentümer wegen der ſtaat⸗
lichen Genehmigung rechtswidrige Eingriffe in ſein
Eigentum nicht abwehren kann; durch die Gewährung
einer vom Nachweiſe des Verſchuldens unabhangigen
Schadenserſatzklage ſoll ihm eine Gegenleiſtung ver⸗
ſchafft werden. Dieſer Grund trifft gerade bei Schädi⸗
gungen durch Funkenflug zu. Funkenflug iſt eine alltäg⸗
liche, dem Eiſenbahnverkehr anhaftende Erſcheinung,
die die Technik bisher nicht vollſtändig beſeitigen konnte.
Er bildet ſtets eine unzuläſſige Einwirkung i. S. des
§ 906 BGB. und iſt bei geringen Entfernungen — wie
hier — auch ſtets gefährlich (Bay ZfR. 1911, 244;
Egers . 28, 292; JW. 10, 61 Der Beklagte gibt
ſelbſt zu, daß die Herſtellung von Einrichtungen un⸗
möglich iſt, welche den Funkenflug und feine Shädlichen
Folgen ausſchließen. Der Grundeigentümer hat alſo
kein Mittel, ſich im Voraus dagegen zu wehren. Es
bleibt ihm nichts übrig, als zu warten, bis ein Schaden
entſtanden iſt. Regelmäßig wird er erſt dann mit der
Erſatzklage hervortreten. Die Rechtſprechung hat denn
auch ſtets ſolche Klagen zugelaſſen, ohne den Nachweis
eines Verſchuldens zu fordern (vgl. RGRKomm.
8 906 1 und Staudinger a. a. O.: RG. 58, 130; JW. 10,
61918; 04, 360 1e; Recht 04, 617; WarnR. 13, 226).
Inſofern geht der Schutz des Grundeigentümers gegen
Funkenflug nach jenem allgemeinen Rechtsgrundſatz
weiter als der Schutz des $ 26 GewO. Es iſt nicht
anzunehmen, daß durch Art. 80 AG. BGB. in Bayern
der bisherige Rechtszuſtand zum Nachteil der Grund⸗
eigentümer geändert werden ſollte. Schon nach früherem
Recht war auch in Bayern als Erſatz für die ausge⸗
ſchloſſene Klage auf Betriebseinſtellung eine an den
Nachweis eines Verſchuldens nicht geknüpfte Entſchädi⸗
gungsklage, nicht aber die in 8 26 GewO. zugelaſſene
Klage auf Herſtellung von Schutzvorrichtungen zuläſſig;
nur dieſer verſchiedenen Behandlung der Anlagen der
Verkehrsunternehmen vor anderen gewerblichen An⸗
lagen ſollte der Art. 80 ein Ende machen (Henle⸗
Schneider zu Art. 80). Die Eiſenbahn kann ſich gegen
die Gefahren des Funkenflugs wohl nur durch die Be⸗
gründung von Dienſtbarkeiten ſchützen, in denen die
Grundeigentümer auf künftige Erſatzanſprüche vers
zichten (EgersE. 26, 208). (Urt. der I. 3K. vom 26. Nov.
2729/12)
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Hipp in München.
1913, A
3223
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 4 u. 5.
Vücheranzeigen.
Zweites Jahres⸗Supplement 1910/1911 (Band XXII) zu
Meyers Großem Kouverſations⸗Lexikon, ſechſte, gänzlich
neubearbeitete und vermehrte Auflage. 1005 Seiten
Toxt mit 994 Abbildungen, Karten und Plänen im
Text und auf 90 Bildertafeln (darunter 9 Farben⸗
drucktafeln und 7 ſelbſtändige Kartenbeilagen) ſowie
3 Textbeilagen. (Verlag des Bibliographiſchen In⸗
ſtituts in Leipzig und Wien). In Halbleder gebunden
Mk. 10.— oder in Prachtband Mk. 12.—.
Das Beſtreben des Verlags von Meyers Großem
Konverſations⸗Lexikon, dieſes bedeutende Werk auch
weiter mit der unaufhaltſam vorwärts drängenden
Zeit Schritt halten zu laſſen, kommt durch die Heraus⸗
gabe eines zweiten Jahres⸗Supplements (Band XXIII)
zum Ausdruck, deſſen vielſeitiger Inhalt einmal vieles
inzwiſchen Veraltete ergänzt, berichtigt und fortführt,
uns ſodann aber auch durch eine beträchtliche Reihe
völlig neuer Artikel überraſcht. Ein enzyklopädiſches
Jahrbuch für den Zeitraum 1910/1911 könnte der
XXIII. Band mit Recht genannt werden. Zeitgemäß
wie die Textgeſtaltung iſt auch das umfangreiche und
anſchauliche Bildermaterial, das entweder in den Text
eingefügt oder auf beſonderen Tafeln in ein⸗ und mehr⸗
farbiger Ausführung beigegeben iſt. Von ſchwarzen
Tafeln ſeien 1 erausgegriffen die Illuſtrationen zu den Ar⸗
tikeln: „Ballonphotographie“, „Unterſeeboote“, „Feuer⸗
meldeanlagen“, „Reklamebeleuchtung“, „Waſſerbau“,
„Kirchenbauten“, „Univerſitätsbauten“,, Moderne Grab⸗
mäler“, „Elektrochemiſche Apparate“, „Konſervierungs⸗
apparate“. Eine ſehr intereſſante Zuſammenſtellung
bieten die 4 Tafeln „Selbſtbildniſſe von Künſtlern des
15.—20. Jahrhunderts“, nicht minder die Gruppentafeln
mit Borträten hervorragender Geologen, Botaniker,
Zoologen, Chemiker, engliſcher und franzöſiſcher Dichter
der Gegenwart. Ganz hervorragend gelungen ſind die
farbigen Taſeln und die 7 neuen Karten. Kein Beſitzer
des Hauptwerkes ſollte ſich die Anſchaffung auch des
wohlgelungenen zweiten Jahres⸗Supplements entgehen
laſſen, deſſen Nutzen und praktiſche Bedeutung auch
als ſelbſtändiges Buch ohne weiteres einleuchtet.
Stanb's Kommentar zum Handelsgeſetzbuch. Neunte Auf⸗
lage bearbeitet von Heinrich Könige, Reichsgerichts⸗
rat in Leipzig, Albert Pinner, Juſtizrat in Berlin,
Dr. Felix Bondi, Juſtizrat in Dresden. Zweiter Band.
VII, 1416 Seiten. Berlin 1913, J. Guttentag, Ver⸗
lagsbuchhandlung. Mk. 22.50.
Im Jahrgang 1912 S. 244 iſt der 1. Band der
9. Auflage angezeigt worden. Dem uneingeſchränkt an⸗
erkennenden Urteile, das durch den 2. Band nach jeder
Richtung beſtätigt wird, muß noch beigefügt werden,
daß ein mit peinlicher Sorgfalt bearbeitetes Verzeich⸗
nis der Geſetzesſtellen und ein gründliches Verzeichnis
959 der Wortfolge die Brauchbarkeit des Buches er⸗
öhen.
Schweitzers Bayeriſcher Finanzkalender 1914. Heraus⸗
gegeben von Dr. Unten Schlecht, K. Rentamtmann
in Garmiſch. München und Berlin 1914, J. Schweitzer
Verlag (Arthur Sellier). Mk. 2.50.
Der Kalender ähnelt in der Einteilung und Aus⸗
ſtattung dem Termin-Kalender für bayeriſche Juriſten.
Er enthält Aemterverzeichniſſe, Tabellen, wichtige
Vorſchriften u. dgl. Von praktiſchem Wert iſt neben
der Ueberſicht über die Beſetzung der Rentämter ſeine
Rentämterbeſchreibung. Sie gibt einen Ueberblick über
die politiſchen und wirtſchaftlichen Verhältniſſe, ins⸗
beſondere über die Lebensmittel- und Mietpreiſe, an
jedem einzelnen Amtsſitze und erwähnt die örtlichen
Sehenswürdigkeiten und Naturſchönheiten.
112
—
Knitſchky, weil. Dr. jur. W. C. Die Geſetzgebung
des Deutſchen Reiches. Fünfte vermehrte und
1
verbeſſerte Auflage von Otte Nndorff, Oberlandes⸗
gerichtsrat in Hamburg. XXIV, 1024 Seiten. Berlin
1913, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H.
Die Ausgabe ſammelt die in zahlloſen Geſetzen
und Verordnungen verſtreuten Vorſchriften des öffent⸗
lichen und des privaten Seerechts, erläutert ſie durch
kurze Verweiſungen und Anmerkungen und führt die
Ergebniſſe der Rechtſprechung, ſowie die ſeerechtliche
Literatur an. Sie kann wegen der ſorgfältigen und
erſchöpfenden Behandlung des Stoffes nur empfohlen
werden.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Das Bayeriſche Zentralpolizeiblatt erſcheint jetzt
unter dem Namen „Bayerifches Polizeiblatt“). Der
Name wurde gleichzeitig mit dem Plane für das Blatt
geändert. Der neue Plan vom 16. Januar 1914, der
im Juſtizminiſterialblatt mit Bekanntmachung vom
23. Januar 1914 (S. 6) veröffentlicht wurde, bringt
neben weſentlichen Verbeſſerungen der Stoffanordnung
und der Sprache, insbeſondere der Ausmerzung der
zahlreichen Fremdwörter, die der alte Plan enthielt,
einige nicht unwichtige ſachliche Neuerungen. Künftig
können auch Ausſchreiben von Armenpflegſchaftsräten
zur Ermittelung des Aufenthalts von Perſonen, die
ſich der geſetzlichen Unterhaltspflicht entziehen, im
Bayeriſchen Polizeiblatt veröffentlicht werden. Ferner
wurden im Hauptblatt zwei neue Abteilungen geſchaffen,
die Abteilung 6 zur Bekanntgabe der von der Polizei⸗
direktion München beanſtandeten Bildſtreifen für Licht⸗
ſpiele und die Abteilung 5 für Ausſchreiben gegen
Jugendliche. Sie iſt beſtimmt
a) für Ausſchreiben gegen Jugendliche, die aus einer
Erziehungs⸗ oder Beſſerungsanſtalt entlaufen ſind,
in der ſie auf Anordnung einer Behörde unter⸗
gebracht waren, oder die nach Anordnung einer
Behörde in einer ſolchen Anſtalt unterzubringen ſind,
b) für Ausſchreiben gegen entlaufene Jugendliche, wenn
befürchtet wird, daß ſie ſtrafbare Handlungen be⸗
gehen.
Die Schaffung dieſer Abteilung 5 iſt beſonders zu
begrüßen. Früher mußten Ausſchreiben gegen Jugend»
liche, wenn der Jugendliche nicht gegen Einrückungs⸗
gebühr als vermißt ausgeſchrieben werden konnte,
in Abteilung 1 (Haftbefehle) oder in Abteilung 3c
(Bemerkenswerte Notizen über Gaunerweſen) veröffent⸗
licht werden.
Zweckmäßig iſt auch, daß nach dem neuen Plane
die halbjährigen Inhaltsverzeichniſſe durch viertel- und
ganzjährige erſetzt werden und im Auguſt jeden Jahres
ein Rückſtandsverzeichnis ausgegeben wird, das die noch
nicht widerrufenen Haftbefehle und Steckbriefe der letzten
5 Jahre in Verbrechens⸗ und Vergehensfällen enthält.
Die Mitteilungen der Staatsanwälte, Amtsanwälte
und Gerichte. Den Staatsanwälten, Amtsanwälten
und Gerichten find im Laufe der Jahre fo viele Mit:
teilungen vorgeſchrieben worden, daß es dem einzelnen
Beamten kaum mehr möglich war, alle in Betracht
kommenden Vorſchriften zu überſehen. Eine Beſſerung
trat dadurch ein, daß $ 20 der Dienſtvorſchriften für
die Staatsanwaltſchaft vom 29. Oktober 1910 den
Staatsanwälten bei den Landgerichten zur Pflicht machte,
ein Verzeichnis der Mitteilungen zu führen, die im
Strafverfahren und in nicht ſtrafrechtlichen Sachen ge—
macht werden müſſen, und dieſe Vorſchrift in $ 28 der
vorläufigen Geſchaftsanweiſung für die Amtsanwälte
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern.
1914. Nr. 4 u. 5
vom 21. September 1912 und in 8 28 der Dienſtvor⸗
ſchriften für die Amtsanwälte vom 29. November 1913
übernommen wurde. Allein bei der Fülle und Un⸗
überſichtlichkeit des Stoffes werden die Verzeichniſſe,
die hiernach von den einzelnen Staatsanwälten und
Amtsanwälten angelegt werden mußten, manche Lücken
aufgewieſen haben.
Nun hat das St Min. der Juſtiz die Mitteilungen zu⸗
ſammengefaßt, die in Strafſachen den Staatsanwälten bei
den Landgerichten, den Amtsanwälten und den Gerichten
und in nicht ſtrafrechtlichen Sachen den Staatsanwälten
bei den Landgerichten obliegen. Zunächſt geſchah dies
in ſyſtematiſcher Weiſe durch die Bekanntmachung vom
29. November 1913 JMBl. S. 694. Dabei wurden
verſchiedene Mitteilungen erlaſſen, darunter einige, die
ſehr häufig zu machen waren. Auch wurden viele ältere
Vorſchriften unter Uebernahme ihres Inhalts in die
Bekanntmachung aufgehoben. Die Bekanntmachung
brachte ſo eine weſentliche Vereinfachung des Mitteilungs⸗
weſens und eine bedeutende Geſchäftserleichterung. Sie
kündigte aber noch an, daß den Staatsanwälten und
Amtsanwälten alphabetiſch geordnete Verzeichniſſe der
Mitteilungen überſandt werden würden. Dies iſt in⸗
zwiſchen geſchehen. Die Verzeichniſſe ſind nach dem
Muſter angelegt, das den Staatsanwälten und Amts⸗
anwälten für ihre Verzeichniſſe vorgeſchrieben war
(ſ. IM Bl. 1910 S. 971). Der Inhalt der maßgebenden
Vorſchriften iſt möglichſt erſchöpfend wiedergegeben.
Zahlreiche Verweiſungen erleichtern die Benützung des
Verzeichniſſes. Sie können natürlich nach den Be⸗
dürfniſſen der Praxis noch vermehrt werden. Hierfür
und für Nachträge iſt genügend Raum vorgeſehen. Es
iſt immer nur die rechte Seite bedruckt, die linke iſt
aber mit dem Vordruck verſehen.
3235
Die Seamunbögenguife und die polizeilichen Perſonal⸗
akten. Eine Bek. des Staatsminiſteriums des Innern
vom 23. Januar 1914 (Bayeriſche Staatszeitung Nr. 29
vom 5. Februar 1914, MA Bl. S. 38) trifft Anordnungen
darüber, wie bei der Führung der polizeilichen Perſonal⸗
akten und bei der Ausſtellung von Leumundszeugniſſen
Strafen behandelt werden ſollen, deren Löſchung im
Strafregiſter durch einen allerhöchſten Gnadenerweis
angeordnet iſt (vgl. JM Bl. 1913 S. 91). Solche Strafen
ſind in den Perſonalakten der Ortspolizeibehörden
gleichfalls zu löſchen. Sie ſind ferner in Leumunds⸗
zeugniſſen nicht mehr zu erwähnen, außer wenn das
Zeugnis von einer Behörde gewünſcht wird, die auch
Auskunft über gelöſchte Vorſtrafen verlangen kann
und um deren Angabe ausdrücklich erſucht hat.
Die Behandlung der Akten in Dennabiaungäfaden.
Eine Bek. vom 27. Januar 1914 (JMBl. S. 15) löſt
den Zweifel, ob die Vorſchriften der Bek. vom 6. Mai
1911 über die Aktenführung in Begnadigungs- und
Strafaufſchubsſachen ($ 7 und 8 25 Abſ. 2) auch für
die Aktenſtücke gelten, welche die bedingte Begnadigung
betreffen. Sie ordnet aus Gründen der Zweckmäßigkeit
an, daß auch dieſe von den Gerichtsakten abgeſondert
und gemeinſam mit den übrigen auf Begnadigungs⸗
und Strafaufſchubsgeſuche erwachſenen Aktenſtücken in
einem Hefte verwahrt werden. Die Bek. vom 14. De⸗
zember 1908, die bedingte Begnadigung betr. (JM Bl.
S. 285), erleidet dadurch einige Aenderungen. Im $ 10
Nr. 11 fällt der 2. Halbſatz „und nimmt ...... zu
den Akten“ weg (ſ. a. 8 11 Abſ. 2, 8 12 Nr. 7, 8 13
Nr. 7, wo die Vorſchriften des 8 10 für anwendbar
erklärt ſind).
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ur. 6.
ür. 6. Muäünchen, den den 15. März 1914.
10. Jahrg.
Jeitſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
. I. Staatsanwalt im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtiz.
in Bayern
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(Arthur Zellier)
Münden, Berlin u. Leipzig.
Genufferts Blätter für Rechtsau wendung 3d. 79.)
Die Beitichrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /.
m . von mindeſtens 2 Bogen. Preis viertel jährlich :
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/ oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗
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113
Die Zuſtellung von Beſchlüſſen im amts- 3 496 I angewiesen. Iſt nun daraus, daß in
gerichtlichen Verfahren.
Bon Dr. Nichard Kann, Rechtsanwalt am Kammergericht
zu Berlin.
Die Frage, ob der über den Widerſpruch des
Schuldners gemäß § 900 III ZPO. ergehende Be⸗
ſchluß, auch wenn er verkündet worden iſt, von
Amts wegen zugeſtellt werden muß oder ob der
Zuſtellungsbetrieb in dieſem Falle dem Partei⸗
betriebe überlaſſen bleibt, iſt von Dittrich!) im
erſteren, von Seuf fert“)! im letzteren Sinne beant⸗
wortet worden. Ich ſelbſt habe in meinem Kom⸗
mentar die letztere Anſicht vertreten.“) Ich will
verſuchen, ſie näher zu begründen.
Den Ausgangspunkt der Unterſuchung muß die
Frage bilden, ob und inwieweit die Novelle von
1909 denn überhaupt in die Vorſchriften über die
Zuſtellung der Beſchlüſſe eingegriffen hat. Dabei
ſcheint mir nun ſoviel ſicher zu ſein, daß eine auf
die Zuſtellung von Beſchlüſſen bezügliche ausdrück⸗
liche Vorſchrift in den Beſtimmungen der Novelle
nicht enthalten iſt. Wenn Seuffert eine ſolche in
der in § 496 J enthaltenen Verweiſung auf den
8 317 J erblickt, jo kann ich ihm inſoweit nicht
folgen. § 317 I handelt nur von der Zuſtellung
von Urteilen. Allerdings wird auch in dem die Zu⸗
ſtellung der Beſchlüſſe regelnden $ 329 auf 83171
verwieſen. Daraus folgt aber nicht, daß die in
8 496 I enthaltene Verweiſung den $ 329 II mit⸗
umfaßt.
Mangels einer ausdrücklichen Beſtimmung ſind
wir alſo für unſere Frage auf die Auslegung des
7 Loe „ Jahrgang dieſer Zeitſchrift S. 37.
) Eben
) Die gleiche Anſicht vertritt außer den von Dittrich
angeführten Autoren auch Neukamp zu 8 900. Dagegen
lehren Skonietzki⸗Gelpcke, Note 5 zu 8 329, daß alle
verkündeten Beſchlüſſe des Amtsgerichts von Amts
wegen zuzuſtellen ſeien.
|
496 I nur Urteile von der Zuſtellung von
Amts wegen ausgenommen worden find, zu ent⸗
nehmen, daß für Beſchlüſſe das Gegenteil gelten
ſoll, daß mithin alle amtsgerichtlichen Be⸗
ſchlüſſe von Amts wegen zuzuſtellen ſind?
Sehen wir näher zu. Mit den Worten: „Die
Zuſtellung erfolgt . .. von Amt wegen“ gibt
8 496 eine Vorſchrift über die Form der Zu:
ſtellung. Darüber, in welchen Fällen die in
8 496 angeordnete Zuſtellungsform angewendet
werden ſoll, fehlt es dagegen an einem Ausſpruch.
Das wird ganz deutlich, wenn man die entſprechen⸗
den Vorſchriften des 8 32 Gew. daneben hält, der
ja bekanntlich dem $ 496 als Vorbild gedient hat:
„Die Zuſtellungen in dem Verfahren vor den
Gewerbegerichten erfolgen von Amts wegen.
Urteile und Beſchlüſſe, gegen welche ein Rechts⸗
mittel ſtattfindet, find den Parteien zuzuſtellen,
ſoweit dieſe nicht auf die Zuſtellung verzichten.
Sonſtige Urteile und Beſchlüſſe ſind einer Partei
nur zuzuſtellen, wenn fie nicht in Anweſenheit
derſelben verkündet find .
Wahrend alſo das Gewerbegerichtsgeſetz außer
der dem § 496 J entſprechenden Vorſchrift über
die Form der Zuſtellungen auch eine Beſtimmung
darüber gibt, welche Urteile und Beſchlüſſe
in dieſer Form zuzuſtellen find, enthält ſich die
Amtsgerichtsnovelle einer ſolchen Anordnung.
Dieſe Betrachtung führt ſomit zu dem Ergebnis,
daß die Novelle von 1909, da ſie für das amts⸗
gerichtliche Verfahren zwar eine Vorſchrift über
die Form der Zuſtellung gegeben, es aber unter⸗
laſſen hat, vorzufchreiben, daß dieſe Form, ſei es
auf alle, ſei es auf gewiſſe amtsgerichtliche Be⸗
ſchlüſſe anzuwenden iſt, hinſichtlich der Zuſtellung
der amtsgerichtlichen uk alles
beim alten gelaſſen hat. Alſo:
1. Nicht verkündete Beſchlüſſe des Amts⸗
gerichts waren ſchon nach dem Recht vor der Novelle
114
(8 329 III) in der Regel beiden Parteien von Amts
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
wegen zuzuſtellen. In den Fallen aber, in welchen bis⸗
her ein Beſchluß, ſei es kraft ausdrücklicher Beſtim⸗
mung, ſei es nach dem Sinn des Geſetzes von Amts
wegen nur dem Antragſteller, nicht auch dem
Antragsgegner zuzuſtellen war, findet auch nach
|
2. Was die verkündeten Beſchlüſſe be
trifft, ſo gilt — mangels einer entgegenſtehenden
Vorſchrift der Novelle — auch im Amtsgerichts⸗
verfahren der in den 88 329 II, 312 II ZPO. aus:
geſprochene Grundſatz der Nichtzuſtellung. Den
8 496 I mit Skonietzki⸗Gelpcke dahin auszulegen,
dem Recht der Novelle keine Zuſtellung von Amts daß nunmehr alle verkündeten Amtsgerichts⸗
wegen an den Antragsgegner ſtatt.
zweifelhaft der Beſchluß, durch welchen das Amts⸗
gericht ein Arreſtgeſuch zurückweiſt oder vor⸗
gängige Sicherheitsleiſtung für erforderlich erklärt,
„dem Gegner nicht mitzuteilen“ ($ 922 III). Das
iſt auch, wenn ich recht ſehe, bisher von keiner Seite
bezweifelt worden. — Ebenſo iſt der Beſchluß des
Amtsgerichts, durch welchen ein Arreſt ange⸗
ordnet wird ($ 922 II), dem Antragsgegner nicht
zuzuſtellen. Es iſt klar, daß der Arreſtgläubiger
das höchſte Intereſſe daran hat, Zuſtellung und
Vollziehung des Arreſtes in einem Akt vornehmen
zu können. Um ihm dieſe Möglichkeit im amts⸗
gerichtlichen Verfahren nach der Novelle zu fichern,
bedarf es nun aber keineswegs, wie Flechtheim“
meint, des Hinweiſes auf die beſondere Natur des
Arreſtprozeſſes oder gar der Annahme, daß der
Novellengeſetzgeber den 8 922 II überſehen habe.
Vielmehr ergibt ſich das gewünſchte Ergebnis ein⸗
fach daraus, daß die Novelle in die beſtehende
Ordnung der Zuſtellung der Beſchlüſſe überhaupt
nicht eingegriffen hat. — Desgleichen iſt der nicht
verkündete amtsgerichtliche Beweisſicherungs⸗
beſchluß dem Antragsgegner nicht zuzuſtellen.“)
Dieſe Zuſtellung kann nach dem Sinne des 8 491
nicht wohl von Amts wegen, ſondern nur von der
Partei betrieben werden: „Der Beweisführer iſt
verpflichtet, ſofern es nach den Umſtänden des Falles
geſchehen kann ... Der Richter hat die Be:
weisaufnahme zu veranſtalten, ohne prüfen zu
dürfen, ob der Dritte, den der Beweisführer ge⸗
laden hat, der richtige Gegner iſt, ja ob überhaupt
eine Ladung erfolgt iſt. Unter Umſtänden kann
der Antragſteller auch ein Intereſſe daran haben,
auf die bereits angeordnete Beweisſicherung zu ver⸗
zichten, ohne daß der Gegner etwas davon erfährt,
daß ein ſolches Verfahren eingeleitet worden iſt,
fo wenn das Gericht nur einem — für den An:
tragſteller wertloſen — Teil des Antrags ſtatt⸗
geben will und dieſer es unter ſolchen Umſtänden
vorzieht, die ganze Angelegenheit nicht erſt auf—
zurühren.
Desgleichen iſt in den Fällen, in welchen nicht
verkündete Beſchlüſſe überhaupt nicht zuzu⸗
ſtellen, ſondern in einfacherer Form bekannt zu
machen waren, z. B. durch Aushändigung der Ur—
ſchrift an den Antragſteller (fo gemäß § 829 ZPO.),
durch formloſe Mitteilung uſw., durch die Novelle
nichts geändert worden.
) JW. 10, 471.
) Ebenſo Skonietzki-Gelpcke Note 1, Struckmann—
Koch Note 1, Förſter⸗Kann Note 1; a. M. Hellwig
Syſtem 1, 741, Stein Note J, Seuffert Note 1.
|
So ift une beſchlüſſe zuzuſtellen ſeien, verbietet ſich ſchon
durch die Erwägung, daß dann das Amtsgericht
mit einem Wuſt von überfläffigen und geradezu ſach⸗
widrigen Amtszuſtellungen belaſtet werden würde.
Ich kann mich in dieſer Beziehung auf die von
Seuffert gegebenen Beiſpiele berufen. Die Frage
kann ſomit überhaupt nur für Beſchlüſſe aufgeworſen
werden, bei welchen die Zuſtellung nötig iſt, um die
Friſt zur ſofortigen Beſchwerde in Lauf zu ſetzen.
Sie muß aber auch für dieſe verneinend ausfallen.
Da es an einer ausdrücklichen Vorſchrift fehlt, ſo
könnten für die Amtszuſtellung nur innere Gründe
in Betracht kommen. Ein Amtsintereſſe an der
Herbeiführung der Rechtskraft eines Beſchluſſes be⸗
ſteht aber ebenſowenig wie — abgeſehen vom Fall
des $ 625 ZPO. — bei Urteilen. Es iſt vielmehr
in der Mehrzahl der Fälle für das Gericht ganz
gleichgültig, ob die Friſt zur ſofortigen Beſchwerde
in Lauf geſetzt worden iſt oder nicht. So ins⸗
beſondere im Fall des § 900 III, wenn der Wider⸗
ſpruch des Schuldners für begründet erachtet
worden iſt. Hier iſt für das Gericht die Angelegen⸗
heit zunädhft erledigt: es iſt Sache des Gläubigers.
ob er weitere Schritte unternehmen und allenfalls
Sache des Schuldners, ob er, ſelbſt wenn der Gläu⸗
biger ſich nicht rührt, die formelle Rechtskraft des
Beſchluſſes herbeiführen will. Was nun ſchließlich
den Fall der Zurückweiſung des Wider⸗
ſpruchs gemäß 8 900 III betrifft, jo iſt hier
freilich die Zuſtellung des Beſchluſſes nötig, damit
das Verfahren ſeinen Fortgang nehmen kann. Daraus
folgt aber ebenfalls nichts dafür, daß die Zuſtellung
von Amts wegen zu bewirken iſt. Vielmehr führt auch
hier wieder die Vergleichung mit der Urteilszuſtellung
zum gegenteiligen Ergebnis: auch Zwiſchenurteile
und bedingte Endurteile, von deren Rechtskraſt die
Fortſetzung des Verfahrens abhängt, ſind nichts⸗
deſtoweniger im Parteibetriebe zuzuſtellen. Irgend⸗
ein Grund, die Zuſtellung verkündeter Beſchlüſſe
anders zu behandeln, ſcheint mir bei dem Schweigen
des Geſetzes nicht gegeben zu ſein.
leber Strafvollſtreckung.
Von Edmund Fumian, Amtsrichter in Straubing.
Der Strafvollzug, beſonders die Vollſtrek⸗
kung von Freiheitsſtrafen, iſt von einſchneiden⸗
den Folgen für den Betroffenen begleitet. Pein⸗
liche Genauigkeit iſt darum geboten und nirgends
treten die Wirkungen von Verſehen für deren Ur:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. 115
beber jo ſtark in die Erſcheinung wie hier. Irrtümer d) im Privatklageverfahren der Privatkläger
find aber umſo leichter denkbar, als nicht nur in und der Widerklaͤger — hier ſei neben 88 414 ff.,
den meiſten Fällen ein raſcher Entſchluß nötig wird 430 StPO. beſonders auf die Fälle verwieſen,
und nicht Zeit zur gemütlichen Erwägung bleibt, wo nach Nebengeſetzen die Privatklage zuläſſig iſt
ſondern auch das ganze Gebiet mit ſtreitigen oder | (ſ. Löwe Vorbem. zum V. Buch) —,
doch recht kitzligen Fragen überſät iſt. e) wer als Nebenkläger zugelaſſen wurde oder
Wenn ich im folgenden einige Leitſätze der werden kann (88 435, 441 StPO.).
Strafvollſtreckung hervorhebe, jo geſchieht dies in Außer dem Falle des § 435 II a. a. O. kann
der Hoffnung, daß damit manchem die Bahn ge⸗ ſich als Nebenkläger anſchließen:
ebnet wird, der ſich in den Stoff erſt einarbeiten a) wer als Privatkläger auftreten kann (ſ. oben);
muß. Zur eingehenden Behandlung der Streit⸗ b) wer Buße beanspruchen kann (5 443 a. a. O.);
fragen, zur Erörterung bekannter Begriffe oder hierüber ſ. d. Zitate bei Löwe zu 8 443. Die
zur Entwicklung einer förmlichen Lehre über die haufigſten Fälle find die der 88 188 und 231 StGB.
Vollſtreckung fehlt hier der Raum. In ſolchen Fällen müſſen daher die Voraus⸗
I. Der grundlegende Satz iſt der, daß die ſetzungen der Vollſtreckbarkeit auch hinſichtlich dieſer
Vollſtreckung von Strafurteilen von deren Rechts⸗ Perſonen vorliegen; dabei ſind beſonders auch die
se =. (8 Ei W 1 §§ 195, 196, 232 Abi. 3 StGB. zu beachten.
8 rechtskräftige Urteil keiner Beſtätigung (anders II. Je nach dem Umfange der Rechtskraft iſt
MSIED. 5 416). Nur der Vollzug von Todes- das Urteil unter Umſtänden nur teilmeife voll⸗
urteilen iſt an gewiſſe weitere Vorausſetzungen ſtreckbar. Wenn von einem Urteil, das einen zu⸗
gebunden (8 485 StpO.) . ſammengeſetzten Ausſpruch enthält, nur der eine
Rechtskräftig iſt ein Urteil, gegen das über: Teil angefochten iſt, kann es im übrigen vollſtreckt
haupt kein (ordentliches) Rechtsmittel zugelaſſen werden, jo z. B. wenn neben einer Strafe eine
(3. B. erſtinſtanzielles Urteil des Reichsgerichts, Vorſorgemaßregel ausgeſprochen wird, wie Ein
5 136 GVG.) oder das nicht mehr mit einem ziehung, Ueberweisung uſw. Dasſelbe iſt der Fall,
ſolchen anfechtbar iſt. Daher find ſofort vollfired- | wenn mehrere Strafen geſondert nebeneinander er:
bar die bereits erwähnten Urteile, ſowie die Ur⸗ kannt find. Anders bei Geſamtſtrafen; hievon
teile des RG.s und des Oberſten Landesgerichts wird unten noch die Rede fein.
als Revifionsinſtanz.) Daraus ergibt ſich, daß Umfaßt das Urteil mehrere Angeklagte, ſo iſt
eine Vollſtreckung nicht zuläſſig iſt, ſolange ein für die Vollſtreckung maßgebend, wem gegenüber
Rechtsmittel läuft; eine Ausnahme hievon bilden das Urteil rechtskräftig iſt. Gegen ihn iſt die
die Beſtimmungen der 88 386 und 360 StPO. Vollſtreckung zuläſſig, auch wenn von Mitverurteilten
Die Strafvollſtreckung ſetzt alſo voraus, daß ein Rechtsmittel eingelegt wurde und dieſes zu einer
entweder ein Rechtsmittel nicht zuläſſig oder die Aenderung oder Aufhebung des Urteils auch gegen⸗
Rechtsmittelfriſt fruchtlos verſtrichen oder der Rechts⸗ über den übrigen führen kann, die kein Rechts:
mittelzug erſchöpft, das ergriffene Rechtsmittel zurück: mittel einlegten. Dies iſt freilich beftritten (. Löwe
genommen oder endlich auf Einlegung verzichtet | 8 481). Die Vollſtreckung hängt hier nicht etwa
worden iſt. Wo eine Umwandelung in Frage davon ab, daß der Verurteilte damit einverſtanden
ſteht, iſt zu prüfen, ob die Vorausſetzung hiefür iſt; denn das Einverſtändnis iſt kein Erfordernis
(Uneinbringlichkeit der Geldſtrafe) gegeben iſt. des Strafvollzugs, eine unzuläſſige Vollſtreckung
Berechtigt zur Einlegung von Rechtsmitteln ſind | aber würde auch nicht durch die Zuftimmung des
in erſter Linie der Staatsanwalt und der Be: Verurteilten zuläſſig.
ſchuldigte. An Stelle des Staatsanwalts tritt Der häufigſte Fall wird die Aburteilung mehrerer
mitunter eine andere Behörde (jo in Forſtrüge⸗ Beſchuldigter wegen einer gemeinſchaftlich verübten
ſachen nach Art. 114 ForſtGG. das Forſtamt); in Tat ſein. Z. B. A und B find bezichtigt, gemein:
beſtimmten Verfahren genießen andere Behörden ſchaftlich (aber ohne ſonſtige Erſchwerungsgründe)
ähnliche Rechte (vgl. 55459 ff. insbeſ. 468 StPO., den C körperlich mißhandelt zu haben. Sie werden
5 13 GG.). aus 88 223 a, 47 StGB. verurteilt. Gegen A
Ein Rechtsmittel können ferner ergreifen: | wird das Urteil rechtskräftig, B ergreift Berufung
a) der Verteidiger, allerdings nicht gegen den und wird freigeſprochen. Damit iſt auch der An⸗
ausdrücklichen Willen des Beſchuldigten (8 339 klage gegen A wegen eines Vergehens aus § 223 a
StPO.), a. a. O. der Boden entzogen. Es bleibt allenfalls
b) der geſetzliche Vertreter des Beſchuldigten noch 8 223 a. a. O., wenn Strafantrag geſtellt iſt.
(8 340 a. a. O.), Nach dem früher Geſagten könnte aber die Strafe
c) der Ehemann der Beſchuldigten ($ 340 gegen A inzwiſchen vollzogen werden. Trotz den hier⸗
a. a. O.), aus ſich ergebenden Bedenken wird man doch an der
| Möglichkeit des Strafvollzugs gegen Mitverurteilte
1) Hinſichtlich der Erſchöpfung des Rechtszugs feſthalten müſſen. Sonſt dürfte man auch nicht
ſ. 88 338 ff., 354 ff., 374 ff. StPO. vollſtrecken, wenn einer der Mitangeklagten unbe—
116
kannten Aufenthalts und das Verfahren gegen die
übrigen durchgeführt iſt. Solche Verzögerungen
wären mit dem Zwecke der Strafvollitredung un:
vereinbar.
In der Praxis wird nicht ſelten ein Straf⸗
aufſchub über den ungewiſſen Zwiſchenzuſtand hin⸗
weghelfen. 8 79 der bayeriſchen Dienſtvorſchriften
für die Staatsanwaltſchaft beſtimmt: „Hat von mehre⸗
ren Verurteilten nur ein Teil Revifion eingelegt, jo |
kann der Staatsanwalt gegen die anderen die Straf⸗
vollſtreckung einleiten. Iſt aber mit der Möglich⸗
keit zu rechnen, daß $ 397 StPO. zur Anwendung
kommen wird, jo ſoll der Staatsanwalt die Voll:
ſtreckung in der Regel aufſchieben, es müßte denn
ſein, daß ſie infolge beſonderer Umſtände, z. B.
wegen Fluchtgefahr, geboten iſt.“
III. Der Vollzug der Freiheitsſtrafe ge⸗
ſchieht durch eine beſonders geſtaltete Freiheitsent⸗
ziehung. Die Geſamtheit aller Maßregeln, wo⸗
durch dieſes Ergebnis herbeigeführt wird, iſt die
Strafvollſtreckung (RGRſpr. 4, 26, Entſch.
30, 135).
Strafvollitredungsbehörde im Sinne des $ 483
StPO. find der Staatsanwalt und der Amtsrichter,
denen die Herbeiführung und Ueberwachung des
Vollzugs obliegt. Weiterhin werden noch der
Gerichtsſchreiber und insbeſondere die Beamten der
Gefängniſſe und Strafanſtalten tätig. Letztere haben
5 e der Freiheitsentziehung ſelbſt zu
ewirken.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
|
6. Mai 1911 über das Verfahren in Begnadigungs⸗
und Strafaufſchubsſachen (JM Bl. S. 155 ff.) den
Begriff der Strafhaft auf als der Haft ſeit der
Aufnahme in die Strafanſtalt oder das Gefängnis,
wo der Verurteilte die Strafe zu verbüßen hat
(ſ. 8 11 Abſ. III und BayziR. 1911 S. 293).
Damit iſt aber auch der Uebergang zum Begriff
der Strafhaft i. e. S., der Strafverbüßung gegeben.
Der Unterſchied zwiſchen beiden liegt darin, daß
bei erſterem Begriffe nur der Zuſtand, bei letzterem
neben dieſem auch die Wirkung ausgedrückt wird.
Die Strafverbüßung ſetzt aber voraus, daß
a) ſich die Freiheitsentziehung auf ein verur⸗
teilendes Erkenntnis ſtützt,
b) daß fie dem Willen der Strafvollſtreckungs⸗
behörde entſpricht.
Ueber die Geſtaltung dieſer enthält das Reiche: |
recht nur einzelne Richtlinien. Die Erlaſſung der
eigentlichen Vorſchriften iſt der Landesgeſetzgebung
vorbehalten, die an den Bundesratsbeſchluß vom
28. Oktober 1897 gebunden iſt (Abdruck ſ. Nr. 45
des Zentralbl. f. d. Deutſche Reich von 1897). In
Bayern gelten zurzeit für die Gerichtsgefängniſſe
die Hausordnung vom 3. Januar 1910 (JMBl.
S. 25) und für die Strafanſtalten die Hausordnung
vom 20. September 1907 (JM Bl. S. 309).“) Die
künftige Geſetzgebung wird wohl dem Bedürfniſſe
nach einem Reichs⸗Strafvollzugsgeſetze Rechnung
tragen. Die Verquickung ſolcher Vorſchriften mit
dem materiellen Strafrechte, wie ſie der Vorent⸗
wurf und der Gegenentwurf zu einem neuen Straf—
geſetzbuch vorſehen, oder auch mit dem Prozeß⸗
rechte iſt unangebracht.
Aus dem Geſagten ergibt ſich der Begriff der
Strafhaft i. w. S. Sie iſt eine beſonders geſtaltete
Freiheitsentziehung an hiefür beſtimmten Orten.
Daraus ergibt ſich, daß eine andere Verwahrung
Zu a. Fehlt das Erkenntnis, ſo kann man
nicht vom Vollzug einer Strafe ſprechen. Das
StGB. gebraucht allerdings in 8 345 auch für ſolche
Fälle den Ausdruck „Vollſtreckung einer Strafe“.
Dort iſt aber der Begriff anders auszulegen wie
in 8 483 StPO. Es iſt erforderlich, daß das
Erkenntnis (im Rahmen dieſer Abhandlung: das
Urteil) noch zurecht beſteht, alſo nicht etwa aufge⸗
hoben oder abgeändert ift (vgl. $ 399 ff. StPO.),
daß weiterhin die Wirkungen noch fortdauern, nicht
etwa die Strafe erlaſſen oder der Strafanſpruch
des Staats durch Verjährung der Vollſtreckung er⸗
loſchen iſt.“)
Wie betont, iſt die erſte Vorausſetzung des
Strafvollzugs die Rechtskraft der Entſcheidung.
Trotzdem iſt eine Freiheitsentziehung, die dieſem
Grundſatze zuwider vor dem Eintritte der Rechts⸗
kraft erfolgt. Strafhaft i. e. S. Das gleiche gilt,
wenn eine für den Uneinbringlichkeitsfall erkannte
Freiheitsſtrafe vollſtreckt wird, obwohl die Unein⸗
bringlichkeit gar nicht gegeben, ja vielleicht die Bei⸗
treibung gar nicht verſucht worden iſt (SI 28 ff.
StGB.; 88 491 StPO.; JIMBek. vom 24. Sep:
tember 1879 88 21 ff., IM Bl. 1436).
Eine beſondere Gefahr in letzterer Richtung liegt
nicht vor, da ſich der Verurteilte jederzeit durch
Erlegung des Geldbetrags befreien kann.
Nicht anders, wenn Hinderniſſe nicht beachtet
wurden, die dem Strapvollzuge zeitweiſe oder auch
dauernd entgegenſtehen, z. B. Strafaufſchub, Ge⸗
|
nicht als Strafhaft gelten kann, z. B. die irr⸗
tümliche Aufnahme
Polizeigewahrſam.
In dieſem Sinne ſtellt auch die JM Bek. vom
eines Strafgefangenen in
) Erläutert von Degen und Dr. Klimmer (.Die
Strafvollſtreckung in den bayeriſchen Gerichtsgefäng—
niſſen und Strafanſtalten“, J. Schweitzer Verlag Arthur
Sellier), München und Berlin 1911).
währung einer Bewährungsfriſt uff. (val. BayObLG.
5, 247; 7, 343; BIjRA. Bd. 67 S. 189).
Man braucht alſo in ſolchen Fallen nicht auf
eine fingierte Strafvollſtreckung oder anzurechnende
Haft ulm. zurückzugreifen oder gar an eine noch—
malige Vollſtreckung zu denken. Ebenſowenig iſt
es zuläſſig, die an erſter Stelle erkannte Geldſtraſe
noch beizutreiben. Die Strafe iſt verbüßt.
Allerdings wird dieſer Satz auf eine Probe ge—
ſtellt, wenn nämlich eine Strafe verſehentlich auf
) Ueber die Vollſtreckbarkeit bei Wiederaufnahme
und Wiedereinſetzung |. SS 400 und 47 Stp;pO.
Grund eines anfechtbaren Urteils vollſtreckt, das
Erkenntnis aber im Rechtsmittelwege aufgehoben
oder gemindert wird. Dieſer Fall iſt an ſich
weſentlich von dem verſchieden, wo der Erfolg durch
Wiederaufnahme eines rechtskräftig geſchloſſenen
Verfahrens erreicht wird. Die Behandlung iſt aber
in beiden Fällen gleich. Hier wie dort entfallen
die Wirkungen der Strafverbüßung mit der Auf⸗
hebung des Erkenntniſſes.
Zu b. Erforderlich iſt ferner eine Anordnung
der Strafvollſtreckungsbehörde (5483 StPO.), gleich"
viel in welcher Form ſie vorliegt.
Eine Vollſtreckung ohne dieſe oder gar gegen
den Willen der Strafvollſtreckungsbehörde iſt keine
Strafverbüßung (RGRſpr. 4, 26). Sie wird es
aber durch eine hierauf gerichtete Willensaͤußerung
der Strafvollſtreckungsbehörde. Diele iſt auch noch
möglich, wenn die Freiheitsentziehung ſchon beendet
iſt. Der Strafanſpruch des Staates iſt dann aller⸗
dings ſchon getilgt; es bedarf deshalb keiner Vor⸗
ladung zum Strafantritt mehr, Eine Verſtändi⸗
gung des Verurteilten vom Sachverhalt und den
getroffenen Verfügungen iſt dagegen nicht zu um⸗
gehen. Wenn alles nach der Regel läuft, ſind
ſolche Fälle ja nicht denkbar. Das Verſehen findet
aber namentlich durch verſtümmelte Telegramme
und Hörfehler am Telephon überallhin den Weg.
IV. Die Strafzeit deckt ſich in der Regel
mit der Strafhaft. Doch begegnet ihre Berechnung
und Feſtſtellung öfters Schwierigkeiten. Im Regel⸗
falle find die Grenzpunkte Aufnahme und Entlaſſung.
Iſt aber die Aufnahme der tatſächliche Eintritt
in das Gefängnis oder die Erklarung der Auf:
nahme durch den dienſthabenden Beamten? Das
Letztere iſt richtig. Gewöhnlich werden ja der Ein⸗
laß und die Aufnahme zeitlich zuſammenfallen.
Mitunter kann aber ziemlich viel Zeit dazwiſchen⸗
liegen, ſo wenn die Perſönlichkeit erſt feſtgeſtellt
werden muß oder wenn zweifelhaft iſt, ob die Ver⸗
fügung der Strafvollſtreckungsbehörde noch wirkſam
iſt ust, Da dieſe Prüfung 0 e vorausgeht
5 erichtsgefängniſſe Ä
(1. 8 1 Haus O. f. d. Strafanſtalten ). fällt die
Zeit der vorläufigen Verwahrung nicht unter die
Strafzeit (dagegen Degen : Dr. Klimmer). Der vor:
läufig Verwahrte iſt nicht Strafgefangener und wird
auch nicht als ſolcher behandelt. Sonſt müßte man
auch dann, wenn z. B. jemand wegen mangelnder
Belege vorläufig verwahrt und zurückgewieſen wurde,
ſpäter aber nach Ergänzung des Mangels Aufnahme
fand, die erſte vorläufige Verwahrung auf die Straf:
zeit anrechnen. Das geſchieht wohl nirgends.
Die Aufnahme muß nicht ausdrücklich erklärt
werden. Sie iſt erklärt, wenn die Zurückweiſung
nicht unverzüglich erfolgt. Die Beurkundung der
Aufnahme iſt kein weſentliches Erfordernis, wenn
auch vorgeſchrieben und ein Beweismittel.
Das nämliche gilt für die Entlaſſung. Zur
Strafvollſtreckung gehören daher nicht Maßregeln,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
117
die nur zur Herbeiführung des Vollzugs dienen
und ihn ſichern; umgekehrt wird aber der Lauf der
Strafzeit, ſofern ſie nicht durch eine Verfügung
unterbrochen wird, nicht dadurch geſtört, daß der
5 vom Straforte anderswohin verbracht
wird.
V. Eine große Anzahl von Verurteilten kann
ſich nicht bequemen, freiwillig die Strafe anzutreten
oder zieht es vor, ſich unſichtbar zu machen, ſo
daß nur der Verſuch bleibt, mit einem Vorführungs⸗
oder Haftbefehl ihrer habhaft zu werden. Hier
ſoll der Kürze halber nur vom Haftbefehl nach
8 489 StPO. geſprochen werden. Dieſe Haft
iſt keine Unterſuchungshaft i. S. der 88 482, 112 ff.
StPO., die anrehnungsfähig wäre. Aber auch
von einer Strafhaft iſt nicht die Rede. Deshalb
findet in der Regel keine Anrechnung ſtatt (OLG.
München 10, 66).
1. So wird als Strafhaft nicht angerechnet
die Zeit von der Verhaftung nach 8 489 a. a. O.
bis zur Einlieferung an den Strafort, gleichviel
a) ob ſie auf den Transport allein entfällt
oder aber auch inzwiſchen eine Verwahrung
in einem anderen Gefängnilfe oder etwa einem
für kranke Gefangene beſtimmten Gefängniſſe erfolgt
(OLG. München 3, 596; 10, 146),
b) ob der Verhaftete ſich vorher auf freiem Fuße
befand, ſich zum Strafantritt meldete, aber mangels
eigener Barmittel in die Strafanſtalt verſchubt
werden mußte (desgl. 3, 446; 2, 137), oder
c) von einem Strafort an den anderen über⸗
ſtellt wurde (desgl. 4, 280, 463; BayOb“ G. 3, 407),
oder endlich
d) vom Arbeitshaus in eine Strafanſtalt ver⸗
bracht wurde (OLG. München OLG. M.)] 4, 464).
2. Angerechnet wird dagegen u. a.
a) die Zeit, die — ohne daß ein Haft⸗
befehl nach 8 489 StPO. vorliegt — ein
Verurteilter auf dem Transporte aus einer Straf⸗
anſtalt in eine andere zur Verbüßung einer weiteren
Freiheitsſtrafe zubringt; es wird ſo angefehen, als
ob die zweite Strafe ſich unmittelbar an die erſte
angeſchloſſen hätte.
Dieſer Fall und der unter 1 c berühren ſich;
der weſentliche Unterſchied liegt darin, daß dort
ein Haftbefehl nach 8 489 StPO. erlaſſen wurde
(OLG. M. 3, 431; Bay Obs. 1, 112).
Angerechnet wird ferner
b) regelmäßig die Zeit, die darauf verwendet
wird, den Strafgefangenen, deſſen Strafhaft nicht
unterbrochen wird, zur Erledigung eines anderen
Verfahrens in ein anderes Gerichtsgefängnis zu
verbringen und dort zeitweilig zu verwahren (OLG.
M. 1, 268).
c) Die Dauer des Aufenthalts des Verurteilten
in einer Krankenanſtalt (Heilanſtalt uſw.), wohin
er nach Strafantritt und ohne Unterbrechung der
Strafhaft verbracht wurde; ausgenommen iſt der
Fall, daß ein Verurteilter die Krankheit abſichtlich
Wenn der Verurteilte nur in die Kranken⸗
abteilung des Gefängnifjes verbracht wird, verſteht
es ſich von ſelbſt, daß die Strafhaft fortläuft. Das
Ob“ G. ſcheint die Anwendung des 8 493 StPO.
auch auf andere Fälle ausdehnen zu wollen, z. B.
wenn ein Strafgefangener ſich einer fingierten Tat
an einem weit entfernten Orte bezichtigt, um bei
der Verſchubung die Flucht verſuchen zu können.
Dies wäre nicht richtig. Hier kann allein die
Strafunterbrechung Wandel ſchaffen.
d) Die Zeit, die ein Strafgefangener aus einem
ihm nicht anzurechnenden Grunde in einem zur
Verbüßung ſeiner Strafe nicht beſtimmten Ver⸗
wahrungsorte verbringt, z. B. bei Ueberfüllung
des zuftändigen Straforts (OLG. M. 4, 450).
Ein Geſetz mit mathematiſchen Formeln gibt
es nicht. Die Berufung auf den toten Buchſtaben
tötet den Geiſt der Vorſchrift, bringt Härte ſtatt
Gerechtigkeit, Unrecht ſtatt Strenge. So muß auch
und namentlich in der Strafvollſtreckung die Aus:
legung ſich mitunter vom Buchſtaben loslöſen.
So kann es ſein, daß die Aufnahme des Ver⸗
urteilten am Straforte ohne ſein Verſchulden ver⸗
zögert wird, der Transport ſich unnötig in die
Länge zieht uſw. In dieſen Fällen iſt die Ver⸗
wahrung von dem Zeitpunkte an auf die Strafe
anzurechnen, in dem die Aufnahme unter gewöhn⸗
lichen Verhältniſſen hatte erfolgen können: Vor⸗
ausſetzung iſt, daß die Verzögerung nicht durch
den Verurteilten ſelbſt, etwa durch einen Flucht⸗
verſuch, herbeigeführt wurde.
Das OLG. München hat einen engherzigen
Standpunkt eingenommen; dieſe Anſchauung iſt
indes zumeiſt abgelehnt worden (Bay Ob G. 9, 157;
13, 233 und die dort. Zit.).“)
Stellung muß gegen den Satz genommen werden,
daß der Haftbefehl des 8 489 StPO. auch ſtill⸗
ſchweigend erlaſſen werden könne, insbeſondere dann
als erlaſſen zu gelten habe, wenn die Strafvoll-
ſtreckungsbehörde den Verurteilten nach Eintritt der
Rechtskraft des Urteils im Gefängniſſe zurückbehält
(BliR A. Bd. 64 S. 433). Es gibt keine ſtill⸗
ſchweigend erlaſſenen Haftbefehle, ebenſowenig wie
es eine ſtillſchweigend betätigte Strafvollſtreckung
gibt. Es beſteht auch kein Bedürfnis nach einer
Erleichterung in dieſer Richtung. Die einſchneidende
Maßregel iſt der paar Zeilen wert. Wenn jemand
nach Rechtskraft des Urteils — ohne Erlaß eines
Haftbefehls nach 8 489 StPO. — im Gefängniſſe
zurückbehalten wird, ſo gilt dies als Strafverbüßung
(f. oben). (Schluß folgt).
) In dieſem Sinne iſt auch die in BliR A. Bd. 67
S. 189 angeſchnittene Frage zu beantworten.
zwangsweiſe ne auf Grund
des § 1134 BER.
Von Rechtsanwalt Dr. Fritz Nockſtroh
in Berlin⸗Niederſchönhauſen.
In der Rechtslehre herrſcht allgemein grund⸗
ſaͤtzliche Uebereinſtimmung darüber, daß es zuläſſig
iſt, dem Eigentümer unter den Vorausſetzungen des
5 1134 BGB. die Verwaltung feines Grundſtücks
zu nehmen und einen Verwalter einzuſetzen. Streit
beſteht aber darüber, ob der Prozeßrichter den Ver⸗
walter zu beſtellen und deſſen Stellung abzugrenzen
hat, oder ob ſeine Verfügung die Grundlage einer
vom Vollſtreckungsrichter nach den Vorſchriften des
Zwangsverſteigerungsgeſetzes einzuleitenden und fort:
zuführenden Zwangsverwaltung bildet. Da es im
freien Ermeſſen des die Anordnung erlaſſenden Rich⸗
ters ſteht, die Maßregeln anzuordnen, die er zur
Erreichung des Zwecks für erforderlich hält, ſo iſt
es zulaͤſſig, daß er in der Verfügung den Verwalter
benennt und ſeine Stellung abgrenzt. Er kann auch
die Herausgabe des Grundſtücks an den Verwalter
anordnen, kann ſagen, in welcher Weiſe die Heraus⸗
gabe geſchehen ſoll, und kann die Geſchäfte aufzählen,
die der Verwalter führen ſoll. Es fragt ſich nur,
ob er dies tun muß, und wie zu verfahren iſt,
wenn er es unterlaſſen hat.
Es muß unterſchieden werden zwiſchen dem
Erlaß des Urteils oder der einſtweiligen Verfügung
und dem Vollzuge. Der Erlaß liegt dem Prozeß⸗
gericht ob, der Vollzug dem Vollſtreckungsgericht.
Lindemann (Recht 1903 S. 204 ff.) meint nun,
eine Verfügung, die ſich auf die Anordnung einer
Verwaltung beſchränke, ſei eine bloße Form; einen
greifbaren Inhalt erhalte ſie erſt durch die Be⸗
ſtimmung des Verwalters und die Bezeichnung ſeiner
Befugniſſe; ohne dieſe Bezeichnung ſei die Rechts⸗
ſtellung des Verwalters völlig unbeſtimmt; falls
das Amtsgericht als Vollſtreckungsgericht über dieſe
Befugniſſe befinden wollte, würde es ſich in unzu⸗
läſſiger Weiſe an die Stelle des Gerichts der einſt⸗
weiligen Verfügung ſetzen, das allein zu ermeſſen
habe, welche Maßregeln nach Lage des Falls er⸗
forderlich ſeien. Derartige Maßnahmen des Amts:
gerichts würden nicht einen Vollzug, ſondern eine
Ergänzung der unvollſtändigen richterlichen An⸗
ordnung darſtellen. Man müſſe deshalb von dem
Prozeßgericht auch die Ernennung des Verwalters
und die Begrenzung ſeiner Befugniſſe verlangen.
Dieſe Ausführungen gehen fehl. Wenn das
Prozeßgericht beſtimmt: die Verwaltung des Grund⸗
ſtücks wird auf Grund von $ 1134 Abſ. 2 BGB.
angeordnet, ſo darf ſich der Vollſtreckungsrichter
nicht damit begnügen, zu ſagen, dies ſei ihm nicht
beſtimmt genug, er lehne deshalb ein Einſchreiten
ab, laſſe alſo den Antragſteller — wenigſtens für
eine gewiſſe Zeit — ſchutzlos, ſondern er muß aus
dem Sinn der Worte und dem Zuſammenhang der
Geſetzesbeſtimmungen ergründen, was der Prozeß—
richter mit ſeiner Anordnung hat ſagen wollen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
Da ſich im Geſetz keine Vorſchriſten über eine
auf Grund des § 1134 Abſ. 2 BGB. angeordnete
zwangsweiſe Verwaltung finden, ſo muß verſucht
werden, ihr Weſen und die für ſie anzuwendenden
Vorſchriften durch Heranziehung ähnlicher Fälle feſt⸗
zulegen. Wenn man erwägt, daß die Beſtellung
eines Verwalters auf Grund des § 1134 Abi. 2
BGB. die Verhütung einer infolge der Einwirkung
des Eigentümers zu beſorgenden Verſchlechterung
des Grundſtücks bezweckt, ſo kann man nicht um⸗
hin, $ 1134 Abſ. 2 BGB. auf eine Linie zu ſtellen
mit den 88 1052, 1054, 1070, 2128 BGB.,
94 3VGG. Bei allen dieſen Vorſchriften handelt
es ſich um die Sicherung der an einem Grundftüd
berechtigten Perſonen, und in allen Fällen iſt geſagt,
daß die Verwaltung nach den Vorſchriften des
Zwangsaverſteigerungsgeſetzes zu führen iſt. Die An⸗
ordnung des Verfahrens und die Beſtellung des
Verwalters erfolgt in allen dieſen Fällen nach
Lage der Sache immer durch das Vollſtreckungs⸗
gericht. Ich ſehe deshalb keinen Anlaß. weshalb
bei der Beſtellung eines Verwalters auf Grund
des 8 1134 Abſ. 2 BGB. anders verfahren werden
ſoll. Das Prozeßgericht ordnet an, daß die Ver⸗
waltung zuläſſig iſt und daß ſie einzutreten hat.
Der Vollſtreckungsrichter vollzieht dieſe Anordnung.
indem er das Verfahren einleitet und den Verwalter
benennt. Die Beſugniſſe des Verwalters ergeben
ſich aus einer entſprechenden Anwendung des Zwangs⸗
verſteigerungsgeſetzes.
Die Anſicht Lindemannzs iſt auch aus prak⸗
tiſchen Rückſichten nicht haltbar. In der Regel
wird die zwangsweiſe Verwaltung durch einſtweilige
Verfügung angeordnet. Die einſtweilige Verfügung
ſoll dem Antragſteller auf möglichſt ſchnellem Wege
Schutz gewähren. Falls nun das Landgericht den
Verwalter in ſeiner Verſügung zu benennen hätte,
müßte es erſt durch Nachfrage bei dem Amtsgericht
des Ortes, in dem das Grundſtück liegt, feſtſtellen,
wer zur Uebernahme der Verwaltung befähigt und
bereit iſt. Selbſt wenn der Antragſteller bereits
eine Perſon als Verwalter benennen ſollte, müßte
erſt feſtgeſtellt werden, ob dieſe geeignet iſt. Vor
allen Dingen würde ſich die Prüfung auch darauf
zu erſtrecken haben, ob nicht zu befürchten iſt, daß
der vom Antragſteller benannte Verwalter einſeitig
nur die Intereſſen des ihn benennenden Hypotheken⸗
gläubigers vertreten wird. Seine Beſtellung wäre
dann verfehlt. Auch der Grund, daß das Amts⸗
gericht als Vollſtreckungsgericht keinen Ueberblick
über die Sachlage habe, iſt m. E. nicht durch⸗
ſchlagend. Gerade das Gegenteil iſt der Fall. Das
Vollſtreckungsgericht ſoll nicht entſcheiden, ſon⸗
dern die bereits erlaſſene Verfügung vollziehen.
Der Antragſteller legt ihm eine Entſcheidung vor,
nach der auf Grund von $ 1134 Abſ. 2 BGB.
die Verwaltung des Grundſtücks angeordnet wird.
Der Vollſtreckungsrichter entnimmt hieraus, daß
die Beſorgnis beſteht, durch die Einwirkung des
Eigentümers könne das Grundſtück in einer die
|
119
Hypothek gefährdenden Weiſe verſchlechtert werden,
und daß deshalb zur Erhaltung des Grundſtücks
in ſeinem bisherigen Beſtande eine Verwaltung ein⸗
zuleiten iſt, die ſich durch entſprechende Anwendung
der Vorſchriften des Zwangsverſteigerungsgeſetzes
regelt. Er kann dann ſeine Maßnahmen viel beſſer
treffen, als das vielleicht weit entfernte Landgericht.
Er weiß, wer ſich für eine Verwaltung der be⸗
zeichneten Art am beſten eignet. Er kennt —
vorausgeſetzt, daß es ſich um ein kleines Amtsgericht
handelt — wahrſcheinlich das Grundſtück, den Eigen⸗
tümer und den Hypothekengläubiger. Er iſt alſo
in der Lage, viel zweckentſprechender den Verwalter
zu beſtimmen und zu unterweifen, den er zu be⸗
aufſichtigen und mit dem zuſammen er zu arbeiten
hat als das Landgericht. Ins Einzelne gehende An⸗
ordnungen des Prozeßgerichts würden dieſen nur
bei der Durchführung der Verwaltung behindern.
Zu all dem kommt noch hinzu, daß Lindemann
überſehen hat, was geſchehen ſoll, wenn der in der
Verfügung des Prozeßgerichts benannte Verwalter
wegfäallt, ſei es, daß er ſtirbt oder daß er fein Amt
niederlegt oder nach Erlaß der einſtweiligen Ver⸗
fügung, aber vor Antritt ſeines Amtes ſeine Er⸗
klaͤrung zurückzieht, durch die er ſich zur Ueber⸗
nahme des Amtes bereit erklärt hat. Soll jetzt
das Vollſtreckungsgericht einen neuen Verwalter
beſtellen oder ſoll die einſtweilige Verfügung hin⸗
fällig ſein und der Antragſteller bis zum Erlaß
einer neuen ohne Schutz gelaſſen werden? M. E.
kann die Frage nur in erſterem Sinne beantwortet
werden. Daraus ergibt ſich aber, daß die Be⸗
ſtellung des Verwalters durch das Vollſtreckungs⸗
gericht auch von vornherein zulaͤſſig iſt.
Belanglos erſcheint mir auch der Einwurf
Lindemanns (Recht 1908 S. 635), daß es fraglich
ſei, ob das Vollſtreckungsgericht das auf einer einſt⸗
weiligen Verfügung beruhende Verfahren auf⸗
heben dürfe, falls der zur Fortſetzung erforderliche
Geldbetrag nicht vorgeſchoſſen werde oder ob es
an das Gericht der einſtweiligen Verfügung be⸗
richten müſſe, daß das Verfahren mangels des er⸗
forderlichen Koſtenvorſchuſſes nicht durchgeführt
werden könne. Auch wenn man ſich der Anſicht
Lindemanns anſchließt, bleibt die hier angeregte
Frage beſtehen. Sie erledigt ſich aber dadurch,
daß das Vollſtreckungsgericht über den Vollzug
ſelbſtändig zu beſchließen hat. Vorausſetzung für
ein Tätigwerden des Vollſtreckungsgerichts und ſeines
Gehilfen — des Verwalters — iſt, daß die Koſten
vorhanden find. Iſt dies nicht der Fall, ſo ſtellt
das Vollſtreckungsgericht ſeine Tätigkeit ein. (Vgl.
auch 8 934 3p O.).
Puſch (in Gruchot Bd. 45 S. 314 ff.), der der⸗
ſelben Anſicht iſt wie Lindemann, geht davon aus,
daß der Arreſt die Befriedigung des Gläubigers
wegen einer Geldforderung im Wege der Zwangs—
vollſtreckung in bewegliches und unbewegliches Ber:
mögen nicht herbeiführen, ſondern nur ſichern will,
120
und daß ebenſo die einftweilige Verfügung die
ſpätere Zwangsherbeiführung einer geſchuldeten „In:
dividualleiſtung“ nur vorbereiten will. Er kommt
zu dem Schluß, daß auf den Vollzug der einſt⸗
weiligen Verfügung entſprechend anzuwenden ſind
die Vorſchriften über die Zwangsvollſtreckung und
die über den Arreſtvollzug, daß aber von der An⸗
wendung die Vorſchriſten auszuſchließen ſind, die
nur für den Arreſtvollzug beſtimmt und in dem
dem Arreſt eigentümlichen Sicherungszwecke be⸗
gründet find. Er jagt: die Sequeſtration nach den
88 848, 855 ZPO. ſei als ein Zwiſchenabſchnitt
des Zwangsvollſtreckungsverfahrens geregelt, dazu
beſtimmt, die Zwangsvollſtreckung in die heraus⸗
zugebende Sache nach den für die Zwangsvollſtreckung
in unbewegliche Sachen geltenden Vorſchriſten zu
ermöglichen, fie fer aber keine Zwangsverwaltung
im Sinne des Zwangsverſteigerungsgeſetzes. Auch
die nach 8857 ZPO. zuläffige Verwaltung ſei nicht
nach den Sondervorſchriften für die Zwangsverwal⸗
tung der unbeweglichen Sachen zu führen. Die Vor⸗
ſchriften über die Zwangsvollſtreckung ſeien daher
zwar entſprechend anzuwenden, die Beſtimmungen
aber, welche nur die Zwangsvollſtreckung wegen |
Geldforderungen bewirken ſollten, inſonderheit die
Sondervorſchriften über die Zwangsverwaltung von
Grundſtücken ſeien auszuſcheiden. Die Vollſtreckung
habe nach dem 3. Abſchnitte des 8. Buches der
Zivilprozeßordnung ſtattzufinden, da es ſich bei der
eine Sequeſtration anordnenden einſtweiligen Ver⸗
fügung nicht um einen Schuldtitel handle, der vom
Schuldner die Zahlung eines Geldbetrages erheiſche.
Da indeſſen die Vorſchriften über die Zwangsvoll⸗
ſtreckung entſprechend anwendbar ſeien, ſei es ſtatt⸗
haft, ſoweit der 3. Abſchnitt nicht genügenden An⸗
halt über die Art der Vollſtreckung im einzelnen
gebe, die maßgebenden Beſtimmungen der Abſchnitte!
und 2 inſoweit heranzuziehen, als ſie nicht aus⸗
ſchließlich für die Zwangsvollſtreckung wegen Geld⸗
forderungen beſtimmt ſeien. |
Demzufolge ift er der Anſicht, daß der Richter |
nicht nur die Sequeftration anordnen dürfe, da
die Verfügung mit ſolchem Inhalte nicht voll:
ſtreckungsfähig ſei. Er müſſe vielmehr den Inhalt
—
ſeiner Verfügung ſo geſtalten, daß er vollſtreckbar
Die Richtſchnur gebe ihm der 3. Abſchnitt
des 8. Buches. In Betracht kämen beſonders die
83 883, 885 ZBO., wonach der Gerichtsvollzieher,
wenn der Schuldner eine Sache herauszugeben, zu
überlaſſen oder zu räumen habe, die Sache weg⸗
nehme, den Schuldner aus dem Beſitze ſetze und
den Gläubiger in den Beſitz einweiſe. (Ebenſo |
auch Heinze im 3Bl G. Bd. 4 S. 204, 402 ff.,
der jedoch nicht näher ſagt, worin die Beſtimmung
des Inhalts der einſtweiligen Verfügung liegen ſoll.)
Infolgedeſſen will Puſch, weil in der Zivilprozeß
ordnung über die Stellung des Sequeſters nichts
geſagt iſt, in dieſer Beziehung das Zwangsver—
ſteigerungsgeſetz anwenden.
Es iſt ohne weiteres zuzugeben, daß der Richter
lei.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
in der von Puſch vorgeſchlagenen Weiſe verfahren
kann. Er muß es aber nicht tun. Nach Puſch
wäre eine nur die zwangsweiſe Verwaltung an⸗
ordnende Verfügung nicht vollſtreckbar. Sie muß
vielmehr nähere Angaben über die Art der Voll⸗
ſtreckung enthalten. Puſch will nun aber ſelbſt
auf die Stellung des Sequeſters das Zwangsver⸗
ſteigerungsgeſetz angewendet wiſſen. Es ſpricht
nichts Erhebliches dagegen, daß dies nicht auch für
feine Beſtellung zuläffig iſt. Die Beſtellung des
Verwalters iſt doch im Hinblick auf die verant⸗
wortliche Tätigkeit, die er ſpäter auszuüben hat,
und in der ihn das Vollſtreckung gericht be:
aufſichtigt, nicht ſo beſonders wichtig, daß es
erforderlich wäre, noch eine Trennung vorzu⸗
nehmen.
Die Anwendung des 3. Abſchnitts des 8. Buches
der Zivilprozeßordnung paßt auch nicht für Fälle
der vorliegenden Art. Es handelt ſich dort um
die Vollſtreckung zur Erwirkung der Herausgabe
einer Sache und zur Erwirkung von Handlungen
und Unterlaſſungen. Das Urteil oder die einſt⸗
weilige Verfügung muß alſo dahin lauten, daß
der Beklagte eine Sache herausgeben oder eine
Handlung vornehmen oder eine ſolche unterlaſſen
ſoll. Hier aber geht der Schuldtitel auf Anord⸗
nung der zwangsweiſen Verwaltung. Der Verwalter,
an den das Grundſtück herauszugeben iſt, iſt nicht
„Gläubiger“, ſondern wird amtlich tätig infolge
der Anordnung des Gerichts.
Auf einem Trugſchluß beruht auch die Folgerung,
daß das Zwangsverſteigerungsgeſetz deshalb nicht
angewendet werden könne, weil es die Vollſtreckung
wegen einer Geldforderung bezwecke, hier es ſich
aber darum handle, die Zwangsvollſtreckung in die
herauszugebende Sache nach den für die Zwangs⸗
vollſtreckung in unbewegliche Sachen gegebenen Vor⸗
ſchriften zu ermöglichen. Die gemäß 8 1134 Ab}. 2
BGB. angeordnete zwangsweiſe Verwaltung dient
gar nicht dazu, die Zwangsvollſtreckung in die
herauszugebende Sache zu ermöglichen. Die Zwangs⸗
vollſtreckung als ſolche iſt möglich. Der Eigentümer
ſchafft ja nicht das Grundſtück beijeite. Die zwangs⸗
weiſe Verwaltung dient vielmehr nur dazu, das
Grundſtück in ſeinem Beſtande zu erhalten. Der
Gläubiger ſoll nicht davor geſchützt werden, daß
das Grundſtück ihm entzogen wird, ſondern davor,
daß ſein Anſpruch möͤglicherweiſe nicht ganz be
friedigt wird. Es handelt ſich alſo nicht um die
Sicherung der Zwangsvollſtreckung wegen Heraus—
gabe des Grundſtücks, ſondern um die Sicherung
der Zwangsvollſtreckung zur Beſriedigung wegen
eines einer Geldforderung gleichſtehenden Hypo—
thekenanſpruchs. Die Vorſchriſten der Zwangs—
vollſtreckung wegen Geldforderungen und damit die
des Zwangsverſteigerungsgeſetzes ſind alſo ſehr
wohl anwendbar.
§ 857 3PO. kann außer Betracht bleiben. Er
bezieht ſich ausdrücklich auf die Zwangsvollſtreckung
in Vermögensrechte, die nicht Gegenſtand der
Zwangsvollſtreckung in das unbewegliche Ver⸗
mögen ſind.
Dieſelben Gründe, die gegen Puſch ſprechen,
treffen auch auf die Ausführungen von Heinze
(a. a. O.) zu.
Staudinger (Bd. III S. 770), Planck (Bd. III
S. 574), Seuffert (Bd. II S. 685) und der Kom⸗
mentar der Reichsgerichtsräte (Bd. I S. 1061)
z. B. wollen die Vorſchriften des Zwangsverſteige⸗
rungsgeſetzes nur dann entſprechend angewendet
wiſſen, wenn dies vom Prozeßgericht beſtimmt iſt.
Sie ſprechen ſich aber nicht darüber aus, wie das
Verfahren gehandhabt werden ſoll, wenn das
Prozeßgericht keine Vorſchriften gegeben hat. Da
dann überhaupt nichts vorhanden wäre, wonach
der Vollſtreckungsrichter fich richten könnte, wäre |
das Urteil oder die einſtweilige Verfügung hin⸗
fällig und nicht vollſtreckbar — gewiß ein uner⸗
wünſchtes Ergebnis. Geſetzt aber den Fall, daß
der Prozeßrichter allgemeine mit denen des Zwangs⸗
verſteigerungsgeſetzes nicht übereinſtimmende An⸗
weiſungen gegeben hat, ſo können doch Fälle während
der Verwaltung eintreten, an die der Prozeßrichter
nicht gedacht hat, und auf die die gegebenen An⸗
weiſungen nicht paſſen? Was ſoll dann geſchehen?
Soll eine Ergänzung der einſtweiligen Verfügung
beantragt werden oder ſoll die Verwaltung auf⸗
gehoben oder ſollen jetzt die Beſtimmungen des
Zwangsverſteigerungsgeſetzes entſprechend angewen⸗
det werden?
Hieraus ergibt ſich ſchon, daß man in der
Praxis nur zu einem befriedigenden Ergebnis
kommen könnte, wenn der Prozeßrichter ein für
alle Mal bei einer derartigen Entſcheidung hinzu⸗
ſetzte: „Auf die Einleitung und die Durchführung
der Verwaltung ſind die Vorſchriſten des Zwangs⸗
verſteigerungsgeſetzes entſprechend anzuwenden. Dies
würde ſchließlich ſo ſelbſtverſtändlich werden, daß
man auch, wenn die Formel weggelaſſen wäre, zu
der Annahme gelangen müßte, der Prozeßrichter
habe ſtillſchweigend die Vorſchriften des Zwangs⸗
verſteigerungsgeſetzes angewendet wiſſen wollen.
ch komme mithin zu dem Ergebnis, daß im
Zweifel die Vorſchriften des Zwangsverſteigerungs⸗
geſetzes auf die zwangsweiſe Verwaltung entſprechend,
d. h. inſoweit anzuwenden ſind, als ſich nicht Ab⸗
weichungen daraus ergeben, daß die Zwangsver⸗
waltung zur Befriedigung, die zwangsweiſe Ver⸗
waltung aber nur zur Sicherung dient. Aus prak⸗
tiſchen Gründen halte ich es ſogar für empfehlens⸗
wert, daß der Prozeßrichter, wenn nicht etwa im
Einzelfall beſondere Gründe für eine andere Re⸗
gelung vorliegen, nur die Verwaltung anordnet
und ſich enthält, Einzelheiten für den Vollzug
zu geben.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
Kleine Mitteilungen.
Die Vollſtreckung von Freiheitsſtrafen an der Stelle
nneinbringlicher Reſtbeträge von Geldſtraſen. Auf dieſen
Gegenſtand und die damit verknüpfte bekannte Streit⸗
frage iſt neuerdings durch die Mitteilungen von wei⸗
| land Amtsgerichtsrat Krackhardt in Nr. 13 diefer Zeit⸗
ſchrift vom Jahre 1913 und von Landgerichtsdirektor
Dr. Goebel in Nr. 18 des gleichen Jahrgangs die
Aufmerkſamkeit insbeſondere der Strafvollſtreckungs⸗
beamten gelenkt worden. Die Fälle, wo die Streit⸗
frage auftritt, ſind häufig, daher mögen bei der Wich⸗
tigkeit der Sache noch folgende Bemerkungen unter
ausdrücklicher Beziehung auf den Inhalt der beiden
Mitteilungen geſtattet ſein. Es iſt den Ausführungen
| K.s durchweg zuzuſtimmen bis auf die, daß der Staat
nicht den unzureichenden Teilbetrag der Geldſtrafe ver⸗
einnahmen und zugleich einen Tag Freiheitsſtrafe voll⸗
ſtrecken könne, daß daher die Staatskaſſe im Falle der
| Vollſtreckung der Freiheitsſtrafe den eingezahlten Bes
trag zurückzuerſtatten habe. Mit gutem Grund hat
Dr. G. die Zurückerſtattung als unzuläſſig bezeichnet.
Aber noch ein weiterer Grund ſpricht für die Unzu⸗
läſſigkeit. Nach 8 28 Abſ. IV StGB. kann ſich der Ver⸗
urteilte durch die Erlegung des Strafbetrags, ſoweit
dieſer durch die erſtandene Freiheitsſtrafe noch nicht
getilgt iſt, von der letzteren frei machen. Es müßte
nun ein Verurteilter, wenn er 3. B. einen aus 6 M
umgewandelten Tag Haft zu / verbüßt hatte und den
Reſt der Verbüßung durch Erlegung des noch nicht
getilgten Reſtbetrags abwenden wollte, nicht 1.50 M,
ſondern nach der gerade von K. vertretenen Anſicht
volle 6 M erlegen. Ebenſowenig aber als hier die
teilweiſe geſchehene Verbüßung der Freiheitsſtrafe rück⸗
gängig gemacht werden kann, darf umgekehrt im Falle
der Vollſtreckung der eintägigen Haftſtrafe ein Teil⸗
betrag zurückerſtattet werden, der etwa mit 4.50 M
ſchon einbezahlt geweſen wäre. Wenn hierin eine Un⸗
billigkeit liegt, ſo gibt es dagegen kein geſetzliches Mittel.
Im übrigen kann den Ausführungen Dr. ©.3 nicht
—
1
L
zugeſtimmt werden. Er ſagt zu dem von K. mitges
teilten Beiſpiel: „Die 4 M bilden eine Einheit und
ſovielmal dieſe Einheit nicht bezahlt wird, ſoviel
Tage ſind an der Freiheit zu entgelten. Geſetz und
Urteil beſtimmen nicht, wie die Gegner meinen, wann
ein Tag Freiheitsſtrafe wegfallen, ſondern wann er
eintreten ſoll, nämlich nur dann, wann ein Einheits⸗
betrag ausfällt.“ Allein wenn es richtig wäre, daß
die 4 M eine Einheit bildeten, fo wäre dies doch in
dem Sinne zu verſtehen, daß ſie ein unteilbares Ganze
wären, daß daher die Bezahlung von 1 M den Ein⸗
heitsbetrag unberührt ließe, und der Verurteilte hätte
noch einen Tag zu verbüßen, eben weil der Einheits⸗
betrag als unteilbares Ganze noch nicht bezahlt wäre.
| Der Einheitsbetrag ift nun aber eine Fiktion, die das
[Strafgeſetzbuch nicht kennt. es kennt nach 5 29 nur
einen Maßſtab von 1-15 M und von 3 15 M für die
Umwandlung von Geldſtrafen in Freiheitsſtrafen von
einem Tag. Dr. G. meint weiter, „die Rechtslage in dem
Beiſpiel K.s ſei keine andere, als wenn ſchon im Urteile
erkannt wäre: 50 M oder für 3M ein Tag Gefängnis, es
könne keinen Unterſchied machen, ob die nicht reſtlos
teilbare Geldſtrafe durch Urteil feſtgeſetzt oder ob ſie
durch Teilzahlung auf dieſen krummen Betrag gelangt
ſei. Die Gegner würden Bedenken tragen, in dieſem
Falle 17 Tage zu vollſtrecken“. Sicherlich würden ſie
122
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
nicht 17 Tage vollſtrecken. Denn es beſteht zwiſchen
den beiden von Dr. G. angeführten Fällen in der Tat
ein großer Unterſchied. Im erſten Falle muß 8 29
StGB. angewendet werden, der vorſchreibt, was bei
der Umwandlung in Geldſtrafe zu beobachten iſt. Hier⸗
nach dürfen die 50 M nur in 16 Tage Gefängnis um⸗
gewandelt werden, weil, was doch ganz unbeſtritten
iſt, der Reſtbetrag, der nur 2 M beträgt, außer Bes
tracht bleiben muß. Im zweiten Fall iſt aber 8 29
StGB. nicht anwendbar, weil hier eine durch den Willen
des Verurteilten nach der Umwandlung geſchaffene
Rechtslage gegeben iſt. Wenn Dr. G. in einer An⸗
merkung beifügt, er habe einmal den erſten Fall in der
Weiſe erledigt, daß er dem Verurteilten, als er die
Erſatzfreiheitsſtrafe habe antreten wollen, „ins Ge⸗
wiſſen geredet“ habe, ob er nicht wenigſtens 2 .\/ zahlen
wolle, und er habe dann nach der Bezahlung von 2 M
nun die 16 Tage Gefängnis vollſtreckt, ſo war ange⸗
ſichts des 8 29 StGB. kein Grund geweſen, dieſe Be⸗
zahlung zu veranlaſſen, ſondern es hätten ohne weiteres
nur die 16 Tage vollſtreckt werden können. Falls das
Urteil aber auf 51 M oder für 3M 1 Tag Gefängnis
gelautet hätte und der Verurteilte hätte 1 M gezahlt,
dann hätte er wegen des aus 3 M verbleibenben Reſt⸗
betrags nicht 16, ſondern 17 Tage verbüßen müſſen.
Dr. G. kann ſich auch nicht, wie er tut, für die von
ihm vertretene Anſicht auf ein Urteil des OLG.
München (E. VII S. 24) berufen, es trifft den ſtreitigen
Punkt nicht. Denn es hat aus Anlaß der Umwand⸗
lung einer nach Art. 16 des bayer. Geſetzes vom 10. März
1879, betr. die Beſteuerung des Gewerbebetriebs im
Umherziehen ausgeſprochenen Geldſtrafe von 108.30 M
nur, und zwar gelegentlich, bemerkt, daß Bruchteile
bei der Umwandlung nicht anzurechnen ſind. Und dies
iſt ja unbeſtritten.
Der Meinung Dr. G.s, daß es ſich bei der von
ihm vertretenen Anſicht nicht beſtreiten laſſe, daß der
Verurteilte zuweilen einen Vorteil habe, aber er ſei
klein, da es ſich immer nur um einen Tag handele,
iſt entgegenzuhalten. daß es ſich zunächſt nicht um
die Freiheitsſtrafſe handelt, ſondern um den Geldbetrag
und dieſer kann unter Umſtänden verhältnismäßig be⸗
deutend ſein. Wenn, um keinen beſonders kraſſen Fall
zu wählen, eine Geldſtrafe von 10 ½ in 1 Tag Haft
umgewandelt iſt und der Verurteilte zahlt davon 1 M,
fo handelt es ſich um 9M, die er ſich zu bezahlen er:
ſpart, und die der Staatskaſſe verloren gehen; da
gegen nichtzahlungswillige Verurteilte in den meiſten
Fällen die Geldſtrafen nicht beigetrieben werden können.
Der Fall, wo die Geldſtrafe überhaupt nicht in Frei⸗
heitsſtrafe umgewandelt werden kann, darf nicht, wie
Dr. G. tut, herangezogen werden, denn hier will eben
das Geſetz nicht haben, daß der Verurteilte, wenn er
zahlungsunfähig iſt, eine Freiheitsſtrafe verbüße und
der Vorteil für den Verurteilten iſt daher vom Ges
ſetze gewollt.
Der Anregung, die Dr. G. im Schlußabſatz gibt,
kann wohl keine Folge gegeben werden. Wenn nach
2. ———t-rt . —— 7r ——.. —. — ——..———
Zuſtändigkeit zur Behandlung des Nachlaſſes eines
in Dentſchland verſtorbenen, aber im Gebiete eines Ge:
richtskenſuls wohnhaften Deutſchen. In München ver⸗
ſtarb der deutſche Kaufmann X, der zur Zeit ſeines
Todes ſeinen Wohnſitz in Saloniki hatte. Saloniki
iſt der Sitz eines deutſchen Konſuls mit Konſularge⸗
richtsbarkeit. X war in die Matrikel dieſes Konſuls
eingetragen. Es entſtand die Frage, welche Behörde
für die Verrichtungen des Nachlaßgerichts zuſtändig ſei.
Gemäß 8 731 FGG. beſtimmt ſich die örtliche Zus
ſtändigkeit der Nachlaßgerichte grundſätzlich nach dem
Wohnſitz, den der Erblaſſer zur Zeit des Erbfalls hatte.
In Ermangelung eines inländiſchen Wohnſitzes
aber iſt nach dieſer Vorſchrift das Gericht des Sterbe⸗
ortes zuſtändig. Nach dem Wortlaut des 8 731 FGG.
ſcheint alſo das Amtsgericht München das zuſtändige
Nachlaßgericht zu ſein. Dieſem Ergebnis ſteht aber
Folgendes entgegen: Durch $ 21 Nr. 1 KonſGG. war
X als Deutſcher der Konſulargerichtsbarkeit unter⸗
worfen. 8 7 Nr. 2 KonſGG. verleiht dem Konſul die
Zuſtändigkeit für die durch Reichsgeſetze den Amts⸗
gerichten übertragenen Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit. Der Konful iſt daher in ſeinem Amts⸗
bezirke für Nachlaßſachen ebenſo zuſtändig wie inner⸗
halb des Reichs die Amtsgerichte (vgl. BaygfR.
1905, 429 = 318 G. 6, 376). Ebenſo wie diefe hat
er als Nachlaßrichter BGB. und FGG. anzuwenden
(8 19 Nr. 1 KonſGG.). Dieſe Vorſchriften rechtfer⸗
tigen eine ausdehnende Auslegung des Begriffes „In⸗
land“ im Sinne des 8 731 §8GG. Das Gericht des
Sterbeortes kann nur dann zuſtändig ſein, wenn der
Gerichtsſtand des Wohnſitzes die Zuſtändigkeit eines
deutſchen Nachlaßgerichts nicht ergeben würde. Hatte
der Erblaſſer zur Zeit des Erbfalls ſeinen Wohnſitz
im Bezirke eines Gerichtskonſuls, ſo ergibt aber auch
die Regel, daß der Wohnſitz des Erblaſſers zur Zeit
des Todes entſcheidet, die Zuſtändigkeit eines deutſchen
Nachlaßrichters, nämlich des Konſuls. Es iſt deshalb
anzunehmen, daß der Begriff „Inland“ im Sinne des
§ 731 FGG. den Bezirk eines deutſchen Gerichtskon⸗
ſuls dann umfaßt, wenn der Erblaſſer der deutſchen
Konſulargerichtsbarkeit unterworfen iſt. Ebenſo, wie
der Nachlaß eines im Reich wohnenden Erblaſſers
auch dann von dem Amtsgericht des Wohnſitzes zu
behandeln iſt, wenn der Erblaſſer außerhalb des Wohn⸗
ſitzes verſtirbt, ſo kann auch der Nachlaß eines im
Konſulargerichtsbezirk wohnenden und der Konſular⸗
gerichtsbarkeit unterworfenen Erblaſſers der Zuſtän⸗
digkeit des Konſuls nicht dadurch entzogen werden,
daß der Erblaſſer außerhalb des Konſulargerichtsbe⸗
Zzirkes ſtirbt. Denn der Konſul ſteht ja als Nachlaß⸗
|
dem Geſetz nur auf volle Tage erkannt werden kann,
ſo folgt daraus, daß volle Tage auch für die Voll—
ſtreckung gelten, wenn ſich keine entgegengeſetzten Be—
ſtimmungen finden laſſen. Nicht darauf kommt es an,
daß keine beſonderen Vorſchriften bekannt ſind, die zur
Vollſtreckung nach vollen Tagen nötigen, ſondern daß
ſolche nicht bekannt ſind, die die Vollſtreckung nach
Teilen von Tagen zulaſſen.
Amtsgerichtsdirektor Tiſch in Neuſtadt a. d. H.
|
richter den Amtsgerichten durchaus gleich. (Vgl. auch
8 18 KonſOG., der aber nur von der Sicherung
des Nachlaſſes handelt.) Somit war in dem erör⸗
terten Falle der deutſche Konſul in Saloniki der aus⸗
ſchließlich zuſtändige Nachlaßrichter.
Rechtspraktikant Werner in München.
Feſtſtellnng des Wertes von Anweſen, die teilweiſe
bebaut und teilweiſe unbebaut find, im Hinblick auf die
Stempelbefreiung nach Tarif 11 letzter Abſatz der Spalte 2
des Reichsſtempelgeſetzes. Nach dem letzten Abſatze der
Spalte 2 des Tarifs 11 zum Reichsſtempelgeſetze vom
15. Juli 1909 ſind Grundſtücksübertragungen auf An⸗
trag von der Stempelpflicht dann befreit, wenn der
ſtempelpflichtige Betrag bei bebauten Grundſtücken
20000 M, bei unbebauten Grundſtücken 5000 M nicht
über ſchreitet und der Erwerber weder den Grund⸗
ſtückshandel gewerbsmäßig betreibt noch ein Jahres⸗
einkommen von mehr als 2000 M hat. Bei dem Ver⸗
kauf von ländlichen Anweſen kommt es fehr häufig
vor, daß das Anweſen nur teilweiſe überbaut iſt, daß
es nicht aus einer zuſammenhängenden Grundfläche
beſteht und daß die bebaute Fläche weniger wert iſt
als 20000 M, während der unbebaute Teil des An⸗
weſens die im Geſetz hinſichtlich der Steuerbefreiung
für unbebaute Grundſtücke feſtgeſetzte Wertsgrenze von
5000 M überſteigt. In ſolchen Fällen entſteht die Frage,
ob der Strafrichter bei der behufs der Strafbemeſſung
vorzunehmenden Feſtſetzung der vorenthaltenen Ab⸗
gabe (8 88 RStempG. Tarif 11 lit. a und d) den bes
bauten und den unbebauten Teil des Anweſens aus⸗
einanderhalten und zugunſten des Angeklagten den
Wert dieſer Fläche abziehen muß, falls bezüglich des
bebauten Teils auch die ſonſtigen geſetzlichen Voraus⸗
ſetzungen der Steuerbefreiung vorliegen.
Das Reichsgericht hat in einem Urteile vom
18. September 1 D 355. 13
30. Dfiober 1913 in der Sache VII. 2451 ausgeſprochen,
daß es keinem Bedenken unterliegt, wenn der Richter
in ſolchen Fällen den Verkaufsgegenſtand als eine
wirtſchaftliche Einheit anſieht, der als Ganzes
dem landwirtſchaftlichen Betriebe dient, und wenn er
deshalb das Anweſen, mag es auch tatſächlich und recht⸗
lich eine Mehrheit von einzelnen bebauten und unbe⸗
bauten Grundſtücken ſein, einheitlich betrachtet und
dem bebauten Beſitz zuweiſt, deſſen wirtſchaftlichen Mit⸗
telpunkt die Gebäude bilden. Dabei hob das Reichs⸗
gericht hervor, daß die in Frage ſtehende Befreiungs⸗
vorſchrift in der Abſicht geſchaffen ſei, die kleineren
Grundſtücksumſätze zu begünſtigen; bei einem Geſamt⸗
werte von 25300 M, der für den zu entſcheidenden Fall
in Betracht kam, laſſe ſich aber nicht mehr von einer
unbedeutenden Grundſtücksübertragung ſprechen (vgl.
RG Z. 78, 291).
In Uebereinſtimmung mit dieſer Geſetzesauslegung
hat die bayeriſche Regierung entgegen der früheren
Praxis angeordnet, daß die Finanzbehörden ländliche
Anweſen, die teilweiſe bebaut, teilweiſe unbebaut ſind,
auch dann als ein Ganzes behandeln und Stempelfreiheit
gewähren ſollen, weun der unbebaute Teil zwar mehr
als 5000 M, das Ganze aber nicht 20000 M wert iſt.
Der Bundesrat hat die bayeriſche Finanzverwaltung
ermächtigt, auf Antrag die Stempelabgaben, die bisher
zuviel entrichtet wurden, wieder zurückzuerſtatten. Bis⸗
her wurde nämlich in ſolchen Fällen der Stempel aus
dem Werte des unbebauten Teiles erhoben. Kl.
Aus der Aechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Grundbuchſachen.
Kann die Verpfändung des Nacherbeurechts in das
Grund buch eingetragen werden? (GD. 55 19, 22, 40, 52).
Im Grundbuche iſt für Ida D. eine Buchhypothek von
50 000 M als mütterliches Erbgut eingetragen. Die
Beſchwerdeführerin W. iſt hinſichtlich dieſer 50 000 A.
Nacherbin. Letzteres iſt im Grundbuche vermerkt. Die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
|
Beſchwerdeführerin verpfändete zur Sicherung eines
Darlehns ihre Anſprüche als Nacherbin, auch die an | nur fagen, (und auch dies nur als Ordnungsvorſchrift),
123
der Hypothek, und beantragte die Eintragung der Ver⸗
pfändung. Das GBA. lehnte ab, das LG. wies die
Beſchwerde zurück. Die weitere Beſchwerde hat das
Bayeriſche Obs. dem Reichsgerichte vorgelegt. Es
führt aus, daß es die weitere Beſchwerde zurückweiſen
würde, hieran jedoch durch den Beſchluß des Kammer⸗
gerichts vom 4. März 1912 (abgedr. im Jahrb. Bd. 42
S. 228 ff.) gehindert ſei. Das Kammergericht habe dort
nämlich das durch Pfändung begründete Pfandrecht
an dem Nacherbenrechte für eintragbar erklärt. Das
Ob. ſtellt feſt, daß der Gläubiger die Verpfändung
angenommen und ebenfalls die Eintragung ſeines
Pfandrechts beantragt hat. Das RG. hob den Beſchluß
des LG. auf und wies das GBA. an anders zu
verfügen.
Gründe: Die Vorausſetzungen des 8 79 EBD.
liegen vor. Denn die Antwort auf die Frage läßt
ſich nur aus den reichsgeſetzlichen Vorſchriften über das
Grundbuchrecht entnehmen, und es iſt unzweifelhaft,
daß die Rechtsauffaſſung, der das Obs. folgen möchte,
von der ebenfalls auf weitere Beſchwerde ergangenen
Entſcheidung des Kammergerichts abweicht. Deſſen
Entfcheidung betraf zwar nur den Fall, daß die Ein⸗
tragung eines durch Pfändung begründeten Pfand⸗
rechts an einem eingetragenen Nacherbenrechte begehrt
war, während hier das Pfandrecht rechtsgeſchäftlich
entſtanden iſt. Indeſſen die Abweichung bleibt ohne
Tragweite hinſichtlich der Frage, ob einem Antrag auf
Eintragung eines Pfandrechts am eingetragenen Rechte
eines Nacherben ftattzugeben iſt. Im Ergebniſſe war
dem Kammergerichte beizutreten, wenn auch nicht ſeiner
Begründung gefolgt werden konnte.
Beide Gerichte nehmen an, daß das Nacherben⸗
recht zwar ein bereits vorhandenes, veräußerliches und
daher auch pfändbares oder verpfändbares Vermögens⸗
recht iſt, daß es jedoch bis zum eintretenden Falle nur
erbrechtliche, dagegen nicht auch ſachenrechtliche Wir⸗
kungen äußert. Demgemäß verneinen beide, daß die
Eintragung des Rechtes des Nacherben gemäß 8 52
GBO. ein Recht am Grundſtück oder an der zur Erb⸗
ſchaft gehörenden Hypothek begründet. Beide haben
auch zur Beantwortung der zu entſcheidenden Frage
einen gleichen Weg eingeſchlagen. Sie gehen nämlich
von § 40 der GBO. aus. Sie find jedoch bei Berück⸗
ſichtigung dieſer Vorſchrift zu verſchiedenen Endzielen
gelangt. Das Kammergericht meint, von der Ein⸗
tragung eines Pfandrechts am Nacherbenrechte werde
nicht der Nacherbe betroffen, ſondern das eingetragene
Recht des Vorerben, und die Eintragung des Pfand⸗
rechts ſei daher zuläſſig, weil jenes Recht des Vorerben
jedenfalls ein eingetragenes Recht i. S. des 8 40 ſei.
Das Ob. dagegen iſt der Anſicht, daß von der Ein⸗
tragung des Pfandrechts nicht das Recht des Vorerben
ſondern das Recht des Nacherben betroffen werden
würde, und daß aus dieſem Grunde die Eintragung
nicht erfolgen könne, weil das Recht des Nacherben
„nicht eingetragen“, ſondern nach § 52 „nur vermerkt
ſei“ und dieſer Vermerk nicht die Bedeutung habe,
eine dingliche Berechtigung des Nacherben buchmäßig
erkennbar zu machen. Dem Ob“. ift darin beizu⸗
treten, daß von der Eintragung des Pfandrechts nicht
das Recht des Vorerben, ſondern das Recht des Nach⸗
erben betroffen wird; nicht zuzugeben iſt aber, daß
dieſe Annahme auch zu dem angenommenen ÜErgeb-
niſſe führt.
Bei der Prüfung der Frage, ob das Pfandrecht
an einem gemäß 8 52 GBO. eingetragenen Nacherben⸗
rechte eintragbar iſt, darf man überhaupt nicht von
§ 40 Abſ. 1 GBO. ausgehen. Vielmehr ſteht im Vorder⸗
grunde die Frage der Eintragungsfähigkeit des Pfand-
rechtes, und über die Eintragungsfähigkeit gibt 8 40
niemals Auskunft. Denn er ſoll überhaupt nicht die
Vorausſetzungen der Eintragbarkeit an ſich beſtimmen;
er ſetzt vielmehr die Eintragbarkeit voraus und will
daß die an ſich zuläſſige Eintragung „nur erfolgen
ſoll, wenn derjenige, deſſen Recht durch ſie betroffen
wird, als der Berechtigte eingetragen iſt'. Demnach
fol 840 Abſ. 1 nur hindern, daß Eintragungen vor⸗
genommen werden, ohne daß das Recht des Betroffenen
bereits eingetragen wurde. Und ſomit würde auch
hier 8 40 nur inſoweit angewendet werden können,
als die Frage auftauchte, ob der Eintragung des Pfand⸗
rechts, ſeine Eintragungsfähigkeit vorausgeſetzt, der
Hinderungsgrund des 5 40 entgegenſtünde. Die Frage
nun, ob das Pfandrecht an ſich eintragbar iſt, muß
aus folgenden Gründen bejaht werden. Beiden Bes
richten iſt darin zuzuſtimmen, daß durch die Eintragung
des Rechtes des Nacherben für dieſen kein Recht am
Grundſtücke oder an der zur Erbſchaft gehörenden
Hypothek entſteht. Demgemäß wäre es auch unzu⸗
läſſig, das Nacherbenrecht ſelbſtändig und unabhängig
von der Eintragung des Vorerben einzutragen. Daß
ihm eine ſolche Eintragungsfähigkeit fehlt, iſt auch
ſchon nebenher in dem Beſchluſſe des Senats RG. 61
S. 379 ausgeſprochen worden. Der 852 GBO. ſieht
auch nur vor, daß „bei der Eintragung des Vorerben
zugleich das Recht des Nacherben von Amts wegen
einzutragen iſt“. Anderſeits aber läßt ſich angeſichts
dieſer Vorſchrift nicht leugnen, daß, wenn die Ein⸗
tragung erfolgt, es ſich um eine gewöhnliche Eintragung
handelt. Von einem bloßen „Vermerke“ zu reden, wie
das Ob. will, gibt $ 52 keinen Anlaß, zumal dem
Geſetz eine Unterſcheidung zwiſchen „Eintragungen“
und „Vermerken“ fremd iſt. Sollte auch im Einzelfalle
der Ausdruck „vermerkt“ gebraucht ſein, ſo läge doch
eine Eintragung im geſetzlichen Sinne vor. Weiter
läßt ſich aber gemäß 352 auch nicht beſtreiten, daß
bei der Eintragung des Rechtes des Nacherben Gegen⸗
ſtand der Eintragung „das Recht des Nacherben ift“,
mithin das Recht, welches das Geſetz dem Nacherben
überhaupt beilegt, wie es insbeſondere gemäß § 2113
BGB. nach außen wirkt. Endlich aber iſt unzweifelhaft,
daß das Geſetz die Eintragung des Rechtes des Nach⸗
erben gerade vorſchreibt, um das Vorhandenſein ſeines
Rechtes öffentlich kund zu tun, als Gegenmittel gegen
die Gefahren, die dem Nacherben ohne die Eintragung
infolge der Grundſätze vom gutgläubigen Erwerbe
entſtehen würden.
in Geſtalt einer Verfügungsbeſchränkung zu Laſten des
Vorerben; er kann das Recht des Nacherben nicht
durch Verfügungen beeinträchtigen, die gemäß 8 2113
dem Nacherben gegenüber unwirkſam fein würden. In-
deſſen trotz dieſes eingeſchränkten Zweckes der Ein—
tragung iſt nach dem Geſetze Gegenſtand der Eintragung
das Recht des Nacherben als ſolches. Auch die Bor:
merkung begründet nach der Anſicht des Reichsgerichts
kein Recht am Grundſtücke (RG. 65, 261; SL, 288),
ſichert vielmehr nur einen Anſpruch, und trotzdem iſt
ſie eine buchmäßige Eintragung. Behält man im Auge,
daß Gegenſtand einer Eintragung nach 8 52 GBO.
„das Recht des Nacherben“ iſt, und hält man zugleich
daran feſt, daß dieſes Recht wirkſam veräußert und
verpfändet werden kann (RG. 80, 377 ff.; Gruch. 52,
630), dann entſteht auch im Falle einer Veräußerung
oder Verpfändung eine dergeſtalt veränderte Rechts—
Freilich äußert ſich hiernach das
eingetragene Recht des Nacherben nach außen hin nur
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr.
6.
lage nicht im Einklang ſtände; der unveränderte Buch⸗
inhalt würde vielmehr den Anſchein erwecken, als gälte
die Verfügungsbeſchränkung noch ausſchließlich zu⸗
gunſten des Nacherben, was nicht mehr zuträfe; dieſer
irreleitende Inhalt des Grundbuchs könnte gerade zu
den Unzuträglichkeiten führen, denen gegenüber den
Grundſätzen vom gutgläubigen Erwerbe die Eintragung
vorbeugen foll (§ 892 BGB.). Alſo kann es nur dem
Willen des Geſetzes entſprechen, wenn der Grundbuchs⸗
inhalt der veränderten Rechtslage wieder angepaßt
und dazu eine neue Eintragung geſtattet wird. Denn
darüber läßt ſich nicht ſtreiten, daß das Geſetz den
Grundbuchinhalt mit der wirklichen Rechtslage in
Uebereinſtimmung halten will, und daß es zu dem
Ende auch einen beſonderen Rechtsbehelf, den der
Grundbuchberichtigung gewährt. Sofern eine Unrichtig⸗
keit im dinglichen Rechtszuſtande in Frage ſteht, gibt
das Geſetz den Rechtsbehelf in der Vorſchrift des 8 894
BGB.; ſoweit es ſich um ſonſtige Unrichtigkeiten handelt,
ſei es, daß ein Rechtsverhältnis von vornherein un⸗
richtig beurkundet worden, fei es, daß das richtig be⸗
urkundete Rechtsverhältnis durch nachträgliche rechts⸗
geſchäftliche Vorgänge geändert wurde, namentlich alfo
durch Uebertragungen oder Verpfändungen, geſtattet
das Geſetz die Berichtigung nach den formalen Regeln
der GBO., wie der § 22 der Berichtigung auch aus
drücklich gedenkt. Demgemäß würde auch die Eintragung
der Abtretung oder der Verpfändung des Rechtes des
Nacherben nur eine nach der EBD. zugelaſſene Be:
richtigung des Buchinhaltes ſein. Das Geſetz bietet
keinen Anhalt dafür, daß ſolche Berichtigungen aus⸗
ſchließlich bei Eintragungen zuläſſig wären, durch die
ein Recht am Grundſtücke begründet worden iſt. 8 19,
der die Eintragung von der Bewilligung des Betroffenen
abhängig macht, enthält keine ſolche Einſchränkung,
ebenſowenig der § 22, der gegenüber dem 8 19 eine
Ausnahme vorſieht. Auch hier iſt zum Vergleich an
die Vormerkung zu denken. Wird der durch eine Vor—
merkung geſicherte Anſpruch abgetreten, dann geht jene
als Nebenrecht des Anſpruchs (RG. 52, 11) auf den
Rechtsnachfolger über, und die Eintragung des Wechſels
in der Perſon des Berechtigten iſt unbedenklich ſtatt⸗
haft. So wird man auch den Eintrag des Rechtes
des Nacherben als ein Nebenrecht dieſes Rechtes auf⸗
faſſen können und die grundbuchmäßige Kundbar⸗
machung der Veränderung in der Perſon des Berech⸗
tigten für ſtatthaft halten dürfen.
Bei dieſer Auffaſſung könnte es ſich nur noch
fragen, ob die Eintragungsbewilligung der Beſchwerde⸗
ſührerin, die dem GBA. und dem LG. allein vorlag,
ausreichend war. Auch das iſt zu bejahen. Denn hier
fällt der Umſtand ins Gewicht, daß nach richtiger An⸗
ſicht die Beſchwerdeführerin und nur dieſe i. S. des § 19
GBO. von der Eintragung betroffen iſt. Nach der
Anſchauung des Geſetzes wird von einer Eintragung
ſtets (SS 13, 19, 40 GBO.) nur das Recht betroffen,
das durch ſie rechtlich verändert wird, mithin — ſieht
lage: Das Recht ſteht nun uberhaupt nicht mehr dem
Nacherben zu, ſondern ſeinem Rechtsnachfolger, oder
es kann doch, bei einer bloßen Verofändung, von dem
Nacherben nicht mehr für ſich ausgeübt werden, ſo—
lange das Pfandrecht beſteht. Insbeſondere konnte
fortan nicht mehr der Nacherbe, ſondern nur noch ſein
Rechtsnachfolger oder fein Pfandgläubiger von den Be:
fugniſſen aus 8 2113 BGB. Gebrauch machen (G3.
80, 377 ff.); demgemäß wären nur noch die Letztge—
nannten ſchutzbedürſftig, nicht der Nacherbe, wenigſtens
nicht allein. Endlich aber ergäbe ſich. daß jetzt der
Buchinhalt, falls man der Veränderung nicht durch
eine Eintragung Rechnung trüge, mit der neuen Rechts—
man auf die Perſon des Berechtigten — ſtets nur,
wer der Inhaber des Rechtes war (RGZ. 61. 379).
Sind nun ſowohl das Recht des Nacherben wie das
des Vorerben eingetragen, dann wird infolge einer
Abtretung oder einer Verpfändung des erſteren immer
nur dieſes rechtlich verändert; der Vorerbe kann auch
nicht hinſichtlich des Rechts des Nacherben als der
Berechtigte oder Mitberechtigte angeſehen werden. Nur
mittelbar und tatſächlich kann der Vorerbe von der
Aenderung betroffen werden, inſofern als es für ihn
wirtſchaftlich einen Unterſchied machen mag, ob er fort—
an bei Verfügungen an die Zuſtimmung des Rechte:
nachfolgers des Nacherben gebunden iſt (8 2113 BGB.),
oder ob er noch mit dem Nacherben ſelbſt zu tun hat.
Eine ſolche nur tatſächliche Veränderung der Sachlage
macht ihn aber nicht zum „Betroffenen“. Mit Unrecht
hält das Kammergericht den vorliegenden Fall für
anders geartet, als den einer Uebertragung oder einer
Berpfändung des Hypothekenrechts. Allerdings ift die
Hypothek ein Recht am Grundſtücke, während das ein⸗
getragene Recht des Nacherben dem Vorerben gegen⸗
über nur eine Verfügungsbeſchränkung bedeutet. Aber
es iſt nicht einzuſehen, wie dieſer Unterſchied zu einer
verſchiedenen Beurteilung der Frage führen könnte,
welches Recht betroffen wird. Wenn ein Wechſel in
der Perſon des Hypothekengläubigers, wie auch das
Kammergericht annimmt, i. S. des Geſetzes nur den
alten Hypothekengläubiger und nicht den Eigentümer
und nicht „auch dieſen“ trifft, fo liegt das auch hier
allein daran, daß leidender Teil rechtlich nur der alte
Hypothekengläubiger iſt, und daß die tatſächlichen oder
wirtſchaftlichen Folgen des Wechſels für den Eigen⸗
tümer auch hier zur Erfüllung der Vorausſetzung in
den 88 13, 19, 40 GBO. nicht ausreichen. Wird das
Recht des Nacherben abgetreten oder verpfändet, dann
wird der Beſtand der darin enthaltenen Verfügungs⸗
beſchränkung rechtlich nicht verändert; die Rechtslage
des Vorerben bleibt nach wie vor die nämliche; daher
kann auch bei ihm keine Befugnis zur Einwilligung
in die Grundbuchberichtigung in Frage kommen. Viel⸗
mehr ſtand dieſe Befugnis gemäß § 19 GBO. der
Beſchwerdeführerin und ihr allein zuſtand.
Das einzige Bedenken gegen die Anwendbarkeit
des 8 19 könnte in der Frage liegen, ob das Geſetz
unter dem Worte „Recht“ nicht dennoch — der früheren
Ausführung entgegen — nur ein dingliches Recht ver⸗
ſteht, und ob es demgemäß nicht auch die Befugnis
zur Einwilligung i. S. des 8 19 ſtets allein dem zu⸗
ſpricht, der hinſichtlich eines dinglichen Rechtes der Be⸗
troffene iſt. Auch dieſes Bedenken iſt jedoch nicht
ſtichhaltig. Mag das Geſetz auch regelmäßig bei dem
Ausdruck „Recht“ im Gebiete des Liegenſchaftsrechtes
nur ein Recht dinglicher Art im Auge haben, ſo ſchreibt
es doch in 8 52 GBO. ausdrücklich die Eintragung
des „Rechtes“ des Nacherben vor und legt mithin
auch dieſem Rechte mittelbar die Eigenſchaft eines ein⸗
getragenen Rechtes bei. Daher iſt es nicht folgewidrig.
wenn man dem eingetragenen Nacherben die Befugnis
zugeſteht, die ſonſt gemäß § 19 dem betroffenen
Berechtigten gebührt. Jedenfalls aber muß die ans
geführte Vorſchrift hier entſprechend angewendet
werden. Es läßt ſich ſchwerlich annehmen, daß das
Geſetz ausſchließlich bei dinglichen Rechten die Befugnis
hätte gewähren wollen, die Eintragung von Rechts⸗
änderungen zu bewilligen und herbeizuführen. Das
entſpräͤche nicht feiner Abſicht, eine ſtete Uebereinſtim⸗
mung zwiſchen dem Buchinhalt und der wirklichen
Rechtslage zu ſchaffen. Auch dem Vormerkungsberech—
tigten wird, wer in der Vormerkung kein dingliches
Recht erblickt, das Recht nicht abſprechen wollen, im
Falle der Abtretung des geſchützten Anſpruchs die
Eintragung des Perſonenwechſels zu bewilligen. (Beſchl.
des V. 35. vom 14. Januar 1914, Reg. vB 9/1913).
2248 W.
B. Zivilſachen.
I
Wie iſt das Zurüdbehaltungsreht im Prozeſſe zu be:
handeln? Aus den Gründen: Die Entſcheidung des
OLG. beruht auf Geſetzes verletzung, weil es auf die Gel⸗
tendmachung des Zurückbehaltungsrechts die Klage abge—
wieſen und angenommen hat, es ſei Sache des Klägers,
die „Liquidſtellung“ der Anſprüche der Beklagten zu
betreiben. Schon vor Einführung des BGB. beſtand
die Wirkung der „Retentionseinrede“ darin, daß zur
Erfüllung Zug um Zug zu verurteilen, nicht aber die
Klage abzuweiſen war. In dem Urteile des RG. vom
17. Dezember 1884, V 34/84, heißt es, das Retentions—
recht ſchütze nur gegen eine unbedingte Verurteilung,
Zeitſchrift für Recht pflege in Bayern. 1
125
914. Nr. 6.
es müſſe ſein Umfang ermittelt und der Beklagte zur
Leiſtung gegen Befriedigung des feſtgeſtellten Gegen⸗
anſpruchs verurteilt werden (JW. 1885 S. 77 Nr. 39,
vgl. 1893 S. 317 Nr. 43). Aehnlich hat ſich der Senat
am 20. Mai 1895 ausgeſprochen (JW. 1895 S. 327
Nr. 14). Das BGB. enthält in § 274 die ausdrückliche
Vorſchrift: Gegenüber der Klage des Gläubigers hat
die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts nur
die Wirkung, daß der Schuldner zur Leiſtung gegen
Empfang der ihm gebührenden Leiſtung zu verurteilen
iſt. Welche Leiſtung dem Schuldner gebührt, hat der
Schuldner darzutun. Das ergibt ſich aus allgemeinen
Regeln und aus der Faſſung des 8 273. Auf Grund
der Zurückbehaltungseinrede darf demnach nicht der
Antrag auf Klagabweiſung geſtellt werden, vielmehr
hat der Beklagte in ſeinem Antrage auszudrücken,
welche Leiſtung er ſelbſt begehrt, und den Antrag da⸗
hin zu ſtellen, daß er zu der von dem Kläger bean⸗
ſpruchten Leiſtung nur gegen Empfang der von ihm
ſelbſt verlangten Leiſtung verurteilt werde. Da das
LG. an mehreren Stellen von „Liquidſtellung ſpricht,
ſcheint es auf den Satz, „Liquidität“ des Anſpruchs des
Schuldners ſei nicht erforderlich, Gewicht gelegt zu
haben. Allein dieſer Satz hat nur die Bedeutung, daß
„Liquidität“ keine ſachliche Vorausſetzung für das Zurück⸗
behaltungsrecht iſt, nicht den Sinn, daß bei Geltend⸗
machung im Prozeß die „Liquidſtellung“ nicht zu er⸗
folgen hätte oder daß es Sache des Gegners wäre,
fie zu betreiben. Auch bei der Aufrechnung iſt „Liqui⸗
dität' der aufzurechnenden Forderung kein ſachliches
Erfordernis; wer aber gegen eine Klageforderung auf⸗
rechnen will, hat feine Forderung „liquid“ zu ſtellen.
(Vgl. §§ 145 Abſ. 3, 302, 322 Abſ. 2, 529 Abſ. 3 ZPO.).
Die prozeſſualen Vorſchriften über die Behandlung des
Aufrechnungseinwands gelten übrigens nicht für die
Zurückbehaltungseinrede, insbeſondere iſt die Entſchei⸗
dung über einen zur Verweigerung einer Leiſtung ver⸗
wendeten Gegenanſpruch nicht der Rechtskraft fähig
(RG. Z 8, 364; 15, 421). Auch in dieſem Punkte ſcheint
das OLG. von einer irrigen Auffaſſung auszugehen,
da es auf die von der Beklagten erhobene Klage hin⸗
weiſt. Der von der Beklagten zur Beitreibung ihrer
Forderung eingeleitete Prozeß wird durch die Geltend⸗
machung des Zurückbehaltungsrechtes in dem gegen-
wärtigen Rechtsſtreite nicht berührt. Wenn in dem
gegenwärtigen Rechtsſtreit die Zurückbehaltungseinrede
verworfen würde, weil die Beklagte einen zur Zurück⸗
haltung der Leiſtung berechtigenden Gegenanſpruch
nicht erwieſen habe, oder wenn die Beklagte verurteilt
würde, gegen Empfang einer geringern als der von
ihr eingeklagten Summen die Zuſtimmung zur Grund—
buchberichtigung und zur Auszahlung der hinterlegten
Beträge zu erteilen, ſo ſtünde dies der Fortführung
des von ihr angeſtrengten Prozeſſes nicht im Wege.
(Urt. d. IV. ZS. vom 29. November 1913, IV 571/13).
3244
— — = n.
II.
Schenkung von Todes wegen an die Ehefran. Was
iſt Gegenſtand der Schenkung, wenn der Mann ein Grund:
ſtück für ſich kauft, es aber unmittelbar der Fraun auf:
gelaſſen wird? Widerruf der Schenkung wegen groben
Undanks. Wie geſtaltet ſich im Falle des Widerrufs
der RNückgabeauſpruch des Mannes? Die Streitsteile
verheirateten ſich im Oktober 1905. Im Oktober 1907
hat K. der beklagten Ehefrau ein Grundſtück aufge—
laſſen, wobei fie die eingetragene Hypothek von 2500 M
übernahm und 5500 M als Hypothek für den Reſtkauf⸗
preis eintragen ließ. Der Kaufpreis wurde mit 10000 M
angegeben. Im Januar 1911 verließ die Beklagte den
Kläger und lebt ſeitdem von ihm getrennt. Der Kläger
behauptet, er ſei der Käufer des Grundſtücks geweſen
und habe die Anzahlung von 2000 M aus eigenen
Mitteln geleiſtet. Er habe das Grundſtück auf den
Namen ſeiner Frau eintragen laſſen, weil er befürchtet
126
habe, vor ihr zu ſterben, und weil er ihr deswegen
den Beſitz des Grundſtücks gegenüber ſeinen Kindern
erſter Ehe habe ſichern wollen. Er behauptet deshalb in
erſter Reihe Scheingeſchäft, in zweiter Reihe Schenkung,
die er wegen groben Undanks der Beklagten wider⸗
rufe. Sie habe ihn ohne Grund verlaſſen und in ſeiner
Abweſenheit ſeine geſamte Wohnungseinrichtung mit⸗
genommen. Der Klagantrag geht auf Verurteilun
der Beklagten, darein zu willigen, daß im Grundbu
des Grundſtücks der Kläger an Stelle der Beklagten als
Eigentümer eingetragen werde. Das L. hat die Klage
abgewieſen. Auf die Berufung des Klägers wurde
. nach dem Klagantrag verurteilt. Das RG.
ob auf. |
Aus den Gründen: Zutreffend ftellt das OLE.
feſt, daß bei dem beſtrittenen Geſchäft der Kläger ſeine
Abſicht zu ſchenken verwirklicht habe, daß daher jeden⸗
falls eine Schenkung vorliege. Eine ſofort vollzogene
Schenkung von Todes wegen unterliegt nach § 2301
Abſ. 2 BGB. auch hinſichtlich des Widerrufs den Vor⸗
ſchriſten über Schenkungen unter Lebenden. Die bes
ſtrittene Schenkung iſt auch jedenfalls vollzogen worden
und was die hiezu und zur Grundſtücksübereignung
notwendigen Formen anlangt, fo find dieſe nach 88 518,
313 Satz 2 BBB. unzweifelhaft gewahrt. Zweifel kann
aber darüber beſtehen, was Gegenſtand der Schenkun
geweſen iſt. Unhaltbar iſt die Anſicht des OsG., da
das Grundſtück ſelbſt der Beklagten vom Kläger ge
ſchenkt worden ſei. Der Kläger iſt niemals Eigentümer
dieſes Grundſtücks geweſen, es iſt durch Auflaſſung
unmittelbar von K. auf die Beklagte übergegangen.
Es wäre denkbar, daß der Kläger das Grundſtück ſofort
formlos für die Beklagte als Dritte nach 8 328 BGB.
gekauft, als beauftragter oder unbeauftragter Geſchäfts⸗
führer für fie 2000 M Anzahlung geleiſtet und ſchen⸗
kungsweiſe auf Rückerſtattung dieſer Auslage verzichtet
hat. In dieſem Schulderlaß wäre dann die Schenkung
zu finden, auf die zwar der Schenkung bei Verzichten
auf künftige Rechte verneinende 8 517 BGB. nicht ans
gewendet werden könnte, die aber ſelbſt bei gültigem
Schenkungswiderruf nicht zu einer Klage auf Rückgabe
des Grundſtücks berechtigen würde. Nach dem Beweis⸗
ergebniſſe liegt aber die Auffaſſung näher, daß der
Kläger das Grundſtück zunächſt formlos für ſich gekauft,
die Anzahlung von 2000 M ſelbſt geleiſtet, feine Kaufs⸗
rechte, beſchwert mit den übrigen Käuferverpflichtungen,
formlos an ſeine Ehefrau abgetreten hat und daß dies
alles durch unmittelbare Auflaſſung an die Beklagte
und durch Eigentumsüberſchreibung auf ſie geheilt
worden iſt. In dieſem Falle wären die von der Ver:
pflichtung, 2000 M anzuzahlen, befreiten Kaufsrechte
der Gegenſtand der Schenkung und — gültigen Wider⸗
ruf vorausgeſetzt — könnten ſie und könnte nach ihrer
Verwirklichung durch Grundſtücksübereignung das
Grundſtück ſelbſt gemäß 8 818 Abſ. 1 BGB. mit der
Klage aus grundloſer Bereicherung zurückgefordert
werden (8 531 Abſ. 2 BGB.).
Mit Recht wird auch die Begründung bekämpft,
womit der Vorderrichter den Widerruf der Schenkung
zugelaſſen hat. Er läßt dahingeſtellt, ob grober Un—
dank der Beklagten ſchon in ihrem Wegzuge vom Kläger
zu finden ſei, erblickt ihn aber darin, daß ſie dabei
faſt die geſamte Wohnungseinrichtung, darunter viele
Sachen des Klägers, mit ſich fortgenommen hat. Dieſe
Begründung verſtößt gegen 8 530 Abſ. 1 BGB. Hier⸗
nach kann eine Schenkung widerrufen werden, wenn
ſich der Beſchenkte durch eine ſchwere Verfehlung
gegen den Schenker groben Undankes ſchuldig macht.
Die Mitnahme von Hauseinrichtungsgegenſtänden des
Klägers für ſich allein iſt nicht ohne weiteres eine
ſchwere Verfehlung, wie ſie das Geſetz verlangt. Sie
iſt im Zuſammenhange mit dem Wegzuge der Beklagten
zu beurteilen. Hatte die Beklagte, wie ſie behauptet,
wichtigen Anlaß, ihren Mann zu verlaſſen, ſo muß die
Mitfortnahme ſeiner Sachen in mildem Lichte erſcheinen
— d —— — nn nn er es ee — ———u— —tU— [ —A—ẽ —éj
2 =
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
und kann nicht als ſchwere Verfehlung i. S. des § 530
Abſ. 1 BGB. angeſehen werden.
Für alle Fälle greift die Reviſion — und zum Teil
mit Recht — auch den Klagantrag und den Urteilsſatz
des OLG. an. Der Klagantrag entſpricht mehr einer
hier nicht in Frage kommenden Grundbuchberichtigungs⸗
klage aus 8 894 BGB. Er hätte einfach auf Auflaſſung
des Grundſtückes gerichtet werden ſollen. Indeſſen iſt
auf dieſen Mangel kein ausſchlaggebendes Gewicht
zu legen (RG. 54, 378; JW. 1905 S. 290/16). Da⸗
gegen iſt es ein Rechts verſtoß gegen 88 812 iR daß der
Kläger die Einwilligung der Beklagten in die Ueber⸗
eignung des Grundſtücks verlangt und das OLE. fie
zuſpricht, ohne daß dabei die Belaſtung der angeblich
geſchenkten Kaufsrechte mit der Hypothekübernahme
von 2500 M und mit der Hypothekbeſtellung von 5500 M
durch die Beklagte berückſichtigt wird. Dieſe Laſten
muß der Kläger auf ſich nehmen und die Beklagte
davon befreien, falls ihm das Grundſtück aufgelafien
werden muß. Einer beſonderen Zurüdbehaltungsein-
rede der Beklagten bedurfte es nicht (vgl. RZ. 54,
137; JW. 1911 S. 583/24). (Urt. des V. 3S. vom
13. Dezember 1913, V 399/13).
3241
— — 2 n.
III.
Iſt 8 2094 BGB. anwendbar, wenn der Erblaſſer
ſeine Fran und ein erwartetes Kind je zur Hälfte zu
Erben einſetzt, das Kind aber tot geboren wird? Kann
eine ſolche letztwillige n wegen Irrtums an:
gefochten werden und was iſt die Felge der Anfechtung ?
Die Klägerin iſt die Witwe, der Beklagte ein Bruder
des verſtorbenen B. B. hat ein Teſtament errichtet
und darin verfügt: „Zu Erben meines Nachlaſſes ſetze
ich ein meine Ehefrau zu einer Hälfte und das zu er⸗
wartende Kind zur andern Hälfte.“ Das Kind wurde
nach dem Ableben des Erblaſſers tot geboren. Der
Beklagte hat das Teſtament angefochten. Die Witwe
hat gegen ihn auf Feſtſtellung geklagt, daß fie alleinige
Erbin geworden ſei. Das LG. gab der Klage ſtatt.
Das OLG. dagegen ſtellte feſt, daß Erben ſeien die
Klägerin zu ¼, der Beklagte und feine Schweſtern zus
ſammen zu /. Das RG. hob auf.
Aus den Gründen: Das OLG. hat ausgeführt:
Der Erblaſſer habe, indem er ſeine Frau und das zu
erwartende Kind zu je / als Erben eingeſetzt habe,
mehrere Perſonen in der Weiſe eingeſetzt, daß ſie die
geſetzliche Erbfolge ausſchlöſſen. Demgemäß wäre, da
das Kind totgeboren, alſo als Erbe weggefallen ſei,
der Erbteil des Kindes der Klägerin angewachſen
(8 2094 BGB.). Die Anfechtung des Teſtaments auf
Grund des § 2078 fei teilweiſe begründet. Der Erb⸗
laſſer habe wiederholt die Abſicht geäußert, bei kinder⸗
loſer Ehe ſeine Geſchwiſter einzuſetzen. Habe er nicht
beabſichtigt, bei kinderloſer Ehe ſeine Geſchwiſter ganz
zu übergehen, ſo ſei der in dem Teſtament ausgedrückte
Wille nur ſo zu verſtehen, wenn der Erblaſſer damit
gerechnet habe, das Kind werde lebend geboren. Daß
eine Totgeburt nicht ausgeſchloſſen fei, möge er ge—
wußt haben; der Ausgang der erſten Entbindung habe
genügend Anlaß dazu gegeben. Dennoch ſei für ihn
eine ſolche Möglichkeit nicht beſtimmend geweſen; er
hätte ſich ſonſt mit dem Notar beraten und dieſer hätte
vorausſichtlich nicht unterlaſſen, für den Fall der Tot⸗
geburt eine Verfügung zu entwerfen. Von dem An⸗
wachſungsrecht ſei nicht die Rede geweſen. Habe der
Erblaſſer auch die Möglichkeit einer Totgeburt bedacht
und das Teſtament auch hierfür vorgeſehen, ſo müſſe
er ſich in der irrigen Annahme befunden haben, die
geſetzliche Erbfolge trete wegen der Hälfte des Kindes
ein. In jedem Falle habe eine nach 8 2078 maß»
gebliche irrige Annahme des Eintritts eines Umſtandes
den Erblaſſer geleitet. Bei Kenntnis der Sachlage hätte
er für den Fall der Totgeburt zugunſten der Geſchwiſter
Vorſorge getroffen. Die Anfechtung beſeitige im Zweifel
— —— —y—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
nur die einzelne vom Irrtum betroffene Verfügung.
Die Klägerin hätte der Erblaſſer ohnehin auf die Hälfte
eingeſetzt. Daraus, daß er ſie über die geſetzliche Ver⸗
teilung hinaus gegenüber dem Kinde bevorzugt habe,
ſei zu ſchließen, daß er dies um ſo mehr getan hätte,
wenn fie neben Geſchwiſtern erbte. Möglicherweiſe
habe er die freie Hälfte der Klägerin und ſeinen Ge⸗
ſchwiſtern zugedacht. Jedenfalls komme dieſes Ergebnis
ſeinem vermutlichen Willen am nächſten. Würde auch
die Einſetzung der Klägerin befeitigt, fo erbte fie nur
die Hälfte. Die Folge der Anfechtung fei, daß der
Erblaſſer nur über die Hälfte wirkſam verfügt habe.
Die Umſtände ergäben, daß die zweite Hälfte der
Klägerin nicht ganz zugedacht geweſen ſei. Für 8 2089
BEL. fei kein Raum. Auch 8 2094 greife nicht Platz.
Es ſei erſichtlich, daß die geſetzliche Erbfolge nicht habe
ausgeſchloſſen ſein ſollen und daß der Klägerin nicht
der ganze Nachlaß zugedacht geweſen ſei.
Dieſe Ausführungen geben zu Bedenken Anlaß.
Der Reviſion des Beklagten läßt ſich allerdings nicht
beitreten, wenn geltend gemacht wird, die Anwendung
des 8 2094 BG. komme nicht in Frage; der Erb⸗
laſſer habe nicht mehrere Erben in der Weiſe einge⸗
ſetzt, daß fie die geſetzliche Erbfolge ausſchlöſſen; die
Einſetzung des Ungeborenen ſei unwirkſam. Dieſe Rüge
kann der Reviſion des Beklagten keinen Erfolg ver⸗
ſchaffen: denn wenn die Ausführungen der Reviſion
richtig wären, fo wäre die Entſcheidung des OL. nach
8 2088 Abſ. 1 zutreffend. Es iſt aber dem OLG. darin
beizutreten, daß die Erbeinſetzung eines Ungeborenen
zur Anwendung des 8 2094 führen kann. B. hat
mehrere Erben in der Weiſe eingeſetzt, daß ſie die ge⸗
ſetzliche Erbfolge ausſchloſſen. Der zu der zweiten
Hälfte Eingeſetzte iſt nicht Erbe geworden, iſt alſo als
Erbe weggefallen. Die in § 2094 Abſ. 1 Satz 1 bes
ſtimmten ie ſind damit gegeben. Es
liegt kein Grund vor, dieſen Fall anders zu behandeln
als den Fall, daß ein Erblaſſer jemand als Erben
einſetzt, der zur Zeit des Erbfalls nicht am Leben iſt.
Bei der e eines Ungeborenen kommt nur
die Beſonderheit in Betracht, daß die nach dem Erb⸗
fall eintretende Geburt eines lebenden Kindes als vor
dem Erbfall N gilt, wenn es vor dem Erbfall er⸗
zeugt wurde (8 1923). Dagegen iſt zu beanſtanden,
daß das OLG. ſich nicht darüber ausgeſprochen hat,
ob der Erblaſſer die Anwachſung ausgeſchloſſen habe,
(8 2094 Abſ. 3), obwohl der Beklagte dies geltend
gemacht hatte. Zwar heißt es an einer Stelle, die
Umſtände ergäben, daß die zweite Hälfte der Klägerin
nicht ganz zugedacht geweſen ſei, und an einer andern,
es ſei erſichtlich, daß die gefetzliche Erbfolge nicht habe
ausgeſchloſſen werden ſollen. Aber es iſt nicht geprüft,
ob der Erblaſſer die Anwachſung ausgeſchloſſen hat,
wenn nicht ausdrücklich ſo doch ſtillſchweigend.
Die beiden in 8 1 des Teſtamentes enthaltenen
Verfügungen ſind angefochten worden; ſowohl die
Erbeinſetzung des Kindes als auch die Erbeinſetzung
der Klägerin ſoll nach der Meinung des Beklagten als
nichtig anzuſehen ſein. Die Anfechtung der Erbein⸗
ſetzung der Klägerin hat das OLG. nicht für begründet
erklärt. Inſoweit hat der Beklagte das Berufungs⸗
urteil angegriffen. Seinem Angriff iſt Erfolg zu ge⸗
währen. Die Anfechtung iſt auf § 2078 geſtützt. Das
Os G. hat angenommen, daß der Erblaſſer bei der Er.
richtung des Teſtaments im Irrtum geweſen ſei; der
Erblaſſer Dre entweder angenommen, das Kind werde
lebend geboren, oder er habe, wenn er die Möglichkeit
einer Totgeburt bedacht habe, angenommen, in dieſem
Falle trete in Anſehung der dem Kind ausgeſetzten
Hälfte des Nachlaſſes die geſetzliche Erbfolge ein. Für
die Beurteilung der Reviſionsangriffe des Beklagten
iſt von der dem Beklagten günſtigen Auffaſſung des
OLE. auszugehen, daß der Erblaſſer irrig angenommen
oder erwartet habe, das Kind werde lebend geboren
werden. Es iſt möglich, wegen eines ſolchen Irrtums
— nn
127
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des Erblaſſers die Erbeinſetzung der Klägerin nach
8 2078 Abſ. 2 anzufechten. Daher war zu prüfen, ob
der Erblaſſer nicht durch die irrige Annahme oder Er⸗
wartung, das Kind werde lebend geboren werden, be⸗
ſtimmt worden ſei, die Klägerin als Erbin zur Hälfte
einzuſetzen. Dieſe Frage hat das Os G. nicht entſchieden.
Zwar führt das OLG. aus, der Erblaſſer hätte die
Klägerin ohnehin auf die Hälfte eingeſetzt; daraus,
daß er ſie dem Kinde gegenüber bevorzugt habe, ſei
zu ſchließen, daß er ſie um ſo mehr bevorzugt hätte,
wenn ſie neben Geſchwiſtern erbte. Allein dieſe Er⸗
wägungen haben das OLG. nicht dazu geführt, aus⸗
uſprechen, daß der Erblaſſer durch die bezeichnete irrige
nnahme zu der Erbeinſetzung der Klägerin nicht be⸗
ſtimmt worden ſei. Bei ſeinen Erwägungen hat das
OLG. auch die 88 1931, 1932 nicht beachtet. Wenn
der Erblaſſer ſeine Ehefrau bevorzugen wollte, ſo hatte
er nur dann einen Anlaß, ſie als Erbin zur Hälfte
des Nachlaſſes einzuſetzen, wenn er die Erbfolge eines
Abkömmlings ins Auge faßte. Wurde die Erbin auch
egenüber miterbenden Geſchwiſtern des Erblaſſers zur
älfte des Nachlaſſes als Erbin eingeſetzt, ſo wurde
fie nicht bevorzugt, ſondern benachteiligt (vgl. 8 1932).
Daß der Erblaſſer gedacht hätte, die Klägerin erhalte,
wenn ſie mit ſeinen Geſchwiſtern erbe, zu der ihr teſta⸗
mentariſch zugewendeten Hälfte des Nachlaſſes noch
einen Teil als geſetzliche Erbin, ſie werde alſo unter
allen Umſtänden durch die Erbeinſetzung bevorzugt, hat
das OLG. nicht angenommen. Denn nach feiner Auf⸗
faſſung dachte der Erblaſſer nicht an den Eintritt einer
Totgeburt und an den Eintritt einer geſetzlichen Erb⸗
folge, falls für ihn die Annahme beſtimmend war, das
Kind werde lebend geboren.
ür die Anfechtung der Erbeinſetzung der Klägerin
läßt ſich die Annahme des OLG. nicht verwerten, daß
die Anfechtung eines Teils der letztwilligen Verfügung
auch begründet ſei, wenn der Erblaſſer die Möglichkeit
einer Totgeburt bedacht habe, weil er ſich in dieſem
Falle in einem Irrtum über den Eintritt der geſetz⸗
lichen Erbfolge befunden habe. Dagegen wendet ſich
gegen dieſen Teil des Berufungsurteils mit Recht die
Anſchlußreviſion der Klägerin. Wenn der Erblaſſer
die Möglichkeit einer Totgeburt bedacht hat, ſo war
er in dieſem Punkte nicht in Irrtum, iſt alſo nicht
durch die irrige Annahme oder Erwartung, das Kind
werde lebend geboren, zu ſeiner Verfügung beſtimmt
worden. Der Irrtum beſtand alsdann nach der Auf⸗
faſſung des OLG. nur darin, daß der Erblaſſer an⸗
nahm, es werde die geſetzliche Erbfolge hinſichtlich der
einen Hälfte des Nachlaſſes eintreten, wenn das Kind
tot geboren werde. Dieſer Irrtum könnte wohl den
Erblaſſer beſtimmt haben, eine Verfügung für den Fall
zu unterlaſſen, daß es zu einer Totgeburt komme,
es iſt aber unmöglich anzunehmen, daß der Erblaſſer
durch einen ſolchen Irrtum zu der von ihm getrof⸗
fenen Verfügung beſtimmt worden ſei, alſo beſtimmt
worden ſei, die Erbeinſetzung des Kindes anzuordnen.
Inſoweit hat das OLG. den § 2078 Abſ. 2 unrichtig
angewendet. Aber auch inſoweit iſt die Anwendung
des 8 2078 Abſ. 2 zu beanſtanden, als das OLG. die
Annahme des Erblaſſers, das Kind werde lebend ge⸗
boren werden, in Verbindung mit der Tatſache, daß
das Kind nicht lebend geboren wurde, für genügen
erachtete, den Tatbeſtand des 8 2078 Abf. 2 hinſichtlich
der Erbeinſetzung des Kindes feſtzuſtellen. Wer jemand
zum Erben einſetzt, geht in der Regel davon aus oder
rechnet damit, daß der Eingeſetzte wirklich Erbe werde.
Fällt der Eingeſetzte als Erbe weg, ſo läßt ſich nicht
darauf allein, daß der Erblaſſer angenommen habe,
der Eingeſetzte werde Erbe werden, die Feſtſtellung
gründen, der Erblaſſer ſei durch die irrige Annahme
des Nichteintritts des den Wegfall des Erben begrün⸗
denden Ereigniſſes zu der Erbeinſetzung beſtimmt worden.
Bei der neuen Verhandlung wird auch die An—
wendung des § 2078 Abſ. 1 BGB. in Betracht zu ziehen
128
fein, falls das OLG. etwa die Ueberzeugung gewinnen
ſollte, der Erblaſſer habe die letztwillige Verfügung
nur für den Fall treffen wollen, daß das Kind lebend
geboren werde, ſeinen Willen aber nicht richtig aus⸗
gedrückt. (Urt. des IV. 35. vom 10. November 1913,
IV 351/13).
3243
IV.
Keine Einrede der Nechtshängigkeit wegen eines beim
ausländiſchen Gerichte ſchwebenden Rechtsſtreits, wenn
ausſchließlicher inländiſcher Gerichtsſtand vereinbart
war. Aus den Gründen: Der Wortlaut des ſchrift⸗
lichen Vertrages läßt ſehr wohl die oberlandesgericht⸗
liche Auslegung zu, daß die vereinbarte Zuſtändig⸗
keit der Gerichte in M. ausſchließlich ſei. Der Zu⸗
ſammenhang mit der Vereinbarung des Erfüllungs⸗
orts, der nur als ausſchließlicher gemeint fein kann,
und der Unterwerfung der Rechtsbeziehungen der
Parteien unter das deutſche Recht legen eine ſolche
Auslegung ſogar nahe. JW. 1912, 79 2˙ ſteht nicht ent⸗
gegen, denn dort war lediglich eine Vereinbarung
über den Erfüllungsort getroffen. Hatten aber die
Streitteile die ausſchließliche Zuſtändigkeit der Gerichte
in M. vereinbart, fo war nach § 328 Nr. 1 ZPO.
dem etwa in Mailand ergehenden Urteile die Aner⸗
kennung zu verſagen. Die Tatſache des Schwebens
des Rechtsſtreits vor dem Gerichte in Mailand konnte
alſo, wie das BG. in Uebereinſtimmung mit der Recht⸗
ſprechung des RG. zutreffend ausführt, die Einrede
der Rechtshängigkeit nicht begründen. Nicht begründet
iſt der Zweifel, ob die Vorausſetzungen des § 328 I
ZPO. nicht nur dann gegeben ſeien, wenn die Unzuſtän⸗
digkeit der ausländiſchen Gerichte aus den deutſchen
Geſetzen ſich unmittelbar ergebe, eine lediglich
auf Parteivereinbarung beruhende ausſchließliche Zu⸗
ſtändigkeit eines inländiſchen Gerichts alfo nicht in Be⸗
tracht komme. Haben die Parteien die nach deutſchem
Prozeßrechte zuläſſige Vereinbarung eines beſtimmten
inländiſchen Gerichtsſtandes als eines ausſchließlichen
getroffen, ſo iſt damit die Unzuſtändigkeit der aus⸗
ländiſchen Gerichte „nach den deutſchen Geſetzen“ ge⸗
geben. Das RG. hat für den der Nr. 1 8 328 380.
entſprechenden 8 661 Nr. 3 der älteren Faſſung der
ZPO. angenommen, daß auch eine durch Parteiver⸗
einbarung begründete Zuſtändigkeit der ausläns
diſchen Gerichte zu berückſichtigen ſei (RG. 7, 407, 408;
37, 373; 65, 329, 331). Es liegt kein Grund vor, die
Parteivereinbarung anders zu behandeln, welche die
Zuſtändigkeit der ausländiſchen Gerichte ausſchließt.
(Urt. des III. 35. vom 7. Januar 1914, III 383/13).
3250 — 4 —
V.
Feſtſtellungsintereſſe bei der negativen Feſtſtellungs⸗
klaae. Aus den Gründen: Die Frage, ob die Ans
maßung eines Forderungsrechts für denjenigen, dem
gegenüber ſie erfolgt, das rechtliche Intereſſe an der
alsbaldigen Feſtſtellung des Nichtbeſtehens dieſes For⸗
derungsrechts begründet (S 256 ZPO.), läßt ſich nur
unter Berückſichtigung der Lage des einzelnen Falles
entſcheiden. Es iſt davon auszugehen, daß bei der zur
negativen Feſtſtellungsklage herausfordernden ernſt—
lichen Rechtsberühmung allemal die Wahrſcheinlichkeit
eher für als gegen die Annahme eines Intereſſes des
Klägers an der alsbaldigen Feſtſtellung iſt. Hier kann
das Vorhandenſein dieſes Intereſſes aber auch nicht
zweifelhaft fein. Die beiden Poſten, die die Forderung
ergeben ſollen, und die nach Behauptung des Klägers
unrichtig ſind, werden ſich von Jahr zu Jahr durch
die Bilanzkonto-Aufſtellungen foriſchleppen. Daß da—
durch die Möglichkeit einer Aufklärung der Richtigkeit
dieſer Poſten nicht erleichtert ſondern erſchwert wird,
leuchtet ohne weiteres ein. Allerdings iſt ja der Be—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
klagte für die Richtigkeit der Poſten beweispflichtig.
Aber ein Intereſſe des Klägers an der alsbaldigen
Aufklärung läßt ſich nicht etwa aus dieſem Grunde
verneinen, zumal ſich nicht überfehen läßt, ob nicht
bei der Erörterung über die Poſten Umſtände in Be.
tracht kommen, für die der Kläger beweispflichtig
iſt. Der Kläger hat auch darauf hingewieſen, daß
durch weiteren Zeitablauf die Klarſtellung des Sach⸗
verhalts inſofern erſchwert werde, als ihm dadurch
das Beweismittel der Ausſagen zweier Zeugen ver⸗
loren gehen könne, von denen der eine in hohem Alter
ſtehe, während das Erinnerungsvermögen des anderen
im Laufe der Jahre ſicherlich nachlaſſen werde. Auch
dieſer Geſichtspunkt iſt beachtlich. Allerdings kann
nicht alleiniger Zweck der Feſtſtellungsklage die Siche⸗
rung des Beweiſes ſein, und die Feſtſtellungsklage iſt
nicht der regelmäßige Erſatz für die Beweisſicherung,
aber die Gefahr des Verluſts von Beweismitteln kann
zur Begründung des Feſtſtellungsintereſſes mit ver⸗
wendet werden. (Es wird weiter ausgeführt, daß die
ſachliche Entſcheidung dieſes Rechtsſtreits zur Erſparung
von Koſten diene, und daß ſie auch inſofern im In⸗
tereſſe des Klägers liege). (Urt. d. III. ZS. vom 7. Ja⸗
nuar 1914, III 316/1913). — a —
3254
C. Straffaden.
I
Liebesbrieſeals rechts⸗ und beweiserhebliche Urkunden.
Aus den Gründen: Der verheiratete Angeklagte
hat ſich einem Mädchen unter falſchem Namen mit der
Vorſpiegelung genähert, ſie heiraten zu wollen. Er
hat dies nur „der Zerſtreuung halber“ getan und hat
vor und nach dem Eheverſprechen zur Aufrechterhaltung
der Täuſchung über ſeine Perſon mit dem Mädchen
unter dem falſchen Namen Briefe gewechſelt, worin er
ſeine Liebe beteuert und den Wunſch nach baldiger
Heirat ausſpricht. Der Angeklagte behauptet, eine Ur»
kundenfälſchung liege nicht vor, weil er ſich von vorn⸗
herein unter jenem falſchen Namen vorgeſtellt und durch
die Führung des Namens in den Briefen nur das ans
genommene Inkognito“ gewahrt habe. Der Tatbeſtand
der Urkundenfälſchung wird aber dadurch nicht aus⸗
geſchloſſen, daß ſich der Täter ſchon vorher einen falſchen
Namen beigelegt hat und nur die Täuſchung über den
Namen des wahren Ausſtellers unterhalten will. Fehl
geht ferner die Ausführung, daß die Briefe nicht beweis⸗
erheblich für Rechtsverhältniſſe ſeien, weil ſie nur ein⸗
ſeitige und nicht ernſtgemeinte ungültige Eheverſprechen
des verheirateten Angeklagten enthielten. Da ein ein⸗
ſeitiges Eheverſprechen durch die Erklärung des anderen
Teils zum Verlöbnis werden kann, ſo kommt auch der
durch das einſeitige Eheverſprechen geſchaffenen Lage
die Bedeutung eines Rechtsverhältniſſes zu. Darauf
aber, ob das vorliegende Eheverſprechen ernſtgemeint
und ob ſeine Erfüllung möglich war, kommt es nicht
an für die abſtrakt zu prüfende Frage, ob eine Ur⸗
kunde, die ein Eheverſprechen enthält, für Rechtsver⸗
hältniſſe beweiserheblich iſt. (Urt. d. V. Sts. vom
20. Januar 1914, 5 D 840/1913).
3260
— — —n.
II.
„Feſtlegung“ der Hunde auf Grund des Viehſenchen⸗
geſezes. Aus den Gründen: Soweit es ſich um
die Verurteilung aus SS 74, 40 Vieh SG. handelt, geht
der Beſchwerdeführer davon aus, Zweck des Geſetzes
ſei, die Hunde wegen der Anſteckungsgefahr mit fremden
Hunden nicht in Berührung kommen zu laſſen. Dieſer
Ausgangspunkt iſt unrichtig. Das ViehS. ſchützt
Rechtsgüter und zwar in erſter Linie die wichtigſten:
Leben und Geſundheit der Menſchen. Das Feſtlegen
der Hunde, das unter den Vorausſetzungen des § 40
— — — —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
nach geſetzlicher Vorſchrift polizeilich angeordnet werden
muß, ſoll daher vor allem verhindern, daß Menſchen
durch frei ſich bewegende Hunde gebiſſen werden. Hier⸗
bei iſt von der Erfahrung ausgegangen, daß Hunde, die
von der Seuche befallen ſind, einen unbezwinglichen
Freiheitsdrang und eine große Beißwut haben und
daß ſie daher, wenn ſie nicht rechtzeitig feſtgelegt werden,
1 beißen können, bevor der Ausbruch der Seuche
bei ihnen erkannt iſt. Dieſer Gefahr ſoll die Feſtlegung
vorbeugen. Als eine Verſchärfung der Maßregel des
Feſtlegens tritt die Anordnung hinzu, die in 8 114
Abſ. 3 der BRV. vom 7. Dezember 1911 vorgeſehen
it (RGBl. 1912 S. 8 [AllgVBO.]). Danach kann an⸗
geordnet werden, daß die angeketteten oder eingeſperrten
Hunde ſo abgeſondert werden, daß fremde Hunde mit
ihnen nicht in Berührung kommen können. Während
die Feſtlegung ſchlechkhin angeordnet werden muß und
ſich die Verpflichtung zu dieſer Anordnung unmittelbar
auf das Geſetz, nämlich auf 8 40 Abſ. 1 ViehSG. gründet,
iſt die dem 8 114 Abſ. 3 a. a. O. entſprechende An⸗
ordnung dem pflichtmäßigen Ermeſſen der ausführen⸗
den Polizeibehörde überlaſſen; auch beruht ſie nicht
auf 8 40 Vieh SG., ſondern auf der in § 19 Abſ. 1. 4
daſelbſt erteilten geſetzlichen Ermächtigung, wie in $ 114
Abſ. 3 AllgBO. beſonders hervorgehoben iſt. Der
Geſichtspunkt, den der Beſchwerdefuührer als den für
§ 40 Vieh. allein maßgebenden anſieht, hat m. a. W.
unmittelbare Bedeutung und Geltung erſt für die An⸗
ordnung aus 8114 Allg BO. Dadurch wird nicht aus⸗
geſchloſſen, daß auch ſchon die Feſtlegung bis zu einem
gewiſſen Grade die Berührung von Hunden mit anderen
Hunden hindern und inſoweit bereits demſelben Zwecke
dienen wird, wie die Anordnung aus S 114 AllgBO.
Der Bundesrat hat in den Ausf. den geſetzlichen
Begriff der Feſtlegung durch die Hinzufügung: „(An⸗
tettung oder Einſperrung)“ erläutert. Damit hat er
den Begriff der Feſtlegung dem Sinne und Zwecke des
Geſetzes und vernünftiger Berückſichtigung der gegebenen
Lebensverhältniſſe entſprechend beſtimmt. Der Ange⸗
klagte hat danach das Gegenteil von dem getan, was
er nach den maßgebenden Rechts vorſchriften zu tun hatte.
Er ließ ſeinen Hund in ſeinem Hauſe und dem an⸗
ſtoßenden Garten frei umherlaufen, ſo daß der Hund
nicht nur mit den Hausbewohnern, ſondern auch mit
allen den Perſonen in Berührung kommen konnte, die
Haus oder Garten betraten. Nicht ein übriges hat der
Angeklagte getan, wenn er ſtrenge Anweiſung gab,
den Hund anzuketten, bevor die Haustüre geöffnet wurde,
ſondern unzulängliches. Denn das Geſetz fordert in
den ſich aus „Ankettung und Einſperrung“ ergebenden
natürlichen Grenzen fortdauernde und tatſächliche Ver⸗
hinderung ungewollter Berührungen von Menſchen
mit Hunden. Davon iſt nicht die Rede, wenn der
Hundebeſitzer die Ankettung nur vorübergehend bei
Eintritt beſonderer Umſtände vornehmen läßt, ihre tat⸗
ſächliche Vornahme auch jedesmal von der Gewiſſen⸗
haftigkeit und Aufmerkſamkeit abhängig macht und
ſich im übrigen mit der Erwartung begnügt, daß die
Dinge ſtets den Verlauf nehmen werden, den er wünſcht
und vorausſetzt. Auch der Hinweis, daß Haus und
Garten von außen nicht ohne weiteres geöffnet werden
konnten, iſt bedeutungslos. (Urt. d. V. StS. vom
11. November 1913, VD 503/1913).
3261
—— -n.
III.
Kein Berichtigungs verfahren, wenn die Geſchworenen
die Frage nach der Strafbarkeitseinſicht verneinen und
zugleich die Frage nach mildernden Umſtänden bejahen.
Aus den Gründen: Das Gericht hat die Berichtigung
des Spruches angeordnet, da es ihn für undeutlich und
unvollſtändig erachtete. Die Geſchworenen hatten die
Fragen 4 und 7 verneint, in denen gefragt war, ob
die Angeklagten Br. und E. die Strafbarleitseinſicht
beſeſſen haben, und zugleich die Fragen 5 und 8 nach
— ü A——̃ꝛ3ßů3ßL«¶ꝗL.3.1 1
129
mildernden Umſtänden bejaht. Das Gericht führt aus.
es habe aus der Art der Antworten die Ueberzeugung
gewonnen, daß die Geſchworenen die Fragen 4 und 7
nicht verſtanden und deshalb die an ſie geſtellten
Fragen unbeantwortet gelaſſen haben. Der Reviſions⸗
angriff muß Erfolg haben. Das Gericht durfte es nicht
als einen Widerſpruch auffaſſen, wenn die das Vor⸗
handenſein mildernder Umſtände betreffenden Neben⸗
fragen bejaht wurden. Zwar waren die Geſchworenen
durch die Art der Frageſtellung darauf hingewieſen, daß
dieſe Nebenfrage nur zu beantworten ſei, wenn ſowohl
die Hauptfrage als auch die auf die Einſicht gerichtete
erſte Nebenfrage bejaht wurden, und da dieſe Vorauss
ſetzung nicht oder doch nur hinſichtlich der Hauptfrage
gegeben war, ſo bedurfte die zweite Nebenfrage keiner
Antwort. Allein es begründete weder einen Wider⸗
ſpruch, noch eine Undeutlichkeit und Unvollſtändigkeit,
wenn die Geſchworenen gleichwohl auch die zweite
Nebenfrage prüften und bejahten. Dies hat in einem
on Falle der III. Strafſenat dargelegt (RESt.
27 S. 392). Auf dieſes Urteil wird verwieſen. Die
Bejahung der mildernden Umſtände läßt nicht auf eine
Undeutlichkeit oder Unvollſtändigkeit ſchließen. Das
Schwurgericht hält allerdings die Bejahung der Frage
für rechtlich und tatſächlich zutreffend. Daraus würde
höchſtens folgen, daß die Geſchworenen zu einer an⸗
deren Auffaſſung gelangt ſind, als das Schwurgericht.
Sie würden ſich dabei aber vollſtändig im Rahmen
der ihnen allein zuſtehenden Befugniſſe zur Beurteilung
der Schuldfrage gehalten haben. Sie mögen in deren
Beurteilung tatſächlich oder rechtlich geirrt haben, haben
aber nicht die Fragen mißverſtanden und die wirklich
geſtellten Fragen unbeantwortet gelaſſen. Die Nach⸗
prüfung der Frage, aus welchem Grunde die Ge⸗
ſchworenen zur Verneinung der Fragen 4 und 7 ge⸗
langt ſind, ſtand dem Gericht nicht zu, am wenigſten
in der Weiſe, daß es ſelbſt die Beweisfrage prüfte und
annahm, die Geſchworenen hätten die Fragen 4 und 7
nicht verſtanden und ſie deshalb unbeantwortet ge⸗
laſſen oder unrichtig beantwortet. Durch die Verkün⸗
dung des erſten Spruches, der weder widerſpruchsvoll
noch undeutlich oder unvollſtändig war, hatte der Be⸗
ſchwerdeführer das Recht erlangt, dieſem Spruche ge⸗
mäß abgeurteilt zu werden. Die Verneinung der Ein⸗
ſicht mußte nach 8 56 Abſ. 1 StGB. zur Freiſprechung
führen. (Urt. des V. Sts. vom 5. Dezember 1913, V
D 773/13). ä
3262
IV.
Iſt es zuläſſig, daß ein Verteidiger einen Zeugen,
der nach Belehrung durch den Vorfitzenden ſich des Zeug:
niſſes entſchlagen hat, noch darüber belehrt, was er als
Zeuge bekunden fol? Muß der Vorſitzende dem Ber:
teidiger eine ſolche Belehrung geſtatten? Aus den
Gründen: Nachdem die Zeugin, eine Schweſter des
Angeklagten, mit dem Gegenſtande der Unterſuchung
und der Perſon des Angeklagten bekannt gemacht und
über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt, erklärt
hatte, daß ſie ſich nicht vernehmen laſſe, bat der Ver⸗
teidiger, die Zeugin darüber belehren zu dürfen, was
ſie eigentlich bekunden ſolle. Dieſer Bitte gab der Vor⸗
ſitzende nicht ſtatt, weil er ein ſolches Verfahren für
prozeßordnungswidrig halte; auf ſeine Anregung be⸗
ſchloß das Gericht, das Verfahren des Vorſitzenden ſei
nicht zu beanſtanden. Mit dieſem Beſchluß hat das
Gericht die auf die Sachleitung bezügliche Anordnung
des Vorſitzenden, daß der Verteidiger die Zeugin nicht
ſeinem Wunſche gemäß belehren dürfe, gebilligt. Ein
Anlaß zu dieſer Entſcheidung des Gerichts lag nach
§ 237 Abſ. 2 StPO. nicht vor, weil die Anordnung
des Vorſitzenden noch nicht beanſtandet war. Wenn
ſie gleichwohl auf Anregung des Vorſitzenden erlaſſen
wurde, offenbar weil eine Beanſtandung durch den
Verteidiger erwartet wurde, ſo iſt dadurch der An—
130
"gellagte nicht beſchwert. Nach 3 237 Abſ. 1 StPO.
ſteht dem Vorſitzenden die Leitung der Verhandlung
und die Aufnahme des Beweiſes zu. Dazu gehört auch
die in 8 51 Abſ. 2 StPO. vorgeſchriebene Belehrung
der Zeugen über ein Zeugnisverweigerungsrecht. Eben⸗
ſo iſt es Sache des Vorſitzenden, dem Zeugen gemäß
§ 68 StPO. vor feiner Vernehmung den Gegenſtand
der Unterſuchung und die Perſon des Beſchuldigten zu
bezeichnen. Nach beiden Richtungen iſt die Zeugin
vom Vorſitzenden aufgeklärt worden. Damit iſt dem
Geſetz genügt. Eine Belehrung des Zeugen darüber,
„was er eigentlich bekunden ſolle“, iſt mit gutem Grund
vom Geſetz nicht vorgeſchrieben. Der Angeklagte und
der Verteidiger haben kein Recht, eine ſolche Belehrung
zu verlangen, und der Verteidiger hat kein Recht darauf,
daß der Vorſitzende ihm geſtattet, ſie ſelbſt dem Zeugen
zu erteilen. Allerdings iſt es nicht etwa nach dem
Geſetz unzuläſſig, daß der Vorſitzende dem Verteidiger
eine ſolche Erlaubnis erteilt, und wenn die Strafkammer
ſich darüber im Irrtum Den und deshalb den
Antrag des Verteidigers abgelehnt hätte, wäre ihr
Beſchluß nicht zu billigen. Für einen ſolchen Irrtum
liegt aber kein genügender Anhalt vor. Der Ausdruck
„prozeßordnungswidrig“ nötigt dazu nicht. Er kann auch
in dem Sinne gebraucht ſein, daß im gegebenen Fall das
Verlangen des Verteidigers prozeßordnungswidrig fei,
nämlich weil die gewünſchte Belehrung Sache des Vor⸗
ſitzenden und bereits von dieſem ſachgemäß erteilt ſei,
ſo daß das Verlangen des Verteidigers als unange⸗
meſſene und deshalb unzuläſſige Einmiſchung in die
nach 8 237 StPO. dem Vorſitzenden zuſtehende Sach⸗
leitung erſcheine. So verſtanden wäre der Ausdruck
„prozeßordnungswidrig“ nicht zu beanſtanden, und ob
in dieſem Sinne das Verlangen des Verteidigers prozeß⸗
ordnungswidrig war, iſt eine Ermeſſensfrage, die in
der Reviſionsinſtanz nicht nachgeprüft werden kann.
(Urt. d. I. StS. vom 8. Dezember 1913, 1 D 699/1913).
3247 E.
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
Bedeutung der Nachlaßverwaltung. Nechnung über
die r und die Vergütung des Nachlaßverwalters,
Zunſtändigkeit zu ihrer Berbeiheidung und Verfahren
iebei. (BG. SS 1975, 1915, 1962, 1835, 1836, 1837,
840—1843, 1892, 1987; GG. 88 20, 75). Ein Nach⸗
laßverwalter veräußerte Grundſtücke an die Pappen⸗
fabriken H. Der Käufer focht den Kaufvertrag an. In
der Berufungsinſtanz ſchloß der Nachlaßverwalter mit
dem Käufer einen Vergleich. Das Nachlaßgericht lehnte
am 26. Juni 1908 die Genehmigung des Vergleichs
ab, weil er dem Wohle der Gläubiger zuwiderlaufe.
In einer Gegenvorſtellung vom 27. Juni 1908 erklärte
der Nachlaßverwalter: „Wenn das Gericht den Ver⸗
gleich nicht genehmigen könne, ſo bitte er die Akten
der höheren Inſtanz vorzulegen“. Das Nachlaßgericht
hat hierauf keine Verfügung getroffen. Am 29. Oktober
1908 erneuerten der Nachlaßverwalter und der Prozeß—
gegner den Vergleich mit einigen Aenderungen. Als der
Nachlaßverwalter die Abrechnung über die Einnahmen
und Ausgaben vorlegte und damit einen Anſpruch auf
Vergütung für die Fuͤhrung ſeines Amtes im Betrage
von ! bis 2% der Nachlaßmaſſe verband, ſetzte das Nach—
laßgericht das Honorar des Nachlaßverwalters „eins
ſchließlich aller Auslagen“ auf 6000 MH feſt. In einer
weiteren Verfügung führte das Nachlaßgericht aus,
daß der dem Nachlaßverwalter nach Abzug der Ge—
richtskoſten verbleibende Reſt 4792.41 M betrage und
daß. dieſer Reſt dem Nachlaßverwalter für ſein auf
N
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
6000 M einſchließlich der Auslagen feſtgeſetztes Honorar
gebühre, daß aber von den 5451.61 M betragenden
Koſten und Auslagen für den Prozeß mit den Pappen⸗
fabriken H. nur ein Betrag von 900 M als die Nach⸗
laßmaſſe treffend anerkannt werde, während die übrigen
Auslagen und insbeſondere 700 M, die der Nachlaß⸗
verwalter auf Grund des Vergleichs besen nicht die
Nachlaßmaſſe treffen, weil der Vergleich durch das
Nachlaßgericht nicht genehmigt wurde. Gegen die Ver⸗
fügung vom 8. November 1913 legte der Nachlaßver⸗
walter Beſchwerde ein. Das LG. verwarf ſie als un⸗
zuläſſig. Auf die weitere Beſchwerde hob das Obs.
den Beſchluß des LG. und die Verfügungen des Nach⸗
laßgerichts auf und verwies die Sache zurück.
Gründe: Die Nachlaß verwaltung iſt nach § 1975
BGB. eine Aeg ſchaft zum Zwecke der Befriedigung
der Nachlaßgläubiger. Auf eine Pflegſchaft ſind nach
8 1915 B88. und 8 75 GJ. vorbehaltlich beſonderer
Vorſchriften die Vorſchriften für die Vormundſchaft ent⸗
ſprechend anzuwenden. Vormundſchaftsgericht iſt nuch
8 1962 BGB. das Nachlaßgericht. Nach dem hiernach
anwendbaren 8 1837 BGB. hat das Nachlaßgericht die
geſamte Tätigkeit des Nachlaßverwalters zu beauf⸗
ſichtigen. Ohne ſeine Genehmigung kann der Nachlaß⸗
verwalter nach 8 1821 Nr. 1 BGB. über ein zum Nach⸗
laſſe gehöriges Grundſtück nicht verfügen und nach
8 1822 Nr. 12 BGB. keinen Vergleich in einem Rechts⸗
ſtreite ſchließen, deſſen Gegenſtand den Nachlaß betrifft
und den Wert von 300 M überfteigt. Der Nachlaß⸗
verwalter hat dem Nachlaßgericht nach 8 1840 bis 1843
BGB. jährlich und nach 8 1892 BB. am Schluſſe
ſeiner Verwaltung Rechnung zu legen. Das Nachlaß⸗
gericht hat die Rechnung zu prüfen und ſie, ſoweit er⸗
forderlich, ergänzen und berichtigen zu laſſen. Die Ab⸗
nahme der Schlußrechnung hat es durch Verhandlung
mit den Beteiligten zu vermitteln und, ſoweit die Rech⸗
nung als richtig anerkannt wird, das Anerkenntnis zu
beurkunden. Der Nachlaßverwalter kann nach 8 1987
BGB. eine angemeſſene Vergütung verlangen. Die
Vergütung wird unter Ausſchluß des Prozeßwegs durch
das Nachlaßgericht feſtgeſetzt (8 1836 BGB.; Nachl O.
85 Abſ. 2; vgl. Planck, BGB. 3. Aufl. Bem. 8 zu
1987, n. Samml. 4 S. 474 und 6 S. 749). Macht
der Nachlaßverwalter Aufwendungen, ſo kann er deren
Erſatz nach 8 1835 BGB. verlangen. Ueber die Erſatz⸗
anſprüche des Nachlaßverwalters kann das Nachlaß⸗
gericht nicht entſcheiden; über die zu erſtattenden Auf⸗
wendungen entſcheidet im Streitfalle das Prozeßgericht.
(Vgl. n. Samml. 3 S. 182, OL GRſpr. 8 S. 361.) Das
Nachlaßgericht kann zu dem Erſatze von Aufwendungen
nur in dem Sinne Stellung nehmen, daß es die Auf⸗
nahme einer Auslage in die Rechnung billigt oder be⸗
anſtandet und gegebenenfalls zwiſchen dem Nachlaß:
verwalter und den Erben zu vermitteln ſucht. Es
empfiehlt ſich deshalb nicht, den Beſcheid über die
Auslagen mit dem Beſcheid über die Vergütung für
die Führung feines Amtes zu verbinden (vgl. Planck,
Bem. 10 zu $ 1836 und KG Jahrb. 29 A 23).
Das LG. hat dieſe rechtlichen Grundlagen der An⸗
ſprüche des Nachlaßverwalters richtig erkannt, hat aber
die Entſcheidung des Nachlaßgerichts nicht richtig be⸗
urteilt. Es iſt nicht richtig, daß das Nachlaßgericht
die Vergütung des Nachlaßverwalters geſondert feſt⸗
geſetzt hat. Es hat „das Honorar des Nachlaßver⸗
walters einſchließlich aller Auslagen“ auf 6000 M feſt⸗
geſetzt. In der angefochtenen Verfügung hat es die
frühere Verfügung zwar teilweiſe geändert. Aber es
hat bemerkt, daß der Aktivreſtbetrag von 4792.41 M
dem Nachlaßverwalter für ſein auf 6000 & einſchließlich
der Auslagen feſtgeſetztes Honorar gebühre, daß jedoch
von den 5451.61 M betragenden Koſten und Auslagen
des Verwalters auf den Prozeß mit den Pappenfabriken
nur 900 M anerkannt werden, die übrigen Auslagen
und insbeſondere die Vergleichsſumme von 700 M das
gegen nicht. Hiemit iſt keine Scheidung zwiſchen der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6. | 131
Sergütung und den Auslagen des Nachlaßverwalters
getroffen, endgültig über den Erſatz einiger Auslagen
des Verwalters entſchieden und doch die Unklarheit
nicht behoben worden, welche Vergütung dem Nach⸗
laßverwalter gebühre. Die Mängel der zuſammen⸗
haͤngenden nachlaßgerichtlichen Verfügungen find hier⸗
nach folgende: Eine gefonderte gun über die Ver⸗
gütung des Nachlaßverwalters iſt nicht erlaſſen worden,
unklar bleibt, auf welchen Betrag die Vergütung des
Nachlaßverwalters für ſich allein feſtgeſetzt iſt, unklar
bleibt 1 0 ob das Nachlaßgericht die Rechnung des
Nachlaß verwalters vorſchriftsmäßig geprüft hat. Sicher
iſt, daß es die Vorſchrift nicht befolgt hat, zur Abnahme
der Rechnung die Beteiligten, d. h. die Erben, zur Ver⸗
handlung mit dem Verwalter vorzuladen, zwiſchen
ihnen zu vermitteln und ein etwaiges Anerkenntnis der
Beteiligten zu beurkunden. Es hat vielmehr über wenig⸗
ſtens einen Teil der Auslagen des Nachlaßverwalters
endgültig entſchieden, ohne die Beteiligten zu hören.
Dazu kommt noch, daß das Nachlaßgericht den Erſatz
eines Teiles der Auslagen ausſchließen wollte, weil es
den vom Nachlaßverwalter mit den Pappenfabriken
geſchloſſenen Vergleich nicht genehmigte; dabei berück⸗
ſichtigte es aber nicht, daß die Erklärung des Nach⸗
laßverwalters vom 27. Juni 1908 als Beſchwerde
gegen die Verfügung vom 26. Juni 1908 aufzufaſſen
iſt, durch welche die Genehmigung des Vergleichs ab⸗
gelehnt wurde, und daß eine Entſcheidung über dieſe
Beſchwerde bis jetzt nicht herbeigeführt wurde.
Das LG. hat die Beſchwerde des Nachlaßver⸗
walters als unzuläſſig verworfen. Die vom Nachlaß⸗
verwalter angefochtenen Verfügungen haben den An⸗
ſpruch des Nachlaßverwalters auf Erſatz der Aufwen⸗
dungen verneint, die ihm durch den Vergleich mit den
Pappenfabriken erwachſen ſind. Auf den Erſatz der
Aufwendungen hat der Nachlaßverwalter nach 8 1835
ein Recht. Eine Entſcheidung, die ihm den Erſatz ab⸗
ſpricht, beeinträchtigt daher das Recht des Nachlaßver⸗
walters, er iſt deshalb nach 8 20 GG. zur Beſchwerde
berechtigt. Dieſes Recht iſt auch nicht deshalb aus⸗
geſchloſſen, weil das Nachlaßgericht nicht zu einer end⸗
gültigen Entſcheidung über den Erſatz der Auslagen
zuſtäͤndig war. Denn ſoweit ihm die Zuſtändigkeit
fehlte, durfte es keinen Ausſpruch über die Berechti⸗
gung oder Nichtberechtigung des Anſpruchs des Nach⸗
laßverwalters erlaſſen. Die Beſchwerde des Nachlaß⸗
verwalters war alſo nicht unzuläſſig. (Beſchl. des
1. 38S. vom 9. Januar 1914, Reg. III 115/1913).
3250 W
B. Strafſachen.
I.
Nhat ber dea Die Verjährung hindert nicht die
10 Pires der geſchützten Vögel; 8 1 der BO. vom
19. Oktober 1908 trifft entgeltliche Verträge jeder Art.
Das eee t hat die Einziehung geſchützter,
von dem Angeklagten teils felbſt gefangener, teils durch
Tauſch erworbener Vögel und der Fangwerkzeuge ver⸗
verfügt. Die Straftat ſelbſt war verjährt. Die Re⸗
viſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Die Verjährung ſteht der
ln nicht im Wege. Der 87 Abſ. 2 BogSh®.
vom 30. Mai 1908 iſt dem § 42 StGB. nachgebildet;
es iſt daher die Annahme gerechtfertigt, daß für ihn
die gleichen rechtlichen Grundſätze gelten. Für 8 42
Sto. findet ſich zwar mehrfach die Anſchauung ver⸗
treten, daß er nur Platz zu greifen hat, wenn die
Strafverfolgung tatſächlich unausführbar iſt, nicht auch
dann, wenn Strafausſchließungsgründe vorliegen oder
Verjährung eingetreten iſt. Dieſe Anſchauung findet
aber in dem Wortlaute des Geſetzes keinen Anhalt;
2 wÜAA2A2A2y ⁵ðx2L Ä Se a TTT. T— —— ——..... Te armen
— —— — —
es ſteht deshalb auch die überwiegende Mehrzahl der
Rechtslehrer auf dem Standpunkte, daß die Verjährung
der Strafverfolgung der Einziehung nicht im Wege ſteht.
Auf dieſem Standpunkt ſteht einmütig die Rechtſprechung
(vgl. RG Rechtſpr. 8, 617; 9, 15; NESt. 14, 382; OLG,
München St. 5 S. 369). Hievon abzugehen beſteht
kein Anlaß.
Allerdings ſpricht 8 1 der BO. vom 19. Oktober
1908 nur von dem Ankaufe, dem Verkauf und dem
Feilbieten von Vögeln; aus dem Zwecke der VO., der
offenſichtlich dahin geht, der Vernichtung der einhei⸗
miſchen Vogelwelt vorzubeugen, geht aber hervor, daß
nicht nur Kaufgeſchäfte in dem engeren bürgerlich⸗
rechtlichen Sinne verboten, daß vielmehr entgeltliche
Verträge jeder Art getroffen werden ſollten. Wollte
man das Verbot auf Kaufgeſchäfte beſchränken, ſo wäre
es nahezu wirkungslos, da gerade auf dieſem Gebiet
andere Erwerbsarten, insbeſondere der Tauſch, eine
ſehr große Rolle ſpielen. Es iſt daher dem LG. darin
beizupflichten, daß es die von ihm feſtgeſtellte Erwerbs⸗
art — Annahme an Zahlungs Statt für gelieferte
Schneiderarbeiten — als unter das Verbot fallend er⸗
achtet hat. (Urt. vom 8. November 1913, Rev.⸗Reg.
480 / 1913). Ed.
3258
II.
Der Bermund iſt nach 8 153 Gew. ſtrafbar,
wenn er fein Mündel durch Anwendung der in dieſen
. mann Mittel zur Teilnahme an einem
treik zu beſtimmen ee Der Angeklagte hat als
Vormund feine Mündel durch ehrverletzende Aeuße⸗
rungen zu beſtimmen verſucht, ſich am einem Ausſtande
zu beteiligen; er wurde wegen eines Vergehens nach
8 153 GewO. verurteilt; feine Berufung und Reviſion
wurden verworfen.
Ausden Gründen des Reviſionsurteils:
Es iſt zu prüfen, ob der Angeklagte innerhalb der
Grenzen gehandelt hat, die ihm das Geſetz bezüglich
der Sorge für die Perſon und das Vermögen der
Mündel geſteckt hat. Das LG. iſt davon ausgegangen,
daß der Vormund auf die Erziehung nicht ſo einwirken
darf, daß er dadurch gegen ein geſetzliches Verbot ver⸗
ſtößt; dieſe Anſchauung entſpricht dem Geſetze. Der
Angeklagte hatte als Vormund das Recht, den Mündel
zu ermächtigen, in Dienſt oder Arbeit zu treten; dieſes
Recht konnte ausdrücklich oder ſtillſchweigend ausgeübt
werden. Die Ermächtigung konnte der Angeklagte aller⸗
dings zurücknehmen oder einſchränken. Wollte er ſie
zurücknehmen, fo ſtand es ihm frei, den Vertrag zwiſchen
ſeinem Mündel und deſſen Arbeitgeberin ordnungsgemäß
zu kündigen, aber er durfte nicht durch ein nach dem
Geſetze verbotenes Mittel — 8 153 GewO. — den
Mündel beſtimmen, ſich an dem Streik zu beteiligen,
zu dieſem Zwecke das Vertragsverhältnis zu löſen,
und fo durch unzuläſſige Mittel auf den Mündel zwecks
Aufgabe des Arbeits- oder Dienſtverhältniſſes einwirken.
Hierin liegt ein Mißbrauch des Rechts des Angeklagten.
Nach der Feſtſtellung des LG. iſt der Angeklagte bei
ſeinem Vorgehen überhaupt nicht als Vormund, ſondern
unter Mißbrauch feiner vormundſchaftlichen Stellung
nur als Agitator für den Ausſtand aufgetreten; er wollte
nicht in Erfüllung ſeiner Fürſorgepflicht als Vormund
das von feinen Mündeln eingegangene Arbeits verhältnis
beendigen, ſondern deren Teilnahme am Streik veran⸗
anlaſſen; er wollte die Mädchen ſeinen agitatoriſchen
Zwecken dienſtbar machen. Gegen dieſe Feſtſtellung
beſtehen keine Bedenken. (Wird näher ausgeführt.)
(Urt. vom 1 November 1913, Rev.⸗Reg. 526/1913).
3252 Ed.
132
Oberlandesgericht München.
Wiedereinſetzung in den vorigen Stand; VBerſchul⸗
den eines ſenſt als zuverläſſig eryrsbten Nanzleiange⸗
ſtellten fällt dem Rechtsanwalt nicht zur Laſt; der mit
der Behandlung des Gerichtseinlauſs beauftragte Be⸗
amte iſt verpflichtet, einen bei ihm . heit:
ſatz auf Beſtimmung und Inhalt zu prüfen (98 233
Abſ. I, 232 Abf. II, 238 Abſ. III 398 0.). Aus den
Gründen: Es iſt glaubhaft gemacht, daß der ein⸗
geſchriebene Brief, in dem Rechtsanwalt A dem Rechts⸗
anwalt B den Auftrag gab, Berufung einzulegen, in
der Kanzlei des Rechtsanwalts B am 3. Februar mit
der Mittagspoſt zugeſtellt wurde, daß die Berufungs⸗
einlegung ſofort gefertigt wurde und daß nach⸗
mittags etwas 300 4 Uhr der Kanzliſt D mit dem
Austragen dieſes Schriftſatzes und des übrigen Gerichts⸗
auslaufes beauftragt wurde. Der Buchhalter C hatte
den D noch ausdrücklich darauf hingewieſen, daß am
3. Februar die Berufungsfriſt ablief, und ihm einge⸗
ſchärft, daß er den Schriftſatz beim OL. einreichen
müſſe; er ließ ſich von ihm beſtätigen, daß er das
Einlaufzimmer des OLG. genau kenne. D hat am
3. Februar gegen ½ 5 Uhr irrtümlich den Berufungs⸗
ſchriftſatz in das auf dem gleichen Stockwerk wie das
Einlaufzimmer des OLG. liegende Einlaufzimmer des
LG. getragen und dort in das Einlauffach gelegt. Der
Sekretär des LG. hat den Schriftſatz aus dem Ein⸗
lauffach an ſich genommen und den Eingangsvermerk
und ſein Handzeichen daraufgeſetzt. Es iſt ferner glaub⸗
haft gemacht, daß der Kanzliſt D ſonſt ſtets zuver⸗
läſſig war. Unter dieſen Umſtänden trifft den Rechts»
anwalt B kein Verſchulden an der Verſäumung der
Friſt; er hat vielmehr die von ihm zu erwartende
Sorgfalt angewandt. Er durfte annehmen, daß der
als zuverläſſig erprobte D den Schriftſatz auftrags⸗
gemäß in das Einlaufzimmer des Os. bringen werde
und konnte nicht an einen Irrtum denken, nachdem
der Kanzliſt ausdrücklich verſichert hatte, daß er dieſes
Zimmer genau kenne.
Der Sekretär des LG. war verpflichtet, den in
ſein Einlauffach gelangten Schriftſatz auf ſeine Be⸗
ſtimmung und ſeinen Inhalt zu prüfen. Dabei mußte
er bemerken, das der Schriftſatz nicht für das LG.,
ſondern für das OSG. beſtimmt war, daß er eine Be⸗
rufungseinlegung enthielt und daß die Berufungsfrift
am gleichen Tage ablief. Unter dieſen Umſtänden
mußte er den Rechtsanwalt ſofort von dem unrichtigen
Einlauf benachrichtigen. Es wäre dann noch möglich
geweſen, den Schriftſatz rechtzeitig beim Os. einzu⸗
reichen. Der Rechtsanwalt durfte erwarten, daß der
Beamte, zu deſſen Aufgabe die Entgegennahme des
Einlaufs he einen etwaigen Fehler alsbald bes
merken und ihn davon Kenntnis geben würde. Hier⸗
nach muß angenommen werden, daß der Beklagte durch
unabwendbare Zufälle verhindert worden iſt, die Not⸗
friſt einzuhalten. Sein Wiedereinſetzungsantrag iſt
daher begründet. ($ 233 Abſ. 1, 8 232 Abſ. 2 3p O.).
Gemäß 8 238 Abſ. 3 ZPO. fallen die Koſten der Wieder⸗
einſetzung dem Beklagten zur Laſt. Hierüber wird
jedoch nicht in dieſem Zwiſchenurteil, ſondern in dem
Endurteil entſchieden. (Vgl. Skonietzki, Komm. z. ZPO.
Anm. 6 zu 8 238 Anm. 4 zu 891). (Urt. d. IV. 38.
vom 21. Mai 1913, L 104/13). H.
3259
Vücheranzeigen.
Hager, Dr. P. und Dr. C. Bruck, Regierungsräte, Reichs⸗
geſetzüber den Verſicherungs vertrag nebſt
dem zugehörigen Einführungsgeſetze. 3. Auflage.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 6.
— nn —L—·̃—
438 Seiten. Berlin 1913, J. Guttentag, Berlags-
buchhandlung, G. m. b. H. Geb. Mk. 6.—
Bekanntlich iſt eine überreichliche Zahl von Aus⸗
gaben des Geſetzes über den Verſicherungsvertrag er⸗
ſchienen. Die „grüne Ausgabe“ iſt eine von den wenigen,
die ſich gehalten und durchgeſetzt hat. Dieſer Erfolg
ſpricht für ihren Wert. Er iſt wohlverdient, weil ſich
die Ausgabe nicht mit einer bloßen Stoffſammlung
begnügt, ſondern ſich durch ſüſtematiſchen Aufbau der
Erläuterungen dem Kommentar nähert. — F. —
Geſetzgebung und Verwaltung.
Der Nechtshilfe⸗ und „ mit
Bulgarien iſt durch die Verträge vom 29. September
1911 auf eine neue Grundlage geſtellt worden. Die
Bek. vom 14. Februar 1914 (JMBl. S. 21) bringt die
1 der Bek. vom 28. Dezember 1908 (JM Bl.
1909 S. 2) und vom 8. April 1911 (JMSBl. S. 113)
auf den neuen Stand. 8.
Der Auslieſerungsverkehr mit Panama (vgl. dieſe
Zeitſchrift 1913 S. 96) kann ſich nun auf eine allgemeine
Gegenſeitigkeitserklärung ſtützen. Das Nähere enthält
die Bek. vom 14. Februar 1914 (J Ml. S. 21). 8.
Sprqgchecke
des Allgemeinen Deutſchen Sprachvereins.
Ein gemeingefährliches Wert. Niemand tut heut⸗
zutage noch etwas, ſondern ſeitens jemandes wird
etwas getan — ſo will's der Modeſtil. Hier ein paar
Beifpiele aus neueſten Zeitungen: „Der Antrag wurde
ſeitens der Berſammlung einſtimmig angenommen
Hierin kann nur ſeitens der Schule dauernde Abhilfe
geſchaffen werden .... Eintrittskarten gelangen koſten⸗
frei den Verſendung ſeitens der Geſchäftsſtelle in der
Taubenſtraße .... Seitens der Polizei wurden ſofort
die nötigen Maßnahmen getroffen .... Hierauf wird
ſeitens der Verwaltungsſtellen wie ſeitens des Bundes⸗
rats hingearbeitet werden“ uff. Allgemein erkennt man
an, daß der häufige Gebrauch der Leideform der
Sprache alles Leben, alle Friſche und Anſchaulichkeit
raube. Und in den gegebenen Beiſpielen iſt der Räuber
überall nur das böſe Wort ſeitens. Wie einfach,
wie anſchaulich und lebendig lauten dieſelben Sätze
in der Tätigkeitsform: „Die Berfammlung nahm
den Antrag einſtimmig an .... Nur die Schule kann
hierin dauernde Abhilfe ſchaffen .... Eintrittskarten
verſendet koſtenfrei die Geſchäftsſtelle in der Tauben⸗
ſtraße .... Die Polizei traf ſofort die nötigen Maß⸗
nahmen .... Die Verwaltungsſtellen wie der Bundes⸗
rat werden hierauf hinarbeiten“. Uebrigens ſtehen für
einzelne nicht hierhergehörige Fälle anderer Art für
ſeitens bekanntlich auch noch die Wörtchen von und
durch zur Verfügung. Deshalb gelte die einfache
Regel: Schreibe niemals „ſeitens“ — „werft
das Scheuſal in die Wolfsſchlucht!“ Und das neuer⸗
dings ebenſo beliebte greuliche Modewort „zwecks“
werft hinterdrein! Als ob es in der deutſchen Sprache
kein zu, zur und zum mehr gäbe. O. Sarrazin (Berlin).
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Seller) München und Berlin.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ur. 7.
München, den 1. April 1914.
10. Jahrg.
Zeitſchrift für Nechtapflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
K. I. Staatsanwalt im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtiz.
in Bayern
Verlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Zellier)
Münden, Berlin u. Leipzig.
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8». 79.)
Die Zelitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats //.
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis viertel jährlich :
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
jede Poſtanſtalt.
Unwirtiomteit und Nichtigkeit des Nechtz⸗
geſchäfts.
Bon Oberlandesgerichtsrat Dr. Wilhelm Silberſchmidt
in Zweibrücken.
Das Rechtsgeſchäft, die von der Rechtsordnung
zugelaſſene und geordnete Willenserklärung, mittels
deren der Parteiwillen eine rechtliche Wirkung zu
erreichen ſucht (ogl. Motive z. Entw. eines BGB.,
Guttentag 1, 126), hat manchmal überhaupt keinen
Erfolg in der Außenwelt, dann ſpricht man von
Wirkungslofigkeit (ogl. Schachian, Die relative
Unwirkſamkeit der Rechtsgeſchäfte, Berliner Diſſ.
1910, 179) oder wenigſtens nicht die beabſichtigte
Wirkung, die Geſchaftswirkung, dann ſpricht man
von der Unwirkſamkeit des Rechtsgeſchäfts. In beiden
Fällen wird lediglich die Tatſache der mangelnden
Wirkung ſeſtgeſtellt. Fragt man nach dem Grunde
des Wirkungsausfalls, ſo kann er in den die Wirkung
verneinenden Vorſchriften der das Rechtsgeſchaͤft be⸗
herrſchenden Rechtsordnung liegen oder in dem die
Wirkung tatſäachlich beſchränkenden oder verneinen⸗
den Inhalt der Willenserklärung. Im erſteren
Falle handelt es ſich um Mängel der Geltungs⸗
vorausſetzungen, durch welche die Ungültigkeit des
Rechtsgeſchäſts herbeigeführt wird und zwar ent⸗
weder ſofort und unter allen Umſtänden, bei Nichtig⸗
keit des Rechtsgeſchäfts, oder erſt ſpäter, auf die
Anfechtung einer beſtimmten Perſon hin. Im
zweiten Falle handelt es ſich um Mängel der Wirk:
ſamkeitsvorausſetzungen, die zur völligen, zeitweiſen
oder teilweiſen Unwirkſamkeit führen können und
zwar auch wieder jedermann gegenüber oder nur
gegenüber beſtimmten Perſonen. Iſt endlich ein
Rechtögeichäft, wie es die Rechtsordnung vorgeſehen
und geordnet hat, im Einzelfalle nicht zuſtande
gekommen, dann kann es ſich nur um einen Fall
der Ungültigkeit handeln, wenn z. B. eine mündliche
Willenserklärung vorliegt, ſtatt der vorgeſchriebenen
gerichtlichen, oder um den Mangel jeder rechtlich
Nachdruck verboten.
Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a.
Anzelgengebübr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile
oder deren Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗
anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
133
bedeutſamen Willenserklärung, in welchem Falle
überhaupt kein Rechtsgeſchäft, alſo auch kein un⸗
gültiges oder unwirkſames, vorliegt. So bleibt als
Hauptgegenſatz der Mangel der Geltungsvoraus⸗
ſetzungen gegenüber dem Mangel der Wirkungs⸗
vorausſetzungen oder die Ungültigkeit und als ihr
Gegenſatz die Unwirkſamkeit, hier im engeren oder
eigentlichen Sinne verſtanden.
Dieſer Gegenſatz hat ſchon im gemeinen Rechte
beſtanden und Windſcheid z. B. führt in 8 82
Anm. 1 ſeines Lehrbuchs aus, daß der Sprach⸗
gebrauch mit ungültig vorzugsweise dasjenige
bezeichnet, was nicht anerkannt wird, obgleich es
anerkannt ſein möchte. Eine erhöhte Bedeutung
hat der Gegenſatz aber erlangt, als der Begriff der
Unwirkſamkeit in das BGB. und ſeine Nebengeſetze,
insbeſondere das HGB., die KO. und das AnfG.
Eingang fand und es ſich darum handelte, ſeinen
Sinn im Einzelfalle feſtzuhalten.
Darüber hat ſich dann eine ganze Literatur
gebildet. Die Ableitung der Unwirkſamkeit aus
den „Wirkſamkeitsvorausſetzungen“ ging zunaͤchſt
von Zitelmann aus. Vgl. „Die Rechtsgeſchäfte
im Entw. eines BGB.“ 1 (1889), 30 und „Das
Recht des BGB. Allgemeiner Teil“ (1900), 92
und 101. Die weitere Ausführung erfolgte in
mehreren Diſſertationen über den Begriff der Un⸗
wirkſamkeit, von Figge (Roſtock 1902), Mark⸗
wald (Roſtock 1903), Alexander (Berlin 1903),
Oettinger (Berlin 1904) und Schachian a. a. O.
Zitelmann und insbeſondere Strohal, „Ueber
relative Unwirkſamkeit“, Sonderabdruck aus der
Feſtſchrift zur Jahrhundertfeier des Oeſt ABGB.
1911, die letzte und bedeutendſte Arbeit über dieſen
Gegenſtand (vgl. inzwiſchen Fiſcher, „Konverſion
unwirkſamer Rechtsgeſchäfte“ aus der Feſtſchrift für
Ad. Wach 1913, 183 ff., und André, Einfache,
zuſammengeſetzte, verbundene Rechtsgeſchäfte, in den
Feſtgaben der Marburger Juriſtiſchen Fakultät für
Enneccerus 1913), knüpfen die urſprüngliche
Nichtigkeit unmittelbar an einen Mangel in der
134
— — —
rechtsgeſchaftlichen Errichtungsvorausſetzung, Zitel⸗
mann daneben die |päter eintretende Nichtigkeit
an den Ausfall einer nachholbaren Wirkſamkeits⸗
vorausſetzung und an den Eintritt einer vernichtenden
Tatſache. Schachian (S. 181) und früher ſchon
Figge (S. 37) laſſen die Nichtigkeit aus dem
Mangel in den „Geltungsvorausſetzungen“ folgen,
Alexander aus dem Mangel in den auch von
Zitelmann benannten „Begriffserforderniſſen“
(S. 8). Diejenigen Fälle der Unwirkſamkeit i. w. S.,
bei denen es an Erſorderniſſen zum Zuſtandekommen
des Geſchäfts nicht fehlte und die ſchon Gradenwitz,
„Ungültigkeit obligatoriſcher Rechtsgeſchäfte“ 1887
(S. 301), unter dem Begriff der Ungültigkeit i. e. S.
zuſammengefaßt hatte, vereinigten, an den Mangel
in den „Wirkungsvorausſetzungen“ anknüpfend
Alexander (S. 14), Schachian (S. 186), früher
ſchon Markwald (S. 34) und Figge (S. 37)
unter dem Begriff der Unwirkſamkeit i. e. S.,
während Oettinger (S. 23) eigentlich unwirkſam
diejenigen Rechtsgeſchäfte nennt, die unwirkſam ſind,
ohne daß fie nichtig und trotzdem fie nicht nichtig
ſind. Und ebenſo bildet Strohal (S. 5) die
Gruppe der Unwirkſamkeit i. e. S., indem er von
den Fällen der Unwirkſamkeit i. w. S. die der
Nichtigkeit und Anfechtung abzieht.
Mit vollem Rechte haben aber Leonhard,
BGB. 1 (1900), 440 und nach ihm Alexander
(S. 65) dieſe Begriffsbildungen folange als be⸗
deutungslos erklärt, „als ſie nicht von einem Rechts⸗
anwendungsbedürfniſſe hervorgetrieben ſind“. Dieſes
Bedürfnis beſteht nunmehr und es erfordert vor
allem zu prüfen, nicht allein, wie nach den Regeln
der Denkkunſt die Begriffe: Gültigkeit, Ungültigkeit,
Wirkſamkeit und Unwirkſamkeit gebildet, ſondern
ob und wie fie in den einzelnen Geſetzen angewendet
werden. Dabei wird im Auge zu behalten ſein,
ob denn der Gegenſatz in den Geltungs⸗ und Wirk⸗
ſamkeitsvorausſetzungen der einzige mögliche Gegen⸗
ſatz iſt. Es wird darauf zu achten ſein, ob nicht
auch im Bereiche der Geltungsvorausſetzungen der
Begriff der bloßen Unwirkſamkeit und im Bereiche
der Wirkſamkeitsvorausſetzungen auch der Begriff
der Ungültigkeit denkbar und üblich iſt. Letzteres
wird allerdings auszuſchließen ſein, weil der Begriff
„Unwirkſamkeit“ nach ſeiner Bildung die tatſächliche
Geltung vorausſetzt. Um ſo mehr wird aber die
erſtere Frage der Beantwortung bedürfen. Dabei
wird auszugehen fein von dem römiſch⸗ rechtlichen
Ungültigkeitsbegriff, der Nichtigkeit, und wird zu
prüfen ſein, wie er ſich unter der Einwirkung der
neueren Geſetzgebung und der Wiſſenſchaft geſtaltet
hat, ob nicht Veränderungen und insbeſondere
Abſchwächungen des Begriffs eingetreten ſind und
ob nicht Veranlaſſung beſtand, manchmal vor den
ſtrengen Folgen der Nichtigkeit die Augen zu ver⸗
ſchließen und nur die Frage der Wirkſamkeit des
Rechtsgeſchäfts im Auge zu behalten.
I. Der Hauptſitz der Streitfrage iſt für uns
natürlich das BGB. Wie es ſich zu dem Begriff
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
der Unwirkſamkeit ſtelle, wurde auch bisher ſchon
erörtert und verſchieden beantwortet. Alexander
ſieht einen „ſcharffinnigen, bis in die Einzelheiten
durchgeführten Unterſchied zwiſchen nichtig und un⸗
wirkſam, deſſen Behandlung eine bewußte Syſte⸗
matik erkennen läßt“ (S. 63), Oettinger findet
die Begriffe der Unwirkſamkeit im w. und im e. S.
„ſcharf umgrenzt“ und „klar und folgerichtig bis
in die letzten Ausläufer und Einzelheiten hinein“
durchgeführt, nur ſei es nicht geglückt, „die Begriffe
in die entſprechenden Ausdrucksformen zu gießen“
(S. 49). Gegen die Behauptung, daß das der
deutſchen Sprache nicht möglich ſei (Mitteis,
Zur Lehre von der Ungültigkeit in Jherings
Jahrb. 28, 87, und Bähr in der KrVISchr. 30,
323), wendet er ſich mit Jakobi (Die fehlerhaften
Rechtsgeſchäfte im Arch ZivPrax. 86, 109) in ſcharfen
Ausdrücken und mit Recht wird von Alexander
(S. 66) auf das Loblied Bezug genommen, das
Ihering (Zweck im Recht 2, XX) dem Tiefſinn
der deutſchen Sprache widmet. Dagegen erklärt
Schachian (S. 187), daß in unſerer Frage „die
ſchwankende Terminologie des Geſetzes von einem
einheitlichen Leitgedanken nicht durchdrungen iſt
und daß die ſyſtematiſche Behandlung der mangel⸗
haften Rechtsgeſchäfte „abſeits von der Ausdrucks⸗
weiſe des BGB. ihren eigenen Weg gehen“ muß.
Das kann für die Rechtsanwendung ſicher nicht
das Richtige ſein, umgekehrt muß die Sprache und
der Sinn des Geſetzes im Vergleiche mit der Denk⸗
und Ausdrucksweiſe ſeiner Vorgänger unterſucht und
danach der Aufbau der Begriffe verſucht werden.
1. Dabei findet ſich ziemlich übereinſtimmend
und insbeſondere auch noch bei Strohal (S. 1f.)
und Fiſcher (S. 205) die Behauptung, der von
den Römern überlieferte Rechtsſtoff ſei zur Heraus⸗
arbeitung einer abgerundeten und durchſichtigen
Unwirkſamkeitslehre wenig geeignet geweſen. Das
mag richtig ſein, ſoweit eine Darſtellung nach den
heutigen Begriffen erſtrebt wird. Fragen wir
aber, welche Stellung das römiſche Recht dem mangel⸗
haften Rechtögeichäft gegenüber eingenommen hat,
dann muß geſagt werden: Wie das Rechtsgeſchäft
des alten römiſchen Rechts „den Charakter ſchärfſt
ausgeprägter Individualität an ſich trägt“
(Ihering, Geiſt des römiſchen Rechts 3 (1888,
177), ſo auch die Gegenwirkung gegen das fehler⸗
hafte Rechtsgeſchäft. Wie dort Begründung und
gerichtliche Geltendmachung des Rechts engſtens
zuſammenhängen (ebenda S. 137), wie bei letzterer
alles ſich um die litiscontestatio dreht, bei dem
Rechtsgeſchäft aber der Augenblick der Vornahme
über den Tatbeſtand und die Wirkſamkeit des
Rechtsgeſchäfts (ebenda S. 152), das an ſich Ein⸗
heit der Handlung, der Zeit und des Raumes er⸗
fordert, entſcheidet, wie in dieſem Augenblick die
Rechts⸗ und Handlungsfähigkeit der Parteien, z. B.
auch die Genehmigung des Vormunds, die Eig⸗
nung der Sache, die rechtliche Möglichkeit des Ge⸗
ſchäftsinhalts vorhanden ſein müſſen und Bedingung
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 135
— . % 042 ee ee nn nn
— — —— — . —— ——
und Befriſtung nur beſchränkt zugelaffen find, fo
einfach geſtaltet ſich die Wirkung, wenn dieſe Vor⸗
ausſetzungen nicht gegeben ſind. Sind die Er⸗
richtungserforderniſſe, um die es ſich allein handeln
kann, im Augenblick des Rechtsgeſchäfts nicht vor⸗
handen, dann iſt es unheilbar nichtig. Aehnlich
wie bie litiscontestatio das bisherige Rechts⸗
verhältnis zerſtört und nur das aus dem Rechts⸗
ſtreit ſich ergebende Urteil an die Stelle ſetzt, Ver⸗
urteilung oder Abweiſung, ſo tritt beim Mangel
der Errichtungsvorausſetzungen des Rechtsgeſchäfts
an die Stelle der durch dieſes beabſichtigten Wir⸗
kung die Nichtigkeit. Dieſe römiſch⸗ rechtliche Nichtig⸗
keit hat auch heute noch ihre ganz beſonderen Kenn⸗
zeichen. Das Recht verweigert dem Geſchäft die
Anerkennung; dieſes iſt für das Recht nicht vor⸗
handen, ohne daß dies erſt ausgeſprochen werden
müßte; jedermann kann ſich darauf berufen, daß
es nicht vorhanden iſt; mit dem Hauptgeſchäft ent⸗
fallen alle Beſtärkungen und Nebengeſchäfte. Wie
die Parteien für gewiſſe Falle die Strafe der
Nichtigkeit vereinbaren, ſo iſt ſie tatſächlich eine
Strafe der verletzten Rechtsordnung, auch wenn
ſie von Amts wegen und wenn ſie auf Anfechtung
eines Berechtigten eintritt.
2. Im ſpateren römiſchen Recht und im ge⸗
meinen Recht iſt der Grundſatz der Konzentration
verlaſſen worden (vgl. Jhering a. a. O. 3, 166);
an den Vorſchriften über die Nichtigkeit ſelbſt hat
ſich aber wenig geändert.
3. An dieſe Beſtimmungen, insbeſondere wie
fie Windſcheid damals vertrat, ſchloß ſich eng
der I. Entwurf des BGB. an. Der 6. Titel des
4. Abſchnitts im I. Buche trug die Auſſchrift „Un⸗
erlaubte Rechtsgeſchäfte“). Der 7.: „Ungültigkeit
der Rechtsgeſchäfte“. In letzterem ſprach § 108 aus:
Ein nichtiges Rechtsgeſchäft wird in Anſehung
der gewollten rechtlichen Wirkungen ſo an⸗
geſehen, als ob es nicht vorgenommen wäre;
09:
Ein nichtiges Rechtsgeſchäſt wird nicht dadurch
gültig, daß die Gründe der Nichtigkeit ſpäter
wegfallen
und die Motive bemerkten (1, 117) hiezu, daß,
ſoweit in den ſog. Konvaleszenzfällen ein Nachlaß
von dem Vorhandenſein des Tatbeſtandes zur Zeit
der Vornahme des äußeren Aktes zugeſtanden iſt,
zur Wahrung jenes Grundſatzes das Rechtsgeſchäft,
dem es an dem nachholbaren Erfordernis gebricht,
nicht als nichtig, ſondern als unwirkſam be⸗
handelt wird.
Für dieſe Fälle ging man alfo davon aus,
daß eine Milderung der ſtrengen Nichtigkeits⸗
vorſchriften geboten ſei und da man deshalb nach
Heilung des Fehlers das Rechtsgeſchäft anerkennen
wollte, behandelte man, zur Wahrung des Grund—
ſatzes, das Rechtsgeſchäft vorher nicht als nichtig,
ſondern nur als unwirkſam. Zur Aufſchrift des
7. Titels war in den Motiven (1, 216) die Un⸗
wirkſamkeit als der Fall dargeſtellt, in dem das
—
Rechtsgeſchäft ohne die beabſichtigten rechtlichen
Wirkungen iſt, ſei es, wie bei der Nichtigkeit von
vornherein, ſei es dem Willen der Parteien gemäß
beim Eintritt eines beſtimmten Ereigniſſes. Hier
aber ſoll die Unwirkſamkeit auch von vornherein
eintreten, aber, im Gegenſatz zur Nichtigkeit, nicht
für immer, ſondern bis zum Eintritt eines be⸗
ſtimmten Ereigniſſes.
Die Auffaſſung der Motive lehnt ſich offen⸗
ſichtlich an die Aufhebung des Konzentrations⸗
grundſatzes im ſpaͤteren römiſchen Recht an. Nicht
zu vergeſſen iſt dabei auch, daß Windſcheid,
das maßgebende Mitglied der Kommiſſion, durch
das franzöſiſche Recht durchgegangen war und im
Jahre 1847 ein Buch „Zur Lehre des Code Na⸗
poleon von der Ungültigkeit der Rechtsgeſchäfte“
geſchrieben hatte. In ihm ſpricht er ſich in weit⸗
gehender Weiſe für eine gemilderte Nichtigkeit aus.
Er unterſcheidet (S. 69 f.) mit der Geſetzgebungs⸗
ſektion des Tribunats actes radicalement nuls,
insbeſondere die der Kinder und die auf einer
cause illicite beruhenden, und auf der anderen
Seite die nicht unbedingt rechtsun verbindlichen, die
infolge Zwangs, Betrugs und Irrtums eingegangenen
Akte und die ohne Genehmigung abgeſchloſſenen
Rechtsgeſchäfte der Jugendlichen, Ehefrauen uſw.,
welch letztere Akte durch eine innerhalb 10 Jahren
zu erhebende action en nullité ou en rescision,
die der restitutio in integrum entſprechen ſollte,
für nichtig erklärt werden mußten; die Verjährung
und nachträgliche Genehmigung ſchließen die Er⸗
hebung dieſer Klage aus. Im Gegenſatz zu dieſen
unbedingt ungültigen oder in gewiſſen Fallen für
ungültig zu erklaͤrenden Rechtsgeſchäften ſtellt
Windſcheid (S. 140) die vom Rechte in keiner
Weiſe mißbilligten Rechtsgeſchäfte, die von Anfang
an gültig durch eine Selbſtbeſchränkung des Willens
oder durch ein ſpäter eintretendes, ein weſentliches
Erfordernis des Beſtandes nicht hinwegnehmendes
Ereignis ihre Kraft verlieren und er macht
(S. 52) darauf aufmerkſam, daß Ungültigkeit haufig
unbeſtimmt läßt, ob Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit
vorliege. So werden die unter Windſcheids Mit⸗
wirkung und Einfluß entſtandenen Beſtimmungen
des I. Entwurfs BGB. verſtändlicher werden.
Trotz der Milderungen fand man den Begriff
der Nichtigkeit im I. Entwurf überſpannt (Fiſcher
in Ihe rings J. 29, 329 f., vgl. auch Zuſammen⸗
ſtellung der gutachtlichen Aeußerungen durch das
RA. 6, 128 f.), die 88 108 und 109 des Ent:
wurfs teils überflüſſig teils in der Faſſung mangel⸗
haft und ſo fielen ſie und zugleich die Ueberſchriften
der Titel. Damit wurde auf jede Begriffsbeſtim⸗
mung der Nichtigkeit im BGB. verzichtet. Dieſes
hat dann in noch weit höherem Maße, als es
ſchon im Entwurf geſchehen war, der wiederholt
vorgeſchlagenen „praktiſchen Behandlung“ folgend,
von dem farbloſen Begriff der Unwirkſamkeit Ge⸗
brauch gemacht und es der Auslegung überlaſſen,
im einzelnen Falle den Sinn zu ermitteln.
136
II. Bei dieſer Unterſuchung über den Sinn
und die Tragweite der Beſtimmungen des geltenden
Rechts muß der gleiche Weg eingeſchlagen werden,
den Windſcheid bei ſeiner Abhandlung „über
die Ungültigkeit der Rechtsgeſchäfte im C. c.“ ge:
gangen iſt: es muß die Ausdrucksweiſe und der
Sprachgebrauch des Geſetzes geprüft und danach
der Wille des Geſetzes erſorſcht werden. Dabei
wird ſich dann ergeben, welche Bedeutung dem
Begriff der Nichtigkeit innerhalb des Rahmens der
Unwirkſamkeit zukommt. Ausſcheiden können dabei
die für die Rechtsanwendung völlig klarliegenden
und dem Gebiete der Gültigkeit überhaupt nicht
angehörenden Fälle, in denen eine Wirkung des
Rechtsgeſchäfts entfällt, weil es an einer Willens⸗
erklaͤrung fehlt oder weil dieſe ſelbſt überhaupt
keine oder wenigſtens keine rechtsgeſchäftliche Wir⸗
kung (vgl. RZ. 68, 324 und 79, 305) herbei⸗
führen wollte. Letzterer Fall liegt insbeſondere
dann vor, wenn die Beteiligten die von der Rechts⸗
ordnung an ſich gewährleiſtete Rechtswirkung aus⸗
drücklich ausſchließen oder wenn einer Willens⸗
aͤußerung die Rechtsordnung den bezweckten Rechts⸗
erfolg verſagt und dies den Beteiligten bekannt iſt.
Sieht man von dieſen Fällen ab, dann tritt
die Bedeutung der Nichtigkeit innerhalb der Un⸗
wirkſamkeit immer mehr hervor.
1. Selbſtverſtändlich beruht die Unwirkſamkeit
auf Nichtigkeit immer dann, wenn das Geſetz dieſe
Nichtigkeit ausdrücklich ausſpricht; vgl. die Zuſammen⸗
ſtellung bei Crome, Syſtem des deutſchen bürger⸗
lichen Rechts 1, 346. Es ſind das ſaͤmtlich Tat⸗
beſtände, die vom Geſetz als fehlerhaft erachtet und
mißbilligt, deshalb aber auch jeder Rechtswirkung
beraubt werden.
Eine beſondere Art der Nichtigkeit iſt die Ehe⸗
nichtigkeit. Nur ihre ſchwerſte Art, wenn die Form
des § 1317 BGB. nicht gewahrt und die Ehe
nicht in das Heiratsregiſter eingetragen wurde,
wenn alſo eine Eheſchließung überhaupt nicht vor⸗
liegt, enthält unbedingte und unheilbare Nichtigkeit.
Sonſt muß, ſolange nicht die Ehe durch Tod oder
Richterſpruch aufgelöſt iſt, die Nichtigkeit erſt auf
Klage, wie im franzöſiſchen Recht, ausgeſprochen
und ſie kann in gewiſſen Fällen geheilt werden.
Vgl. 83 1323 —1329 BGB. und auch Wind:
ſcheid a. a. O. S. 80.
2. Wie letzterer dann weiter (S. 4f.) feſtſtellt,
welche Fälle im C. c. denen der ausdrücklich er⸗
Härten Nichtigkeit gleichſtehen und insbeſondere die
Faſſung: „ne peut“ hervorhebt, ſo iſt auch im
Zeutſchrift far Rechtspflege in Bahern. 1914. Kr. 7.
|
S. 2, 1947, 2180 Abſ. 2 S. 2, 2202 Abſ. 2
S. 2, bei denen es zum Teil heißt, daß die An⸗
nahme unter einer Bedingung unwirkſam iſt.
Dieſe Unwirkſamkeit führt ebenſo zur Nichtigkeit wie
die Tatſache, daß eine Bedingung, die nicht bei⸗
geſetzt werden „kann“, doch beigeſetzt wird. Denn
die Beiſetzung einer Bedingung zu einem „be:
dingungsfeindlichen Rechtsgeſchäft“ verſtößt gegen
ein geſetzliches Verbot (vgl. Schachian S. 186
Anm. 14 gegen Figge S. 32) und iſt deshalb
gemäß $ 134 BGB. nichtig, wobei dann die
Nichtigkeit die ganze Erklärung, der die Bedingung
beigeſetzt wurde, umfaſſen würde, ſei es, weil es
eine einheitliche Erklärung iſt, ſei es gemäß § 139
BGB. (André S. 24). Freilich hat das Geſetz
in dieſen Fällen, in denen es mehr darauf ankam,
den Inhalt beſtimmter Erklärungen zu begrenzen,
den Ausdruck „Nichtigkeit“ abſichtlich vermieden
und man wird auch dem ausgeſprochenen Verlangen,
dieſe Fälle ausdrücklich unter die Nichtigkeit ein⸗
zureihen (Enneccerus, Lehrbuch 6. Aufl. 1,
497, Fiſcher a. a. O. S. 8) nicht beipflichten
können. Jedenfalls ſteht aber das feſt, daß, wenn
das Geſetz ausſpricht, daß ein beſtimmtes Handeln
nicht erfolgen kann, die trotzdem vorgenommene
Handlung regelmäßig nichtig iſt (Crome, Syſtem
1, 347) und daß die in dieſen Fallen und in
ahnlichen (vgl. SS 111, 174, 344, 1253, 1398,
1831, 1950) ausgeſprochene Unwirkſamkeit der
Nichtigkeit ſehr nahe ſteht oder ſie mitumfaßt.
So erklart $ 344, wenn das Gefetz das Verſprechen
einer Leiſtung für unwirkſam anſehe, auch die für
den Fall der Nichterfüllung vereinbarte Vertrags⸗
ſtrafe für unwirkſam; hier kommen die Fälle der
Nichtigkeit in erſter Linie in Betracht, im I. Ent⸗
wurf lautete der entſprechende 5 424: für unwirkſam
oder für anfechtbar. Ob aber eine Erklärung,
z. B. daß ein Erbſchaftsteil angenommen werde,
nach 8 1950 mit allen Beifügungen als nichtig
zu betrachten iſt oder nur als unwirkſam, mag
dahingeſtellt bleiben. Noch weniger kann ſchlechthin
deutſchen Rechte Nichtigkeit ſtets dann anzunehmen,
wenn ein dahingehender Wille des Geſetzes feſtzu⸗ tragsmäßige Verfügungen getroffen wurden, die
ſtellen iſt. Wenn dieſes insbeſondere z. B. in
8 1317 ausſpricht, daß die Erklärung nicht unter
einer Bedingung oder einer Zeitbeſtimmung ab—
gegeben werden kann, fo iſt die Folge der Ueber—
tretung nach $ 1324 (heilbare) Nichtigkeit. Aehn⸗
lich verhält es ſich bei den §8§ 388 S. 2, 925
Abſ. 2, 1598 Abſ. 2, 1724, 1742, 1768 Abſ. 1
|
|
Nichtigkeit in den Fällen angenommen werden, in
denen eine mit „darf nicht“ aufgeſtellte Anordnung
übertreten wird; hier handelt es ſich meiſt um die
Uebertretung von „Soll“-Vorſchriſten, die zum
Schadenserſatz verpflichtet, vgl. 88 52 Abſ. 2, 627
Abſ. 2, 671 Abſ. 2. So wird jeder Einzelfall
geprüft werden müſſen; dabei werden ſich zahlreiche
Fälle finden, in denen das Geſetz Nichtigkeit an⸗
drohen will, ohne es ausdrücklich auszuſprechen.
Am meeiſten tritt dies hervor in $ 2298, wonach.
wenn in einem Erbvertrage von beiden Teilen ver⸗
Nichtigkeit einer dieſer Verfügungen die Un—
wirkſamkeit des ganzen Vertrags zur Folge hat,
verglichen mit dem ähnlichen § 139, nach dem der
nichtige Teil eines Rechtsgeſchäfts unter Umſtänden
das ganze Rechtsgeſchäft nichtig macht, und mit
88 2085, 2195 ſowie 2161. (Schluß folgt).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
Prüfungspflicht des Kegiſterrichters in
Geſchmacksmuſterſachen.
Bon Oberamtsrichter Franz Simeon in Augsburg.
Die Vorſchrift im 8 10 RG. vom 11. Ja⸗
nuar 1876 betr. das Urheberrecht an Muſtern
und Modellen (Muft®.) beſtimmt manchen, der
Prüfungspflicht des Regiſterrichters in Geſchmacks⸗
muſterſachen einen geringeren Umfang beizumeſſen,
als ihr in Wahrheit zukommt. Bei näherer Unter⸗
ſuchung zeigt ſich, daß der Regiſterrichter eine
Reihe von formellen und ſachlichen Umſtänden zu
prüfen hat, ehe er die Anmeldung und Muſter⸗
niederlegung oder ſpätere auf den Muſterſchutz be⸗
zügliche Anträge als zuläſſig erachten und die
Eintragung in das Muſterregiſter vornehmen darf.
Läuft beim Amtsgericht, welches das Handels⸗
regiſter führt (3 9 Muft®., 8 125 FGG., Bayer.
JMBek. v. 14. Dezember 1899, die Führung des
Muſterregiſters betr. $ 1), ein Antrag ein, jo ift
Folgendes zu berüdfichtigen.
I. Bei Neuanmeldungen.
1. Die örtliche Zuſtändigkeit des angegangenen
Regiſtergerichts iſt zu prüfen. Zuſtändig iſt zur
Entgegennahme der Anmeldung und des Mufters,
des Modells oder der Abbildung
a) wenn der Anmeldende eine im Inland
eingetragene Firma beſitzt, das Regiſtergericht ſeiner
Hauptniederlaſſung, allenfalls einzigen Nieder⸗
laſſung (8 9 Abſ. 2 Muſt G.); beſitzt er im In⸗
lande nur eine Zweigniederlaſſung, das Regiſter⸗
gericht der Zweigniederlaſſung (8 9 Abſ. 3 Muft®.;
RG. 41, 82; JW. 1909 S. 396);
b) wenn der Anmeldende keine im Inlande
eingetragene Firma befitzt, das Regiſtergericht
ſeines Wohnfiges (8 9 Abſ. 2 und 3 MuſtG.);“)
c) wenn der Antragſteller Niederlaſſung oder
Wohnſitz im Inlande nicht hat, das Handelsgericht
(Amtsgericht) Leipzig (8 9 Abf. 3 Muft®.).
Erfolgt beim örtlich unzuſtändigen Regiſter⸗
gerichte die Anmeldung, ſo iſt ſie zurückzuweiſen.
Eine Anmeldung und Muſterniederlegung beim
örtlich unzuſtändigen Gerichte iſt wirkungslos, da
die Zuſtändigkeit des 8 9 Muft®. ausſchließlich iſt.“)
) Auf aus ländiſche Urheber, welche im Deut⸗
ſchen Reiche ihre gewerbliche Niederlaſſung nicht haben,
findet das Muft®. keine . ſoweit nicht
Fr ae anderes beſtimmen (8 16 Abſ. 2 und 3
ut®.).
18) Dambach, Muſterſchutzgeſetz 8 I Anm. 2; Als
feld, Komm. zu den Geſetzen über das gewerbliche Ur⸗
heberrecht, S. 342 8 9 Anm. 2 MuſtG. 88 7 und 32
FGG. können hier nicht herangezogen werden. Das
Muſterregiſter und deſſen Führung gehören zwar zu
den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.
Anmeldung und Niederlegung des Muſters ſind aber
nach 88 7 und 9 Muft®. einem beſtimmten Gerichte
5 vorzunehmen. Auf Handlungen und Er⸗
ärungen, die einem Gerichte gegenüber vorzunehmen
find, bezieht ſich 8 7 JGG. nicht (ſ. auch Schneider
137
Das Regiſtergericht hat weiter zu beachten,
wer die Anmeldung entgegenzunehmen hat, ob ſie
bei mündlicher Vornahme vom Regiſterrichter allein
oder auch vom Gerichtsſchreiber des Regiſtergerichts
zu Protokoll genommen werden kann.
Letzteres iſt der Fall, da das Muſterregiſter
von den mit der Führung des Handelsregiſters
beauftragten Gerichtsbehörden geführt wird (8 9
Muft®., 8 1 d. ReichskBek. vom 29. Februar
1876 über die Führung des Muſterregiſters), für
das Muſterregiſter, ſoweit beſondere Beſtimmungen
nicht getroffen find, die für das Handelsregiſter
erlaſſenen Beſtimmungen über Anmeldung uſw.
entſprechende Anwendung finden (ſ. auch 8 8 der
oben erwähnten Bayer. IMBek. vom 14. De:
zember 1899) und die Anmeldungen zum Handels⸗
regiſter zu Protokoll des Gerichtsſchreibers erfolgen
können (8 128 GG., 8 51 der Bayer. MBek.
vom 24. Dezember 1899, die Führung des Handels⸗
regiſters betr.).
2. Hinſichtlich der Perſon des Antragſtellers
hat der Regiſterrichter zu prüfen
a) ob der Antragſteller geſchäftsfähig iſt; —
die Anmeldung eines Muſters iſt ein Rechts⸗
geſchäft, das einer Behörde gegenüber vorzunehmen
iſt. Geſchäftsunfähige können daher nicht an⸗
melden (88 104, 105 BGB.), in der Geſchäfts⸗
fahigkeit Beſchränkte nur nach 88 106, 107, 111,
114 BGB.;
b) die Perſönlichkeit des Antragſtellers; ſie iſt
nachzuweiſen
a) bei mündlicher Anmeldung: wenn der An⸗
tragſteller nicht dem Gerichte bekannt iſt, durch
einen bekannten und glaubhaften Zeugen (8 5 der
ReichskBek. vom 29. Februar 1876);
8) bei ſchriftlicher Anmeldung: durch amtliche
Beglaubigung der Echtheit der Unterſchrift des
Antragſtellers) durch eine zur Führung eines
öffentlichen Siegels berechtigte Perſon unter Bei⸗
drückung dieſes Siegels (8 5 wie vor). Solche
Perſonen find z. B. die Notare, die Gerichts-
ſchreiber, wenn ſie nach Landesrecht zur Beur⸗
kundung und Beglaubigung zuſtändig ſind, die
388. 87 Anm. 1, JW. 1909 S. 396; RG. 71, 107).
Anmeldung und Niederlegung ſind die weſentlichen
Erforderniſſe zur Erlangung des Muſterſchutzes. Die
Eintragung in das Muſterregiſter iſt ein an ſich be⸗
deutungsloſer 105 (87 Muft.; RGSt. Entſch.
vom 30. Oktober 1906; Bay ZfR. Bd. 3 S. 66; Dam⸗
bach, Muſterſchutzgeſetz $ 7 Anm. 4; die Motive zu 87
Muit®. ſprechen zwar von der Eintragung als Be⸗
dingung des Schutzes. Das Geſetz verlangt aber nur
Anmeldung und Niederlegung). Durch die Eintragung
in das Muſterregiſter des unzuſtändigen Gerichts können
daher Anmeldung und Niederlegung bei ihm nicht
rechtswirkſam werden.
2) S. Schneider JGG. 8 128 Anm. 2; Birkenbihl,
FGG. 8 128 Anm. 4; anders Rausnitz JGG. S 128
nm. 5.
2) Erfolgt die Anmeldung mit Firmenunter⸗
ſchrift, dann wird die Beglaubigung ſich darüber aus—
zuſprechen haben, wer die Firmenunterſchrift abge⸗
geben hat.
Gemeindebehörden (die Bürgermeiſter und deren
Vertreter), die Polizeikommifſäre;
c) die Vertretungsbefugnis der erſchienenen
Perſon, wenn ſie nicht in eigenem Namen An⸗
trag ſtellt. Wird für eine Firma“) oder Geſell⸗
ſchaft angemeldet, ſo iſt zu unterſuchen, ob der
Anmeldende der Firmeninhaber oder vertretungs⸗
berechtigter Geſellſchafter, Geſchaͤftsführer, Vorſtand
iſt. Sind mehrere Vertreter vorhanden, ſo brauchen
nur ſo viele die Anmeldung vorzunehmen, als zur
Vertretung der Geſellſchaft nach Geſellſchaftsver⸗
trag oder Geſetz ausreichen.
Da die Prokura zu allen Arten von gericht⸗
lichen und außergerichtlichen Geſchaͤften und Rechts⸗
handlungen ermächtigt,“) die der Betrieb eines
Handelsgewerbes mit ſich bringt, und Schöpfung
von Muſtern und Schutzerwerb für ſie in einem
Geſchäfte hierunter fallen, ſo werden auch der Ein⸗
zelprokuriſt, die Geſamtprokuriſten, Vorſtand und
Prokuriſt (je nachdem fie vertretungsberechtigt find)
Muſteranmeldungen für die Firma vornehmen
können. — Der Handlungsbevollmaͤchtigte wird
in der Regel beſonderer Vollmacht bedürfen, da
Muſteranmeldung in den meiſten Fällen nicht eine
Rechts handlung ſein wird, die der Betrieb eines
Handelsgewerbes gewöhnlich mit ſich bringt.
Meldet ein Bevollmächtigter an — was nach 8 13
3GG., 8 8 der Bayer. JM Bek. vom 14. Dezember
1899, die Führung des Muſterregiſters betr., 8 50
der Bayer. JMBek. vom 24. Dezember 1899, die
Führung des Handelsregiſters betr., 8 12 HGB.
zuläſſig iſt —, ſo wird eine Einzelvollmacht oder eine
allgemeine Vollmacht vorzulegen ſein, die erkennen
laßt, daß fie ſich auch auf Geſchmacksmuſter⸗An⸗
meldungen erſtreckt. Die Vollmacht wird mindeſtens
die gleiche Form haben müffen wie die ſchriſtliche
Anmeldung — Unterſchriftsbeglaubigung in der in
9 5 der ReichskBek. (ſiehe IJ 2 b p) angegebenen
Form.“)
Liegt ein Mangel bei einem der unter a, b, c
angegebenen Nachweiſe vor, iſt die Anmeldung zu⸗
rückzuweiſen und die Annahme des Muſters zu ver:
weigern, weil dann keine „Anmeldung“ i. S. des
Geſetzes vorliegt.
3. Zu unterſuchen iſt weiter, ob die Vorſchriften
über Inhalt und Form der Anmeldung und Muſter⸗
Niederlegung (8 9 Abſ. 4 MuſtG., 88 6 ff. der
Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
ReichskBek. vom 29. Februar 1876) eingehalten
|
) Nach dem der ReichskBek. vom 29. Februar |
1876 beigegebenen Formular des Muſterregiſters als
zuläſſig behandelt.
) Auch ungewöhnlichen und ſelten vorkommenden,
Staub, Komm. z. HGB. § 49 Anm. 1.
e) Nachträgliche Vorlegung der vor der Anmeldung
erteilten Vollmacht iſt ſtatthaft. Nachträglich erteilte
Vollmacht macht die Anmeldung nicht wirkſam (§ 180
BGB.), kann aber, wenn den übrigen Erforderniſſen
entſprochen iſt, erneute Vornahme der Anmeldung ſein
(ſiehe auch Kohler, Muſterrecht S. 94). Erklärt der
Anmeldende, daß mehrere die Urheber ſeien, dann
müſſen ſämtliche Miturheber anmelden oder der Ans
meldende von den übrigen Miturhebern Vollmacht
beſitzen.
find,
a) ob es ſich um offene oder verfiegelte Nieder:
legung handelt,
b) ob die Muſter und Modelle einzeln oder in
größerer Zahl in Paketen, offenen oder verfiegelten,“)
niedergelegt werden,
c) ob bei verfiegelter Niederlegung auf dem Paket
die Zahl der Muſter, die es enthält, angegeben iſt
und dieſe Angabe beim einzelnen Paket 50 Muſter
= Modelle oder Abbildungen ſolcher nicht über:
eigt,
d) ob das einzelne Paket mit Muſtern nicht
mehr als 10 kg wiegt,
e) ob die begehrte Dauer der Schutzfriſt nach
dem Geſetze verlangt werden kann. Zuläſſig iſt
einſchließlich Ausdehnung jeder Zeitraum von 1 bis
zu 15 Jahren, auch Bruchteile über ein Jahr. Bei
Bruchteilen über ein Jahr wird jedoch die Gebühr
für jedes angefangene Jahr voll berechnet (8 12
Mut.)
f) ob die Anmeldung die Angabe enthält, ob
das Muſter oder Modell far Flächenerzeugniſſe oder
für plaſtiſche Erzeugniſſe beſtimmt iſt. Die An⸗
meldung eines und desſelben Muſters uf. für Flaͤchen⸗
erzeugniſſe und für plaſtiſche Erzeugniſſe iſt un⸗
zuläffig (8 6 Abſ. 2 Muft®., 8 6 der ReichskBek.
vom 29. Februar 1876). Enthält ein Muſter
plaftiſche und Flachenornamente (z. B. eine eigen⸗
tümlich geformte Schachtel und ein Bild auf ihr)
und ſollen beide geſchützt werden, dann iſt jeder
Teil für ſich, alſo die Schachtel als plaſtiſches Er⸗
zeugnis, das Bild als Fläͤchenerzeugnis, je unter
der betreffenden Niederlegung, anzumelden, or)
g) ob an den einzelnen Muſtern uſw. oder auf
jedem Kuvert oder Paket, das die Muſter oder
Abbildungen enthält, die Fabriknummern oder die
Geſchäftsnummern angegeben ſind, unter welchen
die Muſter in den Geſchaäftsbüchern des Urhebers
oder ſeines Rechtsnachfolgers eingetragen ſind
(ReichskBek. vom 29. Februar 1876 8 7 Abi. 2).
Jeder Gegenſtand, der ſich als einzelnes Muſter
darſtellt, muß eine eigene Nummer haben. Wenn
für ein Muſter mehrere Bilder (3. B. Aufnahmen
von verſchiedenen Seiten) übergeben werden, werden
ſie alle mit der gleichen Geſchaͤſtsnummer zu ver:
ſehen ſein,
h) ob das Muſter (Modell) oder eine Abbildung
niedergelegt wird.
In allen den genannten Fällen iſt die Anmel⸗
dung zurückzuweiſen, wenn es an den vorgeſchrie⸗
benen Erſorderniſſen fehlt (z. B. wenn ein nicht
verſiegeltes Paket als verſchloſſen niedergelegt werden
64) Offene Pakete zuläſſig, Jahrbuch des Kammer⸗
gerichts Bd. 32 Abt. B Nr. 1 (Entſch. vom 5. April 1906).
Die Zuſammenfaſſung in Pakete kann auch noch vor
dem Regiſtergericht erfolgen. — Hinſichtlich der Ge
bührenbewertung: Niederlegung als Paket nur auf
3 Jahre, dann nur als einzelne Muſter.
6b) Siehe Alfeld a. a. O. 86 Anm. 3e S. 333.
Heitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
ſoll, die Zahl der Muſter oder die Nummern nicht
angegeben find, Zahl und Gewicht überſchritten
wird, eine nicht zuläſſige Schutzfriſt, Schutz als
plaſtiſches und Flächenerzeugnis verlangt wird,
nicht das Muſter oder eine Abbildung ſondern nur
eine Beſchreibung des zu ſchützenden Muſters hinter⸗
legt werden ſoll (ſ. RG. 49, 181).
Hat der Anmeldende nicht angegeben, ob das
Muſter für Flächenerzeugniſſe oder für plaſtiſche
Erzeugniſſe beſtimmt iſt, ſo iſt er zur nachträglichen
Beibringung der Erklärung mit dem Bemerken
aufzufordern, daß das Muſter vor Abgabe dieſer
Erklärung nicht eingetragen werden könne (8 6 der
Reichsk Bek. vom 29. Februar 1876).°) Kommt er
innerhalb angemeſſener Friſt der Aufforderung nicht
nach, dann wird auch hier unter Rückſendung des
Muſters der Antrag mangels ordnungsmäßiger
Anmeldung abzuweiſen ſein.
4. Daneben iſt die Eigenſchaft des Angemeldeten
als Geſchmacksmuſter zu prüfen. Der eingereichte
Gegenſtand muß ſo geartet ſein, daß er den Be⸗
griff des Geſchmackmuſters erfüllen kann. Beſteht
die Möglichkeit, daß das Angemeldete und Nieder⸗
gelegte eine gewerbliche Formgeſtaltung iſt, Muſter⸗
eigenſchaft ea) hat und einen aͤſthetiſchen Zweck verfolgt,
beſtimmt und geeignet iſt den Geſchmack, den For⸗
men finn anzuregen, dann kann die Anmeldung nicht
zurückgewieſen werden.) Ergibt ſich aber aus der
Aufſchrift des verſchloſſen eingereichten Muſterpakets,
aus der Bezeichnung der darin enthaltenen Gegen⸗
ſtände oder bei Beſichtigung der als Geſchmacks⸗
muſter eingereichten Gegenſtände ſofort klar, daß der
Gegenſtand der Anmeldung kein Geſchmacksmuſter
iſt, ſo iſt die Entgegennahme der Anmeldung ab⸗
zulehnen. Das iſt z. B. der Fall, wenn für reine
Naturerzeugniſſe, Nahrungs⸗ oder Genußmittel,“
ein Verfahren) der Geſchmacksmuſterſchutz begehrt
wird, oder wenn für ein Zeichen durch Anmeldung
zum Muſterregiſter Markenſchutz angeſtrebt wird.
Begründet iſt dieſe Prüfungspflicht über Weſen
und Eigenſchaft des angemeldeten Gegenſtandes in
60) Auch in dieſem Falle wird als Zeitpunkt (Tag
und Stunde) der Anmeldung erſt der Augenblick an⸗
zunehmen ſein, in dem die geforderte Ergänzung beim
zuſtändigen Amtsgericht einläuft. Erſt, wenn dem Ge⸗
ſetze und der auf Grund des § I Mujt®. erlaſſenen
Reichskdek. vom 29. Februar 1876 entſprochen iſt,
kann die Anmeldung als geſetzlich zuläſſig entgegen⸗
genommen werden. Das Gleiche wird gelten, wenn
der Regiſterrichter bei ſonſtigen Mängeln der An⸗
meldung nachträgliche Beibringung des Fehlenden ver⸗
langt und nicht ſofort die mangelhafte Anmeldung
abweiſt.
6d) Vorbild für die Form von Induſtrieerzeug⸗
niſſen iſt.
) Auch wenn es naheliegt, daß das Muſter eher
Gebrauchszwecken dient.
6) Siehe Kohler Muſterrecht S. 78; RG. 46, 1;
Allfeld a. a. O. S. 374.
) RGeEntſch. vom 27. Mai 1905, DJ Z. 1905 S. 813,
Kohler a. a. O. S. 48 u. 114, oder für etwas, was nicht
Gegenſtand des Sehens iſt. (Jahrbuch von Neumann
Bd. 7 S. 1155).
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139
88 7 ff. Muft®., wonach eben nur ein Muſter oder
Modell angemeldet, niedergelegt und eingetragen
werden ſoll.
8 10 Muft®. ſteht nicht entgegen. Er ſchließt
nur die Prüfung der Berechtigung des Antrag⸗
ſtellers als Urheber oder Rechtsnachfolger von ſolchen
und die Prüfung der Richtigkeit der angemeldeten
Tatſachen aus. Solche Tatſachen ſind Neuheit und
Eigentümlichkeit des Muſters (8 1 Abi. 2 MuſtG.)
und Nichtverbreitung eines nach dem Muſter ge⸗
fertigten Erzeugniſſes.) Schlechthin alle Umſtände,
welche bei der Anmeldung vorzubringen find, hat
810 Muft®. nicht im Auge. Die Motive zu $ 10
Mut. (Bd. III S. 79 der Stenogr. Berichte über
die Verhandlungen des Reichstags 1875/76) er:
wähnen als Grund dafür, daß keine causae co-
gnitio ſtattfinde, nur, daß das Regiſtergericht nicht
mit Privatſtreitigkeiten zu behelligen ſei. Für Be⸗
achtung eines offenfichtlichen Nichtmuſters und feine
Zurückweiſung trifft dieſer Grund nicht zu.
Schließlich kann es nicht Abſicht des Geſetzes
ſein, daß der Regiſterrichter wie eine Maſchine alles,
was der Antragſteller daherbringt, ohne jede Prüfung
als Muſter entgegennimmt und einträgt.
5. Endlich hat der Regiſterrichter zu prüfen,
ob das Muſter nicht nach ſeiner Art oder Form,
durch den dargeſtellten Gedanken oder in ſeiner Ver⸗
wertung die guten Sitten, das Geſetz oder das Recht
verletzt. Das Muft®. enthält zwar keine ähnliche Be:
ſtimmung wie 8 1 Abſ. 2 Nr. 1 PatG. 1) oder
wie 8 4 Nr. 8 Waren 3G. ), trotzdem find für den
Schutz der Muſter und Modelle ſowie der Gebrauchs⸗
muſter die gleichen Grundſätze maßgebend.) Die
Aehnlichkeit der Rechtsgebiete verlangt die gleiche
Behandlung. Auch Geſchmacksmuſter, die Geſetz
oder gute Sitten verletzen, können Rechtsſchutz nich
erlangen.
Während bei den übrigen Urheberrechtsgeſetzen
der Schutz regelmäßig mit der Vollendung des
Schöpfungsvorgangs gegeben iſt und ohne Rück⸗
ſicht auf Geſetz und Sittenwidrigkeit beſtehen kann,
iſt bei den Geſetzen über das gewerbliche Urheber:
recht mit der Schöpfung des Muſters zwar ein
übertragbares Recht vorhanden, der geſetzliche
10) Auch dieſe Frage wird der Regiſterrichter na⸗
türlich dann nicht unbeachtet laſſen können, wenn der
Anmeldende ſelbſt ſagt, ein nach dem Muſter gefertigtes
Erzeugnis ſei ſchon verbreitet oder das Muſter ſei nicht
neu oder er ſei nicht der Urheber oder deſſen Rechts⸗
nachfolger.
1) Erfindungen, deren Verwertung den Geſetzen
oder den guten Sitten zuwiderlaufen würde, ſind von
der Patenterteilung ausgenommen.
12) Die Eintragung in die Zeichenrolle iſt zu ver⸗
ſagen für Warenzeichen, die Aergernis erregende Dars
ſtellungen oder ſolche Angaben enthalten, die den
tatſächlichen Verhältniſſen nicht entſprechen und die
Gefahr einer Täuſchung begründen.
10 Für Gebrauchsmuſter ähnlich Allfeld, Komm. zu
den Geſetzen über das gewerbliche Urheberrecht S. 377
(81 Anm. 6e GebrMuſtG.), für Gebrauchs- und Ge⸗
ſchmacksmuſter: Kohler, Muſterrecht S. 77 ff.
140 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
Schutz, die Ausübung des Rechts nach dem Ge⸗
ſetze iſt aber von der mitwirkenden Tätigkeit einer
Behörde abhaͤngig: Anmeldung und Eintragung
in die Rolle des Patentamts, Anmeldung und
Niederlegung des Muſters bei Gericht. Die ſtaat⸗
liche Behörde kann und darf aber eine Geſetzes⸗
verletzung und Sittenwidrigkeit, die durch Erfin⸗
dungen oder Muſter verübt werden, durch Ein⸗
tragung oder Entgegennahme der Anmeldung nicht
unterſtützen und darf Gegenſtänden nicht den Anſchein
eines Schutzes verſchaffen, den fie nicht genießen;
am wenigſten dürſen das die Gerichte, die zum
Schutze des Rechtes und zur Ausübung der Rechts⸗
pflege berufen find. Es iſt daher die Anmeldung
von Muſtern zurückzuweiſen, die Geſetz⸗ und Sitten⸗
widrigkeiten in ſich bergen und bei denen dieſe
Eigenſchaft infolge offener Uebergabe oder ſonſt⸗
wie vom Regiſtergericht erkannt werden kann.
Hierher gehören z. B. Muſter, welche eine Gottes⸗
läfterung, eine Beleidigung des Kaiſers, des Landes⸗
herrn, unzüchtige nach 8 184 StGB. ſtrafbare
Darſtellungen uſw. enthalten, dann ſolche, durch
welche unlauterer Wettbewerb, ſtrafbare Reklame
verübt wird.
Häufig kommt es vor, daß Etiketten, Muſter
für Packungen angemeldet werden, auf denen die
Worte „Marke ... . geſetzlich geſchützt“ oder
„Unter Nr. .. geſetzlich geſchützt“ in einer Weiſe
angebracht ſind, daß niemand an den Schutz der
Etikette oder Packung denkt, daß vielmehr ange⸗
nommen wird, eine Marke, ein Warenzeichen oder
ein Herſtellungs verfahren fei geſchützt; das geſetzes⸗
unkundige Publikum wird ſogar glauben, die mit
der Etikette verſehene, in der Packung enthaltene
Ware genieße wegen beſonderer Güte, Reinheit
oder Brauchbarkeit geſetzlichen Schutz.)!“
In den meiſten Fällen dieſer Art läßt Inhalt
und Anordnung der Aufſchrift keinen Zweifel, daß
der Antragſteller beabſichtigt, beim Publikum den
vorerwähnten Glauben zu erwecken und den An⸗
ſchein eines beſonders günſtigen Angebots hervor⸗
zurufen. Solche Etiketten und Packungen find für
einen größeren Kreis von Perſonen beſtimmte Mit⸗
teilungen. Sie werden — wenn, was regelmäßig
der Fall, Zeichen⸗ oder Patentſchutz nicht beſteht
— als unrichtige Angaben über geſchäftliche Ver⸗
hältniſſe im Sinne des 8 4 UnlWG. vom 7. Juni
1909 zu erachten ſein. Wenn der Tatbeſtand
dieſer Vorſchrift nicht vollſtändig erfüllt iſt, wird
doch häufig eine gegen die guten Sitten verſtoßende
Irreführung des Publikums vorliegen. Auch bei
10) Z. B. „Eiernudeln, Marke Auguſta, geſetzlich
geſchützt“, darunter oder um die Worte ein bildlicher
Schmuck und vielleicht eine Anpreiſung der Nudeln,
oder „Weineſſig, reines Gärungsprodukt, Marke Alta
unter Nr. . . geſetzlich geſchützt' und daran anſchließend
eine Anpreiſung des Weineſſigs unter Hinweis auf das
Gutachten eines Chemikers.
1%) S. Beſchl. des LG. Augsburg vom 17. Oktober
1912 (HR. 5/1912).
anderen Fällen von Sittenwidrigkeit, die im Ge⸗
ſchmacksmuſter oder deſſen Verwertung zum Aus⸗
druck kommen, wird die Anmeldung zurückzuweiſen
ſein. Dasſelbe Schickſal wird Geſchmacksmuftern
zuteil werden müſſen, welche offenſichtlich in das
Perſönlichkeitsrecht eines anderen eingreifen, z. B.
deſſen Recht am eigenen Bilde, das Namenrecht
und das Firmenrecht verletzen.“)
II. Bei Anträgen auf Verlängerung
der Schutzfriſt iſt zu prüfen:
1. Die örtliche Zuſtändigkeit des angegangenen
Gerichts. Hat der urſprüngliche Anmelder in⸗
zwiſchen ſeinen Wohnſitz, ſeine Hauptniederlaſſung
oder ſeine Zweigniederlaſſung (wenn nur eine ſolche
im Inlande beſtand) geändert, ſo bleibt das Re⸗
giſtergericht, deſſen Zuſtändigkeit bei der Anmel⸗
dung gegeben war, auch für die Entgegennahme
und Eintragung des Antrags auf Schutzfriſtver⸗
längerung zuſtändig. Der in der freiwilligen Ge⸗
richtsbarkeit in anderen Faͤllen geltende Grund:
ſatz, daß die einmal begründete Zuſtändigkeit nicht
durch die ſpaͤtere Veränderung der Umſtände be
rührt wird, auf denen ſie beruht, wird auch hier an⸗
zuwenden fein, da das Muft®. keine abweichende
Beſtimmung hält. Wurde die Neuanmeldung und
Niederlegung vom unzuſtändigen Gerichte entgegen⸗
genommen und wird dann eine Verlängerung der
1 bei dieſem beantragt, ſo iſt der Antrag ab⸗
zuweiſen. Da kein Muſterſchutz beſteht (ſ. oben J 1),
kann auch keine Verlängerung verlangt werden.
2. Die Geſchäftsfähigkeit, Perſönlichkeit und
Vertretungsbefugnis des Antragſtellers. Hierfür
gilt das oben 12 Geſagte. Hervorgehoben werden
ſoll nur das Folgende:
Auch der Antrag auf Ausdehnung der Schutz⸗
friſt ſowie jede andere Anmeldung, auſ welche eine
Eintragung oder ein Vermerk im Regiſter zu er⸗
folgen hat, bedarf bei ſchriftlicher Einreichung der
im 8 5 der ReichskBek. vom 29. Februar 1876
vorgeſchriebenen Beglaubigung.) Sie find „An:
träge auf Eintragung in das Muſterregiſter“ i. S.
des genannten § 5. 8 5 iſt allgemein voraus⸗
geſchickt und bezieht ſich ſowohl auf 8 6 wie auf
89 der ReichskBek. vom 29. Februar 1876. Es
kann nicht angeführt werden, die Eintragung der
Verlängerung brauche nicht beantragt zu werden.
Bei der Neuanmeldung braucht die Eintragung
auch nicht beantragt zu werden. Der Eintrag
erfolgt auch hier von Amts wegen. Es genügt
die Anmeldung und Niederlegung des Muſters !°)
16) Vgl. hierzu Seuff A. Bd. 66 Nr. 110; Recht 1907
S. 500; Bay 3fR. 1909 S. 79 und 99ff.; 8 12 808.;
829, 37 11 HGB.; 8 16 Unl WG.
17) Anderer Anſicht KG. Entſch. vom 3. Mai 1912
(ſ. RIA. Bd. XII S. 122 ff.).
15) Wenn daneben die ſachlichen Vorausſetzungen
vorliegen, daß das Muſter neu und eigentümlich, ein
hiernach gefertigtes Erzeugnis noch nicht verbreitet
iſt, daß der Anmeldende der Urheber oder deſſen Rechts⸗
nachfolger iſt, und das Regiſtergericht die Anmeldung
und Niederlegung für zuläſſig erachtet. Zur Erhaltung
— —— ——
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 141
zur Erlangung des Schutzes. Der Schutz tritt
ebenſo wie die Ausdehnung der Schutzfriſt ein,
auch wenn die Eintragung nicht ſtattfände.“) —
Wegen der Oeffentlichkeit des Muſterregiſters hat
der Anmeldende an der Eintragung in beiden
Fällen das gleiche Intereſſe. — Die Beglaubigung
hat den Zweck, die Perſon des Antragſtellers außer
Zweifel zu ſtellen. Das Bedürfnis hiernach be⸗
ſteht auch bei dem Antrage auf Schutzfriſtaus⸗
dehnung. Es iſt nicht einzuſehen, warum nur bei
der Neuanmeldung, nicht aber bei anderen An⸗
tragen Beglaubigung notwendig fein fol. Auch
ſonſt bedürſen alle Anmeldungen zum Regiſter⸗
gericht (z. Handelsregiſter, Genoſſenſchaftsregiſler,
Vereinsregiſter, Güterrechtsregiſter) der Beglaubi⸗
gung. Dieſer immer wieder ausgedrückte Grund⸗
fatz ſpricht ebenfalls für meine Auslegung des $ 5
der ReichskBek. vom 29. Februar 1876.
Ein nicht beglaubigter Antrag auf Ausdehnung
der Schutzfriſt iſt daher abzuweiſen, auch wenn
dadurch das Recht verloren gehen ſollte, Ver⸗
längerung zu verlangen. Hat Uebergang des Rechts
des Urhebers flattgefunden und beantragt der
Rechtsnachfolger die Ausdehnung der Schutzfriſt,
ſo hat ſich der Antragſteller durch Erbſchein, Vor⸗
legung einer in öffentlicher Urkunde enthaltenen Ver⸗
fügung oder durch Nachweis des Vertrags betreffend
die Uebertragung des Urheberrechts als Berechtigter
auszuweiſen, denn Veränderungen in der Perſon
des Rechtsinhabers brauchen nicht zum Muſter⸗
regiſter angemeldet und eingetragen zu werden.
Für das Regiſtergericht gilt zunächſt der einge⸗
tragene urſprünglich Anmeldende als Berechtigter
(ſ. außerdem unter
Iſt das Muſter für eine Firma eingetragen,
ſo wird man zwar bei Veräußerung des Geſchäfts
mit der Firma annehmen müſſen, daß das Muſter⸗
recht mit veräußert iſt; doch iſt es ratſam den:
jenigen, der zur Zeit der Anmeldung und Nieder⸗
legung Firmeninhaber war, über den Rechtsüber⸗
gang einzuvernehmen.
Die Verlängerung der Schutzfriſt iſt bekannt
zu machen ($ 9 Abf. 6 MuſtG., § 9 Abſ. 2 der
ReichskBek. vom 29. Februar 1876).
Der Regiſterrichter muß ſich dabei ſchlüſſig
machen, ob er die Verlängerung für den Einge⸗
tragenen oder den anmeldenden Rechtsnachfolger
bekannt zu machen hat. Nach dem Muſterbeiſpiel
der ReichskBek. vom 29. Februar 1876 iſt aus⸗
zuſchreiben:
„In das Muſterregiſter iſt eingetragen: bei
Nr. . . . N. N. hat für das unter Nr. . .. ein⸗
getragene muſter die Verlängerung der
Schutzfriſt bis auf ... Jahre angemeldet.“
des Schutzes gehört noch Verfertigung der nach den
Muſtern hergeſtellten Erzeugniſſe im In lande (8 16
Abſ. 3 Muft®.).
10) S. auch Allfeld, Komm. zu d. Geſ. über das
gewerbliche Urheberrecht Anm. 2 zu 8 13 MuſtG. S. 348
und oben Anm. la.
Da die Bekanntmachung der Wahrheit ent⸗
ſprechen muß, ſo iſt die Perſon des Erwerbers, der
anmeldet, und hiermit die Uebertragung des Muſter⸗
rechts zu veröffentlichen. Weil grundſätzlich nur
Eingetragenes zu veröffentlichen iſt, ſo wird auch
im Regiſter ein Vermerk über die Uebertragung
des Muſterrechts zu machen ſein. Im Antrag des
Rechtsnachfolgers auf Verlängerung der Schutz⸗
friſt wird der Antrag auf Vermerk des Rechts⸗
übergangs im Muſterregiſter liegen. Die Spalte
„Bemerkungen“ iſt die geeignete Stelle des Re⸗
giſters, in die der Vermerk aufzunehmen iſt.
Verhalten des Regiſtergerichts gegenüber An⸗
trägen von Pfandgläubigern auf Ausdehnung
der Schutzſriſt ſiehe unten VI und VII.
3. Die Frage, ob die begehrte Ausdehnung der
Schutzfriſt zuläſſig iſt. Nach 8 8 Mufl®. wird der
Schutz 1 bis 3 Jahre vom Tage der Anmeldung
an gewährt. Ausdehnung auf höchſtens 15 Jahre
kann ſtattfinden. Die Ausdehnung der Schutzfriſt
kann bei der Anmeldung, bei Ablauf der drei⸗
jährigen und bei Ablauf der zehnjährigen Schutzfriſt
verlangt werden. Nach dem Wortlaute des 8 8
MuſtG. können daher zweifellos folgende Ber:
längerungen begehrt werden:
a) bei Anmeldung: Jede Ausdehnung über die
regelmäßige dreijährige Friſt bis zu einer Geſamt⸗
ſchutzfriſt (einſchließlich der dreijährigen) von 15
ahren;
b) bei Ablauf der bei der Anmeldung verlangten
dreijährigen Schutzfriſt: Verlangerung um jeden
Zeitraum bis um höchſtens 12 Jahre, alſo bis auf
eine Geſamtſchutzfriſt von höchſtens 15 Jahren;
c) bei Ablauf der bei der Anmeldung über die
regelmäßige dreijährige Schutzfriſt hinaus auf zu⸗
ſammen 10 Jahre gewährten Schutzfriſt: Ver⸗
längerung um jeden Zeitraum bis um höchſtens
5 Jahre, alſo bis auf eine Geſamtſchutzfriſt von
höchſtens 15 Jahren;
d) bei Ablauf der Schutzfriſt, die bei Ablauf
der dreijährigen Friſt bereits auf 10 Jahre ver⸗
längert worden iſt: Ausdehnung um jeden Zeitraum
bis um höchſtens 5 Jahre, alſo auf eine Geſamt⸗
ſchutzfriſt von höchſtens 15 Jahren.
Die genannten Fälle finden im Geſetze ohne
weiteres ihre Rechtfertigung. Die zweimalige Ver⸗
längerung (d) iſt nach dem Geſetze zuläſſig, weil
ſie im Einklang ſteht mit den für die Gebühren⸗
abſtufung beſtehenden Zeiträumen und weil das
Geſetz nicht fagt, daß die urſprünglich begehrte
Schutzfriſt nur einmal verlängert werden dürfe.
Das Reichsgericht (RGZ. 46 S. 93 ff.) erachtet
mit Rückſicht auf die Entſtehungsgeſchichte der Ver⸗
längerungszeitpunkte“) die Ausdehnung zu anderen
10) Genannte Entſcheidung erwähnt hier den Antrag
zu dem Bericht der X. Kommiſſion über den Entwurf
(Nr. 98 und 106 der Druckſachen des Reichstags II. Legis⸗
laturperiode 3. Seſſion 1875). Die Beſtimmung über
die Verlängerungszeitpunkte iſt auf Initiative des
142
Zeitpunkten, z. B. bei Ablauf einer urſprünglich
auf 6 Jahre verlangten Schutzfriſt für unzuläſſig.
Durch das Geſetz ſeien in völlig abſchließender Weiſe
die Zeitpunkte beſtimmt, zu welchen eine Ausdehnung
und eine weitere Ausdehnung der Schutzfriſt nach⸗
geſucht werden könnten. Der Annahme, daß bei
Erlaß der Beſtimmung niemand an abweichende
Fälle gedacht habe, mangele jeder Anhalt.
Ob dies richtig iſt, iſt fraglich. Es ſcheint
vielmehr im Reichstage nicht an alle Fälle gedacht
worden zu ſein, welche der Wortlaut des ai
zuläßt und welche er ausſchließt. Der Beiſatz über
die Verlängerungszeitpunkte iſt im Verhaltnis zu
den übrigen Beſtimmungen über die Ausdehnung
der Schutzfriſt zu eng gefaßt und dürfte dem Willen
des Geſetzgebers nicht gerecht werden. Iſt doch z. B.
kein Zeitpunkt zur Verlängerung für den Fall
vorgeſehen, daß bei der Anmeldung eine Schutz⸗
friſt von ein oder zwei Jahren begehrt wurde. Die
Worte des 8 8 Abſ. 1 Muſt G., daß der Schutz
ein bis drei Jahre nach Wahl des Urhebers gewährt
werden kann, ſagen nicht, daß, wenn der Urheber
die Wahl auf ein Jahr ausgeübt hat, er noch
Verlängerung auf drei Jahre verlangen kann.
Gleichwohl iſt anzunehmen, daß auch bei Ablauf
dieſer kürzeren Friſt eine Verlängerung nach dem
Geſetze nicht ausgeſchloſſen ſein ſollte, denn die
Gründe, die den Beiſatz über die Verlängerungs⸗
zeitpunkte veranlaßt haben, treffen bei dieſem Fall
nicht zu.“!) In der Praxis wurde auch zugelaſſen,
daß eine urſprünglich dreijährige Friſt mehrmals,
immer wieder bei Ablauſ einer weiteren dreijährigen
Friſt um drei Jahre verlängert wurde.“) Jeden⸗
Reichstags in das Geſetz aufgenommen worden. Die
Aufnahme erſolgte, um die Schutzfriſt in organiſche
Verbindung mit den Gebühren zu bringen und damit
nicht jemand die zuerſt beantragte Friſt zu häuſig, etwa
14mal, verlängern laſſen könne. Letzteres ſei ungebühr⸗
lich und mache auch das Muſterregiſter unüberſichtlich.
(Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Reichs⸗
tags 1875-1876 Bd. 1 S. 611, Bd. 3 S. 386).
) In der Literatur (Dambach, Muſterſchutzgeſetz
88 Anm. 3, Alfeld a. a. O. 88 Anm. 3 S. 341) wird
auch in dieſem Falle die Ausdehnung zugelaſſen. Die
Verlängerung bis zu drei Jahren, wenn zunächſt nur
eine kürzere Friſt begehrt wurde, kann nach Dambach
und Allfeld bis zu deren Ablauf in jedem Augenblick
verlangt werden. Der Abgeordnete, welcher den Abſ. 3
des § 8 beantragt hat, hat ſelbſt die Verlängerung in
den erſten drei Jahren im Auge gehabt. Denn er ſagt,
wenn ſein Antrag angenommen werde, könne die
Friſt fünfmal verlängert werden, nämlich in den erſten
drei Jahren jedes Jahr, dann beim Ablaufe des dritten
Jahres und dann beim Ablaufe des zehnten Jahres.
(Stenogr. Bericht 1875/76 Bd. I S. 611). Daß dies
nur eine viermalige Verlängerung bedeutet, hat er
überſehen. Daß das Geſetz mit 88 Abſ. 1 eine Friſt
auf Bruchteile über ein Jahr nicht ausſchließt, hat er
dabei auch nicht berückſichtigt (ſ. a. Dambach a. a. O.
8 8 Note 4, Allfeld a. a. O. 8 8 Note 2).
22) Dem Wortlaute des Geſetzes dürfte es nicht
widerſtreiten, wenn eine urſprünglich auf länger als
drei Jahre, z. B. ſechs Jahre begehrte und eingetragene
Schutzfriſt dei Ablauf von drei Jahren nach der An—
meldung über die ſechs Jahre hinaus etwa bis auf im
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
falls find die Gründe nebenſächlich, die für die im
Geſetze hervorgehobenen Verlängerungszeitpunkte
angeführt werden. Die Bedürfniſſe des Handels
und Verkehrs drängen zu kurzen Friſten und zur
Möglichkeit der Verlängerung bei Ablauf, weil ſich
nicht vorausſehen läßt, wie lange ein Muſter zug⸗
kräftig bleibt. Eine Abänderung des Geſetzes oder
ausdehnende Auslegung in der Rechtſprechung ſoll⸗
ten dieſen Bedürfniſſen Rechnung tragen.
Solange aber die oberen Gerichte“) am Wort:
laute des Geſetzes feſthalten, wird der Regiſterrichter
ihrer Geſetzesauslegung folgen müſſen. Die Ent⸗
gegennahme des Antrags und die Eintragung der
Verlängerung haben keine rechtſchaffende Wirkung.
Die Verlängerung der Schutzfriſt tritt, wenn die
geſetzlichen Vorausſetzungen gegeben ſind, kraft Ge⸗
ſetzes, nicht infolge richterlicher Verfügung ein.)
Das erkennende Gericht entſcheidet erſt, ob im ein⸗
zelnen Fall Muſterſchutz beſteht, wenn er beſtritten
wird. Es iſt daher dem Antragſteller nicht gedient,
wenn der Regiſterrichter den Beſtimmungen über
Ausdehnung der Schutzfriſt eine weitergehende Aus⸗
legung gibt als die Obergerichte und Verlängerungs⸗
anträge zuläßt, deren Zuläſfigkeit dieſe Gerichte
verneinen.
Anträge auf Ausdehnung der Schutzfriſt, die
nach den geſetzlichen Verlängerungszeitpunkten ge⸗
ſtellt werden, find abzuweiſen. Rechtzeitig geſtellt
iſt der Antrag, wenn er bei dem Amtsgerichte, das
Regiſtergericht iſt, an dem Tage einläuft, mit deſſen
Ausgang die Schutzfriſt endigt.“)
4. Die Zahlung der Gebühr für die Ausdehnung
der Schutzfriſt. Zur Erlangung des Schutzes iſt
nach 87 MuſtG. nur Anmeldung und Niederlegung
verlangt, aber nicht bloß die Talſache des Schutz⸗
begehrens und die tatſächliche Niederlegung des
Muſters, ſondern auch die Enigegennahme der An⸗
meldung und Niederlegung durch das Regiſtergericht.
Das Regiſtergericht muß von der Anmeldung Kennt⸗
nis nehmen, ſie auf die Erfüllung der vom Regiſter⸗
ganzen zehn Jahre verlangt wird. Aehnlich wird bei
Ablauf der zehnjährigen Friſt Verlängerung einer vor⸗
her über zehn Jahre hinaus erlangten Schutzfriſt bis
zur geſetzlichen Höhe von fünfzehn Jahren begehrt
werden können.
) 283. 46 S. 93 ff., OLG. Karlsruhe Entſch. vom
10. März 1903, ſ. Recht 1903 S. 459 Nr. 240.
2) Der Grundſatz der 88 1, 7, 10 Muft®. iſt nach
Geiſt und Anlage des Geſetzes auf die Verlängerung
en analog anzuwenden; ſiehe auch RZ. 46
25) Die Schutzfriſt endigt mit Ablauf des Tages
des letzten Monats, welcher ſeiner Zahl nach dem Tage
der Anmeldung entſpricht (SS 187 Abſ. 1, 188 Abſ. 2
BGB.). Gegebenenfalls finden 88 188 Abſ. 3 und 189
BGB. Anwendung. Iſt der letzte Tag ein Sonntag
oder Feiertag, dann wird dem Verlängerungsantrag
auch die Beſtimmung des 8 193 BGB. zugute kommen. —
Erheblich früher einlaufende Anträge werden als vers
früht zurückzugeben ſein. Sonſtige vorzeitig eingelaufene
Anträge werden (abgeſehen von der Zahlung der Ge⸗
bühr ſiehe II4) wirkſam fein, wenn fie bei Ablauf der
Schutzfriſt noch beſtehen.
gericht zu beobachtenden Erforderniſſe (ſiehe oben I)
prüfen und ſich ſchlüſſig machen, ob die Anmeldung
zuläſſig oder abzuweiſen iſt.“)
Ebenſo iſt es bei dem Antrage auf Ver⸗
längerung der Schutzfriſt. Auch hier gehört zur
Wirkſamkeit des Antrags, daß das Regiſtergericht
nach Prüfung der geſetzlichen Erforderniſſe den
Antrag für zuläſſig erachtet.
12 Erfordernis für den Verlängerungs⸗
antrag iſt — außer ordnungsmaßiger urſprüng⸗
licher Anmeldung und Niederlegung (. am Schluſſe
bei „Oeffnung der Muſterpakete“), und Einhaltung
des geſetzlichen Zeitpunkts zur Antragſtellung ſowie
Ordnungsmäßigkeit des Ausdehnungsantrags ſelbſt
(I 1 und 2) — die Zahlung der Gebühr. Wenn
die Gebühr auch nicht als Entgelt für den Schutz,
ſondern für die mit der Einregiſtrierung und Auf⸗
bewahrung verknüpfte Mühewaltung entrichtet
wird (Motive zu 8 11 des Entw.; Sten. Ber.
über die Verhandlungen des Reichstags 1875 bis
1876 Bd. 1 S. 610 und Bd. 3 S. 79), fo iſt
in 8 8 des Geſetzes doch vorgeſehen, daß gegen
Zahlung der geſetzlich beſtimmten Gebühr die Aus⸗
dehnung der Schutzfrift verlangt werden kann.
Dieſer Geſetzesſtelle läßt ſich auch unter Heran⸗
ziehung des 8 12 Muft®. kein anderer Sinn geben,
als daß die Verlängerung der Friſt eben nur be:
anſprucht werden kann, wenn gleichzeitig die Ge⸗
bühr bezahlt wird.“) Wer nicht zahlt, iſt nicht
berechtigt zu verlangen. Die Wirkſamkeit des
Ausdehnungsantrags iſt alſo von der Zahlung der
Gebühr abhängig. Die Kehrſeite dieſer Einſchrän⸗
kung iſt die Befugnis des Regiſtergerichts die Zu⸗
laſſung des Antrags von der Zahlung der Gebühr
abhängig zu machen.“) Wird die Gebühr dann
nicht alsbald bezahlt, ſo iſt der Verlängerungs⸗
antrag abzuweiſen.
Bei Anmeldung und Niederlegung mehrerer
Muſter in Paketen kann ſelbſtverſtändlich die Ver⸗
längerung der Schutzfriſt auch nur für einzelne der
niedergelegten Muſter begehrt werden. Der An⸗
trag auf Beſchraͤnkung der Schutzfriſt kommt dem
Verzicht auf das Schutzrecht gleich. Letzteres ſiehe
unter IV. (Schluß folgt).
#6) Der geſetzliche Schutz wird nicht erlangt, wenn
das Regiſtergericht die mitwirkende Tätigkeit verweigert,
weil es die Erforderniſſe der Anmeldung und Nieder⸗
legung nicht erfüllt erachtet. Der Antragſteller muß
ihn ſich im Wege der Beſchwerde erſt erwirken (ſiehe
unten VIII 15
11) S. hiefür KGEntſch. vom 19. Juli 1905 (Recht
1906 S. 76 Nr. 140; RJ A. Bd. VI S. 122); Obs G.
vom 16. Oktober 1901 (Samml. Bd. II S. 625); dagegen
RG. Z. 46, 93 ff. am Schluſſe.
38) Die Bayer. MBel. vom 23. März 1900 (JM Bl.
1900 S. 613) ordnet an: Wird eine Verlängerung der
Schutzfriſt beantragt, ſo iſt die Eintragung in das
Muſterregiſter von der vorherigen Einzahlung der Ge⸗
bühr abhängig zu machen. Aehnlich Preuß MO.
vom 21. Februar 1900.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 143
leber Etrafvollſtreckung.
Bon Edmund Fumian, Amtsrichter in Straubing.
(Schluß.)
VI. Strafzeitberechnung. Gewöhnlich iſt
die Berechnung nur eine Addition. Einfach iſt auch
die Berechnung bei Straſunterbrechungen, wo für
den Reſt der Zeitpunkt des urſprünglichen Beginns,
d. h. die Geſamtdauer maßgebend bleibt, welche
ſich bei ununterbrochener Vollſtreckung vom Tag
des urſprünglichen Beginns an berechnet haͤtte
(OLG. M. 2, 561). In dem hier behandelten Fall
hatte A 1 Mt. Gefängnis und 10 Tg. Haft zu er⸗
ſtehen; er trat die Strafe am 9. Februar 1883
vorm. 65) Uhr an; am 27. Februar 1883 nachm.
2 Uhr erfolgte die Strafunterbrechung und am
19. Auguſt 1883 vorm. 8 / Uhr der Antritt des
Reſtes. Die Gefaͤngnisſtrafe wäre verbüßt geweſen
am 9. März 1883 vorm. 6 ½ Uhr. Die Zeit bis
dorthin beträgt kalendermäßig 28 Tg. Davon
waren verbüßt 18 Tg. und 8 Std., jo daß die
noch zu verbüßende Dauer 9 Tg. 16 Std. aus⸗
machte. Das Strafende fiel ſonach auf 29. Auguſt
1883 morgens 12 ½ Uhr (nicht 28. Auguſt, wie
die Entſcheidung verſehentlich angibt).
Das Schreckensgeſpenſt iſt die Berechnung der
Strafzeit bei Geſamtſtrafen. Ueberein⸗
ſtimmend wird anerkannt, daß die Einzelſtrafen
in einem Urteile, das mehrere Straftaten behandelt
und gemaͤß $ 74 StGB. eine Geſamtſtrafe ausſpricht,
für ſich nicht vollſtreckt werden können, weil ſie
keine Selbſtändigkeit beſitzen. Wird daher ein ſolches
Urteil auch nur teilweiſe angefochten, ſo iſt eine
Vollſtreckung im übrigen nicht möglich; das gleiche
gilt bei teilweiſer Unterwerfung (Bay Ob“ G. 3, 51;
5,213; 10,70; RGSRſpr. 2, 187; Entſch. 25. 809). )
Dagegen iſt unrichtig, anzunehmen, daß eine
früher erkannte Strafe (Einzel⸗ oder Geſamtſtraſe),
die nach 8 79 StGB. oder $ 492 StPO. zur Bil⸗
dung einer Geſamtſtrafe verwendet wurde, bis zur
Rechtskraft des fpäteren Urteils oder Beſchluſſes
nicht vollſtreckt werden dürfe. Die Ueberſchrift, unter
der die Entſcheidung des Ob“ G. vom 12. Januar
1905 (Amtl. Sammlung 5, 213) in Bay 3fR. 1905
S. 109 mitgeteilt wird, ſagt zuviel. In jener Ent⸗
ſcheidung iſt die Rede nur von Einzelſtrafen eines
Urteils, die in dieſem ſelbſt gebildet wurden. Steht
die Bildung einer Geſamtſtrafe in Ausſicht, ſo kann
es unter Umſtänden angezeigt ſein, die Vollſtreckung
der Einzelſtrafe aufzuſchieben; dagegen muß eine
begonnene Straſvollſtreckung nicht unterbrochen
werden (RGRſpr. 5, 133, Autogr. JME. vom
25. Januar 1907 Nr. 46 369). Schwierigkeiten
können entſtehen, wenn gegen einen Strafgefangenen
eine Geſamtſtrafe zu bilden iſt, das Urteil aber
erſt nach Verbüßung der Einzelſtrafe rechtskräftig
wird. Gegen A wurden z. B. rechtskräftig 3 Wochen
) Bol. jedoch auch KG. in Goltd Arch. 56, 339 und
die Begründung zu RG. 39, 275 f. (Anm. des Heraus-
gebers).
144
Gefängnis erkannt, die er feit 1. Januar 1913
vorm. 8 Uhr verbüßt. Am 18. Januar 1913 wird
er wegen einer anderen Straftat unter Einbeziehung
jener erſten Strafe zur Geſamtgefängnisſtrafe von
4 Wochen verurteilt. Der Amtsanwalt verzichtet
auf ein Rechtsmittel, der Angeklagte unterwirft ſich,
iſt aber minderjährig; das Urteil wird erſt mit
dem Ablaufe des 25. Januar 1913 rechtskräſtig.
Die 3 Wochen Gefängnis endeten aber bereits am
22. Januar 1913 vorm. 8 Uhr. Beſteht Flucht⸗
verdacht, ſo iſt mit einem Haftbefehl abgeholfen,
der ſich an die Vollſtreckung der erſten Strafe
anſchließt. Die Unterſuchungshaft wird nach 8 482
StPO. angerechnet. Das Ergebnis entſpricht alſo
der regelmäßigen Abwickelung.
Beträgt die Geſamtſtrafe weniger als der Zeit⸗
raum vom Antritt der erſten Strafe bis zum Ein⸗
tritt der Rechtskraft des |päteren Urteils, jo iſt der
Verurteilte freizulaſſen. Angenommen z. B. das
Urteil vom 18. Januar 1913 ſpräche eine Ge⸗
ſamtſtrafe von 23 Tagen aus; das Strafende
fiele dann auf den 24. Januar 1913 vormittags
8 Uhr, während das zweite Urteil erſt am
25. Januar 1913 nachts 12 rechtskräftig wird.
Hier müßte A am 24. Januar 1913 vorm. 8 Uhr
freigelaſſen werden. Liegen die Vorausſetzungen
für die Verhaftung nicht vor, ſo muß in Faͤllen
ſolcher Art die Entlaſſung mit Ende der erſten
Strafe erfolgen und der noch nicht verbüßte Teil
der Geſamtſtrafe nachträglich vollſtreckt werden.
Das die Geſamtſtrafe ausſprechende Urteil wird
durch die inzwiſchen erfolgte Verbüßung der erſten
Strafe nicht berührt, weil für die Anwendung des
§ 79 StGB. der Tag der Verkündung des letzten
Urteils, nicht aber deſſen Rechtskraft maßgibt
(RGE. 32, 8).
Für den Strafort kommt es nicht darauf an,
zu welcher Strafe jemand verurteilt wird, ſondern
welche Strafe er noch zu erſtehen hat. A hat z. B.
2 Monat Gefängnis erhalten, die er ſeit 1. Ja⸗
nuar 1913 vorm. 8 Uhr verbüßt. Mit Urteil
vom 20. Februar wird unter Einbeziehung dieſer
Strafe auf eine Geſamtgefängnisſtrafe von 4 Mo⸗
naten erkannt, die an ſich in einer Strafanſtalt
zu vollziehen wäre. Infolge Rechtmittelverzicht iſt
das Urteil ſogleich rechtskräftig. Nun iſt aber nur
mehr ein Strafreſt zu vollſtrecken, der weniger als
3 Monate beträgt, daher in einem Gerichtsgefängnis
zu verbüßen iſt (vgl. Art. 23 ff. AG. StPO., ſ. a.
die Bek. v. 28. Januar 1903, JM Bl. ©. 42).
Die bis zur Rechtskraft des letzten Urteils
verbüßte Strafe iſt abzuziehen, allenfalls nach Um⸗
wandlung ($ 21 StGB.), wenn das ſpätere Urteil
eine höhere Strafart ausſpricht. Dieſe Anordnung
ſoll das Urteil bereits enthalten, ob im verfügenden
Teile oder in den Gründen, iſt gleichgültig (beſtritten).
Die Anordnung wird ſich indes nicht darauf er—
ſtrecken, daß die bis dorthin verbüßte Strafe tat:
ſächlich umgewandelt und abgerechnet wird, ſondern,
daß z. B. ausgeſprochen wird, „die bis zum Ein⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
tritte der Rechtskraft verbüßte, gemäß § 21 StGB.
in Zuchthaus umzuwandelnde Gefängnisſtrafe iſt
abzurechnen“ (RGRſpr. 5, 132). Enthält das
Urteil einen ſolchen Ausſpruch nicht, ſo darf der
Vollſtreckungsbeamte ſelbſtverſtändlich nicht darüber
hinweggehen (BayOb G. 2, 186; 1, 114; RG.
Entſch. 2, 198; 8, 63; Rſpr. 5, 130; 8, 4).
Die Berechnung der Strafzeit ſelbſt iſt ſehr
umſtritten.
1. Das bayer. Oberſte Landesgericht geht
davon aus, daß die Strafvollſtreckung nur auf Grund
eines rechtskräftigen Entſcheids ſtattfinden könne,
daher der Beginn des Vollzugs der Geſamtſtrafe
auf einen anderen Zeitpunkt als den der Rechtskraft
des letzten Urteils nicht verlegt werden dürfe.
Darnach iſt
a) die geſamte Strafzeit vom Eintritt der Rechts⸗
kraft des letzten Urteils ab feſtzuſetzen,
b) die bisher verbüßte Strafe nach Tagen und
Tagesbruchteilen zu berechnen,
c) der nach b gewonnene Betrag vom berech⸗
neten Strafende zu rück zurechnen, allenfalls nach
Umwandlung gemäß $ 21 StGB.
Daraus ergibt ſich das Strafende. (OLG. M.
2, 415; BayObLG. 2, 186; 3, 91; 4, 4 und
die dort. Zit.; 7, 200; 9, 267, 273).
2. Nach dem Reichsgerichte iſt die Strafe
als einheitlich zu betrachten und ſoll deshalb auch
der Vollzug ſo in die Erſcheinung treten; wie die
Einzelſtrafe in die Geſamtſtrafe, ſo geht der Vollzug
der Einzelſtrafe in die Vollſtreckung der Geſamt⸗
ſtrafe über.
Hiernach wird der Beginn der Geſamtſtrafe
auf den Straſantritt verlegt (ſ. Gerichtsſaal 65, 32;
BlfRA. 70, 471; Bay ZfR. 1906, 80; 1905, 304).
Die Berechnung des BayObLG. iſt umſtänd⸗
licher und bringt unerfreuliche Ueberraſchungen mit
ſich, ſo daß der Praktiker ſie nicht ungern ſcheiden
jähe. Sie iſt aber logiſch und im Geſetze begründet
(8 481 StpoO.).
Auch bei der Strafzeitberechnung nach den
Grundſätzen des RG.s find Schwierigkeiten nicht zu
vermeiden; ſo wenn „der Ueberleitung des Straf⸗
vollzugs“ der Umſtand entgegenſteht, daß die Einzel⸗
ſtrafe verbüßt iſt, ehe das letzte Urteil rechtskräftig
wird, oder wenn dies eine höhere Strafart ausſpricht.
VII. Unterſuchungshaft. Als Unter⸗
ſuchungshaft (= UH.) im weiteſten Sinn wird be
zeichnet die Freiheitsentziehung, die „aus Anlaß
einer präſumptiv verübten ſtrafbaren Handlung
gegen den Urheber derſelben zum Zwecke und während
|
|
|
der Unterſuchung von der dazu berufenen Behörde
ins Werk geſetzt iſt“, gleichviel ob ein Haftbefehl
vorliegt oder nicht (Oppenhoff Note 1 zu § 60
StGB., BayObLG. 2, 193).
Den Kern bildet die UH. nach 88 112—126
StPO. Aber auch ſie intereſſiert hier nur ſoweit,
als fie mit Fragen der Straſfvollſtreckung zu:
ſammenhängt.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
Für dieſe Haft iſt Vorausſetzung ein Haftbefehl;
er wird auch bei Ueberweiſung an die Landespolizei⸗
behörde nicht überflüſſig (Os G. M. 7, 424; Bay ZfR.
1907 S. 365).
Der Haftbefehl wird entweder in Abweſenheit
des Beſchuldigten erlaſſen und iſt dann zuzuſtellen
(8 35 Abſ. 2 StPO.) oder in feiner Anweſenheit
und iſt dann zu verkünden (8 35 Abſ. 1 StPO.).
Auf Bekanntgabe kann verzichtet werden, da die
Gründe, welche für den Ausſchluß eines ſolchen
Verzichts in anderen Fällen ſprechen — vgl. z. B.
RG. Rſpr. 1, 118; Entſch. 31, 398 —, hier nicht
zutreffen. Ein Verzicht auf Verkündung iſt aller⸗
dings nicht recht denkbar.
Die Wirkſamkeit der Verhaftung hangt von
ordnungsmäßiger Bekanntmachung nicht ab (RG.
Rſpr. 8, 424).
Die Vollſtreckung beſteht in einer Freiheits⸗
entziehung beſonderer Art (8 116 StPO.). Der
Beginn der US. richtet ſich nach der behördlichen
Verfügung (Invollzugſetzung) in Verbindung mit
der tatſächlichen Verwahrung als Unterſuchungs⸗
gefangener. Bei Ergreiſung auf Grund eines bereits
erlaſſenen Haftbefehls Steckbriefe) beginnt die UH.
mit dieſem Zeitpunkt.
Vielfach beſteht die Uebung, andere Gerichte
um „Vollſtreckung“ eines Haftbefehls zu erſuchen.
Dies iſt nicht richtig. Die Vollſtreckung kann ohne
weiteres unmittelbar veranlaßt werden (88 36, 159,
187 StPO.). Die Bekanntgabe aber iſt nicht
Gegenſtand gerichtlicher Rechtshilfe (RG. 26, 338).
Grundſatzlich iſt nicht ausgeſchloſſen, daß meh⸗
rere Haftbefehle nebeneinander vollſtreckt werden.
Dies widerſpricht aber dem Sinne des Geſetzes.
Findet eine Verwahrung bereits ſtatt, ſo iſt keine
Flucht oder Kolluſionsgefahr mehr gegeben. Prak⸗
tiſch führt dies auch zu Unzuträglichkeiten. An⸗
genommen, es ſeien die in mehreren Strafverfahren
erlaſſenen Haftbefehle gleichzeitig vollſtreckt und der
Angeklagte in jedem dieſer Verfahren verurteilt
worden; wie ſteht es nun mit der Reihenfolge des
Strafvollzugs? Es liegt die Gefahr doppelter An⸗
rechnung der US. nach 8 60 StGB. nahe. Die
Praxis hat ſich daher meiſt für den Anſchluß⸗
haftbefehl entſchieden.
Bei Verbindung von Strafverfahren iſt wegen
der einzelnen Handlungen nur ein (gemeinſamer)
Haftbefehl zuläſſig. Er muß ſich aber nicht auf
alle Handlungen erſtrecken; ſo können bei einzelnen
die Vorausſetzungen fehlen (vgl. 8 113 StPO.).
Die gegenteilige Anſchauung würde z. B. im Falle
des 5 126 StPO. zur unmittelbaren Geſetzes⸗
umgehung führen; man dürfte nur wegen der
einzelnen Handlungen geſonderte, im Anſchluß an⸗
einander vollziehbare Haftbefehle erlaſſen. Anders,
wenn erſt ſpäter die Anſchuldigung wegen einer
weiteren Tat hinzutritt und die Verfahren ver⸗
bunden werden. Umfaßt ein ſolcher gemeinſamer
Haftbefehl Straftaten verſchiedener Qualifikation,
ſo iſt bei Ablauf der Friſt des $ 126 StPO. hin⸗
—
145
ſichtlich eines Teils eine teilweiſe Aufhebung nicht
nötig; ſie wird in der Praxis auch nicht geübt.“)
Daß UH. und Strafhaſt nicht nebeneinander
vollzogen werden können, ergibt ſich aus der Ver⸗
ſchiedenheit beider. Die Abgrenzung beider gegen⸗
einander richtet ſich nach der Willensäußerung der
beteiligten Behörden und den auf Grund dieſer
getroffenen Anordnungen. Solange eine Willens⸗
kundgebung der zuſtändigen Behörde nicht vorliegt,
bleibt der bisherige Zuſtand. Auf die Form der
Kundgabe kommt es nicht an (OLG. M. 7, 426;
3, 142; 2, 403).
Jedoch iſt eine zweifelhafte Erklärung zur Unter⸗
brechung nicht zureichend; es genügt auch nicht die
bloße Erklärung, daß von einem gewiſſen Zeitpunkt
an die UH. als us zu gelten habe und
umgekehrt (OLG. M. 1, 135).
Die Entſcheidung in A 2, 456, der auch
Löwe folgt, ift nicht annehmbar. Nicht darauf
kommt es an, daß der Wille der zuſtändigen Be⸗
hörde auf Aufrechterhaltung des Zuſtandes bewieſen
werden müſſe. Vielmehr muß er angenommen
werden, ſolange ſich nicht das Gegenteil ergibt
OLG. M. 1, 268; 2, 392). Die von Löwe an⸗
geführten Entſcheidungen des OLG. M. 3, 142,
579 7, 424 ſprechen nicht für die dort vertretene
Anſchauung. Die Entſch. 3, 579 trifft überhaupt
nicht zu. Die beiden anderen nehmen aber zur
Grundlage, daß der Wille der zuſtändigen Behörde
auf Unterbrechung der bisherigen Haft gehe. Das⸗
ſelbe gilt für die Abgrenzung mehrerer Haftbefehle
gegeneinander. Daraus ergibt ſich, daß dann,
wenn eine Strafe vollſtreckt werden ſoll, die laufende
UH. unterbrochen werden muß, außer es handelt
ſich um die in derſelben Sache verhängte Haft
(BayObLG. 7, 352). Wird die Strafe ohne dieſe
Anordnung vollftredt, jo gilt dies trotzdem als
Strafverbüßung (BayObLG. 5, 248); im Zweifels⸗
fall iſt die dem Angeklagten günftigfte Auslegung
zu wählen.
VIII. Zur Anwendung des 8 60 StGB.
Der Begriff der UH. iſt im vorigen Abſchnitt be⸗
ſprochen worden; darnach tft anrechnungsfähig die
Freiheitsentziehung, welche gegen den Beſchuldigten
durch eine zur Strafverfolgung berufene Behörde
zwecks Förderung der Unterſuchung verhängt wird
(OLG. M. 10, 153).
Sonach iſt nicht nur anrechnungsfähig die UH.
der 88 112— 126, 128 StPO., ſondern auch die der
88 229, 235, 370 a. a. O. und die Zeit der Gefangen⸗
haltung auf Grund vorläufiger Feſtnahme nach
8 127 a. a. O., ſowie die Zeit, während derer
ein aus dem Arbeitshaus zur Aburteilung in ein
Gerichtsgefängnis Ueberſtellter in dieſem verwahrt
wird, oder die Zeit einer Verwahrung nach 88 135,
230 StPO.
Nicht e kann werden (a. M. Olshauſen)
) Hinsichtlich der Aufhebung überhaupt vgl. 88 123,
126, 130 StBD.
146
die Zeit der Vorführung nach 88 133, 134, 229 ®,
235, 370, 427 StPO. Hier liegt keine Freiheits⸗
entziehung vor. die man bei weiteſter Ausdehnung
des Begriffes UH. als ſolche bezeichnen könnte.
Die Freiheitsbeſchränkung iſt auch nicht das Ziel
der Handlung, vielmehr eine Begleiterſcheinung.
Denn die Vorführung läßt ſich ohne die Beſchränkung
der Freiheit des Vorzuführenden nicht bewirken.
Hier beſteht auch kein Anlaß zur Anrechnung, da
der Beſchuldigte ohne Zwangsmaßregeln dieſelbe
Zeit hätte aufwenden müſſen.
Erfolgt eine Vorführung im Anſchluß an eine
vorläufige Feſtnahme oder waͤhrend der Dauer
einer U., jo iſt die Zeit anzurechnen, da die
Verwahrung noch ſortdauert. Ebenſo dann, wenn
ſich an die Vorführung eine Verwahrung anſchließt
und eine Abgrenzung nicht möglich iſt; z. B. im
Falle des 8 135 StPO. (vgl. hiezu das RG. vom
14. Juli 1904, die Entſchädigung für unſchuldig
erlittene UH. betr., wo als UH. die Haft der 88 112,
114, 125, 128“, 129, 131, 229, 235, 370 StPO.
angeſehen wird, dagegen nicht die Vorführung,
allerdings auch nicht die vorläufige Feſtnahme,
außer es ſchließt ſich die Verhaftung daran). Anrech⸗
nungsfähig iſt ſelbſtverſtändlich nur die UH. vor
der Urteilsverkündung (OLG. M. 2, 415) ſowie
die Haft, welche der Verurteilte in dem Straf:
verfahren erlitt, das zur Verurteilung führte (OLG.
M. 2, 111; 3, 579; 10, 236; RG. 31, 245).
Dieſe Vorausſetzung if bei Verbindung von
Strafverfahren auch dann gegeben, wenn die Ver⸗
urteilung wegen einer anderen Handlung erfolgt,
als der, wegen derer die Haft verhängt iſt, und
bezüglich dieſer das Verfahren eingeſtellt wird (RG.
Entſch. 30, 182: Rſpr. 3, 126; 4, 850).
Unter allen Umſtänden muß aber ein gemein⸗
ſchaftliches Verfahren vorliegen; dieſes wird nicht
ſchon dadurch geſchaffen, daß nach 8 8 79 StGB.
eine früher erkannte Strafe zur Bildung der Ge⸗
ſamtſtrafe verwendet wird. Eine im früheren Ur⸗
teile angeordnete Anrechnung iſt natürlich zu be⸗
achten (BayziR. 1905 S. 513; RG. 31, 244).
Die Anrechnung iſt an ſich auch bei der Ver⸗
urteilung wegen einer Straftat möglich. wegen
derer doppelte Haft vorliegt, d. h. in einem
Falle, in dem die U. gleichzeitig in zwei Unter⸗
ſuchungen verhängt iſt. Hier iſt bei dem ſpä⸗
teren Urteilsſpruch zu beachten, ob und wieweit
etwa ſchon im vorangehenden Erkenntniſſe von der
Befugnis des 8 60 a. a. O. Gebrauch gemacht wurde
(RGRſpr. 4, 850).
Der Ausſpruch über Anwendung des § 60 a. a. O.
muß ſich im Urteile finden; eine nachträgliche Er⸗
gänzung iſt ausgeſchloſſen. Der rechtskräſtige Aus⸗
ſpruch iſt aber auch dann zu beachten, wenn er,
von Schreibfehlern abgeſehen, unrichtig iſt.
Durch die angerechnete UH. gilt der entſprechende
Strafteil als verbüßt.
Ueber die Art der Anrechnung beiteben zwei
Anfichten:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
|
a) Es liegt eine vorweggenommene Strafhaft vor.
Es wird zunächſt berechnet, wieviel die anzurechnende
UH. ausmacht und dies von der Strafe abgezogen;
der Reſt iſt zu vollſtrecken. Bei Anrechnung der
vollen Haft wird als Strafbeginn der Anfang der
UH. betrachtet (ſ. BayziR. 1907 S. 167).
b) Die Strafzeit iſt von dem Eintritt der Rechts⸗
kraft des Urteils zu berechnen und von dem hier⸗
nach ſich ergebenden Strafende die Dauer der an⸗
zurechnenden UH. zurückzurechnen (RG. 29, 76;
O8. M. 2, 415; 3, 136; BlfRA. 72, 377).
Die erſte Meinung bringt die einfachere Be⸗
rechnung, die letztere iſt überzeugender begründet.
Die Anrechnung geſchieht zum vollen Werte
ohne . nach 8 21 StB. (BayObLG.
6, 170
Auch gibt es keine Ausſcheidung auf die Einzel⸗
ſtrafen einer Geſamtſtrafe (8 74 StGB.). Iſt aber
eine Strafe, auf welche nach dem Urteil UH. an⸗
zurechnen iſt, in einem ſpäteren Urteile aufgegangen,
das eine höhere Strafart ausſpricht, ſo muß
die Umwandlung der (durch die UH. ganz oder
teilweiſe verbüßten) Strafe und damit die nur ver⸗
haͤltnismäßige Anrechnung der UH. eintreten. Da⸗
bei wird die UH. nicht in der vollen Höhe berück⸗
ſichtigt, in der ſie auf die Einzelſtrafe anzurechnen
wäre, ſondern nur nach dem Verhältniſſe der Einzel⸗
ſtrafe zur Geſamtſtrafe. Angenommen es iſt auf
2 Mt. Gefängnis erkannt. Ein ſpäteres Urteil
erkennt, unter Einſatz von 1 Mt. 10 Tg. Gefängnis
für die neue Tat, auf eine Geſamtgefängnisſtrafe
von 3 Monaten. Auf die neuerkannte Straſe
ſoll die in dieſer Sache erlittene UH. (von 2 Mt.)
angerechnet werden. Selbſtverſtändlich find nicht
2 Mt. für verbüßt zu erachten, auch nicht 1 Mt.
10 Tg., ſondern nur der entſprechende Teil (RG.
in BayZ3fR. 1905 S. 513).
IX. Die Nachhaft des 8 482 StPO.
8482 StPO. beſtimmt, daß auf die zu vollſtreckende
Freiheitsſtrafe unverkürzt diejenige UH. anzurechnen
ſei, welche der Angeklagte erlitten hat, ſeit er auf
Einlegung des Rechtsmittels verzichtete oder das
eingelegte Rechtsmittel zurücknahm oder ſeitdem
die Rechtsmittelfriſt verſtrich, ohne daß er eine Er⸗
klaͤrung abgab.
Der Begriff der UH. iſt oben unter VII er:
örtert. Deshalb iſt auch das dort Geſagte ent⸗
ſprechend anzuwenden. Hieher gehört auch der Fall,
daß ein aus dem Arbeitshaus zur Aburteilung in
ein Gefängnis überſtellter Angeklagter in dieſem ver⸗
wahrt wird (BayObLG. 2, 192; OLG. M. 3, 442).
In 8482 St BD. iſt nicht die Rechtskraft des Ur:
teils ins Auge gefaßt, ſo daß die Beſtimmung auch
Anwendung findet, wenn der Staatsanwalt ein erfolg:
loſes Rechtsmittel einlegte oder ein Rechtsmittel
einlegte und dann zurücknahm (BayObLG. 4, 70).
Der Satz gilt auch für die Berufungsinſtanz und
im Falle der Zurückverweiſung der Sache ans Erſt⸗
gericht.
Der Zweck der Vorſchrift ergibt, daß ſie un⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7. 147
anwendbar wird, wenn der Angeklagte ſelbſt die
Verzögerung der Vollſtreckbarkeit herbeiführte, z. B.
ſich zuerſt dem Urteile unterwarf, dann aber die Er⸗
klaͤrung (erfolglos) widerrief und eine Entſcheidung
des Obergerichts veranlaßte (BayObLG. 4, 370; 70).
Eine Lücke des Geſetzes iſt es, daß die An⸗
wendung des $ 482 a. a. O. verſagt, wenn vom
8 ae ein erfolgreiches Rechtsmittel eingelegt
wurde.
Im übrigen iſt das zu 8 60 StGB. (Ziff. VIII)
Geſagte entſprechend anzuwenden. Eine Anrechnung
findet daher z. B. dann nicht ſtatt, wenn ein Ur⸗
teil, das eine Geſamtſtraſe ausſpricht, auch nur teil⸗
weiſe angefochten wird (Bay Obs G. 3, 51; 5, 214)
oder die UH. in einem anderen Strafverfahren ver:
büßt wurde (OLG. M. 2, 111). Dagegen iſt die
Anrechnung auch bei Doppelhaft möglich. Sie
erfolgt ganz, nicht erſt nach Umwandlung (Bay Obe.
6, 172). Auch in den Fällen des $ 79 StGB.
gilt das Geſagte. Die rechtliche Natur der Ver⸗
wahrung von dem Eintritte der Rechtskraft des
Urteils an bis zur Einlieferung am Strafort iſt
beſtritten (BaygfR. 1906 S. 411). Um eine
Strafhaft handelt es ſich nicht (vgl. oben Ziff. III);
jedoch iſt die Verwahrung als Strafe anzurechnen.
Von hervorragender Bedeutung iſt die Streit⸗
frage nicht.
Erwähnt ſei ſchließlich noch die in BlfRA. 64,
433 beſprochene Frage, ob namlich dann, wenn
vom Staatsanwalt ein Rechtsmittel gegen ein Ur⸗
teil eingelegt wurde, dem der Beſchuldigte ſich
unterwarf, der Verurteilte weiter in Haft behalten
werden darf, obwohl die nach 8 482 StPO. an:
zurechnende Haft die erkannte Strafe erreicht hat.
Folgt man dem Sinne des Geſetzes, wornach die
Verlängerung der UH., die ohne Zutun des An⸗
eklagten eintritt, ihm nicht zum Nachteil gereichen
ſolle (ſ. Materialien z. StPO. Bd. 3 Abſ. 1 S. 292),
ſo wird die Entſcheidung nicht ſchwer fallen. Der
Praktiker wird ſich auch nie befinnen, in ſolchen
Fällen die Freilaſſung zu verfügen. Der in 8123
StPO. ſich ſpiegelnde Grundſatz findet auf das ganze
Strafvollzugsſyſtem Anwendung. Wie durch ein
Rechtsmittel die ſofortige Entlaſſung bei Freiſpre⸗
chung nicht verzögert werden darf, ſo iſt auch im Falle
der Verurteilung die Verwahrung unhaltbar, ſo⸗
bald die anrechnungsfähige UH. die Strafdauer er⸗
reicht. Ein Unterſchied in der Anrechnungsfähig⸗
keit der UH. nach 8 60 StGB. und 8 482 StPO.
beſteht überhaupt nicht. In beiden Fällen handelt
es ſich um eine gleichgeartete Haft (ſ. oben). Zur
Anrechnung geeignet iſt ſowohl die Haft bis zum
Urteil (nach 8 60) als von dem Augenblicke, da
das Urteil für den Beſchuldigten unanfechtbar ge⸗
worden iſt (nach 8 482). Ob eine Anrechnung
erfolgt, beſtimmt ſich in erſterem Falle nach dem
auf richterliches Ermeſſen geſtützten Urteilsſpruch,
in letzterem nach einem beſtimmten Tun oder Laſſen
des Verurteilten.
Die Wirkung ſelbſt iſt in beiden Fällen gleich.
Daß nach 8 482 StPO. Anrechnung erfolgt und
erfolgen muß, ſteht ſchon vor dem Eintritte der
Rechtskraft feſt. Es läßt ſich Tag für Tag und
Stunde für Stunde verfolgen, in welchem Verhältnis
die erkannte Strafe zu der erlittenen Haft ſteht.
Und find ſich beide gleich gekommen, ſo iſt eben
die Strafe verbüßt.
Nun ſpielt allerdings die Frage herein, ob das
Urteil nicht zuungunſten des Angeklagten abge⸗
aͤndert werden wird. Allein dieſe Möglichkeit iſt
nicht zu beachten. Es liegt ein richterlicher Macht⸗
ſpruch vor. Diefer ſchafft zunächſt Recht und iſt
demgemäß zu achten (8 123 StPO.). Er gibt
Maß für die Zuläſſigkeit einer weiteren Ver⸗
wahrung. Iſt die (zunächſt maßgebende) Strafe
verbüßt, ſo beſteht kein Grund mehr zur Fortdauer
der Haft.) Wollte man der hier abgelehnten An⸗
ſchauung folgen, jo kaͤme man dazu, den Landſtreicher,
der 6 Tage zuerkannt erhielt und ſich dem Urteil
ſofort unterwarf, lange über dieſe Zeit hinaus in
Haft zu behalten, weil der Amtsanwalt die Strafe
nicht für genügend erachtete, ein Rechtsmittel ein⸗
legte und wirklich auch erreichte, daß gegen den
Häftling ſtatt 6 Tage 14 Tage Haft erkannt wurden;
wenn nicht die Berufung erfolglos war, was auch
möglich wäre.
Aus der Nechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivil ſachen.
1
Beſtehen des Bertragsverhältniſſes trstz verweigerter
Vollziehung des Bertragsentwurfs. Aus den Gründen:
Die Reviſion macht geltend, es habe zwiſchen den Par⸗
teien überhaupt kein Vertrags verhältnis ſondern nur
ein tatſächliches Verhältnis beſtanden, da der Kläger
die Unterzeichnung des ſchriftlichen Vertragsentwurfs
verweigert habe, weil er die von dem Geſchäftsführer
der Beklagten als unerläßlich aufgeſtellte Bedingung
des Verzichts auf Nebengeſchäfte nicht habe eingehen
wollen. Dieſer Angriff iſt nicht gerechtfertigt. Das
OLG. ſtellt feſt, daß die Parteien trotz der Unterſchrifts⸗
verweigerung des Klägers den Inhalt des Vertrags⸗
entwurfs als maßgebend ihren Leiſtungen zugrunde
elegt haben, daß der Geſchäftsführer dem Kläger er⸗
flark hat, wenn er nicht unterſchriebe, bleibe ihm nichts
anderes übrig, als daß er ſich vorläufig an ſeinen
Vertragsentwurf halte, und daß der Kläger im weſent⸗
lichen die ihm nach dem Entwurfe obliegende Tätig⸗
keit entfaltet hat. Wenn das OLG. auf Grund dieſer
Feſtſtellungen annimmt, daß trotz der Verweigerung
des Abſchluſſes eines förmlichen ſchriftlichen Vertrags
ein vorläufiger Vertrag zwiſchen den Parteien unter
den vom „ geſtellten Bedingungen zu⸗
ſtandegekommen iſt, und daß alſo nicht etwa die ganze
7) Die Wiederverhaftung iſt möglich, wenn das
Urteil umgeſtoßen wird. Unzuläſſig iſt es aber, daß
das Berufungsgericht ohne weitere Grundlage die
Wiederverhaftung anordnet, als weil die Abänderung
des Urteils in Ausſicht ſteht.
148
Zeit von mehr als zwei Jahren hindurch nur ein tat»
ſächliches Verhältnis beſtanden hat, ſo iſt das nicht
irrig. (Urt. d. III. ZS. v. 10. Februar 1914, III 458/13).
3297 — —
II.
Verwandlung einer prozefiunlen Sicherheit in eine
Hinterlegung nach 8 372 568. Aus den Gründen:
Die Vollſtreckungsgegenklage (§ 767 ZPO.) ai darauf
gegründet, daß der Kläger von feiner Urteilsſchuld,
derentwegen der Beklagte gepfändet hat, durch Hinter⸗
legung des Schuldbetrags gemäß 8 378 BGB. befreit
worden ſei. Daß die Einwendung der Hinterlegung die
Vollſtreckungsgegenklage begründen kann, iſt nicht
zweifelhaſt. Vorausſetzung iſt, daß der Schuldner zur
Hinterlegung nach $ 372 BGB. befugt war, und daß er
mit ſchuldbefreiender Wirkung hinterlegt hat. Die erſte
Vorausſetzung iſt gegeben. (Wird ausgeführt). Die
Hinterlegung erblickt der Kläger darin, daß er hin⸗
ſichtlich der zur Abwendung der Zwangsvollſtreckung
geleiſteten Sicherheit nachträglich gegenüber der Hinter⸗
legungsſtelle auf das Recht der Rücknahme verzichtet
habe (8$ 378, 376 BGB.). Demgegenüber hat das OLG,
ausgeführt, daß eine Hinterlegung zum Zwecke einer
prozeſſualen Sicherheitsleiſtung durch nachträglichen
Verzicht auf das Recht der Rücknahme nicht die Eigen⸗
ſchaft einer Hinterlegung i. S. der 88 372 ff. BGB.
annehmen könne. Ein Schuldner, der eine prozeſſuale
Sicherheit geleiſtet habe, müſſe vielmehr zunächſt von
neuem hinterlegen, ehe er die geleiſtete Sicherheit
zurückfordern könne. Durch Verweiſung des Gläubigers
auf die geleiſtete Sicherheit könne er ſich nicht befreien.
Dieſe Ausführungen geben zu Bedenken Anlaß. Sieht
man zunächſt davon ab, daß urſprünglich zur Leiſtung
einer prozeſſualen Sicherheit hinterlegt wurde, ſo wurde
der Kläger durch den Verzicht auf Rücknahme des
Hinterlegten in Höhe des hinterlegten Betrages von
ſeiner Verbindlichkeit befreit, auch wenn der Verzicht
der Hinterlegung nachgefolgt iſt. Daß die Sicherheit
urſprünglich zur Abwendung der Zwangsvollſtreckung
geleiſtet iſt, könnte nur dann die ſchuldbefreiende Wir⸗
kung des Verzichts hindern, wenn die prozeſſuale Sicher⸗
heitsleiſtung eine andere Forderung des Beklagten
ſicherte. Nun hat der Kläger die Sicherheit geleiſtet
auf Grund eines nach 8 769 ZPO. erlaſſenen amts-
gerichtlichen Beſchluſſes, der die Einſtellung der gegen
den Kläger vom Beklagten eingeleiteten Zwangsvoll⸗—
ſtreckung gegen eine Sicherheit angeordnet hatte. Die
Sicherheit haftete alſo dem Beklagten für das Intereſſe,
das er an einer ſofortigen Durchführung der eingeſtellten
Zwangsvollſtreckung hatte. (Gaup-Stein & 769 I,
§ 7071.1). Der Beklagte erwarb zugunſten feiner
möglichen Intereſſeforderung gemäß § 233 BGB. ein
geſetzliches Pfandrecht an der Forderung auf Rück⸗
erſtattung, die der Empfangsberechtigte gegen die Hinter—
legungsſtelle hatte. Allein der Beklagte hat nicht be—
haupten können, daß ihm durch die Einſtellung der
Zwangsvollſtreckung ein Schaden erwachſen ſei, deſſen
Erſatz er aus dem Pfandgegenſtand decken müſſe. War
aber keine ſolche Forderung gegeben, ſo ſtand auch der
Umwandlung der urſprünglich prozeſſualen Sicherheit
in eine Hinterlegung gemäß § 372 BGB. kein Hinder—
nis entgegen. (Urt. d. III. 3S. vom 30. Januar 1914,
III 421/13).
3299
III.
Schadensteilung bei beiderſeits verſchuldeter Unmög:
lichkeit. Aus den Gründen: Die Reviſion macht
geltend, daß ſelbſt wenn man mit dem OLG. annehme,
die Unmöglichkeit der Erfüllung des Vertrags ſei durch
den Mangel der polizeilichen Spielerlaubnis hervor—
gerufen worden und dieſe Unmöglichkeit ſei von beiden
Teilen zu vertreten, daraus doch nicht die Teilung des
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
Schadens, ſondern nur die zeitliche Begrenzung des
Schadenserſatzanſpruchs des Klägers bis zu dem Zeit⸗
punkt folge, wo die polizeiliche e in Kraft
getreten ſein würde. Dieſer Angriff iſt unbegründet.
Die Polizeibehörde ging davon aus, daß der Kläger
einer Erlaubnis bedürfe, um in H. als Schauſpiel⸗
unternehmer auftreten zu können. Sie hätte den Kläger
am Weiterſpielen gehindert, wenn er nicht alsbald eine
Spielerlaubnis erwirkt hätte. Das war aber nicht ſo
ſchnell möglich, wie es zur ununterbrochenen Fortfegung
der vom Kläger vertraglich zugeſagten Leiſtungen hätte
geſchehen müſſen. Hierin findet das O8. einen von
beiden Vertragsteilen zu vertretenden Umſtand, der
die Unmöglichkeit der dem Kläger obliegenden Leiſtun
herbeiführte. Es wendet daher auf den 2
die Grundſätze der Schadensteilung an ($ 254 BGB.).
Das iſt nicht irrtümlich. In der Rechtſprechung des
RG. iſt bereits angenommen worden, daß dieſe Grund»
15 auch im Falle der teils von der einen teils von
er anderen Partei zu vertretenden Unmöglichkeit der
der einen Partei obliegenden Leiſtung anzuwenden
find. Bei Beantwortung der Frage, weſſen ers
ſchulden als das die Geſetzesanwendung beſtimmende
anzuſehen iſt, und ob ſich hiernach eine vollſtändige
oder teilweiſe Anwendung der Vorſchriften des § 325
oder der des $ 324 BGB. rechtfertigt, find die aus
8 254 ſich ergebenden 191 70 ( Rechtsgrundſätze ent⸗
.)
ſcheidend. (RG. 71,1 (Urt. des III. 38S. vom
6. Februar 1914, III 291/13). — —
8301
IV.
VBerſtößzt gegen die guten Sitten, wer einem anderen
Mittel zum Spiel gewährt? Die Schuld des Beklagten
an den Kläger iſt dadurch entſtanden, daß letzterer dem
Beklagten Spielmarken zu 5500 M ausgehändigt hat.
Das LG. nahm an, daß die Aushändigung der Marken
zu Zwecken des Spiels und nicht zur Bezahlung von
Speiſen und Getränken in den Klubräumen erfolgt
ſei, es erachtete eine ſolche Handlung als gegen die guten
Sitten verſtoßend und hat daher die Klage abgewieſen.
Dagegen führte das BG. aus, Darlehen zu Spiel⸗
zwecken ſeien im allgemeinen ſelbſt dann gültig, wenn
ſie von einem Spieler dem anderen gewährt würden,
hier en aber der Kläger weder als Mitſpieler noch
als Bankhalter Teil genommen, auch habe er nicht
die Spielleidenſchaft des Beklagten in einer gegen die
guten Sitten verſtoßenden Weiſe ausgenutzt, ſeine An⸗
ſprüche ſeien daher klagbar. Das RG. hob auf.
Aus den Gründen: Daß durch Spiel keine Ber:
bindlichkeit begründet wird, iſt in 8 762 BGB. beſtimmt.
Auf Darlehen, die jemand zu Spielzwecken gibt, iſt
die Vorſchrift nicht auszudehnen, ein ſolches Darlehen
kann aber gegen die guten Sitten verſtoßen unde daher
gemäß 8 138 BGB. nichtig fein. Ein anderes Rechts⸗
geſchäft, durch das ſich der Spieler die nötigen Mittel
zum Spiele verſchafft, iſt ebenſo wie ein Darlehen zu
behandeln, es kann daher auf ſich beruhen, ob in der
Auslieferung der Spielmarken ohne unmittelbare Gegen⸗
leiſtung ein Darlehen oder ein Kauf mit Stundung
des Preiſes zu finden iſt. Im Anſchluſſe an die bis⸗
herige Rechtſprechung (RG. 67, 355) iſt anzunehmen,
daß ein an dem Spiele nicht Beteiligter ſich nicht ſchon
dadurch gegen die guten Sitten vergeht, daß er es
einem anderen durch Gewährung von Vermögenswerten
ermöglicht, an einer Spielbank weiter zu ſpielen, um
einen Verluſt wett zu machen, beſondere Umſtände
können aber auch ein ſolches Geſchäft als unſittlich
erſcheinen laſſen. Ob ſolche Umſtände gegeben ſind,
iſt nicht hinreichend geklärt, insbeſondere iſt es zweifel⸗
haft, ob der Kläger überhaupt einem Unbeteiligten
gleichgeſtellt werden darf. Unterſtellt man, daß er
bei der Aushändigung der Spielmarken nicht für den
Klub ſondern auf ſeine Rechnung gehandelt hat, ſo
wird wieder ſeine Stellung als Kaſſierer von Bedeutung,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
es beſteht die Möglichkeit, daß er dem Beklagten die
Marken überließ, um dem Klub Vorteile zu ver⸗
ſchaffen. Wie der Senat in einem Urteile vom 31. Ja⸗
nuar 1910, Rep. VI 131/08, ausgeſprochen hat, verſtößt
es gegen die guten Sitten, wenn ein Klub, der haupt⸗
ſächlich zu dem Zwecke gegründet iſt, ſeinen Mitgliedern
ein Slückſpiel mit hohen Einſätzen zu ermöglichen,
dieſen Darlehen aus der Klubkaſſe während des Spieles
gibt, um ihre Spielluſt anzuregen oder ſie zur Fort⸗
ſetzung des Spiels bei Verluſt in den Stand zu ſetzen.
Gewährt nun an Stelle des Klubs deſſen Kaſſierer der⸗
artige Darlehen, ſo wird die Sachlage der Regel nach
nicht anders zu beurteilen ſein. Daß der Kläger von
dem Weiterſpielen des Beklagten für ſich einen unmittel⸗
baren Vermögensvorteil erwartete, iſt zur Anwendung
des 8 138 BGB. nicht unbedingt erforderlich.
Anders wäre zu urteilen, wenn die Angaben des
Klägers über den tatſächlichen Hergang richtig ſind.
Danach hätte der Beklagte den Klubdiener zu dem
Kläger mit dem Erſuchen geſchickt, ihm für 3600 M
Spielmarken zu verabfolgen. Der Kläger habe die
Marken dem Diener in der Annahme übergeben, Be⸗
klagter werde dieſem ſofort das Geld einhändigen,
was Beklagter aber nicht getan habe. Als Beklagter
dann fernere Marken verlangt habe, habe Kläger das
abgelehnt, weil er grundſätzlich keine Marken auf
Kredit abgebe, auch habe er die weiteren Marken erſt
gegeben, nachdem ihm Beklagter drei Anweiſungen auf
die Bank für Handel und Induſtrie über zuſammen
1900 M eingehändigt habe, die Kläger für gut gehalten
haben will. Beklagter habe aber bei der genannten
Bank kein Guthaben gehabt. Sollten dieſe Behaup⸗
tungen zutreffen, ſo hätte der Beklagte ohne Zweifel
die letzten 1900 M durch argliſtige Täuſchung erlangt,
möglicherweiſe aber auch die 3600 M, insbeſondere
dann, wenn in der Entſendung des Dieners die Vor⸗
ſpiegelung zu finden wäre, Beklagter werde dem Diener
ſofort Geld gegen die Marken geben. Alsdann hätte
Kläger gegen den Beklagten einen Anſpruch aus un⸗
erlaubter Handlung, $ 826 BGB., der nicht dadurch
beeinflußt wird, daß Beklagter das ſo Erlangte zu
Spielzwecken verwenden wollte und dem Kläger dieſer
Umſtand bekannt war. (Urt. d. VI. ZS. vom 11. Des
zember 1913, VI 441/13).
3289
— —n.
V
ftung der Gemeinde für Berkehrsſicherheit bei
Stratzenarbeiten. Aus den Gründen: Die Ge⸗
meinden können, wenn ſie auf den Verkehrsſtraßen
ihres Ortsbezirks Straßenarbeiten vornehmen laſſen,
die den Verkehr hindern oder gefährden, die Sorge
für die Verkehrsſicherheit nicht auf die Unternehmer
abwälzen, denen ſie die Ausführung übertragen haben;
auch wenn die Unternehmer die Sicherheitsvorkehrungen
vertragsmäßig übernommen haben, bleibt den Ge⸗
meinden die Verpflichtung, ſich ſelbſt darum zu kümmern,
ob die Unternehmer genügende Einrichtungen treffen;
die Regelung des Verkehrs auf den öffentlichen Straßen
und die Anordnung der für die Sicherheit des Ver⸗
kehrs erforderlichen Maßregeln iſt eigenſte Pflicht der
Gemeinden, deren fie ſich nicht entſchlagen können.
Wenn demnach die Beklagte ſelbſt tüchtige und zu⸗
verläſſige Unternehmer für die Vornahme der Straßen⸗
arbeiten ausgewählt hat, denen ſie im allgemeinen
zutrauen durfte, daß ſie die Verpflichtung gewiſſenhaft
erfüllen würden, für die Verkehrsſicherung, insbeſondere
für die Beleuchtung zu ſorgen, mußte ſie doch durch
ihre eigenen Organe eine zweckmäßige Aufſicht üben. Das
iſt nicht ausreichend geſchehen. Wie das OLG. feſtſtellt,
waren der weſtliche wie der öſtliche Bürgerſteig der Straße
aufgeriſſen, auch der weſtliche Teil des Straßendammes
noch unfertig und unbegehbar. Auf dem weſtlichen
Bürgerſteige lagerten, zumal an der Unfallſtelle, Pflaſter⸗
ſtoffe, die den Verkehr hinderten. Zur Beleuchtung
149
dienten an Stelle der für die Dauer des Umbaues der
Straße weggenommenen Gaslaternen Petroleumlater⸗
nen, die in 80 m Entfernung voneinander angebracht
waren und die Straße nur ungenügend beleuchteten,
deren verkehrsgefährlicher Zuſtand gerade eine Ver⸗
beſſerung der Beleuchtung anſtatt einer Verminderung
erfordert hätte. Dieſer i hatte ſchon vor dem
Unfall eine Reihe von 5 gedauert und war in
den Tagesblättern wiederholt beſprochen worden;
das mußte den Vertretern der Stadtgemeinde bei
ordnungsmäßigen Verwaltungseinrichtungen zur Kennt⸗
nis gelangen. Es kann fraglich fein, ob der Stadt»
bauinſpektor, der mit der Bauleitung und der Auf⸗
ſicht über die Straßenbauarbeiten betraut war, ein
verfaſſungsmäßiger Vertreter der Beklagten im all⸗
gemeinen nach 8 36 BGB. oder ein beſonderer Ver⸗
treter nach 8 30 BGB. war. Das OLG. begründet
ſeine Annahme damit, daß er durch die Verwaltungs⸗
beſtimmungen der Stadt zu ſeiner Tätigkeit berufen
und innerhalb ſeines Geſchäftskreiſes zu ſelbſtändi⸗
gem Handeln befugt geweſen ſei; es hat aber nicht
auf beſtimmte Satzungen oder Verwaltungsbeſtim⸗
mungen verwieſen (vgl. RSC. 74, 21 und 250). Es
kommt hierauf jedoch nicht an. Wenn ein ordnungs⸗
widriger und verkehrsgefährlicher Zuſtand einer öffent⸗
lichen Straße längere Zelt hindurch beſtand und in den
Tagesblättern des Ortes über ede Beſchwerde geführt
wurde, dann kann das Fortbeſtehen des Zuſtandes
ſeine Erklärung nur in einer Verſäumung der Auf⸗
ſichtspflichten durch die Vertreter der beklagten Stadt⸗
gemeinde finden, und dieſe Verſäumung begründet die
Haftung der letzteren für den durch den ordnungs-
widrigen 17 5 hervorgerufenen Unfall nach 88 823,
31, 89, 276 BGB., ohne daß es noch der Feſtſtellung
der Einzelperſon des ſchuldhaft handelnden Vertreters
bedarf, weil eben nach der Sachlage das Verſchulden
irgendeines Vertreters W muß. (Urt. d. VI. ZS.
vom 19. Januar 1914, VI 523/13). — — —ı.
8294
VI.
Wann geht auf den Bauherrn das Eigentum au
Bauteilen über, die der Banhandwerker in einen Ren:
bau liefert? Aus den Gründen: Der Rechtsbegriff
der Uebergabe i. S. des 8 929 BGB. iſt nicht verkannt,
und ob die Klägerin und G. einig waren, daß das
Eigentum an den gelieferten Türen und Fenſtern auf
ihn übergehe, iſt reine Tatfrage. Vergeblich nun
ſich die Reviſion auf das Urteil des 7. ZS. vom 6. April
1911, VII 513/1910. Auch dieſes Urteil fußt nur auf
den tatſächlichen Feſtſtellungen des Untergerichts, die
mit denen im gegenwärtigen Fall zwar Aehnlichkeit
haben, ſich aber nicht decken. Der 7. ZS. ſpricht keines⸗
wegs aus, daß, falls nichts Gegenteiliges bedungen
ſei, das Eigentum an den von dem Unternehmer zu
einem Neubau gelieferten Türen und Fenſtern erſt
dann auf den Bauherrn übergehe, wenn ſie eingehängt
und vollſtändig eingepaßt ſeien, ſondern nur: daß
darin, daß die Türen auf das Baugrundſtück geſchafft
wurden, noch keine Beſitzübertragung auf den Baus
herrn und in der Aufforderung des Tiſchlers an den
Bauherrn zur Reſtzahlung nach Lage des Falls nicht
notwendig eine Einigung über den Eigentumsübergang
der Türen 7 8 werden mußte. Der 7. ZS. ſteht
alſo ebenfalls auf dem hier vertretenen Standpunkt,
daß die Frage weſentlich tatſächlicher Natur ſei, in
welchem Zeitpunkt das Eigentum an Bauteilen, die
der Bauhandwerker in einen Neubau liefere, auf den
Bauherrn übergehe, und ihre Beantwortung von dem
ausdrücklich erklärten oder aus ſchlüſſigen Handlungen
ermittelten Vertragswillen der Parteien abhänge. Es
iſt auch nicht etwa behauptet worden, daß in den be—
teiligten Geſchäftskreiſen oder in B. eine beſtimmte
Uebung in dieſer Hinſicht herrſche, die zur Auslegung
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
—— — lĩ 4 ͤ ü j —— ny... ˙ 5XX—2—ͤ . .—.—— F—2—..ů ůͤ«ßX85ßX[éæT ͤ˙3ßÄ3—́ — ̃ —
5 een des Parteiwillens herangezogen werden
nnte.
u Unrecht rügt die Reviſion Verletzung der 88 631,
641, 644 BGB., weil das Eigentum an dem Werk vor
ſeiner Abnahme auf den Beſteller nicht übergehen könne,
hier aber die Abnahme durch G. nicht feſtgeſtellt ſei.
Der dingliche Eigentumsübergang der von dem Unter.
nehmer hergeſtellten Sache fällt mit der Abnahme des
Werks nicht zuſammen. Wenn auch nach Umſtänden
die Abnahme ein Anzeichen für den Eigentumsüber⸗
gang, der letztere ein Anzeichen für die Abnahme bie
kann, fo iſt anderſeits möglich, daß das Werk abge⸗
nommen wird, bevor das Eigentum übergeht, das
Eigentum vor der Abnahme auf den Beſteller über⸗
gehen kann. Grundſätzlich haben daher Abnahme und
Eigentumsübergang nichts miteinander zu tun, und
das BG., das nur unterſuchte, ob das Eigentum über⸗
gegangen ſei, brauchte ſich nicht mit der Erörterung
zu befaſſen, ob G. die Türen und Fenſter auch abge⸗
nommen habe. (Urt. d. VI. 35. vom 19. Januar 1914,
VI 57011913). 5
3280
VII.
VBermerkung für einen Aufpruch auf othet:
beſtellung ans An Vertrage zu 17 85 Er A 8
den Gründen: Eine Vereinbarung zwiſchen dem
Bürgen und dem e durch die ſich dieſer
jenem zur Beſtellung einer Hypothek zugunſten des
Gläubigers verpflichtet, kann nach den Vorſchriften
über die Verträge zugunſten Dritter (83 328 ff.) nicht
nur für den Bürgen, ſondern auch für den Gläubiger
einen Anſpruch auf Beſtellung der Hypothek zugunſten
des Gläubigers erzeugen, wenn der Bürge nicht als
Vertreter des Gläubigers ſondern im eigenen Namen
gehandelt hat. Dieſer Anſpruch des Gläubigers kann
auch gemäß 88 883 ff. durch eine Vormerkung geſichert
werden, da er auf Einräumung eines Rechts an einem
Grundſtücke gerichtet iſt. Denn der 8 883 ſetzt nur
einen Anſpruch auf eine der angeführten dinglichen
Rechtsänderungen voraus und überläßt den ſonſtigen,
in erſter Reihe den ſchuldrechtlichen Beſtimmungen
die Entſcheidung der Frage, wann ein Anſpruch ge⸗
geben iſt. 8 873 Abſ. 2, der nur den dinglichen Ver⸗
trag, die ſog. Einigung, regelt, iſt nicht anwendbar
auf einen ſchuldrechtlichen Vertrag, durch den die Ver⸗
pflichtung zu einer dinglichen Rechtsänderung begründet
wird. (RG. 48, 133; 50, 77: Gruchot 46 S. MI).
(Urt. d. III. ZS. vom 23. Januar 1914, III 465/1913).
3264 — a —
VIII.
Bernehmung von Streitgenofien als Zeugen. Aus
den Gründen: Nur der kann Zeuge ſein, der im
Rechtsſtreite nicht ſelbſt Partei iſt, wer alſo weder für
ſich noch als geſetzlicher Vertreter für einen anderen
ein Recht verfolgen und dazu Parteihandlungen vor⸗
nehmen kann. Wo Streitgenoſſen die Partei bilden,
iſt aber jeder Streitgenoſſe nicht nur der Gegenpartei,
ſondern auch den Mitgenoſſen gegenüber Partei. Des⸗
halb kann ein Streitgenoſſe auch dann nicht als Zeuge
vernommen werden, wenn die beweisdürftige Tatſache
bloß das Recht des anderen Streitgenoſſen angeht (vgl.
RG. 29, 370). Infolgedeſſen kann ein Streitgenoſſe,
gegen den durch Zwiſchenurteil der 1. Inſtanz nach
§ 304 ZPO. der Klagegrund rechtskräftig für gerecht⸗
fertigt erklärt worden iſt, ſelbſt dann nicht als Zeuge
in der Berufungsinſtanz vernommen werden, wenn er
an dem gegen ſeinen Mitgenoſſen weiterbetriebenen
Verfahren über den Grund des Anſpruchs ſelber nicht
mehr beteiligt iſt. Denn er hat noch am Verfahren
über den Betrag teilzunehmen, iſt alſo noch Partei
geblieben. Hier liegt der Fall allerdings umgekehrt.
Denn gegen den Streitgenoſſen R. iſt durch das land⸗
gerichtliche Urteil die Klage rechtskräftig abgewieſen;
er iſt damit endgültig zur Sache aus dem Rechtsſtreit
ausgeſchieden. Nur die Koſtenentſcheidung iſt vorbehalten
worden. Dieſes landgerichtliche Verfahren unterliegt
allerdings begründeten Bedenken. Mit der Abweiſung
der Klage gegen R. war nämlich der Rechtsſtreit
zwiſchen dem Kläger und ihm völlig ſpruchreif und
nach § 91 3PO. wäre in einer der Sachlage angepaßten
Faſſung auszuſprechen geweſen, daß der Kläger als
die gegen R. völlig unterliegende Partei die durch
den Rechtsſtreit wider 17 verurſachten Koſten zu tragen
habe. Anſtatt alſo bloß in der Sache die Klage gegen
R. durch Teilurteil abzuweiſen, hätte das LG., wie
8 300 Abſ. 1, 2 ZPO. vorſchreibt, als Endentſcheidung
ein zugleich auch den ſpruchreifen Koſtenpunkt mit⸗
erledigendes Endurteil erlaſſen ſollen. Jedoch kann
dieſer Berftoß gegen 8 300 ZPO., der übrigens auch
durch den Beſchluß des OL. rechtskräftig beſtätigt
worden iſt, in der Reviſionsinſtanz nicht behoben
werden. Daher muß hier davon ausgegangen werden,
daß R. am Verfahren über die Koſten 1. Inſtanz noch
beteiligt iſt. Die Entſcheidung hängt ſomit von der
Frage ab, ob R. bei dieſer Sachlage auch noch im Be⸗
rufungs verfahren zwiſchen dem Kläger und W. Partei
iſt und daher als Entlaſtungszeuge ſeines Streit⸗
genoſſen W. nicht zu vernehmen war. Dieſe Frage
muß bejaht werden. Geht man davon aus, daß die
Parteieigenſchaft prozeßrechtlich grundſätzlich erſt im
Zeitpunkt endigt, in dem der Rechtsſtreit ganz rechts⸗
kräftig entſchieden iſt, ſo kann ein Streitgenoſſe als
Partei nicht ausſcheiden, ſolange auch nur ein Teil
des Rechtsſtreits noch rechtshängig iſt. Dies gilt auch
hier, wo der Rechtsſtreit gegen R. noch zum Koſten⸗
punkt in 1. Inſtanz 1 und rechtshängig iſt.
(Urt. d. VI. 38S. vom 27. Nov. 1913, VI 410/1913).
3291 —— n.
IX.
Ob die Unorbuung einer He- Is a
det war, hat der Prszeßrichter nicht zu prüfen. Aus
den Gründen: Der die Pflegſchaft als Vormund⸗
ſchaftsrichter behandelnde Beklagte hat dem Pfleger
eine Vergütung von 5000 M für die Pflegſchaftsführung
aus dem vom Pfleger ſelbſt für die Pflegſchaft erſt er⸗
worbenen Vermögen bewilligt. Der Pfleger hatte dieſe
Summe daraufhin aus dem Vermögen entnommen.
(Die Vorausſetzung für die durch ein Teſtament ver⸗
anlaßte Pflegſchaft war, wie ſich ergab, ſchon bei Ein⸗
leitung der Pflegſchaft weggefallen geweſen). Darauf
hob der Beklagte die Pflegſchaft auf. Die abgewieſene
Klage fordert von Vormundſchaftsrichter und Pfleger
als Geſamtſchuldnern die 5000 M. Die Reviſion kann
keinen Erfolg haben. Ob die Pflegſchaft von Anfang
an ſachlich begründet oder ungerechtfertigt war, iſt von
einer vormundſchaftlichen Inſtanz nicht entſchieden.
Der Beklagte hat nur die Vormundſchaft aufgehoben.
Der Prozeß richter aber hat über die Geſetzmäßigkeit
einer Vormundſchafts⸗ oder Pflegſchaftseinleitung über⸗
haupt nicht zu entſcheiden. Dazu find allein die vor⸗
mundſchaftlichen Inſtanzen zuſtändig. (JW. 1891, 434;
1903 Beil. 64 Nr. 147; RG. 33, 414; 34, 416). Maß⸗
gebend iſt allein der rechtliche Beſtand der Pflegſchaft.
Dieſer berechtigte und verpflichtete den Beklagten, dem
Pfleger eine angemeſſene Vergütung zu bewilligen. Die
Klägerin bemängelt die Höhe der Vergütung. Darüber
zu befinden, ſteht jedoch allein den Vormundſchafts⸗
behörden, nicht dem Prozeßrichter zu. Eine Beſchwerde
gegen die Höhe hat die Klägerin bei den vormundſchaft⸗
lichen Inſtanzen bisher nicht erhoben. Eine ſolche Be»
ſchwerde ſteht ihr immer noch offen, es iſt ohne Belang,
daß die Pflegſchaft inzwiſchen aufgehoben worden iſt.
(Urt. des III. 35. vom 3. Februar 1914, III 202/13).
3281
X.
Strafandrohung zur N N poſitiven Tuns.
Aus den Gründen: bat der Beklagten
bei Meidung einer Geldstrafe Ar zu 100 M für jeden
Tag geboten, eine beſtimmte Maſchine nicht durch eine
Firma P. verwenden zu laſſen. Das ausgeſprochene
Verbot gilt nach Klagantrag und Urteil einer ver⸗
meintlichen Unterlaſſung nach 8 241 Satz 2 880. In
Wahrheit handelt es ſich jedoch um keine Unterlaſſung
ſondern um eine Leiſtung i. S. des 8 241 Satz 1 888.
Denn die Verurteilung iſt angeſtrebt und auch erfolgt,
weil die Beklagte ihrer Vertragspflicht zuwidergehandelt
und dadurch die Entſtehung eines vertragswidrigen Zu⸗
ſtandes (nämlich das Arbeiten der Maſchine bei P.)
ſchuldhaft ermöglicht hat. Durch die Strafandrohung
ſoll die Beklagte gezwungen werden, die Weiterbenutzung
der Maſchine bei P. zu verhindern. Das iſt der Sinn
der Strafdrohung. Es wird der Beklagten alſo ein
Tun, eine Einwirkung auf die Firma P., angeſonnen.
Auf einen ſolchen Fall findet 8 890 ZPO. keine An⸗
wendung. Er gut nur, wenn der Schuldner einer Ver⸗
pflichtung zuwiderhandelt, eine Handlung zu unter⸗
laſſen oder die Vornahme einer Handlung zu dulden.
Soll nicht eine Unterlaſſung oder Duldung erzwungen,
ſondern der Schuldner zum Tun angehalten werden,
fo kommen die 88 887, 888 ZPO. in Betracht. Dieſe
beiden Vorſchriften erklären jedoch das Prozeßgericht
1. Inſtanz für zuſtändig, wenn ein Urteil vorliegt,
wodurch dem Schuldner die Verpflichtung zur Vor⸗
nahme einer Handlung auferlegt iſt, und wenn es ſich
um die Vollſtreckung dieſes Urteils handelt. In dem
Urteil ſelbſt kann die Strafe nicht angedroht werden
(RG Z. 34, 173, JW. 1909, 24, 23). Hieraus folgt die
Abweiſung des Anſpruchs auf die 5 en nn.
(Urt. d. III. ZS. vom 10. Februar 1914, III 462/13).
3296 —a—
B. Strafſachen.
I.
f re (88 1, 2 und 27 Nr. 1 PoſtG.). 1. Zum
ex reer Bote“. 2. Die Beförderung poſtzwangs:
b egenſtände, die ein bezahlter Angeſtellter fi
eſchäſtsherrn bewirkt, ift 85 notwendig
elörderung „gegen Beza lung des 8 1 PoſtG.
1 dar Ort gilt als 1 einer Zeitung ?
Mi nn eines doppelten Urſprungsertes; kaun der
Verleger beſtimmen, welcher Ort als une elten
el? 4. Liegt eine Verletzung des Poſtzwangs darin,
einem Boten, der gegen Bezahlung poſtzwangs⸗
ichtige Gegenſtände beſstbert, ſolche unentgeltlich auch
noch von einem anderen Abſender mitgegeben werden?
Aus den Gründen: Die politifche, wöchentlich
ſechsmal erſcheinende Zeitung „F. V.“, die von der in
G. anfäffigen G. m. b. H. „Bereinsbruderei für G. und
Umgebung“ herausgegeben wird, wurde in St. druck⸗
fertig gemacht in der Druckerei der „S. T.“, G. m. b. H.,
von der die politiſche, gleichfalls ſechsmal wöchentlich
E nende Zeitung „S. T.“ verlegt wird. Die Schrift⸗
leitung der „F. B.- lag in den Händen des Ange⸗
klagten H., der damals ſeinen Wohnſitz in G. hatte
und die Redaktionsgeſchäfte teils vorbereitend dort,
teils endgültig vor dem Druck in St. in den Geſchäfts⸗
räumen der Geſellſchaft „S. T.“ beſorgte. Der An⸗
geklagte L. war bei der ech „F. V.“ mit der
Buchführung und Expedition betraut, hatte ſeinen Wohn⸗
ſitz gleichfalls in G. und wurde in der maßgebenden
Zeit ſogar in den einzelnen Zeitungsnummern als
„Verleger“ bezeichnet. Zwiſchen den beiden Geſell—
ſchaften „FJ. B.“ und „S. T.“ war vereinbart, daß
letztere Geſellſchaft gegen Vergütung den Druck der
„F. B.“ und ihre Expedition zu beſorgen hatte. Die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
151
Nummern der „F. V.“, die im Wege des Poſtzeitungs⸗
vertriebs zu verſchicken waren, durchſchnittlich nur 50
bis 70 Stück täglich, wurden nach dem Druck von der
Expedition der „S. T.“ unmittelbar an das Poſtamt
Nr. 1 in St. abgeliefert, bei dem durch die Geſellſchaft
„F. V.“ die dieſe Zeitung als „in St. erſcheinend“ an⸗
gemeldet worden war. Auch das nach 855 der württemb.
Poſt O. vom 21. Mai 1900 erforderliche „Pflichtexemplar“
kam dieſem Poſtamt unmittelbar von der Expedition
der „S. T.“ zu, deren Vorſtand der Angeklagte Sch.
war. Dieſer beſorgte auch als Bevollmächtigter der
„F. B.“ die Abrechnung mit der Poſt. Ein weiterer
Teil der in St. gedruckten Nummer der „F. B.“ wurde
von der Expedition der „S. T.“ für zwei Städte
und nebſt ihrer Umgebung durch expreſſen Boten
unmittelbar verſandt. Auch hier handelt es ſich um
eine unweſentliche Zahl von Blättern. Der größte Teil
der Leſer der „FJ. V.“ aber befand fi in G. und neun⸗
zehn dieſer Stadt benachbarten Ortſchaften, die alle
innerhalb des zweimeiligen Umkreiſes von G. Im. 8.
Die für ſie beſtimmten Zeitungsnummern nahm H.
täglich nach Beendigung ſeiner ſchri tleitenden Tätigkeit
in St. in Bunde und Pakete verſchnürt von dort als
Handgepäck auf der Eiſenbahn mit nach G., wo ſie L.
zur Weiterbeförderung an die Bezieher ent ſegennahm.
1. Das 88. nahm an, daß die Verſchickung und
Beförderung der „F. B.“ von St. nach G. durch H.
der Vorſchrift der 88 1 und 2 Poſtch. nicht entſprochen habe,
weil St. und nicht G. der Urſprungsort der Zeitung ge⸗
weſen ſei und H. nicht als expreſſer Bote gelten könne,
und verurteilte die Angeklagten L., Sch. und H. aus
8 27 Nr. 1 Boft®. Dies begegnet nach jeder Richtung
rechtlichen Bedenken. Nicht zu beanſtanden iſt die An⸗
nahme des Gerichts, daß H. kein expreſſer Bote i. S.
des 8 2 Boft. und damit kein zugelaſſener Beförderer
poſtzwangspflichtiger Gegenſtände geweſen ſei, weil er
die Blätter nur gelegentlich ſeiner Rückreiſe von St.
in anderer als in einer ausſchließlichen Botentätigkeit
mitgenommen habe, und weil er neben den Nummern
der „F. B.“ auch ſolche der „S. T.“ bei ſich führte.
Von dieſem der ſtändigen Rechtſprechung des Reichs⸗
gerihts entſprechenden Standpunkt abzugeben, beſteht
ein Anlaß. Wenn aber
2. das 8G. meint, H. habe ſich dieſer feiner Bes
förderungstätigkeit „gegen Bezahlung“ durch feine
Dienſtherrin, die Gefellſchaft „FJ. B.“ unterzogen, fo
fehlt hiefür die erforderliche "tatfächliche Grundlage.
H. bezog für ſeine ſchriftleitende Tätigkeit einen be⸗
ſtimmten Gehalt, der nicht erhöht 1 als H. be⸗
gann, die Nummern der „F. V.“ von St. nach G. als
Handgepäck mit ſich zu führen. Erſichtlich hat er auch
weitere Anſprüche an die Geſellſchaft nicht gemacht.
Daraus iſt aber noch nicht zu folgern, daß er für ſeine
geſamte Tätigkeit für die „J. V.“, wozu auch die Be⸗
förderung der Zeitung von St. nach G. gehört habe,
bezahlt worden ſei. Freilich liegt bei einem Ange⸗
ſtellten, der für den Dienſtherrn neben anderen Dienſt⸗
leiſtungen poſtzwangspflichtige Gegenſtände befördert,
eine Bezahlung der Beförderung auch dann vor, wenn
ſein Lohn oder Gehalt ſich zugleich auf die anderen
Dienſte bezieht, die er ſeinem Auftraggeber zu leiſten
Dat, und der auf die befördernde Tätigkeit entfallende
nteil am Lohne ſich zahlenmäßig nicht nachweiſen
läßt. Vorauszuſetzen iſt hierbei aber ſtets, daß
Angeſtellte durch ſeinen Dienſtvertrag, ſei es von vorn⸗
herein oder infolge ſpäteren Uebereinkommens vers
pflichtet iſt, ſich der Beförderung poſtzwangspflichtiger
Gegenſtände zu unterziehen. Verſteht er ſich hierzu
freiwillig in einer den Dienſtvertrag nicht berührenden
Weiſe, ſo daß er das Recht hat, jederzeit zu wider⸗
rufen und dieſe Tätigkeit wieder einzuſtellen, ſo kann
von einer entgeltlichen Leiſtung nicht die Rede ſein.
Das LG. mußte daher umſomehr auf die Frage ein-
gehen, ob H. zur Beförderung der Nummern der „F.
B.“ von St. nach G. durch Vertrag ſich verpflichten
152
wollte und verpflichtet war, als dieſe Tätigkeit auch
nicht die entfernteſte 8 a zu ſeiner Tätigkeit als
Schriftleiter der Zeitung hatte, und keine Rechtsver⸗
mutung dafür beſteht, daß jede Tätigkeit eines Ange⸗
ſtellten im Intereſſe des Dienſtherrn eine nach Vertrag
zu fordernde und bezahlte iſt.
3. Allein abgeſehen hiervon iſt rechtlich unhaltbar
auch der Ausgangspunkt des Urteils, daß St. aus⸗
ſchließlich der Urſprungsort der 2 V.“ geweſen ſei.
Wäre, wenigſtens was die von H. aus St. nach G.
verbrachten Zeitungsblätter anlangt, St. nur Druckort,
G. aber Urſprungsort i. S. des erſten Abſ. des 81
Poſt G., dann läge inſoweit eine verbotene Verſchickung
und Beförderung poſtzwangspflichtiger Gegenſtände
nicht vor. Wie der erk. Senat in ſeinem Urteil vom
19. April 1894 (RG. 25, 279) ausgeſprochen hat, find
die gedruckten Bogen ſtrafrechtlich und vom Standpunkt
des Poſtgeſetzes aus En nicht den Beſtimmungen über
die Beförderung von Zeitungen unterworfen, bevor
ſie der Verleger zur Verbreitung entläßt. Letzteres
trifft aber für die von H. nach G. verbrachten Zeitungs⸗
nummern unbedingt zu. Bis dahin waren ſie aus
dem Dunkel der Herſtellungsſtätte — Redaktion,
Druckerei und Expedition — noch keineswegs in die
Welt zu den Leſern herausgetreten. L. nahm die Blätter
in G. als Vertreter des Verlags entgegen und ſeine
Aufgabe war es nun, ſie den Beziehern zugänglich zu
machen. Solange ſie in ſeiner Hand waren, befanden
ſie ſich noch in einer der Herſtellungsſtätten und es
beſtand die Möglichkeit, die hier allerdings nie zur
Wirklichkeit wurde, die Herausgabe der Zeitung wenig⸗
ſtens in dem hier in Rede ſtehenden Umfange noch zu
unterbinden, die Blätter gar nicht oder in verändertem
Zuſtande in die Leſerkreiſe hinausgelangen zu laſſen.
Der Sitz des Verlags und der Mittelpunkt ſeines Ge⸗
ſchäftskreiſes war G. Und alle die Nummern der „F.
V.“, die von St. als dem Druckort und in gewiſſem
Sinne dem Redaktionsorte nach G. in den Gewahrſam
des Verlags gelangt ſind, waren noch innerhalb der
Berfügungsgewalt des Verlags; ſolange die weitere
Beförderungstätigkeit durch L. nicht begonnen hatte,
waren ſie noch nicht in die Oeffentlichkeit der Geſchäfts⸗
welt getreten und für den Leſerkreis „erſchienen“. St.
mag neben G. auch ein Urſprungsort der Zeitung ge⸗
weſen ſein und zwar für die Nummern, die im Auf⸗
trag und nach dem Willen des Verlags von dort un⸗
mittelbar den Beziehern im Wege des Zeitungspoſt⸗
betriebs oder auf andere Weiſe zugeführt wurden. Das
LG. hat jedoch überſehen, daß eine Zeitung mehrere
Urſprungsorte nach 8 1 Abſ. 1 Pojt®. haben kann,
wie es der erk. Senat in ſeiner ſchon erwähnten Entſch.
vom 19. April 1894 dargelegt hat. Auch dem vom
LG. aufgeſtellten Satz, daß der Wille des Verlegers
beſtimmend fei, ob und wo die Zeitung erſcheinen folle,
kann in dieſer Allgemeinheit und in dem ihm beige⸗
legten Sinn nicht beigetreten werden. Freilich hängen
die Umſtände, unter denen die Zeitung hergeſtellt werden
und an die Leſer gelangen ſoll, von ſeinem Willen
ausſchließlich ab. Aber nur dieſe Umſtände ſind für
die vom Richter zu treffende rechtliche Schlußfolgerung
maßgebend, welcher Ort als Urſprungsort zu gelten
hat, nicht auch der etwa vorhandene, dieſe Umſtände
mißachtende Wille des Verlegers, daß ein anderer als
der aus den Begleitumſtänden ſich ergebende Ort als
Urſprungsort ſeiner Zeitung gelten ſolle. Hierin
würde ſich nur ein nicht zu beachtender Rechtsirrtum
verbergen.
4. H. hat nun allerdings neben den Nummern der
„F. V.“ auch ſolche der „S. T.“ für deren Bezieher
in G. und Umgebung von St. nach G. als Handgepäck
auf der Eiſenbahn mitgeführt. Auch dieſe Beförderung
wird von dem LG. als ein Eingriff in die Rechte der
Poſtverwaltung angeſehen, und ſie hat H. als Be—
förderer, L. und Sch., die vom 1. Januar 1911 ab die
Mitnahme der Blätter der „S. T.“ veranlaßt haben,
—— 4 —ü—u4——?7LEt . ͤ Dwöͤ—
Zeitſchrift far Rechtapflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
als Berſchicker ſtrafrechtlich haftbar gemacht. Auch
hier aber macht ſich ein Rechtsirrtum geltend. Das
Gericht ſagt, es ſei bedeutungslos, daß H. von der
Geſellſchaft „S. T.“ für die Mitnahme ihrer Zeitungs⸗
nummern keine beſondere Vergütung erhalten habe,
weil ein expreſſer Bote von anderen poſtzwangspflichtige
Sendungen auch nicht unentgeltlich mitnehmen dürfe.
Dieſer Satz iſt für die hier zu entſcheidende Frage ohne
Belang. Er iſt überhaupt nur ſoweit als richtig an⸗
zuerkennen, als ein bezahlter Bote, der auch poſt⸗
zwangspflichtige Gegenſtände anderer aus Gefälligkeit
mitbefördert, die Eigenſchaft eines expreſſen Voten
nach 8 2 Poſt . verliert, da er zwei Abſendern dient.
Dadurch werden die Verſchickung und die Beförderung
der ie Gegenſtände zu unerlaubten
und nach 8 27 Nr. 1 Bojt®. ſtrafbaren Handlungen,
aber doch nur, ſoweit ſie „gegen Bezahlung“ erfolgen.
Unentgeltliches Befördern oder Verſchicken verſchloſſener
Briefe und politiſcher Zeitungen verſtößt nicht gegen
den Poſtzwang. Hat alſo von zwei Abſendern poſt⸗
zwangspflichtiger Begenftände nur der eine Abſender
den Boten bezahlt, dieſer aber die Sachen des anderen
Abſenders unentgeltlich mitgenommen, ſo iſt der zweite
Abſender und der Bote hinſichtlich dieſer Gegenſtände
aus 8 27 Nr. 1 Boft®. nicht ſtrafrechtlich verantwortlich,
da inſoweit kein Verſchicken und kein Befördern „gegen
Bezahlung“ vorliegt. Die Tatſache, daß der erſte Ab⸗
ſender den Boten bezahlt, ändert hieran nichts. Die
Bezahlung ſowie das Verſchicken und Befördern müſſen
in einem unmittelbaren Zuſammenhang ſtehen. H.
hat für die Mitnahme der Nummern der „S. T.“ nach
G. von der Geſellſchaft „S. T.“ keine Bezahlung er⸗
halten; weder er noch ſeine Mitangeklagten L. und
Sch. haben ſich inſoweit gegen 8 27 Nr. 1 Boft®. ver⸗
fehlt, gleichgültig, welche ſtrafrechtliche Folgen etwa
aus der Beförderung der Nummern der „F. B.“ von
St. nach G., die wenigſtens nach der Annahme des
LG. gegen Bezahlung erfolgt iſt, für ſie erwachſen
konnten. Daß übrigens auch dieſe Beförderung zu⸗
läſſig war, iſt bereits dargetan. (Urt. des I. JS. vom
15. Dezember 1913, 1 D 776/13). E.
9270
II.
Zu $ 200 G86.: Die Neviſien kann nicht an
die Mitteilung von Geſchwerenen über den Hergang
ei der Beralung und Abſtimmung geſtützt werden.
Aus den Gründen: Nachdem bereits der Spruch
der Geſchworenen nach § 308 StPO. kundgegeben und
nach dem Schlußworte zur Straffrage das Urteil vom
Gerichte beraten worden war, beantragte der Vertei⸗
diger nach 8 309 StPO. zu verfahren, da ihm mitge⸗
teilt worden ſei, daß die Geſchworenen während ihrer
Beratung das Strafgeſetzbuch verlangt hätten, ihnen
darauf bedeutet worden ſei, daß ſie ſich hierwegen in
das Sitzungszimmer zurückzubegeben und eee
Antrag an den Vorſitzenden zu ſtellen hätten, und
daraufhin mit verneinendem Ergebniſſe von den Ges
fhmorenen darüber abgeſtimmt worden ſei, ob das
geſchehen ſolle. Während das Gericht über dieſen An⸗
trag des Verteidigers beriet, wendete ſich der Obmann
der Geſchworenen an den Staatsanwalt mit der Bitte,
zu vermitteln, daß er das Wort erhalte, um bezüglich
der Abſtimmung über das Verlangen nach einem Straf⸗
geſetzbuch Aufklärung zu geben. Nach Wiedereintritt
des Gerichts trug der Staatsanwalt diefem die Bitte
des Obmanns vor und der Verteidiger beantragte, ihr
zu entſprechen. Nach weiterer Beratung verkündete
das Gericht Beſchluß dahin: „Der Antrag des Ber-
teidigers wird zurückgewieſen, da keiner der Fälle des
§ 309 StPO. vorliegt.“ Die Reviſion bezeichnet nun
den 8 306 StPO. als verletzt, weil mehrere Geſchworene
bei ihrer Beratung erklärt hätten, einer nochmaligen
Rechtsbelehrung zu bedürfen, und hierüber abgeſtimmt
worden ſei, während nach § 306 StPO. eine weitere
au ne
2
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
Belehrung ſchon dann zu beantragen geweſen wäre,
wenn auch nur einer der Geſchworenen eine ſolche für
erforderlich gehalten habe. Ferner wird als verletzt
bezeichnet der § 243 Abſ. 2 StPO., weil der Antrag
des Verteidigers, den Obmann zu hören, nicht bes
ſchieden worden ſei. Dieſe Angriffe der Revifion
können keinen Erfolg haben. Gemäß 8 200 GBG. find
die Geſchworenen verpflichtet, über den Hergang bei
der Beratung und Abſtimmung Stillſchweigen zu bes
obachten. Wenn der Verteidiger ſich gleichwohl hierüber
von einem Geſchworenen eine Mitteilung machen ließ,
ſo war das geſetzwidrig und es iſt jede Nachprüfung
ausgeſchloſſen, ob die Mitteilung richtig iſt, da der
$ 200 GG. es unmöglich macht, die maßgebenden
Perſonen darüber zu vernehmen. Aus dieſem Grunde
konnte auch der Obmann der Geſchworenen mit ſeiner
beabſichtigten Erklärung nicht gehört werden. Sie
ſollte ſich nicht etwa a den Inhalt des kundgegebenen
Spruches beziehen, ſondern ausſchließlich auf den Her⸗
gang bei der Beratung und Abſtimmung n
durfte der Obmann nach $ 200 GG. keinen Aufſchluß
geben. Danach iſt aber auch der Antrag des Vertei⸗
digers, den Obmann zu hören, geſetzwidrig geweſen
und durch die Nichtberückſichtigung dieſes Antrages
das Geſetz nicht verletzt; keinesfalls konnte von einer
Verletzung des § 243 Abſ. 2 StPO. die Rede fein, da
der Antrag kein Beweisantrag i. S. dieſer Geſetzes⸗
ſtelle war. Mittelbar iſt übrigens dieſer Antrag mit
dem Beſchluß au Zurückweiſung des Antrags auf Ans
wendung des 8 309 StPO. abgelehnt, wenn das auch
nicht wörtlich zum Ausdruck kam. (Urt. des I. StS.
vom 4. Dezember 1913, 1 D 760/13). E.
3274
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I
Uebernimmt bei einem Kaufpertrage der Käufer die
ee ganz oder zum Teile, jo erhöht ſich der
eis, aus dem Gebühren und Zuwachs ſtener zu
chten find, um die übernommene Zuwachsſtener
(ZumSt®. 88 1, 24, 29; BGB. 8 449; Geb. Art. 186
Abſ. 2). Laut notarieller Urkunde verkaufte die Aktien⸗
geſellſchaft J. M. einen Bauplatz an B. um 22 070 M.
Die Koſten ſowie die Gebühren und Steuern einſchließ⸗
lich der Reichswertzuwachsſteuer übernahmen die Ver⸗
tragsteile je zu /. Der Notar ſetzte die Gebühren
aus 22 070 M an. Nach der Vermeſſung wurde eine
Erhöhung des Kaufpreiſes um 225.60 M vereinbart.
Auch aus dieſem Betrage wurden die Gebühren be⸗
rechnet. Die . ordnete die Nach⸗
holung von 38,40 M Gebühren an (20.90 M nach
Art. 146 GebG., 10.40 M örtliche Beſitzveränderungs⸗
abgabe und 7.10 M Reichsſtempelabgabe), weil der von
dem Käufer übernommene Betrag der Zuwachsſteuer
als eine weitere Leiſtung für die Ueberlaſſung des
Crundſtücks dem Kaufpreis zuzurechnen ſei. Die Ber
ſchwerde wurde vom LG. zurückgewieſen. Auch die
weitere Beſchwerde hatte keinen Erfolg.
Gründe: Das LG. hat zutreffend angenommen:
Darin, daß der Käufer die Zuwachsſteuer oder einen
Teil dem Verkäufer gegenüber übernimmt, liege eine
Gegenleiſtung, die der Käufer an den Verkäufer zu
bewirken hat; dieſe Leiſtung bilde alſo einen Teil des
Kaufpreiſes und damit der Gegenſtandsſumme i. S. des
Art. 145 Geb. Nach § 29 ZuwSt®. hat die Zuwachs—
ſteuer zu entrichten, wem das Eigentum vor dem die
Steuerpflicht begründenden Vorgange zuſtand. Nur
wenn die Steuer von dem Veräußerer nicht beigetrieben
werden kann, haftet der Erwerber für ſie bis zum Be-
— — — — — . — —
153
trage von 2% des Veräußerungspreiſes (Abſ. 2 des
ad: der Erwerber ift aber ſelbſtverſtändlich dem
eräußerer gegenüber erſatzberechtigt. Gegenſtand der
Zuwachsſteuer iſt der bei dem Uebergange des Eigen⸗
tums feſtzuſtellende Wertzuwachs, der ohne Zutun des
Eigentümers entſtanden ft (8 1). Schuldner iſt der
Veräußerer. Verpflichtet ſich der Erwerber, dem Ver⸗
äußerer den Steuerbetrag ganz oder teilweiſe zu er⸗
ſetzen oder für ihn zu zahlen, ſo iſt dies eine weitere
Gegenleiſtung für die Ueberlaſſung des Grundſtücks.
Der Erwerber übernimmt eine dem Veräußerer ob-
liegende Leiſtung und um den Wert dieſer Leiſtung
erhöht ſich das Maß ſeiner Aufwendungen auf den
Erwerb des Grundſtücks. Unrichtig iſt die Annahme
der Beſchwerdeführerin, die Verpflichtung zur Zahlung
der Zuwachsſteuer entſtehe erſt durch und infolge des
Veräußerungsvertrags und die Uebernahme einer ſolchen
Verpflichtung, insbeſondere einem Dritten, hier dem
Staate, gegenüber könne nicht Teil der Kaufpreisver⸗
einbarung ſein. Die Verpflichtung zur Zahlung der
Zuwachsſteuer entſteht nicht durch und infolge des Ber⸗
äußerungsvertrags, die Zuwachsſteuer wird nur bei
dem Eigentumswechſel für den ſeit dem letzten Eigen⸗
tumsübergang ohne Zutun des Eigentümers ent⸗
andenen Wertzuwachs fällig. Zahlen muß ſie der
eräußerer. Der Erwerber 1 nicht dem Fiskus gegen⸗
über, ſondern dem Veräußerer gegenüber die Ver⸗
pflichtung zur teilweiſen Zahlung der Steuer über⸗
nommen. Unzutreffend iſt auch die Behauptung, der
von dem Erwerber zu leiſtende Betrag komme nicht
in das Vermögen des Verkäufers, ſondern in das Ver⸗
mögen des Staates. Denn durch die Leiſtung des
Erwerbers an den Staat wird das Vermögen des
Veräußerers um den von dem Erwerber gezahlten
Betrag der Steuer vermehrt.
Wenn der Käufer dem Verkäufer gegenüber eine
dieſem obliegende Verpflichtung zur Zahlung eines
Unterhändlerlohns oder einer Vertragsſtrafe über⸗
nimmt, ſo ſind dieſe Leiſtungen bei der Bewertung dem
Kaufpreis ebenſo zuzurechnen (vgl. JW. 1892 S. 344“),
wie die von dem Erwerber übernommene Zuwachs⸗
ſteuer. Die Annahme, ſolche Leiſtungen könnten keinen
Kaufpreisbeſtandteil bilden, kann auch nicht daraus
gefolgert werden, daß der Kaufpreis nicht ermäßigt
wird, wenn umgekehrt der Verkäufer dem Käufer ob⸗
liegende Leiſtungen übernimmt. Denn in dieſen Fällen
bildet eben, wenn nichts anderes vereinbart iſt, der
vereinbarte Kaufpreis die Gegenleiſtung für die Lei⸗
ſtungen des Verkäufers. Verfehlt iſt deshalb auch der
Hinweis darauf, daß, wenn der Verkäufer die Ver⸗
pflichtungen übernimmt, die nach 8 449 BGB. an ſich
den Käufer treffen — nämlich die Koſten der Auflaſſung,
der Eintragung und der Beurkundung — dieſe Leiſtungen
nicht eine Ermäßigung des . ſeien. Dazu
kommt, daß die im 8 449 BGB. erwähnten Koſten und
die Zuwachsſteuer verſchieden ſind. Erſtere entſtehen
9 die Veräußerung, an ihnen ſind der Käufer und
der Verkäufer gleichmäßig beteiligt; übernimmt der
Verkäufer einen Teil der Koſten des Verkaufs, ſo handelt
er auch in ſeinem eigenen Intereſſe. Die Zuwachs⸗
ſteuer ſoll aber gerade den bisherigen Eigentümer, den
Veräußerer, mit Rückſicht auf den unverdienten Wert⸗
zuwachs treffen. Der Erwerber wird durch dieſen
Wertzuwachs nicht berührt; die Uebernahme der Zu⸗
wachsſteuer durch ihn kann daher nur als eine Gegen⸗
leiſtung für das Grundſtück aufgefaßt werden. Wenn
die Zahlung der Zuwachsſteuer von dem Erwerber
übernommen wird, iſt nach $ 24 Zuw StG. ein nach
den ſonſtigen Vorſchriften des Geſetzes berechneter
Steuerbetrag dem Veräußerungspreiſe hinzuzuzählen
und hiernach die Steuer feſtzuſetzen. Der Geſetzgeber
iſt alſo auch hier von der Erwägung ausgegangen,
das die Uebernahme der Zuwachsſteuer durch den Er—
werber den Veräußerungspreis erhöht und daß die
übernommene Zuwachsſteuer und der angegebene Ver—
154
äußerungspreis den Wert des Grundſtücks darſtellen.
a 1 1 treffen aber auch für die Bewertung
nach Art. 146 Geb. zu. Es handelt fi ſomit hier
nicht um eine Verbindlichkeit, welche nur Bedingung
(Nebenbeſtimmung) des Hauptvertrags iſt (Art. 186
Abſ. 2 Geb.), ſondern um eine den Kaufpreis erhöhende
weitere Leiſtung. (Beſchl. des II. 3S. vom 29. Des
zember 1913, Reg. V 45/1913). W.
3302
II.
Haftet der Bater eines minderjährigen dermögensd-
leſen Kindes für die Gebühren uud Anglagen in einem
Nechtsſtreite des Kindes? (BGB. 8 1654, ENG. 8 92).
Aus den Gründen: Ueber die Auslegung des
8 1654 BGB. herrſcht Streit. Noch in dem Beſchluſſe
des OLG. Hamburg v. 11. Juni 1912 (Seuff A. Bd. 68
Nr. 17, OL Rſpr. Bd. 25 S. 287) wird die Auffaſſung
bekämpft, nach dem § 1654 habe der Vater die Koſten
eines für das Kind geführten Rechtsſtreits nur zu
tragen, wenn er Vermögen des Kindes in Händen hat.
Der Streit iſt nicht neu. Schon unter der Herrſchaft
des PreußLR. wurde der Satz aufgeſtellt, der Vater
habe die Koſten eines für das Kind geführten Rechts⸗
ſtreits aus eigenen Mitteln zu tragen, ſoweit das von
ihm vertretene Kind Vermögen nicht beſitzt (vgl. Dern⸗
burgs Lehrbuch des PreußprR. III 8 55 N. 21). |
Sydow (Der. Z. 1860 S. 107) ſprach dagegen die An⸗
ſicht aus, daß der Vater zwar als Mießbraucher des
unfreien Vermögens die Koſten eines Rechtsſtreits über
die Subſtanz des Vermögens aus dieſem vorſchießen
müſſe, daß er im übrigen aber nicht perſönlich haftbar
werde, ſofern er für das Kind prozeſſiert. Dernburg
a. a. O. billigt die letztere Meinung hauptſächlich des⸗
halb, weil eine der Vorſchrift des LR. Teil II Tit. I
a (Verpflichtung des Mannes in Anſehung der
ie Frau treffenden Prozeßkoſten) entſprechende Be⸗
ſtimmung für die Kinder nicht getroffen ſei.
Auch in dem 8 1654 BGB., der in Satz 2 die
Haftung des Vaters nach den für den Güterſtand der
Verwaltung und Nutznießung geltenden Borfchriften
der SS 1384 1386, 1388 beſtimmt, iſt gerade der
8 1387 nicht erwähnt, der die unbedingte Verpflichtung
des Mannes zur Tragung der Koſten eines Rechts⸗
ſtreits der Frau aufſtellt. Dies rechtfertigt den Schluß,
daß der Geſetzgeber keine von dem Vorhandenſein eines
der Nutznießung des Vaters unterliegenden Vermögens
unabhängige Verpflichtung zu begründen gedachte.
Aber auch in dem ſonſtigen Inhalte des 8 1654 tritt
der Wille des Geſetzgebers erkennbar zutage. Weil
dem Vater kraft der elterlichen Gewalt die Nutznießung
an dem Vermögen des Kindes zuſteht, hat er auch die
Laſten zu tragen (Satz 1). Dazu gehören die Koſten
eines Rechtsſtreits für das Kind, ſofern ſie nicht dem
freien Vermögen zur Laſt fallen (Satz 3). Immer ift
es alſo die Nutznießung, die wie von Vorteilen, ſo
auch von Nachteilen für den Vater begleitet iſt. Den
Vater trifft die Verpflichtung zur Tragung von Pro—
zeßkoſten für das Kind nicht, wenn es an einem ſeiner
Nutznießung unterworfenen Vermögen fehlt. So hat
auch das Reichsgericht in dem Beſchluſſe vom 22. Ja⸗
nuar 1912 entſchieden, wobei es den aus der Ent—
ſtehungsgeſchichte für eine andere Auslegung des
§ 1654 entnommenen Schlußfolgerungen angeſichts des
klaren Wortlauts jede Bedeutung verſagt (RGSt. 45,
407; Bay 3fR. 1912 S. 194). Der Anſicht des Reichs⸗
gerichts und ihrer Begründung hat ſich auch das OLG.
München in dem Beſchluſſe vom 12. Dezember 1912
1912 (Seuff A. Bd. 68 Nr. 101) angeſchloſſen und
ſeine frühere gegenteilige Meinung aufgegeben. Auf
den gleichen Standpunkt hat ſich das Kammergericht
in feinem Gutachten vom 20. Juni 1913 geſtellt (vgl.
PreußJ M Bl. S. 451 ff.). (Beſchl. des II. ZS. vo
9. Februar 1914, Reg. I. 88,1912). W.
3277
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
B. Strafſachen.
I
Vorausetzungen für die Nechtsgültigkeit einer nad
dem Art. 67 Abf. 2 P StG B. angeordneten Naßregel. Ein
Bezirksamt erließ folgende Verfügung: „Die durch
die land wirtſchaftliche Berſuchsſtation vorgenommene
Unterſuchung der Brunnen folgender Perſonen hat er⸗
geben, daß A Waſſer Beimengungen zeigen, die
nur von Berunreinigungen durch menſchliche oder
tieriſche Ausſcheidungen herrühren können und daher
geſundheitsſchädlich ſind. Es wird deshalb im Ein⸗
vernehmen mit dem Bezirksarzte gemäß Art. 67 Abſ. 2
P StG. jede weitere Benützung des Waſſers dieſer
Brunnen als Trinkwaſſer und als Gebrauchswaſſer im
Haushalt und im Gewerbebetriebe verboten.“ Das
wurde den Brunnenbeſitzern mit dem Bemerken er⸗
öffnet, daß ſie im Falle einer Uebertretung Strafan⸗
zeige und Unbrauchbarmachung der Brunnen zu ge⸗
wärtigen haben. Die Angeklagten benützten trotzdem
das Waſſer nach wie vor. Die Angeklagten wurden
von dem B. freigeſprochen, weil der Vorſchrift des
Art. 67 Abſ. 2 PStGB. zuwider in dem Verbote die
Krankheiten nicht benannt ſind. Die Reviſion des
Staatsanwalts wurde verworfen.
Aus den Gründen: Art. 67 en
ſpricht allgemein von Sicherheitsmaßregeln und nicht
bloß von ſolchen, die durch Polizeivorſchriften im engeren
Sinne — Art. 1 Abſ. 1 PSt GB. — angeordnet werden.
Es fallen alſo darunter auch polizeiliche Anordnungen,
Gebote oder Verbote an einzelne Perſonen oder in
beſtimmten Fällen (Art. 1 Abſ. 3 PStEB.) Auch für
ſolche Anordnungen gilt 8 21 Abſ. 2 BO. v. 4. Januar
1872. Die Verfügung des BezA. iſt nicht eine diſtrikts⸗
polizeiliche Vorſchrift i. S. des Art. 1 Abſ. 1 PStœ .,
ſondern ein Verbot an al Perſonen in einem
beſtimmten Falle, für das keine beſondere Art der Be
kanntmachung vorgeſchrieben iſt (Obs SSt. 7 S. 326).
Nach Art. 15 PStGGB. iſt zu prüfen, ob fi die An⸗
ordnung innerhalb des Rahmens des Art. 67 Abſ. 2
PStGB. bewegt. Daß die Anordnung des Bez.
dazu beſtimmt war, der drohenden Gefahr des Ein⸗
tritts oder der Verbreitung einer anſteckenden oder
epidemiſch auftretenden Krankheit zu begegnen, kann
aus ihrem Inhalte nicht entnommen werden. Denn
die Anordnung hebt nur hervor, daß das Waſſer ge⸗
ſundheitsſchädlich ſei. Dieſer Umſtand allein würde
aber das Verbot nicht rechtfertigen. Selbſt wenn es
eine ausgemachte Sache wäre, daß Waſſer, das ſo ver⸗
unreinigt iſt, wie das in den Brunnen der Angeklagten.
eine anſteckende Krankheit erzeugen kann, und daß die
Kenntnis dieſer Tatſache allgemein verbreitet iſt, ſo
zwänge das nicht zu der Annahme, daß die Vorſchrift
nur zu dem in Art. 67 Abſ. 2 P StB. bezeichneten
Zweck erlaſſen ſein kann. Es wird eben im Hinblick
auf den tiefen Eingriff in die Verhältniſſe der Be⸗
troffenen davon ausgegangen werden müſſen, daß auch
die Erheblichkeit der Gefahr für die Erlaſſung eines
ſolchen Verbots maßgebend iſt. Das StM. des Innern
und das StM. f. VA. haben im e mit
den übrigen Staatsminiſterien am 9. Mai 1911 Vor⸗
ſchriften zur Bekämpfung weiterer als der im R. v.
30. Juni 1900 über die Bekämpfung gemeingefährlicher
Krankheiten bezeichneten gemeingefährlichen Krank⸗—
heiten erlaſſen und zwar das StM. des Innern auf
Grund des Art. 67 Abſ. 2 PSt B. und des §21 Abſ. 2
der VO. vom 4. Januar 1872. In den SS 8—23 find
die Schutzmaßregeln aufgeführt, die zur Verhütung der
Weiterverbreitung gemeingefaͤhrlicher Krankheiten ge—
troffen werden können. Nach 87 Abſ. 2 können im
einzelnen Falle von den Diſtriktspolizeibehörden nach
Antrag des Bezirksarztes auf Grund des Art. 67
Abſ. 2 PStGB. weitergehende Maßregeln erlaſſen
werden. Nach Abſ. 4 haben jedoch der Bezirksarzt bei
ſeinen vorläufigen Anordnungen und bei ſeinen An—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
155
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trägen, die Diſtriktspolizeibehörden bei ihren Anord⸗
nungen ſich auf unbedingt notwendige Maßregeln zu
beſchränken, um eine Weiterverbreitung der Krankheit
zu verhindern; unter keinen Umſtänden darf durch An⸗
wendung zu weit gehender Maßregeln unnötig in die
perſönlichen und wirtſchaftlichen Verhältniſſe einge⸗
griffen werden. Es wird daher erwartet werden
dürfen, daß der Amtsarzt zur Begründung ſeines An⸗
trags mindeſtens die Tatſachen ausreichend und zweifels⸗
frei feſtſtellt, mit denen er nach dem Geſetze gerecht⸗
fertigt werden kann, und daß andererſeits die Diſtrikts⸗
polizeibehörde nicht unterlaſſen wird, den Grund und
den Zweck ihrer Anordnungen den hievon Betroffenen
ſo vollſtändig und beſtimmt bekannt zu machen, daß
kein Zweifel hierüber möglich iſt. Wird trotzdem
weder in dem Antrage des Arztes noch in der An⸗
ordnung der Behörde erwähnt, daß die Anordnung
gerade zum Schutze gegen den Eintritt einer an⸗
ſteckenden Krankheit uſw. für geboten erachtet wird,
ſo muß das Bedenken entſtehen, ob die Behörde nicht
in irriger Auslegung des Art. 67 Abſ. 2 PSt B. ihre
Befugnis über die geſetzlichen Grenzen ausgedehnt hat.
Es muß daher mindeſtens gefordert werden, daß in
der Anordnung ihr Zweck ſo beſtimmt gekennzeichnet
iſt, daß jeder Zweifel darüber ausgeſchloſſen iſt, ob
die Anordnung innerhalb der geſetzlichen zuläſſigen
Grenzen erlaſſen iſt. Das wird am ſicherſten Pr
Angabe der Krankheit ſelbſt erreicht werden. Do
wird hierin nicht die einzige Möglichkeit zu finden fein,
vielmehr werden die Umſtände entſcheiden. (Urt. v.
30. Dez. 1913, Rev.⸗Reg. Nr. 657/13). Ed.
3283
II.
Neiſeksſten der Gendarmen bei Wahrnehmung eines
gerichtlichen Termins. Der Gendarm H. in W. reiſte
zur Wahrnehmung des auf 11. Juli 1913 vormittags
10% Uhr in Augsburg anberaumten Termins ſchon
am 10. Juli dorthin und traf am 11. Juli wieder in
W. ein; er verlangte als Zeuge neben der Reiſekoſten⸗
entſchädigung zu 9 M 20 Pf für zweitägigen Aufwand
4 M und für Uebernachten 2 M. Die Strafkammer
bewilligte an Reiſekoſten 9 M 20 Pf und 2 M für ein»
tägigen Aufwand, da er unter teilweiſer Benützung
des Eilzugs für die Sue die Reife an einem Tage
hätte machen können. H. legte Beſchwerde ein, weil
er als Gendarm einen Eil⸗ oder Schnellzug zur Wahr⸗
nehmung eines gerichtlichen Termins nicht benützen
dürfe. Die Beſchwerde wurde verworfen.
Aus den Gründen: Nach der Entſchl. des
StM. des Innern vom 10. Juni 1897 und nach der
Bek. der StM. der Juſtiz und der Finanzen vom
21. Juli 1899 (JM Bl. 1899 S. 331 ff.) erhalten die
Gendarmen für die Dienſtreiſen zur Wahrnehmung
gerichtlicher Termine ak ihres Dienſtbezirks
„gleichviel, ob die Reife zu Fuß oder unter Benützung
eines Transportmittels erfolgt, eine Marſchkoſten⸗Ent⸗
ſchädigung von 5 Pf für jeden angefangenen km des
Hinweges und des Rückweges und als Entſchädigung
eine Zulage von 2 M täglich, ferner im Falle unver⸗
meidlichen Uebernachtens außerhalb des Dienſtbezirks
eine eee von 2 M bei Reiſen in
Bayern, von 3 bei Reiſen außerhalb Bayerns“.
Das StM. der Finanzen hat im Einvernehmen mit
den StM. der Juſtiz und des Innern die Entſchl. vom
11. Nov. 1903 Nr. 25868 erlaſſen, daß „durch die Ges
währung der — oben bezeichneten — Kilometergebühr
die gleichzeitige Vergütung von Barauslagen für die
Benützung eines Transportmittels ausgeſchloſſen wird
und daß daher Gendarmen, die aus Anlaß von aus⸗
wärtigen zeugſchaftlichen Vernehmungen die Eiſenbahn
benützen, die Koſten der Eiſenbahnfahrt, zu welchen
auch eine etwaige Ausgabe für Schnellzugszuſchlag
gehört., aus der ihnen zukommenden Kilometergebühr
zu beſtreiten haben“. In der Entſchl. vom 11. Nov.
1903 heißt es weiter: „Sollten Gendarmen aus be⸗
ſonderen Gründen genötigt fein, einen Schnellzug zu
benützen, der nur I. und II. Wagenklaſſe führt und
demnach die Kilometergebühr zur Deckung der Fahrt⸗
ausgabe nicht hinreichen, ſo ſtünde kein Hindernis im
Wege, daß das Gendarmerie⸗Korps⸗ Kommando in
ſolchen Fällen behufs Erwirkung einer höheren Ver⸗
gütung an das StM. des Innern berichtet.“
Die in der Entſchl. vom 11. Nov. 1903 vertretene
Auffaſſung ſteht im Einklange mit dem Wortlaut und
Zwecke der bezeichneten Entſchl. vom 10. Juni 1897 und
der Bek. vom 21. Juli 1899; ſie wird getragen durch
die auch für die Bendarmen noch geltende Vorſchrift
des 8 16 VO. vom 11. Februar 1875, die Aufrechnung
der Tagegelder und Reiſekoſten bei auswärtigen Dienſt⸗
geſchäften der Beamten und Bedienſteten des Zivil⸗
ſtaatsdienſtes betreffend (GVBl. S. 105), wornach „alle
auswärtigen Dienſtgeſchäfte raſch und mit möglichſter
Zeitabkürzung durchzuführen, unnötige Hin⸗ und Her⸗
reiſen ſtrengſtens zu vermeiden und ſoweit möglich
jederzeit mehrere auswärtige Geſchäfte bei einer Reiſe
zu verbinden find“. Darnach haben die Gendarmen
die aus Anlaß zeugſchaftlicher Vernehmungen auszu⸗
führenden auswärtigen 1 unter Benützun
von Eil⸗ oder Schnellzügen vorzunehmen, falls dadur
die Reiſen in kürzerer Zeit zurückgelegt werden können
als durch Benützung von Perſonenzügen. Sollte aus
einem beſonderen Anlaß (insbeſondere dann, wenn
die Benützung eines Eil⸗ oder Schnellzugs notwendig
iſt, in den Zügen aber Wägen III. Kl. nicht mitgeführt
werden) ein Eil⸗ oder Schnellzug I. oder II. Kl. be⸗
nützt werden müſſen, ſo haben die Gendarmen An⸗
ſpruch darauf, daß ihnen die durch die Kilometergebühr
nicht gedeckte Mehrausgabe zur Zahlung aus der
Staatskaſſe angewieſen werde. Da H. unter teilweiſer
Benützung des Eilzugs die Hin⸗ und Rückreiſe an einem
Tage hätte ausführen können und hiedurch die Marſch⸗
koſtenentſchädigung von 9 M 20 Pf bei weitem nicht
verbraucht wurde, iſt die Entſcheidung der Strafkammer
zutreffend. (Beſchl. vom 22. Nov. 1913, Beſchw.⸗Reg.
Nr. 373/1913). Ed.
3251
Oberlandesgericht München.
Wirkung der Rechtskraft. Der ee H.
war bei St. in Miete. Da er den Mietzins nicht
zahlte, behielt St. bei ſeinem Auszug einen zwei⸗
räderigen Handkarren zurück. H. verlangte im Klag⸗
wege von St. die Herausgabe, weil der Karren für
ihn unentbehrlich ſei. Das AG. wies aber ſeine Klage
durch Verſäumnisurteil ab und überbürdete ihm die
Koſten des Rechtsſtreits; das Verſäumnisurteil wurde
rechtskräftig. St. ließ auf Grund dieſes Urteils ſeine
Koſten feſtſetzen und auf Grund des Koſtenfeſtſetzungs⸗
beſchluſſes den Karren pfänden. Auf Einwendungen
hob jedoch das AG. die Pfändung als unzuläſſig al
weil der Karren für den Schuldner unentbehrlich jet.
Auf Beſchwerde des Gläubigers beſeitigte das LG. den
amtsgerichtlichen Befchluß; es nahm an, daß H. zu⸗
folge des rechtskräftigen Verſäumnisurteils den Ein⸗
wand der Unentbehrlichkeit nicht mehr vorſchützen könne.
H. legte die weitere ſofortige Beſchwerde ein, weil der
amtsgerichtliche Rechtsſtreit das Vermieterpfandrecht,
das gegenwärtige Verfahren aber ein Vollſtreckungs⸗
pfandrecht betreffe, die Rechtskraft des Verſäumnis⸗
urteils könne ſeinen Einwendungen gegen die Art und
Weiſe der Zwangsvollſtreckung nicht entgegengehalten
werden. Auf weitere Beſchwerde wurde der Beſchluß
des Amtsgerichts wieder hergeſtellt.
Gründe: Dem LG. iſt darin beizupflichten, daß
auch die klagabweiſenden Verſäumnisurteile (8 330
8PO.) inſoweit der Rechtskraft fähig find, als über
156
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 7.
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den durch die Klage geltend gemachten Anſpruch ent⸗
ſchieden iſt (8 322 ZPO.). Die dem amtsgerichtlichen
Berfäumnisurteile zugrunde liegende Klage e
aber die Herausgabe des Karrens nicht gegenüber
einem vom Gläubiger erwirkten Vollſtreckungspfand⸗
rechte (88 803, 804 ZPO.), ſondern gegenüber dem von
ihm geltend gemachten Vermieterpfandrechte (8 559
BGB.). Nur in dieſem ee iſt zwiſchen den Par⸗
teien durch das rechtskräftige Verſäumnisurteil feſt⸗
geſtellt worden, daß kein Herausgabeanſpruch des
Klägers beſteht. Dem Gläubiger ſteht nach wie vor
frei, auch wegen der Koſten der Rechtsverfolgung
(SS 1257, 1210 Abſ. 2 BGB.) fein Vermieterpfandrecht
zur Geltung zu bringen; er muß nur hiebei die geſetz⸗
lichen Vorſchriften beobachten, die teils zu ſeinen
Gunſten, teils zum Vorteile des Schuldners für die
Verwertung der Pfandſache gegeben find (88 1257,
1228, 1233 ff. BGB.). erſchafft er ſich neben ſeinem
Vermieterpfandrechte noch ein Pfändungspfandrecht,
8 muß er ſich dem letzteren gegenüber alle Einwen⸗
ungen gefallen laſſen, die dem Schuldner gegen eine
Zwangsvollſtreckung zuſtehen, er kann ſich nicht zu
ihrer Zurückweiſung auf ein Urteil berufen, das aus⸗
ſchließlich einen ſein Vermieterpfandrecht betreffenden
Herausgabeanſpruch des Schuldners erledigte. Der
Schuldner handelt nicht argliſtig, wenn er ein Voll⸗
ſtreckungspfandrecht abwehrt und gleichwohl die Aus⸗
übung des Vermieterpfandrechts dulden muß, denn
dieſe unterliegt Vorſchriften, die auch dem Schuldner
in mancher Hinſicht eine günſtigere Rechtsſtellung als
beim Vollſtreckungspfandrecht einräumen. Durch Aus⸗
übung eines unzuläſſigen Vollſtreckungspfandrechts darf
ihm dieſe . nicht geſchmälert werden.
(Beſchl. des IV. 35. v. 10. Februar 1914, Beſchw.⸗Reg.
82/14). D.
3280
Vücheranzeigen.
Weißenhern, Bankdepotgeſetz 8 8 mit beſonderer
Berückſichtigung des kaufmänniſchen Zurückbehal⸗
tungsrecht. 8°. 76 S. München 1914, J. Schweitzer
Verlag (Arthur Sellier). Preis Mk. 2.20.
Die Monographie bietet mehr als der Titel vers
ſpricht. Denn der Verfaſſer beſchränkt ſich nicht darauf,
in begrüßenswerter Weiſe eine ſyſtematiſche Gliede—
rung des Inhalts des 8 8 des Geſetzes zu geben, ſondern
bietet eine ſyſtematiſche Darſtellung des ganzen Inhalts
des Depotgeſetzes, wobei er unter Darlegung der wirt—
ſchaftlichen Bedeutung des Depotvertrages (S. 12) die
verſchiedenen Arten des Depots nicht nur aufzählt,
ſondern auch erläutert (S. 14 ff., 23). Er unterſtellt
(S. 13) in Uebereinſtimmung mit Staub und Rieſſer
den „Schranffachvertrag“ den Regeln des Verwahrungs—
vertrags; dieſe Auffaſſung dürfte den dabei in Betracht
kommenden Beſonderheiten nicht ganz entſprechen. Der
abweichenden Auffaſſung Heinricis (ſ. auch Bacharach
bei Holdheim 1913 S. 257) dürfte der Vorzug zu geben
ſein. Streitfragen z. B. S. 17, 28, 33 (Bedeutung des
kaufmänniſchen Zurückbehaltungsrechts), 61 (Einfluß des
Konkurſes des Provinzbankiers) werden unter ein—
gehender Berückſichtigung der Literatur und Recht—
ſprechung behandelt. Insbeſondere iſt wegen Hervor—
hebung und Begründung des Zuſammenhangs von
befonderem und allgemeinem Recht dem jungen Ju—
riſten, der den hier in Frage kommenden Erſcheinungen
des wirtſchaftlichen und Rechtslebens noch fremd gegen—
überſteht, die Monographie beſonders zu empfehlen.
München. Juſtizrat Dr. Heinrich Frankenburger.
Eltzbacher, Dr. Paul, Schutz vor der Oeffentlich⸗
keit. Rede bei Uebernahme des Rektorates der Handels⸗
Hochſchule Berlin. 48 Seiten. Berlin 1913, Verlag
von Franz Vahlen. Preis Mk. 1.—.
Schutz der (oder durch die) Oeffentlichkeit und
Schutz vor der Oeffentlichkeit — zwei im heutigen
Rechtsleben beliebte Schlagworte, von denen jedes eine
berechtigte Forderung ausdrückt; nur darf dieſe nicht
überſpannt werden. Verfaſſer betont die Notwendig⸗
keit einer Verſtärkung des Rechtsſchutzes unſeres Privat⸗
lebens vor der Oeffentlichkeit, beſchränkt ſich aber auf
zwei Wege zu dieſer Verſtärkung: Oeffentliche Mittei⸗
lungen aus dem Privatleben entgegen den guten Sitten
ſeien zu verbieten und mit Strafe zu bedrohen; 8 847
BGB. ſei ſo zu erweitern, daß bei dieſer und allen
anderen unerlaubten Handlungen auch der ideelle Schaden
zu erſetzen ſei. Dem zivilrechtlichen Abänderungsvor⸗
ſchlag iſt beizuſtimmen, weniger dem ſtrafrechtlichen,
er m. E. faſt ebenſo unglücklich iſt wie das ſog. In⸗
diskretionsdelikt des Kommiſſionsentwurfs zu einem
Deutſchen StGB. von 1913. Iſt denn heutzutage alles
Heil beim Strafrichter? — Dr. Doert.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Die Beiträge zur Kranken-, Invaliden⸗ und Ange⸗
ſtelltenverſicherung. Die gem. MinBel. vom 3. Februar
1914 (JMBl. S. 17) regelt nur die Frage, wie die
Beiträge für die im Dienſt oder Betrieb des Staates
beſchäftigten Verſicherungspflichtigen zu zahlen, der
auf die Verficherungspflichtigen treffende Anteil ein⸗
zuziehen und der auf die Staatskaſſe treffende Anteil
zu verrechnen iſt. Als Grundſatz wird dabei aufgeſtellt,
daß die der Staatskaſſe zur Laſt fallenden Beiträge
jeweils auf den gleichen Etatstitel zu verrechnen find,
wie die Belohnung des Beſchäftigten ſelbſt, alſo z. B.
bei Aushilfsſchreibern und Hilfsaufſehern auf den Etat
für Geſchäftsaushilfe, bei einem Hilfsheizer auf den
Etat für Geſchäftsbedürfniſſe oder Geſchäftsaushilfe.
Mit Rückſicht hierauf mußte die Vorſchrift im Schluß⸗
ſatze der Ziff. IV der Bekanntmachung vom 29. De⸗
zember 1912 (JMBl. S. 354) aufgehoben werden.
Bei der Verrechnung wird als Regel vorausgeſetzt,
daß nur der geſetzlich beſtimmte Anteil an den Bei⸗
trägen auf die Staatskaſſe übernommen wird. Ab⸗
weichende Anordnungen können für den Geſchäftsbereich
der Juſtizverwaltung nur vom Miniſterium getroffen
werden; ſoweit ſolche ſchon beſtehen, bleiben ſie bis
auf weiteres wirkſam.
Vertretung des Neichsſiskus. Im Zentralblatt für
das Deutſche Reich Nr. 11 des laufenden Jahres wurde
eine neue Nachweiſung derjenigen Behörden und Per:
ſonen bekannt gegeben, die im Geltungsbereich der
Preußiſchen Militärverwaltung bei der Pfändung des
Dienſteinkommens von Offizieren, Sanitätsoffizieren
(Militärärzten), Veterinäroffizieren und von Beamten
der Militärverwaltung, ferner bei der Pfändung der
Penſionen dieſer Perſonen und der Pfändung der aus
Militärfonds fließenden Gebührniſſe der Hinterbliebenen
von Perſonen des Soldatenſtands und von Beamten
der Militärverwaltung den Reichs⸗(Militär⸗) Fiskus
als Drittſchuldner im Sinne der 88 829 ff. ZPO. ver
treten. Ebendort wurde eine Ergänzung der für den
Geſchäftsbereich der K. Sächſiſchen Militärverwaltung
geltenden Nachweiſung bekannt gegeben, die im Zen—
tralblatt 1906 S. 1245 veröffentlicht iſt.
3275
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten.
K. I. Staatsanwalt im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ur. 8.
Zeitſchrift für
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Regierungsrat im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtiz.
München, den 15. April 1914.
in Bayern
10. Jahrg.
Rechtspflege
Verlag von
J. Schweitzer Verlag
(Arthur Sellier)
Münden, Berlin u. Leipzig.
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.)
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /.
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljäbrlich :
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
jede Poſtanſtalt.
Eigentumsverhältniſſe beim dan
auf der Grenze.
Bon Reichsgerichtsrat 8. Buſch in Leipzig.
In der Abhandlung „Eigentum am Ueberbau“
auf S. 58 ff. dieſer Zeitſchrift verteidigt Schmitt gegen⸗
über der herrſchenden Lehre die von Staudinger
(Riezler) in Erl. 7 zu 8 94 vertretene Anſicht: es ſei
nicht aus 8 95 Abſ. 1 Satz 2, ſondern aus 8 93 in
Verbindung mit 8 94 Abſ. 2 zu entnehmen, daß
der über die Grenze ſeines Grundſtücks Bauende
im Falle des 8 912 BGB. Eigentümer des ganzen
Gebäudes ſei, und es ſei weiter aus 88 93, 94
Ab}. 2 zu folgern, daß auch dann, wenn die Voraus⸗
ſetzungen des 8 912 Abſ. 1 BGB. nicht gegeben
ſeien, der Bauende Eigentümer des Ueberbaues
werde. Aus dieſem „Leitſatz“ zieht Schmitt ferner
Folgerungen, die ſich dahin zuſammenfaſſen laſſen,
daß ſtets, wenn ein Gebäude auf der Grenze zwiſchen
zwei Grundſtücken errichtet werde, das Eigentum
am ganzen Gebäude in einer Hand vereinigt ſei.
Hierzu iſt jedoch zunächſt zu bemerken, daß für den
Fall eines Baues auf zwei aneinanderliegende, dem
nämlichen Eigentümer gehörende Grundſtücke auch
Staudinger (Kober) in Erl. I 2a zu 5912, Erl. 1a 5
zu 8 946 in Uebereinſtimmung mit der Rechtſprechung
des Reichsgerichts (Entſch. Bd. 65 S. 361; 70 S. 201;
72 S. 272) annimmt, es werde das Gebäube, in
der Regel wenigſtens, Beſtandteil beider Grundſtücke
nach realen Teilen und, wenn bei einer Zwangs⸗
verſteigerung die Grundſtücke verſchiedenen Perſonen
zugeſchlagen würden, erwerbe jeder mit dem ihm
zugeſchlagenen Grundſtück auch den darauf ſtehenden
Teil des Gebäudes als weſentlichen Beſtandteil ge:
mäß 98 94 Abſ. 1, 946 BGB. zum Alleineigentum.
Der Leitſatz und die daraus gezogenen Folgerungen
entſprechen aber auch überhaupt nicht den vom BGB.
der Verbindung von Sachen mit einem fremden
Grundſtück beigelegten Wirkungen. Im römischen
Recht galt der Grundſatz „superficies solo cedit“
Nachdruck verboten.
. Leitung und Geſchäftsſtelle: München. Ottoſtraße 1a.
J] Anzeigengebübr 30 Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile
oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗
% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
157
in voller Strenge: alle mit einem fremden Grund⸗
ſtück feſt verbundenen Sachen, insbeſondere auch
Gebäude oder Gebäudeteile, gingen in das Eigen⸗
tum des Grundſtückseigentümers über, gleichviel ob
der Verbindende wußte, daß das Grundſtück ihm
nicht gehörte, oder er das Grundſtück für ſein eigenes
hielt, und gleichviel ob er ein Recht zur Verbindung
hatte oder er unberechtigt die Verbindung vornahm
(vgl. Wolff, Bau auf fremdem Boden, S. 6; Hagena,
Grenzüberbau, S. 2). Auch für den Fall des Grenz⸗
überbaues gab es eine Ausnahmebeſtimmung nicht.
Demgemäß wurde der Ueberbau Eigentum des Eigen⸗
tümers des überbauten Grundſtücks, während der.
andere Gebäudeteil im Eigentum des Ueberbauenden
ſtand (vgl. Enneccerus⸗Wolff, BGB. Bd. 2 S. 143,
Hagena a. a. O.). In einigen neueren Geſetzge⸗
bungen (vgl. Pr. ALR. 89 340, 34119, Württemb.
BauO. von 1872 Art. 72) dagegen wurde für dieſen
Fall umgekehrt dem Ueberbauenden nicht nur der
Ueberbau, ſondern auch der überbaute Grund und
Boden zum Eigentum zugewieſen, ſofern ähnliche
en vorlagen, wie fie $ 912 Abi. 1
BGB. erfordert (vgl. Wolff a. a. O. S. 20). Auf
dieſe Geſetzgebungen Bezug nehmend bemerken die
Motive zu 88 857 ff. (88 912 ff. BGB.) Bd. 3
S. 283: „Wenn die ſtrenge Durchführung
der Eigentumskonſequenzen zu einer Tren⸗
nung von Sachverbindungen führen würde, welche
die verbundenen Sachen zerſtört, ſo kann das bürger⸗
liche Recht im öffentlichen Intereſſe an der Ver⸗
hütung einer derartigen wertvernichtenden Zerſtörung
einen genügenden Anlaß finden, die regelmäßigen
Eigentumskonſequenzen zu modifizieren. Die
Vorſchriften des Entwurfes über die weſentlichen
Beſtandteile (88 784 — 786; jetzt 8 94 Abſ. 1 Satz 2,
8 95 BGB., Art. 65 EG.), und über Verbindung,
Vermiſchung und Verarbeitung (88 890 — 897;
jetzt 88 946— 951 BGB.) enthalten derartige Modi:
fikationen. Bei dem Bau auf fremdem Grund und
Boden gibt die Durchführung des Eigen:
tumsanſpruches den Anlaß zur wirtſchaftlich
158 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
ſchädlichen Auseinanderreißung weſentlicher Beſtand⸗
teile vermöge des jus tollendi (8 936 Abi. 3;
jetzt 8 997 BGB.). Die Verhütung dieſes Re:
ſultates durch Behandlung des Bauenden als Spezi⸗
fikanten und Umkehrung des Satzes superficies
solo cedit bleibt ausgeſchloſſen, weil man hierdurch
mit den Grundprinzipien des Im mobi⸗
liarrechts in Widerſpruch treten würde. Aber
in dem Falle des Grenzüberbaues, in welchem
die ſtrenge Geltendmachung der Eigentums⸗
konſequenzen mit beſonderen Härten verbunden
ſein würde, iſt eine Abhülfe möglich.
In den Mitteln der Abhülfe geht der Entwurf nur
ſoweit, als das Bedürfnis erfordert.“ — Beurteilt
man von der in dieſer Bemerkung dargelegten Auf⸗
faſſung aus die angezogenen Geſetzesſtellen und
zieht man ferner in Betracht die Vorſchriften des
8 923 BGB. über den Grenzbaum ſowie die Be⸗
merkung der Motive dazu Bd. 3 S. 277: „Aus
dem Begriffe der Grenze ergibt ſich, daß dieſelbe,
indem ſie die feſten kohärrierenden Beſtandteile der
Grundſtücke, Erdboden, Geſtein, Gebäude, durch⸗
ſchneidei, die auf beiden Seiten der Grenze liegen⸗
den Stücke dem einen und dem anderen
Grundſtücke zuteilt, daß alſo die Eigentümer
der ſo zugeteilten Stücke trennungsberechtigt ſind“,
jo laßt ſich deutlich erkennen, welche Wirkungen
nach BGB. die Verbindung von Sachen, insbe⸗
ſondere von Gebaͤuden, mit ſremden Grundſtücken
hinſichtlich der Eigentumsverhaltniſſe hat: Das
BGB. ſteht grundſätzlich auf dem Standpunkt des
römiſchen Rechtes, daß das Verbundene, mag es
auch ein Gebaͤude oder ein Teil eines Gebäudes
ſein, Eigentum des Eigentümers des fremden Grund⸗
ſtücks wird. Dies folgt freilich nicht oder doch nicht
allein aus 8 93 BGB. Aus der hier gegebenen
Beſtimmung in Verbindung mit $ 94 Abſ. 1
Satz 1 BGB. ergibt ſich zwar, daß Sachen, die
mit einem Grundſtück feſt verbunden und alſo weſent⸗
liche Beſtandteile des Grundſtücks geworden find,
nicht im Sondereigentum ſein können; dagegen nicht,
in weſſen Eigentum das Ganze ſteht (vgl. Mot.
Bd. 3 S. 357). In letzterer Hinſicht enthält $ 946
die maßgebende Beſtimmung. Daraus iſt im Zu—
ſammenhalt mit 88 93, 94 Abſ. 1 Satz 1 zu ent:
nehmen, daß ſich das Eigentum an dem fremden
Grundſtück auf jene verbundenen Sachen erſtreckt
Sachverbindung S. 108, Waller in Jur. Woch. 1909
und das bisherige Eigentum an den Sachen unter⸗
geht. Ob bewegliche Sachen je für ſich allein oder
zuſammen mit anderen Sachen dem Grundftüd
einverleibt werden, macht nach dem Geſetz hinſichtlich
Erſtreckung des Eigentums keinen Unterſchied. Daher
werden, wenn auf fremdem Grundſtück ein Gebäude
oder ein Gebaͤudeteil errichtet wird, ſämtliche Bau⸗
mittelſtücke und ſomit auch das Gebäude oder der
Gebäudeteil, die daraus hergeſtellt worden ſind, im
Ganzen Eigentum des Grundſtückseigentümers.
Ferner wirkt die vereinigende Kraft des Eigentums
bei jedem Grundſtück bis zu deſſen Grenzlinien der:
geſtalt, daß alle im obigem Sinne mit dem Grund—
ſtück innerhalb dieſer Grenzlinien verbundenen Sachen
jenem Eigentum unterliegen, und zwar find dabei
die Grenzlinien, da das Recht des Eigentümers eines
Grundſtücks gemäß § 905 ſich auf den Raum über
der Oberflache und auf den Erdkörper unter der
Oberfläche erſtreckt, ſenkrecht in die Höhe und in
die Tiefe gerückt zu denken. Dies hat auch, wenn
jemand ein Gebäude auf der Grenze zwiſchen zwei
ſremden Grundſtücken, die verſchiedenen Perſonen
gehören, errichtet, von den mit den einzelnen Grund⸗
ſtücken bis zu der Grenze verbundenen Baumittel⸗
ſtücken und ſonach von den auf den einzelnen Grund⸗
ſtücken ſtehenden Gebäudeteilen zu gelten. Zwar
beſtimmt § 947, daß, wenn bewegliche Sachen mit:
einander dergeſtalt verbunden werden, daß fie weſent⸗
liche Beſtandteile einer einheitlichen Sache werden,
die bisherigen Eigentümer Miteigentümer dieſer
Sache werden, ſowie, daß, wenn eine der Sachen
als die Hauptſache anzuſehen iſt, ihr Eigentümer
das Alleineigentum erwirbt, und die zur Herſtellung
jenes Gebäudes auf der Grenze eingefügten und
miteinander verbundenen Baumittelſtücke find nach
8 94 Abſ. 2 weſentliche Beſtandteile des ſich als
eine einheitliche Sache darſtellenden Gebäudes. Aber
im Augenblick der Verbindung mit den Grund⸗
ſtücken find die Baumittelſtücke gemäß 8 94 Ab}. 1
Satz 1 aus beweglichen Sachen zu Grundftüdsteilen
geworden; daher können auf ſie, wiewohl ſie wieder⸗
um miteinander vereinigt werden und aus ihnen
ein Gebäude, eine einheitliche Sache, hergeſtellt wird,
die nur die Verbindung beweglicher Sachen mit⸗
einander betreffenden Beſtimmungen des 8 947 keine
Anwendung finden. Demnach ſteht in dem ge⸗
nannten Falle das auf der Grenze errichtete Ge⸗
bäude weder im Eigentum desjenigen, der mit den
ihm gehörig geweſenen Baumittelſtücken das Ge⸗
bäude erbaut hat, noch im Miteigentum der beiden
Grundſtückseigentümer, noch, wenn fi etwa auf
einem der beiden Grundſtücke der größere Teil des
Gebäudes befindet, im Alleineigentum des Eigen:
tümers dieſes Grundſtücks, ſondern jeder der beiden
Grundſtückseigentümer iſt Alleineigentümer des auf
ſeinem Grundſtück ſtehenden Gebaͤudeteils bis zur
Grenzlinie (vgl. RGE. Bd. 65 S. 363; 70 S. 201,
Jur. Woch. 1911 S. 211, 366, Planck Anm. 4 zu
894, Tobias im Arch ZivPrax. Bd. 94 S. 424; and.
Mein. Heilborn, Die rechtsgeſtaltende Kraft der
S. 747, die in einem ſolchen Falle Miteigentum
der Grundſtückseigentümer annehmen, auch die Ur:
teile der Oberlandesgerichte in Rechtſpr. Bd. 13
S. 311, in Jur. Woch. 1912 S. 1037).
Eine Ausnahme von dem oben aufgeſtellten
Grundſatze gilt nach BGB. nur, wenn mit einem
fremden Grundſtück Sachen zu einem vorüber⸗
gehenden Zweck oder Gebäude oder andere Werke
in Ausübung eines Rechtes an dem Grundſtück
von dem Berechtigten verbunden worden find,
weil dann gemäß § 95 Abſ. 1 das Verbundene
nicht Beſtandteil des Grundſtücks wird und daher
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
— —
$ 946 nicht Platz greift. Deshalb gehört, wenn
ein Gebäude auf der Grenze zwiſchen zwei fremden
Grundſtücken von jemandem nur zu einem vorüber⸗
gehenden Zweck (3. B. von einem Pächter der beiden
Grundſtücke nur für die Dauer des Pachtverhält⸗
niſſes, vgl. RGE. 55, 284; 59, 20; 63, 421;
Jur W. 1904 S. 336 Nr. 1, 1912 S. 129 Nr. 2)
errichtet wird, das ganze Gebäude dem Erbau⸗
enden, gleichviel ob die Grundſtücke im Eigentum
verſchiedener Perſonen oder der nämlichen Perſon
ſtehen. Ferner iſt, wenn der Eigentümer eines
Grundſtücks, dem zugleich ein dingliches Recht am
fremden Nachbargrundſtück (z. B. ein Nießbrauchs⸗
recht) zuſteht, in Ausübung ſeines Eigentums und
des Rechtes ein Gebäude auf der Grenze der beiden
Grundſtücke errichtet hat, er der Eigentümer des
ganzen Gebäudes, gleichviel ob auf ſeinem Grund⸗
ſtück und auf dem Nachbargrundſtück das Ge⸗
bäude zu gleichen Teilen ſteht oder ob auf dem
einen oder dem anderen Grundſtück ſich der größere
Teil des Gebäudes befindet. Denn der Gebäudeteil
auf dem Nachbargrundſtück iſt nicht Beſtandteil
des Grundſtücks, daher kommt dieſer Grund und
Boden für das Eigentum am Gebäude rechtlich
ebenſowenig in Betracht, wie z. B. beim Hinüber⸗
bauen eines Erkers in den Luftraum über einem
Nachbargrundſtück, und das Gebäude iſt mit dem
Grundſtück des Erbauenden, wenn auch nur zum
Teil, feſt verbunden, alſo gemäß 8 94 Abſ. 1 Satz 1
weſentlicher Beſtandteil dieſes Grundſtücks. Gleiches
gilt auch dann, wenn ein Bau auf der Grenze
nach Maßgabe des § 912 Abi. 1 ſtattgefunden
hat. Denn auch in dieſem Falle trifft auf den
Gebäudeteil, der auf dem Nachbargrundſtück er⸗
richtet worden iſt, 8 95 Abſ. 1 Satz 2 unmittel⸗
bar zu. Zwar ſpricht 8 912 Abſ. 1 nur aus,
daß bei Vorliegen gewiſſer Vorausſetzungen der
Nachbar den Ueberbau zu dulden hat. Aber daraus
folgt nicht, daß dem Nachbar lediglich eine die Ab⸗
wehr des Eingriffs gemäß 88 903, 1004 aus⸗
ſchließende Beſchränkung ſeines Eigentums auf⸗
erlegt worden und die Befugnis des Bauenden zum
Halten des Gebäubeteild auf dem Nachbargrund⸗
ſtück nur als die Kehrſeite der Eigentumsbe⸗
ſchränkung zu erachten iſt (wie Schmidt in Bayr.
Not. 1907 S. 53 meint). Vielmehr iſt, da die
Duldungspflicht eine Anlage betrifft und dadurch
das Nachbargrundſtück dauernd zugunſten des je⸗
weiligen Eigentümers des anderen Grundſtücks in
ähnlicher Weile belaſtet iſt, wie wenn eine Grund:
dienſtbarkeit mit dieſem Inhalt gemäß $ 1018
beſtellt worden wäre, die genannte Befugnis als
ein beim Vorliegen eines gewiſſen Tatbeſtandes
kraft Geſetzes entſtehendes Recht an dem fremden
Nachbargrundſtück anzuſehen. Dieſes Recht iſt
zwar nicht (mit Wolff a. a. O. S. 132) als ge⸗
ſetzliche Grunddienſtbarkeit aufzufaſſen, da es hin⸗
ſichtlich der Vorausſetzungen und der Fortdauer
(ogl. § 914 Abſ. 1) feinen eigenen Regeln folgt,
auch nicht (mit Enneccerus⸗Wolff a. a. O. S. 145)
159
als ein Teil des Eigentumsinhalts, da das Eigen⸗
tum ſich nicht über die Grundſtücksgrenzen hinaus
erſtrecken kann; wohl aber (mit den Mot. 3, 283,
Planck Anm. 4 zu 8 95) als ein eigenartiges ge⸗
ſetzliches Recht mit einem einer Grunddienſtbarkeit
ähnlichen Inhalt. Es entſteht in dem der Grenz⸗
überſchreitung nachfolgenden Zeitpunkt, bis zu dem
der Nachbar mit Wirkſamkeit Widerſpruch erheben
konnte. Iſt demnächſt der hinüberreichende Ge⸗
bäudeteil auf dem Nachbargrundſtlück errichtet, To
iſt er, wie die Mot. 3, 387 mit Recht bemerken,
im Sinne des $ 95 Abſ. 1 Satz 2 in Ausübung
eines Rechtes an einem fremden Grundſtücke von
dem Berechtigten mit dem Grundſtücke verbunden
worden (vgl. RGE. 72, 272; 83, 142). Liegt
aber auch nur eine der aus § 912 Abſ. 1 ſich er-
gebenden Vorausſetzungen für die Entſtehung des
Rechtes nicht vor, iſt der Bauende nicht Grund⸗
ſtückseigentümer, ſondern z. B. nur Nießbraucher,
oder iſt das Errichtete nicht ein Gebäude, ſondern
z. B. nur eine Mauer (vgl. Mot. 3, 284 gegen
Enneccerus⸗Wolff a. a. O. S. 143, die 8 912 ent⸗
ſprechend anwenden wollen), oder fällt dem Bau⸗
enden Vorſatz oder grobe Fahrläſfigkeit zur Laſt
oder hat der Nachbar vor oder ſofort nach der
Grenzüberſchreitung Widerſpruch erhoben, und iſt
auch ſonſt nicht ein Fall gegeben, auf den eine
der Beſtimmungen des § 95 Abſ. 1 anzuwenden
iſt, ſo wird der auf dem Nachbargrundſtück er⸗
richtete Teil des Baues Eigentum des Nachbars
und ſteht der andere Bauteil und nur dieſer im
Eigentum des Bauenden, ſo daß das Ganze durch
eine auf der Grenzlinie errichtet zu denkende
Schnittfläche dem Eigentumsrechte nach geteilt iſt.
Das Geſetz hat, wie die oben angeführten Be⸗
merkungen der Motive klar ergeben, von dem
Grundſatz des 8 946, daß die mit einem fremden
Grundſtücke feſt verbundenen früher beweglichen
Sachen von dem Eigentum am Grundftüd er⸗
griffen werden, weitere Ausnahmen, als die aus
§ 95 Abſ. 1 und § 912 Abf. 1 folgenden, nicht
zulaſſen wollen, insbeſondere auch nicht hinſichtlich
Bauten auf der Grenze. Soweit der Verbindende
zufolge des Grundſatzes einen Rechtsverluſt er⸗
leidet, ſtehen ihm die Rechtsbehelfe aus 8 951 zu.
Dieſe Auffaſſung hat den Vorzug, daß auch bei
ſolchen Bauten auf der Grenze, auf welche die ge⸗
nannten Ausnahmebeſtimmungen keine Anwendung
finden, die Eigen tumsverhältniſſe ſich mit Sicher⸗
heit feſtſtellen laſſen, während, wenn man (mit
Schmitt a. a. O.) das Eigentum am ganzen Bau
dem Grundſtück zuweiſen wollte, auf dem der
Hauptteil, der oft nur unſicher zu beſtimmen ſein
wird, ſich befindet, die Eigentum sverhältniſſe ins
Ungewiſſe geſtellt würden. Allerdings beſtehen bei
derartigen Bauten zufolge der Teilung des Eigen⸗
tums Schwierigkeiten, namentlich hinſichtlich der
Begrenzung der Verfügungsmacht bezüglich der
einzelnen Teile (vgl. RGE. 70, 206). Aber ſolche
Schwierigkeiten würden, auch wenn man (mit Heil⸗
160 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
born und Waller a. a. O.) Miteigentum der Nach⸗ 1. Was zunächſt dieſe unklagbaren Anſprüche
barn an den Bauten annehmen wollte, nicht minder betrifft (vgl. Reichel in Ihering s J. 59, 432),
gegeben fein, beſonders in Anbetracht deſſen, daß jo kann
der Grund und Boden bis zur Grenze auch nach a) wie bei Spiel, Wette und Differenzgeſchäft
dieſer Anſicht im Alleineigentum eines jeden der | (83 762 — 764) der Schutz des Gläubigers auf die
Nachbarn ftehen würde. — Hervorzuheben iſt an: soluti retentio beſchränkt und eine Verbindlichkeit
dererſeits jedoch, daß die Anſicht (Schmidt, BayRot 3. ausgeſchloſſen oder
S. 54), auch bei Vorliegen der Vorausſetzungen des i ; ER er.
8912 Abſ. 1 falle der Ueberbau in das Eigentum des |; a 7 en m ed
Nachbars, ebenſowenig zutreffend iſt, wie die An⸗ e eee Inte, Dei 5 a
ſicht (S chmitt a. a. O. S. 60) daß e 118 GewO. verſagt oder die Geltendmachung, wie
Ueberbau den Hauptteil des Gebäudes bilde, das bet erlauben Börſengeſchaften von Nichtkaufleuten
Vue 1 an des on werde. 8 ed 9 5 — 56 Vörſ. G. beſchränkt fein,
ielmehr gehört, wenn ſämtliche Vorausſetzungen f 5
des 8 912 Abſ. 1 gegeben find, gemäß obigen 19 wie 2 58 19 an 1001 BGB. ſowie
Ausführungen, insbeſondere weil der Grund und 5 50 Abſ. 2 ZPO. das Klagerecht entzogen fein,
Boden des Nachbargrundſtücks rechtlich wegzudenken zeitweilig oder dem nicht rechtsfähigen Verein.
und nicht nur der mit dem anderen Grundſtück Hiernach handelt es ſich auch in dieſen Fällen
unmittelbar verbundene Gebäudeteil ſondern auch der Unwirkſamkeit oder verringerten Wirkſamkeit
der mit dieſem zu einer einzigen Sache vereinigte | um Mängel in den Geltungsvorausfetzungen, die fich
Ueberbau Beſtandteil des anderen Grundſtücks iſt, als Abſchwächungen des weiteſtgehenden Mittels,
das ganze Gebäude dem Bauenden, auch dann, der Nichtigkeit, darſtellen. Eine weitere ſolche Ab⸗
wenn ſich auf ſeinem Grundſtück nur der kleinere ſchwächung iſt
Teil befindet (vgl. Enneccerus⸗Wolff a. a. O. S. 144; 2. die Heilung der Nichtigkeit, die wir ſchon
RGE. 83, 142, wo jedoch die Frage in letzterer bei der Ehenichtigkeit getroffen haben, und die ebenſo
Hinſicht unentſchieden gelaſſen iſt). in 88 313 S. 2, 518 Abſ. 2, 566 S. 2, 766
S. 2 uſw. BGB. vorgeſehen iſt.
Holder hat ganz allgemein (Komm. S. 240)
2 1 als 8
agegen hat ſich vielfacher Widerſpruch erhoben
Unwirksamkeit und Nichtigleit des Jechts⸗ und das, was bereits ausgeführt wurde, zeigt die
geſchäfts. bene 1 5 um =
von Hellmann (Gutachten aus dem Anwaltsſtan
Von e W S. 489 f.) geteilt wurde. Alexander (S. 65)
5 mit Recht die Heilbarkeit auf einzelne
Schluß). unwirkſame Rechtsgeſchäfte. Aber man wird all⸗
— UÜ— — ũ — — — —
III. Die Rechtsordnung verfügt die Nichtigkeit gemein ſagen können, daß die der Geltung nach
für den Fall, daß die von ihr für die Wirkung unwirkſamen Rechtsgeſchäfte ſich zuſammenſetzen aus
des Rechtsgeſchäfts aufgeſtellten Bedingungen nicht nichtigen und aus ſolchen, bei denen die Nichtigkeit
eingehalten oder ſonſtige Vorſchriften übertreten in der einen oder andern Richtung abgeſchwächt
werden. Es kann ſich dabei um geſtattende, ge- wurde. Man hat die unwirkſamen Rechtsgeſchäfte
bietende und verbietende Geſetze handeln, das Rechts⸗ eingeteilt in abſolut und relativ unwirkſame, die
geſchäft kann an ſich verboten werden oder nur in letzteren wieder nach der ſachlichen oder der perſön⸗
beſtimmten Teilen oder gegenüber beſtimmten Per- lichen Richtung; vgl. Schachian S. 208, dagegen
ſonen (vgl. Sterio, Delle nullitä delle obliga- Strohal S. 13 f. und wieder Fiſcher S. 7f.
zioni im Archivio giuridicho, Bd. 56 [1896] Für die Rechtsanwendun
g von Bedeutung iſt
S. 181 f.). Als Abwehrmaßregel kann die Un: auch hier insbeſondere das Verhältnis zur Nichtig⸗
wirkſamkeit von Verletzungen des Geſetzes ausge- feit. Da dieſe begriffsgemäß nicht zugunſten der
ſprochen 58 Aber 1 Geſetz muß deshalb einen Perſon eintreten, für andere aber entfallen
nicht in jedem Falle die Nichteriſtenz oder die kann, iſt mit dem Begriff der relativen Nichtigkeit
Nichtigkeit eines entgegenſtehenden Rechtsgeſchäfts wenig anzufangen (vgl. Fräb in 8Bl§ G. 12, 620).
ausſprechen. Es kann ſich mit einer auf das Dagegen laſſen ſich ſämtliche in Frage kommenden
Verlangen beſtimmter Perſonen auszuſprechenden, Fälle unter die Begriffe der aufſchiebend und auf⸗
mit einer auf eine gewiſſe Zeit oder auf einen Teil löſend bedingten Nichtigkeit einreihen.
des Geſchäfts beſchränkten, durch gewiſſe Umſtände
bedingten Nichtigkeit begnügen, es kann die unheil- A. Aufſchiebend bedingte Nichtigkeit
bare Nichtigkeit auf eine heilbare ermäßigen und 1. durch Anfechtung.
es kann ſich auch mit einer Unwirkſamkeit begnügen, a) Während die Nichtigkeit ipso jure erfolgt,
die nur in der Unklagbarkeit des an ſich erwor- kennt das bürgerliche Recht Tatbeſtände, in denen
benen Anſpruchs beſteht. erſt auf Veranlaſſung eines andern dieſe Folge
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
eintritt; wird das Rechtsgeſchäſt von dem Betreffen⸗
den angefochten, was durch Erklärung gegenüber
dem Gegner zu geſchehen hat, ſo wird es als von
Anfang an nichtig betrachtet (8 142). Die wichtigſten
Anwendungsfälle find Irrtum, Betrug und Be⸗
drohung (88 118— 124, 2078 uſw.), „Anfechtbarkeit
eines Geſchäfts iſt nach dem BGB. diejenige
Mangelhaftigkeit ſeines Inhalts, deren Hervor⸗
kehrung lediglich von dem Willen des Berechtigten
abhängt.“ Bruck, Bedeutung der Anfechtbarkeit
für Dritte (1900, S. 30).
b) Nach 8 29 der KO. und 8 1 des AnfG.
können Rechtshandlungen eines Schuldners als den
Glaͤubigern gegenüber unwirkſam angefochten wer:
den. Zugleich wurde durch die Novelle von 1898
die KO. dahin abgeändert, daß es in den 88 7,
13, 15, 221 Abſ. 2 jetzt durchweg heißt: „den
Gläubigern gegenüber unwirkſam“ ſtatt: „nichtig“
oder „nicht mit verbindlicher Kraft“. Tatſächlich
find es heilbare Nichtigkeiten, vgl. Strohal S. 64.
Bei dieſer Anfechtung handelt es ſich aber nicht um
eine rechtsgeſchaͤftliche Willenserklärung, ſondern um
die Erhebung eines Anſpruchs, durch welchen eine
Rechtshandlung des Schuldners ihrem wirtſchaft⸗
lichen Erfolge nach entkräftet werden ſoll. Nach
den preußiſchen Vorbildern der beiden Geſetze vom
8. und 9. Mai 1855 wurden die Rechtshandlungen
„als ungültig“ angefochten, nach Förſter, Theorie
und Praxis des Preuß. Privatrechts 1, 534, iſt
dieſe Ungültigkeit nur Unwirkſamkeit. Sie ergriff
aber den vollen Rechtsbeſtand der angefochtenen
Handlung und dem Erwerber mußte ſeine Gegen⸗
leiſtung erſtattet werden, abweichend von der gemein:
rechtlichen Actio Pauliana. Den preußiſchen Ge⸗
ſetzen folgend ergreifen auch die Reichsgeſetze die
Rechtshandlungen ſelbſt. Sie haben zunächſt an
Stelle des Wortes „ungültig“ das Wort „unwirk⸗
ſam“ geſetzt, wie man es ſchon im preußiſchen Recht
verſtanden hatte, zugleich aber den Angriff gegen
den Rechtsbeſtand der angefochtenen Handlung ab⸗
geſchwächt. Die Novelle von 1898 hat dann dieſen
Anfechtungsbegriff mit dem des BGB. weiter aus⸗
zugleichen geſucht. Vgl. Voß, „Ueber den Begriff
Unwirkſamkeit in 8 29 KO. und 8 1 Anf®.”,
Iherings J. 51 (1907), 413 f., und „Die Wechſel⸗
beziehungen zwiſchen Schuldanfechtungsrecht und
Veräußerungsverbot“, 23. 1910, 520 f., 591 f.
Umgekehrt wollte Klöppel bei Gruchot 32, 639
im BGB. den Begriff der Anfechtung nur im
Sinne des AnfG. gebraucht wiſſen. Die Unwirk⸗
ſamkeit des Anf®. und der KO. ſtellt ſich hiernach
aber auch als eine durch die Anfechtung auſſchiebend
bedingte, abgeſchwächte Nichtigkeit dar.
c) Eine Verbindung der Anfechtung durch
Klage und durch rechtsgeſchäftliche Erklarung ent:
hält die Regelung der Ehelichkeitsanfechtung in
88 1596, 1597 BGB. Auch hier iſt die Nichtig⸗
keit der Ehelichkeit durch die Anfechtung aufichtebend
bedingt. Aehnliches gilt für die Anfechtung von
Patenten, Generalverſammlungsbeſchlüſſen uſw.
161
2. Durch Geltendmachung ſonſtiger Schutzrechte.
Dem Anfechtungsvorbehalt fehr nahe ſteht der
Fall, wenn das Geſetz eine Rechtshandlung einem
beſtimmten Berechtigten gegenüber für unwirkſam
erklärt; dies trifft für die 88 135, 136, 506, 574,
1124 und 1126 zu. Die einzelnen Fälle ſind
zum Teil ſehr beſtritten und im ganzen wird man
auch die Anſicht vertreten können, daß nicht der
Geſchützte die Unwirkſamkeit geltend machen muß,
ſondern daß ſie zu ſeinem Schutze ſofort eintritt
und nur durch die auflöſende Bedingung ſeines
Verzichts oder ſonſtigen Wegfalls behoben wird.
Vgl. Fräb S. 621.
a) Zu 88 135, 136 beſteht nahezu Ueberein⸗
ſtimmung, daß die Unwirkſamkeit nicht unheilbare
Nichtigkeit ſein muß, ſondern nur ſoweit reicht, als
es eben die Rückſicht auf den Geſchützten erheiſcht.
Vgl. Strohal S. 43. Nach deſſen anſprechender
Löſung iſt die Verſügungsmacht des Betroffenen
ſo ſehr geſchwächt, daß er dem Anſpruch des Ge⸗
ſchützten nicht zu nahe treten kann und daß ihm
bei jeder Verfügung ſoviel Rechtsmacht übrig bleibt,
daß er dem Geſchützten wieder zu ſeinem Rechte
verhelfen kann. Wenn der Schutz des Veräuße⸗
rungsverbots mit einer Anfechtung des Verpflichteten
nach KO. oder AnfG. zuſammenfällt, dann vermag
die Unwirkſamkeit, auf die der Anfechtungskläger
ſich berufen kann, der Unwirkſamkeit der verbots⸗
widrigen Veräußerung unter Umftänden nicht die
Wage zu halten. Voß in 23. 3, 766.
b) Die 88 506, 574, 1124 und 1126 ſprechen
ebenfalls Unwirkſamkeit gegenüber einem Berech⸗
tigten aus und bedürfen hier keiner beſonderen
Beſprechung. Vgl. auch RG. 59, 1777.
c) Dem 8 135 ſehr nahe ſteht
a) $ 883 II, der nach eingetragener Bor:
merkung eine Verfügung inſoweit für unwirkſam
erklärt, als ſie den geſchützten Anſpruch vereiteln
oder beeinträchtigen würde. Bei unbeweglichen
Sachen geht der Schutz des § 135 überhaupt durch
die 88 883 Abſ. 2 und 888 hindurch, denen aber
der allgemeine Grundſatz entnommen werden kann,
daß, wer einen Gegenſtand gegen ein ihm bekanntes
Veraͤußerungsverbot erworben hat, gezwungen
werden kann, das zur Verwirklichung des verletzten
Anſpruchs Erforderliche vorzukehren. Vgl. Dern⸗
burg, Bürgerliches Recht 3. Aufl. 1, 416, und
Knoke, Zur Lehre vom relativen Veraͤußerungs⸗
verbot in der Feſtgabe für Güterbock S. 427.
Nur wird durch 8 883 Abſ. 2 eine ſachenrechtliche
Sicherung erreicht. Die Ausdrucksweiſe in § 883
Abſ. 2 iſt wieder nachgebildet
5) der in 8 161 Abſ. 1 BGB., der eigentlich
an die Spitze der aufſchiebend bedingten Nichtigkeit
zu ſtellen wäre. Bei einer Verfügung über einen
Gegenſtand unter aufſchiebender Bedingung iſt jede
weitere Verfügung über denſelben Gegenſtand
während der Schwebezeit inſoweit unwirkſam, als
ſie die von der Bedingung abhängige Wirkung
162
—
vereiteln oder beeinträchtigen würde. Nun bezeichnet
Riezler bei Staudinger Ziff. 6 zu $ 161 die
Unwirkſamkeit als von Amts wegen eintretende
Nichtigkeit, ſonſt wird fie vielfach (vgl. Raape,
Das geſetzliche Veräußerungsverbot S. 140) als
abſolute Unwirkſamkeit bezeichnet und dann müßte
dasſelbe für die gleichliegenden Fälle, insbeſondere
5 883 U gelten. Tatſächlich iſt aber auch hier
abſichtlich in der dehnbaren Weiſe, wie wir es
bisher beobachtet haben, eine Milderung des Nichtig⸗
keitsbegriffs ſo vorgenommen worden, daß die Ver⸗
fügung nicht ſchlechthin nichtig, ſondern nur gerade
inſoweit unwirkſam iſt, als ſie das Recht des Be⸗
rechtigten beeinträchtigt. Aehnlich verhält es ſich
7) in 8 505 mit der „dem Vorkaufsberechtigten
gegenüber unwirkſamen“ Bedingung des Vorkaufs⸗
verpflichteten, dem Strohal S. 31 eine dem Geſetz
nicht ganz entſprechende gute Meinung unterzulegen
ſcheint: das Geſetz wollte es ihm unmöglich machen,
das vereinbarte Vorkaufsrecht anzutaſten;
d) über die 88 573, 1123 Abſ. 1 und 1124
Abſ. 2 mit der „dem Hypothekengläubiger gegen:
über unwirkſamen Verfügung“ vgl. RGZ. 59, 177.
3. Durch den Eintritt beſtimmter Ereigniſſe:
a) Durch Verzeihung wird die Entziehung des
Pflichtteils unwirkſam, die Verfügung wird dadurch
unmittelbar nichtig (8 2337);
b) durch den Wegfall der eingeſetzten Perſonen
wird die Erbeinſetzung und das Vermaͤchtnis
(88 1923, 2160), durch den Tod eines Ehegatten
der Widerruf des gemeinſchaftlichen Teſtaments
ne vgl. 8 2271 Abi. 2, ähnlich 88 2298
Abſ. 2, 2289. Die letztwillige Verfügung zugunſten
eines Ehegatten wird durch Auflöſung der Ehe
unwirkſam ($ 2077), das Vermächtnis eines be: |
ſtimmten Gegenſtands durch deſſen Wegfall vor
dem Erbfall (8 2169).
4. Durch Zeitablauf:
Eine beſtimmte letztwillige Verfügung wird
30 Jahre nach dem Eintritte des Erbfalls un⸗
wirkſam ($ 2044), ebenſo die Einſetzung eines Nach⸗
erben (3 2109), die Betrauung eines Teſtaments⸗
vollſtreckers (3 2210). Das nach 88 2249 — 2251
errichtete Teſtament gilt als nicht errichtet, wenn
der Erblaſſer 3 Monate nach der Fertigſtellung
noch lebt (S 2252 Abſ. 1).
In allen dieſen Fällen handelt es ſich um volle
Nichtigkeit.
B. Auflöſend bedingte Nichtigkeit.
1. Nach 8 161 Abſ. 2 find die Verfügungen
desjenigen, deſſen Recht mit dem Eintritt der Be⸗
dingung endigt, inſoweit unwirkſam, als ſie die
von der Bedingung abhängige Wirkung vereiteln
oder beeinträchtigen würden. Hier gilt das zu
A2cP Geſagte.
2. Auch auf das, was zu 4 2 a ausgeführt
wurde, kann verwieſen werden. Dem Verzicht
geſchützter Perſonen ſteht das Erlöſchen ihres Rechts
gleich.
der Vornahme des Rechtsgeſchäfts zurück.
aber RGZ. 65, 248).
—— — ͤ wu —
Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
3. Den Grundſätzen unter 1 entſprechen die⸗
jenigen in 88 2113, 2115, wonach die Wirkſam⸗
keit der Verfügungen des Vorerben endigt, ſoweit
ſie bei Eintritt der Nacherbſchaft das Recht des
Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Vgl. RG.
81, 367 und Warneyer Erg.⸗Bd. 5 n. 59.
In dieſen Fällen handelt es ſich zwar um auf:
löſende Bedingungen, die Unwirkſamkeit der Ver⸗
fügungen iſt aber aufſchiebend bedingt durch den
Eintritt des Ereigniſſes, welches die aufloͤſende
Bedingung für das zugrunde liegende Rechtsver⸗
hältnis bildet.
4. Wirkliche Fälle auflöſend bedingter, alſo
heilbarer Nichtigkeit find:
a) Die Aufhebung des Konkurſes für Ver⸗
jügungen des Gemeinſchuldners, der Nachlaßver⸗
waltung für ſolche des Erben uſw. (88 6 und 7 KO.,
88 1984 und 2211 BGB.);
b) das große Gebiet der ſog. Konvaleszenzfälle,
in denen im Anſchluß an die ſpätere Entwickelung
des römiſchen Rechts, das den urſprünglichen Grund⸗
ſatz der Konzentration fallen ließ (vgl. oben 12
und Kuhlenbeck, Von den Pandekten z. BGB.
1, 330) und an die Grundjäße des franzöͤfiſchen
Rechts (vgl. Windſcheid, Ungültigkeit S. 197.
und Hachenburg, Das franzöſiſch⸗badiſche Recht
S. 130—135) die an und für ſich beſtehende Un⸗
wirkſamkeit durch ein ſpäteres Ereignis behoben
wird: durch die Zuſtimmung, Genehmigung, Ein⸗
willigung einer berechtigten Perſon oder dadurch,
daß der Verfügende ſelbſt das Recht zur Erteilung
der Genehmigung uſw. erwirbt (vgl. Kohler, Lehr⸗
buch 1 8 248). Von beſonderer Bedeutung find
dabei die 88 182—185 BGB., nach 8 184 Ab]. 1
insbeſondere wirkt die nachträgliche Zuſtimmung
oder Genehmigung im Zweifel auf den .
(Vgl.
In anderen Fällen wird
der Mangel des Verſprechens durch Bewirkung der
Leiſtung ($$ 518, 766), der Mangel der Geburt
vor dem Erbfall durch die Erzeugung (8 1923
Abſ. 2), der Mangel der Unmöglichkeit durch be⸗
abſichtigte Auswege (88 308, 2171) uſw. geheilt.
Wie in dieſen Fällen die ſtrengen Nichtigkeits⸗
vorſchriften abſichtlich gemildert wurden, iſt bereits
oben unter J 2 ausgeführt worden. Welche Be⸗
deutung aber doch der Nichtigkeit im Gebiete der
Unwirkſamkeit zukommt, dürfte aus den Darlegungen.
wie ſie unter III erfolgten, hervorgegangen ſein.
IV. Einen beſonderen Prüfftein in dieſer Be
ziehung bilden die 88 139, 140 und 141 BGB.
1. 8 139 läßt der Nichtigkeit eines Teils des
Rechtsgeſchäfts das ganze folgen, wenn nicht an⸗
zunehmen iſt, daß es auch ohne den nichtigen Teil
vorgenommen ſein würde. Dabei iſt es gleichgültig,
ob man für den $ 139 ein beſonderes zuſammen⸗
geſetztes Rechtsgeſchäft fordert (RGZ. 78, 120) oder
ob man davon ausgeht, daß bei einem durchaus
einheitlichen Rechtsgeſchäft für den Ausnahmefall
kein Platz iſt. Dagegen kann innerhalb des einen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
Rechtsgeſchäfts nach Perſonen (vgl. z. B. RG. 71,
201) und ſelbſt nach einzelnen Zeitabſchnitten
(RG. 82, 125) unterſchieden werden. Die Frage
aber, welche hier den Ausſchlag zu geben hat, iſt
die: wie verhält ſich das unwirkſame Rechtsgeichäft
im Tatbeſtand des 8 139? Auf die ähnlichen
Geſetzesbeſtimmungen im Erbrecht wurde bereits
hingewieſen. Im übrigen iſt zu jagen: Selbſt⸗
verſtändlich muß das infolge Anfechtung nichtig
gewordene Geſchäft unter 8 139 fallen (R&B. 62,
187). Es iſt ausgeſprochen worden, daß das wegen
Verſagung der vormundſchaftlichen Genehmigung
unwirkſam gewordene Rechtsgeſchäft nicht dem nich⸗
tigen gleichſtehe (OLG. 22, 144). Mit Recht iſt
aber das Gegenteil von André S. 31 und jetzt
RS}. 82, 125 erklärt worden. Ob, wie André
meint, auch die Vornahme der Wandlung hinſichtlich
gekaufter Waren die Wirkung des 8 139 für ſonſtige
Teile des Rechtsgeſchäfts äußere, mag dahingeſtellt
bleiben und wird Tatfrage ſein. Zu 8 476 BGB.
ſpricht RGZ. 62, 122 das Gegenteil aus, weil hier
die volle Wirkung der Vertragsklage aufrecht er⸗
halten werde, und ROZ. 71, 203 ſcheidet, ob Be⸗
klagter das Rechtsverhältnis als von Anfang an
nichtig oder erſt Später erloſchen gegen ſich gelten
laſſen müſſe. Fiſcher kommt in ſeinen Unter:
ſuchungen zu 8 140 auch für $ 139 mit Recht zum
Schluß, daß da, wo wirklich Teile des Rechtsgeſchäfts
in Zuſammenhang mit dieſem unwirkſam werden
(alſo nicht z. B. in den Fällen der 88 2044 Abi. 2,
2109, 2210, 2337), die Unwirkſamkeit der Nich⸗
tigkeit gleichſtehe, bei allgemeiner Unwirkſamkeit
ſchlechthin, in bezug auf einzelne geſchützte Perſonen
hinſichtlich dieſer, endlich bei Schwebezuſtänden, ſo⸗
bald feſtſteht, daß die Wirkung nicht eintritt. Vgl.
Fiſcher S. 7— 11; auf 8 2085 wendet auch RG3.
63, 27 den § 139 an.
2. 8 140 läßt bei einem an ſich nichtigen Rechts⸗
geſchäft, wenn es den Erforderniſſen eines andern,
nicht nichtigen Rechtsgeſchäfts entſpricht, das letztere
gelten, wenn anzunehmen iſt, daß es bei Kenntnis
der Nichtigkeit gewollt ſein würde. Daß bei nach⸗
träglicher Einbuße der Wirkſamkeit $ 140 nicht in
Frage kommt, wird auch hier zugegeben, im übrigen
beſteht über die Einordnung der unwirkſamen Rechts⸗
geſchäfte unter $ 140 lebhafter Streit. Fiſcher
(S. 20) bejaht die Frage in derſelben Weiſe wie
zu 8 139, ebenſo ein Erkenntnis von Kiel bei
Neumann, Jahrbuch 1910 zu $ 140. Dagegen
hat Leonhard, Allgemeiner Teil S. 430 f. die
Anwendung des 8 140 ſtreng auf die nichtigen
Geſchäfte beſchränkt und das Reichsgericht nimmt
in RGZ. 79, 308 den gleichen Standpunkt ein;
in einem Falle, in dem die Nichtigkeit der Ver⸗
pfändung durch Unterlaſſung der Anzeige des
Gläubigers an den Schuldner eingetreten war,
ſprach das Reichsgericht aus, daß die Anwendung
des 8 140 auf ſolche unwirkſame Geſchäfte den
erheblichſten Bedenken unterliege. Der Fall ſteht
allerdings den Fällen der nachträglichen Einbuße
r ⁰¹ü A d ⁵ x A w —— . V
163
der Wirkſamkeit ſehr nahe. Gerade von dem hier
vertretenen Standpunkte aus, der die eigentliche
Nichtigkeit als Gegenwirkung des Geſetzes gegen
ſeine Verletzung und Mißachtung auffaßt, kann
man es verſtehen, daß das Geſetz eine Milderung
beſonders da anbefehlen will, wo es ſelbſt auch die
Nichtbeachtung des Rechtsgeſchäfts anordnet, nicht
1 wo dieſes aus anderen Gründen wirkungslos
eibt.
3. Aehnlich dürfte es ſich mit 8 141, der die
Beſtätigung des nichtigen Geſchäfts betrifft, ver⸗
halten. Es handelt ſich um die erneute Vornahme
des unheilbar nichtigen Rechtsgeſchäfts unter Ver⸗
meidung des Nichtigkeitsgrunds; das trifft natürlich
* unwirkſame Rechtsgeſchaͤfte nur ausnahms⸗
weiſe zu.
V. In der neueſten Zeit hat mit der Frage
„Sind alle Rechtsgeſchäfte eines Geiſteskranken
nichtig?“ Danz in der JW. 1913, 1016 f. das
Wort zur Auslegung des 8 105 BGB. ergriffen.
Wenn ſich ergibt, daß ein Kaufmann ſeit Jahren
geiſteskrank war, könnten zu ſeinem Schaden eine
große Reihe von für ihn vorteilhaften Rechtsge⸗
ſchäften der Nichtigkeit anheimſallen. Der Zweck
des § 105 ſei doch nur Schutz des Kranken, ſo aber
könnten die Geſunden ſich auf ſeine Koſten bereichern.
So lange der Geiſteskranke ſo gehandelt habe, wie
ein verſtaͤndiger Menſch gehandelt hätte, müſſe das
Geſchäft auch nach 8 105 aufrecht erhalten werden.
Schon anderen Abhilfemitteln in der gleichen Frage
gegenüber hatte Krückmann (Recht 1913, 422,
vgl. 551) darauf hingewieſen, daß bisher alle Ju⸗
riſten mit der eiſernen Lehre groß geworden ſind,
die Rechtsgeſchäfte der Geiſteskranken ſeien nichtig;
trotzdem trat er dafür ein, dem Geiſteskranken
Rechtsbeſitz an der Stellung des Geiſtesgeſunden
einzuräumen, und zwar denen gegenüber, die mit
ihm ſchon lange vor der Erkrankung ununterbrochen
in Geſchaͤftsverbindung geſtanden hatten.
In kaum einer Frage wird es ſo deutlich
hervortreten, in welcher „Umwertung aller Werte“
wir zurzeit begriffen ſind. Und doch handelt es
ſich hier nur um die Fortſetzung der Entwickelung
von der Nichtigkeit zur bloßen Unwirkſamkeit. Wenn
man anerkennt, daß das Recht für jede Willens⸗
erflärung eines Geichäftsunfähigen die Anerkennung
verſagt, dann iſt eine Prüfung auf den Zweck nicht
mehr möglich und nur auf dem Wege des 8 140
BGB. ware eine „Konverſion“ denkbar. Tatſächlich
haben auch Rud. Leonhard und die Schrift⸗
leitung des Bankarchivs (1913, 143; vgl. auch
Dr. Wolff in JW. 1914, 121 ff.) die beiden Vor⸗
ſchläge als die Auslegungsfreiheit überſchreitend
abgelehnt. Und auch Stampe, der die Freirechtslehre
weſentlich vertieft hat, laßt (Arch ZivPrax. 108, 53)
die latente Geiſteskrankheit als causa-Mangel die
weiteren Geſchäfte beinfluſſen und die „ungerecht⸗
fertigte Bereicherung“ begründen; er ſpricht (S. 147)
auch geradehin aus, daß Geſchaftsunfähige (53 101,
164
105) kein Grundgeſchaſt ſelbſtändig zuſtande
bringen können.
Ob es ſich geſetzgeberiſch empfiehlt, nur den
entmündigten und
zu ſchützen, bleibe dahingeſtellt. Das, was hier
ausgeführt werden ſollte, iſt folgendes. Unſere
Rechtsordnung fordert, wenn ſie ein Rechtsgeſchäft
anerkennen ſoll, gewiſſe Sicherheiten hinſichtlich der
Perſonen und ihres Willens, hinſichtlich der Form
und des Inhalts ihrer Erklärungen und Leiſtungen
und verſagt, wenn ihren Anforderungen nicht ent⸗
ſprochen wird, jede Wirkung. Neben dieſen Fällen
wahrer und unheilbarer Nichtigkeit, welche die
Grundlage der Lehre bilden, haben ſich Fälle ein⸗
gebürgert, in denen ein beſchrankterer, oft nur
vorübergehender Schutz und auch nicht allgemein,
ſondern nur zugunſten gewiſſer Perſonen erforderlich
erſchien. In dieſen Fällen iſt genügend erſchienen,
eine meiſt heilbare Unwirkſamkeit einzuführen, die
ſich als Abſchwächung der urſprünglichen Nichtig⸗
keit darſtellte. So hat ſchließlich doch wohl Hölder
Recht behalten, wenn er (Arch ZivPr. 73, 104)
erklärte, daß es ſich im Gebiete der Ungültigkeit
nur um die Gegenſaätze zwiſchen gänzlicher und teil⸗
weiſer ſowie zwiſchen unbedingter und bedingter
Ungültigkeit handle.
Prüfungspflicht des Legiſterrichters in
Geſchmacksmuſterſachen.
Von Oberamtsrichter Franz Simon in Augsburg.
(Fortſetzung.)
III. Bei Anmeldung der Uebertragung
des Urheberrechts an Geſchmacksmuſtern
iſt zu prüfen die Frage:
1. ob der Rechtsübergang überhaupt einzutragen
iſt. Nach 83 Muft®. geht das Recht des Urhebers
auf die Erben über und kann durch Vertrag oder
Verfügung von Todes wegen auf andere übertragen
werden.
Der Uebergang des Rechts iſt von der Ein⸗
tragung in das Muſterregiſter nicht abhängig ge:
macht.“) Nicht einmal Anmeldung des Rechts:
übergangs iſt im Muft®. vorgeſehen. Nachdem
das Muſterregiſter beſteht, die Uebertragung des
Rechts am Muſter geſetzlich geregelt iſt und das
Muſterregiſter öffentlich und da iſt, über den Schutz
und deſſen Inhaber Aufſchluß zu geben, ſo kann
aus dem Schweigen des Geſetzes nicht entnommen
werden, daß eine ſolche Eintragung nicht zuläſſig
iſt. Die Analogie des Gebrauchsmuſterſchutz- und
des Patentgeſetzes, welche Vermerke über Aenderung
) RG. vom 28. November 1885 (Bolze, Praxis
des Reichsgerichts in Zivilſachen Bd. 2 S. 72); Allfeld
a. a. O. 83 Muft®. Anm. 2 S. 319.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
en offenbaren Geiſteskranken
— .. — 4 nn —
in der Perſon des Rechtsinhabers auf Antrag“)
zulaſſen, ſpricht dafür, daß ſolche Vermerke in
gleicher Weiſe beim Uebergang des Urheberrechts
an Geſchmacksmuſtern ar Antrag zuzugeſtehen
find. °') Ein weiterer Grund für die Eintragung
eines ſolchen Vermerks ift oben unter II 2 angegeben.
Der Vermerk wird bei dem betreffenden Re⸗
giſtereintrag in der Spalte „Bemerkungen“ zu
machen ſein.
2. Wer der Antragſteller iſt, ob er geſchäfts⸗
fähig, ob gegebenenfalls ſeine Vertretungsbefugnis
nachgewieſen iſt, ob die Form der Anmeldung ge⸗
wahrt iſt, ob das angegangene Gericht zuſtändig
ft. Hier gilt entſprechend das unter I 2, III
und 2 Geſagte;
3. ob der Antragſteller berechtigt iſt oder ob
er für den Berechtigten anmeldet. In dieſer Rich⸗
tung iſt der Rechtsübergang nachzuweiſen
a) bei Erbfolge: durch Vorlage eines Erbſcheins
oder einer in öffentlicher Urkunde enthaltenen Ver⸗
ſügung von Todes wegen und beglaubigter Abſchrift
des Protokolls über die Eröffnung der Verfügung;
bei Uebernahme durch einen von mehreren Erben:
durch Vorlage des Auseinanderſetzungsvertrags oder
der Zuſtimmung der übrigen Erben; “) bei Erb⸗
recht des Fiskus (8 1936 BGB.): durch Vor⸗
lage des Beſchluſſes über Feſtſtellung des Erbrechts
des Fiskus ($ 1966 BGB.);
b) bei Vertrag: durch Nachweis des Abſchluſſes.
Da im MuſtG. über die Form der Uebertragung
beſondere Vorſchriften nicht enthalten find, jo finden
gemäß 8 413 BGB. die Vorſchriſten über die
Forderungsübertragung Anwendung. Nach 8 398
BGB. geht das Recht durch formloſe Vereinbarung
zwiſchen dem bisherigen Berechtigten und dem
neuen Erwerber ohne Rückficht auf den Rechts⸗
grund über. Es wird daher die Uebertragung
vermerkt werden können auf Grund Vorlage einer
amtlich beglaubigten“) Beftätigung oder mündlichen
Erklärung des bisher Berechtigten oder Vorlage
des hinſichtlich der Unterſchrift amtlich beglaubigten“)
ſchriftlichen Vertrags, woraus ſich die Uebertragung
ergibt.
Bei Verſteigerung auf Grund vorhergegangener
Verpfändung oder Pfändung des Muſterrechts fiehe
die Ausführungen unter VI, VII.
c) bei Zuwendung als Vermächtnis durch Ber: |
fügung von Todes wegen: durch Vorlage der Ber:
fügung und der Abtretungserklärung des Erben
(S$ 2174, 413, 398 BGB.), mündlich oder in
beglaubigter “?) Form.
20) Wenn die Aenderung in beweiſender Form zur
Kenntnis des Patentamts gebracht wird (Pat. vom
7. April 1891 $ 19 Abſ. 2, GebrMuſtG. vom 1. Juni
1891, 83 Abſ. 4 und § 22 der Kaiſ. Ausf O. z. Pat
u. GebrMuſt. vom 11. Juli 1891).
21) S. auch Alljeld a. a. O. 83 Anm. 2 S. 318 und
Kohler, Muſterrecht S. 137.
22) In beglaubigter Form, wenn nicht öffentliche
Urkunde vorliegt, nach Analogie des Patentrechts (f.
Alfeld a. a. O. S. 194, PatG. 8 19 Anm. Sb).
| —— — —
5 *
4. 1 RR
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
d) bei Uebertragung auf Grund erfolgreicher
Anfechtung des Rechts eines eingetragenen Muſter⸗
rechtsinhabers.
Das Muſterrecht entſteht als übertragbares
Recht ſchon mit der Schöpfung des Muſters, als
ausübbares Vollrecht erſt mit der Anmeldung und
Niederlegung. Meldet ein anderer als der Urheber
unberechtigt das Muſter zur Eintragung an, dann
kann der Urheber oder deſſen Rechtsnachfolger klage⸗
weiſe verlangen, daß der nichtberechtigte Einge⸗
tragene das Muſterſchutzrecht auf den Berechtigten
überträgt und Umſchreibung im Muſterregiſter be⸗
willigt.) Der Berechtigte, der den Umſchreibungs⸗
vermerk beim Regiſtergericht beantragt hat, hat das
in letzterem Sinne ergangene rechtskräftige Urteil
vorzulegen ($ 894 ZPO.).
4. ob die Einſchreibung des Vermerks zu ver⸗
öffentlichen iſt. Wenn der Uebergang des Rechts
eingetragen wird, wird er auch zu veröffentlichen
ſein. Im Mufß. find nur Eintragung der Neu⸗
anmeldung und der Ausdehnung der Schutzfriſt aus⸗
drücklich erwähnt, daher auch nur hinſichtlich dieſer
Veröffentlichungen verfügt. Die Rechtſprechung er⸗
achtet dieſe Veröffentlichungen nicht als die einzigen.
Sie verlangt z. B. Veröffentlichung bei Eintragung
des Verzichts auf den Schutz.) Hieraus und aus
der analogen Anwendung des $ 10 HGB. ergibt
ſich, daß alle Eintragungen im Muſterregiſter, auch
der Rechtsübergang zu veröffentlichen find.“) Siehe
auch den oben II 2 angegebenen Grund.
Für Eintragung von Lizenz⸗ und Nutznießungs⸗
rechten an Muſterrechten ſowie derart beſchränkten
Rechtsübertragungen, daß fie Lizenz: oder Nub-
nießungsrechten gleichkommen, iſt im Muſterregiſter
kein Raum. Das Muſft. enthält hierüber nichts.
Auch in den Patent⸗ und Gebrauchsmuſterſachen
werden in der Rolle Uebertragungen nicht vermerkt,
die nur die Ausübung des Rechts betreffen.) Ein
Antrag auf Eintragung eines ſolchen Nahm wäre
abzulehnen.
IV. Bei Anmeldung des Verzichts auf
das Muſterrecht ſind zu prüfen die Fragen:
1. Iſt eine Verzichtserklärung bezüglich des
Geſchmacksmuſterrechts entgegenzunehmen und ein⸗
zutragen? Das MuſtG. enthält weder über die
Zuläſſigkeit eines Verzichts noch über ſeine Form
eine Beſtimmung.
Auf den erworbenen Geſchmacksmuſterſchutz kann
aber verzichtet werden. Die Fortdauer des durch
Benützung einer ſtaatlichen Einrichtung gewonnenen
0 Siehe auch 1 a. a. O., MuſtG. 87 Anm. 1,
8 3 Anm. 2 S. 334 und 318; Kohler, Muſterrecht S. 91.
9 Kammergerichtsentſch. vom 19. Juli 1905 (Recht
1906 S. 76 Nr. 140); Obs. (Sammlg. Bd. II ©. 625)
vom 16. Oktober 1901.
9 Wr a) Koſten des Antragſtellers ſiehe auch
ote
“ Siehe Alfeld a. a. O. PatG. § 6 Note 5 S. 116,
5 § 7 Note 4 S. 416; Kohler, Muſterrecht
|
|
165
Muſterſchutzes kann niemandem aufgezwungen
werden. Sie hängt vom Willen des Berechtigten
ab.““) Der Verzicht erfolgt durch öffentliche Er:
klärung“) oder durch 1 des Berechtigten
gegenüber dem Regiſtergericht.
2. Wer iſt der Verzichtende, it er geſchäftsfähig?
Iſt das Muſterrecht, auf das er verzichten will,
bei dem angegangenen als zuſtändigem Gerichte
eingetragen???) Iſt nachgewieſen, daß der Ber:
zichtende der regiſtermäßige Inhaber des Muſter⸗
rechts oder deſſen Rechtsnachfolger iſt? In welcher
Weiſe iſt der Verzicht anzumelden? Dieſe Fragen
beantworten ſich entſprechend III 2 und 3.
3. Was hat auf die Anmeldung des Verzichts
zu geſchehen? Der Verzicht iſt in der Spalte
„Bemerkungen“ des Muſterregiſters bei dem be⸗
treffenden Muſter und, wenn mehrere Muſter unter
einer Nummer des Regiſters vorgetragen ſind, unter
Benennung des oder der betreffenden Muſter, auf
das oder die ſich der Verzicht bezieht, nach ihrer
Geſchäfts⸗ oder Fabriknummer einzutragen.“)
4. Iſt die Eintragung des Verzichts zu ver⸗
öffentlichen? Mit Rückſicht auf die Bekanntmachung
der Anmeldung und Eintragung wird auch der
Vermerk des Verzichts im Reichsanzeiger zu ver⸗
öffentlichen ſein.“)
Ueber Rückgewähr der Gebühr bei Verzicht auf
die Schutzfriſt ſiehe die mehrerwähnten Entſchei⸗
dungen des Kammergerichts und des Oberſten
.
V. Bei Antrag auf Löſchung iſt Perſon,
Geſchäftsfähigkeit, Berechtigung des Antragſtellers
zu prüfen.
Der Antrag wird nur zuläſſig ſein, wenn der
Antragſteller ein von ihm erwirktes rechtskräftiges
Urteil vorlegt, welches das Muſterrecht als nichtig
erklärt oder den Eingetragenen zur Löſchungsbe⸗
willigung verurteilt. Ob eine Nichtigkeitsklage oder
Löſchungsklage i im Geſchmacksmuſterrecht zuzulaſſen
iſt,“) hat der Regiſterrichter nicht zu prüfen. Wenn
6) Siehe hierher auch 8 8 der Bayer. MBek. vom
14. Dezember 1899 betr. Führung des Muſterregiſters,
„ vom 19. Juli 1905 (Recht 1906
21) Siehe Allfeld a. a. O. 8 11 san 1 des Mufte.
©. 340; Kohler, Muſterrecht S. 113
9) Siehe die daemecgercchtsentſc. unter Note 36
und oder Muſterrecht S. 1
we)
Auf ein wegen Nasa et des Gerichts
unwirkſames (ſiehe 11) Muſterrecht gibt es natürlich
keinen Verzicht. Ein Löſchungsvermerk hinſichtlich des
gegenſtandsloſen Eintrags wird beantragt und ein⸗
geſchrieben werden können.
4) Löſchung des bisherigen Eintrags durch „Rot
unterſtreichen“ findet nicht ftatt, da durch den Vermerk
die Aufhebung des Rechts genügend ausgedrückt iſt
und eine förmliche Löſchung des ganzen Eintrags auch
bei Beendigung des Muſterrechts durch Zeitablauf nicht
ſtattfindet.
4) Siehe Bolze, Praxis des Reichsgerichts in Zivil»
ſachen Bd. IV Nr. 196, Entſch. vom 27. April 1887;
Allfeld a. a. O. S. 337 MuſtG. 8 7 Anm. 4; dagegen
Kohler. Muſterrecht S. 129 und die dort angegebenen
Entſcheidungen Note 2—4.
ihm ein auf Nichtigkeit oder Löſchung lautendes mit
Rechtskraftzeugnis verſehenes Urteil unterbreitet
wird, iſt dieſes für ihn maßgebend.
Mit Rückſicht auf die Oeffentlichkeit des Muſter⸗
regiſters wird auf Antrag des Siegers die rechts⸗
kräftige Feſtſtellung der Nichtigkeit oder die rechts⸗
kräftige Verurteilung zur Löſchungsbewilligung in
die Spalte „Bemerkungen“ einzutragen“) und die
Eintragung auf Koſten des Antragftellers *!*) im
Reichsanzeiger zu veröffentlichen ſein.
(Fortſetzung folgt).
Kleine Nitteilungen.
Weber die Gültigkeit von ſogenaunten Scheinab⸗
tretungen. Das Reichsgericht hat neuerdings zwei
bedeutſame Entſcheidungen gefällt. In der einen von
ihnen (JW. 1913 S. 317) behandelt es die Frage,
ob eine Abtretung, die nur vorgenommen wird, um
den Abtretenden als Zeugen auftreten zu laſſen, wegen
Verſtoßes gegen bie guten Sitten und gegen ein Ver. wenn der Abtretende mit der „unbedingten“ Mögliche
botsgeſetz nichtig ſei. Die Frage wurde verneint. Das
Reichsgericht ſtützt ſich zur Begründung ſeiner Anſicht
zunächſt darauf, daß das Geſetz keine Beſtimmung
kennt, die eine nur zu dem angegebenen Zwecke vor⸗
genommene Abtretung verböte. Mache man aber von
einem geſetzlichen Rechte Gebrauch, ſo könne — ſo
meint das Reichsgericht — von einem Verſtoße gegen
§ 138 BGB. keine Rede ſein. Ebenſo liege kein Verſtoß
gegen 8 134 BGB. vor, weil die durch die Abtretung
herbeigeführte Vernehmung des Abtretenden als Zeuge
nirgends im Geſetz verboten ſei; die ZPO. verbiete
nur die Vernehmung der Prozeßpartei als Zeugen;
ja im 8 393 Abſ. 1, 4 ZPO. werde ſogar die Zeugen⸗
vernehmung des Abtretenden ohne Rückſicht auf den
Grund der Abtretung porausgeſetzt.
Dieſe Begründung erſcheint bei näherem Zuſehen
etwas dürftig. Ganz zweifellos iſt, daß ſich die Ver⸗
tragsteile durch eine ſolche Abtretung gegenüber der
andern Partei eine für den Prozeß günſtigere Lage
verſchaffen wollen, durch deren Ausnützung ſie dann
auch Sieger zu bleiben hoffen. Wenn auch der Ab⸗
tretende nicht beeidigt zu werden braucht und ſomit
die Bewertung ſeiner Ausſage dem richterlichen Er⸗
meſſen unter ſtellt wird, ſo wird doch trotzdem die Lage
des Erwerbers erheblich verbeſſert. Denn gänzlich
wird der Richter die Ausſage des Abtretenden kaum
unbeachtet laſſen, und überdies können ſich die Ab⸗
tretenden ein vollgültiges Beweismittel dann ver⸗
ſchaffen, wenn ſie auf das Zeugnis von nahen Ver⸗
wandten des Abtretenden Bezug nehmen, deren Be⸗
eidigung nach der Abtretung nicht abgelehnt werden
kann. Ob eine ſolche Handlung gegen die guten Sitten
verſtößt, läßt ſich nicht mit einem einfachen Hinweis
darauf entſcheiden, daß die Parteien nur von einem geſetz⸗
lichen Rechte Gebrauch machen. Hat doch das Reichsgericht
ſelbſt neuerdings die Gültigkeit von gewiſſen Sicherungs-
412) Analog 89 Abſ. 6 MuſtG.: Art. 39, 39a bayer.
GebG. 8 89 GKG. unbeſchadet deſſen etwaiger Erſatz—
anſprüche. — Die auf die Eintragung und Veröffent—
lichung entſtehenden Koſten gehören nicht zu den
Zwangsvollſtreckungskoſten (Gaupp-Stein, Komm. z.
PO. 8 788 Anm. J. Vorbem. III vor 8 704).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
ı
I
1
übereignungen verneint, bei denen der Schuldner feine
ſämtlichen zukünftigen Außenſtände übereignete, ob⸗
wohl nirgends ein geſetzliches Verbot beſteht, künftige
Forderungen abzutreten. Noch bedenklicher iſt die
Meinung, daß keine Umgehung des Geſetzes vorliege.
Freilich verbietet das Geſetz nur die Vernehmung der
Prozeßpartei als Zeugen. Aber warum? Doch nur
deshalb, weil nach dem Willen des Geſetzgebers der
am Vertrag und am Rechtsſtreit am meiſten Beteiligte
nicht als Zeuge für ſeine eigenen Behauptungen ver⸗
nommen werden ſoll! Dieſe Abſicht wird durch die
vorgenommene Schiebung bewußt vereitelt, und man
kann daher wohl ſagen, daß eine Abtretung zur
Umgehung des Geſetzes vereinbart iſt, die nur die
Vernehmung des Abtretenden als Zeugen bezweckt.
Man wird ſich alſo mit dem vom Reichsgericht ver⸗
nn Standpunkt nicht ohne weiteres befreunden
önnen.
Entſchiedene Billigung verdient hingegen eine andere
Entſcheidung des Reichsgerichts (JW. 1913 S. 370),
die ſich über die Frage ausläßt, ob es ſittenwidrig fei,
eine Forderung nur deshalb abzutreten, damit der Er⸗
werber im Armenrecht klage. Die Frage wird vom
Reichsgericht bejaht, und zwar nicht nur für den Fall,
leit gerechnet hat, daß Kläger (der Erwerber) unter⸗
liegen werde, ſondern ſchon dann, wenn er überhaupt
mit der Möglichkeit des Unterliegens gerechnet bat.
Der Grund, aus dem ſich das Reichsgericht auf die ſen
Standpunkt geſtellt hat, iſt leicht erſichtlich! Durch
die Abtretung wird es dem Gegner unmöglich gemacht,
im Falle ſeines Sieges ſeine Koſten erſtattet zu er⸗
halten. Die andere Partei — d. h. der Abtretende —
führt alſo den Prozeß ohne eigene Gefahr auf Koften
des Gegners. Die vom Reichsgericht ausgeſprochenen
Grundſätze ſind m. E. auch auf den Fall anzuwenden,
daß die klagende Partei zahlungsunfähig iſt, ohne im
Beſitz des Armenrechts zu fein; denn bekanntlich hat
ja an und für ſich die Bewilligung des Armenrechts
auf die Erſtattung der Koſten des Gegners keinen Einfluß.
Es nimmt Wunder, daß dieſe Entſcheidung von
demſelben Senat gefällt iſt, wie die zuerſt angeführte.
Man hätte, nach den Gründen dieſer Entſcheidung zu
urteilen, eigentlich annehmen müſſen, daß das Reichs⸗
gericht zu dem entgegengeſetzten Ergebniſſe hätte kommen
müſſen. Denn es beſteht ebenfalls kein geſetzliches Ver⸗
bot, ſeine Forderung an eine zahlungsunfähige Partei
abzutreten, damit dieſe im Armenrecht klage. Und
wenn der Abtretende nur mit der Möglichkeit rechnet,
daß der Erwerber im Rechtsſtreit unterliegen werde,
ſo iſt die Unſittlichkeit ſeiner Handlungsweiſe kaum
größer, als dann, wenn eine Forderung abgetreten
wird, damit ſich der Erwerber ein ihm nach dem Geiſte
55 ZPO. nicht zuſtehendes Beweismittel verſchaffen
önne.
Rechtsanwalt Dr. Pfeiffer in Hirſchberg i. Schl.
Der 8243 HGB. bei der gemiſchten wirtſchaſtlichen
Unternehmung. (Nachtrag zu S. 17/18 Nr. 1 dieſer
Zeitſchrift von 1914.) Weil man zugeben muß., daß
8 243 HGB. die Abordnung von Mitgliedern des
Aufſichtsrates einer Aktien-Geſellſchaft durch die öffent⸗
lichrechtliche Körperſchaft zur Geltendmachung ihres
Einfluſſes und Wahrung ihrer Intereſſen unmöglich
macht, ſo ſoll dieſer Zweck dadurch erreicht werden,
— — — ͥ —
—
daß die zwei in Ausſicht genommenen Vertragsfirmen
den Kreiſen Unterfranken und Oberfranken eine Option
bis zu 60 %ñ des jeweiligen Aktien⸗Kapitals der für
das Unternehmen der Elektrizitäts⸗Ueberlandzentrale
zu bildenden Aktien⸗Geſellſchaft einräumen.
In einem anderen Vertrage iſt der öffentlichen
Körperſchaft eine Option bis zu 50% + 1 des jewei⸗
ligen Aktien⸗Kapitals zugeſprochen.
Durch ſolchen Aktienbeſitz könnten die bei der
Aktien⸗Geſellſchaft beteiligten öffentlichen Körper⸗
ſchaften die Wahl der von ihnen gewünſchten Ver⸗
treter als Mitglieder des Aufſichtsrates bei den Ge⸗
neralverſammlungen ſichern, wobei jedoch die im Schluß⸗
ſatze des 8 243 HGB. erforderten / des bei der Be⸗
ſchlußfaſſung vertretenen Grundkapitals wohl zu be⸗
achten ſind.
Aber dieſer Umweg erfordert ein außerordentlich
großes Opfer der Beteiligung am Aktienkapital. Dieſes
Opfer wird noch dadurch vergrößert, daß der Siche⸗
rungszweck fordert, daß die Körperſchaft, ſolange die
gemiſchte Unternehmung beſteht, niemals Teile ihres
Aktienbeſitzes veräußert.
Es haben Körperſchaften auch ſchon einen anderen
Umweg eingeſchlagen. Sie ließen ſich in ihrem mit
der Unternehmerfirma abgeſchloſſenen Vertrag zu⸗
ſichern, daß von der zu bildenden Betriebs⸗Aktien⸗
Geſellſchaft in der Generalverſammlung eine beſtimmte
Zahl von Aufſichtsratsmitgliedern nach Vorſchlag der
Körperſchaft gewählt werden ſollen. Eine ſolche Be⸗
ſtimmung in die Satzungen der Aktiengeſellſchaft auf⸗
zunehmen, geht nicht an. Die Generalverſammlung
iſt in der Aufſichtsratswahl unbeſchränkt und kann in
der geſetzlich ſreien Wahl nicht durch ſolche Satzungs⸗
Vorſchriften eingeengt, beſchränkt und gebunden werden.
Jene in den Ausführungsverträgen etwa ſtehenden
Wahlzuſagen wären jedenfalls rechtsunwirkſam.
Mag nun aber auch die öffentliche Körperſchaft
bei dem erſtbeſprochenen Umwege unter Ausnützung
ihres 50% und mehr des Aktienkapitals überſteigen⸗
den Aktienbeſitzes in der Generalverſammlung ihre
Männer in den Aufſichtsrat ſelbſt wählen laſſen oder
trägt man bei geringerer Aktienbeteiligung der Körper⸗
ſchaft in der Generalverſammlung tatſächlich ihren
Vorſchlags⸗Wünſchen Rechnung, jo gewähren beide
Umwege nur einen recht unvollkommenen Notbehelf.
In der Generalverſammlung können nur beſtimmte
Perſonen als Mitglieder des Aufſichtsrates gewählt
werden. Die Kreis⸗Regierung kann nicht ihren „je⸗
weiligen Referenten“ wählen laſſen. Wechſel im Re⸗
ferat, Beförderungen oder Verſetzungen außerhalb des
Kreiſes könnten an der durch Wahl in der General⸗
verſammlung geſchaffenen Eigenſchaft als Mitglied des
Aufſichtsrates nichts ändern. Der einmal gewählte
Aufſichtsrat müßte trotz Referatswechſels und trotz Be⸗
rufung auf andere Stellung als Mitglied des Auf⸗
ſichtsrates bis zum Ablauf ſeiner Wahlperiode tätig
bleiben oder es muß für einen Widerruf ſeiner Wahl
nach 8 243 Abſ. 4 HGB. Sorge getragen werden.
Aehnliche Verwickelungen ergeben ſich, wenn in
dem einen oder anderen Falle ein Mitglied des Land⸗
rats der Kreisgemeinde in den Aufſichtsrat gewählt
wird. Iſt die Wahlperiode für den Landrat abge—
laufen und das bewußte Auſſichtsratsmitglied tritt in
den neuen Landrat nicht wieder ein, ſo muß man ent⸗
weder den Herrn gleichwohl als Aufſichtsrat weiter
tätig ſein laſſen bis zum Ablauf der für ihn in dieſer
Eigenſchaft laufenden Wahlperiode, oder Niederlegung
Zeitſchrift für für Rechtspflege in Bayern. 1 1914. Nr. 8.
167
und Widerruf nach 8 243 Abſ. 4 HGB. werden not⸗
wendig. In letzteren Fällen find außerordentliche
Generalverſammlungen für Widerruf und Ergänzungs⸗
Neuwahl notwendig.
Die da und dort vorgeſchlagenen Umwege zur
Sicherung des Einfluſſes und der Intereſſen der
mit Aktiengeſellſchafts⸗ Unternehmerfirmen paktierenden
Kreisgemeinden bieten ihnen recht unvollkommene Not⸗
behelfe.
Geh. IR. Dr. Full, Rechtsanwalt in Würzburg.
Sind verkündete amtsgerichtliche Beſchlüſſe im Partei-
betrieb oder von Amts wegen znzuſtellen? Dieſe Frage
habe ich in Nr. 2 dieſes Jahrganges aufgeworfen und
in bejahendem Sinne beantwortet. Meine Abhandlung
hat zwei Gegner auf den Plan gerufen: Herrn Geheimrat
Prof. Dr. v. Seuffert und Herrn Rechtsanwalt Dr. Kann,
die in der Begründung ihres gegenteiligen Stand⸗
punktes allerdings nicht ganz einig gehen und mich ſchon
aus dieſem Grund nicht recht zu überzeugen vermochten.
Ich habe nicht die Abſicht, eine Widerlegung der Anſicht
dieſer beiden bekannten Autoren zu verſuchen, zumal
ich mich mit meiner Veröffentlichung eigentlich nicht
in den Streit der Meinungen miſchen wollte, ſondern
nur den Zweck verfolgte, im Intereſſe der Rechtsſicher⸗
heit den gegenwärtigen Standpunkt des Münchener
Vollſtreckungsgerichts darzulegen und zu begründen.
Wenn ich trotzdem noch einmal das Wort ergreife,
ſo geſchieht es nur deshalb, weil ich faſt den Eindruck
gewonnen habe, als ob mir in den Erörterungen
Seufferts und Kanns die Anſicht unterſtellt würde, daß
alle verkündeten amtsgerichtlichen Beſchlüſſe der Zu⸗
ſtellung von Amts wegen bedürften, beiſpielsweiſe alſo
auch Beweisbeſchlüſſe und ſonſtige Beſchlüſſe prozeß⸗
leitender Art. Es liegt mir daran, feſtzuſtellen, daß
ich dieſe Anſicht für falſch halte; ich habe ſie auch
niemals vertreten; meine Frageſtellung lautete nicht:
„Sind alle verkündeten amtsgerichtlichen Beſchlüſſe
von Amts wegen zuzuſtellen?“, ſondern fie lautete:
„Sind verkündete amtsgerichtliche Beſchlüſſe (scil.
ſoweit zu ihrer Zuſtellung überhaupt ein praktiſches
Bedürfnis beſteht!) im Parteibetrieb oder von
Amts wegen zuzuſtellen?“ In dieſem Sinn und
in keinem anderen wollte ich meine Ausführungen ver⸗
ſtanden wiſſen. 8 496 Abſ. 1 ZPO., auf den ich meine
Beweisführung aufbaue, ſpricht ſich ja auch in keiner
Weiſe darüber aus, was alles zugeſtellt werden muß,
ſondern nur darüber, in welcher Weiſe die etwa
erforderlichen Zuſtellungen auszuführen ſind.
Amtsrichter Dittrich in München.
Aus der Nechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
J.
Der „Selbſtkoſtenpreis“ iſt keine Eigenſchaft eines
Grundſtücks. Aus den Gründen: Die auf 8 463
BGB. geſtützte Klagbegründung iſt vom OLG. ſchon de8:
halb abgewieſen worden, weil die Angabe des Selbſt—
koſtenpreiſes die Zuſicherung einer Eigenſchaft des Grund—
ſtücks nicht in ſich ſchließe. Dieſe Auffaſſung iſt nicht
168
irrtümlich. Unter den Eigenſchaften der Kaufſache im
Sinne von 88 459 Abſ. 2, 463 BGB. find nach der
feſtſtehenden Rechtſprechung des Reichsgerichts (RG.
2, 1; 59, 243; 61, 84) allerdings nicht nur die natür⸗
lichen Beſcha e ſondern auch tatſächliche
oder rechtliche Berhältniffe zu verſtehen, die zufolge
ihrer Beſchaffenheit und ihrer vorausgeſetzten Dauer
nach den Verkehrsanſchauungen einen Einfluß auf die
Wertſchätzung der Sache ausüben. Als ſolche Ver⸗
hältniſſe ſind z. B. die Höhe der Brandverſicherung,
die Steuerbeträge und die Mieterträge anerkannt
worden. Das Weſen der Eigenſchaft iſt aber abge⸗
ſprochen dem Wert und Marktpreis der Sache, da dieſer
nur das Ergebnis der Schätzung ſämtlicher für die
Wertſchätzung maßgebender Eigenſchaften der Sache,
nicht aber ſelbſt eine Eigenſchaft iſt (NEL. 64, 269;
JW. 1906, 378). Verſchieden von dem Werte der
Sache iſt der Selbſtkoſtenpreis des Verkäufers. Er kann
allerdings einen Maßſtab für die Wertbemeſſung bilden;
Sacheigenſchaft iſt er aber nicht, weil aus ihm keine
gegenſtändliche und dauernde Grundlage für die Be⸗
meſſung des Sachwerts zu entnehmen iſt. Er ſagt nur,
was die Vertragsparteien auf Grund ihrer Schätzung
zur Zeit des Vertrags und auf Grund der beſonderen
Sachlage als angemeſſenen Preis erachtet haben. Der
Verkehrsauffaſſung würde es nicht entſprechen, in dem
Selbſtkoſtenpreis ein den natürlichen Eigenſchaften ent⸗
ſprechendes Verhältnis zu erblicken. Der Hinweis der
Reviſion darauf, daß Bier zwiſchen der Zahlung des
Selbſtkoſtenpreiſes und dem Kauf nur eine kurze Zeit
verfloſſen ſei, liegt neben der Sache; entſcheidend iſt,
ob der Selbſtkoſtenpreis nach ſeinem Weſen und ſeiner
Bedeutung eine Eigenſchaft iſt. (Urt. des V. 35. vom
7. Februar 1914, V 454/13).
3306
— — — .
II.
Der Kutſcher als Erfüllungsgehilfe deſſen, der den
Arzt über Land ruft. Aus den Gründen: Ein
Vertragsverhältnis zwiſchen dem Kläger (dem bei der
ahrt zu Schaden gekommenen Arzt) und dem Be⸗
lagten iſt damit begründet, daß der den Arzt über
Land Rufende die Unkoſten der Fahrt zu tragen hat,
wenn der Arzt mit eigenem oder von ihm beſchafftem
Geſpanne der Beſtellung Folge leiſtet. Der Beſteller,
der es übernimmt, den Arzt mit ſeinem Geſpanne zu
dem Kranken abholen zu laſſen, verpflichtet ſich damit
zu einer Gegenleiſtung für die ärztliche Tätigkeit. Dem⸗
nach iſt auch der Kutſcher, durch den er den Arzt
abholen läßt, ſein Erfüllungsgehilfe. Daß der
Beklagte nicht ſelbſt zu fahren verpflichtet war, ſteht
dem nicht entgegen. Der 8 278 BGB. gilt nicht nur
für ſolche Leiſtungen, die grundſätzlich von dem Schuld⸗
ner perſönlich zu bewirken ſind, er iſt auch anwendbar,
wenn der Schuldner die von ihm übernommene Ver⸗
pflichtung nicht ſelbſt erfüllen kann oder zu erfüllen
braucht (vgl. RG.Z. 55, 335; 59, 22; 62, 119; 64, 321;
65, 17: 73, 148; 78, 239). (Urt. d. III. ZS. vom 20. Ja⸗
nuar 1914, III, 451/13). — a —
3266
III.
Sittenwidriger, weil Beſtechung vorſehender Agentur:
vertrag. Aus den Günden: Den Agenturvertrag
zwiſchen den Parteien hat das OLG. mit Recht wegen
Verſtoßes gegen die guten Sitten ($ 138 BGB.) für
nichtig erklärt. Nach ſeinen Feſtſtellungen war der
Vertrag gerade geſchloſſen, um mit Hilfe der dem
Kläger befreundeten Beamten die Beklagte bei der aus—
ländiſchen Regierung einzuführen. Der Kläger ſollte
dieſen Freunden einen Teil des Ueberpreiſes verſprechen,
damit ſie auf die Uebertragung der Lieferungen an die
Beklagte hinwirkten. Die Teilung des Ueberpreiſes
— —
— — ——!̃— L—. RE a N ñ— — — —— ——— ——— — — ä —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
zwiſchen dem Kläger und „ſeinen Freunden, die ihm
zur Erlangung des Kontrakts behilflich ſind“, war auch
in dem Vertrage ausdrücklich vorgeſehen. Dieſe Um⸗
ſtände rechtfertigen die Entſcheidung, daß der ganze
Vertrag nach Beweggrund, Inhalt und Zweck gegen
die guten Sitten verſtößt, ohne Rückſicht darauf, ob
wirklich den Beamten Geſchenke gegeben worden und
dadurch die Vertragsſchlüſſe erzielt find. Es iſt des⸗
halb ohne Bedeutung, daß dies nicht feſtgeſtellt worden
iſt. Ebenſo unbegründet iſt die Rüge, das OL. habe
nur das deutſche StEB. (8 331) angeführt und nicht
geprüft, welche Anſchauungen in dem ausländiſchen
Staate herrſchen. Das StB. dieſes Staates bedroht
ebenſo wie der 8 331 mit Strafe einen Beamten, der
ein Geſchenk für eine in den Kreis ſeiner Dienſtver⸗
pflichtungen einſchlagende n annimmt, auch
wenn dieſe nicht pflichtwidrig iſt. Uebrigens entſcheidet
die deutſche Auffaſſung über die Frage, ob der Vertrag
gegen die guten Sitten verſtößt. (Urt. d. III. ZS. vom
6. Februar 1914, III 474/13).
3287
IV.
Rücktritt vom Werkvertrage wegen wiſſentlich un:
wahrer Angaben des Unternehmers. Aus den Grün⸗
den: Die Beklagten haben eine Befugnis zum Rück-
tritt vom Vertrage auch daraus hergeleitet, daß die
Kläger ihnen VBohrberichte mit wiſſentlich unwahren
Angaben zugeſandt hätten. Nach dieſen Berichten ſollte
eine Tiefe von 16 m erreicht geweſen ſein, während
in Wahrheit nur 3 m mit dem Spaten gegraben wären.
Das OLG. hält diefe Behauptung der Beklagten für
unerheblich, weil es ſich höchſtens um eine Uebertreibung
des Geleiſteten gehandelt habe und irgendwelche Nach⸗
teile daraus für die Beklagten nicht entſtanden ſeien.
Dieſer Rechtsauffaſſung kann nicht beigetreten werden.
Sind die Behauptungen der Beklagten richtig, dann
haben die Kläger ihnen wahrheitswidrig mitgeteilt,
daß die eigentlichen Bohrarbeiten begonnen und bis
zu einer gewiſſen Tiefe ausgeführt ſeien. Das Aus⸗
heben einiger Meter mit dem Spaten iſt noch nicht
ein Beginn ſondern nur eine geringfügige Vorbereitun
der wirklichen Bohrarbeiten. Eine ſolche wiſſentlich
falſche Mitteilung aber konnte nach den Umſtänden
des Falles einen Rücktritt der Beklagten von dem Ber-
trage auch dann rechtfertigen, wenn ſie keinen unmittel⸗
baren Nachteil für fie zur Folge hatte. Die Beklagten,
die von dem Bohrorte weit entfernt wohnten, mußten
ſich auf die Zuverläſſigkeit und Redlichkeit der Kläger
verlaſſen können. Im Bohrvertrage war den Klägern
die Verpflichtung auferlegt, vom Beginn der Arbeiten
regelmäßige, forgfältige Aufzeichnungen und Bohrpro⸗
file anzufertigen und den Beklagten zuzuſenden. Jede
abſichtlich verſchuldete oder durch grobe Nachläſſigkeit
verurſachte Nichterfüllung der im Vertrage übernom⸗
menen Verpflichtungen ſollte den anderen Vertragsteil
berechtigen, die Auflöſung zu verlangen. Die abſicht⸗
liche Täuſchung über den Beginn der Bohrarbeiten
war danach nicht ein unerheblicher Umftand. Waren
aber die Beklagten zum Rücktritt berechtigt, ſo konnten
die eingeklagten Anſprüche nicht dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärt werden. Die Erwägung des OLE,
daß die Kläger doch jedenfalls berechtigt geblieben
wären, die Gegenleiſtung für den bereits geleiſteten
Teil der Arbeiten zu fordern, kann die Entſcheidung
des OLG. nicht rechtfertigen. Denn dieſer Anſpruch
wäre ein ganz anderer als der dem Grunde nach für
gerechtfertigt erklärte. Daß den Klägern irgendein
Anſpruch aus dem der Klage zugrundeliegenden Rechts⸗
verhältnis zuſteht, genügt zum Erlaß eines Zwiſchen⸗
urteils nach 8 304 ZPO. nicht. (Urt. d. III. ZS. vom
30. Januar 1914, III 486/13). — a —
328 6
— . — — - “ —
1 4 Par .. Bu
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. 169
V.
ee der Widerruflichkeit des Mäfllerant:
trags. Aus den Gründen: Die freie Widerruflich⸗
keit des dem Mäkler erteilten Auftrags kann durch den
Willen der Parteien ausgeſchloſſen werden. Dieſer
Wille kann ſich auch aus den Umſtänden ergeben. Hier
hat der Beklagte der Klägerin den Alleinverkauf ſeines
Gutes übertragen, nachdem ihr Geſchäftsführer dem
Beklagten auf ſein an die Klägerin gerichtetes Geſuch
um Berſchaffung eines Darlehens wiederholt erklärt
hatte, ſie werde ihm das Darlehen nur beſchaffen, wenn
er ſich verpflichten wolle, ihr den Alleinverkauf des
Gutes zu übertragen und ihr die Vergütung auch dann
zu zahlen, wenn das Gut durch ſeine, des Beklagten,
Bemühungen oder die dritter Perſonen zum Verkaufe
käme. Darauf hat der Beklagte nach Unterzeichnung
des Scheines das Darlehen von der Klägerin erhalten.
Die Einräumung des Alleinverkaufs bildete alſo die
Gegenleiſtung für die Gewährung des Darlehens.
Der Beklagte hatte gegen Gewährung des Darlehens
die Verpflichtung übernommen, der Klägerin auch im
Falle des Selbſtabſchluſſes die Vergütung zu zahlen.
(Urt. d. III. 8S. vom 23. Januar 1914, III 385/13).
32868 — a —
VI.
Mietvertrag ohne ziffermätzige Feſtſetzung des Miet:
zinfed. Aus den Gründen: Das 86. fü der An⸗
ſicht, daß die Parteien einen Mietvertrag ſchließen
wollten und geſchloſſen haben, obgleich ſie die Höhe
des Mietzinſes einer weiteren Einigung vorbehielten.
Den Sinn dieſes Vorbehalts verſteht das B. dahin,
daß die Höhe des Mietzinſes nach billigem Ermeſſen
feſtgeſetzt werden ſollte, wenn keine Einigung erfolgen
werde. Die Beſtimmung des 8 154 BGB., wonach ein
Vertrag nicht geſchloſſen iſt, wenn über einen Punkt
eine Vereinbarung erſt noch getroffen werden ſoll, iſt
deshalb nach ſeiner Meinung nicht anzuwenden. Die
Reviſion macht geltend, wenn die Parteien die Höhe
des Mietzinſes ausdrücklich ſpäterer Vereinbarung vor⸗
a hätten, fo fei damit unzweideutig ausgedrückt,
daß ſpäter die Höhe des Mietzinſes nur durch den
übereinſtimmenden Willen beider Parteien feſtgeſetzt
werden könne. Dieſer Angriff iſt verfehlt. Nach § 154
BB. iſt der Vertrag nur im Zweifel nicht ge
ſchloſſen, wenn die Parteien einen Punkt künftiger
Vereinbarung vorbehalten haben. Nach den Umſtänden
des Falles können die Parteien gewollt haben, daß
der Vertrag auch ohne eine Vereinbarung über den
vorbehaltenen Punkt als geſchloſſen anzuſehen ſei.
Das iſt die Ausnahme von § 154 BGB. und der Fall
des § 155. Alsdann iſt der vorbehaltene Punkt nach
den allgemeinen geſetzlichen Regeln zu ergänzen. (RZ.
60, 178). Daß der Parteiwille dahin ging, den Miet⸗
vertrag auch ohne eine ziffermäßige Feſtſetzung des
Mietzinſes zu ſchließen und dieſe Fiuſczung den all⸗
8 geſetzlichen Regeln zu überlaſſen, belegt das
G. mit einer Reihe von Tatſachen. (Wird 8 80. habe
Berechtigt iſt der Einwand der Reviſion, das BG. habe
den 8 315 BGB. dadurch verkannt, daß es ihn auf
den Fall anwenden wollte, wo jeder von beiden Par⸗
teien die Ausfüllung einer Lücke des Vertrages zu⸗
ſtehen fol. Der § 315 beſchränkt ſich auf den Fall,
in dem nach dem Parteiwillen durch einen der Ver⸗
tragſchließenden die Leiſtung beſtimmt werden ſoll.
Sollen alle Bertragſchließenden die Leiſtung beſtimmen,
ſo bedeutet dies, daß die Beſtimmung nur durch Willens⸗
übereinſtimmung beider Teile erfolgen ſoll. Auf dieſem
Verſehen beruht jedoch das Urteil nicht. Das BG. ſtellt
feſt, daß die Parteien eine Feſtſetzung der Höhe des
Mietzinſes nach billigem Ermeſſen i. S. des § 315
wollten. Alsdann hat aber nicht jeder Teil zu be⸗
ſtimmen, ſondern es ſteht nach $ 316 BGB. die Be⸗
1
ſtimmung im Zweifel dem zu, der die Gegenleiſtung
zu fordern hat, wenn, wie hier, der Umfang der Gegen⸗
leiſtung in Frage kommt. Danach hätte hier der Ver⸗
mieter die Höhe des Mietzinſes beſtimmen dürfen und
nach billigem Ermeſſen beſtimmen müſſen. Das Er⸗
gebnis iſt alſo dasſelbe wie das des BE. (Urt. des
III. 38S. vom 23. Januar 1914, III 442/1913).
3265 — a —
VII.
1. Wird ein wegen Formmangels nichtiges Schen:
kungsverſprechen nach 8 518 Abſ. 2 oder § 607 Abf. 2
BG. dadurch gültig, daß der Schenkende in einem
Schuld ſchein den verſprschenen Betrag als Darlehen zu
ſchulden bekennt? 2. Wie verteilt ſich die Beweislaſt
kia eie der Begründung einer Schuld, wenn der Glän⸗
iger einen Anſpruch anf ein ſchriſtliches Darlehens⸗
bekeuntnis ſtützt und zugibt, kein Darlehen gegeben zu
haben? Aus den Gründen: 1. Das OLG. ſcheint
zu unterſtellen, es ſei zwiſchen dem Beklagten und ſeiner
Frau — der Erblaſſerin der Kläger — ein Vertra
eſchloſſen worden, durch den der Beklagte ihr 3500
ſchenkweiſe verſprochen habe, und er ſcheint weiter an⸗
zunehmen, daß dieſer Vertrag zur Gültigkeit an ſich
der im 8 518 Abſ. 1 Satz 1 BB. für vertragsmäßige
Schenkungsverſprechen vorgeſchriebenen Form bedurft
hätte, daß aber der Mangel der Form nach 8 518 Abſ. 2
durch Begründung der Schuld als einer Darlehensſchuld
geheilt ſei. Wenigſtens faßt die Reviſion die Ausführung
des Os G.'s in dieſer Weiſe auf, da fie Verletzung des
8 518 USB. rügt, weil ein formloſes Schenkungsver⸗
ſprechen nicht dadurch gültig werde, daß es in die Form
eines Darlehensverſprechens gekleidet ſei. Der Reviſion
iſt auch beizuſtimmen, daß aus jenem rechtlichen Geſichts⸗
punkt ſich die Gültigkeit des Darlehnsverſprechens nicht
ergibt. Der Zweck der Formvorſchrift im 8 518 Abſ. 1
Satz 1 BGB. iſt, den Schenkgeber vor Uebereilung bei
VBermögenszuwendungen zu ſchützen, die er nicht ſofort
als ſolche empfindet. Wenn der Schenkgeber auf Grund
des Schenkungsverſprechens einen Schuldſchein über ein
Darlehen ausſtellt, ſo liegt wiederum nur ein Verſprechen
vor. Die verſprochene Leiſtung iſt dadurch nicht i. S.
des 8 518 Abſ. 2 BG. bewirkt. Dieſe Beſtimmung
fordert eine Leiſtung der Art, daß eine Forderung für
den, der beſchenkt werden ſoll, nicht beſtehen bleibt
(RG. Bd. 71 S. 291, 292). Die Gültigkeit des Bekennt⸗
niſſes eines eee, in dem hier fraglichen
Schuldſchein iſt auch aus § 607 Abſ. 2 BGB. nicht zu
entnehmen. Zwar kann nach dieſer Vorſchrift eine Schuld
aus anderem Grunde durch Vereinbarung zwiſchen
Gläubiger und Schuldner in eine Darlehensſchuld um⸗
geſchaffen werden. Aber, wie aus den Worten: „wer
Geld... aus einem anderen Grunde ſchuldet“ ſich er⸗
gibt, iſt Vorausſetzung hierfür, daß eine Schuld aus
anderem Grunde beſteht (RG. Bd. 76 S. 60), und eine
Schuld aus einem wegen Formmangels nichtigen Schen⸗
kungsverſprechen beſteht nicht. Die vorerwähnte Aus⸗
führung des OLG. läßt ſich freilich auch fo verſtehen,
daß durch Ausſtellung des Schuldſcheins über eine Dar⸗
lehensſchuld bereits eine die Erblaſſerin der Kläger
bereichernde Zuwendung aus dem Vermögen des Be⸗
klagten erfolgt ſei, alſo eine fog. Real⸗Schenkung oder
vollzogene Schenkung i. S. des 8 516 BGB. vorliege,
wie etwa beim Ae Erlaß einer Schuld
ſchon durch den Erlaß (RG. Bd. 53 S. 296, Bd. 76 S. 61),
bei ſchenkweiſer Abtretung einer Forderung ſchon durch
die Abtretung (RG. in JW. 1907 S. 73 Nr. 3) eine
den Empfänger bereichernde Zuwendung aus dem Ver⸗
mögen des Schenkgebers u Aber die Zuwendung
ſoll hier darin beſtanden haben, daß eine Forderung
des Beklagten gegen den Schenkgeber begründet wurde
durch ein vom Schenkgeber abgegebenes Verſprechen,
und auf eine ſolche Zuwendung iſt die Beſtimmung des
§ 518 Abſ. 1 Satz 1 BGB. anzuwenden, wonach das
170
*
Verſprechen der dort vorgeſchriebenen Jorm bedarf.
Dies erhellt auch daraus, daß ſelbſt für ein ſchenkweiſe
erteiltes Schuldverſprechen oder Schuldanerkenntnis
der in den 88 780, 781 bezeichneten Art im 8 518 Abſ. 1
Satz 2 BGB. die für Schenkungsverſprechen vorge⸗
ſchriebene Form gefordert iſt, wiewohl es ſelbſtändig
für ſich beſteht und eine Leiſtung i. S. der Vorſchriften
über die Rückforderung einer ungerechtfertigten Be⸗
reicherung iſt (8 812). Die ed des OLG. iſt
daher rechtsirrig, aan wie fie zu deuten iſt.
2. Unzutreffend iſt die Rüge der Reviſion: es ſei
die Beweislaſt verkannt; da der Beklagte kein Darlehen
erhalten habe, ſei der Schuldſchein ohne Wirkung, ſo
lange nicht die Kläger den Beweis führten, daß dem
Schuldſchein ein anderer Rechtsgrund beiwohne. Das in
dem Schuldſchein abgegebene Bekenntnis des Empfangs
des Darlehens begründet zugunſten des Gläubigers
die Vermutung für das Beſtehen der aus dem Schuld⸗
ſchein ſich ergebenden Darlehensforderung. Dieſe Ver⸗
mutung wird nach der 5 3 des
Reichsgerichts (vgl. RGE. Bd. S. 235, Bd. 57
S. 322; Warneyer Rſpr. 1909 Nr. 358 1910 Nr. 428;
1912 Nr. 161; 1913 Nr. 90) nicht ſchon dadurch wider⸗
legt, daß der Gläubiger zugibt, das Darlehen nicht bar
gegeben zu haben. Denn ein Darlehen kann nach 8 607
Abſ. 2 BGB. auch in der Weiſe zuſtande kommen,
daß zur Valutierung andere Schuldbeträge verwendet
werden, vorausgeſetzt, daß, wie oben dargelegt, eine
Schuld in dieſer Hinſicht beſteht. Beruft ſich der Gläu⸗
biger hierauf, ſo hat nicht er den Beweis zu führen,
da ihm das Darlehensbekenntnis zu ſtatten kommt,
ſondern der Schuldner den Gegenbeweis zu erbringen.
Dies muß hier umſomehr gelten, als der Beklagte eine
dem Schuldſchein entſprechende Zahlung ſeines Vor⸗
mundes an die Gläubigerin, die Erblaſſerin der Kläger,
als ohne rechtliche Verpflichtung geleiſtet zurückfordert.
Anderſeits aber müſſen die Kläger ihre Angaben über
die Begründung der Forderung ihrer Erblaſſerin gegen
den Beklagten auch gegen ſich gelten laſſen und ſie
können ſich für das Beſtehen der Forderung nicht auf
das vom Beklagten in dem Schuldſchein abgegebene
Schuldbekenntnis berufen, wenn aus ihren Angaben
zu entnehmen iſt, daß ein Schuldverhältnis rechtlich
nicht begründet worden ee. RG. bei Warneyer Rſpr.
1908 Nr. 506). (Urt. des V. 35. vom 6. Dez. 1913,
v 304/1913). E.
3271
VIII.
Können Nückprall des Regens und Winddrnck als
Einwirkung vom Nachbargrundſtück ans gelten? Aus-
den Gründen: Als irrig wird von der Reviſion
die Ablehnung der Anwendung des 8 907 BGB. bes
mängelt, ſofern ſie damit begründet iſt, daß weder
in dem Rückprall des Regens noch in dem Winddruck
eine ſinnenfällige Einwirkung vom Nachbargrundſtücke
her zu erblicken ſei. Wenn der Regen von den hohen
Wänden des Rathauſes zurückſpringe, ſo handle es ſich
nicht mehr um eine rein „negative Einwirkung, ſondern
Zeitſchrift für ir Rechtspflege in Bayern. 1914.
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um eine unmittelbare Zuführung. Das gleiche gelte
auch von dem Winddruck, der die Oefen und Herde
rußen laſſe. Es handle ſich dabei um einen ganz anderen
phyſikaliſchen Vorgang als in dem vom Reichsgericht
Nentſchiedenen Falle (JW. 1909 S. 161 Nr. 10), wo ein
Gebäude einer Windmühle den Wind aus den Flügeln
genommen hatte; dort ſei die Luftbewegung allerdings
überhaupt gar nicht auf das Windmühlengrundſtück
gelangt geweſen, während ſie hier von dem Grundſtücke
der Beklagten auf das der Kläger zurückgeworfen werde.
Dieſe Angriffe ſind unbegründet. Das OLG. hat nicht
darin Unrecht, daß die Vorſchrift des 8 907 BGB. fireng
auszulegen ſei, weil er eine Ausnahme, eine Beſchrän—
kung des Eigentümers in der Ausübung ſeiner Rechte
enthalte. Regel iſt und bleibt der Grundſatz des 8 903
BGB., daß der Eigentümer einer Sache mit der Sache
|
Nr. 8.
nach Belieben verfahren kann, ſoweit nicht das Geſetz
oder Rechte Dritter Augen nſtehen. Der Eigentümer
eines Grundſtücks, deſſen Recht ſich nach 8 905 BGB.
auch auf den Raum über der Oberfläche erſtreckt, kann
beliebig hoch bauen, ſoweit er nicht durch ein geſetz⸗
liches oder baupolizeiliches Verbot oder durch ein be⸗
ſonderes Recht Dritter gehindert iſt. Zum Bau eines
1 6 aber gehören Mauern, Wände und Dach. Da⸗
durch gerade werden bewohnbare und benützbare, ge⸗
ſchloſſene Räume geſchaffen und werden dieſe Räume
ſowie deren Bewohner und ihre Habe vor Wind und
Wetter geſchützt. Das darf der bauende Eigentümer
tun, mag es gleich einem Nachbar unbequem oder ſo⸗
gar nachteilig ſein. Eine Ausnahme von der Regel
der freien Befugnis des Eigentümers enthält der 8 907
BGB., der in gewiſſem Zuſammenhang mit dem die
Ausſchließungsbefugnis des Eigentümers beſchränken⸗
den 8 906 BGB. ſteht. Der 8 907 gewährt einen vor⸗
beugenden Schutz gegen eine „unzuläſſige Einwirkung“,
die der Beſtand oder die Benutzung einer Anlage auf
das Nachbargrundſtück zur Folge hat. Wie dieſer Be⸗
griff zu beſtimmen und zu begrenzen ſei, iſt in dem
Urteile des V. 38S. (RG. 51, 251) dargelegt. Dabei
kommt es nicht ausſchließlich auf den Gegenſatz von
„poſitiven“ und „bloß negativen“ Einwirkungen an und
es kann dahingeſtellt bleiben, ob man hier das angeb⸗
liche „Zurückwerfen“ des Regens und Windes durch
die Mauern des Rathauſes als etwas nur „negativ“
wirkendes bezeichnen darf. Das weſentliche iſt viel⸗
mehr folgendes. Das Abprallen des Windes und des
Regens iſt ein Naturvorgang, der an ſich nicht von
dem Neubau ausgeht, ſondern auf dem Walten der
Naturgeſetze beruht, ohne daß dabei der Neubau anders
als abwehrend mitwirkt. Wenn freilich das mit dieſem
Bau der natürlichen Luftbewegung entgegengeſtellte
Hindernis durch das Menſchenwerk des höheren Hauſes
geſchaffen iſt, ſo kann doch darin unmöglich eine Zu⸗
führung oder Zuleitung von Stoffen, geſchweige von
Beſtandteilen aus dem Bauwerk auf das Nachbargrund⸗
ſtück erblickt werden. Und keinesfalls ſteht hier eine
unmittelbare unzuläſſige Einwirkung in Frage. Die
Abhaltung oder auch Ablenkung von Wind und Nieder-
ſchlägen wird ohne weitere, beſondere Veranſtaltung
nur durch das Daſein des Gebäudes, der höheren
Giebelwand, bewirkt. Dieſe natürliche und unvermeid⸗
liche Folge eines geſetzlich und baupolizeilich erlaubten
Bauens muß fi der Nachbar gefallen laſſen. Von
einer Anwendung des 8 907 BGB. kann in einem ſolchen
Falle keine Rede ſein. Sonſt würde ſchließlich, wenn
niemand höher bauen dürfte, als das Nachbar aus iſt,
das Bauen wenigſtens in geſchloſſener Bauweiſe über⸗
haupt nicht mehr möglich ſein. (Urt. d. VI. ZS. vom
27. November 1913, VI 493/13). — —— n
3293
IX.
Auslegung eines Teſtaments; die Be egeihuung einer
Perſon als Erbe ſteht der Annahme nicht entgegen, daß
fie uur den Pflichtteilsanſpruch haben ſolle. In 81
des Teſtaments erklärt der Erblaſſer, er ernenne zu
ſeinen „Erben“ ſeine 8 Kinder, darunter auch den Kläger,
ſowie einen weiteren Sohn namens Walter. In 82
iſt geſagt, das Vermögen werde den Kindern unter
den in 8 4 angegebenen Beſtimmungen „vermacht“.
In 8 4 heißt es dann, der Kläger werde „bis auf
die Hälfte des Pflichtteils', Walter bis auf den
Pflichtteil enterbt und die beiden Söhnen entzogenen
„Erbteile“ ſollten auf ihre 6 Geſchwiſter zu gleichen
Teilen übergehen. In 88 iſt geſagt, dasjenige von
den 6 nicht auf den Pflichtteil oder die Hälfte des Pflicht-
teils geſetzten Kindern, das es unternehme, das Te
ſtament oder ſeine Nachträge in irgendeiner Weiſe an—
zugreifen, werde bis auf den geſetzlichen Pflichtteil
enterbt.
Aus den Gründen: Das OG. legt das Te⸗
ſtament dahin aus, daß der Kläger von der Erbfolge
gänzlich ausgeſchloſſen ſein und nur einen Anſpruch
auf Zahlung einer dem vierten Teile des Wertes ſeines
geſetzlichen Erbteils entſprechenden Geldſumme, alſo
einen Pflichtteilsanſpruch, haben ſolle. Bei dieſer Aus⸗
legung berückſichtigt es, daß das Teſtament unter der
Herrſchaft des Märkiſchen Provinzialrechts errichtet fei
und daß es bei Märkiſchen Teſtamenten allgemein üblich
geweſen ſei, alle Pflichtteilsberechtigten vorweg als
Erben zu bezeichnen, auch dann, wenn der eine oder
der andere Pflichtteilsberechtigte lediglich mit einer be⸗
ſtimmten Sache oder Summe bedacht wurde, ſo daß
alſo inſoweit die Erbeinſetzung nur eine formelle habe
ſein ſollen (honor institutionis). Einen beſonderen Hin⸗
weis auf eine ſolche Bedeutung des 8 1 findet das OLG.
in 8 2 des Teſtaments, in dem offenbar damit erſt die⸗
jenigen Beſtimmungen eingeleitet würden, die die eigent⸗
liche Verfügung über den Nachlaß beträfen. Unter⸗
ſtützt ſieht es ſeine Anſicht durch die Faſſung des 84,
da die Wendung „enterbe ich bis auf“ genau dem Wort⸗
laute der betreffenden Beſtimmung in 8 8 entſpreche,
darüber aber kein Zweifel beſtehen könne, daß einem
Kinde, das das Teſtament angreife und für dieſen Fall
auf den Pflichtteil geſetzt ſei, die Rechtsſtellung eines
Erben nicht eingeräumt ſein ſolle. Dieſe Auslegung
iſt rechtlich durchaus möglich. Der Umſtand, daß der
Erblaſſer den Kläger in 8 1 des Teſtaments „zum
Erben“ ernennt, daß er in 84 von feinem „Erbteil“
ſpricht und daß er auch Da wiederholt dieſe Wörter
für alle ſeine Kinder gleichmäßig gebrauchen mag, nötigt
„ zu der Annahme, daß auch der Kläger wirk⸗
licher Erbe ſein ſolle, läßt vielmehr ſehr wohl die Auf⸗
faſſung zu, daß er gleichwohl nur einen Geldanſpruch
haben ſolle. Bei der Auslegung eines Teſtaments kommt
es eben nicht auf den Wortlaut einzelner Beſtimmungen,
„ darauf an, was der Inhalt der letztwilligen
e in ihrer Geſamtheit als wahren, wenn auch
unvollkommen ausgedrückten Willen des Erblaſſers
ergibt (vgl. die 88 133, 2087 BGB.). Die Reviſion
beruft ſich demgegenüber auf ein Urteil des Se⸗
nats vom 22. November 1906 dafür, daß die Erben⸗
ſtellung aus dem Wortlaute eines Teſtaments ſogar
gegen den Willen des Erblaſſers hervorgehen könne;
in dieſem Urteile iſt allerdings geſagt, ein Pflichtteils⸗
berechtigter könne auch gegen den Willen des Erblaſſers
Erbe werden. Die Entſcheidung bezieht ſich aber, was
die Reviſion überſieht, ausſchließlich auf den Sonder⸗
fall des 8 2306 Abſ. 2 in Verbindung mit Abſ. 1 Satz 1
BGB., auf den Fall nämlich, daß ein Pflichtteilsbe⸗
rechtigter als Nacherbe, alſo doch immerhin als Erbe,
eingeſetzt iſt und der ihm hinterlaſſene Erbteil die Hälfte
des geſetzlichen Erbteils nicht überſteigt. In dieſem
Falle geht die Berufung zur Nacherbſchaft von Geſetzes
wegen in eine Berufung zur unmittelbaren Erbfolge
über. Wie aber daraus für den vorliegenden, gänzlich
anderes gearteten Fall etwas zugunſten der Reviſion
ſollte hergeleitet werden können, iſt nicht erſichtlich.
Die Auslegung, die das OLG., ſoweit die rechtliche
Stellung des Klägers in Frage kommt, den Beſtim⸗
mungen des Teſtaments in ihrer Geſamtheit gibt, ver⸗
letzt weder geſetzliche Auslegungsregeln noch läßt ſie
ſonſt erkennen, daß fie irgendwie von Rechtsirrtum be=
einflußt wäre. Die 88 2 und 8 des Teſtaments ins⸗
beſondere, die das Gericht zur Unterſtützung feiner Auf:
[offung heranzieht, laſſen ſich fo verwerten, wie fie
as Gericht verwertet; jedenfalls gibt die Art der Ver⸗
wertung zu Bedenken rechtlicher Art keinen Anlaß.
(Urt. des IV. 35. vom 3. November 1913, IV a
3269 ;
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
—nn— . —————— — —— p — ⏑p——— ß —— . ' nn nn — — ů—
B. Strafſachen.
I.
Macht fi der gegen Proviſion arbeitende Agent
einer Ber Gerungsgeſelf aft des Betrugs ſchuldig, wenn
er durch Ser le en Abſchluß ven Berfiherungs:
verträgen herbeifüährt, bei denen die Verſicherungsnehmer
für ihre Verpflichtung zur Prämienzahlung einen ent⸗
ſprechenden Gegenwert durch die Verpflichtung der Ber:
cherungsgeſellſchaft jur Entſchädigung erhalten? Welche
Bedeutung kommt hier der Möglichkeit zu, daß die Ber:
ſicherungs nehmer den Bertrag aufecht en und ihnen dadurch
Koſten erwachſen? Aus den Gründen: Die Ver⸗
ſicherungsnehmer erhielten für ihre e zur
Prämienzahlung einen entſprechenden Gegenwert durch
die Verpflichtung der Verſicherungsgeſellſchaft zur Ent⸗
. bei Haftpflichtfällen. Inſofern war alſo
eine Vermögensbeſchädigung der Verſicherungsnehmer
i. S. des 8 263 StGB. nicht gegeben und zwar auch
nicht etwa für die Zeit, ſolange die Verſicherungspolice
noch nicht ausgeſtellt war; denn die Verpflichtung zur
Prämienzahlung konnte für das Vermögen der Ver⸗
ſicherungsnehmer immer nur unter der Vorausſetzung
der Gegenleiſtung Bedeutung haben und auch die Mög⸗
lichkeit einer Anfechtung kann hier nicht von Belang
ſein, wie ſich aus folgendem ergeben wird. Daß die
Verſicherungsnehmer ihre Willenserklärung und damit
den Verſicherungsvertrag jeweils wegen Irrtums an⸗
fechten konnten (8 119 BGB.), dann aber ihnen ihre
urkundlichen Verſicherungsanträge die gerichtliche Gel⸗
tendmachung der Anfechtung erſchwerten und ihnen
durch dieſe Geltendmachung Unkoſten erwuchſen, kann
nämlich für das Tatbeſtandsmerkmal der Vermögens⸗
beſchädigung nach dem feſtgeſtellten Sachverhalt deshalb
nicht in Betracht kommen, weil es an dem urſaäͤchlichen
Zuſammenhang zwiſchen der Täuſchung der Verſiche⸗
rungsnehmer und dem für dieſe mit der e
verbundenen Vermögensſchaden fehlt. Wenn die Ver⸗
ſicherungsnehmer durch die von der Geſellſchaft ihnen
gegenüber eingegangenen Verpflichtungen für ihre Lei⸗
ſtungen einen vollen Gegenwert erhielten, ſonach durch
den Abſchluß des Verſicherungsvertrags an ihrem Ver⸗
mögen nicht geſchädigt worden waren, dann liegt die
Urſache für den Vermögensſchaden, der ihnen ſpäterhin
etwa aus der Anfechtung erwuchs, in einer Betätigung
des freien Willens der Verſicherungsnehmer ſelbſt.
Daran wird durch den Umſtand nichts geändert, daß
das Anfechtungsrecht der Verſicherungsnehmer von
vornherein durch das Vorhandenſein eines dem Gegner
zu Gebote ſtehenden urkundlichen Gegenbeweismittels
beeinträchtigt war, da trotz des Beftehens des Anfech⸗
tungsrechts beim Ausgleich von Leiſtung und Gegen-
leiſtung der Geſamtwert des Vermögens der Verſiche⸗
rungsnehmer infolge des Abſchluſſes der Verſicherungs⸗
verträge keine Aenderung erfuhr (RG. Bd. 16 S. 1).
Anders läge die Sache nur dann, wenn ein Verſiche⸗
rungsnehmer nach feinen beſonderen Verhäͤltniſſen,
ſoweit dieſe dem Angeklagten bekannt waren, die Ueber⸗
nahme der Verpflichtungen aus dem Verſicherungsver⸗
trage als eine Laſt hätte empfinden müſſen, die durch
den Wert der Rechte aus dem Verſicherungsvertrage
nicht in ihrer vollen Höhe ausgeglichen worden wäre,
ſo daß er zur Beſeitigung dieſer Mehrbelaſtung ſeines
Vermögens von dem Anfechtungsrechte hätte Gebrauch
machen müſſen. Aber auch dann wäre die für den Tat⸗
beſtand des 8 263 StB. maßgebende Vermögensbe⸗
ſchädigung keineswegs allein in den Koſten des Ans
fechtungsprozeſſes, ſondern in der unverhältnismäßigen
Belaſtung des Verſicherungsnehmers und der damit
verbundenen Vermögensminderung zu finden, die der
Angeklagte durch Täuſchung verurſacht hätte, und die
Koſten des Anfechtungsprozeſſes könnten dabei nur in—
ſofern in Betracht kommen, als fie mit der Vermögens-
minderung und der Zwangslage zuſammenhängen
würden, die von dem Angeklagten durch Täuſchung
172
— —— —E—P02— — =
des Verſicherungsnehmers verurſacht worden wäre.
Nach den Feſtſtellungen des Urteils iſt aber eine ſolche
Vorausſetzung in keinem der vorliegenden Fälle gegeben.
Dagegen kommt betrügeriſches Handeln des Beſchwerde⸗
führers aus einem anderen Geſichtspunkt in Frage. Der
Angeklagte hat der Verſicherungsgeſellſchaft in jedem
Falle die unwahre Tatſache vorgeſpiegelt, daß ein [ad
lich in Ordnung gehender Verſicherungsantrag vorliege,
und hat damit zugleich die Tatſache unterdrückt, daß
der urkundliche Antrag nicht dem wahren Willen des
Antragſtellers entſprach und deshalb anfechtbar war;
er hat dadurch die Verſicherungsgeſellſchaft in Irrtum
verſetzt, zur Ausſtellung einer dem formell vorliegenden
Verſicherungsantrag entſprechenden Police beſtimmt und
ür ſich ſelbſt einen Anſpruch auf Proviſion begründet,
er ſelbſtverſtändlich nach ſeiner Abſicht für ihn ver⸗
wirklicht werden ſollte und vielleicht auch alsbald und
noch vor der Anfechtung des Verſicherungsver⸗
trags verwirklicht worden iſt. Hiermit war aber
die Geſellſchaft an ihrem Vermögen beſchädigt, da ſie
die Anfechtung des Verſicherungsvertrags zu erwarten
hatte, mit der Anfechtung das angefochtene N häft
als von Anfang an nichtig anzuſehen war (8 142 BGB.),
auf das Obſiegen des materiellen Rechtes im Rechts⸗
ſtreit gerechnet werden muß und demzufolge der Pro⸗
viſionsanſpruch des Angeklagten ungerechtfertigt und
die Verſicherungsgeſellſchaft an ihrem Vermögen ge⸗
ſchädigt iſt. (Urt. des I. StS. vom 24. November 1913,
I D 748/1913). E.
3246
II.
3352 Sts. ift nicht anwendbar, wenn ein Bes
amter überhaupt kein Necht zur Gebührenerhebung hat.
Aus den Gründen: Die Vorſchrift des 8 352 ſchließt
wegen ihrer allgemeinen Faſſung einen Zweifel über ihre
Tragweite allerdings nicht aus (RG. 19, 30 insbeſ. 35 ff.).
Mit Rückſicht auf die Entſtehungsgeſchichte und nach dem
Wortlaut muß aber daran feſtgehalten werden, daß
von einem eigennützigen übermäßigen Gebührenbezug
nur geſprochen werden kann, wenn ein Beamter, dem
das Recht zur Erhebung von Gebühren als Rechts⸗
anſpruch kraft ſeiner Dienſtbefugniſſe zuſteht, die Be⸗
richtigung nicht geſchuldeter Gebühren einzelnen Per⸗
fonen anfinnt. 8 352 erwähnt nicht lediglich einen
Beamten, der Gebühren „erhebt“, ſondern einen ſolchen,
der Gebühren „zu erheben hat“. Die Faſſung weiſt
darauf hin, daß dem Beamten ein Anſpruch kraft
eigenen Rechts zukommen und die Gebühr unmittelbar
zu feinem Vorteil erhoben werden muß (RG. 19, 30
insbeſ. S. 37). (Urt. des I. Sts. vom 11. Dezember
1913, 1 D 824/1913). E.
3273
III.
JR ein Kaufmann fo krank, daß er die Bilanz auch
unter Mitwirkung einer Hilfskraft nicht ziehen kann, fon:
dern durch einen anderen ziehen laſſen müßte, fo kaun er für
die Unterlaſſung nicht geftraft werden. Aus den Grün⸗
den: Bedenklich iſt die Anſicht, daß der Angeklagte trotz
Erkrankung die Bilanz durch einen Angeſtellten habe fer⸗
tigen laſſen können. Die Bilanzziehung liegt dem Inhaber
des Handelsgewerbes ob. Er muß die Bilanz auch unter⸗
zeichnen. Die Uebertragung dieſes Geſchäfts ſeinem
ganzen Umſang nach auf einen Dritten iſt nicht zu⸗
läſſig. War der Angeklagte aber infolge einer ſchweren
Gehirnerſchütterung in dem Grad, wie der Beweis⸗
antrag behauptet, erkrankt, ſo war er möglicherweiſe
nicht imſtande, einen Angeſtellten mit ihrer Anfertigung
zu beauftragen und deſſen Tätigkeit ſo zu leiten und
zu überwachen, daß er die Zuſammenſtellung prüfen,
ſie als richtig genehmigen und unterzeichnen konnte.
Deshalb mußte auf die Art der Erkrankung näher ein⸗
gegangen werden, beſonders darauf, ob ſie ſo unter⸗
eordneter Art war, daß ſie die Bilanzziehung unter
Mitwirkung einer Hilfskraft ermöglichte (RG. Entſch.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8. N
Bd. 1 S. 49, Rechtſpr. Bd. 7 S. 730). War aber der
Angeklagte tatſächlich außerſtande, die Bilanz zu fer⸗
tigen, ſo konnte er nicht beſtraft werden. Set des
I. StS. vom 11. Dezember 1913, 1 D 1025/13).
3245
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Großeltern haben gegen die Anordunng Der Bene:
erziehung über einen Enkel in der Negel kein Beſchwer
recht (Zw. Art. 4, 12; 388. SS 20, 57 Abſ. 1 Ziff. 9,
Abf. 2). Die Eheleute H. legten gegen die vom Be:
ſchwerdegerichte beſtätigte Anordnung der Zw. des
minderjährigen ehelichen Kindes ihrer ehelichen Tochter
die ſofortige weitere Beſchwerde ein. Sie wurde als
unzuläſſig verworfen.
Gründe: In der Rechtslehre wird angenommen,
daß nur die im Art. 4 Zm&®. aufgeführten Beteiligten
auf die ſofortige Beſchwerde beſchränkt find, den übrigen
Beteiligten aber die einfache Beſchwerde zuſteht. Hier⸗
durch würde jedoch der Zweck des Geſetzes vereitelt,
einerſeits möglichſt rafch die Angelegenheit zu erledigen
und andrerſeits die immerhin mißliche Aufhebung einer
tatſächlich eingeleiteten ZmE. zu vermeiden. Es wird
deshalb an der Anſicht feſtgehalten, daß eine die Zwé.
anordnende Verſügung nur von den im Art. 4 bes
zeichneten Perſonen und nur mit der ſofortigen Be⸗
ſchwerde angefochten werden kann und daß eine Ent⸗
ſcheidung des L. über eine ſolche Verfügung nur mit
der ſofortigen weiteren Beſchwerde angefochten werden
kann. In der weiteren Beſchwerde wird die Berech⸗
tigung der Großeltern darauf geſtüͤtzt, daß fie nach
88 1601 ff. BGB. u. U. unterhaltspflichtig find und
daß die Anordnung der Zw. eine die Sorge für die
Perſon des Minderjährigen betreffende Angelegenheit
enthält und die Großeltern ein berechtigtes Intereſſe
haben, eine ſolche Angelegenheit wahrzunehmen. Die
weitere Beſchwerde behauptet alſo, daß durch die An⸗
ordnung der Zw. wegen der Unterhaltspflicht der
Großeltern deren eigenes Recht verletzt wird. Die Bes
ſchwerde wird alfo inſoweit auf den nach Art. 12 Zw eG.
anwendbaren 8 20, im übrigen auf den 8 57 Abſ. 1
Nr. 9 FJ. gegründet. Allein die Unterhaltspflicht
der Großeltern wird durch die Anordnung der Zw.
nicht berührt. Denn wenn Großeltern gegenüber einem
Enkel unterhaltspflichtig ſind, iſt es auf ihre Unter⸗
haltspflicht ohne Einfluß, wo ſich der Enkel befindet;
es kommt alfo auch nicht in Betracht, ob er in Zw.
genommen iſt. Anders wäre es nur, wenn die Groß⸗
eltern dem Enkel den Unterhalt ſtatt in Geld in Natur
gewähren dürften. Dies 10 aber nach § 1612 Abſ. 1
BGB. nicht der Fall. Daß nach der Abſicht des Ge-
95 das Beſchwerderecht der Großeltern nicht auf ihr
nanzielles Intereſſe an dem Unterhalte des Kindes
geſtützt werden kann, iſt auch daraus abzuleiten, daß
von dem Ausſchuſſe der AbgK. beantragt worden war,
in den Abſ. 3 des Art. 4 wegen der der Staatskaſſe
nach dem Art. 8 Abſ. 2 obliegenden Verpflichtung auch
die Kreisfiskalate als Vertreter des Fiskus aufzunehmen,
daß aber dieſer Antrag abgelehnt wurde. Die Unter⸗
haltspflicht der Großeltern iſt allerdings inſofern
von Bedeutung, als aus ihr das berechtigte 5
abgeleitet werden kann, auf Grund deſſen der $
Abſ. 1 Nr. 9 FGG. die in ihm verliehene Beſchwerde⸗
berechtigung gewährt. Allein da es ſich hier um die
ſofortige Beſchwerde handelt, kann das Veſchwerderecht
auf $ 57 Abſ. 1 Nr. 9 FGG. wegen des 8 57 Abſ. 2
überhaupt nicht geſtützt werden. (Beſchl. d. I. 85. vom
30. Januar 1914, Reg. III 6/1914). W.
3805
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
173
— — — ũ—ueͤñ— — —— — — ͤ —
II.
8 des gelöihten Eintrags einer
durch Konkurs anigelöften G. m. b. H. Dauer und Anſ⸗
gaben des Lianidationsverfahrens. Im i
iſt die Firma „Süddeutſche G. Warenfabrik m. b. H.“ ein»
getragen. Am 2. April 1912 wurde über ihr Ver⸗
mögen Konkurs eröffnet. Das Verfahren wurde durch
Zwangs vergleich erledigt. Die Fortſetzung wurde nicht
beſchloſſen. Am 30. November 1912 meldete der frühere
Geſchäftsführer P. zur Eintragung an, daß er nunmehr
Liquidator ſei. Auf weitere Anmeldung wurde am
30. April 1913 das Erlöſchen der Firma eingetragen.
A ftellte ſich heraus, daß zwiſchen der Firma
D. als Klägerin und der Süddeutſchen G. Warenfabrik
m. b. H. als Beklagten ein Rechtsſtreit über die
Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung mehrerer
Forderungen anhängig war. Darauf eröffnete das
Regiſtergericht dem P., daß es die Eintragung des
Erlöſchens der Firma tilgen und die früheren Ein⸗
träge der Geſellſchaft und des Liquidators wiederher⸗
ſtellen werde, wenn nicht Widerſpruch erhoben werde.
Der Widerſpruch des P. wurde zurückgewieſen; ebenſo
die ſofortige Beſchwerde. Auch feine ſofortige weitere
Beſchwerde hatte keinen Erfolg.
Gründe: Die G. m. b. H. wird durch den Kon⸗
kurs aufgelöſt (GmbHG. 8 60 Nr. 4). Ihre Liqui⸗
dation findet erſt nach der Beendigung des Konkurs⸗
verfahrens ſtatt. Das LG. hält die Liquidation noch
nicht für beendet, weil noch ein Rechtsſtreit zwiſchen
der G. m. b. H. und einem Gläubiger ſchwebt und es
nicht ausgeſchloſſen ſei, daß der G. m. b. H. hieraus
ein Anſpruch gegen die Klagepartei, wenn auch vielleicht
nur auf Koſtenerſtattung, erwachſe oder daß ſich noch
eine Verpflichtung gegen die Klägerin ergebe. Die
Liquidation ſei daher nicht erledigt. Der Beſchwerde⸗
führer glaubt, daß kein Anlaß zur Wiederherſtellung
der Einträge beſtehe, da der ah nur noch ge:
ringfügige Gegenſtände a und eine Schädigung
der Gegenpartei ſchon dadurch ausgeſchloſſen ſei, daß
der Kaufmann H. ſich den nichtbevorrechteten Gläu⸗
bigern gegenüber für die Zwangsvergleichsquote ver⸗
bürgt habe.
Die G. m. b. H. tritt mit der Beendigung des Kon⸗
kurſes in Liquidation. Durch die Auflöſung iſt nur
der Erwerbstätigkeit ein Ziel geſetzt, nicht aber ver⸗
ſchwindet ſie hinſichtlich begründeter Rechtsverhältniſſe
aus dem Verkehr; dieſe Rechtsverhältniſſe müſſen viel⸗
mehr im Konkursverfahren abgeſchloſſen werden und,
falls ſie darin nicht vollſtändig erledigt werden, im
nachfolgenden Liquidations verfahren. Nach 8 70
mbH. haben die Liquidatoren die laufenden Ge⸗
ſchäfte zu beendigen, die Verpflichtungen der Geſell⸗
ſchaft zu erfüllen, die Forderungen einzuziehen und
das Bermögen in Geld umzuſetzen. Zur Beendigung
laufender Geſchäfte gehört auch die Erledigung ſchwe⸗
bender Prozeſſe. Solange der Rechtsſtreit noch ſchwebte,
war alſo die Aufgabe der Liquidatoren, daher auch
die Liquidation nicht beendigt. Daß ſich der Kauf⸗
mann H. den Konkursgläubigern verbürgt hat, kommt
nicht in Betracht; denn zunächſt haftet immer noch die
Süddeutſche G. Warenfabrik m. b. H. der Klägerin,
wenn auch nur mit der Vergleichsquote, für ihre An⸗
ſprüche; die Klägerin kann nicht gezwungen werden,
ihre Anſprüche aufzugeben und gegen den Bürgen mit
neuer Klage vorzugehen. Die Berufung auf die Ent⸗
ſcheidung des Senats vom 26. März 1903 (n. S. 4
S. 226) geht fehl. Es handelte ſich dabei nicht um
eine G. m. b. H. ſondern um eine Einzelfirma. Bei
dieſer wird allerdings die Firma als ſolche bedeutungs⸗
los, wenn der Inhaber den Geſchäftsbetrieb endgültig
eingeſtellt und die Handelsniederlaſſung aufgehoben
hat; für die Verbindlichkeiten haftet nach wie vor der
Geſchäftsinhaber perſöͤnlich. Bei der G. m. b. H. da⸗
gegen iſt die juriſtiſche Perſon auch nach Einſtellung
des Geſchäftsbetriebs Träger der Rechte und Verpflich⸗
tungen und findet nach Auflöſung der Geſellſchaft die
Liquidation ſtatt (8 66 GmbH.). Die Geſellſchaft
hört mit dem Eintritte der Liquidation nicht auf, nur
ihre Art und ihr Zweck werden verändert (Staub,
mbH. 8 60 Anm. I. 1). (Beil. des J. ZS. v.
16. Januar 1914, Reg. III, 107/1913). W.
3276
B. Strafſachen.
I.
Verpflichtet anch ein Tormlojer Kanſvertrag zur An:
zeige nach Art. 2 6836.7 Aus den Gründen: Die
Anzeigepflicht nach Art. 2 G8. hängt nicht von dem
Vorhandenſein eines nach bürgerlichem Rechte gültigen
Kaufvertrags, eines notariellen Kaufvertrags ab. Das
G38., das mit feinen Vorläufern, insbeſondere dem
GrE®., ein Ganzes bildet, bekämpft volkswirtſchaftliche
Schäden und Gefahren (v. Braun, 38.2. Aufl. S. XII),
ſeine Maßregeln gehören daher weſentlich dem öffent⸗
lichen, dem Polizeirecht an. Auch die Organe, deren
es ſich bedient, ſind teils öffentliche (Diſtriktsverwal⸗
tungsbehörden, Gemeindeausſchüſſe), teils ſolche, deren
gemeinnützigen Zwecken ein Vorzug vor den eigen⸗
ſüchtigen Beſtrebungen der Güterhändler zukommen
fol. Für die Darlehenskaſſenvereine uſw. (f. Art. 1
Abſ. 18388.) iſt insbeſondere die Ausübung des Vor⸗
kaufes weniger ein Recht, als eine ſoziale Aufgabe;
e ſollen den Bauernſtand gegen die Ausbeutung durch
en gewerbsmäßigen Güterhandel ſchützen.
Unbegründet iſt der Einwand, daß die Anzeige⸗
pflicht des Art. 2 in enger nung zum Art. 1 ſtehe,
daß fie entſprechend dem 8 510 BGB. ein Gegenſtück
des Vorkaufsrechtes bilde und daher ſtets ein Assen
begründetes Vorkaufsrecht vorausſetze. Die Anzeige⸗
pflicht des Güterhänblers, die erſt recht eine wirtſchafts⸗
polizeiliche Einrichtung iſt, beruht nicht allein auf dem
Art. 2; ihre auf den allgemeinen Vorbehalt in Art. 17
geſtützte Regelung durch die Bek. vom 24. Auguſt 1910
verfolgt weitergehende und mehrerlei Zwecke: zunächſt
die Sicherung der Ausübung von Vorkaufsrechten (8 1),
ſodann die polizeiliche Ueberwachung der en
merungen ($ 2), endlich beſondere Schutzmaßnahmen
in bezug auf Waldgrundſtücke, Bodenzinsbelaſtung,
Abmarkung uſw. (88 7, 9 u. a.). Beſonders die An⸗
zeige nach § 1 (Art. 2 des Geſ.) ſoll den Perſonen des
Art. 1 die Entſchließung über ihr pflichtmäßiges Ein⸗
greifen bei einem Güterhandel ermöglichen; dieſem
Zwecke dienen die im Geſetze genannten Erforderniſſe
der Anzeige; deren Ergänzung durch Angabe der no⸗
tariellen Urkunde hat erſt die Vollzugsbekanntmachung
hinzugefügt. Dem Zweck iſt nun ſchon dann genügt,
wenn die weſentlichen Beſtandteile eines Kaufes, die
Einigung über deſſen Gegenſtand, den Kaufpreis und
die Zahlungsbedingungen vorliegen. Auch bei einem
nicht notariell beurkundeten Gutskaufe iſt die Anzeige
nicht unwichtig, da ſie das Einſchreiten der Behörde
gegen die ſpätere Zertrümmerung ermöglicht. Denkbar
iſt übrigens, daß z. B. der Darlehenskaſſenverein, der
auf dieſem Wege gewiſſe Abmachungen mit dem Güter⸗
händler erfährt, im unmittelbaren Verkehr mit dem
verkaufsluſtigen Bauern oder auch im Zivilrechtswege
ſeine Anſprüche auf den Vorkauf ſichert. Zu beachten
iſt ferner, daß die Anzeigepflicht doppelt iſt: der Güter⸗
händler hat von dem Anweſenserwerb und von der
beabſichtigten Zertrümmerung je eine Anzeige zu er⸗
ſtatten. Wäre ihm nun erlaubt, die erſtere durch ein
formloſes Erwerbsgeſchäft zu umgehen, 8 entfiele mit
der hierauf bezüglichen Anzeige für die nach Art. 1
Abſ. 1 Beteiligten regelmäßig die Möglichkeit, ihre
Rechte und die Intereſſen des Anweſensverkäufers wahr⸗
zunehmen.
Sowohl nach bürgerlichrechtlichen Grundfätzen, als
auch nach dem öffentlichen Recht, insbeſondere dem
Gebührenrecht, iſt die Umgehung der rechtmäßigen
Geſchäftsform. hier des Kaufvertrags, zu unlautern
Zwecken durch die Auslegung hintanzuhalten, derzufolge
das umgangene, durch andere Formen verdeckte Ge⸗
ſchäft maßgebend bleibt. Nach den hier maßgebenden
öffentlichrechtlichen Geſichtspunkten muß, was die Par⸗
teien unter ſich als Kauf vereinbart haben und fort⸗
K laſſen wollen, auch hinſichtlich der polizeilichen
nzeigepflicht als Kauf gelten, zumal wenn auch noch
die Vollmacht durch den Ausſchluß der Schranke in
8181 BGB. und durch den, ſei es ganz ausgeſchloſſenen
oder durch die hohe Anzahlung erſchwerten Widerruf
die Kaufabſicht verrät (vgl. Obs Z. Bd. 12 S. 332
gi 10 und v. d. Pfordten in Bay ZfR. 1911 S. 304).
er Güterhändler fol nicht nur den Bevollmächtigten
hervorkehren dürfen, wenn die Anzeigepflicht in Frage
kommt. Aehnliche Umgehungen bekämpfen denn auch
das 836. und das Er&d. mehrfach (Art. 1 Abſ. 3,
Art. 6, 8, 12 88., Art. 19 Halbſ. 1 Gr.). Aus
§ 2 Abſ. 3 der VollzBek. kann nicht abgeleitet werden,
daß hiemit die Umgehung unſchädlich gemacht ſei; denn
§ 2 bezieht ſich auf die zweite, auf die ſog. Zertrüm⸗
merungsanzeige des Güterhändlers, die mit dem Vor⸗
kaufsrechte nichts zu tun hat. Wertlos iſt ferner der
Hinweis des Beſchwerdeführers auf das Rücktrittsrecht,
das nach der im Vergleiche zu Art. 1—4 G3. weiter
gehaltenen Faſſung der Art. 5 ff. den Beteiligten auch
gegenüber einem Scheingeſchäfte, ja ſelbſt bei einer
unwiderruflichen Vollmacht des Güterhändlers gewahrt
bleibe. Um dieſe Frage handelt es ſich überhaupt nicht,
ſondern nur um das Vorkaufsrecht und um den Um⸗
fang der hierauf bezüglichen Anzeigepflicht. Die letztere
ſoll es auch den Vorkaufsberechtigten ermöglichen, das
Vorhandenſein ihres Rechtes zu prüfen; es ſoll dieſe
ame nicht dem Güterhändler allein überlaffen
eiben.
Die dreitägige Anzeigepflicht nach Art. 2 GG.
beginnt mit dem Abſchluß des privaten Kaufvertrages,
der übrigens gegebenenfalls durch die Ausſtellung der
Vollmacht noch formell beſtätigt und zeitlich feſtgelegt
iſt (vgl. a. Sturm, BlAdmPr. Bd. 62 S. 229). Die Wich⸗
tigkeit der hier in Frage ſtehenden volkswirtſchaftlichen,
alſo öffentlichen Intereſſen war der Anlaß, die Aus⸗
übung des Vorkaufsrechtes durch ſtrenge Strafe (Ver⸗
gehensſtrafe) gegen eine Vereitelung zu ſchützen; der
zivilrechtliche Schutz, der daneben im Wege eines
Schadenserſatzanſpruches denkbar iſt (v. Braun, G38.
Bem. 2 zu Art. 8), hat engere Grenzen. Soll aber der
Strafſchutz nicht zeitweilig verſagen, ſo muß er neben
der Anzeigepflicht bei regelmäßigen, formgerechten
Gutsankäufen auch jene bei formloſen mitumfaſſen,
wenn der Güterhändler gerade durch die Weglaſſung
der Form den ihm günſtig ſcheinenden Selbſterwerb
beibehalten, aber deſſen Nachteile umgehen und vers
meiden will. Begreiflicherweiſe will ja der Bauer,
der ſich einem Güterhändler anvertraut, nicht nur einen
möglichſt hohen Kaufſchilling erzielen, ſondern auch
möglichſt bald und ohne eigene Gefahr in den Beſitz
des Erlöſes gelangen. Dieſem Streben dient die Form
des Anweſensverkaufes an den Güterhändler, ſie war
deshalb bis zur Einführung des G3. die allgemein
herrſchende; das iſt auch in der geſamten Anlage des
Geſetzes ausgedrückt. Daß der Erwerb regelmäßig in
der Form Rechtens geſchieht, mag im Geſetze wohl
ſtillſchweigend vorausgeſetzt fein, es iſt aber nicht aus—
drücklich angeordnet. Der Vorwurf einer ausdehnen—
den Geſetzesauslegung durch das OLG. iſt daher uns
begründet. Der Angeklagte hat durch ſein Geſamt—
verhalten bewieſen, daß er ſich der Anzeigepflicht be—
wußt war und daß ſeine Veranſtaltungen gerade darauf
hinausgingen, ſich den ihm durch das G3. auferlegten
Verpflichtungen zu entziehen. (Urt. v. 31. Januar 1914,
Rev.⸗Reg. Nr. 702/1913). Ed.
3307
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
II.
Unter welchen Boransſetzungen if ein mit der Aus⸗
übung eines Gewerbes verbundener ruheſtörender Lärm
nach $ 360 Nr. 11 StG. firafbar? Der Angeklagte,
ein Wirt, hat die polizeiliche Erlaubnis zum Betriebe
einer zur Wirtſchaft gehörigen Kegelbahn, in der die
Gäſte häufig über Mitternacht hinaus kegelten. Iſt
das in der Kegelbahn befindliche, durch eine einfache
Vorrichtung zu öffnende und zu ſchließende Oberlicht —
der Schacht — offen, fo dringt der Lärm des Kegelns
nach außen, ſo daß die Nachbarſchaft in der Nachtruhe
geſtört wurde. Da der Angeklagte trotz Verwarnung
das Oberlicht nicht ſchloß, wurde er nach $ 360 Nr. 11
StG. beſtraft. Seine Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Das B. hat in Ueber⸗
einſtimmung mit der Rechtslehre und Rechtſprechung
zutreffend unterſchieden zwiſchen dem Lärm, der bei
Ausübung eines polizeilich genehmigten Gewerbes oder
bei une polizeilich geſtatteter Anlagen oder Ein⸗
richtungen nicht vermieden und darum nicht als Ruhe⸗
ſtörung i. S. des 8 360 Nr. 11 StG. erachtet werden
kann, und dem Lärm, der ohne Beeinträchtigung des
gewerblichen Betriebs hintangehalten werden kann und
der nach 8 360 Nr. 11 StGB. ſtrafbar iſt, wenn nichts
geſchieht, um ihn zu vermeiden oder zu mindern. Es
iſt ſchon in der Begr. des Entw. (vom Jahre 1869)
der GewO. bemerkt, daß die Faſſung des § 1 Abſ. 1,
indem ſie an die Perſon des Gewerbetreibenden, nicht
an den Betrieb anknüpft, dem Mißverſtändniſſe vor⸗
beugen ſoll, als ſeien „bei der Ausübung der Gewerbe
durch die nach den Beſtimmungen des Geſetzes dazu
verſtatteten (I!!! der Herausgeber) Perſonen die allge⸗
meinen feuer-, ſicherheits⸗, ſitten⸗, preß⸗ uſw. polizeilichen
Beſtimmungen nur inſoweit zu beachten, als dieſelben
in dem Geſetz ausdrücklich vorbehalten find“. Unter
den „allgemeinen polizeilichen Beſtimmungen“, welchen
trotz des Grundſatzes des $ 1 Abſ. 1 GewO. auch Ge⸗
werbetreibende unterworfen bleiben, ſind jene polizei⸗
lichen Beſtimmungen zu verſtehen, welche aus allge⸗
meinen, polizeilichen Rückſichten ergehen, alſo wegen
der Sicherheit des Staats, der öffentlichen Ordnung,
des öffentlichen Verkehrs uſw. Eine allgemeine wegen
der öffentlichen Ordnung und Geſundheit erlaſſene
Vorſchrift iſt 8 360 Nr. 11 StGB., wonach bei Ver⸗
meidung der Beſtrafung ruheſtörender Lärm nicht erregt
werden darf. Das LG. hat einwandfrei feſtgeſtellt,
daß der durch das Kegeln verurſachte, durch den offenen
Lichtſchacht nach außen gedrungene Lärm das gewöhn⸗
liche Maß über Gebühr überſchritt und die Allgemein»
heit, insbeſondere die zahlreichen Inwohner des Nach⸗
barhauſes, beläſtigen und in ihrer nächtlichen Ruhe
ſtören konnte. Bedenkenfrei iſt auch feſtgeſtellt, daß der
Angeklagte durch mühe- und koſtenloſes, die Kegelgäſte
nicht beläſtigendes Schließen des Oberlichts das Dringen
des Lärmens nach außen ohne Beeinträchtigung des
Gewerbebetriebes hätte vermeiden können. Das RG.
und das Ob“. haben ſtets die Auffaſſung vertreten,
daß zur Ruheſtörung und zum groben Unfug i. S. des
§ 360 Nr. 11 StGB. wohl ein vorſätzliches Tun gehört,
daß aber in bezug auf den Erfolg Vorſätzlichkeit nicht
gefordert wird, vielmehr auch fahrläſſiges Verſchulden
ausreicht. Nach den Feſtſtellungen wollte der Angeklagte,
daß bei offenem Oberlicht gekegelt werde; darin erſchöpft
ſich fein vorſätzliches Tun. Es iſt eine Erfahrungs⸗
tatſache, daß das Kegeln in unmittelbarer Nähe be—
wohnter Gebäude, ſofern der Lärm in ſeiner vollen
Wirkung nach außen dringt, ganz beſonders geeignet
iſt, die nächtliche Ruhe der Anwohner zu ſtören, andere
unerträglich zu beläſtigen und namentlich leidende
Perſonen an ihrer Geſundheit zu ſchädigen. Indem
das LG. dem Angeklagten zumutet, daß er bei einiger
Ueberlegung ſich der Wirkung ſeines Tuns bewußt
geworden wäre, hat es an fein Einſichtsvermögen keine
überſpannten Forderungen geſtellt. (Urt. vom 10. Ja⸗
Ed.
nuar 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 701/1913).
3254
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8.
Oberlandesgericht Nürnberg.
Schiedsgericht oder Schiedsgutachten? Schiedsrichter
in eigener Sache. Einrede und Nichtigkeit des Schieds⸗
vertrags (55 1025 fl., 274 ff. 35 O., 84 317 fl., 138 888.)
Aus den Gründen: Es kann dahingeſtellt bleiben,
ob die Satzungen des beklagten Vereins, wornach die
verſtärkte Vereinsverwaltung den dem Mitgliede zu
vergütenden Brandſchaden feſtſtellt und wornach gegen
dieſe Feſtſtellung die Beſchwerde an die unter Aus⸗
ſchluß des Rechtswegs entſcheidende Generalverſamm⸗
lung zuſteht, uberhaupt einen Schiedsvertrag nach
ss 1025 ff. ZPO. und nicht bloß eine Einigung über
ein Schiedsgutachten (88 317 ff. BGB.) bedeuten. Ein
wirklicher Schiedsvertrag läge vor, wenn die Ent⸗
ſcheidung des Rechtsſtreits durch Schiedsrichter mittels
Ausſpruchs der Zahlungspflicht des beklagten Vereins
vereinbart wäre. Um die bloße Vereinbarung eines
Schiedsgutachtens würde es ſich handeln, wenn nur
die Frage, ob und welcher Schaden entſtanden iſt, durch
Schiedsmänner in einer für die Entſcheidung des ordent⸗
lichen Gerichts bindenden Weiſe beantwortet werden
ſollte (JW. 1909, 199 1; 1902, 636; RG Z. 29, 319;
45, 350; 67, 71; Os GRſpr. 21,117 u. a.). Geht man
von dem Beſtehen eines eigentlichen Schiedsvertrags
aus, ſo muß fofort auch deſſen Nichtigkeit feſtgeſtellt
werden. Der den Mitgliedern im Brandfalle zuſtehende
Entſchädigungsanſpruch ſoll zunächſt durch die ver⸗
ſtärkte Vereinsverwaltung und auf Beſchwerde durch
die Generalverſammlung feſtgeſetzt werden. Beide Or⸗
gane beſtehen ſatzungs⸗ und begriffsgemäß nur aus
Vereins mitgliedern, es find ihnen auch ſonſt wichtige
Aufgaben der Vereins verwaltung zugewieſen, die Brand⸗
entſchädigung iſt aus dem Vermögen des Vereins und
durch Umlagenerhebung bei den Mitgliedern zu decken.
In jedem Brandſchadensfalle iſt ſohin der ganze Verein
wie jedes einzelne Mitglied unmittelbar vermögens⸗
rechlich beteiligt und hat ein dem Entſchädigungsbe⸗
rechtigten entgegengeſetztes Intereſſe. Es verſtößt nun
gegen den oberſten, im öffentlichen Rechte wurzelnden,
unverzichtbaren Grundſatz jeder Rechtſprechung, daß
Parteien oder ihre Organe Richter, ſei es auch nur
Schiedsrichter, in eigener Sache ſeien. Schieds verträge
ſolcher Art ſind wegen Verſtoßes gegen die guten
Sitten nach 8 138 BGB. nichtig, ohne daß der Haupt⸗
vertrag ſelbſt nichtig zu fein brauchte (DJ Z. 1903, 549;
OL GRfpr. 3, 159; 21, 124; 19, 168; RG. 29, 319;
37, 427; 73, 431). Was der Beklagte zur Bekämpfung
dieſes allgemein herrſchenden Grundſatzes mit dem
Hinweis auf Entſcheidungen über Anfprüche des Staates
durch die ſtaatlichen Gerichte vorgebracht hat, wider⸗
legt ſich mit der einfachen Verweiſung auf das Staats⸗
recht. Wenn der Staat als Träger der Juſtizhoheit
durch ſeine unabhängigen, unbeteiligten Richter die
Rechtspflege verſieht und wenn vor dieſen Richtern
auch der Staat als Inhaber von Vermögensrechten
Recht zu nehmen hat, ſo iſt nicht der Staat ſelbſt
Richter in eigener Sache. Seine Parteiſtellung vor
den Gerichten entſpricht den befonderen Vorſchriften
der Verfaſſung und der Prozeßgeſetze (Bayr. Berfürf.
Tit. VIII § 5; EG. ZPO. 8 4: ZPO. 8 18). Dieſe be⸗
ſonderen Verhältniſſe geben keiner Partei die Befugnis
ſich ſelbſt Recht zu ſprechen, ſei es auch nur im Wege
des Schiedsvertrags.
Geht man davon aus, daß kein wirklicher Schieds⸗
vertrag beſteht, ſo handelt es ſich nicht mehr um die
Einrede des Schiedsvertrags oder überhaupt um pro⸗
zeßhindernde Einreden i. S. des 8 274 3PO. Es find
vielmehr, wie bei der Berufung auf ein der Selbſt—
verwaltung des Vereins unterliegendes Sonderrecht
eines Mitglieds oder wie bei der Behauptung eines
bindenden Schiedsgutachtens, allgemeine Einwendungen
gegen die Entſchädigungsforderung des Klägers in
Frage, dieſe Einwendungen ſind auf Grund der Ent⸗
175
ſcheidung über die Hauptſache zu würdigen, da fie nicht
zu den Einreden nach § 274 1 Nr. 2 und 3 ZPO. zählen
(RG. 37, 427; Recht 1906 S. 433 ff.). (Urt. des
It. 86. vom 9. Juli 1913, L. 151/13). - r.
Oberlandesgericht Augsburg.
Gebührenpflicht des Verweiſungsbeſchluſſes nach 8697
390. Aus den Gründen: Es iſt zunächſt zu erörtern,
ob für den ohne mündliche Verhandlung erlaſſenen Ver⸗
weiſungsbeſchluß des AG. nach 8 697 ZPO., mag er auf
Antrag des Gläubigers oder des Schuldners erlaſſen fein,
die /10 Gebühr aus 8 26 GK. angeſetzt werden darf.
Die herrſchende Meinung bejaht das (vgl. Baupp-Stein,
O., 10. Aufl. zu 88 697 und 505, Neumiller, ZPO.,
./&. Aufl. zu 88 697 und 505, Sydow⸗Buſch, GKG.,
9. Aufl. zu 8 18 Nr. 4, 326 Nr. 5, 8 30 Nr. 5, ORG.
Köln in der Zeitſchr. für Deutſche Juſtizſekretäre 1912
. 98, Rittmann, G., 5. Aufl., Anm. 6, § 26 II
Anm. 8, OL GRſpr. XVII S. 218, XXIII S. 202, XXV
S. 281). Für die Gebührenfreiheit des Verweiſungs⸗
beſchluſſes hat ſich LER. Gerſtlauer in der BaygfR.
1913 S. 366 ausgeſprochen, ferner das Kammergericht
(Os GRſpr. XXVII S. 128) und das Os G. Stettin ebenda
XXVS. 144 (vgl. auch Bay ZfR. 1913 S. 460). Der Senat
entſcheidet ſich ier die herrſchende Meinung.
Eine verſchiedenartige Behandlung des Verwei⸗
ſungsbeſchluſſes, je nachdem er auf Antrag des Gläubi⸗
gers oder des Schuldners oder beider ergeht, würde
nicht im Sinne der Nov. zur ZPO. von 1909 liegen.
Wenn das beabſichtigt geweſen wäre, hätte es der
Geſetzgeber ausdrücken müſſen. Der Verweiſungsbeſchluß
iſt ferner nicht nur eine prozeßleitende Verfügung, ſon⸗
dern eine Entſcheidung i. S. des 8 18 Nr. 3 GKG. (vgl.
Buſch⸗Sydow, GKGG., 9. Aufl. zu 8 18). Das A. hat
„B. zu prüfen, ob nicht für den Anſpruch nach 8 23
GBG. das AG. Br zuſtändig und deshalb
eine Verweiſung an das LG. ausgeſchloſſen iſt. Es iſt
weiter z. B. vorgekommen, daß der Beklagte bei der
Einlegung des Widerſpruchs zwar die Verweiſung an
das LG. beantragte, jedoch nicht an das vorgeſetzte LG.,
ondern an ein anderes, weil für dieſes der vereinbarte
Gerichtsſtand beſtehe. Der Zweck der Novelle von 1909
konnte nun nicht ſein, für den Verweiſungsbeſchluß,
der ohne mündliche Verhandlung ergeht, eine volle Ge⸗
bühr aus 8 18 GKG. einzuführen. Den von der herr⸗
ſchenden Meinung abweichenden Ausführungen (vgl.
insbeſ. die Abhandlung von Gerſtlauer) iſt zuzugeben,
daß die herrſchende Meinung unhaltbar iſt, ſoweit ſie
die Gebührenpflicht auf 8 26 Abſ. 1 Nr. 2 GKG. ſtützt.
Eine Berückſichtigung der Unzuſtändigkeit des Gerichts
„von Amts wegen“ i. S. des § 26 Abſ. 1 Nr. 2 liegt
nicht vor; denn wenn im Mahnverfahren weder der
Gläubiger bei Anbringung des Geſuchs noch der Schuld⸗
ner beim Widerſpruch den Verweiſungsantrag ſtellt,
fo hat das AG. vorläufig nichts „von Amts wegen“
zu beſchließen, ſondern es muß weitere Anträge in der
öffentlichen Sitzung abwarten. Das ergibt ſich ſchon
durch einen Vergleich der Nr. 1 und der Nr. 2 des 8 26
GKG. Nr. 1 bezieht ſich auf die prozeßhindernden Ein⸗
reden, die von den Parteien vorgebracht ſind, Nr. 2
bezieht ſich auf alle prozeßhindernden Einreden, ſoweit
die Parteien auf ſie nicht verzichten können, d. h. auf
ſolche, die das Gericht von Amts wegen zu berückſich⸗
tigen hat, auch wenn ſie nicht vorgebracht ſind. Vor⸗
gebrachte prozeßhindernde Einreden können immer nur
unter Nr. 1 fallen. Wenn nun der Beklagte bei der
Einlegung des Widerſpruchs ſofort die Verweiſung an
das LG. beantragt, ſo bringt er damit die Einrede der
ſachlichen Unzuſtändigkeit des AG. (8 23 Abſ. 1 Nr. 1
GVG.) vor. Das GKG. unterſcheidet nicht, ob die Ein⸗
rede in der Hauptverhandlung oder außerhalb in dem
neu eingeführten ſchriftlichen Verfahren (8 697 IT ZPO.)
vorgebracht wird. Falls nun der Gläubiger ſofort bei
der Einreichung des Geſuches um Zahlungsbefehl den
Verweiſungsantrag ſtellt, für den Fall, daß der tan
Widerſpruch einlegt, fo nimmt er dem Schuldner im
vorhinein die Einrede der Unzuſtändigkeit ab, und er⸗
klärt ſich mit der Verweiſung an das LG. einverſtanden.
Auch dieſer Fall darf daher unter 8 26 Abſ. 1 Nr. 1
gebracht werden. Denn wie ſchon bemerkt, wird eine
verſchiedenartige Bewertung, je nachdem der Verwei⸗
ſungsantrag vom Gläubiger oder Schuldner geſtellt iſt,
nicht den Abſichten des bbb gerecht. Wenn der
Geſetzgeber den Verweiſungsbeſchluß nach 8 697 ZPO.
gebührenrechtlich ebenſo behande n wollte, wie die Fälle
des 8 47 Abſ. 1 Nr. 3 GK G., fo hätte er den Fall des
8 697 ZPO. bei der Novelle von 1909 dort aufführen
müſſen. Gerade daraus, daß dies nicht geiehen ift,
läßt ſich ein Beweisgrund dafür entnehmen, daß zwar
das Verfahren abgekürzt und vereinfacht werden, daß
aber keine Schädigung der Staatskaſſe eintreten ſollte.
Bei der Neuregelung des e
wurde z. B. ausdrücklich beſtimmt (ſ. 8 47 Abſ. 1 Nr. 5a
KG.), daß die Entſcheidungen über die Erinnerungen
gegen den Koſtenfeſtſetzungsbeſchluß des Gerichts⸗
ſchreibers gebührenfrei ſind. Wenn eine Partei den Ver⸗
weiſungsantrag ſtellt und dann die Sache vor der Ent⸗
ſcheidung durch das LG. durch Zurücknahme oder Ver⸗
gleich erledigt wird, werden die Parteien allerdings in
der Regel gebührenrechtlich ungünſtiger behandelt, als
wenn fie vor dem AG. weiter verhandelt hätten; das
können ſie aber durch ſtillſchweigende oder ausdrückliche
Vereinbarung der amtsgerichtlichen Zuſtändigkeit ver⸗
meiden. (Beſchl. d. I. ZS. v. 25. Februar 1914, Beſchw.⸗R.
II 6/1914). — - —n.
3303
Büreranzeigen.
UAnsführungsbeſtimmungen vom 15. September 1913 zum
0 eſetze. 126 Seiten auf Dünndruckpapier.
Ansführungsbeſtimmungen des Bundesrats vom 8. No⸗
vember 1913 zum Geſetze über einen einmaligen anßer⸗
ordentlichen Wehrbeitrag (Wehrbeitraggeſetz) vom
3. Juli 1913. 62 Seiten. München, C. H. Beck'ſche
Verlagsbuchhandlung (Oskar Beck). Mk. —.40.
Die beiden Heftchen ſollen als Ergänzung zu den
Textausgaben des Reichsſtempelgeſetzes und des Wehr⸗
beitragsgeſetzes dienen, die ohne Vollzugsvorſchriften
im C. H. Beck'ſchen Verlage erſchienen ſind.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Geſchäftsvereinfachung. Eine Juſtizverwaltung ſtößt
immer auf gewiſſe Schranken, wenn ſie Erleichterungen
und Vereinfachungen der Geſchäfte einführen will. Die
äußeren Formen des dienſtlichen Verkehrs können zwar
einfach und zweckmäßig geſtaltet werden, damit iſt aber
im weſentlichen nur der Staatsanwaltſchaft, den Auf
ſichtsbehörden und allenfalls den Richtern der frei⸗
willigen Gerichtsbarkeit gedient. Eine durchgreifende
Entlaſtung der Prozeßrichter kann nur die Geſetzgebung
bringen, indem ſie z. B. noch weitere Geſchäfte dem
Gerichtsſchreiber zur ſelbſtändigen Erledigung überweiſt,
die Eröffnungs⸗ und Ueberweiſungsbeſchlüſſe beſeitigt,
die ſchriftliche Faſſung der Urteilsgründe in beſtimmten
Fällen erläßt uſw. Bis das geſchieht, muß mit kleinen
Mitteln weitergearbeitet werden. Uebrigens können
Vorſchriften der Juſtizverwaltung allein nicht viel
nützen, ſie bleiben allzu leicht auf dem Papiere ſtehen.
Die Hauptſache wird immer ſein, daß der einzelne
Beamte darüber nachdenkt, wie er jedes Geſchäft mög—
AZlettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 8
lichſt einfach, raſch und in knappſter Form erledigen
kann, und daß er entſchloſſen mit altem Formelkram
aufräumt.
So geht denn auch die neueſte Bekanntmachung
des Staatsminiſteriums der Juſtiz über Geſchäftsver⸗
einfachung vom 18. März 1914 (JMBl. S. 25) von der
richtigen Erkenntnis aus, daß die Juſtizverwaltung
augenblicklich viel Neues nicht ſchaffen kann, ſondern
daß eben ein möglichſt weitgehender Gebrauch von den
Erleichterungen gemacht werden muß, die bisher ſchon
eingeführt wurden. In der Tat hat das Juſtizmini⸗
ſterium für den Geſchäftskreis, in den es fördernd und
regelnd eingreifen kann, nämlich auf den Gebieten der
Dienſtaufſicht und der Juſtizverwaltung im engeren
Sinne, vieles getan, um Arbeit, Schreibwerk und Koſten
zu erſparen und den Geſchäftsgang zu beſchleunigen.
Es ſei nur daran erinnert, daß es zahlreiche Verrich⸗
tungen den äußeren Behörden übertragen hat, die früher
dem Miniſterium vorbehalten waren, und daß damit
eine Maſſe von Berichten, von Aktenverſendungen uſw.
weggefallen iſt. Was in dieſer Hinſicht allein im Jahre
1913 geſchehen iſt, ergeben die Mitteilungen im Jahr⸗
gang 1913 dieſer Zeitſchrift S. 260 (Nr. 3000), S. 344
(Nr. 3066), S. 363 (Nr. 3086) und die Abhandlung auf
S. 471 (unter VI, VII) (ſ. a. die Abhandlung im Jahr⸗
gang 1914 S. 12 ff.). Das JMBl. für 1914 enthält
wieder zwei Bekanntmachungen, die nach dieſer Richtung
wirken ſollen (Bek. vom 17. Februar 1914 S. 24 und
vom 21. Februar 1914 S. 33).
Die neue Bekanntmachung vom 24. März 1914
verweiſt auf die bisher erlaſſenen Vorſchriften über
Vereinfachung des dienſtlichen Verkehrs, Entlaſtung der
Richter von Schreibarbeit und Abfaſſung der Urteile.
Sie erläutert und ergänzt dieſe in einigen Punkten und
trifft Anordnungen, um ihre vollſtändige Durchführung
zu ſichern. Sie will vor allem dafür ſorgen, daß ſie
allen Beamten durchaus geläufig werden und daß auch
5 eee rechtzeitig mit ihnen vertraut gemacht
wird.
3311
Ueber die Ermittelung früherer Beſtrafungen der
Angeklaaten und der Zengen hat das Juſtizminiſterium
am 25. März ds. 38. (JM Bl. S. 35) eine neue Bekannt⸗
machung erlaſſen. Sie bringt die Bekanntmachung vom
25. Juni 1908 (JMBl. S. 131) in Erinnerung und
mahnt zu beſonderer Vorſicht bei der Verwertung von
Strafen, die im Strafregiſter gelöſcht ſind. Solche Strafen
ſollen im Strafverfahren tunlichſt unberückſichtigt bleiben,
weil ſonſt die Löſchung von Strafen in der Haupt⸗
ſache ihren Zweck fach und Daß die Feſtſtellung ge⸗
löſchter Strafen vielfach unbedenklich unterbleiben kann,
folgert die Bekanntmachung aus dem Zwecke der Er⸗
mittelung der Vorſtrafen und der Bedeutung der Löſchung
von Strafen. Abgeſehen von den Fällen, in denen
beſondere ſtrafrechtliche Folgen an die Tatſache ge⸗
knüpft ſind, daß der Angeklagte wegen gleicher oder
ähnlicher Verfehlungen vorbeſtraft iſt, dient die Feſt⸗
ſtellung von Beſtrafungen dazu, ein richtiges Bild von
der Perſönlichkeit des Beſtraften zu erhalten. Durch
die Löſchung einer Strafe im Strafregiſter wird aber
anerkannt, daß die Strafe infolge der ſonſtigen guten
Führung des Beſtraften für die Beurteilung ſeiner
Perſönlichkeit keine oder nur mehr geringe Bedeutung hat.
Für den Fall, daß ſich die Notwendigkeit ergibt,
Strafen eines Angeklagten oder Zeugen durch ſeine
Befragung zu ermitteln, ſtellt die Bekanntmachung zur
Erwägung, ob es nicht genügt, nur nach Strafen zu
fragen, die noch nicht gelöſcht ſind.
3313
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ur. 9.
München, den 1. Mai 1914.
10. Jahrg.
Zeitschrift für Rechtspflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Regierungsrat im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtiz.
in Bayern
Verlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Sellier)
Künchen, Berlin u. Leipzig.
(Senfferts Blätter für Rechtsau wendung 82.79.)
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich
Mk. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
jede Poſtanſtalt.
Nachdruck verboten.
Jer Vorentwurf zu einem |
Strafvollzugsgeſetz.
Bon Minifterialrat Dr. Karl Meyer in München.
Die „Zeitſchriſt für Rechtspflege in Bayern“ hat
ſich wiederholt mit Fragen des Straſvollzugs be⸗
ſchäftigt. So hat in letzter Zeit Strafanſtalts⸗
direktor Leybold hier ſolche Fragen erörtert.“)
Sie werden immer aktueller; denn zugleich mit dem
Entwurf eines neuen StGB. ſoll, wenn möglich),
auch der Entwurf eines Strafvollzugsgeſetzes dem
Reichstag vorgelegt werden.
Die verſchiedenen Freiheitsſtrafen erhalten ihren
Inhalt erſt durch die Art des Vollzugs. Das
geltende StGB. iſt der Aufgabe, die Strafarten
in ihrer verſchiedenen Schwere voneinander zu
ſondern und das Weſen des in ihnen dem Ver⸗
urteilten aufzuerlegenden Strafübels zu umgrenzen,
nur ungenügend gerecht geworden. Es kennt weder
eine zureichende Individualiſierung der Strafzu⸗
meſſung noch eine zureichende Individualiſierung
des Strafvollzugs. Schon in den 70 er Jahren
wurde ein Strafvollzugsgeſetz erwogen. Im Reichs⸗
Juſtizamt wurde nach Beratung in einer Kommiſſion
von acht Praktikern, in der Bayern durch Direktor
Streng⸗ Nürnberg (ſpäter Hamburg) vertreten
war, der Entwurf eines Strafvollzugsgeſetzes vom
19. Mai 1879 aufgeſtellt. Er begegnete finanziellen
Bedenken und kam über den Bundesrat nicht hinaus.
Die Wünſche nach Vereinheitlichung des Straf⸗
vollzugs verſtummten nicht. Ihnen kamen die
Grundſätze des Bundesrats vom 28. Oktober 1897
entgegen, die bei dem Vollzuge gerichtlich erkannter
Freiheitsſtrafen bis zur weiteren gemeinſamen Rege⸗
lung zur Anwendung kommen. Eine völlige Ein⸗
heitlichkeit konnte hierdurch nicht erreicht werden.
Nach der Denkſchrift vom 22. Februar 1907 über
) Jahrg. 1913 S. 392 ff.
Leitung und Geſchäftsſtelle:
München, Ottoſtraße 1a.
Anzeigengebübr 30
Pfg. für die balbgeſpaltene Petitzeile
/ oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗
% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft
177
die Beſchäftigung der Gefangenen in den zum Voll⸗
zuge gerichtlicher erkannter Freiheitsſtrafen be⸗
ſtimmten Anſtalten gelten in den Bundesſtaaten
59 Vorſchriften über den Strafvollzug (Dienſtan⸗
weiſungen, Gefängnisordnungen, Hausordnungen,
u. dergl.“)
Durch die Reform des Strafrechts, die neben
den Strafen auch die ſichernden Maßnahmen bringen
wird, iſt die Sachlage weſentlich verändert. Schon
der Vorentwurf hatte ſich mit Fragen des Straf⸗
vollzugs weitaus mehr als das geltende Recht befaßt;
er hatte Einzelvorſchriften über den Vollzug der
Freiheitsſtrafen und über ihre Differenzierung ge⸗
geben und ſich grundſätzlich zur Durchführung des
Einzelhaftſyſtems entſchloſſen. Dabei ſah der Vor⸗
entwurf die Ergänzung ſeiner Vorſchriften nicht
in einem Strafvollzugsgeſetz, ſondern in den Aus:
führungsvorſchriſten des Bundesrats und den Ver:
waltungsvorſchriften der Einzelſtaaten vor.“) Bor:
ſchriften über den Vollzug der ſichernden Maß⸗
nahmen, insbeſondere des Arbeitshauſes, traf er
nicht.
Die zweite Kommiſſion, die ſich der Mitarbeit
des auf dem Gebiete des Strafvollzugs beſonders
erfahrenen Erſten Staatsanwalts Klein, des
Vertreters des Generalſtaatsanwalts in Berlin,
zu erfreuen hatte, hat die Vorſchriften des Vor⸗
entwurfs über den Strafvollzug noch eingehender
geſtaltet, zum Teil modifiziert und weiter ausge⸗
baut. Sie hat an dem Einzelhaftſyſtem feſtge⸗
halten, jedoch das Strafenſyſtem geändert, der Haft
wieder ihre alte Stellung als Freiheitsſtrafe für
Uebertretungen gegeben, die Einſchließung als
custodia honesta wieder eingeführt und für ſie
Beſchäftigungszwang geſchaffen. Die hauptſächlich⸗
ſten Aenderungen gegenüber dem Vorentwurf habe
) Nr. 89 der Reichstagsdruckſachen, 12. Leg.⸗Per.
1 ff
I. Seſſion 1907 S. 5
) Vorentwurf 88 15 ff., 823, Begründung ©. 63 ff.
178
ich hier zuſammengeſtellt.“) Ich darf darauf ver:
weiſen. Inzwiſchen iſt auch eine ſyſtematiſche Zu⸗
ſammenſtellung der Beſchlüſſe der Strafrechts⸗
kommiſſion erſchienen.) Die Kommiſſion hat auch
für einzelne ſichernde Maßnahmen, wie das Ar⸗
beitshaus, im Geſetze ſelbſt Vollzugsbeſtimmungen
gegeben. Sie hat zwar eine Ergaͤnzung der geſetzlichen
Beſtimmungen durch Ausführungsvorſchriften vor⸗
geſehen, iſt aber grundſätzlich davon ausgegangen,
daß der nächſte weitere Ausbau in einem Straf⸗
vollzugsgeſetz zu erfolgen habe, zu dem dann im
einzelnen Ausführungsvorſchriſten zu treten haben.
In Uebereinſtimmung mit dem Vorentwurf hat
die Strafrechtskommiſſion weder die unbeſtimmte
Verurteilung, die in gewiſſem Sinne eine Ab⸗
dankung des Strafrichters bedeuten würde, noch
das Progreſſivſyſtem d. h. einen Strafvollzug mit
allgemeinen feſtgelegten Stufen übernommen, zu
dem ſich der Oeſterreichiſche Entwurf“) und der
Gegenentwurf (8 50) entſchloſſen haben.
Wie es heißt, ſoll nach der Fertigſtellung des
Entwurfs eines Einführungsgeſetzes zum StGB.,
die in dieſem Hochſommer zu erwarten iſt, an die
Aufſtellung eines Strafvollzugsgeſetzes herangetreten
werden, das auch die ſichernden Maßnahmen zu
umfaſſen hat. Während für die Strafrechtskommiſſion
der Vorentwurf mit ſeiner ausführlichen Begründung
als Vorarbeit vorlag, wären für die Beratungen der
Kommiſſion, die ſeinerzeit das Strafvollzugsgeſetz
aufzuſtellen hat, Materialien nicht vorhanden ge⸗
weſen, wenn nicht der Verein der deutſchen
Strafanſtaltsbeamten einen förmlichen Vor⸗
entwurf zu einem Reichsgeſetze über den Vollzug
der Freiheitsſtrafen und ſichernden Maßnahmen
mit eingehender Begründung fertiggeſtellt hätte.“)
Dieſe Vorarbeit nennt ſich beſcheiden Geſetzesvor⸗
ſchläge, iſt aber in Wirklichkeit der Vorentwurf
zu einem Strafvollzugsgeſetze. Sie iſt umſomehr
zu begrüßen, als ſie den Fortgang der geſetzgebe⸗
riſchen Arbeiten gerade auf dieſem Gebiete beſonders
erleichtern und vereinfachen wird. Die Aufmerk⸗
ſamkeit auf dieſen Entwurf, der auch die nächſte
Tagung der Strafanſtaltsbeamten in Hamburg
beſchaͤftigen wird, auch hier zu lenken und hierüber
eine kurze Ueberſicht zu geben, iſt der Zweck dieſer
Zeilen.
Der Entwurf umfaßt 73 Paragraphen. Er
iſt nach den Beſchlüſſen des Vereins in einer
Kommiſſion, die in zweiter Leſung erweitert wurde
und der von bayeriſchen Praktikern Oberregierungs⸗
rat Michal angehörte, aufgeſtellt worden. Die
Geſamtbearbeitung hatte Erſter Staatsanwalt
) Jahrg. 1913 S. 97 ff. u. S. 409 ff.
a Ebermayer, Der Entwurf eines deutſchen StGB.
S. 3 ff.
) Die Vorſchriften finden ſich in dem Entwurf
einer Novelle zur StPO. SS 548 ff., insbeſondere 8 565.
*) Geſetzesvorſchläge mit Einleitung und Be—
gründung, Sonderheft A und B zu Bd. 47 der Blätter
für Gefängniskunde, Heidelberg 1913.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
Klein übernommen. Der Entwurf ſchließt fich
an das Syſtem der Freiheitsſtrafen und der
ſichernden Maßnahmen des Strafgeſetzentwurfs
an, bildet alſo eine Ergänzung dieſes Entwurfs.
Die geſetzliche Regelung geht davon aus, daß die
Vollzugsbehörde überall durch das Geſetz in den
Stand geſetzt ſein ſoll, zu erkennen, wozu ſie direkt
verpflichtet iſt und wozu fie ermächtigt if. Er
gänzungen durch reichs⸗ und landesrechtliche Aus⸗
führungsvorſchriften ſind vorgeſehen. Der Entwurf
hält in erſter Linie an dem Vergeltungscharakter
der Strafe feſt, verwirklicht die neuzeitlichen Auf⸗
gaben des Strafvollzugs, möglichſte Beſſerung des
Gefangenen durch Seelſorge, Unterricht uſw., ſtrebt
ferner die ſoziale Brauchbarkeit des Gefangenen
nach der Entlaſſung an und betont in ſeinen Vor⸗
ſchriften insbeſondere die ſittlich erziehliche Kraft
der Arbeit. Die Vorſchläge ſtehen auf dem der
Individualiſierung des Straſvollzugs; ſeine ſpezial⸗
präventive Aufgabe ſetzt die Anpaſſung der Be⸗
handlung an die körperliche und geiſtige Eigenart
des Gefangenen voraus. Der Entwurf fchlägt in
Uebereinſtimmung mit dem Strafgeſetzentwurf nicht
das eigentliche Progreſſivſyſtem vor. Wohl aber
trägt er dem Progreſſivgedanken und dem Er⸗
ziehungsgedanken, um den Gefangenen auf den
Wiedereintritt in die Freiheit vorzubereiten, inſo⸗
weit Rechnung, als er eine allmähliche Milderung
des regelmäßigen Strafzwangs zuläßt ($ 23). Für
den Strafvollzug an Jugendlichen und vermindert
Zurechnungsfähigen find beſondere Beſtimmungen
getroffen.
Die acht Abſchnitte des Entwurfs teilen ſich
wieder in Unterabteilungen. In dieſem allgemeinen
Ueberblick kann ich daraus nur einzelnes erwähnen.
Die Vorſchriften über Anſtalten (Straf⸗ und Siche⸗
rungsanſtalten) und über Anſtaltsverwendung (88 1
bis 11) wollen eine möglichſt ſtrenge Scheidung
der Gefangenen ermöglichen. Sie ſchreiben in 8 1
Abſ. 1 vor, daß bei Neubauten Zuchthaus⸗, Ge⸗
fängnis-⸗ oder Einſchließungsabteilungen, auch
Zuchthaus⸗ und Haſtabteilungen, nicht mehr in
einer Anſtalt vereinigt werden dürfen. Auch für
den Vollzug der Arbeitshaus⸗ und Sicherungshaft
ſind mindeſtens baulich abgeſonderte Anlagen vor⸗
zuſehen. In den Beſtimmungen über die Auf:
nahme (88 12 bis 17) iſt für den Erkennungsdienſt
die wünſchenswerte geſetzliche Feſtſtellung vorge⸗
ſchlagen, daß für die Zwecke dieſes Dienſtes
Meſſungen, Abbildungen und ſonſt erforderliche
Feſtſtellungen vorgenommen werden dürfen. Für
die zuläſſigen Formen der Verwahrung (Einzel⸗
und Gemeinſchaftshaft, 88 18 bis 21) iſt der Satz
vorangeſtellt, daß bei der Anordnung der Haftform
auf die Perſönlichkeit, die Tat und das Vorleben
des Gefangenen Rückſicht zu nehmen iſt. Der Voll⸗
zug ſoll regelmäßig mit der Einzelhaft beginnen.
Die Leitmotive für die eingehenden Vorſchriften
über die Behandlung, die in §§ 22 bis 49 ein:
ſchließlich der Sondervorſchriften für Jugendliche
_Beitfehrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. ö 179
Beſtimmungen über Seelſorge, Geſundheits⸗ und Räume und Einrichtungen eine angemeſſene Friſt
Bildungsfürſorge, über Beköſtigung, Bekleidung zu beſtimmen. Mit dem Inkrafttreten des Straf:
und Lagerung, über Verkehr und über Arbeit | vollzugsgeſetzes, das gleichzeitig mit dem StGB.
bringen, find eingangs in 8 22 umſchrieben. Dar: in Wirkfamkeit treten ſoll, ſoll auch eine einheit⸗
nach find mit der Zufügung des in und | liche Vollzugsſtatiftik beginnen.
der Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung Wenn ich damit dieſe kurze Ueberſicht über
geiſtige und fittlihe Hebung, Erhaltung der Ge⸗ den ausgezeichneten Vorentwurf ſchließe, jo möchte
ſundheit und Arbeitskraft, gleichmäßig in der Einzel: ich doch noch dem Wunſche Ausdruck geben, daß unter
und Gemeinſchaftshaft, anzuſtreben. Dieſe Ziele den vielfachen geſetzgeberiſchen Reſormarbeiten, die
ſollen mit Strenge, Gerechtigkeit und Menſchlich⸗ mit der Reform des Strafrechts zuſammenhängen.
keit ſowie unter Beachtung der Perſönlichleit, der es insbeſondere dem Entwurf eines Strafvollzugs⸗
Tat und des Vorlebens der Gefangenen verfolgt geſetzes beſchieden ſein möge, Geſetz zu werden.
werden. In dieſen Vorſchriften und namentlich Der Vorentwurf der deutſchen Strafanſtaltsbeamten
in denen über den Arbeitszwang tritt beſonders | wird dann ſeinen reichlichen Anteil an dieſem Er⸗
die Differenzierung in den einzelnen Freiheits⸗ folge haben.
ſtrafen hervor. Ich darf hierzu auf die Darlegungen
in der Begründung S. 44 ff. verweiſen. Des
1 0 freien 9 15 are |
S iſt als Leitſatz vorangeſtellt, daß bei der Ber: vs ö
wertung der Arbeitskraft der Gefangenen das Zur Jechtſprechung über die Kommun⸗
1 des 1 10 freien en mauern.“
überhaupt im weiteſtem Maße zu ſchonen iſt. In
den Vorſchriften über Disziplinar⸗ und Ordnungs⸗ Bon Rechtsanwalt Dr. Georg Nützel in München.
ſtrafen (88 50 bis 52) iſt von der körperlichen Selten hat wohl in den letzten Jahren eine
Züchtigung als Disziplinarmittel abgeſehen, in zunächſt juriſtiſche Frage den Grund: und Haus:
Uebereinſtimmung mit dem Rechtszuſtande in beſitzer Münchens ſo ſehr beſchäftigt, wie die Rechts⸗
Bayern, der nach Art. 27 Abſ. 3 AG. StPO. verhältniſſe an Kommunmauern. Iſt doch neuer:
die körperliche Züchtigung als Disziplinarmittel ge: dings mit Bezug hierauf ſogar die Rede vom
gen Gefangene ausſchließt. Dagegen wurden bei „Bauernſchreckim Hausbau“. Ich verzichte
noch ſchulpflichtigen Jugendlichen die Schulſtrafen bewußt auf geſchichtliche oder lehrhafte Erörle⸗
des am Ort der Strafverbüßung geltenden Rechts | rungen. Die nachſtehenden Ausführungen ſind
als Ordnungsſtrafen zugelaſſen (5 51 Abſ. Ii, hauptſächlich für die tägliche Praxis beftimmt.
Im Gegenſatze zur Begründung des Vorentwurfs) | Meinen Ausführungen liegen ausſchließlich Ent⸗
und in Uebereinſtimmung mit der des Gegenent⸗ ſcheidungen der Münchener Gerichte (Landgericht
wurfs®) fieht der Entwurf (88 55— 58) ) in der Münden I und Oberlandesgericht München) zu⸗
vorläufigen Entlaſſung einen Beſtandteil des Straf- grunde, die ich in meiner Praxis geſammelt habe.
vollzugs und bringt dies durch ihre Herübernahme Die Tatbeſtände find nicht erdacht, ſondern dem
in das Strafvollzugsgeſetz zum Ausdruck. Er 1 Leben entnommen.
dabei auf dem Standpunkt, daß von der Ein⸗ Fall I. Etwa bis zu den Jahren 1910/11
richtung, die er auf lebenslängliche . hat die Münchener Rechtſprechung wohl ziemlich
rn
nicht ausdehnt, in allen Fällen, in denen fie nach übereinſtimmend Alleineigentum des Erbauers
dem Geſetz zuläſſig iſt, auch in der Tat Gebrauch der Kommunmauer angenommen.
gemacht werden ſoll, ſo daß ſie als wichtiges Beiſpiel:
Milderung a 1 8 Schlußſtein ſeiner Die ee
Zum Scluffe darf ich noch auf die bejon-
deren Beſtimmungen über den Vollzug der
ſichernden Maßnahmen, Arbeitshaus und Siche⸗
rungshaft, verweilen (88 59 — 68). Daran ſchließen
ſich in 8 69 beſondere Vorſchriften Über Schutzfür⸗
ſorge und Schutzaufſicht und in 88 70— 73 Zu⸗
ſtändigkeits⸗ und Schlußbeſtimmungen, die Aus⸗
führungsvorſchriften des Bundesrats und der
Landesbehörden vorſehen. Sie ermächtigen auch
den Bundesrat, für die Uebergangszeit zur Be⸗
ſchaffung der fehlenden Anſtalten, Abteilungen,
— —
Pl.⸗Nr. 395
A errichtet das |
sur 1901.
Pl.⸗Nr. 395'/s
B baut 1909 an die
Kommunmauer an.
items mins
|
eingeſteigert von C vor
dem Anbau des B,
ane verſteigert
904.
Das LG. München I (IV. 3K.) hat in einem
nicht mit Berufung angefochtenen Urteil ar
6. Dezember 1910 dem Ablöſungsanſpruch des C
on Bd. 1 S. 96.
S. 82
°) 1) y Die ie wörtlich wiedergegebenen Auszüge aus Ur—
10) Begr. S. 69.
teilen hat der Herausgeber ſprachlich überarbeitet.
180
gegen B ſtattgegeben. Gründe: Alleineigentümer
der Kommunmauer ſei C. B habe kein Eigentum
an der auf ſeinem Grundbeſitz ſtehenden Mauer⸗
hälfte erlangt. Der Ablöſungsanſpruch wurde nach
dieſem Urteil abgeleitet aus 88 742, 748 BGB.;
Art. 68 AG. BGB. Falls die Vorſchriften über
die Gemeinſchaft nicht anwendbar ſein ſollten, ſei
der Ablöſungsanſpruch nach 88 812, 951 BGB.
begründet. Abzulöſen ſei der Betrag der ſeiner⸗
zeitigen Baukoſten, alſo die Hälfte der im Jahre
1901 entſtandenen Baukoſten.
Hauptvertreter dieſer „Beſtandteils⸗Lehre“ war
der verſtorbene Notar Pfirſtinger in ſeiner (im
Buchhandel vergriffenen) Schrift: „Die Kommun⸗
mauer nach dem jetzt in Bayern geltenden Recht“
(1905, Eigentum uud Verlag des Verfaſſers, S. 15):
„In Fällen ſolcher Art (wie im Beiſpiel des Falles I)
iſt der Eigentümer des zuerſt gebauten Hauſes
alleiniger Eigentümer auch des auf Nachbargrund
ſtehenden Teiles der Grenzmauer, gleichviel, ob die
Grenzmauer vor oder nach dem 1. Januar 1900
hergeſtellt worden iſt. Als maßgebend kommen
in Betracht die 88 93, 94, 95 BGB.“
Zutreffend iſt die frühere Münchener Recht⸗
ſprechung (Fall I, Beſtandteils⸗Lehre) in einem
ſpaͤter unter Fall II angeführten Urteil des LG.
München I (V. 3k.) vom 5. Dezember 1911,
P. R. Nr. 2172/1911, zuſammengefaßt. Dieſes
Urteil hat bewußt mit der früheren Rechtſprechung
gebrochen, die noch im Urteil vom 6. Dezember
1910 vertreten iſt. In dem Urteil heißt es u. a.:
„Die überwiegende Meinung der früheren Recht⸗
ſprechung läßt ſich in folgende Leitſätze zuſammenfaſſen:
Bei einer Kommunmauer iſt der über die Grenze ge⸗
baute Teil kein Teil des Grundſtücks, auf dem er ſteht,
ſondern ein Teil des Gebäudes, ſolange nur das eine
Haus ſteht. Wird an die Kommunmauer angebaut,
ſo wird ſie zu einer Grenzeinrichtung i. S. des 8 921
BGB.; die Eigentumsverhältniſſe an der auf der
Grenzlinie ſtehenden Mauer werden durch den Anbau
verändert; ſie iſt von nun ab nicht nur weſentlicher
Beſtandteil des zuerſt errichteten Gebäudes, ſondern
auch des zuletzt errichteten; das Eigentum wird durch
die Grenze „realiter“ geteilt. Die Koſten der Er⸗
richt ung der Kommunmauer müſſen nach dem Anbau
gemeinſchaftlich bezahlt werden. Zahlungspflichtig iſt,
wer den Anbau ausführen ließ, forderungsberechtigt,
wer zur Zeit des Anbaues an die Mauer deren Eigen-
tümer iſt. Grund der Erſatzpflicht iſt die Bereicherung
($ 812 BGB.).
Fall II.
418827 .
1
Pl.⸗Nr. 10 454 Pl.⸗Nr. 10 451
= A errichtet das = A iſt auch Eigentümer
= Gebäude 1905. | 87 dieſer Pl. Ar. |
= T | — *
IIA 5
*
zwangsweiſe verſteigert
23. Juli 1907, einge⸗
ſteigert von B (Ehefrau
des A), Umſchreibung
im Grundbuch
9. Oktober 1907.
zwangsweiſe verſteigert,
eingeſteigert von ('
20. Juli 1907, Umſchrei—
bung im Grundbuch
17. Oktober 1907.
C baut 1910 an.
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B klagt gegen C auf Zahlung der Ablöſungs⸗
ſumme. Die Klage hat das LG. München I (V. 3K.)
mit Urteil vom 5. Dezember 1911, P. R. Nr.
2172/1911, abgewieſen.
Gründe: „. .. Das Reichsgericht, dem ſich das
Gericht anſchließt, hat neuerdings (Jur W. 1911 S. 212,
366) ausgeſprochen, daß im Falle der Bebauung zweier
aneinander grenzender Grundſtücke mit einem einheit⸗
lichen Gebäude jedem der Grundſtücke der in ſeinen
Grenzen ſtehende Teil des Gebäudes zufällt. Der Er⸗
bauer der Kommunmauer wird se nicht Alleineigen⸗
tümer, die beiden Nachbarn werden nicht Miteigen⸗
tümer, ſondern jeder hat Sondereigentum an dem auf
feinem Boden ſtehenden Teil der Kommunmauer. Dem⸗
zufolge kann der Ablöſungsanſpruch nicht auf Mit⸗
eigentum und Gemeinſchaft gegründet werden, ſondern
nur auf die Vorſchriften über die ungerechtfertigte Be⸗
reicherung.
Die weitere Folge dieſer Auffaſſung iſt, daß der
Bereicherungsanſpruch nicht erſt durch den Anbau an
die Kommunmauer, ſondern ſchon durch die Errichtung
entſteht. Denn ſchon in dieſem Zeitpunkte ſteht feſt,
daß der Nachbar des Erbauers durch Erwerb des Eigen⸗
tums an dem auf ſeinem Grunde ſtehenden Teil der
Mauer ohne Gegenleiſtung auf Koſten des Erbauenden
einen Vermögenszuwachs erfahren hat (88 946, 951,
812 B.). Der Bereicherungsanſpruch iſt in der Regel
ein perſönlicher Anſpruch zwiſchen dem Erbauer der
Kommunmauer und dem Nachbarn zur Zeit der Bau⸗
führung. Er geht auf die Geſamtrechtsnachfolger über,
während er im Falle einer Einzelrechtsnachfolge auf
den Rechtsnachfolger übertragen werden muß (Staus
dinger 6 921 Anm. IV 2 ab).
Geht man von dieſen Grundſätzen aus, ſo konnte
hier durch die Aufführung der Kommunmauer kein
Ablöſungsanſpruch entſtehen, weil der Erbauer Eigen-
tümer der beiden Flächen war und keinen Bereicherungs⸗
1 1 55 gegen ſich felbft erwerben konnte (vgl. RG. 65.
362).
Dieſe Auffaſſung des LG. München I iſt be:
ſtätigt im Urteil des OLG. München vom 1. Mai
1912 (IV. 3 S.) B. R. Nr. 76 L IV / 1912. Die
Gründe ſagen:
„Nach den Grundſaäͤtzen der 88 93, 94 Abſ. 1, 946
BGB. bildet ein Gebäude einen weſentlichen Beſtand⸗
teit des Grundſtückes, auf dem es ſteht; erſtreckt es
ſich über die Grenze eines Grundſtücks hinaus, fo wird
es durch die Grenzlinie geteilt, ſo daß jeder Gebäude⸗
teil weſentlicher Beſtandteil des Grundſtückes iſt, auf
dem er ſteht. Dieſer Grundſatz gilt auch für Grenz⸗
mauern. Nach SS 95 BGB. gibt es allerdings Fälle,
in denen ein Gebäude nicht weſentlicher Beſtandteil
des Grundſtücks iſt, auf dem es ſteht. Nach 8 95 BG.
wird ein in Ausübung eines dinglichen Rechtes aus⸗
geführter Ueberbau nicht Beſtandteil des Grundſtückes,
auf dem er ſteht, ſondern Beſtandteil des berechtigten
Grundſtückes. Aber gerade die Ausnahmefälle laſſen
erkennen, daß es im übrigen bei der Regel bleiben
muß. Auch läßt ſich eine andere Meinung mit den
Beſtimmungen der SS 946 ff. über die Verbindung bes
weglicher Sachen miteinander oder mit Grundſtücken
nicht in Einklang bringen. Insbeſondere kann der
Anbau an die Grenzmauer keine Trennung des Eigen⸗
tums nach Mauerhälften herbeiführen. Geht man ba»
gegen von dem oben feſtgeſtellten, vom Reichsgericht
ſtändig feſtgehaltenen Grundſatze aus (RG. 65 S. 361 ff.,
70 S. 201, Jur W. 1911 S. 212 und 366), fo war hier
die Grenzmauer weſentlicher Beſtandteil der Grund—
ſtücke Pl.⸗Nr. 10451 und 10454 inſoweit, als fie auf
deren Grund und Boden ſtand.“
Auch der II 35. des OLG. Mürchen hat ſich
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
in dem Urteil vom 15. März 1913 B. R. L 681/12
zu dieſer Sondereigentumslehre bekannt.
FTD TI TS
—
Pl.⸗Nr. 164/15,
Bauplatz,
Eigentümer B.
A erbaut 1908 auf
Pl.⸗Nr. 164 ½8 das
Anweſen Nr. 4.
E 8 —
verkauft an Eheleute D,
dieſe bauten 1910 an die
Kommunmauer an.
E erhob Klage gegen die Eheleute D; die Klage
wurde abgewieſen.
Gründe: „Das B. geht davon aus, daß
jedes Grundſtück gegen das Nachbargrundſtück eine
feſte Grenze haben muß; es beſtimmt in 8 93, daß
weſentliche Beſtandteile einer Sache nicht Gegenſtand
beſonderer Rechte ſein können, und in 8 94, daß zu
den weſentlichen Beſtandteilen eines Grundſtücks die
mit dem Grund und Boden feſt verbundenen Sachen,
insbeſondere Gebäude gehören. Dieſe Vorſchrift wird
wiederholt in 8 946, wornach ſich das Eigentum an
einem Grundſtück auf bewegliche Sachen erſtreckt, die
mit dem Grundſtück fo verbunden werden, daß fie weſent⸗
verkauft an C;
C verkauft 1908 an E.
licher Beſtandteil werden. Hiernach gehört eine auf
der Grenze zweier Grundſtücke errichtete Mauer in⸗
ſoweit zu jedem der beiden Grundſtücke, als fie auf
ihnen ſteht; das Eigentum an jedem Grundſtücke er⸗
ſtreckt ſich auf den auf ihm ſtehenden Mauerteil (vgl.
Jur W. 1911 S. 211“ und S. 366). Hier wurde die
auf Pl.⸗Nr. 164 ⅛ͤ1s errichtete Hälfte der Grenzmauer
mit der Erbauung weſentlicher Beſtandteil dieſes Grund⸗
ſtücks und damit Eigentum des B. Die Eheleute D
erwarben mit Pl.⸗Nr. 164 ꝰ16 auch die daraufſtehende
Mauerhälfte; der für das Grundſtück vereinbarte Kauf⸗
preis bildet auch ein Entgelt für die Mauerhälfte. Sie
find alſo nicht auf Koſten des Klägers oder eines feiner
Rechtsvorgänger A und C bereichert.
Der Grundſatz, daß ein Gebäude weſentlicher Bes
ſtandteil des Grundſtückes iſt, auf dem es ſteht, erleidet
nach 88 95, 912 BB. Ausnahmen. Ein in Ausübung
eines Rechtes an einem fremden Grundſtücke oder nur
zu vorübergehendem Zwecke errichtetes Gebäude wird
nicht Beſtandteil des Grundſtücks, auf dem es ſteht,
ebenſowenig ein vom Erbauer ohne Vorſatz oder grobe
ahrläſſigkeit über die Grenze gebauter Gebäudeteil.
eine dieſer Ausnahmen liegt vor. Uebrigens würde
es dem Kläger auch nichts nützen, wenn die Grenz⸗
mauer mit der Erbauung weſentlicher Beſtandteil des
ſpäter von ihm erworbenen Hauſes Nr. 4 geworden
wäre. Denn der von ihm aufgeſtellte, auch von mehreren
Schriftſtellern und OLG. verteidigte Satz (vgl. Sächſ.
Arch. S. 385 ff., Jur W. 1912 S. 491, 1037, 1039), daß
der übergebaute Teil der Grenzmauer mit dem Anbau
durch den Nachbarn aufhört, weſentlicher Beſtandteil
des zuerſt gebauten Hauſes zu ſein und weſentlicher
Beſtandteil des angebauten Hauſes wird und damit
Eigentum des Eigentümers dieſes Hauſes, hat keine
Stütze im Geſetz. Insbeſondere iſt die Annahme
unrichtig, daß der übergebaute Teil weſentlicher Be⸗
andteil des angebauten Hauſes wird. Die Begründung,
aß jedes Haus 4 Umfaſſungsmauern haben müſſe,
trifft inſoferne nicht zu, als eine fremde Mauer als
Stütze und Abſchluß benützt werden kann. Ob das
auf Grund eines dinglichen Rechtes geſchieht oder
nicht, iſt gleichgültig. Ebenſowenig kann die Schluß⸗
folgerung überzeugen, nach dem Anbau ſei es ſo
anzuſehen, als wenn die beiden Grundſtücke gleichzeitig
bebaut worden wären. Sie iſt nicht zwingend, da zwei
| a
|
181
verſchiedenartige Fälle ohne Grund gleichgestellt werden.
Hat ſich aber durch den Anbau das Eigentum an dem
übergebauten Mauerteil nicht geändert, dann iſt jeden⸗
falls der Anſpruch des Klägers auf Erſatz des Wertes
dieſes Teiles unhaltbar. Der Beklagte wäre höchſtens
durch den Mitbeſitz der Grenzmauer bereichert.“
Noch in jüngſter Zeit iſt dieſe Auffaſſung vom
LG. München I (VI. 3K.) in einem Urteil vom
21. Oktober 1913 (C 3527/13) vertreten worden.
In den Gründen heißt es u. a.: „Dieſe Anſicht
entſpricht dem neueſten Stand der Rechtſprechung
in Kommunmauerfragen.“
Fall III. Ich beſpreche nun die zwei Urteile
des II. ZS. des OLG. München vom 17. Januar
1914, die ſoviel Aufſehen erregt haben.
a)
—
|
Hs.⸗Nr. 31
erbaut von A. |
B |
1 1
— \UEROHESE
*
verkauft den rn,
an C, dieſer baut 191
an die Kommunmauer
an (Anweſen Nr. 32).
Zwiſchen A und C wurde am 10. Juli 1912
folgender ſchriftlicher Vertrag geſchloſſen: „Für
die Ablöſung der Hälfte der Rommunmauer ſchuldet
C dem A 2472.67 M; C verpflichtet ſich, dieſen
Betrag bei Vollendung des Rohbaues und des
Dachſtuhles an A zu bezahlen.“ C hat ſpäter feine
Erklärung wegen Irrtums erfolglos angefochten.
Der Klage des A auf Ablöſung der vereinbarten
Summe haben das LG. und das OLG. (II. ZS. B. R.
L488 / 1913) ſtattgegeben mit folgender Begründung:
„Zuzuſtimmen iſt der vom nun ftändig
vertretenen Anſicht, daß ein gemäß § 912 BB. zu dul⸗
dender Ueberbau außer den im Geſetz erwähnten Fällen
auch gegeben iſt, wenn der Bauende zwar wiſſentlich, aber
mit Einwilligung des Nachbars über die Grenze gebaut
hat (RG. Z. 52 S. 15 ff., 74 S. 87 ff.; Sächſ. Arch. 1911
S. 391). Nach der herrſchenden Meinung, die den
Wortlaut und den Sinn des 8 912 BGB. für ſich hat,
fällt der Ueberbau, der vom Nachbar geduldet werden muß,
in das Eigentum des Bauenden. 0 912 BGB.
enthält ſonach eine Ausnahme von dem Grundſatz des
0
AI
94 BGB. Das iſt jedoch nicht zwingendes Recht.
Der Bauende und der Nachbar können vereinbaren,
daß der zu überbauende Gebäudeteil Eigentum des
Nachbars werden fol. Es beſteht kein Grund, einer
ſolchen Vereinbarung die Wirkſamkeit zu verſagen.“
b)
me
: 9 34 8 5
= von A erbaut 1911. =
snuinunsiau tit Uniti F e
*
verkauft den Vauplatz
1912 an C.
182
Es wurde eine ſchriftliche Vereinbarung zwiſchen
A und C über die Ablöſung der Kommunmauer
getroffen, wie im Falle a. C hat ebenfalls feine
Erklärung erfolglos wegen Irrtums angefochten.
Der Klage des A gegen C auf Ablöſung wurde
ſtattgegeben. Das OLG. München gibt im Urteil
(B. R. L 336/13) folgende Begründung:
„Der Sinn des Vertrages iſt, daß der Beklagte
gegen die Zahlung der . das Eigen⸗
tum an der auf ſeinem Grund und Boden vom Kläger
errichteten RHommunmauerhälfte und damit das Recht
erlangen ſollte, an ſie anzubauen. Wäre die Annahme
des Beklagten richtig, daß dieſer Mauerteil mit der
Errichtung in das Eigentum des B als des Eigen⸗
tümers des damit bebauten Grundſtückes fiel und mit
dem Grundſtücke auf C überging, dann wäre der Ber:
trag nichtig. Denn der Kläger hätte eine rechtlich
unmögliche Leiſtung übernommen (vgl. RG. 78 S. 431).
Dieſe Meinung iſt aber nicht zutreffend. Der Be⸗
klagte beſtreitet mit Unrecht die Anwendbarkeit des
8 912 und des 8 95 Abſ. I Satz 2 BGB. auf den vom
Kläger vollzogenen Ueberbau ſeiner Abſchlußmauer.
Mit dem Reichsgericht (RZ. 52 S. 15 ff., 74 S. 87 ff.,
Sächſ. Arch. 1911 S. 391) iſt vielmehr anzunehmen,
daß ein zwar vorſätzlich, aber mit Einwilligung des
Nachbars vorgenommener Ueberbau zu dulden iſt, alſo
unter $ 912 BGB. fällt und daß das Eigentum an dem
überbauten Gebäudeteil dem Bauenden gehört.
Schon daraus ergibt ſich, daß unter § 95 Abſ. 1 Satz 2
BGB., wornach ein in Ausübung eines Rechtes an
einem fremden Grundſtück auf dieſem errichtetes Ge⸗
bäude nicht zu den Beſtandteilen dieſes Grundſtückes
gehört, auch die Ausübung perſönlicher Rechte fällt.
Der Kläger, der mit Einwilligung des B feine Kommun⸗
mauer zur Hälfte auf deſſen Grundſtück errichtete, wurde
alſo Eigentümer der ganzen Mauer.
Der Beklagte wendet ein, daß der Vertrag auch
bei dieſer Annahme nichtig ſei, weil der Vertrag dem
Formzwang des 8 313 BGB. unterlag und weil er
gemäß § 93 BGB. das Eigentum an der auf feinem
Grundſtücke ſtehenden Mauerhälfte nicht erwerben konnte,
wenn die Kommunmauer weſentlicher Beſtandteil des
vom Kläger errichteten Hauſes wurde. Zwar war
der vom Kläger über die Grenze gebaute Mauerteil
weſentlicher Beſtandteil des vom Kläger errichteten
Gebäudes und damit des Grundſtückes des Klägers,
weil er nicht weſentlicher Beſtandteil des Grundſtückes
wurde, auf dem er ſteht. Aber daraus ergeben ſich
nicht die vom Beklagten gezogenen Schlußfolgerungen.
Legt man dem 8 95 Abſ. 1 Satz 2 BGB. die Bedeutung bei,
daß unter „Ausübung eines Rechtes an einem fremden
Grundſtück“ auch die Ausübung obligatoriſcher
Rechte zu verſtehen ſei, dann iſt aus ihm zu folgern,
daß die Beteiligten die Rechtsverhältniſſe an dem über:
gebauten Gebäudeteil durch Vertrag regeln können
(vgl. Jur W. 1914 S. 40 Sp. 1 unten), ſoferne ſie nur
die in SS 93, 94 BGB. enthaltenen Grundſätze unan—
getaſtet laſſen. Die dem übergebauten Teil gegebene,
ſachliche, d. h. den Verhältniſſen der beiden Grundſtücke
angepaßte Beſtimmung entſcheidet darüber, ob der
Ueberbau weſentlicher Beſtandteil des Gebäudes iſt,
zu dem er gehört, oder des Grundſtückes, auf dem er
ſteht (ſ. a. RG. 61 S. 192). Dieſe Beſtimmung kann
von Anfang an oder ſpäter vereinbart werden, wenn
es das Bedürfnis der Grundſtücke fordert. Es kann
auch von Anfang an beitimmt werden, daß die über—
gebaute Mauerhälfte zunächſt weſentlicher Beſtand—
teil des zuerſt gebauten Gebäudes ſein, mit dem An
bau eines Gebäudes durch den Nachbar aber weſent—
licher Beſtandteil dieſes Gebäudes und damit des
Grundſtückes werden ſoll, auf dem ſie ſteht. Es beſteht
auch kein Hindernis, nachträglich einem übergebauten
Gebäudeteil die Beſtimmung zu geben, daß er einem
___Beifeeft fue Rechtspflege in Bayern. 1914. ur. 2
— — — —
— ——ñ—Ii —— —ü—ꝛ—
a
*
anzubauenden Gebäude als weſentlicher Beſtandteil
dienen ſoll.
In dieſen Fällen geht das Eigentum am Ueber⸗
bau mit dem Anbau auf den Eigentümer des Grund⸗
ſtücks über, auf dem er ſteht. $ 313 BB. gilt für
ſolche Vereinbarungen nicht, da ſie keine Verpflichtung
enthalten, Eigentum an einem Grundſtück zu übertragen.
Der urſprüngliche Eigentümer des Ueberbaues kann
. eine Entſchädigung dafür verlangen,
aß er ihn dem Dienſte des Nachbargrundſtückes widmet
und den Anbau geſtattet. Denn mit dem Anbau er⸗
leidet er einen Rechtsverluſt.
In dieſen beiden zuletzt genannten Urteilen
fällt m. E. zunächſt auf,
1. daß dem Geſetze das gerade Gegenteil der
Anſicht entſprechen ſoll, die der gleiche Senat
in den grundlegenden Fragen im Urteil vom
15. März 1913 vertreten hat;
2. daß in beiden Urteilen vom 17. Januar 1914
zwar auf das Urteil vom 15. März 1918
Bezug genommen wird, aber nicht mit der
naheliegenden Begründung, der Senat gebe
die frühere Rechtsanſchauung auf. Es heißt
vielmehr im Urteil B. R. L 488/13: „Das
frühere Urteil des Senats (d. i. das Urteil
vom 15. März 1913) paßt auf den hier ent⸗
ſchiedenen Fall nicht. Es liegt ihm ein ganz
anderer Tatbeſtand zugrunde.“ In dem
Urteil, B. R. L 336/13 heißt es: „Diele
Meinung wird durch das einen anderen Tat⸗
beſtand behandelnde Urteil des Senats in
Sachen Chr. /. P. nicht geſtützt.“
Wenn man von der vom OLG. nicht als er⸗
heblich erachteten ſchriftlichen Vereinbarung über
die Ablöſungspflicht der Beklagten abfieht, iſt der
Tatbeſtand der Urteile vom 17. Januar 1914 nicht
verſchieden vom Tatbeſtand des Urteils vom 15. März
1913, wohl aber die grundſäͤtzliche Rechtsauffaſſung.
Es bleibt abzuwarten, wie der gleiche Senat in
anderen Fällen urteilt oder ob ich vielleicht das
Urteil nicht richtig verſtanden habe.
Schlußfolgerung: Nach Fall iſt Eigen:
tümer der Kommunmauer, (ſolange noch nicht an⸗
gebaut iſt), der jeweilige Hauseigentümer. Es iſt
gleichgültig, ob er die Mauer ſelbſt erbaut hat,
oder ob er der Rechtsnachfolger des Erbauers iſt,
alſo das Anweſen gekauft, eingetauſcht, eingeſteigert
hat (Pfirſtinger S. 28, 29). Baut der Platzeigen⸗
tümer an, ſo vollzieht ſich von ſelbſt der Eigen⸗
tumsübergang auf den Platzeigentümer; dieſer wird
Eigentümer der auf ſeinem Grund und Boden
ſtehenden Mauerhälfte. Ablöſungsberechtigt iſt der
jeweilige Eigentümer des Hauſes, an das der Nach⸗
bar anbaut. Der Ablöſungsanſpruch bleibt alſo
nicht beim Erbauer der Kommunmauer (Pfirſtinger
S. 30). Ablöſungspflichtig iſt, wer anbaut. Dieſe
Lehre iſt von den Münchener Gerichten feit längerer
Zeit aufgegeben zugunſten der im Falle II ver:
tretenen.
Hiernach iſt ablöſungsberechtigt der Erſterbauer.
Iſt er noch im Zeitpunkte des Anbaus Eigentümer
des zuerſt erbauten Hauſes, fo ift er auch forderungs⸗
berechtigt, es ſei denn, daß er ſeinen Ablöſungs⸗
anſpruch übertragen oder verpfändet hat, oder daß
er ihm weggepfändet worden iſt. Iſt im Zeit⸗
punkte des Anbaues der Hauseigentümer eine andere
Perſon als der Erbauer der Kommunmauer, ſo
iſt regelmäßig ſorderungsberechtigt (Gläubiger) der
Erſterbauer, außer wenn ein
rechtsnachfolge vorliegt (3. B. der jetzige Eigentümer
iſt der Alleinerbe des Erbauers geworden). Dieſe
Lehre hat ſich in München in den beteiligten Kreiſen
wohl eingebürgert. Sie iſt wiſſenſchaftlich, wie wir
geſehen haben, trefflich zu begründen und führt
wirtſchaftlich zu einem befriedigenden Ergebniſſe,
namentlich dann, wenn die beteiligten Kreiſe die
Rechtsgrundſätze kennen und ſie bei Abſchluß von
Rechtsgeſchaften beobachten. Es müßte z. B. der
Notar bei Abſchluß eines Kauf⸗ oder Tauſchver⸗
trages die Beteiligten fragen, ob der Kommun⸗
mauerablöſungsanſpruch mit übertragen werden ſoll
oder nicht, ob er noch zu Recht beſteht oder ver⸗
pfändet oder gepfänbet iſt ulm. Der Notar fragt
ja auch nach Bodenzinſen, Grunddienſtbarkeiten uſw.
Es find in jüngſter Zeit mehrere großenteils erfolglose
Verſuche gemacht worden, auf Grund dieſer Lehre alte
anſcheinend längſt vergeſſene oder erloſchene Anſprüche
wiederaufleben zu laſſen. Vor Monaten erſchienen
in biefigen Tageszeitungen Anzeigen: „Kommun⸗
mauern zu kaufen geſucht!“ Es haben auch manche
Erſterbauer von Kommunmauern ihre Ablöſungs⸗
anſprüche an Kapitaliſten übertragen. Sie hatten an
ihre „Ablöſungsanſprüche“ vielfach gar nicht mehr ge⸗
dacht, weil fie die Häufer längſt verkauft, vertauſcht
oder durch Zwangsverſteigerung verloren hatten.
Ganz vorſichtige Kläger haben ſich auch vom An⸗
bauenden noch die Anſprüche übertragen laſſen,
welche dem, der angebaut oder abgelöſt hatte, gegen
den Eigentümer des „kommun“ erbauten Hauſes
auf Rückgewähr der angeblich zu Unrecht empfangenen
Ablöfungsſumme zuſtanden.
Dieſe Klagen hatten in der Regel keinen Er⸗
folg; viele wurden wieder zurückgezogen. Vielfach
konnte der Beklagte mit Erfolg gegen die Klage⸗
forderung des übertragenden Erſterbauers mit „Aus⸗
fall“⸗ oder ſonſtigen Forderungen aufrechnen und
der Beklagte mußte ſich dieſe Aufrechnung gefallen
laſſen (8 404 BGB.). Der zweiten Uebertragung
wurde in der Regel mit Erfolg die Einrede ent⸗
gegengeſetzt, daß die Ablöſungsſumme nicht „ohne
rechtlichen Grund“ i. S. des $ 812 BGB. bezahlt
worden ſei, ſondern auf Grund der damals herrſchen⸗
den Rechtsüberzeugung (Fall I). Endlich ſcheiterten
die Klagen zumeiſt an der Beſtimmung in $ 818
BGB., da „die Bereicherung nicht mehr vorhanden
war“.
Die in den Urteilen vom 15. März 1913 und
17. Januar 1914 behandelten Fälle betreffen die
wichtigſten Fragen des Kommunmauerrechtes. Viel:
leicht in 50 aller Fälle hat der Platzeigentümer
ſeit der Errichtung der Kommunmauer gewechſelt.
Fall der Geſamt⸗
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 183
Es iſt dann der Anbauende ſtets ein anderer als
der Eigentümer des Bauplatzes im Zeitpunkte der
Errichtung der Kommunmauer. Bei Annahme
der Rechtsanficht im Falle II entfällt der Ablöſungs⸗
anſpruch des Eigentümers des kommun erbauten
Hauſes,
a) weil der Platzeigentümer den Platz mit der
Kommunmauer erworben und das Entgelt für die
Kommunmauer mit dem Kaufpreis für den Bau⸗
platz bezahlt haben wird,
b) weil der Eigentümer des kommun erbauten
Hauſes in der Regel eine andere Perſon ſein wird,
als der Erſterbauer, es ſei denn, daß er ſich den
Ablöſungsanſpruch vom Erſterbauer ausdrücklich
hat übertragen laſſen.
Anders im Falle der Annahme der Ueberbau⸗
lehre, wenn ich die Entſcheidungen vom 17. Januar
1914 recht verſtehe. Bei ihr iſt der Eigentümer
des kommun erbauten Hauſes auch Eigentümer
des Ueberbaues und kann vom Platzeigentümer die
Ablöſung verlangen: Dr
a) auch wenn der derzeitige Eigentümer des
kommun erbauten Hauſes eine andere Perſon iſt,
als der Erſterbauer,
b) auch wenn der derzeitige Bauplatzeigentümer,
der jetzt anbauen will, den Bauplatz ſchon mit der
daraufſtehenden Kommunmauer gekauft, eingetauſcht
hat uſw.
Nun find durch die unter Fall III geſchilderte
Rechtſprechung die beteiligten Kreiſe wieder in
Unruhe verſetzt worden. Dieſe Lehre kehrt im Er⸗
gebniſſe zurück zur Pfirſtingerſchen „Beſtandteils⸗
lehre“ (Fall I). Wie dort vollzieht ſich von ſelbſt
„mit dem Anbau der Uebergang des Eigentums
am Ueberbau auf den Eigentümer des Grundftüds,
auf dem er ſteht.“ Ich will von einer juriſtiſchen
Prüfung abſehen und nur auf einen beſtimmten
Fall hinweiſen.
Wie iſt zu entſcheiden, wenn die Kommun⸗
mauer nicht in ihrer ganzen Tiefe zum Anbau
benützt wird? Dann bleibt der Erſterbauer Allein⸗
eigentümer der nicht angebauten Mauer, während
am angebauten Teil der Anbauer Eigentum erwirbt.
Das gleiche gilt für den vertikal nur teilweiſen An⸗
bau. Täglich kommt es vor, daß der Anbauer
nicht die ganze Höhe der Kommunmauer benützt.
Soweit dieſe alſo frei ohne Anbau des Nachbars
in die Luft hinausragt, iſt ſie nach der „Ueberbau⸗
lehre“ Eigentum des Erſterbauers; ſoweit ange⸗
baut iſt, ſteht ſie im Sondereigentum der Nachbarn.
Ein unklares und unbefriedigendes Ergebnis!
Wie ſoll ſich bei dieſer widerſprechenden Recht⸗
ſprechung z. B. der Platzeigentümer verhalten, der
anbauen will? Soll er ſich zur „Sondereigen:
tums⸗Lehre“ oder zur „Ueberbau⸗Lehre“ bekennen?
In der Regel iſt dem Bauluſtigen jede Lehre
gleichgültig, er hat an andere wichtigere Sachen zu
denken. Der Anwalt, den er befragt, gibt, auch
wenn er glänzend unterrichtet iſt, zwei Entſchei⸗
184
—
dungsmöglichkeiten bei gleichen Tatbeſtänden. In
der Regel wird der Bauluſtige die Lehre wählen,
die ihm am günſtigſten iſt, weil das Baugeld oft
zum Bauen zu knapp iſt und oft zur Ablöſung der
Kommunmauer nicht mehr ausreicht.
Wie verhält fich der Hauseigentümer, an deſſen
Mauer ein vielleicht nicht zahlungsfähiger Nachbar
anbaut? Iſt das Haus bis zum Dachſtuhl ge⸗
diehen, dann kann der Hauseigentümer keinen ſog.
„Bauinſtand“, keine einſtweilige Verfügung mehr
erwirken, wornach dem Anbauenden der Anbau
bei Meidung einer Strafe verboten wird, falls er
nicht die Ablöſungsſumme hinterlegt oder zahlt.
Dann hat auch vielfach der Hauseigentümer alle
Ausfichten auf Ablöſung der Kommunmauer durch
den Nachbarn verloren.
Soll der Hauseigentümer den Antrag auf einſt⸗
weilige Verfügung wagen? Dieſe Frage iſt ver⸗
ſchieden zu beantworten, je nachdem man ſich der
„Ueberbau⸗Lehre“, oder bei inmitte liegendem Eigen:
tumswechſel der „Sondereigentums⸗Lehre“ anſchließt.
Auch prozeſſual gibt es Schwierigkeiten. Wird doch
nach der Anſchauung mancher Zivilkammern dem Er⸗
werber eines Ablöſungsanſpruches (wichtig für Fall II)
das Verbietungsrecht, alſo das Recht auf einſtweilige
Verfügung und „Bauinſtand“ nicht zugeſtanden, weil
dieſer Anſpruch gewiſſermaßen dingliche Eigenſchaft,
ein jus ad rem vorausſetze, was beim Erwerber
nicht zutreffe.“) Soll der erfahrene Anwalt Hinter:
legung wegen Ungewißheit des Gläubigers empfehlen
($ 372 BGB.) allenfalls unter Verzicht auf Rück⸗
nahme? (3 376 Nr. 1 BGB.) ? Er wird bei der
heutigen Geldknappheit nur ein Schütteln des
) Neuerdings hat der IV. ZS. des OLG. Mün⸗
chen mit Beſchluß vom 5. Mai 1913, Beſchw.⸗Reg. 275/13,
ſich dahin ausgeſprochen, „es ſtehe auch dem Zeſſionar
dieſer Verbietungsanſpruchzu; im Zweifel müſſe als
Abſicht der Parteien angenommen werden, daß mit
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
der Abtretung des Ablöſungsanſpruchs (Ablöſungs⸗
ſumme) auch der Verbietungsanſpruch des Hauseigen⸗
tümers mit übertragen werden ſolle, da der Empfänger
ſonſt ein wirtſchaftlich faſt wertloſes Recht erwerbe.“
Das gleiche gilt natürlich auch für den Pfändungs⸗
pfandgläubiger, der den Ablöſungs⸗ und Ver⸗
bietungsanſpruch gepfändet und ſich zur Einziehung
hat überweiſen laſſen ($$S 829, 835, 851, 857 ZPO.
Der gleiche Beſchluß trifft noch eine weittragende
materiell⸗ rechtliche Entſcheidung. Zwiſchen dem
Eigentümer des kommun erbauten Hauſes und der Platz⸗
eigentümerin war vor Unterzeichnung des Bauplanes
auf der Lokalbaukommiſſion vereinbart worden, daß
die Kommunmauerablöſungsſumme ſofort bei Bau⸗
beginn durch die Platzeigentümerin zu zahlen fei. Die
Beklagte zahlte nicht. Das OLG. entſcheidet:
„Nach der in München herrſchenden, durch die
Vorſchriften in Art. 68 AG. BGB. beeinflußten Ver⸗
kehrsauffaſſung iſt eine ſolche Vereinbarung im Zweifel
dahin zu verſtehen, daß die Anbauende ſich auch
verpflichtete, an die vom Kläger errichtete Kommun—
mauer nicht eher anzubauen, als bis ſie
die ganze Ablöſungsſumme beglichen
hat. Der Kläger braucht daher den Anbau erſt zu
— . ——— —— — FE
geſtatten, wenn die Ablöſungsſumme gezahlt iſt und
kann der Beklagten den Anbau ‚unterjagen, bis fie
dieſer Pflicht nachgekommen iſt.“
|
Kopfes hervorrufen, der Klient wird weiter an die
Weltfremdheit der Juriſten einſchließlich der An⸗
wälte glauben, unbefriedigt von dannen ziehen und
ſich denken: „Das ſchöne Geld ſoll ich bei 2%
Zins auf die K. Filialbank legen!“
Dutzende von Fragen wären noch zu beſprechen,
die juriſtiſch und techniſch bedeutungsvoll find; fie
würden aber den Rahmen dieſer Abhandlung über:
ſchreiten.
Nur ein paar Worte über die Rechtsbehelfe:
Neben der Klage als ordentlichem Rechtsbehelf
kommen nur einſtweilige Verfügungen in
Betracht. Dieſe ſind in bezug auf den Streit⸗
gegenſtand (Ablöſungs⸗ und Verbietungsanſpruch)
zuläſſig, wenn zu beſorgen iſt, daß durch eine Ver⸗
änderung des beſtehenden Zuſtandes (Anbau) die
Verwirklichung des Rechtes auf Ablöſung vereitelt
oder weſentlich erſchwert werden könnte ($ 985 ZPO.).
Es wird dem Ablöſungsgläubiger leicht fein, dieſe
Beſorgnis dem Gericht „glaubhaft zu machen“,
(88 936, 920 Abſ. II, 294 ZPO.). In der Regel
baut bei Spekulationsbauten der Baumeiſter nicht
mit eigenem Geld, ſondern mit fremdem (Bau⸗
kapital), das vielfach knapp bemeſſen iſt. Nach
der Erfahrung iſt häufig die Vollſtreckung in das
übrige Vermögen des Anbauenden ausſichtslos und
nur durch den Zwang, entweder die Ablöſungs⸗
ſumme zu zahlen oder den Anbau zu unterlaſſen,
erhält der Gläubiger die Ablöſungsſumme.
Auch die Vorausſetzungen des 8 940 3PO.
werden regelmäßig bei Errichtung von Spekulations⸗
bauten vorliegen (Regelung eines einſtweiligen Zu⸗
ſtandes in bezug auf ein ſtreitiges Rechtsverhält⸗
nis)! Die Regelung, nämlich die Zahlung oder
Hinterlegung der Ablöſungsſumme, iſt zur Ab:
wendung weſentlicher Nachteile, nämlich des Ver⸗
luſts der Ablöſungsſumme, oder aus anderen Gründen
nötig.
Der Arreſt iſt in der Regel kein geeigneter
Rechtsbehelf.
a) Es wird dem Arreſtkläger ſchwer werden,
dem Gericht glaubhaft zu machen, daß der Arreſt⸗
beklagte damit umgeht, ſein Vermögen dem Yu:
griff der Gläubiger zu entziehen.
b) Die Möglichkeit, in das Vermögen des
Arreſtbeklagten zu vollſtrecken, iſt durch die Bau⸗
führung nicht größer geworden; denn das Bau:
kapital iſt nach dem Darlehensvertrag regelmäßig
„nicht übertragbar, nicht verpfaͤndbar und nicht
pfändbar“ (zulaſſig nach 88 399 BGB., 851 ZPO.).
Damit entfällt für die Regel jede Möglichkeit,
durch einen Arreſtantrag den Ablöſungsanſpruch
zu verwirklichen.
Wie iſt dem beklagten Uebelſtande zu begegnen?
Da geſetzgeberiſche Maßnahmen ſo gut wie ausſichts⸗
los ſind, iſt eine Hilfe nur von der Rechtſprechung
zu erwarten. Zu verlangen und zu wünſchen wäre
wenigſtens, daß nur eine Zivilkammer und ein
Zwilſenat zur Entſcheidung von Kommunmauer—
ſtreitigkeiten zuſtaͤndig wäre, damit endlich die Recht:
Zeitſchrift für Rechtspftege in Bayern. 1914. Nr. 9. 185
ſprechung einheitlich würde. Iſt doch am LG.
München 1 z. B. nur eine Zivilkammer mit Ehe⸗
ſcheidungsſachen und nur eine Handelskammer mit
„unlauteren Wettbewerbsſachen“ betraut. Zudem iſt
eine Sonderbeſchäftigung für die rechtliche Beurteilung
von Kommunmauerſtreitigkeiten auch ſür den Richter
ſehr erwünſcht, wie ja auch das Publikum in rich⸗
tiger Erkenntnis dieſer Umſtände die Warnehmung
ſeiner Rechte Juriſten anvertraut, bei denen es
eine ſolche Sonderkenntnis vorausſetzt. Mein Vor⸗
ſchlag könnte auf Grund der Geſchäftsverteilung
der Gerichte erreicht werden.“)
Im übrigen iſt ein oberſtrichterliches Urteil
vermutlich alsbald zu erwarten. Es iſt mir bisher
noch kein Urteil des BayOb“ G. oder des RG. be⸗
kannt geworden, das einen Münchener Kommun⸗
mauerablöſungsanſpruch nach dem Rechte des BGB.
entſchieden haͤtte. Die Kommunmauerablöſungs⸗
anſprüche liegen faſt ausnahmslos unter der Re⸗
vifionsſumme, weil die Erbauungskoſten der ganzen
Kommunmauer ſchwerlich über 8000 M betragen
und in Kommunmauerprozeſſen immer nur die
halben Erbauungskoſten ſtreitig ſind. Nunmehr
iſt am Landgericht München I ein revifibler Kom⸗
munmauerrechtsſtreit mit einem typiſchen Tatbeſtand
anhängig: Kommunmauer erbaut nach dem 1. Ja-
nuar 1900 und vor 1. Mai 1905 (Anlegung des
Grundbuchs !). Das kommun erbaute Haus wurde
mehrfach verſteigert und kam ſchließlich durch Kauf
(Einzelrechtsnachfolge) in den Befitz der jetzigen
Klägerin. Der Bauplatz wurde nach Errichtung
der Kommunmauer verkauft und vom jetzigen Be⸗
klagten bebaut.
Prüfungspflicht des Kegifterrichters in
Geſchmacksmuſterſachen.
Von Oberamtsrichter Franz Simon in Augsburg.
(Schluß).
VI. Bei Zwangsvollſtreckung in das
Geſchmacksmuſterrecht hat ſich der Regiſter⸗
richter ſchlüſſig zu machen, welche Tätigkeit er auf
eine an ihn gelangte Vollſtreckungsverfügung zu
entfalten hat.
1. Vorlage eines Pfändungsbeſchluſſes hinſicht⸗
lich eines Muſterrechts. Das Geſchmacksmuſterrecht
unterliegt als übertragbares einen Vermögenswert
enthaltendes Recht (8 3 MuſtG.) der Zwangsvoll⸗
2) Nach Vollendung dieſer Abhandlung leſe ich in
Nr. 158 und 159 der Münch. N. N., daß durch Präſidial⸗
beſchluß die Geſchäftsverteilung des Oberlandesgerichts
München mit Wirkung vom 1. Januar 1915 dahin geändert
wurde, daß die aus dem Bezirk des OLG. einkommenden
Berufungen und Beſchwerden in allen Rechtsſtreitig⸗
keiten über die Benützung und Entſchädigung von
Grenzmauern dem II. ZS. zugewieſen werden.
ſtreckung. “) Die Zwangsvollſtreckung kann ſtatt⸗
finden, ſobald das Muſterrecht durch Anmeldung
und Niederlegung des Muſters beim zuſtändigen
Regiſtergerichte als Schutzrecht entſtanden iſt, “)
und vollzieht ſich nach 8 857 ZPO. Die Pfändung
iſt bewirkt mit der Zuſtellung des gerichtlichen Ge⸗
bots an den Schuldner (den Inhaber des Muſter⸗
rechts), ſich jeder Verfügung über das Recht zu
enthalten (8 857 Abſ. 3 ZPO.). Eine Vorſchrift
über Vermerk der Pfändung im Regiſter beſteht
für das Geſchmacksmuſter ſo wenig wie für das
Gebrauchsmuſter und Patent.)
Einen dem Regiſtergerichte etwa zugeſtellten Pfän⸗
dungsbeſchluß oder die Mitteilung einer Pfaͤndung
unter Bezugnahme auf den Beſchluß wird das
Regiſtergericht als Beilage zu den Akten über die
Anmeldung und Niederlegung nehmen oder nach
Vormerkung zu den Akten zurückgeben. Der An⸗
trag auf Eintragung der Pfändung iſt zurückzu⸗
weiſen, da hierfür im Muſterregiſter kein Raum iſt.
2. Antrag eines Pfandgläubigers auf Verlänge⸗
rung der Schutzfriſt. Durch die Pfändung erwirbt
der Gläubiger ein Pfandrecht an dem gepfändeten
Muſterrecht (88 857, 829, 804 ZPO.). Auch im
Verhältniſſe zum Schuldner hat das Pfandrecht die
Wirkungen eines Vertragspfandrechts nach BGB.
(Gaupp⸗Stein, Komm. z. $ 804 Anm. III ZPO.).
Dem Inhaber des Pfandrechts ſtehen daher Rechte nur
nach 58 1273 ff. BGB. zu. Das Pfandrecht umfaßt
aber das Muſterrecht in ſeinem Beſtande und Um⸗
| fang zur Zeit der Pfändung und ergreiſt etwaige
Nebenrechte. Als Nebenrecht wird zwar die Be⸗
fugnis, Verlängerung der Schutzfriſt zu verlangen
nicht bezeichnet werden können, dennoch iſt ſie etwas
aͤhnliches. Sie liegt im Muſterrecht und wird von
der Pfändung mit erfaßt. Sie iſt, wenn das Recht
zum Muſterregiſter angemeldet und das Recht hier⸗
mit Vermögensſtück geworden, dem Verkehre über:
geben iſt, nicht mehr perſönliches Recht des Urhebers
oder ſeines Rechtsnachfolgers. Wie der Pfandgläu:
biger einer Forderung zur Erhaltung ſeines Pfand⸗
rechts tätig werden und manche auf die Forderung
bezügliche Rechte ausüben kann (3. B. Wechſel pro⸗
teſtieren, bei Feſtſtellungsintereſſen auf Feſtſtellung
der Forderung klagen kann), ſo wird hier der
Pfandglaͤubiger Ausdehnung der Schutzfriſt begehren
können. Dieſes Ergebnis entſpricht auch allein den
Bedürfniſſen der Praxis. Es iſt im Intereſſe des
Gläubigers und ohne Nachteil für den Schuldner.
Es ginge unter Umſtänden der Pfandgegenſtand
durch Ablauf der Schutzfriſt verloren, wenn nur
auf Grund Vereinbarung mit dem Inhaber des
) Siehe Gaupp⸗Stein, Komm. z. ZPO. 10. Aufl.
§857 Anm. II3; Kohler, Muſterrecht S. 42; Wertheimer,
Die Zwangsvollſtreckung in gewerbl. Schutzrechte (LZ.
1908 S. 279, 352 ff.); Lehmann ſiehe Neumanns Jahrb.
Bd. 7 S. 1154; Jaeger, Komm. z KO. §1 Anm. 10; z. T.
abweichend Allfeld a. a. O. S. 319 Muft®. 8 3 Anm. 3.
) Siehe für letzteres Alfeld a. a. O. S. 1168 6
| Anm. 5 Pat.
186
Muſterrechts oder auf Ueberlaſſung des Muſter⸗
rechts durch das Gericht im Wege der Befriedigung
vom Pfandgläubiger die Verlängerung beantragt
werden konnte.“)
3. Antrag des Konkursverwalters auf Ver⸗
längerung der Schutzfriſt. Hinſichtlich eines in die
Konkursmaſſe gefallenen Geſchmacksmuſterrechts““)
wird der Konkursverwalter auf Grund ſeiner Ver⸗
waltungs⸗ und Verfügungsbefugnis (KO. 88 6 und
117) Verlängerung der Schutzfriſt beantragen können.
4. Antrag des Pfandſchuldners und Rechts⸗
inhabers auf Verlängerung der Schutzfriſt. Der
Schuldner kann auch nach Pfändung ſeines Ge⸗
ſchmacksmuſterrechts auf ſeine Koſten den Antrag
auf Ausdehnung der Schutzfriſt ſtellen, denn das
Verfügungsverbot erſtreckt ſich nur auf Handlungen,
die das Recht des Gläubigers beeinträchtigen, nicht
auf ſolche, die, wie der Verlängerungsantrag, es
ſtärken und erhalten (Gaupp⸗Stein a. a. O. 8 829
Anm. VI I).
5. Verzicht auf das Muſterrecht nach deſſen
Pfändung. Iſt dem Regiſtergerichte ein Beſchluß
über Pfändung des Muſterrechts nebſt Nachweis
über Zuſtellung an den Schuldner mitgeteilt und
es läuft danach eine Verzichtserklarung bezüglich
desſelben Muſterrechts zum Vermerk im Regiſter
ein, dann wird der Antrag abzuweifen ſein, wenn
nicht nachgewieſen wird, daß die Pfändung nicht
mehr beſteht. Denn das zur Kenntnis des Regiſter⸗
gerichts gelangte ordnungsgemäß erlaſſene Ver⸗
fügungsverbot wird das Regiſtergericht zu berück⸗
ſichtigen haben.
6. Vorlage eines Ueberweiſungsbeſchluſſes hin⸗
ſichtlich des gepfändeten Muſterrechts. Wäre eine
Ueberweiſung des Muſterrechts vom Vollſtreckungs⸗
gerichte beſchloſſen und es würde dem Regiſtergerichte
der ſonſt ordnungsgemäß erlaſſene und zugeſtellte
Ueberweiſungsbeſchluß mit dem Antrag auf Vermerk
des Rechtsübergangs vorgelegt, ſo wäre der Antrag
abzuweiſen.
Ueberweiſung an Zahlungs Statt iſt ausge⸗
ſchloſſen, weil das Geſchmacksmuſterrecht keinen
Nennwert hat.
Ueberweiſung zur Einziehung, wenn ſie über⸗
haupt zuläſſig!“) iſt, bewirkt nicht den Rechtsüber⸗
gang. Der Schuldner bleibt Inhaber des A
% Für das Antragsrecht des Bandgtäubigers
auch Wertheimer a. a. O., LZ. 1908 S. 353. — Die
Gebühren und Auslagen wird in dieſem Falle der
antragjtellende Pfandgläubiger (gemäß analoger An—
wendung der SS 12 Abſ. 2, 9 Abſ. 6 MuſtG., 8 8 der
ReichskBek. vom 29. Februar 1876) zu tragen haben.
Wie weit er Erſatz vom Pfandſchuldner verlangen kann,
wird ſich nach den Vorſchriften über die Geſchäftsführung
ohne Auftrag beſtimmen. Auf Grund der SS 857, 829
3PO. wird ſich eine Verpflichtung des Schuldners
zum Verlängerungsantrag und zur Gebührenzahlung
nicht konſtruieren laſſen.
) Jäger, Komm. z. KO. § 1 Anm. 10.
t
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
Es iſt daher kein Eintrag in das Muſterregiſter
zu machen.
7. Antrag auf Eintragung des Rechtsübergangs
nach durchgeführler Zwangsvollſtreckung. Das
Pfandrecht wird nach Gehör des Schuldners (8 844 II
ZPO.) auf Anordnung des Vollſtreckungsgerichts
durch Veräußerung des Rechts, in der Regel durch
Verſteigerung, auch Verkauf aus freier Hand, Ueber⸗
laſſung des Rechts zum 5 an den
Glaͤubiger in Anrechnung auf ſeine Forderung
verwirklicht.
In allen dieſen Fallen wird der Erwerber des
Rechts, wenn er den Rechtsübergang im Regiſter
vermerkt haben will, ihn durch Vorlage des Pfän⸗
dungsbeſchluſſes mit Zuſtellungsnachweis. des Ver:
ſteigerungs⸗ oder ſonſtigen Veräußerungsprotokolls
und des Beſchluſſes des Gerichts, welches die Ver⸗
aͤußerung anordnet, nachzuweiſen haben.) Ein:
trag und Bekanntmachung wie oben III
Alle auf die Pfändung von Nießbrauchsrechten
oder Lizenzrechten bezüglichen Anmeldungen find
zurückzuweiſen, da dieſe Rechte ſelbſt nicht ver⸗
merkt werden.
VII. Bei Verpfändung eines Geſchmacks⸗
muſterrechts. Das Geſchmacksmuſterrecht unter⸗
liegt als übertragbares Vermögensrecht der Ver⸗
pfändung (83 MuſtG.; 8 1273 BGB.). Das
Pfandrecht wird der äußeren Form nach gemäß
den für die Uebertragung des Rechts geltenden
Vorſchriften beſtellt (S 1274 BGB.); da nach dem
MuſtG. keine beſondere Form für die Uebertragung
vorgeſchrieben iſt, durch formloſen Vertrag ($ 413,
398 BGB.).
Mangels geſetzlicher Vorſchrift und weil ſich
am Inhaber des Muſterrechts nichts ändert, iſt
die Verpfändung in das Muſterregiſter nicht zu
vermerken. Wenn dagegen das Recht nach Ver⸗
einbarung von Gläubiger und Schuldner veräußert
iſt oder die Befriedigung aus dem Rechte gemäß
8 1277 BGB. ſtattgefunden hat, dann kann der
Erwerber Vermerk des Rechtsübergangs beantragen.
Der Regiſterrichter hat den Rechtsübergang zu
prüfen. Zu dieſem Zwecke hat der Antragſteller
unter Nachweis der Verpfändung den vollſtreckbaren
Titel, die Anordnung des Gerichts über die Ver⸗
wertung des Rechts und die etwa vorhandene Ur⸗
kunde über die Verſteigerung oder ſonſtige Ver⸗
äußerung vorzulegen. Mangels genügender ur:
kundlicher Nachweiſe wird der Regiſterrichter hier
wie bei der Pfaͤndung den Pfandgläubiger, den
eingetragenen Rechtsinhaber und den Verſteigerer
uſw. vernehmen.
7) Bei Verwertung durch den Konkursverwalter
wird der Konkurseröffnungsbeſchluß und der Vertrag
zwiſchen dem Konkursverwalter und dem Erwerber des
Muſterrechts, allenfalls auch die Veräußerung im Wege
der Zwangsvollſtreckung oder des Pfandverkaufs (8 127
KO.,
4% Vgl. hierüber Gaupp-Stein, Komm. z. Zü O. 8857
Anm. VI. Verneinend Wertheimer a. a. O.
S. 354. |
ſ. auch VII) nachzuweiſen ſein. Die Konkurs⸗
eröffnung ſelbſt wird ſo wenig wie die Pfändung im
Regiſter vermerkt.
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 187
Der Rechtsübergang wird bei Antrag in der
Spalte „Bemerkungen“ eingetragen und bekannt
gemacht wie oben III. Für Antrag auf Ver⸗
längerung der Schutzfriſt gilt das unter VI 2
Geſagte.
VIII. Bei Beſchwerde gegen eine Ber:
fügung des Regiſtergerichts in Geſchmacks⸗
muſterſachen iſt nach Prüfung der Zuſtändig⸗
keit zu unterſcheiden, ob ſich die Beſchwerde auf
das Recht ſelbſt oder die zu erhebende Gebühr
bezieht. Erſterenfalls find für die Beſchwerde
die Beſtimmungen für das Handelsregiſter ent⸗
ſprechend anzuwenden (Bayer. MBek. vom 14. De⸗
zember 1899 die Führung des Muſterregiſters betr.
88; Muft®. 8 9 Abſ. 1). Die Beſchwerde iſt
die der freiwilligen Gerichtsbarkeit und die einfache
Beſchwerde, da es ſich hier nicht um Fälle der
ſofortigen Beſchwerde des FGG. handelt (e. contr.
98 125—161 FGG., 8 19 GG.). Sie ſteht dem
abgewieſenen Antragſteller oder deſſen geſetzlichen
Vertreter gegen alle abweifenden Beſchlüſſe in Ge⸗
ſchmacksmuſterangelegenheiten zu ($ 20 JGG.).
Andere, deren Rechte dadurch verletzt werden, daß
der Anmeldung ſtattgegeben wird, haben kein Be⸗
ſchwerderecht.) Sie werden im Klagewege ver:
ſuchen müſſen, Schutz ihrer Rechte zu erlangen.“)
Die Beſchwerde iſt, wenn ihr nicht abgeholfen
wird, an die Kammer für Handelsſachen des über⸗
geordneten Landgerichts zu leiten (§ 30, 125 FGG.;
99 MuſtG.; 8 8 der Bayer. MBek. vom 14. De:
zember 1899, die Führung des Muſterregiſters
betr.).
Betrifft die Beſchwerde die zu erhebenden Ge⸗
bühren, ſo find in Bayern die Beſtimmungen des
Geb. i. d. F. vom 13. Juli 1910 anzuwenden
(Bayer. MBek. vom 14. Dezember 1899 8 9
Abſ. 2). Die erſte Einwendung gegen einen Ge:
bührenanſatz wird Erinnerung nach Art. 44 GebG.
ſein. Gegen die gemäß Art. 44 Geb. erlaſſene
Entſcheidung greift Beſchwerde nach Art. 46, 48 ff.
GebG. Platz.
—
) Wird dem Antrage auf Vermerk der Pfändung,
der Verpfändung, der Lizenz⸗ oder Nutznießungsrechte,
eines Rechtsübergangs, der Nichtigkeitserklärung ſtatt⸗
gegeben, dann wird auch dem eingetragenen Urheber
das Beſchwerderecht zuzugeſtehen ſein.
) Ueber Anfechtungs⸗ und Nichtigkeitsklage ſiehe
Kohler, Muſterrecht S. 134 ff., S. 127ff.; Allfeld a. a. O.,
97 Anm. 1 Muftd. S. 334, aber ebenda 8 7 Anm. 4,
ſ. auch oben Anm. 41 und 33.
Y Erachtet das Beſchwerdegericht die Erforderniſſe
des Schutzes für erfüllt und wird die abweiſende Ent⸗
ſcheidung des Regiſtergerichts auf die Beſchwerde auf:
gehoben, ſo iſt der Schutz mit der früheren Anmeldung
eingetreten, ſoweit die zu prüfenden Erforderniſſe der
Anmeldung und Niederlegung eines Muſters in Be⸗
tracht kommen. Trotzdem kann der Schutz in Wirklichkeit
nicht beſtehen, weil z. B. das Muſter nicht neu oder
ſchon verbreitet iſt.
Oeffnung der verſiegelt niedergelegten
Muſter und Muſterpakete.
Ohne Antrag hat das Regiſtergericht auf Grund
Geſetzes (8 9 Abſ. 5 MuſtG.) die verfiegelt nieder⸗
gelegten Muſter und die verſiegelt übergebenen
Muſterpakete zu eröffnen. Hierbei hat der Regiſter⸗
richter das Folgende zu beachten:
1. Iſt der Zeitpunkt zur Eröffnung gekommen,“)
find drei Jahre nach der Anmeldung oder bei
kürzerer Schutzfriſt dieſe abgelaufen? Für die Friſt⸗
berechnung ſind die 88 187 Abſ. 1, 188 Abſ. 2
BGB. maßgebend. Die Friſt beginnt mit dem
Tage, an dem die Anmeldung beim zuſtändigen
Amtsgerichte ordnungsmäßig einläuft oder zu deſſen
Protokoll erklärt wird. Dieſer Tag wird bei Be⸗
rechnung der Friſt nicht mitgerechnet. Mit Ab⸗
lauf des Tages des letzten Monats, der durch
ſeine Zahl dem Anmeldungstage entſpricht, endigt
die Friſt. Bei Bruchteilen eines Jahres und
29. Februar eines Schaltjahres ſiehe auch 8 188
Abſ. 3 BGB.
2. Liegt bei Oeffnung auf Grund des 8 11
Muft®. ein Antrag des eingetragenen Urhebers
oder Rechtsnachfolgers, des Straf⸗ oder Zivilgerichts,
der Staatsanwaltſchaft oder eines Schiedsgerichts auf
Eröffnung des verfiegelten Muſters vor? Antrag
einer anderen Privatperſon als des eingetragenen
Urhebers oder feines Rechtsnachfolgers genügt nicht
und wäre abzuweiſen.
3. Sind die Siegel des Kuverts oder Pakets
unverſehrt? (Bayer. JMBek. vom 14. Dezember
1899, 8 7).
4. Sind in der Umhüllung die auf ihr an⸗
gegebenen und angemeldeten Muſter oder Ab⸗
bildungen der Muſter enthalten? Da der Muſter⸗
ſchutz durch Anmeldung und Niederlegung der Muſter
(oder der Abbildung) erworben wird, wird ein im
Paket enthaltenes Muſter Schutz nicht genießen,
wenn der Schutz ausdrücklich nur für beſtimmte
Muſter in der Anmeldung beanſprucht wird und
dieſes Muſter (ſeiner Beſchreibung oder Nummer
nach) in der Anmeldung nicht genannt iſt. Es
fehlt dann an einer geſetzlichen Vorausſetzung des
Schutzes.
Wenn nur auf dem Pakete die Geſchäftsnummern
angegeben ſind, im Pakete aber die einzelnen Muſter
(oder Abbildungen) keine Nummern tragen, und
im Pakete eine größere Zahl von Muſtern vor⸗
handen iſt, als Nummern auf dem Pakete angegeben
ſind, dann fragt es ſich, ob ſich Anmeldung und
Schutz auf ſämtliche im Paket enthaltenen Muſter
oder nur auf eine Anzahl Muſter (Abbildungen)
und welche Muſter erſtrecken. Die Entſcheidung,
ob und wie weit Muſterſchutz in dieſen und ähn⸗
lichen Fällen“) entſtand, wird dem Prozeßgerichte
) Prüfung des Kontrollverzeichniſſes (8 11 der
ReichskBek. vom 29. Februar 1876, 8 7 der Bayer.
JMBek. vom 14. Dezember 1899).
*) Z. B. Unterſchiede zwiſchen den Nummern auf
dem Paket und auf den Muſtern ſelbſt.
obliegen. Das Regiftergericht wird nur den Befund
in dem über die Eröffnung aufzunehmenden Pro⸗
tokolle genau feſtzuſtellen haben. Wird aber Ver⸗
längerung der Schutzfriſt beanſprucht und der Inhalt
des gleich danach eröffneten Pakets ſtimmt mit der
Aufſchrift auf ihm und mit der Anmeldung °°)
nicht überein, ſo wird der Regiſterrichter zu prüfen
haben, ob er die Verlängerung einzutragen hat oder
nicht. Wenn mangels der formellen Vorausſetzungen
der Anmeldung oder Niederlegung Schutz nicht ent⸗
ſtanden iſt, dann wird er den Muſtern nicht durch
Eintragung der Ausdehnung den Anſchein des
Schutzes geben dürfen.
Ift der Gegenſtand des Muſters weſentlich ab:
weichend von dem verſchloſſen niedergelegten Muſter
auf dem Paket und in der Anmeldung angegeben,
ſo wird der Antrag auf Verlängerung abzuweiſen
ſein, da mangels Anmeldung kein Schutz erlangt
wurde.
Handelt es ſich nur um eine unweſentliche Ab⸗
weichung in der Bezeichnung des Gegenſtandes, ſo
wird die Verlängerung unter Aufrechterhaltung
der bisherigen Eintragung eingeſchrieben werden
können.
Stimmen die Fabrik- oder Geſchäftsnummern
in der Anmeldung und auf den hinterlegten Muſtern
nicht, wohl aber die Bezeichnung des Gegenſtandes
mit den niedergelegten Muſtern (Abbildungen) über:
ein, ſo daß die Gleichheit des Gegenſtandes feſtſteht,
für den der Muſterſchutz begehrt wird, dann wird der
Verlängerungsantrag zugelaſſen werden können.“)
Enthält das Paket außer den angemeldeten
und auf dem Paket angegebenen weitere jelbftändige
Muſter oder ſind auf dem Paket und in der An⸗
meldung Muſter angegeben, die im Pakete nicht
enthalten find, ſo iſt der Antrag auf Ausdehnung
der Schutzfriſt für die weiteren oder die nicht ent⸗
haltenen Muſter abzulehnen, weil Schutz mangels
einer geſetzlichen Vorausſetzung nicht erlangt war.“)“
ss), Stimmt die Aufſchrift des Pakets nicht mit der
Anmeldung überein, dann wird der Richter die Be⸗
richtigung der Aufſchrift oder Anmeldung ſofort bei der
Anmeldung veranlaſſen.
4) Ob die Anmeldung und Niederlegung noch
neuerlich erfolgen kann, wenn Schutz begehrt wird,
wird davon abhängen, ob die übrigen geſetzlichen
Vorausſetzungen für eine Neuanmeldung nach Angabe
des Antragſtellers noch gegeben ſind.
5) Gemäß 8 10 Abſ. 4 MuſtG. und 8 7 der
ReichskBek. vom 29. Februar 1876 ift die Angabe der
Fabrik- oder Geſchäftsnummer zwar Erfordernis der
Anmeldung. Wenn aber eine Fabriknummer angegeben
und nur in der Bezeichnung geirrt iſt, ſo wird das
Regiſtergericht keinen genügenden Anlaß zur Abweiſung
haben, wenn ſonſt das Muſter deutlich und richtig be—
ſchrieben iſt.
de) S. Bayer. MBek. vom 23. März 1900, die Be⸗
rechnung von Gebühren für die Eintragung und Nieder—
legung von Muſtern und Modellen nach dem Geſetze
vom 11. Januar 1876 betr. (IM Bl. 1900 S. 613),
welche beſtimmt: „Für die Gebührenberechnung in
denjenigen Fällen, in denen bei Niederlegung vers
ſiegelter Pakete von vornherein ein Schutz über 3 Jahre
hinaus in Anſpruch genommen wird, ſind zunächſt die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
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4
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War die Anmeldung fo gefaßt, daß der Schutz
für ſämtliche im Paket enthaltene Muſter gefordert
und die Zahl der Muſter und deren Nummern
aus der Aufſchrift des Pakets nicht erſichtlich war,
ſo war ſchon die Anmeldung abzuweiſen, weil 8 9
Abſ. 4 MuſtGG. und 8 7 Abſ. 2 der ReichskBek.
vom 29. Februar 1876 nicht beobachtet waren.
Iſt in dieſem Falle trotzdem die Anmeldung
und Niederlegung entgegengenommen worden, dann
wird das Regiſtergericht dem Verlängerungsantrag
ſtattgeben, wenn auf ihm beſtanden wird, denn
es iſt immerhin zweifelhaft, ob der Schutz nicht
doch entſtanden iſt. Jedenfalls liegt eine ſich auf
alle Muſter beziehende Anmeldung, Niederlegung
und Entgegennahme durch das Gericht vor. Es
kann hier dem Prozeßgerichte die Entſcheidung
überlaſſen werden, ob die mangelnde Zahl: und
Nummernangabe die Entſtehung des Schutzes hin⸗
derte. Das Regiſtergericht wird hier den Ver⸗
längerungsantrag nicht abweiſen, ſelbſt wenn mehr
als 50 Muſter in dem geöffneten Pakete enthalten
waren, ſondern nur die Gebühr für die über
50 vorgefundenen Muſter einfordern.) Kommen
bei Eröffnung der verfiegelt hinterlegten Muſter
oder Muſterpakete Muſter, Modelle oder Abbil⸗
dungen von ſolchen zum Vorſchein, welche Geſetz⸗,
Sitten⸗ oder Rechtswidrigkeiten enthalten, dann
iſt ein hierauf bezüglicher Antrag auf Schutzfriſt⸗
verlängerung aus dem oben 1 5 aufgeführten Grunde
abzuweiſen.
Das Regiſtergericht wird richtig und zweck⸗
mäßig verfahren, wenn es über die Zuläſſigkeit des
Antrags auf Ausdehnung der Schutzfriſt erſt nach
der Eröffnung entſcheidet, die ja faſt durchweg
alsbald nach einem Verlängerungsantrag zu ge:
ſchehen hat.
Kleine Nitteilungen.
Haftung für unrichtige Angaben im Handelsteil
der Tageszeitungen. Im Handelsteil einer Tageszeitung
war eine Notiz erſchienen, daß in der Verwaltung einer
Aktiengeſellſchaft ſtarke Streitigkeiten zutage getreten
ſeien, die zu Beſchuldigungen ſtrafrechtlicher Art und
zu mehreren Prozeſſen geführt hätten; damit ſtehe im
Zuſammenhang, daß ſich die demnächſt ſtattfindende
Generalverſammlung mit der Abberufung eines Auf⸗
ſichtsratsmitgliedes zu befaſſen haben werde. Die Di⸗
rektion der Aktiengeſellſchaft ſandte ſofort eine Berich⸗
Angaben des Hinterlegers über die Zahl der in den
Paketen befindlichen Muſter zugrunde zu legen. Ergibt
es ſich bei der Oeffnung der Pakete, daß die Zahl der
im Pakete befindlichen Muſter zu niedrig angegeben
worden war, ſo wird derjenige Betrag, der an Gebühr
zu wenig entrichtet war, nachträglich eingefordert.“
Hieraus folgt nicht, daß Schutz erlangt war, denn
die Gebühr wird für die mit der Eintragung, Nieder⸗
legung und Aufbewahrung verbundene 8
erhoben (Motive zu § 11 Muft®.; Sten. Ber. 1875 / 7
Bd. 3 S. 79).
tigung ein; dieſe wurde in einer der nächſten Nummern
veröffentlicht, aber mit dem Zuſatze, daß der Gewährs⸗
mann der Zeitung ſeine Mitteilungen in vollem Um⸗
fang aufrecht erhalte. Nun erhob die Aktiengeſellſchaft
Klage gegen den Verlag der Zeitung und beantragte,
dieſen zu verurteilen: 1. die weitere Verbreitung der
Notiz zu unterlaſſen; 2. in einer Reihe von Zeitungen
durch Inſerat bekannt zu geben, daß die Notiz in jeder
Beziehung unrichtig ſei: 3. einen Schadenserſatz von
100 000 MH zu zahlen. In zwei Inſtanzen wurde die
Klage abgewieſen; das Reichsgericht verwies aber die
Sache zur neuen Verhandlung zurück.) Das Beru⸗
fungsgericht hatte den erſten Antrag der Klage des⸗
halb für unbegründet erachtet, weil keine Tatſachen
behauptet waren, aus denen ſich entnehmen ließ, daß
eine Gefahr der Wiederholung der Notiz beftand; in
dieſer Hinſicht trat ihm das Reichsgericht bei. Zu den
beiden weiteren Anträgen hatte das Berufungsgericht
ausgeführt, daß die Veröffentlichung der Notiz wohl
geeignet war, den Kredit der Aktiengeſellſchaſt zu ge⸗
fährden und Nachteile für ihrer Erwerb bherbeizu⸗
führen, ſomit auch einen Anſpruch auf Schadenserſatz
zu begründen, daß aber die Redaktion des Handels⸗
teils ein berechtigtes Intereſſe daran gehabt habe, auf
Vorgänge und Verhältniſſe innerhalb der Aktiengeſell⸗
ſchaft hinzuweiſen, die für die Beurteilung ihrer Ge⸗
ſchäftslage und die Bewertung ihrer Aktien von Wichtig⸗
keit waren; der Handelsteil einer Zeitung von der
Bedeutung der hier in Rede ſtehenden gehöre zu der
Fachpreſſe und dieſer ſei die Befugnis einzuräumen,
auf ihrem Gebiete aufklärend und belehrend zu wirken.
Dieſe Ausführungen erklärte das Reichsgericht für
unrichtig. Wohl alle größeren Tageszeitungen haben
einen Handelsteil, in welchem Vorgänge des Erwerbs⸗
lebens beſprochen werden, die für den Leſerkreis von
Intereſſe ſein können; der Redakteur dieſes Teils ſteht
aber zu den Abonnenten in keiner anderen Beziehung
als der Redakteur des muſikaliſchen und literariſchen
Teils. Die politiſche Tageszeitung wendet ſich nicht
an einzelne Fachkreiſe, ſondern an das Publikum als
ſolches; ſie will deſſen Intereſſen dienen und darum
möglichſt alle Gebiete berühren, die für irgendwelche
Kreiſe von Bedeutung ſein können. Im beſonderen
Maße gilt das für den Handelsteil, der bei der heu⸗
tigen Geſtaltung der wirtſchaftlichen Verhältniſſe für
ſehr viele Leſer von der erheblichſten Bedeutung iſt
und nicht allein die mit dem Handel beruflich befaßten
Perſonen intereſſiert. Die Veröffentlichungen dieſes
Teiles werden darum von vielen Perſonen geleſen,
denen alle ſachlichen Vorkenntniſſe fehlen; dadurch
unterſcheidet er ſich weſentlich von den Fachblättern,
die ſolche Vorkenntniſſe vorausſetzen, die ſich demnach
nur an beſtimmte Kreiſe wenden und zu dieſen in eine
beſondere Beziehung treten. Daß die Leſer der Zeitung
ein Intereſſe daran haben mögen, über Vorgänge auf
wirtſchaftlichem Gebiete unterrichtet zu werden, reicht
nicht hin, um eine beſondere Beziehung zu dem be⸗
ſprochenen Vorgange herzuſtellen, die dieſes Intereſſe
zu einem berechtigten im Sinne des Geſetzes gemacht
und damit die Schadenserſatzpflicht für die durch die
Veröffentlichung der Notiz entſtandenen Nachteile aus⸗
geſchloſſen hätte (BGB. 8 824 Abſ. 2). Sonach war
die Haftung des Verlags begründet, wenn ein Ver⸗
ſchulden nachgewieſen wurde. Feſtgeſtellt war, daß
a Zivilſenat, 11. Dezember 1913 (JW. 1914
S.
— —ꝗ—ͤ—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9. 189
—ññññññ —22᷑Z24 — . — — —— — —
weder der Gewährsmann, noch der Redakteur des
Handelteils, noch endlich der Geſchäftsführer des Ver⸗
lags die Unwahrheit der Notiz kannte, hinſichtlich des
Geſchäftsführers außerdem, daß er auch gar nicht mit
der Möglichkeit einer Unrichtigkeit rechnen konnte. Die
Klage war auch damit begründet worden, daß für den
Handelsteil eine beſondere Kontrolle hätte eingerichtet
werden müſſen, um die Aufnahme von falſchen Nach⸗
richten zu verhindern. Hiezu erklärte das Reichsgericht,
daß das eine Ueberſpannung der an die Verleger zu
ſtellenden Anforderungen bedeuten würde, daß dieſe
vielmehr nur zur Beſtellung eines geeigneten Redak⸗
teurs verpflichtet ſind. Die Aktiengeſellſchaft hatte be⸗
ſtritten, daß der Redakteur des Handelsteil als geeignet
anerkannt werden könne und hatte dafür Beweis an⸗
geboten, daß der Geſchäftsſührer des Verlags ſelbſt
aus ſolchen Gründen die Entlaſſung des Redakteurs
beabſichtigt gehabt habe. Wenn das zutraf, war bei
der Beſtellung des Redakteurs oder bei ſeiner Belaſſung
in ſeiner Stellung nicht mit der im Verkehr erforder⸗
lichen Sorgfalt verfahren worden und der Ver⸗
lag haftete für den Schaden, den der Redakteur in
der Ausübung feiner Redaktionstätigkeit vorſätzlich oder
fahrläſſig einem anderen zufügte. Ein ſolches Verſchulden
des Redakteurs war von der Klage namentlich darin
gefunden worden, daß er die Berichtigung erſt
verſpätet veröffentlichte und daran die Bemerkung
knüpfte, der Gewährsmann halte ſeine Mitteilung auf⸗
recht. Das Reichsgericht erklärte hiezu, daß die Be⸗
richtigung nach dem Preßgeſetz in der nächſten zum
Druck noch nicht abgeſchloſſenen Nummer hätte ver⸗
öffentlicht werden müſſen und daß eine Verzögerung
auch nicht durch Ermittlungen über die Richtigkeit der
Notiz entſchuldigt worden wäre. Der Zuſatz, daß der
Gewährsmann ſeine Mitteilung aufrecht erhalte, kam
einer Wiederholung dieſer Mitteilung gleich; er war
noch nicht durch die Tatſache gerechtfertigt, daß der
Gewährsmann eine ſolche Erklärung abgab, zumal
wenn der Gewährsmann nicht als zuverläſſig galt,
wie in der Klage behauptet war.
Mit völliger Klarheit läßt ſich der Sachverhalt
aus dieſer Begründung des Urteils nicht entnehmen:
es geht aus ihr insbeſondere nicht hervor, um welche
Zeitung es ſich handelt. Das iſt nicht gleichgültig;
das Reichsgericht deutet ſelbſt an, daß unter Umſtänden
der Handelsteil einer Zeitung wegen der Bedeutung
ſeines Inhalts und deſſen formeller Geſtaltung zu einem
wahren Fachblatt werden kann. Der Angelpunkt der
Meinungsverſchiedenheiten iſt aber hier, wie in vielen
anderen, die Verhältniſſe der Preſſe berührenden Ur⸗
teilen die Abgrenzung des Begriffs der berechtigten
Intereſſen. Die beiden Vorinſtanzen hatten ihn
weiter gefaßt als das Reichsgericht, ein Vorgang, der
ſich ſchon mehrfach wiederholt hat. Nur Schritt für
Schritt hat das Reichsgericht eine allmähliche Aus⸗
dehnung dieſes Begriffes zugeſtanden; eine Reihe von
Urteilen der Untergerichte, die weniger ängſtlich vor⸗
gingen, verfielen vorher der Aufhebung. Es braucht
nur daran erinnert zu werden, wie lang es dauerte,
bis das Recht der Tagespreſſe, öffentliche Angelegen⸗
heiten zu beſprechen, unter dieſem Geſichtspunkt an⸗
erkannt wurde. Die Entwicklung ſteht im engſten
Zuſammenhang mit den verſchiedenſten Auffaſſungen
über die Beziehungen des Einzelnen zur Geſamtheit.
Legt man das Schwergewicht auf die Intereſſen des
Einzelnen, ſo wird man die Befugnis der Preſſe ſehr
eng abgrenzen, ungeſtraft Dinge zu behaupten, die
1%
dieſen Intereſſen zuwiderlaufen; betont man dagegen
mehr die Intereſſen der Geſamtheit und ſieht die Preſſe
als im Dienſte der Geſamtheit ſtehend an, ſo kommt
man zu anderen Ergebniſſen. Das Reichsgericht wird
wohl nochmal Gelegenheit erhalten, zu der Frage Stel⸗
lung zu nehmen, denn das Urteil, das nun auf Grund der
neuen Verhandlung ergeht, wird vorausſichtlich wieder
angefochten werden, zumal da das Reichsgericht in ſeinem
jetzigen Urteil manche Fragen ausdrücklich offen gelaſſen
hat. In einem Urteil vom 2. Januar 1905 hat der
gleiche Senat die Abweiſung einer Klage gebilligt, die
darauf geſtützt war, daß in einem Konverſationslexikon
vor Geheimmitteln gewarnt und unter den als minder⸗
wertig bezeichneten Mittel auch ein vielverbreitetes
Haarwaſſer angeführt worden war, und das damit
begründet, es ſei das gute Recht eines literariſchen
Unternehmens, das ſich die große und verdienſtliche
Aufgabe ſtelle, auf allen Gebieten des menſchlichen
Wiſſens eine der allgemeinen Durchſchnittsbildung zu⸗
gängliche und entſprechende Unterweiſung zu geben,
auch auf dem Gebiete des Geheimmittelweſens auf⸗
klärend und belehrend einzugreifen.“) Auf dieſes Urteil
hatte ſich der beklagte Verlag auch im vorliegenden
Falle berufen: das Reichsgericht bemerkte aber, daß
mit einem ſolchen wiſſenſchaftlichen Unternehmen ſich
der Handelsteil einer Zeitung nicht vergleichen laſſe,
noch viel weniger die hier in Betracht kommende, nicht
wiſſenſchaftliche, ſondern rein tatſächliche Notiz.
Amtsgerichtsrat Riß in München.
Aus der Lechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Regiſterſachen.
„Findet gegen die Ablehnung der Eintragung eines
wirtſchaftlichen Vereins die ſoſertige den Vorſchriften
der ZBO: folgende Beſchwerde nach 4 60 Abſ. 2 588.
oder die einfache und unbefriſtete Beſchwerde aus 9 19
366. ſtatt? Sind die 33 28 und 199 F686. hieran
anwendbar? Der Vorſtand des Sparvereins R. meldete
den Verein zur Eintragung an. Das AG. wies die
Anmeldung zurück, weil der Hauptzweck auf einen wirt⸗
ſchaftlichen Geſchäftsbetrieb gerichtet und deshalb die
Eintragung nach SS 21, 22 BGB. ausgeſchloſſen ſei.
Die ſofortige Beſchwerde wurde als unbegründet zurück—
gewieſen. Gegen dieſen Beſchluß legte der Verein weitere
Beſchwerde ein. Das Ob G. hat fie gemäß § 28 Abſ. 2
FGG. dem Reichsgerichte vorgelegt. Dieſes verwarf
das Rechtsmittel als unzuläſſig.
Gründe: Das Obe G. möchte die weitere Be:
ſchwerde für zuläſſig und begründet erachten. Es iſt
der Anſicht, daß in den Fällen, in denen die Anmeldung
Zeuſchriſt für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
eines Vereins wegen des wirtſchaftlichen Zweckes zurück⸗
gewieſen wird, nicht die ſofortige, den Vorſchriften der
ZPO. folgende Beſchwerde aus 8 60 Abſ. 2 BGB.,
ſondern die einfache unbefriſtete Beſchwerde aus 8 19
FGG. gegeben fei. Es ſieht ſich aber an einer Entſcheidung
in dieſem Sinne gehindert, weil das Reichsgericht ent—
ſchieden hat, daß § 60 Abſ. 2 BGB. auch Platz greife, |
wenn die Anmeldung eines Vereins aus dem hier in
Frage kommenden Grunde zurückgewieſen wird (RG3.
47 S. 386, Jur W. 1803 Beil. S. 113 Nr. 248). Das
Ob. verkennt nicht das Gewicht der für die Anficht
) Siehe dieſe Zeitſchrift Jahrg. 1905 S. 129.
des Reichsgerichts ſprechenden Gründe, dem die über:
wiegende Zahl der Rechtslehrer, das Kammergericht
Jahrb. 20 S. A 8, 26 S. A 3, 27 S. A 237, 39 S. A 144,
4 S. A 163) und bisher auch das Obs. ſelbſt (vgl.
Samml. 11 S. 729) gefolgt ſind. Andererſeits erwägt
es, daß durch die ausgedehnte Anwendung des 5
Abſ. 2 BGB. und damit des 8 568 Abſ. 2 ZPO. für
das Vereinsrecht das im Gebiete der freiw. Gerichtsb.
beſtehende Beſchwerderecht geſchmälert und die durch
die Vorſchrift in 8 28 Abſ. 2 JG. angeſtrebte Ein⸗
heitlichkeit der Rechtſprechung gefährdet werde. Dieſem
Ergebniſſe gegenüber ſchließt ſich das Obs. der Auf⸗
faſſung an, die in dem Beſchluſſe des OS. Dresden
vom 3. Juni 1903 (38 lG. 5 S. 760) niedergelegt,
vom Reichsgericht aber mißbilligt iſt. Es hält dafür,
daß dieſer Auffaſſung bei dem am Zuſammenhang
zwiſchen 8 60 Abſ. 2 BGB. und 8 60 Abſ. 1 ſowie den
dort angeführten 88 56—59 geſetzliche Bedenken kaum
entgegenſtänden und findet ebenſowenig in der Ent⸗
Nebungsgefäichte einen Anhalt für die Annahme, daß
er Geſetzgeber in 8 60 auch die Zurückweiſung der
Anmeldung wegen des wirtſchaftlichen Zweckes des
Vereins habe miteinbeziehen wollen.
Ueberwiegende Gründe ſprechen für die Beibehaltung
der reichsgerichtlichen Auffaſſung. Neben der Zwie⸗
ſpältigkeit des Rechtsmittels, die ſich ergeben würde,
wenn je nach dem Grunde der Zurückweiſung die ſo⸗
fortige Beſchwerde nach der ZPO. oder die einfache
unbefriſtete Beſchwerde nach dem FGG. gegeben wäre,
kommt in Betracht, daß kein durchſchlagender Grund
erſichtlich iſt, der den Geſetzgeber beim Erlaſſe des B88.
beſtimmt haben könnte, die Fälle der Zurückweiſung
wegen une der Erforderniſſe der 88 56—59 und
wegen eines Mangels der hier in Rede ſtehenden Art
verſchieden zu ordnen. Im Gegenteil. In der Kom⸗
miſſion für die 2. Leſung des Entwurfs des BGB. war
ein Antrag geſtellt worden, der die jetzt in 8 73 Abſ. 1
Satz 2 und 3 ſowie in 8 73 Abſ. 2 BB. enthaltenen
Vorſchriften des damaligen 8 57 ſtreichen und in Ver⸗
bindung mit den Beſtimmungen über die Anfechtung
der ein Eintragungsgeſuch zurückweiſenden Beſchlüſſe erſt
in dem FGG. treffen wollte (vgl. Prot. Bd.] S. 570/71).
Die Mehrheit hielt es jedoch für erforderlich, die in
den Entwurf aufgenommenen Beſtimmungen „wenig⸗
ſtens vorerſt“ darin zu belaſſen, und ſpäter wurde
auch dem damaligen 8 54 die jetzt in 8 60 Abſ. 2 BGB.
enthaltene Vorſchrift beigefügt (vgl. Prot. Bd. VI S. 117).
Es iſt nahezu ausgeſchloſſen, daß die Kommiſſion zwar
Wert darauf gelegt hätte, bei Zurückweiſung einer An⸗
meldung wegen Fehlens der Erforderniſſe der SS 56
bis 59 ein Rechtsmittel zu gewähren und die Art der
Anfechtung zu klären, daß fie aber für die weit wichtigeren
Fälle einer Zurückweiſung wegen des wirtſchaftlichen
Zweckes des Vereins alles dem ungewiſſen Schickſale
des zu jener Zeit noch nicht ausgearbeiteten FG. hätte
überlaffen wollen. Nach der damaligen Lage ſollte ſich
vielmehr die im jetzigen 8 60 getroffene Regelung ſicher
auf alle Fälle der Zurückweiſung erſtrecken. Bei dieſer
„wenigſtens vorerſt“ getroffenen Regelung iſt es dann
geblieben. Dabei war man ſich bewußt, daß das A.
eine Anmeldung nicht bloß zurückweiſen kann, wenn
den Erforderniſſen der jetzigen 88 56—59 nicht genügt
iſt, ſondern auch aus anderen Gründen und insbefondere
dann, wenn der Zweck des Vereins auf einen wirt⸗
ſchaftlichen Geſchäftsbetrieb gerichtet iſt. Auch das FG.
hat es bei der Vorſchrift im 8 60 BGB. belaſſen. In
der Denkſchrift zu dem Entw. zu dieſem Geſetze iſt zu
dem Abſchnitt über die Vereinsſachen ausdrücklich be>
merkt, für einzelne Fälle habe bereits das BGB. (SS 60,73)
das Beſchwerdeverfahren durch Verweiſung auf die
Vorſchriften der ZPO. geregelt, dieſe Beſtimmungen
würden ſelbſtverſtändlich durch die allgemeinen Be⸗
ſtimmungen über das Beſchwerdeverfahren in den SS 18
bis 27 des Entw. nicht berührt.
Das Obe G. hat die weitere Beſchwerde dem Keichs⸗
41⁰1⁰2
ericht auf rund des 8 28 Abſ. 2 J. ern
indet aber auf dieſe Beſchwerde 8 60 Abſ. 2 BB.
nwendung und folgt ſie deshalb den Vorſchriften der
3PO., fo fragt ſich, ob das Reichsgericht zu einer Ent⸗
ſcheidung überhaupt zuſtändig iſt. Auf dieſe Frage
iſt es in ſeinen früheren Beſchlüſſen nicht eingegangen.
Sie iſt in der Rechtslehre ſtreitig. Das Kammergericht
und bisher auch das Obs. Haben fie ſtets bejaht.
Das Obs. äußert jetzt aber Bedenken. Es meint,
die SS 28, 199 J. hätten nur die weitere Beſchwerde
des FG. im Auge, und verweiſt auf die ſoeben mit⸗
geteilte Bemerkung in der dem Entwurfe zu ha
Geſetze beigegebenen Denkſchrift. Dieſe Bedenken find
nicht durchſchlagend. Die Anſicht, daß die 88 28, 199
GG. auch in den Fällen der 88 60, 73 BGB. gelten,
at das Kammergericht eingehend begründet. Der Be⸗
gründung mag nicht in allen Einzelheiten beizupflichten
ſein, im Ergebniſſe muß ihr aber zugeſtimmt werden.
Ueberwiegende Gründe ſprechen dafür, daß das FG.
die 88 28, 199 auf alle weiteren Beſchwerden in der
freiw. Gerichtsb. angewandt wiſſen will, auch auf die
nach den 88 60, 73 BGB. den Vorſchriften der ZPO.
folgenden. Auffallend ift allerdings, daß die erwähnte
Stelle in der Denkſchrift zum Entw. des F686. unter
den allgemeinen Beſtimmungen über das Beſchwerde⸗
verfahren, durch die für die Fälle der 88 60, 73 BGB.
die durch Verweiſung auf die ZPO. gegebenen beſonderen
Vorſchriften „ſelbſtverſtändlich“ nicht berührt würden,
auch den dem jetzigen 8 28 JGG. entſprechenden 8 27
des Entw. nennt. Entſcheidende Bedeutung kann dem
indeſſen nicht beigemeſſen werden. Die Bemerkung in
der Denkſchrift hat im Geſetze ſelbſt keinen Ausdruck
gefunden und kann deshalb nicht ohne weiteres im
einzelnen maßgebend fein. Sind aber die 588 28, 199
JG. auch in den Fällen der 88 60, 73 BGB. anwendbar,
ſo kann die Entſcheidung des Reichsgerichts nur auf
Berwerfung der weiteren Beſchwerde lauten. Sie iſt
unzuläſſig, weil ſie nicht innerhalb der geſetzlichen Friſt
eingelegt iſt (8 577 Abſ. 2 ZPO.) und weil die land⸗
gerichtliche Entſcheidung keinen neuen ſelbſtändigen
Beſchwerdegrund enthält 6 568 Abſ. 2 ZPO.). (Beſchl.
d. IV. 38S. v. 14. Februar 1914, IV B 6/1913).
3325
B. Zivilſachen.
L
Anwendungsgebiet des 3 427 BGB. Aus den
Gründen: Zu beanſtanden iſt die Anwendung des
8 427 BOB. auf den Fall einer auf nichtigen Verträgen
beruhenden Bereicherung. Wenn ſich Mehrere durch
Vertrag gemeinſchaftlich zu einer teilbaren Leiſtung
verpflichten, ſo haften ſie gemäß 8 427 im Zweifel als
Geſamtſchuldner. Dieſer Fall kann hinſichtlich der
Herausgabe einer grundlos empfangenen Leiſtung vor⸗
liegen, wenn die Herausgabe⸗ oder Rückgabe⸗Verpflich⸗
tung auf einer ausdrücklichen oder ſtillſchweigenden
Vertragsbeſtimmung beruht. Aber in Fällen, wo es
zu einer tatſächlichen Vermögensverſchiebung gekommen
iſt, ohne daß in irgendeinem Zeitpunkt eine Vertrags⸗
pflicht beſtand, kann 8 427 für den Bereich der 88 812ff.
nicht angewendet werden (vgl. JW. 1909 S. 274 Nr. 8).
(Urt. des IV. 35. vom 2. Februar 1914, IV 521/13).
3318
— — — n.
II.
Borausſetzungen des Anſpruchs auf den Notweg.
Aus den Gründen: Der Haupteinwand des Klägers
gegen die Einräumung der Notwege iſt der, daß das
Bedürfnis nach dem Wege erſt durch eine Aenderung
der Benutzungsart der Grundſtücke der Beklagten und
folgeweiſe durch eine willkürliche Handlung der Be—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
191
klagten hervorgerufen worden ſei. Das BG. hat ihn
mit Recht verworfen. Im 8 918 Abſ. 1 BGB. iſt der
Anſpruch auf den Notweg nur ausgeſchloſſen, wenn
durch eine willkürliche Handlung des Eigentümers die
frühere Verbindung mit einem öffentlichen Wege auf⸗
gehoben wird. Davon iſt hier nicht die Rede, da die
frühere Verbindung fortbeſteht und nur infolge der
anderweitigen Benutzung der Grundſtücke unzureichend
geworden iſt. Inbetreff der Benutzung verlangt 8 917
BGB. nur eine „ordnungsmäßige“ Benutzung. Damit
iſt, wie von der Kommiſſion 55 die 2. Leſung (Prot.
Bd. III S. 1523) unter Ablehnung entgegenſtehender
Anträge ausdrücklich feſtgeſtellt worden iſt, eine von
der früheren Benutzungsart abweichende Art der Be⸗
nutzung keineswegs ausgeſchloſſen. Freilich ſoll nicht
jede willkürliche Aenderung des Gebrauchs den An⸗
ſpruch begründen, vielmehr „objektiv und nach ver⸗
nünftigem Ermeſſen erwogen werden, ob die geplante
Benutzung den wirtſchaftlichen Bedürfniſſen entſpricht“.
Das hat aber das BG. getan. Es hat feſtgeſtellt,
daß die neue Benutzung infolge der 8 rittenen
Bebauung und der Nähe der Großſtadt, der Natur
der Grundſtücke und ihrer Lage an einem ſchiffbaren
Fluſſe nicht nur nicht widerſpricht, ſondern durch die
neuen Verhältniſſe wirtſchaftlich geradezu geboten 55
Der Kläger ſelbſt benutze ſeine angrenzenden Grund⸗
ſtücke in derſelben Weiſe und habe ſelbſt vorgetragen,
daß die Örundftüde jetzt einen 100 fachen Ertrag lieferten
(vgl. Planck Anm. 1, Staudinger Anm. II 2, Biermann
Anm. 1, Turnau⸗Förſter Anm. J Abſ. 3 zu 8917 BGB.).
(Urt. des V. 35. vom 21. Februar 1914, V 370/13).
3320
———ın.
III.
Mitverſchulden des Neiſenden, der fi beim Gehen
und Stehen während der Eiſenbahnfahrt nicht mit den
Händen feſthält. Aus den Gründen: Von einem
mitwirkenden Verſchulden des Klägers kann nach An⸗
ſicht des OLG. nicht geſprochen werden: es bezeichnet
es als eine Ueberſpannung des von den Reiſenden zu
verlangenden Maßes an Sorgfalt, wollte man fordern,
daß ſie bei jedem Aufſtehen von ihrem Platze, alſo bei
jedem Bewegen im Abteil während der Fahrt ſich mit
den Händen feſthalten, um der Gefahr zu begegnen,
bei einem Stoße des Wagens hinzuſtürzen. Die Be⸗
gründung iſt in dieſer allgemeinen Faſſung bedenklich.
Wer die Eiſenbahn beſteigt, um darin eine Fahrt zurück⸗
zulegen, weiß und hat ſich bewußt zu ſein, daß er in⸗
folge der Bewegung des Zuges Erſchütterungen, Rucken
u. dgl. ausgeſetzt iſt, die beim Aufſtehen, Gehen und
ſonſtigen Bewegungen im Wagen den Reiſenden ins
Schwanken und zu Fall bringen und ſo Unfälle ver⸗
anlaſſen können. Dem hat der Reiſende Rechnung zu
tragen, ſich im beſonderen während der Fahrt mit der
erforderlichen Vorſicht zu bewegen und dabei feſtzu⸗
halten, widrigenfalls ihn der Vorwurf des Selbſtver⸗
fchuldens i. S. der 88 254, 276 BGB. trifft. Das gilt
unzweifelhaft ebenſowohl vom Verkehr in den Wagen⸗
abteilen wie in den dazu gehörigen Aborten. Indeſſen
iſt nicht zu verkennen, daß das Maß der Anforderungen
weſentlich von den Umſtänden des Augenblicks abhängt,
in dem die Bewegung geſchieht. Hier geht das OLG.
davon aus, daß der Unfall ſich kurz nach der Abfahrt
des Zuges ereignet hat, als dieſer mithin noch keine
erhebliche Geſchwindigkeit angenommen hatte. Der
Kläger hat beim Herumdrehen, im Begriff den Abort
zu verlaſſen, den Ruck verſpürt, infolgedeſſen wurde
er nach vorn und dann zurückgeſchleudert. Das OLG.
hat für dieſen Augenblick und unter den angeführten
Umſtänden keine Verletzung der im Verkehr erforder—
derlichen Sorgfalt darin erblickt, daß ſich der Kläger
nicht feſtgehalten hat. Das iſt nicht irrig. (Urt. d.
VI. ZS. vom 29. Januar 1914, VI 584/13).
3292
———ı.
192
IV.
Umgehung des Wettbewerböverbstt. Aus den
Gründen: Das 88. hält nicht nur für erwieſen,
daß S. ſeine Mittel dazu verwandte, daß von ſeinem
Bruder eine Fabrik errichtet wurde, die der Beklagten
Konkurrenz machte. Es nimmt auch an, er habe in
der verſchiedenſten Weiſe bei dem Betriebe dieſer
Konkurrenzfabrik mitgewirkt derart, daß ſein
Verhalten als eine der Berfehrsfitte widerſprechende
Umgehung ſeiner Vertragspflicht darſtellte. Nach
der e des BG. hat er feine Vorräte und
zur Herſtellung von Fliegenfängern dienenden Ein»
richtungsgegenſtände ſeinem Bruder überlaſſen. Er
hat veranlaßt, daß ſeine mit der Herſtellung vertraute
Schwägerin in die Dienſte des auf den Namen ſeines
Bruders geführten Unternehmens trat. Er war ſelbſt
häufig in der Fabrik anweſend, hat ſich dort haupt⸗
ſächlich mit dem Verſand der Waren, aber auch mit
Abſte uns von Mängeln, alfo mit der Fabrikation
befaßt. Er hat nach Ablauf der Geltung des Wett⸗
bewerbsverbots die Fabrik wieder auf ſeinen Namen
geführt, ſeinem Bruder Hauptbeſtandteile der Fliegen⸗
fänger, nämlich Leim und Teller, geliefert und das
Alleinvertriebsrecht an den hergeſtellten a
ausgeübt. Mag auch die eine oder andere dieſer Tat⸗
ſachen nicht von entſcheidender Bedeutung ſein, ſo ſtellen
ſie doch, in Verbindung mit der Hergabe der Geld⸗
mittel zum Betriebe des Unternehmens, in ihrer Ge⸗
ſamtheit eine Umgehung des vertragsmäßigen Wett⸗
bewerbsverbots dar, die nach Treu und Glauben einer
unmittelbaren Zuwiderhandlung gegen dieſes Verbot
gleichzuſtellen iſt. (Urt. d. III. ZS. vom 3. Januar 1914,
III 309/1913). — a —
32⁵⁵
v
Ausübung öffentlicher Gewalt. Aus den Gründen:
Das OLG. hat feſtgeſtellt, daß der Schutzmann M. ſich
bei ſeinem Einſchreiten ſeiner Eigenſchaft als Schutz⸗
mann bewußt geweſen iſt und als Beamter gehandelt
hat. Dies hat es damit begründet, daß M. noch in
derſelben Nacht auf dienſtlichem Anzeigevordruck
Strafanzeige gegen den Kläger wegen tätlichen An⸗
griffs und Beleidigung dienſtlich erſtattet und darin
angegeben hat, er habe den Kläger mehrfach aufge⸗
fordert weiterzugehen und den Unfug zu unterlaſſen,
der Kläger ſei geflohen. Es hat weiter angeführt,
daß M. bei ſeiner Vernehmung ausdrücklich betont
aan er fei zum Waffengebrauche kraft feines Amtes
efugt geweſen, da er eine fremde Perſon gegen andere
habe ſchützen müſſen. Schließlich hat das OLG. darauf
hingewieſen, daß auch der Polizeipräſident der Staats⸗
anwaltſchaft die Auskunft erteilt habe, M. habe in
Ausübung ſeines Amtes gehandelt, worauf die Staats⸗
anwaltſchaft gegen den Kläger Anklage wegen Wider⸗
ſtands gegen die Staatsgewalt erhoben habe. Hier⸗
nach wollte M., der dienſtfrei war, aber Dienſtkleidung
mit Mütze trug, in Ausübung feines Amtes als Schuß»
mann handeln. Es lag ein Anlaß zu amtlichem Hans»
deln für ihn vor, da er von Frau B. zur Abwehr
der Beläſtigungen des Klägers um Hilfe angegangen
war. Sein amtliches Eingreifen iſt auch dadurch in
die Erſcheinung getreten, daß er der Aufforderung der
Frau B. entſprechend gegen den Kläger vorgegangen
iſt und von ſeiner Dienſtwaffe Gebrauch gemacht hat.
(Urt. des III. 38S. vom 24. Februar 1914, III 491/13).
3315 — 3 —
VI.
Wann hat die Zuſtimmung zum Ehebruch als zurück⸗
genommen zu gelten? Aus den Gründen: Das
BG. geht von der Erwägung aus, daß bei Prüfung
der Frage, ob ein beſtimmtes Verhalten eines Ehe—
teils als Zuſtimmung zum Ehebruch des andern Teils
aufzufaſſen ſei, zu unterſuchen iſt, ob der Zuſtimmende |
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9
— — — — T En
ſich das Verhalten des andern Teils zu eigen mache
in dem Sinne, daß dieſes Verhalten feine eheliche Ge
ſinnung nicht beeinträchtige und ihm die Ehe nicht
unerträglich mache. Daraus folgert das BG., daß ums
gekehrt auch bei Prüfung der Frage, ob die Zuſtim⸗
mung zurückgenommen ſei, ausſchlaggebendes Gewicht
darauf gelegt werden müſſe, wie das mu
Verhalten auf das eheliche Empfinden des anderen
Teils wirke. Dem iſt nicht beizupflichten. Die Zu⸗
ſtimmung kann wirkſam auch dann zurückgenommen
werden, wenn dem Zurücknehmenden das ehebrecheriſche
Treiben des andern Teils innerlich vollſtändig gleich⸗
gültig iſt und ihm an ſich die Fortdauer der Ehe nicht
unerträglich machen würde. Es kommt inſoweit aus⸗
ſchließlich auf die Willenskundgebung des Zurückneh⸗
menden an, nicht auf feine innere Geſinnung. (Urt. des
IV. ZS. vom 24. Januar 1914, IV 494/13).
3319
VII.
97390. kann nicht auf perſönliche Dienstbarkeiten
angewendet werden. Aus den Gründen: Der Ber⸗
treter des Beklagten meint, daß die Vorſchrift des
87 3PO. anzuwenden ſei, wonach bei Streitigkeiten
über Grunddienſtbarkeiten der Betrag maßgebend fein
oll, um den die Grunddienſtbarkeit den Wert des
ienenden Grundſtücks mindert, dann, wenn dieſer Be⸗
trag ur iſt, als der Wert, den die Dienſtbarkeit
für das herrſchende Grundſtück hat. Allein eine Grund⸗
dienſtbarkeit kann hier nicht in Frage kommen, weil
es an einem herrſchenden Grundſtücke fehlt. An dieſem
Erforderniſſe mag für das gemeine Recht (RZ. 14
S. 215) nicht immer Ken feſtgehalten fein, und des⸗
halb kann dahingeſtellt bleiben, ob für beſonders ge⸗
artete Fälle des gemeinen Rechts eine entſprechende
Anwendung des 87 ſtatthaft erſcheinen kann (RS. 29
S. 406). Nach dem BGB. (8 1118) find Grunddienſt⸗
barkeiten nur ſolche, die dem einen Grundſtücke gegen
das andere zuſtehen. Den Grundgerechtigkeiten ähn⸗
lich ſind die ſog. geſetzlichen Dienſtbarkeiten, und bei
dieſen iſt eine entſprechende Anwendung des 8 7 un⸗
bedenklich (ROZ. 67 S. 81). Hierüber hinaus aber
die Vorſchrift auch auf perſönliche Dienſtbarkeiten an⸗
zuwenden, iſt nicht zuläſſig, da die Vorſchrift des 87
eine vereinzelte Ausnahmevorſchriſt iſt. (Urt. des V. Z S.
vom 11. Februar 1914, V 426/13).
3321
VIII.
Unrichtige Zurüdverweilung der Sache an das Land:
gericht. Aus den Gründen: Das OLE. hat das klag⸗
abweiſende Landgerichtsurteil dahin abgeändert: „Der
Klaganſpruch iſt dem Grunde nach inſoweit gerecht⸗
fertigt, als die Klägerinnen den angemeſſenen Preis
für 4000 kg Dampf für den Arbeitstag fordern. Zur
weiteren Verhandlung und Entſcheidung über den Be⸗
trag wird der Rechtsſtreit an das LG. zurückverwieſen.“
Die Reviſion rügt Verletzung der 88 538 Abſ. 1 Nr. 3,
304 ZPO.: Das OLG. habe Zurückverweiſung an das
LG. in weiterem Umfange verfügen müſſen. Denn
zum Verfahren über den Grund gehöre nicht mehr die
Feſtſtellung der beſtimmten Zahl des Mehrverbrauchs
an Dampf. Dieſe Feſtſtellung ſei Sache des Betrags⸗
verfahrens. Die Rüge iſt abzulehnen. Nach den vom
RG. in RZ. 56, 187; 59, 427; 61, 411; 73, 65; 77,
396 und JW. 1905, 215 zu §8 538 ZPO. gegebenen
Erläuterungen durfte das OLG. die Sache überhaupt
nicht an das LG. zurückverweiſen. Der Zweck der durch
Abänderungsgeſetz vom 17. Mai 1898 der Nr. 3 hin⸗
zugefügten Worte „oder die Klage abgewieſen iſt“ war
nur, daß der geſamte Prozeßſtoff in 1. Inſtanz entſchieden,
alſo für keinen Teil des Prozeßſtoffs die 1. Inſtanz aus⸗
geſchaltet werden ſoll. Das LG. hat über Grund und
Betrag verhandelt und entſchieden, alſo irgend einen
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
193
—— GGP¹5. . • äut&W—lů 1 — 4 ůͤů3s«—t¹öͤ ð— —xßö«—i3 ͤßö8ß8—ßX—˖& 7—ͤ —ꝛ᷑:! —kj —— 1 —
Teil des Prozeßſtoffs gerade nicht vorbehalten (RG.
77, 398), fo daß eine Beſchränkung des OLG. auch einen
von der 1. Inſtanz vorerſt allein abgeurteilten Teil
des Prozeßſtoffes (NE. 61, 411 f.) und eine erſtmalige
Berhandlung und Entſcheidung des BE. über einen
vorher von ihm noch nicht entſchiedenen Teil nicht
mehr möglich iſt. Die vom OLG. verfügte Zurück⸗
verweiſung der Sache bat zur Folge, daß über den
Betrag zum zweiten Male in der 1. Inſtanz verhandelt
und entſchieden wird. Dieſer Irrtum des OLG. ſchließt
die Revifionsrüge aus: war der Rechtsſtreit überhaupt
nicht zurückzuverweiſen, ſo kann die Reviſion nicht als
Geſetzesverletzung rügen, daß der Rechtsſtreit noch in
weiterem Umfange als geſchehen hätte zurückverwieſen
werden ſollen. Dem Irrtum kann von Amts wegen
nicht abgeholfen werden, und die Kläger haben die
unrichtige Wiederholung des Betragsverfahrens in
1. Inſtanz nicht Arta Reviſion vielmehr überhaupt
nicht eingelegt. (Urt. d. III. ZS. vom 3. Februar 1914,
III 452/13). ö — a —
3300
C. Straffaden.
Serfälſchung von Aufrechunngsbeſcheinigungen nach
§ 1419 NEO. Wirkung der Rechtskraft von Straf⸗
deſcheiden der Berſicherungsämter. Aus den Gründen:
1. Die Aufrechnungsbeſcheinigungen, die nach 8 1419
RBO. bei der Zurückgabe von Verſicherungskarten den
Karteninhabern ausgehändigt werden, find felbſtändige
öffentliche Urkunden und keineswegs nur „Anhängſel
der Quittungskarten“. Die Verfälſchung ſolcher Auf⸗
rechnungsbeſcheinigungen fällt nicht unter 8 1495 Abf. 2
RBO. Dieſe Vorſchrift bezieht ſich vielmehr ebenfo
wie 8 1495 Abſ. 4 ausſchließlich auf die Verfälſchung
von Quittungskarten. Die Verfälſchung einer ſolchen
Beſcheinigung kann darum auch dann als Urkunden⸗
fälſchung beſtraft werden, wenn ſie nicht in der Abſicht
begangen worden iſt, dem Täter oder einem anderen
einen Bermögensvorteil zu verſchaffen oder anderen
einen Schaden zuzufügen.
2. Der Beſchwerdeführer meint, daß der Beſcheid
des Berſicherungsamts, durch den auf Grund des
8 1495 Abſ. 1 oder 2 eine Geldſtrafe verhängt wird,
die Eigenſchaft eines Urteils habe, deſſen Vorhanden⸗
fein die ſpätere Verurteilung wegen A ee
durch das Gericht hindere. Das iſt irrig. Eine ſolche
Eigenſchaft kommt jenem Beſcheide nicht zu. Er ver⸗
braucht nicht die Strafklage wegen Urkundenfälſchung.
Die Akten ergeben übrigens, daß der Angeklagte vom
Verſicherungsamt nicht wegen der hier in Rede ſtehenden
Verfälſchung auf Grund des 8 1495 RVO. in Strafe
genommen worden iſt. Die Strafverfügung iſt gegen
den Angeklagten auf Grund der 88 1428, 1488 RVO.
erlaſſen worden, weil er als Arbeitgeber nicht für
ſeinen Dienſtboten die vorgeſchriebenen Verſicherungs⸗
marken verwendet hatte. Die Beſtrafung durch das
Schwurgericht aber iſt erfolgt, weil der Angeklagte
fpäterbin die Fälſchung begangen hat, um die Unter⸗
laffung zu verdecken. Es kann alſo nicht die Rede
davon ſein, daß es ſich in beiden Fällen um eine und
dieſelbe Tat 199 15 hätte. (Urt. d. V. StS. vom
20. März 1914, VD 1138/13). — — n.
3333
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
Löſchung einer altrechtlichen Verfügnngsbeſchränkung
im Grundbuch (Art. 189 EG. BGB.). Im Grundbuch
ſteht in Abt. 2 folgender Eintrag vom 28. November 1872:
„Die Beſitzer haben ſich verpflichtet, in dem auf dem
Bauplatze Pl.⸗Nr. 2 ½ zu errichtenden Gebäude nie
eine Wirtſchaft zu führen.“ Die Verpflichtung war zu⸗
die Beſchränkung des Eigentümers in
aunſten des Wirtes Wolfgang R. begründet worden.
Am 6. Auguſt 1913 beantragten die gegenwärtigen
Eigentümer die Löſchung des Eintrags. R. ſei ge⸗
ſtorben und damit ſei die Dienſtbarkeit erloſchen. Dem
Antrage war eine pfarramtliche Sterbeurkunde bei⸗
gefügt. Das GA. lehnte die Löſchung ab: die Be⸗
ſchwerde war ohne Erfolg. Das Obs G. wies auch die
weitere Beſchwerde zurück.
Gründe: Eintragungen von Verfügungsbeſchrän⸗
kungen der hier in Frage ſtehenden Art waren unter
dem Hypo. nicht ſelten. Die e
kungen mußten unter den in 88 25, 26 Hyp®. be⸗
ſtimmten Rechtsfolgen eingetragen werden 22
Z. 7 HypG.). Ihre fortdauernde Gültigkeit iſt durch
Art. 168 EG. BGB. gewährleiſtet. Nach dem gemäß
Art. 189 &. 8B. hier anzuwendenden Preuß R. konnte
oppelter Weiſe
erfolgen, ſowohl zugunſten eines beſtimmten Grund⸗
ſtücks (LR. T. I Tit. 21 88 11 und 12) als auch zu⸗
gunſten einer beſtimmten Perſon (T. J Tit. 2 88 122 bis
130 mit T. I Tit. 19 $ 1). Letzteren Falles konnte die
Beſchränkung entweder nur der Perſon des Erwer⸗
bers zuſtehen oder auch als ein veräußerliches und
vererbliches Recht begründet werden. Ob hier die Ver⸗
V einer beſtimmten Perſon oder
einer beſtimmten Sache zuſtehen ſollte, läßt der Wort⸗
laut nicht entnehmen. Die Eintragung iſt aber damit
nicht unſtatthaft; ihre Bedeutung iſt aus den begrün⸗
denden Urkunden, auch aus ſonſtigen Beweismitteln
zu entnehmen. Die Behauptung der weiteren Beſchwerde,
daß im Zweifel das Eigentum des Verpflichteten nicht
weiter beſchränkt werden dürfe als bei ſtrenger Aus⸗
legung der Willenserklärung nach deren Wortlaut,
findet zwar in T. I Tit. 21 § 8 eine ſcheinbare Bes
gründung, es kommt aber in Betracht, daß hier der
Wortlaut keineswegs klar iſt, ſondern daß gerade
Zweifel beſtehen. Obwohl die Annahme naheliegt, daß
die Beſchränkung nur zugunſten des Wolfgang R. ver⸗
einbart wurde, bleibt doch die Möglichkeit, daß ſie zu⸗
gunſten eines beſtimmten Grundſtücks zugeſtanden wurde,
und hiefür ſpricht, daß Wolfgang R. auf dem von ihm
zur Zeit des Verkaufes innegehabten Hauſe eine Gaſt⸗
wirtſchaft betrieb, daß das Wirtſchaftsverbot augen⸗
ſcheinlich den Vorteil dieſes Wirtſchaftsbetriebes be⸗
zweckte und daß die Käufer ſich verpflichteten, „nie“
eine Wirtſchaft zu führen. (Beſchl. des I. JS. vom
6. Februar 1914, Reg. III 113 / 1913). W.
3326
B. Strafſachen.
e für die formelle Gültigkeit einer erts⸗
polizeilichen Vorſchriſt. Was verſteht man unter Ber:
trieb i. S. des 5 20 Abſ. 2 Fleiſchbs. 7 Nur der Vertrieb
frifchen Fleiſches darf dem Beſchanzwang innerhalb der
Gemeinde unterworſen werden; darüber hinausgehende
ortspolizeiliche Vorſchriſten find ungültig. Der Magi⸗
ſtrat der Stadt K. hat auf Grund des § 20 Abſ. 2
Fleiſchb. und des Art. 74 P StB. eine von der Re⸗
gierung für vollziehbar erklärte und in den beiden
Blättern zu K. veröffentlichte ortspolizeiliche Vorſchrift
erlaſſen: „8 1. Friſches Fleiſch, welches in den Stadt⸗
bezirk eingeführt wird, unterliegt dem Beſchauzwang
innerhalb der Stadtgemeinde. 8 2. Uebertretungen
dieſer Vorſchrift werden gemäß Art. 74 PStGB. bes
ſtraft“. Der Angeklagte, feine Hausfrau und K. ließen
zur Verwendung in ihrem Haushalt auf gemeinſchaft⸗
liche Rechnung und Gefahr friſches, vereinbarungs⸗
gemäß vom Angeklagten beſtelltes Fleiſch aus H. kommen,
verteilten und verwendeten es in dem Haushalte, legten
den ſie treffenden Betrag nebſt Porto und Auslagen
zuſammen und ſendeten den Kaufpreis an den Verkäufer
in H. Die Vorinſtanzen verurteilten den Angeklagten
wegen Uebertretung der ortspolizeilichen Vorſchrift. Er
wurde von dem Reviſionsgerichte freigeſprochen.
194
Aus den Bründen: Die Vorgerichte haben die
Beſtätigung des Stadtmagiſtrats K., daß die ortspolizei⸗
liche Vorſchrift in den beiden Blättern zu K. verkün⸗
det worden iſt, als genügenden Nachweis der Bekannt⸗
machung nach Art. 11 Abſ. 1 P StB. erachtet. Dieſe
Annahme iſt nicht richtig. Wird die ortspol.
Vorſchrift in der Form des 8 1 Nr. 1 der Minck. vom
28. Mai 1862, die Form der Verkündigung orts⸗ und
diſtriktspol. Vorſchriften betr., durch Einrücken in das
im Gemeindebezirk erſcheinende Lokalamtsblatt bekannt
gemacht, ſo muß zur Prüfung der formellen Gültigkeit
der Vorſchrift das Amtsblatt feſtgeſtellt und die Num⸗
mer des Amtsblatts vorgelegt werden; erſcheint die
Bekanntmachung in einer Sonderausgabe als Beilage
des Hauptblatts, ſo muß im Hauptblatt darauf verwieſen
werden. (Abſ. 1 der MinE. v. 27. Dezember 1901, Vers
kündung ortspol. Vorſchr. betr., MA Bl. S. 3; ObsSt.
Bd. 5 S. 310). Der Nachweis iſt gegebenenfalls von
Amts wegen zu erholen. Der Senat hat aber keinen
Anlaß dazu, da auch bei 3 Gültigkeit der ortspol.
Vorſchrift das angefochtene Urteil nicht aufrecht er⸗
halten werden kann.
Der Senat hat ſich in dem Urteile vom 22. Novem⸗
ber 1913 (ſ. dieſe Zeitſchr. 1914 S. 75) damit beſchäftigt,
unter welchen Vorausſetzungen und in welchem Um⸗
fange gegenüber dem Fleiſchbcg. landesgeſetzliche Vor⸗
ſchriften über die Fleiſchbeſchau erlaſſen werden können.
Darnach kann insbeſondere auf Grund des 8 20 Abſ. 1
keine allgemeine Nachbeſchau des Fleiſches angeordnet
werden; der 8 20 Abſ. 1 geſtattet nur der Polizeibe⸗
hörde, in Einzelfällen die nochmalige Unterſuchung des
verdächtigen Fleiſches anzuordnen, um ſich Gewißheit
über die vermuteten Eigenſchaften des Fleiſches zu
verſchaffen. Dagegen kann in den Fällen des 8 20
Abſ. 2 und des 8 24 Fleiſchbs. und unter den daſelbſt
bezeichneten Vorausſetzungen eine allgemeine Anord⸗
nung der Nachbeſchau auf dem Wege der Landesgeſetz⸗
gebung erlaſſen werden. 8 24 kommt hier nicht in
Betracht.
§ 20 Abſ. 2 hat nicht einen ſtrafrechtlichen Inhalt,
ſondern gibt nur die Ermächtigung, auf Grund Landes⸗
rechts innerhalb der vorgezeichneten Grenzen Vor⸗
ſchriften zu erlaſſen. Ueberſchreiten dieſe Vorſchriften
die Grenzen der Befugniſſe, fo find fie teilweiſe oder
ganz ungültig; daraus ergibt fi, daß die in der
Polizeivorſchrift enthaltene Bezugnahme auf das Geſetz
die Gültigkeit nicht ſichern kann, wenn aus ihrem In⸗
halte hervorgeht, daß in Wirklichkeit eine durch das
Ermächtigungsgeſetz nicht zugelaſſene Anordnung ge⸗
troffen wird. (Ob LGSt. Bd. 3 S. 115, Bd. 11 S. 99).
§ 20 Abſ. 2 FleiſchbG. beſchränkt die landesrechtlichen
Vorſchriften unter gewiſſen dort bezeichneten Voraus⸗
ſetzungen insbeſondere auf den Vertrieb friſchen Fleiſches.
Für den Begriff „Vertrieb“ iſt mangels einer geſetz⸗
lichen Begriffsbeſtimmung der allgemeine Sprachge⸗
brauch maßgebend. Darnach iſt „Vertrieb“ eine ent⸗
geltliche Veräußerung; kein Vertrieb liegt vor, wenn
der Gegenſtand ohne Entgelt abgegeben oder überhaupt
nicht veräußert wird. Es ſcheiden daher alle die Fälle
Heitfehrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
— 4 k§x
— — . ů —— —
aus, in denen die Ware z. B. verſchenkt oder im eigenen
Haushalte, zum Selbſtbedarf, zum eigenen Nutzen vers
wendet wird. Wer mithin Fleiſch einführt und es nicht
entgeltlich veräußert, der vertreibt es nicht und kann
demnach nicht verpflichtet werden, ſolches Fleiſch noch»
mals beſchauen zu laſſen. Die Grundlage, nach dem 820
Abſ. 2 FleiſchbG. Vorſchriften zu erlaſſen, bildet Art. 74
Abſ. 1 PStBB. Der Magiſtrat der Stadt K. hat jedoch
die ihm geſetzten Schranken überſchritten, indem er
unterſchiedslos eingeführtes friſches Fleiſch dem Be—
ſchauzwang unterwirft, ohne Rückſicht darauf, ob es
zum Vertrieb eingeführt wird oder nicht. Darnach iſt
die ortspol. Vorſchrift ungültig, da ſie nicht aus ein—
zelnen, etwa teilweiſe mit dem § 20 Abſ. 2 FleiſchbG.
zu vereinbarenden Teilen beſteht. Sie kann auch nicht
dahin ausgelegt werden, daß wenigſtens der Vertrieb
friſchen Fleiſches dem Beſchauzwang unterworfen werden
ſollte. Die Vorſchrift iſt nämlich einerſeits in ihrem
Inhalte ſo klar und beſtimmt, daß für eine Auslegung
kein Raum iſt. Anderſeits ſpricht 8 20 Abſ. 2 allge⸗
mein von Beſchränkungen und erwähnt von dieſen nur
beſonders den Beſchauzwang, fo daß aus der Bezug⸗
nahme der Vorſchrift auf 8 20 Abf. 2 nicht entnommen
werden kann, welchen der zuläſſigen Beſchränkungen
der Vertrieb eingeführten friſchen Fleiſches unterworfen
werden ſollte. Durch die ortspol. Vorſchrift iſt ange⸗
ordnet, was geſetzlich nicht zuläſſig iſt, dagegen nicht
angeordnet, was geſetzlich zuläſſig iſt. Es trifft zu,
was das OLG. Jena in dem Urteile vom 5. Juni 1894
ausführt (Jelinek, Geſetz, Geſetzesanwendung und Zweck⸗
mäßigkeitserwägung ©. 217 Anm. 63; Thür. Bl. Bd. 42
S. 148): „Es kann vom Publikum nicht gefordert werden,
daß es unterſucht, ob eine nach ihrem Inhalte ungültige
polizeiliche Verordnung gültig fein würde, wenn ſie ſich
auf einen engeren Tatbeſtand beſchränkt haben würde,
der in ihr gar nicht gekennzeichnet iſt, und daß es
dann die Verordnung innerhalb dieſer engeren Brenzen
beachte“. Bei dieſer Rechtslage iſt es nicht notwendig
auf die Frage einzugehen, ob in dem Tun des Ange⸗
klagten überhaupt ein Vertrieb des Fleiſches zu er⸗
blicken iſt. (Urt. vom 31. Januar 1914, Rev.⸗Reg.
Nr. 719/1913). Ed.
3308
Oberlandesgericht Nürnberg.
Bertragsmäßiges „Brenz, Au⸗ und Auſbaurecht“;
wofür und von wem wird die Eutſchädigung geſchuldet,
die im Falle des Anbanens entrichtet werden ſoll? Ab⸗
tretbarkeit der Entſchädigungsſerderung. Konkurseröfl-
nung, Simanpöberfieigernng und Jmangövergleid bei Dem
Aubanenden vor Vollendung des Unbaues. Der notarielle
Bertrag vom 17. November 1902, durch den die Ehe⸗
leute St. als Eigentümer der aneinandergrenzenden
Bauplätze Pl.⸗Nr. 55 und 55½¼ das Grundſtück Pl.⸗Nr. 55
an die Eheleute R. verkauften, enthielt u. a. folgende
Beſtimmung: „Die Käufer verpflichten ſich, bei dem
Neubau auf Pl.⸗Nr. 55 die Mauer fo auf die Grenze
zu ſtellen, daß die eine Hälſte der Mauerſtärke auf
Pl.⸗Nr. 55 und die andere Hälfte auf Pl.⸗Nr. 55½¼ zu
ſtehen kommt. Die Parteien räumen ſich nun gegen⸗
feitig das Brenz, An⸗ und Aufbaurecht an allen Grenzen
zwiſchen den beiden Grundſtücken ein. Hierbei wird
ausdrücklich beſtimmt, daß der Späterbauende dem Erſt⸗
bauenden die Hälfte der Herſtellungskoſten der benützten
Mauer, den Kubikmeter zu 20 M berechnet, zu erſetzen
hat. Vorſtehende Grunddienſtbarkeit gilt ſelbſtverſtänd⸗
lich auch für die beiderſeitigen Rechts⸗ und Beſitznach⸗
folger. Auf Eintrag im Hypothekenbuch wird verzichtet.“
Mit notarieller Urkunde vom 20. Auguſt 1904 über⸗
trugen die Eheleute R., die bereits eine jenem Vertrage
entſprechende Giebelmauer errichtet hatten, „ihre An⸗
ſprüche auf Entſchädigung, welche die Eigentümer des
Nachbargrundſtücks Pl.⸗Nr. 55% bzw. deren jeweilige
Rechts⸗ und Beſitznachfolger an die Eheleute R. et das
An⸗ und Aufbauen an die Giebel mauer zu leiften haben”,
an den Kaufmann O. Am 17. Oktober 1904 erſteigerten
die genannten Eheleute St. gemeinſchaftlich das Anweſen
Pl.⸗Nr. 55 in der Zwangsverſteigerung gegen die Ehe⸗
leute R. Mit Notariatsurkunde vom 10. Mai 1905
wurde Pl.-Nr. 55 ¼ an J. verkauft. In Ziff. VII dieſes
Vertrages heißt es: „Von den hinſichtlich des Kauf⸗
grundſtücks beſtehenden An- und Aufbaurechten hat der
Käufer Kenntnis und tritt in ſie ein.“ Mit Notariats⸗
urkunde vom 26. Oktober 1910 traten die Eheleute St.
als Eigentümer der Pl.-Nr. 55 den Anbauentſchaͤdi⸗—
gungsanſpruch an O. ab; J. hatte damals bereits bis
zur Höhe des erſten Stockwerks an die Grenzmauer
angebaut. Am 2. November 1910 wurde das Konkurs⸗
verfahren über das Vermögen des IJ. eröffnet, in deſſen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
Verlauf am 18. Juli 1911 fein Anweſen Pl.⸗Nr. 55˙/
im Zwangswege von den Eheleuten S. erſteigert wurde.
Im Verſteigerungstermine wurde eine Zuſchrift des O.
bekannt gegeben, worin er die Vertragsbeſtimmung
vom 17. November 1902 ſowie die erwähnten Ueber⸗
tragungen der Anbauentſchädigungsforderungen mit⸗
teilte; die Verſteigerungsbedingungen enthielten davon
nichts. Das Konkursverfahren wurde durch einen die
Gläubiger mit 10% ihrer Forderungen befriedigenden
Zwangsvergleich beendigt. Darnach kaufte am 9. Juli
1912 J. das Anweſen Pl.⸗Nr. 55 ½ von den Eheleuten
S. zurück. In der Kaufsurkunde verpflichtete ſich J.
etwaige Anbauentſchädigungen zur Regelung zu über⸗
nehmen. Er vollendete ſodann den bei Eröffnung des
Konkursverfahrens bis zum erſten Stockwerk gebrachten
Anbau. Der Klage des O. gegen J. auf Erſatz der
halben Koſten für die Herſtellung der Grenzmauer gab
das LG. ſtatt, die Berufung des Beklagten wurde als
unbegründet zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Dem Erſtrichter iſt darin
beizupflichten, daß dem Zwangsverſteigerungsverfahren
hinſichtlich der Pl.⸗Nr. 55 ¼ kein weiterer Einfluß auf
die Entſcheidung beizulegen iſt. Eigentümer der Grenz⸗
mauer waren und blieben zunächſt die Käufer der
Pl.⸗Nr. 55. Wie ſich in der Zukunft die Eigentums⸗
verhältniſſe dieſer Mauer geſtaltet haben, ob die
übergebaute Mauerhälfte durch den Anbau weſent⸗
licher Beſtandteil wurde und ob dies ſofort mit
Beginn des Anbaues oder erſt mit deſſen Vollendung
eingetreten iſt, kann hier vollſtändig dahingeſtellt
bleiben. Die Entſchädigung ſollte keine Vergütung für
den Eigentumserwerb an der auf Pl.⸗Nr. 55½ über⸗
e Mauerhälfte ſein. Ob der Anbauende die
auer bei ſeinem Anbau in ihrer ganzen Fläche be⸗
nützen würde, war zur Zeit des Vertrags vom 17. No⸗
vember 1902 noch nicht beſtimmt, ſonſt würde die Ver⸗
tragsbeſtimmung keinen Sinn haben, daß der Kubikmeter
der benützten Mauer mit 20 M berechnet werden ſollte;
es kann nicht ohne weiteres angenommen werden, da
das Eigentum an der übergebauten Mauerhälfte nur
ſoweit auf den Anbauenden übergehen ſollte, als er
die Mauer zum Anbau benützen würde, ein übrig—
bleibender Teil alſo im Eigentum des zuerſt Bauenden
verbleiben und demgemäß nur der Preis für den Eigen⸗
tumserwerb bemeſſen werden ſollte, ſoweit eben an⸗
gebaut werden würde. Nach dem Willen der Vertrags⸗
ſchließenden iſt eine gegenſeitige Grunddienſtbarkeit
vereinbart worden, kraft deren der erſtbauende Eigen⸗
tümer der Pl.⸗Nr. 55 die Grenzmauer in ihrer halben
Stärke auf das Nachbargrundſtück Pl. Nr. 55 / bauen
darf, dagegen der Eigentümer von Pl.-Nr. 55 an
dieſe Mauer ſein Haus anbauen darf. Es handelt ſich
nicht um zwei Mauerhälften, ſondern um eine Mauer;
nicht von zwei Mauerhälften, ſondern nur von der
Hälfte der Mauerſtärke war im Vertrage die Rede und
das hatte nur zu bedeuten, daß eine Mauer errichtet
werden ſollte, die für beide Nachbarhäuſer eine Mauer⸗
wand ſein, für beide die Trennmauer ſein ſollte. Es
iſt nicht einzuſehen, weshalb die Vereinbarung einer
ſolchen gegenſeitigen Grunddienſtbarkeit nicht rechts—
wirkſam fein ſollte. Danach diente alſo Pl.⸗Nr. 55%
der Pl.⸗Nr. 55 dadurch, daß die halbe Mauerdicke des
auf Pl.⸗Nr. 55 gebauten Hauſes auf Pl.⸗Nr 55 ¼ ſtehen
durfte, Pl.⸗Nr. 55 der Pl.⸗Nr. 55½¼ dadurch, daß das
auf dieſem Grundſtück zu erbauende Haus an die Mauer
angebaut werden durfte, die trotz des Ueberbaues auf
die Pl.⸗Nr. 55 / in ihrem ganzen Umfange Beſtandteil
der Pl.⸗Nr. 55 geblieben war; die Einräumung des
Anbaurechts auf die zu Pl.⸗Nr. 55 allein gehörige
Mauer war der Inhalt der der Pl.⸗Nr. 55½ beſtellten
Grunddienſtbarkeit. Was die Entſchädigungspflicht des
Anbauenden anlangt, ſo iſt allerdings in der Literatur
ſtreitig, ob eine Entſchädigungspflicht des Eigentümers
des herrſchenden Grundſtücks für die Ausübung der
Grunddienſtbarkeit mit deren Weſen überhaupt verein—
195
bar iſt. Der wirtſchaftliche Zweck derartiger Vertrags⸗
beſtimmungen iſt, daß jeder Teil mehr Raum für ſein
Wohnhaus gewinnt, dadurch, daß er ſeinen Grund und
Boden um eine halbe Mauerſtärke mehr ausnützen kann,
ſowie der, daß er für eine Mauerwand ſeines Hauſes
an Koſten ſpart. Es entſpricht nur der Billigkeit, daß
jeder Teil für dieſe Vorteile auch zu den Koſten beiträgt.
Es iſt nicht eine Vergütung für die Ausübung der
Grunddienſtbarkeit im ſtrengen Sinne des Wortes
vereinbart, ſondern das ganze Zuſtandekommen des
Grunddienſtbarkeitsvertrags beruht auf dem Gedanken,
daß die gleiche Vorteile ſchaffenden Koſten auch gleich⸗
mäßig getragen werden ſollten. Unter dieſen Umſtänden
kann die Entſchädigungspflicht des Anbauenden der
Annahme von Grunddienſtbarkeiten nicht hinderlich ſein
und die nach dem Willen der Vertragsſchließenden gleich⸗
falls dinglichen Charakter tragende Entſchädigungs⸗
pflicht iſt begründet. Was die Abtretbarkeit der Ent⸗
ſchädigungsforderung anlangt, ſo hat die Abtretung
durch R. an O. vom 20. Auguſt 1904 außer Betracht
zu bleiben. Wie der erk. Senat ſchon mehrmals ent⸗
ſchieden hat — Urteil vom 5. Juli 1912 — wird der
urſprünglich dinglich mit dem Eigentum verbundene
ae auf Entſchädigung zu einem perſönlichen und
fomit ohne gleichzeitige Uebertragung des Eigentums
abtretbaren erſt dann, wenn angebaut wird. Dies war
am 20. Auguſt 1904 noch nicht der Fall, wohl aber
am 26. Oktober 1910 (Abtretung durch die Eheleute
St. an O.). Damals hatte der Beklagte bereits bis zum
erſten Stockwerke angebaut. Die Bemängelung der
rechtlichen Wirkſamkeit dieſer Abtretung iſt unbegrün⸗
det. Richtig iſt, daß eine Forderungsabtretung erſt
dann möglich iſt, wenn der abzutretende Anſpruch
obligatoriſch iſt. Abgetreten wurde die Forderung,
die ihre Entſtehung im Vertrage vom 17. November
1902 hatte; dort aber iſt die Forderung zwar nicht
ziffermäßig, aber doch inſoferne in ihrer Höhe be⸗
ſtimmt, daß ſie ſpäter genau berechnet werden konnte.
Das genügt zur Abgrenzung der hier abgetretenen
Forderung; ein Zweifel an dem Zuſammenfallen der
abgetretenen Forderung mit der aus dem Vertrage
vom 17. November 1902 ſtammenden konnte nicht vor⸗
liegen. Aber auch die Perſon des Schuldners war ge⸗
nügend beſtimmt. Nach der Entſch. des RG. im Recht
1909 Nr. 3321 iſt die Bezeichnung der Perſon des Schuld⸗
ners zur wirkſamen Abtretung einer Forderung nicht er⸗
ſorderlich, wohl aber muß ein beſtimmter Schuldner
vorhanden fein. Eine Forderung war bei dieſer Ab»
tretung ſchon entſtanden; anzunehmen war mangels
entgegenſtehender Anhaltspunkte, daß der damalige
Anbauende J. auch den Anbau vollenden werde, wie
es in der Tat ja auch ſpäter der Fall war. Aber auch
für den Fall, daß nicht J., ſondern ein Rechtsnachfolger
im Eigentum an BI.- Ir. 55'/ den Anbau vollenden
würde, war immer der jeweilige Eigentümer der Schuld⸗
ner, da die Entſchädigungsforderung nach wie vor gegen
jeden anbauenden Eigentümer an Pl.⸗Nr. 55 ¼ beſtehen
blieb. — Zu prüfen iſt noch der Einwand des Beklagten,
daß allerhöchſtens eine Befriedigung der eingeklagten
Forderung zu 10% beanſprucht werden könnte. Auch
dieſer Einwand iſt unbegründet. Maßgebend iſt, zu
welchem Zeitpunkt die Entſchädigungs forderung fällig
war. Eine noch nicht fällige Forderung konnte im
Konkurs über das Vermögen des Beklagten nicht be—
rückſichtigt werden. Zur Zeit des Zwangsvergleichs
war aber die Forderung noch nicht fällig. Auch hier
iſt wieder der Wille der Vertragsſchließenden vom
17. November 1902 maßgebend. Ueber den Zeitpunkt
der Fälligkeit enthält dieſer Vertrag nichts. Wie die
Erfahrung zeigt, werden bei derartigen Grenzmauer—
Anbauverträgen häufig Beſtimmungen vereinbart, daß
die Entſchädigung bereits im Laufe des Anbauens
ſtufenweiſe zu bezahlen iſt, z. B. „von Gebälk zu Ge—
bälk“ oder „nach dem Fortſchreiten des Baues und der
ſtockweiſen Benützung der Giebelmauer“. In dem Ver—
196
trage vom 17. November 1902, den die Parteien vor
dem rechtskundigen Notare geſchloſſen haben, iſt gerade
die Anbauvereinbarung beſonders eingehend und aus⸗
führlich niedergelegt worden, es iſt aber kein Wort
davon erwähnt, daß bereits im Laufe des Anbauens
ein Teil der Entſchädigungsforderung zu zahlen ſein
ſollte. Im Konkurs J. iſt eine Anbau⸗Entſchädigungs⸗
forderung nicht angemeldet worden; die Entſchädigung
ſoll nach dem Vertrag nach der Kubikmeterzahl des zum
Anbau benutzten Teiles der Mauer berechnet, alſo
offenbar bei Vollendung des Anbaues durch Ausmeſſung
der benützten Mauerfläche feſtgeſetzt werden. Das Gericht
folgert hieraus, daß die Vertragſchließenden die Ent⸗
ſchädigungsforderung erſt mit Vollendung des Anbaues
fällig werden laſſen wollten, denn ſonſt wäre die Fällig⸗
keit, ein hervorragend wichtiger Punkt des Vertrags,
in der Urkunde ſicherlich anderweit geregelt worden.
Der Zwangsvergleich hat ſonach auf die Höhe der
Entſchädigungsforderung keinen Einfluß und dieſe iſt
in der eingeklagten Höhe berechtigt. (Urt. des I. ZS.
vom 27. Juni 1913). ') E.
3272
Aus der RNechtſprechung
des bayeriſchen Verwaltungsgerichtshofs.
Zu den Koften der Zwangserziehung i. S. des
Art. 8 Zw&rz®. gehören nur ſolche, die auf die Zwangs⸗
erziehung ſelbſt erwachſen; Abgrenzung gegenüber den
von der Armenpflege zu tragenden Koſten. Drei Zwangs⸗
zöglinge waren wegen Erkrankung aus ihrem Er⸗
ziehungsheim — der eine aus einer Familie, die beiden
andern aus Anſtalten — zur ärztlichen Behandlung
in nur hierzu beſtimmte Krankenanſtalten gebracht
worden, ohne daß die Zwangserziehung aufgehoben
oder die Zöglinge vorläufig aus der Zwangserziehung
entlaſſen worden wären (Art. 6 Abſ. und III ZwErzG.).
Die Heimatgemeinde beanſpruchte, daß ihr von den
hierdurch entſtandenen Koſten wie von allen anderen
während des Vollzugs der Zwangserziehung entitans
denen Koſten nach Art. 8 Abſ. III ZwErzGg. /s von
dem Diſtrikt und / vom Staat erſetzt würden. Der
VGH. hat dieſen Anſpruch für unbegründet erklärt
in Uebereinſtimmung mit Englert, ZwErzG. Anm. 3
zu Art. 8 S. 85/6; a. M. von der Pfordten Anm. 1
Abſ. II zu Art. 8 S. 53.
Weſentlicher Inhalt der Gründe: Gegen
den Anſpruch der Heimatgemeinde ſprechen der Wort—
laut des Art. 8 Abſ. I („die Koſten der Zwangser—
ziehung“) und die Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes.
Die Begründung des Geſetzentwurfs weiſt darauf hin,
daß ſchon nach Art. 36 Abſ. III Armen. die heimat-
liche Armenpflege verlangen konnte, daß von ihr unters
ſtützte Kinder, deren Erziehung vernachläſſigt wurde, dem
Armenpflegſchaftsrate zur beſſeren Unterbringung und
Erziehung überlaſſen wurden (AbgKVerh. 1599/1900
Beil. Bd. 2 S. 849 ff.); die Koſten trug hier ſelbſtver—
ſtändlich die Armenpflege. Allerdings kann ſich für die
Gemeinden eine höhere Belaſtung daraus ergeben, daß
nun nach den Vorſchriften des ZwErzG. auf Anordnung
des Vormundſchaftsgerichts die Diſtriktsverwaltungsbe—
hörde die Unterbringung in einer Familie, einer Er—
ziehungs- oder Beſſerungsanſtalt verfügt, ohne daß
der heimatlichen Armenpflege ein entſcheidender Ein—
fluß eingeräumt wäre. Allein das Geſetz ſoll auch bei
der Familie und der Gemeinde das Gefühl der Ver—
1) Die Begrundung der Entſcheidung iſt wohl nicht ganz Des
denkenfrei; wir kommen vielleicht darauf zurück.
Der Herausgeber.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 9.
— . ß73—e .f —————— ———. '. .ͥ ˙Ü———é — rn — — — — — —
— —
antwortlichkeit nicht mindern, ſondern im Gegenteil
die Gemeinden veranlaſſen, auf eine gute Erziehung
hinzuwirken (Begründung a. a. O. S. 853). Nur „fos
weit es mit dieſem Grundgedanken verträglich er⸗
ſcheint, kann den Gemeinden die Abwälzung der
Koſten auf breitere Schultern ermöglicht werden“.
Hiermit wurde die teilweiſe Uebernahme der Zwangs⸗
erziehungskoſten auf den Staat und den Diſtrikt be⸗
gründet. Bedenken hiegegen wurden in den Landtags⸗
verhandlungen nicht laut. Allerdings wurde auf die
Belaſtung der Gemeinden durch das Geſetz hingewieſen
und die Uebernahme der Koſten auf den Staat oder
doch eine den Gemeinden günſtigere Verteilung bean⸗
tragt. Demgegenüber wurde verſchiedentlich betont,
daß mit dem Geſetze den Gemeinden nicht Laſten ab⸗
genommen werden ſollen, die ihnen nach dem Armen⸗
geſetze obliegen, und Art. 8 in der Faſſung des Entwurfs
angenommen (AbgKVerh. 1901/1902 Sten Ber. Bd. 7
S. 205 ff., beſonders S. 209, 220, 223, 228, 280 ff.,
RRKVerh. 1901/1902 Sten Ber. Bd. 2 S. 136 /7). Die
hier in Frage ſtehenden Koſten ſind nicht für den
eigentlichen Zweck der Zwangserziehung entſtanden,
ſondern während einer tatſächlichen Unterbrechung der
Erziehung, außerhalb der Familie oder der Anftalt,
wo der Zwangserziehungsbeſchluß vollzogen wurde:
fie find verurſacht durch eine Hilfeleiftung, die ihrer
Natur nach in das Gebiet der Armenpflege fällt, und
können nicht als „Koſten der Zwangserziehung“ an⸗
geſehen werden (vgl. auch §§ 50 und 3 Abſ. 3 Vollz.⸗
Bek. vom 28. Juni 1902). 1191 des III. S. vom
18. Wär 1914, Amtl. Samml. 1914 S. I ff.). E
3334
Bücheranzeigen.
Soergel, Dr. H. Th., K. Bayer. Hofrat. Rechtſpre⸗
chung 1913 zum geſamten Zivil⸗ Handels⸗ und
Prozeßrecht des Reiches und der Bundesſtaaten enth.
die Literatur zu 385 Geſetzen unter Mitwirkung von
Landrichter Dr. Scherling in Naumburg und Land»
richter Dr. Karl Becker in Düſſeldorf. 14 Jahrgang.
1175 Seiten. Stuttgart 1914, Deutſche Verlagsan⸗
ſtalt. Gebd. Mk. 10.60.
Wir verweiſen auf die Empfehlung des vorher⸗
gehenden Jahrgangs auf S. 175/1913. Die Samm-
lung iſt insbeſondere wegen der erſchöpfenden Behand⸗
lung des bayeriſchen Landesrechts ſehr brauchbar. Im
übrigen ſind ihre Anlage und ihre Vorzüge bekannt.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Das Poſtſcheckgeſez vom 26. März 1914 wird im
RGBl. Nr. 18 S. 85 ff. veröffentlicht. Es tritt am
1. Juli 1914 in Kraft. Ohne die Vollzugsvorſchriften
kann es nicht wohl erläutert werden, zumal da es in
811 gewiſſe Vorbehalte für den inneren Verkehr im
Königreich Bayern enthält. Nach dem Erſcheinen der
bayeriſchen Ausführungsvorſchriften wird vorausſicht—
lich in dieſer Zeitſchrift eine Abhandlung über das
Geſetz veröffentlicht werden, die insbeſondere feine Be»
deutung für die Rechtspflege klarlegen wird.
3335
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
— —᷑ —ꝛůů— — Se — nn —
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
— — — — —
Ar. 10.
München, den 15. Mai 1914.
10. Jahrg.
Beitfhrift für Rechtspflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Regierungsrat im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtiz.
in Bayern
Verlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Zellier)
Künchen, Berlin u. Leipzig.
(Seufferts Blatter für Rechtsau wendung 3d. 79.)
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /.
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich :
k. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
lede Poſtanſtalt.
Nachdruck verboten.
Re drei Hauptfragen des
Kommunmauerrechts.)
Bon Juſtizrat Dr. Karl Buhmann, Rechtsanwalt in
München.
I. Wer iſt Eigentümer des über die Grenze
gebauten Kommunmauerteiles?
Dieſe Abhandlung geht von dem Vorhandenſein
zweier nebeneinander liegender Bauplätze 1 und 2
aus, deren Eigentümer A und B ſind. A baut
kommun. Es ſtehen ſich folgende, miteinander
unvereinbare Anſchauungen gegenüber:
1. A wird Eigentümer der ganzen Kommun⸗
mauer, alſo auch des über die Grenze gebauten
Mauerteiles (Breit, Das Recht der gemeinſchaft⸗
lichen Brandmauern, bei Arthur Roßberg, ſowie
Breit SächſA. 1911 S. 385; RG3. 72, 272
und JW. 1910 S. 60. Weiter Staudinger BGB.
8 921 Anm. IV — dort eine umfaſſende Literatur:
zuſammenſtellung — und RGRK. § 921 Anm.).
Zu 1 gibt es 3 Spielarten. Die eine geht dahin,
daß A Eigentümer des übergebauten Mauerteiles
bleibt (Rhein A. 105, 49 ff.; 108, 260 ff. Anm.),
auch wenn B anbaut; die zweite geht dahin, daß
B mit dem Anbau Eigentümer des übergebauten
Mauerteiles werde (Rhein A. 108, 373 ff.; OLG.
Breslau in JW. 1911 S. 511); eine dritte
Meinung nimmt an, daß nach dem Anbau Mit⸗
eigentum zwiſchen A und B eintrete (vgl. Crome
8 397 S. 299).
2. Das Eigentum teilt ſich mit der Errichtung
der Kommunmauer in 2 Hälften zwiſchen A und B
(Wein in BayZiR. 1913 S. 23 und 24; RG. 70,
—
) I. Wer iſt Eigentümer des über die Grenze ge⸗
bauten Mauerteiles? — II. Iſt die Kommunmauer
eine Grenzeinrichtung? — III.
Kommunmauer einen Ablöſungsanſpruch?
Schuldner?
Hat der Erbauer der
Wer iſt 8 i |
ganz beſonderen wirtſchaftlichen Geſichtspunkte aus:
5 Zeitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a.
J] Anzeigengebübr 30 Pfg. für die balbgeſvaltene Petitzeile
/ oder deren Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗
% anzeigen 20 Big. Beilagen nach Uebereinkunft.
197
200; JW. 1911 S. 211 und 356; Buſch in
Bayzſgt. 1914 S. 157 ff.).
Die Anhänger der ſog. Kommunmauerüberbau⸗
lehre, die ſich zur Begründung ihrer Anſchauung
auf 8 95 Abſ. 1 Satz 2 BGB. und auf eine analoge
Anwendung des 8 912 BGB. berufen, geben ſelbſt
zu, daß 8 94 BGB. das Eigentum an unbeweg⸗
lichem Vermögen grundſätzlich regelt und daß eine
andere Geſtaltung des Eigentums an unbeweg⸗
lichem Vermögen auf Grund Parteiwillens an
ſich ausgeſchloſſen und nur zuzulaſſen iſt, wenn
das Geſetz ſelbſt dem Parteiwillen einen ausdrück⸗
lichen Einfluß auf die Geſtaltung des Eigentums
einräumt.
Es wird deshalb niemanden einfallen, zu bes
haupten, daß unter der Herrſchaft des BGB. durch
Parteiwillen ſuperfiziariſches Eigentum ge⸗
ſchaffen oder das Eigentum an einem Gebäude in
horizontaler Richtung mit dinglicher Wirkung ge⸗
teilt werden könne.
Richtig iſt, daß das BGB. in zwei Fällen
| die allgemeinen Regeln über Grundſtückseigentum
durchbrochen hat. Die eine Ausnahme enthält 8 912
BGB., die andere 8 95 BGB. Dem 8 912 BGB.
liegt die Annahme zugrunde, daß A eine falſche
Vorſtellung von der richtigen Grenze hat, ſich alſo
über den Flaͤcheninhalt feines eigenen Grundſtücks
irrt. Der Ueberbau nach § 912 BGB. hat die
Wirkung, daß A ohne eine darauf abzielende Willens:
richtung Eigentum an einem auf fremden Grund
| und Boden errichteten Gebäude erwirbt, alſo kraft
59 und ohne jeden Vorgang im Grundbuch
(ebenſo Buſch Bay3fR. 1914 S. 159).
Iſt bei A der Wille darauf gerichtet, Eigen⸗
tum an einem Gebaͤude auf fremdem Boden und
Grund mit der Errichtung des Gebäudes zu er:
!
| halten, jo kann wohl 8 95 BGB., niemals aber
9 912 BGB. angewendet werden.
Daß 8 912 BGB. eine einzigartige, von einem
198
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
gehende und daher jeder Ausdehnung unfähige 8.95 Abſ. 1 Satz 2 BGB. Hier taucht zunäaͤchſt
die Frage auf, ob unter einem Recht an fremdem
Ausnahmebeſtimmung iſt, ergeben die Motive zum
Grenzüberbau (83 587 —860). Sie lehnen es aus⸗
drücklich ab, die Grundſaͤtze der Spezifikation und
eine Umkehrung des Satzes „‚superficies solo cedit“
im Immobiliarrechte zuzulaſſen, weil eine ſolche
Zulaſſung mit den Grundſätzen des Immobiliar⸗
rechts in Widerſpruch treten würde.
Die Motive fahren wörtlich weiter:
„Aber im Falle des Grenzüberbaues, in welchem die
ſtrenge Geltendmachung der Eigentumskonſequenzen
mit beſonderen Härten verbunden ſein würde, iſt eine
Abhilſe möglich, welche dem einen Teil große Vorteile
verſchafft, ohne den anderen Teil in einigermaßen er⸗
heblicher Weiſe zu ſchädigen. In den Mitteln der Ab⸗
hilfe geht der Entwurf nur ſoweit, als das Bedürf⸗
nis es erfordert. Der Entwurf gibt nur ein geſetz⸗
liches Recht auf Duldung des Ueberbaues und regelt
die Erwerbung des Rechtes und des geſetzlichen Rechts
des duldenden Teiles auf rentenartiges Entgelt.“
Aus den Worten: „Nur ſoweit“ im Zu:
ſammenhang mit den in den Motiven ausgedrückten
Abſichten des Geſetzgebers läßt ſich folgern, daß
jede analoge Anwendung des $ 912 BGB. aus⸗
geſchloſſen ſein muß, insbeſondere aber eine, die
ſtatt des geſetzlichen Tatbeſtandes die Parteiabſicht
und Vereinbarung, auf fremdem Grund und Boden
Gebäudeeigentum zu erwerben, zum Ausgangspunkt
nimmt (zum gleichen Ergebnis kommt Buſch a. a. O.).
Schon die ſyſtematiſche Einſtellung des 8 912
BGB. in den Abſchnitt „Eigentum“ und in den
Titel „Inhalt des Eigentums“ (ſtatt „Erwerb des
Eigentums“) ſollte den Anhängern der Kommun⸗
mauerüberbaulehre zu Bedenken Anlaß geben (sgl.
auch Schmitt in BayziR. 1914 S. 59 J). Zudem
beſteht vom Standpunkt der ratio legis aus nicht
das leiſeſte Bedürfnis, den bewußten und gewollten
Ueberbau dem unbewußten und unverſchuldeten
Ueberbau hinſichtlich des Eigentums am über⸗
gebauten Mauerteil gleichzuſtellen.
Iſt der Ueberbau bewußt rechtswidrig oder
grobfahrläſſig vorgenommen worden, ſo ſchafft der
Beſeitigungsanſpruch eine gerechte Strafe, iſt er
mit ausdrücklicher oder ſtillſchweigender Geneh—
migung des B, alſo auf Grund Vertrages erfolgt,
ſo iſt ein beſonderer geſetzlicher Schutz des A nicht
vonnöten, weil der Schutz im Abſchluß des Ver:
trages ſelbſt liegt.
Der Geſetzgeber kann auch gar nicht daran
gedacht haben, dem bewußt (im Sinne der Ein:
holung oder Annahme einer nachbarlichen Geneh—
migung) Ueberbauenden einen beſonderen geſetz⸗
lichen Schutz angedeihen zu laſſen; ſonſt hätte er
doch eine ſolche mit den Motiven in Widerſpruch
ſtehende Abſicht irgendwie ausdrücken müſſen. Die
analoge Anwendung des § 912 BGB. auf den
vertragsmäßig vereinbarten Ueberbau iſt demnach
nur möglich, wenn man dem Wortlaut des § 912
und deſſen Sinn und Bedeutung Gewalt antut
(A. M. Abele in LZ. 1914 S. 836).
Nicht viel überzeugender wirkt die Berufung
— 2 —— —
Grund und Boden auch obligatoriſche Rechte ge⸗
meint ſein können oder nur dingliche. Die letztere
Anſchauung vertreten vor allem Staudinger BGB.
3 95 Anm. 36 und RGRKomm. zu 8 95 Anm. 5.
Die Literatur für und gegen dieſe Anſchauung
iſt bei Staudinger zuſammengeſtellt.
Befremdend wirkt bei den beiden Kommen⸗
taren die Folgewidrigkeit, die darin liegt, daß ſie
unter Rechten im Sinne des $ 95 Abſ. 1 Satz 2
BGB. nur dingliche Rechte verſtehen, gleichwohl
aber bei Erörterung des Kommunmauerrechtes die
Meinung zu vertreten ſcheinen, daß der Kommun⸗
mauerüberbau Eigentum des Erbauers wird. (Stau⸗
dinger BGB. § 921 Anm. VI 1 und RGRKomm.
8 921 Anm. 2).
Zu der Streitfrage hier weiter Stellung zu
nehmen iſt deshalb überflüſſig, weil die Berufung
auf 8 95 Abſ. 1 Satz 2 BGG. nicht geeignet iſt,
die Frage nach dem Eigentum an dem auf Grund
Vereinbarung errichteten Kommunmauerüberbau
zu löſen. Denn unter einem dinglichen Rechte
an einem Gebäude, das auf fremdem Grund und
Boden ſteht, verſteht man, wenn es ein vereinbartes
Recht ſein ſoll (darüber beſteht allſeits Einig⸗F
keit), nur die Dienſtbarkeit, den Nießbrauch und
das Erbbaurecht (ſ. auch Schmitt in Bay3fR. 1914
S. 61 VI und Abele a. a. O.), alſo Rechte, die neben
der Vereinbarung auch noch des Eintrags im Grund:
buch zu ihrer dinglichen Wirkung bedürfen. Die vor⸗
ſtehende Aufzählung der dinglichen Rechte an Ge⸗
bäuden auf fremdem Grund und Boden, ſoweit
Vereinbarung in Betracht kommt — (das Recht aus
$ 912 BGB. iſt ein nicht vereinbartes Recht dieſer
Art) — iſt erſchöpfend und andere ſolche vereinbarte
Rechte ſind im bürgerlichen Rechte aus grund⸗
ſaͤtzlichen Erwägungen (f. die oben angeführten Mo⸗
tive zu $ 912 BGB.) abſichtlich nicht zugelaſſen.
Die Anhaͤnger der Kommunmauerüberbau⸗
lehre behaupten auch gar nicht und können nicht
behaupten, daß bei der Vereinbarung der Er⸗
richtung einer RKommunmauer eine dingliche Wir:
kung beabſichtigt ſei, weil fie zugeben müſſen, daß
vereinbarte dingliche Rechte an einem auf fremden
Grund und Boden ſtehenden Gebaͤude zur ding⸗
lichen Wirkung nicht nur der Vereinbarung, ſondern
auch grundſätzlich des Vollzuges im Grundbuch
bedürfen.
Es wird deshalb geſagt, daß unter einem Ge⸗
bäuderecht auf fremdem Grund und Boden i. S.
des § 95 Abſ. 1 Satz 2 BGB. auch ein nur obli⸗
gatociſch vereinbartes Gebäuderecht zu verſtehen
ſei. Dieſe Begründung trägt den Widerſpruch in
ſich ſelbſt, weil ſie den maßgebenden Willen der
vertragsſchließenden Teile in das Gegenteil ver⸗
kehrt. Dieſer Wille iſt auf eine dauernde und ding—
liche Wirkung gerichtet.
Aus dem Vorgetragenen ergibt ſich als Fol⸗
der Anhaͤnger der Kommunmauerüberbaulehre auf gerung, daß A und B mit der Errichtung der
— — — — — —
Kommunmauer auch deren Eigentümer gemäß
8 94 BGB. je zur Hälfte werden, weil keine der
Ausnahmevorſchriften des 8 912 oder des $ 95
Abſ. 1 Satz 2 BGB. vorliegt und Analogie aus
grundſätzlichen Erwägungen gegenüber dinglichen
Rechtsvorſchriften ausgeſchloſſen ſein muß.
Dieſe Auffaſſung vertreten das RG. in ROZ.
70, 200, JW. 1911 S. 211 und S. 366 und
Planck Anm. 4 zu 8 94.
In den angegebenen 1 Ent-
ſcheidungen iſt ausgeführt, das BGB. ſtehe, wie
fich aus den 88 93, 94 Abi. 1 und 946 BGB.
ergebe, in den Geſetzesmaterialien ausgeſprochen
und vom RG. in ſtändiger Rechtſprechung an⸗
erkannt ſei, grundſätzlich auf dem Standpunkt,
daß ein Bau als weſentlicher Beſtandteil zu
dem Grundſtücke nur ſoweit gehöre, als er feſt
mit ihm verbunden ſei, alſo darauf ſtehe; es
ſei an dieſem 1 insbeſondere auch bei
einer Grenzeinrichtung feſtzuhalten (vgl. auch noch
RG. 65, 363; 31, 396 und 53, 310; ferner
insbefondere Buſch in Bay ZR. 1914 S. 159 ff.;
ferner für Grenzeinrichtungen auch Staudinger
BGB. 8 921 Anm. II a).
Die den gegenteiligen Satz aufſtellende und
weitere Ausnahmen von 88 95 und 912 BGB.
an ſich zulaſſende Entſcheidung des RG. 72, 72
behandelt einen Fall aus dem Rheiniſchen Rechts⸗
gebiet, bei welchem die Kommunmauer vor dem
dem Jahre 1900 errichtet war und der als Aus⸗
gangspunkt daher den code civil hatte.
Die anſcheinend gleichfalls die gegenteilige
Meinung vertretenden Entſcheidungen in RG.
74, 89 und 83, 143 betreffen Sonderfälle aus
dem eigentlichen Anwendungsgebiet des $ 912
BGB., wie ihre Begründung ergibt.
- Zu welcher Künſtelei die gegenteilige Auf:
faſſung in der Geſetzauslegung führt, beweiſen am
ſchlagendſten die Ausführungen Breits S. 134 fl.
Breit unterſcheidet einen „normalen“ (zunächſt
einſeitig nützlichen) Ueberbau und einen „nicht
normalen“ (beiderſeits nützlichen) Ueberbau. Diele
Unterſcheidung iſt willkürlich, weil das Geſetz ſie
nicht kennt. Sie iſt auch rechtlich nicht haltbar,
weil die rechtliche Natur eines nach 8 912 BGB.
zu beurteilenden Ueberbaues nicht durch nachtraͤg⸗
liche Ereigniſſe willkürlich geändert werden kann.
Liegt ein vereinbarter Ueberbau vor, ſo iſt er
als beiderſeits nützlich gewollt, jo daß der 8 912
BGB. von Anfang an auszuſcheiden hat.
Das Urteil des Oberlandesgerichts München
vom 17. Januar 1914 (ſiehe BayziR. 1914 S. 181
und LZ. 1914 S. 837) dahingehend, daß zwiſchen
A und B ein Uebereinkommen in dem Sinne als
abgeſchloſſen zu gelten habe, daß mit dem An⸗
bau B Eigentümer des übergebauten Mauerteiles
wird und daß dieſes Abkommen nicht dem Beur⸗
kundungszwang des $ 313 BGB. unterliege, iſt
rechtlich unhaltbar und verſagt völlig im Falle
Zieitſchrift für Rechtspflege ! in Bayern. 1914. Nr. 10.
199
der Sondernachfolge. Die übliche Kommunmauer⸗
vereinbarung zwiſchen A und B geht vom Stand⸗
punkte der Ueberbaulehre nicht dahin, daß B zur
Erwerbung der Kommunmauerhälfte verpflichtet
iſt, ſondern daß A zur Ueberlaſſung verpflichtet iſt.
Die Anſchauung des OLG. München verſagt
vollſtändig, wenn Sondernachfolger des A oder B
in Frage kommen, mit denen keine Vereinbarung
getroffen iſt. Wie ſtellt man ſich ohne Grund⸗
buch⸗Eintrag (einer Dienſtbarkeit) eine bindende
Verpflichtung des Sondernachfolgers des A dem B
oder deſſen Sondernachfolger Y gegenüber vor?
Die Ueberbaulehre zwingt folgerichtig zur gegen⸗
teiligen Meinung, daß der Erbauer und ſein Sonder⸗
nachfolger zum Abreißen der Mauer dem Sonder⸗
nachfolger des B gegenüber berechtigt ſind.
II. Iſt die halbſcheidig gebaute Mauer
(Kommunmauer) Grenzeinrichtung?
Die Eigentumstrennungslehre iſt vom Stand⸗
punkte des Geſetzes aus die einzig mögliche. Aber ſie
würde wirtſchaftlich nicht als befriedigende Löͤſung
der Kommunmauerfrage angeſehen werden können,
wenn A und B als Eigentümer der auf ihren
Grundſtücken liegenden Mauerhälften über fie frei
verfügen (fie niederreißen) könnten. (S. Schmitt
in Bay 3fR. 1914 S. 60 VI).
Im Verhältnis zwiſchen A und B iſt mit
Rückſicht auf die vor der Kommunmauererrichtung
getroffene Vereinbarung eine ſolche unbeſchränkte
Verfügung zwar ausgeſchloſſen, möglich würde ſie
aber mit dem Augenblicke des Eintritts einer
Sondernachfolge werden. Es bedarf aber keiner
Konſtruktion, keiner Fiktion und ebenſowenig des
Mittels der Künſte der raffinierten Geſetzesaus⸗
legung im Sinne der Ausſprüche Steins (23. 1914
S. 313), um dieſe unerwünſchte Folge zu beſeitigen
und zu einem wiſſenſchaftlich ſowie wirtſchaftlich
befriedigendem Ergebniſſe zu gelangen, wenn man
die Kommunmauer als Grenzeinrichtung behandelt.
Sie iſt es nach dem Willen der vertrags⸗
ſchließenden Nachbarn, nach der Verkehrsauffaſſung,
nach ihrer äußeren Geſtaltung und nach ihrem
Zweck. Sie iſt auch hiezu geeignet. Die Frage
nach dem Eigentum des übergebauten Mauerteiles
löſt ſich mit der Annahme der Grenzeinrichtung
von ſelbſt (. Staudinger $ 921 BGB. Anm. IIa
„Jeder Angrenzer gilt als Eigentümer bis zur
Grenze. Auf der Grenze als Ideallinie kann nichts
mehr ſtehen “).
Am beſten iſt die Grenzeinrichtungslehre
mit lehrreichen geſchichtlichen Ausführungen auch
in bezug auf das Kommunmauerrecht ſelbſt dar⸗
geſtellt im Sächſiſchen Archiv, 6 Jahrgang (1911)
S. 415 (Urteil des Landgerichts Dresden).
Die Begründung dieſer Entſcheidung bewegt ſich
in Anlehnung an das Urteil des Oberlandes—
gerichts Dresden vom 14. Dez. 1909 Nr. 284,08
nach der Richtung, daß die über die Grenze ge—
200
baute Giebelmauer zwar nicht ohne weiteres eine
den Vorteilen beider Grundſtücke dienende Ein⸗
richtung im Sinne des $ 921 BGB. ſei, daß fie
ſich aber eigne, eine ſolche zu werden, und es auch
tatſächlich werde, wenn der Nachbar anbaue.
Dieſer Grundſatz entſpricht ſicher vollſtändig
der Verkehrsauffaſſung in den Rechtsgebieten, in
denen früher die kommune Bauweiſe geſetzliche
Grundlage hatte oder ſonſt gang und gaͤbe war
mit der Erweiterung, daß die Verkehrsauffaſſung
die Kommunmauer als Grenzeinrichtung ſchon
im Augenblicke der Erbauung betrachtet. Die
Grenzeinrichtungslehre greift auf die urſprünglich
allgemein angenommene, dann aber vielfach be⸗
kaͤmpfte Vertragslehre (vgl. Staudinger BGB.
§ 921 Anm. 10 und die dort angeführte Literatur,
ſowie das vorerwaͤhnte Urteil des Landgerichts
Dresden) zurück und wird dem Erfordernis des
Schutzes der beiderſeitigen Rechtsnachfolger in jeder
Beziehung gerecht.
Die Nachbarn gehen bei Errichtung und Ge⸗
nehmigung des Kommunmauerüberbaues von vorne⸗
herein davon aus, daß ſie unter Belaſſung der
unſtreitigen Grenze eine ihnen nützliche Einrich⸗
tung und noch dazu eine Grenzeinrichtung ſchaffen
wollen. Ueber den Umſtand, daß mit der Kom⸗
munmauereinrichtung gleichzeitig eine Grenzein⸗
richtung geſchaffen wird, ſprechen ſich die Nachbarn
ebenſowenig aus, als darüber, daß ſie eine beider⸗
ſeits nützliche Einrichtung ſchaffen wollen. Dieſe
Wirkung wird ebenſo als ſelbſtverſtändlich betrachtet,
wie die bedingte Ablöſungspflicht, über die gleich⸗
falls keine ausdrückliche Verabredung getroffen zu
werden pflegt. A würde andernfalls nicht kommun
bauen, B den Ueberbau nicht genehmigen. Daß
die Kommunmauer nicht nur dem A zu nützen
geeignet und dem B künſtighin zu nützen be:
ſtimmt iſt, ſondern als Grenzzeichen ſofort zu
dienen beſtimmt und geeignet iſt, iſt unſchwer
beweisbar.
Um einer verſchiedentlich geäußerten irrigen
Meinung vorweg entgegenzutreten (Ziel, Die ge⸗
meinſchaftliche Giebelmauer und der Giebelent⸗
ſchädigungsanſpruch nach dem BGB. bei Otto
Wiegand, Leipzig 1911), iſt zu betonen, daß die
Grenzeinrichtung nicht als Scheidemerkmal für
Dritte, ſondern nur für die Nachbarn ſelbſt be⸗
ſtimmt ſein kann. Andernfalls würde eine Grenz⸗
ſcheidemauer dann keine Grenzeinrichtung ſein können,
wenn die Grenze nicht mitten durch die Mauer
ginge. Das Erfordernis der Halbſcheidigkeit für
eine Grenzeinrichtung als ſolche kann weder aus
dem Geſetzestert noch aus den Motiven entnommen
werden. Die Notwendigkeit der Erkennbarkeit für
Dritte (vom Standpunkte des Parteiwillens aus)
kann in überzeugender Weiſe nicht dargetan werden.
Es müßten ſonſt Grenzeinrichtungen an nicht zus
gänglichen oder für Dritte unſichtbaren Stellen
ihre Eigenſchaft verlieren. Nicht einmal die Sicht⸗
barkeit der Grenzlinie für die Nachbarn ſelbſt iſt
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
́àh p], — .. . —
— 4 NL EEE
eine notwendige Eigenſchaft der Grenzmauer, denn
in vielen Fällen iſt die Grenzlinie an Stirn⸗ und
Rückſeile durch Quermauern verbaut und daher
für jedermann unſichtbar. In allen ſolchen Fällen
iſt die Grenze nach der Vertikalrichtung nur durch
Meſſung in horizontaler Richtung feſtzuſtellen.
Eine unmittelbare Feſtſtellung der Grenzlinie iſt
bei undurchſichtigen Grenzzeichen phyſiſch, abgeſehen
von der Scheitellinie, ausgeſchloſſen, wenn es ſich
um eine Mauer handelt. Die Kommunmauer
wird durch den Willen der Beteiligten Grenz⸗
einrichtung, und zwar in ihrer Mitte, weil die
halbſcheidige Bauweiſe vereinbart iſt. Genau dieſe
Mitte ſoll die Grenze anzeigen und damit den
tatſächlichen und rechtlichen Verfügungsbereich eines
jeden Nachbarn bezeichnen. Die Kommunmauer
iſt auch geeignet als Grenzfeſtſtellungszeichen (durch
Meſſung zur Mitte) zu dienen, ebenſo, wie beiſpiels⸗
weiſe die halbſcheidig gebaute Gartengrenzmauer,
welche innerhalb eines Mauervierecks zwei Gärten
voneinander trennt.
Gleichgültig muß nach dem Sinn und Wort⸗
laut des Geſetzes auch ſein, ob durch die Mauer
der Bauplatz des B von einem Hauſe des A oder
von einem Teich oder einer ſonſtigen Anlage ge⸗
ſchieden wird. Gleichartigkeit der beiderſeitigen
Dienſamkeit iſt nach 8 921 BGB. nicht er⸗
fordert.
Daß das Hauptaugenmerk des Nachbarn beim
Kommunbau auf künftige wirtiſchaftliche Vorteile
gerichtet iſt, naͤmlich auf Erſparung von Baukoſten
und auf beiderſeitige Raumgewinnung, ſchließt
keineswegs die Beſtimmung der Kommunmauer
aus, als Grenzeinrichtung zu dienen. Es iſt kein
im Geſetz begründetes Erfordernis der Grenzein⸗
richtung, daß ſie allein oder hauptſächlich als Grenz⸗
einrichtung zu dienen beſtimmt oder geeignet iſt.
Alle nur denkbaren Haupt⸗ und Sonderzwecke kann
die Grenzeinrichtung verfolgen. Der Zweck der
Mauer als Grenzeinrichtung zu dienen, kann der
letzte und nebenſächlichſte, ja nur ganz zufällig
mitgewollte Zweck ſein und doch iſt die Mauer
eine Grenzeinrichtung. Man denke an eine auf
die Grenze geſetzte Mauer, die in erſter Linie
beſtimmt iſt, ein Freskogemaͤlde als aͤſthetiſchen
Abſchluß für eine Parkanlage zu tragen oder eine
Hecke, die niemals gepflanzt worden waͤre, wenn
nicht die Nachbarn ſich gegenſeitig den Einblick in
ihre Grundſtücke hätten verwehren wollen. Bei der
Kommunmauer iſt, abgeſehen von dem Vorgeſagten,
die Beſtimmung, als Grenzeinrichtung zu dienen,
nicht einmal nebenfaͤchlich, ſondern neben der Nüͤtz⸗
lichkeit mitgewollter Hauptzweck.
Das ergibt ſich gerade aus der Tatſache des
halbſcheidigen Mauerbaues, weil die halbſcheidig
gebaute Mauer als Zeichen des Grenzbereiches
und der Verfügungsgewalt eines jeden Nachbars
nicht nur horizontal der Bodenfläche, ſondern der
ganzen Höhe nach als Scheidung z. B. anliegender
Wohnräume zu dienen beſtimmt iſt.
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
Die einen gegenteiligen Standpunkt einneh⸗
mende Entſcheidung des RG. in RG3Z3. 70, 204
entſpringt einer formaliſtiſchen weder dem Partei⸗
willen noch den praktiſchen Verkehrsbedürfniſſen
Rechnung tragenden Geſetzesauslegung.
(Schluß folgt.)
Etraferlaß und Etrafmilderung
im Nienſtſtrafverfahren des bayeriſchen
Veamteugeſetzes.
Bon Oberpoftinfpektor Korzendorſer in Regensburg.
1. Das bayerische . vom 16. Auguſt
1908 behandelt in den Art. 105 mit 169 das
Dienſtſtrafverfahren. In dieſen Vorſchriften iſt
nirgends davon die Rede, daß eine rechtskräftige
Dienſtſtrafe gemildert oder erlaſſen werden kann.
Nur im Art. 110 iſt die Gewährung eines Unter⸗
haltsbeitrags an einen entlaſſenen Beamten oder
an ſeine Familie oder feine Hinterbliebenen könig⸗
licher Entſchließung vorbehalten. Dabei ſoll der
Unterhaltsbeitrag die Hälfte des Betrages nicht
uͤberſchreiten, den der Beamte oder feine Hinter:
bliebenen als Ruhegehalt, Witwen⸗ oder Waiſengeld
zu beanſpruchen hätten, wenn der Beamte im Zeit⸗
punkte der Dienſtentlaſſung in den Ruheſtand ge⸗
treten oder geſtorben wäre. Aus dem Fehlen weiterer
Beſtimmungen darf man aber nicht den Schluß
ziehen, daß alle rechtskraͤftigen Dienſtſtrafen auch
vollzogen werden müßten und für einen Gnaden⸗
akt des Königs kein Raum wäre.
2. Das Dienſtſtrafrecht iſt das Recht des Staates,
die Beamten wegen Verletzung ihrer Amtspflichten
zu beſtrafen. Es beruht auf dem Dienſtverhältnis
des Beamten zum Staat. Nicht als Inhaber der
öffentlichen Zwangsgewalt, ſondern als Inhaber der
Dienſtgewalt kann der Staat gegen die Beamten
einſchreiten, die ihre Dienſtpflichten verletzen. Eine
Verpflichtung zum Einſchreiten beſteht nicht. Das
Dienſtſtrafrecht iſt nicht eine Ergänzung des all⸗
gemeinen Strafrechts. Strafrechtspflege und Be⸗
amtendisziplin ſind nach den Motiven zum BG.
(Verh. d. Abg. 1907/08 Beil. III S. 109 zu Art.
115) völlig ſelbſtändige Gebiete, die begrifflich in
keinem inneren Zuſammenhang ſtehen. Von dieſem
Grundſatz iſt nur in zwei Fällen — aus Zweck⸗
mäßigkeitsgründen — abgegangen worden. Art. 115
BG. beſtimmt, daß ein Dienſtſtrafverfahren wegen
eines Dienſtvergehens weder eingeleitet noch fort⸗
geſetzt werden darf, wenn der Staatsanwalt wegen
der nämlichen Tatſachen in einem ſtrafrechtlichen Ver:
fahren die öffentliche Klage erhoben hat oder wenn
in einem militärgerichtlichen Verfahren die Anklage
verfügt worden iſt. Art. 116 des BG. ſchreibt vor,
201
daß im Falle einer Freiſprechung durch die Straf⸗
gerichte ein Dienſtſtraſverfahren nur inſoferne ſtatt⸗
finden darf, als die Tatſachen an ſich und ohne
ihre Beziehung zu dem geſetzlichen Tatbeſtande der
ſtrafbaren Handlung. auf die das Strafverfahren
ſich erſtreckte, ein Dienſtvergehen enthalten.
Dieſe aus Zweckmaͤßigkeitsgründen getroffenen
Anordnungen ändern an dem oben dargelegten
Verhältnis des Dienſtſtrafrechts zum Strafrechte
nichts. Es iſt hier nicht der Ort, naͤher auf die
rechtliche Natur der Dienſtſtrafe und des Dienſt⸗
ſtrafverfahrens einzugehen. Die hier wiedergegebene
Anſchauung vertritt Laband (Staatsrecht des Deut⸗
ſchen Reichs 1912 Bd. IJ S. 484), Reindl (Kommen:
tar z. bayer. Beamtengeſetz 1911 S. 505), Woerner
(Das Disziplinarverfahren in Bayern 1910 S. 12).
Anderer Meinung iſt Piloty a 17 0 Baye⸗
riſches Staatsrecht 1913 Bd. I S. 788). Nach
ihm iſt es irrig, das Dienſtſtrafrecht als Ausfluß
der Dienſtgewalt zu betrachten. Denn in dieſem
Falle müßten die Dienſtſtrafen ſtets vom Vorgeſetz⸗
ten verhängt werden, nicht aber, wie im bayeriſchen
Beamtengeſetz, teilweiſe von den Disziplinarge⸗
richten. Dieſer Einwand iſt nicht ſtichhaltig; denn
er berückſichtigt nicht den Entwicklungsgang des
bayeriſchen Disziplinarſtrafverfahrens. Vor Er:
laſſung von Geſetzen dienſtſtrafrechtlichen Inhalts,
insbeſondere vor Erlaſſung der Staatsdienerprag⸗
matik vom 1. Januar 1805 übte der Staat die
Dienſtgewalt völlig uneingeſchränkt aus. Der Be⸗
amte, der jederzeit entlaſſen werden konnte, mußte
ſich jeder Strafe fügen. Im Laufe der Zeit hat
der Staat den zeitgemäßen Anſchauungen Rechnung
getragen und ſich in der Ausübung der Dienſt⸗
gewalt ſelbſt geſetzliche Schranken gezogen, insbe⸗
ſondere im Beamtengeſetz die Verhängung ſchwererer
Strafen über unwiderrufliche Beamte eigenen Ge⸗
richten, den Disziplinargerichten, übertragen. Die
Grundlage auch dieſer geſetzlichen Beſtimmungen
blieb — wie ſich aus dem Geſetz ergibt — die
aus dem Dienſtverhältnis entſpringende Dienſt⸗
gewalt. Nach wie vor haben die den Beamten
vorgeſetzten Behörden die Entſcheidung, ob ſie wegen
eines Dienſtvergehens die Einleitung des Dienſt⸗
ſtrafverfahrens beantragen wollen und damit das
Disziplinargericht in Tätigkeit ſetzen wollen. Ebenſo
kann die Behörde — bis zur Erlaſſung des Urteils
der Disziplinarkammer — den Antrag zurück⸗
nehmen, worauf das Verfahren einzuſtellen iſt. Am
deutlichſten aber ergibt ſich das Dienſtſtrafrecht als
Ausfluß der Dienſtgewalt aus der Beſtimmung
des Art. 114 BG. Hiernach iſt das Dienſtſtraf⸗
verfahren einzuſtellen, wenn der Beſchuldigte um
Entlaſſung aus dem Staatsdienſt unter Verzicht
auf Titel und Dienſtabzeichen, ſowie auf Dienſt⸗
einkommen, Ruhegehalt und Hinterbliebenenver⸗
ſorgung nachſucht. Alſo ſchon bei einſeitiger
Aufkündigung des Amtes durch den Beamten ver⸗
zichtet der Staat auf die Weiterverfolgung eines
Disziplinarverfahrens. Anderer Meinung iſt Reindl
202
(a. a. O. S. 538). Er verlangt als Vorausſetzung
der Einſtellung des Verfahrens die Entlaſſung des
Beamten, alſo die Genehmigung des Entlaſſungs⸗
geſuches. Gegen dieſe Anſicht ſpricht vor allem
der Wortlaut des Geſetzes. Art. 114 richtet ſich
an das Disziplinargericht. Er ſetzt die Bedingungen
feſt, unter denen das Gericht, ohne weiteren An⸗
trag der Behörde, das Verfahren einſtellen muß.
Ob und wann die dem Beamten vorgeſetzte Be⸗
hörde dem Entlaſſungsgeſuch ſtaltgeben muß, ſagt
Art. 10. Im übrigen iſt die Streitſrage von
keiner großen Bedeutung; denn die Einſtellung
des Verfahrens iſt auf das Entlaſſungsgeſuch nur
zu verfügen, wenn die Bedingungen für die ſo⸗
fortige Genehmigung des Entlaſſungsgeſuches ge⸗
geben ſind. Es fallen alſo wohl in den meiſten
Fällen die Genehmigung des Entlaſſungsgeſuches
durch die vorgeſetzte Behörde und die Einſtellung
des Verfahrens durch das Disziplinargericht zeit⸗
lich zuſammen.
3. Sind die Urteile der Disziplinargerichte
rechtskraͤftig, dann müſſen fie von den zuſtändigen
Verwaltungsbehörden vollzogen werden (BG.
Art. 163). Da aber die Urteile keinerlei Zeit⸗
beſtimmung darüber enthalten, wie lange ihre
Folgen beſtehen ſollen, ſo können die Behörden
den Beſtraften wieder befördern, ihn wieder auf
ſeine frühere Amtsſtelle zurückverſetzen, einen Ent⸗
laſſenen wieder aufnehmen. Dieſe Verfügungen
ſind keine Gnadenverfügungen der Verwaltungs⸗
behörden, ſie dürfen deshalb vorgenommen werden,
weil ſie durch das Geſetz nicht ausdrücklich ver⸗
boten ſind und weil durch den Vollzug der Strafe
die Strafmacht für den einzelnen Fall aufgebraucht
iſt und die Verwaltungsbehörde dem Beamten
gegenüber wieder ihre uneingeſchränkte Verfügungs⸗
gewalt erhält. Die Behörden werden aber aus
Gründen der Dienſtzucht ſolche Verfügungen nicht
alsbald nach Erlaſſung der Urteile treffen. Sind
dieſe Urteile doch auf ihren Antrag hin erlaſſen
worden. Reindl (a. a. O. S. 521) iſt der An⸗
ſicht, daß die ſpätere Wiederanſtellung eines in⸗
folge Disziplinarurteils aus dem Dienſte entlaſſenen
Beamten nicht ausgeſchloſſen iſt, aber doch „wohl“
nur auf Grund eines Begnadigungsaktes des
Königs erfolgen könne, da ſonſt die kraft Geſetzes
eintretende Wirkung des Disziplinarurteils, näm⸗
lich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis,
durch einen Anſtellungsakt einer zur Anſtellung
an ſich zuſtändigen Dienſtbehörde wieder beſeitigt
werden könne. Bei Beförderung eines vorher
durch Urteil in eine niedrigere Dienſtklaſſe ver:
ſetzten Beamten ſcheint er dies nicht zu verlangen
(a. a. O. S. 201, 197). Dieſe verſchiedene Art
der Behandlung der beiden rechtlich gleichen Fälle
iſt nicht begründet. Ich halte hier, wie ich bereits
ausgeführt habe, einen Gnadenakt des Königs
nicht für notwendig. Selbſtverſtändlich iſt, daß
ein Beamter, dem die bürgerlichen Ehrenrechte
oder die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter
Z3Zieeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
aberkannt wurde, erſt nach Ablauf der Zeitdauer
der Ehrenſtrafe oder nach einer Begnadigung durch
den König wieder angeſtellt werden kann.
4. Können ſo die Wirkungen der Dienſtſtrafen
durch Maßnahmen der Verwaltungsbehörden auf⸗
gehoben werden, ſo kann auch der Vollzug der
Urteile durch königliche Entſchließung gemildert
oder erlaſſen werden. In Art. 110 Abſ. 3 BG.
iſt, wie ich ſchon im Anfang meiner Ausführungen
erwähnte, von der Möglichkeit geſprochen, daß
durch königliche Entſchließung einem entlaſſenen
Beamten oder ſeiner Familie ein Unterhaltsbeitrag
bewilligt werden kann. In dieſer Beſtimmung
ſoll nicht etwa das Recht des Königs begründet
werden, die Disziplinargerichtsſtrafen zu mildern.
Es wird hier nur erwähnt, um es zu beſchraͤnken,
wenn in dieſer „Sollvorſchrift“ überhaupt eine Be⸗
ſchränkung der königlichen Gewalt erblickt werden
kann. Das Recht des Königs, die Disziplinargerichts⸗
ſtrafen zu mildern oder aufzuheben, iſt begründet in der
dem Staatsoberhaupt zuſtehenden Dienſtgewalt.
Daran iſt durch das Beamtengeſetz nichts geändert
worden. Die Aufgabe dieſes Rechtes müßte im
Geſetze ausdrücklich ausgeſprochen worden ſein.
Dieſes Recht iſt kein Teil des dem König
ſonſt zuſtehenden Begnadigungsrechtes. Denn unter
Begnadigung verſteht man nach allgemeiner An⸗
ſicht die Beſeitigung der Rechtsfolgen einer Straf⸗
tat durch Verfügung der Staatsgewalt. Da es
ſich aber beim Dienſtſtrafrecht nicht um das all⸗
gemeine Strafrecht handelt, darf man nicht das
dem König zuſtehende Begnadigungsrecht im Straf⸗
verfahren ohne weiteres auf das Dienſtſtrafrecht
übertragen. Reindl vertritt (a. a. O. S. 684
Bem. 4, S. 581 Anm. 3 und 4) die Meinung,
daß der König das Recht der Begnadigung im
Disziplinarſtrafverfahren gemäß Tit. VIII 8 4
der Verfaſſungsurkunde habe. Denn nach dieſer
Verfaſſungsbeſtimmung könne der König in „ſtraf⸗
rechtlichen Sachen“ Gnade erteilen, die Strafe
mildern oder erlaſſen. Daß hier unter „ftraf:
rechtlichen“ Sachen auch disziplinarſtrafrechtliche
Sachen zu verſtehen ſeien, könne um ſo weniger
einem Zweifel unterliegen, als auch in Art. XII
des Miniſterverantwortlichkeitsgeſetzes vom 4. Juni
1848 ausdrücklich geſagt ſei, daß der König be⸗
züglich der in Art. IX dieſes Geſetzes vorgeſehenen
Strafen von dem Rechte der Begnadigung keinen
Gebrauch machen werde. Dieſe Anſicht widerſpricht
einmal der auch von Reindl vertretenen Lehre,
daß Dienſtſtrafrecht und Strafrecht nichts mit⸗
einander zu tun haben. Noch weniger zwingt zu
dieſer Anſicht der Umſtand, daß im Miniſterverant⸗
wortlichkeitsgeſetze von Begnadigung die Rede iſt.
Denn zur Zeit der Erlafjung des Geſetzes im
Jahre 1848 war das Disziplinarrecht vom Kriminal⸗
recht noch nicht ſo ſcharf getrennt wie heute (fiehe
Staatsdieneredikt). Zudem iſt es ſehr wahrſchein⸗
lich, daß der Geſetzgeber des Jahres 1848 das
Miniſterverantwortlichkeitsgeſetz für ein Geſetz ftra]:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
203
rechtlicher Natur hielt und deshalb mit dem Be⸗
griff der Begnadigung arbeitete.
5. Es bleibt nun noch die Frage zu erörtern,
ob die Verwaltungsbehörden rechtskräftige Ord⸗
nungsſtrafen erlaſſen können. Darüber beſteht
kein Zweifel, daß jede Behörde eine Ordnungs⸗
ſtrafverfügung, die ſich als gänzlich unbegründet
herausſtellt, auch nach der Rechtskraft und nach
dem Vollzug wie jede andere Verfügung wieder
aufheben kann, es müßte denn ſein, daß bei einer
Geldſtrafe die Behörde mit Rückſicht auf die Ein⸗
zahlung an die hiezu beſtimmte Kaſſe zur Rück⸗
zahlung der Geldſtrafe nicht zuſtändig wäre.
Dagegen find die Behörden nicht zuſtändig,
Ordnungsſtrafen im Wege der Gnade zu erlaſſen.
Hiezu fehlt ihnen die geſetzliche Ermächtigung.
Beitreibung von Wechfelforderungen.
Von Dr. Albert Bittinger, Landgerichtsrat in München.
Als ein Mittel zur raſcheren und billigeren Bei⸗
treibung hat man die Vollſtreckbarkeit proteſtierter
Wechſel vorgeſchlagen. Mit Recht hat man ein⸗
gewendet, daß von vorneherein nur ſolche prote⸗
ſtierte Wechſel in Betracht kommen könnten, bei
denen die Echtheit der Unterſchrift des Wechſel⸗
ſchuldners feſtſteht, alſo wohl durch ſein Aner⸗
kenntnis beim Proteſt. Es wäre ſonſt in der Tat
die Verlockung für Wechſelfälſcher und die Gefahr
für jedermann allzu groß.
Daß unſer Verfahren zur Feſtſtellung und
Beitreibung von Anſprüchen im allgemeinen der
Vereinfachung und Beſchleunigung bedarf, wird
nicht leicht in Abrede geſtellt werden; bedarf aber
gerade der Wechſelanſpruch im Verhaͤltnis zu anderen
noch einer weiteren Beſchleunigung über das Maß
des geltenden Rechtes hinaus? Soll ſeine Bevor⸗
zugung noch weiter entwickelt werden?
Bei einer großen Menge von Wechſeln und
gerade von Wechſeln über hohe Beträge ſcheint
dieſes Bedürfnis recht fraglich. Das iſt die Flut
von Wechſeln, die im Verkehr der großen Unter⸗
nehmen und der Banken, beſonders auch im inter⸗
nationalen Verkehr, fortwährend geräuſchlos unter⸗
wegs iſt. Die Proteſtierung eines ſolchen Wechſels
iſt verhältnismäßig ſelten, noch ſeltener die gericht⸗
liche Geltendmachung. Wenn nicht außergewöhn⸗
liche Ereigniſſe die geſamte Geſchäftslage oder eine
einzelne Firma betreffen, ſo verläuft alles glatt;
in Anbetracht möglicher Kriſen eine noch ſchärfere
Ordnung einzuführen, als ſie ohnedies zu Gebote
ſteht, wird kaum im Intereſſe dieſer Kreiſe liegen.
Eine andere Gruppe von Wechſeln, welche die
Gerichte zahlen⸗ und auch verhältnismäßig weit
häufiger beſchaftigen, find die Kundenwechſel, ent:
weder ſolche, die vom Groſſiſten auf ſeinen Ab⸗
nehmer gezogen und, manchmal als einfache Tratten,
in den Verkehr gebracht werden, oder ſolche, die
der Abnehmer auf ſeine eigenen Kunden gezogen
und ſeinem Groſſiſten in Zahlung gegeben hat.
Wenn ſolche Wechſel Not leiden, ſo wird die be⸗
währte Unterſcheidung zu machen ſein zwiſchen
Schuldnern, die wohl zahlen möchten, es aber
nicht auf der Stelle — der haͤufigere Fall —
oder überhaupt nicht können, und Schuldnern, die
nicht zahlen wollen. Bei den erſteren, die frei⸗
lich gutwillig die Echtheit ihres Akzeptes beim
Proteſt anerkennen würden, würde der vernünſtige
Glaͤubiger auch mit der Vollſtreckbarkeit des
proteſtierten Wechſels nur an Koſten ſparen; auf
den kleinen Zeitunterſchied kann es da kaum an⸗
kommen, wenn man bedenkt, daß bei gutem Willen‘
die Wechſelklage ſchon vorbereitet ſein und dem
Gericht vorgelegt werden kann unmittelbar nach
der Feſtſtellung, daß der Wechſel vergeblich praͤ⸗
ſentiert worden iſt. Darüber ließe ſich allerdings
reden, ob nicht die Einlaſſungsfriſten zum Teil
noch kürzer bemeſſen werden könnten als in
8 604 30.
Der böswillige Wechſelſchuldner, dem es um
Schikane oder Verſchleppung zu tun iſt, würde es
ſchleunig lernen, bei der Proteſterhebung nicht an⸗
weſend zu ſein, ſo daß er eine ausdrückliche Er⸗
klärung über die Echtheit ſeines Akzeptes nicht
abzugeben bräuchte, oder die Echtheit zunächſt ein⸗
mal zu beſtreiten. Da, wo die Vollſtreckbarkeit
des proteſtierten Wechſels am wichtigſten waͤre,
würde ſie zumeiſt verſagen.
Was die Wechſel über mehr als 600 M an-
langt, ſo zeigt ſich hier beſonders deutlich, wie
wenig der unbedingte Anwaltszwang am Platz iſt.
Bei der Mehrzahl aller Wechſelſachen ſpricht für
ihn nur die eine Erwägung, daß, aͤhnlich wie bei
der Mehrzahl der Beleidigungsklagen, die ver⸗
hältnismäßig gute Honorierung des Anwalts für
durchſchnittlich ſehr leichte Arbeit einen Ausgleich
ſchafft gegenüber ſolchen Sachen, bei denen Arbeit
und Honorar ſich umgekehrt verhalten. Wer aber
von Wechſeln überhaupt etwas verſteht, und nur
ſolche Leute ſollten Wechſel unterſchreiben, der kann
auch ein gedrucktes Wechſelklage⸗Formular richtig
ausfüllen und in der Sitzung den richtigen
Antrag ſtellen; wenn ausnahmsweiſe die Sache
kontradiktoriſch und obendrein ſchwierig wird, iſt
immer noch Zeit für das Auftreten des Anwalts.
Und wiederum an den zahlloſen Verſaͤumnisurteilen
in Wechſelſachen wird beſonders deutlich, wie un⸗
nötig es iſt, daß Antrag und Entſcheidung in
öffentlicher Sitzung,) „auf Grund mündlicher
Verhandlung“ vor ſich gehen und daß die häu⸗
figen geringfügigen Zuvielforderungen an Zinſen
1) Die Geſchäftswelt freilich kümmert ſich ſehr
darum, gegen welche Firmen Verſäumnisurteile, und
gerade in Wechſelſachen, ergehen.
204 geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
und Speſen — oft nur Pfennigbeträge, aber
eben doch ungerechtfertigt — nur durch ein kontra⸗
diktoriſches Teilurteil erledigt werden können, wenn
einmal die übliche Verſtändigung zwiſchen Gericht
und Anwalt nicht zuwege gebracht werden ſollte.
Die Praxis gibt übrigens dem Wechjelgläubiger
ein ſchneidiges Mittel an die Hand, indem ſie aus
dem Wechſel die Klage nach 8 257 ZPO. zuläßt;
ein gewiſſes Widerſtreben iſt hier freilich nicht un⸗
begründet, denn der Wechſel iſt regelmäßig zum
Umlauf beſtimmt und nichts ſteht im Weg, daß
der Inhaber ihn nach erwirktem Urteil immer noch
in den Verkehr bringt; der noch jo zahlungsfahige
und zahlungswillige Wechſelſchuldner aber iſt un⸗
bedingt genötigt, den Verhandlungstermin wahr⸗
zunehmen, wenn er nicht koſtenfällig werden will.
Dem Geſchaͤftsmann allerdings iſt es insbeſondere
dann nicht zu verdenken, wenn er von 8 257 ZPO.
dieſen Gebrauch macht und nicht erſt auf 8 259
zurückgreift, wenn er, wie jo oft, auf ſeinen Ab⸗
nehmer eine Reihe von nach und nach fälligen
Wechſeln gezogen hat und ſchon einer der erſten
Not leidet.
Eine weitere Gruppe bilden diejenigen Wechſel,
bei denen die Wechſelverpflichtung nicht im regel⸗
mäßigen Geſchäftsbetrieb des Schuldners, ſondern
gelegentlich übernommen iſt. Dieſe Gruppe liefert
den größten Teil der kontradiktoriſchen Wechſel⸗
prozeſſe und hieher gehören beſonders die Wechſel⸗
forderungen der Geldgeber bei Darlehens⸗ und ähn⸗
lichen Geſchäften, der Erteiler von Lizenzen, der
Beſteller von Generalvertretungen. Der wahre
Herr des Geſchäftes erſcheint hier oft nicht als
Traſſant, ſondern als Indoſſant und oft klagt er
nicht ſelbſt, ſondern ein Strohmann für ihn. Leute,
die ſich nur mit Vor⸗ und Zunamen bezeichnen,
und dies weder aus Stolz noch aus Beſcheidenheit,
„Kaufleute“ ohne Firma und ohne Geſchäftsräume,
„Hausbeſitzersehegattinnen“, „Privatiers“ ſind oft
die Kläger, Beſitzer überſchuldeter Häuſer, alte
Dienſtboten, Offiziere a. D., allerlei Künſtler, Kauf⸗
leute ohne Firma und Geſchäft, allerhand Ehefrauen
und Söhne ſind oft die Beklagten. Die Einrede
geht zumeiſt gegen das Kauſalgeſchäft und häufig
iſt ſie begründet. Aber auch Fälſchungen ſpielen
nicht ganzen ſelten herein. Solche Prozeſſe bedürfen
gewiß keiner größeren Beſchleunigung als ſie im
großen und ganzen ſchon das geltende Recht er⸗
möglicht. Wohl aber bedürfen ſie des gerade hier
oft unbeliebten perſönlichen Erſcheinens der Parteien,
vor allem zur Vermeidung des zugeſchobenen Eides.
(Immer wieder wird unzuläſſigerweiſe der Eid
ſchlechtweg darüber zugeſchoben, „daß der Beklagte
die Unterſchrift auch nicht genehmigt hat“, vgl.
ROL G. VII 394.) Wenn ſich die Parteien aus
freien Stücken ſchon zum erſten Termin einfinden, ift :
da viel Zeit und Umſtändlichkeit zu ſparen. Wie
gefährlich aber gerade hier die Vollſtreckung ſchon
aus dem proteſtierten Wechſel wäre, ſpringt in die
Augen.
—
—
Bei ſolchen Prozeſſen wirft gelegentlich ein
Handelsrichter die Frage auf, ob dieſe Leute nicht
beſſer der Wechſelfähigkeit entbehren würden. Nun
beſteht keine Ausſicht, daß die Wechſelgeſetzgebung
in dieſer Richtung rückwärts geändert werden könnte;
die bewußte öffentliche Meinung würde wunder
glauben, welche Entrechtung des ſteuerzahlenden
Volkes da wieder im Werk ſei. In der Tat aber
kann der dem Unerfahrenen jo gefährliche Wechſel
außerhalb des ſich kaufmaͤnniſch abſpielenden Ber:
kehrs kein Bedürfnis ſein. Der Scheck, das ſchrift⸗
liche Schuldanerkenntnis, die vollſtreckbare Nota⸗
riatsurkunde wären inſoweit ein beſſerer Erſatz.
Nicht einmal der herkömmliche Solawechſel bei der
genoſſenſchaftlichen Kreditgewährung dürfte not⸗
wendig ſein.
Alſo Vereinfachung und Beſchleunigung auch
für Wechſelſachen wie überhaupt, nicht aber auf
dem Weg der Vollſtreckbarkeit des proteſtierten
Wechſels!“)
Kleine Mitteilungen.
Zuläſſigkeit der Widerklage trotz Unzuläſſigkeit der
Aufrechnung? Nicht ſelten wird im Prozeß vom Be⸗
klagten gegenüber einer Forderung, die er an ſich nicht
beſtreitet, im Weg der Widerklage eine Gegenforde⸗
rung in gleicher Höhe geltend gemacht, weil einer Auf⸗
rechnung Geſetz oder Vertrag entgegenſteht. Bei
näherer Betrachtung erweiſt ſich dieſe Widerklage als
unzuläſſig, da ſie nichts anderes als eine Umgehung
des geſetzlichen oder vereinbarten Ausſchluſſes der Auf⸗
rechnung iſt.
1. Grundſätzlich iſt zu verneinen, daß dem Be⸗
klagten die Rechtsbehelfe der Aufrechnung und der
Widerklage wablweiſe nebeneinander zuſtehen.
Es iſt davon auszugehen, daß beide rechtsbegriff⸗
lich vollkommen verſchieden find.) Die Aufrechnung
iſt ein Verteidigungsmittel, fie iſt darauf gerichtet, die
klagsweiſe geltend gemachte Forderung als erloſchen
anſehen zu laſſen (8 389 BGB.), den Klaganſpruch
zu verneinen. Die Widerklage iſt eine ſelbſtändige,
lediglich zum Zweck gemeinſamer Verhandlung mit
der Klage verbundene Klage, ſie macht neben dem
Klaganſpruch einen anderen Anſpruch in umgekehrter
Richtung geltend.“
2) Bei dieſem Anlaſſe ſei folgende Beobachtung
mitzuteilen geſtattet. Es kommt vor, daß eine Bank
einen von ihr diskontierten Wechſel an eine Reihe ihrer
Filialen weitergibt, daß die letzte Filiale proteſtieren
läßt und nun beim Regreß dem Vormann der Bank
Proviſionen auch wegen der Indoſſamente an die Fi⸗
lialen berechnet werden. Offenbar zu Unrecht, denn
ein Regreß iſt nur unter verſchiedenen Rechtsſubjekten
möglich; für einfache Verrechnungen unter Filialen
desſelben Handelsgeſchäftes fällt die Proviſion nach
Art. 573 WO. nicht an.
1) Gaupp⸗Stein 10. Aufl. Anm. VI 3a zu § 145.
2) a. a. O. Anm. I zu § 33, VI I zu $ 145.
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- Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
Wie der Begriff, ſo ſind auch die Vorausſetzungen
beider prozeſſualer Vorgänge völlig verſchieden. Die
Vorausſetzungen der Aufrechnung richten ſich, auch
wenn ſie im Prozeß erklärt wird, nach den Grund⸗
ſätzen des bürgerlichen Rechts;) 8 387 BGB. fordert
nur Gleichartigkeit der Leiſtungen dem Gegenſtand
nach, nicht rechtlichen Zuſammenhang (Konnexität)
zwiſchen ihnen.“) Dagegen ſtellt das Geſetz für die
Widerklage das Erfordernis des Zuſammenhangs auf.“)
Dieſer Unterſchied findet ſeine innere Berechtigung
darin, daß Aufrechnung und Widerklage, auf ein anderes
Ziel gerichtet, eine andere Wirkung hervorbringen.
Erweiſt ſich die Aufrechnung als begründet, ſo wird
die Klage abgewieſen; dringt die Widerklage durch,
ſo wird der Kläger im Urteilsſatze ausdrücklich zur
Leiſtung verurteilt.“) Die Vorausſetzungen für das
F ſind leichter als die des Angriffs⸗
mittels.
Da die Aufrechnung ſich nur dem Klaganſpruch
entgegenſtellt, ſo kann ſie ſich — von der vorſorg⸗
lichen Aufrechnung abgeſehen — nur richten gegen
den im übrigen nicht beſtrittenen Anſpruch bis zu dem
Betrag, der klagsweiſe begehrt wird. Soweit ſie zu⸗
läſſig iſt, ſchließt ſie die Widerklage aus; denn für
dieſe fehlt dem Beklagten das Rechtsſchutzbedürfnis.“)
Widerklage kann alſo, ſofern die prozeſſualen Voraus⸗
ſetzungen überhaupt gegeben find, erhoben werden
a) gegenüber einer an ſich beſtrittenen Klagforderung
ohne Rückſicht auf deren Höhe, b) gegenüber einer an
ſich nicht beſtrittenen Klagforderung, inſoweit die Gegen⸗
forderung dieſe überſteigt. Erweiſt ſich im Fall a) auch
die Klage als begründet, ſo iſt die Widerklage inſoweit
als vorſorgliche Aufrechnung aufzufaſſen, da, wie noch
zu erörtern ſein wird, eine Geldleiſtung Zug um Zug
nur als Aufrechnung in Erſcheinung treten kann.
a und Widerklage ſchließen ſich alſo
grundſätzlich a
2. Da die Unzuläffialeit der Widerklage an Stelle
der Aufrechnung daraus gefolgert iſt, daß für jene
neben dieſer weder Raum noch Bedürfnis ſei, ſo fragt
es ſich, ob nicht das Gegenteil für den Fall gelten
müſſe, daß die Aufrechnung ſelbſt gegenüber der klags⸗
weiſe geltend gemachten Forderung unzuläſſig iſt. Bei
Bejahung dieſer Frage würde alſo an Stelle der un⸗
zuläſſigen Aufrechmmg die Widerklage treten, und
zwar entgegen dem entwickelten Grundſatz gegenüber
dem an ſich nicht beſtrittenen Anſpruch des Klägers
in deſſen Betrag.
a) Keine Unzuträglichkeiten würden für die ſach⸗
liche Entſcheidung dann erwachſen, wenn die Wider⸗
klage ſich als unbegründet erweiſt; denn ob die Klage
nun gerechtfertigt iſt oder nicht, keinesfalls wird die
Entſcheidung über ſie von der nicht begründeten Wider⸗
8 145.
klage beeinflußt.
zu
zu 8 387; Staudinger
) d. a. O. Anm. VI 1
) RGRKomm. Anm.
5./6. Aufl. Anm. I 2d, IV zu 8 387; Planck 3. Aufl.
Anm. 5 5 33 8 57705 Oertmann 2. Aufl. Anm. 2 zu 8 387.
1515 ‚, vgl. Warneyer Rſpr. 1908 S. 440
Nr. 550 1910 S. 498 Nr. 473, 1911 S. 108 Nr. 99.
A. M. Gaupp⸗Stein Anm. II zu § 33, der RG. 46,
426 und 51, 322 m. E. zu unrecht für ſeine Anſicht
in Anſpruch nimmt; ebenſowenig ſteht Warneyer 1908
S. 541 Nr. 662 entgegen.
6) Gaupp⸗Stein Anm. I zu § 33, VI 1 zu 8 145.
= 505 a. O. Anm. zu 8 33; Warneyer 1908 S. 440
r.
205
b) Wird aber der Widerklage ftattgegeben, fo
wäre zunächſt der Fall denkbar, daß die Klage, hin⸗
ſichtlich deren der zugrunde liegende Sachverhalt zwar
nicht beſtritten, aber auch kein formelles Anerkennt⸗
nis abgegeben worden iſt, abgewieſen werden müßte.
Da ein bloßes Anerkenntnis (8 307 ZPO.), das den
Richter im allgemeinen) der rechtlichen Beurteilung
enthebt, nicht vorliegt, ſondern nur ein ſtillſchweigendes
oder ausdrückliches Geſtändnis (88 138, 288 3 PO.)
ſo kann der Richter aus Rechtsgründen, deren ſich der
Beklagte gar nicht bewußt geweſen iſt,“) dazu gelangen,
die Klage nicht für begründet zu erachten. Jura novit
curia. i)
Wenn mim andernteils die Widerklage dem Ge⸗
richt tatſächlich und rechtlich begründet erſcheint, ſo
wird die Klage abgewieſen, der Widerklage ſtattgegeben.
Damit wird dem Beklagten und Widerfläger, der ja nur
den Klaganſpruch abwehren will, etwas zugeſprochen,
was er gar nicht begehrt hat, und ſo gegen den Grund⸗
ſatz der Verhandlungsmaxime — me eat judex ultra
petita partium — verſtoßen (8 308 ZPO.)
c) Ferner zeigt ſich im regelmäßigen Fall der Be⸗
gründung beider Klagen die Unzuläſſigkeit der Wider⸗
klage. Wenn dasſelbe Urteil in Ziff. I dem Kläger
eine beſtimmte Summe zuſpricht und in Ziff. II dem
Beklagten einen gleich hohen Anſpruch gegen den Kläger
gewährt, ſo iſt damit im Erfolg eine Forderung der
andern zum Zweck der Aufrechnung gegenübergeſtellt.
Geldleiſtungen Zug um Zug lönnen nur den Sinn
einer Aufrechming haben.“)
Die Widerklage fällt alſo, ungeachtet ihrer Be⸗
zeichnung, gar nicht unter dieſen Begriff, ſie iſt in
Wirklichkeit Aufrechnung, da im Sinne des 8 388 BGB.
erklärt iſt, daß der Beklagte dem Kläger nichts mehr
ſchuldig ſein wolle.“)
3. Eine abweichende Auffaſſung müßte auch zu
5 gelangen, die unmöglich zutreffend ſein
önnen.
Dies gilt zunächſt von der Entſcheidung in der
Hauptſache, und zwar ſowohl für den Ausſchluß der
Aufrechnung durch Vertrag als für den infolge geſetz⸗
lichen Verbots.
a) Eine Vereinbarung über den Ausſchluß der
Aufrechnung kann zweifellos rechtswirkſam getroffen
werden.“) Da der Erfolg einer Widerklage derſelbe
wäre, den ohne den Vertrag die Aufrechnung erzielen
würde, ſo lönnte der Beklagte den gültigen Vertrag
durch eine prozeſſuale Maßnahme der Wirkſamkeit be⸗
rauben. Wer auf Aufrechnung verzichtet hat, braucht
ſich nur auf die Summe, die er auch nach ſeiner eignen
Anſicht ſchuldig iſt, verklagen zu laſſen, und er iſt
praktiſch ſeines Aufrechnungsverzichts ledig. Es könnte
alſo allein die Tatſache eines Rechtsſtreits einen wirk⸗
ſamen Vertrag aus der Welt ſchaffen.
5 3 a Gaupp⸗Stein III zu 8 307; auch RG.
9 G ienſteln, Bay f R. 1912 S. 34.
10) Gaupp⸗Stein Vorbem. II 4 vor 8 128; Anm.
III 3 zu 8 253; III zu § 368; II 1a zu § 288; Oert⸗
mann, 8PRecht § 2 S. 6; vol. von der Pfordten,
Bay ZR. 1911 S. 9173: Krafft, Bay gf. 1912 S. 59.
11) a Rſpr. 1908 S. 440 Nr. 550.
) RG. 59, 211; Gaupp⸗Stein Anm. I zu $ 33.
18) ne Anm. 1 zu §387; Staudinger Anm. II
zu $ 387; Vorbem. 1 vor 8 393; Planck Anm. 3 zu
8 387; Oertmann 2. Aufl. Vorbem. 2 vor 8 387.
206
b) Nicht anders verhält es ſich mit dem vom Reichs⸗
gericht in der Entſcheidung vom 24. April 1908) un⸗
entſchieden gelaſſenen Fall, daß ein geſetzliches Ver⸗
bot (85 390 ff. BGB.; 88 221, 320 HGB.: 8 19 GmbH.;
8 22 GenG.; 8 26 Geſetz über die privaten Verſiche⸗
rungsunternehmungen vom 12. Mai 1901) der Auf⸗
rechnung entgegenſteht. Es würde bedeutungslos werden
in dem Augenblick, da es im Rechtsſtreit zur Geltung
kommen ſollte.
4. Auch abgeſehen von der Entſcheidung in der
Hauptſache würde die Zulaſſung der Widerllage in
dieſen Fällen Unſtimmigkeiten ergeben.
a) Gemäß 85 ZPO. findet bei Bewertung des
Streitgegenſtands eine Zuſammenrechnung der Klage
und Widerklage nicht ſtatt. Das gilt aber nicht hin⸗
ſichtlich der Gebühren. Sofern beide Klagen nicht
denſelben Streitgegenſtand betreffen, werden für die
Gebührenbewertung beide Klagen zuſammengerechnet
(8 11 SRG. 8 10 GO. f. RA.). “) Gerichts⸗ und An⸗
waltsgebühren müßten ſonach bei Gegenüberſtellung
einer gleich hohen Gegenforderung durch Widerklage
aus einer doppelt ſo hohen Summe berechnet werden
als im Fall der Aufrechnung.
b) Der gleiche Grundſatz der Zuſammenrechnung
der Höhe der Klage und Widerklage gilt für die Reviſions⸗
ſumme.“) Würde ſonach einem den Betrag von nur
2000 M überſteigenden Klaganſpruch eine gleich hohe
Gegenforderung gegenübergeſtellt, ſo lönnte der Pro⸗
zeß in die Reviſionsinſtanz kommen, ſofern eine
Partei durch die Entſcheidung hinſichtlich der Klage
und der Widerklage beſchwert iſt. Dies wird aber
nicht nur in dem obenerörterten ſeltenen Fall, daß
die Klage, deren Tatbeſtand nicht beſtritten iſt, ab⸗
gewieſen und der Widerklage ſtattgegeben wird, praktiſch
werden können, ſondern vor allem auch dann, wenn
der Beklagte unter Abweiſung der Widerklage ver⸗
urteilt wird.
Auch hier zeigt ſich ſonach die Wirkung, daß eine
prozeſſuale, ins Belieben einer Partei geſtellte Maß⸗
nahme eine zwingende geſetzliche Vorſchrift umgehen
könnte.
e) Endlich führt auch die Koſtenentſcheidung die
Unrichtigkeit der abweichenden Auffaſſung vor Augen,
da hier die Widerklage zu einer unbegründeten Be⸗
laſtung des Beklagten führen würde. Dringt er mit
der Aufrechnung durch, ſo erreicht er die Klagab⸗
weiſung und damit die Verurteilung des Gegners in
die Streitkoſten, 8 91 ZPO. Wird aber feiner Wider⸗
klage gegenüber der ebenfalls als begründet erachteten
Klage ſtattgegeben, ſo hat jede Partei im gleichen
Betrag teils obgeſiegt, teils iſt ſie unterlegen; die
notwendige Folge iſt gemäß 8 92 ZPO. die Aufhebung
der Koſten gegeneinander.
5. Es muß ſonach allgemein als Norm gelten,
daß eine Gegenſorderung, die nicht zur Aufrechnung
verwendet werden darf, auch nicht zum Gegenſtand
einer Widerklage gemacht werden kann. Eine ſolche
140 Warneyer Rſpr. 1908 S. 440 Nr. 550.
) Gaupp⸗Stein Anm. III zu 8 5; Merzbacher,
SD. f. RA. 2. Aufl. Anm. 4 zu 85 30.
0) Gaupp⸗Stein Anm. V 2 zu § 546; Reiſenegger—
Schmidt, ERG. 2. Aufl. Anm. 4 zu § 11; RG. 7, 388
(V. 3 S.); JW. 190 S. 505 Nr. 5.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
Widerklage iſt vielmehr unzuläſſig, wie dies das Reichs
gericht, allerdings ohne nähere Begründung, in ſeiner
Entſcheidung vom 6. Juli 1894) auch ausgeſprochen hat.
Rechtsanwalt Dr. Berlin in Nürnberg.
Unerwünſchte Nebenwirkung einer Polizeivorſchrift.
5 12 b der ſittenpolizeilichen Vorſchriften der Polizei⸗
direktion München, die auf Grund des 8 361 Nr. 6 StGB.
erlaſſen find, verbietet den unter ſitten polizeiliche Auf⸗
ſicht geſtellten Frauensperſonen den Verkehr mit Manns⸗
perſonen, welche an den Erträgniſſen der Unzucht teil⸗
nehmen oder welche dem Unzuchtsgewerbe dadurch
Vorſchub leiſten, daß fie die unter Aufſicht Geſtellte
auf der Straße in größerer oder geringerer Entfernung
begleiten oder in ihrer Wohnung zu ihrem Schutz ſich
bereit halten. Die Faſſung dieſer Vorſchrift weiſt hin
auf die beiden Begehungsformen der Zuhälterei, die
ausbeutende und die kuppleriſche, und ſtrebt die Unter⸗
drückung des Zuhälterunweſens mittelbar an, wie es
die ſtrengere Strafbeſtimmung des 8 181 a StGB. un»
mittelbar bezweckt. Allein die Erreichung dieſes Zieles
vereitelt das Beſtehen der angeführten Kontrollvor⸗
ſchrift in gewiſſer Richtung ſelbſt, inſoferne ſie die Be⸗
ſtrafung des Zuhälters erheblich erſchwert ja häufig
unmöglich macht, inſoweit die Zuhälterdienſte einer
öffentlichen Dirne geleiſtet werden.
Der Zuhälter geſteht erfahrungsgemäß ſo ſelten
wie ein gewerbsmäßiger Wilderer. Seine Ueberführung
hängt gewöhnlich von dem Zeugnis der ausgebeuteten
oder beſchützten Dirne ab. Dieſe aber kann die Aus⸗
kunft auf ſolche Fragen verweigern, deren Beantwor⸗
tung ihr die Gefahr ſtrafgerichtlicher Verfolgung zu⸗
ziehen würde (3 54 StPO.). Die hier einſchlägigen
Fragen erſchöpfen ſich meiſtens darin, ob der Ange⸗
klagte von der Dirne den Lebensunterhalt ganz oder
teilweiſe bezog oder ihr in bezug auf die Ausübung
des unzüchtigen Gewerbes Schutz gewährte oder ſonſt
förderlich war. Dadurch aber kommt das Recht, die
Beantwortung einzelner Fragen zu verweigern, tat⸗
ſächlich einer Verweigerung des ganzen Zeugniſſes
gleich. Allerdings kann der Richter aus der Verweige⸗
rung der Beantwortung einer beſtimmten Frage die
entſprechenden Schlüſſe ziehen z. B. in einem Ehe⸗
ſcheidungsprozeß, wenn der Zeuge die Beantwortung
der Frage über den Geſchlechtsverkehr mit einer der
Parteien verweigert, annehmen, daß ein ſolcher ſtatt⸗
gefunden hat. Allein im Falle des 8 181 a StGB.
wird eine entſprechende Schlußfolgerung auf Schwierig⸗
keiten ſtoßen, auch wenn die richterliche Ueberzeugung
über das Ergebnis der Beweisaufnahme noch ſo frei
geſchöpft wird (8 260 SiPO.). Denn um feſtzuſtellen,
daß der Angeklagte von der Proſtituierten ganz oder
teilweiſe den Lebensunterhalt bezogen hat, muß der
Richter die einzelnen Zuwendungen nach Art, Höbe
und Zeitdauer kennen; das gleiche gilt von den ein⸗
zelnen Handlungen, in welchen eine Förderung des
unzüchtigen Gewerbes erblickt werden ſoll.
Die Verweigerung der Antwort auf die bezeich—
neten Fragen iſt nur dann ungerechtfertigt, wenn der
„Zeugin die Gefahr ſtrafgerichtlicher Verfolgung nicht
mehr droht, wenn ſie alſo wegen der Uebertretung
|
| nach dem angeführten 8 12b bereits rechtskräftig ab»
geurteilt oder wenn deren Verfolgung verjährt iſt.
9 JW. 1894 S. 427 Nr. 23.
Beide Ausnahmen treffen in Wirklichkeit felten zu, weil
die Dirne regelmäßig bis zur Verhaftung ihres Zu⸗
hälters, ja wenn er auf freiem Fuß bleibt, oft bis zum
Tage der Hauptverhandlung ihn mit ihrem Huren⸗
lohn unterſtützt oder ſich von ihm Schutz gewähren
läßt. Und ſelbſt wenn ſie inzwiſchen wegen der Ueber⸗
tretung abgeurteilt worden iſt, hat ſie es in der Hand,
durch Einlegung aller zuläſſigen Rechtsbehelfe ſich den
Schuß des 8 54 StPO. möglichſt lange zu erhalten
und damit der Aburteilung ihres Zuhälters entgegen⸗
zuarbeiten.
Landgerichtsrat Hümmer in München.
Aus der Lechtſprechung.
Reichsgericht.
Zivilſachen.
1
Beſtimmbarkeit der Leiſtung beim Grundſtückskaufe
(SS 313, 315 BGB.). Der Gutsbeſitzer M. hat dem
Beklagten ein notarielles Angebot gemacht, worin er
dieſem anbot, ihm „eine ihrer Größe und ihren Grenzen
nach von dem Käufer nach deſſen Wahl zu beſtim⸗
mende Parzelle bis zum Höchſtbetrag von 5 Morgen
ſowie nach Bedarf außerdem zur Errichtung einer Seil⸗
bahn einen Streifen von 1 m Breite, welcher dieſes an
der Bahn gelegene vorbeſchriebene Terrain mit dem
Steinbruche des Käufes verbindet, für 1800 M für den
Morgen erworbener Fläche“ zu verkaufen, dem Käufer
auch die Befugnis einräumt, neben dieſem Streiſen nach
ſeiner Wahl je ein „Meter Terrain anliegend zu dem⸗
1 Preiſe und zu denſelben Bedingungen“ zu kaufen,
em Käufer auch eine näher beſtimmte Wegegerechtigkeit
einzuräumen. Der Beklagte hat dieſes Angebot notariell
angenommen und dies dem M. mitgeteilt. Nach Emp⸗
fang dieſer Mitteilung hat M. durch notariellen Vertrag
die Beſitzung an den Kläger verkauft und ihm auf-
gelaſſen. Als der Beklagte von dieſem Verkauf erfuhr,
erwirkte er eine einſtweilige Verfügung, auf Grund
deren eine Vormerkung zur Sicherung ſeines Anſpruchs
auf Uebereignung der Flächen und Einräumung der
Grunddienſtbarkeit im Grundbuch eingetragen wurde.
Mit der Klage verlangt der Kläger die Einwilligung
des Beklagten in die Löſchung der Vormerkung, da der
ihr zugrunde liegende Vertrag wegen Unbeſtimmtheit
der Leiſtung des Verkäufers nichtig ſei. Die Klage
wurde abgewieſen, die Berufung blieb erfolglos. Das
RG. verwarf die Reviſion.
Gründe: Auf dem Grundbuchblatt des jetzt dem
Kläger gehörenden Grundſtücks ſteht noch aus der Zeit
vor ſeinem Eigentumserwerb eine Vormerkung zur
Sicherung von Anſprüchen auf Einräumung gewiſſer
Rechte für den Beklagten aus dem von dieſem recht⸗
zeitig angenommenen Angebot des M. Der Kläger
verlangt die Einwilligung in die Löſchung, da infolge
Unbeſtimmtheit der Leiſtung kein wirkſamer Vertrag
zwiſchen M. und dem Beklagten zuſtande gekommen
ſei. Träfe das zu, ſo würde die Vormerkung aller⸗
dings trotz ihrer Eintragung mit dem durch ſie zu
ſichernden Anſpruch hinfällig ſein, denn wenn der Ver⸗
trag keine Verpflichtung zur Eigentumsübertragung be⸗
gründen würde, der Anſpruch alſo nicht rechtsbeſtändig
wäre, ſo wäre für eine Vormerkung kein Raum und
der Anſpruch auf Löſchung begründet. Das BG. ver⸗
neint jedoch mit Recht die Annahme des Klägers von
der Ungültigkeit des zwiſchen dem Beklagten und M.
geſchloſſenen Vertrags. Der Angriff der Reviſion iſt
inſofern nicht völlig klar, als ſie erklärt, die Be⸗
jahung der Frage durch das B., ob zwiſchen M. und
dem Beklagten gemäß 8 315 BGB. ein bindender Ver⸗
trag zuſtande gekommen ſei, nicht zu beanſtanden, dann
aber auf Umwegen doch dieſe Auffaſſung bekämpft.
Sie will anſcheinend ſagen, daß ein wirkſamer Vertrag
mit Hilfe des $ 315 BGB. allerdings hätte zuſtande
kommen können, dazu aber erforderlich geweſen wäre,
daß der Beklagte die ihm zuſtehende, nach billigem Er⸗
meſſen zu treffende Beſtimmung der Leiſtung in einer
der Vorſchrift des 8 313 BGB. entſprechenden Form
bis zur Eintragung der Vormerkung oder doch bis zur
Auflaſſung an den Kläger getroffen hätte. Da dies
nicht geſchehen ſei, ſei ein endgültig bindender Vertrag
gemäß 88 313, 315 BGB. zwiſchen dem Beklagten und
M., der eine Vormerkung rechtfertigen könnte, vor der
Auflaſſung nicht zuſtande gekommen, fo daß $ 883 Abſ. 2
BGB. nicht anwendbar ſei. Dieſe Auffaſſung iſt irrig.
Es handelt ſich im weſentlichen um einen Kauf⸗
vertrag. Ein ſolcher un fobald er die Ueber⸗
eignung von Grundſtücken betrifft, die Beobachtung
der im § 313 BGB. vorgeſchriebenen Formen. Dieſem
Formzwang unterliegen alle Vereinbarungen, aus denen
ſich nach dem Willen der Beteiligten der Veräußerungs⸗
vertrag zuſammenſetzen fol. Dieſer Zwang erſtreckt
ſich daher nur auf getroffene Vereinbarungen. Hier
dagegen wird bemängelt, daß es im Vertrag an wich⸗
tigen Vereinbarungen fehle, daß die Unbeſtimmtheit
der vereinbarten Leiſtung das Zuſtandekommen des
Vertrags verhindert habe, ſo daß der Gläubiger alſo
keine Leiſtung fordern könne, oder auch, daß nach
154 Abſ. 1 BGB. der Vertrag im Zweifel nicht ge⸗
ſchloſſen ſei. Ein wirkfamer Kaufvertrag verlangt
insbeſondere die ausreichende Beſtimmtheit der Kauf⸗
ſache und des Kaufpreiſes. Aber es genügt fchon eine,
wenn auch nur nach billigem Ermeſſen mögliche, Be⸗
ſtimmbarkeit. Dieſem Zwecke dient $ 315 BGB.; von
dem das BG. zutreffend ausgeht mit feiner Ausführung,
daß die dem Käufer obliegende Leiſtung, was die Lage
und Größe der Flächen angeht, ausreichend teils be⸗
ſtimmt, teils mit Hilfe des 8 315 BGB. beſtimmbar
ſei. Das gleiche muß aber für den Kaufpreis gelten,
da für den Morgen ein beſtimmter Betrag ausgeworfen
iſt. Fehlt es ſomit dem Vertrag nicht an dem Er⸗
ſordernis der ausreichenden Beſtimmtheit oder Be⸗
ſtimmbarkeit, ſo iſt ein wirkſamer, den Erforderniſſen
des 8 313 BGB. entſprechender Kaufvertrag zuſtande
gekommen. Dann aber kann auch kein Bedenken be⸗
ſtehen gegen die Zuläſſigkeit der Sicherung der darin
begründeten Anſprüche durch eine Vormerkung, denn
der 8 883 BGB. ſagt nicht, daß an die Beſtimmtheit
des Inhaltes der Vormerkung ſtrengere Anforderungen
zu ſtellen ſeien als an die des zu ſichernden Anſpruchs.
Damit fällt aber der Hauptangriff der Reviſion, daß
ein durch eine Vormerkung zu ſichernder Anſpruch noch
nicht vorhanden war, als die Auflaſſung an den Kläger
erfolgte, weil der Beklagte bis dahin die in ſein
billiges Ermeſſen geſtellte Entſcheidung noch nicht ge⸗
troffen hatte. Die Reviſion irrt aber auch darin, daß
auch dieſe dem Beklagten überlaſſene Entſcheidung dem
Formzwange des 8 313 BGB. unterliege. Für ſie ges
nügt eine formloſe Erklärung, da es ſich bei der nach⸗
folgenden näheren Beſtimmung nicht um eine der Form
bedürftige Abänderung, ſondern nur um eine im Ver⸗
trage bereits vorgeſehene, nach S 315 BGB. außer⸗
halb des Vertrags zuläſſige und daher formfreie Er⸗
gänzung handelt. (Urt. des V. ZS. vom 28. Februar
1914, V 437/13).
3324
— — —n.
II.
Ausſchliezßung aus einem Aerzte⸗Verein; der Aus:
geſchloſſene kann mit dem Antrage klagen, den Aus:
ſchließungsbeſchluß für unwirkſam zu erklären, auch wenn
er vor der Ausſchließung feinen Austritt erklärt hat.
Wann verſtößt das ſog. Verkehrs⸗Berbot gegen die
208
guten Sitten? Aus den Gründen: 1. Obwohl bie
Kläger infolge des wirkſamen Austritts nicht mehr
Mitglieder der Vereins waren, als ſie ausgeſchloſſen
wurden, hält das BG. fie für berechtigt, darauf zu
klagen, daß die Unwirkſamkeit der Ausſchließung feſt⸗
eſtellt werde. Die Ausſchließung aus einem Vereine
ange in der Regel einen Makel an; auf die Aus⸗
ſchließung der Kläger treffe dies beſonders zu, weil
nach der Vereinsſatzung der Ausſchluß nur wegen
ſtandesunwürdigen Verhaltens erfolgen könne. Hier
bedeute alſo die Ausſchließung eine Brandmarkung der
Kläger als ſtandesunwürdiger Aerzte. Sie ſei ge⸗
eignet, die Kläger nicht nur vor ihren Berufsgenoſſen,
ondern auch vor haft Mitbürgern herabzuſetzen und
amit ihre aalen aftliche ng zu untergraben
und fie wirtſchaftlich zu ſchädigen. Die Wirkungen der
Ausſchließung reichten alſo bis in die Gegenwart und
die Kläger hätten daher ein rechtliches Intereſſe an
der Feſtſtellung la Unwirkſamkeit. Im Ergebniſſe
ſtehen dieſe Ausführungen im Einklange mit der reichs⸗
gerichtlichen Rechtſprechung. An ihr iſt feſtzuhalten
ungeachtet der Bedenken, die jüngſt geltend gemacht
worden ſind (Lenel, DIL. 1913 S. 84; Heinsheimer,
amtalieo [mare und Ausſchließung S. 64 ff.). Wird
die Unwirkſamkeit einer dem Austritte nachfolgenden
Ausſchließung zivilgerichtlich feſtgeſtellt, ſo hat dies
weder, wie Heinsheimer a. a. O. S. 66 meint, die Be⸗
deutung einer die Fortdauer der Mitgliedſchaft aus⸗
e Entſcheidung, noch auch iſt das Weſentliche
er Feſtſtellung der Zeitpunkt, in dem die Mitglied⸗
ſchaft geendet hat. Das Urteil ſpricht vielmehr nur
em Vereine das Recht ab, ſich dem Kläger gegenüber
auf den Standpunkt zu ſtellen, er ſei nach der Satzung
verpflichtet, ſich eine ſolche Maßregelung gefallen zu
laſſen. Es entzieht dem Vereine die Befugnis, ſich
dem früheren Mitgliede gegenüber auf den Aus⸗
ſchließungsbeſchluß zu berufen, ſchneidet ihm daher
insbeſondere für das Privatklage⸗Verfahren, das die
widerſprechenden Schriftſteller dem nachträglich Aus⸗
geſchloſſenen allein 1 5 halten wollen, die Berufung
darauf ab, daß die ehrenrührige Ausſchließung in der
Wahrnehmung berechtigter Intereſſen geſchehen ſei,
und kann in einem ſolchen Verfahren auch zu einer
Ausſetzung nach 8 261 StPO. führen. Von der zurück⸗
liegenden Ausſchließung können daher Wirkungen unter
den Parteien ausgehen, die in die Gegenwart reichen.
Die Frage ihres Beſtehens kann deshalb auch das Bes
ſtehen eines Rechtsverhältniſſes betreffen und den
nn einer Entſcheidung i. S. des 8 256 ZPO.
en.
2. Die Entſcheidung, daß der Verein das gegen die
Kläger erlaſſene Verkehrsverbot aufzuheben und die
Aufhebung der „Geſellſchaft der Aerzte“ tn M. mitzu⸗
teilen hat, iſt bedenkenfrei (SS 826, 249 BGB.). Die
Vorausſetzungen des 8 826 find durch die Handlungen
des Vereins erfüllt. Das BG. ſtellt feſt, daß die Kläger
empfindlich in der Ausübung ihres ärztlichen Berufs
und damit in ihrer geſellſchaftlichen Stellung ſowie in
ihren Erwerbsausſichten dadurch betroffen ſind, daß
das von dem Verein erlaſſene Verkehrsverbot von den
anderen Aerzten in L. und von den Aerzten in M.
reng befolgt wird ..., daß weiter die an der Be⸗
chlußfaſſung der Mitgliederverſammlung beteiligten
Vereinsmitglieder ſowie die an der Hinausgabe des
Beſchluſſes beteiligten Vertreter des Vereins nicht nur
die ſchädigende Wirkung des Verkehrsverbots voraus—
geſehen, ſondern ſogar ſchlechtweg mit der Abſicht ge»
handelt hätten, die Kläger wirtſchaftlich zu ſchädigen
und ſie vor der Oeffentlichkeit zu brandmarken, und
daß endlich der beklagte Verein bei dieſem Verhalten
darauf ausgegangen ſei, den Klägern ſeinen Willen
aufzuzwingen, fie nämlich zu nötigen, ihre Bahnarzt—
Stellen aufzugeben. Das BG. führt weiter aus, der
beklagte Verein habe unter Ausnützung der Macht
ärztlicher Organiſationen zu einem ehrverletzenden
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
— ——— — ę—— — —L———— — — —e—
Gewaltmittel nur gegriffen, um ein Ziel zu erreichen,
das erlaubt geweſen ſei, weil es ſich für den be⸗
klagten Verein darum gehandelt habe, einer Ber⸗
elendung des ärztlichen Standes durch eine in der Ein⸗
richtung der ! liegende Schmälerung
freier ärztlicher Berufstätigkeit vorzubeugen. Das
ſchließt aber die Annahme der Sittenwidrigkeit des
gegen die Kläger gerichteten Vorgehens nicht aus. Selbſt
ein billigenswertes Beſtreben wird ſittenwidrig, wenn
ein Berufsverein, um für die Berufsgenoſſen wirt⸗
ſchaftliche Vorteile zu erlangen, andere ſeinen Satzungen
nicht unterworfene Berufsgenoſſen ſeinem Willen ge⸗
fügig zu machen ſucht und dieſes Ziel mit Mitteln
verfolgt, die darauf berechnet find, bis zur Unterwerfung
unter den Vereinswillen die Gemaßregelten planmäßig
in ihrer Berufstätigkeit zu beeinträchtigen, ihre peiel
ſchaftliche Stellung zu erſchüttern und fie in ihrem
Ehrempfinden zu verletzen. Es braucht hier nicht unter⸗
ſucht zu werden, ob ſich in anderen Fällen, wenn eine
e Einwirkung auf die Willensentſchließungen
er Betroffenen nicht erhellt, mit der Rechtſprechung
des VI. 8 S. (RG. 64, 155 ff.; 79, 17 ff.) je nach dem
Grade der geplanten Schädigung und ihrem Verhält⸗
niſſe zu dem das Einſchreiten veranlaſſenden Ver⸗
halten der Gemaßregelten annehmen ließe, die Maßre⸗
gelung ſei dem Vereine erlaubt. Jeder Strafbefugnis
und damit auch der Brandmarkung durch den Verein
waren die Kläger durch den Austritt entrückt, weshalb
auch nicht zu prüfen iſt, ob die Kläger ſtandesunwürdig
oder ſatzungswidrig gehandelt haben. Die Sitten⸗
widrigkeit eines Vorgehens, durch das ein Arzt in
ehrverletzender Weiſe und unter Erſchütterung ſeiner
Stellung planmäßig von dem für die Ausübung ſeiner
Berufstätigkeit erforderlichen beruflichen Verkehre mit
anderen Aerzten abgeſchnitten wird und ſo gezwungen
werden ſoll, im Intereſſe der Verbeſſerung der Er⸗
werbsbedingungen anderer Aerzte eine ärztliche An⸗
a aufzugeben, kann 432 wegen ihrer inneren
erwandtſchaft mit der durch 8 253 StB. unter Straf⸗
drohung geſtellten Handlung (vgl. RGSt. 32, 335)
nicht bezweifelt werden .. (Urt. des IV. 38S. vo
29. Januar 1914, IV 567/1913). V.
8328
III.
3 120 a Gew. als „Schutzgeſetz“. Aus den
Gründen: Der Anſpruch auf Schmerzensgeld iſt be⸗
rechtigt. Zwiſchen den Streitteilen beſtand ein Lehr⸗
vertrag, der den Beklagten verpflichtete und be⸗
rechtigte, den Kläger im Sattlereibetriebe zu unter⸗
weiſen und zu beſchäftigen, auch an der gefährlichen
Krempelmaſchine. Wenn die Schadenserſagpflicht des
Beklagten nur aus dieſem Vertragsverhältniſſe begründet
wäre, dann würde der Anſpruch auf Schmerzensgeld
ausgeſchloſſen fein. (S$ 253, 618 Abſ. 3 BGB., Urteile
NE. III 338/06, 96/07). Die vertragliche Haftung ſchließt
aber die außervertragliche nicht aus. Die Vertrags⸗
verletzung kann zugleich eine unerlaubte Handlung ſein
(RG. III 89/07, 347/11; JW. 1912, 339; SeuffArch. 61
Nr. 80; Gruchot 50, 984; JW. 1907, 830; „Recht“ 1912
Nr 1467). Das iſt hier der Fall. Der $ 120 a GewO.,
wonach der Gewerbeunternehmer u. a. die Vorrichtungen
herzuſtellen hat, die zum Schutze der Arbeiter — auch
der Lehrlinge — gegen gefährliche Berührungen mit
Maſchinen oder Maſchinenteilen oder gegen andere in der
Natur der Betriebsſtätte oder des Betriebes liegende
Gefahren erforderlich ſind, iſt ein „den Schutz eines
anderen bezweckendes Geſetz“. Wer dagegen verſtößt,
haftet gemäß § 823 Abſ. 2 BGB. nach den Vorſchriften
über unerlaubte Handlungen. Bei Verletzung der durch
S 120 a vorgeſchriebenen Pflichten iſt alſo die Anwen⸗
dung des $ 847 BGB. nicht ausgeſchloſſen (JW. 1117,
830). (Urt. d. III. ZS. v. 17. März 1914, III 501/139.
3332
Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
IV.
Berufung des Shegatten auf auten Glauben im Falle
des 5 1567 Abſ. 2 Nr. 1568. Aus den Gründen:
Das OLG. ſieht als erwieſen an, daß nach Erlaß des
Urteils vom 24. März 1911 der Prozeßbevollmächtigte
der Beklagten dieſer erklärt habe, ſie könne zunächſt
eine Aufforderung des Klägers abwarten, ehe ſie zu
ihm zurückzukehren brauche, und daß eine ſolche Auf⸗
forderung innerhalb des entſcheidenden Jahres nicht
ergangen ſei. Mit Rückſicht hierauf meint das OsG.,
es laſſe ſich nicht feſtſtellen, daß die Beklagte in bös⸗
licher Abſicht dem Urteile keine Folge geleiſtet habe,
und zwar um ſo weniger, als es ſich hier nicht um eine
willkürliche und unbeſtimmte Meinung der Beklagten,
ſondern um eine ihr von ihrem Rechtsbeiſtand erteilte
Auskunft gehandelt habe, der ſie habe vertrauen können.
Die Reviſion bezeichnet dieſe Ausführung mit Recht als
irrtümlich. Damit Scheidung auf Grund des § 1567
Abſ. 2 Nr. 1 BGB. erfolgen kann, iſt allerdings er⸗
forderlich, daß der zur Herſtellung der häuslichen Ge⸗
meinſchaft rechtskräftig verurteilte Ehegatte ein Jahr
lang nicht nur gegen den Willen des anderen Ehe⸗
gatten, ſondern auch in böslicher Abſicht dem Urteile
nicht Folge geleiſtet hat. Es iſt ihm deshalb unbe⸗
nommen, im Scheidungsverfahren Gründe dafür an⸗
zuführen, daß er ſich trotz des Urteils mit Recht von
der häuslichen Gemeinſchaft fernhalte. Die Rechts⸗
kraft des Herſtellungsurteils und deſſen Zweck, dem ab⸗
trünnigen Ehegatten die Rechtswidrigkeit ſeiner Weige⸗
rung zum Bewußtſein zu bringen, nötigen indeſſen
dazu, im Scheidungsverfahren dem Beklagten die Be⸗
rufung auf ſolche Tatſachen zu verſagen, die er ſchon
im Herſtellungsſtreite geltend gemacht hat oder geltend
machen konnte (8 616 ZPO.). Solche Tatſachen können
daher im Scheidungsverfahren wegen böslicher Ver⸗
laſſung vom Beklagten zur Begründung des Rechts,
die Herſtellung der Gemeinſchaft zu verweigern, nur
in Verbindung mit neuen Ereigniſſen zu deren Unter⸗
ſtützung geltend gemach} werden (ſ. Motive zum I. Entw.
eines BGB. IV S. 590). Der gute Glaube des Be⸗
klagten, zur eee der e berechtigt
zu ſein, iſt im Scheidungsverfahren gleichfalls zu be⸗
rückſichtigen, da auch er das Tatbeſtandsmerkmal der
böslichen Abſicht ausſchließt. Indeſſen zwingen die
Rechtskraft und der Zweck des Herſtellungsurteils auch
hier dazu, die Berufung auf guten Glauben nur zu⸗
zulaſſen, wenn er ſich auf Tatſachen ſtützt, deren Geltend⸗
machung dem beklagten Ehegatten noch geſtattet iſt (f.
Motive a. a. O.). Um einen Fall, in dem der zur Her⸗
ſtellung der häuslichen Gemeinſchaft verurteilte Ehe⸗
gatte vorbrächte, er ſei zur weiteren Fernhaltung trotz
des Urteils berechtigt geweſen, handelt es ſich freilich
hier nicht. Die Beklagte behauptet nicht, ſie ſei be⸗
rechtigt geweſen, dem Urteile keine Folge zu leiſten,
ſondern führt nur an, ſie habe geglaubt, daß ſie ihm
erſt nachzukommen brauche, wenn der Kläger ſie inner⸗
halb des entſcheidenden Jahres dazu auffordere. Was
ſie geglaubt haben will, war unrichtig. Denn der Ehe⸗
gatte, der ein Herſtellungsurteil erwirkt hat, iſt, minde⸗
tens unter gewöhnlichen Verhältniſſen, keineswegs ges
nötigt, den anderen Ehegatten zur Befolgung des Urteils
noch beſonders aufzufordern, ſondern dieſem liegt es
0 weiteres ob (vgl. das Urteil des Senats vom
Juni 1910 IV 549/09, Bay ZfR. 1910 S. 407), ſeiner⸗
ſeits die zur Herſtellung der häuslichen Gemeinſchaft
erforderlichen Maßnahmen in die Wege zu leiten.
Trotzdem ließe ſich bei der Beklagten allenfalls von
einem Fehlen böslicher Abſicht und davon ſprechen,
daß „eine aus böſem Willen hervorgegangene Zer—
reißung der häuslichen Gemeinſchaft“ nicht gegeben ſei.
Allein es geht nicht an, im Falle des 8 1567 Abſ. 2
Nr. 1 dem beklagten Ehegatten die Berufung auf einen
guten Glauben zu geſtatten, der nur auf eine unrichtige
Auffaſſung von der Bedeutung und der Tragweite des
209
Urteils hinausläuft, mag er auch auf einer nach Erlaß
des Herſtellungsurteils erteilten vertrauenswürdigen
Auskunft eines Rechtsverſtändigen beruhen. Vielmehr
iſt der Reviſion darin beizupflichten, daß der ganze
Zweck des Herſtellungsurteils in Frage geſtellt würde,
wenn man das zuließe. Wie dieſer Zweck in Ver⸗
bindung mit der Rechtskraft dazu nötigt, zur Recht⸗
ertigung der Weigerung häuslicher Gemeinſchaft die
nführung neuer Umſtände zu fordern, ſo zwingt er
auch dazu, die bloße Berufung auf eine unrichtige Auf⸗
faſſung von der Bedeutung und der Tragweite des
Herſtellungsurteils ganz auszuſchließen, wenn keine
neuen Weigerungsgründe geltend gemacht werden,
Run für die Berechtigung der Weigerung lediglich
er bereits abgeurteilte oder als abgeurteilt geltende
Tatbeſtand (8 616 ZPO.) in Frage kommt. (Urt. d.
IV. ZS. v. 2. Februar 1914, IV 564/13). —--—n.
8817
V.
Borausſetzungen für die Auwendung des 5 323 ZBO.
Aus den Gründen: Das BG. erkennt an, daß
die Klage aus 8 323 ZPO. nicht gegeben fein würde,
wenn durch die im früheren Unterhaltsprozeſſe der
Parteien ergangenen Urteile nur über den Anſpruch
der Frau auf Gewährung von Unterhalt für die Dauer
des Beſtehens der Ehe oder des Getrenntlebens der
damaligen Ehegatten entſchieden worden wäre. Es
meint aber, daß in jenen Urteilen keine ſolche zeitliche
Begrenzung enthalten und daß deshalb die Klage aus
8 323 zuläſſig ſei. Es weiſt indes die Klage ab, weil
ſich die Verhältniſſe nicht weſentlich geändert hätten.
Der Ausgangspunkt des BG. iſt richtig, nicht aber die
Auffaſſung von der Bedeutung der früheren Urteile.
Es braucht zunächſt kaum hervorgehoben zu werden,
daß der Unterhaltsanſpruch der geſchiedenen Ehefrau
von dem für die Dauer der Ehe beſtehenden weſentlich
verſchieden iſt. Dieſer erliſcht mit der Scheidung, jener
entſteht erſt in dieſem Zeitpunkte und nur unter der
Vorausſetzung, daß der Mann für den allein ſchuldigen
Teil erklärt iſt. Er erfordert ferner im Gegenſatze zu
dem während der Ehe gegebenen Bedürftigkeit der Frau.
Das Maß des der geſchiedenen Frau gebührenden Unter⸗
111 richtet ſich endgültig nach der Lebensſtellung des
annes zur Zeit der Eheſcheidung, während für den
Unterhaltsanſpruch während des Beſtehens der Ehe
die Verhältniſſe des Mannes maßgebend ſind. Vor der
Scheidung der Ehe ſind die klagebegründenden Tat⸗
achen für den dem unſchuldigen Teile zuſtehenden
nſpruch nicht gegeben, und es iſt daher rechtlich aus⸗
geſchloſſen, ſchon während Beſtehens der Ehe über einen
zukünftigen Unterhaltsanſpruch des Ehegatten aus
8 1578 BGB. zu entſcheiden. Trotzdem kann die Mög⸗
lichkeit nicht geleugnet werden, daß die Richter des
Vorprozeſſes aus Rechtsirrtum der Klägerin den Unter⸗
haltsanſpruch auch für den Fall der Scheidung haben
zuerkennen wollen. In dieſem Falle würden allerdings
die Urteile des Vorprozeſſes der jetzigen Entſcheidung
zugrunde zu legen ſein, weil ſie rechtskräftig ſind.
Die dahingehende Annahme des BG. kann aber nicht
gebilligt werden. (Wird näher ausgeführt.) Es ergibt
ſich beſtimmt, daß die Frau früher nur den Anſpruch
aus den §8 1360, 1361 BGB. erhoben hat, und daß
ihr auch nur dieſer zugeſprochen worden iſt. Den
Umſtand, daß die Urteilsformel keine zeitliche Ein⸗
ſchränkung enthält, hat das BG. mit Unrecht für ſeine
Auffaſſung verwertet. Aus der Formel allein iſt nicht
zu erſehen, welcher Anſpruch den Gegenſtand der Ent—
ſcheidung gebildet hat, und es muß deshalb auf die
Entſcheidungsgründe zurückgegangen werden. Anderer
ſeits werden aber darum nicht die übrigen Ausfüh—
rungen in den Entſcheidungsgründen von der Rechts⸗
kraft betroffen. Selbſt wenn alſo die Ausführungen
des früheren Urteils dahin verſtanden werden müßten,
das Urteil, wodurch der Frau die Rente zugebilligt ift,
würde an und für ſich auch nach Scheidung der Ehe
bei Beſtand bleiben und der Mann müſſe auch in dieſem
alle den Weg des 8 323 ZPO. befchreiten, fo könnte
ich das BG. hierauf nicht für die Zuläſſigkeit der Klage
aus § 323 berufen. Eine der Rechtskraft fähige Ent⸗
ſcheidung über die Fortdauer des Unterhaltsanſpruchs
über das Beſtehen der Ehe hinaus würde damit nicht
getroffen ſein. Dann aber iſt für die Anwendung des
8 323 kein Raum. Die Vorſchrift bezieht ſich nicht auf
den Fall, wenn der rechtskräftig zuerkannte Anſpruch
nachträglich infolge einer fog. rechtsvernichtenden Tat⸗
ſache erliſcht. Der Geltendmachung ſolcher Tatſachen
ſteht die Rechtskraft überhaupt nicht entgegen. Der
§ 323 will aber eine Ausnahme von der regelmäßigen
Rechtskraftwirkung begründen und er greift nur dann
ein, wenn innerhalb des Rahmens des rechtskräftig
zuerkannten Anſpruchs durch nachträgliche Veränderung
der Umſtände eine Sachlage geſchaffen wird, welche die
getroffene Entſcheidung für die Zeit ſeit Eintritt dieſer
neuen Tatſache als unrichtig erſcheinen läßt. An ſich
würde in ſolchem Falle die Rechtskraft fortwirken, aus
Billigkeitsrückſichten iſt aber eine Beſeitigung im Wege
der Klage zugelaſſen. (Urt. des IV. 3S. vom 5. Ja⸗
nuar 1914, IV 477/13). — — = n.
3279
VI.
Inwieweit kann ein nach 8 539 ZBO. erlaſſenes
Urteil mit der Neviſion angefochten werden? Inwie⸗
weit iſt das Untergericht an ein ſolches Urteil gebunden?
Aus den Gründen: Gegen Urteile, die von einem
OLG. auf Grund des § 539 ZPO. erlaſſen werden, iſt
die Reviſion allerdings zuläſſig, da ſolche Urteile End⸗
urteile und nicht Zwiſchenurteile ſind, indem auch ſie
den Rechtsſtreit für das BG. erledigen. Mit der Reviſion
kann zwar nicht geltend gemacht werden, daß das BG.
von dem ihm durch 8 539 eingeräumten Ermeſſen einen
ungeeigneten Gebrauch gemacht habe, die Art der Aus⸗
übung dieſes Ermeſſens iſt vielmehr der Nachprüfung
durch das Reviſionsgericht entzogen. Wohl aber kann
die Reviſion darauf geſtützt werden, daß das Verfahren
im erſten Rechtszug gar nicht an einem weſentlichen
Mangel gelitten habe und daß es deshalb der Auf⸗
hebung und Zurückverweiſung an der Grundlage fehle.
Auf der anderen Seite iſt es ausgeſchloſſen, ein ſolches
Urteil, das keine ſachliche Entſcheidung gibt, ſondern
ſie ablehnt, aus ſachlichen Gründen im Rechtszuge der
Reviſion zu bekämpſen. Sachlich kann ein nach 8 539
ergangenes Urteil keiner der Parteien zur Beſchwerde
gereichen. Nun finden ſich freilich hier im Berufungs⸗
urteil auch fachliche Erörterungen, aber die Entſchei⸗
dung beruht nicht auf ihnen, ſondern allein auf einem
prozeſſualen Grunde. Die ZPO. enthält keine aus-
drückliche Beſtimmung darüber, daß und inwieweit in
den Fällen der SS 538, 539 das Gericht des erſten
Rechtszugs an das Urteil des BG. gebunden iſt. In⸗
deſſen kann kein Zweifel beſtehen, daß die in $ 565
Abſ. 2 für das Verhältnis des BG. zu einer aufhebenden
Entſcheidung des Reviſionsgerichts gegebene Vorſchrift
auch in den Fällen der SS 538 und 539 entſprechend
anzuwenden iſt (vgl. Seuff Arch. 56 S. 113). Das er⸗
gibt ſich aus der formellen Rechtskraft des Berufungs—
urteils und aus der Stellung des untergeordneten zum
übergeordneten Gericht. Auch würde ſonſt ein end—
loſes Hin⸗ und Herſchieben zwiſchen dem erſten und
dem zweiten Gerichte möglich ſein. Die Aufnahme der
ausdrücklichen Vorſchrift des § 565 Abſ. 2 geſtattet für
die Fälle der SS 538, 539 keinen Schluß aus dem Gegen—
ſatze. Aber wie im Falle des S 565 Abſ. 2, jo beſchränkt gegen die Vertragspflichten und gegen die im Verkehr
ſich auch hier die Bindung des unteren Gerichts darauf,
daß es die der Aufhebung zugrunde gelegte rechtliche
Beurteilung auch ſeiner Entſcheidung zugrunde zu legen
hat. Hier wie dort binden dagegen rechtliche Aus—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
führungen, die im aufhebenden Urteile nur nebenher
laufen, auf denen aber die Entſcheidung ſelbſt nicht
beruht, das untere Gericht nicht, und das gilt ins⸗
beſondere von Erwägungen, in denen das obere Ge⸗
richt dem unteren ausdrücklich beitritt. Wird daher
ein Urteil wegen eines Mangels im Verfahren auſ⸗
gehoben, ſo hat das Gericht des erſten Rechtszugs zwar
in bezug auf das Verfahren der rechtlichen Auffaſſung
des BG. zu folgen, im übrigen jedoch iſt es frei. Trifft
das zu, ſo kann ein ſolches Urteil, auch wenn es ſach⸗
liche Erörterungen enthält, im Wege der Reviſion ſach⸗
lich nicht angegriffen werden, auch dann beſchwert es
vielmehr die Parteien ſachlich nicht. Die Frage, ob
das Verfahren im erſten Rechtszug an einem weſent⸗
lichen Mangel litt oder nicht, iſt nicht von dem Stand⸗
punkte, den das BG. ſachlich einnimmt oder gar ein⸗
nehmen müßte, ſondern vom Standpunkte des erſten
Richters aus zu beurteilen. (Urt. des IV. 3S. vom
19. Januar 1914, IV 569/13). ———ı.
3316
VII.
Erſatzzuſtellung oder öffentliche Zuſtellung? Kein
Verſchulden des Rechtsauwallb. Aus den Gründen:
Es braucht nicht entſchieden zu werden, ob die Aus⸗
führungen des OLG. darüber zutreffend find, daß die
Erſatzzuſtellung unzuläſſig Wohn ſei, der Schuldner
am Tage der Zuſtellung keine Wohnung am Zuſte llungs⸗
orte gehabt, ſie vielmehr erkennbar aufgegeben habe.
Denn jedenfalls trifft weder den beklagten Rechts⸗
anwalt ein Verſchulden noch den Bureauvorſteher, für
deſſen Verſehen der Anwalt nach § 278 BGB. zu haften
hätte. Eine Außerachtlaſſung der erforderlichen Sorg⸗
falt war es nicht, daß hier die Aufgabe der Wohnung
und damit die Unzuläſſigkeit der Erſatzzuſtellung nicht
erkannt iſt, mag man nun davon ausgehen, daß der
Rechtsanwalt auch in ſolchen beſonders gearteten Fällen
die Prüfung der Zuſtellungsfrage dem Bureauvorſteher
überlafien könne, oder verlangen, daß er fie ſel bſt
prüft. Es lag weiter nichts vor, als daß der Schuld⸗
ner ins Ausland geflüchtet war. Das Nichterkennen
der Vorausſetzungen für die öffentliche oder die Zu⸗
ſtellung im Auslande und der Unzuläſſigkeit der Erſatz⸗
zuſtellung war unter dieſen Umſtänden nicht fahrläffig.
Der Prüfende konnte erwägen, daß die Wohnung auch
bei längerer Abweſenheit des Inhabers ihrer Beſtim⸗
mung erhalten bleiben kann, ſofern nur die Kückkehr
zu erwarten iſt (Stein II zu 8 180 der ZPO.). Auch
wenn der Schuldner ins Ausland „geflüchtet“ war,
konnte auch der ſorgfältig und gewiſſenhaft die Ver⸗
hältniſſe Abwägende ſchuldlos zu der Auffaſſung ge⸗
langen, daß die Abſicht des Schuldners, zurückzukehren
und die Ausſicht auf deren Verwirklichung nicht aus⸗
geſchloſſen ſeien. Es durfte damit gerechnet werden,
daß das Flüchtigwerden des Inhabers nicht ſchlechthin
die Inhaberſchaft aufhören läßt (Skonietzki 2 zu 8 181
ZPO.) Das LG. Metz wirft in einer vom OLG. Colmar
(Jur. Wſchr. f. Elſ.⸗Lothr. 16 S. 12) gebilligten Ent⸗
ſcheidung mit Recht die Frage auf, in welcher Lage
wohl der Gläubiger wäre, der beantworten müßte,
ob Flucht und Aufgabe der Wohnung oder vorüber-
gehende Abweſenheit vorliege, und kommt zutreffend
zu dem Schluß, daß die Antwort „möglichſt lange zu-
gunſten des Beſtehenden“ lauten müſſe. Wenn der,
der hier die Zuſtellung veranlaßt hat, von derfelben
Erwägung ausging, und der Flucht des Schuldners
die im Intereſſe der Rechtsſicherheit unerwünſchte Be⸗
deutung einer Wohnungsaufgabe nicht beimaß, To
verſtieß eine ſolche Würdigung der Tatſachen nicht
erforderliche Sorgfalt. (Urt. des III. 35. vom
20. Februar 1914, III 483/13).
3314 ie
VIII.
Mangelhafter Tatbeſtand. Aus den Gründen:
Der Tatbeſtand des angefochtenen Urteils enthält nach
einer eingehenden Darſtellung des Sach- und Streits
ſtandes den Satz: „Wegen des Vorbringens der Par⸗
teien im übrigen wird auf die vorbereitenden Schrift⸗
ſätze Bezug genommen“. Dadurch wird der geſamte
Inhalt aller Schriftſätze 2. Inſtanz von zuſammen
etwa 260 Seiten Teil des Tatbeſtandes. Dieſer bildet
demnach nicht „eine gedrängte Darſtellung des Sach⸗
und Streitſtandes“, wie ſie der § 313 Abſ. 1 Nr. 3
erfordert. Durch die zu weit gehende Bezugnahme
wird auch die Nachprüfung des Urteils weſentlich
„ ja zum Teil unmöglich gemacht. Ob und
wie die Behauptungen, deren Nichtberückſichtigung oder
unrichtige Würdigung die Reviſion rügt, in der Schluß⸗
verhandlung vorgetragen und ob die von der Reviſion
angegriffenen Feſtſtellungen mit dem Parteivorbringen
im Einklange ſtehen, läßt ſich nur jebr ſchwer und
zum Teil überhaupt nicht feſtſtellen. Letzteres deshalb,
weil der Inhalt der vorbereitenden Schriftſätze mit⸗
einander oder mit der Darſtellung im Tatbeſtande in
Widerſpruch ſteht. (Wird ausgeführt). Danach recht⸗
fertigt ſich die Aufhebung des Urteils wegen Verſtoßes
gegen § 313 Abſ. 1 Nr. 3 ZPO. (Urt. d. III. 38S. vom
16. Januar 1914, III 292/13).
3267
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
Aus welchen Gründen kaun bei ſtreitigen na
verhältniſſen eine Geſellſchaft m. b. H. das Negiſtergericht
die Verfügung bis nach der Entſcheidung des Nechts⸗
ſtreits ans ſetzen ? (§ 127 FGG.). Auf die Anmeldung
des Ingenieurs Fritz E. als alleinigen Geſchäftsführers
wurde die Firma V.⸗F.⸗Geſellſchaft m. b. H. am 12. Fe⸗
bruar 1913 in das Geſellſchaftsregiſter eingetragen.
Die Stammeinlagen gingen auf Fritz E. über, der
alleiniger Geſellſchafter wurde. Am 29. April 1913
wurde eine notarielle Urkunde errichtet, wonach Fritz
E. ſeine Geſchäftsanteile auf die Firma A.⸗S.⸗L. in
London übertrug. Am 26. Juli 1913 meldete E. zur
Eintragung an, daß er ſein Amt als Geſchäftsführer
niedergelegt habe. Dieſe Anmeldung wurde aber zurück⸗
gewieſen, weil die geſetzlichen Vorausſetzungen nicht
erfüllt waren. Am 13. September 1913 meldete der
Kaufmann Leo C. in B. an, daß E. als Geſchäftsführer
ausgeſchieden, er ſelbſt beſtellt und daß der Sitz der
Geſellſchaft nach B. verlegt worden ſei. Dem Vollzuge
der Anmeldung widerſprach Fritz E.: Er habe zwar am
29. April 1913 ſeine Geſchäftsanteile an die A.⸗S.⸗L.
abgetreten, er habe aber den Vertrag ſofort wegen
Irrtums und Täuſchung angefochten. Gegen die A.⸗S.⸗L.
a. er auf Feſtſtellung geklagt, daß die Anteile der
⸗F.⸗Geſellſchaft noch ihm zuſtehen. Das Regiſter⸗
gericht ſetzte der A.⸗S.⸗L. die Verbeſcheidung der Anmel⸗
dung des Leo C. bis zur Entſcheidung des Prozeßgerichts
über die Inhaberſchaft der Geſchäftsanteile der V.⸗FJ⸗
Geſellſchaft gemäß 8 127 JGG. aus. Auf die Beſchwerde
der A.⸗S.⸗L. hob das LG. dieſe Verfügung auf. Gegen
dieſen Beſchluß legte Fritz E. weitere Beſchwerde ein,
die zurückgewieſen wurde.
Gründe: Nach 8 127 FGG. kann das Regiſter⸗
gericht die Entſcheidung ausſetzen, bis über das Rechts⸗
verhältnis im Rechtsſtreit entſchieden iſt, wenn eine
Verfügung von der Beurteilung eines ſtreitigen Rechts⸗
verhältniſſes abhängig iſt. Gleiche Befugnis hat das
Beſchwerdegericht. Ob es zweckmäßig ſei, das Ver⸗
fahren auszuſetzen, iſt Tatfrage. Die weitere Beſchwerde
wäre nur begründet, wenn das LG. von irrigen recht»
lichen Vorausſetzungen ausgegangen wäre. Dies iſt
nicht der Fall. Das LG. hat unter Bezugnahme auf
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
211
die Entſcheidung des Kammer. vom 18. März 1901
(Jahrb. 21 S. 240) angenommen, daß die Ausſetzung
des Verfahrens nicht ſchon dadurch gerechtfertigt iſt,
daß ein ſtreitiges Rechtsverhältnis die Entſcheidung
beeinfluſſe, ſondern daß die ſofortige Erledigung des
Eintragungsantrags von ſo ſchwerwiegender Bedeutung
ſein muß, daß zur Vermeidung der i weſent⸗
licher Intereſſen die Ausſetzung geboten iſt. Daß dies
der Fall ſei, hat es verneint. Es hat auch noch darauf
hingewieſen, daß Leo C. der einzige Geſchaͤftsführer
iſt und daß für die Geſellſchaft erhebliche Nachteile
erwachſen können, wenn ſeine Beſtellung der Wir⸗
kung des öffentlichen Glaubens entbehrt. Gegen dieſen
Standpunkt iſt nichts einzuwenden. Das Regiſter⸗
gericht darf von der Ausſetzungsbefugnis des 8 127
nicht ohne triftige Gründe Gebrauch machen. Ver⸗
langt ein ſtreitiges Rechtsverhältnis eine wichtige un⸗
aufſchiebliche Verfügung, ſo muß das Regiſtergericht
ſelbſt das ſtreitige Rechtsverhältnis prüfen. Das iſt
hier umſomehr nötig, als keine Gewähr dafür beſteht,
daß Fritz E. ſeine äußerlich noch beſtehende Geſchäfts⸗
führereigenſchaft nicht zum Nachteile der Geſellſchaft
mißbraucht. (Beſchl. des I. ZS. vom 23. Januar 1914,
Reg. III 2/1914). W.
3304
B. Strafſachen.
1
Der Inhaber eines Wandergewerbeſcheins bedarf
neben dem Druckſchriftenverzeichnis noch des Legitima⸗
tionsſcheins nach 3 43 Abſ. 1 GewO. zur Ausübung
der daſelbſt bezeichneten Betriebsart. Die in M. woh⸗
nende M. iſt im Beſitze eines Wandergewerbeſcheins
und eines genehmigten Verzeichniſſes von Druckſchriften,
insbeſondere von Anſichtskarten, die ſie in der Stadt
R. auf öffentlichen Plätzen gewerbsmäßig im Umher⸗
ziehen verkaufte. Sie wurde nach 8 148 Ziff. 5 GewO.
verurteilt, weil fie die nach 8 43 Gew. erforderliche
Erlaubnis der Ortspolizeibehörde R. nicht erholt hatte.
Ihre Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Irrig iſt die Annahme
des LG., daß ſich aus 8 56 Abſ. 1 GewO. die An⸗
wendbarkeit des 8 43 auf den Gewerbebetrieb im Um⸗
herziehen ergibt. Die Gew. ſelbſt kennt keine ſach⸗
lichen Beſchränkungen des ſtehenden Gewerbebetriebs,
d. h. ſie enthält keine Beſtimmungen, durch welche ge⸗
wiſſe Waren vom Feilbieten im ſtehenden Gewerbe⸗
betriebe ganz oder teilweiſe ausgeſchloſſen ſind; § 56
Abſ. 1 hat nur Beſchränkungen im Auge, die dem
ſtehenden Gewerbebetrieb nach dieſer Richtung durch
andere reichs⸗ oder landesgeſetzliche Beſtimmungen auf⸗
erlegt werden. 8 43 enthält keine ſachlichen Beſchrän⸗
kungen i. S. des 8 56 Abf. 1, er macht nur den da⸗
ſelbſt bezeichneten Gewerbebetrieb von dem 5
perſönlicher Eigenſchaften des Gewerbetreibenden ab⸗
hängig, fo daß der § 56 Abſ. 1 keine Handhabe für die
Anwendbarkeit des § 43 Abſ. 1 auf den Gewerbebetrieb
im Umherziehen bildet.
Dagegen iſt aus nachſtehenden Gründen 8 43 auf
dieſen Gewerbebetrieb anwendbar. Er iſt aus ſicher⸗
heits⸗ und ſittenpolizeil ichen Rückſichten weiteren und
ſtrengeren Beſchränkungen unterworfen, als der ſtehende.
Daraus ergibt ſich, daß der ſtehende Betrieb nicht
ſchlechter geſtellt ſein kann als der Gewerbebetrieb im
Umherziehen und daß Erſchwerungen des erſteren
auch den letzteren treffen, wenn nicht die Gew.
eine Ausnahme enthält. Die GewO. enthält keine
Beſtimmung des Begriffs „ſtehender Gewerbebetrieb“,
wohl aber eine ſolche des Begriffs „Gewerbebetrieb
im Umherziehen“ (8 55); fie ſieht alle Betriebsformen
als ſtehende Gewerbe an, die nicht ausdrücklich als
Gewerbebetrieb im Umherziehen bezeichnet ſind. Die
GewO. behandelt in Tit. LI das ſtehende Gewerbe, in
Tit. III den Gewerbebetrieb im Umherziehen; daraus
212
folgt aber noch nicht, daß die unter dem einen Titel
aufgeführten Beſtimmungen grundfäglich von der An⸗
wendung auf den anderen ausgeſchloſſen ſind. Stehen
Wortlaut und Zweck nicht entgegen, ſo wird die gegen⸗
ſeitige Anwendbarkeit gegeben ſein, wenn ſie ſich aus
der Natur der Sache ergibt. Dies wird der Fall ſein,
wenn die in verſchiedenen Titeln behandelten Stoffe
im weſentlichen gleich ſind und nur in einem Titel
eine geſetzliche Vorſchrift enthalten iſt. Die auf der
äußeren und inneren Anordnung des Stoffes beruhende
Stellung einer Vorſchrift iſt nur ein untergeordnetes
Auslegungsmittel.
43 GewO. betrifft den fog. „fliegenden Buch⸗
handel“; er iſt zwar unter Tit. II untergebracht, aber
die Eigenart dieſes Gewerbebetriebs, der Wortlaut und
Zweck und die Entſtehungsgeſchichte erfordern die An⸗
wendbarkeit auf den Gewerbebetrieb im Umherziehen.
8 43 (8 41 des Entw.) entſtand aus der Erwägung,
daß gerade bei Preßerzeugniſſen der Vertrieb durch
Ausbieten und Ausrufen auf öffentlichen Straßen und
durch öffentlichen Anſchlag einer beſonderen Auſſicht
bedarf, weil er den ſtädtiſchen Verkehr beläſtigen und
die öffentliche Ordnung gefährden kann. Dieſe Er⸗
wägungen wurden auch vom Reichstage gebilligt (Sten.⸗
Ber. 1869, 1, 426, 430; 2, 1091) und waren maßgebend
bei Schaffung der Gewerbenovelle vom 1. Juli 1883,
der eine Verſchärfung der Veſtimmungen über den
Gewerbebetrieb im Umherziehen betraf. (Reichst Dr.
1882/83 Anl.⸗Bd. 5 S. 15). Danach iſt der fliegende
Buchhandel (d. i. der Hauſierhandel mit Druckſchriften
an dem Wohnort oder dem Orte der gewerblichen
Niederlaſſung des Buchhändlers) kein eigentlicher ſtehen⸗
der Gewerbebetrieb, ſondern ſteht auf einer Stufe mit
dem Gewerbebetriebe im Umherziehen und die Einfügung
des § 43 unter den Tit. II will ſagen, daß dieſe Vor⸗
ſchrift auch das ſtehende Gewerbe entgegen ſeiner
ſonſtigen Vewegungsfreiheit trifft. 8 43 iſt ſonach eine
Sondervorſchrift, die durch die Eigenart der Verbreitung
von Druckſchriften veranlaßt iſt und Störungen der
öffentlichen Ordnung und Beläſtigungen verhindern
ſoll. Da dieſe Gefahren ebenſo durch den anſäſſigen
wie durch den wandernden Gewerbetreibenden hervor⸗
gerufen werden können, muß 8 43 die beiden umfaſſen.
Zu dem gleichen Ergebniſſe führt der Vergleich
des § 43 mit den 88 5 und 30 Abſ. 2 Preß G., dem
Art. 37 Pol StB. und den Art. 12 und 13 AG StPO.
Nach 8 5 Pre. und § 43 Abſ. 6 GewO. kann die
nicht gewerbsmäßige öffentliche Verbreitung von Druck⸗
ſchriften durch die Ortspolizeibehörde aus denſelben
Gründen verboten werden, aus denen nach 8 43 Abſ. 2
GewO. die gewerbsmäßige öffentliche Verteilung von
Druckſchriften unterſagt werden kann. § 5 PreßG. und
die bezeichneten landesrechtlichen Beſtimmungen treffen
jedermann; durch die Aufnahme der Vorſchriften des
$ 43 Abſ. 2 GewO. in 8 5 PreßG. und durch die in
8148 GewO. enthaltene Androhung der gleichen Strafe
für die Verfehlungen gegen die beiden Vorſchriften iſt
die Wechſelbeziehung hergeſtellt. Es iſt deshalb ſelbſt⸗
verſtändlich, daß die gleichen für die gewerbsmäßige
öffentliche Verbreitung von Druckſchriften geltenden
Vorſchriften des § 43 Abſ. 1 ebenfalls jeden treffen,
der 1 Zweig des Gewerbes betreibt. Der Inhaber
eines Wandergewerbeſcheines bedarf daher neben dem
Druckſchriften verzeichnis noch des Legitimationsſcheines
nach $ 43 Abſ. 1 Gew., falls er die daſelbſt bezeich⸗
nete Betriebsart ausüben will. (Urt. vom 3. März 1914,
Rev.⸗Reg. Nr. 43/1914). Ed.
3327
II.
Begiun und Dauer der Impfpflicht und der ſtraf⸗
rechtlichen Berantwortlichkeit der geſetzlichen Vertreter.
Die am 10. Mai 1898 geborne, eheliche Tochter Johanna
des Angeklagten X beſucht ſeit der am 1. Mai 1911
erfolgten Entlaſſung aus der Werktagsſchule die Sonn:
tagsſchule; ſie iſt der Wiederimpfung entzogen geblieben,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
die 1910 auf Auffordern des Bezirksamts hätte vor⸗
genommen werden ſollen. Der Angeklagte wurde daher
zweimal auf Grund des 8 14 Abſ. 2 ImpfG. beſtraft.
Durch eine zugeſtellte Verfügung des Bezirksamts wurde
er aufgefordert, bei Meidung wiederholter Strafe ſeine
Tochter alsbald dem Bezirksarzt zur Impfung vor⸗
zuführen. Nach fruchtloſem Ablaufe der Friſt teilte
der Angeklagte dem Bezirksamte mit, daß ſich ſeine
Tochter wegen ihres Abſcheus vor der Impfung nicht
impfen laſſe. Das Sch. verurteilte nach 8 14 Abſ. 2
ImpfG., das LG. ſprach frei, da zwar die Tochter
auch als Beſucherin der Sonntagsſchule nach baye⸗
riſchem oo. ögling einer öffentlichen Lehranſtalt
i. S. des § 1 Abſ. 2 ImpfGG. und daher wiederimpf⸗
pflichtig ſei, aber für ihre Weigerung ſich impfen zu
laſſen nicht das Verhalten des Angeklagten beſtimmend
war, der als Impfgegner von der Impfung abgeraten
hat. Das Urteil wurde aufgehoben.
Aus den Gründen: Aus den 88 1, 3 und 4
Ampf®., nicht minder aus der Begründung des Entw.
im allgemeinen und zu 8 1 (RTVerh. 3. Anl.⸗Bd. 1874
S. 23 ff.) ergibt ſich, daß für die Frage, ob jemand
wieder geimpft werden ſoll, die Feſtſtellung notwendig
iſt, ob er in ſeinem 12. Lebensjahr Zögling einer öffent⸗
lichen Lehranſtalt oder Privatſchule war, oder nur
eine Sonntags- oder Abendſchule i. S. des § 1 Impf®.
beſuchte. Nicht die Zugehörigkeit zu einer öffentlichen
Lehranſtalt oder Privatſchule allein, ſondern ſie und
das 12. Lebensjahr zuſammen begründen die Pflicht zur
Wiederimpfung; wer ſonach im Laufe ſeines 12. Lebens⸗
jahres nicht Zögling einer öffentlichen Lehranſtalt oder
Privatſchule iſt, ſondern nur eine Sonntags⸗ oder
1 i. S. des Impf G. beſucht, oder z. B. wegen
Krankheit oder aus anderen Gründen einer Schule
überhaupt ferne geblieben iſt, der iſt nicht wiederimpf⸗
pflichtig und wird es nie wieder. Wer alſo im 12. Lebens⸗
jahre nicht wiederimpfpflichtig war, wird es nicht des⸗
wegen, weil er ae Zögling einer öffentlichen Lehr⸗
anſtalt oder Privatſchule war oder iſt. Beſteht aber
die Impfpflicht, dann dauert ſie ohne Rückſicht auf das
Lebensalter und den Austritt aus der Schule bis zu
ihrer Erfüllung fort, d. i folange, bis mit Erfolg wieder⸗
geimpft wurde oder bis zur 3. erfolgloſen Wieder⸗
impfung (Bl AdmPr. 29 S. 6, 7 und 19). Die Impf⸗
pflicht nach 8 1 Nr. 1 beginnt im Laufe des auf das
Geburtsjahr folgenden Jahres, die Impfpflicht nach 81
Nr. 2 (Wiederimpfungspflicht) im Laufe des Jahres,
in welchem das Kind 12 Jahre alt wird und Zögling
einer öffentlichen Lehranſtalt oder AN iſt, und
jede dieſer Pflichten dauert nach SS 3, 4 und 14 Impf@.
und 8 1626 BGB. folange, als das Kind minderjährig
iſt. In der Begr. d. Entw. iſt dies ausdrücklich hervor⸗
gehoben.
In Bayern erſtreckt ſich die mit der Vollendung
des 6. Lebensjahres beginnende Pflicht zum Beſuche
der Volksſchule auf die Dauer von 10 Jahren, von
denen 7 auf den Beſuch der Werktagsſchule, ſonach
einer öffentlichen Lehranſtalt treſſen. Da mithin das
12. Lebensjahr regelmäßig in die Zeit des Beſuchs der
Werktagsſchule fällt — von den hier nicht zu erörternden
Fällen des $ 13 ImpfG. abgeſehen — iſt in Bayern jeder
zwölfjährige Werktagsſchüler impfpflichtig. Johanna X
hat in ihrem 12. Lebensjahre die Werktagsſchule be⸗
ſucht; in dieſem Jahre begann die Impfpflicht und
dauerte bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres
(S 2 BGB., $ 14 ImpfG.). Es iſt deshalb nicht not⸗
wendig, auf die Frage näher einzugehen, ob der der⸗
zeitige Beſuch der Feiertagsſchule durch die nun 15 Jahre
alte Johanna X einen Einfluß auf die Wiederimpf⸗
pflicht hat. Richtig iſt übrigens die Anſchauung des
BG., daß in Bayern die Feiertagsſchule (ſeit 1. Ja-
nuar 1914 Fortbildungsſchule genannt) öffentliche Lehr⸗
anſtalt iſt. Es hat daher mit Recht — wenn auch
aus nicht zutreffenden Gründen — die Impfpflicht der
Johanna X angenommen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10. 213
Da wegen des Alters minderjähriger Perſonen die
Erfüllung der Pflicht von ihnen nicht verlangt werden
kann, iſt durch 88 12 und 14 Ampf®. den geſetzlichen
Vertretern die Erfüllung der Pflicht auferlegt worden;
kommen ſie ihr nicht nach, ſo werden ſie nach 8 14
Abſ. 2 beſtraft. Die Strafe ſoll zugleich die geſetz⸗
lichen Vertreter zwingen, ihre Kinder impfen zu kaſſen.
Das Geſetz legt ſomit den geſetzlichen Vertretern ein
Gebot auf. Indem es die Impfung der Kinder an⸗
ordnet, iſt ſie deren perſönliche Angelegenheit ge⸗
worden; für die perſönlichen Angelegenheiten ſeines
Kindes hat nach 88 1626, 1627, 1630 und 1631 BG.
der Vater kraft ſeiner elterlichen Gewalt zu ſorgen.
Zu den vornehmſten Pflichten der Eltern gehört die
Pflicht der Erziehung ihrer Kinder, die Sorge für die
körperliche, gelftige und ſiitliche Ausbildung. Zur ſitt⸗
lichen Ausbildung gehört die Gewöhnung an die Be⸗
folgung der Geſetze, die Abhaltung von Zuwiderhand⸗
lungen. Die Pflicht der Eltern, für die Perſon des
Kindes zu ſorgen, erfordert ſonach ein Tun, ein Ein⸗
wirken auf das Kind, das nach dem 8 1631 Abſ. 2 BG.
nötigenfalls durch Zuchtmittel gezwungen werden kann
oder ſoll, etwas zu tun oder zu unterlaſſen. Unter:
laſſen die Eltern die ihnen obliegende Pflicht, ſo können
fie u. U. für die Handlungen oder Unterlaſſungen ihrer
Kinder zivilrechtlich wie ſtrafrechtlich verantwortlich
gemacht werden (1. 8 B. 8 832 BGB.; 8 361 Nr. 4
und 9 StGB.; Art. 58, 81 P St.; 8 6 Vogel Sch.).
Bon demſelben Gedanken iſt auch das ImpfG. bes
herrſcht. Die 88 12, 14 legen den Eltern die Pflicht auf,
kraft ihrer elterlichen Gewalt alle geſetzlich zuläffigen
Mittel aufzuwenden, um ihr Kind der Impfung zu⸗
zuführen. 8 14 Abſ. 2 knüpft die Beſtrafung der ge⸗
ſetzlichen Vertreter ſchon an die Feſtſtellung, daß das
Kind ohne geſetzlichen Grund trotz amtlicher Aufforde⸗
rung innerhalb der Friſt nicht geimpft worden iſt.
Die nicht erfolgte Irref n allein bildet ſonach den
äußeren Tatbeſtand des § 14 Abſ. 2, er iſt ein reines
„Unterlaſſungsdauerdelikt“. Da das Mädchen ohne ge⸗
ſetzlichen Grund trotz amtlicher Aufforderung nicht
innerhalb der Friſt geimpft worden iſt, liegt der äußere
Tatbeſtand vor.
Die Beſtrafung nach 8 14 Abſ. 2 ſetzt ein vor⸗
br oder fahrläffiges Verſchulden voraus. Nach
en Feſtſtellungen wußte der Angeklagte, daß er inner⸗
halb der vorgeſetzten Friſt ſein Kind impfen laſſen
ſollte, und daß er keinen geſetzlichen Grund zur Unter⸗
laſſung hatte. Er hat jedoch pflichtwidrig nichts ge⸗
tan, um die e zu ermöglichen, er hat ſogar
ſeiner Tochter von der Impfung abgeraten. Läge
ſchon in dem untätigen Verhalten des Angeklagten
gegenüber dem geſetzlichen Gebote ein vorſätzliches,
ſtrafbares Verſchulden, ſo iſt dies um ſo mehr bei ſeinem
tätigen Mitwirken zur Nichtbefolgung des Gebotes ge⸗
an Der Angeklagte könnte ſich von Strafe nur
efreien, wenn er nachweiſt, daß er trotz Anwendung aller
durch die väterliche Gewalt eingeräumten Mittel die
Impfung nicht herbeiführen konnte. Dieſe Unmöglich⸗
keit würde ihn jedoch dann nicht befreien, wenn ſie
die Folge ſeines bisherigen pflichtwidrigen Verhaltens
gegenüber ſeiner Tochter und dem Geſetze wäre. (Urt.
v. 21. März 1914, Rev.⸗Reg. 78/1914). Ed.
3338
III.
Wer ohne behördliche Genehmigung eine Brücke
baut, iſt 3 dem Waſſergeſetze, nicht nach dem $ 367
Nr. 15 StGB. ſtrafbar. Das BG. nahm an, daß gegen
den, der eine Brücke ohne die nach Art. 78 WG. er⸗
orderliche Genehmigung herſtellt, nicht Art. 202 Nr. 2
G., ſondern § 367 Nr. 15 StGB. anzuwenden ſei,
da eine Brücke ein Bau i. S. der letzteren Vorſchrift
ſei und darum die landesrechtliche Vorſchrift des
Art. 202 Nr. 2 WG. der reichsgeſetzlichen Vorſchrift zu
weichen habe. Dieſe Anſchauung erachtete das Re⸗
viſionsgericht als irrig.
Aus den Gründen: Unter „polizeilicher Ge⸗
nehmigung“ i. S. des § 367 Nr. 15 StG. iſt nur
eine ba u polizeiliche Genehmigung zu verſtehen, wie
fie in 8 6 BauO. vom g. Küguft 1510 vorgeſehen iſt,
nicht eine polizeiliche Genehmigung überhaupt. 8 367
Nr. 15 StGB. bezweckt den Schutz der landesrechtlichen
baupolizeilichen Vorſchriften; das iſt ſchon aus der
Eigenſchaft der als Täter bezeichneten Perſonen „Bau⸗
herr, Baumeiſter oder Bauhandwerker“ zu entnehmen
und ergibt ſich aus der Art der unter Strafe geſtellten
Tat: „Ausführen eines Baues ohne polizeiliche Ge⸗
Ben und „eigenmädtiges Abweichen von dem
durch die Behörde genehmigten Bauplan“. Sie kann
nur angewendet werden, wenn es ſich um Bauten
handelt, zu deren Ausführung eine baupolizeiliche Ge⸗
nehmigung nach Landesrecht vorgeſehen iſt. Der Tat⸗
beſtand des 8 367 Nr. 15 ſetzt den Mangel dieſer Ge⸗
nehmigung oder ein Zuwiderhandeln voraus. Wann
eine baupolizeiliche Genehmigung einzuholen iſt, be⸗
: 17. Februar 1901
ſtimmt allein die BauO. vom 3. Auguſt 1910 Die Er⸗
laubnis, von deren Einholung das WG. die Errichtung
von Bauten oder Anlagen abhängig macht, hat nie
die Bedeutung einer baupolizeilichen Genehmigung i.
S. des 8 367 Nr. 15 a. a. O., ſondern ſtets den einer
waſſerpolizeilichen. Der Unterſchied tritt klar hervor
in dem Inhalte der Vollzugsvorſchriften über die Be⸗
handlung und Verbeſcheidung der baupolizeilichen und
waſſerpolizeilichen Geſuche. Wenn eine Erlaubnis
nach dem Waſſerrechte vorgeſchrieben iſt, kann außer⸗
dem noch, wie eine gewerbepolizeiliche, ſo auch eine
baupolizeiliche Erlaubnis in Frage kommen. In den
Vorfchriften über die Behandlung ſolcher Fälle iſt
zwiſchen der baupolizeilichen und waſſerpolizeilichen
Erlaubnis ſcharf unterſchieden (ſ. 8 51, 8 106 =: 2,
8 115 Abſ. 3 VollzB. z. WG.). Zur Errichtung einer
Brücke iſt eine baupolizeiliche Genehmigung nicht er⸗
forderlich; denn ſie iſt kein Gebäude und keine bau⸗
liche Anlage i. S. der BauO. (Urt. v. 10. März 1914,
Rev.⸗Reg. Nr. 64/1914). Ed.
3339
Oberlandesgericht Bamberg.
Der Berweiſungsbeſchluß nach 3 697 350. if nicht
gebührenpflichtig.) Aus den Gründen: Der Ver⸗
weiſungsbeſchluß des A. iſt ohne mündliche Verhand⸗
lung erlaſſen worden. Er iſt keine gebührenpflichtige
Entſcheidung i. S. der 88 18 Nr. 3 und 26 Nr. 1 oder 2
GKG. Daß die Vorſchriften in Nr. 1 und 2 des 8 26
GKG. auf einen Gerichtsbeſchluß nach 8 6977 ZPO.
nicht unmittelbar anzuwenden find, iſt ſelbſt in dem
Regierungsbeſcheid hervorgehoben, der durch die Ge⸗
bührenreviſion veranlaßt wurde. Der amtsgerichtliche
Beſchluß hat weder eine prozeßhindernde Einrede er⸗
ledigt (8 26 Nr. 1), noch von Amts wegen die Unzu⸗
ſtändigkeit ausgeſprochen (826 Nr. 2). Das AG. über-
weiſt nicht von Amts wegen, ſondern nur auf Antrag
einer Partei ohne Gehör des Gegners. Der Antrag
kann mit dem Geſuch um Zahlungsbefehl verbunden
werden, der Schuldner kann ihn beim Widerſpruch
anbringen und beide Teile können auch nachher auf
Verweiſung antragen. Ohne einen Antrag aber unter⸗
bleibt ſie. Der Beſchluß entſcheidet nicht einen Streit
über die Zuſtändigkeit. Unter den Parteien beſteht
kein Streit, wenn eine die Verhandlung der Sache
vor dem geſetzlich zuſtändigen Landgerichte beantragt.
1) Siehe dle gegenteilige Entſcheidung des OLG. Augsburg in
Bay 3fR. Jahrg. 1914 S. 170.
214
— m nn
Der Verweiſungsbeſchluß nach § 697? ZPO. iſt dem⸗
nach regelmäßig formal, er entſcheidet nicht ſachlich.
Durch die Novelle vom 1. Juni 1909 wurde das
Mahnverfahren außerordentlich begünſtjgt. Zweck des
Geſetzes iſt, dem Mahnverfahren möglichſten Eingang
zu verſchaffen und den Rechtsſuchenden lichſe haufig
daß ſie von ihm auch in den Fällen möglichſt häufig
Gebrauch machen, die zur Zuſtändigkeit des LG. ge⸗
hören. Dieſer Abſicht würde es zuwiderlaufen, wenn
die einfache Maßnahme des Ueberweiſungsbeſchluſſes,
die doch nur einen rein formalen Ausſpruch enthält,
ber /1⸗Gebühr des § 26 GKG. unterworfen fein ſollte
und wenn ſo das Mahnverfahren erheblich verteuert
würde. Eine ſolche Verteuerung würde es erſchweren,
nicht vereinfachen und erleichtern; ſie kann deshalb
nicht gewollt ſein. Würde der Ueberweiſungsbeſchluß
mit der /1e-⸗Gebühr zu bewerten fein, ſo müßte dies
die Partei davon abhalten, einen Antrag nach 8 697°
3PO. zu ſtellen, ein Ergebnis, das mit der ſonſtigen
Abſicht des Geſetzes nicht in Einklang zu bringen iſt.
Daß der Verweiſungsbeſchluß nach 5 697? ZPO. nicht
widerruflich iſt, nimmt ihm nicht die Eigenſchaft einer
nur prozeßleitenden Anordnung und er wird deswegen
auch nicht zu einer ſachlichen Entſcheidung, da er ja
in der Sache ſelbſt nichts entſcheidet. Der Verweiſungs⸗
beſchluß enthält auch keine Entſcheidung über einen
Nebenſtreitpunkt. Er geht auf den Anſpruch nicht ein,
er ſpricht auf Wunſch der Partei nur aus, daß das
ordentliche Prozeßverfahren bei dem AG. nicht weiter
geführt werden kann, ſondern daß der Rechtsſtreit nach
der im Geſetze geordneten Zuſtändigkeit ($ 23 GVG.)
bei dem LG. zu verhandeln iſt. Hienach kann auch
eine entſprechende Anwendung des § 26 GKG. nicht in
Frage kommen. Es fehlt an einer ausdrücklichen Ve⸗
ſtimmung des GKG., durch welche die Erhebung einer
beſonderen Gebühr vorgeſehen wäre. Eine ſolche Ge⸗
vühr kann daher nicht erhoben werden (OS GRſpr. 27
S. 128, 129 und Bay ZfK. 1913 S. 366). (Beſchl. vom
20. März 1914). H.
3336
O berlandesgericht Nürnberg.
Koſten des Verfahrens bei Zurücknahme des Un:
trags auf einſtweilige Verfügung wegen Berände⸗
rung der Umſtände. Befugnis des Bezirksamts zur
ſtaaisaufſichtlichen Prüfung gemeindlicher Verträge anf
Lieferung von elektriſchem Strom? (SS 271, 93 ZPO.;
Art. 1, 159, 112 GemO.). Aus den Gründen:
1. Die Zurücknahme des Antrags auf einſtweilige
Verfügung wegen Veränderung der Umſtände ſteht
nicht der Zurücknahme einer Klage gleich, ſie hat darum
auch nicht die im 8 271 3 PO. vorgeſehene Folge, daß
der Antragſteller die Koſten des Verfahrens zu tragen
hat. Vielmehr iſt zunächſt 8 93 ZPO. entſprechend
anzuwenden, da der Antragſteller den Antrag zur
Hauptſache zurückgezogen hat, ſobald er die Veränderung
der Umſtände erfuhr. Es würden hienach die Koſten
dem Antragsgegner zur Laſt fallen. Vorausſetzung
hierfür wäre aber, daß urſprünglich dem Antragſteller
die rechtliche Befugnis zum Antrag auf einſtweilige
Verfügung zugeſtanden hätte. Dies iſt zu verneinen,
mithin fallen dem Antragſteller ſelbſt gemäß § 91 ZPO.
die Koſten des erſten Rechtszugs und damit auch die
Koſten der Berufung des Antragsgegners zur Laſt.
2. Das Bezirksamt war nicht zuſtändig, in dem
Vertrage des Antragsgegners über die Lieferung des
Zeitſchrift für Rechtspflege
elektriſchen Stroms an die Gemeinde D. einzelne Be⸗
dingungen von Staatsaufſichts wegen zu ſtreichen. Es
gibt keine geſetzliche Vorſchrift, die dieſe in das Selbſt—
verwaltungsrecht der Gemeinden einſchneidende Be—
fugnis erteilt.
„das Recht der Selbſtverwaltung nach Maßgabe der
Geſetze“ gewährleiſtet.
Nach Art. 1 GemO. iſt den Gemeinden
Soweit nicht das Geſetz aus-
in Bahern.
1914. Nr. 10.
drücklich eine Beſchränkung feſtſetzt, iſt ihnen alſo
gleich den übrigen ae Perſonen des BG.
auch auf bürgerlich⸗rechtlichem Gebiete die Rechtsfähig⸗
keit volljähriger natürlicher Perſonen geſichert, mithin
auch Vertragsfreiheit. Eine Gemeindekuratel, wie ſie
noch das bis 1869 in Bayern gültige Gemeindeedikt
(in 8 21) kannte, iſt der GemO. nicht mehr bekannt.
Zwar findet ſich die Auffaſſung, daß eine Gemeinde
ſreiwillig einer ſtaatlichen Stelle eine Art Kuratel ein⸗
räumen könne, indem ſie die Wirkſamkeit ihrer Hand⸗
lung von einer Genehmigung abhängig macht, wo
ſtaatsaufſichtliche Genehmigung an fi} nicht nötig wäre
(vgl. Fiſcher, Bayer. Gem., 4. Aufl. der GemO. von
Lindner⸗Hauck). Hier ſind aber keine Anhaltspunkte
dafür gegeben, daß die Gemeinde D. ihren Bertrag
einer ſolchen Staatskuratel freiwillig unterſtellt, alſo
die ſtaatsaufſichtliche Genehmigung gleichſam als Ver⸗
tragsbedingung gewollt hatte. Im Geſetze findet ſich
der Umfang der Staats aufſicht über die Gemeinden
in den Art. 154 169 GemO. feſtgeſtellt; hier käme nur
etwa Art 159 Abſ. I Nr. 5 in Betracht. Hiernach
ſind die Gemeinden an die Genehmigung gebunden
„bei Gründung von Gemeindeanſtalten, aus welchen
der Gemeinde eine dauernde Haftungsverbindlichkeit
erwächſt, und bei Uebernahme einer ſolchen Verbindlich⸗
keit für ſonſtige Anſtalten“. Unter den Begriff der Ge⸗
meindeanſtalten i. S. des Art. 159 wie des Art. 112 Abſ. 1
Nr. 5 fallen allerdings Elektrizitäts werke (BSH. 28, 80).
Indes handelt es ſich in den Verträgen nicht um die
Gründung von Elektrizitätswerken für die Gemeinden,
ſondern nur um das Recht, die gemeindlichen Wege,
Straßen, Plätze, Brücken zur Verlegung von ober⸗ und
unterirdiſchen Leitungen zu benützen, wogegen die Ge⸗
meinde ſich und den Hausbeſitzern einen möglichſt
günſtigen Stromtarif ſichert. Mag man ſelbſt öffent⸗
liche Wege zu den Gemeindeanſtalten im weiteren Sinne
zählen (VGH. 8, 17 und Kahr, GemO. [1.) Fußn. 13
zu Art. 47 im Gegenſat zu BlAdmpPr. 57, 53), fo
war auch unter dieſem Geſichtspunkte keine ſtaats⸗
aufſichtliche Genehmigung geboten. Auch die Bek. des
StM. des Innern vom 21. Mai 1908, betr. Beratung
für elektriſche Anlagen, und vom 8. Juni 1910, betr.
elektriſche Ueberlandzentralen (MA Bl. 1908, 261 und
1910, 391) laſſen nur den Schluß zu, daß auch die
Staatsregierung die ſtaatsaufſichtliche Genehmigung zu
ſolchen Verträgen nicht für nötig erachtet. In jenen
Bekanntmachungen iſt immer nur davon die Rede,
daß den Gemeinden etwas „dringend empfohlen“ oder
„nahegelegt“ wird, den Bezirksämtern aber aufgetragen
wird, „in dieſem Sinne zu wirken“. Die neueſte Ent⸗
ſchließung des StM. des Innern vom 6. Februar 1913
(a. a. O. 1913, 147), betr. die Elektrizitätsverſorgung
auf dem Lande, die der Bildung privater, auch ge⸗
noſſenſchaftlicher Ueberlandwerke nach Kräften entgegen⸗
tritt, weiſt die Bezirksämter nur an, „durch Aufklärung
und Belehrung dahin zu wirken, daß die Gemeinden
genoſſenſchaftlichen Beſtrebungen auf dieſem Gebiete
keinen Vorſchub leiſten“ und „den Gemeinden eine zu⸗
wartende Stellung anzuraten“, bis die Verhandlungen
mit den größeren Ueberlandwerken zu einem der Staats⸗
regierung erwünſchten Abſchluß gelangt ſeien. (Urt.
des I. 35. vom 17. Januar 1914, L 379/13).
3310 Br.
Aus der Rechtſprechung
des Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte.
Die Verwaltungsbehörden find zur Entſcheidung
über einen Anſpruch aus dem Kirchen⸗ und Pfarr⸗
verband auch dann zuſtändig, wenn der Kläger auß-
drücklich erklärt, feinen Anſpruch nicht aus die ſem Ber⸗
bande, ſondern aus einem privatrechtlichen Vertrag
abzuleiten. Aus den Gründen: Durch den ſog.
Beitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
215
mn ͤ— . Tr mn —
Scharlgarten in B. führte ſeit langen Jahren ein Fuß⸗
weg über eine an der ſüdöſtlichen Ecke der Friedhof⸗
mauer angebrachte Stiege zum Friedhof und zur
Kirche. Am 18. Januar 1903 beſchloß die Kirchen⸗
verwaltung B., die verfallene Stiege ſollte nicht mehr
erneuert und die Oeffnung in der Mauer geſchloſſen
werden. Eine Verſammlung der Angehörigen der
Kirchengemeinde und der Grabſchaft B. genehmigte
am 25. Januar 1903 den Beſchluß unter der Bedingung,
daß der ſeitherige Weg durch den Scharlgarten an
der Nordſeite neben der Pfarrergaſſe einen Meter breit
angelegt werde. In einer Verſammlung der Kirchen⸗
verwaltung vom 1. Juni 1903 erklärte der als Ver⸗
treter der Ortſchaften H., T. und R. augedogene Bauer
S., ſich mit der Anlegung des am 25. Januar bes
ſchloſſenen nur einen Meter breiten Weges begnügen
zu wollen, und die Kirchenverwaltung ſicherte zu, an
der Nordoſtecke des Friedhofs eine neue Oeffnung in
die Mauer brechen und dort als Fortſetzung des
Weges eine Stiege anlegen zu laſſen. Allein das ge⸗
ſchah nicht, wohl aber wurde der alte Aufgang zu⸗
gemauert. Am 12. Auguſt 1911 erhoben die 22 durch
RA. H. vertretenen „Grabſchafts⸗ und Kirchengemeinde⸗
angehörigen von B.“ Klage gegen die dortige Kirchen⸗
ſtiftung zum AG. E. und beantragten, die Beklagte
ſchuldig zu ſprechen den früheren Aufgang wieder her⸗
zuſtellen oder einen neuen entſprechend dem Beſchluß
vom 1. Juni 1903 zu errichten. Das AG. wies die
Klage wegen Unzuläſſigkeit des Rechtswegs ab; die
Berufung wurde aus dem gleichen Grunde zurückge⸗
wieſen. Nun ſtellten die Kläger den nämlichen An⸗
trag bei dem Bezirksamt. Sie erklärten, die Her»
ſtellung der Stiege nicht als Kirchengemeindemitglieder
— nicht auf Grund des Kirchen⸗ oder Pfarrverbandes —
zu beanſpruchen, auch nicht aus einer allgemeinen Be⸗
nützungsbefugnis ihr Recht abzuleiten; ſie hätten viel⸗
mehr einen privatrechtlichen Anſpruch auf Grund des
Vertrags zwiſchen der Kirchenſtiftung und den durch
den Bauern S. vertretenen Perſonen. Da die Gerichte
die Zuläſſigkeit des Rechtsweges verneint hätten,
müßten ſie die Verwaltungsbehörden um Abhilfe an⸗
gehen. Bezirksamt und Kreisregierung erklärten ſi
gleichfalls für unzuſtändig. Nach Art. 10 Ziff. 1
BH. liege bei Anſprüchen und Verbindlichkeiten
aus dem Kirchen⸗ und Pfarrverband eine Verwaltungs⸗
ſtreitſache vor. Hier aber ſei der Anſpruch gegen die
Kirchenſtiftung nicht aus dieſem Verband abgeleitet.
Der Anſpruch auf eine beſtimmte Art der Benützung
eines der Kirchenſtiftung gehörigen Friedhofs könne
unter Umſtänden auch auf ein Rechtsverhältnis des
bürgerlichen Rechtes gegründet werden. Das ſei hier
geſchehen und dürfe bei der Prüfung der Zuſtändigkeit
nicht außer acht gelaſſen werden. Wenn jemand einen
Anſpruch aus dem Kirchen⸗ oder Pfarrverbande nicht
erheben wolle, wie dies hier erklärt worden ſei, könne
man ihm einen ſolchen auch nicht aufdrängen.
Maßgebend iſt die Natur des behaupteten Rechts⸗
verhältniſſes, nicht die behauptete Natur des Rechts⸗
verhältniſſes. Auch der behauptete Rechtstitel iſt für ſich
allein nicht entſcheidend, ſofern er ſeiner Art nach ſo⸗
wohl dem bürgerlichen als dem öffentlichen Recht an⸗
gehören kann. Die tatſächliche Unterlage für die Ent⸗
ſcheidung bildet das Vorbringen des Klägers (v. Seydel,
BayStR. (3) 1, 416 mit Anm. 11 und 12; Reger⸗
Dyroff, BHG. Anm. 1a und b zu Art. 13; Kompͤch.
Erk. vom 3. Juli 1901, Samml. S. 271; VGH. 14,
109; 17, 285; 18, 282). Hier gründet ſich die Klage
in tatſächlicher Beziehung auf die Beſchlüſſe der Kirchen⸗
verwaltung und der Kirchengemeindeverſammlung vom
18. Januar, 25. Januar und 1. Juni 1903; ſie erblickt
in dem Ergebnis eine zwiſchen den Kirchengemeinde—
angehörigen und Grabſchaftsbeſitzern einerſeits und
der Kirchen verwaltung andererſeits zuſtande gekommene
Einigung, auf Grund deren die Kläger als Teilnehmer
der Vereinbarung entweder die Wiederherſtellung des
—— — . 9 —99——ᷓ—ç—ß—ß—ß———.9—ꝗ—..——————————————ßç—jC.ä—18.Kç2çꝗ : 22 ͤ ³ÜAu2 —aꝛꝝỹ⁊2˖ 324 nn, a rn nn nn m nn re
früheren Zuſtandes oder die Ausführung des Be⸗
ſchluſſes vom 1. Juni 1903 fordern könnten. Der ſeit
unvordenklicher Zeit“ über den Scharlanger führende
Fußweg, an deſſen Ende die Stiege in die Kirchhof⸗
mauer mündete, wird als ein den Klägern „von jeher
als Kirchenweg“ dienender Steig bezeichnet. Dieſe
Begründung des Klaganſpruchs führt dazu, das ſtreitige
Rechtsverhältnis als dem öffentlichen Rechte ange⸗
hörend zu erachten. Es handelt ſich um den Zugang
zum kirchlichen Friedhof und zur Kirche, alſo um die
Benützung kirchlicher Anſtalten und Einrichtungen
(KirchengemO. Art. 12). Das Recht auf dieſe Benützung
beanſpruchen die Kläger als Kirchengemeindeangehörige
und Grabſchaftsbeſitzer; ſie leiten es alſo aus ihrer Zuge⸗
hörigkeit zum Kirchen⸗ und Pfarrverband ab. Anſprüche
ſolcher Art fallen aber unter die in Art. 10 Ziff. 13
VGH. in erſter Reihe aufgeführten Angelegenheiten
(Reger⸗Dyroff a. a. O. Anm. 5 zu Ziff. 13; VGH. 13,
543). Daß die Kläger ſich auf einen Vertrag berufen,
kann an der Natur des Rechtsverhaͤltniſſes nichts
ändern; denn der Rechtstitel des Vertrags gehört nicht
nur dem bürgerlichen Recht an, ſondern ebenſogut
dem öffentlichen Rechte (VGH. 18, 282). Belanglos
iſt auch der Hinweis der Kläger darauf, daß die zu
ihren Gunſten von der Kirchenſtiftung eingegangene
Verpflichtung ſich auf ein Privatrecht, das Eigentum
der Kirchenſtiftung, beziehe. Die Aab der die
Kirchenſtiftung und die Kirchengemeinde vertretenden
Organe geben genügend zu erkennen, daß dieſe Körper⸗
ſchaften dabei nicht als Privatrechtsſubjekte gehandelt
und Verbindlichkeiten übernommen haben, ſondern als
die berufenen Hüter von Einrichtungen und Anſtalten,
die kirchlichen Zwecken und Bedürfniſſen dienen
(KompX8H. Erk. vom 19. April 1884, Samml. S. 83).
Die Kläger haben ſich zwar dagegen verwahrt einen
Anſpruch des öffentlichen Rechts zu verfolgen und
ausdrücklich einen privatrechtlichen Anſpruch behauptet.
Allein nicht die rechtliche Auffaſſung des Klägers, nicht
die Bezeichnung des Anſpruchs in der Klage iſt für
die Zuläſſigkeit des Rechtswegs entſcheidend, ſondern
allein die Natur des erhobenen Anſpruchs (RG. in
JW. 1909 S. 690 Nr. 20). (Erk. vom 30. März 1914,
Reg. f. KK. Nr. 73). E.
3310
Büreranzeigen.
Oberhänſer, Ang., Prokuriſt der Weingroßhandlung
Eckel & Cie., München, Weingeſetz vom 7. April
1909 mit den geſamten Materialien und den Aus»
führungsbeſtimmungen des Bundesrates. Mit einem
Anhang, enthaltend 1. Die Materialien zur Reblaus⸗
geſetzgebung und über die Bekämpfung der Reb⸗
ſchädlinge, 2. Bibliographie über das Werden und
Weſen des Weines und die Weingeſetzgebung. 92 S.
München 1914, Guſtav Lammers. Kart. Mk. 1.50.
Das Büchlein enthält den Text des Weingeſetzes
und der Bundesratsbekanntmachung vom 9. Juli 1909
(ohne die Anlagen), en. auf die Reichstags⸗
verhandlungen uſw. und einige hundert Titel von
Kommentaren und einſchlägigen Abhandlungen, teils
nach Stoffen, teils nach Jahrgängen, teils alphabetiſch
geordnet. Das Werkchen iſt eine fleißige Zuſammen⸗
ſtellung. Es enthält keine Erläuterungen, auch nicht
etwa die Materialien ſelbſt, ſondern nur Angaben,
wo dieſe zu finden ſind, worauf ausdrücklich hingewieſen
ſei, da dies aus dem Titel nicht deutlich erſichtlich iſt.
München. Landgerichtsrat Zoeller.
Krech, Dr. Johannes, Kaiſ. Geh. Regierungsrat, Grund—
buchordnung vom 24. März 1897. 4. Aufl. VIII,
158 S. München 1914 (C. H. Beck'ſche Verlagsbuch⸗
handlung Oskar Beck). Gebd. Mk. 1.50.
Die neue von Landrichter Fritz Krech in Naum—
216
—
— m
burg a. S., dem Sohne des bisherigen Herausgebers,
bearbeitete Auflage weiſt die alten ze auf und
bedarf an fi} keiner Empfehlung mehr. Sie iſt nach
dem neueſten Stande der Reichs⸗ und Landesgeſetz⸗
gebung und der Rechtſprechung ergänzt und um 25 Seiten
ſtärker geworden. In der den Erläuterungen voraus⸗
. Zuſammenſtellung der in ſämtlichen deutſchen
undesſtaaten zu der Grundbuchordnung erlaſſenen
Verfügungen der Landesjuſtizverwaltungen hätten bei
Bayern auch die Bek. vom 2. November und 30. De⸗
ember 1910 (JMBl. 1910 S. 983, 1911 S. 40) und
ie Bek. vom 16. November 1911 (JMBl. S. 345),
bei Württemberg die Verfügung vom 2. Januar 1913
(JMBl. S. 1) Aufnahme finden follen; die letzte Ver⸗
fügung hätte auch bei 83 GBO. erwähnt werden ſollen.
München. Minifterlalrat H. Schmitt.
Ueberreiter, Dr. fie: Franz Jsſeph, Die rechtlichen
Berhältniſſeder Ortsſtraßen, beſonders
in Bayern. 2. rag erlag Gebrüder Mem⸗
minger, G. m. b. H. in
Es handelt ſich um die Diſſertationsſchriſt des
jetzigen Bürgermeiſters von Weilheim und Landtags»
abgeordneten Dr. Ueberreiter, die in zweiter Auflage er⸗
ſcheint. Das Büchlein bietet eine gute Ueberſicht der
Literatur über das Straßenrecht der größeren deutſchen
Bundesſtaaten. Das eigentliche Thema nimmt aber
einen verhältnismäßig kleinen Raum ein und iſt nicht
tief und erſchöpfend genug behandelt. Beſonders zu
bedauern iſt es, daß die zweite Auflage ein unveränderter
Neudruck der vor etwa 7 Jahren erſchienenen erſten
ne ift und daß fie nicht nach dem jetzigen Stand
der Geſetzgebung, Literatur und Rechtſprechung um⸗
gearbeitet wurde. Der Praktiker vermißt insbeſondere
die Berückſichtigung der Novelle zur Bauordnung vom
3. Auguſt 1910 und eine nähere Behandlung der Recht⸗
ſprechung des VGH. über die Ba e
und über die Bereitſtellung der Diſtrikts⸗ und Gemeinde⸗
wege für den ſtaatlichen Automobilverkehr. Immer⸗
in bietet die Schrift gerade in Bayern, wo die geſetz⸗
iche Regelung des Straßenweſens immer dringender
wird, für den Verwaltungsbeamten und Politiker eine
ülle von Anregungen und eine reiche Fundgrube von
wiſſenſchaftlichem und geſetzgeberiſchem Material. W.
Doerr, Dr. Friedrich, Deutſches Kolonialſtraf⸗
prozeßrecht. VII, 185 S. Leipzig 1913 (C. L.
Hirſchfeld).
Eine klar und überſichtlich geſchriebene ſyſtematiſche
Darſtellung, die wegen des Vergleichs mit den Prozeß⸗
vorſchriften des Mutterlandes auch für den von Wert
iſt, der ſich mit den kolonialrechtlichen Vorſchriften
nicht amtlich zu befaſſen hat. — f —
Eichelsbacher, Dr. iur. et rer. pol., Franz, Der
wang zu religiöſer Betätigung in
amilie und Schule. 2. Auflage. Verlag Ge⸗
ns Memminger, G. m. b. H. in Würzburg. Preis
Der Verfaſſer behandelt die Frage der religiöſen
Kindererziehung nach bayeriſchem Staatsrecht in an»
genehmer und anregender Form. Er ſucht den Nach—
weis zu führen, daß die einſchlägigen geſetzlichen Be—
ſtimmungen nur die äußerliche Zugehörigkeit zu einer
Konfeſſion regeln wollen, daß man daraus aber keinen
Zwang zu irgendwelcher religiöſer Betätigung ab—
leiten könne und dürfe. Er ſtellt als Hauptgrundſatz
die verfaſſungsmäßig gewährleiſtete Gewiſſensfrei—
heit in den Vordergrund und lehnt daraus jeden
ürzburg. Preis Mk. 2.—.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 10.
ſtaatlichen Zwang auf religiöfe Betätigung ab, ſoweit
nicht eine beſondere Verfaſſungsbeſtimmung ſelbſt den
Grundſatz der Gewiſſensfreiheit durchbricht. In dem
jetzigen Streite um den freireligiöſen Unterricht iſt die
Schrift von großem Intereſſe. Wenn man auch den
Gedankengängen nicht überall folgen will, ſo iſt doch
die gewandt und ohne Beziehung zu dem Tagesſtreit
gehaltene Schrift ungemein anregend und geeignet,
über die geſetzlichen und oberſtrichterlichen Grundlagen
der herrſchenden Praxis aufzuklären. W.
Kleinfeller, Georg, o. 5. Profeſſor der Rechte an der
Univerſität Kiel. Lehrbuch des Deutſchen Kon⸗
kurs rechts. Für das akademiſche Studium. 226 S.
Berlin 1912, Franz Vahlen. Mk. 4.50, geb. Mk. 5.40.
Als ein Leitfaden des deutſchen Konkursrechts
kann die Schrift empfohlen werden; den Anforderungen
an ein Lehrbuch würde ſie nicht genügen. Ein Behr:
buch iſt Hellmanns Werk m: freilich wird es
von den Studierenden ebenſo ſelten durchgearbeitet
werden wie Hellwigs Lehrbuch für das Zivilprozeß⸗
recht. Mit Bedacht bietet Kleinfeller nur eine Ueber⸗
ſicht über den ſehr ausgedehnten Stoff und ſeine
zerſtreuten Quellen, ſowie eine Einführung in die
Grundfragen des Konkursrechts. Dazu war er durch
eine bisherige Arbeit als Kommentator der KO. be⸗
onders berufen. Auf den Inhalt einzu 1 fehlt
er Raum. Es genüge die Bemerkung. daß Kleinfeller
im Konkursverwalter den geſetzlichen Vertreter des
Gemeinſchuldners ſieht (S. 24 f.). Die Begründung iſt
aber nicht überzeugend. Kleinfeller verkennt die Schwierig⸗
keit nicht, die ſich für ſeine Anfchauung ergibt, wenn
der Gemeinſchuldner mit dem Konkursverwalter darüber
ſtreitet, ob ein Gegenſtand zur Maſſe oder zum konkurs⸗
freien Vermögen gehört. Die Löſung findet auch er
nur darin, daß „hier der Konkursverwalter dem Ge⸗
meinſchuldner als Partei kraft eigenen Rechts gegen⸗
über“ ſteht!
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Das Geſetz Über die Folgen der Verhind
wechſel⸗ und Er Handlungen im Ans lan
vom 13. April 1914 wird im RGBl. Nr. 21 auf S. 107
veröffentlicht. Es wurde veranlaßt durch die geſetz⸗
lichen „Moratorien“, die 1912 in den Balkanſtaaten
wegen der Kriegsereigniſſe erlaſſen wurden. Man
wurde dadurch auf die Gefahr aufmerkſam, daß die
Rückgriffsrechte des Gläubigers gegen die Vorindoſſanten
und gegen den Ausſteller verloren gehen können, wenn
infolge eines Moratoriums in einem ausländiſchen
Staate ein Wechſel oder Scheck nicht rechtzeitig vor⸗
gelegt oder proteſtiert werden kann. 0 Pa
kann nach dem Geſetze vom 13. April 1914 künftig
durch Kaiſerliche mit Zuſtimmung des Bundesrats zu
erlaſſende Verordnungen vorgebeugt werden. Die Ver⸗
ordnung kann geſtatten, daß die verſäumte wechſel⸗
oder ſcheckrechtliche Handlung unverzüglich nach Wegfall
des Hinderniſſes nachgeholt wird, (alſo die Friſt für
die Vornahme der Handlung verlängern); ſie kann
aber auch beſtimmen, daß nach einer gewiſſen Friſt
Rückgriff genommen werden darf, ohne daß die Hand⸗
lung vorgenommen zu werden braucht.
3341
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ar. 11.
Zeitſchrift für Arth
in Bayern
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Regierungsrat im K. Baner.
Staats miniſterium der Juſtiz.
Ur. 111. Wiaünchen, Di den 1. 1. Juni 1914. 1914.
10. I“. Jahrg.
tspflege
Berlag von
J. Schweitzer Verlag
(Arthur Zellier)
Münden, Berlin u. Leipzig.
[(Seufferts Slätter für Rechtsanwendung 8d. 79.)
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich
Mk. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
jede Poſtanſtalt.
Nachdruck verboten.
Etraferlaß und Etrafmilderung
im Dienſtſtrafverfahren des bayeriſchen
Veamtengeſetzes.
Von Miniſterialrat Dr. Max Reindl in München.
Unter dieſer Ueberſchrift hat Oberpoſtinſpektor
Korzendorfer in Nr. 10 dieſes Jahrgangs (S. 201)
Darlegungen veröffentlicht, die mir in vielen Punkten
nicht zutreffend, in manchen auch recht bedenklich er⸗
ſcheinen. Die praktiſche Bedeutung der Frage mag
es rechtfertigen, auf die Ausführungen Korzen⸗
dorfers näher einzugehen.
1. Korzendorfer meint, in dem Beamtengeſetze
ſei, abgeſehen von der Vorſchrift in Art. 110 Abſ. 3,
nirgends eine Beſtimmung dahin euthalten, daß
eine rechtskräftige Dienſtſtrafe gemildert oder er⸗
laſſen werden könne. Aus dem Fehlen einer ſolchen
Beſtimmung dürfe man aber nicht den Schluß
ziehen, daß alle rechtskräftigen Dienſtſtrafen auch
vollzogen werden müßten und für einen Gnaden⸗
akt des Königs kein Raum wäre. Bis hierher
ſtimme ich ihm zu. Wenn er aber dann weiter
die Anficht vertritt, dieſes Recht des Königs, die |
„Disziplinargerichtsſtrafen“ — richtiger Dienſt⸗
ftrafen überhaupt — zu mildern oder aufzuheben, |
ſei kein Teil des ihm ſonſt zuſtehenden Begnadi⸗
gungsrechts, ſondern ſei begründet in der „dem
Staatsoberhaupt zuſtehenden Dienſtgewalt“, ſo kann
ich ihm hierin nicht folgen. Die Begründung dieſes
Satzes hat er ſich erlaſſen und ſie kann auch nicht
durch feine, lediglich eine petitio principii ent⸗
haltende Behauptung erſetzt werden, daß an diefem |
Recht durch das BGG. nichts geändert worden jei, |
weil ſeine Aufgabe im Geſetze nicht ausdrücklich
ausgeſprochen worden ſei. Ich geſtehe, daß mir
für dieſe Lehre von dem Inhalt der „Dienſt⸗
gewalt“ das rechte Verſtändnis fehlt.
Die Dienſtgewalt iſt die durch den Abſchluß
des öffentlichrechtlichen Dienſtvertrages für den
1
den
walt.
—
L“ ung und Geſchäftsſtelle: München. Ottoſtraße 12
bübr 30 Pig. für die balbgeſpaltene Petitzeile
8 . Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗
% anzeigen 20 Pfa. Beilagen nach Uebereinkunft.
217
Dienſtherrn. d. h. den Staat, vertreten durch
»ig. über den Staatsdiener begründete Ge⸗
Dieſe Dienſtgewalt reicht nicht weiter, als
ſie ſich aus der Natur des Dienſtvertrages und
aus den geſetzlichen Beſtimmungen ergibt. Ein
Ausflu; dieſer Dienſtgewalt iſt die Dienſtſtraf⸗
gewalt. Aber auch eine ſolche hat der König
gegenüber dem Beamten nur, ſoweit als fie durch
das Geſetz nicht beſchränkt und beſonderen Ge⸗
richten übertragen iſt. Er kann daher die von den
Gerichten kraft ihrer geſetzlichen Befugniſſe ver⸗
hängten Dienſtſtrafen auch nur ſoweit ändern oder
aufheben, als ihm dies durch Geſetz ausdrücklich
eingeräumt iſt. Denn an das Geſetz iſt auch der
1 gebunden und der verfaſſungsmäßig be⸗
ſchränkte Herrſcher hat ein Gnadenrecht nur da,
wo, und in den Grenzen, in welchen es ihm ge⸗
ſetzlich beigelegt iſt (ogl. Seydel 2. Aufl. Bd. II
S. 589 Anm. 8). In keiner geſetzlichen Vorſchrift
iſt aber ein derartiger Inhalt der Dienſtgewalt
feſtgeſetzt. Der König kann alſo nicht „kraft ſeiner
Dienſtgewalt“ die von den Disziplinargerichten ver⸗
hängten Dienſtſtrafen einfach erlaſſen oder in eine
mildere Strafe umwandeln.“) Damit wäre die durch
die Einrichtung der Disziplinargerichte erfolgte ge⸗
ſetzliche Beſchränkung der Dienſtgewalt des Königs
wieder illuſoriſch gemacht. Im übrigen tritt mit
den Disziplinarurteils der Verluſt des Amtes und
aller aus dem Beamtendienſtverhältniſſe ſich er⸗
gebenden Rechte von ſelbſt kraft Geſetzes
ein (vgl. meinen Kommentar S. 520, 521, 683,
1) Der König kann nicht einmal nach Erlaſſung
des Verweiſungsbeſchluſſes „kraft feiner
Dienſtgewalt“ die Zurücknahme des Antrags auf Ein⸗
leitung des Disziplinarverfahrens verfügen, wenn der
nun nicht ausdrücklich zuſtimmt (Art. 151 Abſ. 2
BG.) . Dies ſcheint Korzendorfer zu überſehen, wenn
er ausführt, daß die Behörde bis zur Erlaſſung des
Urteils der Disziplinarkammer den Antrag zurück-
nehmen kann.
218
684), jo daß mit dieſem Augenblicke auch die Dienſt⸗
gewalt über den Beamten von ſelbſt ihr Ende
erreicht hat. Es kann daher in dieſem Falle auch
kein Recht auf Erlaß oder Milderung der Strafe
aus der gar nicht mehr beſtehenden Dienſtgewalt
abgeleitet werden. N
Würde ſich das Recht, Dienſtſtrafen im Wege
der Gnade zu erlaſſen oder zu mildern, ſchon
aus der Dienſtgewalt des Herrſchers über den
Beamten ergeben, ſo waͤre auch nicht verſtändlich,
warum dieſes Recht in 8 118 des Reichsbeamten⸗
geſetzes dem Kaiſer, der doch die gleiche Dienſt⸗
gewalt über die Reichsbeamten hat wie der König
über die Staatsbeamten, noch ausdrücklich ein⸗
geräumt wurde.
Kann ſomit das Recht des Königs, gegenüber
Dienſtſtrafen Gnade zu üben, nicht ſchon aus ſeiner
„Dienſtgewalt“ abgeleitet werden, jo muß man
einen anderen Rechtsgrund hiefür ſuchen. Und
dieſer Rechtsgrund kann nur in Tit. VIII 8 4
VerfUrk. gefunden werden. Hiernach kann der
König „in ſtrafrechtlichen Sachen Gnade er⸗
teilen, die Strafe mildern oder erlaſſen“. Dieſe
Anſchauung wird von mir (Kommentar S. 581
(Bayer. Staatsrecht Bd. 1 S. 808 und Anm. 108
daſelbſt) vertreten.
ein, ſie widerſpreche der auch von mir vertretenen
Lehre, daß Dienſtſtrafrecht und allgemeines Straf⸗
recht nichts miteinander zu tun hätten, und ſie
könne auch nicht, wie ich getan habe, mit dem
Hinweis auf den Umſtand begründet werden, daß
das Miniſter⸗Verantwortlichkeitsgeſetz die Begnadi⸗
gung ausſchließe; denn zur Zeit der Erlaſſung
dieſes Geſetzes im Jahre 1848 ſei das Disziplinar⸗
recht vom Kriminalrecht „noch nicht ſo ſcharf“
getrennt geweſen wie heute und es ſei zudem „ſehr
wahrſcheinlich“, daß der Geſetzgeber des Jahres 1848
das Miniſter⸗Verantwortlichkeitsgeſetz für ein Ge⸗
ſetz „ſtrafrechtlicher Natur“ gehalten und deshalb
mit dem Begriffe der Begnadigung „gearbeitet“ habe.
Was Korzendorfer hier einwendet, iſt zunächſt
nicht richtig; wäre es aber richtig, ſo würde es
gerade das Gegenteil von dem beweiſen, was er
damit dartun will.
Schon das Staatsdieneredikt der IX. VerfBeil.
weiß wohl zu unterſcheiden zwiſchen „Disziplinar⸗
ſtrafen“ und den „wegen eines gemeinen Verbre—
chens erkannten Kriminalſtrafen“ (§ 9 der IX. Verf:
Beil.) und Art. XIII Ziff. 1 des Miniſter⸗Ver⸗
antwortlichkeitsgeſetzes ſagt ausdrücklich, daß durch
das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof, in dem
die in Art. IN bezeichneten Strafen der Dienſt—
entlaſſung und der Dienſtentſetzung ausgeſprochen
werden können, die „zuſtaͤndige Wirkſamkeit der
ordentlichen Gerichte bezüglich der etwa konkur—
rierenden gemeinen oder Amtsverbrechen oder Ver—
gehen“ nicht ausgeſchloſſen werde. In beiden Ge—
ſetzen iſt alſo zwiſchen Disziplinarrecht und all—
gemeinem Strafrecht ſchon „ſcharf“ unterſchieden,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
und woher Korzendorfer ſeine Wiſſenſchaft darüber
ſchöpft, daß der Geſetzgeber des Jahres 1848 das
Miniſter⸗Verantwortlichkeitsgeſetz „ſehr wahrſchein⸗
lich“ für ein Geſetz „ſtrafrechtlicher Natur“ ge⸗
halten habe, weiß ich nicht; jedenfalls hat er für
eine ſolche „Wahrſcheinlichkeit“ nicht den mindeſten
Beweis erbracht.
Hat aber das Miniſter⸗Verantwortlichkeitsgeſetz
die in Art. IX bezeichneten Dienſtſtrafen ausdrück⸗
lich von den wegen der gleichen Handlung etwa
verwirkten kriminellen Strafen unterſchieden und
hat es weiter wegen dieſer in Art. IX vor⸗
geſehenen Dienſtſtrafen das Recht des
Königs zur Begnadigung ausdrücklich ausgeſchloſſen,
ſo muß es der Anſicht geweſen ſein, daß dem König
das Recht der Begnadigung an ſich auch hinſicht⸗
lich der Dienſtſtrafen zuſtehe, daß alſo in Tit. VIII
8 4 VerfUrk. unter „ſtrafrechtlichen Sachen“ nicht
bloß kriminelle, ſondern auch Dienſtſtrafſachen zu
verſtehen ſeien. Dieſer Schluß iſt m. E. ſo zwingend,
daß man darüber nicht hinwegkommen kann. Nicht
darauf aber, ob Dienſtſtrafrecht und allgemeines
Strafrecht voneinander verſchiedene Gebiete find,
und auch nicht darauf, ob heute mehr oder minder
Anm. 3 und 4, S. 684 Bem. 4) und von Piloty ſcharf als früher zwiſchen dieſen beiden Gebieten
j
|
|
|
t
|
unterſchieden wird, ſondern darauf, was Tit. VIII
Korzendorfer wendet dagegen $ 4 Berflirk. unter „ſtrafrechtlichen Sachen“ ver:
ſtanden wiſſen will, kommt es allein an; und in
dieſer Dinfiht kann m. E. kein Zweifel beſtehen.
Im übrigen ſpricht für die Anſicht, daß nach dem
Sprachgebrauch des Tit. VIII 8 4 Verflürk. der
Ausdruck „ſtrafrechtliche Sachen“ auch die dienſt⸗
ſtrafrechtlichen Sachen umfaſſe, auch noch die
Ausdrucksweiſe in Tit. VII § 26 VerfUlrk. in der
Faſſung des Geſetzes vom 6. Juli 1908 (GVBl.
S. 352), alſo eines Geſetzes aus einer Zeit, wo
man gewiß ſchon „ſo ſcharf wie heute“ zwiſchen
Disziplinarrecht und allgemeinem Strafrecht unter⸗
ſchieden hat. Nach dieſem Geſetze darf wahrend
der Verſammlung des Landtags ohne Einwilligung
der betreffenden Kammer gegen ein Mitglied des
Landtags eine „Strafverfolgung“ weder eingeleitet
noch fortgeſetzt werden. Daß hier unter „Straf⸗
verfolgung“ auch die Verfolgung im Dienſtſtraf⸗
verfahren zu verſtehen ſei, iſt in der Begrün⸗
dung des Geſetzentwurfes und in den Verhand⸗
lungen der geſetzgebenden Körperſchaften hierüber
ausdrücklich ſeſtgeſtellt (f. Verh. AbgK. 1908 Beil.;
Bd. III S. 279 und Sten B. Bd. V S. 81. Verh.
der Reichs RK. 1908 Sten B. Bd. 1 S. 463, 464
und meinen Kommentar S. 582 Bem. 7) und
auch in der Praxis der Disziplinargerichte bereits
anerkannt worden.
Selbſt wenn es aber richtig iſt, was Korzen⸗
dorfer behauptet, daß nämlich zur Zeit der Er⸗
laſſung der Verfaſſungs-Urkunde und des Muiſter⸗
Verantwortlichkeitsgeſetzes zwiſchen Dienſtſtrafrecht
und allgemeinem Strafrecht noch nicht ſo ſcharf
unterſchieden wurde und demnach die Dienſtſtraf⸗
ſachen noch als eine Art krimineller Strafen an—
geſehen wurden, jo würde daraus doch logiſcher⸗
weiſe zu folgern ſein, daß eben auch Tit. VIII
84 Verfllrk. unter „ſtrafrechtlichen Sachen“ auch
die „dienſtſtrafrechtlichen Sachen“ mitverſtanden
wiſſen wollte. Die Beweisführung Korzendorfers
ſpricht demnach gerade gegen und nicht für ſeine
Auffaſſung.
Hiernach kann alſo der König kraft des ihm
in Tit. VIII 8 4 Verflurk. eingeräumten Begnadi⸗
gungsrechts jede Dienſtſtrafe erlaſſen oder mildern,
demnach eine Geldſtrafe“) ganz oder teilweiſe er⸗
laſſen, eine Strafverſetzung erlaſſen oder auf eine
mildere Strafe — auf Geldſtrafe oder bei Degra⸗
dierung auf einfache Strafverſetzung — zurück⸗
führen, endlich die Strafe der Dienſtentlaſſung
erlaſſen oder in Strafverfegung (in ihren beiden
Formen) oder in Geldſtrafe umwandeln. Dagegen
iſt das Begnadigungsrecht bei Dienſtentlaſſung in⸗
ſoferne eingeſchränkt, als durch Art. 110 Abſ. 3
BG. eine bloße Milderung der Wirkungen
der Entlaſſung in bezug auf Ruhegehalt und Hinter⸗
bliebenenverſorgung nur in den im Geſetze ausdrück⸗
lich zugelaſſenen Fällen und in dem vom Geſetze
ausdrücklich zugelaſſenem Maße ſtattfinden darf (s.
meinen Kommentar S. 528, Piloty Bd. I S. 808,
809 und Anm. 109 daſelbſt). Daß dieſe Beſchrän⸗
kung eine Einſchränkung des Begnadigungsrechts und
nicht, wie Korzendorfer meint, eine Beſchränkung
der dem König zuſtehenden Dienſtgewalt iſt, er⸗
2157 aus den vorſtehenden Ausführungen von
elbſt.“) f
2. Neben dem Rechte des Königs. Dienſtſtrafen
zu erlaſſen oder zu mildern, nimmt Korzendorfer
auch noch für die Verwaltungsbehörden die Be⸗
fugnis in Anſpruch, „die Wirkungen der Dienſt⸗
ſtrafen durch ihre Maßnahmen wieder aufzuheben“.
Zwar müßten, ſo meint er, die Verwaltungsbe⸗
hörden die Urteile der Disziplinargerichte voll⸗
ziehen.) Da aber die Urteile keinerlei Zeitbe⸗
ſtimmung darüber enthielten, wie lange ihre Folgen
beſtehen ſollen, ſo könnten die Behörden den Be⸗
ſtraften wieder befördern, ihn wieder auf ſeine
frühere Amtsſtelle zurückverſetzen, einen Entlaſſenen
wieder aufnehmen. Dieſe Verfügungen ſeien keine
) Beim Verweis verbietet ſich die Möglichkeit der
Begnadigung nach der Natur der Strafe wenigſtens
für die Fälle, in denen der Verweis ſchon vollſtreckt
iſt (Piloty Bd. I S. 808).
) Denn einmal hat der König über den im Zeit⸗
punkte der Rechtskraft des Disziplinarurteils aus dem
Beamtenverhältniſſe bereits ausgeſchiedenen Beamten
überhaupt keine Dienſtgewalt mehr, ſodann aber kann
der König nicht kraft feiner Dienſtgewalt Pen⸗
ſionen oder Unterhaltsbeiträge an Beamte oder ehe⸗
malige Beamte gewähren, wo das Geſetz den Anſpruch
ſchl er oder Unterhaltsbeitrag ausdrücklich aus»
ießt.
) Das iſt inſoferne nicht ganz zutreffend, als im
Falle der Strafentlaſſung die Wirkung der Entlaſſung
mit der Rechtskraft des Urteils von ſelbſt eintritt, ohne
daß es eines Vollzugs durch die Verwaltungsbehörde
bedürfte (ſ. meinen Komm. S. 520, 521, 683, 684).
| Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
219
Gnadenverfügungen der Verwaltungsbehörden, ſie
dürften deshalb vorgenommen werden, weil ſie durch
das Geſetz nicht ausdrücklich verboten ſeien und
weil durch den Vollzug der Strafe die Strafmacht
für den einzelnen Fall aufgebraucht ſei und die
Verwaltungsbehörde dem Beamten gegenüber wieder
ihre uneingeſchränkte Verfügungsgewalt erhalte.
Freilich würden — fo fügt er einſchraͤnkend hinzu —
die Behörden aus Gründen der Dienſtzucht ſolche
Verfügungen „nicht alsbald“ nach Erlaſſung der
Urteile treffen; ſeien dieſe Urteile doch auf ihren
Antrag hin erlaſſen worden.
An dieſen Ausführungen iſt manches Wahre,
aber auch viel Irrtümliches; ihre Schwäche liegt
darin, daß ſie das Weſen und die Wirkung der
einzelnen Disziplinarſtrafen nicht genügend aus⸗
einanderhalten und daß ſie endlich die Ausübung
des den Verwaltungsbehörden zuſtehenden Rechts
der Ernennung, Verſetzung und Beförderung der
Beamten mit dem Rechte der Strafmilderung oder
Strafaufhebung in einen unzuläſſigen Zuſammen⸗
hang bringen.
Unrichtig iſt zunächſt ſchon der allgemeine Satz,
daß „die Wirkungen der Dienſtſtrafen (richtiger
Disziplinarſtrafen) durch Maßnahmen der Ver⸗
waltung wieder aufgehoben werden können“.
Selbſt wenn nämlich beiſpielsweiſe ein durch Dis⸗
ziplinarurteil entlaſſener Beamter von der Ver⸗
waltungsbehörde nach Eintritt der Rechtskraft des
Urteils ohne weiteres ſofort wieder angeſtellt würde,
ſo wären damit doch noch nicht die Wirkungen
der Strafe aufgehoben. Denn dieſe Anſtellung
kann nur eine Neuanſtellung ſein und es kann dabei
dem wieder Angeſtellten die frühere Dienſtzeit weder
für die Bemeſſung des Gehalts noch für die Be⸗
rechnung der penſionsfähigen Dienſtzeit oder der
Zeit der Widerruflichkeit angerechnet werden (.
meinen Kommentar S. 522); es werden nur neue
Rechte erworben, die in dem Verluſte aller bis⸗
herigen Rechte liegende Wirkung der Strafe kann
aber durch dieſe Maßnahme der Verwaltungsbe⸗
hörde nicht mehr aufgehoben oder befeitigt werden.
Oder wenn ferner ein zur Strafe auf ein anderes
Amt von gleichem Rang und Gehalt oder von
niedrigerem Rang und Gehalt verſetzter Beamter
nach Vollzug der Strafe wieder auf ſeine frühere
Amtsſtelle zurückverſetzt oder befördert würde, ſo
wäre damit die Wirkung der Disziplinarſtrafe,
nämlich die Tatſache der erfolgten Strafverſetzung
oder Degradierung und ihr Einfluß bei etwaigem
ſpäteren Dienſtvergehen ſowie der Verluſt des An⸗
ſpruchs auf Umzugsgebühren und bei Degradierung
die Minderung des Gehalts bis zur Zeit der Wirk⸗
ſamkeit der Beförderung in die frühere Amtsftelle,
noch nicht aufgehoben.
Nicht ganz zutreffend iſt ferner auch der Satz
Korzendorfers, daß mit dem Augenblicke des Voll⸗
zugs der Strafe die Verwaltungsbehörde „dem
Beamten gegenüber wieder ihre uneingeſchränkte
Verfügungsgewalt erhalte“. Beſteht ſchon eine
220 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
uneingeſchraͤnkte Verfügungsgewalt der Verwal: ohne daß dadurch gegen eine geſe A Vor⸗
tungsbehörde gegenüber dem Beamten überhaupt ſchrift verſtoßen würde. Aber die Verwaltungs⸗
nicht, ſo kann hievon vollends dann keine Rede behörde würde gegen die von ihr für die Aus⸗
ſein, wenn der Beamte infolge des Urteils zur übung ihres Verſetzungs⸗ und Beförderungsrechts
Strafe entlaſſen worden iſt, weil mit dem Ein⸗ zu beobachtenden Verwaltungsanordnungen und
tritte der Entlaſſung jede Gewalt gegenüber dem Verwaltungsgrundſätze handeln, wenn fie eine
Entlaſſenen von ſelbſt erloſchen iſt und daher auch ſolche Verſetzung oder Beförderung lediglich
nicht wieder voll in Wirkſamkeit treten kann. deshalb vornehmen würde, um dadurch die
Unrichtig erſcheint endlich die Meinung, daß Wirkungen der durch das Disziplinarurteil aus⸗
der Verwaltungsbehörde Verfügungen der vor⸗ geſprochenen Strafe möglichſt abzuſchwächen und
liegenden Art?) ſchon deshalb erlaubt ſeien, weil zu paralyſieren. Das Ermeſſen der Verwaltungs⸗
ſie im Geſetze nicht ausdrücklich verboten ſeien. behörden bei Ausübung ihres Anſtellungs⸗, Ver⸗
Denn nicht alles, was im Geſetze nicht ausdrücklich ſetzungs⸗ und Beförderungsrechts iſt kein völlig
verboten iſt, iſt damit der Verwaltungsbehörde freies; andere Rückſichten als dienſtliche dürfen
auch ſchon erlaubt. Zwar kann eine Verfügung weder für die Ausübung noch für die Nichtaus⸗
der Verwaltungsbehörde, weil im Geſetze nicht ver⸗ übung dieſes Rechtes beſtimmend ſein, namentlich
boten, nach außen rechtswirkſam fein, aber fie ift | alfo nicht die Abſicht, durch die Ausübung des
damit der Behörde nicht auch ſchon geſtattet. Das Verſetzungs⸗ oder Beförderungsrechts dem Be⸗
Nähere hierüber wird im nachſtehenden noch zu ſtraften Wohltaten oder Gnaden zu erweiſen und
erörtern ſein. | dadurch die durch die zuftändigen Disziplinar⸗
Um zu einer richtigen Beurteilung der Sache gerichte verhängten Disziplinarſtrafen in ihren
zu kommen, wird man m. E. die Falle der Straf: Wirkungen möglichſt abzuſchwächen. Ein ſolcher
verſetzung und der Strafentlaſſung auseinander: Gebrauch von dem ihr zuſtehenden Anſtellungs⸗
halten müſſen. und Beförderungsrecht würde die Verwaltungs⸗
Was zunächſt die Strafverſetzung anlangt, behörde dienſtlich verantwortlich machen wie jede
ſo beſteht fie in der Entfernung aus dem bis- andere ſchuldhafte Verletzung der Dienſtpflicht.
herigen Amt durch Verſetzung auf ein anderes Aufheben könnte übrigens die Verwaltungs⸗
Amt von gleichem Rang und Gehalt oder auf behörde auch durch eine noch ſo raſch nach dem
ein anderes Amt mit geringerem Rang und Gehalt. Strafvollzug erfolgende Verſetzung oder Beför⸗
Mit dem Vollzuge dieſer Verſetzung iſt dem Urteile derung die Wirkungen der Strafe nicht, wie bereits
Genüge getan. An der Beamteneigenſchaft dargelegt wurde.
des Verſetzten und an ſeinen ſonſtigen Beamten: Anders wird ſich die Sache geſtalten bei ſtraf⸗
rechten ändert ſich nichts. Der zur Strafe verſetzte weiſer Entlaſſung des Beamten. Nach Art. 110
Beamte iſt auf ſeiner neuen Amtsſtelle, mag dieſe Abſ. 1 BG. hat die Dienſtentlaſſung den Verluſt
nun von gleichem Rang und Gehalt oder von des Titels und der Dienſtabzeichen ſowie des An-
geringerem Rang und Gehalt ſein, für die Folge ſpruchs auf Dienſteinkommen, Ruhegehalt und
wie jeder andere Inhaber dieſes Amtes zu be- Hinterbliebenenverſorgung von Rechts wegen zur
handeln. Er rückt deshalb auch in ſeiner neuen Folge. Sie tritt mit der Rechtskraft des Urteils
Amtsſtelle nach Maßgabe der Vorſchriften des von ſelbſt ein, ohne daß es eines Vollzugs der
Art. 28 Abſ. 2, 3 BG. in höhere Dienſtalters⸗ Entlaſſung durch die Verwaltungsbehörde bedarf
ſtufen vor, er kann auch, wie jeder andere Beamte, (ſ. meinen Kommentar S. 520, 521, 683, 684).
wenn die Vorausſetzungen für eine Be- Ihre Wirkung beſteht darin, daß der Beamte
förderung nach den hierüber beſtehenden nicht bloß, wie bei der Strafverſetzung, fein bis⸗
Verwaltungsgrundſätzen gegeben ſind, heriges Amt verliert, im übrigen aber Beamter
befördert werden und zwar auch dann, wenn er mit allen Rechten bleibt, ſondern daß er aus dem
auf eine Amtsſtelle von niedrigerem Rang und Beamtendienſtverhältnis überhaupt
Gehalt verſetzt worden war. Die Zuläſſigkeit einer ausſcheidet; ſie iſt die Entfernung aus dem Be⸗
ſolchen Beförderung ergibt ſich aus der Fortdauer amtenſtand wegen Unwürdigkeit. Ihre Wirkung
der Beamtenrechte des zur Strafe Verſetzten und iſt alſo nicht erſchöpft mit dem Augenblick ihres
ſie it in Art. 30 Abs. 5 BG. auch ausdrücklich Eintritts, ſondern fie beſteht in der Herbeiführung
anerkannt (( meinen Kommentar S. 197, 201 | eines dauernden Zuſtandes. Zwar verliert, wie
und 517). Nun beſtehen allerdings keine geſetz⸗ Piloty (Bd. I S. 805) zuzugeben iſt, der Ent:
lichen Vorſchriſten darüber, daß die Beförderung laſſene nicht die Fähigkeit, als Beamter wieder
eines zur Strafe verſetzten Beamten erſt nach Ab- angeſtellt zu werden, aber er iſt durch das allein
lauf einer beſtimmten Zeit ſeit dem Vollzug der hiezu zuſtändige Disziplinargericht für unwürdig
Strafe vorgenommen werden dürfe; ſie könnte erklärt worden, weiterhin Beamter zu ſein. Seine
daher auch ſchon unmittelbar darnach erfolgen. Wiederanſtellung iſt, wenn ſie erfolgt, zwar nicht
ia ee ee ie rechtlich ungültig, aber ſie iſt deshalb nicht auch
en 1 1 oder . | ſchon rechtlich zuläſſig. Denn wenn das Geſetz
des Beſtraften. einzig und allein dem Disziplinargericht die Be⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
fugnis einräumt, auszuſprechen, daß der Beamte
nicht mehr würdig iſt, länger ein ſtaatliches Amt
zu verwalten, ſo kann es nicht zugleich einer Ver⸗
waltungsbehörde das Recht einräumen, ſich über
dieſen Ausſpruch, kaum daß er ergangen iſt,
einfach hinwegzuſetzen und den Beamten gleich⸗
wohl für geeignet zu erklären, eine ſtaatliche Be⸗
amtenſtelle wieder einzunehmen. Das wäre ein
innerer Widerſpruch, der mit den Grundſätzen über
die Rechtskraft der Disziplinarurteile und deren
Bindung für die Verwaltungsbehörden nicht ver⸗
einbar wäre. Eine ſolche Verwaltungsmaßnahme
würde daher der Abſicht und dem Zwecke des Ge⸗
ſetzes entgegenhandeln, ſie wäre, auch wenn ſie
nicht rechtlich ungültig iſt, doch eine Abweichung
vom Geſetz, ſie wäre die Gewährung von Gnade
ſtatt Recht, demnach ein reiner Gnadenakt.
Daß auf dieſem Standpunkt auch der Geſetzgeber
des BG. ſteht, geht aus den Motiven zu Art. 57
BG. (ſ. Sonderabdruck S. 145) hervor, wo von
einer im Wege der Gnade erfolgenden Wieder⸗
anſtellung eines im Straf: oder Disziplinar:
verfahren entlaſſenen Beamten die Rede iſt.
Iſt aber die Wiederanſtellung eines im Dis⸗
ziplinarverfahren rechtskräftig entlaſſenen Beamten
ein Gnadenakt, ſo kann ihn nur der König, und
zwar kraft des ihm in Tit. VIII § 4 VerflUlrk.
eingeräumten Rechts üben, nicht aber auch jede
zur Anſtellung von Beamten zuſtändige Verwal⸗
tungsbehörde.
Selbſt wenn man aber annimmt, daß die
Wiederanſtellung des ſtrafweiſe im Disziplinar⸗
verfahren Entlaſſenen kein Gnadenakt iſt, ſo wird
man gleichwohl dieſe Wiederanſtellung nicht in die
Kompetenz der an ſich zur Anſtellung zuſtändigen
Verwaltungsbehörde legen dürfen, ſondern von
ausdrücklicher königlicher Ermächtigung abhängig
machen müſſen. Denn die Anſtellung der Be⸗
amten iſt ausſchließliches Recht des Königs. Die
Behörden ſind hiezu nur ſoweit befugt, als ihnen
dieſe Befugnis ausdrücklich übertragen iſt. Es
iſt aber ausgeſchloſſen, daß die Uebertragung
dieſer Zuſtändigkeit unbeſchränkt iſt in dem
Sinne, daß die Verwaltungsbehörden hiebei nach
völlig freiem Ermeſſen handeln und, wie bereits
oben bemerkt, andere als rein dienſtliche Rück⸗—
ſichten walten laſſen und ſich über den gerichtlich
feſtgeſtellten Tatbeſtand der Unwürdigkeit des Be⸗
werbers einfach hinwegſetzen dürfen. Das wäre
ein Mißbrauch des ihnen übertragenen Anſtellungs⸗
rechts, wofür ſie dienſtlich verantwortlich wären.
Wollen ſie alſo eine Anſtellung vornehmen, zu
der ſie kraft der ihnen übertragenen Anſtellungs
befugnis nicht ermächtigt ſind, ſo müſſen ſie die
ausdrückliche Genehmigung deſſen erholen, von dem
ihr Recht ausgeht, alſo die Ermächtigung des
Königs. Zu welchen Folgen würde es auch
führen, wenn beiſpielsweiſe eine Eiſenbahndirektion
die Befugnis für ſich in Anſpruch nehmen wollte,
einen Beamten der Klaſſe 17 der Gehaltsordnung,
221
der auf ihren eigenen Antrag oder auf den einer
anderen Eiſenbahndirektion durch Disziplinarurteil
aus dem Dienſte entlaſſen wurde, wieder — wenn
auch, gewiſſermaßen anſtandshalber, erſt nach Ab⸗
lauf einer beſtimmten Friſt — in der Klaſſe 17
als Beamten anzuſtellen? Oder wenn gar bei⸗
ſpielsweiſe eine Eiſenbahndirektion fich für berechtigt
halten würde, einen Beamten der Klaſſe 13 der
Gehalts O., der auf Antrag des Miniſteriums durch
Disziplinarurteil aus dem Dienſte entlaſſen wurde,
nach Rechtskraft des Urteils als Beamten der
Klafſe 17 wieder anzuftellen?‘) Da märe der
Willkür Tür und Tor geöffnet und ich glaube
kaum, daß dieſe Eiſenbahndirektion gute Geſchäfte
machen würde, wenn ſie ſich zur Begründung ihres
Vorgehens mit Korzendorfer einfach darauf berufen
würde, daß ſie dieſe Anſtellung habe vornehmen
dürfen, „weil ſie durch das Geſetz nicht ausdrück⸗
lich verboten ſei, weil durch die eingetretene Ent⸗
laſſung die Strafmacht des Dienſtherrn für den
einzelnen Fall aufgebraucht ſei und ſie jetzt wieder
uneingeſchränkte Verfügungsgewalt gegenüber dem
Entlaſſenen gehabt habe“.
3. Korzendorfer berührt weiter noch die Frage,
ob die Verwaltungsbehörden rechtskräftig verhängte
Ordnungsſtrafen erlaſſen können. Er verneint
dieſe Frage, weil den Verwaltungsbehörden die
geſetzliche Ermächtigung fehle, ſolche Strafen
im Wege der Gnade nachzulaſſen. Das iſt richtig,
auch von niemandem je bezweifelt worden, weil
das Recht, in ſtraf⸗ und dienſtſtrafrechtlichen
Sachen Gnade zu erteilen, ausſchließlich dem Könige
ſelbſt zuſteht. Vom Standpunkte Korzendorfers
aus iſt ſeine Entſcheidung aber nicht folgerichtig.
Denn wenn das Recht, Dienſtſtrafen zu mildern
oder zu erlaſſen, wie er annimmt, ein Ausfluß
der Dienſtgewalt des Königs als Dienſtherrn des
Beamten iſt, ſo müßte in der den Behörden
übertragenen Dienſtgewalt über den Beamten
mangels einer beſonderen Einſchraͤnkung auch das
Recht, Ordnungsſtrafen zu erlaſſen, enthalten jein.
Jedenfalls könnte aber dann der König, wie er
auch im übrigen die Ausübung ſeiner Dienſtgewalt
den untergebenen Behörden übertragen kann, auch
die Ausübung der in ſeiner Dienſtgewalt ent⸗
haltenen Befugnis zum Nachlaß von Ordnungs—
ſtrafen an die Behörden übertragen, ohne daß es
hiezu einer beſonderen geſetzlichen Ermächti⸗
gung bedürſte.
4. Korzendorfer hat ſich ſchließlich auch noch
mit der Frage beſchäftigt, ob eine Behörde) eine
Ordnungsſtrafverfügung, die ſich „als gänzlich
unbegründet herausſtellt“, auch nach der Rechts⸗
e) Auch dieſer Fall müßte nach Korzendorfers An—
ſicht und deren Begründung für zuläſſig erachtet werden.
1) Ob er hierunter nur jene Behörde, die die
Ordnungsſtrafverfügung erlaſſen hat oder auch die ihr
vorgeſetzte Behörde im Auge hat, und welche Behörde
hiezu berechtigt ſein ſoll, wenn das Verfahren zwei
Inſtanzen beſchäftigt hat, ſagt er nicht.
222
„22. .
kraft und nach dem Vollzuge wieder aufheben
könne. Er hält die Bejahung der Frage, wie bei
jeder anderen Verfügung einer Verwaltungsbehörde,
für zweifelsfrei, „es müßte denn ſein, daß bei einer
Geldſtrafe die Behörde mit Rückſicht auf die Ein-
zahlung an die hiezu beſtimmte Kaſſe zur Rück⸗
zahlung der Geldſtrafe nicht zuſtändig wäre“.
Schon dieſe Einſchränkung iſt nicht recht ver⸗
ſtändlich. Denn wenn die Behörde, welche eine
Geldſtrafe im Ordnungsſtrafverfahren verhängt
hat, dieſen Strafbeſcheid als gänzlich unbegründet
wieder aufheben kann, ſo muß ſie doch auch die
Befugnis haben, die Rückzahlung der in dieſem
Beſcheide unbegründeterweiſe verhängten Geldftrafe,
gleichviel an welche Kaſſe dieſe Strafe eingezahlt
wurde, zu verſügen. Denn die Kaſſe iſt zur Ver⸗
einnahmung dieſes Betrages nur auf Grund einer
Anweiſung der Behörde, die die Strafe verfügt
hat, berechtigt und daher verpflichtet, den Betrag
wieder zurückzuerſtatten, wenn die Anweiſung zu
Unrecht erfolgt iſt; ſonſt würde ja eine ungerecht⸗
fertigte Bereicherung deſſen vorliegen, dem die
Geldſtrafe zugefloſſen iſt.
Aber abgeſehen hievon ſcheint mir die ganze
Frage überhaupt nicht jo zweifelsfrei zu fein, wie
Korzendorfer meint. M. E. iſt ein im Ordnungs⸗
ſtrafverfahren erlaſſener Strafbeſcheid nicht jeder
anderen Verfügung einer Verwaltungsbehörde gleich⸗
zuſtellen. Das Ordnungsſtrafverfahren unterſcheidet
ſich von dem Disziplinarverfahren nicht hinſichtlich
ſeiner rechtlichen Natur, ſondern nur hinſichtlich
der Strafarten und hinſichtlich des Verfahrens;
es iſt alſo ebenſowenig eine Sache des reinen Ver⸗
waltungsermeſſens wie das Disziplinarverfahren.
Zwar wickelt es ſich nicht in den geſetzlich vor⸗
geſchriebenen ſtrengen prozeſſualen Formen des Dis⸗
ziplinarverfahrens ab, aber doch in einem auf Grund
geſetzlicher Ermächtigung (Art. 117 Abſ. 4 BG.)
von der Staatsregierung durch die Verordnung vom
10. Dezember 1908 (GVBl. S. 1041) und die ge:
meinſame Miniſterial⸗Bekanntmachung vom 22. Of:
tober 1909 (GVBl. S. 737) näher geregelten Ver⸗
fahren. Darnach iſt auch der im Ordnungsſtraf—
verfahren ergangene Strafbeſcheid der Rechtskraft
fähig, die eintritt, wenn der Beſtraſte nicht binnen
2 Wochen nach Eröffnung des Strafbeicheides Be:
ſchwerde eingelegt oder wenn die Beſchwerdeinſtanz
die rechtzeitig eingelegte Beſchwerde verworfen hat.
Warum hier, abweichend vom Disziplinarurteil,
die Rechtskraft des Beſcheides nur die Wirkung
haben ſoll, daß er unabänderlich iſt zuungunſten,
nicht aber auch unabänderlich zugunſten des Be—
ſtraften, iſt nicht einzuſehen. Zum mindeſten
müßten doch die Gründe, aus denen eine rechts—
kräftig gewordene und bereits vollzogene Straf—
verfügung „als gänzlich unbegründet“ wieder auf—
gehoben werden kann, im Geſetze oder in einer
Anordnung der Staatsregierung, ähnlich wie im
Falle der Wiederaufnahme des Verfahrens bei
rechtskräftigen Disziplinarurteilen, näher feſtgelegt
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
|
fein, zudem der Unterſchied zwiſchen „unbegründet“
und „gänzlich unbegründet“ tatſächlich und recht⸗
lich nicht haltbar iſt. Legt man aber die Ent⸗
ſcheidung, ob ein bereits rechtskräftig gewordener
Strafbeſcheid unbegründet war oder nicht, in das
freie Ermeſſen der nachträglich ſich mit dem Stra]:
beſcheide befaſſenden Verwaltungsbehörde, ſo könnte
ſich hieraus ein Zuſtand der Rechtsunſicherheit und
der Rechtsverwirrung ergeben, der gerade auf dieſem
Gebiete ſehr bedenklich wäre. Man denke beiſpiels⸗
weiſe nur an den Fall, daß die mit der Sache be⸗
faßten Beamten der betreffenden Behörde inzwiſchen
gewechſelt haben und daß diejenigen Beamten, welche
ſpäter mit der Angelegenheit zu tun haben, zu einer
entgegengeſetzten Auffaſſung über die Schuld des
Beſtraften gelangen als diejenigen, welche bei der
Erlaſſung des Strafbeſcheides mitgewirkt haben.
Mir ſchwebt dabei ein der Wirklichkeit entnommener
Fall vor: Eine Mittelſtelle hat einen Beamten
wegen Verfehlung gegen beſtimmte Dienſtvorſchriften
mit einer Geldſtrafe belegt. Der Beamte hat die
Einlegung der Beſchwerde unterlaſſen und den
Strafbetrag eingezahlt. Die Strafverfügung wurde
während der Beurlaubung des Vorſtandes der
Stelle von ſeinem Stellvertreter erlaſſen. Einige
Monate darauf kommt die Angelegenheit anläß⸗
lich der Frage der Beförderung des Beamten zur
Kenntnis des Vorſtandes der Stelle, der zu der
Ueberzeugung gelangt, daß dem Beamten eine Ver:
fehlung gegen die Dienſtvorſchriften nicht zur Laſt
gelegt werden könne und der Strafbeſcheid daher
unbegründet war. Soll er jetzt befugt ſein, die
rechtskräftig gewordene und bereits vollzogene Straf⸗
verfügung wieder aufzuheben? Und ſoll er dazu
— was nach der von Korzendorfer für ſeine Mei⸗
nung angeführten Begründung angenommen werden
müßte?) — auch dann befugt ſein, wenn der Be⸗
amte die Einlegung der Beſchwerde nicht unter⸗
laſſen, ſeine eingelegte Beſchwerde vielmehr von
der Beſchwerdeinſtanz verworfen worden wäre?
Ich glaube beides verneinen zu ſollen. Gehen
wir noch weiter. Wenn es wahr iſt, daß ein rechts⸗
kräftig gewordener Ordnungsſtrafbeſcheid von der
Behörde, die ihn erlaſſen hat, wie jede andere
Verfügung wieder aufgehoben werden kann, wenn
er ſich nach ihrer Meinung als unbegründet heraus:
ſtellt, ſo muß es auch wahr ſein, daß jede der
Strafbehörde vorgeſetzte Verwaltungsbehörde den
rechtskräftigen Strafbeſcheid der erſteren wieder als
unbegründet ebenſo aufheben kann, wie jede andere
Verwaltungsverfügung derſelben. Das würde aber
nicht nur dem dem Ordnungsſtrafverfahren zugrunde
liegenden Gedanken, ſondern auch der Anordnung
in 54 Abſ. 2 Satz 2 und 3 der gem. Min Bek.
vom 22. Oktober 1909 widerſprechen, wonach
) Denn ob die Rechtskraft des Strafbeſcheides
der Verwaltungsbehörde dadurch eingetreten iſt, daß
der Beamte keine Beſchwerde einlegte, oder dadurch.
daß die eingelegte Beſchwerde verworfen wurde, kann
doch füglich keinen Unterſchied begründen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 223
die höhere Behörde an dem Strafbeſcheide der Dieſe Beſtimmungen find dispofitiver Natur und
unteren Behörde nur mehr dann etwas ändern, gelten auch gegen den Rechtsnachfolger, der ſie
ihn alſo, wenn fie ihn für unbegründet hält, nur nicht kennt. (Siehe 8 746 Anm. I und 8 922
mehr dann aufheben kann, wenn fie binnen 2 Wochen Anm. II BGB. bei Staudinger.)
nach dem Tage, an dem ſie von dem Ausgange 81010 BGB. kann auf ein Kommunmauer⸗
des Verfahrens in erſter Inſtanz Kenntnis er- rechtsverhältnis nicht Anwendung finden, weil er
halten hat, dem Beſchuldigten eröffnet hat, daß gemeinſchaftliches Eigentum vorausſetzt (fiehe Stau⸗
fie das Verfahren an ſich ziehe. dinger, BGB. 8 1010 Anm. 1 d), während an der
Hiernach wird m. E. dahin zu entſcheiden ſein, Kommunmauer nur getrenntes Eigentum und
daß die Verwaltungsbehörde, welche im Ordnungs⸗ nur gemeinſchaftliches Benützungsrecht nach den
ſtrafverfahren einen Strafbeſcheid erlaſſen hat, ihn | Sondervorichriften der 88 921, 922 BGB. über
nur dann als unbegründet wieder aufheben darf, ä beſteht.
wenn er, gleichviel ob der Beſchuldigte Beſchwerde Die 88 921 und 922 BGB. regeln zwiſchen
eingelegt hat oder nicht, noch nicht rechtskräftig den beiden Nachbarn:
geworden und im Falle der Einlegung der Beſchwerde a) die Benützungsberechtigung an der Grenz⸗
die letztere noch nicht der Beſchwerdeinſtanz vor⸗ einrichtung,
gelegt worden iſt (vgl. auch meinen Kommentar b) die Verpflichtung zur Tragung der Unter⸗
S. 553 a. E.), daß ferner die höhere Behörde den haltungskoſten,
c) das Recht auf Beſtandserhaltung und die
Verpflichtung hierzu.
Bezüglich der Punkte a und b iſt nach der
Verkehrsauffaſſung als gewollt anzunehmen, daß
die Nachbarn vom Geſetz abweichende Beſtim⸗
mungen in dem Sinne haben treffen wollen, daß
das Mitbenützungsrecht des B durch Anbau von
der vorherigen Erſtattung der halben Mauerher⸗
rechtskräftigen Strafbeſcheid der 1 Behörde
nur mehr in der in 8 4 Abſ. 2 Satz 2 und 3
der gem. Min Bek. vom 22. Oktober 1909 vor⸗
geſehenen Friſt und Form als unbegründet außer
Wirkſamkeit ſetzen darf.
— — — ———
Die drei Hauptfragen des 1 ſein a daß B 5
1 nterhaltungskoſten erſt von der Benützung der
Lommunmauerrechts 9 Kommunmauer zum Anbau an mitzutragen hat.
Bon Juſtizrat Dr. Karl Buhmann, Rechtsanwalt in Der Ablöſungsanſpruch, deſſen Befriedigung
| München. Vorbedingung des Benützungsrechts des B durch An⸗
(Schluß.) bau iſt, ift kein aus dem Gemeinſchaftsverhäͤltnis ſelbſt,
III. Hat der Erbauer der Kommunmauer ſondern nur ein aus deſſen Vorbedingung fließen⸗
einen Ablöſungsanſpruch? der Anſpruch. Er iſt ein ausſchließlich auf Geld ge⸗
Wer iſt Schuldner? a . 3 5 172 ie ie 0
Mit der Annahme, daß die Kommunmauer aftsverhältnis ergebenden Berechtigungen und Ser:
Geengeinihtung iR, ue de ae bie zaleiden mc ann eln zufammenbüngt. „A fc Di
e nicht nur über die Beziehungen zwiſchen Kosten der mit Genehmigung des B hergeſtellten
A und B. ſondern auch zwiſchen deren beider: | fommunmauer dor gegen die Verpflichtung des
. Aan tt l ge daß die 88 921, 922, B. dieſe Koften im Falle der Benützung durch An⸗
i B zum Anbau nicht ver⸗
ſowie 88 746 ff. BGB. die dinglichen Rechts⸗ bau zu erlegen, wobei E z
wirkungen des vereinbarten Gemeinſchaftsverhält⸗ pflichtet iſt. Der F ruht,
niſſes regeln. Dies hat zur Folge, daß alle Rechte er iſt befriſtet und bedingt (pactum sui generis,
und Pflichten aus dem Gemeinſchafts verhältnis, am nächſten verwandt dem Auftragsvertrag).
|
b lle abweichend vom G wi Er iſt als ein in ſeinen Grundlagen genügend
1 5 0 eee feſtſtellbarer künftiger Anſpruch auch abtretbar und
pfändbar (RGZ. 55, 334, 404; 67, 166; JW. 1913
an lung hulger (X un 5 D S. 132). Er entſteht im Augenblick der Errich⸗
Die dingliche Wirkung aller Rechte und tung der Kommunmauer als bedingter und betagter
ichten zwiſchen A und B in bezug auf das Ge⸗ Anſpruch. Er wird klagbar (actio nata est) im
8 ſprechen klar 3 a 88 746, Augenblick der Benützung der Kommunmauer durch
749 und 751 BGB. (ſiehe hierzu Staudinger, den ne Anbauer, gleichgültig wer er jet.
BGB. Einleitung zur „Gemeinſchaft“ IIa Anm. 11 Es iſt ganz unverſtändlich, wenn man dieſen
. rein obligatorischen auf eine Geldzahlung gerichteten
u 3 751; RGORRomm. a e eee Anſpruch mit dem Schickſal des Eigentumsrechts
1) Bungard, „Die Kommunmauer“, In.⸗Diſſert.,
an der Kommunmauerhälfte ſelbſt in untrennbare
erſchien bei Noske in Borna⸗Leipzig 1913, kommt, gleich⸗
falls von der Grenzmauerlehre ausgehend, in bezug 1 jetzt, 1 155 vom OSG. Nürnberg
auf die Perſon des Schuldners zu einer der hier ver⸗ (in BayZfR. 1914 S 19 ff.) geſchieht.
tretenen Anſchauung entgegengeſetzten Lehre. Wenn A und B vereinbaren, eine Gartenmauer
224
als Grenzzeichen zu errichten, welche A zunächſt
auf feine Koſten durch Baumeiſter M erbauen laſſen
ſoll und deren Herſtellungskoſten B dem A zur
Hälfte in Ratenzahlungen erſetzen will, ſo wird
niemand auf den Gedanken kommen, daß A mit dem
Verluſt ſeines Grundſtückes und damit der halben
Grenzeinrichtung den Erſatzanſpruch verliert. Dafür,
daß dies bei einem Kommunmauerbau anders ſein
ſoll, iſt kein innerer Grund erfindlich.
Die Unhaltbarkeit der entgegengeſetzten An⸗
ſchauung tritt ferner insbeſondere hervor im Falle
der Zwangsoverſteigerung, bei welcher der Ab⸗
löſungsanſpruch auf den Erſteher übergehen ſoll,
der nichts davon weiß, daß A kommun gebaut
hat, z. B. weil er aus einem Gebiete kommt, in
welchem die kommune Baudweiſe nicht bekannt iſt.
Aus dem Vorgetragenen ergeben ſich für A
und B und für deren Sondernachfolger X und *
wichtige, allerdings von der erwähnten Anſchauung
vielfach abweichende Folgerungen.
1. B baut während der Eigentumszeit des A an.
Nach dem der Verkehrsauffaſſung entſprechen⸗
den Vertragswillen hat B die Koſten der bereits
auf feinem Grund ſtehenden Mauerhälſte zu er:
ſetzen, um ſich damit die e für die
Mitbenützung der Kommunmauer durch Anbau
zu verſchaffen. In welchem Zeitpunkte die Mauer⸗
einrichtungskoſten zu erſetzen ſind, iſt beſtritten.
In München beſteht eine durch die Vorſchriften
des Art. 68 AG. BGB. beeinflußte Verkehrsauf⸗
faſſung dahin, daß bei Beginn des Anbaus Zahlung
zu leiſten iſt (vgl. Beſchl. d. OLG. München vom
5. Mai 1913 Beſchw.⸗Reg. Nr. 275/13).
2. Der Anbau erfolgt nicht mehr durch Bſondern
durch einen Sondernachfolger Y.
Ein Vertragsverhältnis zwiſchen A und V liegt
nicht vor. Aber auf Y als Sondernachfolger iſt
kraft der gemeinſchaftsrechtlichen Normen (BGB.
88 922 und 741 ff.) der bedingte Anſpruch auf
Mitbenützung der Grenzeinrichtung übergegangen,
bedingt durch Erſatzleiſtung. Leiſtet Y den Erſatz,
ſo erwirbt er unbedingtes Mitbenützungsrecht. Bei
A verbleibt auf Grund des Gemeinſchaftsrechtes
die Verpflichtung zur Duldung des Anbaues gegen
Bezahlung der halben Mauerkoſten.
Die Zahlungspflicht hat V. nicht B. Bis zur
Benützung durch den Anbau iſt für die Eigentümer
des Nachbargrundſtücks der hinübergebaute Mauer—
teil nicht wertſteigernd, ſondern wertmindernd
(Schmitt a. a. O. S. 59 J). Dieſe Wertminderung
wird ſtändig, wenn die Bebauung des Nachbar—
grundſtückes durch ein Gebaͤude dauernd behindert
wird (3. B. durch eine Dienſtbarkeit auf Bauverbot,
durch Errichtung eines Parks uſw.); eine Grundſtücks—
wertſteigerung durch Errichtung einer Rommunmauer
auf die Nachbargrundſtücke anzunehmen, iſt willkür—
lich. Die Tatſache der Kommunmauererrichtung
hat eine Wertſteigerung erſt zur Folge im Augen—
blick der Benützung der Kommunmauer durch Anbau.
3. Wechſelt das Eigentum des Anweſens Nr. 1
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
— — ——T— —. 8
auf X und baut alsdann B an, ſo geht vor allem
der Erſatzanſpruch des A, wenn nicht Gegenteiliges
zwiſchen A und X vereinbart war (alfo insbeſondere
beim zwangsweiſen Eigentumswechſel) auf X nicht
über, weil, wie oben ausgeführt iſt, der Erſatzanſpruch
kein aus dem Gemeinſchaftsrecht fließender oder
„verdinglichter“ Anſpruch iſt.
Das Mitbenützungsrecht des B durch Anbau
bleibt bedingt, bedingt durch die Bezahlung des
Ablöſungsanſpruchs an A. X kann den Anbau
nicht verwehren, wenn B die Bedingung für das
Mitbenützungsrecht erfüllt. Allerdings kann X
den Anbau durch B geftatten, ohne auf Zahlung
des Ablöſungsanſpruchs durch B an A zu dringen.
In dieſem Falle bleibt der Erſatzleiſtungsanſpruch
des A gegen B beſtehen, weil zwiſchen dieſen beiden
vereinbart iſt, daß B die Koſten der Errichtung
der im Augenblick der Erbauung bereits Eigen⸗
tum des B gewordenen Mauerhälfte bei (Beginn
der) Benützung durch Anbau zu zahlen hat. B
zahlt das, was er früher bekommen hat, was aber
erſt jetzt für ihn Wert beſitzt, wenn er die von
A erbaute Kommunmauer zum Anbau benützt.
(Gl. M. Abele LZ. S. 833).
4. Schwieriger zu löſen iſt die letzte Möglich⸗
keit, wenn namlich nach Wechſel des Eigentums
von A auf X und von B auf V der letztere anbaut.
Vertragliche Beſtimmungen beſtehen nicht
zwiſchen Y und X, ebenſowenig zwiſchen Y und A.
Da aber der Mitbenützungsanſpruch des Y
auf die Grenzeinrichtung infolge ſeiner dinglichen
Natur auch auf Y nur als bedingter Anſpruch
übergegangen iſt, ſo iſt X zur Duldung des An⸗
baues vor Erfüllung der Bedingung gegenüber
dem A nicht gezwungen.
1 kann aber auch, und dies wird wohl die
Regel ſein, auf Erfüllung der Bedingung ver⸗
zichten. A kann in dieſem Falle gegen X nur
einen Anſpruch erheben nach den Vorſchriften über die
ungerechtfertigte Bereicherung (88 812,822 BGB.).
Eine Bereicherung des V liegt tatſächlich vor.
Vor der Benützung der Kommunmauer durch An:
bau hat die auf dem Grundſtück 2 ſtehende Mauer⸗
hälfte einen Verkehrswert weder für B noch für Y,
weil die Frage offen ſteht, ob und wann die Mauer
zum Anbau benützt wird. Die Verkehrsauffaſſung
geht vielfach dahin, daß gerade die durch den
Mauerüberbau eintretende Minderung der benutz⸗
baren Bodenfläche zunächſt eine Wertsminderung
bedeutet, wenn auch ausnahmsweiſe das Gegenteil
der Fall ſein kann. Der Ueberbau erhält für B
oder Y erſt Wert im Augenblick des Anbaues;
denn ſie erſparen ſich jetzt die Herſtellungskoſten der
an ſich notwendigen Umfaſſungsmauer. Y wird bei
Erwerb des Grundſtückes 2, gleichgültig, ob zur
Zeit des Erwerbes A oder X Eigentümer des Ge—
bäudes 1 war, für die auf dem Grundſtücke 2 be:
ſtehende Mauerhälfte nichts bezahlen, weil er weiß,
daß er bei Benützung der Mauer durch Anbau
an A entweder nach den Ausführungen unter Ziff. 2
— —— • öViöʃe ü R—— —— — — — —
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
oder wegen ungerechtfertigter Bereicherung Zahlung
leiſten muß.
Abele führt a. a. O. S. 834 zuerſt richtig aus,
daß A zur Geltendmachung eines Bereicherungs⸗
anſpruchs nachweiſen muß, daß B Vorteile von
dem Bau hat, denn ſoweit ihn B nicht benützt,
iſt die Mauerhälfte für B wertlos, ja ſogar nach⸗
teilig, weil fie einen Hof oder Garten ſchmälern
kann. Abele ſetzt ſich aber dann ſofort mit ſich
ſelbſt in Widerſpruch, wenn er weiter ausführt,
daß B auch im Falle des Eigentumswechſels der
Bereicherte bleibt, weil in der Möglichkeit des An⸗
baues ein wirtſchaftliches Gut für die Zukunft
liegt, das nicht mit Null bewertet werden kann.
Ein wirtſchaftliches Gut ſtellt die Kommunmauer⸗
hälfte erſt im Augenblicke des Anbaues und in⸗
folge des Anbaues dar, bis dahin ſchmälert der
Kommunbau wirtſchaftlich den B.
Der Erſatzleiſtungsanſpruch des A gegen Y
läßt ſich auch auf 8822 BGB. ſtützen; denn Y hat
bei Erwerb des Bauplatzes 2 für die Mauer zu⸗
nächſt kein Entgelt geleiſtet. Faßt man den Begriff
der unentgeltlichen Zuwendung im 8822 BGB.
nicht, wie es allerdings meiſtens geſchieht, im Sinne
einer ſubjektiv gewollten Schenkung, ſondern
im Sinne einer objektiv ohne Entgelt gemachten
Zuwendung auf — (die Ueberlaſſung der Kommun⸗
mauer iſt keine Schenkung, ihre Benützung iſt vom
Erſatz des Erſtellungswertes abhängig) — fo iſt Y
gleichfalls auf Koſten des A bereichert. Jedenfalls
ſteht der Wortlaut des 8 822 BGB. einer ſolchen
Auslegung nicht entgegen, ſie entſpräche auch der
Billigkeit. (A. M. Abele a. a. O. S. 834).
Würde man der Meinung ſein können, daß
der bedingte Erſatzleiſtungsanſpruch ein im Ge⸗
meinſchaftsverhältnis begründeter und von ihm
untrennbarer Anſpruch ſei, jo würde die Ding⸗
lichkeit des Erſatzleiſtungsanſpruchs aktiv und paſſiv
auf X und V übergeben.
Dieſe Löſung iſt gleich unbefriedigend, wie die
Löſung derer, die ſagen, daß mit dem Verluſte
des Eigentums des A an ſeinem Gebäude auch
der Kommunmauerablöſungsanſpruch überhaupt
verloren gehe. Dieſe letzte vielfach vertretene An⸗
ſchauung ergibt ſich folgerichtig aus dem in RG.
70, 202 niedergelegten allerdings völlig unhalt⸗
baren Standpunkte, daß die Kommunmauer nie⸗
mals (ſelbſt nach dem Anbau nicht) eine Grenz⸗
einrichtung ſein könne. Wirtſchaftlich befriedigend
und dem praktiſchen Bedürfniſſe entſprechend kann
nur die Rechtsanwendung ſein, bei der dem A
als dem Erbauer der Kommunmauer auch im Falle
der zwangsweiſen Entäußerung ſeines Anweſens
der Kommunmauerablöſungsanſpruch verbleibt und
bei der auch im Falle einer zwangsweiſen Ent:
aͤußerung des Nachbargrundſtückes des B derjenige,
welcher von dem Kommunbau durch Anbau ſpäter
Nutzen zieht, d. i. der den Anbau ausführende
Sondernachfolger Y des B, für dieſen auf Koſten
des A geſchaffenen Vorteil Zahlung leiſten muß.
225
— nn
Eine gegenteilige Meinung vertreten heißt den wirt⸗
ſchaftlich Schwachen auf Koſten des wirtſchaftlich
Stärkeren benachteiligen und gegen den Zug der
Zeit arbeiten.
Einzelne Fälle (wie z. B. Teilbenützung, ſtufen⸗
weiſer Anbau, Zeitpunkt der Fälligkeit des Ab⸗
löſungsanſpruches, Zuläſſigkeit des Einfluſſes an⸗
derer Verkehrsauſfaſſung) im Rahmen einer Zeit:
ſchriſt zu behandeln, würde zu weit führen. (Siehe
Nützel, Bay ZfR. 1914 S. 188).
Nichtigkeit oder Aufechtbarkeit der Verträge
mit ſog. Automatenfirmen.
Von Rechtsanwalt Dr. Otte Hipp in München.
Am 30. Juni 1913 endete in Koblenz ein
umfangreicher Strafprozeß gegen Inhaber und
Reiſende verſchiedener Automatenfirmen, der zur
Verurteilung mehrerer Reiſender führte, während
die Firmeninhaber freigeſprochen wurden. Um
das Ergebnis dieſes Strafprozeſſes abzuwarten,
waren zahlreiche Zivilprozeſſe ausgeſetzt worden,
die zum Teil durch dieſe Automatenfirmen als
Kläger, zum Teil gegen fie als Beklagte anhängig
gemacht waren. Nur für eine beſchränkte Anzahl
von Fällen hat der Strafprozeß ein brauchbares
Ergebnis geliefert. Schon vorher waren wohl die
meiſten Prozeſſe zugunſten der Automatenfirmen
entſchieden worden und danach fanden viele Ge⸗
richte keinen Weg, um dem offenkundig unlauteren
Geſchaͤftsgebaren dieſer Firmen bürgerlich⸗rechtlich
entgegenzutreten. Und doch muß das Geſetz eine
Handhabe bieten, um dem geſunden Rechtsempfinden
gegenüber den Anſprüchen dieſer Firmen Geltung
zu verſchaffen. |
Der gewöhnliche Tatbeſtand darf als bekannt
vorausgeſetzt werden. Sehr redegewandte Reiſende
wiſſen kleinere Geſchäftsleute unter Verwendung
eines gedruckten Beſtellſcheins zur Annahme irgend⸗
eines Warenautomaten zu beſtimmen, dabei ſind
unter langfriſtiger Dauer des Vertragsverhäͤltniſſes
un verhältnismäßig große Mengen für die Füllung
des Apparates abzunehmen. Nach der Abnahme
einiger Teillieferungen hat der Beſteller gewöhn⸗
lich die erſte Lieferung noch nicht verbraucht; die
nachgelieferten Füllungen werden durch die lange
Lagerung ſchlecht und unverkäuflich; bei Zurüd:
weiſung einer der regelmäßigen Nachlieferungen
ſtellt die Firma Klage und erreicht oft die Verur⸗
teilung des Beſtellers. In dem zweifellos auch
bei den Gerichten vorhandenen Beſtreben, den Be⸗
ſteller gegen unlauteres Geſchäftsgebahren zu ſchützen,
wird häufig ein falſcher Weg eingeſchlagen, indem
der Nachweis äußerer Umſtände verlangt wird,
aus denen ſich dann die Berechtigung der An—
fechtung des Vertrages nach $ 123 BGB. ergeben
226
ſoll. Dieſer Weg mag richtig und brauchbar fein,
wenn genügende Beweiſe insbeſondere für den Vor⸗
gang bei der Beſtellung und für das Verhalten
des Reiſenden vorhanden find (RGRKomm. Anm. 4
8 123). Dieſe Fälle find aber ſelten; die Reiſenden
lieben es nicht ihre Geſchaͤfte in Gegenwart von
Zeugen abzumachen. Will man dem Rechtsſchutz⸗
bedürfnis des Beſtellers gerecht werden, ſo muß
die Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit aus inneren
Merkmalen des Vertrags ſelbſt hergeleitet werden,
ein Weg, den leider die Gerichte noch ſehr ſelten
einſchlagen. Faſt ausnahmslos werden ſich
bei all dieſen Verträgen, die ſämtliche nach faſt
gleichlautenden Formblättern geſchloſſen werden,
zahlreiche einzelne Umſtände zuſammenſtellen laſſen,
aus deren gemeinſamem Auftreten die Anfechtbarkeit
oder Nichtigkeit gefolgert werden kann. Zunächſt
wird zweiſellos durch dieſe Verträge in dem Be⸗
ſteller eine falſche Vorſtellung von dem Inhalt
des Vertrages hervorgerufen, da ſich wohl kein
Beſteller rechneriſch über den Vertragsinhalt klar
wird. Die Verträge enthalten nämlich eine Rech⸗
nungsaufgabe, die an ſich zwar nicht ſchwierig iſt,
aber im Augenblick der Beſtellung und beim Durch⸗
leſen nicht gelöſt werden kann, ja dem Beſteller
gar nicht zum Bewußtſein kommt. Um zu wiſſen,
was der Vertrag für ihn wirtſchaftlich bedeutet,
müßte der Beſteller durch Zuſammenzählen und
Vervielfältigen ausrechnen, wie viele Jahre er bei
vierteljähriger Annahme von X⸗Stück Füllungen
an den Vertrag gebunden iſt, der die Abnahme
von ſo und ſoviel Tauſend Füllungen vorſieht.
Es find alſo die Tragweite und die Folgen des
Geſchäfts für den Beſteller verſchleiert, dazu kommt,
daß gewöhnlich in dieſen Verträgen die Umſtände,
die dem Beſteller günſtig zu ſein ſcheinen, durch
den Druck hervorgehoben werden, dagegen klare,
beſtimmte Angaben über die Verpflichtungen des
Beſtellers ſorgſan umgangen werden. Berückſichtigt
man endlich noch die Lebensverhältniſſe und den
Bildungsgrad der großen Mehrzahl der Beſteller
— durchwegs kleiner Gewerbetreibender, die ſelbſt
bei aufmerkſamem Durchleſen den Vertrag nicht
richtig auffaſſen und ſeine wirtſchaftliche Tragweite
nicht erkennen können — berückſichtigt man ferner,
daß in dem Vertrag gerade die wichtigſten Be⸗
ſtimmungen, die Verpflichtungen der Beſteller ent⸗
halten, verſchleiert oder doch nur angedeutet ſind,
ſtatt klar und deutlich die Verpflichtungen des
Kunden hervorzuheben, ſo ergibt ſich aus dem
Gebrauch der üblichen Formblätter mit innerer
Notwendigkeit ihr Zweck. Wenn die Verfertiger
dieſer Vertrage den Vertragsinhalt offenſichtlich
verſchleiern und trotz der Kenntnis der bürgerlichen
Stellung und der Bildung ihres Kundenkreiſes
keine zweifelsfreien und allgemein verſtändlichen
Angaben über Zeit des Vertrages, Höhe des Preiſes,
Mängelrügen, Zahlungsweiſe u. dgl. machen, ſo iſt
kein anderer Grund hierfür denkbar, als daß die
Kunden über all dieſe wichtigen Punkte bei der
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
Beſtellung abſichtlich im unklaren gelaſſen werden
ſollen. Dieſe Annahme wird noch durch eine ganze
Anzahl weiterer Vertragsbeſtimmungen unterftüßt.
Der ſtets „gratis“ gelieferte Automat muß vom
Beſteller gebrauchsfähig erhalten werden; er geht
erſt nach ſo langer Zeit in den „Befitz“ (meiſt
wird der Ausdruck „Befitz“, nicht „Eigentum“ ge:
braucht!) des Beſtellers über, daß er dann kaum
mehr gebrauchsfähig ſein wird; oft findet ſich dann
noch die Beſtimmung, daß während der „Befitz⸗
zeit“ die Füllungen nur von dem Lieferanten des
Automaten bezogen werden dürfen, alſo auch zu
einer Zeit, in der vielleicht das Eigentum an dem
Automaten ſchon auf den Beſteller übergegangen
iſt. Die Beſtimmungen über Mängelrüge find
in der Regel vollſtändig wirkungslos, ſchon mit
Rückſicht auf die meiſt vereinbarte Nachnahme⸗
ſendung. Regelmäßig iſt auch die liefernde Firma
berechtigt nach Belieben andere Füllungen und
Packungen zu wählen. Schließlich iſt noch be⸗
eichnend, daß faſt ſtets ein mehrfacher Gerichts⸗
fand vereinbart wird; augenſcheinlich zu dem Zweck
um nicht durch Häufung der Prozeſſe an einem
beſtimmten Gericht dieſes Gericht allmählich auf
das Geſchäftsgebaren der Firma aufmerkſam zu
machen und dadurch eine vorſichtigere Abwägung
der Anſprüche der Firma herbeizuführen. Er⸗
wähnenswert iſt auch die in den Verträgen ge⸗
bräuchliche, in auffälligem Druck beigefügte Be⸗
merkung: „Vor Unterſchrift leſen“ und die vor⸗
gedruckte Beſtätigung des Beſtellers, daß er den
Vertrag vor der Unterſchrift geleſen habe. Beſſer
als durch dieſe Bemerkung kann die Argliſt dieſer
Verträge nicht enthüllt werden.
Stellt nun das Gericht all dieſe immer wieder⸗
kehrenden einzelnen Umſtände und die etwa nach
den Beſonderheiten des einzelnen Falles ſich er⸗
gebenden weiteren Tatſachen zuſammen, führt es
insbeſondere das in dem Vertrag enthaltene Rechen⸗
beiſpiel ziffermäßig aus, ſo iſt damit eine der
ſtrengſten Rechtsanwendung genügende Grundlage
gegeben, um den Vertrag als anfechtbar oder nichtig
zu erklären. In vielen Fällen wird eine Anfech⸗
tung nach $ 123 BGB. vorliegen. Aber auch
wenn eine ſolche nicht rechtswirkſam erklärt worden
iſt, kann den Beſtellern durch Anwendung des
8138 Abſ. 1 BGB. richtiges Recht gewährt werden.
Denn bei dieſen Verträgen laſſen ſich genügend
ſachliche Merkmale dafür finden, daß das Be:
ſchäft nach Inhalt und Zweck gegen die guten
Sitten verſtößt (RG. 69, 146; 72, 218). Dazu
wird faſt immer ſchon die Feſtſtellung genügen,
wie der Kleingewerbetreibende, in ſeinen Mitteln
beſchränkte Beſteller in der wirtſchaftlichen Be⸗
wegungsfreiheit durch dieſe langfriſtigen, läſtigen
Verträge gehemmt wird (RG. 76, 78; insbeſ.
Staub, Exk. zu 8346 Anm. 2 und die Ausführungen
über analoge Verträge Anm. 16, OL GRſpr. 4,
208). Es iſt überflüſſig, hier noch die wirt⸗
ſchaftliche Seite naͤher auszuführen; die erhebliche
Belaſtung des Beſtellers, das vollſtändige Fehlen
einer Gefahr bei der liefernden Firma, der äußerſt
geringe Gewinn des Beſtellers gegenüber dem ſehr
erheblichen Nutzen der Lieferanten, all das wird
zweckmäßig im Urteil ziffermäßig nachgerechnet.
Läßt ſich etwa noch durch Sachverſtändige nach⸗
weiſen, daß die Füllungen ſchlecht und unverhältnis⸗
mäßig teuer find, jo iſt das noch eine gute
Unterſtützung des bereits vorhandenen Stoffs, um
das Geſchäftsgebaren gewiſſer Firmen gerecht zu
würdigen. Nach Treu und Glauben im Verkehr
widerſprechen ſolche Verträge dem Sittlichkeitsemp⸗
finden eines jeden gerecht denkenden Menſchen und
ſind daher nichtig: ſie gewähren dem Lieferanten
einen bedeutenden und gefahrloſen Gewinn, ander⸗
ſeits bedrücken ſie die Beſteller, die bei ihren klein⸗
bürgerlichen Lebensverhältniſſen wirtſchaftlich ge⸗
radezu beengt werden. Zudem müſſen die Verträge
nach der Art ihres Zuſtandekommens und wegen der
abfichtlichen Verſchleierung des Inhalts beim Ver⸗
tragsſchluß als argliſtig bezeichnet werden.
Dem kann auch nicht der Einwand entgegen⸗
geſetzt werden, das nichtige Geſchäft ſei etwa nach
8 141 BGB. dadurch neu vorgenommen worden,
daß der Beſteller einzelne Sendungen angenommen
habe. Es kommt vor, daß ein Kunde in ſeiner Un⸗
kenntnis des Sachverhalts die erſten Sendungen an⸗
genommen und ſich dann erſt geweigert hat, eine ſpä⸗
tere Sendung anzunehmen. Es mag auch ſein, daß er
von dieſer Weigerung wieder abſteht, weil ihm die
liefernde Firma mit einer Klage droht und dabei
auf die den Beſteller treffenden großen Koſten
aufmerkſam macht. Dazu beſtimmt ihn häufig
ſeine wirtſchaftlich ſchwächere Lage oder die Hoff:
nung durch eine gütliche Vereinbarung mit der
Firma vom Vertrage loszukommen. Aber in ſolchen
Vorgängen liegt noch nicht ein ſtillſchweigendes
Einverſtändnis mit den urſprünglichen Vertrags⸗
beſtimmungen und keine nachträgliche Annahme,
geſchweige denn eine Neuvornahme des Geſchäfts,
ganz abgeſehen davon, daß auch eine Neuvornahme
nur wirkſam wäre, wenn das Geſchaft feinen un⸗
3 abgeſtreift hätte (Warneyer 1911
. 388).
Auch ohne den in den wenigſten Fällen mög⸗
lichen Nachweis, daß ſich der Reiſende bei der
Entgegennahme der Beſtellung unter Haftung ſeines
Auftraggebers einer unerlaubten Handlung ſchuldig
gemacht hat, läßt ſich auf dieſer Grundlage das
Geſchäftsgebaren unlauterer Firmen wirkſam be⸗
kämpfen und der Richter wird Urteile finden, die dem
geſunden Rechtsempfinden des Volkes genügen. Er⸗
freulich iſt, daß ſchon einige Gerichte dieſen Weg
als gangbar erkannt und eingeſchlagen haben.
(Vgl. z. B. ein rechtskräftiges Urteil des LG.
Nürnberg vom 23. Oktober 1913, 299/11).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
Kleine Mitteilungen.
Zu Art. 9 Abſ. 1 Ziff. 2 Gebs. Die halbe
Gebühr iſt auch dann zuerheben, wenn das
Verfahren nach 8 144 3VG. durchgeführt
wird, nachdem der Verteilungstermin (8 105
ZVG.) bereits begonnen hatte. Aus einem
Beſchluſſe des Vollſtreckungsgerichts, der vom Be⸗
ſchwerdegericht (Beſchluß des LG. München I vom
27. Januar 1914, Beſchw.⸗Reg. Nr. 46/1914 VII) be⸗
ſtätigt wurde, ſei folgendes mitgeteilt:
Ein Anweſen wurde auf Betreiben des X zum
Zwecke der Gemeinſchaftsteilung verſteigert und der
Y um das Bargebot von 7000 M zugeſchlagen; nach den
Verſteigerungsbedingungen blieben Rechte in Höhe von
24 613 M beſtehen. Das Vollſtreckungs gericht beſtimmte
Termin zur Erlösverteilung nach 8 105 BIO. auf
8. März 1913; dieſer wurde mehrmals verlegt. Im
Termine vom 4. April 1913 fand ſich beim Aufruf der
Sache nur der Vertreter der Erſteherin ein, und be⸗
antragte Vertagung. Durch ſofort verkündeten Be⸗
ſchluß wurde der Termin antragsgemäß auf 12. April
1913 vertagt. Inzwiſchen legte die Erſteherin die Nach⸗
weiſe gemäß 8 144 3VG., — abgeſehen von den Ge⸗
richtskoſten zu 44 M für den Verteilungstermin — vor.
es wurde der Termin vom 12. April aufgehoben, und
in der Folge nach 8 144 ZVG. verfahren. Der rech⸗
nungsführende Sekretär hatte zunächſt für das Vertei⸗
lungsverfahren als Gerichtskoſten den Betrag von
60 M Gebühr und 6 M Pauſchale angeſetzt. Später
überſandte er dem Antragſteller noch eine Koſtenrech⸗
nung über 44 M, nämlich 40 M Gebühr und 4 M Baus
ſchale als weitere Koſten des Verteilungsverfahrens.
Dagegen erhob der Antragſteller Erinnerungen mit
dem Antrage, den rechnungsführenden Sekretär zur
Abſetzung der Beträge von 40 M und 4 M anzuweiſen,
da kein Verteilungsverfahren ſtattgefunden habe.
Nach Art. 9 Abſ. 1 Ziff. 2, Art. 22 Ziff. 3 GebG.
werden im Verfahren der Zwangsverſteigerung
zwecks Gemeinſchaftsteilung „für das Verteilungsver⸗
fahren“ */ıo der Sätze des 88 GKG. erhoben; findet
aber nach 8 144 3G. kein Verteilungsverfahren ſtatt
oder wird nach 8 143 ZPO. dieſes Verfahren nach
der Beſtimmung des Verteilungstermins, aber vor
deſſen Beginn eingeſtellt, ſo werden nur /10 der Sätze
des 8 8 erhoben. Gemäß Abſ. 2 des Art. 9 wird die
Gebühr im Falle der Erteilung des Zuſchlags nach
dem Meiſtgebote berechnet. Bei der Wertklaſſe des
vorliegenden Falls (30 —32 000 M) beträgt die /io⸗Ge⸗
bühr 100 M, die /io⸗Gebühr 60 M, die Pauſchſätze bes
ziffern ſich auf 10 M und 6 M (Art. 22, 7 Geb.,
8 80 b HRG.) Die nachgeforderten Beträge von 40 M
und 4M bilden den Unterſchied zwiſchen der °/ıos und
der /1o⸗Gebühr nebſt Pauſchſatz aus der genannten
Wertklaſſe. Schuldner der Gebühren gegenüber der
Staatskaſſe iſt, ſoweit ſie nachzuerheben ſind, mangels
Uebertragung der Forderung gegen den Erſteher
(8 118 3G.) der Antragſteller (Art. 22, 19 Abſ. 1
Geb., vgl. Schmidt, GebG. Art. 19 Anm. 3, Steiner,
BVG. 2. Aufl. S. 263 Anm.).
Was den Gebührenanſatz im gegebenen Falle be⸗
trifft, ſo iſt Folgendes zu bemerken. Es wurde ein ge⸗
richtlicher Teilungsplan entworfen und auf der Ge⸗
richtsſchreiberei zur Einſicht der Beteiligten nieder-
gelegt; der Verteilungstermin war vorher durch Zu⸗
ſtellung den Beteiligten mitgeteilt worden (ZUG.
88 105, 106). Der Termin vom 4. April 1913 nahm
228
durch den Aufruf der Sache feinen Anfang (BO.
88 220 Abſ. 1, 864, 869). Das gerichtliche Verteilungs⸗
verfahren wurde dann allerdings nicht durchgeführt,
da im Termine felbft der Plan nicht aufgeſtellt und
erörtert, und ſeine Ausführung nicht angeordnet wurde
(vgl. 88 113 ff., 117 f. Z3VG.). Jene Durchführung
des Verteilungsverfahrens ift aber nicht notwendige
Vorausſetzung der Gebührenpflicht nach Art. 9 Abſ. 1
Ziff. 2 S. 1 GebG. Dieſe Vorſchrift beſtimmt, daß
„für das Verteilungsverfahren“ die halbe Gebühr des
88 GKG. zu erheben iſt; in Satz 2 a. a. O. find nur
zwei Ausnahmen zugelaſſen, nämlich für den Fall, daß
nach 8 144 ZVG. überhaupt kein Verteilungsver fahren
ſtattfindet, oder daß nach 8 143 ZVG. letzteres nach
der Beſtimmung des Verteilungstermins, aber vor dem
Beginne eingeſtellt wird. Dagegen trifft das Geſetz
eine derartige Unterſcheidung wie im Falle des 8 143
ZVG. nicht für den Fall des 8 144 Z3VG.; demnach
iſt hier für das gerichtliche Verteilungsver fahren als
ſolches ſtets die halbe Gebühr zu entrichten, mag es
ganz oder teilweiſe durchgeführt worden ſein, alſo
insbeſondere dann, wenn es nach dem Aufruf des Ber:
teilungstermins eingeſtellt wird und in der Folge das
Verfahren nach 8 144 ZVG. ſtattfindet. Dieſe Rechts⸗
anſicht findet eine Stütze durch den Vergleich der neuen
Faſſung des Art. 9 Abſ. 1 Ziff. 2 GebG. mit der des
früheren Art. 10 Abſ. 1 Ziff. 2, welche lautete: „In den
Zwangsverſteigerungen werden erhoben ... 2. für das
Verteilungsverfahren der volle Betrag, und, wenn
dasſelbe „vor dem Beginne des Verteilungstermins“
erledigt wird, °/ıo jener Sätze.“
De lege ferenda wäre wohl folgende Aenderung
des Art. 9 Abſ. 1 Ziff. 2 GebG. vorzuſchlagen: „In
dem Verfahren der Zwangsverſteigerung werden er⸗
hoben . .. 2. für das Verteilungsverfahren fünf Zehnteile
iener Sätze. Wird aber das Verfahren nach 8 143
oder 8 144 83VG. durchgeführt, ſo werden nur drei
Zehnteile erhoben, es ſei denn, daß der Teilungsplan
bereits nach 8 106 ZIG. auf der Gerichtsſchreiberei
niedergelegt worden iſt.“
Amtsrichter Diemayr in München.
Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens wegen
Unzuſtändigkeit des Gerichts. Die Ablehnung der Er⸗
öffnung oder die Nichteröfſnung des Hauptverfahrens
(88 202, 209 Ab. 2 StPO.) enthält eine materielle
Erledigung der Strafſache: gegen dieſe Art der
Erledigung gewährt 8 209 Abſ. 2 StPO. dem An⸗
kläger das Recht der ſofortigen Beſchwerde. Rechts-
kräftige Ablehnung hindert nach 8 210 StPO. regel⸗
mäßig die Wiederaufnahme der Klage.
Die Nichteröffnung des Hauptverfahrens bat aber
nur das örtlich und ſachlich zuſtändige Gericht
zu beſchließen — abgeſehen von den Fällen, in denen nach
§ 207 StPO. auch ein ſachlich unzuſtändiges Land—
gericht das Hauptverfahren vor einem anderen Gericht
eröffnen kann. Im übrigen kann ein örtlich oder ſach⸗
lich unzuſtändiges Gericht die Eröffnung des Haupt⸗
verfahrens in dieſem materiellen Sinne nicht mit der
Wirkung ablehnen, daß die Klage nur auf Grund
neuer Tatſachen oder Beweismittel wieder aufgenommen
werden könnte ($ 210 StPO.). Vielmehr muß ein
ſachlich unzuſtändiges Gericht nach 8 207 StPO. ver:
fahren und ein örtlich unzuſtändiges ſich auf ſeine Un:
zuſtändigkeitserllärung beſchränken. Wird ſtatt deſſen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
formell die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen
Unzuſtändigkeit des Gerichts abgelehnt, fo kommt die ſem
Beſchluſſe die Bedeutung einer materiellen Erledigung
der Sache nicht zu und iſt deshalb nicht die ſofortige
Beſchwerde des 8 209 Abſ. 2 StPO., ſondern die ein⸗
fache, friſtloſe Beſchwerde gegeben.
Dagegen wird eingewendet, daß 8 209 Abſ. 2
StPO. zwiſchen den Gründen der Ablehnung, d. b.
zwiſchen formeller und materieller Ablehnung, nicht
unterſcheide. Allein die Stellung des 8209 weiſt darauf
hin, daß bloß die materielle Ablehnung gemeint ſein
kann. Inſofern iſt Löwe, StPO. 8 209 Note Ad,
beizupflichten. Eigentümlich muß es aber berühren,
daß derſelbe Löwe — und zwar auch in der von
Roſenberg beſorgten Neuauflage 1913 — an einer
anderen Stelle (N. 5b zu 88 16-18 StPO.) wieder
das Gegenteil hiervon behauptet Zwei entgegengeſetzte
Anſichten können ſich alſo je auf Löwe berufen. Solche
Widerſprüche in einem von einem einzigen Verſaſſer
hergeſtellten und von einem einzigen Bearbeiter neu
herausgegebenen Werke ſollten aber doch vermieden
werden; ſie wären ſchließlich weniger gefährlich, wenn
nicht gerade dieſer Kommentar in der Praxis z. Zt.
faſt die ausſchließliche Herrſchaft beſäße. Vgl. Seuff Bl.
f. RA. 1913 S. 125 - 127, wo ich ebenfalls auf einen
in der Neuauflage ſtehengebliebenen Irrtum Löwes
hingewieſen habe, auf den nicht ſattelfeſte Juriſten
leicht hereinfallen.
II. Staatsanwalt und Privatdozent Dr. Doerr
in München.
Aus der Lechtſprechung.
Reichsgericht.
Zivilſachen.
I.
Waun hört der Gläubigerverzug auf? Aus den
Gründen: Das BGB. enthält keine ausdrückliche
Vorſchrift über die Beendigung des Gläubigerverzugs.
Im 8 262 des I. Entw. war beſtimmt: „Der Verzug
des Gläubigers hört für die Zukunft mit dem Zeit⸗
punkt auf, in welchem er das Verſäumte nachgeholt
und ſich zugleich zum Erſatze der in 8 261 bezeichneten‘
(d. h. der dem Schuldner durch das erfolgloſe Anbieten
ſowie durch Aufbewahrung und Erhaltung des Gegen⸗
ſtandes der Leiſtung entſtandenen) „Mehraufwendungen
bereit erklärt hat“. Die 2. Komm. ſtrich dieſe Vor⸗
ſchrift, weil ſie ſelbſtverſtändlich ſei, ſoweit darin aus⸗
geſprochen werde, daß der Verzug des Gläubigers
aufhöre, wenn er das Verſäumte nachhole, im übrigen
teils bedenklich, teils unnötig ſei. Beim Fehlen einer
ausdrücklichen Vorſchrift iſt das Aufhören des Verzugs
nach den Folgerungen aus der Natur des Verzugs zu
beſtimmen. Daraus ergibt ſich, daß der Gläubiger ſich
bereit erklären muß, die dem Schuldner obliegende
Leiſtung als ſolche, d. h. als auf Grund des Vertrags
zu machende Leiſtung anzunehmen. Bei einem durch
Entlaſſung des Arbeitnehmers begründeten Annahme:
verzuge des Arbeitgebers iſt mithin die Beſeitigung
der Folgen des Annahmeverzugs jedenfalls nur dann
anzunehmen, wenn der Arbeitgeber die Folgen der Ent—
laſſung dem Schuldner gegenüber wieder beſeitigt,
ſoweit das überhaupt möglich iſt, alſo ſich ihm gegen—
über unzweideutig auf den Standpunkt ſtellt, daß er
die Dienſte des Schuldners als vertragsmäßige, d. h. auf
————— —
— —
—— ——
Grund des noch beftehenden Vertrags zu leiſtende,
annehmen zu wollen erklärt. Er muß alſo klar zu er⸗
kennen geben, daß die Entlaſſung zu Unrecht erfolgt
ſei. In dieſem Sinne iſt hier das Schreiben der Be⸗
klagten nicht zu verſtehen. Sie erklärt ſich darin be⸗
reit, den Kläger unter den Bedingungen des früheren
Vertrags „wieder anzuſtellen“, nicht aber, das frühere
Vertrags verhältnis fortzuſetzen. Das kann auch dahin
verſtanden werden, daß ſie ein neues Vertragsver⸗
hältnis mit dem Kläger unter den Bedingungen des
früheren Vertrags eingehen will. Wäre der Kläger
darauf eingegangen, ſo hätte hieraus gegen ihn ge⸗
folgert werden können, daß er ſelbſt den früheren Ver⸗
trag als aufgehoben behandelt habe. (Urt. des III. ZS.
vom 10. März 1914, III 497/13).
3331
— 4 —
II.
Berbindung von Gegenſtänden mit einem Grund⸗
ſtücke durch den Pächter. „Borübergehender Zweck“ i. S.
des 3 95 863. Aus den Gründen: Der Berufungs⸗
richter nimmt an: Die von H. auf der gepachteten
Grundfläche errichteten Baulichkeiten und Maſchinen
ſeien nicht zu Beſtandteilen der Grundfläche geworden,
ſondern im Rechtsſinne bewegliche Sachen geblieben.
Die Reviſion meint, das BG. gründe dies darauf, daß
es den $ 95 Abſ. 1 Satz 2 BGB. für wenigſtens ſinn⸗
gemäß anwendbar erachte. Das LG. legt jedoch dar,
daß die Baulichkeiten und die Maſchinen nach 8 95
Abſ. 1 Satz 1 BGB. nicht zu Beſtandteilen geworden
ſeien, weil ſie nur zu einem vorübergehenden Zwecke
mit dem Grund und Boden verbunden worden ſeien.
Allerdings bemerkt es dabei, es ſei anzunehmen, daß
der Geſetzgeber auch die von einem dinglich Berech⸗
tigten mit einem Grundſtücke verbundenen Gebäude
und Werke als nur zu einem vorübergehenden Zwecke
verbunden habe angeſehen wiſſen wollen, und daß nur
zur Beſeitigung von Zweifeln in dieſer Hinſicht der
Satz 2 in den Abſ. 1 des 8 95 eingefügt worden
ſei. Ob dies zutreffend iſt, kann dahingeſtellt bleiben.
Jedenfalls beruht auf dieſer Anſicht die Entſcheidung
nicht. Denn das BG. erklärt zuvor ſelbſt, die Klägerin
könne ſich auf Satz 2 des Abſ. 1 des 8 95 nicht be»
rufen, weil das Pachtrecht des H. gegenüber der Grund⸗
ſtückseigentümerin nicht ein dingliches Recht an dem
Grundſtück i. S. dieſer Vorſchrift ſei. Die Darlegung
aber, daß nach $ 95 Abſ. 1 Satz 1 BGB. die Baulich⸗
keiten und Einrichtungen nicht Beſtandteile geworden
ſeien, läßt keine Geſetzesverletzung erkennen. In der
Regel iſt anzunehmen, daß. wenn ein Pächter Gegen⸗
ſtände mit dem gepachteten Grundſtück verbindet, dies
zu einem vorübergehenden Zweck i. S. des 8 95 Abſ. 1
Satz 1, Abſ. 2 BGB. geſchieht, indem der Wegfall der
Verbindung ſpäteſtens mit der Beendigung der Pacht-
zeit von vornherein vom Pächter beabſichtigt worden
iſt. Ob die Pachtzeit kürzer oder länger dauert, macht
keinen Unterſchied. Maßgebend iſt vielmehr für die
Annahme der Verbindung zu einem vorübergehenden
Zweck, daß der verbindende Pächter die verbundenen
Sachen nicht dauernd auf dem Grundſtück hat laſſen
wollen, ſondern die Verbindung nur in einer zeit⸗
lichen Begrenzung beabſichtigt hat, die ſpäteſtens mit
dem Ablauf der Pachtzeit endete. Daher ſteht hier
der Annahme der Verbindung zu einem vorübergehenden
Zweck nicht entgegen, daß der Pachtvertrag auf 25 Jahre
geſchloſſen war, die verpachtende Stadt ſich auch ver:
pflichtet hatte, nach Ablauf dieſer Pachtzeit auf Ver—
langen des Pächters einen neuen Pachtvertrag auf
25 Jahre zu ſchließen, und daß H. gehofft hat, er
werde auch nach 50 Jahren die Pachtung wieder be—
kommen. Dies um fo weniger, als nach § 5 des Pacht⸗
vertrages ausdrüdlich ein Recht der Vorpächterin vor:
geſehen war, in gewiſſen Fällen ſogar die ſofortige
Aufhebung des Vertrages und die Räumung des Pacht⸗
grundſtücks zu verlangen, und dann dem Pächter bei
Zeitſchrift für Rechtspftege in Bayern. 1914. Nr. 11.
Rückgewähr des Grundſtücks kein Anſpruch auf Ver⸗
gütung wegen etwaiger Einrichtungen zuſtehen ſollte.
Auch ſtellt das BG. feſt, daß man davon ausgegangen
iſt, H. habe die Anlagen nur für die Dauer des Pacht⸗
vertrages angebracht, und daß H. zwar das Fabrik⸗
gebäude feß in Eiſenbeton errichtet hat, weil er ge⸗
hofft hat, die Pachtung auch nach 50 Jahren wieder
zu bekommen, daß er aber nicht daran gedacht hat,
die Anlagen auch nach Beendigung des Pachtverhält⸗
niſſes auf dem Grundſtücke zu laſſen. Aus den Fest.
ſtellungen ergibt ſich, daß H. bei Errichtung des Fabrik-
gebäudes und Anbringung der Einrichtungen ſich vor⸗
geſtellt hat, dieſe Anlagen würden fortdauernd zu feiner
freien Verfügung ſtehen und er werde ſie ſpäteſtens
bei Beendigung des Pachtverhältniſſes früher oder ſpäter
vom Grundſtück entfernen. Daraus folgt, daß nach
der Abſicht des H. die Verbindung nur vorübergehend
fein ſollte. Die Urteile RG. 62, 411; 63, 422, auf
welche die Reviſion ſich bezieht, betreffen Gegenſtände,
die dem Grundſtückseigentümer unter Eigentumsvor⸗
behalt geliefert waren, und haben hier keine Bedeutung.
Allerdings wird bei einem Pachtverhältnis die Ver⸗
bindung von Sachen mit dem Grundſtück nicht immer
als nur vorübergehend gewollt ſein, vielmehr kann
die Abſicht darauf gerichtet fein, die Verbindung dauernd
beſtehen zu laſſen. So z. B. wenn der Pächter eine
Ausſaat vornimmt oder wenn die Verbindung zur
Erfüllung einer dem Pächter dem Verpächter gegen⸗
über obliegenden Verpflichtung, wie der Inſtandſetzung
oder Inſtandhaltung, erfolgt. Aber gerade bei be⸗
ſonders wertvollen Sachen von dauerndem Beſtande
wird die Verbindung, wenn ſie nicht etwa in Erfüllung
einer Verpflichtung aus dem Pachtvertrage vorge⸗
nommen wird, zu vorübergehendem Zweck bewirkt
ſein, ſo auch die Verbindung von Gebäuden und Ein⸗
richtungen, da nicht die Abſicht des Pächters beſtehen
wird, dieſe Sachen auf dem Grundſtück auch nach Be⸗
endigung der Pachtzeit zu belaſſen. (Urt. d. V. ZS. vom
25. März 1914, V 527/13).
3853
— —— .
III.
Bertrag mit dem Nechtsanwalt als Werkvertrag;
Einrede der Wandlung. Aus den Gründen: Das
vertragliche Verhältnis zwiſchen dem Rechtsanwalt und
ſeinem Klienten iſt regelmäßig ein Dienſtvertrag nach
88 611 ff. BGB. (RG. 57, 107) oder, wie RG St. 39, 121
ſich ausdrückt: ein Dienſtvertrag, der zugleich eine Ge⸗
ſchäftsbeſorgung zum Gegenſtande hat (8 675 BGB.).
Hier hat der unter den Parteien geſchloſſene Vertrag
jedoch einen beſonderen Inhalt. Unter den Parteien
war ausgemacht, daß der Kläger in ſeiner Eigenſchaft
als Rechtsanwalt gegen Erſatz der geſetzlichen Gebühren
den bereits zwiſchen dem Beklagten und dem Chineſen J.
ſchriftlich abgeſchloſſenen Vertrag über Ausbeutung
einer Kohlengrube in die dem chineſiſchen Berggeſetze
vom 20. Sept. 1907 entſprechende Geſtalt bringen ſolle.
Zu dieſem Zweck ſollte der Kläger auch mit dem deut—
ſchem Konſulat verhandeln. Dieſer Vertrag war ein
Werkvertrag nach SS 631ff., der zugleich eine Geſchäfts⸗
beſorgung zum Gegenſtand hatte. Der Kläger verſprach
einen beſtimmten durch ſeine Arbeit zu erreichenden Er⸗
folg, nämlich die Herſtellung eines nach chineſiſchem Rechte
brauchbaren Vertrags gegen Entrichtung der geſetz⸗
lichen Vergütung und die Beſorgung der dazu nötigen
Verhandlungen mit dem deutſchen Konſulat. Darüber,
daß die Annahme eines Werkvertrags auch hinſichtlich
der Tätigkeit eines Rechtsanwalts möglich iſt, ſiehe
RG. 52, 367. Auch die Rechtslehre iſt für eine ſolche
Auffaſſung unter beſonderen Umſtänden eingetreten.
(Friedländer, RAO. Anm. 128 vor 8 30, RG RKomm.
vor 8 611 Ziff. 26). JW. 1905, 502° läßt die Frage
dahingeſtellt, verweiſt aber darauf, daß die dort an—
geführten Schriftſteller, die als die große Mehrzahl
bezeichnet werden, ſich mehr oder weniger beſtimmt
für die Annahme eines Werkvertrags ausgeſprochen
haben, wenn ein durch Arbeits- oder Dienſtleiſtung
herbeizuführender Erfolg den Inhalt des Vertrags
bildet. Der verſprochene Erfolg war hier nicht die
Erlangung der behördlichen Genehmigung des vom
Kläger herzuſtellenden Vertrags. Auf ein Verlangen,
daß die Gebühren nur dann ſollten gefordert werden
können, wenn die behördliche Genehmigung erteilt
werde, würde ein Rechtsanwalt niemals eingehen können.
Eine andere Auslegung würde den Grundfätzen von
Treu und Glauben mit Rückſicht auf die Verkehrsſitte
widerſprechen. Nach SS 633, 634 BGB. kann der Be⸗
ſteller wandeln, wenn das Werk mit Fehlern behaftet
iſt, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhn⸗
lichen oder dem nach dem Vertrage vorausgeſetzten
Gebrauch aufheben oder mindern. Dieſen Fall will
der Beklagte hier als gegeben behaupten. Er hat zwar
nur die Zahlung verweigert, alſo rein äußerlich die
Einrede des nichterfüllten Vertrags vorgeſchützt. Allein
es ſteht feſt, daß der Vertrag überhaupt nicht' mehr
erfüllt werden ſoll, für die bloß verzögerliche Einrede
des nicht oder nicht gehörig erfüllten Vertrags iſt des⸗
halb kein Raum. Der Beklagte muß ſich für einen
Rechtsbehelf entſcheiden, der eine endgültige Regelung
der Beziehungen herbeiführt, er behauptet, das vom
Kläger abgelieferte Werk ſei wegen juriftifcher Ver⸗
ſtöße unbrauchbar und wertlos. Es könne daraufhin
eine behördliche Genehmigung niemals erreicht werden.
Dieſes Vorbringen, das den Bekl. zur endgültigen
Zahlungsweigerung berechtigen ſoll, enthält die Ein⸗
rede der Wandlung nach $ 634 BGB. Dieſe Einrede
iſt nicht begründet, dem vom Kläger gelieferten Werke
haftet kein Fehler an. (Wird ausgeführt). (Urt. d.
III. ZS. v. 17. März 1914, III 468/13). — a —
3330
IV.
Auſechtung des Mietvertrags wegen argliftiger
Täuſchung. Offenbarungspflicht des Vermieters. Aus
den Gründen: Die Anfechtung wegen argliſtigen
Verſchweigens von Mängeln der Mietſache wird durch
die Sondervorſchriften des Mietrechts über die Rechte
des Mieters wegen Mängel der Mietſache nicht aus⸗
geſchloſſen. Nach der Rechtſprechung des RG. unterliegt
ein Kaufvertrag über eine beſtimmte Sache der Ans
fechtung wegen argliſtiger Täuſchung über Mängel der
Kaufſache gemäß § 123 BGB. und nicht, wie die Er⸗
füllung eines Gattungskaufs durch Lieferung einer
mangelhaften Sache, deren Mängel der Verkäufer arg—
liſtig verſchwiegen hat, nur den Gewährleiſtungsan—
ſprüchen der SS 459 ff. (vgl. RG Z. 62, 126; 70, 429, JW.
12, 340; 13, 88; Warneyer 13 Nr. 190). Ebenſo ſtehen
auch der Anwendung des 8 123 auf den Fall der arg—
liſtigen Täuſchung über Mängel der Mietſache die Vor—
ſchriften der SS 537 ff. nicht entgegen. Das von der
Reviſion betonte Intereſſe des Vermieters, nicht des
Betruges geziehen zu werden, rechtfertigt die abweichende
Anſicht nicht. Wer ſich der argliſtigen Täuſchung ſchuldig
macht, verdient keine beſondere Begünſtigung (vgl.
außerdem § 540). Mit der Rechtſprechung (vgl. RG. 62,
149; 69, 15; 77, 314; JW. 14, 138) und der Rechtslehre
ſteht es im Einklange, wenn das BG. den Bell. fur
verpflichtet erklärt, auch ohne Frage der Klägerin dieſe
auf den Mangel (Vorhandenſein eines Bäckereibetriebes)
aufmerkſam zu machen. Es nimmt nicht etwa allgemein
eine Offenbarungspflicht des Vermieters hinſichtlich der
ihm bekannten Mängel der Mietwohnung an, ſondern
erklärt für erforderlich, daß das Verſchweigen der Mängel
den Grundſätzen von Treu und Glauben widerſpricht,
und daß der Mieter nach der Verkehrsanſchauung unter
Zeitſchrift für Rechtspfleg
e in Bayern. 1914. Nr. 11.
den gegebenen Umſtänden die Mitteilung erwarten darf.
Die beſonderen Umſtände, die den Bekl. zum Hinweis
auf den Bäckereibetrieb verpflichteten, findet das BG.
in der Erheblichkeit der durch ihn verurſachten Uebel—
ſtände, über die ſich frühere Inhaber der Wohnung,
1 — ze}
andere Hausgenoſſen und Nachbarn beſchwert haben,
ferner in der dem Bekl. bekannten Tatſache, daß wegen
der Bäckerei viele Mietluſtige vom Mieten Abſtand
genommen hatten. Endlich in dem in den Mietverträgen
feſtgelegten Gebrauchszwecke der Wohnung, der Er⸗
richtung eines vornehmen Penſionats, deſſen Betrieb
die Vermietbarkeit jedes einzelnen Zimmers, unbedingte
Ruhe der zu vermietenden Räume und Freiheit von
üblen Gerüchen und von ungewöhnlicher Hitze erfordere.
Die durch die Bäckerei verurſachten Uebelſtände würden
die Wohnung zu dem vertragsmäßigen Gebrauch un⸗
tauglich machen oder doch in ihrem Gebrauchswert
erheblich beeinträchtigen. In dieſen Ausführungen iſt
keine Ueberſpannung der Pflichten des Vermieters zu
finden. (Urt. d. III. ZS. vom 13. März 1914, III 495/13).
3329 — a —
V
Bertragshaftung wegen Unfalls des Kurgaſtes durch
alatten 5 im . Aus den Gründen:
Das BG. hat als erwieſen angeſehen, daß der Fuß⸗
boden der Wandelhalle des Kurhauſes ſo glatt iſt, daß
ein jeder, der beim Gehen über ihn nicht die größte
Vorſicht anwendet, in Gefahr iſt, auszugleiten und hin⸗
zuſtürzen. Hieraus ergibt ſich aber nicht, wie die Reviſion
meint, daß das BG. der A Stadt die Verwendung
von Marmor als Fußbodenbelag vorwerfen will. Es
nimmt nur, und zwar mit Recht, eine Verpflichtung
der Beklagten an, die durch die Glätte eines ſolchen
Fußbodenbelags für den Verkehr entſtehende Gefahr
durch geeignete Mittel auszuſchließen. Dieſer Ver⸗
pflichtung iſt die Beklagte auch nicht etwa deshalb
enthoben, weil es ſich hier um einen Prachtbau handelt.
(Recht 1910 Nr. 3764). Die Beklagte konnte die mit
der Glätte des Marmorfußbodens verbundene Gefahr
des Ausgleitens und Fallens dadurch ausſchließen, daß
ſie den Boden genügend mit Teppichen bedeckte. Sie
hat nun zwar in den Hauptverkehrsrichtungen Läufer
von 1,25 m Breite gelegt. Dieſe Breite hält das BG.
jedoch ohne Rechtsirrtum für nicht ausreichend an
Stellen mit beſonders ſtarkem Verkehr, wie in der Nähe
der Wirtſchaft, wo der Kläger ſich befand, als er fiel.
Aus der Wirtſchaft konnte oft gleichzeitig eine größere
Anzahl von Perſonen kommen, die nicht Sinterelnande
fondern nebeneinander den Läufer begehen und daher
ihnen entgegenkommende Perſonen um des bequemen
Ausweichens willen leicht dazu veranlaſſen können,
von dem nur für zwei Perſonen nebeneinander Raum
bietenden Läufer auf den Marmorboden zu treten.
Allerdings iſt auch an ſolchen Stellen mit ſtärkerem
Verkehr und in einem Falle wie dem eben angenomme⸗
nen die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen, daß alle auf
dem Wege von und zu der Wirtſchaft befindlichen
Perſonen aneinander vorübergehen, ohne den Läufer
zu verlaſſen. Auf dieſe Möglichkeit kann ſich die Be⸗
klagte aber nicht berufen, da ſich der Verkehr erfahrungs—
mäßig nicht in einer ſolchen ſtreng geregelten Form
abſpielt. Mag auch anzunehmen ſein, daß der Kläger,
wenn er den ihm aus der Wirtſchaft entgegenkommen⸗—
den Perſonen unzweideutig ſeinen Willen zu erkennen
gegeben hätte, den Läufer nicht zu verlaſſen, dieſe
Perſonen dadurch veranlaßt haben würde, einzeln
hintereinander an ihm vorbeizugehen, mag alſo für
den Kläger eine unvermeidliche Notwendigkeit zum
Betreten des Marmorfußbodens nicht vorgelegen haben,
ſo hat doch das BG. ohne Rechtsirrtum ein Mitver⸗
ſchulden des Klägers verneint. Mit einer außerordent—
lichen Glätte des Fußbodens war nach der Feſtſtellung
des BG. nicht zu rechnen. Selbſt wenn ſich nun der
Kläger nach der allgemeinen Erfahrung ſagen mußte,
daß Marmorfußboden eine gewiſſe Glätte hat und beim
Begehen größere Vorſicht erfordert als ein aus Dielen
beſtehender Fußboden, ſo liegt doch kein Verſchulden
darin, daß der Kläger nicht ſofort dieſe Erwägung an—
ſtellte, als er zum Zwecke des Ausweichens zur Seite
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
231
— — —
und auf den Marmorfußboden trat. Ganz abgeſehen
davon iſt aber auch gar nicht feſtgeſtellt, daß der Kläger
ſich beim Betreten des Marmorfußbodens irgendwie
unvorſichtig benommen hätte. Gegangen iſt er auf dem
Marmorfußboden überhaupt nicht, vielmehr ſofort beim
Auftreten auf den Marmorboden gefallen. (Urt. des
III. ZS. vom 10. Februar 1914, III 473/13).
3232
— 8 —
VI.
Unrichtig datiertes eigenhändiges Teſtament. Aus
den Gründen: Das Os. ſtellte die tatſächliche Uns
richtigkeit des im Teſtament angegebenen Datums feſt.
Es hält das Teſtament aber für gültig. Es führt aus:
Auch wenn man dem Reichsgerichte darin beipflichten
wolle, daß dem eigenhändigen Teſtament im Falle der
Unrichtigkeit des Datums regelmäßig die rechtliche
Wirkſamkeit zu verſagen ſch wenn nicht das richtige
und nur verſehentlich falſch beurkundete Datum aus
dem ſonſtigen Inhalte des Teſtaments ohne weiteres
erkannt werden könne, ſo müſſe doch dieſem Rechtsſatze
dann die Anerkennung verſagt werden, wenn im ein⸗
zelnen Falle trotz der Unrichtigkeit des Datums die
Intereſſen zweifellos gewahrt ſeien, deren Wahrung
das angebliche Erfordernis der Richtigkeit des Datums
dienen ſolle. Das Erfordernis ſolle einen Schutz gegen
abſichtliche oder unbeabſichtigte Verſchleierungen für
Fälle ſchaffen, in denen Ort und Zeit der Errichtung
des Teſtaments auf ſeine Gültigkeit von Einfluß ſein
könnten. Hier jedoch ſei ein ſolcher Schutz gegenſtandslos,
da die Teſtamentsfähigkeit des Erblaſſers im Zeitpunkte
der tatſächlichen Vollendung des Teſtaments, die geſetz⸗
liche Zuläſſigkeit der Errichtung eines eigenhändigen
Teſtaments am Orte der tatſächlichen Vollendung des
Teſtaments und der Mangel ſpäterer letzwilliger Ver⸗
fügungen, die die Fortdauer der Gültigkeit des Teſtaments
in Frage ſtellten, vollſtändig außer Zweifel ſeien. Ab⸗
geſehen von dieſen der Lage des Falles zu entnehmenden
Erwägungen könne aber überhaupt nicht anerkannt
werden, daß die Richtigkeit der Orts⸗ und Zeitangabe
im eigenhändigen Teſtamente regelmäßig die Voraus⸗
ſetzung ſeiner Gültigkeit ſei. Die in 8 2231 Nr. 2 BGB.
vorgeſchriebene Angabe des Ortes und des Tages der
Erklärung ſolle ohne Rückſicht auf ihre Richtigkeit nur
der möglichſt ſicheren Abgrenzung vollendeter letztwilliger
Verfügungen von unfertigen, nur als Entwürfe an⸗
zuſehenden, eine ſpätere Teſtamentserrichtung nur vor⸗
bereitenden Niederſchreibungen dienen. Die Datierung
ſei Angabe zwar nicht eines beliebigen, aber auch nicht
notwendig des Ortes und Tages, an denen, wohl aber
desjenigen Ortes und Tages, für die das Teſtament
errichtet ſei, ſo daß es trotz ſeiner etwaigen Errichtung
an einem andern Tage oder einem andern Orte dieſelbe
Geltung haben ſolle, wie wenn es an jenem Tage oder
Orte errichtet worden ſei.
Geht man jedoch einmal mit der bisherigen Recht⸗
ſprechung des Senats davon aus, daß der nach 8 2231
Nr. 2 BG B. zur Gültigkeit des eigenhändigen Teſtaments
erforderlichen Angabe des Ortes und des Tages der
Errichtung die rechtliche Bedeutung, nicht einer Willens⸗
erklärung, ſondern eines Zeugniſſes zukommt und daß
ſie deshalb bei Meidung der Nichtigkeit des Teſtaments
der Wahrheit entſprechen muß, ſo iſt es ausgeſchloſſen,
von dem Erforderniſſe der Richtigkeit des Datums ab—
zuſehen, wenn im einzelnen Falle die Intereſſen nicht
gefährdet ſind, zu deren Wahrung das Geſetz dieſes
Erfordernis auſſtellt. Die gegenteilige Annahme würde
zu einer unerträglichen Rechtsunſicherheit führen und
ſchon deshalb ſelbſt dann abzulehnen ſein, wenn $ 2231
Nr. 2 B88. inſoweit nicht als eigentliche Formvorſchrift
anzuerkennen ſein ſollte, als er die ſachliche Richtigkeit
der Orts⸗ und Zeitangabe fordert. Es kann ſich daher
nur noch fragen, ob die Ausführungen des OLG. dem
Senate Veranlaſſung bieten, von ſeiner bisherigen
ſtändigen Rechtſprechung abzugehen und anzunehmen,
daß die Gültigkeit des eigenhändigen Teſtaments von
der Richtigkeit der Orts⸗ und Zeitangabe unabhängig
I Diefe Frage muß verneint werden. Alle Bedenken,
enen das OLG. in Anlehnung an die Darlegungen
von Hölder (IheringsJ. Bd. 52 S. 311) und Strohal
(Erbrecht Bd. I § 21a S. 107 ff.) Ausdruck gibt, find
bereits früher in der Rechtslehre hervorgetreten.
Sie find vom Senate ſchon berückſichtigt worden und
können feine Anſicht nicht erſchüttern. (Urt. d. IV. 38.
v. 7. März 1914, IV 33/13).
3355
Nachſchrift des Herausgebers. Das Urs
teil des OLG. Jena, über deſſen Schickſal in der Re
viſionsinſtanz hier berichtet wird, hatte ein gewiſſes
Aufſehen erregt, weil das OLG. bewußt die Bahn
einer neuzeitlichen Rechtsanwendung betreten hatte.
Ob das in beſonders glücklicher Weiſe geſchehen war,
mag unerörtert bleiben. Man kann im Einzelpunkte
verſchiedener Meinung ſein, ohne deshalb das gute
Recht der Grundanſicht zu verkennen. Deshalb darf
auch die mißbilligende Entſcheidung des Reichsgerichts
nicht dazu führen, daß ſich die Untergerichte nicht mehr
neue Pfade zu gehen getrauen. Es wird nie von einem
Tage zum andern Frühling.
— —— .
VII.
Eigenhändiges Teſtament, das Lücken für ſpätere
Anordnungen läßt und bei dem die Unterſchrift auf einer
leeren Seite ſteht. Beweislaſt. Auf einem Briefbogen,
und zwar auf der erſten, zweiten und dritten Seite,
hatte die Erblaſſerin einzelne Verfügungen nieder⸗
geſchrieben; auf der erſten Seite ſtanden Ort und Tag.
Auf der vierten Seite, in der Mitte der untern Hälfte,
ſteht der Name der Erblaſſerin. Die vierte Seite iſt
im übrigen unbeſchrieben. ö
Aus den Gründen: Das OLG. hat ausgeführt,
die Urkunde enthalte die Angabe des Ortes und des
Tages der Errichtung ſowie die Unterſchrift der Erb⸗
1 Sodann heißt es: „Hiernach entſpricht die
Urkunde der in 8 2231 Nr. 2 8B. geforderten Form
und es iſt nach den für Teſtamente geltenden Aus⸗
legungsregeln (vgl. auch 88 2086 und 2084 BGB.)
davon auszugehen, daß eine wirkſame letztwillige Ver⸗
fügung vorliegt. Sache der Beklagten iſt es, der den
Formvorſchriften entſprechenden Urkunde gegenüber
den Beweis zu erbringen, daß es ſich nicht um ein
gültiges Teſtament, ſondern um einen unwirkſamen
Aufſchrieb handle.“ Wenn die Entſcheidung auf dieſen
Sätzen beruhte, fo wäre fie aufzuheben. Es ergibt ſich
jedoch aus den übrigen Ausführungen, daß die Be⸗
gründung dahin zu verſtehen iſt: Es liegt ein Schrift⸗
ſtück vor, das ſich als Erklärung des letzten Willens
darſtellt. Den in § 2231 Nr. 2 beſtimmten Erforder⸗
niſſen iſt genügt. Die Schrift zeigt Lücken, die die Ab⸗
ſicht ſpäterer Ergänzung der Anordnungen erkennen
laſſen; auch erſtrecken ſich die Anordnungen nicht über
den ganzen Nachlaß. Das iſt jedoch nicht von Be⸗
deutung. Trotz Vorbehalts einer Ergänzung ſind die
einzelnen Anordnungen wirkſam. Auch iſt aus den
Lücken in der Schrift und aus dem Mangel einer über
den ganzen Nachlaß ſich erſtreckenden Verfügung nicht
zu folgern, daß die ganze Niederſchrift nur ein Ent⸗
wurf ſein ſollte. Dagegen ſpricht die Art, wie die
einzelnen Verfügungen gefaßt und geſchrieben ſind, die
Angabe des Datums, die Ueberſchrift „Mein letzter
Wille“ und vor allem die Unterſchrift mit den ſämt⸗
lichen Vornamen. Das genügt mangels entgegen⸗
ſtehender Tatſachen zu der Annahme, daß die Erb—
lajjerin wollte, die niedergeſchriebenen Beſtimmungen
ſollten jedenfalls gelten und wirkſam ſein, möchten
weitere noch getroffen werden oder nicht. Wird die
Begründung ſo verſtanden, ſo iſt die Entſcheidung be—
denkenfrei.
Di
Die Reviſion rügt Verletzung des § 2231 Nr. 2,
weil ſich die Unterſchrift der Erblaſſerin auf einer leeren
Seite befinde, daher das auf den vorhergehenden Seiten
Niedergeſchriebene nicht decke. Die Rüge iſt nicht be⸗
gründet. Das BG. hat feſtgeſtellt, daß die Erblaſſerin ihren
Namen als Unterſchrift zu den auf den erſten 3 Seiten
des Schriftſtücks befindlichen Verfügungen geſchrieben
hat. Da die Unterſchrift ſich am Schluſſe befindet,
deckt ſie die ganze auf dem Briefbogen befindliche Nieder⸗
chrift. Der an ſich auffällige Umſtand, daß die Unter⸗
(BE auf einer im übrigen leeren Seite ſteht, findet
ſeine Erklärung in der Abſicht der Erblaſſerin, die ge⸗
troffenen Anordnungen ſpäter zu ergänzen. Die An⸗
wendung des 8 2231 Nr. 2 iſt nicht zu beanſtanden.
Die zweite Rüge, es ſei die Beweislaſt verkannt, kann
keinen Erfolg haben, weil die Begründung des Be⸗
rufungsurteils anders aufzufaſſen iſt, als die Reviſion
angenommen hat. Es iſt nicht verkannt, daß der
Kläger den Beweis zu führen hatte, die Erblaſſerin
habe ihm durch ein gültiges Teſtament das Vermächtnis
ausgeſetzt; das BG. hat aber angenommen, daß dieſer
Beweis geführt ſei und daß es Sache der Beklagten
ſei, Gegenbeweis zu erbringen und darzutun, daß und
aus welchen Gründen die den Formvorſchriften ent⸗
ſprechende, letztwillige Anordnungen enthaltende Ur⸗
kunde kein gültiges Teſtament ſei. Der Reviſion iſt
zuzugeben, daß für die Frage, ob das Schriftſtück als
Teſtament oder als Entwurf anzuſehen iſt, die Aus⸗
legungsregel des $ 2084 überhaupt nicht, die Vorſchrift
des 8 2086 nicht unmittelbar anwendbar ift. Die Er⸗
forderniſſe eines gültigen Teſtaments bemeſſen ſich nach
den Vorſchriften der 88 2229 ff. Die in 88 2231, 2238
bezeichnete Erklärung des Erblaſſers muß letztwillige
Anordnungen zum Gegenſtand haben. Bringt ein
Erblaſſer den Entwurf eines Teſtaments zu Papier,
ſo fehlt ihm der Wille, durch das Niederſchreiben eine
letztwillige Anordnung zu treffen. § 2086 ſetzt voraus,
daß ein Teſtament vorliegt. Durch § 2086 ſoll ver:
hütet werden, daß der formgerecht erklärte Wille eines
Erblaſſers, der die Anordnungen ſpäterhin zu ergänzen
beabſichtigt, wegen des Vorbehalts der Ergänzung ohne
weiteres als unwirkſam angeſehen wird. Macht aber
der Vorbehalt der Ergänzung die getroffene Anordnung
nicht von der beabſichtigten Ergänzung abhängig, ſo
läßt ſich auch daraus, daß ein Erblaſſer Anordnungen
unter dem Vorbehalt der Ergänzung niedergeſchrieben
hat, nicht ſchließen, daß er noch nicht den Willen ge⸗
habt habe, letztwillig zu verfügen, alſo ein Teſtament
zu errichten. Inſofern läßt ſich alſo § 2086 auch bei
der Frage in Betracht ziehen, ob eine Schrift eine Ers
klärung des letzten Willens enthält oder ob ſie nur
ein Entwurf iſt. Hier hat die Erblaſſerin zwar eine
Ergänzung ihrer Verfügungen nicht ausdrücklich vor—
behalten, aber ſie hat in dem Schriftſtücke Raum frei⸗
gelaſſen, um ſpäter ergänzende Anordnungen hinein-
zuſchreiben. Damit hat ſie den Vorbehalt der Er⸗
gänzung ausgedrückt. Das macht gemäß $ 2086 die
tatſächlich getroffenen Verfügungen nicht unwirkſam.
(Urt. des IV. 3S. vom 26. Februar 1914, IV 603/13).
8354
— — n.
VIII.
Inwieweit kaun gegenüber einer Klage aus 8 717
3 O. eingewendet werden, daß der Geſchadigte Kechts.
dehelſe zur Einſtellung der Vollſtreckung nicht benützt
hade? Kann 3 831 86 B. auf das Verhältnis des Auf⸗
traggebers zum prozeßbevollmächtigten Rechtsanwalt
angewendet werden ? In einem fruheren zwiſchen den
nämlichen Streitteilen mit umgekehrten Parteirollen
geführten Rechtsſtreit war ſtreitig, ob der jetzige Kläger
die in feiner Wiriſchaft erzeugte Milch zu einem be—
ſtimmten Preiſe an die Beklagten liefern müſſe. Das
LG. hatte damals den jetzigen Kläger durch ein vor—
läufig vollſtreckbares Urteil verurteilt, die Milch zu
Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 11. .
|
Ä
liefern; dagegen hat das OLG. die Klage abgewieſen.
In der Zeit bis zum Urteil des OLG. hatte der jetzige
Kläger die Milch an den Beklagten geliefert. Er be⸗
hauptet nunmehr, er habe einen Schaden von 4348 M
erlitten, weil er an einer vorteilhafteren Verwendung
der Milch gehindert worden ſei und verlangt Erſatz
auf Grund des 8 717 Abſ. 2 ZPO. Die Vorgerichte
wieſen ab. Das RG. hob auf.
Aus den Gründen: Das OLG. ſpricht dem
Kläger einen Erſatzanſpruch ab, weil der Schaden vor⸗
wiegend durch ſein Verſchulden verurſacht worden ſei;
er habe verſäumt, die von der Prozeßordnung gewährten
Rechtsbehelfe zu benützen, durch welche die Einſtellung
der Zwangsvollſtreckung aus dem vorläufig vollſtreck⸗
baren Urteil des LG. im Vorprozeſſe hätte herbeigeführt
werden können. Dabei läßt es das OLG. dahingeſtellt,
ob das Verſchulden dem Kläger perſönlich oder einem
ſeiner Rechtsanwälte zur Laſt zu legen ſei, weil der
Kläger für ein Verſchulden ſeiner Rechtsanwälte auf
Grund des 8 831 BGB. einzuſtehen habe.
Mit Recht beſtreitet die Reviſion, daß in dem Ver⸗
halten des Klägers oder ſeiner Anwälte ein Verſchulden
zu finden ſei. Zwar iſt zuzugeben, daß der Schuldner,
gegen den eine Zwangsvollſtreckung aus einem nur
vorläufig vollſtreckbaren Titel ſtattfindet oder bevor⸗
ſteht, unter Umſtänden ſchuldhaft handelt, wenn er
verſäumt, die Rechtsbehelfe zur Abwendung der
Vollſtreckung zu gebrauchen; dies wird insbeſondere
der Fall ſein, wenn der Verurteilte das Urteil durch
Geltendmachung ſolcher Umſtände bekämpfen kann, die
dem Gegner nicht bekannt ſind, oder wenn bei der
Entſtehung des Schadens Urſachen mitwirken, deren
Bedeutung der Gegner nicht überſehen kann. Solches
liegt aber hier nicht vor, und auch die ſonſtigen Um⸗
ſtände laſſen kein Verſchulden des Klägers erkennen.
Der Kläger hatte im Vorprozeſſe ſchon in der 1. Inſtanz
beantragt, es möge ihm geſtattet werden, durch Sicher⸗
heitsleiſtung die Vollſtreckung abzuwenden; dieſer An⸗
trag konnte jedoch keinen Erfolg haben, da die damaligen
Kläger ſich zur Sicherheitsleiſtung erboten, um die
Vollſtreckbarkeit herbeizuführen; zu einem Antrag auf
Abwendung der Vollſtreckung gemäß 8 712 30. fehlte
es an der Vorausſetzung, der Gefahr eines nicht zu
erſetzenden Nachteils. Nachdem die damaligen Kläger
erreicht hatten, daß das Urteil gegen Sicherheitsleiſtung
für vorläufig vollſtreckbar erklärt wurde, kam nur noch
in Frage, ob durch einen Antrag beim Gerichte 2. In⸗
ſtanz die Einſtellung der Vollſtreckung hätte erreicht
werden können. Das OLG. nimmt ſelbſt an, daß.
wenigſtens nach der Anſchauung des Klägers, nur
wenig Ausſicht auf Erfolg eines ſolchen Antrags vor:
handen geweſen ſei. Jedenfalls hätte ſich der Kläger
durch den Antrag der Gefahr ausgeſetzt, die dadurch
erwachſenden Koſten tragen zu muͤſſen. Zudem war
ſehr fraglich, ob es dem Kläger möglich war, der
Vollſtreckung durch Erwirkung eines Beſchluſſes auf
Einſtellung zuvorzukommen; denn die Hinterlegung
der Sicherheit, die Zuſtellung des Urteils und die Ein⸗
leitung zur Zwangsvollſtreckung konnte unter Um—
ſtänden innerhalb ganz kurzer Zeit erfolgen, ohne daß
der Kläger inzwiſchen noch Kenntnis vom jeweiligen
Stande der Sache zu bekommen brauchte. Auf der
anderen Seite behauptet der Beklagte gar nicht, daß
er durch Unterlaſſung der Vollſtreckung aus dem land—
gerichtlichen Urteil in die Gefahr geraten wäre, nach
Erledigung des Prozeſſes für die etwaigen Erſatzan—
ſprüche beim Kläger keine Deckung erlangen zu koͤnnen.
Es iſt rechtlich nicht zu billigen, wenn der Beklagte es
ſeinem Gegner als Verſchulden anrechnen will, daß er
es unterlaſſen habe, Mittel von zweifelhafter und möys
licherweiſe ihm ſelbſt nachteiliger Wirkung anzuwenden.
um ihn an der Ausführung von Schritten zu ver—
hindern, die er mit vollem Bedacht und mit voller
Kenntnis der Sachlage unternahm. Eine ſo weit gehende
Rückſicht auf die Intereſſen des Gegners verlangt
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11. 233
8254 Abſ. 2 BGB. von dem durch einen Schaden Be⸗
drohten nicht.
Es ſoll noch bemerkt fein, daß die vom OLG.
vorgenommene Anwendung des 8 831 BGB. auf die
Tätigkeit eines als Prozeß bevollmächtigten beſtellten
Rechtsanwalts rechtlich verfehlt iſt. (Urt. des IV. 38.
vom 15. Dezember 1913, IV 369/13).
3242
— — — .
B. Strafſachen.
J.
„Ankündigen“ und „Aupreiſen“ i. S. des 5 184 Abſ. 1
Nr. 3 StSB. Aus den Gründen: Es iſt feſtge⸗
ſtellt, daß der Angeklagte die Frauendouchen mit anderen
Gegenſtänden durch ſeine Reiſenden, Drogiſten und Klein⸗
handlungen angeboten hat und daß er ſie insbeſondere
dem Drogiſten H. in E. hat anpreiſen laſſen. Die Urteils⸗
gründe bieten keinen Anhalt dafür, daß das LG. an⸗
genommen hätte, die Ankündigung und Anpreiſung an
die Drogiſten und Kleinhandlungen ſei um deswillen
eine Ankündigung und Anpreiſung an das Pu⸗
blikum, weil die Drogiſten und Kleinhändler nach dem
Willen des Angeklagten von den Reiſenden wahllos
beſucht worden ſeien, alſo kein beſtimmter, abgeſchloſſener
Perſonenkreis ſeien, ſondern eine Mehrzahl unbeſtimmt
welcher und wie vieler Perſonen, mithin ſelbſt „das
Publikum. Das LG. geht vielmehr anders vor. Es
ſieht nicht in dem Anbieten (Ankündigen und Anpreiſen)
an die Drogiſten und Kleinhändler für ſich allein das
Ankündigen und Anpreiſen an das Publikum, ſondern
darin, daß den Kleinhändlern und Drogiſten die Gegen-
ſtände zum Zwecke des Weiterverbreitens an das Pu⸗
blitum angeboten und geliefert wurden und daß fie
auch wirklich die Gegenſtände durch Ausſtellen in ihren
Schaufenſtern dem Publikum anprieſen. Dieſe Tatſache
— fo ſagt das LG. —: „ift dem Angeklagten zuzu⸗
rechnen, da das in ſeiner Abſicht lag, als er die Spritze
durch ſeine Reiſenden den Kleinhandlungen anpreiſen
ließ.“ Mit Recht macht die Reviſion geltend, daß da⸗
mit nicht genügend dargetan iſt, daß der Angeklagte
dem Publikum die Gegenſtände angeprieſen hat. Ge⸗
wiß iſt nach 8 184 Abſ. 1 Nr. 3 StGB. nicht nur zu
beſtrafen, wer perſönlich einen zu unzüchtigem Gebrauche
beſtimmten Gegenſtand dem Publikum ankündigt oder
anpreiſt, ſondern auch, wer ſich zur Ankündigung oder
Anpreiſung eines Anderen bedient. Der Angeklagte
könnte darum unter Umſtänden ſehr wohl als Täter
verantwortlich gemacht werden, wenn er im eigenen
Intereſſe, um das Publikum auf die Gegenſtände auf⸗
merkſam zu machen und ihren Abſatz zu fördern, die
Kleinhandlungen veranlaßt hätte, die Douchen in den
Schaufenſtern auszuſtellen, oder wenn er dazu gar be⸗
ſondere Ausſtellungsſtücke geliefert hätte. Nach dieſer
Richtung reichen aber die Feſtſtellungen des LG. nicht aus.
Sie laſſen vielmehr die Möglichkeit offen, daß der An⸗
geklagte ſelbſt nicht dem Publikum ankündigen und an⸗
preifen,fondern nur den Drogiſten und Kleinhändlern ver-
kaufen wollte und daß er ſich hiervon nicht abhalten ließ,
trozdem ihm bekannt oder doch nicht unwahrſchein⸗
lich war, daß die Kleinhändler es an Anpreiſungen
gegenüber dem Publikum der ihnen drohenden Strafe
ungeachtet nicht würden fehlen laſſen. Dieſer Sach⸗
verhalt würde die Verurteilung des Angeklagten
als Ankündigers der Gegenſtände nicht rechtfertigen.
Die Verurteilung auf Grund dieſes Sachverhalts
würde den Grundſätzen über die Täterſchaft nicht ent⸗
ſprechen, die verlangen, daß als Täter einer vorſätzlichen,
nicht durch Unterlaſſung, ſondern durch Begehung ſich
vollendenden Straftat nur betrachtet wird, der ſie mit
dem Willen, ſie als eigene Tat zu verüben, allein oder
mit Hilfe anderer verwirklicht. Die Verurteilung auf
Irund ſolchen Sachverhalts würde aber auch die Grenzen
nicht einhalten, die § 184 Abſ. 1 Nr. 3 geſteckt hat,
indem er nicht das Verbreiten der zu unzüchtigem Ges
brauch beſtimmten Gegenſtände, ſondern nur die An⸗
kündigung und en e gegenüber dem Publikum
unter Strafe geſtellt hat. Denn das Ergebnis der
Anwendung des 8 184 Abſ. 1 Nr. 3 auf einen ſolchen
Sachverhalt wäre, daß der Verkauf an Kleinhändler
unterſagt wäre, was nicht in den Zwecken des Geſetzes
lag. (Urt. d. V. StS. vom 7. April 1914, V D 213/14).
8352
— — —n.
II.
Erlaubte Zuderung. Aus den Gründen: Die
Zuckerung von Wein iſt nur erlaubt, wenn ſie in der
Abſicht einer Verbeſſerung des Weines erfolgt, wie ſie das
Geſetz allein zuläßt. Das Geſetz geſtattet die Zuckerung
nur, um natürlichen Mängeln an Zucker und Alkohol
oder einem Uebermaß an Säure inſoweit abzuhelfen, als
es der Beſchaffenheit des aus Trauben gleicher Art
und Herkunft in guten Jahrgängen ohne Zuſatz ge⸗
wonnenen Erzeugniſſes entſpricht. Ein Wein, der im
Naturzuſtand oder dem vermeintlichen Naturzuſtand
dem Eigentümer oder Verbraucher „zu rauh oder zu
ſauer ſcheint“, darf nicht deshalb allein gezuckert werden;
das darf nur geſchehen, wenn der an der gleichen Stelle
gewachſene Wein in guten Jahrgängen ohne Zuſätze,
ſoweit Zucker⸗ und Säuregehalt in Frage kommen,
anders beſchaffen iſt und deshalb anders ſchmeckt, und
nur inſoweit um eine Gleichſtellung oder eine An⸗
näherung an die Beſchaffenheit dieſes Weins aus guten
Jahrgängen, ſeinen Zucker⸗ und Säuregehalt, zu er⸗
reichen. Wenn das angefochtene Urteil hinſichtlich des
Weins, der das Vorbild für den mit der Zuckerung
zu erzielenden Weins ſein ſoll, keine Feſtſtellungen trifft
oder nicht treffen kann, ſo iſt der Tatbeſtand nicht er⸗
ſchöpfend feſtgeſtellt und es liegt die Annahme nahe, daß
auch der Angeklagte keine Vorſtellung von dieſem Wein
gehabt, und ſeine Abſicht, einen weniger ſauren und
rauhen Wein zu gewinnen, nicht ſo geſtaltet war, wie es
das Geſetz verlangt. Der Umſtand allein, daß nach den
Urteilsfeſtſtellungen erſichtlich keine Mengevermehrung
über die geſetzliche Grenze hinaus eingetreten iſt, kann den
Angeklagten nicht vor Strafe ſchützen. Dieſe kann viel⸗
mehr, ſei es zufolge vorfätzlicher, ſei es zufolge fahr⸗
läſſiger Verſchuldung verwirkt fein, wenn der Ange⸗
klagte entweder die Grenzen überſchritten hat, die ſich
aus der Beſchaffenheit des Weins ergeben können, oder
wenn er nicht von der Verbeſſerungsabſicht geleitet
war, die das Geſetz allein als berechtigt anerkennt.
(Urt. d. I. StS. v. 26. März 1914, D 81/14). — — —n.
3348
III.
Verhältnis zwiſchen 8 284 StGB. und 88 3, 6
Nenn Wetts. Aus den Gründen: Die Annahme,
daß in Tateinheit mit einem Vergehen nach 8 284 StGB.
ein Vergehen nach 88 3, 6 Renn Wett. vorliege, und
zwar ſowohl in der Richtung, daß der Angeklagte ges
ſchäftsmäßig Wetten vermittelte (5 6 Nr. 2 und 8 3),
wie auch in der Richtung, daß er ein „Wettunternehmen“
betrieb (8 6 Nr. 1 und $ 1), und die Anwendung des
873 StGB. find irrtümlich. Das LG. hat in denſelben
Handlungen ein Vergehen des gewerbsmäßigen Glücks—
ſpiels i. S. des 8 284 StGB. gefunden. Auf Grund
des 3 284 kann eine höhere Strafe verhängt werden
als auf Grund des 86 Renn Wett. In dieſem Falle
tritt aber 8 6 Renn Wett. zufolge der in ihm ent—
haltenen ausdrücklichen Selbſtbeſchränkung als „ſub—
ſidiäres“ Geſetz zurück. Soweit es ſich um das Ver⸗
mitteln von Wetten handelt, kommt noch hinzu, daß
dieſes begrifflich da ausgeſchloſſen iſt, wo eine un—
mittelbare Beteiligung an den Wetten ſelbſt vorliegt.
— —
(Urt. d. V. StS. vom 17. April 1914, V D 1149,13).
3351
— — — .
234
— — — U —:ę — —
Oberlandesgericht München.
1
„ Anzuläſſigkeit der Pfändung künftiger oder unbe:
ſtimmt W AnENe: Forderungen (§ 851 ZPO.). Der
Agent H. beantragte für ſein vollſtreckungsreifes Gut⸗
haben von 282 M gegen den Schreiner H. Pfändung
aller Anſprüche, die dem H. auf Grund von Vollſtreckungs⸗
aufträgen gegen die Gerichtsvollzieherei in M. auf Her⸗
ausgabe von Erlöſen uſw. zuſtehen oder zuſtehen werden.
Das AG. gab dem Antrag ſtatt, auf Beſchwerde wies
rf 925 8G. ab; die weitere Beſchwerde blieb ohne
rfolg.
Aus den Gründen: Es kann dahingeſtellt
bleiben, ob die im Beſchluß des Vollſtreckungsgerichts
ausgeſprochene Pfändung eine Forderungspfändung
nach 8 829 3PO. oder eine Anſpruchspfändung nad)
8 847 ZPO. iſt, da zu letzteren die Pfändung gewöhn⸗
licher Geldforderungen (auch eines regulären Depots)
nicht zählt und nur entſcheidend iſt, ob durch die
Einziehung unmittelbare Befriedigung eintritt (Neu⸗
miller, ZPO. zu 8847 Abſ. 1). Denn auch nach 8 847
PO. find nur ſolche Anſprüͤche auf Herausgabe oder
Leiſtung körperlicher Sachen pfaͤnd bar, die im übrigen
den für 8 829 Abſ. 1 ZPO. zutreffenden Vorausſetzungen
entſprechen (Gaupp⸗Stein, ZPO. 10. Aufl., I zu 8 847).
Beſtritten iſt, ob künftige Forderungen und Anſprüche
pfändbar ſind. Der Senat ſchließt ſich der Meinung
an, daß ſie nur inſoweit gepfändet werden können, als
ihr Entſtehungstatbeſtand ſchon irgendwie in die Wirk⸗
lichkeit getreten iſt, ſei es, daß ſchon eine rechtliche
Grundlage in einem Vertragsverhältnis gegeben, oder
daß eine ſonſtige greifbare Unterlage rechtsbegründender
Art vorhanden iſt. Ein ſolcher Fall liegt nicht vor;
die bloße Möglichkeit, daß der Schuldner die Gerichts⸗
vollzieherei irgendwann einmal mit Beitreibung von
Forderungen beauftragen könne, zählt nicht hieher.
Ebenſo hat das LG. mii Recht die Pfändung etwa ſchon
beigetriebener Beträge als unzuläſſig erachtet, weil es
an einer genügenden Kennzeichnung der Anſprüche
mangelt. (Bejchl. v. 31. Dezember 1913, Beſchw.⸗Reg.
Nr. 820,13). N.
3343
II
Formelle Erforderniſſe einer gerichtlichen Wertfeft:
ſetzung; Streitwert eines Arreſts; Anwaltsdeſchwerde
(55 16 GKG. 3,6 ZPO.; 12 RAG O.). Auf einem Arreſt⸗
befehl des LG. P. war neben dem Aktenzeichen ein Streit⸗
wert von 500 4 vermerkt. Der Anwalt des Arreſt⸗
klägers beantragte in einem als Beſchwerde bezeichneten
Schriftſatz, den Wert „anders feſtzuſetzen, da die Arreſt⸗
forderung 1860 M betrage. Das L. beſchloß, „der
Beſchwerde nicht abzuhelfen“. Das OL. änderte die
landgerichtliche Streitwertsfeſtſetzung gebührenfrei auf
1860 M ab.
Aus den Gründen: Da die beantragte andere“
Feſtſetzung nach der Begründung offenbar eine Erhöhung
bezweckt, fo liegt eine Beſchwerde des Anwalts im
eigenen Namen nach $ 12 RAG O. vor und mangelt es
an einem Gegner (RGZ. 12, 362; JW. 1900 S. 124).
Auch ein Feſtſetzungsbeſchluß des Untergerichts liegt
vor. Allerdings iſt die bloße Wertangabe am Rande
des Arreſtbefehls durch den Vorſitzenden oder Bericht⸗
erſtatter (vgl. Im Bl. 1880 S. 331) kein ſolcher Be⸗
ſchluß (Seuff Bl. Bd. 74 S. 594; Bay Fin Bl. 14 S. 26).
Sie kann ihn auch nicht erſetzen, wenn gerichtliche Feſt⸗
ſetzung nach § 16 GKG. nötig iſt, wie z. B. gerade hier,
wo das Untergericht offenbar von 83 380. Gebrauch
machen will. Durch den Beſchluß aber, der Abhilfe
auf die Beſchwerde verweigert, iſt mittelbar der Wert
feſtgeſetzt und der Beſchwerdeweg eröffnet.“) — Sachlich
1) Eigentlich lag eine unzuläſſige Norausbeſchwerde vor, die zu
verwerfen geweſen wäre; der Vorlagebeſchluß war ſelbſtverſtändlich
den Parteien nicht zugeſtellt. In der Beſchwerdeſache 115/14 nabm der
Zettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
iſt die Beſchwerde begründet. Nach der überwiegenden
Meinung ift auf die Arreſtanordnung $ 6 ZPO. anzu⸗
wenden; es iſt alſo die Forderung ohne Zins maßgebend
(RG Z. 26, 412), ſoferne nicht der Wert des Pfands
geringer iſt. Letzteres hat das Erſtgericht nirgends
feſtgeſtellt; der Arreſt iſt in das geſamte bewegliche
und unbewegliche Vermögen erlaſſen und die gepfändete
Eigentümerhypothek N den Forderungsbetrag
um ein Vielfaches. Für die Anwendung des 8 6 3).
ſpricht die überwiegende Meinung (vgl. JW. 1897
S. 572 und die bei Pfafferoth, GKG. 8 26 und Rittmann,
Streitwert $ 268 angeführten Beſchlüſſe). Die Ent⸗
ſcheidung R&B. 26, 412 betrifft nicht die gegen⸗
wärtige, dort nur beiläufig erwähnte Frage, ſondern
die Einrechnung der Zinſen. Daß auf einſtweilige Ver⸗
fügungen in der Regel § 3 ZPO. angewendet wird, iſt
für den Arreſt ohne Belang; denn dort ſtehen meiſt
nur vorübergehende nebenſächliche Maßregeln in Frage;
wo aber die Rechtslage dem $ 6 ZPO. ähnlich iſt (d. h.
der Verluſt des ganzen Streitgegenſtandes droht) nimmt
das Reichsgericht auch bei einſtweiligen Verfügungen
den vollen Forderungsbetrag als Sicherungswert an
(RG. 35, 394). Daß es 10 im Arreſtverfahren nicht
um rechtskräftige Feſtſtellung des Guthabens ſelbſt
handelt, kommt ſchon in dem geringeren Gebührenſatz
($ 26 GKG.) zum Ausdruck. (Beſchl. v. 23. März 1914,
Beſchw.⸗Reg. Nr. 182/14). N.
3342
Oberlandesgericht Augsburg.
Keine Koſtenfeſtſetzung bei KA Ber:
gleiche. Aus den Gründen: Die Parteien find darüber
einig, daß ſie den Rechtsſtreit außergerichtlich verglichen
haben und daß dabei der Beklagte die Koſten übernommen
hat. Das LG. hat zutreffend ausgeführt, daß ein außer⸗
gerichtlicher Prozeßverg leich den anhängigen Rechtsſtreit
beendet. Der gerichtliche Prozeßvergleich genießt vor dem
außergerichtlichen den Vorzug, daß er nach § 794 Nr. 1
3PO. einen Vollſtreckungstitel gewährt, während auf
Erfüllung eines außergerichtlichen Prozeßvergleichs erſt
wieder klagen muß, wer einen vollſtreckbaren Schuld⸗
titel erlangen will. Aber auch der außergerichtliche
Vergleich ſoll nach der Abſicht der Parteien den Rechts⸗
ſtreit beſeitigen und es demgemäß jeder Partei unmöglich
machen, ihn fortzuführen. Auch nach 883 ZPO. er⸗
ſtreckt ſich die Vollmacht des Rechtsanwalts darauf,
den Rechtsſtreit durch Vergleich zu beſeitigen,
ohne daß ein Unterſchied zwiſchen gerichtlichem und
außergerichtlichem Vergleiche gemacht wird. Auch dieſe
Vorſchrift geht alſo davon aus, daß durch den Ver⸗
gleich der Rechtsſtreit beſeitigt wird. Ein erloſchener
Rechtsſtreit kann aber nicht fortgeſetzt werden. Anders
mag die Sache liegen, wenn die Parteien den Vergleich
als nichtig und unwirkſam erachten oder wenn er das
Streitverhältnis nicht erſchöpfend regelt. Dieſe Fälle
liegen aber nicht vor. Der Kläger will auf Grund der
Beſtimmung des Vergleichs über die Koſten die ge⸗
richtliche Feſtſetzung beſtimmter Koſten erreichen. Daß
dieſem Antrag nicht entſprochen werden kann, ergibt
ſich, abgeſehen von den früheren allgemeinen Aus⸗
führungen, auch daraus, daß er dem Gericht eine
Prüfung anſinnt, die es bei gerichtlichem Vergleiche
nur im Koſtenfeſtſetzungsverfahren nach 8 103 ff. ZPO.
vornehmen könnte. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß
auch bei einem außergerichtlichen Vergleich der Rechts⸗
ſtreit nicht fortgeſetzt werden kann, um auf Grund der
Parteivereinbarung die Koſtenſchuld einer Partei zu
ermitteln. Hier bleibt nur die Klage auf Erfüllung
des Vergleichs übrig.
Senat an, daß durch Erteilung elner Ausfertigung des Urteils der nich:
mitverkundete Urteilsvermerk: „Feſtgeſetzter Streitwert 20 . in
Wirkſamkelt getreten jei, da ein geſonderter Beſchluß ſich nicht del
den Akten befand. Der Einf.
Die Entſcheidung des OLG. Hamburg in der
DIZ. 1908 S. 980 bezieht ſich nur auf den Fall, daß
ein Berglei nur in der Hauptſache, nicht aber im
Koſtenpunkte vorliegt. Der Entſcheidung der OLG.
Dresden in SeuffBBl. 1908 S. 339 liegt der Antrag zu⸗
grunde, den Gegner nach dem außergerichtlichen Ver⸗
gleich zur Tragung des dort feſtgeſtellten Koſtenteils
zu verurteilen. Beide Entſcheidungen treffen hier offen⸗
Batlirz nicht zu. (Beſchl. vom 25. März 1914, 1 s
Reg. II 57/14).
3823
Büreranzeigen.
Birkmeyer, Dr. Karl v., Prof. in München, Schuld
und Gefährlichkeit in ihrer Bedeutung
für die Strafbemeſſung. XXII und 232 S.
Leipzig 1914, Verlag von Felix Meiner. 9 Mk. Krit.
Beiträge zur Strafrechtsreform v. Birkmeyer und
Nagler, 16. Heft!.
Berfafler erörtert das Problem an der Hand einer
ausführlichen Kritik des 8 43 Oeſterreich. Strafgeſetz⸗
entwurfs von 1912 (Regierungs vorlage), wonach die
Strafe nach dem Verſchulden und der Gefährlich⸗
keit des Täters zu bemeſſen iſt, und gelangt zu dem Er»
gebnis, daß der ungeklärte Begriff der Gefährlichkeit als
nicht ins Strafrecht gehöriger Eindringling zu ſtreichen
und durch Vertiefung des Schuldbegriffs zu erſetzen
ſel. Demſelben Gedanken hat B. in ſeinem Aufſatz über
das richterliche Ermeſſen im deutſchen Entwurf, Ge⸗
richtsſaal Bd. 77 S. 408 ff., Ausdruck verliehen. Das
vorliegende Buch, deſſen Gedankenreichtum ſich ſchon
aus der ‚Inhaltsüberſicht“ ergibt, bietet hierzu die
umfaſſende Begründung und enthält damit eine neue
ſachliche Polemik der klaſſiſchen Schule gegen die ſo⸗
ziologiſche Richtung und die ihr von den öſterreichiſchen
und deutſchen Entwürfen und der ſog. dritten au
gemachten Zugeſtändniſſe.
Dietz, Karl, K. Amtsrichter in München, Schätzer⸗An⸗
weiſung. Bekanntmachung der K. Staatsminiſterien
der Juſtiz und des Innern vom 14. Juli 1909, die
Anweiſung für die amtliche Feſtſtellung des Wertes
von Grundſtücken betreffend. VIII, 74 Seiten. Mün⸗
chen, Berlin und Leipzig 1914, J. Schweitzer Ver⸗
lag (Arthur Sellier). Kart. Mk. 2.—.
Die Schätzeranweiſung vom 14. Juli 1909, die an
Stelle der alten Schätzerinſtruktion vom 13. März 1823
die amtliche Feſtſtellung des Wertes von Grundſtücken
einheitlich fuͤr das Königreich regelt, erſcheint mit der
vorliegenden Handausgabe zum erſten Male in kommen⸗
tierter Form. Die einzelnen Vorſchriften werden nach
einem kurzen ſyſtematiſchem Ueberblick klar und ein⸗
gehend erläutert; am Schluſſe ſind außer den amt⸗
lichen Muſtern noch einige weitere Formblätter ſowie ein
Sachregiſter beigefügt. Das Buch wird vor allem den
Grundbuchbeamten und den Notaren ein willkommenes
Hilfsmittel bieten, daneben aber auch den Schätzern
gute zeenlie leiſten.
München. II. Staatsanwalt Dr. Schanz.
Seydel, Max von, Bayeriſches Staatsrecht.
Auf Grund der 2. Aufl. neu bearbeitet von Dr. IJ
Graßmann, Miniſterialrat im K. B. Verkehrsmini⸗
ſterium und Dr. Nobert Piloty, Univerſitätsprofeſſor
in Würzburg. 2. Bände. Tübingen 1913, Verlag
von J. L. C. Mohr (Paul Siebeck). Geheftet Mk. 50. —,
geb. Mk. 55.—
Selten haben die bayeriſchen Juriſten einer Neu⸗
auflage mit größerer Spannung entgegengeſehen, als
der neuen Bearbeitung des „Großen Seydel“. Die
Zeitſchrift für R für Rechtspflege in Bayern. 1“ in Bayern. 1914. 14. Nr. 11.
— — — . —
zu den ſeltenen Büchern, die wegen der Klarheit und
Schärfe der rechtlichen Auffaſſungen, wegen der er⸗
ſchöpfenden Stoffſammlung, wegen des gewaltigen,
einheitlichen Aufbaus im großen und der peinlichen
Genauigkeit im kleinen, nicht zuletzt auch wegen der
glänzenden, lebhaften Darſtellung niemals ganz ver⸗
alten. Aber die unermüdliche Arbeit der Geſetzgebung
hatte doch ſo viel Neues geſchaffen, daß einzelne Ab⸗
ſchnitte für die Rechtsanwendung nicht mehr verwertbar
waren. Die volle Brauchbarkeit wiederherzuſtellen
und dem Werke die Vorzüge zu erhalten, die es groß
gemacht haben, war gewiß keine tleine Aufgabe für
die Bearbeiter, und ihr Werk würde ſchon dann ver⸗
dienſtlich ſein, wenn es auch nur zum Teil gelungen
wäre. Sehe ich recht, ſo galt es drei Hauptſchwierig⸗
keiten zu überwinden.
Zunächſt mußte der Stoff begrenzt werden. Auf
dem Gebiete der bayeriſchen Landesverwaltung iſt ſeit
1899 ſo viel neu geregelt worden — man denke nur
an die Ausführungsgeſetze zum BGB., an das Ab⸗
markungsgeſetz, das Waſſergeſetz, das Fiſchereigeſetz,
die Kirchengemeindeordnung uſw. — daß eine allzu
ausführliche Darſtellung das Buch übermäßig ver⸗
größert hätte. Mit Recht haben die Herausgeber ge⸗
kürzt, wo es möglich war. Dem Werke iſt es nur zu⸗
gute gekommen, daß z. B. ausgeſchieden oder nur noch
angedeutet wurde, was heutzutage nicht mehr in ein
Handbuch des bayeriſchen Staatsrechts, ſondern in ein
Handbuch des Reichsſtaatsrechts gehört (das Gewerbe⸗
recht, ſoweit es reichsgeſetzlich geregelt iſt, das öffent⸗
liche Verſicherungsrecht u. ä.). Dagegen hätte vielleicht
auf dem Grenzgebiete zwiſchen Juſtiz und Verwaltung
etwas mehr Nachgiebigkeit nicht geſchadet. Die Zwangs⸗
erziehung z. B., deren Vollzug in Bayern doch reine
Verwaltungsſache iſt, hätte doch berückſichtigt werden
müſſen. Gern hätte ich auch einen kleinen Ab⸗
ſchnitt geſehen, der die einer großen Entwickelung
fähigen Vorſchriften über den Heimatſchutz zuſammen⸗
gefaßt hätte.
Die zweite Hauptaufgabe der Bearbeiter war es,
ſich mit den Anſichten Seydels ausein anderzuſetzen,
einerſeits ſeine oft ſehr urſprünglichen, von der herr⸗
ſchenden Meinung und von der Rechtſprechung ab⸗
weichenden Ausführungen zu erhalten, andererſeits die
eigene Auffaſſung darzulegen, wo ſie ſich Seydel nicht
anſchließen konnten. Soviel ich ſehe, iſt dieſe Aufgabe
glücklich und mit Geſchick gelöſt worden. Die Stellung
Seydels zu den Grundfragen des bayeriſchen Staats⸗
rechts, deren Kenntnis wir nicht entbehren können, iſt
erſichtlich geblieben, aber die Bearbeiter haben mit
Recht nicht darauf verzichtet, hier und dort einen
eigenen abweichenden Standpunkt zu vertreten.
Es galt ſchließlich, in mühſamer Kleinarbeit eine
Unmenge von Miniſterialvorſchriften, Entſcheidungen,
Abhandlungen uſw. einzugliedern und fo wieder eine
erſchöpfende Darſtellung zu bieten. Das Uebermaß
des Stoffes und die Notwendigkeit, zu einem Ende zu
kommen, ſcheinen hier und dort zu einem gewiſſen
Haſten und damit zu Ungenauigkeiten geführt zu haben.
Schon im Verzeichniſſe der Abkürzungen fällt z. B.
auf, daß nur die Entſcheidungen des „Oberſten Gerichts⸗
hofes“ in Zivil⸗ und Strafſachen genannt ſind. Man
könnte alſo beinahe auf den Gedanken kommen, die
Rechtſprechung des „Oberſten Landgerichts“ ſei nicht
mehr berückſichtigt. Bei näherem Zuſehen zeigt ſich
dann allerdings, daß das nicht der Fall iſt, wenn auch
manchmal eine etwas ſtärkere Verwertung dieſer für
das bayeriſche Staatsrecht fo ergiebigen Quelle an-
gezeigt geweſen wäre. Daß im Abkürzungsverzeichnis
der Herausgeber dieſer Zeitſchrift in den Freiherrn⸗
ſtand erhoben und mit einem ihm nicht zukommenden
Vornamen bedacht iſt, ſoll nur nebenher erwähnt ſein.
Umſonſt ſuchte ich in den bis in den Sommer 1913
reichenden Nachträgen nach der doch immerhin bedeut—
letzte von Seydel ſelbſt herausgegebene Auflage gehörte famen Abtrennung der Amtsanwaltſchaft von der
236
inneren Verwaltung. Auch über die in dieſer Zeits
ſchrift 1909 S. 295, 1910 S. 395, 1911 S. 322 behandelte
Frage konnte ich nichts finden. Solche kleine Flüchtig⸗
keiten könnten noch mehr angeführt werden, insbe⸗
ſondere aus dem 1. Bande. Ich komme auf ſie nicht
deshalb zu ſprechen, weil ich glaubte, daß ſie den Wert
des Buches beeinträchtigen, ſondern um für die nächſte
Auflage, die ja mit mehr Muße wird vorbereitet
werden können, die Beſeitigung dieſer kleinen Mängel
anzuregen. Von der Pfordten.
Wittelftein, Dr. jur. Max, Senatspräſident am Hanſe⸗
atiſchen Oberlandesgericht. Die Miete nach dem
Rechte des Deutſchen Reiches. Dritte Auf⸗
lage. IX, 793 Seiten. Berlin 1913, Franz Vahlen.
Geh. Mk. 15.—, gebd. Mk. 16.—.
Das ausgezeichnete Werk iſt überall gut eingeführt
und bedarf keiner Empfehlung. Als möglichſt er⸗
ſchöpfende Darſtellung des Mietrechtes wird es auch
künftig ſeinen Platz neben den Kommentaren behaupten.
B.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Die Berſergung der Notare und ihrer Hinterblie⸗
benen. Durch die im vorigen Jahre erfolgte Aende⸗
rung der Satzung des Penſionsvereins der bayeriſchen
Notare (JM Bl. 1913 S. 732) wurde das Penſions⸗
ſyſtem für die Notare tunlichſt dem Beamtenpenſions⸗
ſyſtem angeglichen. Dabei wurde beſtimmt, daß die
der Berechnung der Penſion zugrunde zu legende Dienſt⸗
zeit vom Tage der erſten eidlichen Verpflichtung als
Rechtspraktikant gerechnet wird; auch ſoll bei der Feſt⸗
ſtellung der Dienſtzeit die Zeit gerechnet werden, wäh⸗
rend welcher der Notar im Dienſte des Staates oder
des Reiches verwendet war oder als Staatsdienſt⸗
aſpirant oder Notariatspraktikant den für die Er⸗
nennung zum etatsmäßigen Beamten oder zum Notar
angeordneten oder zugelaſſenen Vorbereitungsdienſt
ableiſtete.
Die Aenderung der Satzung machte eine Neu—
regelung der Vorſchriften über das Penſionierungs⸗
verfahren notwendig. Dieſe erfolgt nunmehr durch
die im JMBl. S. 71 veröffentlichte Bekanntmachung
vom 2. Mai 1914, die Penſionsvereine für die Notare
und deren Witwen und Waiſen betr., die an die Stelle
der bisher maßgebenden Bekanntmachung vom 3. Fe⸗
bruar 1902 (JMBl. S. 302) tritt. Die neue Bekannt⸗
machung verpflichtet den Landgerichtspräſidenten, bei
der Vorlegung von Penſionsgeſuchen der Notare die
penſionsfähige Dienſtzeit feſtzuſtellen; über ihre Be—
rechnung ſind eingehende Beſtimmungen in dem Ab—
ſchnitt IB enthalten, die im weſentlichen den Vorſchrif—
ten der Bekanntmachung vom 22. Oktober 1909 über
die Verſetzung der etatsmäßigen Beamten in den Ruhe:
ſtand (GVBl. S. 781) angepaßt ſind. Im übrigen ſind
in Angleichung an das Beamtengeſetz einige Erleich—
terungen geſchaffen. An Stelle der bisher geforderten
zwei amtsärztlichen Zeugniſſe ſoll künftig regelmäßig
ein Zeugnis genügen. Geſtrichen iſt auch die Beſtim—
mung, daß der Landgerichtspräſident Gutachten der
Richter des Amtsgerichts über die Dienſtunfähigkeit
des Notars erholen ſoll. Für die Nachlaßgerichte iſt
von Bedeutung, daß die erſt neuerdings wieder durch
die Bekanntmachung vom 19. Januar 1914 (JM Bl. S. 5)
eingeſchärfte Verpflichtung zur Mitteilung von An—
zeigen über den Tod eines im Ruheſtande befindlichen
Notars, einer Notarswitwe oder einer minderjährigen
Notarswaiſe unverändert aufrecht erhalten iſt.
3357
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 11.
— — ᷑ — — — 0 ———FFPFPFTFTCTCTCTCTCTCCCTCTT—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—T—VT—T—T—T—T—wT———-—-——-—Hw——w——— —— a — — =
De a
Die Borbedingungen für den höheren Inſtiz, und
Berwaltungsdienſt. Vorausſetzung für die Zulaſſung zur
Zwiſchenprüfung und zur Univerſitätsſchlußprüfung iſt
nach 81 Abſ. 5 der K. VO. die Prüfungen für den höheren
Juſtiz⸗ und Verwaltungsdienſt betr. v. 4. Juli 1899 in
der Faſſung der Bek. v. 1. Auguſt 1912 (JM Bl. S. 221)
der Beſitz des Reifezeugniſſes eines deutſchen huma⸗
niſtiſchen Symnaſiums, eines deutſchen Realgymnafiums
oder einer deutſchen Oberrealſchule. Dieſen Zeugniſſen
ſind nunmehr die Reifezeugniſſe der deutſchen Schulen
in Antwerpen, Brüſſel, Bukareſt und Konſtantinopel
See nachdem die deutſchen Bundesregierungen
eſchloſſen haben, daß das Reifezeugnis, das ein Reichs⸗
angehöriger an einer der bezeichneten Schulen erworben
hat, ihm in dem Bundesſtaate, dem er angehört, alle
Berechtigungen gewährt, die dem Reifezeugnis einer
gleichartigen Schule dieſes Staates verliehen find, und
daß in jedem Bundesſtaat auf dieſes Reifezeugnis die
Grundſätze der Vereinbarung der Bundesregierungen
über die gegenſeitige Anerkennung der Reifezeugniſſe
vom Jahre 1909 Anwendung finden. Hiebei ſind die
Schulen in Antwerpen, Bukareſt und Konſtantinovel
als Oberrealſchulen, die Schule in Brüſſel als Real⸗
gymnaſium anzuſehen (Zentralblatt für das Deutſche
Reich 1913 S. 1030).
3316
Militärweſen. Durch Allerh. Entſchließung vom
8. April 1914 (Verordnungsblatt des Kriegsminiſte⸗
riums S. 218) wurde beſtimmt, daß die Train⸗Bataillone
v. 1. April 1914 ab die Bezeichnung Train⸗Abteilung
und die Train⸗Kompagnien die Bezeichnung Eskadron
erhalten. Die zu zweijähriger Dienſtzeit eingezogenen
Mannſchaften des Trains werden ſeitdem Trainreiter,
die zu einjähriger Dienſtzeit eingezogenen Trainfahrer
genannt.
3347
Sprachecke.
„Aus dieſem Grund fällt Klage nötig“, fo heißt
es oft in Klagſchriften, die von badiſchen, insbeſondere
Mannheimer Rechtsanwälten bei pfälziſchen Amtsge⸗
richten einlaufen. Es wäre ſo einfach zu ſagen: aus
dieſem Grund iſt Klage nötig, aber offenbar iſt das den
Verfaſſern der Klagſchriften zu einfach. Daß der Aus⸗
druck „fällt Klage nötig“ falſch iſt, darüber iſt kein
Wort zu verlieren. Wie iſt er nun entſtanden? Es
iſt richtig, zu ſagen, ſo und ſoviel Klagen ſind bei
einem Gericht angefallen; demnach kann auch geſagt
werden, eine Klage fällt an. Es iſt nun offenbar
dieſes Sprachbild mit dem Ausdruck „es iſt Klage
nötig“ in der Weiſe ineinander verarbeitet worden,
daß aus Teilen beider etwas Neues, eine Mißgeſtalt,
1
entſtanden iſt. Es iſt derſelbe Vorgang, der auch ſonſt
noch auf dem Gebiet der Sprache zu beobachten iſt.
So kann man hören, daß einer zu einem anderen
ſagt: „paſſen Sie doch Obacht“. Dies iſt entſtanden
aus „paſſen Sie doch auf“ und „geben Sie doch Obacht“.
Die erwähnte Gepflogenheit badiſcher Rechtsan⸗
wälte mußte hier einmal beſprochen werden, damit
ſich dieſer Mißbrauch in der Sprache nicht auch bei
den pfälziſchen Rechtsanwälten einbürgert. Denn böſe
Beiſpiele verderben gute Sitten. | T.
3350
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München und Berlin.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
ur. 12. 12. MqMünchen, dei den | 15. 5. Juni 191 1914. 10. I.̃0. Jahrg.
tit hrift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
aer il 1111121 gen.
Staats miniſterium der Juſtig. Münden, Berlin u. Leipzig.
(Seufferts Blätter für Rechtsau wendung 8d. 79.)
Die Zeliſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats
Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis viertel jährlich
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/ oder deren Raum. Bei iederbotungen Ermäßigung. Stellens
anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
Nachdruck verboten. | 237
| ſpiegel in recht kenden und wider⸗
Aechtsnatur und Ablöſung der neurechtlichen 1 ie Ben vier
Münchener Gemeinſchaftsmauer. 5 1 1 = befriedigenden 1 5
tsrat Hei l in München. dieſer Frage dürfte daher nicht ganz unnütz ſein
* 5 g . e . er I. Um den jetzt beſtehenden Verhältniſſen wirklich
Einrichtungen, die in den Gewohnheiten und gerecht zu werden, bedarf es vor allem einer Be⸗
Bedürfniſſen der Bevölkerung wurzeln, pflegen er⸗ trachtung des hiefigen Rechtzuſtandes vor Ein⸗
folgreich der Abneigung des Geſetzgebers zu trotzen. führung des neuen Rechts. Die Grundlage
Dies gilt auch von der Münchener Kommun⸗ oder dieſes Rechtszuſtandes bildete der ſchon erwähnte
gemeinſchaftlichen Grenzmauer. Jahrhundertelange Kommunmauerzwang. Hiernach mußte der Eigen⸗
Uebung hat dieſe Einrichtung geheiligt; aber auch tümer eines nicht überbauten Grundſtückes dem
ihre wirtſchaftliche Bedeutung iſt keineswegs gering; Nachbarn, der bauen wollte, Mauerſtatt geben, d.h.
denn, abgeſehen von dem durch ſie ermöglichten ihm geſtatten, die Umfaſſungsmauer ſeines Gebäudes
Gewinn an nutzbarer Baufläche ſpielen die Ab⸗ zur Hälfte auf das Nachbargrundſtück zu ſetzen.
löſungsſummen für die auf das Nachbargrundſtück Dafür erwarb der Mauerſtatt gebende Nachbar
geſetzte Mauerhälfte im Betrage von regelmäßig das Miteigentum an der ganzen, auf dem beider⸗
1000 - 2000 M für den Erbauer eines Anweſens ſeitigen Grundbeſitz aufgeführten Mauer; er war
immerhin ſchon eine Rolle. Das BGB., wie die jedoch verpflichtet, ſobald er an die gemeinſchaftliche
bayeriſche Ausführungsgeſetzgebung hierzu haben Mauer auch ſeinerſeits anbaute, dem Nachbarn,
gleichwohl den durch das alte Münchener Recht d. h. dem derzeitigen Eigentümer des Grundſtücks,
anerkannten ſog. Kommunmauerzwang, d. h. von dem aus die Kommunmauer aufgeführt worden
die Verpflichtung des Nachbars, den Bau der Grenz: war, den Wert der auf ſeinem eigenen Grundſtück
mauer als Kommunmauer zu dulden, beſeitigt. Das ſtehenden Mauerhälfte zu vergüten, ſoweit er dieſe
Münchener Rechtsleben hat ſich aber um dieſe Ent zum Anbau tatſachlich benutzte. Die gleichen Grund⸗
rechtung der Kommunmauer wenig gekümmert. Nach ſätze galten für die einſeitige Erhöhung einer ſchon
wie vor wird in München nach altem Brauch beſtehenden Gemeinſchaftsmauer.!“) Dieſe Rechts⸗
„kommun“ gebaut und die ganze Grundlage diefer ſätze gründeten ſich, wie Tinſch in feinem Münchener
Bauführung beſteht regelmäßig in der Unter: Stadtrecht S. 21 ff. überzeugend dargelegt hat, auf
zeichnung des baupolizeilichen Planes mit der darin gewohnheitsrechtliche Fortbildung der Bauvor⸗
vorgeſehenen Kommunmauer durch den Nachbarn. ſchriften der Art. 349—351 des Münchener Stadt:
Darüber aber, wie das hiedurch geſchaffene Rechts⸗ rechtsbuchs und der Art. 3—6 u. 60 der Münchener
verhältnis jetzt zu beurteilen iſt und welche Anſprüche Bauordnung von 1489.) Die oberſtrichterliche Recht⸗
zwiſchen a achbarn ſich . X en - 5 8 9
eine ganze Literatur erwachſen) und die wider: e DES TORLDIUNETGUELEESDES,
prechenden Anfichten der Rechtslehre in diefer Frage mauerfrüge, g 1014 S. 831. Zie drei lchten erſt nach
ee Abſchluß gegenwärtiger Abhandlung erſchienenen Ars
beiten konnten nur noch kurz berückſichtigt werden.
1) Siehe Roth-Becher, Bayr. ZR. II S. 138 Note
39: Böhm-Klein Anm. 8 55 8 68 AG., Motive z. AGz.⸗
BGB., Becher, Mat. I S. 8
8 2 25 So insbeſondere 800. München Seuff Bl. Bd. 54
1) Siehe Staudinger zu 8 921 BGB. (Bd. 3 S. 302);
ferner Wein, Die Kommunmauer, Bay ZfR. 1913 S. 454,
472; Schmitt, Eigentum am Ueberbau, Bay ZfR. 1914
S. 583 Buſch, Eigentumsverhältniſſe bei dem Bau auf
der Grenze, Bay ZfR. 1914 S. 157; Nützel, Zur Recht⸗
ſprechung über dieſtommunmauern „Bay gf. 1914 S.179;
238
ſprechung lehnte allerdings eine ſolche gewohnheits⸗
rechtliche Fortbildung ab, gelangte jedoch unter Heran⸗
ziehung der Grundſätze des Gemeinen und Bayeriſchen
Landrechts über inaedificatio und in rem versio
ſachlich zur gleichen Beurteilung des Verhältniſſes.“)
Dieſem Rechtszuſtand gegenüber hat nun das
BGB. die Aufſtellung eines Kommunmauerzwangs
ſchlechthin abgelehnt und nur die Verhältniſſe tat⸗
ſächlich beſtehender Einrichtungen ſolcher Art in den
83 921— 922 näher geregelt, ſowie durch Art. 173,
181 EG. auch die ſchon bei ſeiner Einführung
vorhandenen Kommunmauern ſeinen gemeinſchafts⸗
und eigentumsrechtlichen Grundſätzen unterworfen.
Auch das Bayer. AGz BGB. hat die Ermächtigung
des Art. 124 EGzBGB. zu weitergehender ſelb⸗
ſtändiger Ordnung des Nachbarrechts lediglich dazu
benützt, durch ſeine Art. 68 — 70, 77, 78 die
Möglichkeit einſeitiger Erhöhung benutzungsgemein⸗
ſchaftlicher Grenzmauern zu ſchaffen und die Ver⸗
hältniſſe der noch in die Zeit vor dem BGB.
fallenden, aber noch nicht abgelöſten Kommun⸗
mauern für die Zeit des neuen Rechts zu regeln.
Die Neuentſtehung von Kommunmauern im Sinn
des alten Münchener Rechts iſt damit für die Zeit
nach dem Inkrafttreten des BGB. nur mehr im
Wege der Vereinbarung der beteiligten Grund⸗
eigentümer möglich geblieben.
Demnach haben wir z. Z. in München 3 Arten
von Kommunmauern zu unterſcheiden, die von
vornherein wohl auseinandergehalten werden müſſen.
1. Die ſchon vor Einführung des BGB.
errichteten und abgelöſten Kommunmauern (alt:
rechtliche Gemeinſchafts mauern). Dieſe
Kommunmauern haben noch unter dem alten Recht
ihre endgültige Rechtsgeſtalt als im gewöhnlichen
Miteigentum der Nachbarn ſtehende Mauern
erhalten. Sie ſind nur gemäß Art. 173, 181
EGzBGB. durch deſſen Einführung inſoweit
berührt worden, als an Stelle des Miteigen⸗
tums der Nachbarn getrenntes Eigentum nach
dem Grenzlauf unter Benutzungsgemeinſchaft der
Nachbarn an der ganzen Mauer getreten iſt, und
damit ſind dieſe Mauern zu Grenzeinrichtungen
im Sinne der §8 921—922 BGB. geworden.“)
2. Die ſchon vor Einführung des BGB. be—
gonnenen oder erhöhten, aber noch nicht abgelöſten
Kommunmauern. Für die Errichtung und Ab—
löſung dieſer Mauern ſind die Art. 69 und 70
AGz BGB. maßgebend, ſo daß man dieſe Mauern
als Gemeinſchaftsmauern des Ueber—
) Siehe insbeſondere Bay be 3. a. S. Bd. 18.102
VII, 821; XII, 1215 XII, 321; XIV, 499; ferner die
Abhandlungen von Gerſtenecker Seuff Bl. Bd. 53 S. 1
und Walter BayRot 3. 1901 S. 64.
) Siehe Staudinger Anm. IV 5 zu $ 921 BGB.
Bd. 3 S. 306; Planck Anm. 4b zu Art. 181 EG.;
RGRgomm. Anm. Szu 21 BB B.; Habicht, Ueberleitung
S. 398 Ziff. 4; Henle-Schneider Anm. I zu Art. 69
AG z BGB. und Motive zu dieſem Geſetz en
Materialien Bd. J S. 446; ſerner RG. 53, 311; JW
1903 B 39.
oz — — — d0BF r; ůͤß3ßð«—,ð ͤ ßD—— — — — =
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
gangsrechts bezeichnen kann. Hiernach gelten
für die Vollendung dieſer vor Inkrafttreten
des BGB. begonnenen Mauern die bisherigen
Vorſchriften (alſo das alte Münchener Recht).“
Für ihre Ablöſung kommt es darauf an, ob die
Mauer vor oder nach dem Inkrafttreten des BGB.
ablöſungsfällig geworden iſt. Erſterenfalls be⸗
wendet es bei den altrechtlichen Vorſchriſten, letz⸗
terenfalls find die Vorſchriften des Art. 68 AG.
über die Ablöſung neurechtlicher Mauererhöhungen
entſprechend anzuwenden. Im übrigen unterliegen
die hier fraglichen Mauern, wie die unter Ziff. 1
9 den Vorſchriften der 88 921 — 922
3. Die erſt nach Einführung des BGB. be⸗
gonnenen Kommunmauern. Für ihre Errichtung
und Ablöſung iſt ſchlechthin das neue Recht maß⸗
gebend, weshalb man fie als neu rechtliche Be:
meinſchaftsmauern bezeichnen kann. Dieſe
Mauern bilden den eigentlichen Gegenſtand unſerer
Betrachtung.
II. Wie ſchon hervorgehoben, fehlt in dem
neuen Recht jede Zwangsvorſchrift für die Er⸗
richtung gemeinſchaftlicher Grenzmauern. Solche
Mauern können daher nur mehr kraft Geſtattung
des Nachbars, alſo als bewilligte Gemein:
ſchafts mauern, entſtehen. Wie ſchon er⸗
wähnt, erfolgt dieſe Bewilligung hier regel⸗
mäßig ganz formlos durch Unterzeichnung des
polizeilichen Bauplans mit der darin vorgeſehenen
„kommun“ zu erbauenden Mauer. Gerade die
Unſcheinbarkeit dieſes Vorgangs hat aber dazu ge⸗
| führt, daß man bei der Erörterung des jo ge
ſchaffenen Verhältniſſes deſſen vertragsmäßige Natur
nicht genügend beachtet und es, ſtatt in erſter Linie
nach dem Willen der Vertragsparteien zu fragen,
zu ſchematiſch aus den ſachenrechtlichen und bereiche⸗
rungsrechtlichen Grundſätzen des BGB. zu kon⸗
ſtruieren geſucht hat. Stellt man aber die Frage
nach dem, was die Beteiligten eigentlich wollen,
in die erſte Linie, ſo erkennen wir in der Ein⸗
zeichnung der Mauer als „Kommunmauer“ in
den Bauplan und der Genehmigung dieſes Planes
durch den Nachbarn die einfache Willenseinigung
der beiden Grundſtückseigentümer, daß die Mauer
eben nach wie vor in dem hier gebräuchlichen
Sinn „kommun“, alſo als Kommunmauer im
Sinne des oben dargelegten, bisherigen Mün⸗
chener Rechts aufgeführt werden ſoll. Die Frage
iſt nun lediglich weiter, welche Wirkung einer
ſolchen Vereinbarung nach dem jetzigen Recht, und
zwar ſowohl hinſichtlich der formellen Gültigkeit,
wie hinſichtlich des ſachlichen Inhalts beizumeſſen iſt.
) Iſt jedoch die Erhöhung einer beſtehenden
Kommunmauer vor Inkrafttreten des BGB. begonnen,
aber nicht vollendet worden, fo iſt nach dem zweiſel⸗
loſen Wortlaut der Art. 68,09 AG. für den Weiterbau
vom Inkrafttreten des BGB. ab der Art. 68 AG. maß—
gebend.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 239
Betrachten wir zunäaͤchſt dieſe letztere Seite der
Hommunmauervereinbarung, ſo iſt ſoviel ſicher,
daß nach den Grundſätzen des BGB. durch Partei⸗
vereinbarung nicht mehr ein gemeinſchaftliches Eigen⸗
tum an der auf der Grenze errichteten Mauer
begründet werden kann. Regelmäßig fällt viel⸗
mehr nach der zwingenden Vorſchrift des $ 94
BGB. der auf jedem der beiden Grundſtücke ſtehende
Mauerteil in das Alleineigentum des betr. Grund⸗
eigentümers. Hieraus kann jedoch nicht geſchloſſen
werden, daß die Kommunmauervereinbarung als
auf einen unmöglichen Erfolg gerichtet ohne wei⸗
teres nichtig wäre ($ 306 BGB.). Denn der Wille
der Beteiligten geht ſelbſtverſtändlich nicht unbedingt
gerade auf die Rechtsform des Miteigentums an
der Mauer im Sinne des alten Rechts, ſondern
auf die ſachlichen Wirkungen des alten Kommun⸗
mauerverhältniſſes, die mit dieſem verbundenen
Benutzungs- und Ablöſungsrechte zwiſchen den Nach:
barn. Ein derartiges Verhaltnis ließe ſich nun
auch nach jetzigem Recht ungeachtet der Regel des
§ 94 BGB. ohne weiteres dadurch herbeiführen,
daß gegenſeitig förmliche Dienſtbarkeiten in
dieſem Sinne beſtellt') oder ein geſondertes,
gemeinſchaftliches Kom munmauergrund—
ſtünck gebildet und deſſen Verhältniſſe nach $ 1010
BGB. geregelt würden. Dieſe Möglichkeiten
kommen jedoch bei den formloſen Vereinbarungen
der hier fraglichen Art nicht weiter in Betracht.
Doch bietet ſich auch für dieſe Vereinbarungen die
Möglichkeit ſogar mehrfacher von der Regel des
8 94 abweichender Auffaſſungen. So könnte man
hierin die vereinbarungsmäßige Erklärung der
ganzen Kommunmauer als Beſtandteil des
Grundſtücks des Erbauers, und zwar ent⸗
weder endgültig oder doch bis zur Ablöſung, finden,
oder die vereinbarungsmäßige Begründung eines
Ueberbaues im Sinne der 88 912 ff. BGB. oder
endlich die vertragsmäßige Schaffung einer Grenz⸗
einrichtung nach 8921 BGB., Alle dieſe Rechts⸗
ſormen des BGB. hat man denn auch auf das
Kommunmauerverhältnis anzuwenden geſucht. Bei
näherer Betrachtung des maßgebenden Willens der
Beteiligten müſſen jedoch die beiden erſten Formen
ohne weiteres ausſcheiden. Es mag dabei dahin⸗
geſtellt bleiben, inwieweit überhaupt durch An⸗
erkennung eines über die Grenze gerückten Ge:
bäudeteils als Beſtandteil des Hauptgebäudes, ins⸗
beſondere nach $ 95 BGB., der Grundſatz des $ 94
BGB. durchbrochen, ) ebenſo, ob in der Tat durch
) S. hierüber Meisner, Nachbarrecht S. 57 Note
3—4; Geiershöfer Recht 1905 S. 401 ff., OLG. Nürn⸗
berg Bay ZfR. 1907 S. 334, 1912 S. 445, 1914 S. 194
und Pfirſtinger Bay ZfR. 1907 S. 483.
) Die Gemeinſchaftsmauer betrachten als Beſtand—
teil des Erſtbaugrundſtücks bis zum Anbau durch den
Nachbarn insbeſondere Staudinger Anm. IVI zu 8 921
BGB.; ferner nun auch RGRHtomm. Anm. 5 a. E. zu
§ 95 BGB.; Meisner, Nachbarrecht S. 58; Pfirſtinger,
Die Kommunmauer S. 21; Geiershöfer, Recht 1905
S. 402; Schmitt Bay ZfR. 1914 S. 58; ebenſo OLG. Düſſel⸗
TT — —f— ———— —äðà—ĩ . ᷑¶W ä—m...ßkß—8rrßrß—ß—ßK—ð—éꝑCᷓ ß
|
Vereinbarung der Nachbarn ein wirkliches — ding⸗
liches — Ueberbauverhältnis nach 8 912 BGB.
begründet werden kann.“) Ebenſo kann unerörtert
bleiben, wie im Falle eines Beſitzwechſels dem
neuen Eigentümer des Nachbargrundſtücks gegen⸗
über ein Recht auf Belaſſung der Kommunmauer
aus deren Beſtandteilseigenſchaft oder ein Anbau⸗
recht des Nachbars gegenüber einem neuen Eigen⸗
tümer des Erſtbaugrundſtücks aus dem Ueberbau⸗
verhältnis hergeleitet werden ſoll, obwohl beides
doch zum Weſen des Kommunmauerverhältniſſes
gehört. Denn nach der Natur der Sache muß,
wenn ein ſolches Beſtandteil⸗ oder Ueberbauver⸗
hältnis durch Vereinbarung begründet werden ſoll,
vor allem doch der Wille der Vertragsparteien
darauf gerichtet ſein, daß der über die Grenze
geſetzte Gebäudeteil ein Beſtandteil oder Ueberbau
des Hauptgebäudes, alſo ein für dieſes errichteter
und ausſchließlich zu ihm gehörender Bauteil fein
dorf JW. 1912 S. 491 und OLG. Dresden JW. 1912
S. 1037. Dagegen für Eigentumsteilung nach der Grenz⸗
linie Buſch BaygfR. 1914 S. 157; Buhmann BayzgfR.
1914 S. 198; RG. JW. 1911 S. 366 Z. 20, obwohl auch das
R. an ſich die Erſtreckung eines Grundſtücksbeſtandteils
auf ein anderes Grundſtück zuläßt (ſ. RG Z. 65, 363;
72, 272 und RGR Komm. Anm. 1 und 3 zu 8 94 BGB.).
Ebenſo für unbeſchraͤnkte Eigentumsteilung nach de
Grenze hinſichtlich der von dem Eigentümer beider
Grundſtücke aufgeführten Kommunmauer OLG. Münt
chen vom 1. Mai 1912 L 76/12 und vom 15. März 1913»
L 681/12 (Seuff A. Bd. 67 Nr. 204 und BaygfR. 1914
S. 180 — 181).
s) Gegen die Anwendbarkeit der Ueberbauvor⸗
ſchriften auf vertragsmäßige Verhältniſſe OLG. Ham⸗
burg Recht 1910 Nr. 3925 und RG Z. 65, 361, ſowie
Recht 1913 Nr. 3014, auch JW. 1914 S. 40; ebenſo Wein
Bay 3fR. 1913 S. 455 Note 8 und Buhmann BayzfR.
1914 S. 198; dagegen für Auffaſſung der KHommun⸗
mauer vor dem Anbau als geſtatteter Ueberbau OLG.
München, Urteile vom 17. Januar 1914 L 488/13 und
L 336/13 (Bay gfR. 1914 S. 181) unter Berufung auf
RG. 52, 17 und 74, 87 (nach dieſen Entſcheidungen
kann ein Ueberbauverhältnis auf Grund von Verein⸗
barungen entſtehen, die den Herſteller zu der Annahme
berechtigten, daß er über die Grenze bauen dürfe,
ohne daß jedoch dieſe Annahme begründet war). Von
der Auffaſſung der Kommunmauer als Ueberbau gehen
auch aus Meikel Bay Not. 1901 S. 227 und Schmidt
Bay Not Z. 1907 S. 47. Meisner, Nachbarrecht S. 58
Note 1—5 nimmt an, daß im Falle eines Eigentums⸗
wechſels der Erwerber des Nachbargrundſtücks die
Kommunmauer bis zum Anbau als Ueberbau dulden
müſſe, weil der Erbauer auf Grund der Bauerlaubnis
des früheren Eigentümers habe annehmen dürfen, daß
er über die Grenze bauen könne. Allein da für Meisner
die Unwirkſamkeit des formloſen Kommunmauerver—
trags gegenüber dem Beſitznachfolger von vornherein
feſtſteht, kann er auf dieſen Vertrag auch keinen guten
Glauben des Erbauers gegenüber dem Beſitznachfolger
ſtützen. Dies betonen auch Wolff, Der Grenzüberbau
S. 97 Note 16, und Buhmann Bay 3fR. 1914 S. 199.
Oberneck, Reichsgrundbuchrecht Bd. 1 S. 641, nimmt die
Entſtehung eines Ueberbauverhältniſſes wenigſtens an,
wenn der gemeinſchaftliche Eigentümer beider Grund—
ſtücke auf die Grenze gebaut hat und die Grundſtücke
ſpäter getrennt werden. Die hieſige Uebung kennt
jedenfalls trotz der Vorſchrift des § 914 Abſ. 2 BGB.
feine Ueberbaurenten bei neurechtlichen Gemeinſchafts—
mauern.
240
fol. An dieſem Willen fehlt es aber dei der
„kommunen“ Aufführung der Grenzmauer von
vornherein. Denn ſelbſtverſtändlich geſtattet der
Nachbar die „kommune“ Aufführung der Grenz⸗
mauer nicht aus reinem Entgegenkommen, ſondern
mit Rückſicht darauf, daß dieſe auch in ſeinem
eigenen, wohl verſtandenen Intereſſe liegt, weil
fie ihn für den Fall der Bebauung ſeines eigenen
Grundſtücks der Notwendigkeit enthebt, allein eine
volle Grenzmauer aufzuführen, und ebenſo iſt ſich
der Erbauer der Kommunmauer von vornherein
darüber klar, daß er im Falle der Bauführung
auf dem Nachbargrundſtück dem Angrenzer die
Benützung der Kommunmauer, wenn auch gegen
Ablöſung, geſtatten muß. Die Kommunmauer
iſt alſo von Haus aus nicht ein im Intereſſe des
erſtbauenden Grundſtückseigentümers, ſondern eine
im beiderſeitigen Intereſſe geſchaffene Einrichtung
und an dieſer ihrer Natur wird nichts dadurch
geändert, daß die volle Verwirklichung des In⸗
tereſſes des einen Grundeigentümers erſt der Zu⸗
kunft vorbehalten und auch noch von der vorherigen
Ablöfung der Kommunmauer abhängig ſein ſoll.“)
Hiernach iſt die Bewilligung der „kommunen“
Aufführung einer Grenzmauer durch den Nachbarn
nichts anderes als eine auf Schaffung einer Grenz⸗
einrichtung im Sinne des $ 921 BGB.
gerichtete Vereinbarung. Als eine derartige Ein⸗
richtung hat nach 8 921 BGB. eine Mauer zu
gelten, die zwei Grundſtücke ſcheidet, zum Vorteil
beider Grundſtücke dient und zu deren Benützung
die beiden Nachbarn gemeinjchaftlich berechtigt find.
Alle dieſe Vorausſetzungen ſind ſchon mit der Er⸗
bauung der bewilligten Gemeinſchaftsmauer gegeben.
Daß dieſe, um als Grenzeinrichtung gelten zu können,
geradezu beſtimmt ſein müſſe als Scheidemauer zu
dienen, iſt keineswegs erforderlich. Vielmehr genügt
ſchon nach dem Wortlaut des Geſetzes, daß die
Mauer tatſächlich die beiden Grundſtücke ſcheidet,
d. h. eben auf der Grenze fleht.““) Die Mauer
) Aus dem gleichen Grunde gegen die Annahme
eines Ueberbauverhältniſſes Pfirſtinger Seuff Bl. Bd. 67
S. 100. Die gleiche Auffaſſung der Kommunmauer
als einer Gemeinſchaftseinrichtung ſchon vor dem An—
bau liegt dem Urteil des OLS. München vom 1. Mai
1912 L 76/12 und der Abhandlung von Mannherz
JW. 1912 S. 491 zugrunde S. auch Höniger ArchBürgR.
Bd. 35 S. 282, der bei Trennung zweier Grundſtücke mit
gemeinſchaftlicher Grenzmauer ein ſchon von vorn:
herein begründetes Gemeinſchaftsverhältnis nach 8 921
BGB. annimmt, und die franzöſiſch-rechtlichen Dar⸗
legungen in RGZ3. 72, 272; ferner Wolff, Der
Grenzüberbau S. 105 (f. entſprechende Anwendung des
8 922 BGB. bei Trennung der beiden Grundſtücke).
Für die Auffaſſung der Kommunmauer als Grenz—
einrichtung von der Erbauung ab nun entſchieden
auch Buhmann BaygfR. 1914 S. 199. Mit Unrecht
hat dagegen die Entſcheidung des OLG. Nürnberg
Bay 3fR. 1907 S. 335 in einem derartigen Fall die
Beſtimmung zur gemeinſchaftlichen Benutzung vermißt.
10) Die gegenteilige Anſicht in RG. 70, 204 wird
von Staudinger Anm. I Abſ. 2 zu $ 921 BGB. mit
Recht abgelehnt. Ebenſo auch Meisner, Nachbarrecht
S. 43 Note 1, und Mannherz JW. 1912 S. 491. Auch
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
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— —
dient auch ſchon, mit ihrer Aufführung dem Bor:
teil beider Grundſtücke, und zwar dem Vorteil des
Grundſtücks, auf dem ein Anbau noch nicht beſteht,
eben dadurch, daß ſie deſſen künftige Bebauung
erleichtert, da ja beide Nachbarn von vornherein
darüber einig ſind, daß die Mauer auch von dem
Angrenzer zur Bauführung benutzt werden darf.
Dieſe Eigenſchaft der Mauer kommt auch ſchon
vor dem Anbau dadurch zum Ausdruck,“) daß
ſie ſchon zum Teil im Baubereich des Nach⸗
bars aufgeführt iſt. Ueberdies wird regelmäßig
die Mauerſeite nach dem Nachbargrundſtück für
den Anbau rauh belaſſen und auch damit die Be⸗
ſtimmung der Mauer für dieſes Grundſtück äußerlich
ausgedrückt. Das Beſondere des Falles beſteht nur
darin, daß der Nachbar, wenigſtens regelmäßig,
die Gemeinſchaftsmauer nicht ſofort benutzt und
daß ihm weiterhin nach dem Willen der Parteien
die Benutzung der Mauer durch Anbau nur gegen
Ablöſung des Wertes des von ihm beanſpruchten
Mauerteiles freiſtehen ſoll. Dieſe beiden Beſonder⸗
heiten ſchließen jedoch keineswegs aus, daß die
Kommunmauer ſofort, d. h. ſchon vor erfolgtem
Anbau als Grenzeinrichtung zu betrachten iſt.
Denn, wie erwähnt, muß die Grenzeinrichtung nur
zum Vorteil beider Grundſtücke dienen, d. h. deren
vorteilhaftere Benutzung ermöglichen. Damit iſt
jedoch nicht geſagt, daß dieſe Möglichkeit im ein⸗
zelnen auch ſchon voll ausgenützt fein muß.
Ebenſo iſt zum Begriff der Grenzeinrichtung nicht
erforderlich, daß die Benutzbarkeit unbedingt
und unbeſchränkt ſein muß. Der $ 922 BGB.
beſtimmt allerdings: „Sind die Nachbarn zur Be
nutzung einer der im § 921 bezeichneten Einrich⸗
tungen gemeinſchaftlich berechtigt, ſo kann ſie jeder
zu dem Zwecke, der ſich aus ihrer Beſchaffenheit
die Auffaſſung der altrechtlichen Kommunmauern als
nunmehrige Grenzeinrichtungen (Note 4 oben) ſchließt
die Einſchränkung des Begriffs der Grenzeinrichtung
auf Scheidemauern aus. Dagegen für den Stand⸗
punkt des RG. RGRKomm. Anm 3 zu 8 921 und Wein,
Bay ZfR. 1913 S. 474.
Umgekehrt will Tinſch, Münchener Stadtrecht S. 31,
für das alte Münchener Recht nur die Hausmauer als
Kommunmauer im Sinne dieſes Rechts gelten laſſen.
Dieſe Meinung widerſpricht jedoch ſchon der früheren
Münchener Uebung; auch das Bayer. AGz BGB. ſcheidet
in feinen Art. 68 ff. nicht zwiſchen Haus- und ſonſtigen
Grenzmauern, und in der Tat werden auch noch jetzt
im hieſigen Bauleben alle kommun gebauten Grenz⸗
mauern hinſichtlich Anbau und Ablöſung gleich be⸗
handelt.
10 Ueber dieſes Erfordernis ſ. Staudinger Anm.!
Abſ. 4 lit. b zu § 921 BGB.
12) Meisner, Nachbarrecht S. 58 59, und Pfirſtinger,
Die Kommunmauer S. 16, meinen allerdings, vor dem
Anbau ſei eine Grenzeinrichtung noch nicht vorhanden.
weil die Mauer inſolange nicht zum Vorteil beider
Grundſtücke diene. Nach ihrer Anſicht ſoll die Mauer,
die bis zum Anbau lediglich Beſtandteil des Gebäudes
auf dem Erſtbaugrundſtück iſt, erſt durch den Anbau
Grenzeinrichtung werden. Allein hierbei ergibt ſich
ſofort die Frage, mit welchem Rechte auf Grund dieſer
Auffaſſung der Nachbar, beſonders nach erfolgtem Bes
ſitzwechſel, anbauen darf.
— —— —A— —ſ —
ZBettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
241
ergibt, inſoweit benutzen, als nicht die Mitbenutzung
des anderen beeinträchtigt wird.“ Der Paragraph
beſtimmt ſodann weiter, wie die Unterhaltungs⸗
koften zu tragen find und unter welchen Voraus⸗
ſetzungen die Einrichtung beſeitigt oder verändert
werden kann und ſagt ſchließlich: „Im übrigen
beſtimmt ſich das Rechtsverhältnis zwiſchen den
Nachbarn nach den Vorſchriften über die Gemein⸗
ſchaft.“ Demgemäß iſt aber insbeſondere auf die
Grenzeinrichtung auch die Vorſchrift des 8 745
BGB. anwendbar, wonach die Verwaltung und
Benutzung des gemeinſchaftlichen Gegenſtands, alſo
auch einer Grenzeinrichtung, durch Vereinbarung
der Teilhaber geregelt werden kann.““) Dies kann
aber auch in der Weiſe geſchehen, daß die durch
§ 922 BGB. vorgeſehene regelmäßige Form der
gemeinſchaftlichen Benutzung vereinbarungsmäßig
eingeſchränkt oder von Bedingungen abhängig ge⸗
macht wird.“) Lediglich als eine ſolche verein:
barungsmäßige Einſchränkung der Mitbenutzungs⸗
befugnis des Nachbarn ſtellt ſich aber die bei der
Bewilligung der neurechtlichen Gemeinſchaftsmauer
ſtillſchweigend vorbehaltene Ablöfungspflicht des
Nachbars dar. Die Bedeutung dieſes Vorbe⸗
haltes im Sinne des bei der Bewilligung bezielten,
altüblichen Zuſtandes iſt eben die, daß der An⸗
grenzer die an ſich als benutzungsgemeinſchaftliche
Grenzeinrichtung aufgeführte Mauer ſeinerſeits zum
Anbau doch nur benutzen darf, wenn er zuvor die
in Anſpruch genommene Mauerhälfte ablöſt. Nach
§ 746 BGB. wirkt aber eine Vereinbarung der
Teilhaber hinſichtlich der Verwaltung und Be⸗
nutzung des gemeinſchaftlichen Gegenſtandes auch für
und gegen die Sondernachfolger. Damit iſt auch
dem auf der Grundlage des BGB. vereinbarungs⸗
gemäß geſchaffenen Kommunmauerverhäͤltnis die
für das alte Recht angenommene Wirkung gewahrt,
daß die Ablöſungspflicht von einem Beſitzwechſel
der Nachbargrundſtücke unabhängig iſt und im
Falle des Anbaues zugunſten und zu Laſten des
jeweiligen Eigentümers der Gemeinſchaftsgrund⸗
ſtücke eintritt.
So ſehen wir unter dem Geſichtspunkt der
Grenzeinrichtung das durch die Bewilligung einer
neurechtlichen Gemeinſchaftsmauer begründete Ver⸗
1) Für die Zulaäͤſſigkeit vertragsmäßiger Bes
nutzungsregeln bei der Grenzeinrichtung ſ. Planck
Anm. 1—2 zu 8 922 BGB.; RGRRomm. Anm 6 zu
$ 922; Crome, Bürg. R. Bd. II S. 301. Ebenſo Buh⸗
mann Bay gZfR. 1914 S. 223.
14) Die gemäß 8 745 Abſ. 2 BGB. mangels Ver⸗
einbarung mögliche Regelung der Verwaltung und Be⸗
nutzung durch Urteil kann nach den Motiven (Bd. II
S. 888) insbeſondere auch durch räumliche Teilung,
Ueberlaſſung der Nutzungen an einen Teilhaber gegen
Abfindung des anderen, nach Zeitfriſten wechſelnde
Benutzung durch die einzelnen Teilhaber erfolgen.
Ebenſo Oertmann, Recht der Schuldverh. Anm. 4 zu
8 745 BGB., und RG. Gruchot Bd. 49 S. 837. Um⸗
ſomehr iſt eine vereinbarungsmäßige Regelung in dieſer
Weiſe möglich.
hältnis vollſtaͤndig gemäß dem nach den altrecht⸗
lichen Grundſätzen auszulegenden Willen der Par:
teien geſtaltet, abgeſehen von dem einen Punkt,
daß an Stelle des altrechtlichen Miteigentums an
der Mauer infolge der zwingenden ſachenrechtlichen
Vorſchriften des BGB. nur eine Benutzungs⸗
gemeinſchaft an den in das Alleineigentum der beiden
Nachbarn fallenden, auf dem einen und dem andern
Grundſtück ſtehenden Mauerteilen eintritt.
Aber auch formell ſtehen der dargelegten Auf⸗
faffung des Verhältniſſes Schwierigkeiten nicht ent⸗
gegen. Daß eine Vereinbarung, welche die Schaffung
einer Grenzeinrichtung zum Gegenſtand hat, keiner
Form, insbeſondere nicht der für die Beſtellung
dinglicher Rechte erforderlichen Form bedarf, iſt
anerkannt. Es ergibt ſich dies aus der Natur der
Grenzeinrichtung, bei der es ſich eigentumsrechtlich
nur um einen tatſaͤchlichen, von dem Geſetz mit
nachbarrechtlicher Wirkung ausgeſtatteten Zuſtand
der beteiligten Grundſtücke handelt.“) Hieraus
folgt ohne weiteres, daß eine ſolche Vereinbarung
auch ſtillſchweigend getroffen werden kann.““) Eben:
ſo bedarf auch eine Vereinbarung über die Ver⸗
waltung und Benutzung eines gemeinſchaftlichen
Gegenſtandes, demgemäß auch einer Grenzeinrich⸗
tung, keiner Form.“) Die Formvorſchrift des
8313 BGB. kommt hierfür ebenſowenig wie für
die Begründung einer Grenzeinrichtung in Betracht,
da es ſich dabei nicht um eine Verpflichtung zur
Eigentumsübertragung handelt. Desgleichen ſchlagen
die Formvorſchriften für die Begründung dinglicher
Rechte an Grundſtücken hier nicht ein, da die
Verhältniſſe einer Grenzeinrichtung zwar, wie er⸗
wähnt, wohl in der Form der Beſtellung ding⸗
licher Rechte geordnet werden können, aber nicht
müſſen und die Regelung des Verhältniſſes als
bloßer Grenzeinrichtung nach 88 921-922 BGB.
eben die Beſtellung eines dinglichen Rechts an dem
einen oder anderen Grundſtück nicht enthält. Nach
16) Für dieſe Natur der Grenzeinrichtung 1 Motive
zu BGB. Bd. III S. 274, Abſ. 3 und S. 277 Ziff. 4
und RGRKomm. Anm. 6 zu 8 921 BGB. Es iſt 11 05
nur eine umſchreibende Wendung, wenn die Motive
anderſeits (Bd. III S. 276 Ziff 3), ebenſo Staudinger
Anm. I 1 zu 8 922 BGB. hier von einem grunddienſt⸗
barkeitsartigen ſubjektiv⸗dinglichen Rechte ſprechen.
Wolff Recht 1900 S. 447 bezeichnet die Grenzeinrich⸗
tung als geſetzliche Dienſtbarkeit. Allein geſetzliche
Grunddienſtbarkeiten ſind eben nichts anderes als
nachbarrechtliche Eigentumsbeſchränkungen (ſ. RG.
Bd. 63 S. 6 und auch Wolff ſelbſt Recht 1 S. 476
Ziff. 7 Abſ. 4; ferner Walter JW. 1909 S. 746).
16) Für die Zuläſſigkeit der formloſen Begründung
eines Grenzeinrichtungsverhältniſſes Meisner, Nachbar⸗
recht S. 41; Wolff, Grenzanlagen, Recht 1900 S. 448
Ziff. 2; OLG. Dresden OG. Bd. 18 S. 130; vgl. auch
wegen 8313 BGB. OLG. München Bay ZfR. 1914 S. 182.
) S. RGRKomm. Anm. 6 zu 8 922 BGB. (An⸗
wendbarkeit der 8S 744, 745, 746 auf die Grenzein⸗
richtungen, insbeſondere Regelung der Verwaltung und
Benutzung durch einfachen Vertrag), ebenſo Planck
Anm. 2b zu $ 922 BGB.
242
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
8 1010 BGB. ſoll allerdings bei dem Miteigen⸗
tum an einem Grundſtück, wenn die Miteigen⸗
tümer die Verwaltung und Benutzung geregelt haben,
die Beſtimmung gegen den Sondernachfolger eines
Miteigentümers nur wirken, wenn ſie als Belaſtung
des Anteils im Grundbuch eingetragen iſt. Dieſe
Vorſchrift iſt jedoch ebenfalls auf die bewilligte
Gemeinſchaftsmauer nicht anwendbar, da es ſich
bei dieſer nicht um eine Regelung des Miteigen⸗
tums an einem Grundſtück handelt, ſondern nur
um die der Benutzungsgemeinſchaft an den im
getrennten Eigentum der beiden Nachbarn ſtehenden
Mauerhälften. Im übrigen erklärt $ 922 BGB.
auf die Grenzeinrichtungen nur die Vorſchriften
über die Gemeinſchaft, nicht auch die für das Mit⸗
eigentum als anwendbar. Sonach iſt der form⸗
loſe neurechtliche KHommunmauervertrag im Sinne
der obigen Ausführungen rechtsgültig und auch
gegenüber den Sondernachfolgern der beteiligten
Grundſtücke rechtswirkſam.“) (Schluß folgt).
Vargebotserhöhungen.
Von Amtsrichter Hans Dittrich in München.
I
Nach den 88 49 und 52 3G. beſteht das
Meiſtgebot im Zwangsverſteigerungsverfahren immer
dann, wenn es nicht vom erſten Hypothekgläubiger
oder einem dieſem im Range vorgehenden Berech⸗
tigten betrieben wird, aus zwei deutlich geſchiedenen
Teilen, nämlich aus dem Bargebot und dem eine
geſetzliche Verſteigerungsbedingung bildenden Ge⸗
bot der als Beſtandteil des geringſten Gebotes be⸗
ſtehen bleibenden Rechte.
Nun iſt der Fall denkbar, daß ein nach den
geſetzlichen Verſteigerungsbedingungen bei der Feſt⸗
ſtellung des geringſten Gebotes als beſtehenbleibend
15) Siehe dazu RGRKomm. Anm. 6 zu § 922 BGB.
(eine Vereinbarung nach 8746 wirkt auch ohne Ein⸗
tragung gemäß $ 1010, wenn auch nur ſchuldrechtlich,
gegenüber den Sonderrechtsnachfolgern), ebenſo Planck
Anm. 2b zu 8 922, ferner Männer, Sachenrecht S. 178
Note 125 (die Verwaltung und Benutzung der Grenz—
einrichtung kann vertragsmäßig geregelt werden; die
Regelung wirkt für und gegen die Sondernachfolger
(8 746), immerhin nur obligatoriſch. Sollen die Bes
fugniſſe der Beteiligten dinglich feſtgelegt werden, ſo
bedarf es eines dinglichen Vertrags und der Eintragung;
das Rechtsverhältnis fällt dann in die Kategorie der
Grunddienſtbarkeiten). Ebenſo (Notwendigkeit der Ein—
tragung nur bei Regelung der Benutzung in Geſtalt einer
förmlichen Dienſtbarkeit) ſind zu verſtehen RGRKomm.
Anm. 6 zu § 921 und die Ausführungen von Turnau—
Förſter, LiegenſchR. Anm. 4 zu § 1010 und Anm. 2 zu
8 921— 922. Aber auch dieſen nicht unmittelbar dinglich
wirkenden Benutzungs vereinbarungen kommt die Wir⸗
kung einer Umgeſtaltung des Gemeinſchaftsverhältniſſes
als ſolchen zu; es kann nur mehr in dieſer Geſtalt
auf einen ſpäteren Erwerber der Nachbargrundſtücke
ı
1
i
berückſichtigtes Recht trotz der Eintragung im Grund:
buch gar nicht beſtand; für Fälle dieſer Art be
ſtimmt $ 50 3G. :
I. „Soweit eine bei der Feſtſtellung des geringſten
Gebotes berückſichtigte Hypothek, Grundſchuld oder
. (seil. im Augenblick des Zuſchlags) nicht
beſteht, hat der Erſteher außer dem Bargebot auch
den Betrag des berückſichtigten Kapitals zu zahlen.
30 Anſehung der Verzinslichkeit, des Zinsſatzes, der
ahlungszeit, der Kündigung und des Zahlungsortes
bleiben die für das berückſichtigte Recht getroffenen
Beſtimmungen maßgebend.
II. Das gleiche gilt:
1. wenn das Recht (erg. zur Zeit des Zuſchlages)
bedingt iſt und die aufſchiebende Bedingung ausfällt
oder die auflöſende Bedingung eintritt;
2. . . . (in gewiſſen Fällen bei Vorliegen einer
Geſamtbelaſtung) ..
851 des Geſetzes ſchreibt im Anſchluß hieran
vor, wie es zu halten iſt, wenn das berückſichtigte
Recht nicht eine Hypothek, Grundſchuld oder Renten⸗
ſchuld, ſondern beiſpielsweiſe eine Dienſtbarkeit iſt.
Die Erhöhung, die der barzuzahlende Teil des
Gebotes auf Grund dieſer Beſtimmungen erfährt,
wird in der Rechtslehre verſchiedenartig bezeichnet:
Henle ſagt „Erſatzanſpruch“, Jäckel⸗Güthe „Erſatz⸗
zahlung“, von der Pfordten „Erhöhung der Bar⸗
zahlungspflicht“; Steiner gebraucht abwechſelnd die
Ausdrücke „Mehrzahlungspflicht“ und „Erhöhung
der Barzahlung“; ich ſelbſt habe mir den Aus⸗
druck „Bargebotserhöhung“ angewöhnt; wenn ich
im Nachſtehenden dieſen oder einen anderen der
vorſtehend aufgeführten Ausdrücke gebrauche, ſo
meine ich ſtets die dem Erſteher nach 88 50, 51
3G. obliegende Mehrzahlungspflicht.
Die 88 50 und 51 3G. beruhen auf einem
durchaus geſunden Gedanken: Der Erſteher ſoll
nicht infolge des zufälligen Nichtbeſtehens einer
eigentlich übernommenen Belaſtung einen unver:
dienten Vorteil haben, der natürlich ſtets zum Schaden
anderer Beteiligter ausſchlagen wird; auch ſoll ſich
jeder Bieter ſchon beim Legen des Gebotes genau
berechnen können, wie hoch ihm das Grundftüd
zu ſtehen kommt, wenn es ihm zugeſchlagen wird;
die Summe des Bargebots und des Wertes der
als Beſtandteil des geringſten Gebots beſtehen
übergehen (ſ. Oertmann, Recht der Schuldverhältniſſe
Anm. 2 zu 8 746 BGB.). Dagegen find Staudinger
Anm. 3 zu § 746, Meisner, Nachbarrecht S. 54, und Wolff,
Recht 1900 S. 476, der Anſicht, daß Vereinbarungen über
die Verwaltung und Benutzung einer Grenzeinrichtung
zur Wirkſamkeit gegenüber den Sondernachfolgern
ſchlechthin der Eintragung in das Grundbuch bedürfen.
Ebenſo anſcheinend die Motive zu Art. 70 Bayer. AG.
(Becher, Mat. Bd. J S. 89). — Für die Wirkſamkeit von
Benutzungs vereinbarungen gegenüber den Beſitznach—
folgern iſt allerdings zu fordern, daß es ſich nicht nur
um eine Vereinbarung vorübergehender und rein per—
ſönlicher Natur handelt, ſondern wirklich eine dauernde
Regelung des Benutzungsrechts beabſichtigt iſt. Die
Wirkung ſolcher Vereinbarungen gegenüber den Sonder—
nachfolgern tritt anderſeits ohne Rückſicht auf deren
Kenntnis von der Vereinbarung ein (ſ. Planck Anm. 3
zu 8746 BGB.). — Im Sinne der Unanwendbarkeit des
§ 1010 BGB. nun auch Buhmann Bay f. 1914 S. 223.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
243
bleibenden Rechte zuſammen bilden den Preis
des Grundſtücks; wird dieſer Preis infolge Nicht⸗
beſtehens eines formell beſtehen gebliebenen Rechtes
gemindert, ſo muß die Minderung um der Ge⸗
rechtigkeit willen durch eine Erhöhung des bar zu
zahlenden Betrages ausgeglichen werden, und zwar
muß dieſe Erhöhung hinſichtlich Fälligkeit und Ver⸗
zinslichkeit genau den gleichen Bedingungen unter⸗
liegen wie das weggefallene Recht. Iſt alſo bei⸗
ſpielsweiſe das weggefallene Recht eine Hypothek,
die jeweils am 1. Januar mit 4% verzinslich
und nach halbjaͤhriger, jedoch bis 1. Januar 1920
ausgeſchloſſener Kündigung rückzahlbar iſt, ſo iſt
auch die entſprechende Bargebotserhöhung jeweils
am 1. Januar mit 4% verzinslich, aber (abgeſehen
von den fortlaufend fällig werdenden Zinſen) erſt
nach halbjähriger, bis 1. Januar 1920 ausge⸗
ſchloſſener Kündigung zahlbar.
Juriſtiſch und mathematiſch iſt das ſehr fein
ausgedacht; nur iſt leider die Art, wie einem an
ſich durchaus geſunden Grundgedanken zum Durch⸗
bruch verholfen wurde und bei dem nun einmal
herrſchenden ſog. eg der Uebernahme in
Ermangelung von etwas Beſſerem verholfen werden
mußte, dem Laien meiſt unverſtändlich und an⸗
ſcheinend auch der großen Mehrzahl unſerer Juriſten
ſchwer geläufig. Und doch wäre es dringend zu
wünſchen, daß in allen Kreiſen, die mit dem Grund⸗
ſtücksverkehr zu tun haben, die Tragweite der
85 50, 51 3G. ganz erkannt und verſtanden
wird; denn die Fälle, die durch dieſe Beſtim⸗
mungen erfaßt werden, ſpielen in Bayern ſeit Ein⸗
führung des Grundbuchrechts eine ziemlich be⸗
deutende Rolle.
Es find ja auch unter dem alten Recht ge:
legentlich ſolche Fälle vorgekommen; Art. 7 der
bayeriſchen Subhaſtationsnovelle vom Jahre 1886
hat ihnen ſogar ausdrücklich Rechnung getragen;
aber die ſachenrechtlichen Beſtimmungen der in
Bayern geltenden Rechte und ihre zweckentſprechende
Anwendung, die ſich gut eingebürgert hatte, haben
nur verhältnismäßig ſelten zur Anwendung dieſes
Artikels geführt. Eine weſentliche Aenderung iſt
in dieſen Verhältniſſen mit der Einführung des
Grundbuchrechtes und insbeſondere der Eigentümer⸗
grundſchuld eingetreten. Nicht als ob es im Weſen
der Eigentümergrundſchuld an ſich läge, daß der
Fall des 8 50 fo häufig vorkommt: der Grund,
weshalb man jo häufig zur Anwendung dieſer ver⸗
wickelten Beſtimmungen“) genötigt ift, ſcheint mir
vielmehr darin zu liegen, daß ſich unſere Notare
und die juriſtiſchen Berater der Beteiligten in die
zweckentſprechende Anwendung des neuen Rechts
noch nicht vollſtändig hineingefunden haben. Auch
ſonſt iſt ja das Grundſtücksrecht in Bayern durch
die Einführung des Grundbuchs nicht einfacher
—
) Deren ganze Verzwicktheit ſich erſt richtig über⸗
ſehen läßt, wenn man dazu die SS 125 und 128 38G.
vergleicht.
geworden: was bei uns das Publikum auf Grund
alteingebürgerter und bewährter Gepflogenheiten in
der Regel haben will, laßt ſich häufig nur noch
auf Umwegen und mit Vielſchreiberei erreichen,
die früher nicht nötig waren; aber während unſere
Notare in Grundbuchſachen an der Hand der in
juriſtiſcher Hinſicht ausgezeichneten amtlichen For⸗
mularſammlung dieſe Schwierigkeiten im all⸗
gemeinen leicht überwunden haben, zeigt ſich bei
Durchführung der Zwangsverſteigerungen noch ziem⸗
lich häufig eine gewiſſe Unſicherheit, die insbeſondere
auf dem Gebiete der Bargebotserhöhungen gerne
zutage tritt. Die nachfolgenden Ausführungen ſollen
dazu beitragen, dieſem Uebelſtand abzuhelfen; ſie
verzichten deshalb von vorneherein darauf, eine
erſchöpfende Darſtellung des Rechts der Bargebots⸗
erhöhungen zu geben, und wollen nur an einem
einzigen, aber ſehr häufig vorkommenden und aͤußerſt
lehrreichen Beiſpiel zeigen, daß die Bargebots⸗
erhöhung an allen Ecken und Enden lauert, daß
fie den Richter oft vor ſehr ſchwierige und faft
unlösbare Rechtsfragen ſtellt, daß ſie aber in der
Regel, natürlich wiederum nur auf Umwegen, ver⸗
hältnismäßig leicht vermieden werden kann.
II. Sachverhalt.
a) Johann Mayer iſt ſeit dem Jahre 1900
Eigentümer des Grundſtücks Pl.⸗Nr. 20 in Felden;
in Felden iſt das Grundbuch ſeit dem 1. Mai 1905
angelegt. Auf dem Grundſtück iſt in Abteilung III
folgendes eingetragen:
1/I. Am 20. Auguſt 1904. Hypothek für 20000 M
Pfandbriefdarlehen der Pfandbriefbank Felden, A.⸗G.
in Felden, vom 1. Auguſt 1904 ab mit 4 v. H. ver⸗
zinslich und durch Zinszuſchläge von ½ v. H. in der
Art zu tilgen, daß während 55 !/s Jahren Halbjahres⸗
annuitäten von 450 M jeweils am 1. Februar und
1. Auguſt, erſtmals am 1. Februar 1905, letztmals am
1. Februar 1960, entrichtet werden.
2000 M Kaution für nicht bevorzugte Zinſen, Koſten,
Schäden, Vertragsſtrafen und ſechsprozentige Ber:
zugszinſen.
2/II. Am 10. Mai 1906. 10 000 M Hypothek ohne
Brief des Kaufmanns Zwanziger in Felden
3. Am 10. Mai 1906. Vormerkung zur Sicherung
des Anſpruchs des Gläubigers der Hypothek 2/II auf
Löſchung der Hypothek 1 /I, wenn und ſoweit ſie ſich
mit dem Eigentum in einer Perſon vereinigt.
Am 2. Mai 1910 wird das Grundſtück zum
Zweck der Zwangsverwaltung, am 10. April 1911
wird es auf Antrag des Gläubigers der 2. Hypo⸗
thek zum Zweck der Zwangsverſteigerung beſchlag⸗
nahmt. Zu dem auf 1. Oktober 1911 beſtimmten
Verſteigerungstermin, in dem auch gleich der Zu⸗
ſchlag erteilt wurde, meldet die Bank an:
Koſten des Zwangsverwaltungs⸗ und
Zwangsverſteigerungsverfahrens . 20 —
Annuitätenrate. vom 1. Februar 1910. 450.—
6% Verzugszinſen hieraus vom 1. Fe⸗
bruar 1910 bis 30. September 1911. 45.—
Annuitätenrate vom 1. Auguſt 1911.3. 450.—
6 %ũʃꝓ Verzugszinſen hieraus vom 1. Auguſt
bis 30. September 19iI1I1 4.50
244
Effektivreſtkapital am 1. Auguſt 1911:) . 19 199.90
4% Zinſen hieraus vom 1. Auguſt bis 30. Sep⸗
tember 1911111111 128.—
Nachaltem bayeriſchen Subhaſtationsrecht konnte
man das geringſte Gebot unmittelbar auf dieſe
Anmeldung aufbauen (vgl. Ortenau⸗Henle zu Art. 4
der Novelle). Tat man dies, ſo waren Weiterungen
nicht zu befürchten: die fälligen Annuitätenraten
und die Zinſen ſeit 1. Auguſt waren zu bezahlen
(Art. 8 Abſ. III der Novelle); das Effektivreſt⸗
kapital und die Nebenkaution waren zu übernehmen,
erſteres gegen Anrechnung auf den Strichſchilling
(Art. 6 der Novelle), letztere, ſoweit ſie ſich auf
künftige Anſprüche bezog, ohne Anrechnung Art. 8
Abſ. III der Novelle); nebenher waren die in die
Nebenkaution fallenden Koſten und Verzugszinſen
gem. Art. 8 Abſ. II der Novelle bar zu erlegen.
Anders liegt die Sache nach Grundbuch- und
Zwangsverſteigerungsrecht, da hier die durch die
Annuitätenzahlungen getilgten Beträge in der Regel
nicht erloͤſchen, ſondern kraft Geſetzes zu Eigen⸗
tümergrundſchulden werden oder auf Dritte über⸗
gehen. Will man hier klare Verhältniſſe ſchaffen,
ſo bleibt nichts anderes übrig, als daß man der
Sache auf den Grund geht. Die Notare tun dies
in der Regel nicht und überlaſſen dieſe Taͤtig⸗
keit dem mit dem Verteilungsverfahren befaßten
Vollſtreckungsrichter. Die Folge iſt, daß in Fällen,
wie dem hier geſchilderten, der Notar das geringſte
Gebot (abgeſehen von den Koſten des Verfahrens und
den Anſprüchen des § 10 Nr. 1-3 3 WG.) in der
Regel folgendermaßen berechnet:
a) als Beſtandteil des geringſten Gebots bleibt
beſtehen: die Hypothek der Pfandbriefbank Felden zu
20 000 ) ſamt der zehnprozentigen Nebenkaution,
b) bar zu zahlen ſind folgende Anſprüche der Pfand⸗
briefbank Felden:
Koſte nnn 2 20.—
Annuitätenrate vom 1. Februar 1910 450.—
Berzugszinfen hieraus bis 30. September 1911 45.—
desgl. bis 15. Oktober 1911) 1.13
Annuitätenrate vom 1. Auguſt 1911 450.—
Verzugszinſen hieraus bis 30 September 1911 4.50
desgl. bis 15. Oktober 19119 . 1.13
4% Zinſen aus 19 199.90 u Effektivreſt⸗
kapital vom 1. Auguſt bis 30. Sep⸗
tember 1c9˙11l en 128.—
desgl. bis 15. Oktober 19119) 32.—
Beſondere Verſteigerungsbedingungen werden
meiſt nicht vereinbart. Dem Erſteher wird alſo
) d. i. der Betrag, der nach Zahlung der am
1. Februar 1910 und 1. Auguſt 1911 verfallenen
Annuitätenraten noch geſchuldet wird.
2) Statt deſſen kann man gelegentlich auch leſen:
„Die Hypothek der Pfandbriefbank Felden zu nominal
20000 UM im Effektivreſtbetrag von 19199.90 f.“ Dieſe
Faſſung iſt zum mindeſten unklar, da fie nicht deut—
lich erſehen läßt, ob die vollen 20000 M oder nur
19 199.90 M beſtehen bleiben ſollen; in einem derartigen
Fall, wo einer meiner Kollegen deshalb eine Rückfrage
an den Notar machte, erwiderte dieſer, daß nur der
Effektivreſtbetrag aufrecht erhalten werden ſollte; dies
war ohne Aufſtellung einer beſonderen Verſteigerungs⸗
eee, in dieſem Sinne unzuläſſig.
7 3G.
584
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
das Grundſtück in der Regel unter den geſetzlichen
Verſteigerungsbedingungen unter Aufrechterhaltung
der Bankhypothek und der Nebenkaution im vollen
Betrag zugeſchlagen.
b) Wenn es nun zur Verteilung des Erlöſes
kommt, wird ſich das Vollſtreckungsgericht ver-
anlaßt ſehen, das rechtliche Schickſal der Bank⸗
hypothek ſamt Nebenkaution feſtzuſtellen; durch
Anfrage bei der Bank und Einſicht der Zwangs⸗
verwaltungsakten und auf Grund der vom Er⸗
ſteher ie Quittungen über die ſeit dem
Zuſchlag für Rechnung des Strichſchillings bereits
geleiſteten Zahlungen wird ſich hier beiſpielsweiſe
folgendes ermitteln laſſen:
Die jeweils fälligen Annuitäten wurden (ab⸗
geſehen von den Annuitäten ſeit 1. Februar 1910)
ſtets ziemlich pünktlich bezahlt; Anhaltspunkte
dafür, daß die Zahlungen jemals von dritter
Seite geleiſtet worden wären, ſind nicht vorhanden;
getilgt wurden:
e Rate, fälligam 1. Februar 1905:50.— 47
1. Auguſt 1905:51.— M
1. Februar 1906: 52.— M
" ” "n
7 „ I. Auguſt 1906:53.—4
5 : ee „ 1. Februar 1907:54.10.4M
„ 6. „ „ 1. Auguſt 1907: 55.204
„ Deny „ 1. Februar 1908: 56.401
„ 8. „ f 1. Auguſt 1908: 57.601
N „ 1. Februar 1909: 58.807
„ 10. „ 1. Auguft 1909: 60.— M
E le 61.20 durchdie 13. Rate: 63.604
„ 12. „ 62.4047 „ 14. „ 61.804
die 11. und 12. Rate, verrechnet auf die Raten
vom 1. Auguſt 1910 und 1. Februar 1911,
wurden vor dem Verſteigerungstermin aus der
Zwangsverwaltungsmaſſe gedeckt, die 13. und
14. Rate, verrechnet auf die Raten vom 1. Fe⸗
bruar 1910 und 1. Auguſt 1911, nach dem Ver⸗
ſteigerungstermin (wollen wir annehmen: am
1. November 1911) vom Erſteher für Rechnung
des Strichſchillings bezahlt.
Bei dieſem Sachverhalt waren von den
20 000 M Hauptſachehypothek im Augen:
blick der Erteilung des Zuſchlags:
1. 50 M infolge der erſten noch unter dem alten
bayeriſchen Hypothekenrecht erfolgten Annui⸗
tätenzahlung erloſchen,
2. 498.10 M infolge der 2. mit 10. Annuitäten:
zahlung Eigentümergrundſchuld des Mayer
geworden.
3. 123.60 M durch Zahlung aus der Zwangs
verwaltungsmaſſe gem. $ 1181 Abſ. 1 BGB.
erloſchen und
4. 19 199.90 M + 63.60 1 4 64.80 1 =
19 328.30 M noch Hypothek der Pfandbrief⸗
bank Felden; bezüglich der letztgenannten Be:
träge von 63.60 “ und 64.80 M zeigt ſich
hierbei die eigenartige Erſcheinung, daß ſie
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
im geringſten Gebot eigentlich doppelt berück⸗
ſichtigt find, nämlich einmal im Rahmen der
beſtehenbleibenden Hauptſachehypothek und ein⸗
mal als Teil der zwei bar zu bezahlenden
rückſtändigen Annuitätenraten, ohne daß da⸗
durch gegen das Geſetz verſtoßen würde.
Hinſichtlich der Nebenkaution iſt aus dem
wiedergegebenen Akteninhalt erſichtlich, daß darauf
nur ganz geringfügige Forderungen entſtanden
find: ſogar für die 20 Koſten, die nach altem
bayeriſchen Hypothekenrecht nur im Rahmen der
Nebenkaution hätten berückſichtigt werden können,
haftet nunmehr gem. $ 1118 BGB. das Grund⸗
ſtück ſchon auf Grund der Hauptſachehypothek;
nur die Verzugszinſen, für die (in unſerem
Fall!) nach dem Inhalt des Grundbuchs die
Hauptſachehypothek nicht haftet, können (in un⸗
ferem Fall!) nur im Rahmen der Nebenkaution
verlangt werden. Auch dieſe Verzugszinſen treten
bei der Feſtſtellung des geringſten Gebots zwei⸗
mal in die Erſcheinung, naͤmlich einmal im
Rahmen der beſtehenbleibenden Nebenkaution und
einmal als barzuzahlender Anſpruch; ihre Berück⸗
ſichtigung als barzuzahlender Anſpruch wäre,
wie oben dargelegt, nach altem bayeriſchen Sub⸗
haſtationsrecht in Ordnung geweſen; nach dem
jetzt geltenden Recht iſt ſie jedoch ein Fehler, der
faſt regelmäßig gemacht wird: ſie durften ohne
Aufſtellung einer beſonderen Verſteigerungsbedin⸗
gung nur im Rahmen der Nebenkaution, d. h.
als Beſtandteil eines beſtehenbleibenden Rechtes
berückſichtigt werden.“) Da allerdings die Art
der Feſtſtellung des geringſten Gebots für den
Verteilungsrichter nicht bindend iſt, wird das Voll⸗
ſtreckungsgericht die Verzugszinſen bei der Ver⸗
teilung des Erlöſes nicht unter die barzuzahlenden
Anſprüche aufzunehmen und auf dieſe Weiſe den
Fehler des Verſteigerungsbeamten zu berichtigen
haben. Im übrigen ergibt ſich aus dem Geſagten,
daß auf die Nebenkaution im Augenblick der Er⸗
teilung des Zuſchlags nur 49.50 ½ Forderungen
entſtanden waren, während ſie im Reſtbetrag von
1950.50 M nicht ausgefüllt war.
III.
In dem in Ziff. II erörterten Fall kommen
folgende Bargebotserhöhungen in Betracht:
1. Eine Bargebotserhöhung von 50,
weil zu dieſem Betrag die im geringſten Gebot
als beſtehenbleibend berückſichtigte Bankhypothek im
Augenblick des Zuſchlags bereits erloſchen war. Da
dieſe 50 M ein bereits am 1. Februar 1905 fällig
gewordener Hypothekteil ſind, iſt dieſe Bargebots⸗
erhöhung ſchon ſällig; ſie iſt ferner gleich der Bank⸗
hypothek mit 4 %e verzinslich. Einige Schwierig⸗
keit verurſacht die Löſung der Frage, von welchem
5) Anders natürlich, wenn die Verzugszinſen,
wie dies nun bei allen neueren Bankhypotheken der
Fall iſt, bereits als Nebenleiſtung der Hauptſache—
hypothek im Grundbuch eingetragen ſind.
245
Tag ab Zinſen zu entrichten find; man wird als
Tag des Zinsbeginns den Tag des Zuſchlags, alſo
den 1. Oktober 1911, annehmen können, weil mit
dieſem Tag der an ſich erloſchene Hypothekteil von
50 M in Geſtalt einer Bargebotserhöhung zu neuem
Leben erſtanden iſt und der Erſteher, wenn die
Hypothek zu dieſem Betrag noch beitände, gem.
9 56 Satz 2 3G. vom Zuſchlag an deren Zinſen⸗
laſt zu tragen hätte.
2. Eine bedingte Bargebotserhöhung
von 498.10 M, weil bezüglich dieſes infolge der
Annuitätenzahlungen zur Eigentümergrundſchuld
gewordenen Betrags für den Nachhypothekgläubiger
Zwanziger ein Löſchungsanſpruch beſteht. Die Bar⸗
gebotserhöhung iſt doppelt bedingt dadurch, daß
a) Zwanziger von ſeinem Löſchungsanſpruch Ge⸗
brauch macht und b) im Vollzug dieſes Löſchungs⸗
anſpruchs die Eigentümergrundſchuld auch wirklich
gelöſcht wird; im übrigen iſt fie nach $ 125 Abſ. 2
3G. zu behandeln. Der Richter wird, beſonders
dann wenn die bedingte Bargebotserhöhung nicht
dem Erſteher ſelbſt zugute kommt, tunlichſt be⸗
ſtrebt ſein, die Rechtslage bis zum Verteilungs⸗
termin vollſtändig zu klären, indem er darauf hin⸗
wirkt, daß ſich Zwanziger beſtimmt darüber er⸗
klaͤrt, ob er von ſeinem Löſchungsanſpruch Gebrauch
macht; bejaht er dies, ſo kann man unter Um⸗
ſtänden ſogar darauf hinwirken, daß die Löſchung
noch vor dem Verteilungstermin vollzogen wird,
wodurch dann zwar nicht die Bargebotserhöhung
als ſolche, aber wenigſtens ihre beſonders ſtörend
wirkende Bedingtheit beſeitigt wird.
Auch dieſe 498.10 ½ betreffen einen ſchon
fälligen Hypothekteil; die (bedingte) Bargebots⸗
erhöhung iſt deshalb ebenfalls bereits fällig.
Aus der Eigentümergrundſchuld waren, ſolange
ſie wirklich Eigentümergrundſchuld war, gem.
5 1197 Abſ. 2 BGB. keine Zinſen zu entrichten;
durch das neben dem Verſteigerungsverfahren her⸗
gehende Zwangsverwaltungsverfahren wurde daran
für unſeren Fall nichts geändert, weil Mayer die
ihm nach $ 1197 Abſ. II BGB. für die Dauer
der Zwangsverwaltung gebührenden Zinſen nicht
allgemein, ſondern nur aus der Zwangsverwaltungs⸗
maſſe beanſpruchen konnte (vgl. RGZ. 60, 359).
Ein allgemeines Recht des Mayer auf Verzinſung
ſeiner Eigentümergrundſchuld entſtand jedoch in
dem Augenblick, wo ſein Recht aufhörte, eine Eigen⸗
tümer grundſchuld zu fein, d. h. mit dem Zuſchlag,
durch den der Erſteher Eigentümer des belaſteten.
Grundſtücks wurde. Hienach iſt die „Eigentümer⸗
grundſchuld“ und demnach auch die (bedingt) an
ihre Stelle tretende Bargebotserhöhung von 498.107
ebenfalls vom 1. Oktober 1911 ab mit 4% verzins⸗
lich. Gegen die Annahme der Verzinslichkeit der
ehemaligen Eigentümergrundſchuld könnten hier
inſofern einige Bedenken beſtehen, als ſich durch
ihre Verzinslichkeit die Summe der aus der Bank⸗
hypothek geſchuldeten wiederkehrenden Leiſtungen
erhöhen würde; das Bedenken iſt aber nicht ſtich⸗
246
— —— — —
haltig: würde man die Verzinslichkeit der auf dieſe
Weiſe entſtandenen Grundſchulden leugnen, ſo müßte
folgerichtig auch die nach vollſtändig durchgeführter
Annuitätentilgung an die Stelle der Bankhypothek
getretene Grundſchuld von 20 000 M unverzinslich
ſein; daß dies nicht der Fall ſein kann, liegt
auf der Hand; in der Tat iſt denn auch die durch Ver⸗
zinſung der „Eigentümergrundſchuld“ von 498.101
hervorgerufene Mehrbelaſtung nur ſcheinbar, da
eben die ſortlaufend zu zahlenden Annuitäten mit
fortſchreitender Kapitalstilgung einen immer größer
werdenden Kapitaltilgungsbetrag und einen immer
kleiner werdenden Zinſenbetrag enthalten, ſo daß
auch bei Verzinſung der „Eigentümergrundſchuld“
nicht mehr Zinſen bezahlt werden müſſen, als
e des Grundbuchs zu entrichten ſind.
3. iſt eine Bargebotserhöhung von
123.60 M zu leiſten, weil zu dieſem Betrag
die im geringſten Gebot als beſtehenbleibend be⸗
rückſichtigte Bankhypothek im Augenblick des Zu⸗
ſchlags gem. 8 1181 BGB. bereits erloſchen war;
bezüglich Fälligkeit und Verzinslichkeit gilt das
gleiche wie bei Ziff. 1.
4. dürfte eine Bargebotserhöhung
von 63.60 H + 64.80 M1 = 128.40 NH zu
entrichten ſein, weil zu dieſem Betrag die im
geringſten Gebot als beſtehenbleibend berückſichtigte
Bankhypothek im Augenblick des Zuſchlags zwar
noch beſtand, aber gem. $ 1181 BGB. in ihrem
Beſtand auflöſend bedingt geweſen fein dürfte, auf:
löſend bedingt dadurch, daß die im geringſten Ge⸗
bot als barzuzahlende Anſprüche berüdfichtigten
Annuitätenratenvom 1. Februar 1910 und 1. Auguſt
1911 (ſei es durch Zahlung aus der Verſteigerungs⸗
maſſe, ſei es durch eine gem. $ 118 Abſ. II ZVG.
wie die Befriedigung aus dem Grundſtück wirkende
Uebertragung der Forderung gegen den Erſteher)
befriedigt werden. Dieſe auflöſende Bedingung
iſt in unſerem Fall bereits eingetreten, weil der
Erſteher die 2 Annuitätenraten bereits für 1
nung des Strichſchillings bezahlt hat; die Bar⸗
gebotserhöhung iſt deshalb unbedingt geworden.
Zeitſchrift für Mechtöpflege in Bayern. für Rechtspflege in chtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 1914. Nr. 12.
liegt eben die Bereicherung! — gem. 8 1181 BGB.
auch die beſtehenbleibende Bankhypothek im Teil⸗
betrage von 128.40 M zum Erlöſchen gebracht;
daß dieſes Erlöſchen eintreten würde, war ſchon
im Verſteigerungstermin mit nahezu zwingender
Notwendigkeit vorauszuſehen; alſo wird man ſagen
müſſen, daß die Bankhypothek zu dieſem Betrag
ſchon im Verſteigerungstermin nur noch ein auf⸗
löſend bedingtes Recht geweſen iſt.
Auch dieſe Bargebotserhöhung von 128.40 M
iſt bereits fällig; denn fie rührt aus Annuitäten⸗
tilgungen her, die bereits vor dem Verſteigerungs⸗
termin fällig waren.
Sie iſt auch wie die übrigen bisher genannten
Bargebotserhöhungen mit 4% verzinslich. Man
könnte an eine Verzinſung von ſechs Prozent
denken, weil auf die Annuitäten 6 °/o Verzugs⸗
zinſen geſchuldet waren; dieſe Meinung wäre aber
in unſerem Fall ſchon deshalb abzulehnen, weil
ja die Verzugszinſen nur im Rahmen der Neben⸗
kaution, alſo eines ganz anderen Rechtes als des⸗
jenigen, aus dem die Bargebotserhöhung herrührt,
geſchuldet werden. Schwieriger läge die Sache,
wenn, (wie dies bei den ſeit Anlegung des Grund⸗
buchs beſtellten Bankhypotheken die Regel bildet),
die Verzugszinſen im Rahmen der Hauptſache⸗
hypothek verlangt werden könnten: auch dann aber
55 die Bargebotserhöhung zunächſt nicht mit
6%, ſondern nur mit 4° oh zu verzinſen, weil
die ſechsprozentige Verzinſung nicht die Regel,
ſondern eine an die Vorausſetzung des Zahlungs⸗
verzugs geknüpfte Ausnahme bildet und Zahlungs⸗
verzug bisher zwar hinſichtlich der 2 rückſtändigen
Annuitätenraten, nicht aber hinſichtlich der Bar⸗
gebotserhöhung eingetreten iſt; erſt wenn der Er⸗
ſteher mit der Zahlung der Bargebotserhöhung in
Verzug käme ($ 284 Abſ. 1 BGB.) würde ſich
der vierprozentige Zinsfuß wohl in einen ſechs⸗
prozentigen zu verwandeln haben) (unter der im
Vorſtehenden unterſtellten Vorausſetzung, daß die
Berzugszinſen im Rahmen der Hauptſache⸗
hypothek verlangt werden könnten, würde dieſe
In dieſem Falle läßt ſich einigermaßen darüber Regelung der Zinsfußfrage übrigens auch für die
ſtreiten, ob eine Bargebotserhöhung überhaupt in
Frage kommt; ich glaube, die Frage bejahen zu
müſſen, weil bei Ablehnung dieſer Bargebotser—
höhung der Erſteher eine ungerechtfertigte Be—
reicherung um 128.40 M erfahren, alſo gerade
der Fall eintreten würde, den das Geſetz durch
die Einführung der Bargebotserhöhung vermeiden
wollte: wir haben oben geſehen, daß dieſer Betrag
von 128.40 / im geringſten Gebot doppelt be—
rückſichtigt war, naͤmlich einmal im Rahmen der
2 Annuitätenraten als barzuzahlender Anſpruch
und einmal im Rahmen der beſtehenbleibenden
Bankhypothek als liegenbleibendes Recht; dadurch,
daß der Erſteher den Betrag aus der Verſteige-⸗
rungsmaſſe bezahlte, alſo ein mal leiſtete, hat er nicht
nur den im geringſten Gebot berückſichtigten bar zu⸗
zahlenden Anſpruch getilgt, ſondern — und darin
in Ziff. 1, 2 und 3 beſprochenen Bargebotser⸗
höhungen zu gelten haben).
Schwierigkeiten bereitet auch die Frage des
Zinsbeginns: man kann hier denken an den 1. Of:
tober 1911 (entſprechend den vorher beſprochenen
Fällen Ziff. 1. 2 und 3) oder an den Tag des
Verteilungstermins oder an den 1. November 1911,
an dem der Erſteher die 2 Annuitätenraten be⸗
zahlt hat. Den Tag des Verteilungstermins möchte
ich als willkürlich von vorneherein ablehnen. Auch
den 1. November halle ich nicht für das Richtige;
e) Würde der Erſteher auch mit den Zinſen
aus der Bargebotserhöhung im Rückſtande bleiben,
ſo hätte er hieraus trotz des Eintrags im Grund⸗
buch gem. § 289 BGB. wohl nicht wieder Zinſen zu
entrichten, da 8 248 Abſ. II BGB. für die Bargebots-
erhöhung nicht zutrifft.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 247
denn daß durch die Annuitätenzahlungen die zur
Bargebotserhöhung führende Bedingung eintrat,
kann keine Rolle ſpielen, weil die Verpflichtung
zur Leiſtung der Bargebotserhoͤhung (vorläufig
allerdings nur als einer bedingten) ja ſchon
im Augenblick des Zuſchlags geboren wurde; auch
der Umſtand, daß der Erſteher natürlich bis zum
1. November die ſechsprozentigen Verzugszinſen zu
entrichten hatte, kann keine Bedeutung haben, weil
ja der Erſteher gem. 8 56 Satz 2 3G. dieſe
Verzugszinſen vom Zuſchlag ab als private, vom
Verſteigerungsverfahren unabhängige Laſt zu tragen
hat; in unſerem Fall kommt hinzu, daß ja die
Verzugszinſen nur im Rahmen der Neben⸗
kaution erwuchſen. Es wird alſo wohl das
Richtige ſein, als Tag des Zinsbeginns auch hier
den 1. Oktober 1911 anzunehmen.
5. kommt eine Bargebotserhöhung
von 1950.50 M ın Betracht, weil zu dieſem
Betrag auf die nicht eigentümerhypothekfähige alt⸗
rechtliche Nebenkaution von 2000 M im Augen:
blick des Zuſchlags keine Forderungen entſtanden
waren.
Dieſe Bargebotserhöhung iſt unverzinslich, weil
aus der Nebenkaution keine Zinſen zu entrichten
find. Sie iſt bereits fällig, weil die Nebenkaution
ihrer Natur nach nur für fällige Anſprüche er⸗
richtet iſt.
Die Frage, ob die bedingungsloſe Berüdficti-
gung altrechtlicher Nebenkautionen zu einer (ſei
es bedingten oder unbedingten) Bargebotserhöhung
führt, iſt nicht unbeſtritten. Koch,“) der nur die
etwaige Anwendbarkeit des § 50 Abſ. II Ziff. 1
im Auge hat, verneint ſie für den Fall, daß der
auf die Nebenkaution geſchuldete Betrag im Ver⸗
ſteigerungstermin richtig angemeldet iſt, was bei
dem hier behandelten Beiſpiel zutreffen würde;
er bejaht fie für den Fall, daß der auf die Kau⸗
tionshypothek geſchuldete Betrag nicht angemeldet
und im Verſteigerungstermin nicht zu ermitteln
iſt; im übrigen gibt er zu, daß man ſehr wohl
auch zu einem anderen Ergebnis kommen lann,
nämlich zu dem, daß eine Nachzahlungspflicht unter
allen Umſtänden beſteht; dieſer letzteren Auffaſſung
ſcheint Steiner zu ſein; denn dieſer führt in
der 2. Auflage feines Kommentars zum 3G.
S. 142 aus:
Die zur Zeit des Inkrafttretens des Grundbuch⸗—
rechts beſtehende bayeriſche Zinſen⸗ und Koſtenkautions⸗
hypothek iſt nicht eigentümerhypothekfähig, und
zwar nicht bloß dann, wenn zur Zeit des Inkrafttretens
des neuen Liegenſchaftsrechts das Kreditverhältnis be⸗
) Geſetz, die Ueberleitung von Hypotheken be⸗
treffend, vom 15. Mai 1906, mit einem Anhang: Die Be⸗
handlung der Kautionshypothek im Zwangsverſteige—
rungsverfahren, Schweitzer 1906; das Schriftchen, das
gleich nach Erſcheinen des Geſetzes vom 15. Mai 1906
herauskam, alſo zu einer Zeit, wo das Gebiet noch
wenig geklärt war, ſcheint allerdings durch die neuere
Rechtslehre und Rechtsanwendung in einigen Punkten
überholt zu fein.
reits erloſchen und auf die Kautionshypothek keine
Nebenanſprüche erwachſen waren, ſondern auch wenn
im Zeitpunkt der Ueberleitung die Möglichkeit ſolchen
Entſtehens noch gegeben war; obwohl ſie alſo im
letzteren Falle in eine Höchſtbetragshypothek des BGG.
nach 8 1190 BGB. ſich verwandelt hat, ſteht fie doch
gemäß obiger landesrechtlichen Vorſchrift (Geſetz vom
15. Mai 1906) nicht dem Eigentümer zu, ſoweit ſie nicht
valutiert iſt, ſondern erliſcht (vgl. 8 1178 BGB.).
Der Wortlaut dieſer Ausführungen und die
Stelle, an der Steiner ſie eingeſchaltet hat, weiſen
übrigens darauf hin, daß Steiner im Gegenſatz
zu Koch die Forderung der Mehrzahlungspflicht
auf 8 50 Abſ. I (nicht Abſ. II Ziff. 1) gründet.
Das Vollſtreckungsgericht München hat ſich nach
anfänglichem Schwanken die Meinung Steiners
ſtändig angeeignet; in den von mir geleiteten Zwangs⸗
verſteigerungskurſen pflege ich ſie damit zu be⸗
gründen, daß ich ſage: die nicht ausgefüllte Neben⸗
kaution iſt zwar eine Hypothek, und zwar eine
unbedingte; ſie iſt es aber nur formell, nicht
materiell; ſoweit auf die Nebenkaution keine Forde⸗
rung entſtanden iſt, iſt alſo nur formell, aber nicht
materiell eine Hypothek vorhanden; wird dieſe rein
formelle Hypothek im geringſten Gebot als beſtehen⸗
bleibendes Recht berückſichtigt, ſo iſt eine Bar⸗
gebotserhöhung zu leiſten, da es eben materiell
an einer Belaſtung des Grundſtückes fehlt.
Zuſammenfaſſung:
Wir haben folgende Bargebotserhöhungen feſt⸗
geſtellt:
a) in Ziff. 1, 3 und 4: unbedingte Bargebots⸗
erhöhungen im Geſamtbetrag von 302 M, bereits
fällig und ab 1. Oktober 1911 mit 4% verzins⸗
lich. Geſetzt den Fall, der Verteilungstermin würde
auf 1. April 1912 beſtimmt, ſo wären die Zinſen
bis zu dieſem Tag (= 6.04 ) zu berechnen, jo
daß wir bekämen:
a) eine unbedingte Bargebotserhöhung von
302 M, bereits fällig und ab 1. April 1912 mit
4°/o verzinslich,
5) eine unbedingte Bargebotserhöhung von
6.04 M, bereits fällig und unverzinslich;
b) in Ziff. 5: eine unbedingte Bargebotserhöhung
von 1950.50 , bereits fällig und unverzinslich;
(die Beträge 5 und b laſſen ſich zuſammenziehen
zu einem einheitlichen Betrag von 1956.54 M,
bereits fällig und unverzinslich),
c) in Ziff. 2: eine bedingte Bargebotserhöhung
von 498.10 M, bereits fällig und ab 1. Oktober 1911
mit 4% verzinslich oder unter Ausrechnung der
Zinſen bis zum Verteilungstermin vom 1. April 1912:
a) eine bedingte Bargebotserhöhung von
498.10 M, bereits fällig und ab 1. April 1912
mit 4% verzinslich,
5) eine bedingte Bargebotserhöhung von 9.96 M,
bereits fällig und unverzinslich.
(Schluß folgt.)
u — —
248
Kleine Mitteilungen.
Zum Güterzerträmmerungsgeſetz. In Art. 1 G3.
vom 13. Auguſt 1910 (GVBl. 1910 S. 627 ff.) iſt u. a.
beſtimmt, daß, wenn der Eigentümer geſchloſſen be⸗
wirtſchafteter Grundſtücke die Grundſtücke ganz oder
teilweiſe an einen gewerbsmäßigen Händler mit land⸗
wirtſchaftlichen Grundſtücken (Güterhändler) verkauft,
vorkaufsberechtigt ſind jede Gemeinde, in deren Be⸗
zirk eines der Grundſtücke liegt, und die für eine ſolche
Gemeinde beſtehenden gemeinnützigen Darlehenskaſſen⸗
vereine. Das Vorkaufsrecht erſtreckt ſich auch auf das
Zubehör, das mit dem Grundſtück verkauft wird, und
greift auch dann Platz, wenn der Güterhändler den
Kaufvertrag nicht für ſich, ſondern als Vertreter eines
anderen abſchließt.
Seitdem dieſe Beſtimmungen gelten, die den Aus⸗
wüchſen des gewerbsmäßigen Güterhandels entgegen⸗
treten, ſind da und dort Verträge aufgetaucht, in denen
ein gewerbsmäßiger Güterhändler ſich von dem An⸗
weſenseigentümer bevollmächtigen läßt, das Anweſen
für den Eigentümer zu zertrümmern. Dieſe Verträge
ſegeln unter verſchiedener Flagge und haben ſchon
wiederholt die Rechtslehre und die Rechtſprechung be⸗
ſchäftigt.
In einer Abhandlung in der Bay ZfR. 1911
S. 303 ff., überſchrieben: „Eine Lücke im Güterzer⸗
trümmerungsgeſetz?“ wird darauf hingewieſen, daß
über die Zuläſſigkeit ſolcher Verträge die Notariate
und die Gerichte verſchiedener Anſchauung ſind. In
der Bay Not Z. 1911 S. 16 findet ſich eine von der Leitung
dieſer Zeitſchrift ausgehende, an die Notare gerichtete
Warnung, durch irgendeine Faſſung einer Umgehung
des G3G. die Hand zu bieten. Auf die von No⸗
taren gemäß Art. 16 Not G. erklärte Weigerung, ſolche
Verträge zu verlautbaren, wurde Antrag nach Art. 17
a. a. O. geſtellt. In der zuerſt erwähnten Abhandlung
ſind zwei landgerichtliche Entſcheidungen beſprochen,
die auf einen Antrag nach Art. 17 Not®. ergingen.
Das Landgericht Eichſtätt hat in einem Beſchluß vom
22. April 1911 die Weigerung des Notars für un⸗
begründet erklärt, das Landgericht Landshut iſt in
einem Beſchluß vom 5. Mai 1911 zur entgegengeſetzten
Entſcheidung gekommen.
Die Entſcheidung des LG. Eichſtätt iſt mitgeteilt
in der BayNot Z. Bd. 12 S. 275 ff. Auf S. 279 heißt
es: „Darnach iſt die in Nr. 1 Bay Not Z. vom Jahr 1911
auf S. 16 an die Notare gerichtete Warnung in dieſer
Allgemeinheit nicht haltbar und Notar H. hatte vor⸗
liegendenfalls keinen genügenden Grund zur Ver—
weigerung der Amtstätigkeit.“ In einer Fußnote auf
S. 275 ſagt die Leitung der Zeitſchrift: „Wir beeilen
uns, den wichtigen Beſchluß zur Kenntnis der Herrn
Kollegen zu bringen. Bei ähnlichen zweifelhaften Fällen
wird es ſich empfehlen, nach Art. 16 Not. zu ver⸗
fahren und die Beteiligten auf das ihnen zuſtehende
Beſchwerderecht aufmerkſam zu machen.“
Eine Abhandlung in der BayNot Z. Bd. 13 S. 30 ff.
kann ſich mit dem Beſchluß des LG. Landshut vom
5. Mai 1911 nicht einverſtanden erklären. Auch der
Verfaſſer der obenerwähnten Abhandlung in der Bay.
ZfR. 1911 S. 303 ff. neigt ſich der vom LG. Eichſtätt
im Beſchluß vom 22. April 1911 vertretenen Auf—
faſſung zu. Hiegegen machte der Herausgeber der
Zeitſchrift in einer Nachſchrift gewichtige Bedenken
geltend. Es wird in der Nachſchrift hingewieſen auf
einen oberſtlandesgerichtlichen Beſchluß vom 8. Mai
1911, abgedruckt auf S. 315 des gleichen Jahrgangs
der Zeitſchrift. Der Beſchluß findet ſich auch mit⸗
geteilt in der Neuen Sammlung Bd. 12 S. 330 fl.
In einer mit der nämlichen Frage ſich beſchäftigenden
Abhandlung in der Bay Not Z. Bd. 13 S. 142 ff. weiſt
der Verfaſſer auch auf den oberſtlandesgerichtlichen
Beſchluß vom 8. Mai 1911 hin und erwähnt eine Ent⸗
ſchließung des Staatsminiſteriums des Innern vom
5. Februar 1911 (v. Braun, GG. 2. Aufl. S. 14),
welche gleich dem oberſtlandesgerichtlichen Beſchluß
wertvollen Stoff zur Auslegung ſolcher Vollmachts⸗
verträge gebe. Außer auf die oben erwähnten Ab⸗
handlungen kann noch hingewieſen werden auf eine
ſolche in der Bay Z8fR. 1910 S. 391 ff.
Es dürfte nun für die bayeriſchen Juriſten nicht
ohne Intereſſe ſein, einen Fall kennen zu lernen, der
in neuerer Zeit das Landgericht und das Oberlandes⸗
gericht Bamberg beſchäftigt hat. Um den Raum dieſer
Zeitſchrift nicht allzuſehr in Anſpruch zu nehmen, ſoll
er nur in ſeinen wichtigſten Punkten mitgeteilt werden.
Zu Urkunde des Notariats L. vom 27. Dezember
1911 ſchloſſen die damals in Reichenbach wohnhaften
Bauerseheleute M. mit dem gewerbsmäßigen Güter⸗
händler K. von B. einen „Dienſtvertrag“, durch den fie
den K. bevollmächtigten, ihr in der Gemeinde Reichen⸗
bach gelegenes Anweſen, zu welchem auch zwei in der
benachbarten Leheſtener Flurmarkung (Sachſen⸗Mei⸗
ningen) gelegene Plannummern gehören, ſamt dieſen
beiden Grundſtücken zu zertrümmern. Für die Durch⸗
führung der Zertrümmerung, für Mühewaltung, Beit-
verſäumnis, Auslagen an Speſen uſw. wurde dem K.
im Vertrag eine Vergütung von 6000 M zugeſichert,
ſollte jedoch ein Erlös von nicht mehr als 40 000 M
erzielt werden, nur eine ſolche von 5000 M. Am gleichen
Tag erhielt der Ehemann M. von K. 1000 M, welche
dieſer laut der ihm ausgeſtellten „Quittung“ bei der
am 1. April 1912 zu pflegenden Abrechnung abzieben
durfte. Am 10. Januar 1912 verkaufte K. einen Teil
des M.ſchen Anweſens an Dritte. Auf Veranlaſſung
des zuſtändigen Bezirksamts, dem K. „vorſichtshalber
und unter Beſtreitung einer Rechtspflicht“ angezeigt
hatte, daß er als Bevollmächtigter der Eheleute M.
für deren Rechnung das Anweſen zertrümmern werde,
ſtellte der Darlebenskaſſenverein T. ſich auf den Stand⸗
punkt, daß der „Dienſtvertrag“ vom 27. Dezember 1911
in Wahrheit ein Kaufvertrag ſei und machte am
17. Januar 1912 das geſetzliche Vorkaufsrecht geltend,
da auch die ſonſtigen Vorausſetzungen für die An⸗
wendbarkeit des GGG. gegeben ſeien.
Mit notarieller Urkunde vom 23. Mai 1912 und
Nachtragsurkunde vom 1. Auguſt 1912 verkauften die
Eheleute M., welche das Vorkaufsrecht des Dar lehen⸗
kaſſenvereins T. anerkannten, ihr geſamtes Anweſen
an den genannten Verein, der in die von K. mit Dritten
am 13. Januar 1912 geſchloſſenen Kaufverträge eintrat.
Daraufhin klagte K. beim LG. Bamberg die Vergütung
von 6000 M ein. Die Klage erſtreckte ſich auch auf
die dem Ehemann M. gegebenen 1000 M, es iſt jedoch
dieſer Punkt hier nicht von Bedeutung. K. behauptete,
daß allerdings die Eheleute M. urſprünglich ihr An⸗
weſen ihm verkaufen wollten, daß er aber gerade mit
Rückſicht auf die Beſtimmungen des GZ3G. den Ver⸗
kauf abgelehnt und ihnen erklärt habe, er wolle ſehen.
daß er ihnen das Anweſen gut verkaufe. Er und die
Eheleute M. ſeien dahin einig geworden, daß ein
Dienſtvertrag, kein Kaufvertrag geſchloſſen werden ſolle.
Er habe dieſen Weg gewählt, um das Vorkaufsrecht
des GZ3G. auszuſchalten, jedoch nicht im Weg des
Scheinvertrags, ſondern in Ausnützung einer Lücke
des Geſetzes. Die Beklagten hätten die Annahme
ſeiner weiteren Dienſte verweigert und ihm die Ver⸗
tragserfüllung unmöglich gemacht.
Die Ebeleute M. und der ihnen als Nebeninter⸗
venient beigetretene Darlehenskaſſenverein T. bezeich⸗
neten den „Dienſtvertrag“ vom 27. Dezember 1911 als
einen verſchleierten Kaufvertrag, mithin als einen nich⸗
tigen Scheinvertrag, der aber auch gegen die guten
Sitten verſtoße. Beweiserhebung fand nicht ſtatt.
Durch Endurteil des LG. Bamberg vom 13. Ja⸗
nuar 1913 wurden die Eheleute M. zur Bezahlung
der 6000 M nebſt Zinſen verurteilt. Das Landgericht
hielt dafür, daß zwar kein Dienſt⸗, wohl aber ein
Werkvertrag in Frage ſtehe, nicht ein verſchleierter
Kaufvertrag, der als Scheingeſchäft nichtig wäre. Auch
verneinte das Landgericht, daß der Vertrag gegen die
guten Sitten verſtoße.
Aus den Entſcheidungsgründen ſei auszugsweiſe
hervorgehoben:
„K. befürchtete den Eingriff des vorkaufsberechtigten
Darlehenskaſſenvereins auf Grund der Beſtimmungen
des G3. und deshalb verwarf er den Weg des eigenen
Erwerbs. Er wollte alſo den Kaufvertrag nicht. Des⸗
halb ſchloß er mit den Beklagten den Dienſtvertrag.
Dieſen Vertrag wollte er. Auf dieſem Weg ſind ihm
die Beklagten gefolgt. Sie wußten, daß Kläger keinen
Kaufvertrag abſchließen wollte und ſie waren damit ein⸗
verſtanden. Im beiderſeitigen Einverſtändnis wurden
deshalb die Erklärungen der Vertragsteile vor dem
Notar als ernſtlich gewollt abgegeben, nicht nur zum
Schein, zur Täuſchung Dritter und zur Verdeckung eines
Kaufvertrags. Dieſer Sachverhalt ergibt ſich aus den
übereinſtimmenden eigenen Erklärungen der Parteien
über das Zuſtandekommen der Vertrags. Der Einwand
des Scheingeſchäfts iſt nicht begründet. Kläger K. hat
allerdings den von ihm eingeſchlagenen Weg gewählt,
um die Konkurrenz der nach dem G3G. Vorkaufsbe⸗
rechtigten auszuſchließen und auf dieſe Weiſe die mit
dem Vorkaufsrecht verbundene Beſchränkung der Ver⸗
tragsfreiheit zu umgehen. Enthält nun das G3. eine
Vorſchrift, wonach es verboten iſt, die Konkurrenz der
Vorkaufsberechtigten zu umgehen?“
Es folgen nun längere Ausführungen über die
Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes, über Beſtimmungen
des Entwurfs und ſpäter des Geſetzes. — Dann fahren
die Entſcheidungsgründe fort:
„Damit iſt dargetan, daß das G3. weder aus⸗
drücklich noch ſtillſchweigend das Verbot von Ver⸗
trägen enthält, die wirtſchaftlich zu demſelben Ergebnis
führen, wie Kaufverträge, durch die Vorkaufsrechte der
Berechtigten aber ausgeſchaltet ſind. Solche Verträge
find vielmehr auch unter der Herrſchaft des G3. noch
zuläſſig. Sie verſtoßen auch nicht ohne weiteres gegen
die guten Sitten. Den in Art. 1 G3. bezeichneten
Korporationen ſollte nicht unter allen Umſtänden der
orrang vor den Güterhändlern eingeräumt werden,
ſondern eben nur im Fall des ‚Verkaufs“ an den
Güterhändler. Von der hienach geſetzlich gegebenen
Möglichkeit, die Beſchränkungen des Art. 1 G36. zu
vermeiden, haben die Parteien Gebrauch gemacht.“
Gegen das landgerichtliche Endurteil haben die
Eheleute M. und der Nebenintervenient Berufung ein⸗
gelegt. Bei ihrer Begründung wurde auch Bezug ge⸗
nommen auf den oberſtlandesgerichtlichen Beſchluß
vom 8. Mai 1911 in der N. S. Bd. 12 S. 330 ff. Das
ohne vorausgegangene Beweiserhebung ergangene End-
urteil des Oberlandesgerichts Bamberg vom 28. April
1914 hob das landgerichtliche Urteil in ſeinen Haupt⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12. 249
beſtandteilen auf und wies die Klage des K. ab. Das
Oberlandesgericht erachtete den Vertrag vom 27. De⸗
zember 1911 als einen verſchleierten Kaufvertrag, alſo
für ein nach 8 117 BGB. nichtiges Scheingeſchäft,
ſprach ſich aber auch dahin aus, daß es den Vertrag,
falls in ihm ein verſchleierter Kaufvertrag nicht zu
finden ſein ſollte, als gegen die guten Sitten verſtoßend
(8 138 Abſ. 2 a. a. O.) erachten würde. Wie aus der
des landgerichtlichen, ſo ſeien auch aus der Begründung
des oberlandesgerichtlichen Urteils nur die Hauptpunkte
mitgeteilt. In den Gründen kommt vor:
„Zunächſt handelt es ſich darum: Iſt der Vertrag
vom 27. Dezember 1911 ein Dienſt⸗, ein Werk⸗, ein
Mäklervertrag oder iſt er ein Kaufvertrag? Würde
letzteres anzunehmen ſein, dann wäre eine von den
vertragſchließenden Parteien nicht gewollte Verein⸗
barung notariell verlautbart, die Verlautbarung des
wirklich Gewollten aber unterlaſſen worden. Dann
wäre der ‚Dienftvertrag‘ nichtig. Die Entſcheidung
bietet erhebliche Schwierigkeiten. Zu ihrer Löſung
dient dem Berufungsgericht als Handhabe der Beſchluß
des Obe G. vom 8. Mai 1911. Bei dieſem Beſchluß
hatte es ſich darum gehandelt, ob ein — zwiſchen den
Güterhändlern G. und E. und den Gaſtwirtseheleuten
B. am 20. Oktober 1910 zu notarieller Urkunde über
die Zertrümmerung des B.ſchen Anweſens — ge⸗
ſchloſſener Vertrag als Dienſt⸗(Werk⸗) oder als Kauf⸗
vertrag bei der Gebührenbewertung zu erachten ſei.
Die vom Ob“. für die Beurteilung jenes Vertrags⸗
als eines (verſchleierten) Kaufvertrags gemachten Aus⸗
führungen ſind für den vorwürfigen Fall bei der großen
Aehnlichkeit der beiden Fälle ſehr wohl zu verwerten,
wenn dort auch nur eine Gebührenfrage zu entſcheiden
war. Der Vertrag vom 27. Dezember 1911 ſtimmt
zum Teil wörtlich mit dem Vertrag vom 20. Oktober
1910 überein. So wurde in Nr. I des Vertrags vom
27. Dezember 1911 vereinbart: ‚Die Ehegatten M. bes
auftragen und ermächtigen Herrn K., den in der Steuer⸗
gemeinde Reichenbach und in der Flur Leheſten gelegenen
Grundbeſitz, nämlich .. .. im ganzen oder parzellen⸗
weiſe zu veräußern und zu vertauſchen und die ein⸗
getauſchten Objekte wieder weiter zu veräußern. Zu
dieſem Zweck erteilen die Ehegatten M. dem Herrn
K. die Rechte eines Generalbevollmächtigten. Der Ge⸗
nannte ſoll insbeſonders ermächtigt ſein, die Vertrags⸗
beſtimmungen feſtzuſetzen, die Auflaſſung entgegenzu⸗
nehmen und zu beantragen, über Kauf» und Tauſch⸗
preiſe zu quittieren, dieſelben abzutreten, ſowie ganz
oder teilweiſe zur Löſchung zu bewilligen und zu
beantragen; alle Einzelheiten der betreffenden Kauf⸗
oder Tauſchverträge bleiben dem Ermeſſen des Be⸗
vollmächtigten vorbehalten.“ In Nr. II wird ‚diefer
Auftrag und dieſe Vollmacht .... ſeitens der Ehe⸗
gatten M. in durchaus unwiderruflicher Weiſe erteilt'.
Die völlig gleichen Beſtimmungen finden ſich in den
Nr. 1 und 2 des Vertrags vom 20. Oktober 1910. Die
Eheleute M. hatten, wie K. ſelbſt erklärt, von Anfang an
keine andere Abſicht als ihr Anweſen ihm zu verkaufen.
Sicherlich geht die Annahme nicht fehl, daß auch K.
gerne den für ihn bequemeren Weg des feſten Kaufes
gewählt und dies auch vertragsmäßig ausgedrückt
hätte, wenn ihm nicht das geſetzliche Vorkaufsrecht des
Darlehenkaſſenvereins und der Gemeinde ſtörend und
hindernd im Weg geſtanden wäre. Nun galt es, einen
Ausweg zu finden. Man gab dem mit den Eigen⸗
tümern des zu veräußernden Anweſens zu ſchließenden
Vertrag den Namen eines Dienſt- oder Werkvertrags,
nahm aber in ihn Beſtimmungen auf, wie ſie bei reeller
Handlungsweiſe einzig und allein bei Abſchluß eines
feſten Kaufes getroffen zu werden pflegen. Es blieb
dann bei der Abſicht des Güterhändlers, in Wahrheit
einen Kaufvertrag zu ſchließen, und der Anweſenseigen—
tümer brauchte in ſeiner von Anfang an gehabten
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Abſicht, zu verkaufen, gar nicht umgeſtimmt zu werden.
Unter der Maske eines Dienſtvertrags wurde ein Kauf⸗
vertrag geſchloſſen, der dem K. weiteſtgehende Ver⸗
fügungsgewalt, ja unbeſchränkte Eigentümerrechte über
die Vertragsobjekte einräumte. Solcher Art ſind die
Rechte, wie ſie dem K. durch den Vertrag in unwider⸗
ruflicher Weiſe übertragen wurden. Daß K. in Wahr⸗
heit einen Kaufvertrag abſchließen und durch die Art
der Bezeichnung des Vertrags nur die nach dem G88.
beſtehenden Vorkaufsrechte beſeitigen wollte, geht, ab⸗
geſehen von den Vertragsbeſtimmungen, ſchon daraus
hervor, daß er erklärt, er habe den Vertrag ſo wie
geſchehen abgeſchloſſen, um eine Lücke des Geſetzes aus⸗
zunützen. Einige von denen des Vertrags vom 27. De⸗
zember 1911 abweichende Beſtimmungen des Vertrags
vom 28. Oktober 1910 ändern an der rechtlichen Natur
des erſteren Vertrags nichts. Es iſt bei ihm nur für
den Güterhändler die Möglichkeit geringer, einen be⸗
ſonders hohen Gewinn zu erzielen. Der Kaufpreis iſt
beim Vertrag genügend beſtimmt. Auch die ſonſtigen
geſetzlichen Erforderniſſe eines Kaufgeſchäftes find ges
geben. K. legt Gewicht darauf, daß er wegen der Be⸗
ſtimmungen des G3. ſich geweigert habe, einen Kauf⸗
vertrag abzuſchließen. Dieſes ſcheinbare Sträuben war
eben erforderlich, um den doch gewollten Kaufvertrag
zu verſchleiern. Nach dem oberſtlandesgerichtlichen
Beſchluſſe vom 8. Mai 1911 hatte der Güterhändler G.
brieflich mit Emphaſe erklärt, daß er ſich unter keinen
Umständen herbeilaſſen werde, einen Kaufvertrag ab—
zuſchließen. Dies hat das LG. und das Ob. nicht
abgehalten, in dem von G. und E. mit B. ſpäter ab»
geſchloſſenen Vertrag doch einen Kaufvertrag zu er—
blicken. So liegt die Sache auch hier für das OLE.
Durch die Vereinbarungen, wie ſie insbeſondere
unter Nr. I des Vertrags getroffen find, werden die
Eheleute M. völlig mit gebundenen Händen dem K.
ausgeliefert. Die dem Güterhändler dort eingeräumten
Befugniſſe ſind nicht mehr Rechte, wie ſie einem Be⸗
vollmächtigten übertragen zu werden pflegen, ſondern
Rechte, wie ſie nur der Eigentümer hat. In einer
beachtenswerten Nachſchrift, welche der in der Bay.⸗
3fR. 1911 S. 303 ff. enthaltenen Abhandlung vom
Herausgeber der Zeitſchrift beigefügt iſt, wird u. a.
geſagt: ‚Es iſt zuzugeben, daß ein Vertrag über die
Erteilung einer Vollmacht zu einem Kaufvertrag nicht
deshalb allein ein nichtiger Scheinvertrag iſt, weil .. ..
der Bevollmächtigte und der Auftraggeber im inneren
Verhältnis Vereinbarungen getroffen haben, die nach
ihrer Wirkung auf einen Kaufvertrag zwiſchen ihnen
hinauslaufen können Anders liegt die Sache,
wenn der Inhalt des Vollmachtsvertrags ſelbſt ſo ge—
ſtaltet iſt, daß jeder Einfluß des Auftraggebers auf
die weitere Geſtaltung der Rechtsverhältniſſe ausge—
ſchaltet und ſo der Bevollmächtige ſofort tatſächlich in
die Rechtsſtellung eines Käufers verlegt wird.....
Dann liegt eben in der ſo ausgedehnten Vollmachts—
erteilung ſelbſt in Wahrheit ſchon der Kaufvertrag und
daran kann auch durch die Bezeichnung des Vertrags
nichts geändert werden, man hat es mit einem ſog.
verdeckten Rechtsgeſchäft zu tun. Mit Recht hat das
Ob. in einem ſolchen Fall den angeblichen Boll:
machts vertrag als einen Kaufvertrag behandelt — vgl.
die Entſcheidung auf S. 315 dieſer Rummer — und
damit den Weg gezeigt, auf dem den Verſuchen einer
Umgehung des 838. wirkſam entgegengetreten werden
kann.“
Aus allen dieſen Gründen iſt das Berufungsgericht
überzeugt, duß K. und die Eheleute M. bei Abſchluß
des Vertrags vom 27. Dezember 1911 in Wahrheit
einen Kaufvertrag zu ſchließen beabſichtigten und nur
auf Veranlaſſung und im Intereſſe des K. den Vertrag
zum Schein als Dienſtvertrag tauften.
K. beruft ſich auch darauf, daß die Beſtimmungen
des G3. ſich nur auf die in Bayern, nicht auf die in
Meiningen gelegenen M.ſchen Grundſtücke beziehen
n Nentepllege WRADEN nie Ne.
— ———— —½᷑ uũ —-— — ——— — V:'.— . —o. ö ä ĩ .
könnten. Iſt aber der Vertrag ein Scheinvertrag, ſo
iſt dies der geſamte, ein einheitliches Ganze bildende
Vertrag.
Der Kläger gibt zu, den Vertrag ſo geſchloſſen zu
haben, um damit eine Lücke des Geſetzes auszunützen.
Ein ſolches Verhalten verſtößt gegen Treu und Glauben
und es kann nicht angenommen werden, daß der Geſetz⸗
geber die Lücke im Geſetz abſichtlich gelaſſen habe, da⸗
mit fie ausgenützt werde. (S. a. Bay Not Z. 13, 145). Einem
Anweſenseigentümer muß es ſelbſtverſtändlich frei⸗
ſtehen, ſein Anweſen durch einen Bevollmächtigten ver⸗
äußern zu laſſen, und dieſes Recht ſteht dem Eigentümer
auch dann zu, wenn er ſich einen gewerbsmäßigen
Güterhändler zum Bevollmächtigten wählt. Dann
dürfen aber dem Güterhändler nur ſolche Rechte über⸗
tragen werden, wie ſie einem Bevollmächtigten in der
Regel eingeräumt zu werden pflegen. Läßt ſich aber
der Güterhändler ſo weitgehende Rechte einräumen,
daß er einem Käufer des Anweſens gleichſteht und er⸗
folgt dieſe Einräumung noch dazu in der vom Güter⸗
händler offen ausgeſprochenen Abſicht der „Ausnützung“
einer Lücke des Geſetzes, ſo geſchieht dies in fraudem
legis und iſt unſittlich, ſelbſt wenn auf ſeiten des
Anweſenseigentümers keine gegen die guten Sitten ver⸗
ſtoßende Abſicht angenommen werden ſollte. Iſt der
Vertrag nach § 138 Abſ. 1 BGB. nichtig, dann iſt er
es gemäß 8 139 a. a. O. auch bezüglich der beiden in
Meiningen gelegenen Plannummern. Aus dem nichtigen
Vertrag kann Kläger kein Recht ableiten.“
Mit Rückſicht auf den zur Verfügung ſtehenden
Raum mußte ſich der Einſender darauf beſchränken,
die Entſcheidungsgründe der auseinandergehenden Ur⸗
teile des LG. und des OLG. auszugsweiſe mitzuteilen.
Am Schluß der Abhandlung in der BayZfR. 1911
S. 303 ff. iſt der Wunſch ausgeſprochen, es möchten
etwa noch weiter zu der Frage der rechtlichen Natur
ſolcher Vollmachtsverträge vorliegende Entſcheidungen
bekannt gegeben werden. Der Wunſch wird ſich wohl
auch auf die Bekanntgabe erſt noch ergehender ein⸗
ſchlägiger Entſcheidungen erſtrecken laſſen. Der jetzt
mitgeteilte Fall unter ſcheidet ſich in einigen Punkten
von dem im oberſtlandesgerichtlichen Beſchluß vom
8. Mai 1911 behandelten Fall. So fehlen in dem
Vertrag vom 27. Dezember 1911 die Beſtimmungen.
daß der Bevollmächtigte eine aus dem Erlöſe prozen⸗
tual zu berechnende Vergütung für die Zertrümmerung
bezieht, dann daß dem Bevollmächtigten unter Be⸗
freiung von den Beſchränkungen des 8 181 BGB. das
Recht eingeräumt wird, die geſtundeten Kaufpreiſe an
ſich ſelbſt zu übertragen.
Das oberlandesgerichtliche Urteil vom 28. April
1914 wird vorausſichtlich mit Reviſion angegriffen
werden.
Die zu entſcheidende Frage iſt volkswirtſchaftlich
von großer Bedeutung. In der Entichließung des
Staatsminiſteriums des Innern vom 5. Februar 1911
finden ſich die Sätze: „Die Diſtriktsverwaltungsbe⸗
hörden ſind anzuweiſen, dieſen Umgehungsverſuchen
ihr Augenmerk zuzuwenden und ihnen ſoweit möglich
mit Nachdruck entgegenzutreten. Vor allem wird es
ſich empfehlen, eine gerichtliche Entſcheidung über die
rechtliche Natur der erwähnten Vollmachtsverträge
herbeizuführen.“ Eine grundſätzliche Entſcheidung in
der Frage, in der die Anſichten ſehr wohl auseinander⸗
gehen können, wäre ja erwünſcht, wird aber ſchwer
zu erlangen ſein. Denn in dem vielerwähnten oberſt⸗
landesgerichtlichen Beſchluß vom 8. Mai 1911 iſt ſchon
geſagt: „Die Frage, was die Parteien gewollt und
erklärt haben, bemißt ſich von Fall zu Fall.“ Die
Vollmachtsverträge ſcheinen — mit einigen Abän⸗
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Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
derungen im einzelnen Fall — nach einer einheitlichen
Schablone hergeſtellt zu werden. Eine Geſetzesum⸗
gehung wird bei ihnen wohl ſtets beabſichtigt ſein.
Es fragt ſich nur, ob der Satz: „Wo das Geſetz eine
Lücke gelaſſen hat, darf ſie auch ausgenützt werden“
auf allgemeine Gültigkeit Anſpruch erheben kann und
ob nicht im einzelnen Fall unter einem Vollmachts⸗
oder Dienſtvertrag ſich ein Kaufvertrag verſteckt. Wo
letzteres oder wo Verſtoß gegen die guten Sitten an⸗
zunehmen iſt, werden es ſelbſtverſtändlich die Gerichte
nicht daran fehlen laſſen, ihrerſeits den ſicherlich nicht
wünſchenswerten Umgebungen des GZ3G. entgegenzu⸗
treten. Daß der reelle Güterhandel nicht geſchädigt
werden ſoll und darf, kann gleichfalls als ſelbſtver⸗
ſtändlich bezeichnet werden.
Oberlandesgerichtsrat Gechter in Bamberg.
Zuläſſigkeit der Widerklage trotz Unzuläſſigkeit
der Aufrechnung? In Nr. 10/1914 dieſer Zeitſchrift
(S. 204) behandelt Rechtsanwalt Dr. Berlin in Nürn⸗
berg die Frage der Zuläſſigkeit einer Widerklage be⸗
züglich einer Gegenforderung die gegen eine an ſich
nicht beſtrittene Klageforderung nicht aufgerechnet
werden darf, und kommt zu dem Schluſſe, daß in einem
ſolchen Falle die Widerklage unzuläſſig iſt. Dieſe
Ausführungen dürfen nicht unwiderſprochen bleiben,
weil ſie m. E. in ihrer Begründung wie in ihrem Er⸗
gebniſſe nicht das Richtige treffen.
Die Erörterungen gehen zunächſt daran vorüber,
daß die Widerklage in ſolchen Fällen wohl ſtets in
Verbindung mit der Ausübung des Zurück⸗
behaltungsrechtes (8 273 BGB.) auftritt. Ja
man wird ſagen dürfen, daß überhaupt bei aus⸗
geſchloſſener Aufrechnung und rechtlichem Zuſammen⸗
hang von Forderung und Gegenforderung wohl die
Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes das
Näherliegende und auch das Häufigere iſt, und daß
in der Regel nur bei beſonderem Intereſſe auch noch
zur Widerklage geſchritten wird. Nun weiß ich aller⸗
dings, daß man verſchiedentlich dazu neigt, die Aus⸗
übung des Zurückbehaltungsrechtes bei Ausſchluß der
Aufrechnung überhaupt nicht zuzulaſſen. Ich werde
noch auf dieſe nach meinem Dafürhalten unrichtige
Auffaſſung zu ſprechen kommen. Wenn ſich Klage
und Widerklage einfach ſo gegenüberſtünden, wie es
Berlin darſtellt,) ohne das durch das Zurück⸗
behaltungsrecht bedingte Verlangen einer Zug⸗
um⸗Zug⸗Leiſtung (8 274 BGB.), dann wäre ja bei
der an ſich unbeſtrittenen Klageforderung infolge des
8301 ZPO. die Klagepartei ſehr bald vor der Wider:
klagepartei im Beſitze ihres Vollſtreckungtitels, ſo daß
auch die äußere Aehnlichkeit mit der Aufrechnung
entfiele. Das Zurückbehaltungsrecht muß alfo bei der
von Berlin angeſchnittenen Frage notwendig mit be
rückſichtigt werden.
Bedenklich iſt vor allem, daß Berlin auch dann
kein Rechtsſchutzbedürfnis des Beklagten für die
Erhebung einer Widerklage annimmt, wenn die Auf⸗
rechnung unzuläſſig iſt. Denn die Ausübung des
—
—— nn
) Der Zug⸗ um⸗Zug⸗Leiſtung nach 8 322 BGB.
kommt hier, wo es ſich beiderſeits um fällige Geld—
forderungen handelt, nicht in Betracht. Auch die Fälle
der 89 348 und 467 BGB. werden praktiſch hier kaum
in Frage kommen.
251
Zurückbehaltungsrechtes allein unterbricht ja nicht die
Verjährung, wie die prozeſſuale Aufrechnung. Der Be⸗
klagte muß alſo Klage oder Widerlage erheben, um ſeine
Gegenforderung nicht verjähren zu laſſen. Da wohl einen
der häufigſten Fälle des Ausſchluſſes der Aufrechnung
der Mietvertrag bildet, ſo iſt bei der kurzen Friſt des
8 558 BGB. das Intereſſe an einer Unterbrechung der
Verjährung in ſolchen Fällen meiſt ſehr groß. Daß ſich
der Beklagte durch die Erhebung der Widerklage vor
der Verjährung ſchützt, hat Berlin außer acht ge⸗
laſſen. Es iſt aber kein Grund einzuſehen, warum
der Beklagte zum Zwecke der Unterbrechung der Ver⸗
jährung einen eigenen Rechtsſtreit anfangen ſoll,
während die Widerklage infolge der Gebühren⸗ und
Streitwertſtaffelung beiderſeits billiger kommt.
Für den Fall, daß die Widerklage unbegründet
iſt, ſieht Berlin ſelbſt keine Unzuträglichkeiten aus der
Zulaſſung der Widerklage entſtehen, wohl aber für
den Fall, daß ſie begründet iſt. Dieſe Unzuträglich⸗
keiten beſtehen aber gar nicht. Wenn Berlin in ſeinem
erſten hierbei angeführten Beiſpiel meint, der Be⸗
klagte erhielte gegebenenfalls durch Abweiſung der
Klage und Zuerkennung der Widerklageforderung
mehr als er begehrt habe, ſo iſt das kein begründeter
Einwand. Das von Berlin konſtruierte Ergebnis der
Klageabweiſung bei unbeſtrittenen Klagebehauptungen
kann nur eintreten, wenn ſich die Grundloſigkeit der
Klageforderung aus den unbeſtrittenen Klagebehaup⸗
tungen ſelbſt ſchon ergibt. In ſolchen Fällen wird
aber der Kläger ſelbſt beim Ausbleiben des Beklagten
mit feiner Klage abgewieſen (8 331 Abſ. 2 ZPO.). Das
wäre dann ſchließlich auch ein Hinausgehen des Ge⸗
richts über das Begehren des Beklagten, der eben gar
nichts begehrt hat und die Schuld vielleicht ſelbſt für
beſtehend hält. — Eine Klage, die durch die nicht be⸗
ſtrittenen Klagebehauptungen getragen wird, wird eben
nicht abgewieſen, und darum beſtehen die von Berlin
geſehenen Schwierigkeiten gar nicht.
Wenn ſowohl die Klage, wie auch die Widerklage
begründet iſt, ſtößt ſich Berlin an dem Erfolg, der
dem der Aufrechnung gleich ſei. Daß bei Erhebung
der Widerklage (und Geltendmachung des Zurückbe⸗
haltungsrechts!) das Urteil jedem Teile z. B. 100 M
Zug um Zug gegen Zablung von 100 M zuſpricht,
kommt allerdings im Endergebnis den wirtſchaftlichen
Folgen der Aufrechnung nahe. Darum find aber Bus
rückbehaltungsrecht und Widerklage mit der Aufrech⸗
nung doch noch nicht gleichbedeutend! Vielmehr liegen
hier grundverſchiedene Rechtsbehelfe vor, die nur
ähnliche oder gleiche Folgen haben. Die Auffaſſung
des RG. in den Entſcheidungen bei Warneyer 1908,
Erg Bd. ©. 440 und in der Entſch. RG3Z. 83, 138 ver⸗
wechſelt die Gleichheit des Erfolges mit der Gleich—
heit des Mittels. Die Ausſchließung der Aufrech⸗
nung fälliger Geldforderungen gegeneinander iſt eben
an ſich etwas Ungewöhnliches, eigentlich Sinnwidriges.
Darum iſt es gar nicht verwunderlich, wenn ſchließlich
doch wieder die wirtſchaftliche Logik in Erſcheinung
tritt, daß ſich fällige Geldforderungen zweier Perſonen
gegeneinander aufheben. M. E. iſt nur der folgende
Schluß berechtigt, den aber das RG. nicht gezogen
hat: Wer will, daß feine Forderung von jeder Gegen-
forderung ſeines Schuldners unabhängig und unbe—
rührt bleiben ſoll, der möge eben nicht nur die Auf—
rechnung, ſondern auch das Zurückbehaltungsrecht des
8273 BGB. ausſchließen, was ebenſo rechtlich zuläſſig
iſt; das gilt für den Geſetzgeber ebenſo wie für den
252
Vertragſchließenden. Nur deswegen aber, weil man
wirtſchaftlich mit der Ausſchließung der Aufrechnung
allein den erſtrebten Zweck nicht völlig erreicht, in die
Ausſchließung der Aufrechnung noch die Ausſchließung
des Zurückbehaltungsrechts und gar auch der Wider⸗
klage hineinzulegen, geht durchaus nicht an. Wer einen
gewiſſen Zweck erreichen will, muß eben die geeigneten
Mittel dazu ergreifen; wenn er das nicht tut, trotzdem
das geeignete Mittel billig zur Verfügung ſteht, iſt
durchaus kein Anlaß gegeben, durch ſo gewaltſame
Auslegungen helfend einem gar nicht Hilfsbedürftigen
unter die Arme zu greifen.“)
Schließt alſo der Gläubiger außer der Aufrechnung
auch ausdrücklich das Zurückbehaltungsrecht aus, dann
wird das Berlin mißfallende Urteil mit der Zug⸗um⸗
Zugleiſtung von Geldbeträgen trotz der Erhebung der
Widerklage gar nicht mehr vorkommen, wenn, wie Berlin
ja ſtets vorausſetzt, die die Klage tragenden Behauptungen
unwiderſprochen bleiben. Denn dann wird der Kläger
ſchon im erſten Termin fein Teilurteil nach 8 301 ZPO.
belommen, während Wochen und Monate vergehen
1 0 bis der Widerkläger einen Vollſtreckungstitel
erhält.
Unzulänglich ſind die Beweisgründe, die Berlin
unter Nr. 4 für ſeine Anſicht ins Feld führt. Denn
wenn man nach ſeiner Anſicht die Widerklage für un⸗
zuläſſig erklärt, zwingt man den Beklagten doch nur,
ſeine Gegenforderung in einem eigenen Rechtsſtreit
1 zu machen. Dann ſind die Koſten doch noch
öher. f
Was die Möglichkeit der Reviſion anlangt, ſo iſt
das kein Beweisgrund gegen die Zulaſſung der Wider⸗
klage. Die dritte Inſtanz iſt doch eine Wohltat, die
den kleineren Forderungen aus hier nicht zu erörternden
Gründen mehr und mehr verkürzt wurde. Wenn nun
die Erhebung der Widerklage der an ſich zu kleinen
Forderung diefe Wohltat unter Umſtänden wieder ver⸗
ſchafft, ſo iſt das doch kein Grund gegen die Zulaſſung,
auch wenn die Reviſion nur gegen, nicht für den Kläger
möglich wird.
Uebrigens wird bei unwiderſprochenen Klage:
behauptungen die dritte Inſtanz dem Kläger kaum
nehmen, was ihm die beiden anderen Inſtanzen zu⸗
ſprachen.
Auch die Koſtenenkſcheidung kann die Zulaſſung
der Widerklage nicht als unrichtig erſcheinen laſſen.
Wenn jemand einmal in die Ausſchließung der Auf—
rechnung gewilligt hat, ſo kann er eben auch im Prozeß
nicht aufrechnen; darüber muß er ſich von Anfang an
klar ſein. Uebrig bleibt ihm nur die Erhebung der
Klage oder der Widerklage, falls er die Verjährung
ſeiner Forderung unterbrechen und ſie beitreiben will.
Die Widerklage verurſacht aber bei Koſtenaufhebung
beiderſeits weniger Koſten, als wenn jede Partei in
dem einen der andernfalls notwendigen zwei Prozeſſe
ganz koſtenfällig würde.
Die Anſicht Berlins iſt alſo abzulehnen. Es iſt
daran feſtzuhalten, daß der Ausſchluß der Aufrechnung
auch bei fälligen Geldforderungen weder das Zurück—
behaltungsrecht noch die Widerklage ausſchließt. Wer
ſeinen Zweck beſſer erreichen will, möge außer der Auf—
) Vgl. hierzu auch die neue Entſcheidung des
DOLS. Hamburg in Fuchsbergers Kartothekausgabe
§ 273 Nr. 6.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
— — . ͤ —wͤ—ũ— —⏑—ñäᷓ6—ĩ—
rechnung auch das Zurückbehaltungsrecht ausſchließen.
Solchenfalls wird ihm im Hinblick auf 8 301 30.
bei unbeſtrittener Klageforderung auch eine Widerklage
ſeine Zirkel nicht ſtören können.
Rechtsanwalt Dr. Fürnrohr in München.
Aus der Lechtſprechung.
Reichsgericht.
Zivilſachen.
I.
Bürgſchaft gegenüber einer Firma. Aus den
Gründen: Nach 8 17 988. iſt die Firma eines
Kaufmanns der Name, unter dem er im Handel ſeine
Geſchäfte betreibt und ſeine Unterſchrift abgibt, unter
dem er auch klagen und verklagt werden kann. Einem
Namen gegenüber kann man keine Bürgſchaftsver⸗
pflichtung eingehen; nur die hinter dem Namen ſtehende
Einzelperſon kann Gläubiger und Träger eines Rechtes
ſein. Die Bürgſchaft, die der Firma eines Kaufmanns
gegenüber erklärt wird, wird deshalb dieſem Kaufmann
ſelbſt erklärt. Wird das Handelsgeſchäft an einen
Dritten veräußert und von dieſem unter der bisherigen
Firma fortgeführt (58 22, 23 HGB.), fo ift die Firma
nunmehr der Name einer anderen Perſon geworden;
dieſe hat das Recht erworben, ſich eines bisher einem
anderen zuſtehenden Namens zu bedienen; die dem
früheren Inhaber erklärte Bürgſchaft geht den Erwerber
der Firma nichts an. Iſt das Handelsgeſchäft mit
Forderungen und Verbindlichkeiten auf den Erwerber
übergegangen ($ 25 HGB.), fo gehen zwar die Bürg⸗
ſchaftsanſprüche über, die für bereits entſtandene Haupt:
forderungen des früheren Geſchäftsinhabers ſchon be⸗
gründet waren (SS 401, 412 B.). Aber die bloße
Bürgſchafts verpflichtung für künftige, noch nicht ent⸗
ſtandene Forderungen, wie ſie in einer Kreditbürgſchaft
übernommen wird, geht an ſich auf den Erwerber des
Handelsgeſchäfts nicht über; das bloße Kreditverſprechen
begründet noch keine Hauptforderung und dement⸗
ſprechend die Bürgſchaftserklärung, die in bezug auf ein
ſolches abgegeben wird, auch noch keinen Anſpruch aus
der Bürgſchaft. Wird das Kreditverhältnis zwiſchen
dem ſeitherigen Kreditſchuldner und dem neuen Firmen⸗
inhaber fortgeſetzt, fo liegt vom Rechtsſtandpunkt aus
gleichwohl eine neue Kreditverbindung zwiſchen anderen
Perſonen vor, die Forderungen für einen anderen
Gläubiger begründet. Hier ſind unſtreitig alle die
Verbindlichkeiten des Hauptſchuldners, für die die Be
klagte als Bürgin in Anſpruch genommen wird, aus
dieſem neuen Kreditverhältnis gegenüber den neuen
Geſchäfts- und Firmeninhabern entſtanden; dafür haftet
die Beklagte aus der dem früheren Inhaber erklärten
Bürgſchaft daher an ſich nicht.
Das OLG. hat nicht verkannt, daß eine Bürgſchaft
für künftige Forderungen auch ſo eingegangen werden
kann, daß ſie nicht nur dem derzeitigen Geſchäftsinhaber
gegenüber gelten ſoll, ſondern auch einem Geſchafts⸗
nachfolger gegenüber, der die Firma fortführt und die
Kreditverbindung mit dem Hauptſchuldner fortſetzt.
Dann wird mit der Entſtehung der Hauptverbindlichkeit
für den Geſchäftsnachfolger auch die Haftung des Bürgen
aus der eingegangenen Bürgſchaftsverpflichtung aus⸗
gelöſt. Ob der Wille des Bürgen bei Abgabe der
Bürgſchaftserklärung dahin gegangen iſt und auch in
der Bürgichaftserflärung erkennbaren Ausdruck ge
funden hat, iſt Sache der Auslegung, die, wenn die
Bürgſchaftsurkunde ſelbſt die Frage nicht zweifelsfrei
beantwortet, aus begleitenden Umſtänden zu gewinnen
ift, als welche auch Spätere Handlungen und Erklärungen
in Betracht kommen können, die einen Rückſchluß auf
den Sinn der früher abgegebenen Bürgſchaftserklärung
geſtatten. Eine Rechtsvermutung beſteht für eine ſolche
Erſtreckung der Bürgſchaft über die Perſon des der⸗
zeitigen Firmeninhabers hinaus nicht; eine tatſächliche
kann nach Lage des einzelnen Falles begründet ſein,
wenn Umſtände vorliegen, die zunächſt die Annahme
eines auf dieſe Erweiterung der Bürgſchaftsverpflichtung
gerichteten Vertragswillens als wahrſcheinlich ergeben,
ſo wenn bei Abgabe der Bürgſchaftserklärung ein Wechſel
des Geſchäfts⸗ und Firmeninhabers bereits in Ausſicht
ſtand und dies dem Bürgen bekannt war. Als ein
Beweisumſtand für die Erſtreckung der Bürgſchaft auf
die Forderungen eines ſpäteren Firmeninhabers kann
auch in Betracht gezogen werden, ob die Bürgſchafts⸗
verpflichtung auf Anſuchen des Gläubigers oder im
Auftrage und zugunſten des Schuldners eingegangen
wird, ſo daß für den Bürgen gegenüber dem Zwecke,
dem letzteren zu helfen, die Perſon des Gläubigers in
den Hintergrund tritt, dies zumal dann, wenn die
Bürgſchaft in beſtimmt begrenzter Höhe erklärt wird.
Einen weſentlichen Beweisgrund für die Annahme einer
auf den Geſchäftsnachfolger übergehenden Berechtigung
aus der Bürgſchaft im Wege des Rückſchluſſes aus
ſpäteren Vorgängen kann es abgeben, wenn der Bürge
in bezug auf ſeine Bürgſchaft mit dem ſpäteren Geſchäfts⸗
inhaber in Kenntnis des Wechſels in Verhandlungen
getreten iſt oder nach Erlangung dieſer Kenntnis unter
Umſtänden geſchwiegen hat, wo er hätte reden und
den Geſchäftsnachfolger wie den Hauptſchuldner auf⸗
klären müſſen (vgl. Bolze, Praxis des RG. Bd. 5 Nr. 714).
(Urt. d. VI. ZS. v. 19. März 1914, VI 31/14). — — — gn.
3369
II.
Anwendbarkeit des z 26 Gew. auf Anlagen, die
vor dem Inkrafttreten der GewO. obrigkeitlich genehmigt
worden find. Aus den Gründen: 8 26 Gemd.
enthält, ſoweit er eine Klage auf Einſtellung des Ge⸗
werbebetriebs für unzuläſſig erklärt und ſtatt deſſen
nur eine Klage auf Schadloshaltung gewährt, eine
Schutzvorſchrift zugunſten obrigkeitlich genehmigter
gewerblicher Anlagen. Mit Recht nimmt das BG. an,
daß dieſe Vorſchrift auch auf die Knochenkocherei des
Beklagten anzuwenden ſei, wiewohl ſie ſchon im Jahre
1862 vor dem Inkrafttreten der GewO. obrigkeitlich
genehmigt worden iſt. Denn $ 26 ſpricht allgemein
von obrigkeitlich genehmigten gewerblichen Anlagen.
Unter dieſen ſind auch gewerbliche Anlagen, die
vor dem Inkrafttreten der GewO. obrigkeitlich ge⸗
nehmigt worden ſind, jedenfalls dann zu verſtehen,
wenn die Anlagen zu denjenigen gehören, die auch
nach 8 16 GewO. der behördlichen Genehmigung be⸗
dürfen, und nach Vorſchriften genehmigt worden ſind,
die, im weſentlichen mit den Genehmigungsvorſchriften
übereinſtimmen (vgl. RG. 19 358). (Urt. d. V. 38S.
v. 22. April 1914, V 559/13). — - —ı.
3365
III.
Auſſtellung gefährlicher Anlagen. Aus den
Gründen: Das BGG. geht fehl, ſoweit es den vom
Reichsgericht häufig ausgeſprochenen Grundſatz ans
wendet, daß gefährliche Maſchinen und Anlagen an
Orten, die Kindern und jugendlichen Perſonen zugänglich
find, verwahrt werden müſſen. Unter ſolchen Orten
ſind nur die zu verſtehen, wo Kinder ſich aufzuhalten
oder zu ſpielen pflegen, oder die ſie von dieſen Plätzen
aus ohne weiteres betreten können. Eine bloße aus⸗
zudenkende Möglichkeit, daß ein Kind an einen Ort
A kann, macht ihn noch nicht zu einem für
nder zugänglichen i. S. jenes Grundſatzes. Deshalb
kann von einer derartigen Zugänglichkeit bei einer
Beitfärift für Redtspffege in
|
Bayern. 1914. Nr. 12.
Anlage keine Rede ſein, die ſich in der hinterſten Ecke
eines dunkeln Kellers befindet, in dem Kinder nicht
verkehren und nichts zu ſuchen haben. (Urt. d. VI. 38.
v. 18. April 1914, VI 55/14). — e u.
3364
B. Strafſachen.
I
6267 SIEB. ſetzt den Willen voraus, auf den Rechts:
verkehr einzuwirfen. Aus den Gründen zweier Ent⸗
ſcheidungen: 1. Der Angeklagte hat die gefälſchten
Zeugniſſe gebraucht, um ſeiner Frau zu beweiſen, daß
ihm wirklich ſolche Anſprüche zuſtünden, wie er ſie ihr
vorgelogen hatte, um fie zur Eingehung der Ehe zu
beſtimmen; er wollte ſie über die Bedenken beruhigen,
die ihr gegen die Richtigkeit ſeiner Angaben aufgeſtiegen
waren. Wenn darnach auch die Urkunden angefertigt
und gebraucht worden ſind, um damit Beweis zu
erbringen, ſo iſt doch nicht erſichtlich, daß dieſe Be⸗
weisführung im rechtlichen Verkehr ſtattfinden, daß
damit auf das Rechtsleben ein Einfluß geübt werden
ſollte. Iſt der Endzweck des Angeklagten geweſen,
ſeine Frau zu beruhigen, hat er lediglich auf
ihr Gemüt einwirken wollen, um den häus⸗
lichen Frieden zu retten oder wiederherzuſtellen, nicht
aber, um ſie zu rechtlich erheblichen Entſchließungen
zu veranlaſſen, I hat er eine rechtswidrige Abſicht
nicht verfolgt. (Urt. des I. StS. vom 22. Dez. 1913
1D 1905/13).
2. Die Angeklagte hat von dem verfälſchlen Briefe,
in dem dem K. Brandſtiftung uſw. nachgeſagt wird,
zu Täuſchungszwecken nur in der Weiſe Gebrauch ge-
macht, daß ſie den Brief mehreren Perſonen vorlas
und ihn einer Perſon zum eignen Durchleſen gab.
Sie wollte damit dartun, „was die K. . 8 für ſchlechte
Leute find“. Außerdem rühmte fie fi, fie habe die
Herausgabe des Briefes an die Frau K. verweigert.
Damit hat alſo die Angeklagte lediglich Nachteiliges über
das K. . ſche Ehepaar verbreiten und ſich als die Bes
ſizerin eines in dieſer Hinſicht wichtigen Beweisſtückes
hinſtellen wollen. Dagegen lag ihr völlig fern, irgend
einen Einfluß auf rechtliche Vorgänge zu gewinnen.
(Urt. des I. StS. vom 2. Februar 1914, 1D 1094/13).
3379 E.
II.
., Anrechnung der e ee ($ 60 StGB.) bei
Bildung einer Gefamtfirafe nach $ 79 Sts B. Aus den
Gründen: Die Anwendung des $ 60 StGB. erfordert,
daß die Unterſuchungshaft in dem Verfahren erlitten
iſt, in dem das den 8 60 anwendende Urteil ergeht.
Wenn gemäß 8 79 StGB. auf eine Geſamtſtraſe zu er»
kennen iſt, fo tritt damit nicht eine Verbindung des
früheren Verfahrens mit dem neuen Verfahren ein,
die dazu berechtigen würde, die in dem neuen Verfahren
erlittene Unterſuchungshaft unter allen Umſtänden un-
beſchränkt auf die Geſamtſtrafe anzurechnen, die unter
Heranziehung der in dem früheren Verfahren erkannten
Strafe zu bilden iſt; vielmehr iſt in ſolchem Falle die
Anrechnung nur auf den der zweiten Verurteilung ent—
ſprechenden verhältnismäßigen Teil der Geſamtſtrafe
zuläſſig. Dies iſt in der reichsgerichtlichen Rechtſprechung
wiederholt anerkannt worden und es beſteht kein Grund,
davon abzugehen (Entſch. Bd. 41 S. 318; GoltdArch.
Bd. 52 S. 398). Der Meinung der ſtaatsanwaltſchaft⸗
lichen Reviſion, daß die Anrechnung nur zuläſſig ſein
könne, ſoweit die Geſamtſtrafe die frühere, bereits rechts—
kräftig gewordene Straſe überſteige, kann nicht bei—
getreten werden. Das widerſpräche dem Geſetze, das
die Geſamtſtrafe nicht durch einen ſelbſtändigen Zuſatz
zu der früheren Strafe gebildet wiſſen will, und würde
auch zu verſchiedenen Ergebniſſen führen, je nachdem
die Einzelſtrafe, durch deren Erhöhung die Geſamt⸗
ſtrafe zu bilden iſt, im früheren oder fpäteren Ver⸗
fahren erkannt wäre, was keinesfalls im Sinne des
Geſetzes gelegen ſein könnte. (Urt. des I. StS. vo
26. Februar 1914, 1 D 98/14). E.
3380
Oberſtes Landesgericht.
Zivilſachen.
1
Unter welchen Vorausetzungen kaun ein haudels⸗
geſchäftliches Unternehmen in feine Firma die Begeich⸗
nung als „Graphiſche Kunſtanſtalt“ aufnehmen ? (GEB.
818). Der Kaufmann A. H. meldete beim Regiſtergericht
eine Firma „Graphiſche Kunſtanſtalt B. A. H.“ an.
Die Eintragung erfolgte nach der Anmeldung. Gegen
die Firma erhob die Handelskammer Einwendungen.
Das Regiſtergericht teilte dem A. H. mit, daß es die
Firma von Amts wegen zu löſchen beabſichtige, weil
der Zuſatz „Graphiſche Kunſtanſtalt“ gegen § 18 Abſ. 2
HGB. verſtoße; denn H. betreibe keine graphiſche
Kunſtanſtalt, ſondern nur ein Vermittlungsbureau für
Druckſachenbedarf. Widerſpruch und Einſpruch des H.
wurden verworfen. Die Beſchwerde blieb erfolglos.
Auf weitere Beſchwerde wurde der Beſchluß des LE.
aufgehoben und die Sache zurückverwieſen.
Aus den Gründen: Die 1 der
Sachverſtändigen darüber, wann ein handelsgeſchäft⸗
liches Unternehmen als „Graphiſche Kunſtanſtalt“ be⸗
zeichnet werden kann, ſind nicht einhellig. Ein Teil
hält daran feſt, daß dem Unternehmen dieſe Bezeich⸗
nung nur zukomme, wenn es im eigenen Betriebe die
Erzeugniſſe herſtellt; ein anderer Teil meint, daß eine
eigene Druckerei nicht erforderlich ſei, ſondern es ge⸗
nüge, wenn der Unternehmer dem Kunſtmaler oder
Kunſtphotographen gegenüber die leitenden Gedanken
angebe und die für die Wiedergabe dienenden Bor»
lagen herſtelle oder doch deren Herſtellung überwache.
Eine dritte Meinung geht dahin, daß zwar keine eigene
Druckerei vorhanden ſein müſſe, daß es aber auch nicht
genüge, wenn der Unternehmer nur die Aufträge ent⸗
gegennehme und allenfalls auch die Entwürfe bereit⸗
ſtelle, daß er vielmehr mindeſtens die Grundlagen für
die Wiedergabe, die Illuſtrationsſtücke oder Platten
(Aetzungen, Kliſchees) für den Hochdruck (Buchdruck)
wie für den Flachdruck (Steindruck) im eigenen Ge⸗
ſchäfte und durch die eigenen Angeſtellten herſtellen
müſſe. Die letztere Auffaſſung iſt zutreffend. Die Aus⸗
führung der Drucke durch die Druckerei fordert keine
ſelbſtändige künſtleriſche Tätigkeit; fie iſt nur ein tech—
niſches Hilfsmittel für die Vervielfältigung, die auch
dritten Perſonen übertragen werden kann, ohne daß
das Unternehmen die Eigenſchaft einer Kunſtanſtalt
verliert. Wenn auch mit größeren Kunſtanſtalten meiſt
eine Druckerei verbunden iſt, ſo liegt doch das Weſen
der graphiſchen Künſte nicht in der mechaniſchen Ver—
vielfältigung, ſondern in der Entfaltung der künſt—
leriſchen Tätigkeit, mit deren Hilfe das gezeichnete,
gemalte oder geſchriebene Werk vervielfältigt werden
ſoll, m. a. W. in der Tätigkeit des Holzſchneiders,
Kupferſtechers, Lithographen uſw. Die weſentliche Be—
deutung einer graphiſchen Kunſtanſtalt beſteht hiernach
darin, daß ſie die künſtleriſchen und techniſchen Unter—
lagen für die Wiedergabe ſelbſt ſchafft und das durch
die Wiedergabe (Druck) gewonnene Ergebnis ihrer
ſchaffenden Tätigkeit als eigenes Erzeugnis auf den
Markt bringt oder ſonſt weiter verbreitet; der Druck
ſelbſt kann auch anderen Anſtalten überlaſſen bleiben.
(Beſchl. des I. 35. vom 18. April 1914, Reg. III
Nr. 30/1914). M.
3375
Zettſchrift für Rechtapflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
II.
Unter welchen . können vorläufige
Maßregeln nach Art. 4 Ubi. 2 Zwés. augeordmet
werden? Aus den Gründen: Die Anordnung vor⸗
läufiger Maßregeln nach Art. 4 Abſ. 2 Zw. ſetzt
allerdings nicht eine endgültige Feſtſtellung der Tat⸗
ſachen voraus, von deren Vorliegen die Zwé. abhängt.
Es genügt vielmehr, iſt aber auch erforderlich, daß die
Erhebungen hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben
haben, daß die Vorausſetzungen zu einem Einſchreiten
nach Art. 1 Zwéc. gegeben find und daß Gefahr auf
Verzug beſteht. Bis jetzt iſt kein ſelbſt für eine nur
vorläuſige Maßregel zureichender Nachweis für das
Vorliegen der Vorausſetzungen erbracht. Das Vor⸗
mundſchaftsgericht hat ſeine Entſcheidung ausſchließlich
auf Grund der Mitteilungen der Schulbehörde und
des Jugendfürſorgeverbandes getroffen. Dieſes Ver⸗
fahren wäre an ſich nicht zu beanſtanden, wenn es
auch wenig zweckmäßig iſt, daß eine ſo tief einſchneidende
Maßregel, wie die vorläufige Unterbringung verfügt
wird, ohne daß die Beteiligten gehört wurden. Er⸗
forderlich wäre, aber, daß aus jenen Mitteilungen jetzt
ſchon der hinreichend ſichere Schluß gezogen werden
kann, daß die Vorausſetzungen der Zw. gegeben find.
Das iſt jedoch nicht der Fall, denn weder in den Mit⸗
teilungen der Schulbehörde, noch in denen des Für⸗
ſorgeverbandes finden ſich Tatſachen, die jenen Schluß
zulaſſen würden. Daß die F. B. 1908 wegen nächt⸗
lichen Herumſtreunens in Gaſthäuſern und wegen un⸗
gebührlichen Benehmens eine Arreſtſtrafe erhalten hat,
kann zur Begründung der Maßregel bei der Länge
der verſtrichenen Zeit um ſo weniger herangezogen
werden, als ſie in den beiden folgenden Schulklaſſen
keinen Anlaß zu Tadel gegeben hat. Hinſichtlich der
neueren Vorkommniſſe ſind aber die näheren Umſtände
nicht erhoben und es iſt daher nicht möglich, zu prüfen,
ob fie auf eine bereits begonnene ſittliche Berwahrloſung
zurückzuführen ſind. Aus der Mitteilung der Schul⸗
behörde iſt nicht erſichtlich, in welchem Maße und unter
welchen Umſtänden die Schulverſäumniſſe erfolgt ſind;
es iſt auch nicht erhoben, unter welchen Umſtänden
und zu welchem Zweck — mit oder ohne Begleitung,
als Zuſchauerin oder um zu tanzen — die F. B. Tanz⸗
muſiken beſucht hat, es iſt aber insbeſondere bezüglich
des aus der Karnevalszeit berichteten maskierten
Herumſtreunens nichts erhoben; die Angaben der
Schulbehörde ſtützen ſich nur auf die z. Z. nicht prüf⸗
baren Angaben von Mitſchülerinnen. Die Beweiskraft
der ohnehin dürftigen Tatſachen kann alſo nicht ge⸗
prüft werden; im übrigen aber enthalten die Mit⸗
teilungen der Schulbehörde und des Jugendfürſorge⸗
verbandes nur Meinungsäußerungen, die für den Vor⸗
mundſchaftsrichter nicht ohne weiteres maßgebend ſein
können. (Beſchl. des I. ZS. vom 20. März 1914, Reg. III
Nr. 26/1914). M.
3374
III.
Zur Auslegung des § 1666 BGB. Die 1899 ge⸗
borene A. K. iſt die eheliche Tochter des Tiſchlers J. K.
Als ihre Mutter 1900 geſtorben war, wurde ſie von
Ch. H., einer Schweſter ihres Vaters, in Pflege ge⸗
nommen und blieb dort bis zum Tod ihrer Tante
(1910). Ch. H. hinterließ drei Töchter, die ſich nun
der A. K. annahmen. Z. Z. befindet ſie ſich bei der
Tochter L. H. 1913 hat J. K. von L. H. die Heraus⸗
gabe ſeines Kindes verlangt. L. H. hat beim Vor⸗
mundſchaftsgericht beantragt, dem J. K. die Fürſorge
für die Perſon der A. K. zu entziehen. Das AG. hat
dieſem Antrage ſtattgegeben. Auf die Beſchwerde des
J. K. hat das LG. den Beſchluß aufgehoben und den
Antrag abgewieſen. Die weitere Beſchwerde wurde
verworfen.
Aus den Gründen: Das L. geht davon aus,
das Recht des Vaters auf ſein Kind ſei oberſter Grund-
2m mu ni. un no.
fag und es ſei ein Eingriff nach 8 1666 BGB. nur zu⸗
läſſig, wenn triftige Gründe vorliegen. Dagegen ver⸗
weiſt die Beſchwerdeführerin vergebens darauf, daß
das Recht der Sorge für die Perſon des Kindes dem
Vater nicht um ſeinetwillen, ſondern um des Kindes
willen gegeben ſei. Daß das Fürſorgerecht des Vaters
oberſter Grundſatz für das Verhältnis des ehelichen
Vaters zu ſeinem Kind iſt, kann nach 8 1627 BGB.
nicht zweifelhaft ſein. Allerdings iſt es nicht un⸗
beſchränkt, findet vielmehr ſeine Grenzen da, wo über⸗
wiegende Intereſſen des Kindes entgegentreten und
das iſt nach 8 1666 BGB. der Fall, wenn der Vater
durch einen Mißbrauch des Fürſorgerechts, durch Ver⸗
nachläſſigung des Kindes uſw. das geiſtige oder leib⸗
liche Wohl gefährdet. Mit Recht hat das LG. eine
ſolche Gefährdung verneint. J. K. hat niemals ein
ehrloſes oder unſittliches Verhalten an den Tag gelegt.
Aber auch eine Vernachläſſigung hat das LG. mit Recht
verneint. Allerdings hat J. K. ſein Kind nach dem
Tode ſeiner Frau der Mutter der Beſchwerdeführerin
überlaſſen, zu den Koſten, abgeſehen von geringfügigen
Gelegenheitsgeſchenken, nie etwas beigetragen und,
ſeitdem er nach A. verzogen iſt, überhaupt wenig Teil⸗
nahme für das Kind gezeigt. Allein die Weggabe des
Kindes, das weiblicher Pflege bedurfte, war durch die
Verhältniſſe geboten; das Kind war bei ſeinen nächſten
Verwandten gut untergebracht und es wurde vom Vater
niemals die Zahlung eines Koſtgelds verlangt. Die
weite Entfernung ſeines Wohnorts von M. und ſeine
perſönlichen Verhältniſſe entſchuldigen es, daß es zu
keinem näheren perſönlichen Verkehr gekommen iſt.
Von einer „Vernachläſſigung“ kann alſo nicht geſprochen
werden, jedenfalls nicht von einer ſchuldhaften, noch
weniger davon, daß das geiſtige oder leibliche Wohl
des Kindes hätte gefährdet werden können, da es ſich
ja in einer von den nächſten Angehörigen dem Vater
ſelbſt angebotenen und freiwillig geleiſteten guten
Pflege befunden hat.
Das LG. hat aber auch mit Recht verneint, daß
die Geltendmachung des Fürſorgerechts ein Mißbrauch
dieſes Rechtes ſei. Ein ſolcher könnte in dem Begehren
des Vaters erblickt werden, wenn das Kind auch ferner
noch in der häuslichen Gemeinſchaft der Beſchwerde⸗
führerin bleiben könnte, wenn es alſo nur aus einer
ihm lieb gewordenen Umgebung herausgeriſſen und
gewaltſam in eine ihm fremde und verhaßte verpflanzt
werden ſollte. Allein darum handelt es ſich nicht und
deshalb iſt die Bezugnahme auf den Beſchluß des
Senats vom 20. September 1912 (Bay ZfR. 1912 S. 314)
verfehlt. Mit Recht hat das LG. ausgeführt, daß in
der häuslichen Gemeinſchaft der L. H. für die A. K.
jetzt kein Platz mehr iſt, daß ſie dort keine geregelte
Beſchäftigung und nicht die Möglichkeit hat, ſich in
einem Erwerbszweig auszubilden, daß ſie vielmehr in
einem Dienſtplatz oder in einer Lehrſtelle untergebracht
werden müßte. Sie muß ſich alſo in neue Verhältniſſe
ſchicken und es iſt viel natürlicher, daß ſie zu ihrem
Vater zurückkehrt, als daß ſie bei fremden Leuten unter⸗
gebracht wird. Des halb kann auch der Weigerung der
A. K., zu ihrem Vater zurückzukehren, keine Bedeutung
beigemeſſen werden; ſie kennt ihn allerdings bis jetzt
nicht näher, er hat ſich aber auch nie etwas gegen ſie
zuſchulden kommen laſſen. (Beſchl. des I. 35. vom
2. Mai 1914, Reg. III Nr. 43/1914). M.
3373
Landgericht Nürnberg.
350. 8 695. Bollſtreckungsbefehl nach Zurück
nahme des Widerſpruchs? Der Schuldner hatte gegen
einen Zahlungsbefehl rechtzeitig Widerſpruch eingelegt.
Im Termin wurde kontradiktoriſch verhandelt und Bes
weiserhebung angeordnet. Vor der Beweisaufnahme
erklärte der Beklagte in öffentlicher Sitzung, daß er
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
255
den Widerſpruch zurücknehme und die Pflicht zur Koſten⸗
tragung anerkenne. Der Vertreter des Klägers, der
erſt im dritten Termin auftrat, beantragte Vollſtreckungs⸗
befehl, weil der Zahlungsbefehl nach Zurücknahme des
Widerſpruchs wieder in Kraft tritt. Das AG. hielt
die Weigerung des Gerichtsſchreibers, dem Antrag
ſtattzugeben, für berechtigt und führte aus: Der Ge⸗
ſetzgeber ſagt im § 695 ZPO. deutlich, daß das Mahn⸗
verfahren bei Widerſpruch beendet ſein ſoll. Das Ge⸗
ſetz ſelbſt verordnet nichts über die Zurücknahme des
Widerſpruchs, während es ſonſt die Zurücknahme eines
Rechtsmittels oder eines Einſpruchs ausdrücklich zu⸗
läßt. Das Mahnverfahren ſollte möglichſt einfach ge⸗
ſtaltet werden. Sobald es verwickelt zu werden droht,
ſoll es in den Prozeß übergehen; daher auch die Be⸗
ſtimmung, daß der Zahlungsbefehl ſeine Kraft verliert,
auch wenn nur gegen einen Teil Widerſpruch erfolgt.
Gegen die Zuläſſigkeit der Zurücknahme ſprechen noch
andere Gründe, die Gaupp⸗Stein $ 695 Anm. 1 u. a.
anſcheinend außer acht gelaſſen hat. Der Vollſtreckungs⸗
befehl darf nur wegen der im Zahlungsbefehl ent⸗
haltenen Beträge erlaſſen werden. Es ſind alſo nur
die im „bisherigen“ Mahnverfahren erwachſenen
Koſten aufzunehmen (8 699) und die Koſten des Voll⸗
ſtreckungsbeſehls ſelbſt. Dagegen fehlt es an jedem
Anhaltspunkt dafür, in welcher Form die Gerichts-
und Anwaltskoſten feſtgeſetzt werden ſollen, die nach
der Erhebung des Widerſpruchs bis zur Zurücknahme
entſtanden ſind. Ein Urteil liegt nicht vor; ein ſolches
aber müßte ergehen, wenn die Koſten feſtgeſetzt werden
ſollen. Es müßte alſo eine Trennung des Verfahrens
eintreten: bezüglich der Hauptſache, der Koſten des
Zahlungsbeſehls und des Vollſtreckungsbefehls müßte
Vollſtreckungsbefehl erlaſſen werden, bezüglich der
übrigen Koſten Urteil und e
Das hat aber der Geſetzgeber keinesfalls gewollt. Mit
dem Widerſpruch iſt das Mahnverfahren als ſolches
abgeſchloſſen. Nimmt der Beklagte den Widerſpruch
zurück, d. h. erkennt er die Schuld an, dann kann der
Kläger das Verfahren durch Anerkenntnisurteil, Ver⸗
gleich oder, wenn die Zurücknahme vor dem Termin
erfolgte und hier der Beklagte nicht erſchien, durch
Verſäumnisurteil zu Ende führen. (Vgl. Zeitſchr. f.
D. JuſtizS. 1913, 180). Das LG. verwarf die Beſchwerde.
Aus den Gründen: Der Widerfpruch gegen
einen Zahl ungsbefehl kann nicht ohne weiteres gleich
dem Einſpruch gegen ein Verſäumnisurteil behandelt
werden. Der Einſpruch ſetzt einen Vollſtreckungstitel
voraus; demzufolge beſtimmt 8 342 ZPO., daß durch
den Einſpruch der Prozeß in die Lage zurückverſetzi
wird, in der er ſich vor Eintritt der Verſäumnis be⸗
fand. Allein damit wird das Verſäumnisurteil oder
gem. 8 700 3PO. der Vollſtreckungsbefehl nicht aus
der Welt geſchafft. Vielmehr iſt der Vollſtreckungs⸗
titel gem. 8 343 ZPO. aufrecht zu erhalten, wenn ſich
der Einſpruch als unbegründet erweiſt. Eine Folge
davon iſt auch die Vorſchrift der SS 346, 515 ZPO.,
wonach die Zurücknahme des Einſpruchs den Verluſt
zur Folge hat und fohin der Vollſtreckungstitel wieder
in Kraft tritt, deſſen Wirkſamkeit durch den Einſpruch
nur aufgeſchoben, aber nicht aufgehoben worden iſt.
Anders verhält es ſich mit dem Zahlungsbefehl. Dieſer
iſt nur ein Verſuch, den Schuldner ohne mündliches Ver⸗
fahren zur Befriedigung zu veranlaſſen. Stößt er auf
Widerſpruch, fo verliert gem. S$ 695, 696 ZPO. der
Zahlungsbefehl ſeine Kraft, das Mahnverfahren iſt
beendet und in das ordentliche Verfahren übergeleitet.
Dieſes kann aber nur nach den hiefür geltenden Vor—
ſchriften beendet werden. Die gegenteiligen Aeußerungen
ſowohl bei Gaupp-Stein und Seuffert als in Seuffl.
Bd. 76 S. 591 beruhen offenbar mehr auf ſozialpolitiſchen
als auf rechtlichen Erwägungen. Unerörtert mag bleiben,
ob der Widerſpruch nicht wenigſtens vor der Termins—
anberaumung zurückgenommen werden kann, da bis
dahin Vorgänge des ordentlichen Verfahrens noch nicht
256
ftattgefunden haben. Es iſt auch nicht erſichtlich, ob
nicht die gegenteilige Anſchauung ſolche Fälle im Auge
hat. Wenn aber das ordentliche Verfahren eingetreten
und Beweiserhebung angeordnet war, kann es nicht
im Belieben des Schuldners ſtehen, dieſes Verfahren
durch Zurücknahme des Widerſpruchs zu beenden und
den Gläubiger zu nötigen, einen Vollſtreckungsbefehl
gegen ihn zu erwirken, in den die im ordentlichen Ver⸗
59 78 erwachſenen Koſten nicht aufgenommen werden
könnten, weil hier gem. 8 699 ZPO. nur Koſten des
Mahnverfahrens in Frage kommen. Um andere feſt⸗
zuſetzen, bedürfte es eines im ordentlichen Verfahren
zu erwirkenden Vollſtreckungstitels, ſo daß in einer
Sache zwei Vollſtreckungstitel vorliegen würden, was
ebenſo unzuläſſig wäre wie eine Trennung des Ver⸗
fahrens bezüglich der Hauptſache und der Koſten.
Hiedurch würde das Verfahren nicht beſchleunigt und
verbilligt, ſondern verlangſamt und verteuert. Hier
für ie alſo nicht einmal, ſozialpolitiſche“ Erwägungen
ür die gegenteilige Anſicht. (Beſchl. vom 17. März 1
3868 5
Zeſetzgebung uud Verwaltung.
Geſetz vom 14. Mai 1914 zur Aenderung des Ge⸗
ſetzes über die gemeinſamen Rechte der Beſitzer von
Schuldverſchreibungen vom 4. Dezember 1899 (veröffent:
licht in RED. S. 121). Das Geſetz vom 4. Dezember
1899 traf keine genügende Vorſorge für den Erſatz
eines abberufenen oder aus einem anderen Grunde
weggefallenen Gläubigervertreters, der bei der Aus⸗
gabe der Schuldverſchreibungen oder nach 8 1189 88.
bei der Hypothekerrichtung beſtellt war. Das führte
zu Schwierigkeiten, beſonders deshalb, weil die Recht⸗
ſprechung dann, wenn bei der Beſtellung des Ver⸗
treters für die Nachfolge keine Beſtimmung getroffen
war, die Beſchlußfaſſung der Gläubigerverſammlung
nicht für genügend erklärte, ſondern die — praktiſch
kaum zu erlangende — Einwilligung ſämtlicher Beſitzer
von Schuldverſchreibungen verlangte. Die Novelle
ſchafft Abhilfe, indem ſie der Gläubigerverſammlung
die Befugnis zur Beſtellung eines neuen Vertreters
gibt und zur Ergänzung gleichzeitig das Amtsgericht
ermächtigt einen neuen Vertreter unter den gleichen
Vorausſetzungen zu beſtellen, unter denen es bisher einen
Vertreter nur abberufen konnte. Die Eintragung ins
Grundbuch wird erleichtert; ſie iſt ohne Vorlegung
aller Teilſchuldverſchreibungen möglich und kann vom
AZ. veranlaßt werden, wenn es aufſtellt oder abruft.
Ein Zuſatz zum § 17 des Geſetzes erleichtert auch die
Eintragung jener Vertreter ins Grundbuch, die an
die Stelle von Gläubigervertretern des älteren Rechts
treten.
3382
Berwaltung des Lirchenſtiſtungsvermögens. Die
Kirchengemeindeordnung hat die Grundlagen für die
Verwaltung des Ortskirchenvermögens und die Staats-
aufſicht über dieſe Verwaltung neu geordnet. Die in
Ausſicht genommene allgemeine, Verwaltungsordnung“
ſteht noch aus. Auf Grund des Art. 75 Abi. IV KG.
hat das Staatsminiſterium für Kirchen- und Schul—
angelegenheiten einſtweilen die Zweifel entſchieden, ob die
älteren Vorſchriften über die Notwendigkeit der aufſicht—
lichen Genehmigung zu den „Quittungen und Löſchungs—
bewilligungen“ bei der Rückzahlung von Hypothekkapi—
talien und zur Freiſchreibung der aufden Namengeſtellten
Schuldverſchreibungen (Bek. v. 17. Mai 1905 über die
Anlegung von Geldern der Kultusſtiftungen und Kirchen—
gemeinden, IM Bl. S. 717) noch gelten, und dabei dieſe
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 12.
|
Vorſchriften „ (Bek. v. 28. März 1914, abgedruckt
im IMBl. S. 77). Die Kirchenverwaltungen (Pres⸗
byterien) bedürfen der Genehmigung nicht mehr. Ihre
Quittungen und Löſchungsbewilligungen und ihre An⸗
träge auf Freiſchreibung unterliegen aber den erſchwerten
Formvorſchriften des Art. 63 Abſ. IX KSO. (Unterſchrift
des Vorſtands und zweier Mitglieder und Amtsſiegel).
Die Genehmigung iſt auch weiterhin notwendig für Orts⸗
kirchenvermögen, das unter gutsherrlicher oder ſonſtiger
beſonderer Verwaltung von Einzelperſonen ſteht. Ebenſo
bleibt das Erfordernis der Genehmigung für die Pfründe⸗
ſtiftungen beſtehen. Dieſe Vorſchriften find beſonders
für die Grundbuchämter von Bedeutung.
3360
Zur Statiſtik der Uebertretungen veröffentlicht
die bayeriſche Juſtizverwaltung in der Zeitſchrift des
bayeriſchen ſtatiſtiſchen Landesamts (Jahrgang 1914
Heft 2) eine Mitteilung, die auch als Sonderabdruck
erſchienen iſt. Sie gibt eine Ueberſicht über das Ver⸗
hältnis der Verurteiltenzahl (nach der Statiſtik für 1912)
zur Zahl der ſtrafmündigen Bevölkerung (nach der
Volkszählung von 1910) und zwar zunächſt für die Ber
urteilungen wegen Uebertretungen überhaupt und da⸗
neben noch beſonders für die Verurteilungen wegen
Bettelns und Landſtreicherei. Zur Veranſchaulichung
ſind zwei farbige Tafeln beigefügt. Die Verhältnis⸗
zahlen ſind nach Landgerichtsbezirken berechnet. Das
mag auf den erſten Blick etwas unzweckmäßig er⸗
ſcheinen; eine Berechnung nach Amtsgerichtsbezirken
hätte eher ermöglicht, Beziehungen zu finden zu der
Art des Bezirks und ſeiner Bevölkerung, als es jetzt
bei der teilweiſe großen Verſchiedenartigkeit der in
einem Landgerichtsbezirk zuſammengefaßten Gebiete
und Volksteile möglich iſt. Allein die Wahl der kleinen
Amtsgerichtsbezirke hätte abgeſehen von dem Bedenken,
das in der Mitteilung ſelbſt dagegen angeführt iſt, das
Mißliche, daß Unterſchiede viel mehr zutage treten
würden, die keinen inneren Grund haben, ſondern rein
zufälliger Natur ſind; man denke nur an die Steige⸗
rung, die z. B. die Anzeigen wegen Schulverſäumnis
oder wegen Wirtshausbeſuchs mitunter durch irgend⸗
einen äußeren Anlaß oder infolge der größeren oder
geringeren Strenge einer maßgebenden Perſönlichkeit
in einzelnen Orten erfahren. Was die Ergebniſſe an⸗
langt, ſo trifft im Königreich durchſchnittlich ſchon auf
18 (!) Einwohner eine Verurteilung wegen Uebertretung
und auf 113 Einwohner eine Verurteilung wegen Bettelns
oder Landſtreicherei. Die Zahlen für die einzelnen Bezirke
ſchwanken bei den Verurteilungen wegen Uebertretungen
überhaupt zwiſchen 10 und 36, bei den Verurteilungen
wegen Bettelns und Landſtreicherei zwiſchen 47 und 24.
Die örtliche Verteilung iſt nicht dieſelbe wie bei den Ber:
urteilungen wegen Verbrechen oder Vergehen; doch zeigt
ſie bei den Uebertretungen im allgemeinen immerhin
einige Aehnlichkeit. Die Bezirke Zweibrücken, Frankenthal
und Kaiſerslautern ſtehen an der Spitze; dann folgen
die Bezirke mit großen, gewerbe- und verkehrsreichen
Städten, München I, Nürnberg und — nach Landau —
Augsburg und Würzburg. Ganz anders bei den Ueber⸗
tretungen wegen Bettelns und Landſtreicherei: bier
gehören die vier Landgerichts bezirke der Pfalz zu den
acht Bezirken mit der niedrigſten Verurteiltenzahl und
ihnen ſchließt ſich merkwürdigerweiſe die Großſtadt
München an, während Bezirke mit überwiegend länd⸗
licher Bevölkerung wie München II und Traunſtein
ſehr ſchlecht abſchneiden.
3381
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ur. 123. 13. München, den 1. I. Juli 1914. 1914. 10. I. Jahrg.
Zeitfhrift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
— 111127
Staats miniſterium der Juſtig. Münden, Berlin u. Leipzig.
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.)
Leitung und a München, Ottoſtraße 1a.
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/oder deren Raum. Bei Mileheroofanaen Ermäßigung. Stellen
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im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich 8
Mk. .— Be ae übernimmt jede Buchhandlung und
jede Voſtanſt
„Nachdruck verboten. 257
Reichsgerichtsrat a. D. Ernſt von Schneider.
Ein Nachruf.
Bom Senatspräfidenten des Reichsgerichts Chriſtian v. Kolb.
Am 12. Juni dieſes Jahres iſt in München der Reichsgerichtsrat a. D. Ernſt von Schneider plötzlich
an Herzlähmung geſtorben. Erſt vor einigen Monaten aus dem aktiven Dienſt geſchieden und in die geliebte
bayeriſche Heimat übergeſiedelt, durfte er ſich nur kurze Zeit des wohlverdienten Ruheſtandes erfreuen. Ihm
und ſeinem Wirken, insbeſondere am höchſten Gerichtshofe des Reiches, ein Gedenkwort zu widmen, er⸗
ſcheint dem Einſender als Ehrenpflicht. Ernſt Schneider war geboren am 16. Februar 1846 zu
Obernzenn (Mittelfranken), beſuchte die Gymnaſien zu Bamberg und Ansbach, ſtudierte an den Uni⸗
verfitäten Erlangen und Leipzig und beſtand 1867 die erſte, 1870 die zweite Staatsprüfung mit
beſtem Erfolge. Sodann war er jahrelang als Hilfsarbeiter (Konzipient) im Notariat und der Rechts⸗
anwaltſchaft tätig, wurde 1879 Amtsrichter in Hof, 1886 Landgerichtsrat in Paſſau und 1897
Oberlandesgerichtsrat in Bamberg.
Als im Frühjahr 1899 die Zahl der von Bayern vorzuſchlagenden Mitglieder des Reichs⸗
gerichts von ſechs auf zehn erhöht wurde, befand ſich auch Ernſt Schneider unter den neuerwählten
Raͤten. In den ſeitdem verfloſſenen fünfzehn Jahren iſt er jederzeit vollauf den recht hochgeſpannten
Erwartungen und Anforderungen gerecht geworden, die an die Mitglieder des Reichsgerichts geſtellt
werden können und müſſen. Dem V. Zivilſenat zugeteilt, dem er bis zu ſeinem Ausſcheiden un⸗
unterbrochen treu blieb, trat er in einen geradezu glänzenden Kreis engerer Kollegen ein, deren
Namen in der ganzen Juriſtenwelt rühmlichſt bekannt find.) Wenn es ihm gleichwohl in ganz
kurzer Zeit gelang, in dieſem Senate eine hochgeachtete und unbeſtritten anerkannte Stellung zu er⸗
ringen und ſtets zu behaupten, ſo verdankte Schneider dieſen Erfolg den ausgezeichneten Eigenſchaften,
die ihn ganz beſonders zum Richteramte befähigten: ſeinem ſcharfen, in die Tiefe dringenden Ver⸗
ſtande, ſeiner reichen umfaſſenden Kenntnis aller Rechtsgebiete, ſeiner Vertrautheit und ſteten Füh⸗
lung mit den Anſchauungen und Bedürfnifien des praktiſchen Lebens, und nicht zuletzt feinem auf:
rechten, ſtarken Charakter, der ihn das für recht und wahr Erkannte auch mit allem Nachdruck feſt⸗
zuhalten und zu verteidigen hieß. In den letzten Jahren, der Zeit der Hilfsrichter, hatte Schneider
auch Häufig den Vorſitz in den ſtark vermehrten Sitzungen zu führen, und er hat ſich auch in dieſer
Eigenſchaft glänzend bewährt. Im Verkehr war Schneider ein Mann von großer Liebenswürdigkeit,
) Dem V. Zivilſenate gehörten damals u.a. an: Schütt, der Herausgeber von Seufferts Archiv;
Turnau und Förſter, die Verſaſſer des großen zweibändigen Werks über das Liegenſchaftsrecht; Jäckel,
der Kommentator des Zwangsverſteigerungsgeſetzes.
258 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
gepaart mit der vornehmen Naturen eigenen Beſcheidenheit und lauteren Sinnesart, ein treuer, zu⸗
verläſſiger Freund und Kollege, der ſich dahier außergewöhnlicher Beliebtheit erfreute. Das zeigte ſich
beſonders bei ſeinem Scheiden aus dem Dienſte und von Leipzig, und jetzt wieder bei der Trauerkunde
von ſeinem plötzlichen Tode. f
Schneider beſaß auch Neigung und Befähigung zu ſchriftſtelleriſcher Tätigkeit. Wiederholt hat
er gediegene und gedankenreiche Aufſätze über praktiſch wichtige Fragen in dieſer Zeitſchrift veröffentlicht,
auch für die Abteilung „Rechtſprechung des Reichsgerichts in Zivilſachen“ hat er zahlreiche Beiträge
geliefert. Ebenſo ſtammten in Neumanns Jahrbuch die Ueberſichten über die Literatur und Recht⸗
ſprechung, Zwangsvollſtreckung betr., aus feiner Feder. Die größere Muße des Ruheſtandes hätte ficher
noch manche wertvolle Arbeit von ihm zutage gefördert, und ſo hat auch die Rechtswiſſenſchaft in
ſeinem allzufrühen Hinſcheiden ein ſchmerzlichen Verluſt zu beklagen.
Ehre ſeinem Andenken!
Verleſung von Echriftſtücken Verſtorbener im
Strafverfahren.
Von Reichsgerichtsrat Valentin Grimm in Leipzig.
Dem Urteile des III. Strafſenats vom 27. No⸗
vember 1913 — 3 D 1159 — lag folgender Tat⸗
beſtand zugrunde.
Der Angeklagte war der Vermöͤgensverwalter
einer 1912 verſtorbenen Rentnerin. Nach ihrem
Ableben ſtellte er Rechnung, nach welcher das
Vermögen vollſtändig aufgewendet war. Eine
Durchſuchung ſeiner Wohnung förderte Briefe und
Aufzeichnungen der Verlebten zutage, die in der
Hauptverhandlung verleſen wurden und aus denen
das erkennende Gericht den Beweis entnahm, daß
der Angeklagte einen großen Teil des von ihm
verwalteten Vermögens veruntreut hatte. Ver⸗
urteilt, legte der Angeklagte Reviſion ein mit der
Begründung, es ſei gegen die Vorſchriſten des
8 250 StPO. verſtoßen, weil die Briefe und Auf:
zeichnungen nicht hätten verleſen werden dürfen,
und bezog ſich dabei auf das in vielen Kommen⸗
taren jo z. B. Löwe, StPO. 8 250 Anm. 1 b an⸗
geführte Urteil des IV. Strafſenats vom 25. Ok⸗
tober 1898, mitgeteilt in Goltd Arch. Bd. 46
S. 435. Dieſes Urteil ſpricht folgende Sätze aus:
Nach 8 249 StPO. ſei, wenn der Beweis einer
Tatſache auf der Wahrnehmung einer Perſon be⸗
ruhe, dieſe letztere in der Hauptverhandlung zu
vernehmen. Die Vernehmung dürfe nicht durch
Verleſung des über eine frühere Vernehmung auf—
genommenen Protokolls oder einer ſchriftlichen Er:
klärung erſetzt werden. Von dieſem Grundſatze
ſeien allerdings in $ 250 daſelbſt Ausnahmen in
verſchiedenen Richtungen zugelaſſen, darunter na—
mentlich auch die, daß das Protokoll über die
frühere richterliche Vernehmung eines verſtorbenen
Zeugen verleſen werden dürfe. Aus dem Zu—
ſammenhange jener Regelvorſchrift mit der eben
bezeichneten Ausnahmebeſtimmung erhelle aber von
ſelbſt, daß das Geſetz es nicht für ſtatthaft er⸗
achte, ſchriftliche Erklärungen einer verſtorbenen
Perſon über Tatſachen, die Gegenſtand ihrer Wahr:
nehmung geweſen ſeien, zum Zwecke des Beweiſes
dieſer Tatſachen in der Hauptverhandlung zu ver⸗
leſen, und auf dieſe Weiſe die durch den Tod un⸗
möglich gewordene Vernehmung zu erſetzen.
Der Sinn dieſes Urteils geht alſo dahin, 8 250
Abſ. 1 StPO. habe gegenüber den 88 248, 249
und anderen Beſtimmungen der StPO. eine jo
überragende Bedeutung, daß die Verleſung von
Schriftſtücken Verſtorbener zum Zwecke des Be⸗
weiſes der dort niedergelegten eigenen Tatſachen⸗
wahrnehmungen der Schreiber im Strafverfahren
ſelbſt dann unzuläſſig ſei, wenn dadurch die Pflicht
des Gerichts zur Erforſchung der Wahrheit aus
der unter Umſtänden einzigen und unmittelbarſten
Erkenntnisquelle verletzt werde.“)
Teilweiſe von dieſen Gründen abweichend wurde
die Reviſion zurückgewieſen im weſentlichen aus
folgenden Erwägungen: Zunächſt ſei der Hinweis
der Reviſionsbegründung auf 8 250 StPO. ver⸗
fehlt, denn dieſes Geſetz regele in feinen drei Ab:
lägen die Vorausſetzungen, unter welchen richter⸗
liche Vernehmungen überhaupt, und in ſeinem
erſten Abſatze, unter welchen Vorausſetzungen
richterliche Protokolle verſtorbener Zeugen, Sach⸗
verſtändiger oder Mitbeſchuldigter verleſen werden
dürfen. § 250 ſtehe in keinem Ueberordnungs⸗
verhältniſſe zu den 88 248, 249 StPO., welche
die Verleſung von Urkunden und anderen als Be⸗
weismittel dienenden Schriftſtücken zulaſſen. Unter⸗
ſtelle man, die Reviſion wolle einen Verſtoß gegen
die 88 248, 249 StPO. rügen, jo müſſe das Rechts⸗
mittel gleichfalls verworfen werden, denn die ver⸗
leſenen Schriftſtücke ſeien durch gerichtliche Be⸗
ſchlagnahme gemäß § 94 StPO. in den Beſitz
des Gerichts gekommen, weil fie als Beweismittel
für die Unterſuchung von Bedeutung ſein konnten,
1) Unbedingtes Beweismittelverbot, ähnlich wie
das Verbot der Verleſung von richterlichen Ber:
nehmungen eines verſtorbenen, mit dem Angeklagten
verwandten Zeugen, der ohne Belehrung über ſein
Zeugnisverweigerungsrecht vernommen worden war
(RGSt. 20, 186; 32, 72).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
ſie ſeien als Beweismittel in der Anklageſchrift
bezeichnet, als ſolche dem erkennenden Gericht vor⸗
gelegt und auf Anordnung des Vorſitzenden als
des Leiters der Verhandlung und der Beweis⸗
aufnahme ohne Beanſtandung von irgendeinem
Prozeßbeteiligten (RGSt. 25, 125) verleſen worden.
Der Angeklagte habe anerkannt, daß die Schriftſtücke
von der Verlebten herrühren. Als herbeigeſchaffte
Beweismittel hätten fie nach $ 244 StPO. ver:
leſen werden müſſen.
Im übrigen waren folgende Erwaͤgungen maß⸗
gebend. Zweifellos waren die Briefe und Aufzeich⸗
nungen, deren Inhalt im angefochtenen Urteile aus⸗
zugsweiſe wiedergegeben waren, Urkunden, d. h.
körperliche Gegenſtände, welchen eine an ihr Aeußeres
geknüpfte und daher nur mittels Vorzeigung oder
auf einem der Vorzeigung gleich zu achtenden Wege
zur Geltung zu bringende Beweiskraft innewohnte,
RGSt. 8, 95. Sie waren auch erheblich, dazu be⸗
ſtimmt, durch ihren gedanklichen Inhalt rechts⸗
erhebliche Tatſachen über die Vermögensverwaltung,
über Leiſtungen und Gegenleiſtungen, zu beweiſen.
An ſich konnten fie deshalb nach $ 248 StPO.
verleſen werden. Sie bildeten keine körperlichen
Beweisſtücke, welche wie z. B. eine verfälſchte Urkunde,
ein Grenzzeichen, Warenzeichen durch Beſichtigung
beweisbehelflich find, ſondern ſollten durch ihren
Inhalt Beweis liefern. So weit nun die Briefe und
Aufzeichnungen Willenserklärungen, Mahnungen,
Zahlungsaufforderungen der Verlebten enthalten,
konnten fie verleſen werden, wie in der Recht:
ſprechung RGSt. 33, 35 und auch in der Wiſſen⸗
ſchaft anerkannt iſt. Löwe, Komm. § 248 Anm. a.
Wenn auch die StPO. keine Beweisregeln kennt,
8 260 StPO., fo darf doch hierzu auf die ähnliche
Beſtimmung des § 416 ZPO. verwieſen werden.
Eine Abweichung trat hier nicht deshalb ein, weil
die Ausſtellerin verſtorben war.
Neben den Willenserklärungen beſtätigten die
den Gegenſtand der Beweisaufnahme bildenden
Briefe und Aufzeichnungen auch Wahrnehmungen
der Verſtorbenen über die Art der Vermögens⸗
verwaltung des Angeklagten, über ſein Verhalten
gegen die Verſtorbene u. a. Auch dieſe auf der
Wahrnehmung der Verſtorbenen beruhenden Tat⸗
ſachen wurden in den Urteilsgründen zur Be⸗
laſtung des Angeklagten verwertet. Darin kann
kein Verſtoß gegen § 249 StPO. erblickt werden,
denn die Verlefung von Urkunden iſt nur dann
unſtatthaft, wenn dadurch die Vernehmung einer
Perſon als Zeuge erſetzt werden ſoll. Nur dann
iſt der Grundſatz der Unmittelbarkeit und der
Mündlichkeit der Beweisaufnahme verletzt, wenn
an Stelle der möglichen Vernehmung einer Per⸗
ſon als Zeugen die Verleſung von Schriftſtücken
tritt. Dieſem Grundſatze wird dann nicht ent⸗
gegengehandelt, wenn die wahrnehmende Perſon
nicht mehr lebt, ſie aber ihre Wahrnehmungen
in einer Urkunde niedergelegt hat. Es iſt nicht
verſtändlich, in einem Verfahren, das die Ver⸗
259
nehmung von Zeugen kennt, die ihre Kenntnis
nur vom Hörenſagen haben (RGSt. 2, 160), die
Verleſung von ſchriftlich niedergelegten Zeugniſſen
verſtorbener Perſonen abzulehnen, auch wenn die
Glaubwürdigkeit dieſer Perſonen feſtſteht und alle
Umftände für die Richtigkeit der in den Auf:
zeichnungen enthaltenen Tatſachen ſprechen. Es
kann dem Strafrichter nicht unterſagt ſein, das
geſchriebene Wort, die vox mortua, wie Binding
ſagt, zu hören und es zur Unterlage ſeiner freien
aus dem Inbegriff der Verhandlung geſchöpften
Ueberzeugung zu machen. Wäre das Gegenteil
richtig, dann dürften auch beiſpielsweiſe Notizen
eines von Wilderern tödlich verletzten Förſters über
ſeine den Täter belaftenden Angaben nicht verleſen
werden, wenn der Förſter vor ſeiner richterlichen
Vernehmung verſtarb, und auch nicht Aufzeichnungen
eines in eine Gletſcherſpalte geftürzten und ver⸗
ſtorbenen Turiſten über das fahrläſſige Verhalten
ſeines Führers. Der Formalismus der StPO.
kann doch nicht ſoweit gehen, zu erfordern, daß
die Aufzeichnungen des Verſtorbenen einer dritten
Perſon zur Kenntnisnahme ausgehändigt wird,
damit dieſe Perſon den Inhalt auswendig lernt
und in der Hauptverhandlung wiederholt. Wem
ſoll das Gericht Glauben ſchenken, den vernommenen
Zeugen oder dem Urheber der Aufzeichnungen?
Oft find Schriftſtücke wie im vorliegenden Fall das
einzige Ueberführungsmittel gegen den Täter. Sie
ſind in ſolchen Fällen die unmittelbarſte Erkenntnis⸗
quelle für die Ueberzeugung des Gerichts, dem die
Schreiber für die Wahrheit bürgen. Zwei Senate
des Reichsgerichts, und zwar der 2. in ſeinen
Urteilen 2 D 321/10 vom 1. Mai 1910 und
2 D 637/13 vom 14. Oktober 1913, und der
5. in feinem Urteile 5 D 403/11 vom 13. Juli 1911
haben denn auch ausgeſprochen, daß die Verleſung
von Aufzeichnungen verſtorbener Perſonen über
Wahrnehmungen zuläffig ſei, es ſei der Fall des
8 249 S. 1 StPO. nicht gegeben, weil durch die
Verleſung die infolge des Todes des Schreibers
unmögliche Vernehmung nicht erſetzt ji.
Dieſe Entſcheidungen ſind zur Stütze des Urteils
vom 17. November 1913 herangezogen worden,
aber davon ausgehend, den Urkundenbeweis im
Strafverfahren möglichſt einzuſchränken, und der
Folgerung entgegenzutreten, als könne einzig und
allein auf ſolche Aufzeichnungen die richterliche Ueber⸗
zeugung von der Schuld eines Angeklagten geſtützt
werden, iſt der noch zu beſprechende Hilfsgrund
beigefügt worden.
Die hierin liegende Befürchtung ungemeſſener
Berückſichtigung folder Schriftſtücke iſt unbegründet.
Es iſt nicht zu bezweiſeln, daß die richterliche Ueber⸗
zeugung von der Schuld des Angeklagten einzig
und allein auf der Verleſung gerichtlicher Protokolle
über die Vernehmung verſtorbener Zeugen, Sad):
verſtändiger oder Mitbeſchuldigter gewonnen werden
kann. 88 250 Abſ. 1, 260 StPO. Dasſelbe muß
gelten für die Verleſung von Aufzeichnungen ver⸗
260
ſtorbener Perſonen, jedenfalls ſoweit fie Willens:
erklärungen enthalten, aber auch inſoweit fie Wahr:
nehmungen über Tatſachen enthalten, weil durch
die Verleſung nicht die Vernehmung eines Zeugen
erſetzt wird. Sehr lehrreich iſt der im Urteile des
3. Straſſenats vom 8. Februar 1909 — 3 D
963/08 — behandelte Fall. Es waren Auf:
zeichnungen eines verſtorbenen Rechtsanwaltes über
ſeine Verhandlungen mit ſeiner Partei verleſen
worden, in welchen beſtimmte Tatſachen von der
Partei beſtätigt wurden. Die Verleſung iſt unter
Bezugnahme auf 88 249 und 250 Abſ. 1 StPO.
als unzuläſſig bezeichnet worden, weil die Verleſung
dazu dienen ſollte, das Zeugnis der Partei zu erſetzen.
Dabei iſt erwogen worden: „ob eine Verleſung
zum Erſatze des Zeugniſſes der Partei auch unzu⸗
läͤſſig geweſen wäre, wenn es ſich nicht um ein
mit ihr aufgenommenes Protokoll, ſondern um ein
von ihr ſelbſt angefertigtes Schriftſtück gehandelt
hätte, kann dahingeſtellt bleiben“. Aus denſelben
Gründen find nicht verlesbar polizeiliche Protokolle
über die Vernehmung von Perſonen, wenn der das
Protokoll errichtende Polizeibeamte verſtorben iſt.
Das Urteil vom 17. November 1913 hat ſich
hilfsweiſe darauf bezogen, daß anerkannten Rechts
die Verleſung von Schriftſtücken inſoweit zuläffig
iſt, als nur dargetan werden ſoll, es ſeien Schrift⸗
ſtücke ſolchen Inhalts geſchrieben worden. Löwe,
Komm. $ 249 Anm. 1 a. Zwar ſoll zur Klar⸗
ſtellung der Geſetzmaͤßigkeit des Verfahrens der
Zweck der Verleſung der Schriftſtücke im Sitzungs⸗
protokolle angegeben ſein, d. h. es ſoll angegeben
werden, ob die Verleſung erfolgte, um den Beweis
ihres Daſeins und ihres Inhaltes, oder den Beweis
von Wahrnehmungen des Urhebers und Schreibers
des Schriftſtücks zu erbringen, was im gegebenen
Angabe im Sitzungsprotokolle nicht. RGSt. 38,
254. Iſt die Verleſung des Schriftſtückes nicht
zu beanſtanden, jo iſt es Sache der freien richter:
lichen Beweiswürdigung, welche Schlüſſe aus dem
Inhalte der Schriftſtücke gezogen werden können.
Dieſe Sätze find richtig, ſie kennzeichnen aber die
Lage der Rechtſprechung gegenüber dem in der
StPO. zutage tretenden Mißtrauen gegen den
Urkundenbeweis im Verhältnis zum Zeugenbeweis.
Auf Grund dieſer Darlegungen dürfte anzu—
zunehmen ſein:
1. die Verleſung von Schriſtſtücken Verſtorbener
iſt unbedingt zuläſſig, ſoweit ſie Willenser—
klärungen enthalten,
2. zuläſſig, ſoweit ſie eigene Wahrnehmungen
der Verſtorbenen wiedergeben, da in dieſem
Falle von einem Erſatz einer Zeugenvernehmung
nicht geſprochen werden kann,
3. unzuläſſig, ſoweit ſie Wahrnehmungen dritter
Perſonen bekunden, deren zeugenſchaftliche Ver-
nehmung möglich iſt, was ſich aus $ 250 |
Abſ. 1 in Verbindung mit $249 StPO. ergibt,
Beitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
Falle nicht geſchehen iſt, allein notwendig iſt dieſe
|
|
4. die Rüge eines Verſtoßes gegen $ 249 StPO.
iſt prozeſſualer Natur. Es muß deshalb in
der Revifionsbegründung nach 8 384 Abſ. 2
S. 2 StPO. die den Mangel des Verfahrens
enthaltende Tatſache angegeben, d. h. behauptet
werden, durch die Verleſung ſei die Vernehmung
einer beſtimmten — lebenden — Perſon als
Zeugen erſetzt worden.
Jechtsnatur und Ablöſung der neurechtlichen
Nünchener Gemeinſchaftsmauer.
Von Landgerichtsrat Heinrich Lieberich in München.
(Fortſetzung.)
III. Wir kommen nunmehr zur Betrachtung
der Ablöſungspflicht des an eine bewilligte neu:
rechtliche Gemeinſchaftsmauer anbauenden Nachbarn.
Nach dem alten Münchener Recht, wie auch
nach den übergangsrechtlichen Beſtimmungen des
Art. 70 mit 68 des Bayer. AG. ſteht dem Eigen⸗
tümer des Erſtbaugrundſtücks kraft Geſetzes das
Recht zu, im Fall des Anbaus von dem anbauen⸗
den Nachbarn die Ablöſung des hierzu beanſpruchten
auf dem Nachbargrundſtück ſtehenden Kommun⸗
mauerteiles zu verlangen.“) Für das neue Recht
dagegen ſtellt ſich die Ablöſungspflicht zunächſt als
eine vertragsmäßige Einſchraͤnkung des Mitbe⸗
nutzungsrechts des Nachbars dar. Der Nachbar,
der ohne Ablöſung der Gemeinſchaftsmauer an dieſe
anbauen wollte, würde damit trotz ſeines Eigen⸗
tumsrechts an dem auf ſeinem Grundftüde ſtehenden
Mauerteile gegen die alle Eigentümer der Nachbar⸗
grundſtücke bindende Benutzungsvereinbarung für
die Grenzanlage verſtoßen und der Eigentümer des
Erſtbaugrundſtücks iſt daher ſchon als ſolcher befugt,
eine derartige unberechtigte Verfügung über die
benutzungsgemeinſchaftliche Mauer zu verbieten und
die Beſeitigung eines gleichwohl erſolgten Anbaus
10) Tinſch, Münchener Stadtrecht S. 31, 33, 37,
insbeſondere auch OLG. München Seuff BBl. Bd. 72 S. 262.
Das Az BGB. ſpricht für den von ihm ſelbſt geregelten
übergangsrechtlichen Ablöſungsfall (Ablöſung einer vor
dem BGB. begonnenen, aber erſt nach deſſen Inkraft⸗
treten ablöſungsfällig gewordenen Mauer) ausdrücklich
nur von einem Verbietungsrecht des Eigentümers des
Erſtbaugrundſtücks. Die Rechtſprechung hat jedoch an-
erkannt, daß damit der unmittelbare Ablöſungsanſpruch
des alten Rechts für dieſen Fall nicht ausgeſchloſſen
worden iſt (OLG. München Seuff Bl. Bd. 70 S. 208,
Bd. 72 S. 262). Ebenſo Certmann, Bayr. Landes Pr.
S. 336; Meister, Nachbarrecht S. 65; Schmidt, Bayr.
Notz. 1907 S. 61, wohl auch Henle-Schneider Anm. 1
zu Art. 8 AG. Auch für das alte Recht iſt übrigens
neben dem Ablöſungsanſpruch ein Verbietungsrecht
des Miteigentümers der Mauer gegenüber einem An—
bau ohne Ablöſung nach den Grundſätzen der actio
negatoria anzunehmen, (ſ. 1 9 Becher, Bayr. ul
recht II S. 376 Note 2
Art. 69 Ac).
a Beitfeheift far Rechtepflege in Bayern. 1914. Nr. 13,
zu verlangen (88 922 mit 1004 BGB.). Denn kraft
der beſtehenden Benutzungsgemeinſchaft iſt mit dem
Eigentum des Erſtbaugrundſtücks die nachbarrecht⸗
liche Befugnis verbunden, dem anderen Teilhaber
der Gemeinſchaft jede über fein ordnungsmäßiges
Nutzungsrecht hinausgehende Verfügung zu unter:
ſagen und eine dem widerſprechende Bauführung
ſtellt daher eine unbefugte Beeinträchtigung des
Eigentums an dem Erſtbaugrundſtück dar.“) Aber
auch aus der Benutzungsgemeinſchaft als ſolcher,
in die jeder Erwerber eines der Nachbargrundſtücke
von ſelbſt als Teilhaber eintritt, läßt ſich der per⸗
ſönliche Anſpruch des Eigentümers des Erſtbau⸗
grundſtücks gegen den Angrenzer auf Unterlaſſung
jeder gemeinſchaftswidrigen Benutzung der Mauer,
auch ſoweit ſie im Eigentum des letzteren ſteht,
und auf Beſeitigung eines im Widerſpruch damit
hergeſtellten Zuſtandes ableiten (§ 922 Schlußſatz,
8 743 Abſ. 2 bis 8 746 BGB.).
Dieſe Verbietungsbefugniſſe * Eigentümers
des Erſtbaugrundſtücks begründen zugleich für ihn
einen mittelbaren Anſpruch auf die Ablöſung der
Gemeinſchaftsmauer, inſofern der Angrenzer eben
nur durch Zahlung der Ablöſungsſumme dieſe
„ ausſchalten kann. Inwie⸗
weit jedoch auch ein unmittelbarer Anſpruch
auf Zahlung der Ablöſungsſumme aus der neu⸗
rechtlichen Benutzungsgemeinſchaft abgeleitet werden
kann, ift zweifelhaft. Im Verhältnis zwiſchen den
bei der Bewilligung der Gemeinſchaftsmauer be⸗
teiligten Grundeigentümern wird ein ſolcher un⸗
mittelbarer Ablöſungsanſpruch des Eigentümers
des Erſtbaugrundſtücks gegenüber ſeinem Vertrags⸗
gegner unbedenklich angenommen werden können.
Denn nach den auch dieſe Vereinbarung beherr⸗
ſchenden Grundſätzen von Treu und Glauben muß
in der Einwilligung des Nachbars zu dem Bau
der Gemeinſchaftsmauer als ſolcher zugleich die
Uebernahme der Verpflichtung gefunden werden,
dieſe im Fall des Anbaus abzulöſen. Und auch
die Beſitznachfolger der Vertragsteile bleiben durch
das zwiſchen ihnen fortbeſtehende Gemeinſchafts⸗
verhältnis verbunden, aus dem heraus ihre Hand⸗
lungen ebenfalls nach dem Grundſatz von Treu
und Glauben auszulegen ſind. Hiernach wird aber
vielfach aus den Umſtänden des Falls eine ſtill⸗
ſchweigende Uebernahme der Zahlungspflicht durch
20) Hinſichtlich der Anwendbarkeit des 8 1004 BGB.
auf Grenzeinrichtungen ſ. Mot. z. BGB. Bd. III S. 277
Ziff. 4; ferner Staudinger Anm. IIa zu § 921 (in dem
Mitbenutzungsrecht des Nachbarn liegt eine geſetzliche
Eigentumsbeſchränkung des Grundſtückseigentümers
hinſichtlich der auf feinem Grundſtück befindlichen An⸗
lage) und Anm. 5 zu $ 922 (Schutz der Nachbarn gegen
Beeinträchtigung ihres Benutzungsrechts nach § 1004);
ebenſo Planck Anm. 2b Abſ. 2 zu § 1004; RGRKomm.
Anm. 3 zu 8 922; RG. Warn. 1911 Nr. 243; endlich
Meisner, Nachbarrecht S. 56 Abſ. 5 (wenn ein Nachbar
ohne Zuſtimmung des andern die Grenzeinrichtung
unzuläſſigerweiſe ändert, hat der andere Nachbar den
Anſpruch auf i ebenſo RGRKomm.
Anm. 5 zu 8 922 BGB.
|
261
den anbauenden Nachbarn gefolgert werden können,
ſo z. B. in der Regel, wenn dieſer in Kenntnis
des von dem Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks
in Anſpruch genommenen Ablöſungsrechts oder gar
wenn er unter ausdrücklicher Anerkennung dieſes
Rechts anbaut und ihm letzterer daraufhin den
Anbau geſtattet oder die Zahlung der Ablöſungs⸗
ſumme verlangt. Meiſt wird überdies im Fall
des Anbaus eine förmliche Ablöſungsvereinbarung
wiſchen den beteiligten Grundeigentümern getroffen.
In allen dieſen Fällen tritt neben den oder auch
— je nach den Umſtänden — an Stelle des Ver⸗
bietungsanſpruchs ein ſelbſtändiger unmittelbarer
Ablöſungsanſpruch des Eigentümers des Erſtbau⸗
grundſtücks.? ) Selbſtverſtändlich iſt aber immer
nur der derzeitige Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks
als der verbotsberechtigte Teilhaber der Gemein⸗
ſchaft auch derjenige, der ſo das Recht auf die
e gegen Geſtattung des Anbaus
geltend machen kann.
Die Ablöſungspflicht des Nachbars begründet
ſonach einen doppelten Anſpruch des Eigentümers
des Erſtbaugrundſtücks, den negativen Anſpruch
auf Unterlaſſung des Anbaues ohne Ablöſung und
den poſitiven mittelbaren oder auch unmittelbaren
Anſpruch auf Zahlung der Ablöſungsſumme im
Falle des Anbaus. Träger dieſes doppelten An⸗
ſpruchs iſt immer der Eigentümer des Erſtbau⸗
grundſtücks zur Zeit der Inanſpruchnahme des
Anbaurechts durch den Nachbarn und Schuldner
hierzu immer der dieſes Anbaurecht beanſpruchende
jeweilige Nachbar.“ 5
200) S. en 10 1 der Ablöſungs⸗
pflicht Koppers DIZ. 1 806 und BayObs G3.
n. F. Bd. 5 S. 441. — Di im Wege der 88 745, 746
BOB. auch Benutzungsabfindungen, alſo pofitive Lei⸗
ſtungen, mit Wirkung gegenüber den Beſitznachfolgern
ben bl werden können (f. Note 14 oben), ließe ſich
em Ablöſungsvorbehalt bei der bewilligten Gemein⸗
ſchaftsmauer ſogar die Wirkung beilegen, daß im An⸗
baufall ein unmittelbarer Ablöſungsanſpruch gegen
den Nachbarn kraft des Gemeinſchaftsverhältniſſes ent⸗
ſteht. Nimmt man dies aber — im Gegenſatz zum
alten Recht — auch nicht an, ſo würde die Rechts⸗
wirkſamkeit des Ablöſungsvorbehalts dadurch, daß er
nur einen mittelbaren Ablöſungsanſpruch zu begründen
vermöchte, ſo wenig berührt, wie nach dem oben aus⸗
geführten dadurch, daß er an Stelle des altrechtlichen
Miteigentums nur mehr eine Benützungsgemeinſchaft
an der Mauer herbeiführen kann.
2) Nach dem Geſagten brauchen zur Begründung
der Ablöſungspflicht keineswegs die Bereicherungs⸗
grundſätze des BGB. herangezogen zu werden, wie
dies vielfach geſchieht, fo Meisner, Nachbarrecht S. 59,
nun auch RGRKomm. Anm. 5 a. E. zu § 95 BGB.
Es iſt für die Anwendung dieſer Vorſchriften gegen—
über den das Verhältnis beherrſchenden Gemeinſchafts⸗
grundſätzen überhaupt kein Raum; ſ. dazu Staudinger
Anm. 2b zu 8 921 und Anm. 2a zu § 951 BGB.;
Geiershöfer Recht 1905 S. 403; Schmidt Bay Notz.
1907 S. 56; Meikel BauRotzg. 1901 S. 231; RG. JW.
1903 B 24; Gruchot Bd. 51 S. 967; Recht 1907 Nr. 1654
(nnanwendbarkeit der Bereicherungsgrundſätze, wenn
die Beteiligten in einem beſonderen Vertragsverhält—
niſſe ſtehen, keine Bereicherung durch den vertrags—
gemäß erfolgten Bau der Mauer). Nimmt man an,
IV. Einzelnes.
a) Nach dem alten Münchener Recht trat die
Ablöſungspflicht des anbauenden Nachbarn ein,
ſobald er an die Kommunmauer anzubauen be⸗
gann und ſie beſtand in der Verpflichtung des
Nachbars, den Wert des zum Anbau in Anſpruch
genommenen, auf ſeinem Grund und Boden ſtehenden
Mauerteils zu vergüten. In dieſem Sinne iſt
denn auch die Ablöſungspflicht bei der bewilligten
neurechtlichen Gemeinſchaftsmauer zu verſtehen.
Hierbei ergibt ſich allerdings ein gewiſſer Wider⸗
ſpruch mit den Ablöſungsgrundſätzen des Ueber⸗
gangsrechts, da hiernach nicht der Wert des be⸗
anſpruchten Mauerteils, ſondern der entſprechende Teil
der Baukoſten und nur dann der Bauwert zu ver⸗
güten iſt, wenn er geringer iſt als der Betrag
der Baukoſten. Da aber gewöhnlich der Ablöſungs⸗
fall ſchon bald nach der Erbauung der Mauer
eintritt, wo von einer Entwertung der Mauer
noch nicht die Rede ſein kann, die Arbeits⸗ und
Materialkoſten hier aber ſtändig ſteigen, iſt dann
regelmäßig der Bauwert der Mauer höher als
die Koſten ihrer ſeinerzeitigen Aufführung. Im Ge⸗
genſatz zu den Beſtimmungen des AG. hat dem⸗
gegenüber die hieſige Uebung daran feſtgehalten —
entſprechend den Grundſätzen des alten Rechts —
die Ablöſungsſumme nach dem Bauwert zur Zeit
der Ablöſung unter Zugrundelegung der allgemeinen
Arbeits⸗ und Materialpreiſe dieſes Zeitpunkts zu
berechnen. Dieſe Uebung wird allerdings für die
daß der auf dem Nachbargrundſtück ſtehende Mauer⸗
teil ſofort in das Eigentum des Nachbars fällt, ſo iſt
eine ungerechtfertigte Bereicherung ſeines Beſitznach⸗
folgers durch den Anbau — abgeſehen von dem Fall
eines unentgeltlichen Erwerbs (§ 822 BGB.) — über:
haupt nicht denkbar (ebenfo OLG. München BayzZfR.
1906 S. 483, 1914 S. 180 —181; Seuff Arch. Bd. 67
S. 367). S. auch Abele LZ. 1914 S. 833. Auch die
von Pfirſtinger, KHommunmauer S. 24, verſuchte Be⸗
gründung der Ablöſungspflicht aus 8 748 BGB., wo⸗
nach jeder Teilhaber einer Gemeinſchaft die Koſten der
Erhaltung des gemeinſchaftlichen Gegenſtands zu tragen
hat, wird durch die obigen Ausführungen überflüſſig;
in der Tat läßt ſich die Vorſchrift des § 748 auch nicht
auf die Koſten der Herſtellung des gemeinſchaftlichen
Gegenſtandes anwenden, wenn dieſe, wie Pfirſtinger
ſelbſt bezüglich der Kommunmauer annimmt, ein⸗
ſeitig durch einen Teilhaber der Gemeinſchaft erfolgt
(ſo auch Staudinger Anm. 2b zu § 921 BGB.). — Buh⸗
mann BaygfR. 1914 S. 223 zieht zwar aus der von
ihm vertretenen Beurteilung des Verhältniſſes nach
ss 921—922, 745—746 BGB. richtig die Folgerung,
daß die Ablöſungspflicht auf Grund des Gemeinſchafts—
verhältniſſes auf den Sondernachfolger des Nachbars
des Erbauers übergeht, lehnt aber ohne überzeugende
Begründung den Uebergang des Ablöſungsanſpruchs
auf den Sondernachfolger des Erbauers der Mauer ab,
weil dieſer Anſpruch kein aus dem Gemeinſchaftsver—
hältnis fließender und auch nicht mit dem Eigentum
an dem Erſtbaugrundſtücke untrennbar verbunden ſei.
Er räumt daher nur dem Erbauer der Mauer ſelbſt
einen Ablöſungsanſpruch gegen den jeweiligen an—
bauenden Eigentümer des Nachbargrundſtücks ein.
_____Beitfärift fü Meitspftege in Bayern. 1014. fr. 15.
dem Wert des abzulöſenden Mauerteils z.
Dies führt ihn im Fall eines beiderſeitigen Beſitz⸗
wechſels wieder zu der Annahme eines nach dem oben
Geſagten unhaltbaren Bereicherungsanſpruchs des Er—
bauers gegen den Erwerber des Nachbargrundſtücks.
— —
Ablöſungsfälle des Art. 70 mit 68 AG. angeſichts
der abweichenden Vorſchriften dieſer Geſetzesbe⸗
ſtimmungen nicht beachtet werden können, wohl aber
wird ſie für die Ablöſung der neurechtlichen be⸗
willigten Gemeinſchaftsmauern Maß zu geben
haben. Ebenſo wird für dieſe Mauern entſprechend
den Vorſchriſten des alten Rechts und der feſt⸗
ſtehenden hieſigen Uebung als maßgebender Zeit⸗
punkt für die Entſtehung des Ablöſungsanſpruchs
der des Beginns, nicht der der Vollendung des An⸗
baus feſtzuhalten ſein.“) Da der Umfang des
beabſichtigten Anbaus ſich ſchon bei Beginn der
Bauführung aus den erforderlichen Bauplänen feſt⸗
ſtellen läßt, beſteht auch keine Schwierigkeit für
die Berechnung der Ablöſungsſumme ſchon zu dieſem
Zeitpunkt. Nach Art. 69 mit 70 AG. kann in
den dort geregelten Fällen die Erſatzleiſtung auch
durch Hinterlegung oder Aufrechnung erfolgen. Dies
gilt nach allgemeinen Grundſaͤtzen auch für die neu:
rechtlichen Gemeinſchaftsmauern. Demnach müſſen
die Aufrechnungsvorausſetzungen gegenüber dem
erſatzberechtigten Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks
vorliegen und die beſonderen Vorausſetzungen der
Hinterlegung nach $ 372 BGB. gegeben fein (z. B.
Annahmeverzug des Erſatzberechtigten).
b) Gemäß $ 922 BGB. darf, ſolange einer
der Nachbarn ein Intereſſe an der Grenzeinrich⸗
tung hat, dieſe nicht ohne ſeine Zuſtimmung be⸗
ſeitigt oder geändert werden. Daß dieſe Beſtim⸗
mung, ſobald die Gemeinſchaftsmauer abgelöſt und
damit die volle Gleichberechtigung beider Teilhaber
hergeſtellt iſt, auch auf die neurechtliche Gemein⸗
ſchaftsmauer anwendbar iſt, verſteht ſich von ſelbſt.
Es fragt ſich aber, ob ſie auch ſchon für die Zeit
vor der Ablöſung der Gemeinſchaſtsmauer gilt oder
ob vor der Ablöſung der Eigentümer des Erſtbau⸗
grundſtücks noch einſeitig über die Kommunmauer
verfügen kann. Nach dem alten Münchener Recht
war nun in der Tat der Eigentümer des Erſt⸗
baugrundſtücks, ſolange die Kommunmauer noch
nicht abgelöſt war, befugt, ſie einſeitig wieder ab⸗
zutragen.“) Dieſe Befugnis muß denn auch als
23) Siehe Tinſch, Münchener Stadtrecht S. 27, 30, 36
(Ablöſungspflicht nach Maßgabe des Wertes des bes
anſpruchten Mauerteils z. Zt. des Anbaus, nicht der
ſeinerzeitigen Baukoſten, auch nicht der aufzuwendenden
Baukoſten bei Aufführung der Mauer durch den Ab⸗
löſenden ſelbſt); dazu OLG. München Seuffdl. Bd. 54
S. 244, Bd. 72 S. 262 (Bay 3fR. 1906 S. 483). Dem
entſpricht auch die noch jetzt in München beſtehende
Uebung (die Ablöſungsſumme wird berechnet nach
t. der Ab⸗
löſung und iſt ſofort bei Beginn des Anbaus zahl⸗
bar). Für Zahlbarkeit der Ablöſung bei Beginn des
Anbaus auch OLG. München, Beſchl. vom 5. Mai 1913,
Bay gf. 1914 S. 184 Note 2, und Buhmann Bay.
1914 S. 224. Hinſichtlich der Erforderniſſe eines die
Ablöſungspflicht begründenden Anbaus im Sinn des
alten und Uebergangsrechts, ſ. OLG. München SeuffBl.
Bd. 71 S. 71 (es muß die Mauer für den Beſtand des
Anbaus in Anſpruch genommen werden).
2») Siehe hierüber Tinſch, Münchener Stadtrecht
S. 35; dazu Annotationen zu Bayr. Landrecht 13 8 17.
ſtillſchweigender Beſtandteil des neurechtlichen ver:
einbarungsmäßigen Kommunmauerverhältniſſes gel:
ten, ſoweit nicht ein gegenſeitiger Wille der beiden
Nachbarn bei der Errichtung der Gemeinſchafts⸗
mauer ausdrücklich erklärt wurde oder den Um⸗
ſtänden des Falles zu entnehmen iſt. Tatſächlich
iſt regelmäßig das Intereſſe des Eigentümers des
Erſtbaugrundſtücks an der Gemeinſchaftsmauer bei
deren Erbauung ſo ſehr das überwiegende, daß
die Ueberlaſſung des Verfügungsrechts über den
Fortbeſtand der Mauer bis zur Ablöſung an ihn
auch das der Natur der Sache entſprechende iſt.
Auch dieſe Befugnis des Eigentümers des Erſt⸗
baugrundſtücks iſt als ein Beſtandteil des Gemein⸗
ſchaftsverhältniſſes im Sinne der 88 745, 746 BGB.
anzuſehen.“ “) Beſeitigt der Berechtigte auf Grund
dieſer Befugnis die noch nicht abgelöſte Mauer,
ſo iſt damit die Grenzeinrichtung aufgehoben und
es tritt der Nachbar wieder in das freie Ver⸗
fügungsrecht über den von ihr beanſprucht ge⸗
weſenen Teil ſeines Grund und Bodens.“)
Bezüglich der Erweiterung der Gemeinſchafts⸗
mauer dagegen durch Erhöhung und Verſtärkung
und der dadurch begründeten Ablöſungspflicht gelten
ſeit dem Inkrafttreten des BGB. die beſonderen
Vorſchriften des Art. 68 AG.“), und zwar find
dieſe Vorſchriften auf alle benutzungsgemeinſchaft⸗
lichen Grenzmauern anwendbar. Da auch die noch
nicht abgelöfte Kommunmauer eine ſolche benutzungs⸗
gemeinſchaftliche Mauer iſt, fällt auch ſie unter
den Art. 68. Die durch Art. 68 begründete Be⸗
fugnis zu einſeitiger Erhöhung und Verſtärkung
der Gemeinſchaftsmauer hat auch für den Eigen⸗
23 ) Dafür obliegt dem Eigentümer des Erſtbau⸗
grundſtücks die Unterhaltung der ganzen Mauer bis zum
Anbau, d. h. der Nachbar kann abweichend von der Regel
des § 922 BGB. bis dahin zu den Unterhaltungskoſten
nicht herangezogen werden (SS 748, 745, 746 BGB.).
Ebenſo Buhmann BayzfR. 1914 S. 223. Dies iſt auch
für das alte Recht anzunehmen. Die anſcheinend gegen⸗
teiligen Beſtimmungen Bayer. Landrecht II 2 8 16 und
IV 13 8 3 Ziff. 6 nebſt Annot. zu II 2 8 16 Ziff. 4
und II 8 83 lit. h haben nur die bereits angebaute,
im Gemeinbeſitz befindliche Mauer im Auge. Für den
Fall der Erhöhung der Gemeinſchaftsmauer beſtimmt
Art. 68 Abſ. 2 AG. ausdrücklich die alleinige Unter»
haltungspflicht des Ablöſungsberechtigten.
24) Ueber die Aufhebung des Grenzeinrichtungs⸗
verhältniſſes ſ. des näheren Wolff Recht 1900 S. 477;
Meisner, Nachbarrecht S. 56— 57 und unten Note 32.
25) S. hierüber des näheren Meisner, Nachbarrecht
S. 61. Meisner hält die Erhöhungsvorſchriften des
Art. 68 nur auf Gebäudemauern, nicht auch auf
Scheidemauern für anwendbar, weil bei letzteren das Ers
höhungsrecht durch den Gemeinſchaftszweck ausge—
ſchloſſen ſei. Dies wird jedoch keineswegs immer der
Fall ſein. Die Münchener Uebung ſtellt, wie ſchon
hervorgehoben (ſ. Note 10 oben), Gemeinſchaftshaus⸗
und ⸗ſcheidemauer grundſätzlich gleich. Hiernach werden
auch die bewilligten Gemeinſchaftsmauern zu beurteilen
ſein. Jedenfalls kann aber jeder Teilhaber ſeine eigene
Mauerhälfte unbeſchadet des Benutzungsrechts des Nach—
bars erhöhen (ſ. RG. IW. 1908 S. 12, Wolff Recht
1900 S. 476 Ziff. 7).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
263
tümer des Erſtbaugrundſtücks vor der Ablöſung
der Mauer ihre Bedeutung, da aus dem urſprüng⸗
lichen Kommunmauervertrag wohl eine Befugnis
zur Erweiterung der Mauer für ihn nicht ab⸗
geleitet werden könnte.“) Für den Eigentümer
des Nachbargrundſtücks iſt ſelbſtverſtändlich die vor:
herige Ablöſung der von ihm zu erhöhenden und
zu verſtärkenden Mauer Vorausſetzung für die
Inanſpruchnahme der Befugniſſe des Art. 68. Hat
der Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks die Mauer
vor der Ablöſung erhöht oder verſtärkt, ſo tritt
im Fall des Anbaus durch den Nachbarn zu dem
urſprünglichen vereinbarungsmäßigen Ablöſungs⸗
anſpruch noch der geſetzliche Ablöſungsanſpruch
des Art. 68.) Dieſer letztere Anſpruch iſt übrigens,
wie der ihm nachgebildete übergangsrechtliche Ab⸗
löſungsanſpruch des Art. 70 AG. mit dem Ab⸗
löſungsanſpruch für die bewilligte Kommunmauer
ſelbſt nicht völlig gleichartig (regelmäßig Baukoſten⸗,
nicht Werterſatz). Selbſtverſtändlich können jedoch,
abgeſehen von der einſeitigen Erhöhung und Ver⸗
ſtärkung gemäß Art. 68 AG., die Teilhaber der
Gemeinſchaſtsmauer die Erhöhung und Verſtärkung
und die beiderſeitigen Leiſtungen hierwegen ver⸗
einbarungsmäßig regeln und zwar ebenfalls ge⸗
mäß 58 745, 746 BGB. mit Wirkung für das
ganze Gemeinſchaftsverhältnis. Und es wird ſchon
dann, wenn der Nachbar eine von dem Eigen⸗
tümer des Erſtbaugrundſtücks beabſichtigte Er⸗
höhung oder Verſtärkung ohne weitere Verein⸗
barung genehmigt, angenommen werden können,
daß die etwaige künftige Ablöſung auch hinſicht⸗
lich der Erhöhung und Verſtärkung trotz der gegen:
teiligen Vorſchrift des Art. 68 im Sinne der hieſigen
Uebung auf der Grundlage des Wertzserſatzes er⸗
folgen ſoll.
c) Wird nach Entſtehung des Verbots⸗ oder
Ablöſungsanſpruchs in der Perſon eines beſtimmten
Eigentümers des Nachbargrundſtücks dieſes letztere
veräußert, jo wird hierdurch der gegen den früheren
Beſitzer entſtandene Anſpruch nicht berührt. Da⸗
gegen kann gegen den neuen Eigentümer ein Ver⸗
bots⸗ oder Ablöſungsanſpruch nur inſoweit geltend
gemacht werden, als ein ſolcher in ſeiner Perſon
begründet wird. Dies iſt dann ausgeſchloſſen,
wenn der Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks dem
Vorbeſitzer bereits eine endgültige, vorbehaltsloſe
Anbauerlaubnis erteilt hat. Denn damit iſt die
Anbaubeſchränkung für das Nachbargrundſtück de⸗
ſeitigt und der Eigentümer des Erſtbaugrundſtücks
auf den perſönlichen Ablöſungsanſpruch gegen den
26) Siehe Henle⸗Schneider Anm. 1 zu Art. 68.
) Das Geſetz ſpricht auch hier ausdrücklich nur
von einem Verbietungsrecht. Doch wird hier, wie in
den Fällen des Art. 70 auch ein unmittelbarer Ab—
löſungsanſpruch bei Inanſpruchnahme der Mitbenutzung
der erhöhten Mauer anzuerkennen ſein. Dieſen Ab—
löſungsanſpruch hat derjenige, der zur Zeit der Be—
anſpruchung der erhöhten Mauer Eigentümer des Grund—
ſtücks iſt, von dem aus die Erhöhung erfolgte und dem
daher das Verbietungsrecht zuſteht (ſ. Note 19 oben).
264
Vorbeſitzer beſchränkt.!“) Wenn dagegen der Be⸗
ſitznachfolger, ohne daß eine ſolche Regelung er⸗
folgt iſt, den von dem Vorbeſitzer begonnenen
Anbau fortſetzt oder die Beſeitigung des von dem
Vorbeſitzer eigenmächtig durchgeführten Anbaus ver⸗
weigert, kann der Eigentümer des Erſtbaugrund⸗
ſtücks auch von ihm — mangels Erledigung des
Verbotsanſpruchs — die Beſeitigung des Anbaus
oder die Unterlaſſung des Weiterbaus verlangen.“)
Die bloße Fortſetzung des von dem Vorbeſitzer
begonnenen oder die bloße Aufrechterhaltung des
von ihm eigenmächtig ausgeführten Anbaus durch
den Beſitznachfolger begründet aber noch keinen
Ablöſungsanſpruch gegen dieſen; hierzu iſt viel-
mehr die beſondere Uebernahme der Ablöſungs⸗
pflicht durch ihn erforderlich. Immerhin wird
der Erwerber eines Grundſtücks mit angebauter
Gemeinſchaftsmauer gut tun, ſich zuvor bei dem
Nachbarn über das etwaige Beſtehen unerledigter
Verbietungsrechte zu vergewiſſern.
Ebenſo wird durch Veräußerung des Erſtbau⸗
grundſtücks ſelbſtverſtändlich der bereits in der
Perſon des bisherigen Eigentümers begründete
ſelbſtändige (unmittelbare) Ablöſungsanſpruch nicht
berührt.?““) Dagegen kann der bisherige Eigen:
tümer nach der Veräußerung den an das Eigen⸗
tum des Erſtbaugrundſtücks gebundenen Verbietungs⸗
anſpruch und damit den mittelbaren Ablöſungs⸗
anſpruch) nurmehr geltend machen, wenn er ſich
das Recht hierzu bei der Veräußerung von dem
Erwerber vorbehält (ſ. hierzu Note 43 unten).
Umgekehrt muß der neue Erwerber die Zahlung
der Ablöſungsſumme auf Grund eines unmittel:
baren Ablöſungsanſpruchs des bisherigen Eigen:
tümers gegen ſich gelten laſſen, da der Nachbar
damit verpflichtungsgemäß die Vorausſetzung des
Anbaurechtes herbeigeführt hat. (Schluß folgt).
28) S. hierzu OLG. München Seuff Bl. Bd. 72 S. 262
(Bay 3fR. 1906 S. 483). Die in dieſer Entſcheidung
vertretene Anſicht, durch die Vollendung des Anbaus,
wenn auch gegen den Willen des Eigentümers des
Erſtbaugrundſtücks, werde das Verbietungsrecht er—
ledigt, kann nicht gebilligt werden und zwar gilt dies
ſowohl für das geſetzliche Verbietungsrecht des Art. 68
AG. — ſ. Schmidt Bay Rot. 1907 S. 54; Meisner,
Nachbarrecht S. 64 Note 1 — wie für das des neu—
rechtlichen Gemeinſchaftsmauerverhältniſſes — ſ. Meikel
BayNotd. 1901 S. 231. Wohl aber kann Walter
Bay Not. 1901 S. 72 darin beigeſtimmt werden, daß
das Verbietungsrecht — unbeſchadet des Ablöſungs—
anſpruchs — regelmäßig durch Nichtgeltendmachung
bei der Erwirkung der polizeilichen Erlaubnis zum
Anbau verwirkt werden wird.
25) S. hiezu Oberneck, Reichs-Grundbuchrecht ! S. 603
(ſchon das Dulden eines das Eigentum des Klägers
beeinträchtigenden Zuſtandes durch den Beklagten kann
die Eigentumsfreiheitsklage begründen; auch darauf
kommt es nicht an, ob den Beklagten ein Verſchulden
an dem Vorhandenſein der ſtörenden Anlage trifft).
Das gleiche folgt aus der Gemeinſchaftspflicht des
Nachbars.
„%) So auch für das Uebergangsrecht OL.
München Seuff Bl. Bd. 72 S. 262.
Wieder in einem anderen Fall, wo
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
Vargebotserhöhungen.
Von Amtsrichter Haus Dittrich in München.
(Schluß).
IV.
In der Praxis kann man nicht ſelten wahr⸗
nehmen, daß der Erſteher mangels entſprechender
Belehrung im Verſteigerungstermin von den Be⸗
ſtimmungen des 8 50 ZVG. keine Ahnung hat.
Man kann ſich denken, wie angenehm er dann
überraſcht iſt, wenn man ihm bei Gericht erklärt,
daß er außer dem von ihm gebotenen Betrag noch
ſo und ſo viele ſonſtige Zahlungen zu leiſten hat.
Es iſt nicht ausgeſchloſſen, daß daraus unter Um⸗
ſtänden auch eine Haftung des Staates entſtehen
kann. Der Fall wird ja nur ſelten wirklich kritiſch,
weil der Erſteher in der Regel ein Hypothekgläubiger
iſt, dem die Bargebotserhöhungen ſelbſt wieder
zugute kommen, ſo daß in der Regel kein tat⸗
ſächlicher Schaden vorhanden iſt; denn die Aus⸗
fallforderung des Erſtehers, die ohne die Bar⸗
gebotserhöhung entſprechend größer ſein würde,
wird in der Regel nicht einbringlich ſein. Immer⸗
hin kamen mir auch ſchon Faͤlle unter, in denen
der Erſteher ziemlich bluten mußte. So un⸗
erfreulich dies an ſich geweſen ſein mag, hat es
doch die begrüßenswerte Folge gezeitigt, daß den
Bargebotserhöhungen bei den Notariaten neuer⸗
dings entſprechende Beachtung geſchenkt wird; dies
äußert ſich teilweiſe in dem Beſtreben, Bargebots⸗
erhöhungen tunlichſt hintanzuhalten, teils darin,
daß im Verſteigerungstermin auf die zu erwartenden
Bargebotserhöhungen ausdrücklich hingewieſen wird.
Die Art, wie dies geſchieht, kann allerdings nicht
immer meine Zuſtimmung finden. Beiſpielsweiſe
ſcheint nun bei einem Notariat in jedes Ver⸗
ſteigerungsprotokoll, gleichviel ob dazu ein Anlaß
vorhanden iſt oder nicht, grundſätzlich der Vermerk
aufgenommen zu werden: „Eine Erhöhung des
Bargebots tritt nicht ein“, wobei jedoch, wenn
nach dem Geſetz der Fall einer Bargebotserhöhung
zweifellos gegeben wäre, entgegen den geſetzlichen
Beſtimmungen niemals eine beſondere Verſteige⸗
rungsbedingung in dieſem Sinne aufgeſtellt wird.
In einem Fall, wo ebenfalls nach den geſetzlichen
Beſtimmungen eine Mehrzahlung zu leiſten ge⸗
weſen wäre, finden ſich im Zuſchlagsbeſchluß un⸗
mittelbar hintereinander die Saͤtze: „Eine Er⸗
höhung des Bargebots tritt nicht ein; Verſteige⸗
rungsbedingungen, die von den geſetzlichen ab⸗
weichen, wurden nicht vereinbart“, als ob nicht
das eine das andere unbedingt ausſchließen würde.
die Bank⸗
hypothek und mehrere neurechtliche Höchſthypotheken
ins geringſte Gebot fielen und wegen des Löſchungs⸗
anſpruchs eines Beteiligten mit mehreren Bar:
gebotserhöhungen zu rechnen war, hat der Notar
dieſe Erhöhungen dadurch umgangen, daß er die
durch die Annuitaͤtentilgung und Nichtvalutierung
der Höchſthypotheken zweifellos entſtandenen Eigen⸗
tümergrundſchulden nicht aufrecht erhielt; da er
aber beſondere Verſteigerungsbedingungen in dieſem
Sinn nicht aufgeſtellt hatte, war dies natürlich
ungeſetzlich. Umgekehrt wurde in einem Fall, wo
es ſich um Berückſichtigung einer nicht vollſtändig
valutierten und durch Löſchungsvermerkung nicht
beeinträchtigten neurechtlichen Höchſthypothek im ge⸗
ringſten Gebot handelte, im Verſteigerungsprotokoll
und im Zuſchlagsbeſchluß die Feſtſtellung getroffen:
„Soweit eine Forderung auf vorbezeichnete Hy⸗
pothek nicht entſtanden iſt, hat der Erſteher Auf⸗
zahlung zu leiſten“, obwohl in dieſem Fall eine
Bargebotserhöhung gar nicht in Frage gekommen
wäre; der Notar hat dabei in Anlehnung an eine
in der Rechtſprechung der Oberlandesgerichte Bd. V
S. 334 abgedruckte Entſcheidung des OLG. Dres⸗
den vom 4. Juli 1902 gehandelt, die aber hin⸗
ſichtlich des Rechts der Höchſtbetragshypothek und der
daraus entſtehenden Eigentümergrundſchulden von
Anſchauungen ausging, die durch die neuere Rechts⸗
lehre und Rechtſprechung längſt überholt find.
Eine Vertiefung in die Frage, wie die aus
nicht beſtehenden Hypotheken hervorgehenden Bar⸗
gebotserhöhungen zu verzinſen und wann ſie zu
zahlen ſind, habe ich meines Erinnerns bisher nur
in einem einzigen Verſteigerungsprotokoll geſehen,
und da wurde ſie unrichtig gelöſt: in einem Fall,
wo es ſich um Bargebotserhöhungen aus altrecht⸗
lichen Nebenkautionen handelte, findet ſich im Ver⸗
ſteigerungsprotokoll der Satz: „Soweit die vor⸗
bezeichneten Nebenſachekautionen nicht zurecht be⸗
ſtehen, erhöht ſich das Bargebot um die betreffenden
Beträge; dieſe Beträge hat der Erſteher vom Zu⸗
ſchlag an mit jährlich 4 v. H. zu verzinſen und
drei Monate ab Kündigung an die nach § 125
ZVG. Berechtigten zu entrichten“; die Barge⸗
botserhöhung wurde alſo anſcheinend nach 8 51
3G. behandelt, obwohl fie zweifellos nach § 50
zu behandeln geweſen wäre; nach dem oben in
Ziff. III, 5 Geſagten wäre ſie unverzinslich und
bereits fällig geweſen.
V.
Das in Ziff. IV an einigen Beiſpielen ge:
ſchilderte Beſtreben einiger Notare, die Bargebots⸗
erhöhungen möglichſt auszuſchalten, iſt in ſeinem
Endziel durchaus zu billigen; man ſoll ſolche
Dinge, die dem größeren Publikum nie verſtändlich
ſein werden, auf jede mögliche Weiſe zu vermeiden
ſuchen. Dies kommt zum Ausdruck auch in der
Juſtizminiſterialbekanntmachung vom 15. Mai
1906 (JM Bl. S. 74), die ſich nach ihrem Wort⸗
laut allerdings nur auf die altrechtlichen Neben⸗
kautionen bezieht, aber mutatis mutandis auf das
geſamte oben beſprochene Beiſpiel angewendet werden
kann.
Es gibt mehrere Wege, auf denen man Bar:
gebotserhöhungen in der Regel umgehen kann;
bald wird ſich der eine, bald der andere als gang—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 265
bar erweiſen. Vor allem empfiehlt ſich eine ſorg⸗
fältige Vorbereitung des Verſteigerungstermins im
Sinne des 8 62 3G. Das rechtliche Schickſal
der Bankhypothek und der zugehörigen Neben⸗
kaution, das in unſerem Beiſpiel erſt der mit dem
Verteilungsverfahren befaßte Vollſtreckungsrichter
geklärt hat, hätte ſich ſehr wohl ſchon vor dem Ver⸗
ſteigerungstermin genau feſtſtellen laſſen: hätte
der Notar bei der Bank angefragt, wann und
von wem die bisherigen Annuitätenzahlungen ge⸗
leiſtet wurden, jo hätte es ihm unmöglich entgehen
können, daß der durch die 1. Annuitätenzahlung
getilgte Betrag von 50 M nicht mehr zu Recht
beſtand und daß auch die Zahlungen aus der
Zwangsverwaltungsmaſſe einen Hypothekteil von
123.60 M zum Erlöſchen brachten; er hätte ſich
ferner, jo gut wie ſpäter der Vollſtreckungsrichter,
ausrechnen können, daß ein Hypothekteil von
498.10 M infolge der 2. mit 10. Annuitätenzahlung
zur Eigentümergrundſchuld des Mayer geworden
war, daß durch die Zahlung der im geringſten
Gebot berückſichtigten 2 Annuitätenraten ein weiterer
Hypothekteil von 128.40 M erlöſchen werde, und
daß die Nebenkaution am Tage des Verſteigerungs⸗
termins nur mit 49.50 U valutiert war. Die
Kenntnis aller dieſer Umſtände hätte ihm ohne
weiteres den Weg gewieſen, wie er jede einzelne
der oben beſprochenen Bargebotserhöhungen ver⸗
meiden konnte.
A. Diejenigen Hypothekteile, die am
Tage des Zuſchlags bereits erloſchen
waren, nämlich jene 50 1 + 123.60 M =
173.60 M, hätte man am beſten ſchon von Amts
wegen nicht mehr als beſtehenbleibendes Recht
berückſichtigt, ſondern von vorneherein unter den
Tiſch fallen laſſen. Die Zuläſſigkeit dieſes Ber:
ſahrens iſt allerdings nicht unbeſtritten. Die auf
dieſe Frage bezüglichen Ausführungen hat man in
den Kommentaren bei 8 45 3G. zu ſuchen,
welcher beſtimmt, daß „ein Recht bei der Feſt⸗
ſtellung des geringſten Gebots inſoweit, als es zur
Zeit der Eintragung des Verſteigerungsvermerks
aus dem Grundbuch erſichtlich war, nach dem
Inhalte des Grundbuchs .. . zu berückſichtigen“
iſt. Trotz dieſer Beſtimmung halten die Motive
die Nichtberückſichtigung ſolcher Rechte, ſoweit ſie
bereits erloſchen find, mit Recht für „ſelbſtver⸗
verſtändlich“; fie bemerken dazu: „Der Verſteige⸗
rungsrichter kann aber ein eingetragenes Recht,
welches noch nicht gelöſcht iſt, nur dann als nicht
beſtehend behandeln, wenn die Vorausſetzungen der
Löſchung liquide vorliegen“; die Kommentare
haben ſich dieſen Paſſus der Motive im allge:
meinen zu eigen gemacht; die Frage iſt nur, was
man unter den „Vorausſetzungen der Löſchung“
verſtehen will, die liquide vorliegen ſollen: ſind
es dieformellen, alſo insbeſondere eine öffentlich
beglaubigte Löſchungsbewilligung der Berechtigten,
oder ſind es die materiellen, alſo der der
freien richterlichen (in Bayern: notariellen) Be:
266 nn Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
weiswürdigung unterliegende Nachweis des Nicht⸗ weſen: Vor allem hätte der Notar darauf hin⸗
beſtehens des eingetragenen Rechts? Im Gegenſatz wirken können, daß die von Jäckel⸗Güthe für not:
zu Jäckel Güthe, der das Vorliegen der zur Löſchung wendig erachteten Unterlagen beigebracht wurden.
erforderlichen Urkunden verlangt, neige ich der An⸗ Wären dieſe nicht zu erlangen geweſen, ſo hätte
ſicht zu, daß ſich die Motive hier im Ausdruck er auf Antrag eines Beteiligten durch Aufſtellung
vergriffen haben, indem ſie nicht das Vorliegen einer beſonderen Verſteigerungsbedingung die Nicht⸗
der Vorausſetzungen der Löſchung, ſondern das berückſichtigung des erloſchenen Hypothekteils im ge⸗
Vorliegen der Vorausſetzungen des Erloſchen⸗ ringſten Gebot herbeiführen können, wozu in der
ſeins verlangen mußten; Löſchung und Erloſchen⸗ Regel weder die Bank noch der Verſteigerungs⸗
ſein find ganz verſchiedene Dinge: die Löſchung ſchuldner die nötige Zuſtimmung !“) verweigern wird.
iſt ein Vorgang, das Erloſchenſein ein Zuſtand; Sollte die Zuſtimmung zu dieſem Verfahren ein⸗
die formellen Vorausſetzungen der Löſchung können mal nicht zu erlangen ſein, ſo bliebe immer noch
ſehr wohl vorliegen, ohne daß das in Betracht der Weg der Aufſtellung einer beſonderen Ver⸗
kommende Recht — worauf es doch hier allein ſteigerungsbedingung des Inhalts, daß eine Bar⸗
ankommt! — wirklich erloſchen wäre und alſo gebotserhöhung trotz Berückſichtigung dieſes an ſich
bei der Feſtſtellung des geringſten Gebots einfach erloſchenen Betrags im geringſten Gebot nicht zu
übergangen werden könnte; deshalb halte ich den leiſten iſt; auch die Aufſtellung dieſer beſonderen
materiellen Beweis des Nichtbeſtehens des Verſteigerungsbedingung würde allerdings den An⸗
Rechts für erforderlich, wenn man ein eingetragenes trag eines Beteiligten vorausſetzen; erfahrungs⸗
Recht bei der Feſtſtellung des geringſten Gebots von | gemäß find aber die Beteiligten und beſonders die
Amts wegen nicht berückſichtigen will; ich halte Vertreter der Hypothekenbanken nach entſprechender
ihn aber auch für vollſtändig genügend — und Belehrung durch den Notar gerne bereit, dieſe
zwar umſomehr, als ja der eingetragene Berechtigte Formſache zu erfüllen. Die Zuſtimmung der Bank
als Beteiligter vom Verſteigerungstermin zu ver⸗ oder eines ſonſtigen Beteiligten wäre zur Auf⸗
ſtändigen iſt und deshalb ſeine etwaigen Rechte ſtellung die ſer beſonderen Verſteigerungsbedingung
im Termin und nötigenfalls noch durch Anfechtung wohl nicht erforderlich, weil durch die Unterlaſſung der
des Zuſchlagsbeſchluſſes wahren kann; auch für die Bargebotserhöhung niemand beeinträchtigt würde.
Anwendung des $ 50 3G. beſtehen ja keinerlei Die gegenteilige Meinung Kochs!) halte ich für
Vorſchriften, auf welche Weiſe ſich der Richter unrichtig: zuzugeben iſt allerdings, daß bei Ein⸗
davon zu überzeugen hat, daß die Vorausſetzungen tritt einer Bargebotserhöhung (rein theoretiſch ge⸗
für eine Bargebotserhöhung gegeben find; als l ſprochen) die Nachhypothekgläubiger unter Umſtänden
Vollſtreckungsrichter halte ich mich zweifellos für einen Vorteil hätten, weil ihnen die Bargebots⸗
berechtigt und verpflichtet, immer dann eine Bar⸗ erhöhung vielleicht zugute käme; dieſer Vorteil be⸗
gebotserhöhung eintreten zu laſſen, wenn ich mir ſteht aber nur in der Theorie; denn jeder Bietungs⸗
nach der Aktenlage die Ueberzeugung gebildet habe, luſtige wird ſein Gebot darnach bemeſſen, ob er
daß ein im geringſten Gebot aufrecht erhaltenes außer dem Bargebot noch eine Bargebotserhöhung
Recht in Wirklichkeit nicht beſteht; es iſt nicht recht zu leiſten hat oder nicht; ſteht die Mehrzahlungs⸗
erſichtlich, warum nicht der gleiche Grundſatz auch pflicht in jo ſicherer Ausſicht wie in unſerem Fall,
für das der Vermeidung von Bargebotserhöhungen | jo wird er eben, wenn nicht ausdrücklich ihr Aus⸗
dienende Verfahren des Verſteigerungsbeamten ſchluß bedingt wird, entſprechend weniger bieten,
gelten ſoll, der doch ebenfalls richterliche Befugniſſe um ſich auf dieſe Weiſe wieder ſchadlos zu halten.
hat; die Bedürfniſſe der Praxis drängen jedenfalls Daß in der Praxis, wie oben erwähnt, nicht ſelten
nach dieſer Regelung, da man beim Verlangen Faälle vorkommen, wo der Bieter in Unkenntnis
der formellen Vorausſetzungen der Löſchung jeden⸗ der geſetzlichen Beſtimmungen von der Bargebots⸗
falls nur äußerſt ſelten zur Anwendung des von erhöhung keine Kenntnis hat und demgemäß fein
den Motiven als „ſelbſtverſtändlich“ bezeichneten Gebot nicht entſprechend darnach einrichtet, kann
Rechtsgrundſatzes kommen würde; denn wenn die die Richtigkeit dieſer Erwägung natürlich nicht be⸗
formellen Vorausſetzungen der Löſchung einmal einträchtigen; denn in allen dieſen Fällen er⸗
vorliegen, ſo wird das nicht mehr beſtehende Recht in | halten die Nachhypothekgläubiger infolge der Ge⸗
der Regel auch nicht mehr eingetragen, ſondern ge- ſetzunkenntnis des Erſtehers Beträge, auf die fie
löſcht ſein und ſeine Aufrechterhaltung im geringſten | eigentlich keinen Anſpruch haben.
Gebot dann ohnedies nicht mehr in Frage ſtehen. B. Auch bezüglich des zur Eigentümer:
Aus allen dieſen Gründen hätte ich es in unſerem grundſchuld gewordenen Hypothekteils
Beiſpiel für zuläſſig und im Intereſſe der Recht- von 498.10 K, bezüglich deſſen für den Nach⸗
ſicherheit ſogar für geboten erachtet, daß der Notar | hypothekar ein Löſchungsanſpruch beſteht, ließe ſich
den zweifellos erloſchenen Hypothekteil von 173.60 1 durch entſprechende Tätigkeit des Notars die be:
nicht in das geringſte Gebot aufgenommen hätte. , ——
Würde man ſich im geſchilderten Fall der e 15 1 1 a
Auffaſſung von Jaäckel⸗Güthe anſchließen, jo wäre vor dem Termin Berfiheet: J
die Bargebotserhöhung gleichwohl vermeidbar ge: ) S. 43 Fußnote des obenerwähnten Schriftchens.
— — æꝗ ää6wͤ—ẽ— ñͤů383383K3K¶E•—V—ggvx.Gͤꝛ ä -̃ĩůͤ·³3•ãꝓꝛ·˙;Üſ48·; . A
——— — —
dingte Bargebotserhöhung häufig vermeiden. Denn
in der Regel wird es dem Notar keine Schwierig⸗
keiten machen, ſchon vor dem Termin die Löſchung
oder durch Auſſtellung einer beſonderen Verſteige⸗
rungsbedingung das Erlöſchen dieſes Hypothekteils
herbeizuführen. Iſt dies mangels Zuſtimmung des
Berechtigten ®) ausnahmsweiſe unmöglich, ſo wird die
Bargebotserhöhung allerdings nicht ohne weiteres
zu vermeiden ſein; denn auch wenn es möglich
wäre, von dem mit Löſchungsanſpruch ausgeſtatteten
Nachhypothekgläubiger die Erklärung zu erlangen,
daß er von ſeinem Löſchungsanſpruch Gebrauch
mache, wäre mangels Zuſtimmung des Vollſtrek⸗
kungsſchuldners die Bargebotserhöhung im Gegen⸗
ſatz zum Falle A doch noch keine ſo durchaus
ſichere Sache, daß nicht vielleicht damit zu rechnen
wäre, daß die Bietungsluſtigen die Möglichkeit
des Eintritts der Bargebotserhöhung bei ihren Ge⸗
boten nicht ganz in Rechnung ſtellen; der bei Ein⸗
tritt der Mehrzahlungspflicht vom Erſteher zu
leiſtende Geſamtbetrag könnte alſo vielleicht etwas
höher ausfallen, als er bei bedingungsgemäßem
Ausſchluß der Bargebotserhöhung ſein würde; des⸗
halb könnte eine beſondere Verſteigerungsbedingung
des Inhalts, daß keine Bargebotserhöhung ein⸗
treten ſoll, in dieſem Fall nur dann ohne weiteres
aufgeſtellt werden, wenn die Zuſtimmung der Nach⸗
hypothekare zu erlangen wäre, was häufig nicht
möglich ſein wird; iſt ſie nicht zu erlangen, ſo
bleibt immer noch die 55 eines Doppel:
ausgebots nach $ 59 Abſ. II 3VGG., da die
Beeinträchtigung der Nachhypothekgläubiger durch
die Aufſtellung dieſer beſonderen Verſteigerungs⸗
bedingung nicht unbedingt feſtſteht.
C. Auch die aus den nicht valutierten
Nebenkautionen herrährenden Bargebots⸗
erhöhungen laſſen ſich in der Regel leicht ver⸗
meiden. Meiſt wird es nur einer Anregung des
Notars bedürfen, um ſchon vor dem Termin die
Löſchung oder durch Aufſtellung einer beſonderen
Verſteigerungsbedingung das Erlöſchen der Neben⸗
kaution herbeizuführen, was dann allerdings unter
Umſtänden die weitere beſondere Verſteigerungs⸗
bedingung erforderlich machen würde, daß die auf
die Nebenkaution bis zum Zuſchlag tatſächlich ge⸗
ſchuldeten Beträge (in unſerem Beiſpiel alſo 49.50 M)
als bar zuzahlender Anſpruch ins geringſte Gebot
aufgenommen werden; mit Koch (S. 43/44) und
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern Bd. II S. 232
wird man annehmen können, „daß es bei einer
derartigen Aenderung der geſetzlichen Verſteigerungs⸗
bedingungen der Zuſtimmung der nachſtehenden
Hypothekgläubiger nicht bedarf, da es ſich nach
der Natur dieſer Forderungen um Beträge handelt,
die zur Barzahlung und nicht zum Beſtehenbleiben
beſtimmt find”. Wer gegen dieſe weitherzige
Auslegung des Geſetzes Bedenken hat, mag ſein
Gewiſſen dadurch beruhigen, daß er die Löſchung
oder das Erlöſchen der Nebenkaution nur inſoweit
herbeiführt, als auf fie keine Forderungen ent:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
267
ſtanden find.) Zur Herbeiführung der Löſchung
oder des Erlöſchens der Nebenkaution braucht man
ſelbſtrerſtändlich ſtets die Zuſtimmung des Hypo⸗
thekgläubigers; erfahrungsgemäß iſt dieſe aber in
der Regel unſchwer zu erlangen; auch unſere Hypo⸗
thekenbanken zeigen in dieſer Hinſicht großes Ent⸗
gegenkommen. vorausgeſetzt allerdings, daß gleich:
zeitig ihre Hypothekrechte im Rahmen der Haupt⸗ a
ſachehypothek entſprechend erweitert werden, was ja
nach jetzigem Recht zuläſſig und durch die Ge⸗
ſtattung des Hinweiſes auf die Bankſatzungen be⸗
ſonders erleichtert iſt (8 1115 Abſ. II BGB.); daß
die Erweiterung des Hypothekrechts im Rahmen
der Hauptſachehypothek gegenüber dem Beſchlag⸗
nahmegläubiger unwirkſam wäre und deshalb nicht
im geringſten Gebot berückſichtigt werden könnte,
iſt wohl kaum zu befürchten, da ſie ja nur an
die Stelle der gleichzeitig mit der Eintragung der
Hypothekerweiterung zur Löſchung kommenden Neben:
kaution tritt, die unter Umſtänden ſogar eine höhere
Belaſtung bedeuten würde wie die an ihrer Stelle
9 Hypothekerweiterung.
Läßt ſich dieſer Weg nicht beſchreiten, z. B.
weil niemand die daraus entſtehenden geringfügigen
Koſten tragen will, ſo bleibt auch hier wie im
Falle A immer noch der Weg der Aufſtellung
einer beſonderen Verſteigerungsbedingung des In⸗
halts, daß eine Bargebotserhöhung trotz Berück⸗
ſichtigung des nicht ausgefüllten und deshalb nur
formell zu Recht beſtehenden Teiles der Neben⸗
kaution im geringſten Gebot nicht zu leiſten iſt.
D. Hinſichtlich der Bargebots⸗
erhöhungen, die dadurch eintreten, daß
der Erſteher die im geringſten Bargebot
berückſichtigten Annuitätenzahlungen
für Rechnung des Strichſchillings leiſtet,
fehlt es mir an einer praktiſchen Erfahrung, in⸗
wieweit auf ein Entgegenkommen der Hypotheken⸗
banken zu rechnen iſt; meines Erachtens würden
ſich aber die Banken nichts vergeben, wenn ſie
einer beſonderen Verſteigerungsbedingung des In⸗
halts zuſtimmen würden, daß die betreffenden Hypo⸗
thekteile nicht im geringſten Gebot berüdfichtigt
werden, ſondern erlöſchen ſollen.
Sollte dieſe Zuſtimmung nicht zu erlangen
ſein, ſo ließe ſich, da ja der Eintritt der Bar⸗
gebotserhöhung ſo viel wie ſicher iſt, auch hier
(wie im Falle A) die Aufſtellung einer beſonderen
Verſteigerungsbedingung herbeiführen des Inhalts,
daß eine Bargebotserhöhung trotz Berückſichtigung
dieſer nur noch auflöſend bedingt!) beſtehenden
Hypothekteile nicht zu leiſten iſt.
VI.
Im Vorſtehenden war mehrfach von der
Aufſtellung beſonderer Verſteigerungsbedingungen
die Rede. Die in Ziff. IV niedergelegten Er⸗
0) Siehe hierzu die Ausführungen in Ziff. VI.
1) Siehe die Ausführungen in Ziff. III, 4.
268
fahrungen laſſen es angezeigt erſcheinen, dieſe Er:
örterung nicht zu ſchließen, ohne daß geſagt wird.
wie bei Aufſtellung beſonderer Verſteigerungs⸗
bedingungen zu verfahren iſt.
Es iſt ſchon erwähnt worden, daß beſondere
Verſteigerungsbedingungen nur auf Antrag eines
Beteiligten, alſo nie von Amts wegen aufgeſtellt
werden dürfen; die Antragſtellung iſt im Ver⸗
ſteigerungsprotokoll erſichtlichzu machen (§ 78 3 G.);
der Antrag muß ſelbſtverſtändlich erſehen laſſen,
welche Abweichung von den geſetzlichen Vorſchriften
begehrt wird; das gleiche gilt von der darauf er⸗
gehenden Entſcheidung des Notars.
Wird durch die Abweichung von den geſetz⸗
lichen Vorſchriſten das Recht eines anderen Be⸗
teiligten als des Antragſtellers beeinträchtigt, ſo
iſt deſſen Zuſtimmung erforderlich; auch dieſe
iſt, wenn ſie nicht ſchon vor dem Verſteigerungs⸗
termin erklart wurde, im Protokoll erſichtlich zu
machen; das Protokoll muß alſo beiſpielsweiſe im
Falle V lit. C folgendes enthalten:
a) Falls durch beſondere Verſteigerungsbedin⸗
gung das Erlöſchen der Nebenkaution herbei⸗
geführt werden ſoll:
Auf Antrag des N. N. und mit Zuſtimmung der
Pfandbriefbank Felden wurden folgende beſondere Ver⸗
ſteigerungsbedingungen aufgeſtellt: die Nebenkaution
zu Hypothek 1/1 der Pfandbriefbank Felden, die eigentlich
als Beſtandteil des geringſten Gebots aufrecht zu er⸗
halten wäre, ſoll durch den Zuſchlag erlöſchen und
demgemäß im geringſten Gebot nicht berückſichtigt
werden; dagegen ſollen die auf dieſe Nebenkaution er⸗
wachſenen Verzugszinſenforderungen als barzuzahlende
N im geringſten Gebot berückſichtigtwerden; !)
oder:
Auf Antrag des N. N. und mit Zuſtimmung der
Pfandbriefbank Felden wurde folgende beſondere Ver⸗
ſteigerungsbedingung aufgeſtellt: die Nebenkaution zu
Hypothek 1/I der Pfandbriefbank Felden, die eigentlich
im vollen Betrag als Beſtandteil des geringſten Ge⸗
bots aufrecht zu erhalten wäre, aber bis heute nur in
Höhe von 49.50 M valutiert iſt, fol durch den Zuſchlag
in Höhe des nicht valutierten Betrages von 1950.50 M
erlöſchen und demgemäß im geringſten Gebot nur mit
dem Betrag von 49.50 M berückſichtigt werden.“)
b) Falls durch beſondere Verſteigerungsbedin⸗
gung nur der Eintritt einer Bargebotserhöhung
ausgeſchloſſen werden ſoll:
Auf Antrag des N. N. wurde folgende beſondere
Verſteigerungsbedingung aufgeſtellt: obwohl auf die
zur Hypothek 1/I eingetragene und im geringſten Ge⸗
bot als beſtehenbleibendes Recht berückſichtigte Neben⸗
kaution von 2000 M bis heute nur Forderungen in
Höhe von 49.50 M entitanden find, ſoll keine Bargebots—
erhöhung ſtattfinden, ſoweit ſie nach den geſetzlichen
Beſtimmungen auf Grund dieſer Verhältniſſe einzu—
treten hätte.
1) Der Nachſatz dürfte überflüſſig ſein, wenn das
Hauptſache hypothekrecht auf die Leiſtung von Vers
zugszinſen erweitert wurde.
18) Dieſe Faſſung hat unter Umſtänden den Nach—
teil, daß die Bank für die vom Zuſchlag bis zum Ver—
teilungstermin laufenden Verzugszinſen keine Deckung
mehr hat; der Nachteil dürfte aber nicht beſtehen,
wenn das Hauptſache hypothekrecht entſprechend er:
weitert wurde.
PPCTTTTTTTTTTTTTTT Tale rer 18,
nn U CTV— —
— — . ..4—4————2.
Kleine Mitteilungen.
Zwangs vollſtreckung auf Grund gemeindlicher Uns:
ſtandsverzeichniſſe. Die Beſtimmungen der ZPO. über
die Zwangsvollſtreckung finden in der Regel nur auf
ſolche Schuldtitel Anwendung, die in der ZPO. ſelbſt
behandelt find. Gemäß 8 801 ZPO. find aber die
Bundesſtaaten ermächtigt, im Wege der Geſetzgebung
— nicht auf dem Verordnungsweg — die gerichtliche
Zwangsvollſtreckung auch auf Grund anderer als
zivilprozeſſualer Schuldtitel zuzulaſſen und über die
Art dieſer Zwangsvollſtreckung beſondere Vorſchriften
zu treffen. Von dieſer Befugnis hat Bayern in den
Art. 4 ff. AG. ZPO. vom 26. Juni 1899 Gebrauch
gemacht und hat landesgeſetzlich das Voll ſtreckungs⸗
recht der Verwaltungsbehörden geregelt. Durch Art. 7
dieſes Geſetzes iſt beſtimmt, daß bei Vollſtreckungen
im Verwaltungszwangsverfahren die Vorſchriften der
ZPO. anzuwenden ſind. Gemäß Art. 8 ſtehen die
Ausſtandsverzeichniſſe der Gemeinden als Schuldtitel
den Urkunden der Finanzbehörden gleich; es kann auf
Grund ſolcher Verzeichniſſe die gerichtliche Zwangs⸗
vollſtreckung erfolgen, wenn die Vorausſetzungen des
Art. 48 Gem O. gegeben ſind. Es finden alſo auch
für dieſe Schuldtitel bei Durchführung der Zwangs⸗
vollſtreckung die Beſtimmungen der ZPO. und zwar
die ſämtlichen Vorſchriften in den 88 704 bis 882 und
899 bis 945 Anwendung, da in Art. 7 AG. ZPO.
Ausnahmen nicht vorgeſehen ſind.
Nun hat aber die bayer. Geſchäftsanweiſung für
Gerichtsvollzieher vom 28. April 1900 (JM Bl. S. 621 ff.)
im 8 205 Abſ. III in den beiden Schlußſätzen ange:
ordnet, daß der Gerichtsvollzieher den Schuldtitel nur
auf Verlangen der auftraggebenden Behörde zuſtellen
und, wenn ihm kein ſolcher Auftrag erteilt wird, nicht
zu prüfen hat, ob der Schuldtitel ſchon zugeſtellt iſt.
Auf Grund dieſer Anweiſung werden zuweilen durch
die Gerichtsvollzieher bei Schuldnern von Gemeinden
Pfändungen vorgenommen, ohne daß die Voraus⸗
ſetzungen des nach landes geſetzlicher Vorſchrift
(Art. 7 AG. ZPO.) anzuwendenden 8 750 Abi. 2 BPOD.
erfüllt ſind, wonach die Zwangsvollſtreckung nur be⸗
ginnen darf, wenn vorher oder gleichzeitig der Schuld⸗
titel — im gegebenen Falle alſo das vollſtreckbare
Ausſtandsverzeichnis — zugeſtellt iſt.
Dieſe Vorſchrift der ZPO. enthält eine Schutz⸗
beſtimmung für den Schuldner und es iſt kein Grund
erſichtlich, weshalb in einem Zwangsvollſtreckungs⸗
verfahren auf Grund eines gemeindlichen Ausſtands⸗
verzeichniſſes die Intereſſen des Schuldners nicht in
gleicher Weiſe wie bei Pfändungen auf Grund an⸗
derer Vollſtreckungstitel geſchützt ſein ſollten. Die
allgemeine Vorſchrift des Art. 7, die das Zwangs⸗
voll ſtreckungsverfahren in Verwaltungsſachen in Ein⸗
klang bringt mit den Vorſchriften der ZPO., bietet
keinen Anhaltspunkt dafür, das Syſtem der für die
Zwangsvollſtreckung geltenden allgemeinen Vorſchriften
zu verlaſſen und für eine einzelne Art der Pfändung
beſondere Regeln aufzuſtellen. Bietet aber das Geſetz
dieſe Möglichkeit nicht, fo können im Verordnungsweg
Ausnahmebeſtimmungen nicht getroffen werden, weil
das Verordnungsrecht ſich innerhalb der Grenzen der
Geſetze halten muß und weil ſolchen Verordnungen
Geſetzeskraft nur zukommt, wenn ſie vor Geltung der
Verfaſſungsurkunde vom 26. Mai 1818 erlaſſen
worden ſind.
Zgeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
269
Das Finanzminiſterium hat ſich in einer Bek. vom
27. Dezember 1899 (Fin MBl. 1899 ©. 355 ff.) auf
dieſen Standpunkt geſtellt und hat im 8 15 die Zwangs⸗
vollſtreckung auf Grund vollſtreckbarer Beſchlüſſe der
Finanzämter nur für zuläſſig erklärt, wenn die Vor⸗
ausſetzungen des 8 750 ZPO. erfüllt find. Aus dieſer
Bekanntmachung iſt auch zu entnehmen, daß die
Adminiſtrativmahnung, wie fie in Art. 48 GemO. vor⸗
geſehen iſt, ſich von der Zuſtellung im Sinne des
8 750 3PO. begrifflich unterſcheidet (vgl. auch Seuff Bl.
74 S. 284 und Jur W. 1890 S. 81 Nr. 12). Auch in
der Anordnung des Finanzminiſteriums vom 22. No⸗
vember 1880 Nr. 2 (Fin MBl. S. 477) iſt die Anſchau⸗
ung vertreten, daß ein vollſtreckbares Ausſtands⸗
verzeichnis vor Beginn der Vollſtreckung zugeſtellt
werden muß.
Das Vollſtreckungsorgan hat nicht zu prüfen,
ob alle geſetzlichen Vorbedingungen einer Vollſtreck⸗
barkeitserklärung erfüllt oder von der Gemeindever⸗
waltung als erfüllt erachtet worden ſind; dieſe Frage
hat die Behörde zu prüfen, welche den Vollſtreckungs⸗
auftrag erteilt. Geprüft muß aber werden, ob das
Ausſtandsverzeichnis zugeſtellt iſt, das die Grundlage
für die Vollſtreckung bildet; es darf die zwangsweiſe
Beitreibung nur durchgeführt werden, wenn die geſetz⸗
lich vorgeſchriebenen Förmlichkeiten des Verfahrens
gewahrt ſind. Es kann die landesgeſetzlich vorge⸗
ſchriebene Anwendung des 8 750 ZPO. durch Verord⸗
nung nicht ausgeſchloſſen werden, und es können über
die Vorausſetzungen für die Zuläſſigkeit der Voll⸗
ſtreckung durch Verwaltungsanordnungen nicht ab⸗
weichende Vorſchriften getroffen werden.
Pfändungen, die von Gerichtsvollziehern unter
Außerachtlaſſung der Beſtimmung des 8 750 ZPO.
über die Bedingungen für den Beginn einer Zwangs⸗
vollſtreckung vorgenommen werden, können allenfalls
durch gerichtliche Entſcheidung als unzuläſſig erklärt
und als nichtig und unwirkſam aufgehoben werden,
und es kann ein ſpäterer Pfandgläubiger, der auf
Grund eines zugeſtellten Schuldtitels Pfändung er⸗
wirkt hat, die Pfandſache einem früheren Pfand⸗
gläubiger entziehen, der auf Grund eines Ausſtands⸗
verzeichniſſes ohne Zuſtellung pfänden ließ. Es können
hieraus unter Umſtänden Rückgriffsanſprüche entſtehen.
Es ergibt ſich aus dem Wortlaut der Schlußſätze
des 8 205 Geſch Anw. f. GerVollz. und aus feiner An⸗
wendung durch die Gerichtsvollzieher für einen Aus⸗
nahmefall eine Unregelmäßigkeit, die der dienſtaufſicht⸗
führende Richter auch nicht gemäß 8 207 der Dienſtes⸗
vorſchriften für Gerichtsvollzieher im Wege einer dem
Sinne des Geſetzes entſprechenden und die Durch⸗
führung ſeiner Grundſätze ermöglichenden Auslegung
beſeitigen kann, weil die Gerichtsvollzieher ſich an
den Wortlaut ihrer Geſchäftsanweiſung für gebunden
erachten.
Es dürfte deshalb zu erwägen ſein, ob nicht eine
Aufhebung der mehrerwähnten Anordnung des 8 205
Geſch Anw. f. Ger Vollz. oder doch eine Abänderung
und Erläuterung angezeigt iſt.
Oberamtsrichter Schmitt in Klingenberg.
Anwendbarkeit des 5 930 Abſ. 3 ZPO. bei Ver⸗
änzerung gepfändeter Sachen? Wie find ſeine Voraus⸗
ſetzungen darzutun? Bei einem Schuldner ſind mehrere
Sachen auf Grund eines Arreſtes gepfändet, aber in
feinem Gewahrſam belaſſen werden; er veräußert einen
Teil, begeht alſo einen Pfandbruch. Kann der Gläubiger
die Verſteigerung der übrigen Sachen und die Hinter⸗
legung des Erlöſes verlangen?
Unmittelbar iſt 8 930 Abſ. 3 ZPO. nicht anwend⸗
bar. Die Veräußerung eines Teiles der gepfändeten
Sachen ſetzt die übrigen weder der Gefahr einer be⸗
trächtlichen Wertverringerung aus, noch bewirkt ſie,
daß ihre Auſbewahrung unverhältnismäßige Koſten
verurſacht. Man kann demgegenüber aber folgendes
ausführen: Durch die Veräußerung eines Teiles der
gepfändeten Sachen iſt (wenigſtens regelmäßig) dar⸗
getan, daß die Befriedigung des Gläubigers aus den
übrigen Sachen oder feine durch die Pfändung be⸗
wirkte Sicherung gefährdet iſt, wenn die Sachen
länger im Gewahrſam des Schuldners bleiben. Es
kommt daher zunächſt in Frage, daß der Gerichtsvoll⸗
zieher ſie aus dem Gewahrſam des Schuldners weg⸗
ſchafft (8 808 Abſ. 2) und anderswie verwahrt. Das
macht unter Umſtänden unverhältnismäßige Koſten
(man denke z. B. an Tiere). Liegen ſolche Umſtände
vor, ſo iſt 8 930 Abſ. 3 anwendbar, während andern⸗
falls eben nur eine andere Art der Verwahrung in
Frage kommt.
Wie hat nun der Gläubiger darzutun, daß die
Vorausſetzungen des 8 930 Abſ. 3 vorliegen?
Für den Regelfall werden allerdings keine be⸗
ſonderen Schwierigkeiten entſtehen. Ob eine Sache
der Gefahr beträchtlicher Wertverringerung ausgeſetzt
iſt oder ob ihre Aufbewahrung unverhältnismäßige
Koſten verurſacht, kann der Richter regelmäßig entſchei⸗
den, ohne daß ihm etwas Beſonderes dargetan werden
muß. Schwieriger wird es aber, wenn der Richter nicht
entſcheiden kann, ohne daß ihm gewiſſe Tatſachen noch
beſonders erhärtet werden. Wie hat der Gläubiger
z. B. in dem vorhin erwähnten Falle darzutun, daß
der Schuldner einen Teil der verpfändeten Sachen ver⸗
äußert bat?
Man könnte daran denken, daß der Gläubiger
den Verkauf glaubhaft machen muß, da es ſich um
eine Beſtimmung des Arreſtverfahrens handelt. Dieſe
erleichterte Form des Beweiſes, die allerdings wieder
dadurch erſchwert iſt, daß die Beweisaufnahme ſoſort
möglich fein muß (8 294 Abſ. 2), iſt aber nur in den
vom Geſetz ausdrücklich genannten Fällen zuläffig.')
Ausdrücklich iſt nun zwar in 8 930 Abſ. 2 für den
Anſpruch und den Arreſtgrund geſagt, daß ſie glaub⸗
haft zu machen find. Für den Fall des 8 930 Ubi. 3
beſteht aber keine entſprechende Beſtimmung. Viel⸗
mehr muß folgendes gelten: Die Anordnung des
8 930 Abſ. 3 iſt eine Maßregel des Arreſtvollzugs.
Da nach 8 928 auf ihn die Vorſchriften über die
Zwangsvollſtreckung entſprechend anzuwenden ſind, ſo
iſt die Anordnung als ein Vorgang der Zwangsvoll⸗
ſtreckung zu behandeln. Sie wird übrigens auch nach
ausdrücklicher Geſetzesbeſtimmung durch das Voll⸗
ſtreckungsgericht getroffen, alſo in einem Verfahren,
bei dem nach der Wahl des Gerichts eine mündliche
Verhandlung ſtattfinden kann (8 764 Abſ. 3). Erfolgt
keine mündliche Verhandlung, ſo kann das Gericht
entweder auf Grund des vom Gläubiger eingereichten
Geſuches und deſſen Unterlagen entſcheiden oder erſt
dem Schuldner Gelegenheit zu einer ſchriftlichen Er—
klärung geben. Es kann aber auch in dieſem rein
) Vgl. Stein, Komm. zu ZPO., 10. Aufl., erl.
VA zu 8 128.
ſchriftlichen Verfahren ſchon eine Beweisaufnahme
ſtattfinden. Es können z. B. neben dem Urkunden⸗
beweis) recht wohl Zeugen und Sachverſtändige ver⸗
nommen werden. Wenn alſo in dem erörterten Falle
der Gläubiger Zeugenbeweis dafür antritt, daß der
Schuldner einen Teil der im Arreſtwege gepfändeten
Sachen veräußert hat, ſo iſt dieſer Beweis zu erheben.“)
Häufig wird das Gericht aber mündliche Verhand⸗
lung anordnen, ſei es, daß ihm dies zur Klärung der
Sache angemeſſen erſcheint, oder daß der Gläubiger
den Beweis durch Eideszuſchiebung antritt, ein Beweis,
der nur in dem nach Anordnung einer mündlichen
Verhandlung ſtattfindenden Verfahren erhoben werden
kann.“) Man wird ſogar annehmen müſſen, daß in
einem ſolchen Falle für das Gericht eine Verpflichtung
beſteht, mündliche Verhandlung anzuordnen.“)
Rechtsanwalt Dr. Leſſer in Poſen.
Aus der Lechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Verletzung der Fan eatt der dienſtberechtigten
öffentlich rechtlichen Rörperſchaft durch den ſatzungs⸗
mäßig bernſenen Vertreter. Aus den Gründen:
Zwiſchen der beklagten Stiftung und dem Heizer S.
beſtand ein Dienſtverhältnis, aus dem ſich für ihren
geſetzlichen Vertreter die nach S 618 BB. begründeten
Pflichten ergaben. Schuldhafte Verletzung durch ihn
macht die Beklagte nach SS 31, 89, 618 Abſ. 3, 844 BGB.
den Hinterbliebenen des S. ſchadenserſatzpflichtig. S.
hatte zur Erwärmung des Schornſteins der Luftheizungs⸗
anlage ſog. Lockfeuer anzulegen. Dies geſchah früher
durch ein Türchen außen im Schornſtein. Die Oeffnung
wurde aber 1909 auf Anraten eines Sachverſtändigen
vermauert. Das Lockfeuer mußte ſeitdem von einem
neben dem Rauchkanal herlaufenden Schlupfkanal aus
angelegt werden. Im Oktober 1911 wurde S. durch
Gaſe erſtickt im Schlupfkanal tot aufgefunden. Ob die
Anordnung des Zumauerns der Oeffnung im Schorn—
ſtein ſchuldhaft war, kann unerörtert bleiben. Die
ie Erfüllung der Aufſichtspflicht, das Unter⸗
9 Auf dieſe will Kann, Komm. zu ZPO., Erl. 4 b,
ce zu $ 128, zu Unrecht die Beweismittel beſchränkt
ſehen.
) Ueber die Grundſätze des Verfahrens bei Nicht:
anordnung der mündlichen Verhandlung vgl. z. B.
Stein, Erl. VA zu § 128.
%) Ueber die Grundſätze dieſes Beweisverfahrens
vgl. z. B. (nicht ganz übereinſtimmend) Stein, Erl.
VB 3, 4; Kann, Erl. 4 b, dd, d zu § 128, dort auch
Literatur. Eidesbeweis wird allgemein als zuläſſig
angenommen (vgl. z. B. RG. Bd. 50 S. 369, Bd. 54
S. 311), und zwar ſtets auch ohne die Vorausſetzungen
des 8 461; Auſerlegung durch (unbedingten) Beſchluß.
(Nicht ganz unbeſtritten; vgl. Stein und Kann a. a. O.)
) Vgl. Stein, Erl. VA zu § 128.
) Wenn alſo das Landgericht Oſtrowo als Be—
ſchwerdegericht in einem ſolchen Falle die Zurück⸗
weiſung eines Antrages aus § 930 Abſ. 3 deswegen
für begründet gehalten hat, weil der Gläubiger, ob—
obwohl es ſich um ein Arreſtverfahren handele, die
Veräußerung eines Teiles der gepfändeten Sachen
nicht glaubhaft gemacht, ſondern Zeugenbeweis an—
getreten habe, ſo iſt dies kaum richtig.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
— — ü — — — k — —— — uñ—ẽ—i½ ͥ . ——ù — t — nn — — —
laſſen von . und der Ueberwachung
ihrer Anwendung hat das BG. dem geſetzlichen Ber:
treter der Beklagten mit Recht vorgeworfen. Es führt
zutreffend aus, nach dem Ausſcheiden des Sachver⸗
ſtändigen habe der 1 Vertreter nicht einfach
die Hände in den Schoß legen noch ſich bei dem Ge⸗
danken beruhigen dürfen, eine Gefahr bei der Anlage
ſei „ein für allemal“ beſeitigt. Das BG. hebt hervor,
welche Bedenken er mit Rückſicht auf die Art der An⸗
lage, auf ihr Alter und die Schwierigkeit ihrer Be⸗
dienung bei pflichtmäßiger Anwendung der im Verkehr
erforderlichen Sorgfalt habe hegen müſſen. Er konnte
nicht annehmen, daß der Sachverſtändige für alle Zu⸗
kunft die Heizungsverhältniſſe gefahrlos geſtaltet habe.
Der Umſtand, daß die bisher zum Anlegen der Lock⸗
feuer benutzte Oeffnung vermauert war, mußte ihn
zum Nachdenken darüber veranlaſſen, wo jetzt das Lock⸗
feuer werde entzündet werden, und ob das gefahrlos
geſchehen könne. Die Anſtände, die in der Heizzeit
1910/1911 wegen ungenügender Wärme in den Stif⸗
tungsräumen hervortraten, mußten ihm das bisher
verwandte Abhilfemittel, das Lockfeuer, ins Gedächtnis
zurückrufen, und er mußte alsdann, um ſeiner Auf⸗
ſichtspflicht zu genügen, ſich davon überzeugen, ob die
Anlegung des Feuers vom Schlupfkanal aus mit Ge⸗
fahren verbunden und wie dieſen vorzubeugen ſei.
Dieſer eigenen Aufſichtspflicht wurde der gefegliche Ber-
treter auch nicht ledig, wenn Perſonen vorhanden
waren, deren er ſich zur Erfüllung ſeiner Verpflichtung
aus 8 618 gegenüber dem Erblaſſer der Kläger bediente.
Uebrigens würde für das ſolchen Perſonen zur Laſt
fallende Verſchulden die Beklagte nach 8 278 BOB.
haften. Dem Verſtorbenen gereichte es anderſeits nicht
zum Verſchulden, daß er fi zum Anzünden des un-
entbehrlichen Lockfeuers in den Schlupfkanal begab.
Es mag der Beklagten zugegeben werden, daß er ſein
Unternehmen als gefährlich kannte. Allein er hat ſich
nicht leichtfertig ſondern aus Pflichttreue in die nach
der Eigenart der Anlage nun einmal mit ſeinem Dienſte
verbundene Gefahr begeben. Er hat ſich für verpflichtet
gehalten, lieber die Gefahr einer Geſundheitsbeſchädi⸗
gung auf ſich zu nehmen, als ſeinen Dienſt zu ver⸗
nachläſſigen. Zugleich hat er unter dem Drucke der
— vielleicht unbegründeten — Furcht gehandelt, er
werde ſeine Stelle verlieren, wenn er nicht für ordnungs⸗
mäßigen Gang der Heizung ſorgte. Das BG. findet
das Verſchulden des S. darin, daß er nicht Schutzmaß⸗
regeln angeregt hat. Aber mit dieſer Unterlaſſung hat
er nicht gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt
verſtoßen. Sein Dienſt brachte es mit ſich, daß ſich bei
ihm eine gewiſſe Gleichgültigkeit gegen die Gefahr ein-
ſtellte. Zudem iſt es begreiflich, daß er nicht gern
Schwierigkeiten bereitete und ſich durch das Er⸗
heben beſonderer Anſprüche möglicherweiſe mißliebig
machte. Er durfte erwarten, daß Sicherungsmaßnahmen,
wenn nötig und erfolgverſprechend, von der Verwaltung
ausgehen würden. Wollte man aber die Unterlaſſung
der Anregung als ſchuldhaft anſehen, ſo wäre doch
das Verſchulden des geſetzlichen Vertreters, der die
gefahrvolle Anlage beſtehen ließ, ſich um den Dienſt
und das Ergehen der Heizer nicht kümmerte, obwohl
ihm die geſamte Verwaltung oblag, das grundlegende,
die Möglichkeit für den Unfall ſetzende und derart
überwiegend, daß das geringfügige des S. als den
Schaden verurſachend überhaupt nicht in Betracht
kommen und an der vollen Erſatzpflicht der Beklagten
nichts ändern würde. (Urt. d. III. 38S. vom 17. Fe⸗
bruar 1914, III 534/1913). — a —
3288
II.
Mitwirkendes Verſchulden, urſächlicher Iufammen:
hang. Aus den Grunden: Die Klägerin hatte als
Lehrerin freie Dienſtwohnung im Schulgebäude. Auf
dem vereiſten und infolgedeſſen glatten Wege zu der
Hauf dem Schulhofe ſtehenden Pumpe, von der fie Waſſer
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 1? 13.
holen wollte, ſtürzte ſie und zog ſich Verletzungen zu.
Der Schulverband wurde zum Schadenserſatz verurteilt.
Die Reviſion rügt, das BG. habe mit Unrecht ein mit⸗
wirkendes Verf ulden der Klägerin verneint, die ſich
der offenliegenden Gefahr bewußt ausgeſetzt habe. Die
Rüge iſt unbegründet. Es entſpricht keineswegs der
Rechtſprechung des R., daß ſchuldhaft handelt, wer
ſich einer Gefahr bewußt ausſetzt. Schuldhaft handelt
vielmehr nur, wer ſich ohne Not in Gefahr begibt.
Hier war die Klägerin auf die Pumpe angewieſen, um
ſich das Waſſer zu holen. Wenn ſie nun hoffen konnte,
daß ſie bei vorſichtigem Gehen ohne Unfall ihren Zweck
erreichte, und wenn ſie weder unvorſichtig noch leicht⸗
firtig verfahren iſt, ſo genügen dieſe Feſtſtellungen, um
ein Verſchulden auszuſchließen. Es wäre eine Prämie
auf die Verletzung der Pflicht des Beklagten, wenn
man ihm die Berufung darauf geſtatten wollte, die
Klägerin hätte die Benutzung der Pumpe unterlaſſ en
müſſen, weil ſich der Zugang zur Pumpe in einem
offenſichtlich nicht gefahrfreien Zuſtande befunden habe.
Es kann nur darauf ankommen, ob die Klägerin bei
der Benutzung die auch für ſie erkennbare Gefährlichkeit
des Zugangs leichtſinnigerweiſe nicht genügend beachtet
hat. Eine ſolche e e hat das BG. aber nicht
getroffen. Das BG. iſt bei Prüfung der Frage nach
en urſächlichen Zufammenhang von den in der Recht⸗
ſprechung des RG. ſtändig angenommenen Grundſätzen
ausgegangen. Nach ſeiner Feſtſtellung ſind die bei der
Klägerin ſeit dem Unfall eingetretenen Bewegungs⸗
und Gefühlsſtörungen ihrer rechten Hand und ihres
rechten Armes durch den Unfall hervorgerufen. Mag
nun bei der Klägerin ſchon vor dem Unfalle eine krank⸗
hafte Anlage zur Hyſterie, oder eine Krankheit ſelbſt,
Hyſterie, vorhanden geweſen ſein, und mögen die er⸗
wähnten Störungen durch den Unfall infolge der vor⸗
handenen krankhaften Anlage oder der vorhandenen
Krankheit ausgelöſte Folgen fein, fo wird dadurch der
urſächliche Zuſammenhang nicht ausgeſchloſſen. Ohne
Rechtsirrtum hat das BG. angenommen, daß dies zu
einer Beſchränkung der Schadenserſatzpflicht nicht führen
könne. Daß aber die Hyſterie keinesfalls eine Be⸗
ſchränkung des Gebrauchs einer Hand zur Folge ge⸗
habt hat, iſt vom BG. tatſächlich feſtgeſtellt. Die
Klägerin hat ja auch bis zum Unfall ihre rechte Hand
unbeſchränkt gebrauchen können. Danach hat das BG.
auch ohne Rechtsirrtum angenommen, daß es ſich bei der
Verminderung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand
nicht um die Verſchlimmerung eines vorher gegebenen
Zuſtandes, ſondern um ein neues Leiden handle. Es
kommt daher gar nicht darauf an, ob bei der Klägerin
vor dem Unfalle nicht nur eine Anlage zur Hyſterie,
ſondern ein hyſteriſches Leiden beſtanden hat. (Urt. d.
III. ZS. v. 28. April 1914, III 63/14). — a —
3389
III.
Der „wichtige Grund“ zu friſtloſer Kündigung des
Dienfiverhältnife. Aus den Gründen: Mit Recht
hebt das BG. hervor, daß die Beſtimmung des 8 626
BGB. zwingendes Recht enthalte. Dieſe Eigenſchaft
hindert aber nicht, daß über die Wichtigkeit von Gründen
zu friſtloſer Kündigung des Dienſtverhältniſſes vertrags⸗
mäßige Beſtimmungen getroffen werden. Durch Vertrag
kann Tatſachen, die an ſich einen wichtigen Grund dar—
ſtellen würden, unter beſonderen Vorausſetzungen diefe |
Bedeutung genommen werden. Sollen nach dem Ver⸗
trage gewiſſe Tatbeſtände nur dann einen wichtigen
Grund bilden, wenn im einzelnen feſtgeſetzte erſchwerende
Umſtände obwalten, ſo können ſie ohne das Vorliegen
dieſer Umſtände nicht auf Grund des § 626 BGB. als
wichtige Gründe zur Auflöſung des Dienſtverhältniſſes
verwertet werden. Inſofern iſt die vertragliche Regelung
ſchlechthin maßgebend. Das ſchließt aber nicht aus —
und darin zeigt ſich die zwingende Natur der Geſetzes—
vorſchrift — daß Tatbeſtände, denen der Vertrag die
271
Wichtigkeit nicht abſpricht, und die er nicht nur unter
Beſchrankungen als wichtige Gründe zuläßt, nach § 626
als vertragauflöſend zu gelten haben. Der Vertrag
der Streitteile knüpft an eine Reihe von Handlungen
und Unterlaſſungen des Klägers für die Beklagte das
Recht ihn ſofort zu entlaſſen. Dieſe Handlungen und
Unterlaſſungen ſind nur dann wichtige Gründe, wenn
fie die im Vertrage erforderten Merkmale aufweifen.
Das BG. findet nun einen von den Vertragsbeſtimmungen
unabhängigen wichtigen Grund darin, daß der Kläger
die Abſage ſeiner Mitwirkung bei der Theatervorſtellung
in einer Weiſe „mit ſeinen angeblichen Geldforderungen
verquickt“ habe, daß es der Theaterleitung nicht wohl
zuzumuten geweſen ſei, das Verhältnis mit ihm weiter⸗
beſtehen zu laſſen. Der Kläger habe zwar ein Zurück⸗
behaltungsrecht wegen ſeiner Gehaltsrückſtände geltend
machen wollen. Er habe aber kein ſolches Recht ge⸗
habt, feine Gehaltsanſprüche ſelbſt als Verhalten er⸗
kannt und dadurch ein ſittenwidriges Verhalten an
den Tag gelegt, daß er mit der Abſage einen Druck
bes die Beklagte ausübte. Die Ausübung des Zurück⸗
behaltungsrechts dürfe nicht dazu führen, dem anderen
Teile einen unverhältnismäßigen Schaden zuzufügen.
Das ganze Verhalten des Klägers ſei eine ſo ſchwere
Pflichtverletzung, daß die Beklagte, ſchon um der er⸗
forderlichen Theaterzucht willen, es ſich nicht habe bieten
laſſen dürfen. Der Bewertung dieſes Verhaltens als
eines wichtigen Grundes ſtehen allerdings Beſtimmungen
des Vertrages in dem hier dargelegten Sinne nicht
entgegen, allein die Ausführungen des BG. laſſen zum
Teil eine Verkennung des Rechtsbegriffs des wichtigen
Grundes erſehen, zum Teil eine prozeßgerechte Feſt⸗
ſtellung der zur Begründung verwandten Tatſachen
vermiſſen. Richtig iſt, daß unter Umſtänden auch die
Geltendmachung eines Rechtes, insbeſondere des
Zurückbehaltungsrechts, gegen Treu und Glauben ver⸗
ſtoßen und einen Grund zu friſtloſer Kündigung ergeben
kann. Aber damit dies angenommen werden kann,
bedarf es der einwandfreien Feſtſtellung ganz beſonderer
Verhältniſſe. (Wird 8 daß es daran hier
fehlt). (Urt. d. III. ZS. v. 1. Mai 1914, III 33/14).
3390 — a —
IV.
Sate ien nt des Bankiers. Aus den
Gründen: Das BG. hat den beklagten Bankier für
haftbar erklärt, weil er durch ſeine ſchriftlichen und
mündlichen Mitteilungen an B., die dieſer bei ſeinem
Antrag auf Anordnung der Nachlaßverwaltun ver⸗
wertet hat, ſeine Vertragspflichten gegenüber dem Kläger
ſchuldhaft verletzt habe. Dem iſt im Ergebnis bei⸗
zupflichten. Wenn der Bankier die Aufträge eines
Kunden an ihn und das Verhalten des Kunden im
Geſchäftsverkehr mit ihm bekannt gibt, iſt in der Mit⸗
teilung derartiger geſchäftlicher Angelegenheiten durch
den Bankier an einen Dritten allerdings nicht die
Preisgabe eines Geſchäftsgeheimniſſes zu finden (vgl.
über den Begriff des 0 mu JW. 1912,
601; RG. 53, 42; NOS. 426). Allein es kann
keinem Zweifel 1 1 8 5 har der Banlier feinem .
Kunden gegenüber zur Verſchwiegenheit verpflichtet iſt.
Dies wird auch in Rechtſprechung und Rechtslehre an⸗
erkannt. Der Bankier ſteht in einem beſonderen Ver⸗
trauens verhältnis zu feinem Auftraggeber, und bei
ihrem Geſchäftsverkehre handelt es ſich um Angelegen⸗
heiten des Auftraggebers, in die dieſer mit Recht un-
beteiligten Dritten keinen Einblick geſtattet. Dement—
ſprechend war auch der mit der Regelung und Ver—
ſilberung des Nachlaſſes eines Angehörigen des Klägers
beauftragte beklagte Bankier verpflichtet, über den In⸗
halt der ihm erteilten Aufträge und beſonders auch
über die „auffällige Eile“, mit der der Kläger auf ſchnelle
Verwertung der Nachlaßgegenſtände und Abführung
des Erlöſes drängte, Stillſchweigen zu . Da
er aus dem Verhalten des Klägers erſah, daß dieſem
272
— ä —-—-—ũ —
an ſchleuniger Verſilberung des Nachlaſſes und an ſo⸗
fortiger Verwertung der eingezogenen Gelder viel ge⸗
legen war, durfte er nicht den Wünſchen und Intereſſen
ſeines Auftraggebers entgegenarbeiten, indem er durch
ſeine Mitteilungen an B. für deſſen Antrag auf An⸗
ordnung der Nachlaßverwaltung die erforderlichen
Unterlagen beſchaffte und ſo dazu mitwirkte, daß dem
Kläger die Verfügungsgewalt über die Nachlaßgegen⸗
ſtände und die Möglichkeit ſofortiger Verwertung ihres
Erlöſes entzogen wurde. Durch dieſes Handeln gegen
die ihm erkennbaren Intereſſen des Klägers verletzte
der Beklagte ſchuldhaft ſeine Vertragspflichten. Die
Vertragsverletzung kann nicht etwa deshalb verneint
werden, weil der beklagte Bankier die Mitteilung zur
Verwertung in einem gerichtlichen Verfahren gemacht
und ein Recht zur Zeugnisverweigerung nicht gehabt
habe. Abgeſehen davon, daß ein Bankier auf Grund
des 8 383 Nr. 5 ZPO. fein Zeugnis über die Angelegen⸗
heiten ſeines Auftraggebers verweigern kann, auf die
ſich ſeine Verpflichtung zur Verſchwiegenheit bezieht
(Bayer. Obs G. 1, 290; Elſ. 22, 291) und nach richtiger
Anſicht ſeinem Auftraggeber gegenüber auch verpflichtet
iſt, von ſeinem Zeugnisverweigerungsrechte Gebrauch
zu machen (RG.Z. 53, 317; Stein III, 2 zu 8 383), hat hier
der Beklagte gar nicht unter dem Einfluſſe der Zeugnis⸗
pflicht gehandelt, ſondern ganz freiwillig auf Anfrage
des B. ſeine ſchriftlichen und mündlichen Erklärungen
abgegeben. (Urt. d. III. ZS. v. 28. April 1914, III
627/13).
3388
— 4 —
V.
Zu 95 1298, 1300 86 .: Der Schadenxerſatzklage
wegen Bruchs des Berlöbniſſes kann der beklagte Teil
nicht mit dem Einwande betzegnen, daß das Verhalten
des klagenden Teiles nach dem Rüdtritt, insbeſondere
im Prozeß, den Nücktritt rechtfertige, oder daß er jetzt
wieder zur Eheſchließung mit dem klagenden Teile bereit
ſei. Aus den Gründen: Die Klägerin hat in der
Berufungsinſtanz eingehend geſchildert, wie ſich die
Beziehungen zwiſchen den Parteien bis zu dem Verlöbnis
entwickelt haben. Sie hat dabei auch angegeben, ſie
habe im Frühjahr 1910 geglaubt, ſchwanger zu ſein;
der Beklagte habe ſie zu bewegen verſucht, ſich die Frucht
abtreiben zu laſſen; ſie habe ſich jedoch geweigert und
ſich deswegen Vorwürfe von dem Beklagten gefallen
laſſen müſſen. Der Beklagte hat beſtritten, jemals ein
derartiges Anſinnen an die Klägerin geſtellt zu haben,
und erklärt, eine derartige unwahre Beſchuldigung gebe
ihm einen hinreichenden Grund zum Rücktritt vom Ver⸗
löbnis. Das OLG. hat dieſe Anſicht des Beklagten
für unzutreffend angeſehen, weil der Beklagte ſchon vor
dem Beginne des Prozeſſes vom Verlöbnis zurückgetreten
geweſen ſei und weil es ſich ferner um eine Behauptung
handle, welche die Klägerin in Wahrnehmung ihrer
vom Beklagten beſtrittenen Rechte im Prozeß geltend
gemacht habe. Die hiergegen erhobene Rüge iſt uns
begründet. Das BGB. gewährt den Verlobten keinen
Rechtsanſpruch auf Erfüllung ihrer durch den Verlöbnis—
vertrag wechſelſeitig abgegebenen Eheverſprechen und
keine Möglichkeit, den anderen Teil zur Aufrechterhaltung
des Verlöbniſſes zu zwingen (§ 1297). Es geſtattet
vielmehr jedem Verlobten den einſeitigen Rücktritt von
dem Verlöbnis und knüpft hieran nur für den Fall,
daß der Rücktritt ohne wichtigen Grund erfolgt, eine
in den 88 1298, 1300 BGB. näher begrenzte Schadens-
erſatzpflicht. § 1298 Abſ. 3 beſtimmt, daß die in den
erſten beiden Abſätzen näher geregelte Erſatzpflicht nicht
eintritt, wenn ein wichtiger Grund vorliegt; dieſe
Vorſchrift kann ſich indeſſen nur auf den Fall beziehen,
daß der wichtige Grund bereits im Zeitpunkte des Rück—
tritts beſteht. Denn die Zulaſſung eines ſpäteren Er—
eigniſſes als Rechtfertigung des bereits vorher erfolgten
Rücktritts hätte zur Folge, daß die im Zeitpunkte des
Rücktritts mangels eines wichtigen Grundes eingetretene
a Tr — SFF ̃ͤ re ee Fee er ͤTTTTTT—T———õ— ehe
Erſatzpflicht nachträglich wieder fortfallen könnte, und
von einem Erlöſchen einer einmal eingetretenen Erſatz⸗
pflicht iſt weder im 8 1298 BGB. noch an einer anderen
die Folgen des Rücktritts vom Verlöbnis regelnden
Stelle des Geſetzes die Rede. Vielmehr iſt auch im
§ 1299 BGB., der eine Erſatzpflicht des Verlobten feſtſetzt,
der den Rücktritt des andern durch ein einen wichtigen
Grund bildendes Verſchulden „veranlaßt“, dem klaren
Wortlaute nach ein im Zeitpunkte des Rücktritts vor⸗
liegender Grund vorausgeſetzt. Der Senat hält daher
an der von ihm bereits früher ausgeſprochenen Anſicht
feſt, daß ein erſt nach der Rücktrittserklärung entſtandener
Rücktrittsgrund gegenüber der Schadenserſatzklage aus
88 1298 ff. BGB. nicht in Betracht kommen kann (Urt.
vom 18. April 1907 IV 459/96). Das Os. hat hiernach
mit Recht das Verhalten der Klägerin im Prozeß zur
Rechtfertigung des auf 8 1298 Abſ. 3 BGB. geſtützten
Einwandes des Beklagten für ungeeignet erklärt, weil
es ſich dabei um eine Tatſache aus der Zeit nach dem
Rücktritt handelt. Aber auch wenn dieſer Grund nicht
zuträfe, wäre der Reviſion nicht beizutreten. Da der
einſeitige Rücktritt eines Verlobten, gleichviel ob er
mit oder ohne wichtigen Grund erfolgt, die Aufhebung
des Verlöbniſſes bewirkt, ſo wird dadurch zugleich der
andere Teil von der durch das Verlöbnis begründeten
Verpflichtung frei, ſein Verhalten dem gegebenen Ehe⸗
verſprechen gemäß einzurichten. Er iſt daher auch nicht
verpflichtet, in einem nach der Aufhebung des Ver⸗
löbniſſes auf Grund der 88 1298 ff. anhängig gemachten
Prozeß bei der Ausführung ſeiner Rechte auf die Perſon
des Gegners beſondere Rückſicht zu nehmen, und die
Aufſtellung von Prozeßbehauptungen, die geeignet ſind,
die Perſönlichkeit des zurückgetretenen Teils bloß⸗
zuſtellen, kann dieſem demgemäß keinen wichtigen Grund
zur nachträglichen Rechtfertigung ſeines Rücktritts geben.
Die Reviſion zieht zum Vergleich den Fall heran, daß
ein ohne wichtigen Grund entlaſſener Dienſtverpflichteter
Anſprüche wegen ungerechtfertigter Entlaſſung geltend
macht; allein hier hat der Mangel des wichtigen Grundes
das Fortbeſtehen des Dienſtvertrags und der daraus
für beide Teile entſpringenden Pflichten zur Folge,
ſo daß der klagende Dienſtverpflichtete, der die Entlaſſung
nicht gelten laſſen will, dem anderen Teile gegenüber
zu einem dem Dienſtverhältnis entſprechenden Verhalten
verpflichtet bleibt und durch eine Verletzung dieſer Pflicht
dem Gegner möglicherweiſe einen Grund zur nun⸗
mehrigen Aufkündigung des Vertrags gibt; dieſer Fall
iſt alſo weſentlich anders gelagert. Näher liegt der
Vergleich mit der im Eheſcheidungsprozeſſe für die
Parteien beſtehenden Pflicht, bei der Auſſtellung von
Prozeßbehauptungen die Rückſicht auf die Perſon des
Gegners zu wahren und deshalb gewiſſe Grenzen ein⸗
zuhalten, allein auch er verſagt. Denn dieſe Verpflichtung
beruht darauf, daß die Ehe noch beſteht und infolge⸗
deſſen auch die durch ſie begründete Pflicht zur gegen⸗
ſeitigen Rückſichtnahme andauert, während bei Prozeſſen
wegen Schadenserſatzes auf Grund der SS 1298 ff. B.
die Aufhebung des Verlöbniſſes und der Wegfall aller
aus dem Verlöbnis entſpringenden Pflichten voraus
geſetzt iſt. Auf einer Verkennung der Wirkungen des
Rücktritts vom Verlöbnis beruht die Behauptung der
Reviſion, daß der Beklagte noch während des Prozeſſes
ſich hätte zur Heirat entſchließen können, wenn ihm
das nicht durch die von der Klägerin erhobene Be»
ſchuldigung unmöglich gemacht worden wäre. Die
Reviſion geht anſcheinend davon aus, daß es im Bes
lieben des Beklagten geſtanden hätte, durch die Er—
klärung der Bereitwilligkeit zur Eheſchließung die
Klägerin klaglos zu ſtellen. Das iſt unrichtig. Da der
Rücktritt vom Verlöbnis deſſen Aufhebung bewirkt,
kann er nicht durch einſeitige Erklärung des zurück⸗
getretenen Teils ungeſchehen gemacht werden, es bedarf
vielmehr zur Beſeitigung ſeiner Wirkungen eines neuen
Verlöbnisvertrags, der die Willenseinigung beider Teile
vorausſetzt. Ein Recht hierauf ſtand dem Beklagten
nicht zu, es hing vielmehr, wenn er ſich zur Eheſchließung
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
bereit erklärt hätte, noch immer von der freien Ent⸗
ſchließung der Klägerin ab, ob ſie auf dieſes Anerbieten
eingehen wollte, und eine Ablehnung von ihrer Seite
hätte für fie nicht den Berluft des Schadenserſatzanſpruchs
zur Folge gehabt, da ihr nach dem grundloſen Rück⸗
tritte des Beklagten die Eingehung eines neuen Ver⸗
löbniſſes mit ihm nicht ohne weiteres zuzumuten war.
Es kann daher auch keine Rede davon ſein, daß die
Klägerin durch ihr Verhalten ſchuldhafterweiſe dem
Beklagten die Möglichkeit vereitelt hätte, ſich von ſeiner
Erſatzpflicht durch Eingehung eines neuen Verlöbniſſes
mit ihr zu befreien. (Urt. des IV. 3S. vom 5. März
1914, IV 640/13). E.
8359
VI.
1. Das Uebernahmerecht nach 3 1477 Abſ. 2 868.
gehört zum Nachlaß und kaun deshalb von dem Teſta⸗
ments vollſtrecker ausgenbt werden.
. 2. Stellung des Teſtamentsvollſtreckers bei der Ans:
einanderſetzung des Geſamtguts.
3. Das Uebernahmerecht kann ſchon vor der Tilgung
der Seſamtgutsverbindlichkeiten und der Teilung and:
eübt werden, wenn andere Geſamtgutsgegenſtände zur
Iberung zur Verfügung 315 und ihr Erlös zur
Deckung der Geſamtguts verbindlichkeiten ohne Zweiſel
inreicht. Der ee C. hat mit ſeiner Frau, der
eklagten, bis zu feinem Tode in Gütergemeinſchaft
gelebt. In ſeinem Teſtamente hat er auf Grund landes⸗
rechtlicher Vorſchriften die fortgeſetzte Gütergemeinſchaft
ausgeſchloſſen, die Frau auf den Pflichtteil geſetzt, eine
Anzahl Vermächtniſſe angeordnet, das Fräulein R.,
jetzt Frau A., zur Hälfte und ſeine beiden Töchter zu
je einem Vierteil als Vorerben eingeſetzt, auf den Erb⸗
teil der Frau A. die von ihm ins Leben gerufene
C.ſche Kunſtſtiftung, auf die Erbteile der Töchter deren
Nachkommenſchaft als Nacherben berufen und ſchließlich
eine Teſtamentsvollſtreckung angeordnet. Die Teſta⸗
mentsvollſtrecker hat er beauftragt, das Geſamtgut zu
konſtituieren, die Frauenhälfte an die Witwe auszu⸗
antworten, die Pflichtteile auszukehren, die Vermächt⸗
niſſe auszuzahlen und den Reſt des Nachlaſſes dauernd
bis zur Ausantwortung an die Nacherben zu verwalten.
Der Frau A. iſt ein von dem Erblaſſer in die Ehe
eingebrachtes Grundſtück als Vorausvermächtnis zus
gewieſen und dabei beſtimmt, das Grundſtück ſei von
den Teſtamentsvollſtreckern unmittelbar nach dem Tode
des a an die Vermächtnisnehmerin aufzulaſſen,
von jeglicher Beſchwerung aus Nachlaßmitteln freizu⸗
machen, jedoch mit einer auf den Namen der C.ſchen
Erben einzutragenden Hypothek von 200 000 M unter
Vorbehalt des lebenslänglichen Zinsgenuſſes für die
Vermächtnisnehmerin zu belaſten. Die Wilwe C. lehnte
das Verlangen der Teſtamentsvollſtrecker, ihren Anteil
an dem Grundſtück gegen Erſatz der Hälfte des Grund⸗
ſtückswerts auf die Erben zu übertragen, ab, und die
Teſtamentsvollſtrecker haben darauf gegen ſie den Klage⸗
weg beſchritten, indem ſie ihren Anſpruch auf § 1477
Abſ. 2 BGB. ſtützten. Die Beklagte beſtritt die Aktiv:
legitimation der Teſtamentsvollſtrecker zur Geltend⸗
machung des Anſpruchs aus $ 1477 Abſ. 2 BGB. und
wendete ein, der Anſpruch könne zurzeit nicht erhoben
werden, weil die Auseinanderſetzung des Geſamtgutes
noch nicht erfolgt und die Geſamtgutsverbindlichkeiten
noch nicht erfüllt ſeien. Das LG. verurteilte die Be⸗
klagte, den Klägern als den Teſtamentsvollſtreckern des
C. ihren Halbanteil an dem Grundſtücke gegen Zahlung
von 190 000 M abzüglich der halben Beſchwerung zu
übertragen und die alleinige Verfügung der Teſtaments⸗
vollſtrecker über das Grundſtück zu dulden. OL. und
RG. billigten dieſe Entſcheidung.
Aus den Gründen: Zu 1. Das jedem Gatten
beigelegte Recht, gewiſſe zum Geſamtgute gehörende
Gegenſtände bei der Teilung gegen Erſatz des Wertes
— —
zu übernehmen, enthält eine Aenderung der im übrigen
auf die Auseinanderſetzung für anwendbar erklärten |
273
allgemeinen Teilungsgrundſätze; fie wird in den Mo⸗
tiven (Bd. 4 S. 415) durch Rückſichten der Billigkeit
und die beſonderen Verhältniſſe der Gütergemeinſchaft
gerechtfertigt, bei der die Gatten regelmäßig auf eine
dauernde Vereinigung des beiderſeitigen Vermögens
für ihre Lebenszeit rechneten. Daß dieſes Recht kein
höchſtperſönliches, unveräußerliches und unvererbliches
Recht iſt, hat in den Motiven klaren Ausdruck ge⸗
funden. Dort iſt in Ermangelung einer e
ſtehenden Beſtimmung als ſelbſtverſtändlich bezeichnet,
daß das jedem der Gatten beigelegte Recht auch den
etwaigen Rechtsnachfolgern, beſonders den Erben, zu⸗
ſtehe; ein hinreichender Grund für eine entgegengeſetzte
Beſtimmung iſt verneint worden, weil namentlich die
Erben des Ehegatten ein Intereſſe daran haben könnten,
die betreffenden Gegenſtände zu übernehmen und ihrer
Familie zu erhalten (Mot. 4 S. 415). In der Kom⸗
miſſionsberatung wurde beantragt, zu beſtimmen, daß
das Recht nicht auf die Erben übergehe. Dieſer An⸗
trag wurde abgelehnt ans folgenden Erwägungen:
Der Uebergang des Anſpruchs auf Uebernahme ge⸗
wiſſer Gegenftände auf die Erben ſei ſicher überall da
zu billigen, wo Kinder in Frage ſtänden oder An⸗
gehörige der Familie, aus welcher der zu übernehmende
Gegenſtand ſtamme, namentlich weil die Gegenſtände
oft nur für Angehörige Wert hätten, andererſeits es
ſich auch um Grundſtücke uſw. handele, die der
Familie erhalten werden ſollten; aber auch wenn
Nichtverwandte, etwa Erbſchaftskäufer, in Betracht
kämen, ſei kein Grund vorhanden, das Recht auf Ueber⸗
nahme auszuſchließen (Mugdan, Mat. Bd. 4 S. 828).
Hiernach geht aus den Geſetzes materialien zwar hervor,
daß im weſentlichen das Intereſſe des Ehegatten ſelbſt
und ſeiner Familie an der Erhaltung gewiſſer Gegen⸗
ſtände den Geſetzgeber beſtimmt hat, das Uebernahme⸗
recht feſtzuſetzen und ſeine Uebertragung nicht auszu⸗
ſchließen; andererſeits erhellt jedoch mit aller Deut⸗
lichkeit, daß man die Ausübung dieſes Rechtes nicht
auf einen beſtimmten Perſonenkreis beſchränken wollte,
daß es vielmehr auf alle Rechtsnachfolger des Ehe»
gatten ohne Rückſicht auf ein beſtehendes Verwandt⸗
ſchaftsverhältnis hat übergehen und auch außerhalb
der Erbfolge z. B. im Wege des Erbſchaftsverkaufs hat
übertragbar ſein ſollen. Das iſt auch im Geſetze ſelbſt
hinreichend ausgedrückt. Die 88 1474 bis 1477 BGB.
regeln die Art der Auseinanderſetzung für alle Fälle
der Aufhebung der allgemeinen Gütergemeinſchaft und
gelten insbeſondere auch für den im 8 1482 BGB. vor⸗
geſehenen Fall, daß die Gütergemeinſchaft durch den
Tod des einen Ehegatten endigt und die Auseinander-
ſetzung zwiſchen ſeinen Erben und dem überlebenden
Ehegatten erfolgt. Hätte für dieſen Fall etwas Ab⸗
weichendes gelten, namentlich das Uebernahmerecht
des § 1477 Abſ. 2 für die Erben des verſtorbenen
Gatten ausgeſchloſſen ſein ſollen, ſo wäre das durch
eine beſondere Vorſchrift feſtgeſetzt worden, wie es
durch die SS 1478, 1479 für die dort vorgeſehenen be⸗
ſonderen Fälle geſchehen iſt. Dafür ſpricht auch der
§ 1502 BGB.: dort hat das Geſetz für den Fall der
Auseinanderſetzung nach beendeter fortgeſetzter Güter⸗
gemeinſchaft in Abſ. 1 ausdrücklich ausgeſprochen, daß
das dem überlebenden Ehegatten ebendort eingeräumte
bedeutend weitergehende Uebernahmerecht nicht auf die
Erben übergehe, und andererſeits im Abſ. 2 für den
dort vorgeſehenen Fall anerkannt, daß die anteils⸗
berechtigten Abkömmlinge das Uebernahmerecht des
verſtorbenen Gatten nach 8 1477 Abſ. 2 ausüben können.
Iſt hiernach davon auszugehen, daß durch § 1477
Abſ. 2 BGB. kein höchſtperſönliches Recht des Ehegatten
oder ſeiner Erben hat feſtgeſetzt, ſondern dem Anſpruche
auf Auseinanderſetzung bei der allgemeinen Güter⸗
gemeinſchaft eine in gewiſſen Beziehungen von den
allgemeinen Teilungsgrundſätzen abweichende Geſtal⸗
tung ſeines Inhalts hat gegeben werden ſollen, ſo iſt
der Einwand der mangelnden Aktivlegitimation der
274
Teſtamentsvollſtrecker unbegründet. Der Anteil des
Erblaſſers am Geſamtgute gehört nach § 1482 BGB.
zu ſeinem Nachlaſſe, da der Erblaſſer die fortgeſetzte
Gütergemeinſchaft wirkſam ausgeſchloſſen hat. Daraus
ergibt ſich, daß auch der Anſpruch auf Auseinander⸗
ſetzung des Geſamtguts zum Nachlaſſe gehört und dem⸗
gemäß der Verfügung der Teſtamentsvollſtrecker unter⸗
liegt, denen der Erblaſſer die Auseinanderſetzung
zwiſchen den Erben, die Erfüllung der Vermächtniſſe
und die Verwaltung der einzelnen Erbteile während
der Dauer der Vorerbſchaft aufgetragen hat und die
daher in erſter Linie zu allen der Feſtſtellung des
Nachlaßbeſtandes dienenden Maßnahmen als berechtigt
gelten müſſen. Die Teſtamentsvollſtrecker ſind demnach
zur Ausübung aller ſich aus dem Auseinanderſetzungs⸗
anſpruch ergebenden Befugniſſe und mithin auch des
Uebernahmerechts aus § 1477 Abſ. 2 berechtigt. Dies
würde nur dann nicht der Fall ſein, wenn anzunehmen
wäre, daß ſie dieſes Recht nach dem Willen des Erb⸗
laſſers nicht haben ſollen (8 2208 Abſ. 1 BGB.). Ein
derartiges Bedenken gegen die Verfügungsmacht der
Teſtamentsvollſtrecker beſteht indeſſen nicht und würde
insbeſondere auch nicht daraus herzuleiten ſein, daß
die Teſtamentsvollſtrecker die Uebernahme des Grund⸗
tücks aus dem Geſamtgute nur gegen Zahlung des
ertes des Grundſtücks fordern können, fie alſo mög-
licherweiſe Verbindlichkeiten für den Nachlaß eingehen
müſſen. Denn der Auftrag des Erblaſſers zur Er⸗
füllung eines Verſchaffungsvermächtniſſes enthält regel⸗
mäßig auch die nach 8 2207 BGB. wirkſame Ermächti⸗
gung für die Teſtamentsvollſtrecker, die zu dem Er⸗
werbe des Vermächtnisgegenſtandes unumgänglichen
Verpflichtungen für den Nachlaß einzugehen.
Zu 2. Was den zweiten Einwand der Beklagten an⸗
langt, fo hat das OLG. im Anſchluß an die Ausführun⸗
gen in den Motiven (Bd. 4 S. 415) und in dem Urteile
des RG. vom 9. Februar 1910 (Bd. 73 S. 41) ange⸗
nommen, daß die Befugniſſe aus § 1477 Abſ. 2 erſt bei
der Teilung ausgeübt werden können, den Einwand
der Beklagten jedoch zurückgewieſen, weil die Befreiung
des als Vermächtnis ausgeſetzten Grundſtücks vom Mit⸗
eigentum der Beklagten nichts anderes als ein Akt
der Auseinanderſetzung ſei; die Reihenfolge der ein-
zelnen Auseinanderſetzungsakte zu beſtimmen, bleibe
dem Ermeſſen der zur Auseinanderſetzung berufenen
Teſtaments vollſtrecker überlaſſen. Dieſe Ausführungen
des OL G.s find nicht frei von Rechtsirrtum.
Zu beanſtanden iſt zunächſt die Anſicht, daß die
Teſtamentsvollſtrecker zur Vornahme der Auseinander—
ſetzung berufen ſeien, bei der die Ausübung des Ueber—
nahmerechts aus 8 1477 Abſ. 2 in Frage kommt. Durch
den Tod des Erblaſſers iſt eine zweifache Auseinander-
ſetzung notwendig geworden: zunächſt die Auseinander—
ſetzung des Geſamtguts der ehelichen Gütergemeinſchaft
mit dem Ziele, feſtzuſtellen, was von dem Geſamtgute
der Witwe C. und was als Anteil des Erblaſſers dem
Nachlaß zufällt, ſodann die Auseinanderſetzung des
Nachlaſſes mit dem Ziele, die letztwilligen Anord—
nungen des Erblaſſers auszuführen. Für die Ausübung
des Uebernahmerechts aus 8 1477 Abſ. 2 kommt nur
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
die Auseinanderſetzung des Geſamtgutes in Betracht,
die begrifflich der Erbauseinanderſetzung vorausgehen
muß, weil ſich bei ihr erſt ergibt, welche Vermögens—
werte für die Ausführung der letztwilligen Anordnungen
des Erblaſſers zur Verfügung ſtehen. Den Teſtaments—
vollſtreckern liegt kraft ihres Amtes nur die Auseinander—
ſetzung des Nachlaſſes ob (§ 2204 B65 B.), bei der fie
die Anordnungen des Erblaſſers nach pflichtmäßigem
Ermeſſen auszuführen haben, ohne an die Wünſche oder
die Zuſtimmung der Beteiligten gebunden zu ſein
(S 2203 BGB.). Dieſe Machtbefugnis der Teſtaments—
vollſtrecker erſtreckt ſich auf alle Gegenſtände, die auf
Grund der Teilung des Geſamtgutes zur Nachlaßmaſſe
fließen. Dagegen iſt die Stellung, welche die Teſta—
ſamtgutes einnehmen, weſentlich beſchränkter. Sie haben
hierbei nur inſoweit mitzuwirken, als der Nachlaß am
Geſamtgute beteiligt iſt. Die Auseinanderſetzung ſelbſt
können ſie nicht nach eigenem Ermeſſen, ſondern nur
in Gemeinſchaft mit der Beklagten vornehmen, die als
Teilhaberin am Geſamtgute ihnen ſelbſtändig und
gleichberechtigt gegenüberſteht und in dieſer Eigenſchaft
in ihren Rechten durch die Anordnung der Teſtaments⸗
vollſtreckung nicht beſchränkt iſt. Der Erblaſſer hat
zwar anſcheinend den Vollſtreckern auch die Feſtſtellung
und Teilung des Geſamtgutes übertragen wollen. Dieſe
Anordnung vermag aber der Beklagten gegenüber keine
Wirkſamkeit zu äußern, da deren Anteil am Geſamt⸗
gute nicht zum Nachlaſſe des Erblaſſers gehört, auf
den allein ſich ſeine Befugnis zum Erlaſſe letztwilliger
Anordnungen erſtreckt hat. Es iſt alſo nicht richtig,
daß die Teſtamentsvollſtrecker, wie das OSG. annimmt,
zur Bewirkung der für das Uebernahmerecht des 8 1477
Abſ. 2 BGB. in Betracht kommenden Auseinander⸗
ſetzung berufen ſeien. Daraus ergibt ſich aber ferner
die Unhaltbarkeit der Anſicht, daß die Teſtamentsvoll⸗
ſtrecker bei dieſer Auseinanderſetzung die Reihenfolge
der einzelnen Akte beſtimmen könnten. Sie haben auch
in dieſer Hinſicht der Beklagten gegenüber keine weiter⸗
gehenden Befugniſſe, als ſie die Erben hätten, wenn
keine Teſtamentsvollſtreckung ſtattfände. Sind hiernach
auch die Gründe nicht zu billigen, aus denen das Os.
die Vorausſetzungen für die Geltendmachung des Ueber⸗
nahmerechts als gegeben angeſehen hat, ſo iſt doch die
Entſcheidung auch in dieſer Beziehung im Ergebnis
nicht zu beanſtanden.
Zu 3. Das Recht, die Auseinanderſetzung zu be⸗
treiben, ſteht nach der Aufhebung der Gütergemeinſchaft
jedem Teilhaber zu. Die Teſtamentsvollſtrecker waren
daher ſofort nach ihrem Amtsantritt dazu berechtigt. Der
Regel nach iſt bei der Auseinanderſetzung derart zu ver—
fahren, daß zunächſt die Geſamtgutsverbindlichkeiten
getilgt werden und hierfür das Geſamtgut, ſoweit er⸗
forderlich, in Geld umgeſetzt wird, daß der darnach
verbleibende Ueberſchuß verteilt und dabei etwa geltend
gemachte Rechte auf Uebernahme einzelner Gegenſtände
berückſichtigt werden (SS 1475, 1476 388.) Wenn
hiernach auch, wie in dem Urteile des RG. vom 9 Fe⸗
bruar 1910 (Bd. 73 S. 41) näher dargelegt iſt, das
Uebernahmerecht nur an dem nach der Berichtigung
der Geſamtgutsverbindlichkeiten verbleibenden Ueber⸗
ſchuſſe geltend gemacht werden darf, fo müſſen doch
andererſeits nicht unbedingt ſämtliche Geſamtgutsver—
bindlichkeiten bereits tatſächlich getilgt ſein. Das Geſetz
erkennt ſelbſt an, daß die Teilung nicht notwendig die
Erfüllung ſämtlicher Geſamtgutsverbindlichkeiten vors
ausſetzt, indem es im 8 1475 Abſ. 1 Satz 2 bei dem
Vorhandenſein ſtreitiger oder noch nicht fälliger Ge⸗
ſamtgutsverbindlichkeiten die Zurückbehaltung des zur
Berichtigung Erforderlichen vorſchreibt und damit für
genügend erklärt. Die Ausübung des Uebernahme⸗
rechts iſt hiernach »zuläſſig, wenn zweifelsfrei feſtſteht,
daß der nach der Ausſcheidung der zu übernehmenden
Gegenſtände verbleibende Teil des Geſamtgutes zur
Berichtigung aller Geſamtgutsverbindlichkeiten aus»
reicht, daß es mithin zur Schuldentilgung nicht der
Verſilberung der Gegenſtände bedarf, deren Heraus—
gabe ein Teilhaber auf Grund des $ 1477 Abf. 2 ver⸗
langt. Der andere Teil iſt nicht berechtigt, dieſem
Verlangen mit der Begründung entgegenzutreten, daß
er gerade die Verſilberung dieſer Gegenſtände zur Be
ſchaffung der zur Schuldentilgung nötigen Barmittel
beanſpruche. Das Recht des Teilhabers, die Verſtei⸗
gerung der zum Geſamtgute gehörenden Gegenſtände
zu betreiben, reicht dem Uebernahmerechte des anderen
Teilhabers gegenüber nur ſoweit, als die Verſilberung
des Geſamtguts für die Tilgung der Geſamtgutsver—
bindlichkeiten erforderlich iſt (8 1475 Abſ. 3 BGB.).
und das iſt inſoweit nicht der Fall, als andere Geſamt—
mentsvollſtrecker bei der Auseinanderſetzung des Ge: |, gutsgegenſtände zur Verſilberung zur Verfügung ſtehen.
1 Senat hält demnach an ſeiner in dem Urteile vom
2. November 1911 (IV. 59. 11) ausgeſprochenen Anſicht
feſt, daß das Uebernahmerecht dem Rechte des anderen
Teilhabers, die i zu betreiben, nicht nach⸗
zuſtehen hat. Es gibt keine Vorſchrift, daß das Ueber⸗
nahmerecht erſt bei dem Abſchluſſe der Teilung aus⸗
geübt werden könne; die Ausübung dieſes Rechtes, die
nur gegen Erſatz des Wertes der Uebernahmeſtücke zur
Teilungsmaſſe geſchehen kann, dient vielmehr in
gleicher Weiſe wie ein teilungshalber vorgenommener
Verkauf der Vorbereitung der endgültigen Teilung
und kann daher dieſer vorausgehen. Den eigentlichen
Gegenſtand der Teilung bildet nicht das Uebernahme⸗
ſtück, ſondern der für feine Uebernahme an die Teilungs⸗
maſſe zu entrichtende Preis. Sobald die Voraus⸗
ſetzungen vorliegen, unter denen nach den SS 1475,
1476 BGB. zu einer Teilung unter die Teilhaber am
Geſamtgut geſchritten werden darf, kann auch die Aus⸗
antwortung der im 8 1477 Abſ. 2 bezeichneten Gegen⸗
ſtände an den Uebernahmeberechtigten gegen Erſatz des
Wertes gefordert werden. Ob die Beklagte zur Auf⸗
laſſung ihres Anteils gegen die Auszahlung des hal⸗
ben Wertes des Grundſtücks an ſie verpflichtet geweſen
wäre oder Zahlung des vollen Wertes in die Teilungs⸗
maſſe hätte beanſpruchen können, braucht nicht ent⸗
ſchieden zu werden, weil in eh, Hinſicht kein Einwand
und insbeſondere in der Reviſionsinſtanz keine Rüge
erhoben iſt. (Urt. des IV. ZS. vom 2. März 1914, VI
635/1913). E.
*
B. Strafſachen.
I.
Kann ein dentſches Gericht einen Deutſchen be⸗
ſtrafen, der von der Schweiz aus nach Oeſterreich Saccharin
A 61 Kar Dentſchland zu berühren? (S 17
Zoll K. v. 6. Dez. 1891). Die Frage iſt vom LG. ver»
neint a Die Reviſion des StA. wurde verworfen.
Aus den Gründen: Es iſt zuzugeben, daß der
Wortlaut des Zollkartells vom 6. Dez. 1891 die Aus⸗
legung des Staatsanwalts zuläßt; aber er zwingt
doch nicht dazu, und der Zweck des Geſetzes und die
Entſtehungsgeſchichte ſprechen dafür, daß es ſich nur
auf die im Grenzverkehr zwiſchen den Vertragsſtaaten
begangenen Zolldelikte bezieht. Der Handels» und
Zollvertrag v. 6. Dez. 1891, deſſen Art. 10 die Grund⸗
lage für das Zollkartell bildet, iſt geſchloſſen worden,
um die Handels- und Verkehrsbeziehungen zwiſchen
den Vertragsſtaaten inniger zu geſtalten und zu dem
Zwecke, eine feſte Grundlage für die Förderung des
gegenſeitigen Austauſches von Boden- und Induſtrie⸗
erzeugniſſen zu ſchaffen, zugleich auch geeignete An-
knüpfungspunkte für die Regelung der beiderſeitigen
Handelsbeziehungen zu anderen Staaten zu gewähren.
Sicher liegen danach die in Art. 10 wegen Verhütung
und Beſtrafung des Schleichhandels nach oder aus den
Gebieten der Vertragsſtaaten getroffenen Beſtimmun—
gen im Rahmen des Vertrages, ſoweit der Schleich—
handel zwiſchen den beiden Vertragsſtaaten ſtattfindet;
dagegen kann nicht zweifelhaft fein, daß die Vertrags:
ſchließenden nach dem Zwecke des Vertrags den Schleich»
handel zwiſchen einem der Vertragsſtaaten und einem
dritten Staate nicht im Auge gehabt haben. Auch die
Entſtehungsgeſchichte ſpricht dafür, daß die Beſtim—
mungen ſich nicht auf den Schleichhandel beziehen,
der von einem dritten Staate aus nach einem der
Vertragsſtaaten betrieben wird. Sie bilden den Schluß
einer Kette gleichartiger Beſtimmungen, die durch die
Deutſch⸗Oeſterreichiſchen Handels- und Zollverträge v.
23. Mai 1881 und 16. Dez. 1878, die Verträge der
Zollvereins⸗Staaten mit Oeſterreich v. 9. März 1868
und 11. April 1865 und die zugehörigen Zollkartelle
hindurch bis zum Preußiſch-Oeſterreichiſchen Handels—
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|
ı
275
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und Zollvertrag und Zollkartell v. 19. Februar 1853
zurückreicht. Die Beſtimmungen des letzteren Vertrages
ſind als Vorbild der jetzt geltenden, mit denen ſie
wörtlich übereinſtimmen, und ſie beziehen ſich ſicher
nicht auf den Schleichhandel, der von einem dritten
Staate aus nach den Vertragsſtaaten betrieben wird.
Das ergibt deutlich die Denkſchrift, die der II. Kammer
des Preuß. Landtages mit dem Vertrage vorgelegt
wurde. (Druckſ. der II. Kammer 1. Seſſ. 3. Leg.⸗Per.
1852/53 Nr. 195). Dort wird im Eingange auf den
lebhaften unmittelbaren Verkehr Preußens mit Oeſter⸗
reich verwieſen und auf die ausgedehnten Grenzſtrecken,
an denen die Gebiete einander berühren, ſowie darauf,
daß nach Gründung des Zollvereins das Bedürfnis
möglichſter Förderung der Verkehrsverhältniſſe zwiſchen
dem Zollverein und Oeſterreich um ſo fühlbarer werde,
je mehr die Grenzen an Ausdehnung zugenommen hätten.
Wenn dann S. 5 das nach Maßgabe des Art. 10 des
Vertrages abgeſchloſſene Zollkartell als eine durch die
eigentümlichen Verhältniſſe der beiderſeitigen Grenzen
gebotene Maßregel bezeichnet wird, ſo kann nicht
zweifelhaft ſein, daß hier ebenſo wie im Eingang die
Grenzen zwiſchen den beiden Vertragsſtaaten gemeint
ſind, und daraus ergibt ſich, daß das Zollkartell nur
gegen den Schleichhandel zwiſchen den Vertragsſtaaten
gerichtet iſt und daß ſich ſeine Beſtimmungen auf den
Schleichhandel zwiſchen einem von ihnen und einem
dritten Staat nicht beziehen. Daß die ſpäteren Ver⸗
träge daran etwas hätten ändern wollen, tritt nir⸗
gends hervor, und deshalb iſt bei dem inneren Zu⸗
ſammenhange aller dieſer Verträge anzunehmen, daß
auch das letzte Zollkartell v. 6. Dez. 1891 nur zur Be⸗
kämpfung des Schleichhandels zwiſchen Deutſchland
und Oeſterreich⸗Ungarn gejätoffen ift und deſſen $ 17
ſich nur darauf bezieht, nicht aber auf ſolche Vergehen
gegen die Zollgeſetze, die im Verkehre zwiſchen einem
der beiden Vertragsſtaaten und einem dritten Staate
begangen worden ſind. Ueber dieſe Auslegung der
Zollkartelle haben ſich denn auch nach einer Mitteilung
des Reichsjuſtizamts die beteiligten Regierungen im
Frühjahre 1913 verſtändigt. (Urt. des I. StS. vom
14. Mai 1914, 1 D 950/13). H.
3393
II.
§ 181 Nr. 3 StB. iſt auch daun anwendbar,
wenn ein beim Beiſchlaf zu benützender Gegenſtand
nur verheirateten Perſonen angeboten worden iſt.
Zum Begriffe der Ankündigung oder Aupreiſung
gegenüber dem „Publikum“. Aus den Gründen:
Für die Frage, ob ein Gegenſtand zu unzüchtigem
Gebrauch beſtimmt iſt, kommt es nicht darauf an,
ob er im Einzelfall unter ſolchen Umſtänden ange=
boten und angeprieſen wird, daß ſeine Verwendung
zu unzüchtigem Gebrauch, insbeſondere zu einem ſolchen
bei außerehelichem Geſchlechtsverkehr als ausgeſchloſſen
gelten kann. Entſcheidend iſt vielmehr, ob der Gegen⸗
ſtand feiner äußeren Beſchaffenheit und Zweckbeſtimmung
nach ſich zu unzüchtigem Gebrauch eignet und erfahrungs—
gemäß auch tatſächlich dazu verwendet wird. Gegen⸗
ſtände, die beſtimmungsgemäß beim Beiſchlaf gebraucht
werden, gehören deshalb ſtets zu den im Geſetz ge-
nannten, weil fie auch bei dem außerehelichen Geſchlechts-
verkehr benützt werden können und werden. Präſer—
vativs, Peſſare und ſonſtige Schutzmittel, die häufig
und vorzugsweiſe bei dem außerehelichen Geſchlechts—
verkehr Verwendung finden, ſind unbedenklich zu dieſen
Gegenſtänden zu zählen; gegen ihre Ankündigung und
Anpreiſung wollte ſich gerade das Geſetz in erſter Linie
wenden, weil das Hervortreten ſolcher Ankündigungen
in der Oeffentlichkeit und zumal in der Preſſe als ein
beſonders läſtiger Mißſtand empfunden wurde. Des—
halb iſt es rechtsirrig, wenn im Urteil darauf Gewicht
gelegt iſt, daß die Angeklagten ſich mit ihren An—
geboten nur an verheiratete Leute wendeten; dieſer
276
Umſtand iſt für den äußeren wie den inneren Tat⸗
beſtand des Vergehens ohne Bedeutung.
Auch der Begriff des „Publikums“ iſt im Urteil
verkannt. Wenn die Angeklagten, wie es den Anſchein
Dat, die Frauen, denen fie die „Ware anprieſen“, ſich
arnach auswählten, ob ſie geboren hatten, alſo dar⸗
nach, ob bei ihnen ein Bedarf zu vermuten ſtand, ſo
ſind ſie mit ihren Angeboten und Anpreiſungen an
Perſonen herangetreten, die weder zu ihnen noch unter
einander in ſolchen perſönlichen oder ſonſtigen Be⸗
on ftanden, daß fie als abgeſchloſſener Perſonen⸗
kreis gelten könnten. Die Angeklagten haben nicht
einmal einen beſtimmten feſten Abnehmerkreis auf⸗
geſucht, ſondern ihre Ware erſichtlich da feilgeboten
und angeprieſen, wo ſie auf Abſatz hoffen durften. Sie
haben alſo die von ihnen einzeln aufgeſuchten Frauen
als einen durch keinerlei Sonderbeziehungen abgegrenzten
und ausgeſchiedenen Teil der Allgemeinheit mit ihren
Anpreiſungen angegangen. Wenn tatſächlich bis zur
Einleitung der Strafverfolgung nur ganz wenigen
Frauen gegenüber die Anpreiſung erfolgt war, ſo
ſchließt das nicht aus, daß die Anpreiſungen ſich an
das Publikum richteten. Denn dazu iſt keineswegs
erforderlich, daß bereits einer größeren Anzahl von
Perſonen gegenüber die Anpreiſung erfolgt iſt, noch
weniger, daß die Anpreiſung als einheitliche Kund⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
gebung ſich an eine größere Anzahl räumlich vereinter
Perſonen, an eine verfammelte Menge richtet oder daß
die Kundgebung durch eine und dieſelbe Aeußerung oder
mittels einer einzigen Verbreitungshandlung für eine
größere ihrer Menge nach unbeſtimmte Anzahl von
im einzelnen unbekannten Perſonen erfolgt, wie
es bei der Verbreitung von Druckſchriften, die für die
Menge berechnet ſind, oder bei der Verbreitung von
er zutrifft. Mag auch die Strafbeſtimmung
auptſächlich dieſe Art Der öffentlichen Bekanntmachung
der Anpreiſungen und Ankündigungen zu unterdrücken
beabſichtigt haben, ſo trifft doch das Geſetz, wenn
es ganz allgemein Ankündigungen und Anpreiſungen
dem „Publikum“ gegenüber verbietet, auch auf den
zu, der bei gewerbsmäßigem Vertrieb eines der im
Geſetz genannten Gegenſtände an beliebige Perſonen
mit ſeinen Anpreiſungen in der Abſicht herantritt,
eine unbeſtimmte Mehrheit von Perſonen nacheinander
einzeln aufzuſuchen und ihnen mündlich oder durch
Uebergabe von Druckſchriften ſeine Ware anzupreiſen.
Sein Vergehen iſt vollendet, ohne Rückſicht auf die
höhere oder geringere Anzahl der Perſonen, denen
gegenüber eine Anpreiſung bereits ſtattgehabt hat,
ſobald er auch nur an einzelnen Stellen ohne beſondere
Beziehungen durch Anpreiſung Käuſer zu gewinnen
verſucht hat. (Urt. des I. StS. vom 23. März 1914,
1 D 1355/13). E.
3378
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
J.
Kann ein Proknriſt einer Aktiengeſellſchaft bei der
Anmeldung der Erteilung einer Prolura zum Handels⸗
regiſter mitwirken? (8 53 HGB.). Aus den Gründen:
Nach 8 53 HGB. ift die Erteilung der Prokura von
dem Inhaber des Handelsgeſchäfts zur Eintragung an—
zumelden. Bei einer Aktiengeſellſchaft iſt Inhaber die
Geſellſchaft, ſie wird vertreten durch den Vorſtand.
Ob die Anmeldung eine Pflicht der Geſellſchaft oder
des Vorſtands als ſolchen iſt, läßt die Faſſung des
853 offen. Iſt fie eine Pflicht der Geſellſchaft, fo
kann ſie nicht nur durch den Vorſtand allein, ſondern
auch durch Prokuriſten erfullt werden, ſoweit die rechts-
geſchäftliche Vertretung der Geſellſchaft nach 8 232
HGB. durch Prokuriſten möglich iſt. Iſt ſie dagegen
— — — — ———— —6—ͤͤ ͤ˙Üu'k'k!,l/ÿvuvuuu kx —[ñẽök!Cöäök 1ʃͥͤñ ĩ7 — — —
eine Pflicht des Vorſtandes als ſolchen, ſo iſt eine
Vertretung von Vorſtandsmitgliedern durch Prokuriſten
ausgeſchloſſen. Die Frage iſt im letzteren Sinne zu
entſcheiden. Dies folgt nicht nur aus der Einrichtung
der A.⸗G., wonach der Vorſtand die Geſellſchaft ver⸗
tritt, ſondern auch aus den übrigen Beſtimmungen
des 98. über die Anmeldungen zum Handelsregiſter
bei A.⸗G., welche die Anmeldung durch den Vorſtand
(8$ 234, 244, 265, 277 HGB.), z. T. durch ſämtliche
Vorſtandsmitglieder vorſchreiben (88 195, 201, 2800,
284, 289, 291 HGB.). Dazu kommt, daß die Prokura
bei der A.⸗G. nur vom Vorſtand erteilt werden darf
— allein oder mit Zuſtimmung des Auſſichtsrats
(§ 238 HGB.); die Anmeldung der Prokura iſt zugleich
ein Zeugnis ihrer Erteilung und obliegt deshalb ſach⸗
gemäß dem, dem die Erteilung zukommt. Soweit hier⸗
nach die Anmeldung durch den Vorſtand zu bewirken
iſt, haben ſoviele Vorſtandsmitglieder mitzuwirken.
als ſonſt zur Vertretung erforderlich ſind. Daß die
dem Vorſtande, d. h. den Vorſtandsmitgliedern ob⸗
liegende Pflicht der un rein une iſt, iſt
anerkannt (Obs G. Bd. S. 446; RIA. 9, 240,
OL GRſpr. 22 S. 34 und 27 S. 352). Die Vorgerichte
ſtützen ihre Anſicht auch darauf, daß ein Zwang zu
Anmeldungen nur gegen Mitglieder des Vorſtandes
ausgeübt werden können (88 319, 14 HG8.); hieraus
müſſe gefolgert werden, daß Prokuriſten für die An⸗
meldungen nicht in Betracht kommen, da dieſe in der
Regel nicht ins Belieben der Geſellſchaftsorgane ge⸗
ſtellt, ſondern um der Oeffentlichkeit willen als er⸗
zwingbare Pflichten angeordnet ſind, gegen Prokuriſten
aber kein ſolcher Zwang ausgeübt werden kann. Dem
kann nicht beigetreten werden. Denn die Anmeldung
einer Prokura wird auf Grund des 8 14 HGB. er⸗
zwungen. Dieſer aber bedroht mit Strafe denjenigen,
der „verpflichtet ift, eine Anmeldung ... zum Handels⸗
regiſter vorzunehmen“. Wäre wirklich der Prokuriſt
zur Anmeldung verpflichtet, ſo könnte er auch nach
§ 14 geſtraft werden, wenn er nicht anmeldet. Sit
aber die Anmeldung nur ein Recht des Prokuriſten,
fo kann nur der Vorſtand im Zwangswege zur An:
meldung angehalten werden. Damit iſt aber dem
öffentlichen Intereſſe genügt. Die Erwägung der Vor⸗
gerichte würde nur zutreffen, wenn bei der hier miß⸗
billigten Anſicht überhaupt keine Perſon vorhanden
wäre, die im Falle der Unterlaſſung ſtrafbar wäre.
(Beſchl. des J. 35. vom 22. Mai 1914, Reg. III
Nr. 35/1914). M.
392
II.
Zur Auslegung altrechtlicher Ehe: und Erb verträge.
Am 2. Oktober 1913 iſt in M. der Zimmerpalier
B. H. mit Hinterlaſſung 5 Witwe und von 4 Kindern
geſtorben. Er hatte vor Eingehung der Ehe einen
Ehe⸗ und Erbvertrag geſchloſſen, in dem beſtimmt
worden war: „Brautleute ſchließen allgemeine Güter⸗
gemeinſchaft. Sind auf Ableben eines Teils eines
oder mehrere eheliche Kinder desſelben vorhanden.
fo hat der überlebende Teil denſelben die Hälfte des
bis dahin gemeinſchaftlichen reinen Vermögens als
Vater⸗ bzw. Muttergut auszuzeigen und wird dagegen
Alleineigentümer des übrigen bis dahin gemeinſchaft⸗
lichen Vermögens. Iſt auf Ableben eines Teils ein
eheliches Kind nicht vorhanden, ſo wird der überlebende
Teil Alleineigentümer des geſamten Vermögens, hat
aber an die der geſetzlichen Erbfolgeordnung gemäß
nächſten Verwandten des Vorverſtorbenen einen Rückfall
hinauszuzahlen.“ Das Nachlaßgericht hat dieſe Bes
ſtimmungen dahin ausgelegt, daß ſie keine Erben⸗
einſetzung, ſondern nur eine Teilungsanordnung ent—
halten, daß demgemäß die geſetzliche Erbfolge ein—
zutreten hat, und hat die Ausſtellung eines gemein-
ſchaftlichen Erbſcheins dahin angeordnet, daß B. O.
| auf Grund Geſetzes von feiner Witwe zu und von
feinen 4 Kindern zu je *ıs beerbt worden ſei. Die
Beſchwerde einer Tochter wurde verworfen, ebenſo die
weitere Beſchwerde.
Gründe: Es kann zugegeben werden, daß die
Beſtimmungen des Ehe⸗ und Erbvertrags möglicher⸗
weiſe auch in dem Sinn ausgelegt werden können,
daß der überlebende Eheteil als Alleinerbe eingeſetzt
und mit einem Vermächtnis zugunſten der Kinder be⸗
ſchwert ſein ſoll. Für dieſe Auslegung ſcheint ſogar
der Umſtand zu ſprechen, daß die für den Fall der
unbeerbten Ehe faſt mit den gleichen Worten wie im
Falle der beerbten Ehe getroffene Beſtimmung doch
wohl im Sinne der Einſetzung des überlebenden Ehe⸗
gatten als Alleinerben gedeutet werden muß. Allein
die Auslegung des Beſchwerdegerichts iſt nicht nur
gleichfalls möglich, ſondern ſogar die zutreffendere.
Denn die für die unbeerbte und die für die beerbte
Ehe im Ehe⸗ und Erbvertrage gewählte Ausdrucks⸗
weiſe ſtimmt zwar inſoſern überein, als in beiden
Fällen der überlebende Teil „Alleineigentümer“ des
gemeinſchaftlichen Vermögens werden ſoll. Im übrigen
aber weiſt die Faſſung doch auch Verſchiedenheiten
auf, ſo daß der aus der Gleichartigkeit der Faſſung für
den Fall der beerbten und der unbeerbten Ehe ab⸗
geleitete Beweisgrund nur ſcheinbar iſt. Für den
Fall der unbeerbten Ehe tft beſtimmt, daß der über⸗
lebende Cheteil „Alleineigentümer” des „geſamten“
gemeinſchaftlichen Vermögens werden ſoll, den Ver⸗
wandten des Verſtorbenen aber einen kleinen „Rück⸗
fall“ hinauszuzahlen hat. Das läßt allerdings an⸗
nehmen, daß der überlebende Ehegatte als Alleinerbe
eingeſetzt und nicht auf eine Auseinanderſetzung mit
den geſetzlichen Erben angewieſen werden ſollte. Dar⸗
auf deutet ſchon der Gebrauch des Ausdrucks „Rück⸗
fol”. Für den Fall der beerbten Ehe aber iſt be⸗
ſtimmt, daß ein Teil des Vermögens den Kindern
als „Vater⸗ bzw. Muttergut“ ausgezeigt werden und
der überlebende Teil „dagegen“ Alleineigentümer des
„übrigen“ gemeinſchaftlichen Vermögens fein ſoll.
Er ſoll alſo nur „gegen“ d. h. „nach“ der Auszeigung
des Vater⸗ oder Mutterguts und nur den Reſt als
Alleineigentum erhalten. Dies deutet, zumal Kinder
ihr Vater⸗ oder Muttergut doch regelmäßig als Erben
erhalten werden, darauf hin, daß ſie als ſolche eingeſetzt
ſein ſollen. Im Falle der beerbten Ehe braucht alſo
die Beſtimmung, daß der überlebende Eheteil „Allein⸗
eigentümer“ werden ſoll, nicht notwendig in dem
gleichen Sinn wie bei beerbter Ehe aufgefaßt zu werden.
(Beſchl. des I. ZS. vom 3. April 1914, Reg. III Nr. 21/1914).
3872 M.
III.
Mißbrauch des Fürſorgerechts. (5 1666 BGB.). Aus
der Ehe des J. B. mit M. geb. G. ſind drei Kinder hervor⸗
gegangen: Mathilde, Luiſe und Ruppert, letzterer geb.
am 15. September 1909. Dieſe wurden in der Familie,
und zwar hauptſächlich von der Mutter erzogen, da
J. B. viel reiſen mußte. Im Jahre 1912 kam es zwiſchen
den Ehegatten zu Zwiſtigkeiten, die dazu führten, daß
J. B. den Sohn R. zu ſeinem Bruder bringen und ſeiner
Frau mitteilen ließ, daß er ſich wegen der Streitig⸗
keiten von ihr trenne und ihr die Wohnung zur Ver-
fügung ſtelle. Maria B. ſtellte an das Vormundſchafts⸗
gericht den Antrag, ihr die Sorge für die Perſon ihres
Sohnes Ruppert zu übertragen. Das Gericht ordnete
an, daß das Kind der Mutter zur Erziehung zu über-
laſſen iſt. Das Landgericht wies die Beſchwerde des J. B.
zurück; auch deſſen weitere Beſchwerde wurde zurück⸗
gewieſen.
Gründe: Während der Ehe ſteht die Sorge für
die Perſon eines der Ehe entſtammenden minder—
jährigen Kindes nach den SS 1626, 1627, 1634 BGB.
beiden Elternteilen zu; bei einer Meinungsverſchieden—
0 zwiſchen den Eltern geht jedoch die Meinung des
aters vor. Eine Verletzung des Rechtes des einen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 277
Elternteils durch den anderen kann gegen dieſen nur im
Wege des Rechtsſtreites geltend gemacht werden. Wird
aber das geiſtige oder leibliche Wohl des Kindes da⸗
durch gefährdet, daß der Vater das Recht der Sorge
für die Perſon des Kindes mißbraucht, ſo hat das
Vormundſchaftsgericht nach 8 1666 BGB. die zur
Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßregeln zu
treffen. Die Vorgerichte haben übereinſtimmend
einen Mißbrauch des Fürforgerechts des Vaters und
eine Gefährdung des Kindes darin gefunden, daß der
Beſchwerdeführer dieſes damals noch nicht vier Jahre
alte Kind ohne Grund von ſeiner Mutter trennte und
nach O. zu ſeinem Bruder bringen ließ. Die Ge⸗
fährdung konnte darin gefunden werden, daß ein
Kind, das in den erſten Lebensjahren von ſeiner Mutter
getrennt wird, der unerſetzbaren mütterlichen Pflege
und der Mutterliebe entbehrt und der Mutter ent⸗
fremdet wird und daß dadurch ſein geiſtiges Wohl
beeinträchtigt wird. Ebenſo zutreffend konnte der
Mißbrauch des Fürſorgerechts daraus abgeleitet werden,
daß der Beſchwerdeführer unter Ueberſchreitung ſeines
Rechtes, den Aufenthalt des Kindes zu beſtimmen,
das Kind völlig von der Mutter trennte, unbekümmert
um das Mitbeſtimmungsrecht der Mutter und obwohl
ihm die nachteiligen Folgen ſeiner Anordnung für
das Kind zum Bewußtſein kommen mußten. (Beſchl.
d. I. 3S. vom 21. Februar 1914, Reg. III Nr. 9/1914).
3371 M.
B. Strafſachen.
1
Verhältnis zwiſchen Forſtberechtigungen und forſt⸗
polizeilichen Borfchriften in der Pfalz. In einem Rechts⸗
ſtreite der Gemeinde W. gegen den Staat und die Stadt⸗
gemeinde D. hat das LG. am 29. April 1910 u. a. erkannt,
daß folgende von der Gemeinde W. am L.er Walde be⸗
anſpruchten Rechte beſtehen: „... das Recht Brenn⸗
holz, worunter auch dürre Stämme, Ab⸗ und Gipfelholz
begriffen ſind, zu beziehen und zwar, ſoweit es forſt⸗
mäßig gewonnen werden kann, nach forſtmäßiger Auf⸗
machung durch die zuſtändigen Behörden und gegen
Erſatz der Fabrikationskoſten.“ Das Urteil jſt ange⸗
fochten; das Verfahren ruht zurzeit. Zwei Bürger
von W. haben im L.'er Walde je eine ſtehende dürre
Kiefer gefällt. Ein dritter hat von einer ſtehenden
dürren Buche Scheitholzanbruch an ſich genommen, das
er mit der Säge gewonnen hatte. Das Forſtrüͤgegericht
hat die drei von der Anklage wegen je einer Ueber⸗
tretung nach Art. 19 Pfälz Forſt StG. ee e
Das LG. verurteilte dagegen. Es unterſtellt hiebei
die Forſtberechtigungen der Angeklagten als gegeben,
verneint aber die Befugnis zur uneingeſchränkten Aus⸗
übung und erklärt die Angeklagten an die Befolgung
der forſtpolizeilichen Beſtimmungen gebunden, und zwar
kraft des Art. 9 PfälzForſt St. Als maßgebendes
ForſtG. wird, abgeſehen von 8 23 Abſ. 4 des Regulativs
des Generalgouverneurs vom 18. Mai 1814, das auch
die Waldberechtigten auf die Regeln der Holzzucht und
eines regelmäßigen forſtwirtſchaftlichen Betriebes ver⸗
weiſt, der Tit. XXVII Art. 33 der ordonnance des eaux
et des forets von 1669 erachtet, demzufolge es dem
Forſtberechtigten ungeachtet aller entgegenſtehenden
Titel, Beſchlüſſe und Privilegien nicht geſtattet iſt,
ſtehendes grünes und dürres Holz eigenmächtig abzu⸗
hauen und ſich anzueignen. Ein Angeklagter hatte
früher durch Berufung auf den Zivilprozeß einen Be⸗
ſchluß auf Ausſetzung des Verfahrens nach Art. 75
Pfälz Forſt StG. erwirkt: das LG. hat jedoch ſpäter
das Urteil gleichwohl erlaſſen, weil ihm die Aufhebung
jenes Beſchluſſes jederzeit freiſtehe, und ausgeführt,
daß für Abſ. 1 des Art. 75 kein Raum ſei. Die Re⸗
viſionen wurden verworfen.
278
Aus den Gründen: Grundlegend find: die
Geltung der franzöſiſchen Ordonnance du mois d’aoüt
1669 pour les eaux et les forcts für die bayeriſche Pfalz,
die Bedeutung des hier in Tit. 27 Art. 33 enthaltenen
Grundſatzes und deſſen Stellung im heutigen Rechts⸗
ſyſtem. Die angeführte Stelle lautet: „Abrogeons
les permissions et droits de feu, loges et toutes délivrances
d'arbres, perches, mort-bois, sec et vert en état, sans
qu'il soit permis à aucuns usagers, de telle condition
qu'ils soient, d'en prendre ou faire couper, et d'en enlever
autre que gisant, nonobstant tous titres, arrè ts et privileges
contraires, qui demeureront nuls et r&voqu6s; A peine
contre les contrevenants d’amende, restitution . . . et
de privation de droit d’usage.“
1. Die formelle Geltung der zur Zeit der Republik
in den ſog. 4 neuen Departements eingeführten Teile
jenes Geſetzeswerkes iſt unbeſtritten (vgl. insbeſondere
Serini, Chronolog. Zuſammenſtellung der während der
proviſoriſchen franzöſiſchen Verwaltung in den deutſchen
Rheinlanden publizierten ältern franzöſiſchen Geſetze,
S. 120; Schwarz, Die Forſtberechtigungen in den ehe⸗
maligen 4 Departements uſw., SS 41 ff., 142, 192). Die
Generalkommiſſäre der Republik, deren erſter, Rudler,
mit Erlaß vom 1. Therm. IV die einſchlägigen Titel der
Ordonnanz eingeführt hat, ſtanden jenen eroberten und
regierten Bezirken als eine Art Zivildiktatoren vor;
die ſtaatsrechtlichen Gründe dafür, daß ſie, vom voll⸗
ziehenden Direktorium ermächtigt, die geſetzgebende
Gewalt befugt und wirkſam ausgeübt haben, ſind in
den Gründen die Zivilurteils vom 29. April 1910 ein⸗
gehend und zutreffend dargelegt (ogl. Serini a. a. O.
S. 24 Anm. * Schwarz S. 17 Anm. 2). Bei Serini
iſt ferner nachgewieſen, daß und wann die forſtpolizei⸗
lichen Beſtimmungen der Ordonnanz unter dem Titel
„Verwaltungsordnung“ oder auch „dispositions rela-
tives à la police“ in den 4 Departements veröffentlicht
und beſonders für das Donnersberg-Departement ein⸗
regiſtriert worden ſind (Serini S. 76 Nr. 79, vgl. S. 66,
67, 120). Daß die ſo eingeführten franzöſiſchen Geſetze
und Verordnungen nach der endgültigen Abtretung
des linken Rheinufers an Frankreich im Frieden von
Zuneville (9. Februar 1801) aufrecht erhalten blieben,
kann nicht deshalb in Zweifel gezogen werden, weil
der Beſchluß des corps legislatif vom 28. Ventöse IX
(9. März 1801), der jenen Friedensvertrag zum Geſetz
der Republik erhebt, in Art. III nur beſtimmt, daß die
Geſetze der Republik in den neuen Gebieten nur nach
dem Ermeſſen der Regierung und verordnungsweiſe
eingeführt werden ſollen; denn es wiederholt ſich hierin
nur die Methode, die der ſeinerzeitigen Inſtruktion für
Rudler zugrunde liegt, übertragen auf die Zentral—
ewalt der Republik; dies führt zu der Annahme, daß
Frankreich ſelbſtverſtändlich ohne weiteres aufrecht er—
halten wollte, was ſeine Statthalter während der ihnen
übertragenen „Pazifizierung“ der eroberten Provinzen
an Geſetzen uff., ihrer Vollmacht gemäß, eingeführt
hatten. Wegen Aufrechthaltung der Ordonnanz in der
Pfalz unter Napoleon vgl. deſſen Dekret vom 19. Juli
1810 bei Schwarz Bd. I S. 107.
Nach der Zurückeroberung der Rheinlande durch
die Alliierten hat zunächſt der Generalgouverneur Gruner
durch die VO. vom 25. Januar 6. Februar 1814, die
Waldungen betr., die franzöſiſchen Forſtgeſetze in Kraſt
erhalten; wenn noch im gleichen Jahre durch die für die
Pfalz beſtellte öſterreichiſch-bayriſche gemeinſchaftliche
Landes-Adminiſtrationskommiſſion, die bisher üblichen
franzöſiſchen Forſtſtrafgeſetze“ unter beſonderer Er—
wähnung der „betreffenden Art. der Ordonnance von
1669“ aufgehoben wurden, fo geſchah dies nach dem
Inhalt der maßgebenden BD. vom 30. Juli (publ.
14. Auguſt 1814), die Verfolgung und Beſtrafung der
Forſtfrevel betr., nur deshalb und nur inſoweit, als
hier das Forſtſtrafweſen neu geregelt wurde. Hier
kommt in Betracht, daß die Ordonnanz allenthalben
Strafandrohungen und daneben in Tit. 32 ein ganzes
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‘
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
Straſenſyſtem enthält; bei derlei Beſtimmungen galt nun
offenbar jene, durch die übermäßige Strenge der Strafen
gerechtfertigte Aufhebung (vgl. Ritzmann, ForjtSt®.
1901, S. 4), während an die Beſeitigung der forſt⸗
polizeilichen Normen der Ordonnanz niemand gedacht
hat. Die aufgehobene Strafſanktion erſetzten die neuen
Forſt StG. der Pfalz (1814, 1822, 1831, 1846, 1879, 1895.
Forſtpolizeiübertretungen i. S. des rechtsrh. Forli®.
haben dieſe Geſetze freilich nie gekannt, wenn auch das
rev. Forſt St. in Art. 6 und 58 ihrer gedenkt; nach
Ritzmann (Handbuch S. 6) können nur der Waldeigen⸗
tümer und die von ihm zu Vertretenden ſolche begehen;
ihr Tatbeſtand iſt aber den verſchiedenen älteren und
neueren Beſtimmungen außerhalb des Forſt Std. zu
entnehmen, darunter auch denen der Ordonnanz. Dieſe
„Beſtimmungen der Forſtgeſetze“ find es, welche Art. I
Forſt Stg. im Auge hat, der beſonders den Forſt⸗
berechtigten angeht.
2. Die Ordonnanz von 1669 gliedert ſich in einen
Tb
betriebstechniſchen Teil; auf den 2. und 3. Art. ihrer
Normen beziehen ſich vorzugsweiſe die Erlaſſe der
republikaniſchen Machthaber für die 4. Departements;
der 27. Tit., um den es ſich hier handelt, iſt ſchon nach
feiner Ueberſchrift „de police et conservation des foréts.
eaux etc.“ ein reines Polizeigeſetz. Der erſte Zweck
des Art. 33 Tit. 27 war unverkennbar der, mit den
Mißbräuchen aufzuräumen, die zurzeit Ludwigs XIV.
in den franzöſiſchen Wäldern um ſich gegriffen hatten;
ſo mit den Feuern im Walde, den Waldhütten und
vorzüglich mit gewiſſen Holzabgaben. Unter dieſen
Abgaben ſind hauptſächlich die willkürlichen, die auf
Gunſt und Gnade der Beamten beruhenden gemeint,
daß „titulierte“ Forſtberechtigungen nicht abgeſchafft
werden ſollten, beweiſt der von dieſen handelnde, mit
„sans que“ eingeleitete Teil des Art. 33, der den „usagers“
aller Stände nur die Wegnahme und zwar — nachſtetiger
Auslegung — die eigenmächtige Wegnahme der vorher
beſchriebenen Walderzeugniſſe bei Strafe verbietet; das
letzte der in der Strafandrohung aufgezählten Straf:
mittel, „Verluſt der Forſtberechtigung“ hätte nicht an⸗
gedroht werden können, wenn die vor 1669 entſtandenen
Forſtberechtigungen als ſolche allgemein aufgehoben
worden wären. Die Auslegung, wonach ſich das
Geſetz gegen die Eigenmacht der Rechtler, namentlich
gegen die ſog. Selbſtfabrikation richtet, bezeugen
Schwarz SS 41, 42 und Ritzmann S. 37, erſterer
unter Anführung pfälziſcher Urteile aus den Jahren
1855 und 1862. Aus dieſen Erkenntniſſen erhellt abermals,
daß die Ordonnanz als Forſtpolizeigeſetz der öffentlichen
Ordnung angehört, deshalb jede frühere, entgegen»
ſtehende Art der Ausübung von Walddienſtbarkeiten
aufhebt und auch jedem neuen Verſuche einer derartigen
Ausübung entgegenſteht.
Unrichtig iſt die Aufſtellung der Reviſion, als habe
das arrete vom 29. Nivöse IX (Genfommt. Jollivet;
Schwarz I S. 93) die Verkündigung der Ordonnanz
rückgängig gemacht. Dieſer Erlaß erwähnt eigens
deren Einführung durch das regl. v. 1. Therm. VI; er
weiſt zwar auf die vor dieſem Tage, ja ſchon vor 1669
geltenden deutſchen Geſetze hin, ſchafft aber nicht die
Ordonnanz in ihren im Rheinland eingeführten Ber
ſtimmungen ab, ſondern vielmehr jenes franzöſiſche
Geſetz vom 28. Auguſt 1792 „sur les biens communaux“,
deſſen unüberlegte Einführung in Frankreich die Wald»
verwüſtung gefördert hatte und das deshalb in der
franzöſiſchen Rechtſprechung bald wieder durch die An⸗
wendung der in Frankreich formell aufgehobenen Or—
donnance von 1609 erſetzt wurde. Die privatrechtlichen
Reſtitutionen aber, die Art. 2 des Arr. vom 29. Niv.
anordnet, berühren keinesfalls die forſtpolizeilichen Bes
ſtimmungen der Ordonnanz. Das gleiche gilt von
der Aufrechterhaltung der nachweislichen Forſtrechte,
welche das von der Reviſion ebenfalls herangezogene,
arrete vom 17. Ventöse X anerkennt; auch hier findet
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
ſich in Art. I der Vorbehalt, daß die Ausübung jener
Berechtigungen den Regeln des aménagement — der
Forſtwirtſchaft — unterworfen bleibe. Vgl. noch über
Aufrechterhaltung der Ordonnanz (Tit. 19) das Arrete
vom 9. Prair. X (Schwarz S. 99). Das Forſtregulativ
des Generalgouverneurs Gruner vom 28. Mai 1814
(ABl. S. 85) enthält in 823 allerdings zunächſt Weiſungen
an die Forſtbehörden in Betreff der Berechtigungen,
wendet ſich aber in dem Schlußſatz mit dem Hinweiſe
auf die Unterordnung ihrer Ausübung unter die Regeln
der Holzzucht und eines regelmäßigen forſtwirtſchaft⸗
lichen Betriebes zweifellos an die Berechtigten ſelbſt.
3. Gehören nach alledem die Verbote der eigen⸗
mächtigen Wegnahme und der Selbſtfabrikation, wie
ſie ſich im Anſchluß an die Ordonnanz und an neuere
Vorſchriften im pfälziſchen Forſtrecht behauptet haben,
dem öffentlichen Rechte an, ſo folgt hieraus, daß die
zivilrechtliche Befugnis beſtimmter Forſtberechtigter
nicht gerade dahin geht, von jenen Verboten frei zu
ſein, alſo ihr Rechtholz ſelbſt auswählen, aufarbeiten
und abführen zu dürfen ( . f. d. rechtsrh. Bayern
Ganghofer⸗Weber, Forftd. S. 102 ff.). Der Zuſatz in
der Ordonnanz Tit. 27 Art. 33 „non-obstant tous titres,
arretes etc.“ iſt nur die logiſche Folgerung jenes öffent⸗
lichrechtlichen Verbotes, eine dem Geiſte des privilegien⸗
reichen Zeitalters Ludwigs XIV. ſcharf widerſprechende
Betonung des alten Satzes, daß die öffentliche Ordnung
den Privatrechten vorgeht; darum auch die Schärfe
des Ausdrucks in dem anſchließenden Relativpſatz „qui
demeureront (nicht „seront“) nuls et revoques“. Die
Privilegien und Titel verſagen gegenüber dem jus
publicum, ſie kommen hiegegen gar nicht auf (vgl. den
pofitiven Ausdruck dieſer Gedanken in Art. 23 des
rechtsrh. Forſtc g. und hiezu Ganghofer S. 102 Anm. 1 a).
Die Pfälzer Gerichte haben denn auch in richtiger
Würdigung der forſtwirtſchaftlichen Geſichtspunkte, nach
denen ſelbſt kleine Veränderungen im Holzbeſtande
pfleglich, d. h. fachmänniſch vorgenommen werden müſſen,
den Forſtberechtigten ſtets die Selbſtfabrikation auch
von Windfallholz, Reiſig⸗ und Wellenholz und dürrem
b Holz unterſagt und die forſtmäßige Auf⸗
arbeitung ſolchen Holzes verlangt (Schwarz § 43, S. 30).
Es iſt alſo kein Uebergreifen des Strafrichters in die
zivilrichterliche Zuſtändigkeit, wenn das LG. hier jener
öffentlichrechtlichen Forderung Nachdruck verleiht.
4. Aus dem Bisherigen folgt, daß die Aburteilung
der Uebertretung bei Ausübung einer Forſtberechtigung
nicht vom Beſtehen oder Nichtbeſtehen der Forſt⸗
berechtigung an ſich und ſomit auch nicht vom Aus⸗
gange des Zivilprozeſſes abhängt; Art. 75 Forſt StG.
iſt alſo hier nicht anwendbar. Er enthält, abgeſehen
von Abſ. 2, in keiner Hinſicht materielles Recht (anders
— in beſchränktem Maße — Art. 165 rechtsrh. Forft®.),
iſt ein reines Prozeßgeſetz, das die Ermeſſensfreiheit
des 8 261 Abſ. 2 StPO. für Forſtſtrafſachen außer
Kraft ſetzt, und enthält keine reviſible Rechtsnorm.
Das Reviſionsgericht kann nicht nachprüfen, ob die
Aburteilung der Forſtübertretung von der privaten
Berechtigung abhängt.
5. Art. 9 Forſt St. läßt eine Beſtrafung wegen
Forſtfrevels nur zu, wenn der volle Tatbeſtand einer
im Forſt StG. mit Strafe bedrohten Entwendung, Ge⸗
fährde uſw. vorliegt. Das LG. folgt der Entſcheidung
des Strafſen. vom 3. Oktober 1903 (Sammlg. IV, 59)
und zieht gleichzeitig Art. 19 Forſt StG. heran. Dieſer
Entſcheidung, die im Anſchluß an ältere Urteile eine
bedingt unbefugte Zueignung der unbedingt rechts⸗
widrigen Zueignung gleichſtellt, liegt im weſentlichen
ein den vorliegenden Fällen ähnlicher Tatbeſtand zu—
grunde. In ihnen handelt es ſich um Holzfällungen
im fremden Wald, um Ueberſchreitung gegebener Forſt—
berechtigungen der Art ihrer Ausübung nach und um
Holz von einer im Forſt StG. (Art. 19) beſonders be⸗
zeichneten Beſchaffenheit (ſtehendes dürres Holz, ver—
gleiche Ordonnanz Tit. 27 Art. 33, 1. Halbſ). Das an⸗
279
— — — —
gefochtene Urteil hat alle Merkmale des äußeren Tat⸗
beſtandes einwandfrei feſtgeſtellt, ebenſo aber auch den
inneren, indem es auch bei den Angeklagten das Be⸗
wußtſein der Rechtswidrigkeit ihres Handelns annimmt.
Die Bezugnahme der Beſchwerdeführer auf 8 954 BG.
genügt nicht; der Eigentumserwerb der Forſtberechtigten
in der Pfalz wird durch die die Ausübung der Be⸗
rechtigungen regelnden Vorſchriften mitbeſtimmt (Henle⸗
Schneider, Vorbem. 3 vor Art. 85 AG. BGB. und Bem. 2
zu Art. 86). Hienach erwirbt der Rechtler das Eigen⸗
tum am Rechtholz nur nach den forſtgeſetzlichen Normen;
ſoweit ihm dieſe die Selbſtfabrikation unterſagen, iſt
ſein Erwerb nicht rechtswirkſam. Dieſe Auffaſſung iſt
nicht zu ſtreng, wenn man die Gleichſtellung der den
Forſtgeſetzen zuwiderhandelnden Berechtigten mit den
Nichtberechtigten nach Art. 9 Forſt StG. im Auge behält.
Ueberſchreitung der Befugniſſe, auch in der Art der
Ausübung, iſt Frevel. Nicht angängig iſt eine Unter⸗
ſcheidung zwiſchen Befugniſſen, die durch Privatrechts⸗
normen, und ſolchen, die durch Normen des öffentlichen
Rechts begrenzt ſind. (Urt. vom 28. März 1914, Rev.»
Reg. 61/14). Ed.
3363
II
Gebühren des Verteidigers in Wiederaufnahme⸗
verfahren. Der Verteidiger hat für fein Geſuch um
Wiederaufnahme des Verfahrens die Gebühr von 24 M
(20 M und 4 M Pauſchalſatz) zugebilligt erhalten;
nach Schluß der nach dem $ 409 StPO. angeordneten
Beweisaufnahme gab er eine ſchriftliche Erklärung
ab; die hiefür neuerdings verlangte Gebühr von 24M —
der Angeklagte wurde nach § 411 Abſ. 2 StPO. ſo⸗
fort freigeſprochen — wurde nicht gewährt; die Be⸗
ſchwerde wurde verworfen.
Aus den Gründen: Durch die feſtgeſetzte Ge⸗
bühr von 24M für die Anfertigung des Wiederaufnahme⸗
geſuchs iſt die geſamte Tätigkeit des Verteidigers in
dem Wiederaufnahmeverfahren entlohnt worden. Die
entgegengeſetzte, auf 8 68 Nr. 3 RAGeb d. geſtützte
Anſicht des Beſchwerdeführers iſt irrig. Die hier für
Anfertigung eines Antrags auf Wiederaufnahme des
Verfahrens beſtimmte Gebühr ſteht dem Rechtsanwalte
nur zu, wenn er mit dieſer Tätigkeit allein betraut
worden iſt. Wenn der Rechtsanwalt jedoch wie hier
mit der Verteidigung eines Angeklagten im ganzen
V,! beauftragt worden iſt, kann
er nach 8 70 RAGebdO. für Anfertigung der zu dem
Verfahren gehörigen Anträge und Erklärungen keine
beſondere Gebühr fordern; dieſe Bemühungen werden
durch die in den 88 63 bis 66 und im 8 67 feſtgeſetzte
Gebühr gedeckt. Hier iſt das Wiederaufnahmeverfahren
nicht über das Vorverfahren hinausgediehen, weil es
nicht zu einem Beſchluſſe über die Erneuerung der
Hauptverhandlung nach 8 410 Abſ. 2 StPO. gekommen
iſt; erſt durch dieſen Beſchluſſes, der im Wiederaufnahme⸗
verfahren die Stelle des im Strafverfahren nach 8 201
StPO. ergehenden Beſchluß vertritt, wird das Vor⸗
verfahren beendet und das Hauptverfahren eröffnet.
Aus dieſem Grunde kommt dem Verteidiger gemäß
867 Nr. 3 für die Vertretung des Angeklagten im
ganzen nicht mehr als 20 M Gebühr und 4 M Pauſch⸗
ſatz zu. (Beſchl. vom 24. März 1914, Beſchw.⸗ Reg.
Nr. 210/1914). Ed.
3361
Oberlandesgericht München.
Emeritierung und Gehaltsſperre (Art. 187, 211 B.,
K. VO. v. 6. Sept. 1908, GVBl. S. 681). Ein o. ö.
Univerſitätsprofeſſor trat am 1. April 1890 in den
bayeriſchen Staatsdienſt. Am 1. Januar 1909 hatte
er alſo 18 Jahre in dieſer Stellung zugebracht; dem
hätte an ſich der Höchſtgehalt der Klaſſe 7 der Gehalts O.
entſprochen. Zufolge der Sperre nach §4 Abſ. 3 Nr. 7
280
der BD. v. 6. Sept. 1908 (GBl. S. 681) wurde ihm
jedoch nur der Gehalt der drittletzten Stufe (7500
eingewieſen. Am 1. Oktober 1910 wurde er auf ſeinen
Antrag von der Vorleſungspflicht befreit (emeritiert)
und bezog nach Art. 187 BG. den letzterdienten Gehalt
von 7500 M weiter. Mit dem 1. Januar 1912, alle
dem Ablauf der Sperre, verlangte er Einweiſung in
die nächſte vera von 8000 M, weil er noch aktiver
Beamter ſei und die Vorrückung bereits erdient gehabt
habe, wurde jedoch vom Miniſterium abgewieſen. Er
erhob Klage mit der Behauptung, dieſer ſtehe die ab⸗
lehnende Miniſterialverfügung nicht entgegen, da im
Art. 178 Ziff. 5 BG. nur Vorrückungsverſagungen
wegen Unwürdigkeit nach Art. 31 Abſ. 1 B. gemeint
ſeien. Die Klage wurde abgewieſen und die Berufung
blieb erfolglos; Reviſion wurde nicht eingelegt.
Aus den Gründen des OL G.: Der Rechtsweg
iſt nach Art. 176 Abſ. 1 BG. an ſich offen, weil es ſich
um vermögensrechtliche Anſprüche aus dem Dienſtver⸗
hältnis handelt; daß eine Gehaltsvorrückung in Frage,
macht die Klage nicht von vorneherein unſtatthaft. Bes
denken ergeben ſich aber aus Art. 178 Nr. 5 BG., wonach
für die Gerichte die Entſcheidungen bindend ſind, welche
die Verwaltungsbehörden nach ihrem pflichtmäßigen
Ermeſſen insbeſondere über ee des Gehalts,
über Verſagung und nachträgliche Einweiſung der Ge⸗
haltsvorrückungen zu treffen berechtigt ſind. Eine ſolche
Verſagung liegt hier gerade der Perſon des Klägers
gegenüber in der KultusMé. vom 1. Februar 1912 und
in der Fin ME. vom 2. Auguſt 1912 an ſich vor. Daß
Art. 178 Nr. 5 BG. nur die Fälle der Verweigerung
der Vorrückung wegen Unwürdigkeit treffe, iſt nicht
richtig; vielmehr gehört auch die Auslegung der Ueber⸗
leitungsbeſtimmungen hierher (Bay Obs. n. S. Bd. 11
S. 653), gleichgültig, ob man dagegen die Beſchwerde
an den Staatsrat nach Art. 31 BG. für ſtatthaft hält.
Gleichwohl erachtet der Senat die Nachprüfung des
Anſpruchs durch die Gerichte deshalb für zuläſſig, weil
der Kläger die Geſetzmäßigkeit der Ueberleitungsvor⸗
ſchriften ſelbſt beſtreitet; wären dieſe Vorfchriften geſetz⸗
widrig, ſo läge auch keine Verfügung der Verwaltungs⸗
behörde vor, zu der ſie nach pflichtmäßigen Ermeſſen
befugt war. Dieſe Ueberleitung verſtößt aber nicht
gegen das Geſetz. Die Emeritierung war bereits dem
älteren bayeriſchen Beamtenrecht bekannt: der emeritierte
Profeſſor ſollte trotz Erſatzes im Lehrauftrag gleichwohl
der Univerſität ſeine Dienſte nach Wunſch und Neigung
noch leiſten können, z. B. bei den Verwaltungsgeſchäften.
Damals rückte der emeritierte Profeſſor ſogar noch im
Gehalt vor, war aber von den Wohnungsgeldzuſchüſſen
ausgeſchloſſen; er bezog alſo ſchon damals erheblich
weniger als ein ganz aktiv gebliebener Profeſſor. Bei
Erlaſſung des BG. ſetzte man die Altersſtufe für die
Emeritierung entſprechend der Penſionierung auf das
65. Jahr herab, verſagte aber die Vorrückung in weitere
Dienſtalterszulagen. Letzteres ſteht zwar nicht im Geſetz,
ergibt ſich aber klar aus deſſen Begründung und wird
an ſich vom Kläger ſelbſt nicht beſtritten, wie er auch über
die ſtreitige geſperrte Zulage hinaus weitere Zulagen
nicht beanſprucht. Es iſt alſo eine Zulage, für welche die
Vorrückungsvorſchriften noch läuft — abgeſehen zunächſt
von den Uebergangsvorſchriften — nicht „erdient”,
„Belaſſung“ des erdienten Gehalts (Art. 176 Abſ. 3 BG.)
alſo in ſeiner natürlichen Bedeutung zu nehmen, nämlich
Behalten des tatſächlich im Augenblick der Emeritierung
bezogenen Geldgehalts unter Ausſchluß der Möglichkeit
nachtraͤglicher Vermehrung durch Zeitablauf. Das ents
ſpricht durchaus dem Begriffe „erdient“ im Art. 30
(Statſächlich bezogen) und den Urt. 28 mit 33, wonach jede
Vorrückung „verfügt' wird, alſo nicht von ſelbſt eintritt.
Bei der Ueberleitung aber will der Kläger als „erdient“
oder „wohlerworben“ den Gehalt angeſehen wiſſen, der
ihm nach Maßgabe ſeiner unter der älteren Gehalts—
regelung zuruckgelegten Dienſtjahre im Syſtem der
neuen Gehaltsordnung ohne die „Sperre“ zuſtehen
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
würde. Dieſe Sperre (der Ausdruck ſtammt aus dem
Geſetz ſelbſt: Art. 211 Abſ. 8) wurde ſchon im Entwurf
zur finanziellen Erleichterung vorgeſehen und vom
Landtag auf eine weitere Vorrückungsſtufe ausgedehnt,
wogegen in Art. 211 Abſ. 8 mittels einer Fiktion be⸗
ſtimmt wurde, daß die Sperre bei der Penſion un⸗
berückſichtigt bleibt, als ob ſie nicht vorhanden wäre.
Dieſe Vorſchrift ſpricht aber gegen die Klage und deren
Auslegung des „erdienten“ Gehalts. Wäre es einfach
bei dem Regierungsvorſchlage geblieben, ſo wäre klaren
Rechtens, daß der geſperrte Gehalt bei der Penſion
nicht mitzählt. Das Kompromiß auf Anrechnung, wie
es zwiſchen Landtag und Regierung ſchließlich zuſtande
kam, gibt nach ſeinem Zweck keinerlei Anlaß, das Wort
„erdient“ anders aufzufaſſen; Ab. 8 des Art. 211 Bs.
enthält ſich auch bezeichnenderweiſe dieſes Ausdrucks und
ſpricht nur von „einem ſeinem Dienſtalter nicht ent⸗
ſprechenden Gehalt“. Gerade hier wäre aber erſterer Aus⸗
druck am Platze geweſen. Es kann alſo auch Art. 211 Abſ. 8
BG. nicht als ein , unmotiviertes Geſchenk“ oder „eine un⸗
finnige Geldvergeudung“ angeſehen werden. Enthält
ſonach Art. 211 Abſ. 8 BG. nichts für die Auslegung
des Begriffs „erdient“, fo iſt dieſe nur aus den
dort vorbehaltenen Ueberleitungsvorſchriften (BO. v.
6. Sept. 1908, GVBl. S. 681) zu entnehmen, zu denen
die GehaltO. nur eine Beilage bildet. Da dort die
Art. 26 Abſ. 3 bis 5, Art. 27 Abſ. 2 bis 4, Art. 28
Abſ. 1 bis 4 und Abf. 6, der Art. 29 bis 32, des Art. 34
Abſ. 2 uſw des BG. entſprechend anwendbar erklärt find,
ſo müſſen die in Ziff. 7 Abſ. 3 dieſer VO. enthaltenen
Sperrvorſchriften ſo ausgelegt werden, daß bei den
geſperrten Klaſſen zu der jeweils laufenden Wirkungs⸗
friſt die drei Jahre vom 1. Januar 1909 bis 1. Januar
1912 einfach ebenſo hinzuzuſetzen find, als ob dies in
der Gehalts O. ſelbſt ſtünde. Sohin gilt eine geſperrte
Stufe nicht als erdient; Sinnbild und Rechtsinhalt
decken ſich hier vollſtändig; wo , geſperrt“ iſt, kann man
nicht „eintreten“ (auch nicht bedingt), alſo den Eintritt
auch nicht „erreichen“ ; man iſt vielmehr, ausgeſchloſſen “.
Der behauptete Widerſpruch der Ueberleitungsvor⸗
ſchriften mit dem BG. beſteht nicht. Daß Art. 211
Abſ. 8 dafür nicht verwendet werden kann, iſt bereits
ausgeführt. Gehaltsordnung und Ueberleitungsvor⸗
ſchriften ſind zwar formell kraft Organiſationsrechts der
Krone als Verordnung erlaſſen, aber in allen weſent⸗
lichen Punkten, teilweiſe ſogar wörtlich, von beiden
Kammern des Landtags beraten und gebilligt. Etwas
hiervon Abweichendes hinſichtlich der Sperre enthalten
die Ueberleitungsvorſchriften überhaupt nicht (vgl. S 20
der Denkſchrift, Vhdl. d. AbgK. 1907.08 Beil Bd. 2 S. 305,
331 ff.). Hier wie dort werden die bereits erörterten
Ausdrücke „ausſchließen“, „Vorrückung erſt ermöglichen“,
mit „‚Ausſchluß der letzten Dienſtaltersſtufe“ unter
Billigung des Landtags gebraucht. Daß jedem Beamten
bei der Einordnung in die neuen Gehaltsklaſſen die
volle Anzahl ſeiner bisherigen Dienſtjahre angerechnet
werden müſſe, ſteht nirgends, ſondern hinſichtlich der
Sperre das Gegenteil. Die Denkſchrift ſagt nur, daß
niemand durch die Einführung der Gehalts O. an feinem
bisherigen Einkommen eine Einbuße erleiden dürfe.
Wohlerworben ſind für den Kläger nur die Bezüge nach
der alten Gehalts O.; dieſe hätte er behalten, wenn er
vom Recht des Art. 217 BG. Gebrauch gemacht und jede
Ueberleitung abgelehnt hätte. Nicht wohl erworben
aber war die Einreihung in die neuen Dienſtalters⸗
klaſſen hinſichtlich der Beſoldung: inſoweit mußte der
Kläger das BG. im Komplex (alſo einſchließlich der
Sperre) annehmen oder ablehnen. Die Sperre iſt
freilich nur eine vorübergehende Maßregel; kraft geſetz—
licher Ermächtigung und mit Billigung des Landtags
iſt fie aber ebenſo konſtruiert worden wie eine neurecht⸗
liche Gehaltsvorrückung. Mit Recht ſagt die Regierung.
daß ihr ſonſt die Rechte aus Art. 31 BG. aus der Hand
genommen wären, die durch die Möglichkeit der Diszi—
plinierung nicht erſetzt würden. Kläger verwechſelt all»
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13. 281
gemeines Dienſtalter (z.B. für den Rang) und Beſoldungs⸗
dienſtalter. Auch die Aeußerungen des Reichsrats v.
Hertling und des Finanzminiſters v. Pfaff in der Aus⸗
ſchußſitzung der Reichsratskammer vom 1. Auguſt 1908
ſprechen gegen, nicht für den Kläger. Denn dort ſtellte
v. Hertling die Emeritierung ohne weiteres dem Ueber⸗
tritt in den Ruheſtand gleich und fragte, ob hier die
Sperre aufgehoben ſei, was v. Pfaff verneinte, weil
Emeritierung nicht der Penſionierung gleichſtehe,
1 v. Hertling nicht etwa einen Antrag auf Sperre⸗
ausſchluß für Emeritierte ſtellte, ſondern erklärte, er habe
die Sache bloß klarſtellen wollen. Uebrigens ſtand im An⸗
trag v. Hertling zu Art. 187 Abſ. 3 ſogar der Ausdruck
„des bisher von ihnen erdienten Gehalts“, der wegen
eines anderen Kompromiſſes dann nicht in das Geſetz
überging, aber zeigt, daß v. Hertling das Wort „ers
dient“ ſo verſtand wie jetzt der Fiskus. Ebenſo legt
jetzt auch Reindl, BG. S. 777, den Art. 187 Abſ. 3 BG.
aus (vgl. auch einen ähnlichen Fall in Recht 1913
Nr. 1426). Unbillige Folgen ergeben ſich aus dieſer
Auslegung nicht, zumal die Staatsregierung bei den
im Stande der Emeritierung verſtorbenen Profeſſoren
zugunſten der Witwen⸗ und Waiſenpenſionen die Sperre
gemäß Art. 211 Abſ. 8 BG. unberückſichtigt läßt. Im
übrigen iſt allerdings Emeritierung begriffsmäßig etwas
anderes als Penſionierung; dem Geſetzgeber kommt
es aber nicht darauf an, ſondern auf den Unterſchied
zwiſchen vollaktiven und nicht vollaktiven (d. h. nur
von der Vorleſungspflicht befreiten) Profeſſoren; er
trägt dem natürlichen Empfinden Rechnung, daß der
nicht die volle Beſoldung mehr beziehen ſoll, der einen
weſentlichen Teil ſeiner Dienſtpflichten, und zwar gerade
den für den Staat weſentlichſten Teil, nicht mehr ausübt.
Praktiſch darf dieſe Minderung wohl höher eingeſchätzt
werden, als der Einkommensverluſt bei der Emeri⸗
tierung. Weiter zu gehen, war der Landtag offenbar
ſchon mit Rückſicht auf die Richter nicht bereit, die
ihren vollen Penſionsbezug ohne Ausgleich verloren
haben. Auf die günſtigere Ueberleitung jüngerer Standes⸗
genoſſen kann ſich niemand kraft Rechtens berufen
(Bay Obs. n. S. Bd. 11 S. 653). (Urt. v. 10. Nov. 1913,
L 265/13). N.
3849
Oberlandesgericht Zweibrücken.
Haltung der Eiſenbahn für ſchuldhaſte Transport:
verzögerung innerhalb der tariſmäßigen Lieſerfriſt
(Art. 41 des internat. Uebereinkommens über den Eiſen⸗
bahnfrachtverkehr i. d. J. vom 19. September 1906,
8466 HGB.). Für den Kläger 2. war am 14. März
1911 in B. in Oeſterreich⸗Galizien mit einem Fracht⸗
brief für internat. Eiſenbahntransport ein Wagen
Steckzwiebeln als Frachtgut zur Beförderung nach H.
in der bayeriſchen Pfalz mit dem Vermerk „Kartierung
Gelnhauſen“ aufgegeben worden. Auf der Grenzſtation
beſchrieb ein Bedienſteter der Bahn den Wagenzettel
verſehentlich mit Gelſenkirchen ſtatt Gelnhauſen. In⸗
folgedeſſen wurden in Halle Wagen und Begleitpapiere
getrennt; dieſe gingen über Gelnhauſen nach H., während
der ru nach Gelſenkirchen lief. Dort blieb er vom
22. bis 29. März ſtehen, weil keine Erkundigungen ein
gezogen wurden. Nach Aufklärung wurde er als Eil—
gut nach H. befördert, wo er am 1. April ankam. Die
tarifmäßige 3 endete erſt am 3. April 1911.
Der Kläger behauptet, der Wagen habe um 10—11
Tage länger gebraucht als bei regelmäßigem Güter⸗
verkehr; infolge dieſer Verzögerung ſei ihm durch teil—
weiſes Verderben der Zwiebeln und durch Rückgängig—
machung von Beſtellungen ein Schaden von 2000 M
entſtanden. Seine Klage wurde abgewieſen, die Be-
rufung wurde verworfen.
Aus den Gründen: Die Haftung der Eiſen—
bahn aus dem mit intern. durchgehenden Frachtbriefe
— — ʒ4ʒu — U
abgeſchloſſenen Frachtvertrage beſtimmt ſich bei der
Güterſendung von Oeſterreich⸗Galizien nach Deutſchland
ausſchließlich nach dem intern. Uebereinkommen über
den Eiſenbahnfrachtverkehr (IUeb.). Zur Begründung
einer Haftung können weder die Beſtimmungen der
deutſchen EiſverkO., noch die Vorſchriften des HGB.
über die allgemeinen Verpflichtungen der Fracht⸗
führer herangezogen werden. Der Schadenserſatzanſpruch
wird auf die durch grobe Fahrläſſigkeit der Eiſen⸗
bahn verſchuldete, verſpätete Ankunft des Wagens in
H. geſtützt. Da die Lieferzeit nicht überſchritten iſt,
können nicht Art. 39 und 40 Illeb. angewendet werden,
welche die Haftpflicht für Lieferfriſtverſäumung regeln.
Daraus, daß die Sendungen von B. nach H. in der
Regel innerhalb 7—8 Tagen bewirkt werden, kann
mangels geſetzlicher oder vertraglicher Sonderbeſtim⸗
mungen für den Kläger kein klagbares Recht darauf
entſtehen, daß ſolche Sendungen immer innerhalb dieſer
Friſt ausgeführt werden, und kein Schadenserſatzan⸗
ſpruch erwachſen, wenn einmal ein Transport die ganze
tarifmäßige Lieferfriſt von 19 Tagen in Anſpruch
nimmt. Auf die Urſachen der ausnahmsweiſen Ver⸗
zögerung kommt es dabei nicht an, ſofern nur die
Lieferfriſt eingehalten iſt (Eger, JIUeb. Art. 39 Z. 195,
III A; Rundnagel, Haftung der Eiſenbahn S. 44 und
Art. 12—15). Der Anſpruch kann daher nur Erfolg
haben, wenn er mit Art. 41 JUeb. begründet werden kann.
Dem Erſtrichter wird darin beigetreten, daß min⸗
deſtens in dem Stehenlaſſen des Wagens in Gelſen⸗
kirchen vom 22. bis 29. März eine grobe Fahrläſſigkeit
der Eiſenbahn zu erblicken iſt, und daß dem Kläger
infolge des — gegenüber dem Regelfalle — fpäten
Eintreffens der Ware in H. ein Schaden entſtanden iſt.
Trotzdem iſt Art. 41 IUeb. hier nicht anwendbar.
Seine Bedeutung iſt umſtritten. Einerſeits wird be⸗
hauptet, daß er nur bezüglich der Höhe des Schadens
die Haftpflicht der Eiſenbahn verſchärfen will; anderer:
ſeits findet man darin die Begründung einer allgemeinen
Schadenserſatzpflicht der Eiſenbahn (vgl. beſ. Rund:
nagel a. a. O. 828 A. 2). Entſtehungsgeſchichte (vgl.
Eger a. a. O. S. 428 f.; Roſenthal, IJEiſenbahnfrachtr.
S. 244) und Stellung des Art. 41 ſprechen mehr für
die erſtere Auffaſſung. Nachdem in den vorausgehen⸗
den Art. 34, 35, 37—40 die jeweils dem Umfang nach
beſchränkte Haftung der Eiſenbahn für Schäden aus
Verluſt, Minderung oder Beſchädigung des Gutes und
Verſäumung der Lieferfriſt geregelt iſt, heißt es in
Art. 41: „Die Vergütung des vollen Schadens
kann in allen Fällen gefordert werden, wenn derſelbe
infolge der Argliſt oder der groben Fahrläſſigkeit der
Eiſenbahn entſtanden ift*. Hinter den Worten „in
allen Fällen“ waren urſprünglich von der 3. Konferenz
die vorgenannten Art. 34, 35, 37—40 in Klammer ans
geführt und damit die beſchränkte Geltung des Art. 41
außer Zweifel geſetzt. Das eingeklammerte Zitat iſt
dann bei der letzten Konferenz ohne Begründung
geſtrichen worden. Wenn in dem Urteile des OLG.
Marienwerder vom 2. Juni 1910 (Seuff A. 66, 155)
geſagt iſt, die Streichung des Zuſatzes könne nur den
Sinn gehabt haben, klarzuſtellen, daß die Haftung auf
die vorhin angegebenen Fälle nicht habe beſchränkt
werden ſollen, ſo kann dem nicht beigepflichtet werden.
Mit demſelben Recht kann man ſagen, daß die Strei⸗
chung erfolgt ſei, weil man die ausdrückliche, zahlen⸗
mäßige Bezugnahme auf die vorangehenden Artikel über
die beſchränkte Haftung wegen des unmittelbaren An—
ſchluſſes des Art. 41 unter Vorenthaltung der Worte
„die Vergütung des vollen Schadens“ für überflüſſig
gehalten hat. Die Vorſchrift des Art. 41 iſt als Aus-
nahme des Art. 30 Slleb. („die Eiſenbahn haftet nach
Maßgabe der in den folgenden Artikeln enthaltenen
näheren Beſtimmungen für den Schaden, welcher durch
Verluſt, Minderung oder Beſchädigung des Gutes“)
und Art. 39 („welcher durch Verſäumung der Liefer—
friſt entſtanden iſt“) eng auszulegen (Warn. 1904 zu
Art. 41 3.1). Dem ſteht auch nicht die vom OLG.
Marienwerder a. a. O. als unhaltbar bezeichnete Fol⸗
gerung entgegen, daß die Eiſenbahnverwaltung nicht
einmal dann hafen würde, wenn ſie — abgeſehen von
beſonders gelagerten Fällen — mit Vorſatz Schaden
zufügte. Das IJUeb. regelt nur die Haftung der Eiſen⸗
bahn aus dem intern. Fracht vertrage; ihre Haſtung
aus abſichtlicher Schadenszufügung, alſo aus einer
unerlaubten Handlung, ergibt ſich aus den betr. Be⸗
ſtimmungen der Landesrechte. Aber auch bei weiterer
Ausdehnung über die Fälle der Art. 34, 35, 37—40
Illeb. hinaus umfaßt Art. 41 mit den Worten „in
allen Fällen“ immer nur die Fälle, in welchen von
der Eiſenbahn auf Grund des IUeb. überhaupt ein
Schadenserſatz zu leiſten iſt (Eger Art. 41 Z. 207 B 3).
Die tatſächlichen Vorausſetzungen für die Entſtehung
eines Schadensanſpruchs gegen die Eiſenbahn müſſen
in einem der vorausgegangenen Artikel des IUeb. nieder⸗
gelegt ſein; der Art. 41 trifft dann nur die Beſtimmung
über den Umfang der Schadenserſatzpflicht bei Hinzu⸗
treten des inneren Tatbeſtandes der Argliſt oder groben
Fahrläſſigkeit.
Die Fälle, in denen die Eiſenbahn wegen ver:
ſpäteten Eintreffens des Gutes am Beſtimmungsorte
für den Schaden haftet, ſind in Art. 39, 40 geregelt.
Sie ſetzen immer eine Ueberſchreitung der tarifmäßigen
oder beſonders bedungenen Lieferfriſt voraus. Die
Bahn haftet in dem verſchiedenartig abgeſtuften Um⸗
fang des Art. 40 bis zum Betrage der ganzen Fracht
oder des angegebenen „Intereſſes'. Erſt wenn der
innere Tatbeſtand der Argliſt oder der groben Fahr⸗
läſſigkeit der Eiſenbahn hinzukommt, tritt die Haftung
des Art. 41 für den vollen Schaden ein. Solange die
Lieferfriſt nicht überſchritten iſt, begründet ſelbſt eine
durch Argliſt oder grobe Fahrläſſigkeit herbeigeführte
Verzögerung des Transportes über die gewöhnliche
Beförderungsdauer keine Erſatzverbindlichkeit (Rund⸗
nagel 8 10, Text und Note 12—15, 828 A. 2). Ein Rück⸗
ſchluß auf die Richtigkeit dieſer Auslegung des Art. 41
IUeb. läßt ſich ziehen aus dem Vergleich der Stellung,
welche die faſt gleichlautende Vorſchrift im HGB. und
in der deutſchen EiſberkO. gefunden hat, aus denen
dieſer Brundfaß in das Illeb. übernommen worden
iſt (Eger, IUeb. Z. 210). 8 466 HGB. ſetzt in Abſ. 1
die Haftung der Eiſenbahn für den Schaden aus Ver⸗
fäumnis der Lieferfriſt feſt, beſtimmt in Abſ. 2 und 3
unter Hinweis auf die EiſverkO., in welchem — be⸗
ſchränkten — Umfang dieſer Schaden zu erſetzen iſt
und ſchreibt dann in Abſ. 4 vor: „Der Erſatz des vollen
Schadens kann gefordert werden, wenn die Verſäu⸗
mung der Lieferfriſt durch Vorſatz oder grobe Fahr—
laͤſſigkeit der Eiſenbahn herbeigeführt iſt“. Entſprechend
dem $ 466 HGB. iſt in 8 94 EiſverkO. die Haftung der
Eiſenbahn für Ueberſchreitung der Lieferfriſt in Ab]. 1—4
geordnet und in Abſ. 5 „wegen der Fälle, in denen
voller Erſatz zu leiſten iſt“ in Uebereinſtimmung mit
§ 466 1V auf die mit dieſem und Art. 41 JUeb. gleich⸗
lautende Vorſchrift des 8 95 hingewieſen: „Iſt der
Schaden durch Vorſatz (Argliſt) oder grobe Fahr—
läſſigkeit der Eiſenbahn herbeigeführt, ſo iſt in allen
Fällen der volle Schaden zu erſetzen“. Die gleiche
Faſſung und Stellung der Vorſchrift findet ſich be—
züglich der Haftung der Bahn aus dem Frachtvertrag
für gänzlichen oder teilweiſen Verluſt oder Beſchädi—
gung des Gutes in SS 457 f, 464 u HGB., der gleiche
Hinweis auf 8 95 EiſerkO. in dieſen Fällen in $S 88 111
und 89 1lı EifVerfo.
N Daraus geht hervor, daß Art. 41 Ylleb. keine von
den allgemeinen Beſtimmungen geſonderte Schadens—
erſatzpflicht der Eiſenbahn neu begründen will, ſondern
daß er nur die in den vorausgegangenen Artikeln unter
den dort angeführten tatſächlichen Vorausſetzungen feſt—
geſetzte Schadenserſatzpflicht, ſoweit fie dort etwa be:
ſchrieben iſt, erweitern und verſtärken will, wenn der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914.
Schaden durch Argliſt oder Fahrläſſigkeit der Leute,
Nr. 13.
der Eiſenbahn oder der Perſonen entſteht, deren ſie
ſich bei der Ausführung des von ihr übernommenen
Transports bedient und für 5 nach Art. 29 Iueb.
haftet. Die Fälle, in denen Gerichte zu anderer An⸗
chauung gelangt ſind, liegen teilweiſe anders. In
em Urteile des OLG. Marienwerder war Art. 41 nur
zur Auslegung des Art. 95 IUeb. herangezogen worden:
auch handelte es ſich dort um Unterlaſſung einer im
Frachtbriefe vorgeſchriebenen ſtreckenweiſen Benützung
eines Perſonenzugs für den fraglichen Viehtransport;
ebenſo war in dem Urteile der Kammergerichts und
im Reichsgerichtsurteile vom 11. Februar 1905 (bei
Rundnagel S. 45) die Beſonderheit der vertrags⸗
widrigen Abweichung von der durch den Abſender vor⸗
geſchriebenen Routen vorſchrift und damit eine Zuwider⸗
handlung gegen Art. 6 Z. 1 Iueb. gegeben. Warum bei
Einhaltung der Lieferfriſt die Anwendbarkeit des
Art. 41 IJUeb. nicht ausgeſchloſſen iſt, wird vom N.
nicht näher begründet. Eine Auslegung des Art. 41
IUeb. i. S. des Klägers würde geradezu einer Aus⸗
bc lug der Vorſchriften des Art. 14 Iueb. und 8 6
er Ausführungsbeſtimmungen über die tarifmäßigen
Maximallieferfriſten gleichkommen und dazu führen,
daß die Eiſenbahn in allen Fällen die Beförderung
binnen einer den Umſtänden nach angemeſſenen oder
nach den Erfahrungen eines regelmäßigen Güterverkehrs
zu bemeſſenden Friſt zu bewirken hatte. Darauf haben
aber Abſender und Empfänger wegen der durch die
Eiſenbahnen vereinbarten und Beſtandteil eines jeden
Frachtvertrags werdenden Maximallieferfriſten keinen
Anſpruch. Vertragsgemäß konnte der Kläger nur ver⸗
langen, daß ihm das Gut innerhalb der tarifmäßigen
Lieferfriſt in H. zur Verfügung geſtellt wird. Dies iſt
geſchehen. Es kann keinen Unterſchied begründen, ob
die Eifenbahn den Wagen Zwiebeln erſt am 2. April
1911 infolge von Umſtänden abliefern konnte, welche
ihr nicht zum Vorſatz oder zur groben Fahrläſſigkeit
angerechnet werden können, welchen Falles natürlich
der Kläger keinerlei Schadenserſatzanſpruch erheben
könnte, oder ob dies die Folge der groben Fahr⸗
läſſigkeit der Eiſenbahnbedienſteten in Gelſenkirchen
war. In beiden Fällen hat die Eiſenbahn vertrags⸗
treu innerhalb der Lieferzeit den Transport beendet.
(Urt. vom 20. April 1914, L 251/13). v.
3367
Aus der RNechtſprechung
des bayeriſchen Verwaltungsgerichtshofs.
Wie iſt die dreijährige Friſt des 8 57 Ziff. 3
Gewd. zu berechnen, wenn die Straſpollſtreckung unter⸗
brochen und dem Verurteilten für den Neſt der Strafe
eine Bewährungsfriſt bewilligt worden it Aus den
Gründen: G. war wegen Betrugs am 18. Januar
1909 zu einem Jahre Gefängnis verurteilt worden
und hatte tags darauf die Strafe angetreten. Am 2.
Auguſt 1909 wurde die Strafvollitredung unter⸗
brochen; für den Reſt der Strafe wurde ihm eine
Bewährungsfriſt von vier Jahren d. i. bis zum 25.
Auguſt 1913 bewilligt. Die Vorinſtanzen haben ihm
am 1. März und 4. Juli 1913 eine Gewerbelegiti⸗
mationskarte auf Grund der 8 44 Abſ. 3 mit 57
Ziff. 3 GewO. verſagt; die völlige Vollſtreckung der
Strafe ſei nur aufgeſchoben; eine Begnadigung, die
ihr gleichkäme, noch nicht ausgeſprochen und demge⸗
mäß die Strafe erſt teilweiſe verbüßt, die dreijährige
Friſt des S 57 Ziff. 3 GewO. ſonach noch nicht in
Lauf geſetzt, geſchweige denn abgelaufen. — Zweifel:
los war vom Standpunkte der Vorbeſcheide die Strafe
des G. am 25. Auguſt 1909, am Tage der Straf—
unterbrechung, noch nicht vollſtändig und endgültig
verbüßt. Anderſeits bedeutet die Handhabung des
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 13.
Geſetzes i. S. der Vorbeſcheide eine große, vom Ge⸗
feße vielleicht nicht beabſichtigte Härte: wer wegen
guter Führung eine Bewährungsfriſt erhält, iſt ſich
dieſe Weiſe ſchlechter geſtellt, als der andere, der ſi
der bedingten Begnadigung nicht würdig erwieſen und
5555 Strafe ſofort verbüßt hat. Es käme dabei in
etracht, ob bei Schaffung der einſchlägigen Vorſchrif⸗
ten der GewO. überhaupt mit einer bedingten Begnadi⸗
gung ſchon gerechnet worden iſt und die Abſicht des
8 57 al 3 GewO. nicht lediglich dahin geht, gewiſſe
beſtrafte Elemente zunächſt durch längere einwandfreie
Führung zu erproben und zu dieſem Zwecke drei Jahre
lang vom Gewerbebetrieb unbedingt fernzuhalten (vgl.
Reger 30, 221). Doch kann hier dahingeſtellt bleiben,
ob für ſolche Erwägungen gegenüber dem Wortlaute
des Geſetzes Raum iſt oder nur durch Aenderung des
Geſetzes geholfen werden kann, und ob es unter allen
Umſtänden zuläſſig wäre, die dreijährige Friſt vom
Beginne der Bewährungsfriſt oder vom Tage der Straf⸗
unterbrechung an zu berechnen. Inzwiſchen iſt näm⸗
ch am 5. November 1913 der Reſt der Strafe aus
Gnade erlaſſen worden. Nunmehr kann unter allen
Umſtänden vom Standpunkte der GewO. — und nur
um deren Anwendung handelt es ſich — der Tag, an
dem G. den erſten Teil ſeiner Strafe verbüßt hatte,
als der Tag angeſehen werden, an dem er die erkannte
Strafe überhaupt verbüßt hat, m. a. W. es hat, auch
wenn man der Bewilligung der Bewährungsfriſt an
ſich noch keinen Einfluß einräumt, doch der Gnaden⸗
erlaß die Bedeutung, daß er die ſeinerzeitige bedingte
Begnadigung rückwärtswirkend zu einer endgültigen
Begnadigung macht. Die Vorausſetzung des 8 57
Ziff. 3 liegt alſo nicht mehr vor. (Entſch. des II. Senats
vom 28. Nov. 1913). E.
Bücheranzeigen.
Der Juſtizſtaatsdienſt. Eine Sammlung von Vorſchriften
und Beiſpielen betreffend den Vorbereitungsdienſt,
die Praxis und die Verwendung im Juſtizſtaats⸗
dienſt. Herausgegeben und verlegt von Hans
Stärzl, Geheimſekretär im Staatsminiſterium der
Juſtiz. München 1914. Preis 2.80 Mk.
Die F über den Vorbereitungsdienſt und
die Verwendung im Juſtizdienſte ſind zahlreich und viel⸗
fach zerſtreut. Ihre genaue Kenntnis und Beachtung
erſpart den Bewerbern und den Behörden manchen Zeit⸗
verluſt und viele Weitläufigkeiten. Die dankenswerte
Zuſammenſtellung, die durch zahlreiche Beiſpiele er⸗
läutert iſt, ſei deshalb allen Intereſſenten beſtens
empfohlen. In einem Anhang enthält das Buch u. a.
eine bisher nicht veröffentlichte Beſchreibung der Dienſt⸗
wohnungen der Gerichtsvorſtände, die allen Bewerbern
um ſolche Stellen ſehr willkommen ſein wird. Gtr.
Bendix, Dr. Ludwig, Das Problem der Rechts⸗
ſicherheit. Schriften des Vereins Recht und Wirt⸗
ſchaft, Bd. III Heft 5. Berlin 1914, Carl Heymanns
Verlag.
Bendix gelangt zu dem Satze: Die Entſcheidung
eines Rechtsſtreits iſt notwendig ungewiß, unſerer Auf:
gabe kann es nur ſein, die Unſicherheitsurſachen möglichſt
zu bekämpfen. Alſo relative ſtatt abſoluter Rechts⸗
ſicherheit. Wenn man mit der Rechtsquellenlehre von
der abſoluten Ungewißheit des Rechtsbegriffs ausgeht,
mag man die — notwendig übermäßige — Relativität
des im Einzelfall Erreichbaren als etwas Sicherheits—
ähnliches hinnehmen können. Jedenfalls iſt aber der
Hinweis auf dieſe Relativität immer wieder verdienſtlich.
Auch im einzelnen bietet die Abhandlung viel Leſens⸗
wertes. So etwa die Abſage an den „Judexismus“,
worunter der Glaube verſtanden wird, die Freierſtellung
283
des Richters an ſich verbürge das richtige Recht, und
die Betrachtung über die Schattenſeiten der richterlichen
Unparteilichkeit.
München.
Wolff, Dr. Emil, Kreisamtmann a. D., Syndikus und
„Birkenbihl, Oberlandesgerichtsrat, Die Praxis
er Finanzierung bei Errichtung, Erweiterung,
Verbeſſerung, Fuſionierung und Sanierung von Aktien⸗
geſellſchaften ꝛc. Handbuch für Juriſten, Bankiers uſw.
3. Aufl. XII, 339 S. Berlin 1914, Otto Liebmann.
Geh. Mk. 6.75, geb. Mk. 7.75.
Die 3. Auflage wird als unveränderter Abdruck
der 2. von dem überlebenden Verfaſſer Wolff bezeichnet.
Es liegt eine glänzende Anerkennung der Fachleute in
der Tatſache, daß die 2. Auflage in der verhältnis⸗
mäßig kurzen Zeit von 5 Jahren vergriffen war. In
e Weiſe haben ſich bei der Bearbeitung
olkswirtſchaftler und Juriſt die Hand gereicht. In
f klarer und überſichtlicher Weiſe wie in dem Buche
ndet man in keinem Kommentar zu irgendeinem Sonder⸗
recht die behandelten Vereinigungsformen (vgl. die ge⸗
ſchichtliche Einleitung) vom wirtſchaftlichen und juriſti⸗
ſchen Standpunkt aus beleuchtet. Die gewählten Bei⸗
ſpiele beweiſen, daß ein juriſtiſch gebildeter Fachmann,
ausgezeichnet durch eine tüchtige kaufmänniſche Schulung
und Kenntnis des kaufmänniſchen Bilanzweſens, mit
Giſdend erer baten eau der Geſellſchafts⸗
gebilde in ihrem Auf⸗ und Niedergang verfolgt, hieraus
Schlüſſe zieht und dem Leſer Ratſchläge und Winke
erteilt. Faſt keine der ſo häufig, beſonders bei Bilanz⸗
feſtſtellungen, Kapitalsänderungen der Geſellſchaften
(Erhöhung oder Herabſetzung), auftauchenden Streit⸗
fragen blieb unerörtert. Sogar das Stempelrecht iſt
beachtet, wenn auch nicht in der durch die eee
des Jahres 1913 eingetretenen Aenderung. Der 3. Teil
behandelt den „Verkehr in Wertpapieren“. Ausgehend
von den Vorausſetzungen und Bedingungen für Bildung
des ale werden die rechtlichen Beziehungen
zwiſchen Bankier und Publikum beſprochen. Muſter⸗
beiſpiele für Ausgabe von Proſpekten bei Emiſſion von
Aktien und Obligationen erhöhen den Wert des Buches.
Es kann jedem Bankier, noch mehr aber dem Juriſten,
deſſen Beruf die Vertrautheit mit den geſchilderten
wirtſchaftlichen Erſcheinungsformen vorausſetzt, geraten
werden, das Werk als verläſſigen Ratgeber ſeiner
Bibliothek einzuverleiben. Der 3. Auflage ſeien die
beſten Wünſche für den gleichen Erfolg wie bisher mit
auf den Weg gegeben.
München.
Struve, Dr. Karl, Gerichtsaſſeſſor, Dieſtrafrechtliche
Behandlung der Jugend in England unter
Berückſichtigung der erziehlichen Maßnahmen. VIII
und 302 S. Berlin 1914, Verlag von Otto Liebmann.
Geh. 7 Mk.
Das Buch liefert die erſte umfaſſende, zuſammen⸗
hängende Darftellung der engliſchen Jugendſtrafrechts⸗
pflege. Es berückſichtigt die Vorſchriften und Einrich⸗
tungen des materiellen Rechts, des Verfahrens und des
Vollzugs der gegen Jugendliche zuläſſigen Maßregeln,
namentlich des Strafvollzugs. Eine ſolche Darſtellung
kann auch für den Ausbau unſerer heimiſchen Jugend—
ſtrafrechtspflege Nutzen ſtiften, obſchon der Verfaſſer es
wegen der Verſchiedenheit der tatſächlichen und recht⸗
lichen Grundlagen vermieden hat, unmittelbare Nutz—
anwendungen aus den — nicht immer nachahmungs—
werten — fremden Rechtseinrichtungen auf die heimiſchen
Verhältniſſe zu ziehen und vergleichende Werturteile
abzugeben. Die Schilderungen des Verfaſſers beruhen
durchwegs auf eigener Anſchauung während eines mehr—
monatigen Studienaufenthalts in England; dies macht
ſie beſonders wertvoll — nicht bloß für Juriſten, ſondern
für alle an der Jugendfürſorge beteiligten a
Ir.
Amtsrichter Sauerländer.
Juſtizrat Dr. Heinr. Frankenburger.
284
Noeſt, Dr. B., Juſtizrat, Rechtsanwalt beim Amtsgericht
in Solingen, und E. Plum, Rechtsanwalt beim Ober⸗
landesgericht in Köln. Die Reichsgerichtsent⸗
ſcheidungen in Zivilſachen. 81. Band der
amtlichen Sammlung nach dem Zuſammenhang mit
der übrigen Rechtſprechung und in gekürzter Faſſung.
XXIII, 189 Seiten. Berlin 1913, Carl Heymanns
Verlag. Mk. 2.—, gebd. Mk. 2.50.
Dieſe vom 72. Bande der amtlichen Sammlung
an erſchienene Bearbeitung der reichsgerichtlichen Ent⸗
ſcheidungen hat viel Beifall gefunden und iſt auch von
uns ſchon wiederholt angezeigt worden. Auf die früheren
empfehlenden Beſprechungen ſei hiermit verwieſen. E.
Caspari, J., juriſt. Repetitor, Berlin. Straſgeſetz⸗
buch für das Deutſche Reich nebſt Einführungs⸗
geſetz. Handkommentar für Studium und Praxis.
Teil I. VI und 75 Seiten. Wittenberg 1913, A. Ziemſen
Verlag. Mk. 2.25.
Verfaſſer überſchätzt den Wert ſeiner Arbeit und
unterſchätzt die Bedürfniſſe von Studium und Praxis und
die an einen „Handkommentar“ zu ſtellenden Anfor⸗
derungen. Das Bächlein iſt nichts als ein dürftiger,
nach Inhalt und Preis weder dem Studierenden, noch
dem Praktiker zu empfehlender Auszug aus dem Frank⸗
ſchen Kommentar.!) Viele Paragraphen find überhaupt
nicht erläutert.
München.
Merzbacher, Sigmund, Rechtsanwalt, Juſtizrat in Nürn⸗
berg. Reichsgeſetz, betreffend die Geſell⸗
ſchaften mit beſchränkter Haftung in der
Faſſang der Bekanntmachung vom 20. Mai 1898.
5 5 e A 59 Be München 1913,
H. Beckſche Verlagsbuchhandlung (Oskar Bed).
Geb. Mk. 4 ns RN
Das viel umſtrittene, für das Wirtſchaftsleben
außerordentlich bedeutſame Geſetz iſt durch Merzbacher
auch in der vorliegenden 5. Auflage ſeiner Handaus⸗
gabe ſachkundig und zuverläſſig erläutert worden. Aus
der Rechtſprechung hat der Verfaſſer beſonders auch
die in der Leipziger Zeitſchrift veröffentlichten Ent⸗
ſcheidungen Berangedogen, die auf dieſem Gebiet eine
Fundgrube von Material enthält. B
Dr. Doerr.
Knaf, Gerichtsaſſeſſor i. Ulrichſtein i. H. Der Gen 1
ſchaftsrichter. gr. 8 Selbſtverlag. geb. Mk. 3.—.
Das Buch bietet eine äußerſt fleißige, lückenloſe
Sammlung aller für die Führung des Genoſſenſchafts⸗
regiſters in Betracht kommenden Formulare für An⸗
meldungen, Anträge, Einreichungen und Verfügungen.
In den Anmerkungen erläutert der Verfaſſer die For⸗
mulare kurz und treffend unter Anführung der geſetz—
lichen Beſtimmungen. Letztere ſind, wie Stichproben
ergeben, nicht immer ganz genau. So muß es z. B.
auf S. 5 Ziff. 12 ſtatt § 42 Geſetz wohl richtiger Bek.
86 Abſ. 3, S. 11 Zeile 3 ſtatt $ 16 8 18 heißen. Die
Erläuterungen ſind zum Teil beſonders gelungen, wie
S. 15 betr. die Beſtimmung der Veröffentlichungsblätter
außer dem Reichsanzeiger, S. 33 betr. die Faſſung der
Eintragung von Satzungsänderungen, S. 117 betr. die
Uebertragung von Geſchäftsguthaben. Manche davon
wiederum werden vielleicht nicht den Beifall eines jeden
Regiſterrichters finden, ſo S. 5 Ziff. 8 betr. Zeichnung
der Vornamen, S. 11 und 31 betr. die Prüfungspflicht
des Regiſterrichters, S. 33 betr. Nichtangabe des Da—
tums von Satzungsänderungen, Aenderung des Da—
tums der Satzung (?), S. 91 Ziff. 5 betr. Zeichnung
8 a Uebereinſtimmend Mittermaier in DIZ. vom 1. Februar 1914
der neuen „Firma“, S. 97 Ziff. 6 betr. Unzuläſſigkeit
der Kündigungszurücknahme nach erfolgter Eintragung.
In ſprachlicher Beziehung könnte das Werkchen noch
manche Verbeſſerung vertragen. Im Ganzen iſt es
ein empfehlenswertes Handbuch für den Regiſterrichter,
namentlich den noch nicht völlig eingearbeiteten. Seine
Benutzung wird ihm Zeit und Formfehler erfparen.
Auch den Genoſſenſchaften ſelbſt kann das Buch emp⸗
fohlen werden.
München. Amtsrichter Deſſel.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Das Geſetz gegen den Berrat militäriſcher Sehein⸗
niſſe vom 3. Juni 1914 wird im RGBBl. Nr. 32 auf
S. 195 ff. veröffentlicht. Es enthält eine Reihe neuer,
zum Teil eigenartig geſtalteter ſtrafrechtlicher Tat⸗
beſtände. Es kann daher nur im größeren Rahmen
behandelt werden, zumal da ſich in jüngſter Zeit die
Strafverfahren wegen Spionage bedeutend vermehrt
haben, das Geſetz alſo erhöhte Aufmerkſamkeit ver⸗
dient. Es iſt deshalb Vorſorge dafür getroffen, daß
es nach den Gerichtsferien in dieſer Zeitſchrift in einer
umfaſſenden Abhandlung beſprochen und erläutert wird.
3396
Der ee Neichs⸗ und Etantsangehörigteits:
geſetzes. Das IM Bl. teilt auf S. 100 die für den Bor-
mundſchaftsrichter wichtigen Beſtimmungen der Be⸗
kanntmachung des Staatsminiſteriums des Innern
vom 16. März d. Is. (MA Bl. S. 117) mit. Es handelt
ſich um die Mitwirkung der geſetzlichen Vertreter und
des Vormundſchaftsgerichts bei der Entſcheidung über
die Staatsangehörigkeit von Findelkindern (§ 4 des
Geſ.), bei Aufnahmegeſuchen und Einbürgerungsgeſuchen
unter elterlicher Gewalt ſtehender und bevormundeter
Perſonen (88 7, 8 des Geſ.) und bei der Entlaſſung
ſolcher 0 aus dem Staatsverbande (S 19 des
Geſ.). Der Weg, auf dem die mit der Inſtruktion bes
faßte Diſtriktsverwaltungsbehörde die Entſcheidung
des Vormundſchaftsgerichts über die Genehmigung des
Entlaſſungsantrags herbeizuführen hat, iſt dabei ſehr
zum Vorteil des bisher recht unterſchiedlichen und
willkürlichen Verfahrens geordnet.
3397
Mitteilung.
Die Sulafiung zur Rehtöanwaltihatt. Am 11. März
ds. Js. wurde in München ein „Verein bayeriſcher
Rechtsanwälte zur Abänderung der Zu⸗
laſſungsvorſchriften“ gegründet. Er will unter
Wahrung der Unabhängigkeit des Anwaltſtandes ſeiner
Ueberfüllung und Entwertung entgegentreten. Mit⸗
glied des Vereins kann jeder bayeriſche Rechtsanwalt ſein.
Als Vorſtandsmitglieder wurden gewählt: die
Rechtsanwälte Dr. Tuchmann (Vorſitzender), Popp
(Schriftführer), Dr. Graf v. Peſtalozza (Kaſſier), Juſtiz⸗
rat Dr. Heinsfurter und Rechtsanwalt Dr. Paret (Bei⸗
ſitzer). Als Mitglieder ſind bis jetzt 172 Rechtsanwälte
beigetreten. Anmeldungen nimmt entgegen der Schrift⸗
führer Rechtsanwalt Popp in München, Frauenſtraße
12 II.
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ir. 14 n. 15.
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Regierungsrat im K. Bayer.
Staatsminiſterium der Juſtiz.
München, den 1. Auguſt 1914.
Feitfhrift für Aettepflegt
in Bayern
10. Jahrg.
Verlag von
J. Schweitzer Verlag
(Arthur Zeller)
Aünchen, Berlin u. Leipzig.
(Seufferts Blätter für Rechtsau wendung 8d. 79.)
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich ||:
Mt. 3.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und |\-
lede Poſtanſtalt. V
Nachdruck verboten.
Der lleberweiſungs⸗und Echeckverkehr der Poſt.
Von Dr. Arthur Niggl,
Poſtrat im K. Bayer. Verkehrsminiſterium.
Der Ueberweiſungs⸗ und Scheckverkehr der
deutſchen Poſtverwaltungen war ſeit dem Jahre
1909 auf Grund geſetzlicher Ermächtigung!) durch
Verordnungen geregelt. An deren Stelle traten
am 1. Juli 1914 das PScheckS. vom 26. März
1914 (RGBl. S. 85) und die gemäß § 10 Abſ. 1
dieſes Geſetzes vom Reichskanzler erlaſſene Poſt⸗
ſchecko. vom 22. Mai 1914 (a. a. O. S. 131).
Dieſe gilt ſowohl für das Reichspoſtgebiet als auch
arg. $ 11 a. a. O. für den deutſchen Wechſelverkehr.
Für ſeinen inneren Verkehr hat Bayern eine eigene
PoſtſcheckO. erlaſſen.“) Die 88 2,5 und 6 PScheck .,
die gemäß 8 11 a. a. O. für den innern Verkehr
Bayerns nicht gelten, ſind durch die 88 2 III, 6 VII
und 11 1 der bayeriſchen Verordnung auch auf
dieſen Bereich für anwendbar erklärt. Es beſteht
alſo, von geringen Abweichungen abgeſehen, tat⸗
ſächlich Rechtseinheit, wenn ſie auch formell teilweiſe
aufverſchiedener Grundlage beruht. In den folgenden
Erörterungen über die wichtigſten rechtlichen Be⸗
ziehungen der Poſtverwaltung zu ihren Konto⸗
inhabern beim Ueberweiſungs⸗ und Schedverfehre °)
wird daher nur auf das PScheckc Z. und die
RPScheckO.“) verwieſen werden.
Der Poſtſcheckverkehr iſt im weſentlichen dem
Giroverkehre der Großbanken, vor allem der Reichs⸗
bank,) nachgebildet und verfolgt wie dieſer wirt⸗
ſchaftlich den Zweck, den Zahlungsausgleich zu er⸗
) Siehe 82 5 vom 18. Mai 1908, RGBl. S. 197.
) Vom 7. Juni 1914, GVBl. S. 160.
2) Im folgenden nur als Poſtſcheckvertrag bezeichnet.
) Im folgenden nur als G. und O. angeführt.
) Pgl. die Beſtimmungen für den Giro⸗
1 der Reichsbank“, Reichsbankformular
r. 276.
5 Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a.
„J Anzeigengebübr 30 Pfg. für die halbgeſpaltene Petitzelle
oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗
% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
285
leichtern.) Naturgemäß bewegt er ſich auf dem
Boden des bürgerlichen Rechts. Das G. und die
O. haben alſo kein neues Rechtsgebilde geſchaffen,
ſondern nur die für den privatwirtſchaftlichen Betrieb
der Banken geltenden Rechtsnormen dem ſtaatlichen
Betriebe der Poſtverwaltung durch beſondere in
dem G. und der O. niedergelegte Vertragsvor⸗
ſchriften angepaßt. Hieraus erklärt ſich auch die
Tatſache, daß das G. und die O. bürgerlichrechtliche
Beſtimmungen konſtitutiven Inhalts nur ſoweit
treffen, als die beſondere Art des Betriebes der
Poſt und ihr Verhältnis zu den Kontoinhabern
dies erfordern, und ſich im übrigen darauf be⸗
ſchränken, diejenigen Vorſchriften des allgemeinen
Rechts, die für den Poſtſcheckverkehr beſonders wichtig
ſind, in einer ihm angeglichenen Weiſe zu wieder⸗
holen. Soweit auch dies unterblieben iſt, gilt das
allgemeine Recht in unveränderter Form.
1
A. Der geſchäftliche In halt des Poſt⸗
ſcheckverkehrs iſt in der Hauptſache folgender:
1. Die Poſt nimmt Einzahlungen nach allge⸗
meiner Ermächtigung des Kontoinhabers für
ſeine Rechnung auf ſein Guthaben entgegen
und leiſtet Auszahlungen nach beſonderer Er⸗
mädtigung für feine Rechnung bis zur Höhe
des zu ſeiner Verfügung ſtehenden Guthabens.“
Einzahlungen auf das Guthaben können durch
Zahlkarte, die auch am Poſtſcheckverkehre nicht
Beteiligte aufliefern können, oder durch Ueber⸗
weiſung von einem anderen Konto erfolgen;
6) Vgl. 8 12 Bank. vom 14. März 1875, RGBl.
S. 180. Gemäß 8 13 a. a. O. iſt die Reichsbank befugt
für Rechnung von Privatperſonen, Anſtalten und Be⸗
hörden Inkaſſos zu erholen und nach vorheriger Deckung
Mandat Anweiſungen oder Ueberweiſungen auf ihre
Zweiganſtalten oder Korreſpondenten auszuſtellen.
) Mit der Einlöſung von Wechſeln, aus denen
der Kontoinhaber zu einer Zahlung verpflichtet iſt,
befaßt ſich die Poſt im Gegenſatze zur Reichsbank nicht.
286
ferner kann der Kontoinhaber die für ihn ein-
gehenden Poſtanweiſungs⸗, Poſtauftrags⸗ und
Poſtnachnahmebeträge ſeinem Konto gut⸗
ſchreiben laſſen. Auszahlungen können durch
Ueberweiſung auf ein anderes Konto oder durch
Scheck vorgenommen werden. (Vgl. 8 4 G.
und 88 5 bis 9 O.).
Als Gegenleiſtungen hat der Kontoinhaber
beim Poſtſcheckamt eine unangreifbare Stamm⸗
einlage zu erlegen, Gebühren für die Ein⸗
zahlung auf ſein Guthaben und für Ueber⸗
weiſungen und Barauszahlungen durch Scheck
von ſeinem Guthaben zu entrichten und den
Zinſengenuß aus der Stammeinlage und ſeinem
17 Guthaben der Poſt zu überlaſſen (88 2
un
B. Seiner rechtlichen Natur nach iſt der
Poſtſcheckvertrag, wie man das dieſem Geſchäfts⸗
verkehre zugrunde liegende Rechtsverhältnis wohl
wird nennen dürfen,“) ein Dienſtvertrag, der eine
Geſchaftsbeſorgung zum Inhalte hat und für den
die Vorſchriften des Auftrags und der Anweiſung
(88 611 ff., 675, 662 ff., 783 BGB.) mit den durch
das G., die O. und das Scheck. getroffenen Ein:
ſchränkungen gelten.) Das Guthaben hat dabei
die Eigenſchaft eines gemäß 8 669 BGB. ge⸗
währten Vorſchuſſes.
II.
A. Die Zulaſſung zum Poſtſcheckverkehr
hängt von der Erfüllung perſönlicher und ſach⸗
licher Vorausſetzungen ab. Als ſolche kommen
in Betracht, daß der Bewerber eine natürliche
oder juriſtiſche Perſon, oder eine Handelsgeſellſchaſt,
Vereinigung oder Anſtalt ohne die Eigenſchaft
einer juriſtiſchen Perſon, oder eine öffentliche
Behörde iſt und daß er eine Stammeinlage
von 50 M erlegt (88 1, 2 Abſ. 1 G.). Sind
dieſe Vorausſetzungen erfüllt, ſo muß die Poſt
den Bewerber zum Poſtſcheckverkehr zulaſſen. Dieſer
„Kontrahierungszwang“, der ein Gegen:
ſtück zum Betriebs- und Beförderungszwang der
Poſt nach § 3 Poft®. bildet, iſt Ausfluß der Eigen⸗
ſchaft der Poſt als einer öffentlichen Anſtalt. Seine
— —
2) Allerdings iſt mit dieſer Bezeichnung der Ueber-
weiſungs verkehr nicht gedeckt; dieſer Mangel gilt
aber auch für den Namen des PScheckG.
9) Im weſ. derſ. M.: Conrad, „Handbuch des
deutſchen Scheckrechts, Stuttgart 1908, S. 111; Breit,
Die Grundlagen des internen Scheckverkehrs, 39 R.
Bd. 64 S. 445; Mez, Ein Beitrag zur rechtlichen Be—
trachtung des Girovertehrs, Arch BürgR. Bd. 30 S. 57;
Berger, Zur rechtlichen Seite des Giroverkehrs, Diff.
Roſtock 1905, S. 18; Späing, Der Girovertrag der
deutſchen Reichsbank, Diſſ. Bonn 1906, S. 17 und 56;
Staub, HGB., Berlin 1913, IX, Bd. 2 S. 284; Klein,
Die Zahlungseinſtellung des Birofunden, ZHR. Bd. 55
S. 182 (vgl. OL GRſpr. Bd. 6 S. 80 und RG. 54, 333).
Abw. Kirſchberg, Der Poſtſcheck, Leipzig 1908, S. 92;
Kuhlenbeck, Das deutſche Scheckgeſetz, Breslau-Leipzig
1908, S. 15 und Leſſing, Scheckgeſetz, München 1908,
S. 48, die einen Vertrag „eigener Art“ annehmen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
Erfüllung kann, da es ſich um eine öffentlich⸗
rechtliche Pflicht handelt, nur durch Verwaltungs⸗
beſchwerde verfolgt werden; die Zivilklage iſt nicht
zuläſſig.““
B. Der Poſtſcheckvbertrag kommt zuſt ande
durch Antrag bei einem Poſtſcheckamt oder einer
anderen Poſtanſtalt und durch Annahme des An⸗
trags durch das Poſtſcheckamt und Eröffnung eines
Kontos für den Antragſteller, der dadurch zum
Kontoinhaber wird ($ 1 G., 8 1 O., 88 145, 151
BGB.; ſ. auch 88 107, 108, 1633, 110, 112 BG.)
C. Der Vertrag erliſcht durch Kündigung
und durch Konkurs des Kontoinhabers. Die
Kündigung ſteht dem Kontoinhaber jederzeit
frei, der Poſt dagegen nur dann, wenn der Konto⸗
inhaber ſein Guthaben mißbräuchlich, alſo vor⸗
ſaͤtzlich oder grobfahrlaſſig, überzieht (8 8 G.;
vgl. $ 623 BGB.). Im Konkursfalle er⸗
liſcht der Poſtſcheckbertrag gemäß 8 23 Abſ. 2 KO.
Gleichzeitig erlöſchen auch die vom Kontoinhaber
gemäß 8 6 III O. ausgeſtellten Vollmachten zur
Ausſtellung von Ueberweiſungen und Schecks
(8 168 BGB.). Da jedoch der Vertrag gemäß 8 27
Abſ. 1 KO. im Umfange des $ 672 Satz 2
BGB. fortbeſteht, muß die Poſt Einzahlungen,
auch ſolche durch Ueberweiſung, auf das Konto
des Gemeinſchuldners vorerſt noch entgegennehmen.
Ferner gilt der Vertrag gemäß § 674 BGB. zu:
gunſten der Poſt als fortbeſehend, ſolange ſie
von der Konkurseröffnung keine Kenntnis erhalten
hat oder ſie nicht kennen muß. In dieſem Falle
iſt die Poſt wegen ihrer Forderungen aus der
Ausführung von Ueberweiſungs⸗ und Schedaufträgen
gemäß 8 27 KO. Konkursglaͤubigerin, ſoweit fie
nicht mit dem Guthaben gegen ihre Forderungen
aufrechnen kann. Hat die Poſt Kenntnis von der
Konkurseröffnung, jo darf fie Ueberweiſungs⸗ und
Scheckaufträge nicht mehr vollziehen, ſelbſt wenn
dieſe vor der Konkurseröffnung ausgeſtellt ſein
ſollten. Die Zahlungseinſtellung berührt
das Vertragsverhältnis nicht.““
Verluſt der Geſchäftsfähigkeit oder
Tod des Kontoinhabers bildet ebenfalls
keinen Erlöſchungsgrund ($ 672 BGB.). Im
Todesfalle ſchließt jedoch die Poſt das Konto,
wenn nicht die Erben, der Teſtamentsvollſtrecker,
der Nachlaßpfleger, der Nachlaßverwalter oder eine
vom Kontoinhaber zur Weiterführung des Kontos
„) Vgl. OLS. Hamburg IV. ZS., 7. Februar 1910,
Bankarch. 7, 31.
22) Wegen der hier einſchlagenden zahlreichen Streit:
fragen vgl. u. a.: Brodmann, Zur Lehre vom Giro⸗
vertrage, 3 R. Bd. 48 S. 161 ff.; Conrad S. 4, 113
und 196; Breit S. 509 und 5283 Mez S. 106 ff.;
Späing S. 77; Leſſing S. 49 und 150 ff.; Klein
189 ff.; Kuhlenbeck S. 74; Simonſon, Der
She im Konkurſe des Ausſtellers, Gruchot 1906
S. 45ff.; Jäger, KO., Bd. 1 S. 260; Staub, 8.
Bd. 2 S. 287, RG 3. 40, 162; 54, 330; Ov Rſor.
Bd. 14 S. 41, OLG. Zweibrücken SeuffArch. Bd. 58
|
Nr. 32.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
287
Kontoinhabers an dieſe, den Vereinbarungen des
nach ſeinem Tode bevollmächtigte Perſon die Weiter⸗
führung des Kontos beantragt (8 12 O.).
D. Von den einzelnen Geſchäften, die ſich im
Rahmen des Poſtſcheckvertrages abſpielen, bieten
1. die Einzahlungen, die das Poſtſcheckamt
gemäß allgemeiner Ermächtigung des Kontoinhabers
auf Zahlkarten oder Poſtanweiſungen für jein
Konto entgegennimmt, nichts beſonders Erwähnens⸗
wertes. Bemerkt ſei, daß ſich die Zahlkarten nur
techniſch, nicht dagegen rechtlich von den Poſt⸗
anweiſungen unterſcheiden. Der Einzahler kann
ſie zurücknehmen, ſolange der Betrag, auf den
ſie lauten, dem Konto des Adreſſaten noch nicht
gutgeſchrieben iſt (8 2 XII O.). Der Anſpruch
des Kontoinhabers auf den Betrag entſteht gegen
die Poſt alſo erſt mit der Gutſchrift. Für die
Zahlkartenbeträge haftet die Poſt dem Einzahler wie
für Poſtanweiſungsbeträge (8 9 Abſ. 3 G., 8 6 Abſ. 4
Poſt G.). Der Entſchädigungsanſpruch erliſcht gemäß
8 14 Poft®. mit Ablauf von ſechs Monaten, vom
Tage der Einlieferung der Zahlkarte an gerechnet.
Wegen der Einzahlungen durch Ueberweiſung
ſ. unter 2a.
2. Für die Auszahlungen durch Ueber:
weiſung oder Scheck ſind einige gemeinſame Grund⸗
ſätze aufgeſtellt. Davon iſt der wichtigſte, daß
der Kontoinhaber gemäß 8 4 G. über ſein Gut⸗
haben nur ſoweit in beliebigen Teilbeträgen ver⸗
lügen darf, als es die gemäß 8 2 Abſ. 2 G. ein-
zuzahlende Stammeinlage überſteigt. Die Stamm⸗
einlage iſt alſo unangreifbar und dem Kontoinhaber
erſt bei Löſung des Vertrags zurückzugeben (8 667
BGB.). Ferner wird die Benützung amtlicher
Vordrucke und ſchriftliche Form verlangt ($ 6
J und V O.).
a) Die Ueberweiſung durch „roten
Scheck“ von einem Konto auf ein anderes iſt
in jeder Höhe innerhalb des verfügbaren Guthabens
zuläſſig (5 7 II O.). Sie erledigt ſich in der
Weiſe, daß der Kontoinhaber einen ausgefüllten
Ueberweiſungsvordruck ſeinem Poſtſcheckamt über⸗
mittelt, worauf dieſes den Betrag von ſeinem Konto
abbucht und dem Konto des Ueberweiſungsemp⸗
faͤngers entweder ſelbſt gutſchreibt oder die Gut⸗
ſchrift bei dem Poſtſcheckamte veranlaßt, wo das
zweite Konto geführt wird. Mit der Gutſchrift
entſteht das Verfügungsrecht des Empfängers auf
den überwieſenen Betrag und zwar auch dann,
wenn die Abbuchung auf dem Konto des Ueber⸗
weiſenden verſehentlich unterblieben iſt.!“) Dar:
aus ergibt ſich auch, daß der Ausſteller ſeine
Ueberweiſung bis zur Gutſchrift widerrufen kann
8 7 VIII O.). Ein Unterſchied zwiſchen den
Ueberweiſungen der Poſt und den roten Schecks
der Reichsbank beſteht nicht. Im Verhältnis
zwiſchen dem Ueberweiſenden und der Poſt iſt die
Ueberweiſung eine beſondere Ermächtigung des
11) RG. 54, 329.
— ——— —— B2ÿ——— d 0n:.— ſ— öä—ͤ¾. — • ͤä6ͤä — — — —— - —W0ũç ä b — '.. ee Lää—ä————_———
Poſtſcheckvertrages entſprechend eine Geſchäftsbe⸗
ſorgung vorzunehmen. Im Verhältnis zwiſchen
dem Ueberweiſungsempfänger und der Poſt handelt
es ſich ebenfalls um eine Geſchäftsbeſorgung im
Rahmen des Poſtſcheckvertrags, nämlich die Ent⸗
gegennahme einer Zahlung auf allgemeine Er⸗
mächtigung hin. Die Zweckmäßigkeit der Ueber⸗
weiſung hat die Poſt nicht zu prüfen, da ſie nur
Kaſſenhalterin, nicht aber Ratgeberin ihrer Konto⸗
inhaber iſt. Eine ſolche Prüfungspflicht würde
mit dem Weſen des Poſtſcheckvertrages unvereinbar
ſein und müßte, da die Poſt in derſelben Weiſe
die Intereſſen des Ueberweiſenden wie die des
Ueberweiſungsempfängers wahrzunehmen hätte,
häufig zu unlösbaren Schwierigkeiten führen, be⸗
ſonders beim Konkurſe oder der Zahlungseinſtellung
eines Kontoinhabers.)
b) Poſtſchecks (Weiße Schecks) kann der
Kontoinhaber innerhalb ſeines verfügbaren Gut⸗
habens bis zum Betrag von 20 000 M ausſtellen
(8 9 II O.). Zugelaſſen find nur Rektaſchecks, wo:
rin eine beſtimmte Perſon oder Firma als Zahlungs⸗
empfänger bezeichnet ſein muß und deren Ueber⸗
tragung durch Indoſſament ausgeſchloſſen iſt, ſo⸗
wie Inhaber ⸗(Kaſſa⸗) Schecks (8 9 VII und XV O.).
Schecks mit alternativer Inhaberklauſel (z. B. „an
Herrn R. oder Ueberbringer“) find abweichend
von der Vorſchrift in 8 4 Abi. 2 ScheckG. nicht
zugelaſſen (8 9 XV O.). Rektaſchecks hat der
Ausſteller ſeinem Poſtſcheckamte binnen zehn Tagen
nach der Ausſtellung (8 11 ScheckG.) !“) zu über:
'ſenden, das darauf durch Zahlungsanweiſung den
Scheckbetrag an den Empfaͤnger auszahlen läßt.
Hat jedoch der Ausſteller die Gutſchrift auf dem
Konto des Empfängers angeordnet, ſo hat das
Poſtſcheckamt dieſe ſelbſt vorzunehmen oder die
Vornahme durch das Poſtſcheckamt zu veranlaſſen,
das das Konto des Empfängers führt. In dieſem
Falle liegt ein Verrechnungsſcheck gemäß
8 14 ScheckG. vor. Inhaberſchecks find inner⸗
halb der Vorlegungsfriſt dem Poſtſcheckamte zur
Auszahlung vorzulegen. Der Inhaber kann da⸗
bei die Barauszahlung an ſich oder einen Andern
(im zweiten Falle durch Zahlungsanweiſung) oder
die Gutſchrift auf ſeinem oder einem anderen
Konto verlangen. Wird der Scheck nach Ablauf
der zehntägigen Friſt vorgelegt, ſo ſteht es im Er⸗
meſſen des Poſtſcheckamts, ob es ihn einlöſen will
(8 9 V Abi. 1 Satz 2 O.). Rektaſchecks kann der
Ausſteller beim Poſtſcheckamte widerrufen, ſolange
die Zahlungsanweiſung dem Empfänger noch nicht
12) Bol. RG. 54, 332; OL GRſpr. Bd. 6 S. 79;
RG. 1./ 15. Dezember 1913, VI 307/13, im „Recht“ 1914
Nr. 479; Breit S. 528; Brodmann S. 161.
12) Für Schecks, die im Auslande ausge⸗
ſtellt und von deutſchen Poſtſcheckämtern einzulöſen
ſind, gelten die Vorlegungsfriſten des gemäß 8 11
Abſ. 2 ScheckG. erlaſſenen Bundesratsbeſchluſſes vom
19. März 1908, RGBl. S. 71.
288
zugeſtellt iſt (S 9 V Abi. 2 O.). Für Inhaber:
ſchecks gilt die Vorſchriſt des $ 13 Abſ. 3 ScheckG.,
wonach der Widerruf während der Vorlegungs⸗
friſt erſt mit deren Ablaufe wirkſam wird.
Wie die Ueberweiſung iſt der Poſtſcheck eine
beſondere Ermächtigung (Anweiſung) des Konto⸗
inhabers an das Poſtſcheckamt, nach dem Poſt⸗
ſcheckbertrage eine Geſchäftsbeſorgung vorzunehmen,
für die neben den Beſtimmungen des Poſtſonder⸗
rechts das allgemeine Scheckrecht gilt. Der oben
erwähnte Verrechnungsſcheck wirkt zwar als Ueber⸗
weiſung, da der Betrag, auf den er lautet, nicht
bar ausgezahlt, ſondern gutgeſchrieben wird; er
büßt dadurch aber ſeine rechtliche Eigenſchaft als
Scheck nicht ein, da gemäß $ 14 Abſ. 1 Satz 3
Scheck. die Verrechnung als Zahlung, d. i. Ein⸗
löſung, gilt.
E. An dieſer Stelle ſind noch einige beſondere
Pflichten der Poſt und der Kontoinhaber zu er⸗
wähnen, die ſich aus dem G. und der O. ergeben.
1. Die Poſt hat gemäß $ 10 Abſ. 1 Nr. 7 G.
und § 1 IV Satz 2 O. dem Kontoinhaber über
die Ausführung der Aufträge und über Aenderungen
im Stande des Guthabens durch Kontoauszug
Mitteilung zu machen.“) Dieſe Benachrichtigungen
beziehen ſich auf Gut: und Laſtſchriften auf dem
Konto (ogl. 8 2 VIII, 83 II, 84 II und VII,
86 VI, 8 7 VI, 8 8 II und III O.).
2. Wie jede Staatsbehörde hat die Poſt Ver⸗
ſchwiegenheit über alle dienſtlichen Angelegenheiten
zu beobachten, deren Geheimhaltung ihrer Natur
nach geboten iſt. Dieſe Pflicht zur Wahrung
des Amtsgeheimniſſes erſtreckt ſich nicht auf den
dienſtlichen Verkehr der Behörden untereinander,
ſondern nach verwaltungsrechtlichen Grundſätzen
find fie zu gegenſeitiger Auskunft verpflichtet. Das
Amtsgeheimnis vermöchte nun die berechtigten
Intereſſen der Kontoinhaber nicht genügend zu
wahren. Denn die beſondere Vertrauensſtellung
der Poſtverwaltung zu ihren Kontoinhabern ver—
ſchafft ihr Kenntniſſe über die Vermögensverhält⸗
niſſe der Kontoinhaber, deren grundſätzlich unbe⸗
ſchränkte Geheimhaltung dieſe als etwas Selbſt—
verſtändliches zu betrachten gewohnt und nach der
Verkehrsſitte auch berechtigt ſind. Die Poſt er⸗
kennt daher auch die Pflicht zur Wahrung des
Scheckgeheimniſſes an, das als Gegenſtück
zum Briefgeheimnis die Grenzen des Amtsgeheim—
niſſes inſofern erheblich überſchreitet, als es ſich
auch auf den amtlichen Verkehr der Poſt mit an—
deren Behörden, alſo auch den VVV
erſtreckt. Wollte die Poſt ſich dieſer Pflicht ent:
ſchlagen, ſo würde ſie damit dem Poſtſcheckverkehre
geradezu den Lebensnerv unterbinden. Ausdrück—
lich ausgeſprochen iſt der Grundſatz zwar weder
im G. noch in der O., er läßt ſich aber aus §S 7 G.
folgern, der die Fälle erſchöpfend feſtlegt, in denen
14) Hierdurch rn die Vorſchrift des 8 666 BGB.
erſetzt: RG. 54,
—— 3.333 ——— 2 ͤꝗ—l. ß
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
die Poſt verpflichtet iſt, Auskunft über das Scheck⸗
guthaben zu erteilen und damit zu erkennen gibt,
daß die Poſt irgendwelche weitere Auskunftspflicht
nicht anerkennt und nicht anerkennen darf, ohne
ihre Vertragspflicht zu verletzen.) “)
Die Ausnahmebeſtimmungen des 8 7 G. find
wegen der leidigen und obendrein ſprachlich nicht
einwandfreien Verweiſungen auf andere, zum Teil
nur „entſprechend“ anzuwendende Geſetzesvorſchriften
nicht ohne weiteres verſtändlich. Die Poſt hat danach
Auskunft zu erteilen:
a) in den in § 5 PoſtG. angegebenen Aus:
nahmefällen,
b) in entſprechender Anwendung des § 3 Abſ. 4
und des 89 RSchuldbG. vom 31. Mai 1910,
RGBl. S. 840, und
c) im Falle des 8 840 ZPO. bei Pfändung
durch Zwangsvollſtreckung oder Arreſt.
Zu a und c. Gemäß $ 5 PoſtG. find Aus:
nahmen vom Briefgeheimnis im Strafprozeß, im
Konkursverfahren und im Zivilprozeß durch Reichs⸗
geſetz feſtzuſtellen. Dies iſt geſchehen durch die
88 99 bis 101 StPO. und 8 121 KO. Die Zivil:
prozeßordnung enthält keine darauf bezüglichen
Vorſchriften. Iſt nun die Auskunftspflicht gemaͤß
8 7 G. in den erwähnten Verfahren ſchlechthin zu:
läſſig (denn dies find die „im $ 5 PoſtG. an:
gegebenen Ausnahmefälle“) oder nur ſoweit, als
durch die vom 8 5 erwähnte Reichsgeſetzgebung
ausdrücklich Ausnahmen vom Briefgeheimnis zu⸗
gelaſſen ſind? Die zweite Annahme dürfte die
richtige fein, da ſonſt die im Falle des 5 840
ZPO. zugelaſſene Ausnahme nicht hatte erwähnt
zu werden brauchen. Die Auskunftspflicht der
Poſt tritt ſomit ein, wenn die Beſchlagnahme nach
den 88 99 bis 101 StPO. oder die Briefſperre
gemäß § 121 KO. oder die Erklärungsabgabe
nach $ 840 ZPO. angeordnet worden iſt.
Zu b. Bei entſprechender Anwendung des
§ 3 Abſ. 4 und des 8 9 RSchuldbG. kommen
folgende Auskunftsberechtigte in Betracht: Der ge⸗
ſetzliche Vertreter, der Gegenvormund, der Beiſtand,
die Erben und Vermächtnisnehmer, bei fortgeſetzter
Gütergemeinſchaft der überlebende Ehegatte des
Kontoinhabers und bei deſſen Konkurſe der Kon:
kursverwalter, 1 von der Poſtſperre ge⸗
mäß 8 121 KO.; ferner öffentliche Behörden, die
zur Reviſion eingetragener Genoſſenſchaften, ein⸗
geſchriebener Hilfskaſſen, juriſtiſcher Perſonen und
Vermögensmaſſen (Stiftungen, Anſtalten, Familien⸗
fideikommiſſe), welche ein Konto haben, befugt
18) Auch de das Zeugnis: und Auskunftsverweigerungs⸗
recht des Bankiers und ſeiner Angeſtellten haben die
Obergerichte unter Hinweis auf $ 383 Abſ. 1 Nr. 5
ZPO. anerkannt. S. hiezu Meiſter im Bankatch.
Bd. 10 S. 240 und die dort angeführte Rechtſprechung,
beſonders Bayobes G. Bd. 1 S. 292; vgl. ferner die
Nr. 13 der Zeitſchrift S. 271.
1e) Die im Poſtſcheckverkehr anfallenden Poſt⸗
ſendungen ſchützt ſelbſtverſtändlich das Poſtgeheimnis.
|
find, und Perſonen, die von Behörden zu dieſer
Reviſion ermächtigt worden find. Verweigert die
Poſt eine im öffentlichen Intereſſe verlangte Aus⸗
kunft, z. B. bei Beſchlagnahme im Strafprozeß
und bei richterlichen Auskunftserſuchen im Kon⸗
kursverfahren, ſo ſteht dem Berechtigten nur der
Weg der Verwaltungsbeſchwerde offen. Soll die
Auskunft dagegen vermögensrechtlichen Intereſſen
dienen, wie bei der Erklärungsabgabe nach 5 840
ZPO. und in den Fällen unter b, ſo iſt Zivil:
klage zuläſſig. Die Auskunft erſtreckt ſich nicht
nur auf die Höhe des Guthabens, ſondern auch
darauf, wann, von wem, von wo und in welcher
Höhe Einzahlungen erfolgt ſind; wann, in welcher
Höhe und zu weſſen Gunſten der Kontoinhaber
über ſein Guthaben verfügt hat.
3. Die Abgabe von Vordrucken zu Ueber⸗
weiſungen und Schecks an den Kontoinhaber er⸗
höht naturgemäß die Gefahr mißbräuchlicher Be⸗
nützung des Kontos durch Unberechtigte, da die
Ausfüllung eines Vordrucks immerhin weniger
Schwierigkeiten bietet, als die Anfertigung einer
vollſtändig handſchriftlich hergeſtellten Urkunde.
Nach Treu und Glauben im geſchäftlichen Ver⸗
kehr iſt daher der Kontoinha ber gehalten, die
Vordrucke vor Entwendung und Mißbrauch be⸗
ſonders zu ſchützen ($ 157 BGB.). Hieran er⸗
innert 8 6 II O. den Kontoinhaber ausdrücklich,
indem er ihn verpflichtet, die Vordrucke jorgfältig
und ſicher aufzubewahren. Nach dieſer Vorſchrift
hat er ferner alle Nachteile zu tragen, die durch
den Verluſt oder das ſonſtige Abhandenkommen
der Vordrucke, z. B. Diebſtahl, entſtehen, wenn
er nicht das Poſtſcheckamt von den erwähnten
Vorkommniſſen ſo rechtzeitig benachrichtigt, daß
der Vollzug von Ueberweiſungs⸗ und Scheckauf⸗
trägen zugunſten von Unberechtigten verhindert
werden kann. Endlich macht er ihm zur Auf⸗
gabe, die ihm vom Poſtſcheckamte mitgeteilten
Sicherheitsmaßregeln zu beachten. Sonach hat
der Kontoinhaber nicht bloß gemäß 88 276 und
278 BGB. für die ſchädigenden Folgen eines
Verſchuldens auf ſeiner Seite aufzukommen, ſon⸗
dern die ganze Gefahr des Verluſtes ohne Rück⸗
ſicht darauf, ob er ihn verſchuldet hat, zu über⸗
nehmen (ſ. aber auch unter F.).
F. Gemäß 8 9 Abſ. 1 Satz 1 G. haftet
die Poſtverwaltung dem Kontoinhaber für die
ordnungsmäßige Ausführung der beim Poſtſcheck⸗
amt eingegangenen Aufträge nach den allgemeinen
Vorſchriften des bürgerlichen Rechts über die Haf⸗
tung des Schuldners für die Erfüllung ſeiner Ver⸗
bindlichkeiten, von denen die für den Poſtſcheck⸗
verkehr hauptſächlich in Betracht kommenden oben
unter IA 1 und II E angeführt find (val. vor
allem 88 276, 278, 249, 252 und 254 BGB.).
Dieſe Haftvorſchrift beſteht ſowohl zugunſten des
Kontoinhabers, der gemäß $ 4 G. über ſein Gut:
haben verfügt, als auch zugunſten desjenigen, der
gemäß § 3 G. eine Gutſchrift erhält. Der Scheck—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
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289
inhaber ſteht als ſolcher zur Poſt in keinem Ver⸗
tragsverhältnis.““)
Die Haftpflicht erleidet aber eine wichtige Ein⸗
ſchränkung, da die Poſt gemäß $ 9 Abſ. 1 Satz 2 G.
die Verantwortung für die Folgen ablehnt, die aus
der nicht rechtzeitigen Ausführung der ihr erteilten
Aufträge entſtehen.“ “)
Den Schaden aus dem Vollzuge falſcher oder
verfälſchter Ueberweiſungs⸗ und Scheckaufträge hat
grundſätzlich die Poſt zu tragen, da die Verkehrs⸗
ſitte (8 157 BGB.) von der Girobank (hier dem
Poſtſcheckamt) äußerſte Prüfungsſorgſalt verlangt.
Nach 8 6 III O. hat übrigens auch der Konto:
inhaber die Unterſchriften der Perſonen zu hinter⸗
legen, die zur Ausſtellung der erwähnten Urkunden
berechtigt ſein ſollen, „damit die Unterſchriften auf
den beim Poſtſcheckamt eingehenden Ueberweiſungen
und Schecks auf ihre Echtheit geprüft werden können“,
was darauf ſchließen läßt, daß die Poſt ihre Prüfungs⸗
pflicht ausdrücklich anerkennt. Trifft jedoch den Konto⸗
inhaber ein Mitverſchulden an dem Schaden, weil er
etwa ſeine Verwahrungs⸗ und Anzeigepflicht nach
86 II O. nicht an 05 ſo regelt ſich die Haft:
frage nach $ 254 B
Bei 9 ui die Poſt zwar im
allgemeinen die Legitimation des Vorzeigers nicht
zu prüſen, da für dieſen die Vermutung des Eigen⸗
tums an der Urkunde aus 8 1006 BGB. ſpricht.
Immerhin darf ſie auch hierbei nicht gegen Treu
und Glauben verſtoßen, beſonders an offenkundig
Unberechtigte nicht zahlen. Für Leiſtungen, die
ſie auf falſche Vordrucke bewerkſtelligt hat,
haftet ausſchließlich die Poft.'?)
Der Erſatzanſpruch gegen die Poſt verjährt
gemäß § 9 Abſ. 2 G. binnen zwei Jahren, be⸗
ginnend mit dem Schluſſe des Jahres, in dem
der Auftrag dem zu ſeinem Vollzuge zuſtändigen
Poſtſcheckamte zugegangen iſt (vgl. 8 196 BGB.).
Die Klage iſt nicht gegen das Poſtſcheckamt, ſon⸗
dern gegen die Behörde zu richten, die nach den
Verwaltungsordnungen zur Vertretung des Poſt⸗
ärars in Rechtsſtreitigkeiten berufen iſt. Das ſind
im Reichs- und im bayeriſchen Poſtgebiete die
Oberpoſtdirektionen, in Württemberg die General⸗
direktion der Poſt und Telegraphen in Stuttgart.
11) Die Haftung für Zahlkartenbeträge iſt bereits
oben unter II D 1 erwähnt worden.
1s) Aufträge müſſen nach den Dienſtvorſchriften
der Poſtſcheckämter noch am Tage ihres Eingangs,
und wenn ſie nach den feſtgeſetzten Schlußzeiten ein⸗
laufen, am folgenden Tage erledigt werden. Ein Be—
amter, der dieſe Vorſchrift . 9 8
haftet dem Kontoinhaber aus § 839 Abi. 1 BGB
1) Auf die Haftfälle im einzelnen kann hier nicht
eingegangen werden. Vgl. aus der 1 Recht⸗
ſprechung und Literatur: RGg. 56, 413; 81, 254; Ov G.
Karlsruhe in der DJ Z. 1905 S. 464; 190 im Banklrch.
Bd. 12 S. 403; HG. Zürich und Schweiz Bund. in der
3H R. Bd. 48 S. 299 ff.; Kuhlenbeck S. 90, Leſſing
S. 170, Brodmann S. 161, Mez S. 86, Breit
S. 524, Conrad S. 249, Kirſchberg S. 140 und
Berger S. 89.
2%
Herhtsnatur und Ablöſung der neurechtlichen
Münchener Gemeinſchaftsmauer.
Von Landgerichtsrat Heinrich Lieberich in München.
(Schluß).
d) Die Ablöſungspflicht bei der bewilligten Ges
meinſchaftsmauer des neuen Rechts hat ihre Grund⸗
lage in der vertragsmäßigen Regelung des Gemein⸗
ſchaftsverhältniſſes. Dieſe Regelung kann von den
Teilhabern der Gemeinſchaft jederzeit durch neue
Vereinbarungen geändert werden und ſo ſteht auch
nichts im Wege, daß die jeweiligen Teilhaber der
Gemeinſchaft ſchon vor Inanſpruchnahme des An⸗
baurechts durch den Nachbarn ſich über deſſen Ab⸗
löͤſungspflicht anderweit einigen, insbeſondere dieſe
gegen oder auch ohne ſofortige Abfindung des
Eigentümers des Erſtbaugrundſtücks aufheben. Auch
eine derartige Vereinbarung wirkt gemäß 8 746
BGB. gegenüber den beiderſeitigen Beſitznachfolgern.
Es kann daher der Erwerber des Erſtbaugrund⸗
ſtücks, auch wenn die dazu gehörende bewilligte
Gemeinſchaftsmauer noch nicht angebaut iſt, keines⸗
wegs darauf rechnen, daß ihm im Falle des An⸗
baues durch den Nachbarn ein Verbots⸗ und allen⸗
muß f Ablöſungsrecht gegen dieſen zuſtehe. Er
muß ſich vielmehr ebenſo, wie bei anderen Grenz⸗
einrichtungen, über die beſtehende Ordnung des
beiderſeitigen Benutzungsrechts, wozu gegebenenfalls
auch die Ablöſungspflicht des Nachbarn gehört, bei
dieſem vergewiſſern. Wie ſchon erwähnt, wirken
die Vereinbarungen nach $ 746 BGB. unabhängig
von der Kenntnis der Beſitznachfolger gegen dieſe
und da die Verhältniſſe der Grenzeinrichtungen
auch nicht Gegenſtand der Grundbucheintragungen
ſind, kommt ebenſowenig der Schutz des öffent⸗
lichen Glaubens des Grundbuchs hier zugunſten
des Erwerbers des Erſtbaugrundſtücks in Frage.“)
Aus dem Geſagten ergibt ſich, daß die Ab⸗
löſungspflicht des Nachbars insbeſondere auch durch
einfachen Verzicht des Eigentümers des Erſtbau⸗
grundſtücks gegenüber dem Nachbarn aufgehoben
werden kann. Dieſer Verzicht bedarf ſo wenig
einer Form, wie eine ſonſtige Benutzungsverein⸗
barung. Art. 77 AGzBGB. läßt auch für den
geſetzlichen Verbietungs⸗ und Ablöſungsanſpruch im
Falle der Erhöhung und Verſtärkung einer Ge-
meinſchaftsmauer nach Art. 68 AG., ebenſo wie
für die ihm nachgebildeten übergangsrechtlichen An⸗
ſprüche nach Art. 69 und 70 2. einen ſolchen
formloſen Verzicht zu. Nach Abſ. 2 des Art. 77 ſollen
auf dieſen Verzicht jedoch, wenn das Grundſtück
des Berechtigten mit Rechten Dritter belaſtet iſt,
die Vorſchriften des $ 876 BGB. anwendbar fein,
20) S. Staudinger Anm. IIa zu 8 921; RGRKomm.
Anm. 6 zu $ 921 (Grenzeinrichtungen find nicht ein—
tragungsbedürftig) und RGRKomm. Anm. 6 Abſ. 3
zu § 892 BGB. (der öffentliche Glaube des Grund—
buchs erſtreckt ſich nicht auf Einrichtungen, insbeſondere
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
d. h. es ſoll die Zuſtimmung der Drittberechtigten
zu dem Verzicht erforderlich ſein, außer wenn deren
Rechte durch den Verzicht nicht berührt werden.
Der Art. 77 ſchraͤnkt dieſes Erfordernis aber ſelbſt
wieder für die Hauptfälle der Belaſtung, nämlich
die mit Reallaſten, Hypotheken, Grund⸗ oder Renten⸗
ſchulden ganz erheblich dahin ein, daß die Zu⸗
ſtimmung dieſer Drittberechtigten zum Verzicht auf
die Ablöſungsrechte nicht erforderlich iſt, wenn der
Verzicht erklärt wird, bevor das Grundſtück zu:
gunſten des Drittberechtigten beſchlagnahmt iſt.
Für die bewilligte Gemeinſchaftsmauer des neuen
Rechts iſt aber, abgeſehen von den Fällen des
Art. 68 AG., die Anwendbarkeit des 8 876 (und
877) BGB. überhaupt zu verneinen. Denn, wie
ſchon hervorgehoben, handelt es ſich bei den Grenz⸗
einrichtungen des BGB., alſo auch bei der be⸗
willigten Gemeinſchaftsmauer, eigentumsrechtlich
um Verhältniſſe weſentlich tatſächlicher Natur, denen
das Geſetz allerdings die Wirkung nachbarrecht⸗
licher Eigentumsbeſchränkungen beilegt. Entſtehung
und Aufhebung derartiger Verhältniſſe unterliegen
daher nicht den Vorſchriften über die Begründung
und Aufhebung dinglicher Rechte an Grundſtücken,
daher auch nicht den Vorſchriften der 88 876,
877 BGB. Die gegenteilige Vorſchrift des Art. 77
AG. für die dort behandelten Ablöſungsfälle beruht
auf der Erwägung, daß es ſich hierbei um den
Verzicht auf Eigentumsbefugniſſe handelt, die un⸗
mittelbar durch das Geſetz verliehen find und auf
die daher ohne die erleichternden Vorſchriften des
Art. 77 AG. nur durch Beſtellung einer entſprechen⸗
den Grunddienſtbarkeit zugunſten der Eigentümer
des Nachbargrundſtücks mit dinglicher Wirkung
hätte verzichtet werden können.) Bei ber Ab:
löſung der bewilligten Gemeinſchaftsmauer ſtehen
jedoch, abgeſehen von den Erhöhungsfällen des
Art. 68, derartige geſetzliche Eigentumsbefugniſſe
nicht in Frage.“) Der Verzicht auf den Ab:
2) Siehe Henle⸗Schneider Anm. 1 zu Art. 77 AG.
29) Meisner, Nachbarrecht S. 41 Note 3, 4, S. 56
Note 1, S. 57 Note 1, läßt zwar ebenfalls die Entſtehung
und Aufhebung einer Grenzeinrichtung durch formloſe
Uebereinkunft der Nachbarn zu, iſt aber gleichwohl der
Meinung, daß die Grenzeinrichtung und die ſich aus
ihr ergebenden Benutzungsrechte nicht ohne Zuſtimmung
der an den beteiligten Grundſtücken dinglich Berechtigten,
insbeſondere der Hypothekgläubiger aufgehoben werden
können; doch könne dieſe Zuſtimmung formlos, auch
durch ſchlüſſige Handlungen erteilt werden. Ebenſo
Wolff Recht 1900 S. 477 und Staudinger Anm. II 4
Abf. 3 zu § 922 BGB. Dies erſcheint nach dem oben
Ausgeführten nicht zutreffend. Es iſt auch nicht ein⸗
zuſehen, weshalb die Begründung und Aufhebung einer
Grenzeinrichtung gegenüber den Drittberechtigten ver
ſchieden behandelt werden ſollte. Mit Wolff (a. a. O.)
find dagegen den dinglich Berechtigten nach den Um⸗
ſtänden des Falles gegenüber Verfügungen über die
Gemeinſchaftsmauer die Schutzbehelfe nach 88 110,
1134, 1201, 1065 BGB. zuzubilligen. Ebenſo iſt die
Einräumung oder Aufgabe einer Grenzanlage nach
allgemeinen Grundſätzen innerhalb und außerhalb des
Gebäude auf dem Grundſtück), dazu RG. 73, S. 129. Konkurſes anfechtbar (Wolff a. a. O. S. 478 Abſ. 2).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
löſungsanſpruch ſchließt notwendig auch den auf
das Verbietungsrecht ein, dagegen der Verzicht auf
das Verbietungsrecht (durch Anbaugeſtattung) keines⸗
wegs ohne weiteres auch den auf den Ablöſungs⸗
anſpruch.“)
e) Wie dem Verzicht unterliegt der Verbie⸗
tungs⸗ und der Ablöſungsanſpruch der gewöhn⸗
lichen 30⸗jährigen Anſpruchsverjährung (vgl. hierzu
Art. 78 AG.). Dieſe Verjährung beginnt mit der
Entſtehung der Anſprüche (8 198 BGB.). Die
Entſtehung des Verbietungs⸗ und des ſelbſtändigen
Ablöſungsanſpruchs fallen jedoch nicht immer zeitlich
zuſammen — erſterer entſteht ohne weiteres durch
jeden unbefugten Anbau, letzterer nur unter den
beſonderen oben dargelegten Vorausſetzungen — und
es kann andrerſeits in der Perſon des derzeitigen
Eigentümers des Nachbargrundſtücks nur der Ver⸗
bietungs⸗, aber nicht der Ablöſungsanſpruch be⸗
gründet ſein (ſ. IV c oben). Es kann daher trotz
Verjährung des Verbietungsanſpruchs ein noch nicht
verjährter ſelbſtändiger Ablöſungsanſpruch beſtehen,
mangels eines ſolchen ſchließt aber die Verjährung
des Verbietungsanſpruchs ſowohl das Recht auf
Beſeitigung des Anbaus, wie das auf Zahlung
einer Ablöfungsſumme aus.
f) Der Ablöſungsanſpruch des Eigentümers
des Erſtbaugrundſtücks aus der Errichtung (oder
des Eigentümers des Erhöhungsgrundſtücks aus
der Erhöhung der Gemeinſchaftsmauer nach Art. 68
AG.) entſteht erſt mit der Inanſpruchnahme des
Anbaurechts durch den Nachbarn. Bis dahin iſt
zwar in der Perſon jedes Eigentümers des Erſt⸗
bau= oder Erhöhungsgrundſtücks durch ſeine Stellung
als Teilhaber der Benutzungsgemeinſchaft die Grund⸗
lage ſür die Entſtehung des Anſpruchs in ſeiner
Perſon gegeben; ob jedoch der Anſpruch in ſeiner
Perſon wirklich entſteht, hängt davon ab, ob der
Ablöſungsfall während ſeiner Beſitzzeit auch ein⸗
tritt. Der Ablöſungsanſpruch iſt alſo inſoweit
nur ein zukünftiger Anſpruch. Aber auch dieſer
zukünftige Anſpruch kann, wie andere Anſprüche
ſolcher Art, Gegenſtand von Verfügungen des
jeweiligen Grundſtückeigentümers durch Abtretung,
Verpfändung uſw., ebenſo auch Gegenſtand der
Pfändung ſein.“ ) Derartige Verfügungen find an
2) Siehe hierzu oben IV e. Zu weitgehend Pfir⸗
ſtinger, Kommunmauer S. 42, der den Verzicht nach
Art. 77 AG. ſchlechthin nur für das Verbietungsrecht
gelten laſſen will.
5) Selbſtändig abtretbar im Sinne der obigen
Ausführungen iſt jedoch an ſich nur der ſelbſtändige
(unmittelbare) Ablöſungsanſpruch. Der Verbietungs—
anſpruch und der lediglich aus ihm fließende mittel⸗
bare Ablöſungsanſpruch iſt mit dem Eigentum des
berechtigten Grundſtücks untrennbar verbunden und
daher ſelbſt weder abtretbar noch verpfändbar (§ 1274
Abſ. 2 BGB.). Nur die Ausübung des Verbietungs—
anſpruchs kann übertragen werden und eine ſolche
Uebertragung wird regelmäßig in der Abtretung des
(ſelbſtändigen) Ablöſungsanſpruchs mit gelegen ſein.
Dieſe Uebertragung des Verbotsanſpruchs wirkt aber
als bloße Uebertragung der Rechtsausübung nur ſo—
291
ſich rechtsgültig, ihre Rechtswirkſamkeit für den
von ihnen betroffenen Anſpruch ſetzt aber vor⸗
aus, daß dieſer auch tatſächlich in der Perſon
des Verfügenden entſteht; diesfalls wirkt aber
die Verfügung auf den Zeitpunkt ihrer Vor⸗
nahme zurück. Eine Abtretung, Verpfändung oder
Pfändung des Ablöſungsauſpruchs iſt daher ohne
Wirkung, wenn zur Zeit der Entſtehung des Ab⸗
löſungsanſpruchs der Abtretende, Verpfändende oder
Pfändungsſchuldner nicht mehr Eigentümer des
Eritbau: oder Erhöhungsgrundſtücks iſt und
der Nachbar kann ohne Rückſicht auf ſolche Ver⸗
fügungen die Ablöſungsſumme an den Eigentümer
dieſes Grundſtücks im Zeitpunkt des Ablöſungs⸗
falles zahlen, ſofern nicht dieſer über die Ablöſungs⸗
ſumme verfügt hat. Letzterenfalls ſteht dem an
den Eigentümer zahlenden Nachbarn nur die Schutz⸗
vorſchrift des 8 407 BGB. zur Seite.“) Bei
der Verpfändung und Pfändung von Ablöſungs⸗
anſprüchen iſt außerdem zu beachten, daß Schuldner
des Ablöſungsanſpruchs ebenfalls nur der Eigen⸗
tümer des Nachbargrundſtücks wird, der von dem
Anbaurechte Gebrauch macht. Im Falle eines
Eigentumswechſels bei dem Nachbargrundſtück vor
dem Anbau muß daher auch der Beſitznachfolger
von der Verpfändung oder Pfändung des Ab⸗
lange, als dem Uebertragenden ſelbſt das Verbietungs⸗
recht zuſteht. Der Abtretungserwerber eines (ſelb⸗
ſtändigen) Ablöſungsanſpruchs kann daher das mit⸗
übertragene Verbietungsrecht nur ſolange geltend
machen, als ſein Rechtsvorgänger Eigentümer des
Erſtbaugrundſtücks iſt. Das gleiche gilt für die Pfändung
des Verbietungsrechts (ſ. des Näheren Note 43 unten).
2%) Hinſichtlich der Zuläſſigkeit der Abtretung künf⸗
tiger Anſprüche ſ. insbeſ. RG. 55, 334; 67, 166; 74, 82;
75, 227 und JW. 1910 S. 230, 1913 S. 132, für Ab⸗
löſungsanſprüche der hier fraglichen Art OLG. Nürn⸗
berg Bay ZfR. 1907 S. 334, 1910 S. 412, 1912 S. 445.
Die Pfändung künftiger Anſprüche läßt zwar Stein,
Komm. z. ZPO. Note 12 zu 8 829 ſchlechthin nicht zu,
nach RG. JW. 1904 S. 365 iſt ſie jedoch dann zuläſſig,
wenn für den Anſpruch durch ein Vertragsverhältnis
der Beteiligten eine ausreichende rechtliche Grundlage
geſchaffen iſt, ſelbſt wenn die Entſtehung des Anſpruchs
noch in der Zukunft liegt und von der konkreten
Geſtaltung der auf ihr beruhenden rechtlichen Bezieh⸗
ungen der Beteiligten abhängt. Ebenſo RG. JW. 1913
S. 884 und OLG. München Bay ZfR. 1914 S. 234. Um Ans
ſprüche ſolcher Art handelt es ſich aber ſowohl bei der
Ablöſung der bewilligten neurechtlichen Gemeinſchafts⸗
mauer, wie bei dem geſetzlichen Ablöſungsanſpruch des
Art. 68 AG. Meisner, Nachbarrecht S. 60 Note 2—4 nimmt
auch vom Standpunkt des von ihm vertretenen Bereiche⸗
rungsanſpruchs an, daß eine Abtretung des Ablöſungs⸗
anſpruchs vor dem Anbau gegenüber dem ſpäteren
Erwerber des Erſtbaugrundſtücks nicht wirkt. Eine
Pfändung des Ablöſungsanſpruchs läßt er erſt nach dem
Anbau zu. Ebenſo Pfirſtinger, Kommunmauer ©. 33, 37.
Für Abtretbarkeit und Pfändbarkeit des künftigen Ab⸗
löſungsanſpruchs auch Buhmann Bay 3fR. 1914 S. 223.
Ueber die Abtretbarkeit des altrechtlichen Ablöſungs-
anſpruchs ſ. Tinſch, Münchener Stadtrecht S. 37, und
hinſichtlich der Abtretung und Pfändung des über—
gangsrechtlichen Ablöſungsanſpruchs Schmidt Seuff Bl.
Bd. 66 S. 363 und OLG. München SeuffBl. Bd. 70
S. 208, Bd. 72 S. 262, welch letztere Entſcheidungen
die gleichen Grundſätze, wie oben entwickelt, vertreten.
292
löſungsanſpruchs gemäß 8 1280 BGB. oder 8 829
Abſ. 3 ZPO. verſtändigt werden. Die vorbezeich⸗
neten Verfügungen über den Ablöſungsanſpruch
können zugunſten der Gläubiger des Verfügenden
nach allgemeinen Grundſaͤtzen 0 en Bläubiger-
benachteiligung angefochten werden.
Für das 1 folgt
aus der bloß bedingten Wirkung der Abtretung
uſw. zunächſt, daß im Fall der Zwangsverſteigerung
des Erſtbaugrundſtücks vor Eintritt des Ablöſungs⸗
falls der Ablöſungsanſpruch ungeachtet der Ab⸗
tretung auf den Erſteher übergeht.“) Iſt da⸗
gegen in der Perſon des Beſchlagnahmeſchuldners
der (perlönliche) Ablöſungsanſpruch bereits ent⸗
ſtanden, ſo wird dieſer Anſpruch durch die Be⸗
ſchlagnahme des Erſtbaugrundſtücks zum Zboeck
der Zwangsverſteigerung oder Zwangsverwaltung
nicht mehr berührt.!) Wohl aber kann der Schuldner
nach erfolgter Beſchlagnahme zum Zweck der Zwangs⸗
verſteigerung über die Grenzeinrichtung nurmehr
im Rahmen der 88 23 und 24 3 BGG. verfügen.
Hiernach iſt er nicht mehr zu Veräußerungen und
zur Verwaltung und Benutzung nurmehr inner⸗
halb der Grenzen einer ordnungsmäßigen Wirt⸗
ſchaft befugt. Damit iſt ausgeſchloſſen, daß er
ſich durch Verzicht auf das Verbietungsrecht oder
ſonſtige Ablöſungsvereinbarungen hinſichtlich der
Gemeinſchaftsmauer noch in den Beſitz der Ab⸗
löſungsſumme ſetzen kann, da hierin eine Ver⸗
äußerungsverfügung im Sinne des § 23 3G.
hinſichtlich des beſchlagnahmten Grundſtücks, jeden⸗
falls eine die Grenzen ordnungsmäßiger Wirtſchaft
überſchreitende Maßnahme zu erblicken wäre.“)
285) Ebenſo Pfirſtinger, Kommunmauer ©. 37.
0) Im gleichen Sinne Pfirſtinger, .
S. 42; Wolff Recht 1900 S. 477 Ziff. 9 A
15 Der Ablöſungsanſpruch gehört 1 zu den
Gegenſtänden, auf die ſich nach SS 1120—1130 BGB.
die Hypothekhaftung und danach gemäß 58 20 - 21 3G.
auch die Beſchlagnahmewirkung erſtreckt. Auch Ent⸗
ſchädigungsanſprüche anderer Art als die Verſicherungs⸗
forderungen nach SS 1127— 1129 BGB. bilden — von
ausdrücklichen geſetzlichen Ausnahmen z. B. hinſichtlich
der Enteignungsentſchädigung abgeſehen — keine Ber:
mögenswerte, die von der Hypothek und Beſchlagnahme
umfaßt werden; dies gilt daher auch von dem hier
aan Ablöſungsanſpruch (ſ. Güthe Anm. 10e Abſ. 5
zu 8 22 326.) Der Ablöſungsanſpruch gehört auch
nicht im Falle der Zwangsverwaltung zu den von dieſer
umfaßten Anſprüchen auf wiederkehrende Leiſtungen
aus einem mit dem Eigentum verbundenen Rechte (|.
OLG. Dresden OLG. Bd. 9 S. 139; Güthe Anm. 5 zu
8148 3 WG.).
Bei Verſteigerung des Erſtbaugrundſtücks ver—
bleibt, wie bei einer ſonſtigen Veräußerung, der
(ſelbſtändige) Ablöſungsanſpruch dem Schuldner; das
Verbietungsrecht geht dagegen auf den Anſteigerer
über. Steht daher dem bisherigen Eigentümer ein
ſelbſtändiger Ablöſungsanſpruch nicht zu, ſo kann er
die Zahlung der Ablöſungsſumme nach dem Eigen—
tumsübergang nicht mehr verlangen. Auch ein Bes
reicherungsanſpruch hierwegen gegen den Anſteigerer
iſt ſchon angeſichts des rechtmäßigen Erwerbs dieſes
letzteren ausgeſchloſſen.
0 Siehe hierzu Güthe Anm. 1 zu § 24 3VG.,
Anm. 3 zu § 23 3G.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
Im Falle der Beſchlagnahme zum Zweck der Zwangs⸗
verwaltung verliert der Schuldner ohnehin gemäß
8 148 Abi. 2 3G. das Verwaltungs: und Be⸗
nutzungsrecht und damit die Befugnis zu Ver⸗
fügungen irgendwelcher Art hinſichtlich der Grenz⸗
einrichtung. Soweit jedoch nach erfolgter Beſchlag⸗
nahme die Ablöͤſungsſumme, ohne fein Zutun,
dadurch anfällt, daß der Nachbar das Anbaurecht
gegen Zahlung der Ablöſungsſumme in Anſpruch
nimmt, fällt die Ablöͤſungsſumme, weil die Be⸗
ſchlagnahme ſich auf dieſe nicht erſtreckt, dem
Schuldner zu und es bleiben diesfalls auch frühere
Verfügungen des Schuldners über fie wirkſam.“)
Dies gilt ebenſo für den Ablöſungsanſpruch aus
der Bewilligung der Gemeinſchaftsmauer, wie für
den geſetzlichen 5 nach Art. 68 AG.
im Fall der Mauererhöhung.““)
g) Was endlich die Geltendmachung des Ver⸗
bots⸗ und Ablöſungsanſpruchs bei der neurecht⸗
lichen Gemeinſchaftsmauer anbelangt, ſo kann, wie
ſchon erwähnt, der Eigentümer des Erſtbaugrund⸗
ſtücks gegen die in dem unbefugten Anbau liegende
Beeinträchtigung ſeiner Eigentümerrechte mit der
Beſeitigungs⸗ und Unterlaſſungsklage nach 8 1004
BGB. vorgehen.“) Er kann aber auch aus dem
zwiſchem ihm und dem Nachbarn beſtehenden Be⸗
nutzungsgemeinſchaftsverhältniſſe gegen Verletzungen
0) Siehe Güthe Anm. 3 zu § 23 3G. (nach der Be⸗
ſchlagnahme hinzukommende Forderungen unterliegen
dem Beräußerungsverbote nur, ſofern fie von der Be⸗
ſchlagnahme ergriffen werden); vgl. auch Güthe Anm. 10
Abſ. 3 zu SS 20—21 3G. bez. der Verſicherungs⸗
forderungen.
40) Für die nach Art. 68— 70 A. begründeten Ver⸗
bietungsanſprüche läßt Art. 77 den Verzicht des Be:
rechtigten ohne Zuſtimmung etwaiger Reallaſt⸗ oder
Hypothek⸗ uſw.⸗berechtigten zu, wenn er vor der Be⸗
ſchlagnahme des Grundſtücks zugunſten dieſer Dritt⸗
berechtigten erfolgte. Auch Art. 77 AG. erachtet dem⸗
gemäß nach der Beſchlagnahme eine e über
die genannten Anſprüche durch den Beſchlagnahme⸗
ſchuldner nicht mehr für zuläſſig. Er geht dabei aller⸗
dings nach den Materialien (ſ. Pfirſtinger, Kommun⸗
mauer S. 41, 62 und Henle-Schneider Anm. 8 zu Art. 77
hier von einer Gleichſtellung der Verbietungsrechte mit
den nach $$ 1121, 1129 BGB. von der Hypothek um⸗
faßten Gegenſtänden aus; man hat hiernach hier dieſe
Verbietungsrechte — die anderweit zutreffend nur als
Erweiterungen des Eigentumsinhalts bezeichnet werden
(Becher, Mat. Bd. I S. 468) — als eine Art ſelb⸗
ſtändiger, mit dem Grundſtück als Beſtandteile nach
§ 96 BGB. verbundener ſubjektiv⸗dinglicher Rechte be:
trachtet und ſolche Rechte unterliegen allerdings un⸗
mittelbar dem Veräußerungsverbot des 8 23 38.
(Güthe Anm. ö zu 8 20-21 3G.) In der Tat handelt
es ſich aber nicht bei dieſen Verbietungsrechten, noch
weniger bei dem daraus im Anbaufall entſtehenden
(perſönlichen) Ablöſungsanſpruch um ſelbſtändige Be⸗
ſtandteilsrechte. Der durch den Anbau dem Eigen⸗
tümer erwachſende perſönliche e
wird daher auch in den Fällen des Art. 68—70 NG.
durch die Beſchlagnahme nicht berührt (vgl. OL.
München Seuff Bl. Bd. 72 S. 262).
i) Ein Beſitzſchutzanſpruch des Eigentümers des
Erſtbaugrundſtücks iſt durch S 866 BGB. ausgeſchloſſen
(ſ. Staudinger Anm. 2 zu 3 866 BGB.).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
der durch dieſes begründeten Verbindlichkeiten der
Nachbarn klagen. Da der Eigentümer des Nach⸗
bargrundſtücks durch Zahlung der Ablöſungsſumme
in jedem Falle den Beſeitigungs⸗ oder Unterlaſſungs⸗
anſpruch ausſchalten kann, wird die Beſeitigungs⸗
und Unterlaſſungsklage zweckmaͤßig dahin gerichtet,
daß der Beklagte zur Beſeitigung oder Unterlaffung
oder Zahlung der Abloͤſungsſumme verurteilt werden
ſolle.“) Dieſe Form der Klage iſt insbeſondere
dann empfehlenswert, wenn von vornherein nur
Streit über die Höhe der Ablöſungsſumme beſteht.
Der Beklagte kann diesfalls durch Hinterlegung
des von ihm berechneten Ablöſungsbetrags nach
85 372 ff. BGB. der Verbotsklage begegnen. Auf
Zahlung der Ablöſungsſumme ſchlechthin kann nur
dann geklagt werden, wenn eine unmittelbare
Zahlungspflicht des Beklagten gegenüber dem Kläger
gegeben iſt. Dies iſt ohne weiteres der Fall, wenn
zwiſchen den beteiligten Grundeigentümern über
Höhe und Zahlbarkeit der Ablöſungsſumme eine
ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde, aber
auch ohne eine ſolche Vereinbarung, wenn der
Nachbar unter den oben dargelegten, ſeine un⸗
mittelbare Zahlungspflicht begründenden Umſtänden
den Anbau unternimmt. Die Klage auf Zahlung
der Ablöſungsſumme ſtellt ſich als Klage aus dem
Gemeinſchaftsverhältniſſe der beiden Grundſtiücks⸗
eigentümer dar und zwar regelmäßig als eine auf
eine vereinbarungsmäßige Leiſtung aus dieſem Ver⸗
hältnis gerichtete (8$ 745, 748 BGB.), in den
Fällen des Art. 68 AG. jedoch als Klage aus
einem geſetzlichen Gemeinſchaftsanſpruch.
Unter den Vorausſetzungen der 88 935, 916
ZPO. kann das Verbotsrecht des Eigentümers
des Erſtbaugrundſtücks durch einſtweilige Verfügung
(Bauverbot), ſein Ablöſungsanſpruch durch Arreſt
geſichert werden.“) Beſteht Streit über Ablöſungs⸗
) Ein demgemäß ergehendes Urteil hat jedoch
nur die Tragweite, daß der Beklagte durch Zahlung
der feſtgeſtellten Ablöſungsſumme die Vollſtreckung des
Beſeitigungsanſpruchs abwenden kann; denn es handelt
ſich bei dem hier zunächſt unterſtellten mittelbaren Ab⸗
löſungsanſpruch gegenüber dem Verbietungsanſpruch
nur um eine fog. wahlweiſe Leiſtungsbefugnis des
Schuldners, d. h. die Befugnis des Schuldners ſich von
der unmittelbar geſchuldeten Leiſtung durch eine andere
Leiſtung zu befreien. Eine Wahlſchuld im Sinne der
85 262 — 264 BGB. liegt diesfalls nicht vor (ſ. hierüber
Henle⸗Fiſcher Anm. 1 zu § 262 . RG RKomm.
Anm. 1 zu 8262 BGB.). Treffen Verbietungs⸗ und
unmittelbarer Ablöſungsanſpruch zuſammen, ſo handelt
es ſich ebenfalls um keine Wahlſchuld im Sinne des
8 262 BGB., ſondern um zwei nebeneinander dem
Gläubiger zuſtehende Anſprüche. Doch ſteht auch
diesfalls nichts im Wege, daß der Gläubiger auf
alternative Verurteilung klagt und für die Vollſtreckung
iſt dann § 264 BGB. entſprechend anwendbar (ſo
ORG. Braunſchweig OLG. Bd. 8 S. 447).
10) Ueber die Rechtsbehelfe des Arreſts und der
einſtweiligen Verfügung ſ. insbeſondere Nützel Bay 3fR.
1914 S. 184. Nützel vertritt die Anſicht, daß auch dem
Erwerber des Ablöſungsanſpruchs durch Abtretung
oder Pfändung das Verbietungsrecht und demgemäß
das Recht auf deſſen Sicherung durch einſtweilige
293
pflicht oder Höhe der Ablöſungsſumme, ſo kann
gemäß 8 940 ZPO. einſtweilige Verfügung auf
Geſtattung des Weiterbaues gegen Hinterlegung
der Ablöſungsſumme u. dgl. erlaſſen werden.
Haben ſich jedoch die beteiligten Grundeigentümer
über die Ablöſung der Gemeinſchaftsmauer ge
einigt, ohne daß dabei die Bauerlaubnis von der
Zahlung der Ablöſungsſumme abhängig gemacht
wurde, ſo kann bei Nichterfüllung der über⸗
nommenen Zahlungspflicht nurmehr ein Arreſt für
den Ablöſungsanſpruch, aber nicht mehr ein An⸗
bauverbot erlaſſen werden, da durch die Einigung
der Parteien der Verbotsanſpruch des Eigentümers
des Erſtbaugrundſtücks erledigt iſt.
Die vorſtehenden Ausführungen haben verſucht,
für die altübliche Münchener Gemeinſchaftsiauer
auch auf dem Boden des neuen Rechts eine den
Anſchauungen des hieſigen Baulebens und ben
Berfügun
Beſchluß
zuſtehe. Der von ihm (Note 2) angeführte
es OLG. München vom 5. Mai 1913 ſpricht
auch aus, im Zweifel müſſe als Abſicht der Parteien
angenommen werden, daß mit der Abtretung des Ab⸗
löſungsanſpruchs auch der Verbietungsanſpruch des
Hauseigentümers mit übertragen werden ſolle. Man
wird jedoch richtig den Verbietungsanſpruch als eine
mit dem Eigentum des Erſtbaugrundſtücks untrennbar
verbundene und daher ſelbſtändig nicht übertragbare
Befugnis betrachten müſſen; ſ. des näheren hinſichtlich
der Untrennbarkeit der Benutzungsrechte aus der Grenz⸗
einrichtung von dem Eigentum der Nachbargrundſtücke
Turnau⸗Förſter, Liegenf HR. Anm. 4 zu 88 921—922
BGB.; RGRKomm. Anm. 5 zu 8 921; Staudinger
Anm. II 3 zu 8 922 BGB. Das gleiche muß aber von
den aus dem Benutzungsrechte erwachſenden Unter⸗
e eee gelten (ſ. Staudinger Anm. 2 d
zu 8 398 BGB. und Anm. 2 d zu 8 399 BGB.;
Oertmann, Recht der Schuldverh. Anm. 1a 5 und
Anm. 1g 5 zu 8 399 BGB.; RG. Seuff A. Bd. 56
Nr. 227; RG. 37, 176; RG. Gruchot Bd. 54 S. 943.
Derartige Befugniſſe ſind auch nicht ſelbſtändig pfänd⸗
bar (ſ. Stein Anm. I 1, I 5, II 8 zu $ 857 3PO.).
Immerhin kann in der Abtretung des Ablöſungsan⸗
ſpruchs zugleich die Ermächtigung des Erwerbers durch
en abtretenden Eigentümer gefunden werden, deſſen
Verbietungsrecht gegebenenfalls zur Durchſetzung des
Ablsſungsanſpruchs ſelbſtändig geltend zu machen.
Damit iſt nach den in RG. 53, 410 und 64, 168,
ſowie Gruchot Bd. 54 S. 943 entwickelten Grundſätzen
auch das Recht des Erwerbers gegeben, das Verbietungs⸗
recht ſelbſtändig im Prozeß zu verfolgen. Ebenſo wird
im Hinblick auf § 857 Abſ. 3 ZPO. eine Pfändung des
Verbietungsrechts durch den Erwerber des Ablöſungs⸗
anſpruchs inſoweit zuzulaſſen ſein, als die Ausübung
des Verbietungsrechtes zur Durchſetzung des Ablöſungs⸗
anſpruchs in Frage kommt (ſ. hierzu Stein Anm II Ziff. 8
Note 119 und Anm. I Ziff. 5 Note 34 zu § 857 3PO.
betr. den Anſpruch auf Grundbuchberichtigung und RG.
Gruchot Bd. 54 S. 943). Da es ſich hierbei nur um die
der Durchſetzung des Ablöſungsanſpruchs dienenden Ver⸗
bietungsbefugniſſe handelt, kommt bei der Zulaſſung
der Pfändung in dieſem Umfang auch keine unzuläſſige
Aenderung des Inhaltes des Verbietungsrechtes in
Frage (8 851 ZBO. mit $ 399 BGB.); vgl. dazu be⸗
züglich der Pfändung des Anſpruchs auf Schuldbefreiung
Stein Note 22 zu § 851 ZPO. und RG. Gruchot Bd. 56
S. 923 (JW. 12 S. 857), RG. 80, 183; OLG. Bd. 22
S. 387.
294
Anforderungen der Billigkeit genügende feſte Rechts:
grundlage zu gewinnen. Sie find dabei von dem
Standpunkt der unbedingten Scheidung des Eigen⸗
tums der Nachbargrundſtücke nach dem Grenzlauf
ausgegangen. Denn es iſt nicht zu erwarten und
im Intereſſe klarer Eigentumsverhältniſſe nicht ein:
mal zu wünſchen, daß das Reichsgericht von ſeinem
dahingehenden bis jetzt mit Entſchiedenheit feſt⸗
gehaltenen Standpunkt ſich durch die untergericht⸗
liche Rechtſprechung abdrängen laſſen wird. In
der Grenzanlage des BGB. haben dagegen unſere
Ausführungen diejenige Rechtseinrichtung zu finden
geglaubt, die es ermöglicht, für alle Arten der
Gemeinſchaftsmauern, die des alten, des Ueber⸗
gangsrechts und des neuen Rechts, eine einheitliche
und für den ganzen Entwicklungsgang dieſer Mauern
maßgebende Rechtsgrundlage zu ſchaffen, und dabei
unter eingehender Berückſichtigung des Willens der
Beteiligten die Verhaltniſſe aller dieſer Mauern
im weſentlichen gleichheitlich zu ordnen. Sie haben
endlich, indem ſie auch die neurechtliche Gemein⸗
ſchaftsmauer auf den Boden eines nachbarrecht⸗
lichen Verhältniſſes geſtellt haben, der von Brauch
und Billigkeitsgefühl in München immer feſtgehal⸗
tenen Forderung zu genügen geſucht, daß auch der
ipätere Erwerber des Nachbaranweſens für die Ab:
löſung der Gemeinſchaftsmauer aufzukommen hat.
Es wäre erfreulich, wenn ſie ſo dazu beizutragen
vermöchten, den bedauerlichen Wirrwarr der Mei⸗
nungen und Rechtsfolgerungen auf dieſem Gebiete
zu klaren, der bereits zu berechtigten Klagen in
der Tagespreſſe geführt hat, ohne daß auch hier
wieder durch ein Eingreifen des Geſetzgebers die Ohn⸗
macht der Rechtslehre und Rechtſprechung bezeugt
werden müßte.
Jechts kräftige Urteile und Nechtswidrigkeiten
der Beteiligten im Verfahren der freiwilligen
Gerichtsbarkeit.
Von Rechtsanwalt Dr. Engen Jofel in Freiburg i. Br.
In DIZ. 1913, 972 behandelt Ermel folgenden
bisher nicht erörterten Fall: Ich habe den Erb:
anteil meines Schuldners gepfändet und da deſſen
Miterbe mir jede Anteilnahme am Nachlaß ver⸗
weigert, wird er auf meine Klage rechtskräftig
verurteilt, ſich mit mir auseinanderzuſetzen. Nun⸗
mehr beantrage ich beim Nachlaßgericht gemäß
§ 86 JGG. die Auseinanderſetzung; hier lehnt
jedoch der Miterbe wiederum die Teilung mit mir
ab. Nun beſtimmt der § 95 Satz 1 86G.
Ergeben ſich bei den Verhandlungen Streit—
punkte, ſo iſt ein Protokoll darüber aufzu—
nehmen und das Verfahren bis zur Er—
ledigung der Streitpunkte auszuſetzen.
— nn
—— 4 —2—6 mmm n
Danach ſcheint es, als müſſe in unſerm Fall
das Nachlaßgericht das Verfahren bis zur Er⸗
ledigung der Streitpunkte ausſetzen. Ermel lehnt,
wenn auch zweifelnd, dieſe Folgerung ab: es ſei
ein übertriebener Formalismus zu verlangen, daß
der Sieger im Prozeß auf den mutwilligen aus:
ſichtsloſen Widerſpruch des Gegners hin gehalten
ſein ſoll, noch einmal den Prozeß zu führen, der
zu keinem andern Ergebnis führen könne als der
Vorprozeß. Es liege hier ein Streitpunkt eben⸗
ſowenig vor, wie in dem Fall, wo der während
des Verfahrens erhobene Widerſpruch rechtskräftig
zurückgewieſen iſt. Die Rechtskraft des Urteils
mache nicht Halt vor den Toren des Auseinander⸗
ſetzungsverfahrens, ſondern äußere auch für dieſes
ihre Wirkung.
Der von Ermel beſprochene Fall wird nun in
dieſer Geſtalt, daß alſo der Unterlegene ſein Ver⸗
halten mit dem rechtskräftigen Urteil ohne jede
Begründung in Widerſpruch ſetzt, kaum vor⸗
kommen; das Gewöhnliche iſt, daß der Unterlegene
vor dem Nachlaßgericht die Richtigkeit des ergangenen
Urteils bemängelt, ſo insbeſondere darauf hinweiſt,
daß das Urteil ein Verſäumnisurteil ſei, das ohne
ſeine Schuld rechtskräftig geworden ſei. Die von
Ermel aufgeworfene Frage läßt ſich danach für
den von ihm beſprochenen Einzelfall nicht entſcheiden,
erfordert vielmehr einen allgemeineren Ausgangs⸗
punkt; denn fie tritt in anderen Verfahrensarten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit gleichfalls hervor.
In der Praxis iſt folgender Fall vorgekommen:
A beantragte mit der Behauptung, er ſei als ſtiller
Geſellſchafter am Handelsgewerbe des X beteiligt,
das Amtsgericht möge gemäß $ 338 Abſ. 3 HGB.
mit $ 145 FGG. anordnen, daß ihm X ſoſort
die Geſchäftsbücher vorlege. Der vom Gericht hier⸗
über gehörte X (8 146 Abſ. 1 FGG.) lehnte dies
ab unter Ueberreichung eines rechtskräftigen Urteils,
durch das der Antragſteller A auf die Klage des
X verurteilt war, anzuerkennen, daß eine ſtille
Geſellſchaft zwiſchen ihnen gar nicht beſtehe. A wies
dagegen darauf hin, daß dies Urteil ein Verſäͤumnis⸗
urteil ſei, das durch Verſchulden ſeines Anwalts
rechtskräftig geworden ſei. Er machte dies ſowie
weiter glaubhaft, daß tatſächlich die ſtille Geſellſchaft
beſtehe, das Urteil des Prozeßgerichts alſo un⸗
richtig ſei. Muß das Gericht der freiwilligen Ge⸗
richtsbarkeit auf dieſe Bemängelung des Urteils
eingehen? oder wie iſt es zu begründen, daß das
Gericht ſie unbeachtet laſſen kann und muß? Ein
anderer hierher gehöriger Fall: Zwiſchen X und
mir beſteht eine offene Handelsgeſellſchaft, die wir
durch Vereinbarung aufgelöſt haben. Darauf be⸗
antragt X, das Amtsgericht möge gemäß $ 146
Abſ. 2 HGB. mit $ 145 FSB. einen Liquidator
beſtellen; das Amtsgericht hört mich hierüber und
ich überreiche ein rechtskräftiges Urteil, wonach ich
laut Geſellſchaftsvertrag oder wegen Verfehlungen
des X zur Uebernahme des Geſchaͤfts im ganzen
‚ (83 142, 140 HGB.) berechtigt bin, eine Liqui⸗
Zeit ſchrift für Rechtspflege in Bayern. in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 295
dation alſo gar nicht ſtattfinden kann.!) X be⸗
mängelt die Richtigkeit dieſes Urteils, weil es tat⸗
ſächliche wie rechtliche Irrtümer enthalte und nur
durch Verſchulden ſeines Anwalts rechtskräftig ge⸗
worden ſei. Oder um noch einen dem eingangs
erwähnten ähnlichen Fall anzuführen: Geſetzliche
Erben des A find geworden ich und mein Bruder;
dieſer verweigert mir jede Anteilnahme am Nachlaß
unter Berufung auf ein Teſtament, in dem A ihn
zum Alleinerben eingeſetzt habe. Nun wird mein
Bruder auf meine Klage rechtskräftig verurteilt,
die Nichtigkeit des Teſtaments und mein geſetzliches
Miterbrecht anzuerkennen; darauf beantrage ich
beim Nachlaßgericht die Auseinanderſetzung und in
dieſem Verfahren beſtreitet mein Bruder wiederum
mein Miterbenrecht. Auch in dieſen beiden Fällen
erhebt ſich die oben geſtellte Frage.
Die Frage nach der Einwirkung des Prozeß⸗
urteils auf die Entſcheidungen des Gerichts der
freiwilligen Gerichtsbarkeit iſt vielfach erörtert )
und ſoll hier nicht in ihrer ganzen Bedeutung,
ſondern nur für Faͤlle der oben beſprochenen Art
erörtert werden. Behufs Abgrenzung dieſer von
den anderen in dieſer Frage in Betracht kommenden
Fällen ſeien hier folgende Fälle — rein gegenſäͤtzlich
— erwähnt:
A beantragt als Teſtamentserbe für ſich den
Erbſchein; der hiervon unterrichtete B widerſpricht
dem vor dem Nachlaßgericht mit der Behauptung,
der Erblaſſer ſei geiſteskrank geweſen; die vom Nach⸗
laßgericht angeordnete Beweisaufnahme (vgl. OLG.
Jena in RIA. 1, 177) ergibt aber die völlige Zu⸗
rechnungsfähigkeit des Erblaſſers, und das Nachlaß⸗
gericht erteilt daher dem A den Erbſchein. B be⸗
ruhigt ſich hierbei nicht, ſondern klagt gemäß 8 2362
gegen A mit dem Antrag auf Verurteilung des
A, das Alleinerbrecht des B anzuerkennen, den
Nachlaß herauszugeben und über deſſen Verbleib
Rechnung zu legen, auch den Erbſchein an das
Nachlaßgericht abzuliefern; der Beklagte A wider⸗
find maßgebend die SS 2359, 2361, und danach
kann es dem Sieger B den Erbſchein nur erteilen,
wenn es deſſen Erbrecht für feſtgeſtellt erachtet und
den früher erteilten Erbſchein nur einziehen, wenn
ih deſſen Unrichtigkeit ergibt. Hier aber erfieht
das Nachlaßgericht aus dem Verſäumnisurteil nicht
nur nicht die Unrichtigkeit des erteilten Erbſcheins,
ſondern es erſieht 1 aus den Prozeßakten
deſſen Richtigkeit, d. h., daß der Erblaſſer zu⸗
rechnungsfähig, das Teſtament alſo gültig iſt und
dem Sieger B danach kein Erbrecht zuſteht. Un⸗
möglich kann das Nachlaßgericht verpflichtet ſein,
ein unrichtiges Zeugnis in die Welt zu ſetzen,
nur weil — entſprechend dem Verhandlungsgrund⸗
ſatze des Prozeßrechts — ein der wahren Sachlage
widerſprechendes Urteil vorliegt!
Ein aͤhnlich liegender Fall iſt folgender: A iſt
am 1. Mai abends um 11 Uhr geſtorben mit
Hinterlaſſung eines Teſtaments, durch das er den
zum Erben beruſt; nun iſt der Erbe X gleich⸗
falls am 1. Mai geftorben, und zwar laut ftandes-
amtlicher Anzeige feines Sohnes um 11 Uhr,
ſo daß er alſo den Erbfall erlebt und danach die
Erbſchaft auf ſeinen Sohn, als ſeinen geleglichen
Erben, übertragen hat (8 1923 Abſ. 1). Ein Vetter
des A, der ſein geſetzlicher Erbe ſein würde, be⸗
hauptet nun, daß der eingeſetzte Erbe X bereits
vor 11½ Uhr geſtorben fe und daß X ſonach
den Erbfall nicht mehr erlebt hat und die Erb⸗
ſchaft daher ihm — dem geſetzlichen Erben — zu⸗
gefallen ſei; er kann indes den Erbſchein nicht
erlangen, da er hierzu den Zeitpunkt des Todes
durch eine öffentliche Urkunde, alſo durch die Sterbe⸗
urkunde nachweiſen muß; dieſe ſteht aber ſeinem
Erbrecht entgegen. Der Vetter erhebt daher Klage
gegen X, in der er auf Grund des Sachverhalts
— alſo weil im Standesregiſter die Todeszeit
unrichtig angegeben ſei — die Verurteilung des
X beantragt, das alleinige Erbrecht des Vetters
anzuerkennen und ihm den Nachlaß herauszugeben.
ſpricht dem, und die vom Prozeßgericht one Es ergeht gegen Kein rechtskräftiges Verſaͤumnis⸗
Beweisaufnahme ergibt wiederum die völlige Zu: urteil, in dem feſtgeſtellt wird, daß die Angabe
rechnungsfähigkeit des Erblaſſers, alſo daß der der Klageſchrift über die Todesſtunde als zuge⸗
erteilte Erbſchein richtig iſt. Nun wird aber der
Beklagte A im Lauf des Rechtsſtreits flüchtig; ſein | Vetter dem Amtsgericht vor, damit dieſes im Ber:
Anwalt tritt nicht mehr für ihn auf und es ergeht
gegen ihn ein rechtskräftiges Verſäumnisurteil nach
dem oben wiedergegebenen Antrage des Klägers B;
dieſem gelingt es auch, aus der zurüdgelaffenen
Habe des A den Erbſchein wegzunehmen und ihn
dem Nachlaßgericht abzuliefern. Jetzt beantragt
der Sieger B, das Nachlaßgericht ſolle den Erb⸗
tigung des Standesregiſters zu entſcheiden hat (8 66
ſchein vernichten und dem B einen neuen erteilen.
Dieſen Antrag muß das Nachlaßgericht unter allen
Umſtänden ablehnen: denn für ſeine Entſchließung
1) Staub, Anm. 9 zu $ 145 HGB.
9) Kuttner in der Feſtgabe für Gierke und für
Martitz, ſowie in Iherings Jahrb. 59, 393; Unger in
33P. 41, 194; Joſef in KGBl. 11, 120 und in Iherings
Jahrb. 61, 197 ſowie in 88. 43, 365.
ſtanden angeſehen werde. Dieſes Urteil legt der
fahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gemäß 5 66
PerſStG. die Berichtigung der Todesſtunde im
Standesregiſter anordne. Iſt das Amtsgericht nun
an dieſe rechtskräftige Feſtſtellung gebunden, ſo
daß es alſo die Berichtigung anordnen muß?
Keineswegs. Das Amtsgericht, das im Verfahren
der freiwilligen Gerichtsbarkeit über die Berich⸗
PerſStG.), hat nach $ 12 FGG. den wahren Sad):
verhalt ſelbſtändig feſtzuſtellen und iſt an ein Urteil
des Prozeßgerichts nicht ſchlechthin gebunden. Denn
die Wirkung der Rechtskraft beſtimmt ſich nur nach
den Vorſchriften der Zivilprozeßordnung, und dieſer
Grundſatz gilt nicht bloß für die Parteien, ſondern
auch für die Behörden jeder Art.
— — an
296
Oder endlich: Ein Aktionär hat in der General:
verſammlung gegen den Verſammlungsbeſchluß,
weil er auf Verletzung des Geſetzes beruhe, Wider⸗
ſpruch erhoben und dieſen durch Klage verfolgt
($ 271 HGB.); die Klage iſt aber abgewieſen wor:
den, weil das Prozeßgericht die behauptete Geſetzes⸗
verletzung nicht als vorliegend anſah. Nunmehr be⸗
antragt der Vorſtand die Eintragung des Beſchluſſes;
iſt jene Anſicht des Prozeßgerichts für das Regiſter⸗
gericht bindend? Keineswegs. Die Denkſchrift zu
8 16 HGB. führt hierüber aus: „Nicht angängig
iſt es, einer Entſcheidung des Prozeßgerichts, die
einen Widerſpruch für unbegründet erklärt, bindende
Wirkung gegenüber dem Regiſtergericht zu verleihen;
ſonſt würden es die Parteien, da ihre Behaup⸗
tungen und Erklärungen für den Ausgang des
Zivilprozeſſes maßgebend find, in der Hand haben,
unzuläſſige Eintragungen durch ihr beiderſeitiges
Einverſtändnis herbeizuführen. Es kann in dieſer
Beziehung bei dem tatſächlichen Einfluß bewenden,
05 eine Prozeßentſcheidung für den Regiſterrichter
at “u
Ganz anders als die eben gedachten Fälle
der Erteilung des Erbſcheins, der Anordnung
der Standesregiſterberichtigung ſowie der Ein⸗
tragung von Verſammlungsbeſchlüſſen liegen aber
die eingangs beſprochenen Fälle. Während das
Gericht bei Erteilung des Erbſcheins, bei Eintra⸗
gungen in öffentliche Regiſter ein Zeugnis zum
öffentlichen Glauben auszuſtellen oder beweiskräftig
den Regiſterinhalt herzuſtellen, danach Tatſachen
zu ermitteln und ihre Rechtswirkſamkeit zu unter⸗
ſuchen hat, hat es, wenn es um die Ausein⸗
anderſetzung der Miterben, um Beſtellung von
Liquidatoren, um Anordnung der Geſchaftsbücher⸗
vorlegung angegangen wird, nur die Rechtslage
der Beteiligten zu regeln. Bei der hiernach er⸗
forderlichen Ermittelung der gegenwärtigen Rechts⸗
lage kommt aber in Betracht, daß das Urteil nach
5 322 ZPO. unter den Parteien Rechtskraft ſchafft,
daß folglich ſich jedes dem Urteil widerſprechende
Verhalten des Unterlegenen als eine von ihm gegen
den anderen verübte Rechtswidrigkeit darſtellt,
der die Rechtsordnung unter allen Umſtänden die
Anerkennung verſagen muß. Folglich muß das
Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wenn es
um die Auseinanderſetzung oder um die Entſchei⸗
dung der in § 145 JGG. bezeichneten Streitig⸗
keiten angegangen wird, ſeine Entſcheidung dem
rechtskräftig feſtgeſtellten Rechtszuſtand anpaſſen
und einem dieſem widerſprechenden Verhalten der
Beteiligten die Berückſichtigung verſagen.
Etwas anders liegt folgender Fall: Der Käufer
hat gegen den Verkäufer ein Urteil erſtritten, wo⸗
nach er zur Fortführung der Firma berechtigt iſt;
dennoch beantragt der Verkaͤufer gegen ihn das
Ordnungsſtraſverfahren wegen Firmenmißbrauchs.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
Dies Verfahren iſt (im Gegenſatz zu den eben be-
ſprochenen Fällen des $ 145 FGG.) kein Antrags-
verfahren, ſondern ein Amtsverfahren, bei dem
der angeblich in ſeinem Firmenrecht Verletzte nur
Anregung’) zur Ermittelung des Sachverhalts
bietet. Aber wie das Verfahren abzulehnen iſt,
wenn der angeblich Verletzte in die Fortführung
der Firma gewilligt hat, ſo iſt es auch abzu⸗
lehnen, wenn dieſe ſeine Einwilligung durch Ur⸗
teil erſetzt iſt. Dient ſonach das Urteil zum Er⸗
ſatz der Einwilligung, ſo iſt es wie eine wirklich
vorhandene Einwilligung zu behandeln, folglich für
das Regiſtergericht bindend. — Das gleiche gilt
von allen rechtsgeſtaltenden Urteilen: das
Urteil, durch das einem Geſellſchafter die Geſchaͤfts⸗
führung entzogen oder die Geſellſchaft aufgelöft
wird (88 117, 133 HGB.), dient dem Ergebnis
nach nur als Erſatz der Willenserklärung, durch
die der Unterlegene den Zuſtand freiwillig hätte
herbeiführen ſollen, der jetzt durch Urteil geſchaffen
wird. Dies Urteil iſt alſo im Verhältnis der
Parteien bindend ganz wie ein Vertrag, folglich
auch für das Verfahren der freiwilligen Gerichts⸗
barkeit, in dem die Rechtslage der Beteiligten ge:
regelt werden ſoll; d. h. alſo: in dieſem Verfahren
iſt die Entſcheidung dem urteilsmäßigen Rechts⸗
zuſtand anzupaſſen; ein dieſem widerſprechendes
Verhalten iſt als eine Rechtswidrigkeit gegen den
Gegenbeteiligten unberückſichtigt zu laſſen.“
Aus Erwägungen dieſer Art iſt auch die ein⸗
gangs erwähnte, von Ermel aufgeworfene Frage
zu entſcheiden: Wenn der zur Augseinanderſetzung
verurteilte Erbe im Auseinanderſetzungsverfahren
wiederum die Auseinanderſetzung verweigert, ſo hat
das Nachlaßgericht dieſe Weigerung unberüdfichtigt
zu laſſen und den Teilungsplan (8 93 JGG.)
aufzuſtellen, alſo z. B. dahin, daß der für die
Erben hinterlegte Betrag zu gleichen Teilen dem
Antragſteller und ſeinem Gegner zuzuweiſen iſt.
Verweigert dieſer die Unterſchrift des Protokolls,
ſo klagt der Antragſteller gegen ihn nur auf Voll⸗
ziehung des Protokolls, alſo auf Einwilligung in die
den geſetzlichen Vorſchriften entſprechende Teilung des
vorhandenen Nachlaſſes. Aber die Verpflichtung zur
Auseinanderſetzung ſelbſt, das Miterbenrecht des
Antragſtellers u. dgl. muß das Nachlaßgericht als
unſtreitig behandeln. Vgl. Joſef in Gruchots Beitr.
49, 32 ff.
Das Ergebnis dieſer Unterſuchung iſt hiernach:
Wo das Verfahren der freiwilligen Gerichts:
barkeit nur dahin zielt, die Rechtslage der Be⸗
teiligten auf der Grundlage ihrer Erklaͤrungen zu
regeln (ſo bei der Auseinanderſetzung und bei
Streitigkeiten der in 8 145 FGG. bezeichneten Art),
muß das Gericht zunächſt die gegenwärtige Rechts⸗
lage ermitteln. Iſt dieſe durch Urteil geregelt,
ſo ſtellt ſich jedes dem Urteil widerſprechende Ver⸗
halten des Unterlegenen nach $ 322 ZPO. als eine
von ihm gegen den anderen verübte Rechtswidrig—
keit dar, der die Rechtsordnung, ſonach auch das
) Vgl. Joſef, FGG., 2. Aufl. Anm. 1 zu § 132.
) Vgl. Joſef in Holdh Schr. 22, 187— 189.
5 ieee ee ee ee
Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Aner⸗
kennung zu verſagen hat. Das gleiche gilt, wenn
durch das Urteil eine Willenserklärung, insbe⸗
ſondere eine Einwilligung (3. B. zu einem be⸗
ſtimmten Verhalten des Unterlegenen oder zur
Fortführung der Firma) erſetzt iſt, da das Urteil
hier die Wirkung einer rechtsgeſchäftlichen Er⸗
klärung hat.
Kleine Mitteilungen.
Zu 9 264 Sts. Fallen unter 8 264 a
St GB. nur körperliche (bewegliche) Sachen
oder auch ſonſtige Vermögens vorteile, z. B.
Nachtquartier, Bahnfahrt u. dgl.? So⸗
weit ich die Rechtſprechung überblicken kann, iſt dieſe
Frage bisher oberrichterlich nicht entſchieden. Für
die engere Auslegung, (daß nur körperliche Sachen
als Gegenſtand des 8 264 a StGB. in Betracht
kommen), haben ſich ausgeſprochen: Frank, Komm. z.
StGB. und im Nachtrag zum Strafgeſetzbuche 8 264 a
Anm. II S. 13. (anders in der kürzlich erſchienenen
11.— 14. Auflage — Anm. des Herausgebers) und an⸗
ſcheinend auch Olshauſen S. 1121 oben.
Nun ſpricht allerdings anſcheinend der Wort⸗
laut des 8 264 a für dieſe engere Auslegung. M. E.
muß man aber als Gegenſtand des 8 264 a ſämtliche Vers
mögensvorteile aller Art gelten laſſen, wenn man den
Zweck und die Entſtehungsgeſchichte des 8 264 a be⸗
rückſichtigt. Dieſer Auslegung ſteht auch keineswegs
die Ausdrucksweiſe des 8 264 a entgegen.
l. Zweck und Entſtehungsgeſchichte des
8 264a: Die Schaffung des 8 248 a, wie auch des
8 264 a iſt dem Beſtreben entſprungen, bei geringfügigen
und aus Not begangenen Vermögensdelikten, beſon⸗
ders dann, wenn Rückfall in Frage kommt, eine viel
mildere Beurteilung und geringere Beſtrafung ein⸗
treten zu laſſen, als dies vor der Strafgeſetznovelle
möglich war (vgl. Verh. des Reichstages XII. Legis⸗
laturperiode I. Seſſion Band 253, Anlagen zu den
ſtenographiſchen Berichten Nr. 1120 — 1285 S. 7679,
woſelbſt die Begründung für den Notdiebſtahl und
die Notunterſchlagung abgedruckt iſt). Dabei muß der
wahre Wille des Geſetzgebers erforſcht werden. Daß
nun dieſer Wille dahin gegangen iſt, auch andere Ver⸗
mögensvorteile außer den körperlichen beweglichen
Sachen zu bevorzugen, ergibt ſchon die einfache Logik.
Denn es wäre doch unverſtändlich, warum ein Not⸗
betrug hinſichtlich eines Geldbetrages von 1—2 M
bevorzugt werden wollte, wäbrend ein Notbetrug eines
armen Handwerksburſchen hinſichtlich eines Nacht-
quartiers im Werte von 20 oder 30 Pfg. von dieſem
Vorzug ausgeſchloſſen ſein ſollte.
Aber auch aus der Entſtehungsgeſchichte des
8 264 a ergibt ſich der wahre Wille des Geſetzgebers.
Dieſer Paragraph war nämlich in der Regierungs⸗
vorlage überhaupt nicht vorgeſehen (vgl. Verhandlgn.
des Reichstags XII. Leg.⸗Per. I. Seſſion Bd. 253, Ans
lagen zu den ſtenographiſchen Berichten Nr. 1120 bis
1285 S. 7672 ff.). Der Notbetrugsparagraph wurde
vielmehr erſt von der Unterkommiſſion der Reichstags⸗
kommiſſion geſchaffen, und zwar wurde der $ 264 a
einfach dem 8 248 a nachgebildet. Gerade dieſe
„Nachbildung“ iſt weſentlich für die Auslegung des
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 ı u. 15.
297
8 264 a. In dem Berichte der 7. Kommiſſion (vgl.
Verh. des Reichstags XII. Leg.⸗Per. Il. Seſſion, Uns
lagen zu den ſtenographiſchen Berichten Nr. 341—405
S. 2096) heißt es (bezüglich des 8 264 a):
„Im Verfolg eines bereits in der Kommiſſion
geſtellten Antrages chlug die Unter⸗
kommiſſion vor, die aus Not begangenen kleineren
Betrügereien von den ſchweren Strafen des Be⸗
trugs, namentlich des Rückfallbetrugs auszunehmen
und nur auf Antrag zu ver folgen. Sie hat daher
dem die kleinen Notdiebſtähle privilegierenden
8 248 a des Regierungsentwurfes, auf deſſen An⸗
nahme zu rechnen ſei, einen die kleinen Notbe⸗
trügereien betreffenden 8 264 a nachgebildet“.
Darnach kann nicht der mindeſte Zweifel obwalten,
daß man mit dem 8 264 a alle kleineren Betrügereien
(aus Not) bevorzugen wollte, ohne Unterſchied des
Gegenſtandes. Die Faſſung des 8 264 a wurde dann
verſehentlich nicht erſchöpfend, weil man eben den
8 264 a dem 8 248 a nachbildete und dabei übers
ſah, daß im Gegenſatze zum Diebſtahl und der Unter⸗
ſchlagung Gegenſtand des Betrugs auch ein anderes
Vermögensſtück ſein kann, als eine körperliche Sache.
ll. Ausdrucks weiſe des Strafgeſetzbuchs:
In erſter Linie gilt allerdings der Grundſatz, daß
bei Auslegung eines Geſetzes vor allem deſſen Aus⸗
drucksweiſe im Auge behalten werden muß. Man
darf nicht den Ausdruck eines Geſetzes nach dem Sinne
des gleichen Ausdruckes eines anderen Geſetzes aus⸗
legen. Es wäre deshalb auch an ſich nicht zuläſſig,
ohne weiteres einen Ausdruck des Strafgeſetzbuches
im Sinne des gleichen Ausdruckes des Bürgerlichen
Geſetzbuches auszulegen. Allein dieſer Grundſatz er⸗
leidet hier um deswillen eine Ausnahme, weil die No⸗
velle zum Strafgeſetzbuche ſich ſelbſt nicht mehr an
die Ausdrucksweiſe des Strafgeſetzbuches gehalten hat,
ſondern unter deren Nichtberückſichtigung den Ausdruck
„Gegenſtand“ gebraucht, obwohl dieſer dem Strafgeſetz⸗
buche (ſoweit Vermögensdelikte in Betracht kommen)
vollſtändig fremd iſt. Weder der 8 242 (Diebſtahl),
noch der 8 246 (Unterſchlagung) kennt den Begriff
„Gegenſtand“, beide Paragraphen kennen nur den
Ausdruck „(fremde) bewegliche Sache“. Dagegen ſpricht
auch nicht der Umſtand, daß in 8 243 Nr. 1 der Aus⸗
druck „Gegenſtand“ vorkommt, denn dort handelt es ſich
nicht um einen beſtimmten allgemeinen Begriff binſicht⸗
lich des Diebſtabls, ſondern um ganz beſtimmt bezeichnete
Gegenſtände, nämlich Gegenſtände, welche dem Gottes⸗
dienſte geweiht ſind. Wie ſoll nun der Begriff „Gegen⸗
ſtand“ ausgelegt werden, da er der Ausdrucksweiſe
des Strafgeſetzbuchs (hinſichtlich der Vermögensdelikte)
völlig fremd iſt ?
Iſt dies an der Hand des Strafgeſetzbuches nun
nicht möglich, ſo kann ich kein Hindernis ſehen, daß
der Ausdruck ausgelegt wird im Sinne des Bürger⸗
lichen Geſetzbuches, beſonders wenn man berückſichtigt,
daß dieſes zur Zeit der Strafgeſetznovelle ſchon un⸗
gefähr 12 Jahre lang galt.
Dann aber iſt es unbedenklich, unter den 8 264 a
StGB. ſämtliche Vermögensgegenſtände zu bringen.
Es beſtimmt nämlich 8 90 BGB.: Sachen im
Sinne des Geſetzes ſind nur körperliche Gegenſtände.
Da aber die Strafgeſetznovelle den Ausdruck „Sache“
nicht mehr beibehalten hat (ſ. 88 248 a, 264 a StGB.),
da ſie ferner den Ausdruck „körperliche“ Gegen⸗
ſtände nicht aufgenommen hat, ſondern nur den Aus⸗
druck „Gegenſtände“ ohne jeden Beiſatz gewählt bat,
ſo ergibt ſich, daß der Ausdruck „Gegenſtand“ nicht
gleichbedeutend ſein kann mit „körperlicher“ Gegenſtand
oder „Sache“.
Nun enthält das Bürgerliche Geſetzbuch keine
Begriffsbeſtimmung für den „Gegenſtand“. Aus den
verſchiedenen Vorſchriften aber, in denen der „Gegen⸗
ſtand“ genannt wird, ergibt ſich jedenfalls ſoviel, daß
fein Begriff weiter gebt als der der Sache. Nach der
Rechtſprechung des Reichsgerichtes gehört dazu alles,
was Beſtandteil des Vermögens einer Perſon ſein
kann, alſo außer den Sachen⸗ und Vermögensrechten
ſogar tatſächliche Verhältniſſe, ſofern ſie einen Ver⸗
mögenswert haben (ſ. RGRKomm. 8 90 Anm. 3;
Staudinger (7./8.] Bd. I S. 336 Anm. 4). Der Aus⸗
druck „Gegenſtand“ umfaßt (körperliche) Sachen und
andere (unlörperliche) wirtſchaftliche Güter (ſ. Fiſcher⸗
Henle [9] 8 90 Anm. 3).
Nach dem Ausgeführten dürfte es zuläſſig ſein,
den 8 264 a StGB. auch dann anzuwenden, wenn
nicht körperliche Sachen, ſondern Vermögensvorteile
irgendwelcher Art, z. B. ein Nachtquartier oder freie
Bahnfahrt, das Objekt des Notbetrugs bilden.
Landgerichtsrat Hagen in Kempten.
Nachſchrift. Unmittelbar vor Drucklegung dieſes
Aufſatzes kommt mir eine Abhandlung des Herrn Geh.
Juſtizrates, Oberlandesgerichtsrates Dr. v. Feilitſch,
in der „LZ.“ 1914 S. 618 ff. zu Geſicht, die mich jedoch
nicht bekehren kann. v. Feilitſch vertritt das Gegenteil
der hier dargelegten Auffaſſung.
Er ſtützt ſich dabei zunächſt auf den Wortlaut,
Wortſinn und Sprachgebrauch des Geſetzes. Er macht
geltend: 8 248 a verſtehe unter Gegenſtänden nur lör⸗
perliche Gegenſtände; 8 264 a habe aber die Begriffe
„aus Not“ und „geringwertige Gegenſtände“ kurzweg
aus 8 248 a übernommen. Letzteres iſt richtig. Aber
ich habe ſchon oben ausgeführt, nicht bloß die No⸗
velle, ſondern auch der Regierungsentwurf haben
auffallenderweiſe und ohne erſichtlichen Grund die
Ausdrucksweiſe „fremde bewegliche Sachen“ der 88 242
und 246 aufgegeben im 8 248 a. Es muß doch aufs
fallen, daß 8 248 a auf einmal mit dem Ausdruck
„Gegenſtände“ daherkommt, während 88 242 und 246
nur den Ausdruck „bewegliche Sachen“ kennen. Es
haben demnach Regierungsentwurf und Novelle die
Ausdrucksweiſe des StGB. verlaſſen.
Weiter macht v. F. geltend: Der Regierungs⸗
entwurf habe bei feinem 8 218 a eine Milderung rück⸗
ſichtlich aller Sachen gewollt, die überhaupt geſtohlen
oder unterſchlagen werden können, ſoferne ſie nur gering⸗
wertig ſeien und die Tat aus Not begangen worden ſei,
aber wohlgemerkt nur rückſichtlich aller Sachen. Wenn
ſich nun die Reichstagskommiſſion den 8 248 a des Re⸗
gierungsentwurfes zum Vorbild für 8 264 a genommen
habe, ſo bezeuge das nicht die Abſicht, den 8 264 a
zu erweitern. Ich meine, dieſer Punkt ſpreche eigentlich
für meine Anſicht. Richtig iſt dabei ſoviel, daß ſich
§ 248 a nur auf Sachen bezieht. Aber warum? Weil
er ſich auf etwas anderes überhaupt nicht beziehen kann.
Denn Rechte können weder geſtohlen noch unterſchlagen
werden. Ein Nachtquartier oder eine Bahnfreifahrt
kann man weder ſtehlen noch unterſchlagen. Gegenſtand
eines Diebſtahls oder einer Unterſchlagung kann eben
nur eine Sache ſein. Wenn deshalb der Regierungs—
entwurf bei feinem 5 248 a eine Milderung rückſichtlich
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
aller Sachen haben wollte, die überhaupt geſtohlen
oder unterſchlagen werden können, ſoferne ſie nur
geringwertig ſind und die Tat aus Not begangen iſt,
ſo heißt das mit anderen Worten, der Regierungs⸗
entwurf wollte eine Milderung hinſichtlich aller
Diebſtähle und Unterſchlagungen beim Vorliegen eines
geringen Wertes und von Not. Dann iſt es aber
doch naheliegend, auch den 8 264 a in der Weiſe aus⸗
zulegen, daß unter ihn alle Betrügereien fallen,
wenn Not und Geringwertigkeit gegeben ſind. Dabei
kommt noch folgendes in Betracht: Bei den Verhand⸗
lungen über 8 264 a wurde nie von irgend jemand
davon etwas geſprochen, daß als Gegenſtand des
Notbetrugs — im Gegenſatze zum Notdiebſtahl und
zur Notunterſchlagung — nur Sachen in Betracht
kommen ſollten. Es wurde weder geſagt, daß unter
8 264 a nur Sachen fallen ſollten, noch wurde davon
geſprochen, daß andere Gegenſtände als Sachen nicht
unter 8 264 a fallen ſollten. Man hat hierüber eben
überhaupt nicht verhandelt, und zwar offenſichtlich
deshalb, weil überſehen worden iſt, daß Objekt
eines Betruges auch andere Gegenſtände als Sachen
ſein können. Und wenn man die Begründung
ins Auge faßt, welche die Unterkommiſſion für die
Schaffung des 8 264 a gegeben hat, ſo kann es keinem
Zweifel unterliegen, daß der 8 264 a nicht auf „Sachen“
beſchränkt werden ſollte. Denn dieſe Begründung ſpricht
weder von Sachen noch von Gegenſtänden, ſondern ſagt
ganz allgemein:
Im Verfolg eines bereits in der Kommiſſion
geſtellten Antrages .... ſchlug die Unter:
kommiſſion vor, die aus Not begangenen klei⸗
neren Betrügereien () von den ſchweren Strafen
des Betrugs .... auszunehmen. .... Sie hat
daher dem .. .. 8 248 a . . .. einen die kleinen
Notbetrügereien () betreffenden 8 264 a nachgebildet.
Alſo die kleinen Notbetrügereien ganz allge⸗
mein wollte man durch 8264 a bevorzugen und des halb
hat man den 8 264 a dem 8 248 a nachgebildet. Und
dieſe Nachbildung iſt etwas „verunglückt“, weil man
überſehen hat, daß durch Betrug auch andere Gegen⸗
ſtände, als Sachen verſchafft werden können. Hätte
bei den Verhandlungen irgend jemand hierauf auf⸗
merkſam gemacht, jo wäre auch unzweifelhaft der 8 264 a
ſo gefaßt oder doch ſo erklärt worden, daß unter ihn
alle kleineren Notbetrügereien zu fallen haben.
Hinderung des Vollzugs ungeſetzlicher Strafen durch
richterliche Eutſcheidung. Dieſen Grundſatz hat nun⸗
mehr auch das Bayeriſche Oberſte Landesgericht in
einem Beſchluſſe vom 2. Mai 1914 in einem Fall an⸗
erkannt, der den im lfd. Jahrg. dieſer Zeitſchrift S. 96
vom I. Staatsanwalt Weber in Landshut mitgeteilten
Fällen gleichartig liegt. Der Sachverhalt iſt ſolgender:
Die Angeklagte G. wurde am 24. Mai 1913 vom
Landgerichte D. wegen Beihilfe zur Urkundenfälſchung
zur Geſängnisſtrafe von 2 Monaten, wegen Betrugs
zur Gefängnisſtrafe von 3 Wochen und nach 8 79 StGB.
zur Geſamtſtrafe von 2 Monaten und 15 Tagen Ge⸗
fängnis verurteilt. Sie legte gegen das Urteil Reviſion
ein, beſchränkte dieſe aber in der Begründung auf die
Verurteilung wegen der Beihilfe zur Urkundenfälſchung.
Am 16. Oktober 1913 hob das Reichsgericht das Urteil
inſoweit und in bezug auf die Geſamtſtraſe auf und
verwies in dieſem Umfange die Sache an die erſte Sins
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15. 299
ſtanz zurück. Das Landgericht verurteilte die Ange⸗ darüber ausgeſprochen, in welchem Umfang er die
klagte am 4. Dezember 1913 auf Grund des gleichen ausdehnende Auslegung des 8 490 StPO. billige, wie
Sachverhalts nunmehr wegen Beihilfe zum verfuchten | fie in den angeführten Stellen dieſer Zeitſchrift ver⸗
Betrug neuerdings zur Gefängnisſtrafe von zwei Mo⸗ treten wurde. Allein es darf darauf hingewieſen werden,
naten und bildete aus dieſer und der durch das Urteil daß er doch unzweideutig eine Abhilfe gegen die Voll»
vom 24. Mai 1913 rechtskräftig zuerkannten drei⸗ ſtreckung im Wege des 8 490 StPO. in einem Falle
wöchigen Gefängnisſtrafe wiederum eine Geſamtſtrafe zugelaflen hat, in dem die Umſtände, aus denen ſpäter
von zwei Monaten und 15 Tagen Gefängnis. Das die Unzuläſſigkeit der Vollſtreckbarkeit abgeleitet
Urteil wurde mit dem Ablaufe des 11. Dezember 1913 wurde, ſchon zur Zeit der maßgebenden Hauptver⸗
rechtskräftig. handlung vorlagen, nämlich der zweiten Hauptver⸗
Gegen die Zuläſſigkeit der Vollſtreckung der ganzen handlung, in der (in objektiv unrichtiger Anwendung
Strafe entitanden Bedenken, da nach dem Gnaden⸗ des 8 79 StGB.) die Geſamtſtrafe gebildet wurde.
erlaſſe vom 5. November 1913 die wegen Betrugs ver⸗ Der Senat hat auch darauf kein Gewicht gelegt, ob
hängte dreiwöchige Gefängnisſtrafe bereits erlaſſen etwa durch das ordentliche Rechtsmittel gegen die Ent⸗
war, als ſie am 4. Dezember 1913 zur Bildung einer ſcheidung nicht bloß gegen die Vollſtreckbarkeit, ſondern
Geſamtſtrafe herangezogen wurde. Das Landgericht vielmehr gegen den Ausſpruch der unzuläſſigen Ge⸗
gab dem vom Staatsanwalt und dem Verteidiger der ſamtſtrafe hätte angekämpft werden können, d. h. ob
Verurteilten geſtellten Antrage, die Vollſtreckung der nicht durch die Reviſion die Verletzung des 8 79 StGB.
Geſamtſtrafe inſoweit für unzuläſſig zu erklären, als hätte geltend gemacht werden können, der eine früher
fie die am 4. Dezember 1913 wegen Beihilfe zum Be: erkannte, aber erlaſſene e zur Bildung der
trugsverſuch erkannte Strafe von zwei Monaten Ge⸗ Geſamtſtrafe heranzuziehen verbietet. Vielmehr hebt
fängnis überſteige, nicht ſtatt. Auf die ſofortige Bes die Entſcheidung ausdrücklich hervor, es ſei ſelbſt⸗
ſchwerde des Staatsanwalts ſprach das Oberſte Landes⸗ verſtändlich gleichgültig, zu welchem Zeitpunkte
gericht aus, daß die durch das Urteil des Landgerichts die Strafe ganz oder teilweiſe erlaſſen worden ſei.
vom 4. Dezember 1913 gegen die G. erkannte Strafe Es iſt klar, daß dies ein Hinwegſetzen über die Rechts⸗
von zwei Monaten und 15 Tagen nur in der Höhe kraft des die Geſamtſtrafe ausſprechenden Urteils iſt;
von 2 Monaten Gefängnis vollſtreckbar ſei. denn dieſe würde an ſich verbieten, ein dem Gerichte
Der Strafſenat führt im weſentlichen aus: bei der Bildung der Geſamtſtrafe unterlaufenes Ver⸗
| Die Bildung der neuen Geſamtſtrafe im Urteile ſehen in der Vollſtreckungsinſtanz zu berückſichtigen.
vom 4. Dezember 1913 war ſachlich unrichtig: zwar Dadurch, daß der Beſchluß der Vollſtreckungsbehörde
könne dieſem dem Strafurteil anhaftenden Mangel das Recht einräumt, eine rechtskräftige Strafe wegen
auf dem Wege des 8 490 StPO. an fi nicht ab» eines Umſtandes, den ſchon das Gericht bei der Feſt⸗
geholfen werden; dagegen ſchaffe der 8 490 die Mög⸗ ſetzung der Strafe hätte berückſichtigen follen, nicht
lichkeit der Abhilfe in bezug auf die Zuläſſigkeit oder nicht vollſtändig zu vollſtrecken, ſagt er wohl mehr,
der Vollſtreckung. als es auf den erſten Anblick den Anſchein hat.
Die Entſcheidung fährt dann fort: Rechtskundiger Hilfsarbeiter Cammerer im
„Der Staatsanwalt wird vor Vollſtreckung des Staatsminiſterium der Juſtiz in München.
Strafurteils immer zu prüfen haben, ob nicht Um⸗ . .
ſtände eingetreten ſind, welche die Straſvollſtreckung Nachſchrift des Herausgebers: Die Rechts⸗
anſchauung, die den von uns mitgeteilten, oben an⸗
ausſchließen, z. B. Verjährung der Strafvollſtreckung, 0 5 b
Bezahlung der Geldſtrafe und infolgedeſſen Unzuläſſig⸗ | geführten Entſcheidungen bayeriſcher Gerichte zu 8 490
StPO. zugrunde liegt, hat jetzt Eingang in die eben
keit der Vollſtreckung der hilſsweiſe an ihre Stelle ges a |
tretenen Freiheitsſtrafe, Erlaß der Strafe durch einen | erichienene 14. Auflage des Löweſchen Kommentars ge⸗
Gnadenakt (Löwe Anm. 2a zu 8 490 StPOD.); hinſicht⸗ funden, wo in Bem. 2 zu 8 490 dieſe Entſcheidungen
des zuletzt genannten Grundes der Ausſchließung der ohne Widerſpruch angeführt ſind. Wir freuen uns,
Strafvollſtreckung iſt es ſelbſtverſtändlich gleichgültig, zu dieſer Rechtsentwicklung an unſerem Teil beigetragen
zu welchem Zeitpunkte die Strafe ganz oder teilweiſe zu haben, und boffen, daß ſie durch den Löweſchen
erlaſſen worden iſt. Dieſem Prüfungsrecht und dieſer Kommentar in immer weitere Kreiſe dringt.
Prüfungspflicht des Staatsanwalts . .. entſpricht das
Recht des Verurteilten, Einwendungen gegen die Zu⸗
läſſigkeit der Strafvollſtreckung zu erheben. Es iſt ein
ſelbſtverſtändlicher Grundſatz des Strafprozeßrechts,
daß eine erlaſſene Straſe nicht vollſtreckt werden kann.
Da die der G. zuerkannte Strafe von drei Wochen
Gefängnis erlaſſen iſt, iſt deren Vollſtreckung unzuläſſig;
es mußte deshalb unter Aufhebung des angefochtenen
Beſchluſſes ausgeſprochen werden, daß nur die Ge⸗
fängnisſtrafe von zwei Monaten vollſtreckt werden darf.“
Die Entſcheidung entſpricht dem Antrage des Ge⸗
neralſtaatsanwalts, der in ſeiner Erklärung zur Be⸗
ſchwerde des Staatsanwalts die neuere Praxis, wonach
die Vollſtreckung ungeſetzlicher Strafen im Wege des
8 490 StPO. hintanzuhalten ſei (Bay ZfR. 1913 S. 206,
283, 296), als eine geſunde Rechtsfortbildung
bezeichnete, der aus formaliſtiſchen Gründen
entgegenzutreten nicht angebracht ſei. Der
Gerichtshof ſelbſt hat ſich allerdings nicht allgemein
Iſt der Verweiſungsbeſchluß des 3 697 ZPO. nach
8 26 GK. gebührenpflichtig? Dieſe Frage wurde
in einer von der BaygfR. 1913 S. 266 ff. gebrachten
Abhandlung eine der brennendſten Streitfragen ge⸗
nannt, die das GKG. gezeitigt habe. Auf Seite 213/14
des laufenden Jahrgangs der Zeitſchrift iſt ein Be⸗
ſchluß des J. ZS. des OLG. Bamberg vom 20. März
1914 mitgeteilt, der ſich für Gebührenfreiheit des Ver⸗
weiſungsbeſchluſſes nach 8 697 ZPO. ausſpruch. In
einer Fußnote iſt bemerkt: Siehe die gegenteilige Ent⸗
ſcheidung des OLG. Augsburg in BaygfR. Jahrg.
1914 S. 175. Die gegenteilige Anſicht hatte auch noch
ein Beſchluß des II. ZS. des OLG. Bamberg vom
14. Oktober 1913 vertreten.
Soweit erſichtlich, gewinnt die Anſicht die Ober⸗
hand, daß der erwähnte Verweiſungsbeſchluß als nur
—! — ͤ— . [xͤ—ñññññ— — — U]——ͥmn»ĩ3jnh.! ʒ̃!'̃ ß Lt ——w —ꝛ¼
300
prozeß⸗ oder ſachleitende Verfügung gemäß 8 47 Nr. 1
GKG. nicht gebührenpflichtig ſei.
Der II. ZS. des OLG. Bamberg hat in einem
Beſchluß vom 16. Juni 1914 die in ſeinem Beſchluß
vom 14. Oktober 1913 vertretene Anſicht nicht mehr
aufrecht erhalten, ſondern hat ſich der im Beſchluß
des I. Senats vom 20. März 1914 dargelegten Ans
ſicht angeſchloſſen, ſo daß jetzt wenigſtens in den beiden
Zivilſenaten des OLG. Bamberg Einhelligkeit in dieſer
Frage berrfcht. Ausſchlaggebend war für den Beſchl.
vom 16. Juni 1914 hauptſächlich die Erwägung, daß
durch die Novelle vom 1. Juni 1909, die den 8 697
ZPO. in feiner jetzigen Faſſung erſt ſchuf, das
Mahnverfahren begünſtigt, nicht erſchwert und ver⸗
teuert werden ſollte. — ch —
Aus der Aechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
1
Gefährdung des Hausverkehrs durch Geräte auf
den Treppen. Als der Kläger zwiſchen 3 und 4 Uhr
nachts in die Wohnung heimkehrte, kam er über eine
auf der Laufbahn der unbeleuchteten Haustreppe ge⸗
legene Leiter zu Fall. Seine Schadensklage iſt von
den Vorgerichten abgewieſen worden. Die Reviſion
hatte Erfolg.
Aus den Gründen: Ein Hauseigentümer, der
durch Vermieten von Wohnungen einen Verkehr in
ſeinem Hauſe eröffnet, muß die Zugänge, insbeſondere
die Treppen verkehrsſicher erhalten. Wird dieſer all⸗
gemeine Hausverkehr bei Hausausbeſſerungen durch ver⸗
ſtelltes Handwerksgerät für die Hausbeſucher beſonders
gefährdet, ſo hat ſich auch die Schutzpflicht des Haus⸗
eigentümers zu ſteigern. Seine eigene Sorgfaltspflicht
erheiſcht es daher, ſolchen beſonderen Verkehrsgefähr⸗
dungen auch durch beſondere Vorkehrungen wirkſam
abzuhelfen. Dazu reicht es nicht aus, die Arbeiten
einem umſichtigen Handwerksmeiſter zu übertragen,
dieſem einen Platz für die Geräte anzuweiſen und ihn
im übrigen nach eigenem Ermeſſen ſchalten zu laſſen,
im Vertrauen darauf, daß der Hausverkehr ungefährdet
bleiben werde. Vielmehr gebot es die Sorgfaltspflicht
des Beklagten, aus ſich heraus und ohne daß ſich zu⸗
vor eine begründete Urſache, ein beſtimmter Anlaß
zum Einſchreiten herausſtellte, ſich darüber Gewißheit
zu verſchaffen, daß die tagsüber benutzten Leitern nachts
auf den Treppen nicht verkehrsgefährdend liegen ges
laſſen würden. Wollte er nicht in eigener Perſon
abends die Treppen daraufhin anſehen, ſo hätte auch
ſchon eine beſtimmte ausdrückliche Anweiſung an die
Hausmeiſterin oder eine ſonſtige zuverläſſige Perſon
ausgereicht, hierauf allabendlich zu achten, von et—
waigen nicht beſeitigten Hinderniſſen Mitteilung zu
machen oder doch wenigſtens für wirkſame Beleuchtung
der gefährlichen Stellen zu ſorgen. Es iſt aber nicht
feſtgeſtellt, daß er der Hausmeiſterin, die nur mit der
gewöhnlichen Reinigung der Treppen betraut war,
einen derartigen beſonderen Auftrag gegeben hat.
Ohne dieſe Gewißheit aber hatte er mit der Möglich—
keit zu rechnen, daß die Treppen nicht durchweg abends
hindernisfrei gehalten wurden, und zwar um ſo mehr,
wenn er vom Kläger kurz vor dem Unfall auf die
mangelhafte Freihaltung der Treppen noch beſonders
hingewieſen worden ſein ſoll. Beſtand aber die Mög—
lichkeit, daß der nächtliche Hausverkehr durch liegen—
gebliebenes Handwerksgerät gefährdet werden konnte,
ſo war es ohne weiteres ein Gebot der verkehrserforder⸗
lichen Sorgfalt, die Treppen auch die ganze Nacht hin⸗
durch zu beleuchten und ſo wenigſtens die Hinderniſſe
4954 01 zu machen. (Urt. des VI. ZS. vom 2. April
1914, VI 128/14).
8370
-———ı.
II.
Die ſidnziariſche Beränßerung eines Grundkäds
oder des Anspruchs auf Auflaſſung des Srunbſtücks in der
Abſicht, das Grundſtück dem Angriffe der Gläubiger zu
entziehen, iſt nicht auf Grund der 88 134, 138 888. wegen
Berſtoßzes gegen ein geſetzliches Verbot oder gegen die
Sitten nichtig, kaun aber als ein gegen die anten Sitten
verſtoßendes Geſchäft i. S. des 3 817 888. angeſehen
werden; kaun der Beränzerer trotz der Berſchriſt in
817 Satz 2 die Näckübertragung des Srund tick
ordern? Aus den Gründen: Das OLE. nimmt
an: Durch den Verkauf des Grundftüds und die darauf⸗
hin vom Kläger herbeigeführte Auflaſſung des Grund⸗
ſtücks an den Beklagten hätten beide Parteien gegen
die guten Sitten verſtoßen. Es meint: dies ſei nicht
deshalb ausgeſchloſſen, weil ein „frauduloſes“ Rechts⸗
geſchäft, wie es nach dem angegebenen Zweck vorläge,
nach den Beſtimmungen des Anfechtungs G. anfechtbar
ſei; allerdings ſeien derartige Rechtsgeſchäfte nicht
nichtig auf Grund des 8 138 BGB.; einem an ſich gegen
die guten Sitten verſtoßenden Rechtsgeſchäft werde
aber ſein ſittenwidriger Charakter nicht dadurch ge⸗
nommen, daß das Geſetz unter beſonderen Umſtänden
nicht die gewöhnliche Rechtsfolge daran knüpfe. Was
die Reviſion hiergegen vorbringt, ſchlägt nicht durch.
Ohne Grund behauptet fie, das RG. habe in ſtändiger
Rechtſprechung daran feſtgehalten, daß ein nur anfecht⸗
bares Rechtsgeſchäft nicht auch gegen die guten Sitten
verſtoßen könne. Das von ihr herangezogene Urteil
des II. ZS. (Entſch. Bd. 56 Nr. 58) nimmt an, der Um⸗
ſtand, daß der Abtretungsvertrag gegen den § 241
KO. verſtoßen habe, begründe nicht ſeine Nichtigkeit
nach dem $ 134 BGB., und verneint die Frage, ob
das Abtretungsgeſchäft gegen die guten Sitten verſtoße
und deshalb nach § 138 nichtig ſei. Im Zuſammen⸗
hang hiermit heißt es in dem Urteil allerdings auch:
auszugehen ſei von der durch die Beſtimmungen der
KO. über die Anfechtbarkeit beſtätigten Auffaſſung
des Geſetzgebers, daß ein Zuwiderhandeln gegen die
Strafbeſtimmung des 8 241 KO. nicht das in dieſer
Weiſe zuſtande gekommene Rechtsgeſchäft als gegen
die guten Sitten verſtoßend erſcheinen laſſe. Dabei
iſt aber zu berückſichtigen, daß hier nicht über einen
Fall des 8 241 KO. (Gläubiger begünſtigung) zu
urteilen iſt, außerdem iſt der wiedergegebene Satz nach
dem Zuſammenhange nicht dahin zu verſtehen, daß
ein Zuwiderhandeln gegen den 8 241 KO. unter keinen
Umſtänden einen Verſtoß gegen die guten Sitten ent⸗
halten könne. Beſtätigt wird anderſeits die Auffaſſung
des OLG. durch die Urteile des VI. und des VII. 38.
bei Gruchot Bd. 49 S. 351 und Entſch. Bd. 69 Nr. 33
auf S. 147. In ihnen iſt deutlich der Standpunkt vertreten,
daß eine Nichtigkeit der zur Gläubigerbenachteiligung
vorgenommenen Rechtsgeſchäfte gemäß den SS 134, 158
BGB. auch dann abzulehnen ſei, wenn der Tatbeſtand
einen Verſtoß gegen ein Verbotsgeſetz oder gegen die
guten Sitten enthält. Insbeſondere ſagt das letztere
der beiden Urteile: „Da dem Geſetzgeber, der das BG.
und die KO. ſowie das AnfG. in ihrer jetzigen Geſtalt
zu gleicher Zeit hat in Kraft treten laſſen, nicht zu⸗
getraut werden kann, daß er völlig überflüſſige Be—
ſtimmungen hat treffen wollen, ſo ſind die Vorſchriften
des BGB. einerſeits und der KO. und des Anfc.
anderſeits in der Weiſe miteinander zu vereinigen, daß,
wenn die frauduloſen Geſchäfte des $ 31 KO. und
des SI! Ani. gegen die guten Sitten oder gegen
geſetzliche Verbote verſtoßen ſollten, mit dieſem Mangel
nach dem Willen des Geſetzgebers in Ausnahme von
den Beſtimmungen der 88 134 und 138 BGB. nicht die
Nichtigkeit, ſondern nur die Anfechtbarkeit jener Rechts⸗
geſchäfte verknüpft fein fol.“ (Deutſch! Der Heraus»
geber). Für die Anwendbarkeit des 8817 BGB. kommt
es übrigens nicht darauf an, ob das .
in dem die Leiſtung beſchloſſen iſt oder auf dem ſie
beruht, nach ſeinem ſich aus der Zuſammenfaſſung von
Inhalt, Zweck und Grund ergebenden Geſamtcharakter
(vgl. RGE. Bd. 75 Nr. 18 auf S. 74, Bd. 80 Nr. 51
auf S. 221) gegen die guten Sitten verſtößt, ſondern
nur darauf, ob der Zweck der Leiſtung in der Art be⸗
ſtimmt iſt, daß der Empfänger durch die Annahme und
— Satz 2 — der Leiſtende durch die Leiſtung gegen die
guten Sitten verſtößt. Dies hat das Os. jedenfalls
ohne Rechtsirrtum mit Rückſicht darauf angenommen,
daß durch den Kaufvertrag und die Au lung des
Grundſtücks an den Beklagten nach der Abſicht beider
Parteien das Grundſtück dem Zugriffe der Gläubiger
des Klägers entzogen werden ſollte. Vas Os.
nimmt ferner an, daß der Kläger durch den Verkauf
des Grundſtücks und die Herbeiführung der Auflaſ⸗
ſung des Grundſtücks an den Beklagten gegen den
8 288 StGB. und der Beklagte durch den Kauf und die
Entgegennahme der Auflaſſung gegen den § 288 in Ver⸗
bindung mit dem $ 49 St., ſomit beide gegen ein
geſetzliches Verbot verſtoßen hätten. Auch die Angriffe,
die die Reviſion hiergegen richtet, ſind hinfällig. Aller⸗
dings erfordert der § 288 eine drohende Zwangs voll⸗
ſtreckung. Dazu iſt jedoch keineswegs erforderlich, daß
eine Zwangsvollſtreckung ſchon begonnen hat; es genügt
insbeſondere ſchon die Erhebung der Klage, wenn daraus
auf eine Abſicht des Gläubigers geſchloſſen werden kann,
auf Grund des zu erwirkenden Urteils mit Zwangs⸗
vollſtreckung gegen den Schuldner vorzugehen (vgl.
RGSt. Bd. 2 Nr. 25, Bd. 20 Nr. 94). Daß der Maurer⸗
meiſter T. am 3. Januar 1912 auf Zahlung von
24 036,10 M und die Firma K. am 6. Januar 1912 auf
Zahlung von 7504,11 M Klage gegen den Kläger er⸗
hoben hatten, iſt feſtgeſtellt und nach der Behauptung
des Klägers ſind die betreffenden Rechtshandlungen
gerade vorgenommen worden, um das Grundſtück dem
ugriffe ſeiner Gläubiger zu entziehen. Indem der
läger das von B. gekaufte Grundſtück an den Ve⸗
klagten weiterverkaufte und B. veranlaßte es unmittel⸗
bar dem Beklagten aufzulaſſen, hat er, wenn nicht das
Grundſtück ſelbſt, . jedenfalls ſeinen Anſpruch an B.
auf Uebertragung des Eigentums veräußert; das wird
namentlich nicht dadurch ausgeſchloſſen, daß der Be⸗
klagte das Grundſtück nur ſo lange behalten ſollte, als
die Gläubiger des Klägers noch darauf (als Befriedi⸗
gungsmittel) Anſpruch machten. Dieſe Abrede berührte
nur das Verhältnis zwiſchen den Parteien, nicht da⸗
gegen die Wirkſamkeit der Auflaſſung an den Be⸗
klagten, noch den Fortfall des bezeichneten Anſpruchs
des Klägers an B.
Mit Recht aber rügt die Reviſion eine Verletzung
des 8 817 BGB. in anderer Richtung. Nach der in
den Urteilen des III. und des II. ZS. Entſch. Bd. 67
Nr. 79 (auf S. 326) und JW. 1912 S. 862/3 unter 20
vertretenen Rechtsanſicht iſt als Leiſtung i. S. des 8 817
nur der Vermögensvorteil anzuſehen, der beſtimmt war,
endgültig in das Vermögen des Empfängers überzus
gehen. Das OLG. glaubt, es brauche zu dieſer Anſicht
nicht Stellung zu nehmen, da der Kläger auch nach dem
Inhalt des von ihm behaupteten fiduziariſchen Ver⸗
trages die Auflaſſung des Grundſtückes an ihn vom
Beklagten zurzeit nicht verlangen könne. Dies ins⸗
beſondere wird von der Reviſion mit Recht bekämpft.
Allerdings hat der Kläger den Inhalt des fiduziariſchen
Vertrages dahin angegeben, daß der Beklagte das
Grundſtück fo lange behalten ſolle, als feine, des Klägers,
Gläubiger noch Anſpruch darauf machten. Das OLG.
verkennt jedoch Zweck und Sinn des Vertrages, indem
es annimmt, hiermit habe dem Beklagten nicht nur
eine Pflicht auferlegt, ſondern auch das Recht einge⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
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301
räumt werden ſollen, das Grundſtück bis zu dem be⸗
zeichneten Zeitpunkt, und zwar auch gegen den erklärten
Willen des Klägers, zu behalten. Der Zweck des Ver⸗
trages war, das Grundſtück vor dem Zugriff der Gläubiger
des Klägers zu bewahren, und zwar allein in deſſen
Intereſſe. Das weiſt nach den 88 133, 157 BGB. auf
eine Bertragsauslegung hin, nach der es lediglich vom
Ermeſſen des Klägers abhängen ſollte, zu beſtimmen,
wann dieſer Sicherungszweck erreicht oder erledigt
war und der Beklagte das Grundſtück an ihn herauszu⸗
geben hatte. — Die in den bezeichneten Urteilen des III.
und II. ZS. vertretene Rechtsanſicht aber iſt gerecht⸗
Rete unbegründet iſt der vom OLG. angeregte
Zweifel, ob dabei der Begriff der Leiſtung nicht etwa
eine Einſchränkung erfährt, die ſich aus dem Geſetze
Wal nicht ergibt. Wie nach dem 8 817 die Leiſtung
n der Eingehung einer Verbindlichkeit beſtehen kann,
o kann die Leiſtung auch durch eine mit bezug auf
e vom Leiſtungsempfänger eingegangene Verbind⸗
lichkeit gemindert ſein. Die Uebertragung des Eigen⸗
tums an einem Grundſtück oder die Uebernahme der
Verpflichtung zu ſolcher Eigentumsübertragung iſt eine
andere und mindere Leiſtung, wenn ſie mit der Ver⸗
pflichtung des Leiftungsempfängers verbunden iſt, das
Eigentum wieder auf den Leiſtenden zu übertragen,
als wenn ſie ohne ſolche Verpflichtung erfolgt. Durchaus
zutreffend heißt es in dem Urteile des II. ZS.: „Aus
dem Sole des Geſchäfts iſt auch der Gegenſtand
der in Vollzug des Geſchäfts bewirkten Leiſtung und
damit der Umfang der Anwendbarkeit des 8 817 zu
beſtimmen. Danach hat aber (in dem dort beurteilten
Fall) die Leiſtung des Klägers nicht in der Auflaſſung
ſchlechthin, ſondern nur in der vorübergehenden, einem
. . jetzt nicht mehr vorhandenen Zwecke dienenden
Einräumung der Stellung eines Eigentümers be⸗
ſtanden. Wollte man dem Beklagten das Recht zu⸗
geſtehen, die Rückgabe dauernd zu verweigern, ſo würde
er in Wahrheit nicht nur das behalten, was er durch
das unſittliche Geſchäft erlangt hat, ſondern er würde
einen weiteren in der Leiſtung des Klägers nicht be⸗
gründeten Vermögensvorteil hinzuerwerben.“ Darnach
beſteht auch hier das, was der Beklagte als emp⸗
fangene Leiſtung gemäß dem 1. Satze des § 817 heraus⸗
zugeben hätte, deſſen Rückforderung aber gemäß dem
2. Satze des 8 817 ausgeſchloſſen iſt, nicht in der Auf⸗
laſſung des Grundſtücks ſchlechthin, ſondern in dieſer
Auflaſſung verbunden mit der Verpflichtung zur Auf⸗
laſſung an den Kläger nach dem erörterten Inhalte
des fiduziariſchen Vertrages, ſo daß er das Grundſtück
auf Grund des 8 817 Satz 2 auch nur mit dieſer Ver⸗
pflichtung behalten kann. (Urt. des V. 35. vom
25. April 1914, V 564/1913). E.
3414
III.
Bezeichnung der Forderung bei der sthekbe⸗
ſtellung; gehört dazu unter allen Hmftänben Die Hin abe
des Schuldners und des Schuldgrundes? 1 iner
ungenügenden Bezeichnung; abſtrakte Berbindlichkeiten
genügen als Grundlage für eine Hypothek. Aus den
Gründen: Das OLG. hat ſich unter Hinweiſung auf
die 88 1113, 1115 BGB. und auf die in der Literatur
und Rechtſprechung zutage getretenen widerſprechenden
Meinungen für die ſtrengere Auffaſſung entſchieden und
angenommen, daß die erwähnten Vorſchriften die genaue
Bezeichnung der Forderung nicht bloß vorſchrieben, ſon⸗
dern daß dieſe genaue Bezeichnung für die Begründung
und Rechtswirkſamkeit der Hypothek ein ſo weſentliches
und unerläßliches Erfordernis ſei, daß bei deren Mangel
die ganze Hypothek nichtig ſei. Zur genauen Bezeich⸗
nung der Forderung gehöre aber unbedingt die ge—
naue Angabe des Schuldgrundes und des Schuldners,
woran es hier fehle. Beides hätte zwar nach §1115 Abſ. 1
BGB. nicht gerade im Grundbuch, wohl aber in der
Eintragungsbewilligung geſchehen müſſen, auf die dort
302
— — — —— — —— — — — [oo
verwieſen wird, aber auch ſie laſſe in dieſer Beziehung
im Stich. Dies Lebensſtellung des Gläubigers und
des Ausſtellers der Eintragungsbewilligung ſowie die
zwiſchen beiden beſtehende Geſchäftsverbindung — Um:
ſtände, worauf der Beklagte und der Nebenintervenient
hingewieſen hatten — ließen keinen ſicheren Schluß auf
den Schuldgrund und die Perſon des Schuldners zu.
Sie könnten allenfalls in Betracht kommen, wenn es
ſich um eine Höchſtbetragshypothek handelte, eine
ſolche liege aber nach dem Inhalt der Eintragung
nicht vor. Letzteres iſt richtig; von Rechtsirrtum be⸗
einflußt find jedoch die Ausführungen, mit denen das
OLG. wegen der mangelhaften Bezeichnung des Schuld⸗
grundes und des Schuldners die Nichtigkeit der Hypo⸗
thekeintragung angenommen hat. An ſich iſt zwar die
Ungenauigkeit nicht in Abrede zu ſtellen und es hätte
daher die Eintragung bis zur Beſeitigung der Anſtände
abgelehnt werden können. Daraus folgt jedoch nicht
ohne weiteres die Rechtsunwirkſamkeit der dennoch vor⸗
genommenen Eintragung. Das BGB. hat ſich bei der
Regelung des Grundbuchrechtes im allgemeinen dem
früheren preußiſchen Recht, den Grundbuchgeſetzen vom
5. Mai 1872, angeſchloſſen. Es hat damit übereinſtimmend
(SS 23, 191 GrundeigG., 8 43 GO.) im 8 1115 Abſ. 1
BGB. die notwendigen, in das Grundbuch zu über⸗
nehmenden Merkmale der Forderung bezeichnet und be⸗
züglich der hier in Rede ſtehenden Merkmale (Schuldner
und Schuldgrund) das preußiſche Recht ſogar gemildert,
indem es in dieſer Beziehung die Bezugnahme auf die
Eintragungsbewilligung geſtattet hat. Auch hat es dem
im preußiſchen Recht nur ausnahmsweiſe zugelaſſenen
abſtrakten Schuldverſprechen (RG. 39, 202) in den
§§ 780, 781 BGB. allgemeine Geltung verſchafft. Der
Berufungsrichter hätte daher vor allem auf die Rechts⸗
entwickelung und Rechtſprechung des früheren preu⸗
ßiſchen Rechts eingehen und auch prüfen müſſen, ob die
keine genaue Angabe des Schuldgrundes enthaltende
Bewilligung nicht ein Schuldanerkenntnis i. S. des 8781
oder ein abſtraktes Verſprechen i. S. des 8 780 BGB.
enthielt. Daß eine Forderung vorhanden, war ſchon aus
der Bewilligung der Sicherungshypothek und den Worten
„für 6000 M“ zu folgern (Urt. vom 17. Januar 1912,
V 327/11, im 3 Bl G. Bd. 13 S. 201, in JW. 1912 S. 351
Nr. 16). Das Anerkenntnis oder die Begründung einer
ſelbſtändigen Zahlungs verpflichtung durch die Eintra⸗
gungsbewilligung aber hätte möglicherweiſe durch Aus⸗
legung feſtgeſtellt werden können (Johows Jahrb. Bd. 31
B S. 13 Bd. 26 A S. 278, Planck Anm. 5a zu §S 1115 BGB.).
Daß abſtrakte Verbindlichkeiten als Grundlage für eine
Hypothek genügen, iſt ſelbſtverſtändlich und z. B. vom
preußiſchen KG. ſtets angenommen worden (Johows
Jahrb. Bd. 22 A S. 307, Bd. 26 A S. 139, Bd. 35 A
S. 279,83). Im übrigen iſt, auch wenn man von der
abſtrakten Verbindlichkeit abſieht, im früheren preu—
ßiſchen Recht die ungenaue, ja ſelbſt die unrichtige Bezeich-
nung des Schuldgrundes oder des Schuldners niemals
als Nichtigkeitsgrund betrachtet worden. Der ſtändigen
Rechtſprechung des Preußiſchen Obertribunals hat ſich in
dieſer Beziehung die ebenſo ſtändige Rechtſprechung des
RG. angeſchloſſen (Entſch. 45, 176; Gruchots Beitr. Bd. 27
S. 945, Bd. 31 S. 1048, Bd. 34 S. 470; JW. 1898 S. 36
Nr. 91. S. 272 Nr. 42, 1902 S. 421 Nr. 14, 1903 S. 162
Nr. 32). Das OLG. meint zwar, es ſei ein Unter:
ſchied zwiſchen einer unrichtigen und einer überhaupt
nicht vorhandenen Angabe des Schuldgrundes und des
Schuldners. Es verwechſelt aber hierbei die Forderung,
die allerdings vorhanden und bezeichnet
ſein muß. mit den einzelnen dieſer Bezeichnung dienen—
den Merkmalen. Die Angabe des Schuldners und des
Schuldgrundes in der Eintragungsbewilligung hat nur
die Bedeutung der näheren Bezeichnung und Beſtimmung
(Identifizierung) der Forderung (Mot. zus 1064 Bd. III
S. 643), weil die anderen Merkmale der Forderung,
die nach 81115 BGB. in das Grundbuch übernommen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
!
nommen worden find, dazu in der Regel nicht ausreichen.
Dabei aber handelt es ſich eben nur um eine Regel, nicht
um eine unverbrüchliche Norm, die keine Ausnahmen
duldet. Denn es läßt ſich ſehr wohl denken, daß eine
Forderung auch ohne Angabe des Schuldgrundes in
anderer Weiſe, z. B. durch beſtimmte Zeitangaben oder
Tatſachen, ganz genau bezeichnet wird. Sodann aber
hal das OLG. die in der Eintragungsbewilligung ent:
altenen, zur Beſtimmung des Schuldgrundes und mittel⸗
bar der Forderung von dem Beklagten herangezogenen
Angaben nicht ausreichend gewürdigt. Wie nach allge⸗
meiner Annahme beim Mangel einer entgegenſtehen⸗
den Angabe im Schuldbekenntnis deſſen Ausſteller als
Schuldner anzuſehen iſt, fo iſt es nicht bloß bei der Höchſt⸗
betragshypothek, ſondern auch bei einer gewöhnlichen
Sicherungshypothek möglich, daß die Beteiligten und
die Verkehrsanſchauung in einer Sicherungshypothel,
die ein „Maurermeiſter“ einem „Holzhändler“ „für
6000 M“ beſtellt, eben wegen des Mangels einer ander:
weitigen Bezeichnung des Schuldgrundes, eine Hypothel
für Forderungen aus Baulieferungen und Baugeſchaften
finden. Daß dieſer Schluß „ein ſicherer“ ſei, wie das
OLG. verlangt, iſt durchaus nicht erforderlich, es würde
vielmehr, wenn der Verkehr zunächſt (prima facie) von
einer ſolchen Annahme ausgeht, dieſe Annahme genügen.
Denn ſtellt ſich die Annahme nachträglich als unrichtig
heraus, ſo läge eben eine unrichtige Angabe des Schuld⸗
grundes vor, die nach der oben erwähnten Rechtſprechung
niemals die Nichtigkeit der Hypothek herbeiführen kann,
ſondern nur die Beweislaſt verſchiebt. Wäre aber auch
wegen ungenügender Bezeichnung der Forderung die
Hypothek unwirkſam, ſo wäre die Eintragung doch nicht
nach ihrem Inhalt ſo offenſichtlich unzuläſſig, daß ſie
nach § 54 Abſ. 1 Satz 2 GBO. von Amts wegen gelöjdt
werden könnte. Es wäre der Fall des erſten Satzes des
§ 54 a. a. O. gegeben, wornach das Grundbuchamt bei
einer Unrichtigkeit des Grundbuchs, die es durch eint
Eintragung unter Verletzung geſetzlicher Vorſchriften
herbeigeführt hat, von Amts wegen nur einen Wider⸗
ſpruch eintragen darf. Die Löſchung könnte beim Mangel
einer Einwilligung des Berechtigten nur mit der Grund⸗
buchberichtigungsklage des 5 894 BGB., vielleicht auch
(vgl. Güthe Anm. 26 zu § 54 a. a. O.) unter Anwendung
des Ss 22 GO. mit der von dem OLG. zugelaſſenen Feſt⸗
ſtellungsklage herbeigeführt werden. Gegenüber dieſen
Klagen aber kann, was das OLG. zu Unrecht verneint
hat (RG. 78, 375, 377; 81, 291), der Beklagte die Einrede
erheben, daß die Klägerin vertragsmäßig zur Einräu⸗
mung der Hypothek verpflichtet ſei. Bis zur Beſtellung
einer vollgültigen Hypothek mit dem früheren Range
könnte er die Löſchung verweigern. (Urt. des V. 33.
vom 22. April 1914, V 495/13). E.
341
IV.
Verteilung der Pflichtteilslaſt zwiſchen dem Erben
und dem VBermächtnisnehmer. Der Erblaſſer hat lest:
willig ſeine drei Enkel, die Kinder ſeiner Tochter, zu
Erben eingeſetzt, der Tochter ſelbſt den lebenslänglichen
Nießbrauch an den Erbteilen ihrer Kinder zugewendet,
feine Witwe, die Beklagte, aber mit dem lebensläng-
lichen ihr zu ſichernden Nießbrauch an einem Kapitale
von 30000 M bedacht, außerdem noch Einzelvermächt⸗
niſſe von zuſammen 9300 M vergeben. Die Tochter
hat das ihr zugewendete Nießbrauchsvermächtnis aus⸗
geſchlagen und den Pflichtteil beanſprucht, der ſich bei
einem Nachlaßbeſtande von 63 315.82 M auf * des
Nachlaſſes gleich 23 741.40 M beläuft. Die klagende
Witwe bekennt, wegen des ihr ausgeſetzten Nießbrauchs⸗
rechtes an dem Kapital von 30000 M durch Beſtellung
einer Hypothek von 20000 M geſichert worden zu fein
Sie verlangt aber Sicherung auch bezüglich des Reit
betrags von 10000 M. Der Nachlaßverwalter beſtreitet
den Klaganſpruch, da das Nießbrauchsvermächtnis der
werden müſſen und auch im vorliegenden Falle über- Klägerin vermöge der Grundſätze über die Tragung
der Pflichtteilslaſt zur Auszahlung des Pflichtteils
der Tochter anteilig mit beizutragen habe und dem⸗
gemäß in Höhe des eingeklagten Betrags untergegangen
ſei. Das 88. hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin
den Nießbrauch noch an einem Kapital von 7873 MN
zu beſtellen, und ihr ne Kapital zu ſichern. Wegen
des Mehrgeforderten iſt die Klage abgewieſen worden.
Das OLE. hat die Berufung des Beklagten zurück⸗
gewieſen, dagegen auf Anſchlußberufung der Klägerin
den Beklagten zur Nießbrauchsbeſtellung und Siche⸗
rung der Klägerin in der vollen Höhe von 10000 l
verurteilt. Die Reviſion blieb erfolglos.
Gründe: Das BG. veranſchlagt den Wert des
der Tochter des Erblaſſers zugewendeten und nach⸗
mals von ihr ausgeſchlagenen Nießbrauchsvermächt⸗
niſſes für die Zeit des Erbfalls auf 26 103.60 M. Durch
die Ausſchlagung des Vermächtniſſes und die hierdurch
eingetretene Befreiung von der Vermächtnisſchuld hätten
die Erben einen mit dem vollen Werte des Vermächt⸗
niſſes einzuſtellenden Vorteil erlangt. In dieſer Höhe
hätten fie gemäß 8 2321 BB. die Pflichtteilslaſt ſelbſt
zu tragen; da der Pflichtteilsanſpruch ihrer Mutter
unſtreitig bloß 23 743.41 M beträgt, könnten ſie nicht
die Vermächtnisnehmer zur Tragung der Pflichtteils⸗
laſt mit heranziehen. Die Reviſion erblickt den in⸗
folge der Vermächtnisausſchlagung den Erben zuge⸗
floſſenen Vorteil nur in dem Unterſchied zwiſchen dem
höheren Vermächtnis⸗ und dem niedrigeren Pflicht⸗
teilsbetrage (2360.19 M), inſoweit liege den Erben
die Pflichtteilslaſt ſelbſt ob, wegen des Reſtbetrags des
an ihre Mutter auszuzahlenden Pflichtteils (21 383.22 M)
aber ſeien fie gemäß 8 2318 BGB. berechtigt, auch
die Vermächtnisnehmer, darunter die Klägerin, ver⸗
1 zur Tragung der Pflichtteilslaſt mit
eranzuziehen.
Die Reviſion iſt nicht begründet. Nach $ 2318 iſt
die Pflichtteilslaſt, wennſchon dem Pflichtteilsberech⸗
tigten gegenüber allein der Erbe haftet, im Verhält⸗
nis nach innen von dem Erben und dem Vermächnis⸗
nehmer (Auflageberechtigten) verhältnismäßig zu tragen.
Wer aus dem Nachlaß etwas erhält, ſoll nach Ver⸗
hältnis des Empfangenen zur Deckung der Pflicht⸗
teilslaſt beitragen. Dieſer Grundſatz wird aber ein⸗
geſchränkt durch die Vorſchriften der 88 2320 und 2321.
Hiernach hat in erſter Linie derjenige die Pflichtteils⸗
laſt dem mit ihm verhafteten Erben abzunehmen, der
an Stelle des Pflichtteilsberechtigten kraft geſetzlicher
Erbfolge oder kraft Verfügung von Todes wegen deſſen
Erbteil ganz oder teilweiſe erhält. Ebenſo hat er die
Pflichtteilslaſt, wenn der Pflichtteilsberechtigte ein ihm
zugewandtes Vermächtnis angenommen hat, gegenüber
dem mit dem Vermächtnis Beſchwerten in Höhe des
erlangten Vorteils, das iſt in Höhe des Vermächtnis⸗
wertes zu tragen, den der Pflichtteilsberechtigte in⸗
folge Annahme des Vermächtniſſes ſich auf den Pflicht⸗
teil anrechnen zu laſſen hat (8 2307 Abſ. 1). Soweit
die Ausnahme des § 2320 nicht eingreift, bleibt die
Pflichtteilslaſt gemäß § 2318 dem Erben und Ber:
mächtnisnehmer (Auflageberechtigten). Aber auch dieſer
Grundſatz wird beſchränkt durch 8 2321. Wenn der
Pflichtteilsberechtigte, um den Pflichtteil unverkürzt
verlangen zu können, das ihm zugewandte Vermächt—
nis ausſchlägt, ſoll die Pflichtteilslaſt im Verhältnis
der Erben und Vermächtnisnehmer zueinander in Höhe
des erlangten Vorteils dem obliegen, welchem die Aus⸗
ſchlagung zuſtatten kommt. Der Pflichtteilsberechtigte
braucht ſich die Verweiſung auf ein Vermächtnis nicht
gefallen zu laſſen. Er kann den Erben in voller Höhe
des Pflichtteils in Anſpruch nehmen, wenn er das Ver⸗
mächtnis ausſchlägt. In dieſem Falle behält aber die
Anordnung des Vermächtniſſes ihre Wirkung für die
Verteilung der Pflichtteilslaſt, worüber der Erblaſſer
frei beſtimmen kann (§ 2324). Der Vermächtnisbe—
ſchwerte muß in dieſem Falle zur Deckung der Pflicht—
teilslaſt den Wertbetrag hergeben, den er zur Ent—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 22 15.
303
richtung des Vermächtniſſes hätte aufwenden müſſen.
In dieſem Sinne wird der $ 2321 auch vom BG. ans
gewendet. Es erachtet die Erben für verpflichtet, die
Pflichtteilslaſt in Höhe des vollen Wertes des Ver⸗
mächtniſſes nach der Zeit des Erbfalls unter Berück-
ſichtigung der Zwiſchenzinſen und Zinſeszinſen berechnet
zu tragen, weil ſie durch Ausſchlagung des ihnen zu⸗
gunſten ihrer Mutter auferlegten Nießbrauchvermächt⸗
niſſes von dieſem Vermächtnis befreit worden ſind.
Da diefer Wert den Betrag des Pflichtteils überſteigt,
müßten ſie alſo die Pflichtteilslaſt vollſtändig über⸗
nehmen, ohne daß die mit einem anderen Vermächtnis
bedachte Klägerin zur Deckung der Pllichtteilslaſt mit
herangezogen werden darf. Dementgegen vertritt die
Reviſion den Standpunkt, daß als der von den Erben er⸗
langte Vorteil nur der Unterſchied zwiſchen dem Betrage
des Pflichtteils und dem Werte des Nießbrauchsver⸗
mächtniſſes angeſehen werden könne. Die Reviſion geht
davon aus, daß der Pflichtteilsanſpruch erſt nach Aus⸗
ſchlagung des Vermächtniſſes geltend gemacht werden
könne, daß danach die Ausſchlagung den Erben ſowohl
Vorteil als Nachteil, nämlich den Vorteil der Befreiung
von dem Vermächtnis und den Nachteil der Entſtehung
des Pflichtteilsanſpruchs bringe, ſo daß als wirklicher
Vorteil nur der Ueberſchuß des Vermächtniswertes
über den Pflichtteil zu rechnen ſei. Dieſer Auffaſſung
kann nicht beigetreten werden. Der Pflichtteil ſteht
dem Pflichtteilsberechtigten ſchon vor der Ausſchlagung
des Vermächtniſſes zu. Die Ausſchlagung hat nur die
Bedeutung, daß der Vermächtnisbeſchwerte nunmehr
nicht den vollen Betrag des Vermächtniſſes an den
Pflichtteilsberechtigten zu entrichten braucht, wie ihm
ſonſt obgelegen hätte. Sein Vorteil beſteht alſo in
der vollen Höhe des Vermächtniswertes. Hieran ändert
9255 auch der Umſtand nichts, daß die Vermächtnis⸗
eſchwerten zugleich die Erben und als ſolche mit der
Entrichtung des Pflichtteils belaſtet ſind. Dadurch,
daß den Erben das Vermächtnis an ihre pflichtteils⸗
berechtigte Mutter auferlegt iſt, iſt ihnen in Höhe des
Wertes des Vermächtniſſes die Pflichtteilslaſt zuge⸗
wieſen und der anderen Vermächtnisnehmerin, der Be⸗
klagten, abgenommen. Es braucht deshalb nicht unter⸗
ſucht zu werden, ob nicht auch die Vorausſetzungen
des 8 2320 gegeben ſind und ſchon hiernach die Erben
die Pflichtteilslaſt allein zu tragen haben, weil ſie
nach der Anordnung des Erblaſſers den Erbteil an
Stelle ihrer auf den Pflichtteil geſetzten Mutter er⸗
halten. (Urt. d. IV. ZS. vom 2. März 1914, IV 523/13).
33⁵6
— —— .
V.
Unabwendbarer Zufall. Aus den Gründen:
Die Friſt zur Begründung der Reviſion des Klägers
lief am 22. März 1914 ab. Am 7. März beantragte
der Kläger Bewilligung des Armenrechts wegen der
Gerichtskoſten, die durch VBefſchluß vom 10. März er⸗
folgte. Durch Verſehen der Gerichtsſchreiberei des
Reichsgerichts wurde aber ein das Armenrecht ver»
ſagender Beſchluß ſtatt des bewilligenden ausge⸗
fertigt und dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers
zugeſtellt unter Benutzung des unrichtigen Vordrucks.
Der Prozeßbevollmächtigte legte deshalb die Vertretung
nieder, die Reviſion wurde innerhalb der Friſt nicht
begründet. Nach Ablauf der Friſt erlangte der Kläger
Kenntnis von dem Verſehen. Sein Wiedereinſetzungs⸗
antrag (8 233 ZPO.) iſt gerechtfertigt. Die mit dem
Verſehen des Gerichtsſchreibers zuſammenhängenden
Vorgänge liegen außerhalb des Einflußbereichs des
Klägers. Sie bilden für ihn einen unabwendbaren
Zufall. Dieſer Zufall hat auch die Wahrung der Friſt
verhindert, er war für die Verſäumung urſächlich. Der
Kläger hatte zwar für den Rechtszug der Reviſion
einen Prozeß bevollmächtigten: nachdem er aber durch
die unrichtige Beſchlußausfertigung in den Irrtum
verſetzt war, die Bewilligung des Armenrechts ſei ab—
304
e war ihm nicht zuzumuten, die nach ſeiner
einung vom Reichsgerichte — wenn auch auf Grund
bloß vorläufiger Prüfung — für ausſichtslos erklärte
Reviſion auf ſeine Koſten, d. h. mit der Folge ſeiner
Verpflichtung zur Vorſchußleiſtung nach 8 554 Abſ.7
ZPO. zu begründen. (Urt. des III. 38S. vom 9. Juni
1914, III 90/14).
8406
— 4 —
VI.
Wiedereinſetzung in den vorigen Stand, unabwend⸗
barer Zufall. Aus den Gründen: Unter dem „unab»
wendbaren Zufall“ des 8 233 ZPO. verſteht die Rechtſpr.
des RG. „ein Ereignis, das unter den nach der Beſonder⸗
heit des Falles zu berückſichtigenden Umſtänden auch
durch die äußerſte dieſen Umſtänden angemeſſene und
vernünftigerweiſe zu erwartende Sorgfalt weder abzu⸗
wehren noch in ſeinen ſchädlichen Folgen zu vermeiden
ift“. RG. 77, 159. Dieſe Sorgfalt muß die arme
Partei bei Anträgen auf Bewilligung des Armenrechts
zur Einlegung eines Rechtsmittels anwenden, um die
Friſt zu wahren; ſie darf nicht das, was ſie zur Wahrung
der Friſt zu tun hat, auf deren letzten Teil verſchieben.
JW. 1909, 417". Ein unabwendbarer Zufall liegt
vor, wenn die Verſpätung durch Umſtände herbei⸗
geführt iſt, die außerhalb des Einflußbereichs der Par⸗
teien liegen. Nicht aber, wenn die Verſäumnis ausſchließ⸗
lich durch zu ſpätes Handeln der Partei oder ihres Ver⸗
treters herbeigeführt iſt, namentlich wenn um das
Armenrecht für die vorzunehmende befriſtete Prozeßhand⸗
lung ſo ſpät nachgeſucht worden iſt, daß das Geſuch nach
dem regelmäßigen Geſchäftsgange bei Gericht nicht mehr
rechtzeitig erledigt werden konnte. Ja, es iſt eine
ſo frühzeitige Einreichung in der Rechtſprechung des
Senats verlangt worden, daß auch Störungen und
Verzögerungen des Geſchäftsganges regelmäßig nicht
ſchädlich wirken können (JW. 1901, 837). Die arme
Partei muß die nötige Zeit haben zur Ueberlegung,
ob das Rechtsmittel einzulegen ſei, ſie muß dann aber
jede Zögerung vermeiden. Anderſeits darf fie damit
rechnen, daß das Geſuch mit der erforderlichen und
durch den Geſchäftsgang geſtatteten Beſchleunigung
bearbeitet wird. Hätte danach das Geſuch noch recht⸗
zeitig erledigt werden können, fo iſt für die Friſtver⸗
ſaͤumnis die Verzögerung der Partei nicht mehr ur⸗
ſächlich. Urſache iſt vielmehr ein Verhalten des Ger
richts oder der Beamten, das dem Einfluß der Partei
entzogen iſt (vgl. RG. 21, 13; 48, 409). Hier iſt die
Einreichung am 22. Auguſt erfolgt, die Friſt lief am
25. Auguſt ab. Was der Kläger zur Entſchuldigung
ſeiner Verzögerung vorbringt, hat das BG. mit Recht
zur Begründung eines unabwendbaren Zufalls als un—
zureichend erachtet: die angebliche Gedächtnisſchwäche,
das Verreiſtſein des Klägers, die Uebergehung des ver—
mittelnden Rechtsanwalts. Dafür, daß über das Ge⸗
ſuch erſt am 25. Auguſt Beſchluß gefaßt werden konnte,
war das ſchuldhaft zögerliche Verhalten des Klägers
allein urſächlich. Die Akten mußten eingefordert und
geprüft werden. Selbſt wenn die Anberaumung einer
beſonderen Sitzung auf den 24. Auguſt hätte in Frage
kommen können, ſo liegt doch nichts dafür vor, daß bis
dahin dieſe Prüfung hätte erledigt ſein müſſen. Allein
es war doch ermöglicht, daß am 25. Auguſt, am letzten
Tage der Friſt, über das Geſuch beraten und beſchloſſen
wurde. Das BG. ſagt, der Beſchluß ſei in der Sitzung vom
25. Auguſt gefaßt worden, aber erſt am 26. Auguſt zur
Gerichtsſchreiberei gelangt und noch an demſelben Tage
dem als Armenanwalt beigeordneten Rechtsanwalt P.
zugeſtellt worden. Das Geſuch ſei „alio* vom Gerichte
nicht ordnungswidrig behandelt worden. Für dieſen
letzten Ausſpruch fehlt es an der gehörigen Begrün—
dung. Es wäre darzulegen geweſen, weshalb nicht
— wenn dies nicht überhaupt geſchehen iſt — die Be—
ratung der eiligen Sache an den Anfang der Sitzung
gelegt werden, daß und weshalb nicht nach den ge—
CCC
— 2 — ..... ee
ſchäftlichen und örtlichen Verhältniſſen Ausfertigung
und Zuſtellung des Beſchluſſes und Einreichung der
Berufungsſchrift noch am 25. Auguſt bewerkſtelligt
werden konnten. Der IV. ZS. des RG. hat in IV 3,10
ausgeführt: „Wäre das Armenrechtsgeſuch noch in
dieſer Sitzung vorgetragen worden, fo hätte bei Be
willigung des Armenrechts dafür geſorgt werden
können, daß noch an dieſem Tage Berufung
eingelegt wurde.“ Dies entſpricht auch der eigenen
Handhabung des Reichsgerichts. Standen im gegebenen
Falle einer 5555 Fürſorge nicht beſonders dar⸗
zulegende Verhältniſſe entgegen, ſo war der Umſtand,
daß nicht auch das weiter Erforderliche rechtzeitig ge⸗
ſchah, damit noch an dieſem Tage die Berufungsſchrift
bei Gericht eingehen konnte, nachdem einmal am
25. Auguſt das Armenrecht bewilligt war, ein etwas,
worauf der Kläger keinen Einfluß hatte. Es war für
ihn ein unabwendbarer Zufall, der ihn verhinderte.
die Notfriſt einzuhalten. Ueber das Vorliegen ſolcher
beſonderer Verhältniſſe wird ſich das BG. ſchlüſſig zu
machen und auszuſprechen haben. (Urt. des III. 38.
vom 15. Mai 1914, III 60/14). — a —
3407
B. Straffaden.
Tateinheit oder mehrheit bei gleichzeitigem Ge:
brauchmachen von mehreren gelälichten Urkunden! Liegt
in der betrügeriſchen Bewirkung einer Gutſchrift ſtels
eine VBermögensbeſchädigung i. S. des 8 263 Sts.
Aus den Gründen: Verurteilt iſt der Angeklagte
wegen ſechs Verbrechen der Privaturkundenfälſchung
in rechtlichem Zuſammenhang mit drei Vergehen des
vollendeten und einem Vergehen des verſuchten Not⸗
betrugs. Muß ſchon eine ſolche Annahme auffallen,
ſo ergibt ſich auch, daß der zum Tatbeſtand der Ur⸗
kundenfälſchung erforderliche Begriff des Gebrauch⸗
machens verkannt iſt. Die gleichzeitige Uebergabe
mehrerer gefälſchter Urkunden an die Perſon, die ge⸗
täuſcht werden ſoll, bildet wie die Hingabe einer
derartigen Urkunde an dieſelbe Perſon nur eine
körperliche Handlung und, da das durch die Urkunden⸗
fälſchung verletzte Rechtsgut kein ſolches iſt, bei dem
die Perſönlichkeit des zu Täufchenden in Betracht kommt,
kann die eine körperliche Handlung der Hingabe der
Urkunde ſelbſt dann nicht als 8 ag ſelbſtändige
Handlungen in ſich begreifend angeſehen werden, wenn
der Uebergebende die Täuſchung mehrerer Perſonen
bezweckte, ohne die ſeine ſchließliche Abſicht vielleicht
nicht erreichbar ſchiene, und wenn die verſchiedenen
zuſammen vorgelegten Urkunden anſcheinend von ver⸗
ſchiedenen Ausſtellern herrühren (RG. 15, 290).
Der Angeklagte hat nun von den von ihm fälſchlich
hergeſtellten ſechs Verſicherungsanträgen nicht nach⸗
einander gegenüber dem Generalagenten Gebrauch
gemacht, um ihn und andere mit der Sache befaßte
Beamte der Verſicherungsgeſellſchaft über ihre Echt⸗
heit zu täuſchen, ſondern in drei zeitlich getrennten Hand»
lungen, wobei er das erſte Mal einen, das zweite Mal zwei
und das dritte Mal drei gefälſchte Anträge vorlegte.
In den beiden letzten Fällen übergab er die mehreren
falſchen Urkunden gleichzeitig und zu dem nämlichen
Zweck, die Beamten der Verſicherungsgeſellſchaft in
den irrigen Glauben zu ſetzen, als ſei es ihm gelungen.
die vermeintlichen Ausſteller der Urkunden zur Ein—
gehung von Verſicherungsverträgen zu beſtimmen.
Nach den entwickelten Grundſätzen hätte daher das
LG. wie bei den jeweils in einer Handlung mit der
Urkundenfälſchung begangenen vollendeten und ver:
ſuchten Betrugsvergehen der Beſtrafung des Angeklagten
auch wegen Urkundenfälſchung nur drei Verbrechen zu—
grunde legen dürfen.
Soweit vollendeter Betrug angenommen worden
iſt, erblickt das Gericht die Vermögensbeſchädigung
darin, daß dem Angeklagten in den Büchern die Pro⸗
vifion gutgeſchrieben wurde, die er zu fordern gehabt
hätte, wenn die Verſicherungsanträge wircklich auf
feine Veranlaſſung von den angeblichen Ausſtellern
der Schriftſtücke geſtellt worden wären. Freilich 0
in einem ähnlich gelagerten Falle — RG. in Goltd Arch.
Bd. 54 S. 414 — ausgeſprochen worden, daß durch die
Gutſchrift der Proviſion des Agenten in den Handels⸗
büchern des Auftraggebers eine der Vermögens⸗
beſchädigung gleichzuachtende Vermögensgefährdung
eintreten könne, da der unehrliche Agent dadurch ein
Beweismittel erlangt habe, deſſen er ſich in einem
Rechtsſtreite zum Nachteil des Geſchäftsinhabers be⸗
dienen könne, und da unter den damals feſtgeſtellten
Umſtänden für den Agenten weiter die Möglichkeit
erwachſen war, jederzeit einen ſeinem vermeintlichen
Guthaben entſprechenden Geldbetrag bei dem Auftrag⸗
geber zu erheben. In letzterer Beziehung ſind aber
hier die Verhältniſſe inſofern anders geſtaltet, als ſich
die Geſellſchaft gegen ſolche Uebervorteilungen zum
Voraus ſchon dadurch geſchützt hat, daß ſie dem An⸗
geklagten in a Anftelungsvertrag ee
feines Proviſionsanſpruchs nur nach Maßgabe der
eingegangenen Prämienzahlungen durch die Verſicherten
in Ausſicht ſtellt. Da in den Fällen, in denen der
Angeklagte fälſchlich angefertigte Verſicherungsanträge
vorgelegt hat, eine Praͤmienzahlung der gar nicht vor⸗
handenen Verſicherungsnehmer ausgeſchloſſen war, ſo
konnte die Geſellſchaft jederzeit dem Verlangen des
Angeklagten gegenüber auf Auszahlung der Proviſion
ſich auf den Nichteintritt der Fälligkeit berufen. Die
Gefahr, die ſonſt bei Gutſchrift der Proviſion in den
Büchern des Geſchäftsherrn eintreten kann, beſtand
hier für die Geſellſchaft nicht; eine Vermögensminderung
wäre für ſie nur in Frage gekommen, wenn ſie dem
unwahren Vorbringen des Angeklagten trauend die
Proviſion ihm als Vorſchuß ausbezahlt hätte. Dazu
konnte ſie aber durch den Vertrag nicht gezwungen
werden, wenn ſie es tat, hat ſie auf ihre Vertragsrechte
verzichtet. Für die Verurteilung wegen vollendeten
Betrugs gebricht es ſomit an dem Nachweis einer Ver⸗
. (Urt. des I. StS. vom 26. es
bruar 1914, 1 D 1275/13).
3376 E.
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Beraudiegungen für die Aufſtellung eines Abweſen⸗
heitspflegers. (8 1911 B8GB.). Das Anweſen der Ehe⸗
gatten H. und W. K. in N. iſt zugunſten einer Forderung
des K. L. mit einer Hypothek belaſtet. Die Ehegatten K.,
die verſchuldet ſind, haben N. verlaſſen. Ihr Aufenthalt
iſt nicht bekannt. Um ihr Anweſen kümmern ſie ſich nicht.
Der Hypothekgläubiger L. beantragte die Beſtellung eines
Abweſenheitspflegers für K., weil er die Zwangsvoll⸗
ſtreckung in das Anweſen beabſichtige. Das Amtsgericht
lehnte ab; die Beſchwerde wurde zurückgewieſen. Auch
die weitere Beſchwerde blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen: Die Vermögensangelegen⸗
heiten der Ehegatten K. bedürfen der Fürſorge nicht.
Ein Schutzbedürfnis für einen Abweſenden beſteht nur,
wenn der Abweſende an der Beſorgung feiner Ange⸗
legenheiten verhindert iſt. Ein ſolches Hemmnis liegt
nicht vor. Die Ehegatten K. haben von allem Kenntnis,
was ihre Fürſorge erheiſcht, und können entweder ſelbſt
Anordnungen treffen oder einen anderen damit betrauen.
§ 1911 88. bezweckt die Förderung der Intereſſen des
Abweſenden. Wenn der Abweſende aber unter dem Drucke
ſeiner Schulden ſein Vermögen im Stiche gelaſſen und
nichts zu deſſen Schutze gegen die vorausſehbaren Ges
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
305
fahren vorgekehrt hat, fo aa er damit zu erkennen ges
geben, daß ihm an der Regelung ſeiner Vermögens⸗
angelegenheiten nichts liegt. Es beſteht kein Grund, ihm
eine Fürſorge aufzudrängen, die er ſelbſt für unnötig
hält. Daß der Abweſende ſich um ſeine Angelegenheiten
nicht kümmern will, rechtfertigt die Anordnung einer
Abweſenheitspflegſchaft nicht; dieſe iſt nur zuläſſig, wenn
er fi) um fie nicht kümmern kann. (Beſchl. des I. ZS.
vom 19. Juni 1914, Reg. III Nr. 55/1914). M.
3413
II
ur Auslegung des 5 40 G80. Beim Ableben der
Fr. U. ging deren Grundbeſitz auf ihre 4 Kinder H.,
Fr., H. U. und L. Fr. zu gleichen Anteilen über. Der
Beſitzübergang wurde 1888 im Hypothekenbuch einge⸗
ſchrieben; die Größe der Anteile wurde nicht angegeben.
Der Anteil der L. Fr. ging ſpäter durch Kauf und
jener des Fr. U. durch Schenkung auf H. U. über; bei
der Umſchreibung auf H. U. wurde gleichfalls das An⸗
teilsverhältnis nicht bezeichnet. Am 6. Mai 1914 erließ
das LG. Tr. auf Antrag des H. U. eine einſtweilige
Verfügung, durch die zur Sicherung des dem Antrag⸗
ſteller gegen H. U. zuſtehenden Anſpruchs auf Ein⸗
räumung einer Hypothek ohne Brief zu 6300 M an
dem ¼ Anteil der H. U. die Eintragung einer Vor⸗
merkung angeordnet wurde. Das GBA. trug die Vor⸗
merkung ein und vermerkte in der 3. Abteilung des
Grundbuchblattes, daß die Vormerkung auf dem / An⸗
teile der H. U. eingetragen werde. Die Beſchwerde und
weitere Beſchwerde der H. U. wurden zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Allerdings ſoll nach 8 40
Abſ. 1 EBD. eine Eintragung nur erfolgen, wenn ders
jenige als der Berechtigte eingetragen iſt, deſſen Recht
durch ſie betroffen wird; auch genügt eine unvoll⸗
ſtändige oder nicht zweifelsfreie Eintragung nicht der
Vorſchrift des 8 40 EBD. Allein hier find die Eigen⸗
tumsverhältniſſe im Grundbuch nicht ungenügend be⸗
zeichnet und bedürfen nicht der Berichtigung. Es handelt
ſich hier um Eigentum, das noch unter dem früheren
Recht erworben und eingetragen wurde. Nach dem
Bay. LR. konnte das Eigentum an einer Sache auch
mehreren „pro indiviso“ zuſtehen; wenn über die An⸗
teile im Hypothekenbuch nichts vermerkt war, ſo verſtand
es ſich von ſelbſt, daß jeder Mitbeſitzer zu gleichen An⸗
teilen mitberechtigt ſei (vgl. Hyp®. 8 136 Ziff. 1 und
Inſtruktion dazu § 201 Ziff. 2). Ueberwiegend nahm
man an, daß auch ideelle Teile einer Liegenſchaft Gegen⸗
ſtand einer felbſtändigen Hypothek ſein können und
man erachtete es in dieſem Falle für genügend, wenn
auf dem für die ganze Sache beſtehenden Folium ein
die Anteilsverpfändung anzeigender Beiſatz gemacht
wurde. Ob ein unter der Geltung des früheren Rechts
begründetes Eigentum vorliegt, ergibt ſich aus dem
Datum der Eintragung und dem im Grundbuch gleich⸗
alls angegebenen Erwerbsgrund. Da im Falle des
iteigentums die Größe der einzelnen Anteile bei
Gleichheit im Hypothekenbuch nicht eingetragen wurde,
ſind bei der Anlegung des Grundbuchs dieſe Anteile
zumeiſt auch ohne Bezeichnung nach Bruchteilen in das
Grundbuch übertragen worden. Aber auch ohne dieſe
Bezeichnung kann kein Zweifel beſtehen, daß ſolche
nach dem früheren Rechte erworbene und eingetragene
Miteigentumsrechte Berechtigungen zu gleichen Anteilen
ſind. Es ergibt ſich unmittelbar aus den früheren
Rechtsgrundſätzen, ohne daß auf die Rechtsvermutung
des 8 742 BGB. zurückgegriffen werden müßte. Ins⸗
beſondere kann bei einem nach Bay. LR. auf Grund
Teſtaments erbweiſe erworbenen Miteigentum kein
Zweifel darüber beſtehen, daß alle Erben zu gleichen
Anteilen berechtigt find, wenn nichts Befonderes beſtimmt
iſt (LR. T. III Kap. 3 8 9 Nr. 6).
Auch § 48 GBO. bildet kein Hindernis. Schon
der Wortlaut ergibt, daß hier nur Eintragungen nach
dem Inkrafttreten des Grundbuchrechts in Betracht
306
kommen. Wenn es auch um der Einheitlichkeit und
Ueberſichtlichkeit des Grundbuchs willen wünſchenswert
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
regel nach § 1666 wiederaufzuheben iſt, iſt nur das In⸗
tereſſe des Kindes maßgebend. Daß die Vorausſetzungen
iſt, daß bei Gelegenheit die Form des Eintrags des des 8 1666 in dem Zeitpunkte nicht mehr vorliegen, in
Miteigentums dem 8
doch für die Eintragung einer Belaftung nach Inkraft⸗
treten des Grundbuchrechts nicht unbedingte Voraus⸗
ſetzung; denn daß die Größe des zu belaſtenden An⸗
teils im Grundbuch angegeben ſei, iſt kein ſachliches
Erfordernis, ſondern nur eine Ordnungsvorſchrift für
den Vollzug, die nicht zutrifft, wenn das Miteigentum
ſchon eingetragen wurde, bevor das Grundbuch an⸗
gelegt war. Wollte man im Hinblick auf 88 40, 48 GBO.
gleichwohl fordern, daß auch bei dem unter dem früheren
Recht begründeten und eingetragenen Miteigentum
der Eintragung der Belaftung eine Berichtigung des
Grundbuchs durch Einſchreibung der Größe der Ans
teilsberechtigung vorausgehen müſſe, ſo würde das den
Grundbuchverkehr erheblich und grundlos erſchweren.
Eine Fülle von Berichtigungen wäre notwendig, um die
frühere Art der Eintragungen den neuen Beſtimmungen
anzupaſſen. Die Berichtigung könnte nicht nur auf
Grund des Nachweiſes der Unrichtigkeit des Eintrags
erfolgen, ſondern es müßte die Zuſtimmung des nicht
oder nicht richtig eingetragenen Miteigentümers nach⸗
gewieſen werden, da es ſich um die Eintragung eines
Eigentümers handelt (8 22 Abſ. 2 EBD.) Wenn
mehrere Miteigentümer ohne Angabe des Teilungs⸗
verhältniſſes eingetragen ſind, haben nach dem jetzigen
Orundbuchrechte ſämtliche Miteigentümer in der Form
des 8 29 GBO. ihre Zuſtimmung zur Eintragung des
Teilungsverhältniſſes zu erklären. Sollte einer nicht
a fo wäre erſt Klage nach 8 894 BGB. zu
erheben. Das würde z. B. bei dem grundbuchamtlichen
Vollzug einer einſtweiligen Verfügung den Zweck der
Maßregel geradezu vereiteln, obwohl kein Zweifel dar⸗
über beſtehen kann, in welchem Sinne der beſtehende
Miteigentümereintrag aufzufaſſen iſt. Daher kann an
der Entſcheidung des Fer. ZS. vom 9. Auguſt 1909
(Sammlg. Bd. 10 S. 355) wenigſtens in einem Falle
wie dem gegenwärtigen, nicht feſtgehalten, es muß viel⸗
mehr davon ausgegangen werden, daß keine Berichtigung
des Grundbuchs durch Einſchreibung des Teilungsver⸗
hältniſſes erforderlich iſt, wenn nach dem bisherigen
Recht über die Größe des Anteils kein Zweifel beſteht.
(Beſchl. d. I. ZS. v. 13. Juni 1914, Reg. III Nr. 52/1914).
3411 M.
III.
Wiederanihebung von in nach & 1666 BG.
M. Sch. kam ſchon früh zu ihren Großeltern, da ihre
Mutter bald nach ihrer Geburt ſtarb. 1899 ſtellte ihr
Großvater den Antrag, dem Vater Joh. Sch. die Sorge
für die Perſon und das Vermögen zu entziehen. Joh. Sch.
erklärte ſich einverſtanden, das Vormundſchaftsgericht
ſtellte einen Pfleger für die Perſon und das Vermögen
auf. Der Vater hatte ſich 1907 wieder verheiratet und
ſich um die Tochter nie gekümmert; fie war ausſchließ⸗
lich von ihren Großeltern unterhalten worden. Da ihr
Unterhalt der Großmutter nach dem Ableben ihres
Mannes ſchwer fiel, erhob der Pfleger gegen den Vater
Klage auf Unterhalt. Nun beantragte Joh. Sch. beim
Vormundſchaftsgericht den Beſchluß wieder aufzuheben,
durch den ihm die Sorge für die Perſon und das Ver—
mögen entzogen worden war. Das AG. wies den An—
trag zurück, auf Beſchwerde hob das LG. den Beſchluß
des AG. auf und verwies die Sache zurück. Die weitere
Beſchwerde des Pflegers wurde verworfen.
Aus den Gründen: Das L. ſtellt dahin, ob
Tatſachen nachgewieſen ſind, die die Entziehung des Für—
ſorgerechts nach S 1666 BGB. rechtfertigen. Dabei übers
ſieht es, daß dem Joh. Sch. das Recht der Sorge für
die Perſon und das Vermögen entzogen, daß alſo feſt—
zuſtellen iſt, ob die Wiederaufhebung dieſer Maßregel
nach $ 1671 BGB. gerechtfertigt iſt. Dieſer Unterſchied
iſt nicht nur formal. Denn ſür die Frage, ob eine Maß—
48 angepaßt werde, ſo iſt dies dem über die Aufhebung zu entſcheiden iſt, reicht nicht
aus. Wenn die Vorausſetzungen des $ 1666 ſpäter weg⸗
fallen, wird freilich in der Regel ohne weiteres ange⸗
nommen werden dürfen, daß auch der Wegfall der Maß⸗
regel nach 8 1666 im Intereſſe des Kindes liegt. Immer
trifft das aber nicht zu. Im Ergebnis iſt jedoch dem
LG. beizuſtimmen.
Der Vater hat vorgebracht, daß gegen ſeinen Lebens⸗
wandel nichts einzuwenden ſei; er könne zwar nicht für
feine Tochter Unterhaltsbeiträge zahlen, wohl aber fie
in ſeiner Familie verpflegen und erziehen; mit ſeinem
verſtorbenen Schwieger vater ſei er einig geweſen; dieſer
habe ſeine Tochter freiwillig zu ſich genommen und nie
eine Bezahlung verlangt; von einer Vernachläſſigung
könne alſo keine Rede ſein; er habe auch mit ſeiner
Tochter im beſten Einvernehmen gelebt und zu einem
regeren perſönlichen Verkehr ſei es nur deshalb nicht
gekommen, weil er viel im Ausland gelebt habe. Dieſe
Tatſachen können von Einfluß ſein für die Frage, ob
die Maßregel aufgehoben werden kann. Denn wenn
die Behauptungen richtig ſind, könnte u. U. die aller⸗
dings wegen der langen Vernachläſſigung feiner Tochter
gegen den Antragſteller ſprechende Vermutung entkräftet
werden. Das AG. mußte alfo die maßgebenden Tat⸗
ſachen, insbeſondere die gegenwärtigen perſönlichen und
Vermögensverhältniſſe des Antragſtellers und der Groß⸗
mutter nach 8 12 FGG. von Amts wegen erheben, und
zwar um ſo mehr, als dem Vater die Sorge für die
Perſon im Jahre 1899 anſcheinend ohne Prüfung der
Vorausſetzungen des § 1666 entzogen worden iſt. Der
Vermögensverfall des Vaters in Verbindung mit der
Unmöglichkeit, dem Kinde Unterhalt zu geben, genügte
wohl damals dem Vormundſchaftsgerichte, dem Vater
nach § 1666 Abſ. 2 die geſamte Sorge zu entziehen,
zumal er ſein Einverſtändnis erklärt hatte. Es darf
ihm geglaubt werden, daß er ſich der Tragweite ſeiner
damaligen Erklärung nicht ganz bewußt war. (Beſchl.
des I. 3S. vom 22. Mai 1914, Reg. III Nr. 471914).
3101 M.
IV.
ge Auslegung der 33 57 Nr. 6, 59 F86., 51837
BGB. Der wegen Geiſtesſchwäche entmündigte J. St.
ſtellte an das Vormundſchaftsgericht den Antrag, ſeinen
Vormund anzuweiſen, nach §679 ZPO. Klage zu ſtellen
oder den Vormund zu entlaſſen. Zur Begründung
brachte er vor, der Vormund ſei ihm feindlich gefinnt
uſw. Das Vormundſchaftsgericht wies den Antrag ab;
das Landgericht verwarf die Beſchwerde. Auf die
weitere Beſchwerde wurde der Beſchluß des LE. auf⸗
gehoben und die Sache zurückverwieſen.
Aus den Gründen: Nach 8 20 Abſ. II FG. ſteht
die Beſchwerde nur dem Antragſteller zu, ſoweit eine
Verfügung nur auf Antrag erlaſſen werden kann und
der Antrag zurückgewieſen worden iſt. Dieſe Bes
ſtimmung ſetzt voraus, daß der Antrag von einem
Antragsberechtigten geſtellt worden iſt. Das LG. nimmt
auf Grund des § 57 Nr. 6 JGG. an, die Entlaſſung
eines Vormunds könne nur auf Antrag verfügt werden.
Das iſt irrig. 857 Nr. 6 beſtimmt nur, daß dem Ans
tragſteller das Beſchwerderecht zuſteht, wenn der Gegen⸗
vormund oder Beiſtand einen der dort aufgeführten
Anträge, insbeſondere den auf Entlaſſung des Vor⸗
munds, geſtellt hat und der Antrag zurückgewieſen
worden iſt. Dieſe Beſtimmung war notwendig, weil
dem Gegenvormund und dem Beiſtand in den in 8 57
Nr. 6 aufgeführten Fällen, da ſie — abgeſehen von dem
nach $ 1693 BGB. beſtellten Beiſtande — nicht zur
Vertretung des Mündels berechtigt find, nach der all»
gemeinen Beſtimmung des § 20 Abſ. J ein Beſchwerde⸗
recht überhaupt nicht und nach $ 57 Nr. 9 daſelbſt ein
ſolches jedenfalls nicht gegen Verfügungen zuſtehen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
307
würde, die die Sorge für das Vermögen des Mündels
betreffen. Daß aber die in S 57 JG. aufgeführten
Verfügungen nur auf Antrag oder gar nur auf Antrag
des Gegenvormundes oder des Beiſtandes erlaſſen
werden können, iſt nirgends beſtimmt. Daß insbeſon⸗
dere die Entlaſſung eines Vormunds nicht von einem
Antrag abhängig ſein kann, ergibt ſich unzweideutig
aus 8 1886 BGB., wonach das Vormundſchaftsgericht
den Bormund zu entlaſſen hat, wenn die Voraus⸗
ſetzungen gegeben find. Hier hat alſo das Vormund⸗
ſchaftsgericht von Amts wegen gegen einen ungeeigneten
Vormund vorzugehen, ſein Einſchreiten kann nicht von
einem Antrag, insbeſondere nicht von dem Antrag des
Gegenvormundes abhängig fein, den das Vormund⸗
ſchaftsgericht in den meiſten Fällen erſt aufſtellen müßte.
Die Tätigkeit des Vormundſchaftsgerichts kann ſelbſt⸗
verſtändlich auch durch einen Antrag oder eine An⸗
regung des Mündels in die Wege geleitet werden und
wenn einer ſolchen Anregung keine Folge gegeben
wird, ſteht dem nicht geſchäftsunfähigen über 14 Jahre
alten Mündel nach 88 20 und 59 JGG. das felbftändige
Beſchwerderecht zu, ſoferne es ſich um eine ſeine Perſon
betreffende Angelegenheit handelt. Hier handelt es
ſich um eine Angelegenheit dieſer Art. Der Mündel
beſchwert ſich zwar auch über die Vermögensverwal⸗
tung, hauptſächlich erachtet er ſich aber dadurch be⸗
ſchwert, daß der Vormund mit ihm verfeindet ſei und
ſich infolgedeſſen weigere, die Wiederaufhebung der
Entmündigung zu betreiben. Ware das richtig, ſo
müßte durch das Verhalten des Vormunds auch die
Sorge für die Perſon des Mündels beeinflußt werden
und es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß
die Vorausſetzung des § 59 Abſ. 1 JG. gegeben iſt.
Dem Mündel kann daher, da er nach SS 104 ff. BG.
nicht geſchäftsunfähig iſt, das Recht der Beſchwerde
und folglich auch das der weiteren Beſchwerde nicht
abgeſprochen werden (8 63 J.). Das gleiche gilt
von dem weiteren Antrag, den Vormund, ſofern er
nicht entlaſſen werden ſollte, e die Wieder⸗
aufhebung der Entmündigung zu betreiben. Hier ſteht
das LG. auf dem Standpunkt, daß das Vormundſchafts⸗
gericht dem Vormund, der die Vormundſchaft ſelbſtändig
zu führen habe, keine ſolche Anweiſung geben könne.
Dieſe Anſchauung iſt irrig. Wären tatſächlich die
Borausfegungen der Entmündigung weggefallen, fo
würde der Vormund pflichtwidrig handeln, wenn er
ſich weigern würde, ihre Wiederaufhebung zu betreiben.
Gegen Pflichtwidrigkeiten des Vormunds hat aber das
Vormundſchaftsgericht nach 8 1837 BGB. durch Gebote
und Verbote einzuſchreiten und es kann den Vormund
zur Befolgung ſeiner Anordnungen durch Ordnungs⸗
ſtrafen anhalten, vor allem aber hat es das Recht
und die Pflicht, nach 8 1886 BGB. u. U. den Vormund
zu entlaſſen. Es iſt alſo nicht richtig, daß das Vor⸗
mundſchaftsgericht den Vormund nicht zur Klageſtellung
nach 8 679 ZPO. veranlaſſen könne. Alle dieſe Maß⸗
regeln kann auch der Mündel anregen und wenn einer
ſolchen Anwendung keine Folge gegeben wird, ſo ſteht
dem Mündel das Recht der Beſchwerde unter den gleichen
Vorausſetzungen zu, wie fie oben erörtert find. (Beſchl.
des I. 35. vom 15. Mai 1914, Reg. III Nr. 45/1914).
3383 M.
V
Inwieweit hat der Negifterrichter das ordunngs⸗
aufe Zuſtandekommen des Generalverſammlungsbe⸗
chluſſes einer Genoſſenſchaft zu prüfen? Darf er einen
atzungswidrig zuſtande gekommenen Beſchluß eintragen?
(88 16, 51 Gen.). Aus den Gründen: Es kann
dahingeſtellt bleiben, ob das Regiſtergericht grund—
ſätzlich das ordnungsgemäße Zuſtandekommen des Be:
ſchluſſes zu prüfen hat. Jedenfalls iſt daran feſtzu—
halten, daß der Beſchluß beanſtandet werden muß,
wenn ſich aus der Anmeldung ergibt, daß bei der Be-
ſchlußfaſſung gegen Geſetz oder Satzung verſtoßen worden
iſt. (Bgl. Pariſius⸗Crüger, 3. Aufl. Anm. 6 Abſ. 2 zu
§ 16). Unrichtig iſt die Meinung, daß das vom Vor⸗
ſtand eingereichte Protokoll nicht berückſichtigt werden
dürfe, weil der Vorſtand zur Vorlegung nicht ver⸗
pflichtet ſei, der Regiſterrichter alſo nur zufällig und
persönlich, aber nicht amtlich Kenntnis davon bekommen
habe. Der Richter wird mit allem amtlich befaßt,
was ihm vorgetragen wird, er darf und muß ſich
daran halten, auch wenn es zum Nachteile des Geſuch⸗
ſtellers iſt. Der Vorſtand hat durch die Einreichung
des Protokolls eingeräumt, daß bei der Beſchlußfaſſung
die Satzungen nicht beobachtet worden ſind.
Die Eintragung des Beſchluſſes iſt auch mit Recht
abgelehnt worden. Es braucht nicht unterſucht zu
werden, ob ein nicht mit der erforderlichen Mehrheit
gefaßter Beſchluß der Generalverſammlung ohne wei⸗
teres eingetragen werden muß, wenn nach der Satzung
deren Aenderung durch Mehrheitsbeſchluß zuläſſig iſt,
oder ob er überhaupt nicht oder erſt dann eingetragen
werden darf, wenn feſtſteht, daß innerhalb der im
851 Genc. beſtimmten Anfechtungsfriſt keine Anfechtung
erfolgt iſt. Denn hier iſt nach der Satzung zu der
Aenderung ein einſtimmiger Beſchluß notwendig. Daß
eine ſolche Feſtſetzung zuläſſig iſt, iſt in dem Beſchluſſe
des RG. vom 22. April 1911 (RG. 76, 171) dargelegt.
Iſt aber die Beſtimmung der Satzung zuläſſig, daß
eine Vorſchrift nur mit Zuſtimmung aller Genoſſen
geändert werden kann, ſo erlangt dadurch der einzelne
Genoſſe ein unentziehbares Recht darauf, daß die General⸗
verſammlung nicht gegen ſeinen Willen die Aenderung
beſchließt. Kann die Satzung durch einen Mehrheits⸗
beſchluß geändert werden, ſo muß jeder Genoſſe damit
rechnen, daß die Mehrheit zuſtande kommt; er muß alſo
die Generalverſammlung beſuchen, wenn er ſich nicht
im vornherein unterwerfen will. Kann aber die
Satzung nur geändert werden, wenn alle Genoſſen an⸗
weſend ſind und einhellig zuſtimmen, ſo darf jeder
damit rechnen, daß er ſchon durch Nichterſcheinen einen
ihm nicht genehmen Beſchluß vereitelt. In dieſem
Fall iſt eine Generalverſammlung gar nicht zuſtändig,
in der nicht alle Genoſſen anweſend ſind, und ein ohne
die Zuſtimmung aller Genoſſen gefaßter Beſchluß iſt
nichtig. Das Regiſtergericht darf ihm nicht durch Ein⸗
tragung nach 8 16 Abſ. 4 Gen. rechtliche Wirkung
verleihen. Gleichgültig iſt, ob der nicht erſchienene
Genoſſe, der bei ordnungsgemäßer Berufung der Vers
ſammlung und gehöriger Ankündigung des Gegenſtands
kein Recht zur Anfechtung des ſatzungswidrigen Be⸗
ſchluſſes nach $ 51 Gen. hat, durch eine Feſtſtellungs⸗
klage gegen die Genoſſenſchaft einen Ausſpruch über die
Nichtigkeit des Beſchluſſes herbeiführen kann.
Wertlos iſt auch der Einwand, daß nach dem 8 16
mit 8 11 Genc. bei der Anmeldung des Beſchluſſes
über Aenderung der Satzung nur zwei Abſchriften vor⸗
gelegt werden müſſen; das Gen. ſchreibe nicht vor,
daß das Protokoll vorzulegen ſei; hieraus folge, daß
es für das Regiſtergericht nicht darauf ankomme, ob ein
Beſchluß mit der erforderlichen Stimmenzahl gefaßt
worden ſei. Allein daraus, daß das Gen. nur ver⸗
langt, daß zwei Abſchriften des Beſchluſſes vorzulegen
ſind, darf nicht geſchloſſen werden, das Gericht könne
nicht das Protokoll ſelbſt verlangen. Wenn die Satzung
Stimmeneinhelligkeit verlangt, hat der Richter zu
prüfen, ob der Beſchluß von allen Genoſſen gefaßt
worden ift, er muß nach § 12 FGG. Ermittelungen
über das Zuſtandekommen des Beſchluſſes anſtellen und
eine zuläſſige Art der Ermittelung iſt das Verlangen
nach Vorlegung des Protokolls (vgl. OL GRſpr. 28, 354).
(Beſchl. des I. 35. vom 22. Mai 1914, Reg. III
Nr. 38/1914). M.
3400
B. Straffaden.
I.
Verhältnis des 5 153 GewO. (Streilparagraph) zu
dem eine härtere Straſe andrshenden allgemeinen Straf:
geſetze.) Aus den Gründen: Eine wiederholte
Prüfung der Frage, welcher Einfluß der Strafvorſchrift
des § 153 GewO. in bezug auf die allgemeinen Sirafs
geſetze, insbeſondere die SS 185, 223, 240, 241 StGB.
zukommt, hat den Senat dazu geführt, teilweiſe von
der in ſeinem Urteil vom 21. Januar 1911 (ſ. dieſe Zeit⸗
ſchrift 1911 S. 246) ausgeſprochenen Anſicht abzugehen
und fi enger an die Rechtſprechung des RG. (f. insbeſ.
RGSt. 38, 383; 44, 1 ff., 46, 214 ff.) und des Kammer⸗
erichts (Goltd Arch. 59 S. 167) anzuſchließen. Die jetzt
Rerrſchende Lehre, daß $ 153 GewO. vermöge feines
Schlußſatzes zu dieſen Strafnormen im Verhältnis der
„Subſidiarität“ ſteht, war in der bayeriſchen Recht⸗
ſprechung ſchon früher anerkannt (Samml. Bd. 7 S. 294);
die Folgerung aber, daß das nur „ſubſidiäre“ Geltung
beanſpruchende Geſetz bei der Anwendung des „primären“
Geſetzes ganz ausſcheidet, hatte jene Rechtſprechung bisher
nicht gezogen. Die Schlußworte des § 153 GewO. er⸗
geben nun zwar, daß gegenüber dieſer Strafnorm als
ausſchließendes Geſetz nie ein ſolches in Frage kommen
kann, das nur Geldſtrafe androht (ſo auch v. Land⸗
mann, 6. Aufl., Schluß der Anm. 4 zu $ 153); nicht
dasſelbe gilt aber von einem Strafgeſetze, das neben
Geldſtrafe und Haft auch Gefängnisſtrafe, und zwar
von längerer Dauer als drei Monaten androht; und
dies iſt bei dem § 185 und, von der Haft abgefehen,
auch bei den SS 240, 241, 223 SIEB. der Fall. Aus
§ 153 GewO. iſt keine Einengung des Strafrahmens
dieſer allgemeinen Geſetze, insbeſondere nicht in dem
Sinne zu entnehmen, daß wegen des beſondern, in
$ 153 genannten Beweggrundes und der beſondern
Abſicht des Täters bei dem ſog. Streikvergehen auch
auf Grund der angeführten Beſtimmungen des StGB.
nur auf Gefängnis erkannt werden dürfte. Die hier
früher geltend gemachte Wechſelbeziehung kann bei dem
Verhältnis eines bloß ſubſidiären Geſetzes zum primären
nicht aufrecht erhalten werden. Aus der Entſtehungs—
geſchichte des § 153 iſt ebenfalls kein unbedingt ſchlüſſiger
Behelf für die; Zuläſſigkeit jener Einengung zu entnehmen.
(Wird ausgeführt). Die Urheber und Berater des
Entwurfes zur Gewd. haben von dem jetzigen 8 153
nur eine Ergänzung, nicht eine Verſchärfung der all»
gemeinen Strafgeſetze ihrer Zeit erwartet. Die ſpäteren
Verſuche einer Verſchärfung des $ 153 find mißlungen.
Die Faſſung des Vorbehalts in den Schlußworten „ſo—
fern nach dem allgemeinen Strafgeſetze nicht eine härtere
Strafe eintritt“ beweiſt für die ſtrengere Anſicht zu
wenig. Sie ſagt dasſelbe, wie die anderwärts die
Aushilfsnormen kennzeichnenden Wendungen „ſofern
nicht . . . eine höhere, — eine ſchwerere Strafe verwirkt
iſt, feſtgeſetzt, angedroht iſt“. Ueberall handelt es ſich
hier um die ſogenannte Strafdrohung in thesi, nicht
um den Eintritt einer höhern Strafe im Einzelfalle.
Wie bedenklich das Abſtellen auf den Einzelfall, die
Strafbemeſſung „nach Lage der Sache auf Grund eines
fubſidiären Geſetzes werden kann, ergibt eine Nach—
prüfung der älteren Entſcheidungen des ChYG. vom
13. April 1907 (Samml. Bd. 7 S. 296 oben), der auch
die Entſcheidung vom 21. Januar 1911 inſoweit feines:
wegs gefolgt iſt.
Die Unſtimmigkeit, daß bei dem gleichen Tatbeſtand
einer Beleidigung, wenn Strafantrag geſtellt iſt, eine
Geldſtrafe, im gegenteiligen Falle nur eine Gefängnis—
ſtrafe ausgeſprochen werden kann, iſt in der Mehrzahl
Zeetſchrift für für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
der Fälle vom Tatrichter durch eine allſeitige Würdigung
der Straſzumeſſungsgründe zu vermeiden; denn der
Umſtand, daß eine Nötigung, eine Drohung, eine Bes
leidigung oder Körperverletzung im Lohnkampfe und
246.
1) Siede dieſe Zeitſchrift 1911 S.
unter Mißbrauch der für dieſen in § 152 GewO. ge⸗
währten Freiheit begangen wurde, muß regelmäßig
im Rahmen der für jene Vergehen angedrohten Strafen
erhöhend wirken und wird den Richter häufig zur Wahl
einer Freiheitsſtrafe beſtimmen. Iſt andererſeits die Ver⸗
fehlung gegen die Willensfreiheit oder gegen die Ehre
eines Arbeitswilligen u. dgl. ſo gering, daß dem Tat⸗
richter eine Gefängnisſtrafe als zu ſtreng erſcheint, ſo
iſt die Freiheit des Strafausmaßes im Rahmen des
allgemeinen Strafgeſetzes zu billigen. Daß die Aus⸗
hilfsſtrafe des §S 153 GewO. anwendbar bleibt, wenn
ein an ſich im StB. ſchärfer bedrohtes Antragsver⸗
gehen wegen des im le mangelnden oder uns
wirkſamen Strafantrages nicht verfolgt werden kann,
iſt eine aus dem Weſen der Antragsdelikte folgende
Begrenzung der hier erörterten Subſidiarität. Die von
dem ObèG. bisher vertretene ſtrengere Anſicht, die
bereits einem Urteil des OLG. Jena (GewArch. Bd. 8
S. 674) zugrunde lag, iſt ſeither nur von v. Rohr⸗
1 (GewO. 2. Aufl. Bd. II S. 499 Anm. 10 a. C.)
urch Wiedergabe der wichtigeren Entſcheidungsgründe
des Urteils vom 21. Januar 1911 gebilligt worden;
von anderen Bearbeitern der GewO., insbeſondere von
v. Landmann (6. Aufl., Bd. II S. 840) und von Linden⸗
berg (Anm. 1 zu $ 153), wird zum mindeſten die hier
erörterte Folgerung nicht gezogen. Sie kann nicht
mehr aufrecht erhalten werden. (Urt. v. 28. März 1914,
Rev.⸗Reg. 144/44). Ed.
3385
II.
Hängt die Anwendung des 5 208 StPO. von der
Erhebung der öffentlichen Klage ab? Der StA. legte
der Strafkammer eine Gendarmerieanzeige vor „mit
dem Antrage auf Einſtellung des Verfahrens nach 8 PT:
StPO. unter Verbindung dieſer Sache mit den ſchon
angeklagten Sachen, wegen deren Hauptverhandlungs⸗
termin anſteht“. Die StͤK. machte die Verbeſcheidung
des Antrags von der Einreichung einer Anklageſchrift
abhängig. Die Beſchwerde des StA. wurde verworfen.
Aus den Gründen: Die Stͤ. wird durch Ein⸗
reichung der Anklageſchrift mit der Strafſache befaßt;
es kann daher eine Strafſache, hinſichtlich deren nur
eine Anzeige vorliegt, nicht mit Strafſachen verbunden
werden, bezüglich deren das Hauptverfahren eröffnet iſt.
Nach ss 152, 153, 177, 196 mit 198 StPO. bildet der
Antrag oder die Anklageſchrift die Grundlage der Unter:
ſuchung und der Entſcheidung; von dieſer Verpflichtung
wird der StA. durch $ 208 StPO. nicht entbunden, weil
nur „aus Nützlichkeitsrückſichten das erkennende Gericht
nicht neben der Hauptſache mit anderen Strafſachen be»
faßt werden ſoll, welche für das Strafmaß unweſentlich
find“ (Hahn, Mat. zur StPO. Bd. 1 S. 172 und 817 818).
8 208 StPO. iſt für das Gericht nicht zwingend; es hat
aa Grund der Anklage und der Akten zu prüfen und
zu entſcheiden, es kann den Antrag ablehnen, insbeſon⸗
dere auch einen ſtrafbaren Tatbeſtand verneinen; daraus
allein ergibt ſich ſchon, daß eine Anklageſchrift einge:
reicht werden muß. In dem Entwurfe des $ 172 (nun
5208 StPO.) war nur von Vorunterſuchung' die Rede;
erſt in der Kommiſſion wurde an Stelle „Vorunter⸗
ſuchung! die Bezeichnung „Vorverfahren“ geſetzt, um
dem S 208 auch die Fälle zugänglich zu machen, in denen
keine Vorunterſuchung ſtattgefunden hatte. Erfordert
die Einleitung einer Vorunterſuchung die Erhebung der
Klage, ſo iſt nicht einzuſehen, warum nicht auch in den
übrigen Fällen zur Anwendung des S 208 die öffentliche
Klage die Vorausſetzung ſein ſoll. Die entgegenſtehende
Entſcheidung des OLG. München (deſſen Slg. in Sts.
Bd. 8 S. 466) geht von der irrigen Anſchauung aus, daß
ſchon beim Vorhandenſein des im 2. Abſchn. des 2. Buches
der StPO. behandelten vorbereitenden Verfahrens die
Anwendung des S 208 gegeben ſei; es wurde dabei nam»
lich überſehen, daß der § 208 mit den Worten beginnt:
„betraf das Vorverfahren mehrere derſelben Perſon zur
Laſt gelegte ftrafbare Handlungen“. Hiernach muß ein
abgeſchloſſenes Vorverfahren vorhanden ſein, das Vor⸗
verfahren wird aber nur durch die öffentliche Klage
abgeſchloſſen, falls eine ſtrafbare Handlung vorliegt.
(Beſchl. vom 5. Mai 1914, Beſchw.⸗Reg. Nr. 374 / Aral
3109
III.
Der e darf auf die i
von Schweinen für den eigenen Hausbedarf ausgedehn
werden. Der Stadtmagiſtrat L. hat a Grund des
§ 23 Abſ. 2 Gewd., der Art. 3, 74 Abſ. 1, Art. 75
Abſ. 1 und Art. 145 Ziff. 2 PSt®. des 8 20 Abſ. 1
und 2 und 8 24 Fleiſch8 G., ſowie der Art. 40 und 41
Gem. ortsp. Vorſchriften über die Schlachtungen, den
Verkehr mit Fleiſch und die Trichinenſchau erlaſſen,
wornach auch Privatperſonen verpflichtet ſind, die aus⸗
ſchließlich für den eigenen Haushalt berechneten Schlach⸗
tungen von Schweinen nur im ſtädtiſchen Schlachthöfe
vorzunehmen, die Schweine — mit Ausnahme der
Ferkel bis zu 15 Pfund — der Trichinenſchau dort⸗
ſelbſt zu unterziehen. Der Angeklagte . ein
Schwein zu Hauſe; er wurde auf Grund des Art. 74
Ziff. 1 PStGB. beſtraft. Die Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Das Fleiſch . regelt die
Schlachtvieh⸗ und Fleiſchbeſchau nicht erſchöpfend. Es
ſtellt vielmehr nur als Mindeſtmaß die .
auf, die im ganzen Reiche einzuhalten find. § 24 ges
ſtattet den Landesregierungen weitere ſtrengere Vor⸗
ſchriften zu erlaſſen. Nach $ 24 find u. a. landesrecht⸗
liche Vorſchriften über die Trichinenſchau zuläſſig, je⸗
doch darf ihre Anwendbarkeit nicht von der Herkunft
des Schlachtviehs oder des Fleiſches abhängig gemacht
werden. Infolge dieſer Vorſchrift blieben die vor dem
Inkrafttreten des RG. erlaſſenen landesrechtlichen Vor⸗
ſchriften über die Trichinenſchau in Kraft. In Bayern
bildete Art. 74 Abſ. 1 Ziff. 1 PStcg B. die Grundlage für
die Regelung der Trichinenſchau. Die wirkſame Fleiſch⸗
beſchau als eine Maßregel der öffentlichen Geſund⸗
heitspflege wurde für eine der wichtigſten Aufgaben
der Polizeibehörden erachtet. Aus dem Wortlaute, der
Entſtehungsgeſchichte und dem Zwecke des Art. 131
P StGB. v. J. 1861 und des nunmehrigen Art. 74 Abſ.
StB. muß für den in Bayern bis zur Einführung
des FleiſchB G. geltenden Rechtszuſtand gefolgert werden,
daß unter Vorſchriften „über Beſchau“ i. S. des Art. 74
PStcB. nicht nur Beſtimmungen zu verſtehen waren,
die die Verpflichtung ausgeſprochen haben, das zu
ſchlachtende oder geſchlachtete Vieh der Beſchau zu
unterſtellen, ſondern alle Vorſchriften zur Durchführung
der Beſchau und insbeſondere zu ihrer Sicherung.
Nirgends iſt die Abſicht ausgedrückt, die Polizeibehörden
in der Anordnung der Beſchau dergeſtalt zu beſchränken,
daß ſie nur für gewerbliche Schlachtungen eingeführt
werden dürfte. Die Polizeibehörde iſt daher befugt, die
Beſchaupflicht auch auf Vieh auszudehnen, das nur für
den eigenen Haushalt geſchlachtet wird.
Der Umſtand, daß das Fleiſch B. in § 2 Abſ. 1
die ſog. Hausſchlachtungen begünſtigt, hat zu dem Be⸗
denken Anlaß gegeben, ob nicht durch das RG. das
Ermeſſen bei Polizeiverordnungen, durch die die Be⸗
ſchau auf die Hausſchlachtungen ausgedehnt oder ihre
Durchführung geregelt wird, in dem Sinne beſchränkt
wurde, daß die Verordnungen das Maß des Notwen⸗
digen nicht überſchreiten dürfen. Eine durchſchlagende
Bedeutung kann ihnen nicht zuerkannt werden. Nur
Zweckmäßigkeitsgründe führten dazu, die Hausſchlach⸗
tungen innerhalb beſtimmter Grenzen vom Beſchau—
zwang zu befreien und die Regelung der Trichinenſchau
dem Landesrechte zu überlaſſen. Von einer Beſchrän⸗
kung der Landesgeſetze war aber nirgends die Rede,
vielmehr bildete die unangefochtene Grundlage bei den
Beratungen des Reichstags der in der allgemeinen
Degr. des Entw. wie in der Begr. zu § 23 des Entw.
aufgeſtellte Satz, „daß das Geſetz im allgemeinen nur
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
309
die Mindeſtforderungen feſtſetzen ſolle, während den
Regierungen der einzelnen Bundesſtaaten tunlichſt die
Möglichkeit gewahrt bleiben ſollte, ſoweit es nach den
Verhältniſſen des Bundesſtaates oder an einzelnen Orten
angemeſſen und We erſcheint, noch ſtrengere,
erhöhten geſundheitlichen Schutz bietende Vorſchriften
zu erlaſſen“. Bei der Faſſung des § 24 (Entw. 8 23)
wurde beſonders Bedacht darauf genommen, daß die
Regelung der Trichinenſchau auch durch Polizeiver⸗
ordnungen zuläſſig blieb, weil ſonſt die bisher ers
laſſenen Verordnungen hinfällig würden. Die An⸗
ſchauung, daß das Verordnungsrecht der Landesbe⸗
hörden durch das RG. weiter beſchränkt werden ſollte,
als in dem § 24 ausdrücklich ausgeſprochen iſt, iſt
demnach unbegründet. Namentlich fehlt es auch an
jeglicher Unterlage für die Annahme, daß die Landes⸗
geſetzgebung auf notwendige Anordnungen beſchränkt
65 ſoll. Dagegen würde ſchon die Schwierigkeit
prechen, die Grenze zu beſtimmen. Demnach können
in Bayern die Ortspolizeibehörden in Anfehung der
Trichinenſchau den Beſchauzwang nicht bloß auf die
Hausſchlachtungen ausdehnen, ſondern auch Vorſchriften
zur Durchführung und Sicherung der Beſchau erlaſſen,
auch wenn dieſe Vorſchriften das Notwendige über⸗
ſchreiten. Wer ſich durch ſolche Vorſchriften beſchwert
fühlt, kann nur auf dem in Art. 14 PStGB. vorgezeich⸗
neten Wege Abhilfe ſuchen. (Urt. vom 28. April 1914,
Rev.⸗Reg. Nr. 186/1914). Ed.
3410
Oberlandesgericht München.
Beitritt zu einem einſtweilen eingeſtellten Ber-
ſteigerungsverfahren wegen des Zubehörs. Während das
1 über das Vermögen des Brauerei⸗
beſitzers Johann K. noch ſchwebte, wurde deſſen Brauerei⸗
anweſen am 3. Juli 1913 auf Antrag des Fiskus zur
Zwangsverſteigerung beſchlagnahmt. Durch die Be⸗
[Stäfe vom 11. und 16. Sept. 1913 wurde der Beitritt
er B.⸗W.⸗Bank und des Kaufmanns G. zugelaſſen.
Auf Antrag des Privatiers J. ſtellte das Amtsgericht
am 15. Nov. 1913 wegen des auf dem Anweſen be⸗
findlichen Viehes auf Grund Sicherungsübereignung
die Vollſtreckung gegen Sicherheit einſtweilen ein und
ſetzte dem Antragſteller eine Friſt von einem Monat
zur Beibringung der Entſcheidung des Prozeßgerichts.
Die Sicherheit wurde hinterlegt. Schon am 13. Dez.
1913 reichte J. beim LG. T. gegen den Kaufmann G.
eine Widerſpruchsklage mit der Begründung ein, daß
zwar das Hauptzollamt R. und die W.⸗Bank, nicht aber
G. fein Eigentum an dem Vieh anerkannt hätten. Auch
das LG. ſtellte en die Vollſtreckung in das Vieh
einſtweilen ein. Am 20. Nov. 1913 wurde das An⸗
weſen ohne das Vieh dem Brauereibeſitzer K. um
133 000 M zugeſchlagen. Der Zuſchlag iſt rechtskräftig.
Am 20. Dez. 1913 erklärte der Konkursverwalter bei
dem Vollſtreckungsgericht, daß er ſich wegen des noch
nicht verſteigerten Viehes dem Verſteigerungs verfahren
anſchließe und die Rechte des Privatiers J. nicht an⸗
erkenne; er beantragte einen nahen Verſteigerungstermin
anzuberaumen und jedes Viehſtück im Termin einzeln
auszubieten und fügte bei, daß die in dem Beſchluſſe
des Amtsgerichts geſetzte Monatsfriſt abgelaufen ſei,
ohne daß die Widerſpruchsklage eingereicht worden
wäre. Das Amtsgericht wies jedoch dieſen Antrag ab,
indem es auf ſeinen Beſchluß vom 15. Nov. 1913 und
die Hinterlegung der Sicherheit verwies. Hiegegen
erhob der Konkursverwalter ſofortige Beſchwerde und
machte geltend, daß die Einſtellung ihn nicht berühre,
hohe Futterkoſten entſtünden und 34 Stück Pferde und
Großvieh vorhanden ſeien, während J. nach ſeinem
Vertrage nur 32 Stück beanſpruchen könnte, weshalb
er wegen zweier Stücke auch Widerſpruch gegen die
310
Einwendungen J.'s und gegen die Einftellung erhebe.
Das LG. wies die Beſchwerde zurück. Es nahm an,
der Beitritt des Konkursverwalters in der beantragten
Beſchraͤnkung ſei ſchon deshalb ausgeſchloſſen, weil
das Verſteigerungs verfahren ſich wegen der in Mitte
liegenden Einſtellung nicht auf das Vieh erſtrecke; der
Beitritt ſei aber auch verſpätet, weil er nur bis zur
Verkündigung des Zuſchlags zuläſſig geweſen wäre.
Die weitere ſofortige Beſchwerde des Konkursverwalters
wurde für zuläffig und begründet erachtet.
Aus den Gründen: Die Entſcheidung enthält
inſofern einen neuen ſelbſtändigen Beſchwerdegrund,
als das AG. über den Beitritt des Konkursverwalters
überhaupt nicht entſchieden und ſeinen Antrag, einen
Verſteigerungstermin anzuberaumen, nur als zurzeit
unzuläſſig zurückgewieſen hat, das LG. aber ſchon den
Beitritt als unzuläſſig erachtete. Das Rechtsmittel iſt
aber auch begründet. Die N zur Zwangs⸗
verſteigerung umfaßte nach 8 20 Abſ. 2 ZVG. mit
§ 1120 BGB. auch das auf dem Anweſen befindliche
Vieh, da dieſes nach 88 97 und 98 Nr. 2 BGB. Zu⸗
behör der Grundſtücke bildete und in das Eigentum
des Grundſtückseigentümers gelangt war. Grundſätzlich
hatte ſich daher das über die Grundſtücke angeordnete
Verſteigerungs verfahren auch auf das Vieh zu erſtrecken,
ſolange es nicht inſoweit aufgehoben war. Das er»
gibt ſich deutlich aus 88 55, 37 Nr. 5 ZwB SQ. Daß
Zubehörſtücke, wegen deren eine Ein tellung vorliegt,
von der Verſteigerung ausgeſchloſſen bleiben, hat nicht
den Sinn, daß das einmal eröffnete Berfteigerungs-
verfahren für fie nun beendet wäre. Im 8 776
ift dies für die Fälle des 8 775 Nr. 2 ausdrücklich be⸗
ſtimmt. Iſt dann in dem Einſtellungsbeſchluß nicht
zugleich die Aufhebung der bisherigen Vollſtreckungs⸗
maßregel verfügt, ſo ruht nur das Verfahren inſolange,
als die einſtweilige Einſtellung dauert. Hievon weichen
auch die beſonderen Vorſchriften des 33G. nicht
weſentlich ab. Nach 8 31 Abſ. 1 3G. darf zwar im
Falle einer einſtweiligen Einſtellung das Verfahren
nur auf den Antrag eines Gläubigers fortgeſetzt werden;
die Möglichkeit einer Fortſetzung iſt aber gegeben. Nach
§ 31 Abſ. 2 3G. iſt das Verfahren aufzuheben, wenn
ein ſolcher Antrag nicht binnen ſechs Monaten geſtellt
wird; damit iſt klargeſtellt, daß vor Ablauf dieſer Friſt
das Verfahren noch nicht beendet iſt. Durch die Vers
ſteigerung und den Zuſchlag der Grundſtücke allein
wurde an jener Rechtslage nichts geändert. Das Ver—
fahren hinſichtlich des Viehes nimmt, abgetrennt von
dem Verfahren über die Hauptſache, ſelbſtändig ſeinen
Fortgang, ſobald die einſtweilige Einſtellung nicht
mehr wirkt. Es bleibt ſeinem Grunde und ſeinem
Weſen nach ein Grundſtückszwangsverſteigerungsver—
fahren, da es auf einem Beſchlagnahmebeſchluſſe beruht,
der das Vieh in ſeiner Eigenſchaft als Zubehör von
Grundſtücken umfaßte. War hienach das Verſteigerungs—
verfahren über das Vieh zur Zeit des Beitritts des
Konkursverwalters (S8 172, 27 388.5 RG. vom
21. Juni 1902 in JW. 1902 S. 402) auf Grund der
einſtweiligen Einſtellung nur in der Ruhe oder ſchon
wieder im Laufe, weil die Widerſpruchsklage nicht oder
nicht rechtzeitig zugeſtellt wurde, ſo war der Beitritt
des Konkursverwalters zu dem noch nicht beendeten
Verfahren weder unzuläſſig noch verſpätet; erſt mit
der Verſteigerung dieſer Zubehörſtücke oder mit dem
Ablaufe der Friſt des 8 31 3 G., oder mit einer Auf—
e des Verfahrens nach 88 29, 32 3G. oder
§ 776 ZPO. wäre fein Beitritt ausgeſchloſſen geweſen.
Wie der Beitritt eines Gläubigers nur in dem Um—
fange möglich iſt, in welchem das Verfahren angeordnet
wurde (Jäckel-Güthe, 3G. § 27 Abſ. 3), To iſt ſpäter⸗
hin ein Beitritt nur mehr möglich und zuläſſig in dem
Umfang, in welchem das Verfahren noch ſchwebt.
Eine ähnliche Sachlage ergibt ſich, wenn von der Vor—
ſchrift im 865 Zu. Gebrauch gemacht wird. Nun
haben ſich allerdings die beireibenden Gläubiger und
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
|
der Widerſpruchskläger J. mit dem Erſteher dahin
geeinigt, daß dieſer die Rechte des J. an dem Vieh
übernehme und deshalb die Sicherheit an J. heraus⸗
gegeben werden ſolle. Eine ſolche Abmachung bindet
aber den Konkursverwalter nicht, weil er daran nicht
beteiligt iſt. enthält ſie aber zugleich eine Verein⸗
barung, daß von den Gläubigern der Verſteigerungs⸗
antrag zurückgenommen werden ſolle, ſo iſt doch zur⸗
zeit aus den Vollſtreckungsakten nicht erſichtlich, od
der Antrag dementſprechend ſchon wirklich zurück⸗
genommen und das Verfahren gerichtlich aufgehoben
wurde (88 29, 32 38.). Solange aber dies nicht
geſchieht, iſt das Verſteigerungsverfahren trotz des
Abkommens noch nicht beendet und der Beitritt des
Konkursverwalters noch möglich. Das Vollſtreckungs⸗
gericht 2 alfo auf dieſen Beitritt eine Anordnung
188 8 27 Abſ. 1 3G. zu treffen haben (Jäckel⸗Güthe,
3G. 8 27). Eine einſtweilige Einſtellung der Bol:
ſtreckung wirkt grundſätzlich nur zwiſchen den Parteien,
zwiſchen denen ſie erwirkt wurde. Gegen einen bei⸗
tretenden Gläubiger, alſo auch gegen den Konkurs⸗
verwalter muß ſie beſonders erwirkt werden, wenn auch
ihnen gegenüber das Verfahren in Ruhe kommen ſoll
(Jäckel⸗Güthe, ZV. 8 37 Anm. 14 Abſ. 2). Es folgt
dies aus dem Umfange der Rechtskraft, die beiſpiels⸗
weiſe einem Widerſpruchsurteil (8 771 ZPO.) oder
Einwendungsurteil (8 767 ZPO.) in perſönlicher Hin⸗
ſicht zukommt; denn die einſtweilige Regelung kann
den perſönlichen Umfang der ſchließlichen Urteils⸗
1 nicht überſchreiten. Es ergibt ſich dies auch
aus 8 30 3VG., weil nach dem Vertragsgedanken an
die Beriligung der Einſtellung nur der Gläubiger
gebunden fein kann, der fie bewilligt hat. Wenn 8 31
3G. beſtimmt, daß im Falle einer einſtweiligen Ein-
ſtellung das Verfahren ſtets nur auf Antrag eines
Gläubigers fortgeſetzt werden darf, ſoweit ſich nicht
aus dem Geſetz ein anderes ergibt, ſo ſteht dies nicht
entgegen, weil das Verfahren trotz ſeiner Einſtellung
gegen den einen Gläubiger auf Antrag eines anderen
fortgeſetzt werden muß. Da hier das Verfahren nur
gegen den Gläubiger G. einſtweilen eingeſtellt worden
war, muß es, ſobald der Beitritt des Konkursver⸗
walters zugelaſſen iſt, auf deſſen Antrag wegen des
Viehes fortgeſetzt werden. (Beſchl. vom 13. l DIR
Beſchw.⸗Reg. Nr. 59/14).
34⁰2
Vücheranzeigen.
Hein, Dr. Otte, Oberlandesgerichtsrat in Hamm. Hand⸗
buch der Zwangs vollſtreckung. Zweite ver
vollſtändigte Auflage, unter Mitwirkung von 9.
Willers, Gerichtsaſſeſſor in Eſſen, zurzeit im Juſtiz⸗
miniſterium. 698 S. Hannover 1914, Helwingſche
Verlagsbuchhandlung. Preis Mk. 12.—, geb. Mk. 13.20.
Die Fragen aus dem Gebiet der Zwangsvollſtreckung
find oft ſchwierig und lehrreich, fo z. B. gleich die
Entſcheidung Seite 155 f. hier. Die verſchiedenen Zu⸗
ſtändigkeiten und Rechtsverhältniſſe, die Kürze der
Friſten und die beſondere Eile, die fo oft geboten iſt da“
bei allenthalben die eigene Verantwortlichkeit!) ſtellen
hohe Anforderungen an ſchnelle und richtige Ent⸗
ſchließung. Darum find gute Führer auf dieſem ver
worrenen Gebiete geſucht. Zu dieſen erprobten Führern
gehört Hein. Schon die erſte Auflage ſeines Handbuches
durfte ich hier beſtens empfehlen. Der Erfolg hat dem
Recht gegeben. Nach nicht einmal 3 Jahren liegt die
2. Auflage in weſentlich vergrößertem Umfange an
Blattzahl und Druckfläche vor. Aber auch inhaltlich
iſt ſie ſo ſehr bereichert, während die Anlage des Buches
unverändert blieb, daß man ſie jetzt als das Hand⸗
buch der Zwangsvollſtreckung bezeichnen kann. Für
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
die dritte Auflage würde ich ein Geſetzesregiſter, um⸗
faſſendere Berückſichtigung der Literatur und beſſeres
Papier empfehlen.
Jena.
Nechtsquellen des öffentlichen Kinematographenrechts.
Syſtematiſche Zuſammenſtellung der wichtigſten
deutſchen und fremden Geſetze und Geſetzent⸗
würfe, Miniſterialerlaſſe, Polizeiverordnungen. Aus
amtlichem Material geſammelt, mit Einleitung, kurzen
Erläuterungen und einem Sachregiſter verſehen. Von
Dr. Albert Hellwig, Gerichtsaſſeſſor in Berlin⸗Frie⸗
denau, Aſſiſtent an der juriſtiſchen Fakultät der
riedrich⸗Wilhelms⸗Univerſität zu Berlin. (Licht⸗
ühnen⸗ Bibliothek Heft 5.) 8°. (256) M.⸗Gladbach
1913, Volksvereins⸗Verlag G. m. b. H. Geb. M 5.—.
Der Inhalt dieſes Buches iſt aus ſeinem ausführ⸗
lichen Titel erſichtlich. Dazu wäre noch zu bemerken,
daß für Preußen alle weſentlichen Geſetzesſtellen auf⸗
genommen ſind, für Bayern, Sachſen, Württemberg
und Baden wenigſtens die wichtigſten, ferner für dieſe
fünf Staaten ſämtliche einſchläͤgigen dem Berfaffer be⸗
kannten Miniſterial⸗Erlaſſe. Von dem preußiſchen Rechte
find ferner aufgenommen ſämtliche vorbildlichen Ber⸗
liner Polizei⸗Verordnungen ſowie einige typiſche Ober⸗
präſidial⸗ und Regierungspolizeiverordnungen. Im
übrigen hat nur Platz gefunden, was dem Verfaſſer
intereſſant genug ſchien. Bezüglich des bayeriſchen Rechts
(Art. 32 PStGB.) zitiert er feine eigene in dieſen Blät⸗
tern erſchienene Abhandlung, nicht aber meinen da⸗
gegen gerichteten Aufſatz (Jahrg. 1913 Nr. 12). Hell⸗
wig verfolgte bei der Herausgabe ſeiner Zuſammen⸗
ſtellung einen doppelten Zweck, erſtens wollte er den
Polizeibehörden ein bequemes Nachſchlagebüchlein bieten
und andrerſeits für die an der geſetzlichen Regelung der
Kino⸗Frage intereſſierten Perſonenkreiſe, ſowohl für
die Gewerbetreibenden wie für die Beamten, Parla⸗
mentarier und Schriftſteller das wichtigſte Material
zuſammenſtellen. Auch hat der Verfaſſer nicht unter⸗
laſſen, in der Einleitung S. 21—36 un Anſicht über
die hauptſächlichſten für den Geſetzgeber in Frage kom⸗
menden Probleme zu äußern, nämlich Konzeſſionspflicht,
Filmzenſur, Kinderverbot, Plakatzenſur, Sicherheits-
vorſchriften, Verbot des gleichzeitigen Betriebs von
Kino und Schankwirtſchaft, Sonntagsheiligung und
Arbeiterſchutz. Insbeſondere ſpricht ſich Hellwig gegen
die geſetzliche Einführung des Bedürfnisnachweiſes aus,
weil eine ſolche Beſtimmung jetzt zu ſpät käme. Leider
hat ſich der vor kurzem dem Reichstag zugegangene
Geſetz⸗Entwurf Druckſ. Nr. 1431 betr. Abänderung der
§§ 33, 33 a ꝛc. der Gewerbeordnung, der überhaupt von
kleinlichem Polizeigeiſt erfüllt iſt, auf einen anderen
Standpunkt geſtellt, obwohl außer dem von Hellwig in
den Vordergrund gerückten Bedenken noch verſchiedene
andere zu erheben wären, wie die Unmöglichkeit einen
Maßſtab für die Schätzung des Bedürfniſſes zu finden
und die künſtliche Wertſteigerung der beſtehenden Licht⸗
ſpieltheater.
München.
Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Dr. v. Landmann, Staatsminlſter a. D.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Aenderung der Zivilprszeßordnung. Bekanntlich find
im Reichshaushaltsetat die Mittel für Aufwandsentſchä—
digungen bereitgeſtellt, die auf Verlangen an Familien für
die im Reichsheer, in der Marine oder in den Schutz—
truppen eingeſtellten Söhne bewilligt werden, wenn
Söhne aus der Familie durch Ableiſtung ihrer geſetzlichen
3wei= oder dreijährigen Dienſtpflicht als Unteroffiziere
oder Gemeine eine Geſamtdienſtzeit von ſechs Jahren
zurückgelegt haben; die Entſchädigungen werden in der
Höhe von 240M für jedes weitere Dienſtjahr jedes Sohnes
— . ̃ ̃́ — N— ————— . —6õ ſ .'. — . V — — ü- — ä ——'ẽô — — —¼: —ẽ — — —̃ — — ——ę—T
311
bewilligt, der in dieſen Dienſtgraden ſeiner geſetzlichen
zwei⸗ oder dreijährigen Dienſtpflicht genügt. Die näheren
Vorſchriften über die Vorausſetzungen, unter denen die
Aufwandsentſchädigung beanſprucht werden kann, über
die Geltendmachung des Anſpruchs uſw. hat der Bundes⸗
rat am 26. März ds. Js. erlaſſen (RG Bl. S. 57). Findige
Gläubiger haben ſich bald dieſe Neuerung zunutze gemacht
und die Entſchädigungsanſprüche pfänden laſſen. In
manchen Fällen mag die Pfändung nach 8 850 Nr. 3
ZPO. unzuläſſig geweſen fein; allein die hier geforderte
Bedürftigkeit iſt nicht Vorausſetzung des Anſpruchs auf
die Aufwandsentſchädigung, wenigſtens für den Regel⸗
fall der Gewährung an die Eltern (anders bei Geltend⸗
machung des Anſpruchs durch die Großeltern); die an⸗
geführte Vorſchrift der Prozeßordnung bot alſo nur einen
ſehr unvollkommenen Schutz gegen die Pfändung. Die
Aufwandsentſchädigung ſoll, ſo wurde im Reichstag
erklärt, eine Zuwendung höchſt perſönlicher Art zur Ent⸗
ſchädigung der Familien ſein, die — mit militärtaug⸗
lichen Söhnen reicher als andere geſegnet — dem Staate
beſondere Opfer gebracht haben. Mit dieſer Begründung
wurde aus der Mitte des Hauſes der Entwurf eines
Geſetzes betr. Aenderung der ZPO. eingebracht, der in⸗
zwiſchen unter dem 24. Juni ds. Js. Geſetz geworden und
im RGBl. veröffentlicht worden iſt (S. 233): durch eine
dem 8 850 Abſ. 1 ZPO. beigefügte Nr. 9 find die frag⸗
lichen Aufwandsentſchädigungen — genauer geſagt: der
Anſpruch auf dieſe — der Pfändung jetzt entzogen. Das
Gefetz gilt vom 14. Juli an (R Verf. Art. 2 Satz 3). Pfän⸗
dungsbeſchlüſſe, die vor dieſem Tage dem Drittſchuldner
zugeſtellt worden ſind, werden durch das Geſetz in ihrer
Wirkſamkeit nicht berührt; denn das Geſetz legt ſich keine
rückwirkende Kraft bei (anders z. B. 8 5 Abſ. 2 Lohn 8G.)
und die höchſtperſönliche Natur des Entſchädigungs⸗
anſpruchs, mit der man im Reichstage den Geſetzentwurf
begründet hat, iſt doch zu zweifelhaft, als daß man aus
ihr die Unpfändbarkeit folgern könnte. Mit dem Inkraft⸗
treten des Geſetzes iſt die Aufwandsentſchädigung auch
der Uebertragung durch Rechtsgeſchäft, wie der Auf⸗
rechnung und der Verpfändung entzogen (8$ 400, 394,
1274 BGB.).
3416
Das Belek 3. Aenderung der 38 74, 75 und des
76 Abſ. 1 988. und das Geſetz betr. Aenderung der
ebührensrdnung für Zeugen und Sachverſtändige werden
im RG Bl. Nr. 35 S. 209 ff. und S. 214 ff. veröffentlicht.
Die Erörterung dieſer wichtigen Geſetze beanſprucht mehr
Raum, als in dieſer Abteilung zur Verfügung ſteht.
Es iſt deshalb dafür geſorgt, daß die beiden Geſetze
kurz vor oder nach ihrem Inkrafttreten (HGB.: 1. Januar
1915; 3SGebO.: 1. Oktober 1914) in größeren Ab
handlungen beſprochen werden.
3417
Statiſtiſches zu dem Geſetze vom 19. Juni 1912,
betreffend die Aenderung des Strafgeſetzbuchs. Durch
das Geſetz vom 19. Juni 1912 wurden in das StGB.
einige neue Tatbeſtände eingefügt (Körperverletzung
an Wehrloſen, 8 223 a Abſ. 2; Diebſtahl und Unter⸗
ſchlagung aus Not, 8 248 a; Notbetrug, 8 264 a).
In dem 2. Halbjahre 1912 wurden in Bayern auf
Grund des 8 223 a Abſ. 2 8 Verurteilungen aus⸗
geſprochen, wegen Notdiebſtahls 165, wegen Not⸗
unterſchlagung 26, wegen Notbetrugs 211. Die geringe
Zahl der Verurteilungen wegen Körperverletzung an
Wehrloſen läßt erkennen, welchen Wert die phantaſtiſchen
Zahlen der Kindermißhandlungen hatten, die vor einiger
Zeit von der Tagespreſſe angegeben wurden, ohne daß
zu erſehen war, auf welcher ſtatiſtiſchen Grundlage
ſie eigentlich beruhten.
Die Novelle vom 19. Juni 1912 hat bekanntlich
auch den Tatbeſtand des 8 370 Nr. 5 StGB. (Ent⸗
wendung von Nahrungs- und Genußmitteln) auf „andere
312
Gegenſtände des Hausmwirtfhaftliden Verbrauchs“
ausgedehnt und damit den Tatbeſtand des Diebſtahls
eingeſchränkt. Eine Minderung der Verurteilungen
aus § 242 StGB. hat ſich daraus im Jahre 1912 nicht
ergeben, fie find vielmehr von 9862 im Jahre 1911
auf 10546 hinaufgegangen. Dagegen zeigt ſich ein
kleiner Rückgang beim Diebſtahl im Rückfall (2387
Verurteilungen gegen 2621 im Jahre 1911). Die
Verurteilungen wegen ſchweren Diebſtahls und ſchweren
Diebſtahls im Rückfalle ſind nahezu gleichgeblieben
(1403 und 672 gegen 1409 und 671 im Jahre 1911).
Auch die Unterſchlagungen haben nicht ab⸗ ſondern
zugenommen (4054 Verurteilungen gegen 3785 im
Jahre 1911). Beim Betrug iſt gleichfals ein Anwachſen
zu bemerken (von 6679 auf 6757), während die Verur⸗
teilungen wegen Betrugs im Rückfalle von 2816 auf
2285 zurückgegangen ſind.
3408
Herſtellung von Malzwein. Durch Bekanntmachung
vom 21. Mai 1914 (RGBl. S. 127) wird die Bundes⸗
ratsbekanntmachung vom 9. Juli 1909 (RG Bl. S. 549)
dahin ergänzt, daß bei Herſtellung von weinähnlichen
Getränken aus Malzauszügen die Verwendung von Zucker
und Säuren verboten oder eingeſchränkt und der Zuſatz
von Waſſer geregelt wird. Die Vorſchrift verfolgt den
Zweck, den Weinbau vor dem überhandnehmenden Wett⸗
bewerb der Malzweine zu ſchützen. Siehe Jahrg. 1913
S. 329 und 353.
Herſtellung von Fognak. In Abänderung der
Bundesratsbekanntmachung vom 9. Juli 1909 (RGBl.
S. 549), welche zu SS 10, 16 Wein. diejenigen Stoffe
bezeichnet hatte, die bei Herſtellung von Kognak nicht
verwendet werden durften, bringt die Bekanntmachung
„betr. Aenderung der Beſtimmungen zur Ausführung
des Weingeſetzes“ vom 27. Juni 1914 (RGBl. S. 235)
eine Aufzählung derjenigen Stoffe, die bei Herſtellung
von Kognak nunmehr nur noch verwendet werden
dürfen, ſo daß die Verwendung aller nicht angeführten
Stoffe fortab verboten iſt. Für die Uebergangszeit,
d. i. bis zum 1. Juli 1915, wird die Verwendung ge⸗
wiſſer Vorräte ausnahmsweiſe geſtattet.
Sprachecke.
Aus der Nechtsſprache des Reichsgerichts. In den
Gründen eines neuen reichsgerichtlichen Urteils findet ſich
folgendes unerhörte Satzgefüge: „Unbegründet iſt auch
der Vorwurf, daß .. .. Die Reviſion wendet fi hier
gegen die Ausführung der Strafkammer, daß das
Beſtehen ſolcher Gegenforderungen an ſich nicht die
Widerrechtlichkeit der Aneignung der vom Angeklagten
einkaſſierten Beträge beſeitige, weil der Angeklagte
eine Aufrechnung ſeiner Gegenforderung der Firma
gegenüber gegen die aus der Nichtabführung der
eingezogenen Gelder dieſer ihm gegenüber entſtandenen
Forderung nicht erklärt habe und daher anzunehmen
ſei, daß der Angeklagte auch bei der Zueignung der
eingezogenen Gelder eine ſolche Aufrechnung auch nicht
beabſichtigt habe, und weil die bloße Möglichkeit der
Aufrechnung der Annahme rechtswidriger Verfügung
nicht entgegenſiehe, und gegen die Heranziehung der
Entſcheidung des Reichsgerichts Str. Bd. 20 S. 438 zur
Begründung dieſer Ausführung.“ Was dieſes von
Hauptwörtern und Schachtelungen ſtrotzende Satzunge—
tüm ausſpricht, hätte einſach, lebendig und verſtänd—
licher gefaßt werden konnen: dabei hätte auf die un—
gerade Rede gar nicht verzichtet werden müͤſſen: „Un—
begründet iſt auch der Vorwurf, daß . . . . Er bezieht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 14 u. 15.
ſich auf die folgenden Ausführungen der Strafkammer:
Wer ſich Geld aneignet, das er für einen anderen ein⸗
zieht und an dieſen abliefern müßte, könne widerrechtlich
handeln, auch wenn er gegen den anderen ſelbſt For⸗
derungen hat; er müßte denn ſeine eigenen Forderungen
gegen den Anſpruch des anderen aufrechnen, dies auch
erklären oder doch ernſtlich beabſichtigen. Der Ange⸗
klagte behaupte, er habe Gegenforderungen gegen die
Firma gehabt, als er die für ſie eingezogenen Gelder
für ſich verwendete, und er habe aufrechnen wollen.
Allein der Angeklagte habe nicht zu erkennen gegeben,
daß er aufrechne. Es ſei auch nicht anzunehmen, daß er
dies ernſtlich beabſichtigte, als er das Beld der Firma
verbrauchte. Er könne ſich deshalb nicht dahin ver⸗
teidigen, er habe nicht widerrechtlich über das fremde
Geld verfügt. Dieſe Anſchauung entſpreche der Ent⸗
ſcheidung des Reichsgerichts Str. Bd. 20 S. 438. Die
Reviſion bezeichnet dieſe Ausführungen als irrig; die
1 15 der angeführten Entſcheidung träfen hier gar
nicht zu.“
„Fran Erſte Staatsanwalt“, ſo hört und lieſt
mans. Es beſteht bei vielen Unklarheit darüber, in
welcher Form die Titel der Männer auf ihre Frauen
anzuwenden ſeien, Frau Landgerichtspräſidentin oder
Frau Landgerichtspräſident, Frau Generalin oder Frau
General, Frau Kommerzienrätin oder Frau Kommerzien
rat. Die männliche Form wird für unrichtig gehalten,
weil ja die Frau nicht Landgerichtspräſident, General
und Kommerzienrat ſei. Gleichwohl iſt dieſe Form
allein richtig. Denn der Titel: Frau Landgerichts⸗
präſident uſw. iſt elliptiſcher Natur, es iſt die abge⸗
kürzte Redeweiſe für: Frau des Landgerichtspräſidenten
uſw. Die weibliche Form müßte aber einmal dann
angewendet werden, wenn die Gerichte mit Frauen
beſetzt wären, das Heer von Frauen geführt würde, dann
gäbe es Landgerichtspräſidentinnen und Generalinnen.
Seit geraumer Zeit ſpringt die unrichtige Auffaſſung
beſonders bei dem Doktortitel in die Augen. Unſere
Frauen und Fräulein, die ſich dieſen Titel erworben
haben, nennen ſich nur doctor jur., doctor philos.,
doctor med. Mag es von ihnen auch eine gewiſſe Eitel⸗
keit ſein, es in allem, auch im Titel, den Männern gleich
zu tun, ſo wird die Gepflogenheit doch auch mit darauf
zurückzuführen ſein, daß in den Verleihungsurkunden
altem Brauch gemäß die männliche Form des Titels bei⸗
behalten wird, ſtatt daß er doctrix jur., doctrix philos.,
doctrix med. lautet. Es ift zwiſchen der Frau Doktor N.
und der Frau Doktorin N. ein gewaltiger Unterſchied;
die erſte führt den Titel wegen ihres Mannes, die
andere hat ihn auf Grund eigenen Rechts. Wie ver⸗
hält ſich nun zu dieſer Ausführung: „Frau Erſte
Staatsanwalt“? Richtig iſt die männliche Form
Staatsanwalt, falſch die weibliche Form Erſte. Richtig
wäre es alſo zu ſagen: Frau Erſter Staatsanwalt.
Aber da ſteht das weibliche Geſchlecht zu der mann»
lichen Form in einem ſolch auffallenden und ſchroffen
Gegenſatz, daß der Ausdruck vermieden werden muß
Man muß ſich beſcheiden, zu ſagen: Frau Staats»
anwalt, wie das ja auch bei den Frauen der zweiten
und dritten Staatsanwälte geſchieht. Soll gleichwohl
unterſchieden werden, ſo bliebe nichts übrig, als den
Titel Erſter Staatsanwalt abzuſchaffen und dafür etwa
Hauptſtaatsanwalt zu wählen. Oberſtaatsanwalt
wird ſich verbieten, weil ſchon der erſte Beamte der
Staatsanwaltſchaft beim Oberlandesgericht dieſen Tiiel
hat. Dafür könnte übrigens Oberſtſtaatsanwalt ge⸗
ſagt werden. T:
Verantwortl. Herausgeber: Th. von der Pfordten,
Regierungsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
8 —
Ir. 16 n. 17. München, den 1. September 1914. 10. Jahrg.
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Zeilſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von Verlag von
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Th. von der Pfordten m l ern 3. Schweitzer Verlag
Regierungsrat im K. Bayer. (Arthur Seller)
Staats miniſterium der Juſtiz. München, Berlin u. Leipfig.
(Seufferts Blätter für Rechtsau wendung 8d. 79.)
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich
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Unzeigengebübr 30 Pfg. für die halbgeſpaltene Petitzeile
/ oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗
% anzeigen 20 Pfa. Beilagen nach Uebereinkunft.
Nachdruck verboten. 313
; jete legen, die öſterreichiſchen Geſetze ſeien für den öſter⸗
nene, Si a
He verbindlich geweſen, wenn en nicht
. b ahin gegangen ſei, durch den Eheſchließungsakt
SIDE 5 he 5 er auch in Oeſterreich rechtliche Folgen hervorzurufen.
I. Studie.
Das Landgericht hatte angenommen, der Mann habe
In welchem Umfange hat der Dentſche Richter öfter:
dieſe Abſicht gehabt, und hatte deshalb die Ehe
reichiſches Recht anzuwenden, wenn es ſich um die Gültig:
für nichtig erklärt. Das Oberlandesgericht hat
dagegen eine ſolche Abſicht nicht für dargetan er⸗
keit der von einem Oeſterreicher in Dentſchland geſchloſſenen
Che handelt? (Eine Beſprechung des RG. - Urteils
achtet und die Klage abgewieſen
vom 15. Februar 1912, RG. LXXVIII, 234 — 238). Das Reichsgericht iſt zur Nachprüfung befugt,
ſoweit Verletzung der vom deutſchen Geſetzgeber
I. Das zu beſprechende Urteil. erlaſſenen og. internationalen Rechtsnormen gerügt
Der Kläger, ein öſterreichiſcher Staatsange⸗
höriger katholiſchen Bekenntniſſes, beantragte auf
wird. Die Reviſion will in den Vorſchriften des
Einführungsgeſetzes, durch die der deutſche Richter
Grund öſterreichiſchen Rechts, die Ehe für nichtig
zu erklären, die er in Deutſchland am 9. März
ausdrücklich zur Anwendung eines fremden, durch
die Staatsangehörigkeit eines Beteiligten beſtimmten
1908 mit der Beklagten, einer deutſchen Proteſtantin, Rechtes verpflichtet wird, (den jog. vollkommenen
geſchloſſen hatte, deren früherer, von ihr geſchiedener Kolliſionsvorſchriften der Art, 7, 13, 15, 17, 21,
Ehemann noch am Leben war. Das Landgericht
erklärte die Ehe für nichtig, dagegen wies das
25 EG. BGB.) nur eine Verweiſung auf die
materiellrechtlichen, die 5 5 a
Oberlandesgericht die Klage ab. Die Reviſion fremden Rechts erblicken. Nach den Kolliſions⸗
des Klägers wurde zurückgewieſen aus folgenden normen dieſes Rechts habe der deutſche Richter
Gründen: grundſätzlich nicht zu forſchen und deutſches Recht
„Beide Vorderrichter (CG. und OLG. Ham⸗
burg) gehen auf Grund von Art. 13 EG. BGB.
nur dann anzuwenden, wenn das fremde Recht
ausdrücklich auf deutſches Recht zurückverweiſe
mit Recht davon aus, daß die Ehe der Parteien
nur dann gültig iſt, wenn ſie nach dem für einen
(Art. 27).
Dieſe in der Rechtslehre allerdings mehrfach
jeden der Verlobten maßgebenden Rechte einge⸗ i g . N i
gangen werden durfte. Sie iſt mithin nichtig, Das Reichsgericht trägt vielmehr kein Bedenken,
un TEE nn Se ar HE Zu ee TT—nꝛꝛꝛ.ññ ̃ ͤ ͤ ͤmVM w. ̃⅛ ——̃ ̃— ͤ—
— —— =
vertretene Meinung kann nicht gebilligt werden.
wenn fie, nach den Geſetzen des Staates beurteilt, auszuſprechen, daß der deutſche Richter, wenn er
dem der Mann angehörte, d. h. nach öſterreichiſchen überhaupt zur Anwendung des fremden Rechts
Geſetzen, auch nur in Anſehung des Mannes ver⸗ berufen wird, dieſes fremde Recht grundſatzlich
boten war. Ein ſolches Eheverbot iſt nach dem auch in vollem Umfange, mithin nicht bloß ſeine
öſterreichiſchen Hofdekrete vom 17. Juli 1835 an Sachnormen, ſondern auch ſeine Kolliſionsvor⸗
ſich gegeben, weil der erſte geſchiedene Ehemann ſchriften anzuwenden hae
der Frau jetzt noch am Leben iſt. Beide Vorder⸗ Endlich würde der Zweck der Vorſchrift, dem
richter ziehen aber zugleich § 4 des öſterreichiſchen | betreffenden Staatsangehörigen auch in Deutſchland
BGB. heran, den ſie in Uebereinſtimmung mit die Beurteilung des Streitfalls nach ſeinem Per—
dem öſterreichiſchen oberſten Gerichtshoſe dahin aus- ſonalſtatute zu gewährleiſten, geradezu vereitelt,
314
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
wenn hierbei nur mehr oder minder lückenhafte fach 9) vertretenen Auffaſſung aus, daß
Ausſchnitte aus dem maßgebenden fremden Rechte
anzuwenden waͤren. So käme man im Streit⸗
falle zu dem unannehmbaren Ergebniſſe, daß bei
gleichen tatſächlichen Feſtſtellungen der öſterreichiſche
Richter die Nichtigkeitsklage ſeines eigenen Staats⸗
angehörigen abzuweiſen hätte, während der deutſche
Richter auf Grund des erwähnten Hofdekrets gegen
die deutſche Frau auf Nichtigerklärung der Ehe
erkennen müßte.
Der Berufungsrichter hat deshalb Art. 13 Abſ. 1
EG. BGB. nicht verletzt, wenn er ſchon hierin die
ſog. Geſamtverweiſung auf das fremde, im Streit⸗
falle das öſterreichiſche Recht, erblickt und deshalb
auch 8 4 öſterr. BGB. anwendet. Dabei kann
auf ſich beruhen, ob mit dieſer Vorſchrift eine
eigentliche Kolliſionsnorm erteilt werden ſollte.
Jedenfalls iſt durch den angezogenen $ 4 nach der
irreviſiblen Auslegung des Berufungsrichters die
Anwendbarkeit des öſterreichiſchen Rechts auf den
Streitfall verneint und damit der Nichtigkeitsklage
ohne weiteres der Boden entzogen
Hält man hieran feſt, ſo bedarf es nicht erſt der
Heranziehung des Art. 27, um das Berufungsurteil
zu halten . . . . Uebrigens würde die Klageabweiſung
auch durch unmittelbare Anwendung des Art. 27
gerechtfertigt ſein. Zwar enthält § 4 öſterr. BGB.
keine ausdrückliche Vorſchrift darüber, welches Recht
maßgebend ſein ſoll, wenn unter den dort gegebenen
Vorausſetzungen das öſterreichiſche Recht ausſcheidet.
Allein eine ausdrückliche Verweiſung auf ein an⸗
deres Geſetz wird nur in Art. 1 des die Ehe⸗
ſchließung regelnden Haager Abkommens vom
12. Juni 1902 gefordert, und dieſem Abkommen
iſt Oeſterreich-Ungarn nicht beigetreten. Es genügt
— — — ———— — —— —Q—ñä— — —— ee — ——
mithin zur Anwendung von Art. 27, daß 8 4
5 3 9 daB 3 lechner, a. a. O. 65 (Text zu Note 21), 67 (namentlich
öſterr. BGB. ſtillſchweigend auf die deutſchen Geſetze
verweiſt, indem er unverkennbar den Ort der Vor—
nahme des Rechtsgeſchäfts, im Streitfalle alſo
Deutſchland, in deſſen Gebiet die Ehe geſchloſſen
worden iſt, als maßgebend betrachtet.“
II. Beſprechung des Urteils.)
Alle drei Inſtanzen gehen von der in der neueſten
öſterreichiſchen Literatur und Rechtſprechung ) mehr:
1) Vgl. auch die ſehr wertvolle Arbeit Beers, Die
Verweiſung, eine kritiſche Studie zum internationalen
Privatrecht, in der Feſtſchrift für Ernſt Zitelmann, 1913
(namentlich S.20— 22). Beer wählt das unter! wieder:
gegebene RG.-Urteil zum Ausgangspunkte feiner Er—
örterung über das Problem der Verweiſung im inter—
nationalen Privatrecht. Dieſes Problem ſcheidet für die
vorliegende Studie aus. — Siehe auch Endemann,
Matrimonium claudicans, JW. XLIII, 116.
2) Vgl. Krainz-Ehrenzweig , Syſtem des öſter—
reichiſchen allgemeinen Privatrechts, I (1913) S. 80/81
und 88/89); dort genaue Angaben der Literatur und
Rechtſprechung. — Ueber die Entwicklung des Oeſter—
reichiſchen internationalen Privatrechts, beſonders die
verſchiedenen Auslegungen, die die wenigen Kolliſions—
normen des Oeſta BB. erfahren haben, vgl. Krainz⸗
Ehrenzweig , a. a. O. 76/77; ferner Steinlechner in der
„der Oeſterreicher, der im Auslande heiratet,
nach der heutigen Auslegung des 84 ABGB.“
an das öſterreichiſche Ehegejeg nur gebunden
iſt, falls die Ehe nach ſeiner Abſicht zugleich
in Oeſterreich rechtliche Folgen hervor⸗
bringen ſoll“,
m. a. W.: daß §S 4 ABGB. — grundſätzlich —
auf das Recht des Wohnſitzes, in unſerm Falle
alſo auf das deutſche Recht verweiſt.')) Demgemäß
ſei — ſchließt man — jedenfalls nach Art. 27 in
Verbindung mit Art. 131 EG. BGB. deutſches
10 anzuwenden und die Nichtigkeitsklage abzu⸗
weiſen.
M. E. trifft dieſe Entſcheidung nicht zu.
A. EG. BGB. Art. 27 in Verbindung mit
Art. 131 verweiſen auf das öſterreichiſche materielle
Recht und das öſterreichiſche internationale Privat⸗
recht. Nun ſteht feſt, daß nach öſterreichiſchem inter:
nationalen Privatrecht „auch die von Ausländern
im Aus land geſchloſſene Ehe in Oeſterreich un⸗
gültig iſt, falls fie gegen ein abſolut zwingendes
öſterreichiſches Geſetz (z. B. Oeſt ABGB. 88 62
[111], 63, 64) verſtößt“.“) Daraus folgt mit Not:
wendigkeit, daß erſt recht eine von einem Oeſter⸗
reicher im Auslande geſchloſſene Ehe unter den
gleichen Vorausſetzungen “ ungültig iſt.“) Die Rück⸗
verweiſung auf das deutſche Recht in ABGB. 8 4
wird durch die öſterreichiſche Vorbehaltsklauſel aus-
geſchaltet.
Darf der deutſche Richter die Vorbehalt:
„Feſtſchrift zur Jahrhundertfeier des Allgemeinen Bür⸗
gerlichen Geſetzbuchs“ (1911) II, 55 ff., namentlich 60 f.
) Vgl. Krainz⸗Ehrenzweig , a. a. O., namentlich
S. 80/81 (Text zu Note 10 und Note 10), 88; Stein⸗
Text zu Note 27 u. 28); Entſch. des Oeſt OGH. vom
1. Oktober 1912 (OeſtC Bl. XXXII. 229 230) und vom
14. Januar 1914 (OeſiCBl. XXXII, 126 ff.).
) 8 4 Oeſt ABGB. lautet:
„Die bürgerlichen Geſetze verbinden alle Staat
bürger der Länder, für welche ſie kundgemacht worden
ſind. Die Staatsbürger bleiben auch in Handlungen
und Geſchäften, die fie außer dem Staatsgebiete vor:
nehmen, an dieſe Geſetze gebunden, inſoweit als ihre
perſönliche Fähigkeit, ſie zu unternehmen, dadurch ein:
geſchränket wird, und als dieſe Handlungen und Ge⸗
ſchäfte zugleich in dieſen Ländern rechtliche Folgen
hervorbringen ſollen. Inwiefern die Fremden an dieſe
Geſetze gebunden find, wird in dem folgenden Haupt:
ſtücke beſtimmt.“
) Daß nach der heute herrſchenden Auslegung des
84 ABGB. eine Verweiſung vorliegt, ergibt ſich mit
voller Klarheit aus den die neue Lehre vortragenden Aus-
führungen Ehrenzweigs (Krainz-Ehrenzweig “, a. a. O.
81): „Praktiſch bedeutet das die Verdrängung des
theoretiſch anerkannten Grundſatzes der Staatsange:
hörigkeit durch den Grundſatz des Wohnſitzes.“ :
6 Vgl. Krainz-Ehrenzweig“, a. a. O. 88 89 [85
(Text zu Note 10), 86 (Text zu Note 11), 89 (Text zu
Note 15)]. Ueber abweichende Entſcheidungen aus
neueſter Zeit vgl. OeſtC Bl. XXXII, 127.
1) welche im vorliegenden Rechtsfalle gegeben ſind.
e) Vgl. auch Krainz-Ehrenzweig ', a. a. O. SU (Text
zu Note 12); Endemann, a. a. O.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
315
klauſel des öſterreichiſchen Rechts, die die Rückver⸗
weiſung (8 4 ABGB.) auf das deutſche Recht aus:
ſchaltet, berüdfichtigen, oder ſteht dem Art. 30
EG. BGB. entgegen?
Dieſe Frage iſt zunächſt von mir?)
aufgeworfen, dann von Dietz!) und namentlich
von Levis!) erörtert worden. Zwei Löſungen find
denkbar.
Man könnte dahin entſcheiden: Die öfter:
reichiſche Vorbehaltsklauſel lehnt das deutſche Recht
als gegen den Zweck des öſterreichiſchen Rechts ver⸗
ſtoßend ab und darf folglich gemäß Art. 30 EG. BGB.
unter keinen Umſtänden berückſichtigt werden. Es
bleibt darum bei der Rückverweiſung des 8 4
A BGB.!)
Dieſes Ergebnis wäre indes durchaus unbe:
friedigend. Mit Recht hat Levis!) unter Berufung
auf Niemeyer, Das internationale Privatrecht des
BGB. S. 79 ff., Zitelmann⸗Niemeyer, Quellen zum
internationalen Privatrecht, Heft I S. 38 / 9, Kahn,
IheringsJ. XXXVI, 371 darauf hingewieſen,
„daß der Grundſatz der Rückverweiſung (EG. BGB.
Art. 27) unter anderm auch tunlichſt Wider⸗
ſprüche zwiſchen der deutſchen und der
hei miſchen Rechtsentſcheidung hintan⸗
halten will“. Ein ſolcher Widerſpruch würde
aber — im Gegenſatze zur Annahme des RG. —
gerade dann hervortreten, wenn das deutſche Ge⸗
richt die Vorbehaltsklauſel des ausländiſchen (öfter:
reichiſchen) Rechts unberückſichtigt ließe:
Der öſterreichiſche Richter würde im vorliegen⸗
den Falle die Ehe für nichtig erklären, während
ze. Richter die Nichtigkeitsklage ab⸗
wieſe.
Im vorliegenden Falle laͤßt ſich für die Nicht⸗
ablehnung der öſterreichiſchen Vorbehaltsklauſel auch
noch folgendes geltend machen:
Nach der früheren vor 1905“) in Oeſterreich
17 Auffaſſung wurde der Satz des $ 4
A BGB.: „und als dieſe Handlungen und
Geſchäfte zugleichi in dieſen Ländern recht⸗
liche Folgen hervorbringen wollen,“ als
überflüſſig und mißverſtändlich außer Acht gelaſſen,
enthielt 8 4 ABGB. alſo keine Verweiſung auf das
- Domizilreht. Bei dieſer früheren Auslegung wäre
in unſerm Falle öſterreichiſches Recht angewandt
worden. Denn Art. 30 EG. BGB. kommt nicht
in Frage. Waͤre es da zu rechtfertigen, wenn man
heute in unſerm Falle — im Widerſpruch mit
den letzten in Art. 27 EG. BGB. verfolgten geſetz⸗
geberiſchen Zwecken — dieſelben öſterreichiſchen
») Arch Bürg R. XXVII., 258/9.
10) Niemeyers Z. XIX, 447—457.
11) Niemeyers Z. XX, 85—90. Siehe auch Beer,
a. a. O. 20.
1) Pgl. auch Arch BürgR. XXVII., 258 9.
1) A. a. O. 87; vgl. auch den Note 1 genannten
Aufſatz Endemanns.
100 A Bring: Ehrenzweig’, a. a. O. S. 80 Text
zu Note 8
Normen nicht anwenden wollte, weil fie uns infolge
der Rückverweiſung im Gewande der Vorbehalts⸗
klauſel begegnen?
Die neue Auslegung des 8 4 ABGB.
ſcheitert m. E. in unſerm Falle bereits daran, daß
nach den Hofkanzleidekreten vom 23. Februar 1833
und 10. Juni 1835 „die Eheſchließung mit einem
Oeſterreicher für die Ausländerin einen unbedingten
Bürgerrechtstitel begründet, ohne daß ein Vor⸗
behalt des bisherigen Staatsbürgerrechts möglich
wäre, und ohne daß bei |päterer Trennung der
Ehe infolge Scheidung oder Tod des Gatten das
erheiratete Bürgerrecht wieder verloren ginge“.!“) Da
die Eheſchließenden dieſe nach Oeſterreich hinüber⸗
wirkende Legalwirkung der Eheſchließung nicht aus⸗
ſchließen können, iſt m. E. der Verweiſung in
ABGB. 8 4 auf das deutſche Recht der Boden
entzogen.“)
II. Studie.
Zu Art. 30 68. B68.
I. Wohl kein Problem des internationalen
Privatrechts bereitet der Wiſſenſchaft und Recht⸗
ſprechung dauernd größere Schwierigkeiten als das
Problem des ordre public. 17) Man braucht nur
einen flüchtigen Blick in das neueſte Schrifttum und
die letzten Bande unſerer Entſcheidungsſammlungen
zu werfen, um ſich davon zu überzeugen, daß auch
heute noch von einer Löſung des Problems des
ordre public, einer richtigen Anwendung der
Vorbehaltsklauſel, nicht die Rede ſein kann. Alle
Verſuche, „die große Entfernung zwiſchen dem
theoretiſchen Grundſatz der Vorbehaltsklauſel und
ſeiner Ueberſetzung in die konkrete Wirklichkeit zu
verringern“, ) haben bislang nicht verhindern können,
daß die ſtärkſten Zweifel laut werden, ſobald es
gilt im einzelnen Falle die Vorbehaltsklaufel (EG.
BGB. Art. 30) anzuwenden.
Zweck der folgenden Zeilen iſt es, ein Urteil
des I. Zivilſenats des RG. vom 2. Oktober 1912
(RGZ3. LXXX Nr. 31 S. 129 — 134), “) zu
15) Vgl. Sieber, Das Er! im inter
nationalen Verkehr, I (1907) S
Vgl. auch Beer, a. a. O. En 43. Noch andere
9 bei Steinlechner, a. a. O. 67 (Text zu Note 28).
17) Literaturangaben bei Klein, Die Lehre vom
ordre public, Arch BürgR. XXIX, 311-384. Vgl. auch
Beer, Niemeyers Z. XIX, 1 ff.; Dietz, Niemeyers Z. XIX,
447ff.; Levis, Niemeyers Z. XX, 85 ff.; Fuld, Niemeyers Z.
XXII, 253; Graf Luxburg, Niemeyers⸗. XXIII, 151,192;
Hedemann, Niemeyers Z. XXIII, 244, 245, 255; ; Niemeger,
Niemeyers Z. XXIII, 261, 267; Krainz- Ehrenzweig ® ;
Syſtem des öſterreichiſchen allgemeinen Privatrechts,
I (1913) S. 77; Enneccerus, Kipp und Wolff’, Lehr⸗
buch des bürgerlichen Rechts, I 18 62 S. 154 ff.; Beer,
Die Verweiſung, 20 (in der Feſtſchrift für Ernſt Zitel⸗
mann); Dittmann, Die ſechs Haager Abkommen über
Internationales Privatrecht und Zivilprozeßrecht (1914)
6; Fink, Niemeyers Z. XXIV, Abt. II, 138-179.
16) Zitelmann, Internationales Privatrecht, I, 321.
100 Vgl. auch das weit vorſichtigere Urteil des RG.
vom 5 er 1900, Niemeyers Z. X, 472 ff., nament-
73/4.
lich 4
316
würdigen, das die Vorbehaltsklauſel unrichtig
anwendet.
II. Zum Ausgangspunkte meiner Unterſuchung
wähle ich die immer wieder herangezogene Ent⸗
ſcheidung des II. Zivilſenats des RG. vom 21. März
1905 (Niemeyers 3. XIX, 278 — 280). Hier gelangt
das RG. zu folgendem Ergebnis: „Die Anwendung
des nach dem internationalen Privatrecht an ſich
maßgebenden ausländiſchen Rechts iſt verboten, wenn
der Unterſchied zwiſchen den ſtaatspolitiſchen oder
ſozialen Anſchauungen, auf welchen dieſes Recht und
auf welchen das konkurrierende deutſche Recht beruht,
ſo erheblich iſt, daß die Anwendung des auslän:
diſchen Rechts direkt die Grundlagen des
ſtaatlichen 1 wirtſchaftlichen Lebens
angreifen würde. In einem derartigen Falle
kann das ausländiſche Recht nicht zugelaſſen, muß
vielmehr das inländiſche deutſche Geſetz angewendet
werden.“
Dieſes RG.⸗Urteil gibt eine wenigſtens im all⸗
gemeinen richtige Antwort auf die Frage: wann
löſt der Inhalt der nach unſern Kolliſionsnormen
maßgebenden ausländiſchen Normen den zwingenden
Charakter unſerer eigenen Rechtsſätze aus? Sie
fließt aus den zutreffenden Erwägungen: |
daß die Vorbehaltsklauſel eine Ausnahme
von den allgemeinen Kolliſionsnormen darſtellt, daß
die Kolliſionsnormen, „die ja gerade in der Ver⸗
ſchiedenheit der materiellen Rechte und deren Zwecke
ihren Grund haben und ihren Nährboden finden,
bis zur Evidenz des Gegenteils feſtge⸗ |
halten werden wollen“,
„daß die Ablehnung des Auslandsrechts gemäß |
der Vorbehaltsklauſel nicht vermutet werden darf“,
ſchließlich, daß es einer der größten Fehler
einer Entſcheidung auf dem Gebiete des inter⸗
nationalen Rechts iſt, wenn ſie leichtherzig den
zwingenden Charakter des eigenen Rechts annimmt,
. . . um bloß techniſcher Unterſchiede willen ein
ausländiſches Recht für unanwendbar erklärt, . ..
da doch das ganze internationale Privatrecht mit
der richtigen oder unrichtigen Handhabung der Vor⸗
behaltsklauſel ſteht und fällt.“)
Mit dieſen Ausführungen iſt die Entſcheidung
des I. Ziwilſenats des RG. vom 2. Oktober 1912
unvereinbar.
III. Der I. Zivilſenat des RG. erklärt im Urteil
vom 2. Oktober 1912 eine (wie das Erkenntnis an:
nimmt) in Rußland an einem ruſſiſchen Schiffe
gültig beſtellte Schiffshypothek für unwirkſam gegen⸗
über dem ſpäter von einer Kopenhagener Geſellſchaft
erwirkten Arreſt, weil die Vorſchriften des
ruſſiſchen Rechts, die die Publizität des
Schiffspfandrechts ſichern wollen,“) den
unſrigen nicht gleichwertig oder an:
nähernd gleichwertig ſeien.
2) Vgl. Zitelmann, Internationales Privatrecht,
T, 317-380; Klein, Arch RürgR. XXIX, 3IIff.; OeſtCBl.
XXXI 292, XXXII, Heft 8.
21) Vgl. dazu 6 . LXXX, 131 2.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
behaltsklauſel.
Schon Lenel “) hat mit Recht bemerkt: „Ob
Art. 30 ausreicht, dieſe weitgehende Entſcheidung
zu tragen, ſcheint doch recht zweifelhaft.“
Prüfen wir die Urteilsgründe im einzelnen!
Die Heranziehung des „Brüffeler Vorentwurfs
zu einem internationalen Uebereinkommen über
Schiffshypotheken uw. 1% zur Ürteilöbegrün:
dung iſt methodiſch verſehlt.“)
Im übrigen läuft die Begründung des RG.
darauf hinaus: „Der deutſche Geſetzgeber hätte von
dem ganzen Apparate der Regiſtereintragung ab⸗
geſehen, wenn er eine Eintragung in die Schiffs⸗
papiere für auch nur annähernd gleich-
wertig oder ſeinen Zwecken entſprechend gehalten
und nicht vielmehr gerade darauf Gewicht gelegt
hätte, daß entſprechend den für das Grundpfand⸗
recht geltenden Vorſchriften auch für die Schiffs⸗
hypothek Publizität, d. h. nicht ſowohl Erkenn⸗
barkeit als vielmehr volle und authentiſche
Oeffentlichkeit geſchaffen wurde. In dieſem
Sinne ſei es zutreffend, wenn die Reviſion aus⸗
führt, es müſſe gefordert werden, daß das aus⸗
ländiſche Recht zu einer teilweiſen Immobiliſierung
des Schiffes übergegangen ſei ....)
Aber rechtfertigen dieſe Erwägungen es wirklich.
daß das RG. eine „Notwehrlage“ annimmt
und „das Kampfmittel der Vorbehaltsklauſel,
das die Friedlichkeit der geordneten internationalen
Rechtsgemeinſchaft in Sachen des Privatrechts durch⸗
bricht“,“) anwendet, konkret geſprochen: die in
Rußland an einem ruſſiſchen Schiffe gültig
beſtellte Hypothek für unwirkſam erklärt?
Zu welch unerträglichen Ergebniſſen eine ſolche
den Wert und die Bedeutung der eigenen Rechts⸗
einrichtungen überſchätzende Praxis?) führen kann,
mag folgendes Beiſpiel veranſchaulichen, in welchem
deutſches Recht und deutſche Intereſſen
in Frage ſtehen.
Schweiz. Art. 715 J beſtimmt:
Der Vorbehalt des Eigentums an einer
dem Erwerber übertragenen beweglichen Sache
iſt nur dann wirkſam, wenn er an deſſen je⸗
weiligem Wohnort in einem vom Betreibungs⸗
beamten zu führenden öffentlichen Regiſter ein⸗
getragen iſt.
Dem BGB. $ 455 iſt ein Regiſter über Eigen⸗
tumsvorbehalte fremd. Darf darum ein um ſeine
Entſcheidung angegangenes ſchweizeriſches Gericht
den in Deutſchland nach deutſchem Rechte verein⸗
barten Eigentumsvorbehalt unter Berufung auf
Schweiz. Art. 715 I und den ordre public ?®) für
WER XVIII, 883 4.
”) Vgl. auch Beer, Niemeyers?. XIX, 18.
*) Vgl. RG. LXXX, 133.
60) Zitelmann, Internationales Privatrecht, I,
351, 357.
I. XXX, 132 (Mitte der Seite).
“RG. Siehe
auch „Del Vecchio, ArchmPhiloſ. VII, 225.
8) Das Schweiz z. enthält keine ausdrückliche Vor⸗
Selbſtverſtändlich wird aber dadurch
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
unwirkfam erklären? Ich glaube kaum, daß ein
ſolches Urteil den Beifall der deutſchen Jurisprudenz
finden würde. Und doch könnte ſich das ſchweizeriſche
Gericht bei ſeiner Entſcheidung auf das Urteil des
RG. vom 2. Oktober 1912 berufen.“) Die unter:
ſtellte Entſcheidung des ſchweizeriſchen Gerichts löſt
die Empfindung aus, daß das RG. das Schongebiet
des eigenen Rechts unrichtig begrenzt hat.
IV. Der Weg, den die hier beſprochene RG.⸗
Entſcheidung und in neuerer Zeit leider manche
Entſcheidungen unſerer höheren Gerichte“) einge⸗
ſchlagen haben, führt zu dem längſt überwundenen
lex-fori⸗Prinzip Wächters zurück. Und wozu dann
überhaupt ein internationales Privatrecht?
Zur Auslegung des Art. 92 Ziff. 1 des
baperiſchen Forſtgeſetzes.)
Von Landgerichtsrat Dr. Anguſt Mayer in Memmingen.
1
Auf einem von jeher als Wald bewirtſchafteten
Grundſtücke befand ſich eine Oedung; fie war durch
Kahlhieb entſtanden und hatte mehrere Jahre brach
gelegen; durch Samenanflug waren einzelne Ge⸗
büſche entſtanden. Quer durch das Grundſtück
führte ein Weg, der nach einer Biegung an einer
Wieſe vorbeiführte; der Eigentümer dieſer Wieſe
hatte ſeit langem, um den kaum 100 m betragenden
Umweg zu erſparen, von dem Wege weg durch den
Wald ſein Vieh auf jene Wieſen getrieben. Der
Eigentümer des Waldgrundſtückes erkannte dieſes
Triebrecht an.
Vor kurzem wurde die Oedung im Auftrage
des zuftändigen Forſtamtes aufgepflanzt durch Ein:
legen von Pflanzen, die im Herbſte 1913 höchſtens
5 Jahre alt waren. Der Wieſeneigentümer trieb
ſein Vieh auch durch die Pflanzung; der Wald⸗
eigentümer zog entlang dem Wege einen Draht⸗
zaun, um das Betreten ſeiner Anpflanzung zu ver⸗
hindern; der Wieſeneigentümer beſeitigte dieſen
Zaun oder ließ ihn beſeitigen und trieb ſein Vieh
nach wie vor durch.
Vom Forſtrüge⸗ und vom Berufungsgerichte
wurde er hiewegen auf Grund des Art. 92 Ziff. 1
ForſtG. in Strafe genommen, obwohl er geltend
gemacht hatte, daß er ein Triebrecht beſitze, alſo
befugt ſei, ſein Vieh über jene Waldgrundſtücke
zu treiben.
nicht die ſchrankenloſe Anwendung ſämtlicher auslän=
diſchen Privatrechte zugelaſſen. Vgl. auch den Kommen—
tar zum Schweizeriſchen Zivilgeſetzbuch von Egger,
Eſcher 15 VI (Reichel) S. 150 (oben).
9) Man darf nie vergeſſen, daß engherzige Ent»
ſcheidungen unſerer Gerichte auf dem Gebiete des inter-
nationalen Privatrechts ſtets entſprechende Entſchei—
dungen ausländiſcher Gerichte auslöſen.
20) Zitate bei Niemeyer, Niemeyers Z. XIX, 516.
) gl. hiezu die Entſch. auf S. 329 dieſer
Nummer.
317
II
Art. 92 Ziff. 1 ForſtG. beſtraft: „Das Fahren
außer den erlaubten Waldwegen oder den in den
Schlaͤgen angewieſenen Holzabfuhrwegen — das
unerlaubte Holzſchleifen oder Holzſtürzen — das
unbefugte Betreten künſtlicher Anſaaten oder Pflan⸗
zungen unter 6 Jahren und beſonders das Betreten
derſelben mit Pferden oder anderem Vieh.“
Die Auslegung dieſer Vorſchrift war von jeher
beſtritten. Die Beziehung des „unbefugten“ bloß
zu „Betreten“ oder auch zu „Betreten ... mit
Pferden oder anderem Vieh“ bildete den Gegen⸗
ſtand des Zweifels. War nur das unbefugte
Betreten mit Pferden und Vieh verboten, ſo konnte
ein Betreten mit Pferden und Vieh auf Grund
eines Fahrt⸗ oder Triebrechtes nicht ſtrafbar machen,
weil es ſich um ein befugtes Betreten
handelte. Der Kommentar zum Forſtgeſetz von
Brater in Dollmanns Geſetzgebung Bayerns 1855,
Teil 2, Bd. 1, S. 558, Art. 91 Anm. 3 ſpricht
nur von „unbefugtem Viehtriebe“. Roth, Hand:
buch des Forſtrechtes, 1863, S. 436, erwähnt bei
Beſprechung der Waldweide das „unbefugte Betreten
. mit Vieh“; dazu ebendort S. 439 oben.
Die Fahrt⸗ und Triebberechtigten, denen eine
Beſtrafung auf Grund des Art. 92 Ziff. 1 drohte,
haben von jeher dieſen Einwand geltend gemacht.
Die Rechtſprechung von mindeſtens 40 Jahren
hat ihn jedoch für unbeachtlich erklärt: ObGH.
Bd. VII S. 501; Bd. IX S. 408 (mit weiteren
Verweiſungen); OLG. München Bd. 1 S. 259;
Bd. IV S. 89; Bd. VI S. 1; Obs G. Bd. IV
S. 122 und 389; Bd. VI S. 332: Bd. X S. 154.
Auch der Kommentar von Ganghofer⸗Weber zum
Forſtgeſetz für das Königreich Bayern (4. Auflage,
1904, S. 292 Anm. 5—7) huldigt der gleichen
Anſchauung.
In neuerer Zeit haben ſich Stimmen gegen
dieſen Standpunkt bemerkbar gemacht. Das LG.
Würzburg hatte als Berufungsinſtanz einen Rechts⸗
ſtreit über Erſitzung eines Fahrtrechtes über ein
Waldgrundſtück zu entſcheiden (FI 55/07); der
Beklagte hatte eingewendet, der Kläger ſei als Forſt⸗
berechtigter an die forſtpolizeilichen Beſtimmungen
des Forſtgeſetzes, alſo auch an Art. 92 Ziff. 1
ForſtG. gebunden, deshalb könne er erſt nach Ab⸗
lauf von 6 Jahren ſeit der Bepflanzung Klage
auf Einräumung des Fahrtrechtes ſtellen. Das
Urteil vom 31. Januar 1908 führt aus
„Waldeigentümer und Nutzungsberechtigte haben
ihre Rechte ſo auszuüben, daß ſie nebeneinander
beſtehen können und daß die Gerechtſame des letzteren
in ihrem beſtimmten Maße ſoweit aufrecht erhalten
wird, daß das Recht des Eigentümers auf Er:
haltung des Waldes nicht leidet ... Die Servitut
iſt inſoweit beſchränkt, als durch die Art ihrer
Ausübung das Fortbeſtehen des Waldes nicht ge:
fährdet werden darf, jedoch nicht in einem weiteren
Umfange .. . . Willkürliche, auf dauernde Ent:
318 geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
ziehung der Servitut berechnete Kulturen find aus⸗
8 — Archiv Bd. 49 Nr. 7 und Bd. 42
r
Daraus zieht es den Schluß: „Der Kläger
muß ſich deshalb gewiſſe, forſtwirtſchaftlich not⸗
wendige Beſchränkungen ſeines Fahrtrechts unter
Umſtänden gefallen laſſen; das Recht der Beklagten
reicht aber nicht ſoweit, durch willkürliche Neube⸗
pflanzung des Waldſtreifens das Fahrtrecht des
Klägers illuſoriſch zu machen“ und fügt bei, daß
das BGB. keine Vorſchrift enthalte, „daß die Aus:
übung einer Dienſtbarkeit unter gewiſſen Voraus⸗
ſetzungen zeitweiſe ruhen müſſe“; unter Art. 115
EG. BGB. fällt Art. 92 Ziff. 1 nicht; „denn dem
Fahrtberechtigten bleibt das Recht, ſeine Rechte auf
das Fahrtrecht geltend zu machen, wenn es durch
willkürliche Maßnahmen des Waldbeſitzers beein⸗
trächtigt oder vereitelt wird.“
Das LG., das es mit der Feſtſtellung des
Beſtandes eines Fahrtrechtes zu tun hatte, miß⸗
billigt ſomit nur die durch willkürliche Anpflanzung
herbeigeführte Beeinträchtigung der Dienſtbarkeit.
Weiter geht eine Abhandlung in der Zeitſchrift
für Rechtspflege in Bayern 1908 S. 113; dort
wird das Ergebnis, „daß Fahrt⸗ und Triebrechte
6 Jahre lang ruhen ſollen“ als unannehmbar be⸗
zeichnet und behauptet: „Das Verbot des Art. 92
Ziff. 1 ForſtG. hat einen geringeren Umfang und
es bleibt nichts übrig, als der Vorſchrift die Aus⸗
legung zu geben, daß nur das unbefugte Be⸗
treten mit Vieh verboten ſei“; der Waldeigentümer
könne ſeine Intereſſen nach 88 1020, 1023 BGB.
wahren.
Dann greift die Abhandlung tiefer; ſie ſtellt
feſt, daß ſeit der Geltung des neuen bürgerlichen
Rechtes jede Grunddienſtbarkeit im Reichsrechte
wurzele, im Reichsrechte ſich aber keine Vorſchrift
finde, aus der geſchloſſen werden könnte, daß eine
Grunddienſtbarkeit infolge der Anlegung einer Forſt⸗
pflanzung jahrelang ruhe. Ein Vorbehalt zugunſten
der Landesgeſetzgebung beſtehe nicht. Art. 113 EG.
BGB. halte zwar die landesgeſetzlichen Vorſchriften
9 Bd. 42 S. 27 betrifft eine Hut: und Maſtgerechtig—
„In Doktrin und Rechtſprechung iſt es uns
bestritten anerkannt, daß alle an Waldungen beſtehenden
Servituten . Hin ihrer Ausübung den Forſtver—
ordnungen und der Forjthoheit unterworfen ſind . . ..
Der Berechtigte muß ſich notwendige, forſtwirtſchaftliche
Beſchränkungen immer gefallen laſſen .. willkürliche,
auf dauernde Entziehung berechnete Kulturen ſind aus—
ae ee
49 S. 9 betrifft ein Beholzungsrecht. Das
0 (Urteil vom 28 April 1893, III 12/93)
führt aus: .... „Der Waldeigentümer wird durch
ein Beholzungsrecht an der Vornahme zweckmäßiger
Forſtkulturen nicht gehindert, ſoferne dieſe der Er⸗
haltung des Waldes dienen. Es liegt in der Natur
der Sache und ergibt ſich aus Gründen des öffentlichen
Wohles, daß das Waldeigentum wirtſchaftlich behandelt
werden muß. Deshalb iſt jede am Wald haftende
Dienſtbarkeit ſolchen Einſchränkungen unterworfen,
welche mit der Ausübung der Servitut verträglich ſind
und dem Waldeigentümer einen billigen Nutzen belaſſen.“
über Ablöſung, Umwandlung oder Einſchränkung
von Dienſtbarkeiten aufrecht ; dadurch jet der Landes⸗
geſetzgebung geſtattet, die einzelnen Dienſtbarkeiten
einzuſchränken, weshalb auch eine zeitweilige Hem⸗
mung von erträglicher Dauer zuläſſig ſei; unter den
Begriff der Einſchränkung falle aber nicht mehr
eine Einwirkung von der Stärke, daß eine Grund⸗
dienſtbarkeit 6 Jahre lang ruhen müſſe; dadurch
werde, wenn auch in zeitweiliger Beſchrankung, der
ganze Rechtsinhalt aufgehoben. Art. 115 EGS. BGB.
räume der Landesgeſetzgebung nicht die Befugnis ein,
Grunddienſtbarkeiten Jahrelang ruhen zu laſſen.
Der Aufſatz folgert, daß die bisherige Rechtſprechung.
beſonders die Entſcheidung des ObLG. in Bd. IV
S. 389, dem Reichsrechte widerſpreche und nicht
durch einen Vorbehalt getragen werde.
Auch Meisner, (Nachbarrecht 1910 S. 333
Fußnote 3) erwähnt dieſe beiden Gegner, ſcheint
ſich aber auf den Standpunkt der bisherigen Recht⸗
ſprechung zu ſtellen (ſiehe Fußnote 4).
Umſo entſchiedener wendet ſich Schiedermair,
(ſtrafrechtliche Nebengeſetze Bayerns, 1912) gegen
dieſe Rechtſprechung; S. 219 lit. e (dazu Fußnote 4)
wird der Satz ausgesprochen, daß ein Fahrtrecht
nicht dadurch beſeitigt werden kann, daß auf dem
Boden, auf dem es beſteht, eine Anſaat oder eine
Pflanzung nach Art. 92 Ziff. 1 ForſtG. angelegt
wird; auch S. 274 Anm. 5 wird ausgeſprochen:
„Das Betreten der künſtlichen Anſaaten und Pflan⸗
zungen mit Pferden und anderem Vieh iſt
nur verboten, wenn es unbefugt erfolgt und die
Anfaaten und Pflanzungen unter 6 Jahre alt find
. . . (anders unter Verkennung des zweifelsfreien
Wortlautes des Geſetzes ... die Rechtſprechung).“
III.
Dennoch ſcheint die bisherige Rechtſprechung
allein dem Zwecke des Art. 92 Ziff. 1 ForſtG.
gerecht zu werden.
1. Das bayeriſche Forſtgeſetz iſt nicht bloß ein
Strafgeſetz für Forſtſachen, ſondern in erſter Linie
eine Forſtordnung, ein Polizeigeſetz. Unter An⸗
wendung ſtaatlichen Zwanges ſoll in der Wald⸗
wirtſchaft durchgeführt werden, was durch das
öffentliche Wohl geboten iſt. Dieſer ſtaatliche
Zwang äußert ſich teils in Vorſchriften der Forſt⸗
polizeibehörden, teils unmittelbar in Strafvor⸗
ſchriften. Er wendet ſich gegen den Eigentümer
wie gegen Dritte. Deshalb beſtimmt Art. 1 ForſtG.:
„Jedem Waldbeſitzer ſteht die freie Benützung und
Bewirtſchaftung ſeines Waldes zu vorbehaltlich der
Rechte Dritter und der Beſtimmungen des
gegenwärtigen Geſetzes.“ In Art. 6— 22,
34—47 und anderwärts finden fi Beſchränkungen
des Waldbeſitzers, in Art. 23 ff. und anderwärts
ſolche des Drittberechtigten. Art. 23 Abſ. J ForſtG.
bindet den Forſtberechtigten bei der Ausübung ſeiner
Berechtigung an die genaue Befolgung der forit:
polizeilichen Beſtimmungen des Forſtgeſetzes.
2. Der Inhalt des Begriffes, Forſtberechtigung“
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
—
ſteht nicht unanfechtbar feſt (f. Ganghofer⸗Weber
a. a. O. S. 82—85, 134 Anm. 3; Brater a. a. O
S. 438). In der Regel werden die Forſtberechtigungen
für Dienſtbarkeiten erklärt. Dernburg (Pandekten,
4. Aufl. Bd. 1 S. 593 Ziff. 3) bezeichnet fie als „Ser⸗
vituten“, Roth (Handbuch a. a. O. S. 3198311) kurz
als „Waldſervituten“; Becher (bayeriſches Landes⸗
zivilrecht 1896 Bd. J S. 631) erklärt unter der Ueber⸗
ſchrift „Die Forſtdienſtbarkeiten“ das bahyeriſche
Forſtgeſetz für anwendbar auf alle Arten von Forſt⸗
dienſtbarkeiten, aber auch nur auf ſolche Dienſt⸗
barkeiten, die an einem Walde begründet find. Ebenſo
Meisner a. a. O. S. 362 Ziff. I und 363 Ziff. III,
auch eine Abhandlung in der Bay 3fR. 1907 S. 205
Ziff. Il. Im engeren Sinne wird der Begriff
ausgelegt von Schiedermair (a. a. O. S. 215, all⸗
gemeine Bemerkungen unter Ziff. V 2), wo unter
Forſtrecht nur das dingliche Recht auf Nutzung von
Walderzeugniſſen verſtanden wird.
Ein Trieb: oder Fahrtrecht an einem Wald:
grundſtücke mag nicht ein Forſtrecht im engeren
Sinne darſtellen; die Belaſtung des Waldgrund⸗
ſtückes mit einem ſolchen Rechte äußert jedoch die
gleichen einſchneidenden Wirkungen auf die forſt⸗
mäßige Bewirtſchaftung des Waldgrundſtückes; es
rechtfertigt ſich daher jedenfalls die Annahme, daß
die Vorſchriften des Forſtgeſetzes mindeſtens auf
dem Wege des Aehnlichkeitsſchluſſes auch auf eine
nn Belaſtung des Waldgrundſtückes anzuwenden
1 können nun den Wald⸗
eigentümer an der nachhaltigen Bewirtſchaftung
des Waldes nicht hindern (Art. 24 ForſtG.);
Forſtberechtigungen, welche die nachhaltige Bewirt⸗
ſchaftung des Waldes beeinträchtigen, ſind auf Antrag
des Verpflichteten für einen beſtimmten Zeit:
raum zu ermäßigen (Art. 25 Abſ. I Forit®.).
3. Die Hebung und Erhaltung des Wald⸗
beſtandes galt von jeher als eine im öffentlichen
Intereſſe gelegene Aufgabe (vgl. Stobbe, Deutſches
Privatrecht, 1896 Bd. II S. 326, insbeſondere
330). Frühzeitig hat der Staat ſogar Belohnungen
ausgeſetzt, um durch Aufforſtung von Oedflächen
eine Vermehrung des Waldbeſtandes herbeizuführen
(Ganghofer⸗Weber, a. a. O. S. 21 Anm. 4). Er
war aber auch auf Erhaltung des Waldbeſtandes
bedacht. Nach Art. 41 Abſ. I ForſtGG. müſſen
die der Holzzucht zugewendeten Grundſtücke ſtets im
Holzbeſtand erhalten und dürfen nicht abgeſchwendet
werden. Art. 42 Abſ. I ForſtG. befiehlt die Auf:
forſtung lulturfähiger Waldblößen; der erſt 1908
geſchaffene Art. 42 b Abſ. II Forft®., ferner Art. 78
Abſ. II Forſt G. treffen Vorſorge für Wiederherſtellung
des Waldes nach erlaubtem und unerlaubtem Kahl—
hieb uſw.; Art. 42 Abſ. II ForſtG. ermächtigt die
Forſtpolizeibehörde, dem Waldeigentümer eine Friſt
zur Wiederaufforſtung zu ſetzen; nach Ablauf der Friſt
erfolgt Strafeinſchreitung nach Art. 77 Ziff. 1 ForſtG.
und Aufforſtung auf Koſten des Säumigen durch
das Forſtamt.
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319
Wir ſehen alſo: auf der einen Seite rechnet das
Geſetz mit der Zuläſſigkeit der Beeinträchtigung
einer Dienſtbarkeit, auf der anderen Seite ſorgt
es für wirkſamen Einfluß auf den Eigentümer:
beides im öffentlichen Intereſſe. „Privatrechte
gewähren ſchon begrifflich keinen Schutz gegenüber
öffentlich rechtlicher Tätigkeit des Staates. Zudem
gibt das Geſetz, indem es die Ermächtigung zu
Polizeivorſchriften gibt, ſtillſchweigend die Befugnis,
die dadurch veranlaßte Hemmung der Privatrechte
herbeizuführen. Dieſer Standpunkt iſt von der
Rechtſprechung ſtets feſtgehalten worden“ (Schieder⸗
mair a. a. O. S. 70 Anm. 2 und Fußnote 1, dazu
die dort angegebene Literatur und Rechtſprechung).
Privatrechte müſſen alſo dem öffentlichen Intereſſe
weichen (Seuff A. Bd. 27 Nr. 209 S. 334;
Urteil des Oberſten Gerichtshofs vom 26. März
150 im RegBl. 1860 S. 362 beſonders S. 368
oben).
4. Dieſer Rechtszuſtand iſt durch Einführung
des BGB. nicht verändert worden.
Art. 55 EG. BGB. beſeitigt nur die privat⸗
rechtlichen Vorſchriften der 1 ſoweit
nicht im BGB. oder im Einführungsgeſetz etwas
anderes beſtimmt iſt. Oeffentlich⸗ rechtliche Vor⸗
ſchriften der Landesgeſetze find nicht berührt worden,
insbeſondere gilt dies von den landesrechtlichen
Forſtgeſetzen, die durch 8 2 Abſ. II EG. StPO.
vom 31. Mai 1870 ausdrücklich in Wirkſamkeit
erhalten worden find (dazu Art. 3 Ziff. 5 AG. StGB.
vom 18. Auguſt 1879). Selbſt wenn man aber
dieſe Vorſchriften ausdrücklich nur auf ſtrafrecht⸗
liche Beſtimmungen des bayeriſchen Forſtgeſetzes
beziehen wollte, beſtehen doch noch Vorbehalte zu⸗
gunſten der Landesgeſetzgebung, welche auch über die
eigentlichen Strafbeſtimmungen hinaus landesgeſetz⸗
liche Einwirkungen auf Privatrechte geſtatten und
die bezüglichen Beſtimmungen des bayeriſchen Forſt⸗
geſetzes decken.
Ob gerade auf Art. 113 EG. BGB. zurück⸗
zugreifen iſt (Bay ZfR. 1908 S. 114), erſcheint
fraglich. Dieſe Beſtimmung hält die landesgeſetz⸗
lichen Vorſchriften über Ablöſung, Umwandlung
oder Einſchränkung von Dienſtbarkeiten aufrecht.
Aus dem Zuſammenhalte mit dem ſonſtigen In⸗
halte des Artikels und aus der Bemerkung der
Motive z. EG. BGB. S. 162, daß das Agrar⸗
Recht von der Regelung durch das BGB. aus⸗
geſchloſſen werden wollte, könnte ein gewichtiger
Einwand dagegen entnommen werden.
Auch Art. 115 EG. BGB. wird ſchon von der
Abhandlung in Bay 3fR. 1908 S. 115 und dem
oben angegebenen Urteil des LG. Würzburg ab—
gelehnt, von beiden freilich mit einer Begründung,
die nicht für durchſchlagend erachtet werden kann.
Art. 115 EG. läßt die landesgeſetzlichen Vorſchriften
in Kraft, welche die Belaſtung des Grundſtückes
mit gewiſſen Grunddienſtbarkeiten unterſagen oder
beſchränken, ſowie die landesgeſetzlichen Vorſchriften,
welche den Inhalt und das Maß ſolcher Rechte
320
näher beſtimmen. Dieſe Vorſchrift deckt vielleicht
den Art. 33 ForſtG., wonach ſeit dem 2. April
1852 neue Forſtberechtigungen (im engeren Sinne:
Ganghofer⸗Weber S. 134 Anm. 3) nicht mehr er⸗
worben werden können, wonach alſo die Belaſtung
von Waldgrundſtücken mit ſolchen Dienſtbarkeiten
unterſagt iſt (dazu Art. 86 AG. BGB. Motive z.
BGB. Bd. III S. 480 Ziff. 6), aber weiter kann
fie nicht einſchlagen, denn das Forſigeſetz unterſagt
und beſchränkt nicht allgemein Dienſtbarkeiten an
Waldgrundſtücken; es ſtellt auch keine Regeln Über
Inhalt und Maß ſolcher Rechte auf.
Dagegen dürften Art. 109 und 111 EG. BGB.
hieher Bezug haben. Nach Art. 111 a. a. O. bleiben
unberührt die landesgeſetzlichen Vorſchriften, welche
im öffentlichen Intereſſe das Eigentum in
Anſehung tatſachlicher Verfügungen beſchränken.
Nach Art. 109 a. a. O. bleiben unberührt die
landesgeſetzlichen Vorſchriften über die im öffent⸗
lichen Intereſſe erfolgende Beſchraͤnkung des
Eigentums und von Rechten.
Unter Beſchränkung des Eigentums werden die
oben erwähnten Beſchränkungen des Eigentümers
des Waldgrundſtückes (Art. 1 ff., 34 ff. ForſtG.)
fallen. Die Motive zu Art. 111 (S. 192) erwähnen
ausdrücklich die Forſtordnungen und erklären: „Der
Vorbehalt bezieht fich nur auf ſolche Vorſchriften,
durch welche das Eigentum in Anſehung tat ſäch⸗
licher Verſügungen beſchränkt wird. Dahin gehören
namentlich die Beſchränkungen rückſichtlich ... ..
der Waldkultur.“
Der Vorbehalt in Art. 109 a. a. O. iſt nach
Planck, Kommentar zum BGB. N. 1, „im weiteſten
Sinne auszulegen“; auch nach Fiſcher⸗Henle, BGB.
N. 1 umfaßt der Vorbehalt die Enteignung im
weiteſten Sinne. Das Wort „Enteignung“ könnte
Beitjärift lr Rehtspfiege in aher, 1014. Nr. 16 u. 17
einen Stein des Anſtoßes bilden. Aber wenn durch
einen öffentlich⸗rechtlichen Akt der Staatsgewalt auf
Grund öffentlichen Intereſſes ein Dienſtbarkeits—
berechtigter zeitweilig in ſeinem Rechte beſchränkt
und aus dem gleichen Grunde der Eigentümer
eines Waldgrundſtückes zeitweilig minder belaſtet
wird, jo liegt eine teilweiſe Entſetzung des Dienit:
barkeitsberechtigten zugunſten des Waldeigentümers
und damit eine Enteignung vor (vgl. RGE. 61,
102 [105], die allerdings die Enteignung von
Grundſtücken betrifft). Hartmann, Geſetz über die
Zwangsabtretung, Einleitung, $ 1, beſtimmt den
Begriff des Enteignungsrechtes als „die Berechtigung
der Staatsgewalt, im Intereſſe des Ganzen in die
individuelle Rechtſphäre einzugreifen, die Aufopferung
der Einzelrechte für die Geſamtheit zu fordern
und dieſe Forderung im Wege des Zwanges zu
verwirklichen“.
Art Enteignungsverfahren der Forſtpolizeibehörde
Das Forſtgeſetz kennt ſogar eine
und auch eine Entſchaͤdigung des in ſeinem Rechte
Betroffenen iſt vorgeſehen (Art. 25 ff.).
Dieſe landesgeſetzlichen Vorſchriften über die im
öffentlichen Intereſſe erfolgende Beſchränkung von
Rechten find nach Art. 3 EG. BGB. in Kraft ge:
blieben; es beſteht daher der Satz des Art. 24 Forſt.
nach wie vor zu Recht, daß „Forſtberechtigungen
den Waldbeſitzer in der nachhaltigen Bewirtſchaftung
des Waldes nicht hindern können“.
IV
Einer ſolchen Beſchränkung gibt nun Art. 92
Ziff. 1 Fort. Ausdruck, freilich nicht mit der
ſprachlichen Deutlichkeit, wie ſie von neuen Geſetzen
verlangt wird. Art. 92 Ziff 1 will nämlich den
Beſtand des Waldes ſchützen, deshalb verbietet er
das Fahren außerhalb der Wald: und Holzabfuhr⸗
wege uſw.
Er will auch die Verjüngung und den Auf⸗
wuchs des Waldes ſchützen, deshalb verbietet er
weiter
a) das unbefugte Betreten künſtlicher Anſaaten
oder Pflanzungen unter 6 Jahren,
b) „beſonders“ das Betreten derſelben (das iſt
der künſtlichen Anſaaten und Pflanzungen
ar 6 Jahren) mit Pferden oder anderem
ieh.
Der Unterſchied iſt einleuchtend, wenn man
nicht bloß den Wortlaut, ſondern auch den Zweck
der Vorſchrift im Auge behält. Das Betreten
der Pflanzungen durch Menſchen ſchädigt den Be⸗
ſtand des künftigen Waldes nur unerheblich; das
befugte Betreten iſt deshalb geſtattet; Eigentümer
und Berechtigte werden nicht beſchränkt, nur das
unbefugte Betreten wird verboten. Das Be
treten der jungen Pflanzung mit Pferden und
anderem Vieh (man denke an Weidevieh) iſt mit
erheblicher Gefahr ſür den Beſtand des künftigen
Waldes verknüpft; deshalb iſt es allgemein, ohne
Rückſicht auf die etwaige Befugnis, alſo auch für
den Eigentümer verboten.
Das Wort „beſonders“ im Geſetzestext (ſiehe
oben lit. b) wirkt ſtörend; es ſcheidet nach den An⸗
forderungen die wir heute an die Geſetzesſprache
ſtellen, nicht ſcharf genug; der Gebrauch des Wortes
iſt wohl beeinflußt durch den Wunſch, der Steigerung
der Gefahr Ausdruck zu geben: „Unbefugtes Be⸗
treten der Dlenichen .
Betreten mit Pferden und Vieh“.
. beſonders aber das
Das „Un⸗
0 gehört nur zum erſten Tatbeſtande (oben
it. a).
Durch Art. 92 Ziff. 1 Forſt G. wird alſo in dem in
Ziff. I geſchilderten Falle dem Inhaber des Trieb:
rechts auf einige Zeit die Ausübung, nicht auch
der Beſtand des Triebrechts beſchränkt. Bei An:
ſaaten kann dieſe Beſchränkung bis zu 6 Jahren
dauern, bei Pflanzungen wird die Unterbrechung
geringer ſein, weil die Setzlinge ſchon mindeſtens
3 Jahre alt ſein werden.
Das in Ziff. II angeführte Urteil des LG.
Würzburg vom 31. Januar 1908 ſcheint dem
Waldeigentümer dieſen Schutz verſagen zu wollen,
wenn er „durch willkürliche Neupflanzung des
Walditreifend das Fahrtrecht (des Berechtigten)
illuſoriſch macht“.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
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Das Wort „Willkür“ wird aber nach dem
Ausgeführten nur in feiner engſten Bedeutung aus⸗
zulegen ſein, nur etwa in dem Sinne, dem z. B. § 226
und 826 BGB. Ausdruck verleihen. Das Geſetz
ſtellt das Intereſſe der Waldwirtſchaft obenan; die
Aufforſtung, die Erhaltung des Waldes iſt das
Ziel; der Waldeigentümer muß aufforſten; unter⸗
läßt er es, wird er geſtraft und das Forſtamt
forſtet auf ſeine Koſten auf (Art. 41, 42, 77 ForſtG.).
Für eine „Willkür“ bleibt ſomit kaum ein Spiel⸗
raum (ſiehe dazu 8 2 Abſ. III, 8 3 Abſ. I der
. vom 18. Juli 1896 zum Forſt⸗
geſetz).
Eine ſolche Beſchränkung ſcheint fur den Dienſt⸗
barkeitsberechtigten hart, bei näherem Zuſehen iſt
ſie es nicht. Triebrechte und auch Fahrtrechte
werden ſelten ausgeübt, ſind auf gewiſſe Zeiten
und Gelegenheiten beſchränkt. Die Ausübung des
Triebrechts, beſonders, wie es häufig gemacht wird,
kreuz und quer durch den Wald, würde den Wald⸗
eigentümer hindern, für den Waldnachwuchs zu
ſorgen; mit der Zeit müßte das Waldgrundſtück
eine Oedung werden, denn die Sämlinge und Setz⸗
linge würden zertreten, und nur Baumkrüppel könnten
durchkommen; gerade das will Art. 92 Ziff. 1
ForſtG. verhüten.
Das Forſtgeſetz iſt nicht ſo unbillig, wie es
eingeſchätzt zu werden ſcheint. Sowohl der In⸗
haber des Trieb: oder Fahrtrechtes wie der Waldeigen⸗
tümer können fid) nach Art. 23 Abſ. II, 25 Forft®.
(dazu 8 2 Abſ. Vu. X, 8 3 Abf. III u. X der Voll⸗
zugsvorſchriften) an die Forſtpolizeibehörden wenden,
dieſe werden möglichſt im Wege der Herbeiführung
eines Abkommens unter den Parteien das Trieb: oder
Fahrtrecht „beſchränken“, wohl einen beſtimmten
Trieb⸗ oder Fahrtweg frei halten und den Be⸗
rechtigten auf dieſen Weg verweiſen. Dazu wird
umſomehr Anlaß beſtehen, als nach Ablauf der
Schutzfriſt von höchſtens 6 Jahren der junge Wald
ſchon ſo herangewachſen ſein kann, daß das Vieh
ſich ſcheut hinzutreten und deshalb das Oeffnen
einer Gaſſe notwendig wird und mit Hilfe der
Gerichte erzwungen werden kann, um das Trieb⸗
oder Fahrtrecht ausüben zu können. Bei ver⸗
ſtändiger Haltung erleidet der Dienſtbarkeitsbe⸗
rechtigte, wenn überhaupt Schaden, ſo jedenfalls
keinen erheblichen Schaden; die Verſagung der Ein-
willigung zur Rodung nach Art. 34 Ziff. 3 ForſtG.
gibt ihm ein Mittel in die Hand, um einen hals⸗
ſtarrigen Waldeigentümer ſeinen Wünſchen willfährig
zu machen.
Ergebnis: Die bisherige Rechtſprechung, die das
Betreten einer Forſtkultur unter 6 Jahren mit
Pferden und Vieh überhaupt verbietet, widerſpricht
nicht reichsrechtlichen Beſtimmungen, wird vielmehr
dem Sinne des Forſtgeſetzes, dem Zwecke der Wald—
wirtſchaft und dem berechtigten Intereſſe der Be⸗
teiligten gerecht.
321
Kleine Nitteilungen.
Einiges über Vollſtreckungsklanſeln der Notare. Die
Vollſtreckungsklauſeln der Notare geben nicht ſelten
Anlaß zu ſchwierigen Rechtsfragen. Da ſich dies
durch Genauigkeit bei der Erteilung von Vollſtreckungs⸗
klauſeln leicht vermeiden läßt und eine glatte und von
Rechtszweifeln freie Erledigung der Geſchäfte im
Intereſſe aller Beteiligten liegt, möchte ich auf die
hauptſächlichen vorkommenden Mängel kurz hinweiſen.
1. Die Vollſtreckungsklauſel hat nach 8 725 ZPO.
zu lauten: „Vorſtehende Ausfertigung wird dem N. N.
zum Zwecke der Zwangsvollſtreckung erteilt“; dieſe
Worte, denen natürlich je nach Lage des Falles mehr
oder weniger ergänzende Zuſätze beigefügt werden
müſſen, gelten als der unabänderliche Inhalt jeder
Vollſtreckungsklauſel. Trotzdem weichen die Notare,
beſonders bei Erteilung von Klauſeln nach 88 726 u.
727 3PO., von dem ein für allemal feſtgeſtellten Wort⸗
laut nicht ſelten ab. Von anſcheinenden Schreibfehlern
wie z. B. „zum Zwecke der Zwangs verſteigerung
erteilt“ will ich abſehen; es kommen auch ſonſt Un⸗
genauigkeiten vor: bald heißt es „Vorſtehende Aus⸗
fertigung wird nunmehr gegen X. erteilt“ (fehlen die
Worte „zum Zweck der Zwangsvollſtreckung“); bald
kann man leſen: „Vorſtehende Vollſtreckungsklauſel
wird hiemit auf den V. umgeſtellt“, bald: „Vor⸗
ſtehende Vollſtreckungsklauſel gilt nunmehr auch für
das Kapital“, bald’): „Vorſtehende Ausfertigung wird
nunmehr auch hinſichtlich des Kapitals für vollſtreckbar
erklärt“. (Weitere hiemit verwandte Fälle fiehe in Nr. 5).
In allen dieſen Fällen wird der Vollſtreckungs⸗
richter vor die Frage geſtellt, ob er die Klauſel gelten
laſſen ſoll oder nicht. Läßt er ſie nicht gelten, ſo hat
er nicht ſelten das Gefühl, übertrieben formal gehandelt
und dadurch den Beteiligten unnötige Schwierigkeiten
gemacht zu haben; läßt er ſie gelten, ſo läuft er Ge⸗
fahr, daß hinterher die Zwangsvollſtreckung für un⸗
wirkſam erklärt wird; in der Regel wird er ſich alſo für
den „Formalismus“ entſcheiden und den Vollſtreckungs⸗
titel zur Berichtigung der Klauſel zurückgeben.
2. Der nach 8 795 ZPO. für notarielle Urkunden
entſprechend anwendbare 8 726 ZPO. ſchreibt vor,
daß von Urteilen (hier: notariellen Schuldurkunden),
deren Vollſtreckung nach ihrem Inhalt von dem durch
den Gläubiger zu beweiſenden Eintritt einer anderen
Tatſache als einer dem Gläubiger obliegenden Sicher⸗
heitsleiſtung abhängt, eine vollſtreckbare Ausfertigung
nur dann erteilt werden darf, wenn der Beweis durch
öffentliche oder öffentlich⸗ beglaubigte Urkunden geführt
wird. Gegen dieſe Vorſchrift wird von den Notaren
manchmal verſtoßen:
Wurde beiſpielsweiſe eine Schuldurkunde am
1. April 1913 errichtet und darin vereinbart, daß die
Zinſen jeweils am 1. April zu entrichten ſind und
das Kapital bei Baugeldaufnahme, ſpäteſtens aber am
1. April 1916 fällig ſein ſoll, ſo kann man nicht ſelten
die ſchon nach wenigen Tagen erteilte Vollſtreckungs⸗
klauſel finden: „Vorſtehende Ausfertigung wird dem
N. N. zum Zweck der Zwangsvollſtreckung erteilt“,
während es richtig nur heißen dürfte: „Vorſtehende
Ausfertigung wird dem N. N. zum Zweck der Zwangs⸗
vollſtreckung hinſichtlich der jeweils fälligen Zinſen
) In Een unverkennbaren Anklang an die
bayeriſche landes rechtliche Vollſtreckungsklauſel der
Verwaltungs behörden (Art. 6 AG. ZPO.).
322
.
und ab 1. April 1916 auch hinſichtlich des Kapitals
erteilt“ und eine ſchon vor dem 1. April 1916 wirk⸗
ſame Klauſel auf das Kapital nur dann hergegeben
werden dürfte, wenn die Tatſache der Baugeldauf⸗
nahme durch öffentliche oder öffentlich⸗ beglaubigte Urs
kunden nachgewieſen wird.
Wird in einer Schuldurkunde vereinbart, daß die
Schuldſumme bei Zinsrückſtand ſofort fällig wird, im
übrigen aber erſt nach halbjähriger Kündigung zurück⸗
bezahlt werden muß, ſo kann man ebenfalls nicht ſelten
einer vollſtändig unbeſchränkten Klauſel begegnen, ob⸗
gleich 8 726 ohne den durch öfſentliche oder öffentlich⸗
beglaubigte Urkunden geführten Nachweis der Kün⸗
digung eine Vollſtreckungsklauſel auf das Kapital
zweifellos nur inſoweit geſtattet, als der Fälligkeits⸗
grund der nicht⸗pünktlichen Zinszahlung in Frage
kommt, was in der Klauſel zum Ausdruck kommen
müßte.
In einem kürzlich vorgekommenen Falle hatte ſich
eine Hypothekenbank bei der Hypothekbeſtellung die
Geltendmachung der ſofortigen Fälligkeit eines Annui⸗
tätenkapitals vorbehalten, „wenn ein dem Schuldner
gehöriges Grundſtück zum Zweck der Zwangsver⸗
ſteigerung oder Zwangsverwaltung beſchlagnahmt oder
wenn auch nur ein ſolches Beſchlagnahmeverfahren
eingeleitet wird“. Nachdem die Bank angeſichts eines
Annuitätenrückſtands im Schoße ihrer Direktion be⸗
ſchloſſen hatte, gegen den Schuldner mit Zwangsvoll⸗
ſtreckung vorzugehen, beantragte ſie unter Berufung
auf jene Vertragsbeſtimmung die Erteilung einer Voll⸗
ſtreckungsklauſel auf das Kapital. Der Notar erteilte
die Klauſel — bloß auf Grund der Tatſache, daß ihm
die Bank mitgeteilt hatte, daß ſie das Zwangsver⸗
ſteigerungsverfahren wegen rückſtändiger Annuitäten⸗
beträge eingeleitet habe; er hätte dies m. E. ohne den
in öffentlicher Form geführten Nachweis der Richtig⸗
keit dieſer Behauptung nicht tun dürfen; der Nachweis
wäre allerdings in dieſem Zeitpunkt wohl kaum er⸗
bringbar geweſen, weil die Bank bei Erteilung der
Vollſtreckungsklauſel noch keinen Beſchlagnahmeantrag
bei Gericht eingereicht hatte; (der Fall wurde dann in
der Weiſe erledigt, daß die Bank zunächſt die Beſchlag⸗
nahme wegen der rückſtändigen Annuitätenrate erwirkte,
ſich dann auf Grund des hiermit geführten Nachweiſes
der Beſchlagnahme eine neue Klauſel auf das Kapital
erteilen ließ und dann für das Kapital ihre Zulaſſung
zum Beitritt beantragte).
3. Wo die Notare das Vorliegen der Voraus⸗
ſetzungen des 8 726 erkennen und deshalb die Voll⸗
ſtreckungsklauſel erſt erteilen, wenn ihnen der erfor⸗
derliche Nachweis durch öffentliche oder öffentlich⸗
beglaubigte Urkunden geführt wird, desgleichen in dem
ganz gleichartig gelagerten Fall der Erteilung einer
Rechtsnachfolgeklauſel nach S 727 ZPO., kann man
nicht ſelten beobachten, daß der Notar als Ziffer I
eine umfangreiche Feſtſtellung bringt, die den geſamten
einſchlägigen Inhalt der vorgelegten öffentlichen Urs
kunde wiedergibt und dann in einer nachfolgenden
Ziff. II die Vollſtreckungsklauſel nicht auf Grund der
ihm vorgelegten öffentlichen Urkunde ſelbſt, ſondern
auf Grund ſeiner vorausgegangenen Feſtſtellung er—
teilt. Ich bin mir nicht klar, ob dieſes Verfahren
auf eine Ungenauigkeit des Ausdrucks zurückzuführen
iſt oder auf das Beſtreben, dem Gläubiger die in
8 750 Abſ. 2 3PPO. vorgeſchriebene Zuſtellung der
öffentlichen Urkunde zu erſparen, wobei dann das ge
ſchilderte Verfahren auf dem Gedankengang beruhen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
würde, daß als die der Klauſelerteilung zugrunde
liegende öffentliche Urkunde eben nicht mehr die dem
Notar vorgelegte Urkunde, ſondern die der Voll⸗
ſtreckungsklauſel vorausgeſchickte Feſtſtellung zu
betrachten ſei. Ich will über dieſe Rechtsmeinung,
die den Bedürfniſſen des Verkehrs ja ſicherlich ent⸗
gegenkommen würde, nicht unbedingt den Stab brechen:
daß ſie aber zum mindeſten ſehr anfechtbar iſt, kann
wohl keinem Zweifel unterliegen; die Notare haben
denn auch mit dieſer Praxis beim Münchener Voll⸗
ſtreckungsgericht bisher wenig Gegenliebe gefunden.
4.) Hat eine Frauensperſon nach Errichtung der
Schuldurkunde ohne Abſchluß eines Ehevertrags ge⸗
heiratet oder iſt eine Rechtsnachfolgeklauſel gegen eine im
geſetzlichen Güterſtand lebende ſchuldneriſche Ehefrau
zu erteilen, ſo wird ſehr häufig überſehen, daß in das
eingebrachte Gut nur vollſtreckt werden kann, wenn
ein Duldungstitel gegen den Ehemann vorliegt. Gibt
man dann dem Gläubiger den Vollſtreckungstitel zur
Beibringung der Duldungsklauſel zurück, ſo beſchreitet
er faſt regelmäßig den koſtſpieligen und umſtändlichen
Weg der Duldungsklage oder der Erwirkung eines
vollſtändig neuen notariellen Duldungstitels gegen den
| Ehemann, obwohl 8 742 ZPO. ermöglichen würde,
— . “—bß˙—̃ ——tʃÜ 2 ——— dZ..kükͤ̃ĩ——x ˙ ———ͤ ˙Ü!——:1̃ꝛ3·ĩÜĩAͥM̃ ̃ ꝶ iE ͤ—ůů3ßsðA.2 2 6P24ln'kk(k.mw(w— 5§.k(ü1łf¹vx0ß8ßößr] — — — mn
den Vollſtreckungstitel einfach in der Weiſe zu ergänzen,
daß man der ſchon vorhandenen, gegen die Ehefrau
gerichteten Vollſtreckungsklauſel noch eine weitere
Klauſel gegen den Ehemann anfügt des Wortlauts:
„Vorſtehende Ausfertigung wird dem N. N. auch zum
Zweck der Zwangsvollſtreckung in das eingebrachte Gut
der Schuldnerin gegen den zur Duldung der Voll⸗
ſtreckung verpflichteten Ehemann X als Duldungs⸗
ſchuldner erteilt.“) Dieſes einfache und billige Vers
fahren wird häufig ſelbſt dann nicht eingeſchlagen,
wenn der Richter in der Aufforderung zum Nach⸗
bringen der fehlenden Duldungsklauſel ausdrücklich
darauf hinweiſt, daß 8 742 ZPO. in Frage kommt;
in einigen Fällen dieſer Art habe ich durch Befragen
des Gläubigers erfahren, daß ſich der Notar ſogar
ausdrücklich geweigert hat, eine Klauſel dieſer Art zu
erteilen, weil er 8 742 ZPO. nicht für anwendbar hielt.
Dieſe m. E. irrige Anſicht beruht offenbar darauf,
daß 8 742 ZPO. nur von Rechtsſtreiten und Urteilen
ſpricht; er iſt aber gemäß 8 795 ZPO. für notarielle
Schuldurkunden entſprechend anwendbar und hätte
hiefür mutatis mutandis etwa folgendermaßen zu
lauten: „Iſt der Güterſtand der Verwaltung und Nutz⸗
nießung erſt eingetreten, nachdem die Ebe⸗
frau Berechtigte oder Verpflichtete aus einer notariellen
Schuldurkunde geworden iſt, fo finden auf die Erteis
lung einer in Anſehung des eingebrachten Gutes der
Ehefrau vollſtreckbaren Ausfertigung der Urkunde für
) Die nachſtehenden Ausführungen behandeln nur
den Fall des geſetzlichen Güterſtandes, gelten aber,
wie § 742 3PO. erſehen läßt, mutatis mutandis auch
für die übrigen Güterſtände.
) Geht die Tatſache der Verehelichung und damit
die Duldungsrechtsnachfolge des Mannes nicht aus
dem Grundbuch hervor, ſo wird dieſe Klauſel allerdings
nur erteilt werden können, wenn die Verehelichung
durch öffentliche Urkunden (Heiratsurkunde) nad:
gewieſen wird oder ſonſtwie offenkundig iſt; die öffent—
liche Urkunde oder die Offenkundigkeit iſt dann in der
Klauſel zu erwähnen und die öffentliche Urkunde vor
Beginn der Vollſtreckung zuzuſtellen (SS 727, 750 Abſ. 2
35d.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
oder gegen den Ehemann die Vorſchriften der 88 727,
730 — 732 entſprechende Anwendung.“
Nur iſt allerdings zuzugeben, daß ſich auch bei
dieſem Wortlaut über die Anwendbarkeit des 8 742
wenigſtens dann ſtreiten läßt, wenn die Frau bei Ein⸗
tritt der Rechtsnachfolge bereits verheiratet iſt.
Dieſe Streitfrage iſt aber für den bayeriſchen Prak⸗
tiker dadurch gelöſt, daß ſich das Oberſte Landesgericht
in ſeinem Rechtsgutachten vom 20. Oktober 1909 (abge⸗
druckt im JMBl. S. 511) auf den Standpunkt geſtellt
hat, daß im Falle des 8 800 ZPO. und der Art. 127,
128 AG. ZPO. „der Mann mit dem Eintritte des
Grundſtücks in das güterrechtliche Verhältnis in An⸗
ſehung der ſich aus dieſem Verhältnis ergebenden
Rechte mithaftender Rechtsnachfolger der Frau“ wird,
und dann ſpäter ausdrücklich erklärt, daß 8 742 (ent⸗
ſprechende) Anwendung findet, „wenn die Frau die
Hypothek vor dem Eintritt des Güterſtandes beſtellt
oder das mit der Hypothekbelaſtete Grund-
ftüd vor dieſem Zeitpunkt oder während des Be⸗
ſtehens des Güterſtandes erworben bat“.
Hienach kann in allen dieſen Fällen ohne weiteres
eine Duldungsklauſel gegen den Ehemann erteilt
werden. Hat die Frau das mit der Hypothek belaſtete
Grundſtück erſt während des Beſtehens des Güter⸗
ſtandes erworben, ſo tut man ſelbſtverſtändlich gut,
bei Erteilung einer Rechtsnachfolgeklauſel die Klauſel
gegen den Mann mit der Klauſel gegen die Frau ſo⸗
gleich zu verbinden, ſo daß die Klauſel zu lauten hat:
„Auf Grund des Eintrags im Grundbuch wird vor⸗
ſtehende Ausfertigung dem N. N. nunmehr (in An⸗
ſehung der Hypothek) zum Zweck der Zwangsvoll⸗
ſtreckung gegen die Ehefrau X als nunmehrige grund⸗
buchmäßige Grundſtückseigentümerin und deren zur
Duldung der Zwangsvollſtreckung in das eingebrachte
9 F Ehemann X als Duldungsſchuldner
erteilt.“
5. Soweit im vorſtehend geſchilderten Falle die
Notare nachträglich eine Duldungsklauſel gegen den
Ehemann erteilten, habe ich mehrfach die ſchon in
Nr. 1 beſprochene Wahrnehmung gemacht, daß ſich die
Notare bei Erteilung der Klauſel nicht an die geſetz⸗
lich vorgeſchriebenen Worte halten. So habe ich ſchon
die „Duldungsklauſel“ geleſen: „Der Ehemann X iſt
zur Duldung der Zwangsvollſtreckung verpflichtet“
oder „Der Ehemann X hat die Zwangsvollſtreckung in
das eingebrachte Gut zu dulden“; dies ſind zweifellos
keine rechtsgültigen Vollſtreckungsklauſeln; denn jene
Worte enthalten nur eine Feſtſtellung des Rechtsver⸗
hältniſſes, auf deſſen Grundlage die Klauſel erſt zu
erteilen wäre.
Auch folgende „Duldungsklauſel“ iſt mir ſchon
begegnet: „Die Vollſtreckungsklauſel wird auf den zur
Duldung der Zwangsvollſtreckung verpflichteten Ehe⸗
mann X ausgedehnt“; gegen die Rechtsgültigkeit dieſer
Saffung beſtehen zum mindeſten ganz erhebliche Bes
enken.
6 Werden die Zins⸗ und Zahlungsbeſtimmungen
einer ſchon ſeit längerer Zeit beſtehenden notariellen
Schuldurkunde nachträglich geändert, ſo bedienen ſich
die Notare häufig nicht der Form der notariellen
Urkunde, ſondern der Unterſchriftsbeglaubigung, die
la zur Eintragung der neuen Zins- und Zahlungs⸗
beſtimmungen ins Grundbuch genügt. Dabei bedenken
ſie aber nicht, daß der Gläubiger auf dieſe Art keinen
Vollſtreckungstitel für die neuen Zins- und Zahlungs⸗
immungen erhält, und daß durch die neue Verein⸗
323
barung unter Umſtänden) ſogar der urſprüng⸗
liche Vollſtreckungstitel mehr oder weniger außer Kraft
geſetzt wird, mit der Wirkung, daß daraus zwar formell
auch fernerhin vollſtreckt werden kann, der Gläubiger
aber jederzeit der Gefahr der Vollſtreckungsgegenklage
nach 8 767 ZPO. ausgeſetzt iſt.
In einzelnen Fällen habe ich auch beobachtet, daß
der Notar auf Grund der in der notariell beglaubigten
Abänderungsurkunde vereinbarten Fälligkeit des
Kapitals zu der erſten Urkunde eine Vollſtreckungs⸗
klauſel auf das Kapital erteilte; dieſes Verfahren
halte ich nur für zuläſſig, wenn dieſer Fälligkeits⸗
grund ſchon in der erſten Urkunde vorgeſehen war
und durch die zweite nur ſein Eintritt feſtgeſtellt
werden ſollte, nicht aber dann, wenn durch das zweite
Schriftſtück ein völlig neuer Fälligkeitsgrund geſchaffen
wurde; denn es iſt wohl ſelbſtverſtändlich, daß aus
jedem Vollſtreckungstitel nur inſoweit vollſtreckt werden
kann, als der Inhalt des Titels ſelbſt die materielle
Grundlage für die Vollſtreckung bildet, nicht aber inſo⸗
weit, als dieſe Grundlage auf Verhältniſſen beruht,
die vollſtändig außerhalb des Vollſtreckungstitels
iegen.
In allen dieſen Fällen empfiehlt es ſich alſo
dringend, die Zins⸗ und Zahlungsbeſtimmungen in
Form der notariellen Schuldurkunde mit Unterwerfung
unter die ſofortige Zwangsvollſtreckung abzuändern
und dann die Vollſtreckung auf Grund einer voll⸗
ſtreckbaren Ausfertigung dieſer notariellen Abände⸗
rung s urkunde (je nachdem in Verbindung mit der
vollſtreckbaren Ausfertigung der erſten Urkunde) zu
betreiben. a
Amtsrichter Dittrich in München.
Aus der Nechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
1
59 335 f., 342 G.; ſtille Seſellſchaft oder Dar:
lehensvertrag? Auch Sicherungsübereinuung kaun als
„Rückgewähr“ angeſehen werden; & 342 98. trifft aber
nur eine ſchon in das Vermögen des Geſchäftsinhabers über:
gegangene Einlage, die au ſich dem Zugriff der Gläubiger
ungehindert oſſenſtand und durch Herandnahme dem
Geſchäft wieder entzogen wird. Wenn eine Einlage erſt nach
der Sicherung erfolgt, fo kann von einer Verſchlechterung
des Vermögensſtandes der Gläubiger überhaupt nicht die
Rede fein; eine Vereinbarung im Geſellſchaftsvertrag
ſelbſt fällt nicht unter $ 342. Auf eine Zeitungsanzeige
des Gemeinſchuldners R., er ſuche für ſein Geſchäft einen
Teilhaber, meldete ſich der Kläger. Am 7. Oktober
1911 ſchloſſen beide einen ſchriftlichen Vertrag, nach
welchem der Kläger als „Stiller Teilhaber“ mit 20 000 M
in die Firma F. R. eintrat. Nachdem ihm als Sicher:
heit auf einem Grundſtücke der Frau R. eine Hypothek
am 13. Oktober 1911 beſtellt war, zahlte der Kläger
am 17. Oktober 1911 die erſte Hälfte der Einlage mit
10 000 M. In Ziff. 6 des Vertrages vom 7. Oktober
1911 war beſtimmt: „Als weitere Sicherung werden
) Insbeſondere ſtets dann, wenn und inſoweit
und inſolange die neue Vereinbarung dem Schuldner
günſtiger iſt als die alte.
324
Herrn U. die Maſchinen, Werkzeuge und Warenvorräte
verpfändet.“ Dieſe Zuſage wurde damals nicht voll⸗
zogen. Erſucht, auch die zweiten 10000 M zu zahlen,
äußerte der Kläger am 23. Oktober 1911 Bedenken, da
das Geſchäft nicht ſo günſtig ſtehe, wie R. es geſchildert
habe. Darauf kam es am 3. November 1911 zwiſchen
beiden zu einem weiteren Vertrage „über eine ſtille
Geſellſchaft'“. Die Einlage wurde darin wieder auf
20 000 M feſtgeſetzt; außerdem hatte er für die Leitung
des kaufmänniſchen Teiles des Geſchäfts 300 M monat⸗
lich zu beziehen. In Ziff. VI bis VIII wurden dem
Kläger weitere Sicherheiten gewährt, teils von R. ſelbſt,
teils von ſeiner Frau, und zwar ſowohl wegen der
Einlage, wie wegen der Gehalts- und etwaigen ſonſtigen
Anſprüche; die Maſchinen, Werkzeuge und Warenvor⸗
räte wurden ihm zur Sicherung zu Eigentum über⸗
tragen, ebenſo Außenſtände. Nach der Eigentumsüber⸗
tragung zahlte der Kläger von den zweiten 10 000 M
am 3. November 1911 1500 M, am 8. November weitere
2200 M, am 9. November die letzten 6300 M. Kurz
nach dem 9. November 1911 kündigte der Kläger das
Geſellſchaftsverhältnis auf fofort, weil R. Außenſtände
rechtswidrig eingezogen habe. R. ſoll nicht widerſprochen
haben. Am 19. Dezember 1911 geriet R. in Konkurs,
am 24. November 1912 auch ſeine Frau. Mit der Klage
hat der Kläger vom Konkursverwalter des Ehemanns
verlangt, daß er wegen der Einlage von 20000 M
und wegen 150 M Gehalt die abgeſonderte Befriedigung
aus beſtimmten Gegenſtänden und Außenſtänden dulde.
Der Konkursverwalter hat widerſprochen. Das LG.
wies die Klage ab. Das OLG. verwarf die Berufung.
Die Reviſion hatte Erfolg.
Aus den Gründen: 1. Die Reviſion wendet
ſich gegen die Annahme, daß eine ſtille Geſellſchaft
i. S. der 88 335 ff. HGB. beſtanden habe. Gewiſſe Be⸗
denken beſtehen allerdings. Die Vereinbarung einer
Beteiligung des Klägers am Geſchäftsgewinn findet
das LG. in der Beſtimmung des Vertrags vom 7. Ol:
tober 1911 zu Ziff. 2: „Das Einlagekapital wird mit
10% für das Jahr verzinſt. Die Zinſen können in
vierteljährigen Teilbeträgen erhoben werden.“ Es
faßt dieſe Abmachung dahin auf, daß die Gewinnbe—
teiligung mit einem Höchſtbetrage habe feſtgeſetzt, der
Kläger andererſeits von der Teilnahme am Verluſt
habe ausgeſchloſſen ſein ſollen. Daß die Vertrags—
ſchließenden die 10% als Höchſtgewinnanteil, nicht als
Darlehenszinſen hätten aufgefaßt wiſſen wollen, gehe
aus der Höhe des Zinsfſußes hervor, denn 10% feien
für ein Darlehen im Geſchäftsverkehr nicht üblich, wohl
aber habe der Kläger nach den ihm gemachten Schilde—
rungen von dem glänzenden Stande des Geſchäfts an—
nehmen können, daß ein Gewinnanteil von 2000 M
angemeſſen ſei; von einem Darlehen ſei keine Rede
geweſen. Nun hatte aber der Kläger Beweis dafür
angetreten, daß R. bei dieſen Verhandlungen aus—
drücklich erklärt habe, das Einlagekapital des Klägers
müſſe vorerſt noch als Darlehen betrachtet werden, in
das Geſchaft könne er erſt ſpäter eintreten. Die an=
gebotenen Beweiſe hätten erhoben werden müſſen, zu—
mal da der Standpunkt des Klägers eine gewiſſe Stütze
darin fand, daß die Zinſen in viertel jährlichen Raten
zu zahlen waren, ehe noch feſtſtand, ob überhaupt ein
Gewinn in dem Geſchäftsjahre erzielt wurde und wie
groß er war. Sollte aber auch zwiſchen R. und dem
Kläger eine ſtille Geſellſchaft beſtanden haben, fo beruht
doch die weitere Entſcheidung des BG. auf einer Ver—
kennung des $ 342 HGB. Dort gewährt das Geſetz
dem Konkursverwalter das Recht, die Rückgewähr der
Einlage des ſtillen Geſellſchafters anzufechten, wenn
fie auf Grund einer im letzten Jahre vor Konkurser—
öffnung zwiſchen dem Inhaber des Handelsgeſchäftes
und dem ſtillen Geſellſchafter getroffenen Vereinbarung
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
erfolgt iſt. Der Anſicht des B., daß auch eine Siche-
rungsübereignung Rückgewähr der Einlage ſein könne,
ſtehen rechtliche Bedenken an ſich nicht entgegen. Sprach—
lich und logiſch kann aber niemand etwas zurückge⸗
währen, was er noch nicht hat, was ihm vielmehr erſt
in Ausſicht ſteht. Auch § 342 HGB. ſoll die Gläubiger
dagegen ſchützen, daß ihnen die in das Vermögen des
Geſchäftsinhabers übergegangene Einlage, die an ſich
ihrem Zugriffe ſchon offenſtand, durch Herausnahme
aus dem Geſchäft wieder entzogen wird, es ſei denn,
daß bei Vereinbarung der Rückgabe die Urſachen des
ſpäteren Vermögensverſalles noch nicht vorlagen. Hier⸗
nach hat der Berufungsrichter den 8 342 HG B. zunächſt
auf die zweiten vom Kläger gezahlten 10000 M und
ihre Sicherung erſichtlich zu Unrecht angewendet. Die
Sicherung erfolgte bezüglich eines Teilbetrages von
1500 M am 3. November 1911 Zug um Zug gegen die
eng. Der Reſt (8500 M) wurde am 8. und
November 1911 gezahlt, nachdem die Sicherung vom
3. November geleiſtet war, die der Kläger verlangt
hatte, ehe er überhaupt von den zweiten 10 000 M etwas
zahlte. Der Kläger hat alſo, was die zweiten 10 000 41
anlangt, keine Einlage geleiſtet, für die er ſich nach⸗
träglich zum Schaden der Gläubiger eine Sicherung
einräumen, die er ſich in dieſer Form zurückgewähren
ließ; er zahlte vielmehr gegen die Sicherung und un⸗
mittelbar nach ihr den Gegenwert in das Vermögen
des Gemeinſchuldners ein; von einer Verſchlechterung
des Vermögensſtandes zum Nachteil der Konkursgläu⸗
biger kann nicht die Rede ſein. .
Der Kläger war auch nicht etwa verpflichtet, die
zweiten 10 000 M ohne Sicherung einzulegen. Im Bers
hältnis zu R. ſchon deshalb nicht, weil dieſer ja mit
dem Vertrage vom 3. November 1911 die Vorſtellungen
des Klägers vom 23. Oktober 1911 als berechtigt an⸗
erkannte. Aber auch die Gläubiger hätten, wenn der
Konkurs vor dem 3. November 1911, alſo vor der
Sicherung der 10000 M ausgebrochen wäre, nicht die
zweiten 10 000 M als rückſtändige Einlage zur Maſſe
fordern können. Das ergibt ſich ohne weiteres aus
8 341 Abſ. 2 HGB., wonach der ſtille Geſellſchafter die
rückſtändige Einlage bis zu dem Betrage zur Konkurs-
maſſe einzuzahlen hat, der zur Deckung ſeines Anteils
am Verluſte erforderlich iſt. Das BG. ſtellt aber ſelbſt
feſt, daß der Kläger nach dem Geſellſchaftsvertrage am
Verluſte überhaupt nicht beteiligt ſein ſollte. Hiernach
iſt es unhaltbar, wenn das BG. für erwieſen erachtet,
daß der Kläger die zweiten 10000 M ohne Sicherung
einzulegen verpflichtet geweſen ſei; die gleichzeitige
Feſtſtellung, dieſe noch erſt zu zahlenden 10000 &
hätten zurückgewährt werden ſollen, enthält einen Wider⸗
ſpruch in ſich ſelbſt.
Aber auch hinſichtlich der erſten 10 000 M beruht
die Entſcheidung auf einer mißverſtändlichen Auslegung
des 8 342 HGB. Der Kläger hat dieſe erſten 10000
freilich ſchon am 17. Oktober 1911 gezahlt, alſo ſoweit
die am 3. November 1911 übereigneten Sachen in Be⸗
tracht kommen, aus denen der Kläger abgeſondert be:
friedigt ſein will, nicht gegen Sicherung oder nach
Sicherung, ſondern vor ihr. Sie waren alſo ſicherungs⸗
los dem Zugriffe der Gläubiger ausgeſetzt und, brach
der Konkurs aus, ſo ſtand der Kläger nicht anders da.
wie jeder einfache Konkursgläubiger. Hierin trat durch
die Uebereignung vom 3. November 1911 zum Schaden
der übrigen Gläubiger eine Veränderung ein und be
züglich dieſer 10000 A kann von einer Rückgewähr
i. S. des § 342 HGB. geſprochen werden. Eine andere
Frage aber iſt, ob die Rückgewähr auf Grund einer
Vereinbarung erfolgt iſt, wie das Geſetz ſie für die
beſondere Anfechtung aus § 342 HGB. fordert. Das
BG. prüft dieſe Frage nicht. Es begnügt ſich mit der
Feſtſtellung, daß die Bewilligung der Rückgewaͤhr dem
freien Willen des Gemeinſchuldners R. entſprochen und
der Kläger auf ſie weder einen vertraglichen noch einen
geſetzlichen Anſpruch gehabt habe. Wenn im letzteren
Punkt Gewicht darauf gelegt iſt, daß dem Kläger eine
Sicherungsübereignung keinesfalls vorher zugeſichert
geweſen jei, fo erledigt ſich dieſer Einwand mit dem
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914.
Hinweiſe, daß der Kläger nicht als Eigentümer, ſondern
nur wie ein Pfandgläubiger behandelt fein will. Daß
der Kläger am 3. November 1911 nicht ein Recht darauf
gehabt habe, wie ein Pfandgläubiger geſichert zu ſein,
iſt irrig. Dem BG. ſelbſt iſt die Beſtimmung des Ver⸗
trages vom 7. Oktober 1911 nicht entgangen, in der
es heißt: „Als weitere Sicherung werden Herrn U.
die Maſchinen, Werkzeuge und Warenvorräte ver⸗
pfändet.“ War auf der einen Seite nicht zu bezweifeln,
daß damit allein der Kläger noch kein Pfandrecht an
Maſchinen, Werkzeugen und Warenvorräten erwarb,
ſo war es ihm doch zugeſichert und in dieſem Umfange
war die nur Sicherungszwecken dienende Uebereignung
vom 3. November 1911 die Ausführung einer vorher
getroffenen Abmachung. Wäre dieſe Abmachung ge⸗
troffen worden, nachdem der Kläger auf Grund des Geſell⸗
ſchaftsvertrages die 10 000 M Einlage geleiſtet hatte, fo
hätte es dem Beklagten offengeſtanden, ſeine Anfechtun
auf 8 342 HGB. zu ſtützen, denn dann handelte es ch
in der Tat um eine Vereinbarung, die, dem Geſell⸗
ſchaftsvertrage folgend, darauf abzielte, dem ſtillen
Geſellſchafter für eine bereits geleiſtete Einlage nach⸗
träglich eine Sicherheit zu beſtellen. So lag der Fall
aber nicht. Der Kläger wollte ohne das Sicherungs⸗
verſprechen überhaupt nicht ſtiller Geſellſchafter werden,
er brauchte es auch nicht, ließ ſich daher von vorn⸗
herein im Geſellſchaftsvertrage ſelbſt die Verpfändung
verſprechen und zahlte erſt, nachdem ſie ihm verſprochen
war. Eine ſolche Vereinbarung fällt nicht unter 8 342
HGB., mag ſie auch im letzten Jahre vor der Konkurs⸗
eröffnung getroffen worden ſein. Sie kann, weil im Ge⸗
ſellſchafts vertrage und vor der Einlage getroffen, nicht
kraft geſetzlicher Vermutung den Zweck verfolgen, die
Einlage den Gläubigern zu entziehen, und damit ent⸗
fällt das Anwendungsgebiet dieſer Sonderbeſtimmung.
(Urt. d. II. 35. vom 1. Mai 1914, II 21/14). AH.
3404
II.
Berſchwendung i. S. des 5 6 Nr. 2 B88. kann auch
daun vorliegen, wenn ſich jemand durch nachläſſige Wirt:
ſchaft der Geſahr der Verarmung ansieht, ohne über:
mäßige Ausgaben Ei machen. Aus den Gründen:
Der Kläger, ein völlig arbeitsfähiger Mann in den beſten
Mannes jahren, war zur Zeit des Entmündigungsver⸗
fahrens Eigentümer einer landwirtſchaftlichen Stelle,
die er nicht lange vorher bei der Teilung des elterlichen
Nachlaſſes übernommen hatte. Dieſe ſeine Wirtſchaft
hat er nun längere Zeit hindurch völlig vernachläſſigt;
er hielt ſich öfters tage⸗ und wochenlang auswärts in
Wirtſchaften auf und fröhnte dabei ſeiner Leidenſchaft
zum Kegelſpiel. Wenn er zu Hauſe war, pflegte er an⸗
ſtatt zu arbeiten, in den Tag hinein zu ſchlaſen; er hat
die Ernte nicht eingebracht, ſondern auf dem Felde ver⸗
kommen laſſen, das Land nicht wieder beſtellt und keine
Saat eingebracht, ſo daß ſchon nach einem halben Jahre
die Zwangsverſteigerung ſeines Grundbeſitzes eingeleitet
wurde. Auf der anderen Seite hat er bei feinem Auf⸗
enthalt in den Wirtshäuſern keine großen Ausgaben
gemacht, vielmehr recht ſparſam gelebt. Die Reviſion
meint, es ſei unmöglich, einen Menſchen, der für ſeine
Perſon ſo ſparſam lebe und auch in anderer Richtung
keine übermäßigen Ausgaben mache, als Verſchwender
zu erklären; das widerſpreche dem Begriffe der Ver⸗
ſchwendung, wie er ſich aus dem Sprachgebrauch ergebe,
und das Geſetz wolle mit dem Worte Verſchwendung
keinen vom gewöhnlichen Sprachgebrauch abweichenden
Sinn verbinden, wie vom RG. ſchon ausdrücklich aus⸗
geſprochen worden ſei (JW. 1905 S. 166). Es mag
ſein, daß man beim Gebrauche des Wortes Verſchwender
im landläufigen Sinne an einen Mann denkt, der durch
übermäßige Ausgaben ſein Vermögen vertut, nicht an
einen ſolchen, der durch nachläſſige Wirtſchaft ſich der
Gefahr der Verarmung ausſetzt. Jedoch kann nicht
|
Nr. 16 u. 17. 325
zugegeben werden, daß dieſer Sprachgebrauch für die
Anwendung des 8 6 BGB. ausſchlaggebend iſt. Auf
das vorerwähnte Reichsgerichtsurteil kann ſich die Re⸗
viſion nicht berufen; dort iſt die Rede davon, daß das
Gewicht nicht auf das Vorliegen äußerlicher Merkmale
zu legen ſei, ſondern auf einen urſächlichen Zuſammen⸗
hang des unwirtſchaftlichen Verhaltens mit perſönlichen
Eigenſchaften des zu Entmündigenden. Nur in dieſem
Sinne wird dort auf den Sprachgebrauch verwieſen;
dagegen iſt keine Rede davon, von welcher Art die
äußeren Vorgänge ſein müſſen, in denen die Merk⸗
male der Verſchwendung zu erblicken ſind. Aus dem
gleichen Grunde iſt es verfehlt, wenn die Reviſion ſich
auf das bezeichnete Urteil und auf ein weiteres Urteil
des RG. (JW. 1906 S. 188) dafür berufen will, daß
die Feſtſtellung eines Hanges zu übermäßigen Aus⸗
gaben zu verlangen ſei. In beiden Fällen wird die
Notwendigkeit einer Feſtſtellung darüber betont, daß
ein Hang zu unwirtſchaftlichem Gebaren vorliege; daß
dabei von einem Hang zu Ausgaben geſprochen wird,
iſt lediglich darauf zurückzuführen, daß in den behandelten
Fällen eben übermäßige Ausgaben das Merkmal der
Verſchwendung bildeten. Dagegen ergibt ſich aus jenen
Urteilen nichts dafür, daß nicht auch ein in anderer
Richtung liegendes wirtſchaftliches Gebaren als Ver⸗
ſchwendung bezeichnet werden kann. Schon in früheren
Rechten war anerkannt, daß für die Frage der Ent⸗
mündigung der Begriff der Verſchwendung weiter zu
faſſen iſt als nach dem landläufigen Sprachgebrauch,
wie er ja übrigens auch dem Wortſinne nach ein das
„Verſchwinden“ des Vermögens herbeiführendes Ber:
halten, ohne e der Art und Weiſe, bedeutet.
Das ALR. ſagte in I. 1.830 ausdrücklich: „Verſchwender
ſind: welche durch unbeſonnene und unnütze Ausgaben
oder durch mutwillige Vernachläſſigung ihr Vermögen
beträchtlich vermindern“ .. . und Kochs, Kommentar
betont in Anm. 28 zu dieſem Paragraphen die Nichtüber⸗
einſtimmung der geſetzlichen Beſtimmung mit dem ge⸗
meinen Sprachgebrauche. Auch im Gemeinen Rechte
war der Begriff der Verſchwendung in der angegebenen
Richtung erweitert worden (RZ. Bd. 21 S. 169). An
dieſen Rechtszuſtand hat man bei Schaffung des BG.
angeknüpft: in § 29 Entw. I waren als Merkmale der
Verſchwendung verſchwenderiſche Lebensweiſe und ver⸗
ſchwenderiſche Geſchäftsführung angeführt, und in den
Motiven dazu wurde geſagt (S. 64), es ſei unerheblich,
ob das die wirtſchaftliche Exiſtenz bedrohende Gebaren
in unmäßigem Geldausgeben ... oder Vernachläſſigung
der Wirtſchaft beſtehe. In der Kommiſſion wurde dann
zwar beſchloſſen, die im Entwurf hervorgehobenen
Merkmale nicht in den Geſetzestext aufzunehmen, jedoch
ſind, ſoweit erſichtlich, Bedenken gegen die darin zu Tage
getretene Auffaſſung des Begriffes der Verſchwendung
nicht geäußert worden (Prot. I S. 72/73). Eine bei
den Verhandlungen im Reichstagsplenum gefallene
Aeußerung, wonach Vernachläſſigung der Wirtſchaft
zweifellos keine Verſchwendung ſei (übrigens aus
anderen Geſichtspunkten zur Entmündigung führen
könne), hat nirgends ausdrückliche Zuſtimmung, aber
vielfach Widerſpruch gefunden (Hölder in Anm. 6 zu 8 6,
Oertmann in Anm. 3 zu §6 BGB. Dernburg, Bürgerl.
Recht Bd. IJ § 64 Fußnote 5). Nach alledem liegt es
im Sinne der geltenden geſetzlichen Vorſchrift an dem
in den Motiven zum Ausdrucke gekommenen Gedanken
feſtzuhalten, daß auch die Vernachläſſigung der Wirt—
ſchaft als Verſchwendung angeſehen werden kann. Iſt
dies aber an ſich zuläſſig, ſo rechtfertigen hier die Um⸗
ſtände des Falles unbedenklich den Ausſpruch der Ent—
mündigung. Daß dieſem das Vorliegen einer ſpar—
ſamen perſönlichen Lebensweiſe nicht entgegenſteht, iſt
ſchon des öfteren ausgeſprochen worden (Recht 1908
Nr. 1319, Warneyer 1911 Nr. 314, 1913 Nr. 391). (Urt.
des IV. 3S. vom 14. Mai d. Js., IV 7001913). E.
3424
326
III.
Ausſchließzliche Zuſtändigkeit des Kaufmaunsgerichts.
Aus den Gründen: Die Klägerin macht gegen
den Beklagten, ihren früheren Handlungsgehilfen, einen
Anſpruch auf Schadenserſatz wegen nicht gehöriger Er⸗
füllung einer vertragsmäßigen Leiſtung aus dem Dienſt⸗
verhältniſſe geltend. Für dieſe Streitigkeit iſt nach
85 Nr. 4 in Verbindung mit Nr. 2 KGG. die Zus
ſtändigkeit des Kaufmannsgerichts begründet, es ſei
denn, daß der Jahresarbeitsverdienſt des Beklagten
bei der Klägerin den Betrag von 5000 M überſtiegen
hat (8 4 Geſ.). Da die Vorinſtanzen die Beſtim⸗
mungen des KGG. in ihren Entſcheidungen nicht beachtet
und die Höhe des Arbeitsverdienſtes nicht feſtgeſtellt
haben, iſt das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Sache zu dieſer Feſtſtellung an das BG. zurückzuver⸗
weiſen. Daß der Beklagte die Unzuſtändigkeit der
ordentlichen Gerichte nicht geltendgemacht hat, iſt un⸗
erheblich, denn die Zuſtändigkeit der Kaufmannsgerichte
iſt nach 8 6 Gef. eine ausſchließliche und daher von
Amts wegen zu beachten. Aus demſelben Grunde iſt
es auch ohne Bedeutung, daß der Beklagte bisher keine
Angaben über die Höhe feines Jahresverdienſtes ges
macht hat. Die Parteien ſind nicht befugt, durch aus⸗
drückliche oder ſtillſchweigende Erklärungen eine Rechts⸗
ſtreitigkeit der ausſchließlichen Zuſtändigkeit des Kauf⸗
mannsgerichts zu entziehen. (Urt. des III. ZS. vom
19. Mai 1914 III 94/14). — A —
3418
B. Straffaden.
I
Der Borſatz i. S. des 5 1492 NBD.; muß er ſchen
zur Zeit der Lohmabzüge vorhanden ſein? Aus den
Gründen: Der Angeklagte räumt ein, 25 von ihm bes
ſchäftigten Arbeitern über ein Jahr lang, bis zur Er⸗
öffnung des Konkurſes über ſein Vermögen, die Bei⸗
träge für die Invaliden⸗ und Altersverſicherung im
Geſamtbetrage von 140.40 M vom Lohne abgezogen
und nicht für die Verſicherung verwendet zu haben;
gleichwohl wurde er von der Anklage aus S 1402 RVO.
freigeſprochen, weil ihm nicht nachgewieſen werden könne,
daß er, wie das Geſetz fordere, den Vorſatz gehabt
habe, die den Arbeitern abgezogenen Beiträge über—
haupt nicht zur Markenklebung zu verwenden. Er hatte
vorgebracht, er habe es immer ſo gehalten, daß er nur
Marken geklebt habe, wenn ein Verſicherungsbeamter
zur Prüfung der Quittungskarten angemeldet worden
ſei oder ein Arbeiter gekündigt habe; ſo habe er es
auch bei den hier in Rede ſtehenden Arbeitern machen
wollen und ſei daran nur durch die Konkurseröffnung
verhindert worden; das ſcheint das Gericht als nicht
widerlegt dem Urteile zugrunde gelegt zu haben. Es
ſieht nur die ins 1488 RO. mit Ordnungsſtrafe be—
drohte nicht rechtzeitige Verwendung als gegeben an,
weil der Angeklagte die Abſicht gehabt habe, ſpäter
die Beiträge zu entrichten. Tatſächlich hat er aber die
Beitragsteile nicht nur nicht rechtzeitig, ſondern über—
haupt nicht zur Verſicherung verwendet, er iſt, wie er
unwiderlegt behauptet, durch die Konkurseröffnung an
der Verwendung verhindert worden. Das ſoll offenbar
heißen, er habe die Verwendung entgegen ſeiner ur—
ſprünglichen Abſicht unterlaſſen, weil er ſchließlich die
erforderlichen Mittel nicht beſeſſen habe. Die auf Mangel
an Mitteln beruhende Unfahigkeit des Arbeitgebers,
die Pflicht zur Verwendung der Lohnabzüge für die
Verſicherung zu erfüllen, kann die Nichtverwendung
nicht ohne weiteres entſchuldigen, und zwar jedenfalls
dann nicht, wenn er ſie vorhergeſehen hat, wenn er
ſchon, als er die Lahnabzüge machte, gewußt hat, daß
er mangels der erforderlichen Mittel ſie nicht zu Ver—
ſicherungszwecken verwenden könne (Entſch. Bd. 25
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
.
— —— ... ————ů ů ———ͤů—8ĩ;˙s ðöÜãß˙⸗»rang —
— —e Be
S. 104 [105], S. 194 [195), Bd. 30 S. 161 [162], Bd. 40
S. 115 [116], S. 235 [237]). Er hat dann den Lohn⸗
abzug mit dem Bewußtſein der Notwendigkeit des rechts⸗
widrigen Erfolges gemacht, daß die Verwendung
für die Verſicherung unterblieb, und den in § 14
RVO. geforderten Vorſatz gehabt, mag er auch nicht
die Abſicht gehabt haben, die abgezogenen Beiträge
„überhaupt nicht“ zum Markenkleben zu verwenden,
ſondern beabſichtigt haben, ſpäter, wenn er dazu im⸗
ſtande ſein würde, wenn ſich ſeine Verhältniſſe beſſern
würden, ſeine Verpflichtung zu erfüllen, in der unbe⸗
ſtimmten Hoffnung, daß er das Verſaͤumte werde nach⸗
holen können. Denn trotz ſolcher Hoffnung weiß er, daß
er nach den gegebenen Verhältniſſen die Beitragsteile
nicht nach Vorſchrift des Geſetzes verwenden kann, und der
Arbeitgeber, der das weiß, darf keine Lohnabzüge machen
und iſt nach 8 1492 RVO. ſtrafbar, wenn er fie trotz⸗
dem gemacht hat und dann nicht zur Verſicherung be⸗
nutzen kann. Das iſt in Entſch. Bd. 25 S. 104, 194,
Bd. 28 S. 5 (6), Bd. 30 S. 161, Bd. 40 S. 115 (116)
S. 235 für 8 82 b Krank Verſcg. anerkannt, der die Ab⸗
ſicht forderte, ſich einen rechtswidrigen Bermögensvorteil
zu verſchaffen oder die Krankenkaſſe zu ſchädigen, und
muß für $ 1492 RVO. um ſo unbedenklicher gelten, als
dieſe Abſicht hier nicht mehr gefordert wird, ſondern
nur noch die vorſätzliche Nichtverwendung vom Lohne
abgezogener Beitragsteile für die Verſicherung. Wie
überall, wo das Strafgeſetz Vorſatz des Täters fordert
(Entſch. Bd. 30 S. 270, 273), ſo genügt es auch für den
inneren Tatbeſtand des 8 1492 RBO., wenn der Arbeit
geber den Erfolg nicht mit Beſtimmtheit vorhergeſehen,
ſondern nur als möglich erkannt, trotzdem aber in ſeinen
Willen aufgenommen hat und mit der Verwirklichung
auch dieſer Möglichkeit einverſtanden geweſen iſt (ſogen.
Eventual- oder bedingter Vorſatz). Auch das iſt in
Entſch. Bd. 25 S. 104 (105 / 106), S. 194 (195), Bd. 2
S. 254 (255) zur Erfüllung des inneren Tatbeſtandes
des $ 82b Kr. für ausreichend erachtet worden.
Die in Entſch. Bd. 28 S. 5 (6) unter Hinweis auf
Entſch. Bd. 24 S. 7, Bd. 27 S. 217, 241 dagegen er⸗
hobenen Bedenken können gegen die entſprechende Aus⸗
legung des 8 1492 RVO. jedenfalls nicht geltend ge⸗
macht werden, da hier nicht mehr Abſicht, ſondern nur noch
Vorſatz des Arbeitgebers vorausgeſetzt wird. Die Be:
gründung zum Entwurf der RBO. (Reichst. 12. L Per.
II. Seſſ. 1909 1910 Nr. 340 Anl.) ſieht allerdings S. 135
zu S 1474 darin anſcheinend keine Aenderung des bis⸗
herigen Geſetzes ($ 182 Abſ. 2 Inb Verſc.), da bei Vor⸗
ſatz ohne weiteres auf die Abſicht auf einen rechts⸗
widrigen Vermögensvorteil oder eine Schädigung der
Verſicherungsanſtalt oder der Verſicherten geſchloſſen
werden könne. Ob dem beizutreten iſt, kann hier uner⸗
örtert bleiben; es genügt, daß das Geſetz nicht mehr
Abſicht, ſondern Vorſatz des Arbeitgebers verlangt, um
auch einen bedingten Vorſatz zur Erfüllung des inneren
Tatbeſtands als ausreichend erſcheinen zu laſſen. Auch
aus dieſem Grunde iſt die Annahme unrichtig, 8 14
RVO. fee voraus, daß der Arbeitgeber den Borlag
habe, die den Arbeitern vom Lohne abgezogenen Bei:
träge „überhaupt nicht“ zur Markenklebung zu ver⸗
wenden. Unrichtig wäre es ferner, wenn das LG., wie
die Gründe nahe legen, angenommen hätte, der Vorſaz
müſſe dem Arbeitgeber ſchon zu der Zeit innegewohnt
haben, als er die Lohnabzüge machte. Unter Strafe
geſtellt iſt die vorſätzliche Nichtverwendung der Beitrags-
teile. Der Vorſatz muß alſo auf die Nichtverwendung
gerichtet ſein und iſt deshalb auch dann vorhanden.
wenn er erſt gefaßt wurde, nachdem die Beiträge vom
Lohne abgezogen waren. Auch wer noch, als er
die Abzüge machte, vor hatte, ſie für die Verſicherung
zu verwenden, ſich nachher aber durch die Verausgabung
der dafür beſtimmten Mittel die Verwendung vorſanlich
unmöglich macht, erfüllt den Tatbeſtand des § 142.
wahrend danach nicht geſtraft werden kann, wer gegen
fein Wiſſen und ſeinen Willen durch nachträglich ein—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
getretenen Geldmangel oder Ausbleiben mit Grund
erwarteter Mittel an der Ausführung ſeiner urſprüng⸗
lichen Abſicht verhindert wird (Entſch. Bd. 28 S. 5
[6/7], 254. Urteil des V. StS. vom 19. Januar 1912
5 D 1109/11 g. G.). (Urt. des I. StS. vom 30. März
1914, 1 D 99/14). E.
3423
II.
Der Begriff des „Unternehmens“ einer ſtrafbaren
Handlung, beſenders i. S. des $ 134 Ber 3G. Aus
den Gründen: Der Begriff des Unternehmens im
allgemeinen und i. S. des Ver 3G. im beſonderen um⸗
faßt allerdings nicht bloß die vollendete Straftat,
ſondern auch den Verſuch (RG St. 42, 266; 19, 192).
Das iſt aber in dem freiſprechenden Urteile nicht ver⸗
kannt. Die Angeklagten ſind nicht an das Saccharin
herangekommen, das ſie einſchmuggeln wollten, ſie
haben den verbotenen Gegenſtand nicht in Bewegung
geſetzt, ſie haben das Inland überhaupt nicht verlaſſen,
da ſie vor Ueberſchreitung der Grenze verhaftet wurden.
Deshalb kann von einem Anfang der Ausführung des
Schmuggels nicht die Rede ſein. Indem ſie ſich, mit
Schmuggelröcken ausgerüſtet, auf die Reiſe nach der
Schweiz begaben, um von dort aus Saccharin verbots⸗
widrig einzuführen, haben ſie mit der Einführung noch
nicht den Anfang gemacht, ſie ſind vielmehr über Vor⸗
bereitungshandlungen nicht hinausgekommen, und
ſolche erfüllen den Begriff des Unternehmens nicht
(RGSt. 42, 266). Zwar haben die Angeklagten
die Abſicht der verbotenen Süßſtoffeinfuhr äußerlich
an den Tag gelegt, indem ſie zum Schmuggel aus⸗
gerüſtet, die Reiſe nach der Schweiz antraten;
aber das iſt nicht entſcheidend, da das „an den Tag
legen“ der verbrecheriſchen Abſicht noch nicht Verſuch
der ſtrafbaren Handlung iſt, ſondern nur dann, wenn
es durch Handlungen geſchieht, die den Anfang der
Ausführung enthalten. In RGSt. 42, 266 (270 ff.)
iſt eingehend dargelegt, daß zwar rein ſprachlich, Unter⸗
nehmen“ jede Betätigung der auf die Ausführung der
Tat gerichteten Abſicht bezeichnet, im ſtrafrechtlichen
Sinne aber durch 88 43 ff. StGB. die Bedeutung des
Wortes dahin eingeſchränkt iſt, daß bloße Vorberei⸗
tungshandlungen nicht inbegriffen ſind. So verſtanden
iſt die Aufſtellung der Staatsanwaltſchaft richtig, daß
Unternehmen i. S. des 8 134 Ver 3G. auch dann vor⸗
liegt, wenn die Abſicht der verbotenen Einfuhr durch
Handlungen betätigt iſt, durch die die Straftat un⸗
mittelbar zur Ausführung gebracht werden ſoll. Solche
Handlungen haben aber die Angeklagten nicht vor⸗
genommen und haben ſie nicht vornehmen können,
weil ſie das Inland gar nicht verlaſſen haben und
mit dem verbotenen Gegenſtand in keinerlei Berührung
gekommen ſind. Allerdings iſt in der Rechtſprechung
des RG. anerkannt, daß das Unternehmen der Zoll-
defraude ſich nicht in den Ausführungshandlungen er-
ſchöpft, die unmittelbar mit der Verbringung der zoll⸗
pflichtigen Gegenſtände über die Grenze zuſammenfallen,
ſondern daß dazu auch die Tätigkeit gehört, durch die der
zollpflichtige Gegenſtand vom Ausland bis unmittelbar
an die Grenze des Zollinlandes herangeſchafft worden
ft (RGSt. 35, 13 [15/16]), und dasſelbe wird bei der
Kontrebande gelten müſſen. Aber auch derartiges haben
die Angeklagten nicht getan. Die Reiſe ins Ausland,
um von dort aus ins Inland zu ſchmuggeln, ſteht dem
Heranſchaffen der Ware vom Ausland bis an die
Grenze keinesfalls gleich, und es braucht deshalb hier
nicht erörtert zu werden, ob das Heranſchaffen des
verbotenen Gegenſtands an die Grenze ſchon an ſich
dem Unternehmen der verbotenen Einfuhr zuzurechnen
ſt, oder nur dann, wenn die Zollgrenze oder die im
Ausland gelegene deutſche Zollſtelle erreicht oder über⸗
ſchritten wird. (Urt. des J. StS. vom 8. Juni 1914,
10 201, 14). E.
3422
III.
Undentlihe Belehrung über die Veränderung des
rechtlichen Geſichtspunkts (8 264 StPO.). Aus
den Gründen: Gegen den Angeklagten war
das Hauptverfahren wegen eines Vergehens gegen
ss 223, 223 a StGB. eröffnet, weil er hinreichend ver⸗
dächtig erſcheine, vorſätzlich einen anderen mittels ge⸗
fährlichen Werkzeugs körperlich mißhandelt zu haben,
indem er mit ſeinem Schrotzwilling zweimal auf den
Gütler R. ſchoß und ihn beide Male verletzte. Nach⸗
dem er laut des Sitzungsprotokolls darauf hingewieſen
worden war, daß abweichend vom Eröffnungsbeſchluß
eine Uebertretung des verbotenen Schießens neben
einem Vergehen der gefährlichen Körperverletzung an⸗
genommen werden könne, wurde er wegen verbotenen
Schießens auf Grund des 58 367 Nr. 8 StG. zu
einer Haftſtrafe und wegen gefährlicher Körperverletzung
auf Grund des 8 2234 StGB. zu einer Gefängnis⸗
ſtrafe verurteilt, da nicht feſtgeſtellt werden konnte,
daß er bei Abgabe des erſten Schuſſes eine Verletzung
des R. beabſichtigt oder an eine ſolche gedacht habe.
Er iſt alſo wegen zweier ſelbſtändiger Handlungen
verurteilt worden, deren eine durch den erſten Schuß,
deren andere durch den zweiten Schuß begangen iſt,
während der Eröffnungsbeſchluß angenommen hatte,
daß er auch bei dem erſten Schuß R. zu treffen beab⸗
ſichtigt habe und daß beide Schüſſe ein (fortgeſetztes)
Vergehen der gefährlichen Körperverletzung ſeien. Iſt
der Angeklagte alſo wegen mehrerer ſtrafbarer Hand⸗
lungen verurteilt, während der Eröffnungsbeſchluß nur
eine annahm, ſo bedurfte es nach ſtändiger Recht⸗
ſprechung des R®.8 430 u. a. Entſch. Bd. 9 S. 426
1429], Bd. 16 S. 437 [438/39], Rechtſpr. Bd. 2 S. 569,
auch Entſch. Bd. 30 S. 226) des durch 8 264 StPO.
vorgeſchriebenen Hinweiſes auf dieſe Veränderung des
rechtlichen Geſichtspunkts, und dieſer Hinweis iſt, wie
der Verteidiger mit Grund rügt, nicht erfolgt. Aus
dem Hinweis, daß neben einem Vergehen der gefähr⸗
lichen Körperverletzung eine Uebertretung des verbotenen
Schießens angenommen werden könne, iſt nicht
mit der im Intereſſe des Angeklagten zu
fordernden Deutlichkeit zu erſehen, daß
die Verurteilung wegen mehrerer Straftaten erfolgen
könne, da er mindeſtens ebenſogut dahin verſtanden
werden konnte, daß die in der Anklage bezeichnete eine
Tat ſowohl als Vergehen gegen 8 223 a wie als Ueber⸗
tretung des 8 367 Nr. 8 StGB. beurteilt, alſo recht-
liches Zuſammentreffen angenommen werden könne.
Es iſt möglich, daß der Angeklagte ſich gegen die An⸗
nahme mehrerer Straftaten mit Erfolg verteidigt Hätte.
Es kann auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen
werden, daß ſie dem Angeklagten günſtiger wäre als
die des rechtlichen e der beiden Straf⸗
geſetze, ſei es auch für die Abgabe beider Schüſſe.
Auch wenn der Angeklagte, um die Verurteilung wegen
mehrerer ſtrafbarer Handlungen zu vermeiden, das
Gericht hätte überzeugen müſſen, daß er ſchon mit dem
erſten Schuſſe R. habe treffen wollen, hätte das nicht
notwendig für ihn wegen Körperverletzung eine härtere
Strafe, als die jetzt erkannte, zur Folge haben müſſen,
wohl aber hätte er dann ſicher nicht wegen der Ueber⸗
tretung noch beſonders beſtraft werden können. (Urt.
des I. StS. vom 16. März 1914, ID 59/14). E.
3377
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
Zur Auslegung des 854 G80. Im Grundbuch find
als Eigentümer des Grundſtücks Pl.-Nr. 141 O. vor⸗
getragen: Am 26. Sept. 1887 F. M., Gütlerstochter in
E., am 9. Mai 1893 P. A., Fabrikarbeiter in O., als
Miteigentümer durch allgemeine Gütergemeinſchaft ge—
mäß Ehe- und Erbvertrag vom 4. Mai 1893, am 7. April
1900 F. A., Gütler in E., durch Kauf gemäß Kaufver⸗
trag vom 1. Sept. 1899, am 29. Dez. 1913 F. Fr., Ehe⸗
frau des Vorigen als Miteigentümerin durch allgemeine
Gütergemeinſchaft gemäß Ehe⸗ und Erbvertrag vom
20. April 1892. Am 20. Dez. 1899 erwirkte der Fabrik-
arbeiter S. Sch. in O. gegen A. P. Urteil auf Zahlung
von 2080.85 M Hauptſache nebſt 5% Zinſen feit 2. April
1899. Zugunſten dieſes Anſpruchs wurde am 15. März
1900 auf dem Hälfteanteil des A. P. an dem Grund⸗
ſtück Zwangshypothek vorgemerkt. Die von A. F. gegen
S. Sch. geſtellte Klage auf Löſchung dieſer Hypothek
wurde am 6. Oktober 1913 abgewieſen. Die Klage war
damit begründet, daß am 15. März 1900 nicht mehr
die Eheleute P., ſondern die Eheleute F. Eigentümer
geweſen ſeien. Die Behauptung des Beklagten, daß
nur ein Scheinvertrag vorliege, erachtete das LG. nicht
1855 erwieſen, dagegen war es der Anſicht, daß dieſem
er öffentliche Glaube des Grundbuchs zur Seite ſtehe,
ſonach die Hypothek rechtsgültig erworben worden ſei.
Das Urteil iſt rechtskräftig geworden. Am 25. Febr.
1914 beantragte S. Sch. auf Grund des vollſtreckbaren
Urteils vom 20. Dez. 1899 die Zwangsverſteigerung des
von A. P. auf A. F. übergangenen Hälſteanteils an
dem Grundſtück. Das Amtsgericht entſprach dieſem
Antrage, hob aber das Verfahren wieder auf, da ſich
ergeben hatte, daß A. F. nicht als Alleineigentümer,
ſondern nur als Miteigentümer in allgemeiner Güter⸗
gemeinſchaft eingetragen ſei. Dieſer Beſchluß wurde
vom LG. wieder aufgehoben. Am 1. April 1914 ver⸗
fügte das Grundbuchamt, daß die auf dem Hälfteanteil
des A. P. eingetragene Vormerkung auf Einräumung
einer Sicherungshypothek zu 2080.85 M als unzuläſſige
Eintragung von Amts wegen zu löſchen ſei. Dieſen am
3. April 1914 vollzogenen Beſchluß begründete es unter
Hinweiſung auf 854 EBD. und 8 1114 BG. damit, daß
bei der Eintragung der Vormerkung das Grundſtück
auf Grund der zwiſchen den Eheleuten P. damals bes
ſtandenen allgemeinen Gütergemeinſchaft Geſamtgut
und deshalb die Belaſtung des Hälfteanteils mit einer
Hypothek rechtlich unzuläſſig geweſen ſei. Die Beſchwerde
wurde zurückgewieſen, ebenſo die weitere Beſchwerde.
Aus den Gründen: Der Beſchwerdeführer hat
allerdings inſoferne Recht, als er rügt, daß die Un⸗
zuläſſigkeit der Eintragung aus $ 1114 BGB. gefolgert
wurde. Nach Art. 189 EG. BGB. erfolgen der Erwerb
und Berluft des Eigentums ſowie die Begründung,
Uebertragung, Belaſtung und Aufhebung eines anderen
Rechtes an einem Grundſtücke nach den bisherigen
Geſetzen, bis das Grundbuch als angelegt anzuſehen iſt.
Da z. Z. der Vormerkung der von S. Sch. erwirkten
Zwangshypothek das Grundbuch für den Bezirk des
AG. F. noch nicht angelegt war, konnte ſonach nicht
das BGB., ſondern nur das bis dahin geltende Grund—
ſtücksrecht maßgeben. Allein das Ergebnis iſt auch dann
kein anderes. Bezüglich der rechtlichen Natur der all—
gemeinen Gütergemeinſchaft gingen bis zur Einführung
des BGB. die Meinungen auseinander. Das hier maß—
gebende Bays R. wendete auf die allgemeine Güter—
gemeinſchaft die Beſtimmungen über die Geſellſchaft an
(T. 1 Kap. 6 § 32 Nr. 4), und da man hieraus folgerte,
daß jeder Ehegatte über ſeinen Anteil an dem Geſamt—
gute verfügen könne, ſo nahm man auch keinen An—
ſtand, den einem Ehegatten gehörigen Anteil an einem
Grundſtücke zu beſchlagnahmen oder daran im Zwangs—
wege eine Hypothek einzutragen. Dieſe Verhältniſſe
find aber mit der Einführung des BGB. geändert
worden. Mit dieſem Zeitpunkte ſind an Stelle der
bisherigen Vorſchriften die Vorſchriften des BGB. über
die allgemeine Gütergemeinſchaft getreten, ſoweit für
eine Ehe die allgemeine Güiergemeinſchaft nach einem
der in den Landesteilen r. d. Rh. geltenden Rechte be—
ſtand (Art. 62, 94 UeG.). Das BGB. faßt die all—
gemeine Gütergemeinſchaft als Miteigentum zur ges
ſamten Hand auf. Nach 8 1442 kann ein Ehegatte nicht
fert für Meitspffege in Bapern.
1914. Rr. 16 u. 17.
über feinen Anteil an dem Geſamtgute und an den
einzelnen Gegenſtänden verfügen; er kann während der
Güͤtergemeinſchaft nicht Teilung verlangen. Nach 8 860
ZPO., der im Art. 24 Ue®. gleichfalls für die über⸗
geleiteten Güterſtände für anwendbar erklärt iſt, iſt der
Anteil eines Ehegatten an dem Geſamtgut und an den
einzelnen dazu gehörenden Gegenſtänden auch nicht der
Pfändung unterworfen. Das Miteigentum an einer
unbeweglichen Sache konnte nach der bayer. SubhL.
nur beſchlagnahmt werden, wenn bezüglich des Anteils
des Schuldners eine Auseinanderſetzung mit den übrigen
Teilhabern nicht erforderlich war, andernfalls fand nur
Zwangsvollſtreckung in den Anteil nach 8 754 (alt)
ZBO. ſtatt. Dies galt nicht bloß für Zwangsver⸗
ſteigerung oder Zwangsverwaltung, ſondern auch für
die Vormerkung einer Hypothek nach Art. 40 der Nov.
zur SubhoO. (vgl. ältere Sammlg. Bd. 14 S. 126).
War hienach die Vormerkung der Zwangshypothek an
dem Hälfteanteil des A. P. ſchon z. Z. der Eintragung
unftatthaft, fo kann es ſich nur noch fragen, ob dieſe
Eintragung ihrem Inhalte nach unzuläſſig ift oder ob
etwa nur eine Eintragung unter Verletzung geſetzlicher
Vorſchriften vorliegt, in welchem Falle nicht die Löſchung,
ſondern die Eintragung eines Widerſpruchs am Platze
geweſen wäre (§ 54 Abſ. 1 EBD.) Es muß jedoch das
erſtere angenommen werden. Eine ihrem Inhalte nach
unzuläſſige Eintragung liegt vor, wenn nicht bloß
Eintragungsvorausſetzungen fehlen, ſondern wenn die
Eintragung nach dem Geſetze ausgeſchloſſen iſt. Solche
Eintragungen ſind bedeutungslos; der öffentliche Glaude
erſtreckt ſich nicht auf fie. An dem Anteile eines Che:
gatten an dem Geſamtgute kann nach dem BB. durch
Zwangsvollſtreckung ein Recht nicht begründet werden.
und zwar auch ſchon, bevor das Grundbuch angelegt
iſt; eine gleichwohl erfolgte Eintragung ſteht mit dem
Weſen und der rechtlichen Natur des Geſamtguts im
Widerſpruch und iſt daher ihrem Inhalte nach unzu⸗
läſſig. Zugunſten der Rechtsgültigkeit der am 15. Mar;
1900 vorgemerkten, gemäß Art. 57 AG. EBD. in eine
Sicherungshypothek verwandelten Zwangshypothek
kann auch nicht geltend gemacht werden, daß durch
das Urteil vom 10. Oktober 1913 die Rechts beſtaͤn⸗
digkeit der von S. Sch. erwirkten Hypothekvormerkuna
anerkannt worden ſei. Denn das LG. hat ſich mit der
hier zur Entſcheidung ſtehenden Frage gar nicht befaßt.
Im Hinblick auf § 322 ZPO. muß zwar angenommen
werden, daß ein neuer Rechtsſtreit unter den Parteien
über die Rechtsbeſtändigkeit der Hypothek ausgeſchloſſen
iſt. Aber nach 8 325 ZPO. wirkt das rechtskräftige
Urteil nur für und gegen die Parteien und deren dort
bezeichnete Rechtsnachfolger, dagegen kann im Berhalt—
nis zu dritten Perſonen, von beſonderen Ausnahmen
abgeſehen, auch ein rechtskräftiges Urteil unanfecht⸗
bares Recht nicht ſchaffen. Dies gilt beſonders für die
nachfolgenden Hypothekgläubiger; ſie ſind an die Ent⸗
ſcheidung nicht gebunden, ſondern haben ein ſelb⸗
ſtändiges Recht, auf Löſchung einer nicht beſtehenden
Vorhypothek anzutragen und im Intereſſe der Rechts⸗
ſicherheit hat das Geſetz in 854 EBD. dem GA. nicht
bloß das Recht gegeben, ſondern auch die Pflicht auf
erlegt, eine ihrem Inhalte nach unzuläſſige Hypothek
zu löſchen. Darüber hat es ſelbſtändig zu entſcheiden.
Die weitere Beſchwerde meint, ſtatt der Loſchung
hätte das GBA. die Hyppthekeintragung auf das ganze
Anweſen erſtrecken ſollen. Dem kann nicht beigetreten
werden. Allerdings iſt nach 8 740 ZPO., der für die
übergeleiteten Ehen gleichzeitig mit dem BGB. in Kraft
getreten iſt (Art. 24 UeG.), bei dem Güterftande der
allgemeinen Gütergemeinſchaft zur Zwangsverſteigerung
in das Geſamtgut ein gegen den Ehemann ergangenes
Urteil nicht bloß erforderlich, ſondern auch genugend.
Allein wenn demgemäß am 15. März 1900 auch die
Hypothek auf dem ungeteilten Grundbeſitz der Eheleute
P. hätte vorgemerkt werden können, ſo kommt doch in
Betracht, daß die beantragte Vormerkung damals nicht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
geſchehen iſt, daß der Antrag vielmehr durch Vor⸗
merkung der Hypothek an dem Hälfteanteil erledigt
wurde, ohne daß der Antragſteller eine Erinnerung
oder ein Rechtsmittel angebracht hätte. Die ſo erwirkte
Hypothekvormerkung iſt rechtlich bedeutungslos und
kann nicht nachträglich auf das ganze Anweſen aus⸗
gedehnt werden; auf den urſprünglichen erſten Antrag
des Gläubigers kann aber nicht mehr zurückgegriffen
werden. Denn dieſer Antrag iſt dadurch erledigt, daß
dem vorſorglichen Antrage ftattgegeben wurde, wenn
es auch nicht hätte geſchehen ſollen; er iſt nicht beim
Amtsgerichte anhängig geblieben, ſondern beſteht nicht
mehr. (Beſchl. des I. ZS. vom 21. April 1914, Reg. III
Nr. 46/1914). M.
3394
B. Straffaden.
I
Zur Auslegung des Art. 92 Ziff. 1 Forliß.!) Aus
den Gründen: Der Art. 92 Ziff. 1 ForſtG. (Art. 91
Ziff. 1 a. F.) bedroht in dem hier in Rede ſtehenden
Halbſatze mit Strafe „das unbefugte Betreten künſtlicher
Anſaaten oder Pflanzungen unter ſechs Jahren und be⸗
ſonders das Betreten derſelben mit Pferden oder anderem
Viehe“. Er iſt in ſtändiger Rechtſprechung (vgl. ObGH.
Bd. 7 S. 501, Bd. 9 S. 408; OLG. München Bd. 1 S. 259,
Bd. 4 S. 89, Bd. 6 S. 1; 0669. Bd. 4 S. 122, 389, Bd. 10
S. 154) dahin ausgelegt worden, daß das Betreten der
ſogenannten Kulturen durch Menſchen ſtrafbar iſt, ſofern
es unbefugt d. h. ohne Berechtigung geſchieht, das Be⸗
treten mit Tieren dagegen allgemein und ohne Rückſicht
auf eine deren Beſitzer oder Begleiter etwa zuſtehende
Berechtigung. Dieſer Auslegung ſteht nun allerdings
die Meinung entgegen, die ſich in älteren Quellen ver⸗
treten findet (Brater, Kommentar zum Forjt®. in Doll»
manns Sammlg. Bd. II, 1 S. 552 zu Art. 87, S. 558
Note 3 zu Art. 91, dann in den [hier teilweiſe ange⸗
zogenen] Entſcheidungen des Oberappell.⸗Gerichts in
Bd. I S. 376, Bd. VI S. 207 3fG R.); dort wird, wenn
auch mehr beiläufig und im Zuſammenhang mit der
Erörterung anderweitiger Fragen, das Wort „unbes
fugt“ 1 auf das „Betreten mit Pferden oder ..
Vieh“ bezogen. Nach den Regeln des Satzbaues iſt denn
auch eine ſolche Beziehung nicht ausgeſchloſſen. Gleich⸗
wohl nimmt die angeführte neuere Rechtſprechung für
ihre gegenteilige Auffaſſung nicht nur den Zweck, ſondern
mehrfach auch den Wortlaut des Geſetzes in Anſpruch,
und der erkennende Senat glaubt an ihr feſthalten zu
ſollen. (Nun folgen die größtenteils in den angezogenen
Urteilen angeführten Gründe). Die Angriffe, die in der
neueſten Zeit gegen die hier vertretene Anwendung des
Art. 92 Forit®. erhoben worden find (von Pfiſter in dieſer
Zeitſchrift Bd. IV (1908) S. 113 ff., von Schiedermair
in den „ſtrafrechtl. Nebengeſetzen Bayerns“, S. 217, 219
lit. e), gehen fehl. Pfiſter behauptet eine Veränderung
der Rechtslage durch die ſachenrechtlichen Normen des
BGB.; dem gegenüber hat ſchon das LG. zutreffend
auf den Art. 109 CG. BGB. verwieſen, nach deſſen Grund-
gedanken die landesrechtlichen Vorſchriften über eine
im öffentlichen Intereſſe erfolgende Beſchränkung von
Rechten von dem neuen bürgerlichen Recht unberührt
bleiben. In gewiſſem Sinn iſt auch Art. 111 Ech. hier
der Rechtsähnlichkeit halber verwertbar (vgl. Keidel,
BSB. nach v. Staudinger, Anm. 2 zu Art. 111, ferner
zu Art. 109 die Mot. zum Entw. des EG., Art. 42
S. 162). Im allgemeinen ſei jedoch bemerkt, daß das
E. B B. an und für ſich rein öffentlichrechtliche Normen
eines Bundesſtaates nicht einengen ſollte; ſeine Regelung
befaßt ſich in der hier fraglichen Artikelreihe nur mit
den Grenzgebieten zwiſchen privatem und öffentlichem
Recht; ein ſolches Gebiet iſt bei Art. 92 ForſtG. nicht
1) Vgl. hierzu den Aufſatz auf S. 317 dieſer Nummer.
329
in Frage. Keinesfalls können die von Pfiſter angezogenen
Art. 113, 115 oder gar der Art. 55 EG. der öffentlich⸗
rechtlichen Vorſchrift des Art. 92 ForſtG. irgendwie Ab⸗
bruch tun. Einen beſonderen Standpunkt nimmt Schieder⸗
muir ein, indem er (S. 217) den richtigen Satz, daß
ein zivilrechtlich erlaubtes Handeln niemals einen Forſt⸗
frevel durch Entwendung (Art. 79—87 Gef.) begründen
kann, auf die Forſtfrevel durch Beſchädigung, die Ueber⸗
tretung forſtpolizeilicher Beſtimmungen und andere Ge⸗
fährden (Art. 88 — 100) ausdehnt. Dieſe Gleichſtellung
iſt indeſſen nur zum Teil richtig, nämlich da, wo der
Mangel einer Befugnis zum Tatbeſtande der Webers
tretung gehört; dies ergibt ſich jeweils aus der Geſetzes⸗
norm ſelbſt (vgl. beiſpielsweiſe die Art. 88 90 Abſ. I
und II, 93 Ziff. 3, 94 Ziff. 1 und 5); wo dagegen die
Gefährdung der Waldwirtſchaft bekämpft werden ſoll,
da unterſcheidet das Geſetz nicht zwiſchen privatrechtlich
erlaubten und verbotenen Handlungen (f. z. B. Art. 89,
hiezu v. ee S. 267 unten, S. 285 oben, Art. 93
Ziff. 1. 2, 4 (teilweiſe), 6, Art. 94 Ziff. 3, Art. 96 Abſ. 1).
In die letztere Reihe gehört nun auch Art. 92 inſoweit,
als in ihm nicht ausdrücklich nur das unbefugte, un⸗
erlaubte Tun, das Handeln außerhalb der Erlaubnis
(Ziff. 1, erſter Fall) geahndet wird. Beiſpielsweiſe wird
das Abreißen von Hege⸗ und Wehrzeichen oder von
gewiſſen Grenzzeichen auch dem Grundſtückeigentümer
verboten fein (v. Ganghofer Note 10). Die Eigenſchaft
des Betretens von jungen Pflanzungen mit Vieh als
Gefährdungsdelikt ergibt auch der Art. 95, wonach bei
dem Eintrieb von Tieren in ältere Pflanzungen nur
der Erfolg einer wirklichen Beſchädigung ſtrafbar macht
(v. Ganghofer Note 8 zu Art. 92). Kein Gegner der
hier vertretenen Auslegung iſt Meisner, (Nachbarrecht
2. Aufl. S. 338), der ſich im Texte ſogar auf den Boden
der bisherigen Rechtſprechung ſtellt; ſeine an ſich be⸗
achtenswerte Unterſcheidung zwiſchen Kulturen, die zur
Erhaltung und Verjüngung des Waldes notwendig ſind,
und ſolchen, die man nur um des höhern Ertrages willen
mittels beliebiger Abänderung von Holz» oder Betriebs-
arten vornimmt — bloßen Verbeſſerungen —, iſt für
das hier fragliche Polizeiverbot ohne Belang, hierauf
wohl auch gar nicht berechnet. (Urt. vom 9. Mai 1914
Rev.⸗Reg. Nr. 234/1914). Ed.
3419
II
Unter welchen Voransſetzungen darf erlegtes Wild
oder deſſen Erlös eingezogen werden ? wie iſt der Aus⸗
druck „können“ in Art. 18 PStG. und in 8 42 StGB.
aufzufaſſen ? A. fand in feinem Jagdbezirke einen toten
Kitzbock und verkaufte ihn an einen Wildbrethändler.
Die Polizei beſchlagnahmte den Bock bei dieſem und
ließ ihn verſteigern; der Erlös wurde beim Amts⸗
gericht hinterlegt. Auf den Antrag des Amtsanwalts,
nach 8 477 StPO. den Erlös einzuziehen, erkannte das
Schöffengericht auf Hinausgabe des Erlöſes an A.
Die Berufung hiegegen und die Reviſion wurden ver—
worfen.
Aus den Gründen: Der 88 BD. vom 6. Juni
1909, die Ausübung und Behandlung der Jagden betr.,
verbietet — vorbehaltlich der hier nicht in Frage kom⸗
menden Beſtimmung in 89 Jah 3 — die Verſendung
und die Veräußerung von Rehkitzen für das ganze
Jahr. 8 18 VO. bedroht die Zuwiderhandlung gegen
8 8 mit einer Geldſtrafe. Eine ſelbſtändige Bedeutung
kommt dieſer Strafbeſtimmung nicht zu; ſie iſt nur
eine Wiederholung der Strafbeſtimmung des Art. 23
Nr. 5 36. Die VO. vom 6. Juni 1909 wurde er:
laſſen auf Grund des Art. 125 PStGB. und des Art. 23
Abſ. 1 Ziff. 5 JG., dann des 8368 Ziff. 9 und 11 StGB.
Der Art. 125 Abſ. 1 PStGB. lautet: „Die Uebertretung
der geſetzlichen Beſtimmungen über Ausübung der
Jagd und der nach Maßgabe des Geſetzes im Ver⸗
ordnungswege erlaſſenen jagd polizeilichen Vorſchriften
wird nach den hierüber beſtehenden Geſetzen beſtraft“,
und Art. 23 Ziff. 5 JG. bedroht den mit einer Geld⸗
ſtrafe bis zu 45 M, der bei Ausübung der Jagd ſich
gegen im Verordnungswege erlaſſene 1125 5840 B.
Vorſchriften verfehlt. Weder der Art. 125
noch ein anderes Geſetz hat die Ausdehnung des 1 Al. 23
Ziff. 5 JG. auf andere, nicht bei Ausübung der Jagd
vorkommende Zuwiderhandlungen gegen jagdpoligeis
liche . De autäffig erklärt. Die Beſtim⸗
mungen in 88 8, 9 und 10 BO. vom 6. Juni 1909
mögen jagdpollgeilicher Natur ſein, allein die Ver⸗
ſendung oder der Verkauf von Rehkitzen gegen das in
88 BO. ausgeſprochene Verbot wird deshalb noch
nicht zu einer Verfehlung, die „bei Ausübung der
Jagd“ begangen wird. Der Begriff „Jagen“ i. S. des
IG. iſt der gleiche wie im 8 292 StB. Hiernach iſt
aber unter Jagen, Jagdausübung jede auf Erlegung
oder Ergreifung von jagdbaren Tieren gerichtete Hand⸗
lung zu verſtehen. Der Jagdberechtigte darf auch das
von ihm nicht erlegte, aber in ſeinem Jagdbezirke tot
aufgefundene Wild auf Grund ſeines Jagdausübungs⸗
rechtes ſich aneignen. Mit der Aneignung des Wildes
iſt die auf die Ausübung des Jagdrechtes an dieſem
Wilde gerichtete Tätigkeit abgeſchloſſen. Die ſich an⸗
ſchließenden Verfügungen über das Wild, insbeſondere
auch der Verkauf, ſind ein Ausfluß ſeines an dem
nike erlangten Eigentums. Die Vorſchrift des 8 8
O. vom 6. Juni 1909 wird ſohin durch den Art. 23
80 5 JG. nicht gedeckt und die Androhung einer
trafe in 8 18 VO. für den Fall der Zuwiderhandlung
gegen 8 8 entbehrt der rechtlichen Wirkſamkeit. Hienach
liegt in dem Verkaufe des Rehkitzes nach dem der⸗
zeitigen Stande der Geſetzgebung keine ſtrafbare Hand⸗
lung. Dem trug auch der letzte Entwurf eines Geſetzes
betr. die Aenderung des PStGB. durch eine ergänzende
Beſtimmung Rechnung. Die Einziehung des Rehkitzes
oder des Erlöſes iſt unter dieſen Umſtänden nicht zu⸗
läſſig. Der Abſ. 3 des Art. 125 P StGB. lautet: „Uns
beſchadet der nach Maßgabe des Abſ. 1 verwirkten
Strafe unterliegt Wild, das mit Uebertretung der die
Hege oder Hegezeit betreffenden Beſtimmungen erlegt
wird, desgleichen Wild, welches während der für die
betreffende Wildgattung feſtgeſetzten Zeit. zum
Verkaufe gebracht wird, der Einziehung.“ Nach der
Rechtſprechung (ObEH. 1, 1ff. und Obè G. 8, 384; 9,
205) trägt dieſe Beitimmung den Charakter einer Neben⸗
ſtrafe, die nur den trifft, der ſich einer Uebertretung
i. S. des Abſ. 1 des Artikels ſchuldig macht, die aber
die Rechte Dritter, an der Uebertretung nicht Beteiligter,
unberührt läßt. Notwendige Vorausſetzung für die
Einziehung iſt ſohin auch nach Art. 18 P StGB., das
Vorhandenſein einer objektiv ſtrafbaren Handlung,
wegen deren bei ſtrafgerichtlicher Verurteilung des
Täters auf Einziehung erkannt werden mußte oder
könnte. Dieſe Vorausſetzungen fehlen hier; die Ein⸗
ziehung des verkauften Rehkitzes oder des Erlöſes kann
daher auch nicht als Nebenſtrafe wegen des Verkaufes
ausgeſprochen werden.
Dagegen kann die auf die bayeriſche Rechtſprechung
in den letzten Jahren geſtützte Anſchauung der Vor—
inſtanz, daß die in Art. 18 StGB. und in § 42 StG.
vorgeſehenen Maßnahmen in das Ermeſſen des
Richters geſtellt ſeien, nach neuer Prüfung der Rechts—
frage nicht gebilligt werden. Nach den Verhandlungen
des Geſetzgebungsausſchuſſes der Kammer der Abgeord—
neten von 1871/72 S. 101 wurde Art. 18 dem Wortlaute
des 842 StGB. angepaßt, um keine Verſchiedenheit
der Auslegung und Rechtsanwendung zu verurſachen;
hiernach ſollte der Ausdruck, können“ in Art. 18 PStGB.
ebenſo ausgelegt werden wie in 8 42 StGB. Bei der
Beratung des Art. 18 (Art. 17 des Entwurfs) wurde
zwar von einem Abgeordneten unter Zuſtimmung des
. die Anſchauung vertreten, a
die in S 42 StGB. enthaltenen Maßnahmen auf das
ich Ermeſſen abgeſtellt ſind; allein die Abge—
ordnetenkammer war zur Auslegung des StGB. nicht
N Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 161 u. 17.
un Für 8 42 StGB. aber ſteht jetzt die überwiegende
Zahl der Rechtslehrer und auch die Rechtſprechung des
RG. auf dem Standpunkte, daß der Richter in den
Fällen, in denen im Strafurteil die einſchlägigen Maß⸗
nahmen ausgeſprochen werden müſſen, dies auch im
objektiven Verfahren tun muß (Olshauſen Komm. z.
StGB. 9. Aufl. 8 42 Note 9, Rüdorff⸗Stenglein Komm.
z. StB. 8 42, RG. 28, 122). Hiernach iſt auch im
Falle des Art. 18 PSt . der Ausſpruch auf Ein⸗
ziehung dann geboten, wenn nach den Beſtimmungen
dieſes Geſetzbuchs die Einziehung im Strafurteile aus⸗
zuſprechen iſt, während er in das Ermeſſen des Ge⸗
richts geſtellt bleibt, in den Fällen, in denen im Straf⸗
urteile die Einziehung ausgeſprochen werden kann (ſo
auch Urteil des Ob G. in StS. vom 13. Januar 1903
Rev.⸗Reg. Nr. 290/1902). (Urt. vom 28. April 1914
Rev.⸗Reg. Nr. 178/1914). Ed.
3420
Bücheranzeigen.
Nenkamp, Dr. Eruſt, Reichsgerichtsrat. Die gewerbe⸗
rechtlichen Nebengeſetze. XIX, 502 S. Tübin⸗
gen 1914, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck).
Das Werk bildet die unentbehrliche Ergänzung
zu der bekannten trefflichen Gewerbeordnung des Ber:
95 Beſonders zweckmäßig iſt der erſchöpfende
ſchrt ae der reichs⸗ und landesrechtlichen Bollzugsvor«
ten.
Bollwein, Markus, K. Oberlandesgerichtsrat in Mün⸗
chen. Bayer. Jag dgeſetz und die Geſetze über
den Erſatz be Wildſchadens. 9. Aufl. IX, 460 S.
München 1914, C. H. los Verlagsbuchhandlung
(Oskar Beck). Gebd. Mk. 4
Das Buch iſt nun ſeit über a Jahren der Führer
auf dem Gebiete des bayeriſchen Jagdrechts und ſo
allgemein bekannt, daß ein Hinweis auf das Erſcheinen
der neuen Auflage genügen wird. Beſonders wertvoll
iſt neben den erſchöpfenden Erläuterungen die Beigabe
von zahlreichen Ausführungsvorſchriften, Nebengeſetzen
u. dgl.
Ebermaher, Dr. L., Reichsgerichtsrat, ſtellv. Vorſitzen⸗
der der Strafrechtskommiſſion. Der Entwurf
eines Deutſchen Strafgeſetzbuches. VIII.
104 S. Berlin 1914, Otto Liebmann. Broſch. Mk. 3.—
Da der Entwurf der Oeffentlichkeit vorerſt nicht
zugänglich gemacht wird, bildet dieſer ſtreng ſachliche
Bericht neben den zahlreichen Einzelaufſätzen in Zeit⸗
ſchriften die Grundlage für die Beſprechung des Ent⸗
wurfs in der Fachpreſſe und für die Forſchungen derer,
die den Werdegang des neuen Rechts verfolgen wollen.
Noſenthal, Heinrich, e in Danzig.
Bürgerliches Geſetzbuch nebſt Einführungs⸗
geſetz. 9. Aufl. 1216 Seiten. Graudenz 1914, 1
Roethes Verlagsbuchhandlung. Gebd. Mk. 8
Die Erläuterungen ſind nach dem *
Stande der Rechtſprechung und Wiſſenſchaft neu be
arbeitet. Namentlich find die Beiſpiele den Ent—
ſcheidungen des Reichsgerichts und der Oberlandes⸗
gerichte entnommen. Zahlreiche Formblätter ſowie
einige Zeichnungen, z. B. zum Hypothekenrecht und zum
Erbrecht, veranſchaulichen den Inhalt des @ejeres.
Das Sachregiſter iſt durch eine große Zahl von Stich⸗
wörtern bereichert, die im Geſetze ſelbſt nicht vor»
kommen, aber in der Rechts⸗ und Geſchäftsſprache
üblich ſind; dadurch wird nicht bloß dem Juriſten.
ſondern namentlich dem im Geſetz Auskunft ſuchenden
Laien das Zurechtfinden erleichtert. Die neue Auflage
iſt erheblich vergrößert. Der außerordentliche buch⸗
händleriſche Erfolg des Buches, nicht bloß bei Juriſten
und Verwaltungsbeamten, ſondern auch in den Kreiſen
der gebildeten Laien, iſt der beſte Beweis für den Wert
ſeines Inhalts. Zu erwägen wäre bei der nächſten Auf⸗
lage vielleicht, ob denn die zahlreichen Sperrungen und
Fettdruckſtellen einen beſonderen Wert haben. Sie ſind
viel zu häufig angebracht, als daß ſie eine beſſere Ueber⸗
ſicht bieten könnten, und wirken eigentlich nur ſtörend
auf das Auge.
Schmitt, Hermann, K. Miniſterialrat im Staatsmini⸗
ſterium der Juſtiz. Geſchäftsordnung für
die Notariate in Bayern vom 30. Oktober
1913. XVI. 209 Seiten. München 1913, C. H. Beck'ſche
Verlagsbuchhandlung (Oskar Bed). Gebd. Mk. 2.—.
Die Anmerkungen, die der neuen Geſchäftsordnung
beigegeben ſind, heben insbeſondere die Neuerungen
gegenüber der alten hervor und geben vielfach auch
die Gründe an, die zur Umarbeitung geführt haben.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Geſetzgeberiſche Maßnahmen aus Anlaß des Krieges.
Das Reichsgeſetzblatt bringt in Nr. 53 bis 59 die Ge⸗
ſetze und die Bundesratsbekanntmachungen, die dazu
beſtimmt ſind, Deutſchland finanziell und volkswirt⸗
ſchaftlich kriegsbereit zu machen. Die finanziellen Maß⸗
nahmen ſind einſchneidend. Dem Kriegsausbruch iſt
eine außergewöhnliche Spannung des Geldumlaufs
auf dem Fuße gefolgt, der Bedarf des Verkehrs an
Zahlungsmitteln hat ſich weit über das gewohnte Maß
geſteigert. Andererſeits trat das Bedürfnis hervor,
der Zurückweiſung der papierenen Umlaufmittel durch
grundlos ängſtliche Kreiſe des Publikums, die zu einer
Gefahr für die Sicherheit des geſamten Geldweſens zu
werden drohte, entgegenzuwirken. Noch dringlicher
war die Notwendigkeit, den Goldbeſtand der Reichs—
bank, der die Grundfeſte für das Geld- und Kredit—
weſen des ganzen Landes iſt, vor übermäßigem Ab—
fluſſe zu ſchützen und tunlichſt ungeſchmälert zu er-
halten. Dieſen Zwecken dienen die Geſetze vom 4. Auguſt
1914 betr. Aenderung des Bankweſens (RG Bl. S. 327),
en die Ergänzung der Reichsſchuldenordnung (RGBl.
S. 325), betr. die Reichskaſſenſcheine und die Banknoten
(GBl. S. 347) und betr. Aenderung des Münzgeſetzes
(RG Bl. S. 326). Die Schranke, die der Notenausgabe der
Reichsbank durch die Beſteuerung des Notenumlaufs
gezogen iſt, der über ihren Barvorrat und das fteuers
freie Kontingent hinausgeht, iſt bis auf weiteres auf—
gehoben. Zur Notendeckung ſind auch Wechſel des
Reichs ohne die Unterſchrift weiterer Verpflichteter und
Schul dverſchreibungen des Reichs für geeignet erklärt.
Die Reichskaſſenſcheine haben bis auf weiteres die
Eigenſchaft eines geſetzlichen Zahlungsmittels. Die
Reichsbank und die Reichshauptkaſſe ſind vorerſt zur
Einlöſung der Reichsbanknoten und der Reichskaſſen—
ſcheine nicht mehr verpflichtet. Den privaten Noten—
banken iſt die gleiche Vergünſtigung zwar nicht zu—
geſtanden worden, ſie werden vor ſpekulativer Ent—
ziehung ihrer Goldbeſtände aber dadurch geſchützt, daß
ſie zur Einlöſung ihrer Noten Reichsbanknoten ver—
wenden dürfen. Die Verpflichtung der Reichsbankhaupt—
kaſſe und der Reichsbankhauptſtellen, Silber-, Nickel⸗
und Kupfermünzen von beſtimmter Menge in Gold
umzuwechſeln, iſt beſeitigt; an der Stelle von Gold
können Reichskaſſenſcheine und Reichsbanknoten verab—
folgt werden.
Dem allgemeinen Kreditbedürfniſſe ſollen Dar—
lehenskaſſen dienen, die ſelbſtändige Einrichtungen mit
den Rechten juriſtiſcher Perſonen ſind und unter der
Leitung des Reichskanzlers von der Reichsbank auf
Rechnung des Reichs verwaltet werden (Darlehenskaſſen⸗
geſetz vom 4. Auguſt 1914 RG Bl. S. 340). Sie find
Zeitſchrift für Rechtspflege in 1 Bayern. 1914. Nr. 16 u. 117 1914. Nr. 16 u. 17.
331
vorzüglich zur Förderung des Handels» und Gewerbe⸗
betriebes beſtimmt und geben gegen Verpfändung von
Waren und Wertpapieren Darlehen durch Ausgabe
von papiergeldähnlichen Darlehenskaſſenſcheinen. Dieſe
Darlehenskaſſenſcheine, die zwar nicht mit einem
Zwangskurs ausgeſtattet ſind, aber von den öffent⸗
lichen Kaſſen in Zahlung genommen werden müſſen,
wirken gleichzeitig als bene Verſtärkung der Um⸗
laufmittel. Die Darlehenskaſſen haben ſich ſchon in
den Jahren 1848, 1866 und 1870 gut bewährt.
Das Geſetz betr. die Abwicklung von börſenmäßigen
. in Waren vom gleichen Tage (RGBl.
S. 336) regelt die Liquidation von Börſentermin⸗
geſchäften, die vor dem 1. Auguſt d. Irs. geſchloſſen und
erſt nach der Verkündung des Geſetzes zu erfüllen ſind.
Einfuhrerleichterungen für Fleiſch und Lebens⸗
mittel find im Geſetz betr. vorübergehende Einfuͤhr⸗
erleichterungen (RGBI. S. 338) vorgeſehen. Dem
Wucher mit Gegenſtänden des täglichen Bedarfs, be⸗
ſonders mit Nahrungs- und Futtermitteln, wirkt das
Geſetz betr. Höchſtpreiſe (RGBl. S. 339) entgegen.
Zur Erleichterung für die Induſtrie, deren für den
Heeresbedarf und die Nahrungsmittelverſorgung ar:
beitender Teil einer außerordentlichen Arbeitsanhäufung
gegenüberſteht, während andere ihrer Zweige um die
Exiſtenz zu ringen haben werden, ſind Ausnahmen von
den Beſchränkungen, die die Gewerbeordnung für die
Beſchäftigung von Arbeitern vorſieht, zugelaſſen (Geſ.
vom 4. Auguſt 1914 betr. Ausnahmen von Beſchäf⸗
. gewerblicher Arbeiter RGBl.
Die nachhaltige Leiſtungsfähigkeit der Kranken⸗
kaſſen, die durch die Einberufung des arbeitsfähigſten
Teils des Volks zu den Waffen und durch die zu er
wartende Arbeitsloſigkeit viele Beiträge verlieren, da⸗
gegen mit einer relativen Mehrung der Unterſtützungs⸗
fälle zu rechnen haben, ſucht das Geſetz vom 4. Auguſt
1914 betr. Sicherung der Leiſtungsfähigkeit der Kranken-
kaſſen (RGBl. S. 337) zu gewährleiſten. Ein weiteres
Geſetz vom gleichen Tage (RGBl. S. 334) erhält den
zum Kriegsdienſt Einberufenen die Anwartſchaften
aus der Krankenverſicherung.
Von großer Bedeutung für den Rechtsverkehr iſt
das Geſetz betr. den Schutz der infolge des Kriegs an
der Wahrnehmung ihrer 1 behinderten Perſonen
vom 4. Auguſt 1914 (RG Bl. S. 328). Der § 247 ZPO.
ibt den im Kriege ſtehenden Perſonen keinen aus⸗
reichenden Schutz gegen prozeſſuale Nachteile, die ihnen
aus ihrer Abweſenheit entſtehen können. Das Geſetz
ſchließt ſich in den Grundzügen an jenes an, das am
21. Juli 1870 für die Dauer des damaligen Kriegs—
zuſtandes erlaſſen wurde und ſich im Ganzen bewährte.
Das Verfahren i in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten wird,
wenn eine zum Ktiegsdienſt einberufene, nicht vertretene
Perſon als Partei beteiligt iſt, bis zur Beendigung
des Kriegszuſtands oder bis zur früheren eigenen Auf—
nahme des Verfahrens unterbrochen. Die Zwangs⸗
vollſtreckung gegen ſolche Perſonen iſt im weiteſten Um—
fang eingeſchränkt. Das Geſetz ſchützt fie gegen den Aus:
ſchluß ihrer Rechte im Konkurs-, Aufgebots-„Verteilungs⸗,
Zwangsverſteigerungs- und Zwangsverwaltungsver⸗
fahren und hemmt für und gegen ſie die Verjährung
und den Lauf beſtimmter Friſten.
Das Geſetz über die Ermächtigung des Bundesrats
zu wirtſchaftlichen Maßnahmen und über die Ver—
längerung der Friſten des Wechſel⸗ und Scheckrechts
im Falle kriegeriſcher Ereigniſſe vom 4. Auguſt 1914
(RGBl. S. 327) verlängert die Friſten für die Hand:
lungen, deren es zur Ausübung oder Erhaltung des
Wechſelrechts oder des Regreßrechts aus dem Scheck
bedarf, wenn die Einhaltung der Friſten durch die höhere
Gewalt des Kriegs verhindert wird ($ 1), und geſtattet
gleichzeitig die allgemeine Verlängerung dieſer Friſten
durch Kaiſerliche Verordnung (82). Von beſonderer
Tragweite iſt der § 3 des Geſetzes, der den Bundesrat
Br — — =,
ermächtigt, während der Zeit des Kriegs die geſetzlichen
Maßnahmen anzuordnen, die ſich zur Abhilfe wirt⸗
ſchaftlicher Schädigungen als notwendig erweiſen.
Auf Grund dieſes § 3 hat der Bundesrat bereits
eine Reihe überaus wichtiger und in das Rechtsleben
tief eingreifender Maßnahmen beſchloſſen.
Durch die Bekanntmachungen des Bundesrats vom
6. und 7. Auguſt 1914 (RGBl. S. 357 und 361) find die
in Betracht kommenden Friſten des Wechſel⸗ und Scheck⸗
rechts, ſoweit ſie nicht am 31. Juli 1914 abgelaufen
waren, allgemein bis auf weiteres um 30 Tage ver⸗
längert und die Vorſchriften des 8 1 des Geſetzes auch
dann für anwendbar erklärt, wenn die rechtzeitige Vor⸗
nahme der rechtserhaltenden Handlung durch eine aus⸗
ländiſche geſetzliche Vorſchrift verhindert wird.
Die Bekanntmachung des Bundesrats vom 7. Auguſt
1914 über die gerichtliche Bewilligung von Zahlungs-
friſten (RGBl. S. 359) regelt für Deutſchland die
brennende Frage des fog. Moratoriums. In Ueber⸗
einſtimmung mit der in weiten wirtſchaftlichen Kreiſen
des Volks vertretenen Anſchauung hat der Bundesrat
es als unnötig und gefährlich abgelehnt, nach dem Bei⸗
piel der anderen kriegführenden Staaten ein allgemeines
oratorium zu erlaſſen. Dagegen hat er das zweifellos
vorhandene Bedürfnis, ſoliden und durch die wirt⸗
ſchaftlichen Rückwirkungen des Kriegs vorübergehend
in Bedrängnis und Zahlungsſchwierigkeiten geratenen
Schuldnern Schutz zu gewähren, anerkannt. Die Gerichte
können dem Schuldner auf ſein Verlangen eine Zahlungs—
friſt von vorerſt längſtens drei Monaten bewilligen,
wenn ſeine Lage ſie rechtfertigt und der Aufſchub der
Zahlung dem Gläubiger nicht einen unverhältnis-
mäßigen Nachteil bringt. Die Zahlungsfriſt wird bei
rechtshängigen Anſprüchen durch Beſtimmung im Ur⸗
teil, im Vollſtreckungsverfahren durch zeitweilige Eins
ſtellung der Vollſtreckung gewährt. Iſt die Forderung
noch nicht eingeklagt, ſo kann der Schuldner, wenn er
ſie anerkennt, die Feſtſetzung der Friſt in einem Ans
erkenntnisurteil erwirken. Anerkenntnisurteile dieſer Art
und Vergleiche werden durch Gebührenvergünſtigungen
erleichtert. Die Umſtände, die die Zahlungsfriſt recht—
fertigen ſollen, müſſen dem Gerichte glaubhaft ge—
macht werden. Das Geſetz hat mit dieſem gerichtlichen
Moratorium den Gerichten eine verantwortungsvolle
und ſchwierige Aufgabe übertragen. Soll der Zweck,
den ehrlichen Schuldnern über die Kriegsnot wegzuhelfen,
erreicht und das von vielen Seiten verlangte allgemeine
Moratorium wirklich dauernd entbehrlich gemacht
werden, ſo wird eine allzugroße Zurückhaltung in der
Anwendung des Geſetzes vermieden werden müſſen; ans
dererſeits aber werden die Gerichte im Intereſſe der
Sicherheit des Geſchäftsverkehrs und des Rechtslebens
nicht unterlaſſen dürfen, den wahrſcheinlich ſehr häufigen
Verſuchen, mißbräuchlich den Schutz des Geſetzes zu er—
ſchleichen, entgegenzutreten.
Angeſichts der Moratorien des Auslands konnte
auch die Verfolgung ausländiſcher Anſprüche vor den
inlandiichen Gerichten nicht unbeſchränkt bleiben. Nach
der Bekanntmachung des Bundesrat vom 7. Auguſt
1914 (GBl. S. 360) iſt die Geltendmachung ſolcher
Anſpruͤche, die vor dem 31. Juli 1914 entſtanden ſind,
ZBeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 16 u. 17.
—
tigen, daß ihre Zahlungsunfähigkeit mit der Beendi⸗
gung des Kriegszuſtands ſich beheben wird, zu halten
und vor dem Zuſammenbruch im Konkurs zu retten
(RGBl. S. 363). In ſolchen Fällen ſoll das Konkurs⸗
gericht die Geſchäftsaufſicht zur Abwendung des Kon:
kursverfahrens anordnen können. Die Auffiht wird
durch gerichtlich beſtellte Perſonen ausgeübt und hat
den Zweck, unbeſchadet der Sicherung des Vermögens
für die Gläubiger und ihrer Befriedigung aus den
Erträgniſſen des Geſchäfts die wirtſchaftliche Exiſtenz
des Schuldners zu erhalten. Sie unterwirft den Schuldner
weitgehenden Beſchränkungen. Arreſte, Zwangsvoll⸗
ſtreckungen und die Konkurseröffnung ſind während
ihrer Dauer ausgeſchloſſen oder nur für ſpäter ent⸗
ſtandene Forderungen möglich.
Im Zuſammenhang damit ſetzt eine Bekannt⸗
machung des Bundesrats vom gleichen Tage (RG Bl.
S. 364) zugunſten der handelsrechtlichen Gefellſchaften
und der Erwerbs⸗ und Wirtſchaftsgenoſſenſchaften die
Verpflichtung, beim Eintritte der Zahlungsunfähigkeit
ſofort die Eröffnung des Konkurſes zu beantragen, und
das Verbot von Zahlungen nach dem Eintritte der
Zahlungsunfähigkeit bis auf weiteres außer Kraft.
Mit dieſer Bekanntmachung wird die Reihe der
zur finanziellen und wirtſchaftlichen Mobilmachung not⸗
wendigen Maßnahmen vorläufig zum Abſchluß ge⸗
kommen fein. Ob allerdings die Beſtimmungen über
die Bewilligung von Zahlungsfriſten dem Bedürfniſſe
genügen, werden erſt die Erfahrungen der nächſten
Zukunft lehren.!)
prachecke des Allgem. Dentſchen Sprachvereins.
vor den inländiſchen Gerichten bis zum 31. Oktober
1914 ausgeſchloſſen; Ausnahmen kann der Reichskanzler
zulaſſen; er kann aber auch aus Gründen der Vergeltung
weitere Einſchränkungen anordnen. In Ergänzung
dieſes Gegenmoratoriums ſchiebt die Bekanntmachung
vom 10. Auguſt 1914 (RG Bl. S. 368) die Fälligkeit der
im Ausland vor dem 31. Juli 1914 auf das Inland
ausgeſtellten Wechſel um drei Monate hinaus. Nach
der Bekanntmachung vom 12. Auguſt 1914 (RGBl.
S. 369) ſind dieſe Wechſel von der Fälligkeit an mit
6°. zu verzinfen.
Unter dem 8. Auguſt d. Ars. hat der Bundesrat
Anordnungen getroffen, um Geſchäfte, die durch den
Krieg in Zahlungsunfähigkeit geraten, die aber an ſich
lebensfähig ſind und zu der Erwartung berech—
Eigentum von J. Schweitzer Ve
Druck von Dr. F. P. Datterer &
|
Ein einfaches Mittel. Das verſchwommenſte aller
unſerer Fremdwörter iſt das Wort Intereſſe. Man
kann es häufig weglaſſen, ohne daß der Sinn geändert
wird; manchmal wird der Satz dadurch ſogar kräftiger
und verſtändlicher. Ein paar Beiſpiele mögen es
zeigen. Der bedeutendſte deutſch-öſterreichiſche Schutz
verein, der deutſche Schulverein, nannte ſeine Zeitung.
den Getreuen Eckart, anfangs „Monatsſchrift für die
Geſamtintereſſen deutſcher Schußarbeit“. Im Kampfe
für die Reinheit unſerer Mutterſprache erkannten aber
die Oſtmärker, daß das größte fremdſprachliche
Wucherkraut im Garten der deutſchen Sprache,
das Wort Intereſſe, ſamt feiner Sippe oft fo nichts
ſagend iſt, daß man es herausziehen und wegwerfen
kann, ohne daß das Ganze Schaden leidet. Sagt der
jetzige Untertitel „Monatsſchrift für deutſche Schun—
arbeit“ nicht dasſelbe wie der urſprüngliche Untertitel?
Sogar in Einharts prächtige deutſche Geſchichte war
das Wort Intereſſe als einziges Fremdwort einge—
drungen, obwohl der ſchwerfällige Ausdruck „Im
Intereſſe der Erhaltung des Volkstums“ zum ſchönen
ſprachlichen Gewande dieſes Volksbuches nicht paßte.
In der zweiten Auflage des Buches war daher der
Schmarotzer verſchwunden; da las man Seite 370 das
fluſſige „für die Erhaltung des Volkstums“. Ebenſo
überflüſſig iſt das Fremdwort in dem Titel einer vielen
Provinzzeitungen beigefügten Beilage: ‚Zeitſchrift für
die Intereſſen der Landwirtſchaft“. In ihrem Werke
„Die Waffen nieder“ ſagt Berta von Suttner Seite 196:
„das erfordert unſere Ehre und das Intereſſe unſerer
Machtſtellung“. Man laſſe „das Intereſſe“ weg und
man wird zugeben, daß der Satz dadurch an Kraft ge»
winnt. Vielleicht werden dieſe Bemerkungen über die
vergängliche Fremdwörterherrlichkeit manchen Leſer
veranlaſſen, das Wort Intereſſe zu „verfolgen“.
1) Im übrigen ſei verwieſen auf die BR Bek. vom 18. Aubuſt 1914
(R nl. S. 377) und die IM nek. vom 16. Augun 19140 Jm. S. 145,
dei deren Erſcbeinen die vorliegende Nummer ſchon geſest war. >
Eine Buchauenabe mit dem rolltandtaen Tert ſämtlicher „Kriens
geſese“, der Imek. und einem Regiſtetr erſchien ſoeden dei
J. Schweitzer Nerlag (Artbur Sellier) Munchen. Preis 1.10 TR
Verantwortl. Herausgeber i. V.: E. Eckert, Land⸗
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
rlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig.
Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ur. 18.
Münden, den 15. September 1914.
10. Jahrg.
Feifhrift für Bertspflege
in Bayern
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Regierungsrat im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtig.
Berlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Zeller)
Münden, Berlin u. Leipzig.
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.)
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats //.
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich :
Mk. 8.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und J
jede Voſtanſtalt. *
Nachdruck verboten.
Erläuterungen
zum Geſetze vom 4. Auguſt 1914, betreffend den
Schutz der infolge des Krieges an Wahrnehmung
ihrer Nechte behinderten perſonen.
Bon Reichsgerichtsrat Karl Mansfeld.
Dem Verſtändnis dieſes wirtſchaftlich bedeu⸗
tungsvollen, der Kriegsnot Rechnung tragenden
Geſetzes, das die Fürſorgemaßregeln des Geſetzes
vom 21. Juli 1870 aufgenommen, zum Teil er⸗
weitert und der neueren Geſetzgebung angepaßt
hat, ſollen die folgenden Ausführungen dienen, die
im weſentlichen ſich auf die „Begründung“ zum
Entwurfe des Geſetzes (Druckſ. des Reichstags
13. Gefetzgebungsabſchnitt 2. Sitzungszeitraum
1914 Nr. 11) ſtützen; ſie machen auf Vollſtändig⸗
keit keinen Anſpruch.
Zweck des Geſetzes iſt der Schutz der durch
den Krieg Behinderten; das muß bei der Ent⸗
ſcheidung auftauchender Zweifelsfragen ausſchlag⸗
gebend ſein. Gegen das Schutzbedürfnis der Kriegs⸗
beteiligten treten die damit unverträglichen Inter⸗
eſſen ihrer Rechtsgegner zurück. Geſchützt ſollen
werden die Perſonen, die ſich in einem der in
52 Nr. 1—3 des Geſetzes bezeichneten Verhält⸗
niſſe befinden, ferner, ſoweit fie prozeßunfähig find
Sd 112, 113 BGB.), die natürlichen — nicht die
juriſtiſchen — Perſonen, deren geſetzliche Vertreter
in einem jener Verhältnifſe ſtehen (S 9). Der
Schutz wird gewährt, ſobald eine Perſon oder ihr
geſetzlicher Vertreter in eine Lage kommt, wie ſie
der § 2 vorfieht (Zugehörigkeit zur Land⸗ oder
Seemacht, dienſtlicher Aufenthalt im Auslande —
nicht bloß Feindeslande —, Kriegsgefangenſchaft),
früheſtens von der Verkündung des Geſetzes an
(4. Aug.); er dauert bis zum Aufhören jenes Ver⸗
hältniſſes, längſtens bis zur Beendigung des Kriegs⸗
zuſtandes, deren Zeitpunkt durch kaiſerliche Ver⸗
ordnung beſtimmt wird. Ob die Vorausſetzungen
5 Leitung und Geſchäftsſtelle: München. Ottoſtraße 12.
J] Anzeigengebühr 30 Pfg. für die halbgeſpaltene Petitzeile
oder deren Raum. Bei Wiederholungen Ermäßigung. Stellen⸗
% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
333
für den Schutz vorliegen, hat der Richter im Einzel⸗
falle zu prüfen.
Die Schutzmaßregeln find: Unterbrechung des
Verfahrens in bürgerlichen Rechtsſtreitigkeiten
(33 2—4), Beſchränkung der Zwangsvollſtreckung
(8 5), Ausſchluß oder Ausſetzung des Konkurs⸗
verfahrens gegen den Kriegsbeteiligten (8 6), Schutz
ſeiner Rechte in einem gegen andere gerichteten
Verfahren (§ 7), Hemmung der Verjährung (8 8).
Das Verfahren in bürgerlichen Rechtsſtreitig⸗
keiten, d. h. jedes Verfahren, auch das Mahnver⸗
fahren, nur nicht das ſchieds richterliche der 88 1025 ff.
ZPO. (RG. 62, 24) unterliegt nicht etwa nur der
Ausſetzung durch richterliche Anordnung, ſondern
wird kraft Geſetzes unterbrochen, wenn eine Partei,
klagende oder beklagte, kriegsbeteiligt iſt. Das
gilt auch für das Verfahren vor den Gewerbe⸗ und
Kaufmannsgerichten und mit einem Vorbehalte
zugunſten der Landesgeſetzgebung für das vor den
beſonderen Gerichten des $ 14 GVG. (8 10 des
Geſetzes). Es gilt für alle bürgerlichen Rechts⸗
ſtreitigkeiten, die bei Verkündung des Geſetzes an⸗
hängig find oder nachher „anhängig werden“ (8 2).
Das Anhängigmachen, durch Klagerhebung und
gleichwertige Handlungen, iſt alſo durch das Geſetz
nicht ausgeſchloſſen. Dem Bedenken, daß auf die
Klagſchrift ein Verhandlungstermin nicht beſtimmt
werden dürfe, ſolange die Einlaſſungsfriſt nicht
laufe ($ 249 Abſ. 1 ZPO.), begegnet die „Begrün⸗
dung“ mit dem Hinweis darauf, daß „inzwiſchen
die Unterbrechung des Verſahrens, namentlich durch
Aufnahme ſeitens des Beklagten, beendigt werden“
könne gemäß 8 4.
Die Berückſichtigung des Geſetzeszwecks muß
zu der Auslegung führen, daß das Nichtvor⸗
handenſein der Unterbrechungsvorausſetzungen
von der Partei glaubhaft zu machen iſt, die das
Eingreifen oder die Fortſetzung der gerichtlichen
Tätigkeit anruft. Der Klaͤger hat glaubhaft zu
machen, daß der Beklagte nicht kriegsbeteiligt iſt.
Der Beklagte iſt ja gerade durch den Krieg be⸗
334
hindert — wenn er zu den Perſonen der 88 2,9
gehört — der Klage gegenüber die geſetzlich ein⸗
getretene Unterbrechung geltend und glaubhaft zu
machen, behindert im Sinne des Geſetzes auch dann,
wenn er etwa die Klagſchrift noch perſönlich, nicht
im Wege der Erſatzzuſtellung, zugeſtellt erhalten
hat. Die dem Antragſteller obliegende Glaubhaft⸗
machung kann mit allen Mitteln des $ 294 ZPO.,
insbeſondere auch durch eidesſtattliche Verſiche⸗
rungen, obrigkeitliche Beſcheinigungen, erfolgen.
Ohne ſolche Glaubhaftmachung kann gegen Männer
ein Verſäumnisurteil nicht ergehen, auch wenn ſie
das landſturmpflichtige Alter überſchritten haben,
gegen Frauen, ſoweit nicht ihre Kriegsbeteiligung
beim Roten Kreuz in Feſtungen oder im Gefolge
der mobilen oder gegen den Feind verwendeten
Teile der Land» oder Seemacht ($ 2 Ziff. 1) in
Frage kommt, noch § 2 Ziff. 3 zutrifft.
In zwei Fällen wird das Verfahren nicht
unterbrochen. Erſtens, wenn der Kriegsbeteiligte
einen perſönlichen Sicherheitsarreſt erwirkt hat und
es ſich um deſſen Aufrechterhaltung oder Aufhebung
handelt. Die Rückſicht auf die perſönliche Frei⸗
heit des Gegners geht vor. Sodann, wenn der
Kriegsbeteiligte vertreten iſt. Gehört in dieſem
Falle auch der Vertreter zu den Kriegsbeteiligten,
ſo iſt zu unterſcheiden, ob es ſich um geſetzliche
oder gewillkürte Vertretung handelt. Iſt der geſetz⸗
liche Vertreter kriegsbeteiligt, ſo kann gemäß dem
noch zu erörternden 8 9 ein beſonderer Vertreter
beſtellt werden. Gehört der gewählte Vertreter
(Prozeßbevollmächtigte, Prokuriſt, Generalbevoll⸗
mächtigte) des Kriegsbeteiligten zu den Perſonen des
8 2, jo meint die Begründung, es liege kein aus⸗
reichender Anlaß vor, die Unterbrechung anzuordnen.
Es dürfe angenommen werden, daß in ſolchen
Fällen durch Stellung eines Ausſetzungsantrags
oder Beſchaffung eines anderen Vertreters für die
Intereſſen der Partei werde geſorgt werden.
83 Abſ. 2 beſtimmt nämlich, daß der Vertreter
der kriegsbeteiligten Partei die Ausſetzung des —
von der Unterbrechung nicht betroffenen — Ver⸗
fahrens beantragen kann, und daß das Prozeß—
gericht dieſem Antrage ſtattzugeben hat. Allein
die von der Begründung angenommene Möglich—
keit wird bei der Eile der Mobilmachung in
manchen Fällen nicht beſtehen. Hier hilft m. E.
der $ 247 ZPO., wonach das Prozeßgericht auch
von Amts wegen die Ausſetzung des Verfahrens
anordnen kann, wenn eine Partei zu Kriegszeiten
ih im Militärdienſte befindet. Der § 247 iſt
durch das Geſetz vom 4. Auguſt nicht beſeitigt, er
iſt für deſſen Geltungsdauer nur ſoweit gegen—
ſtandslos geworden, als das Geſetz die Unter—
brechung anordnet. Unberührt geblieben iſt
namentlich auch die Ausſetzungsbefugnis des Prozeß—
gerichts nach §S 247 für den Fall, daß eine Partei
durch Krieg von dem Verkehre mit dem Prozeß—
gericht abgeſchnitten iſt, und es entſprach den Ver—
kehrsverhältniſſen jedenfalls in den erſten Tagen
N Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
der Mobilmachung, wenn die Gerichte den Erlaß
von Verſäumnisurteilen gegen außerhalb des Ge⸗
richtsorts ſich Aufhaltende ablehnten.
Unterbrechung und Ausſetzung hören auf mit
Beendigung des Kriegszuſtandes (88 4, 11). Der
Unterbrechung und Ausſetzung kann der Kriegs⸗
beteiligte jederzeit durch Aufnahme des Verfahrens
mittels Zuſtellung eines Schriftſatzes ein Ende
machen. Tut er das nicht, ſo endet während
des Kriegszuſtandes die Unterbrechung nur durch
Aufhören der Kriegsbeteiligung (§ 2). Jetzt kann
auch der Gegner ſich rühren. Er kann, wenn
der bisherige Kriegsbeteiligte nicht binnen Monats⸗
friſt ſeit Aufhören der Kriegsbeteiligung das Ver⸗
fahren aufnimmt, ſelbſt die Aufnahme betreiben.
Die „Partei“ (§ 2) kann zur Aufnahme und zu:
gleich zur Verhandlung zur Hauptſache geladen
werden. Hier (in $ 4) beſtimmt das Geſetz aus:
drücklich, daß ein Verſäumnisurteil gegen die Per:
ſonen des § 2 nur erlaſſen werden kann, wenn
der Ablauf der Monatsfriſt ſeit Beendigung des
nach 8 2 maßgebenden Verhältniſſes, alſo wenn
dieſe Beendigung — vom Gegner und Antrag⸗
ſteller — glaubhaft gemacht iſt.
Liegt ſchon ein vollſtreckbarer Titel vor, ſo
findet die Vollſtreckung zwar ſtatt, unterliegt aber
gewiſſen Beſchränkungen mit Rückſicht darauf, daß
der Kriegsbeteiligte behindert iſt, Einwendungen
geltend zu machen und Deckung zu beſchaffen. Bei
Grundſtücken und im Schiffsregiſter eingetragenen
Schiffen iſt Zwangsverwaltung zulaͤſſig, auch die
Einleitung des Zwangsverſteigerungsverfahrens, nicht
aber die Verſteigerung ſelbſt. Bewegliche körper⸗
liche Sachen können gepfaͤndet, nicht aber ver⸗
ſteigert oder anderweit (S8 821, 825 ZPO.) ver:
wertet werden. Eine Ausnahme iſt für verbrauch⸗
bare, der Wertverringerung ausgeſetzte und teuer
aufzubewahrende Sachen getroffen. Gepfaͤndetes
Geld kann an den Gläubiger abgeliefert werden
(§ 815 3PO.). In demſelben Umfange iſt auch
die Durchführung der Zwangsvollſtreckung in das
Vermögen der Ehefrauen und der unter elterlicher
Gewalt ſtehenden Kinder der Kriegsbeteiligten ein⸗
geſchränkt. Wenn die Zwangsvollſtreckung die Ver⸗
mögensrechte berührt, die dem Manne auf Grund
des ehelichen Güterrechts oder die den Eltern auf
Grund der elterlichen Gewalt zuſtehen, findet die
Verſteigerung uſw. nur in den Ausnahmefällen
ſtatt. Die Erwähnung der „Eltern“ weiſt hier
übrigens darauf hin, daß auch Frauen als Kriegs
beteiligte im Sinne des $ 2 in Frage kommen
können.
Die Vorſchrift des 85 gilt nur für die Voll:
ſtreckung wegen Geldforderungen, nicht für die
Zwangsvollſtreckung, bei der Verſteigerung und
anderweite Verwertung außer Betracht bleiben.
Der Schutz der Kriegsbeteiligten bei der Zwangs-
vollſtreckung zur Erzwingung der Herausgabe von
Sachen und zur Erwirkung von Handlungen oder
Unterlaſſungen SS 883— 898 3 O.) ergibt ſich,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
ebenſo wie bei dem Offenbarungseidverfahren, aus
den 88 2—4 des Geſetzes: es handelt ſich um ein
„Verfahren“, das kraft Geſetzes unterbrochen wird.
Die Begründung erwaͤhnt zwar dieſe Arten der
Zwangsvollſtreckung nicht, das Geſagte folgt aber
aus § 2 und dem Zwecke des Geſetzes.
Konkurs kann über das Vermögen eines Kriegs⸗
beteiligten nur auf deſſen Antrag eröffnet werden.
Dieſe Vorſchrift läßt die Rechte der Gläubiger
hinter das Schutzbedürfnis, dem das Geſetz dient,
ſo weit zurücktreten, daß nicht nur die Geltend⸗
machung der Rechte hinausgeſchoben wird, ſondern
unter Umſtänden die Rechte ſelbſt verloren gehen
können. Die Begründung des Entwurfs weiſt auf
die Beſchränkung des Anfechtungsrechts hin (88 30,
31 Abi. 2, 32 KO.). Iſt das Konkursverfahren
bei Inkrafttreten des Geſetzes ſchon anhängig oder
nachher auf Antrag des Kriegsbeteiligten eröffnet
worden, ſo kann auf ſeinen Antrag das Konkurs⸗
gericht die Ausſetzung des Verfahrens anordnen.
Die Ausſetzung hört, abgeſehen von der Beendigung
des Kriegszuſtandes (8 11), auf „mit“ einem die
Fortſetzung des Verfahrens anordnenden Gerichts⸗
beſchluſſe, d. h. mit ſeiner Rechtskraft (8 73 KO.).
Der Beſchluß muß erlaſſen werden, wenn der
Gemeinſchuldner oder wenn unter Einhaltung der
Monatsfriſt des 8 4 und Glaubhaftmachung ihres
Ablaufs, alſo auch des Aufhörens der Kriegs⸗
beteiligung, der Verwalter oder ein Konkurs⸗
gläubiger es beantragt. Daß er erlaſſen werden
könnte, wenn Verwalter oder Gläubiger vor
Friſtablauf oder ohne die Glaubhaftmachung den
Antrag ſtellen, laßt zwar der Wortlaut, nicht aber
der Sinn der Beſtimmung und ihr Zuſammen⸗
hang mit 8 4 zu. Die in $6 Abſ. 4 vorge⸗
ſchriebene öffentliche Bekanntmachung erfolgt in
den Formen des § 76 KO.
Auf Grund des Ermaͤchtigungsgeſetzes vom
4. Auguſt (RG Bl. S. 327) hat der Bundesrat
unter dem 8. Auguſt (RGBl. S. 363) eine Ver⸗
ordnung erlaſſen, wonach bei dem Konkursgerichte
zur Abwendung des Konkurſes die Anordnung
einer Geſchäftsaufficht mit den in der Verordnung
angegebenen Folgen beantragen kann, wer infolge
des Krieges zahlungsunfähig (8 102 KO.) geworden
iſt. Das gilt natürlich auch für die Perſonen
des 8 2 und gilt für die nicht prozeßfähigen, durch
eine Perſon des § 2 geſetzlich vertretenen, natür⸗
lichen Perſonen, während für dieſe weder die Be⸗
ſchränkung der Zwangsvollſteckung noch die Aus:
ſetzung oder der Ausſchluß des Konkursverfahrens
Platz greift (8 9). Bezüglich des Konkursverfahrens
verneint die Begründung für dieſen Fall das Vor⸗
liegen eines weſentlichen Bedürfniſſes zur beſonderen
Fürſorge. Dem Gemeinſchuldner werde in der
Regel ein beſonderer Vertreter vom Vormundſchafts⸗
gerichte beſtellt werden, wenn der geſetzliche Ver⸗
treter infolge ſeiner Beteiligung am Kriege zur
Wahrnehmung der Rechte nicht imſtande ſei. Das⸗
ſelbe wird gegebenenfalls bei der Zwangsvollſtreckung
335
gelten müſſen (8 1909 BGB.), wenn nicht die
Ausſetzung oder Unterbrechung nach 88 2—4 ein⸗
tritt oder entſprechende Anwendung des § 57 ZPO.
zur Beſtellung eines beſonderen Vertreters durch
das Vollſtreckungsgericht führt.
Richtet ſich ein Konkursverfahren oder eine
Zwangsverſteigerung nicht gegen einen Kriegs⸗
beteiligten, ſondern gegen andere Perſonen, ſo wird
ein ſolches Verfahren nicht dadurch berührt, daß
Kriegsbeteiligte als Gläubiger oder anderweit Be⸗
rechtigte daran teilnehmen ($ 7). Dasſelbe gilt
für das Aufgebots⸗ und Verteilungsverfahren. Doch
gibt das Geſetz dieſen Kriegsbeteiligten einen ge⸗
wiſſen Schutz gegen die Folgen der Verfäumung
von Terminen und Friſten, Unterlaſſung von An⸗
meldungen, Behinderung in der Geltendmachung
von Rechten, aber nur dann, wenn ſie keinen zur
Wahrnehmung ihrer Rechte berufenen — geſetz⸗
re gewillkürten — Vertreter haben (8 7
i
1. ft in einer der bezeichneten Verfahrensarten
gegen Kriegsbeteiligte ein Verſäumnisurteil (z. B.
§ 881 ZPO.) oder Ausſchlußurteil (88 952, 987,
1017—8 970 kommt nicht in Betracht) ergangen
oder find ſie ſonſtwie als ſäumig behandelt oder
mit ihren Rechten ausgeſchloſſen (z. B. § 66
ZwWGeſ.), jo bleibt ihnen die Befugnis der Nach⸗
nn binnen ſechs Monaten ſeit Beendigung
von Kriegszuſtand oder Kriegsbeteiligung. Iſt
die Nachholung nicht mehr möglich, ſo ſteht ihnen
ein Bereicherungsanſpruch gegen den zu, zu deſſen
Gunſten die Rechtsänderung eingetreten iſt. Nähere
Beſtimmungen darüber zu treffen, gegen wen
der Anſpruch zu richten iſt, hat das Geſetz ſich
enthalten; die Begründung betont die Notwendig⸗
keit der Beſchränkung auf die Auffſtellung allge:
meiner Grundſätze. Die Frage nach dem Gegner
für die Bereicherungsklage iſt aus den Verhält⸗
niſſen des Einzelfalls zu beantworten.
2. Bei Verteilungen ſollen von Kriegsbeteilig⸗
ten angemeldete oder ihnen „mutmaßlich zuſtehende“
Forderungen und Vorrechte wie feſtgeſtellte be⸗
handelt und die entſprechenden Beträge hinter⸗
legt werden. Ueber die Geſtaltung des Verfahrens
hierbei ſind nähere Vorſchriften abſichtlich unter⸗
1529 Schwierigkeiten werden ſich kaum er⸗
geben.
3. Werden Kriegsbeteiligte in der Zwangs⸗
verſteigerung wegen ihrer aus dem Grundſtücke
zu befriedigenden Forderungen, Grund- und Renten⸗
ſchulden durch das Meiſtgebot nicht gedeckt, ſo
kann der Zuſchlag verſagt und ein neuer Ver⸗
ſteigerungstermin beſtimmt werden, wenn die An⸗
nahme eines günſtigeren Ergebniſſes durch die
Umſtände begründet wird.
Eine weitere Schutzmaßregel iſt endlich die
Hemmung der Verjährung. § 203 BGB. reicht,
ſoweit er zutrifft, für die durch den Krieg ge:
ſchaffene Lage nicht aus. Die Verjährung iſt nach
5 8 Gel. gehemmt zugunſten der Kriegsbeteiligten
336
und — aus Billigkeitserwägungen — zugunften
ihrer Rechtsgegner. Die Hemmung beſteht nur
während der Dauer der Kriegsbeteiligung. Sie
beginnt, wie die Begründung ſagt, mit der Ver⸗
kündung des Geſetzes, wenn bereits in dieſem Zeit⸗
punkt das maßgebende Verhältnis begründet iſt,
anderenfalls erſt mit dem Zeitpunkte, in dem dieſes
Verhältnis eintritt. Die Hemmung hört auf, ſo⸗
bald die Kriegsbeteiligung, ſpäteſtens ſobald der
Kriegszuſtand beendet iſt; nach Beſeitigung der
Hemmung läuft die vor Eintritt der Hemmung
begonnene Verjährung weiter. Während der Kriegs⸗
beteiligung kann eine neue Verjährung nicht be⸗
ginnen.
In demſelben Umfange gehemmt (§ 8 Abſ. 2)
wird auch der Lauf der geſetzlich für die Be⸗
ſchreitung des Rechtswegs vorgeſchriebenen Aus⸗
ſchlußfriſten (z. B. 8 42 MG., 8 23 des Preuß.
Penſionsgeſetzes) und der Friſten, auf die die Vor⸗
ſchriften des $ 203 BGB. ganz oder teilweiſe ent⸗
ſprechende Anwendung finden. Als ſolche Friſten
führt die Begründung die der $ 124 Abſ. 2, 210,
215 Abſ. 2, 477 Abſ. 2, 802, 1002, 1599, 1997
BGB. beiſpielweiſe an. Eine weitere Ausdehnung
der Hemmungsvorſchrift auf die ſonſtigen Aus⸗
ſchlußfriſten iſt als bedenklich erachtet worden, weil
ſie in das materielle Recht allzu tief eingreifen
würde.
Auf die Beſtimmungen des § 9 (Fürſorge für
natürliche Perſonen, deren geſetzlicher Ver⸗
treter Kriegsbeteiligter iſt) einzugehen, war ſchon
mehrfach Gelegenheit. Die Vorſchriften des Ge⸗
ſetzes, außer 88 5 und 6, finden entſprechende An⸗
wendung. Soll eine Perſon verklagt oder der
Rechtsſtreit gegen fie fortgeſetzt werden, jo kann
bei Gefahr im Verzug ihr ein beſonderer Ver⸗
treter beſtellt werden, deſſen Beſtellung die Unter⸗
brechung des Verfahrens ($ 2) beendet, und der
die Ausſetzung des Verfahrens (§ 3 Abſ. 2) zu bean⸗
tragen nicht befugt iſt. Für die vom Geſetze zu⸗
gelaſſene Vertreterbeſtellung war der 8 57 ZPO.
vorbildlich, jedoch beſteht nur die Befugnis, nicht
die Verpflichtung, dem Antrage (des Gegners) auf
Beſtellung zu entſprechen. Die Begründung be⸗
merkt, es ſei geboten, die Anwendbarkeit des 8 3
Abſ. 2 ausdrücklich auszuſchließen, weil ſonſt die
Beſtimmung (des $ 9) praktiſche Bedeutung nicht
gewinne. Die Ausſchließung erſcheine auch un⸗
bedenklich, weil der Richter in der Lage ſei, von
der ihm eingeräumten Befugnis nur in den hier⸗
zu geeigneten Fallen Gebrauch zu machen.
Dem Ermeſſen des Richters läßt das Geſetz
überhaupt einen weiten Spielraum. Aber nur
das Ermeſſen wird dem Sinne des Geſetzes ge:
recht, das demſelben fürſorglichen Wohlwollen folgt,
wie das Geſetz ſelber. Im Zweifel iſt zugunſten
des Kriegsbeteiligten zu entſcheiden, Anforderungen
an die ihm obliegende Behauptungs-, Anmeldungs⸗
und Glaubhaftmachungsapflicht dürfen nicht hoch
geſpannt werden, überall muß Rückſicht walten.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18. j
Daß dies der Wille des Geſetzes iſt, geht aus
vielen ſeiner Vorſchriften und aus den Dar⸗
legungen der Begründung hervor. So iſt nach
9 7 Ziff. 1 Abſ. 2 das Recht dem Kriegsbeteilig⸗
ten vorzubehalten, wenn er es angemeldet hat
oder wenn auch nur anzunehmen iſt, daß
es ihm zuſteht. Nach Ziff. 2 ſoll genügen, daß
die Forderung ihm mutmaßlich zuſteht und
daß das Vorrecht anſcheinend begründet iſt.
Im übrigen regelt ſich das Verfahren vor den
im 5 2 des Geſetzes bezeichneten Gerichten im Falle
der Unterbrechung nach der ZPO., insbeſondere finden
die 88 248 — 250, 252 Anwendung. Die Be
gründung weiſt darauf hin, daß ſich die Wirkungen
der Unterbrechung, die Rechtsbehelfe gegen ein
während der Unterbrechung mit Unrecht erlaſſenes
Urteil uſw. nach der ZPO. beſtimmen, und daß
aus deren Vorſchriften zu entnehmen ſei der Be⸗
griff des „Verfahrens“ und der „Partei“, alſo
ob Mahn⸗ und Arreſtverfahren, Streitgenoſſen
und Nebenintervenienten von der Beſtimmung des
8 2 mit betroffen werden, eine Frage, die wohl
unbedenklich zu bejahen ſein wird, fei es auch nur
im Sinne entſprechender Anwendung.
Jas Geſetz gegen den Verrat militärischer
Geheimniſſe.
Von Staatsanwalt Hahn in München.
Nach den Erfahrungen der neueren Zeit haben
ſich die Verſuche ausländiſcher Regierungen, den
Wert der militäriſchen Rüſtungen Deutſchlands
durch deren Ausforſchung abzuſchwächen und auf
dieſe Weiſe Deutſchlands Sicherheit zu gefährden,
immer mehr gehaͤuft. Das Spionageunweſen hat
in ſeinem Umfange ſtetig zugenommen und ſich
in den bedenklichſten Formen geäußert und bildet
eine ſtets wachſende Gefahr für die Sicherheit
Deutſchlands.
Das Geſetz vom 3. Juli 1893 erwies ſich teil:
weiſe als unzureichend für die Verhinderung und
Abwehr dieſer Gefahr. Um eine ſchärfere Bekämp⸗
fung der Spionage, des Verrats, der Ausforſchung
und der fahrläſſigen Preisgabe militäriſcher Ge⸗
heimniſſe zu ermöglichen, legte die Reichsregierung,
zugleich einer im Reichstag ſelbſt wiederholt ge⸗
äußerten Anregung folgend, am 23. Mai 1913
den Entwurf eines Geſetzes gegen den Verrat
militärticher Geheimniſſe vor. In der 175. Sitzung
des Reichstags vom 26. November 1913 erfolgte
deſſen erſte Beratung, die mit einer Verweiſung
an eine Kommiſſion von 21 Mitgliedern endigte.
Nach Berichterſtattung durch die Kommiſſion, die
in zwei Leſungen über den Entwurf beriet, fand
im Plenum des Reichstags in der 260. Sitzung
vom 16. Mai 1914 die zweite und in der 262.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
Sitzung vom 19. Mai 1914 die dritte Beratung
ſtatt, bei der der Geſetzentwurf nach den von der
Kommiſſion vorgeſchlagenen Aenderungen ange⸗
nommen wurde.“)
Das Geſetz wurde am 3. Juni 1914 vom
Kaiſer vollzogen und in dem am 8. Juni 1914
ausgegebenen Reichsgeſetzblatt (1914 S. 195 ff.)
verkündigt. Es iſt am 22. Juni 1914 in Kraft
getreten.
Nicht alle vom Entwurf vorgeſehenen Neue⸗
rungen find Geſetz geworden; immerhin iſt das
Geſetz vom Jahre 1893 in weſentlichen Punkten
wegen der Reichsſicherheit geändert und ergänzt
worden. .
Auch das neue Geſetz betrifft nach Ueberſchrift
und Inhalt nur die verbotene Auskundſchaftung und
Mitteilung militäriſcher d. h. Heer und Marine
betreffender Geheimniſſe, bei denen die Landes⸗
verteidigung in Frage ſteht. Inſoweit es ſich um Ver⸗
rat anderer Geheimniſſe, um diplomatiſchen Landes⸗
verrat handelt, kommen die Beſtim mungen des
3 92 StGB. zur Anwendung, die andererſeits als
ausgeſchloſſen zu gelten haben in Fällen des Ver:
rats militärischer Geheimniſſe zum Nachteil des
Deutſchen Reichs, weil dieſe Materie durch die
Beſtimmungen des Geſetzes vom 3. Juni 1914,
wie ſchon durch jene des Geſetzes von 1893, er⸗
ſchöpfend geregelt wurde (RGSt. 25, 45).
Die Streitfrage, ob nicht 8 92 Nr. 1 StGB.
wenigſtens inſoweit auch auf den Verrat mili⸗
täriſcher Geheimniſſe anzuwenden ſei, als es ſich
um die Mitteilung von Nachrichten handle, iſt
nun zweifelsfrei im Sinne der herrſchenden, vom
Reichsgericht vertretenen Meinung dahin geklaͤrt,
daß dies nicht der Fall iſt; denn das neue Geſetz
bedroht ausdrücklich den Verrat der wegen der
Landesverteidigung geheim zu haltenden Nach⸗
richten mit Strafe.
Das Geſetz enthält keine Beſtimmung des Be⸗
griffes „Militäriſches Geheimnis“. Ent⸗
gegen dem Vorſchlag des Entwurfs, eine ſolche
allgemeine Begriffsbeſtimmung zu geben, bezeichnet
das Geſetz als zu ſchützende Objekte zunächſt in
Uebereinſtimmung mit den bisherigen Beſtim⸗
mungen: Schriften, Zeichnungen oder andere Gegen⸗
ſtände, deren Geheimhaltung wegen der Landes⸗
verteidigung erforderlich iſt.
Neu in das Geſetz aufgenommen als Gegen⸗
ſtand des Schutzes find Nachrichten, deren Geheim⸗
haltung wegen der Landesverteidigung erfor⸗
derlich, iſt.
Während unter Gegenftänden körperliche
Sachen, darunter beiſpielsweiſe Schriften und
Zeichnungen und Menſchen als körperliche Weſen,
die des Befitzes, d. i. des körperlichen Innehabens,
und der Kenntnis, d. i. des geiſtigen Innehabens,
11005 8 13. Leg.⸗Per. I. Seſſion, 1912/13 An⸗
lage N. 1003; Sten B. 1913 S. 5974 ff.; 1914 S. 8999 ff.
und S. 9076 ff.
— . . — —— — — ——— ——— . ⅛—ÑZs — — T ] ⏑————— ̃ — ⏑—A— UV
337
fähig find, verſtanden werden, find Nachrichten
nur der Kenntnis fähig, Tatſachen, die einem
anderen mitgeteilt werden.
Unter den Begriff der Nachrichten fallen inner⸗
liche, in der Außenwelt ſelbſt nicht wahrnehm⸗
bare und erſt im Wege der Schlußfolgerung aus
Wahrnehmungen erkennbare Eigenſchaften eines
Gegenſtandes, Tatſachen der Won enten Gegen⸗
wart und Zukunft, die zwar der Kenntnis fähig,
aber nicht von körperlicher Beſchaffenheit find. Es
iſt dabei zu denken an militäriſche Anordnungen,
wie die Zuſammenziehung von Truppen, die Aus⸗
gabe von Karten an Offiziere, die Abhaltung
kriegsgemäßer Uebungen, dann an die Einführung
beſtimmter militäriſcher Neuerungen, das Vorhaben
einer Umbewaffnung oder Ausſtattung von Truppen
mit neuem Gerät, an die Ergebniſſe von Schieß⸗
verſuchen mit neuem Material u. dgl. mehr.
Wahrend alle derartigen Vorgänge, Nachrichten,
bisher nur ſoweit vom Geſetz geſchützt waren, als
körperliche Sachen inhaltlich Träger einer Nachricht
waren, als ſich körperliche Sachen inhaltlich mit
der Wiedergabe von Tatſachen befaßten, find ſie
nunmehr ſelbſtändig Gegenſtand des geſetzlichen
Schutzes.
Das Geſetz gewährt Schutz gegen den Ver⸗
rat (88 1 f.), die Ausſpähung (88 3f.) und
die fahrläſſige Preisgabe (8 8) militäriſcher
Geheimniſſe.
Verrat begeht, wer das Geheimnis vorſätzlich
einem anderen mitteilt, es vorſätzlich in den Befitz
oder zur Kenntnis eines anderen gelangen läßt,
Ausſpähung, wer es in ſeinen eigenen Befitz oder
zu ſeiner eigenen Kenntnis bringt.
Das Weſen des Verrats und der Ausſpähung
erfordert, daß deren Gegenſtand zur Zeit ihrer Be⸗
gehung bereits vorhanden, und daß er des Be⸗
ſitzes, d. i. des körperlichen, oder der Kenntnis,
d. i. des geiſtigen Innehabens, fähig iſt.
Weiter muß er zur Zeit der Mitteilung und der
Ausſpähung geheim ſein. Geheim im Sinne des Ge⸗
ſetzes aber iſt er nicht nur dann, wenn er nur den
zu ſeiner Kenntnis amtlich Berufenen bekannt iſt,
ſondern auch dann, wenn er einem weiteren Per⸗
ſonenkreis bekannt oder zugänglich iſt, ſoferne nur
zu ſeiner Erforſchung eine über das gewöhnliche
Maß hinausgehende, bei der regelmäßig erfolgenden
5 nicht übliche Erkundigung erforder⸗
ich iſt.
In dieſem Sinne find z. B. geheim Gelände⸗
teile, die den regelmäßigen Bewohnern zwar be⸗
kannt find, deren ſür die Landesverteidigung bedeu⸗
tungsvolle Beſchaffenheit aber von Dritten erſt
durch beſondere Ausforſchung erfaßt werden kann.
Endlich iſt Vorausſetzung für Verrat und Aus⸗
ſpaͤhung, daß der Gegenſtand des Schutzes wegen
der Landesverteidigung geheim zu halten iſt, was
dann zutrifft, wenn ſeine Offenbarung die zur
Verteidigung des Reichs getroffenen Maßnahmen
zu beeinträchtigen geeignet iſt.
838
Da auch das neue Geſetz eine bindende Be⸗
ſtimmung des Begriffs militäriſcher Geheimniſſe
nicht aufgeſtellt hat, hat jeweils das Gericht zu
entſcheiden, ob dieſe Vorausſetzungen für den
Schutz gegen Verrat, Ausſpähung und fahrläſſige
Preisgabe gegeben find, alſo insbeſondere, ob etwas
geheim und wegen der Landesverteidigung geheim
zu halten iſt.
Geheim zu haltende Gegenſtände und Nach⸗
richten find im Geſetz nicht im gleichen Umfang
geſchützt.
Verrat militäriſcher Geheimniſſe wird
beſtraſt, wenn er vorſätzlich begangen wird. Dabei
wird Vorſatz in doppelter Richtung vorausgeſetzt:
der Vorſatz muß ſich erſtrecken auf die Mitteilung
des Geheimniſſes an Dritte und auf eine Gefähr⸗
dung der Sicherheit des Reichs. In Abweichung
vom Wortlaut des Geſetzes von 1893 iſt letztere
Vorausſetzung nunmehr dadurch ausgedrückt, daß
mit der Strafe des Verrats bedroht wird, wer
vorſätzlich Gegenſtände und Nachrichten an Dritte
gelangen laßt „und dadurch die Sicherheit des
Reichs gefährdet“. Die Vorausſetzung vorſätzlicher
Gefährdung iſt erfüllt, wenn der Täter bei der Mit⸗
teilung das Bewußtſein der Möglichkeit einer Ge⸗
fährdung, einer Schädigung der Sicherheit des
Reichs hatte.
Zu unterſcheiden von dem Vorſatz iſt die Ab⸗
ficht des Täters, die in der Regel nicht auf die
Gefährdung der Reichsſicherheit, ſondern auf Geld⸗
erwerb gerichtet ſein wird.
Waͤhrend der Verrat von geheim zu haltenden
Gegenſtänden dann beſtraft wird, wenn die Mit⸗
teilung an einen beliebigen Dritten erfolgt, iſt der
Verrat von Nachrichten mit Strafe bedroht nur
dann, wenn die Mitteilung an eine ausländiſche
Regierung oder an eine Perſon erfolgt, die für
eine ſolche tätig iſt.
Erhöhte Strafandrohung ſieht das Geſetz für
den Fall vor, daß der Verrat einen ſchweren
Schaden für die Sicherheit des Reichs zur Folge
hatte, ſoferne der Täter dies vorausgeſehen und
gegen Entgelt gehandelt hat. Entgegen dem Ent⸗
wurf, nach dem es zur Anwendung der erhöhten
Strafandrohung genügte, wenn der Täter den Ein⸗
tritt des ſchweren Schadens vorausſehen konnte,
alſo ſubjektiv in der Lage war, ihn vorauszuſehen,
erfordert das Geſetz den Nachweis, daß der Taͤter
den ſchweren Schaden als verbrecheriſchen Erfolg
vorausgeſehen hat. Damit iſt die Anwendung
der erhöhten Strafandrohung auf Falle ausge—
ſchloſſen, in denen dem Taͤter der Eintritt des
Schadens infolge Fahrläſſigkeit nicht zum Bewußt⸗
ſein gekommen war.
Sie iſt nur möglich in Faͤllen des vollendeten
Verrats. In dieſem Sinne äußert ſich nicht nur
die im Lauf der Beratung unwiderſprochen ge:
bliebene Begründung des Entwurfs, die darauf
verweiſt, daß die Anwendbarkeit der erhöhten Straf.
drohung den Eintritt des verbrecheriſchen Erfolges
— — —— - — — — — — — — — ——t: —— ͤ a3 nn mn
Zeitſchrift far Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
vorausſetzt — allerdings ſind auch Fälle des nur
verſuchten Verrats denkbar, die den Eintritt eines
ſchweren Schadens bereits zur Folge hatten, zumal
als ſolcher unter Umſtänden auch eine ne
Geſahr erachtet werden kann —, auch der
laut des Geſetzes („hat der Verrat zur Folge
gehabt“) ſpricht dafür, daß die erhohte Straf⸗
a nur bei vollendetem Verrat anwend⸗
ar i
Gleich dem Geſetz vom Jahr 1893 iſt mit —
geringerer — Strafe bedroht die vorjähliche und
rechtswidrige Mitteilung von geheim zu haltenden
Gegenſtänden, wenn ſie geſchieht ohne den Vorſatz.
die Sicherheit des Reichs zu gefährden. Nicht be⸗
ſtraft aber wird die unter ſolchen Umſtänden er⸗
folgte Mitteilung von Nachrichten (3 2).
Gegen die Ausſpähung in Verrats⸗
abſicht, in der Abſicht, ſie zu einer die Sicher⸗
heit des Reichs gefährdenden Mitteilung zu ge⸗
brauchen, find gleichzeitig geſchützt Gegenſtände und
Nachrichten, letztere, ſoferne die Mitteilung an eine
ausländiſche Regierung oder eine für ſie tätige
Perſon erfolgen ſoll (8 3).
Als ſtraferſchwerender Umſtand iſt neu in das
Geſetz aufgenommen die Tatſache, daß Gegenſtand
oder Nachricht dem Täter in ſeiner Eigenſchaft als
deutſcher Beamter oder deutſche Militärperſon zu⸗
gänglich war.
Die gegen Ausſpähung ohne Verratsab ficht
gerichtete Strafdrohung bleibt beſchränkt auf ae
heim zu haltende Gegenftände und bezieht fi
nicht auch auf ſolche Nachrichten (8 4).
Die Beſtimmungen über den Schutz gegen
fahrläſſige Preisgabe militäriicher Geheim⸗
niſſe blieben dem Weſen nach unverändert ($ 8).
Indem gegenüber der bisherigen Faſſung „wer in
einer die Sicherheit des Deutſchen Reichs gefähr⸗
denden Weiſe“ geſetzt wurde „und dadurch die
Sicherheit des Reichs gefährdet“, wurde nur der
dem früheren Geſetz ſchon innewohnende Gedanke
zu beſonders deutlichem Ausdruck gebracht, daß eine
Gefährdung der Reichsſicherheit eingetreten und der
Täter in der Lage geweſen ſein muß, die Ge⸗
fährlichkeit ſeiner Handlung für die Sicherheit des
Reichs zu erkennen.
Dagegen bleibt der Schutz gegen fahrläſſige
Preisgabe beſchränkt auf geheim zu haltende Gegen⸗
ſtände unter Ausſchluß der Nachrichten und die
Strafdrohung richtet ſich wie bisher nur gegen
Perſonen, denen kraft ihres Amtes oder eines ihnen
von amtlicher Seite erteilten Auftrags die Gegen⸗
ſtände zugänglich waren. Die Strafdrohung richtet
ſich alſo nicht gegen jene, die auf Grund ihres
Berufs oder Gewerbes Kenntnis von den Gegen⸗
ſtänden erlangen konnten, alſo nicht gegen die An⸗
geſtellten und Arbeiter der mit amtlichen Auf⸗
trägen Bedachten. (Schluß folgt).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
Kleine Mitteilungen.
Vertreter und Beiſtände beim Sühnetermin in Be:
leidigungsſachen. Nach 8 420 StPO. iſt die Erhebung
einer Privatklage wegen Beleidigung, ſoferne die Par⸗
teien im Bezirk einer Gemeinde wohnen und nicht
ein Fall des 8 196 StGB. vorliegt, erſt zuläſſig,
nachdem von einer durch die Landesjuſtizverwaltung
zu bezeichnenden Vergleichsbehörde die Sühne erfolg⸗
los verſucht worden iſt. Die Vornahme dieſes Sühne⸗
verſuches kann in Bayern gemäß Art. 80 AG. GVG.
Gemeindebehörden übertragen werden. Hierbei find
nach dem gleichen Artikel die Vorſchriften des Art. 100
Abſ. 2, 3 und des Art. 144 Abſ. 2, 3 rechtsrh. GemO.
für ganz Bayern entſprechend anzuwenden. Sie bes
handeln die Folgen des Ausbleibens der beiden Par⸗
teien oder der klägeriſchen Partei im Sühnetermine,
ſowie die Tax⸗ und Stempelfreiheit der Verhandlungen
und Ausfertigungen des Vermittlungsamtes.
Nähere Beſtimmungen über das Verfahren im
Sühnetermin enthält das Geſetz nicht; insbeſondere
iſt geſetzlich die Frage nicht geregelt, ob Vertreter
und Beiſtände auftreten können. Dagegen enthält eine
Bekanntmachung der Staatsminiſterien der Juſtiz und
des Innern vom 5. Auguſt 1879 über das Verfahren
einige Vorſchriften. Es wird hier in genauer An⸗
lehnung an Art. 100 Abſ. 1 Satz 1 und 2 Gem O., der
vom gemeindlichen Vermittlungsamt bei bürgerlichen
Rechtsſtreitigkeiten handelt, die Vornahme des Sühne⸗
verſuches den Bürgermeiſtern übertragen, die berech⸗
tigt fein ſollen, hiemit in Gemeinden mit ftädtifcher
Verfaſſung ein anderes Magiſtratsmitglied oder einen
höheren Gemeindebedienſteten, in den übrigen Ge⸗
meinden ein anderes Mitglied des Gemeindeausſchuſſes
oder des Gemeinderates zu beauftragen. Bezüglich
der Vertretungsmöglichkeit iſt beſtimmt, daß ſich der
Beklagte im Termine durch einen Bevollmächtigten
vertreten laſſen kann, der Kläger nur dann, wenn er
die Unmöglichkeit perſönlichen Erſcheinens nachweiſt.
Darüber, ob Rechtsanwälte als Vertreter, ferner ob
Beiſtände zuzulaſſen ſind, ſagt die erwähnte Mini⸗
ſterialbekanntmachung nichts.
Mit Entſchließung vom 11. März 1914 hat nun⸗
mehr das Staatsminiſterium des Innern im Einver⸗
ſtändnis mit dem Staatsminiſterium der Juſtiz die
Zulaſſung von Beiſtänden, alſo ſowohl von berufs⸗
mäßigen (Rechtsanwälten) als auch von nicht berufs⸗
mäßigen Beiſtänden, mit folgender Begründung für
unzuläſſig erklärt:
1 „Für den Sühneverſuch in Beleidigungsſachen
gelten die StPO. 8 420, das AG. GVG. Art. 80 und
die Min Bek. vom 5. Auguſt 1879 (GVBl. S. 769).
Dieſe Vorſchriften ſtellen eine ſelbſtändige Regelung
dar, die nicht in Gegenſatz zur rechtsrheiniſchen GemO.
Art. 100 Abſ. 1 gebracht werden darf, ſondern für
ſich ſelbſt ausgelegt werden muß. Dies ergibt ſich
ſchon daraus, daß die erwähnte Vorſchrift der rechts⸗
rheiniſchen GemO. in der pfälziſchen Gem . fehlt,
während die Vorſchriften für das Verfahren in Be⸗
een für das ganze Königreich Geltung
aben.
— Nach der MinBek. vom 5. Auguſt 1879 Ziff. 2
Abſ. IT iſt der Kläger grundſätzlich zum perſönlichen
Erſcheinen verpflichtet; nur wenn es ihm — z. B.
wegen Krankheit — unmöglich iſt zu erſcheinen, kann
er ſich vertreten laſſen. Die Vertretung des Privat⸗
klägers iſt daher nur für den Fall nachweisbarer Ver⸗
339
hinderung, nicht grundſätzlich zugelaſſen. Da die Ver⸗
beiſtandung die Anweſenheit der verbeiſtandeten Per⸗
ſonen begrifflich erfordert, geht es nicht an, aus der
bedingten Zulaſſung von Vertretern die grundſätzliche
Zuläſſigkeit der Verbeiſtandung zu folgern. Eine ſolche
kann auch mit dem Sinne und Zwecke der Vorſchriften
nicht in Einklang gebracht werden und iſt daher weder
für den Kläger noch für den Beklagten zuläſſig. Weil
die Verhandlungen unter dem Schutze des Amts⸗
geheimniſſes ſtehen, kann es ohne beſondere Vorſchrift
auch nicht dem Ermeſſen der Vergleichsbehörde über⸗
laſſen ſein, ob ſie dieſen Schutz durch Zulaſſung des
Beiſtandes der einen Partei — vielleicht entgegen dem
Willen der anderen Partei — durchbrechen will. Die
Zulaſſung eines Beiſtandes muß vielmehr als grund⸗
ſätzlich ausgeſchloſſen betrachtet werden.“
Der Geſetzgeber wollte — dieſer Gedanke kommt
auch in der neuen Miniſterialentſchließung deutlich
zum Ausdruck —, daß ſich die Parteien im Sühne⸗
termine wenigſtens in der Regel allein und per⸗
ſönlich gegenüber ſtehen. Der Zweck des Sühne⸗
termins, den Parteien die Gelegenheit zur Verſöhnung
zu geben und das Klagerecht, wenn möglich, im Wege
des Vergleiches zu beſeitigen, wird ohne Zweifel am
leichteſten und beſten bei perſönlicher Anweſenheit
beider Teile erfüllt. Auch in Zivilprozeſſen, wo doch
die Vertretung teils geſetzlich angeordnet (8 78 ZPO.),
teils in weiteſtem Umfange geſtattet iſt (8 79 3PO.),
wird bei den Sühneverſuchen nach 8 296 ZPO. in der
Praxis reichlicher Gebrauch von der geſetzlichen Mög⸗
lichkeit gemacht, das perſönliche Erſcheinen der Parteien
anzuordnen. Bei Sühneverſuchen in Eheſtreitigkeiten
iſt das perſönliche Erſcheinen der Parteien durch das
Geſetz vorgeſchrieben. Es wäre eigenartig, wenn der
Geſetzgeber gerade beim Sühneverſuch in Beleidigungs⸗
ſachen von der perſönlichen Anweſenheit der Parteien
hätte abſehen und eine Vertretung grundſätzlich hätte
zulaſſen wollen. Daß dem nicht ſo iſt, daß vielmehr
der Geſetzgeber grundſätzlich eine perſönliche Ausſprache
der Streitsteile herbeiführen will, iſt auch aus 8 420
Abſ. 2 zu ſchließen, wonach ein Sühneverſuch nur dann
vorgenommen werden ſoll, wenn die Parteien in dem⸗
ſelben Gemeindebezirke wohnen.
Amtsgerichtsrat Riß (München) vertritt in einem
in der Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern 1906
erſchienenen Aufſatze „Der Sühneverſuch in Privat⸗
klageſachen“ (S. 375) die Anſicht, daß ſich im Termine
die Parteien regelmäßig ſelbſt einzufinden haben, läßt
für den Antragſteller nur ausnahmsweiſe, nämlich nur
im Falle nachweisbarer Verhinderung am perſönlichen
Erſcheinen, für den Gegner des Antragſtellers da⸗
gegen ausnahmslos eine Vertretung zu. Den gleichen
Unterſchied in der Vertretungsmöglichkeit für den
Kläger und Beklagten macht die Min Bek. vom 5. Auguſt
1879. Der Grund iſt nicht erſichtlich. Wünſcht der
Beklagte aus irgendeinem Grunde keine Verſöhnung,
ſo braucht er zum Sühnetermine nicht zu kommen:
der Kläger kann dann gerichtlich vorgehen. Wünſcht
er eine Verſöhnung oder eine Aufklärung des Falles,
ſo mag er perſönlich kommen. Warum ſoll der Be⸗
klagte durch die Möglichkeit, ſich durch einen wort⸗
gewandten Bevollmächtigten vertreten zu laſſen, u. U.
beſſer geſtellt werden als der Kläger, der beleidigt
iſt oder beleidigt zu ſein glaubt? Es iſt auch darauf
hinzuweiſen, daß der Geſetzgeber bei der Anordnung
eines Sühneverſuches in 8 420 StPO. von einer Ver⸗
tretungsmöglichkeit nichts erwähnt, dagegen ſpäter in
340
8 427 StPO. die Zulaſſung einer Vertretung oder
Verbeiſtandung des Angeklagten durch einen Rechts⸗
anwalt in der Hauptverhandlung ausdrücklich
hervorhebt.
Nun erklärt Loewe zu (8 420 StPO. S. 978) jede
Vertretung der Parteien im Sühnetermine für un⸗
ſtatthaft. Dieſer Anſicht iſt entgegenzuhalten: eben⸗
ſo wie der perſönlich (durch Krankheit, Reiſe, Gerichts⸗
termin uſw.) verhinderte Kläger ein berechtigtes Inter⸗
eſſe daran hat, zur Einhaltung der Antragsfriſt durch
einen Vertreter den Sühnetermin wahrnehmen zu laſſen,
ebenſo kann der perſönlich nicht abkömmliche Beklagte
ein lebbaftes Intereſſe an einer außergerichtlichen Bei⸗
legung des Streites vor einer Amtsperſon haben.
Die Anſicht Loewes geht zu weit. Andererſeits
aber entſpricht m. E. die Regelung der Vertretungs⸗
möglichkeit in der Min Bek. vom 5. Auguſt 1879 nicht
dem Willen des Geſetzgebers. Die Bekanntmachung
ſollte in dieſem Punkt abgeändert werden. Es ſollte
ſowohl für den Kläger wie auch für den Bes
klagten grundſätzlich das perſönliche Erſcheinen ge⸗
fordert und für beide Teile nur im Falle nachweis⸗
barer Verhinderung eine Vertretung zugelaſſen werden.
Die weitere Frage, ob als Vertreter im Sühne⸗
termin auch Rechtsanwälte zuzulaſſen find, muß nach
der Anſicht Loewes ohne weiteres verneint werden.
Wer jedoch eine 5 in beſchränktem Umfange
für zuläſſig erachtet, muß die Frage geſondert prüfen.
Auch hier wäre eine Stellungnahme des Miniſteriums
am Platze. Denn nach der derzeitigen miniſteriellen
Regelung müßten Rechtsanwälte als Beiſtände zurück⸗
gewieſen, als Vertreter aber zugelaſſen werden.
Die große Mehrzahl der Rechtsanwälte läßt in
richtiger Erkenntnis des Weſens des Sühneverſuches
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
ſtreitigkeiten zuſteht und welche ſich daher unzweifel⸗
haft zur Uebernahme der hier fraglichen ganz gleich⸗
artigen Tätigkeit am beſten eignen.. Die
Regelung des Verfahrens bei Vornahme des Sühne⸗
verſuchs wird ſich am zweckmäßigſten an die erprobten
Vorſchriften anſchließen, welche bisher für das Ver⸗
mittlungsamt der Gemeinden in bürgerlichen Rechts⸗
ftreitigfeiten gegolten haben.“ Es wäre nicht einzu⸗
ſehen, warum der Geſetzgeber gerade in dem einen
wichtigen Punkte — Zulaſſung von Rechtsanwälten —
das Verfahren vor dem Sühneamt anders hätte regeln
wollen, als das Verſahren vor dem Vermittlungsamt
für bürgerliche Rechtsſtreitigkeiten.
Dr. Volkhardt, Leiter des ſtädtiſchen Nachrichtenamts
in Nürnberg.
Fine Frage aus dem Pflegſchaftsrecht. Der Kauf
mann Bu. hat gegen den Landwirt Bi. eine im Jahre
1878 ausgeklagte Forderung. Bi. iſt landesabweſend,
für ihn iſt S. als Abweſenheitspfleger beſtellt. S.
verwaltet als ſolcher ein von Bi. in der Zwiſchenzeit
ererbtes Vermögen, das er bei der Diſtriktsſparkaſſe
H. anlegte. Nun erwirkte Bu. einen Pfändungsbeſchluß
des Amtsgerichts, wonach der dem Bi. gegen S.
zuſtehende Anſpruch auf Auszahlung des ererbten
Vermögens gepfändet und dem Bu. bis zum Belaufe
ſeines Guthabens zur Einziehung überwieſen wurde.
Der Pfändungsbeſchluß wurde S. ordnungsgemäß
zugeſtellt. S. gab die Drittſchuldnererklärung nach
8 840 3PO. dahin ab, daß er zwar die Erbſchaft
in Händen habe, daß er aber Zahlung verweigere,
die Partei nach vorheriger Beratung perſönlich zum weil die Forderung des Bu. verjährt ſei. Bu. ſtellte
Sühneamt gehen. Soweit eine Vertretung erforder⸗ darauf Klage gegen S. auf Auszahlung feines Guthabens.
lich und zuläſſig iſt, kann ſich die Partei durch eine
Vertrauensperſon ihres Verwandten⸗ oder Bekannten⸗
kreiſes vertreten laſſen. Es liegt im Weſen der Ein⸗
richtung des Sühneamtes, daß keine Koſten erwachſen.
Bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt ſcheitert
ſehr häufig der Vergleich an der Uebernahme der
Vergleichsgebühr, auf deren Feſtſetzung die Vergleichs⸗
behörde keinen Einfluß hat, es ſei denn, daß der Rechts⸗
anwalt — was aber nie geſchiebt — die Feſtſetzung
einer Gebühr durch die Vergleichsbehörde beantragt
(vgl. Riß a. a. O. S. 377). Bei dem gemeindlichen
Vermittlungsamt für bürgerliche Rechtsſtreitigkeiten
iſt die Zulaſſung von Rechtsanwälten gemäß Art. 100
Abſ. 1 Satz 4 und Art. 144 Abſ. 1 Satz 4 GemO.
ausdrücklich ausgeſchloſſen. In Art. 80 AG. GVG. iſt
nun allerdings nur Abſ. 2 und 3, nicht auch Abſ. 1
des Art. 100/144 a. a. O. für anwendbar erklärt. Eine
Folgerung kann jedoch hieraus im Hinblick auf das
Weſen des Sühneamtes ſowie im Hinblick auf die
Motive zu der erwähnten Beſtimmung des AG. GBG.
nicht gezogen werden. Die Motive laſſen keinen
Zweifel darüber zu, daß das Verfahren vor dem
Sühneamte dem Verfahren des bereits vor 1879 im
rechtsrheiniſchen Bayern beſtehenden gemeindlichen
Vermittlungsamtes für Rechtsſtreitigkeiten angepaßt
werden ſollte. „Für Bayern“ — ſo heißt es in den
Motiven — „wird es zweckmäßig erſcheinen, die Er—
füllung dieſer Aufgabe denjenigen Beamten zu über⸗
tragen, welchen gemäß Art. 100 und 144 Gem O. für
die Landesteile rechts des Rheins vom 29. April 1869
bereits das Vermittlungsamt in bürgerlichen Rechts-
|
S. brachte in der mündlichen Verhandlung wiederum
den Verjährungseinwand. Das Amtsgericht H. ver⸗
urteilte den Beklagten dem Klageantrag entſprechend
mit der Begründung, daß den Verjährungseinwand nur
der Schuldner Bi. nicht aber der Drittſchuldner S.
bringen könne, und daß S. als Abweſenheitspfleger
für Bi. gegen den Pfändungsbeſchluß den Veriährungs⸗
einwand im Wege der Vollſtreckungsgegenklage nach
8 767 3PO. hätte erheben müſſen. .
Das Landgericht B. als Berufungsinſtanz hob dieſes
Urteil auf und wies die Klage ab. In den Gründen
heißt es: 1. S. iſt als Abweſenheitspfleger des Bi.
den Gläubigern des Bi. gegenüber nicht Drittſchuldner,
ſondern geſetzlicher Vertreter des Schuldners, gegen
den die Zwangsvollſtreckung wie gegen den Schuldner
zu betreiben iſt. Es hätte alſo ein Pfändungsbeſchluß
gegen die Diſtriktsſparkaſſe erwirkt werden müſſen.
2. Ein Anſpruch des Bi. gegen S. auf Auszahlung
des von ihm verwalteten Vermögens beſteht erſt nach
Beendigung der Abweſenheitspflegſchaft (8 1921 BGB.).
Da ein ſolcher Anſpruch jetzt alſo nicht beſteht, kann
Bu. auch nicht Zahlung verlangen. Denn für alle
Fälle iſt der den Gegenſtand der Zwangsvollſtrek⸗
kung bildende Anſpruch noch nicht fällig.
Ich balte das landgerichtliche Urteil in beiden
Punkten für verfehlt und zwar aus folgenden Gründen:
1. Als Abweſenheitspfleger iſt S. allerdings
geſetzlicher Vertreter des Bi. Allein das ſchließt doch
nicht aus, daß Bi. gegen den geſetzlichen Vertreter S.
einen Anſpruch auf Herausgabe des von S. verwalteten
Vermögens des Bi. hat. Dieſen Anſpruch hat Bu.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
gepfändet und zur Einziehung überwieſen erhalten.
Damit iſt dieſer Anſpruch des Bi. gegen S. an Bu.
übergegangen (8 835 ZPO.). Bu. hat jetzt an Stelle
des Bi. den Herausgabeanſpruch gegen S. S. kann
in dieſem Verfahren den Verjährungseinwand nicht
bringen, da es ſich jetzt nicht um die urſprüngliche
Forderung
Bu. übergegangene Forderung des Bi. gegen S.
handelt.
2. Ein Pfändungsbeſchluß gegen die Diſtrikts⸗
ſparkaſſe war nicht veranlaßt, da ſie nur die Stelle
war, bei welcher S. das Geld aufbewahrte. Er hätte
es geradeſogut in ſeinen Kaſſenſchrank legen können.
Er konnte nach wie vor über das Geld verfügen und
kann es jederzeit auszahlen.
3. Unrichtig iſt, daß ein Anſpruch des Bi. gegen
S. nicht beſteht. Bei der Abweſenheitspflegſchaft iſt
der Pflegbefohlene als ſolcher in ſeiner Geſchäfts⸗
fähigkeit nicht beſchränkt (vgl. Staudinger Anm. 6a
zu 8 1911 BGB.). Er kann alſo jederzeit das ihm
gehörige Vermögen vom Pfleger verlangen, ganz
gleichgültig, ob die Pflegſchaft aufgeboben iſt oder
nicht; 8 1921 BGB. ſpricht nicht gegen dieſe Auffaſſung,
er handelt nur von der Aufhebung der Pflegſchaft.
4. Auch die Anſchauung, daß jedenfalls der An⸗
ſpruch des Bi. noch nicht fällig ſei, iſt damit widerlegt.
Denn da Bu. durch den Pfändungs⸗ und Ueberweiſungs⸗
beſchluß nach 8 835 ZPO. an die Stelle des Bi.
getreten iſt, kann er jederzeit die Herausgabe bis zum
Belaufe ſeiner Forderung verlangen. Sowie Bu.
505 Herausgabe verlangt, iſt daher der Anſpruch auch
ig.
Rechtsanwalt Dr. Werner in Bamberg.
Aus der Lechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
1
Höchſtbetragshypsthek für den Ausfall bei einer
anderen Hypsthek oder Geſamthypsthek? In einem
Vertrage vom 14. April 1910, durch den eine Aktien⸗
geſellſchaft ihr Grundſtück Röhrengaſſe Nr. 26 in H.
an die S.ſchen Eheleute verkaufte, bewilligten dieſe
1. in Höhe des Kaufgeldteilbetrages von 7000 M die
Eintragung einer Hypothek auf dem gekauften Grund⸗
ſtücke, 2. „zur größeren Sicherung jenes Kaufpreis⸗
teilbetrages die Eintragung einer Sicherungshypothek
bis zur Höhe von 5000 M auf ihrem Grundſtück in
Z.“. Bei einer ſpäteren Zwangsverſteigerung des mit
der Sicherungshypothek belaſteten Grundſtücks entfiel
auf dieſe der volle Betrag von 5000 K. Auf den Be⸗
trag erhoben jedoch die Gläubiger von Nachhypotheken
Anſpruch; ſie machten geltend, daß die Sicherungs⸗
hypothek rechtsunwirkſam ſei, weil dieſe Hypothek und
die auf dem Grundſtücke H. Röhrengaſſe Nr. 26 haftende
Berkehrshypothek von 7000 M als Geſamthypothek für
eine und dieſelbe Forderung beſtellt worden ſeien und
deswegen ihre Eintragung überhaupt nicht habe er⸗
folgen dürfen. Die Beklagte hat demgegenüber ein⸗
gewendet, daß die Sicherungs hypothek, wie ſich aus
dem Inhalte der Eintragungsbewilligung ergebe, nur
zur Sicherung wegen des etwaigen Ausfalls der Kauf⸗
preishypothek von 7000 M beſtellt worden ſei, und
daß es ſomit nicht zutreffe, daß die Sicherheitshypothek
des Bu. gegen Bi., ſondern um die an.
341
für die nämliche Forderung unbedingt begründet
worden ſei. Das RG. wies im Gegenſatze zu den Vor⸗
inſtanzen den Anſpruch ab.
Aus den Gründen: Das OLG. erachtet es
für ausgeſchloſſen, daß die auf dem Grundſtücke in H.
i Sicherungshypothek als Höchſtbetrags⸗
hypothek angeſehen werden könne, meint vielmehr,
daß die Sicherungshypothek mit der auf dem Grund⸗
ſtücke in H. Röhrengaſſe Nr. 26 haftenden Verkehrs⸗
hypothek von 7000 M eine unbedingte Geſamthypothek
darſtelle, und gibt deswegen den Klaͤgern darin recht,
daß die Eintragung der Sicherungshypothek unzuläſſig
ſei und deswegen dieſe auch im Verſteigerungsverfahren
nicht habe geltend gemacht werden können. Dem OLG.
kann jedoch nicht beigetreten werden. Allerdings kann
die Hypothek nur dann als Höchſtbetragshypothek
angeſprochen werden, wenn der Inhalt des Eintrags
ſelbſt dieſen ihren Charakter ergibt. Das trifft aber
auch zu. Das OLG. hat nicht berückſichtigt, daß der
Eintrag lautet: „Sicherungshypothek bis zur Höhe
von 5000 M.. .. Dieſe Faſſung weiſt ohne weiteres
auf den die Höchſtbetragshypothek behandelnden 8 1190
BGB. hin. In der Erklärung, daß ein Gegenſtand
„bis zur Höhe“ des bezeichneten Betrages zur Siche⸗
rung dienen ſoll, liegt ſchlechthin ausgeſprochen, daß
der Betrag noch nicht feſtſteht, für den der Gegen⸗
ſtand dereinſt in Anſpruch genommen werden darf,
daß ſonach die Haftung erſt von künftigen Ereigniſſen
oder künftiger Vereinbarung begrenzt wird. Demnach
bliebe es aber einſtweilen auch noch ungewiß, ob der
Haftungsfall überhaupt eintreten werde, da die Um⸗
ſtände ergeben könnten, daß eine zu deckende Schuld
ſchließlich nicht beſtehe. So liegt die Sache auch bei
einer Höchſtbetragshypothek i. S. des § 1190, bei der
nur der Höchſtbetrag beſtimmt wird, bis zu dem das
Grundſtück haften ſoll, im übrigen aber die W
der Forderung noch vorbehalten wird. Anders ver⸗
hält es ſich dagegen bei einer Sicherungshypothek nach
8 1184, durch die eine fofortige und eine unbedingte
Haftung des Grundſtücks in Höhe der angegebenen
Forderung begründet wird. Der Inhalt des Eintrags
läßt hier auch mit Deutlichkeit erkennen, wovon bei der
in Rede ſtehenden Sicherungshypothek der Haftungs⸗
fall und die etwaige Haftungsgrenze abhängig ge⸗
macht worden find. Der Eintrag lautet: „Sicherungs⸗
hypothek bis zur Höhe von 5000 M zur Sicherung
des im Grundbuche von H. Bl. 16515 in Abt. III unter
Nr. 2 verzeichneten Kaufpreisteiles von 7000 M für
die Aktiengeſellſchaft . .. Hieraus geht alſo her⸗
vor, daß es von der Einbringlichkeit des bezeichneten
Kaufpreisteiles abhängig ſein ſollte und abhängig
gemacht worden iſt, in welcher Höhe das mit der
Sicherungshypothek belaſtete Grundſtück einſtmals in
Anſpruch zu nehmen ſein wird und ob die Sicherungs⸗
hypothek überhaupt geltend gemacht werden dürfe.
Soweit der zu ſichernde Betrag der Kaufpreisforderung
aus dem Grundſtücke H. Bl. 16515 bereits Deckung
erhielte, ſollte das Grundſtück in Z. überhaupt nicht
haften; das Gegenteil ſollte dagegen eintreten, ſobald und
ſoweit die Forderung aus dem Grundſtücke H. Bl. 16515
uneinbringlich ſein würde, freilich immer nur mit der
Maßgabe, daß das zuerſt bezeichnete Grundſtück nur
bis zu 5000 M haften ſollte. Das alles geht ſchon
aus dem Eintragungsvermerke hinreichend ſicher her⸗
vor, wenngleich die Eigenſchaft der Sicherungshpothek
als Höchſtbetragshypothek und als Ausfallshypothek
im angegebenen Sinne noch deutlicher hätte ausge⸗
drückt werden können und im Intereſſe der Verkehrs⸗
ſicherheit hätte ausgeſprochen werden ſollen. Geht
man nunmehr davon aus, daß ſich die in Rede ſtehende
Sicherungshypothek ihrer Eintragung nach als eine
Ausfallshypothek darſtellt, dann läßt ſich die Annahme
des Berufungsgerichts, daß ihre Eintragung unzuläſſig
war, und daß auf Grund ihrer bei der Zwangsver⸗—
ſteigerung Rechte nicht geltend gemacht werden durften,
342
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
keinesfalls halten. Die Eintragung war vielmehr zu⸗
läſſig und durch fie iſt ein verfolgbares Recht an dem
Grundſtücke begründet worden. (Bgl. RG 3. Bd. 70 S. 248,
249). Urt. des V. ZS. vom 6. Mai 1914, v. 4. 1914).
3436 E.
II.
Ir $ 1610 BGB.: Können bei der Bemeſſung des
Unterhalts für ein minder jähriges Kind neben den Ber:
hältuifien des Baters auch die der Großeltern berüd:
ſichtigt werden? Aus den Gründen: Das Lc.
hatte ausgeführt, die Lebensſtellung des minderjährigen
Kindes ergebe ſich aus der Stellung des Vaters. Das
gelte auch nach der Scheidung der Ehe der Eltern.
Eine wirtſchaftlich günſtigere Lage der beiderſeitigen
Großväter komme rechtlich nicht in Betracht. Die
Unterhaltsanſprüche der Kläger ſeien daher nach der
Lebensführung der Eltern zu beurteilen; es ſei zu
prüfen, wie groß der Verbrauch der Eltern der Kläger
vor der Scheidung . ſei. Dieſer habe jährlich
durchſchnittlich 3100 1 betragen. Auf dieſer Grund⸗
lage hatte das LG. für die beiden Kläger zuſammen
eine Jahresrente von 1600 M für angemeſſen erachtet,
wovon die Hälfte mit 800 M vom Beklagten, als dem
Großvater väterlicherſeits, aufzubringen ſei. Das OLG.
hält dieſe Begründung rechtlich nicht für zutreffend
und führt ſeinerfeits aus: Es ſei allerdings richtig,
daß der ſtandesmäßige Unterhalt in erſter Linie nach
den Verhältniſſen des Vaters der Kläger zu bemeſſen
ſei. Das LG. überſehe aber, daß in den Bermögens-
verhältniſſen der Begriff der Lebensſtellung nicht er⸗
ſchöpft werde. Möge auch der Vater der Kläger in
ſolge ſeines Geſundheitszuſtandes oder beſonderer Um⸗
ſtände anderer Art wirtſchaftlich heruntergekommen
ſein und augenblicklich als gewöhnlicher Lohnſchreiber
ſeinen Lebensunterhalt kärglich verdienen, ſo ſei doch
nicht außer acht zu laſſen, daß ſeine geſamte Lebens⸗
ſtellung nicht die eines einfachen Arbeiters ſei. Sein
Vater ſei ein wohlhabender Kaufmann und gehöre
dem gebildeten beſſeren Mittel ſtande an. Er ſelbſt ſei
dementſprechend erzogen worden und ſei als ſelbſtändiger
Kaufmann tätig geweſen. Seinem Stande entſprechend
habe er die Tochter eines bemittelten und gleichfalls
gebildeten, dem beſſeren Mittelſtande angehörenden
Mannes geheiratet. Die Lebensſtellung der ganzen
Familie müſſe aber bei Bemeſſung des ſtandesgemäßen
Unterhaltes mitberückſichtigt werden, und es ſei ver⸗
fehlt, lediglich die gegenwärtige Einnahme oder den
Verbrauch des Vaters während der Ehe ausſchließlich
zugrunde zu legen. Man werde alſo zu fragen haben,
welche Mittel erforderlich ſeien, um die Kläger als
Kinder von guter Herkunft zu unterhalten, ohne die
derzeitigen fehr beſcheidenen Verhältniſſe ihres Vaters
außer acht zu laſſen. Unter den obwaltenden Um—
ſtänden ſei ein Unterhaltsbeitrag von etwa 2000 A
jährlich für beide Kläger zuſammen angemeſſen, ſo
daß der Beklagte die Hälfte, d. h. monatlich 85 M zu
zahlen habe. Die Reviſion bekämpft dieſe Ausführungen
des OLG. und hält den Rechtsſtandpunkt des LG. für
den richtigen. Es kann ihr aber nicht beigetreten
werden. Der Senat hat bereits im Urteile vom
24. Jannar 1910, IV 103/09, in einem ähnlich liegenden
Falle ausgeſprochen, darauf, daß der Vater in feinen Eins
kommens- und Bermögensverhältnifien zurückgegangen
ſei, könne kein entſcheidendes Gewicht gelegt werden. Bei
der Beurteilung der Lebensſtellung des minderjährigen
Kindes ſei auf die geſamten Verhältniſſe der Familie,
insbeſondere auch auf die geſellſchaftliche Stellung und
die Vermögensverhältniſſe der Großeltern, die ihren
fortwirkenden Einfluß auf die Stellung des Kindes
und ſeines Vaters behielten, Rückſicht zu nehmen (vgl.
auch. Mot. z. BOB. Bd. 4 S. 6478 und Urteil des
Senats vom 22. September 1913, IV 212,13). Damit
befindet ſich die Entſcheidung des Ovch. im Einklang.
(Urt. d. IV. ZS. vom 20. April 1914, IV 709,1913).
3435 E.
III.
Beruhen der im Nechtsſtreit erhobene und der Noſten⸗
erftattungsanfprud aus einem Boryrszeß auf demſelben
8 de Verhältnis? Aus den Gründen: 20.
und OLG. haben die Geltendmachung eines Zurück⸗
behaltungsrechts durch den Beklagten für unzuläſſig
lärt, weil der im § 273 BG. geforderte rechtliche
Nee nicht gegeben ſei. Das wird von der
eviſion mit Recht angegriffen. Allerdings iſt die
Koſtenerſtattungspflicht nach SS 91 ff. ZB O. von dem
im Rechtsſtreite geltendgemachten Anſpruche grund»
ſätzlich (eine Ausnahmebeſtimmung enthält der 8 97
Abſ. 3) inſofern unabhängig, als ſie die unterliegende
Partei ohne Rückſicht darauf trifft, welcher Anſpruch
von dem Kläger erhoben war; doch kann daraus
nicht mit dem OLG. und der von ihm angezogenen
Entſcheidung des OLG. Braunſchweig (Rſpr. 22 S. 188)
gefolgert werden, daß für die Zuläſſigkeit der Geltend⸗
machung eines Zurückbehaltungsrechts wegen eines
Anſpruchs auf Erſtattung von Prozeßkoſten der in
dem Vorprozeſſe geltendgemachte Klaganſpruch ohne
jede Bedeutung ſei. Die Anſicht des B. würde dahin
führen, ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines ſolchen
Anſpruchs faſt ausnahmslos zu verſagen. Nach feſt⸗
ſtehender Rechtſprechung des RG. (RG. 57, 7; 68, 34;
72, 65 und 103; 78, 336; 83, 268) erfordert der 8 273
nicht, daß der Anſpruch und der Gegenanſpruch auf
demſelben Rechts grunde beruhen, ſondern es genügt
die natürliche Einheitlichkeit des tatſächlichen Berhält:
niſſes, die es als gegen Treu und Glauben verſtoßend
erſcheinen läßt, wenn die eine Partei von der anderen
die Leiſtung verlangt, die von ihr geſchuldete aber
nicht gewähren will. Ein ſolcher Zuſammenhang iſt
aber auch in einem Falle, wie er hier vorliegt, ge⸗
geben, wenn der Kläger auf Grund desſelben Rechts⸗
verhältniſſes, auf dem ſein Anſpruch beruht, in dem
Vorprozeß einen unbegründeten Anſpruch erhoben hal
und der Beklagte die Erſtattung der Koſten dieſes
Vorprozeſſes begehrt. (Urt. d. III. ZS. vom 16. Juni
1914, III 137/14).
3431
IV.
Kein Bertragbanſpruch der Hinterbliebenen des auf
einer Eisbahn tödlich verunglückten gegen den Unter⸗
nehmer. Aus den Gründen: Nicht begründet iſt
die Ausführung der Reviſion, daß der Klaganſpruch
auch auf vertragliche Haftung des Beklagten ſich ſtützen
könne. Mag auch ein Vertragsverhältnis zwiſchen
dem Ehemann der Klägerin und dem Beklagten be⸗
ſtanden haben, ſo kann doch die Klägerin hieraus
weder für ſich noch für ihre Kinder Anſprüche herleiten.
Der Klaganſpruch kann nur auf § 844 BGB. gegründet
werden. 8 844 iſt aber nur auf unerlaubte Hand⸗
lungen ſowie im Falle des 5 618 BGB. anwendbar.
Die Verletzung eines Vertrags gibt im allgemeinen
dem Vertragsgenoſſen nur einen Anſpruch auf Griag
des ihm entſtandenen Schadens. (Urt. d. III. ZS. vom
23. Juni 1914, III 152/14).
3432
B. Strafſachen.
1
Bauwerk i. S. des 5305 StGB. Aus den Gründen:
Das LG. erachtet allein die Mauer, deren teilweiſen
Einſturz der Angeklagte verurſacht haben ſoll, für ein
„Bauwerk“ i. S. des $ 305 StGB. Dem ſteht allerdings
entgegen, daß ein weſentliches Merkmal des Bauwerkes.
i. S. dieſer Beſtimmung ſeine Selbſtändigkeit bildet, daß
das Bauwerk ein in ſich abgeſchloſſenes Ganzes darſtellen
muß (RG St. Bd. 15 S. 263 ([265]). Dieſe Eigenſchaft
hat der in Rede ſtehenden Mauer offenſichtlich gefehlt,
— Le it
Sie war ein notwendiger Beſtandteil der im Bau bes
Ba Remiſe, die z. Z. der Tat ſoweit fertig war,
aß mit den Zimmerarbeiten begonnen werden ſollte.
Sie ſollte als Brandmauer gegen das den Eltern des
Angeklagten gehörige Nachbargrundſtück dienen, bildete
aber im übrigen eine der vier Umfaſſungsmauern des
künftigen Gebäudes und war allein bis in das zweite
Stockwerk aufgeführt, während die drei übrigen Um⸗
faſſungswände nur bis zur Höhe des Untergeſchoſſes
reichten. Daß aber dieſer ſo geſtaltete Neubau, trotz⸗
dem er noch kein vollendetes Gebäude war, ſeiner ge⸗
ſamten äußeren Erſcheinung nach als Bauwerk i. S des
Geſetzes angeſehen werden kann, iſt nach der ſtändigen
Rechtſprechung des RG. nicht zweifelhaft (RGCE. Bd. 30
S. 246, RGRſpr. Bd. 6 S. 477 [478]). Das Geſetz ver⸗
ſteht unter „Bauwerk“ nichts anderes, als was auch
der allgemeine Sprachgebrauch hierunter verſtanden
wiſſen will. Dementſprechend kann eine nach den Regeln
der Baukunſt vorgenommene und mit Grund und Boden
dauernd verbundene bee eier von Bauſtoffen,
wie bei dem in Rede ſtehenden Remiſenneubau, an dem
die Maurerarbeiten im weſentlichen ſchon beendet ſein
müſſen, unbedenklich ein „Bauwerk“ genannt werden,
deſſen teilweiſe Zerſtörung verurſacht zu haben, der An⸗
geklagte überführt iſt. Der von ihm zu vertretende Ein⸗
ſturz eines Teiles der Brandmauer machte erkennbar
dieſe und damit den ganzen Neubau für ſeine Zweck⸗
beſtimmung Sabana (RG Rſpr. Bd. 7 S. 274 [275 ));
denn dieſer konnte nicht vollendet werden, ohne daß
die eingeſtürzten Mauerteile wieder ergänzt wurden.
Die Annahme, daß der Angeklagte ein „Bauwerk“
teilweiſe zerſtört habe, iſt alſo gerechtfertigt, wenn auch
die Gründe des Urteils nicht durchweg einwandfrei
find. (Urt. des I. StS. vom 18. April 1914, 1 D 207/14).
3421 E.
II
5 GSrundſatze der Spezialität im Anslieferungs:
verkehr beſonders mit Oeſterreich; darf wegen Vergehens
des Diebſtahls verurteilt werden, wer von dort wegen
ſchweren Diebſtahls ausgeliefert iſt? Aus den
Gründen: Die Reviſion behauptet mit Unrecht, der
Angeklagte habe, weil nur wegen ſchweren Diebſtahls
ausgeliefert, nicht wegen einfachen Diebſtahls ver⸗
urteilt werden dürfen. Allerdings iſt in dem Haft⸗
befehl, der dem an das öſterreichiſche Gericht geſtellten
Auslieferungsbegehren beigefügt war, dem Angeklagten
ein ſchwerer Diebſtahl i. S. des § 243 Abſ. 1 Nr. 3 zur
Laſt gelegt. Im Auslieferungsverfahren hat die öſter⸗
reichiſche Gerichtsbehörde, das Kreisgericht in N., zu⸗
nächſt geprüft, ob genügende Beweiſe für die Schuld
des Angeklagten hinſichtlich des Diebſtahls vorliegen.
Auf Beibringung des geforderten Nachweiſes iſt die
Auslieferung erfolgt, über welche nur das Telegramm
„Auslieferung B. bewilligt“ Auskunft gibt. Das LG.
hat ſodann das Hauptverfahren wegen ſchweren Dieb⸗
ſtahls eröffnet, es ſtand aber der Verurteilung wegen
einfachen Diebſtahls nichts im Weg, nachdem ſich in der
Hauptverhandlung der Nachweis des Erſchwerungs⸗
grundes nicht hatte erbringen laſſen. Denn wenn auch
ein Staat die Auslieferung nur wegen einer beſtimmten
ſtrafbaren Handlung bewilligt, deren Nachweis er ge⸗
prüft hat (Grundſatz der Spezialität), ſo folgt daraus
nicht, daß der Ausgelieferte nur unter dem in dem
Auslieferungsgeſuch angenommenen rechtlichen Geſichts—
punkt abgeurteilt werden darf. Wie das RG. in
ſtändiger Rechtſprechung anerkannt hat, bleibt die
Würdigung im Auslieferungsbegehren bedeutungslos,
wenn die Tat nur in der rechtlichen Beſchaffenheit,
die ihr der urteilende Richter nach dem Ergebnis der
Verhandlung beilegen zu müſſen glaubt, unter die⸗
jenigen ſtrafbaren Handlungen fällt, wegen derer nach
dem Vertrag die Auslieferung überhaupt beantragt
oder bewilligt werden kann (RG. 27, 127 u. 413;
30, 440; 31, 428; 33, 388; 34, 68; 36, 345). Das
ZBeeitſchrift fur Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr.
18. 343
trifft aber zu nach dem Inhalt des Beſchluſſes der
Deutſchen Bundesverſammlung vom 26. Januar 1854,
„wegen gegenſeitiger Auslieferung von Perſonen, welche
wegen gemeiner Verbrechen oder Vergehen zur Unter⸗
EEE, gezogen worden find“, (verkündet für Bayern
eg öl. 1854, S. 209), der das Auslieferungsverfahren
zwiſchen dem Königreich Bayern und den zum ehe⸗
maligen Deutſchen Bund gehörigen Kronländern der
öſterreichiſchen Monarchie, alſo einſchließlich Mährens,
regelt und heute noch gilt (RG. 43, 264, 265). Hier⸗
nach findet die Auslieferung allgemein ſtatt, falls nach
den Geſetzen des erſuchten Staates die ſtrafbare Hand⸗
lung als Verbrechen oder Vergehen anzuſehen und
die Strafe nicht verjährt iſt (Art. 1 Abſ. 1). Der An⸗
geklagte wäre alſo ausgeliefert worden, wenn ihm über⸗
haupt nur ein Verbrechen des Diebſtahls nach öſter⸗
reichiſchen Geſetzen zur Laſt gefallen wäre. Ein ſolches
iſt aber ſeine Handlung, wie das LG. nachweiſt, da
nach 88 171, 173 Oeſter. StB. Diebſtähle im Betrag
von mehr als 200 Kronen gleich 170 M als Verbrechen
anzuſehen ſind und Verjährung nicht eingetreten iſt.
Das Kreisgericht N. hat auch bei ſeinem Erſuchen vom
24. Januar 1914, wie deſſen Inhalt ergibt, nur auf
den Nachweis Wert gelegt, daß ſich der Angeklagte
eines Verbrechens des Diebſtahls i. S. des Oeſter⸗
reichiſchen Rechts, nicht auch eines erſchwerten Dieb⸗
ſtahls, ſchuldig gemacht habe. Deshalb ſtand die Aus⸗
lieferung der Verurteilung des Angeklagten wegen
einfachen Diebſtahls nicht im Weg. Wie übrigens das
RG. in der Entſch. Bd. 43 S. 264 angenommen hat, gilt
der Grundſatz der Spezialität nach dem Beſchluſſe
vom 26. Januar 1854 im Verhältnis der deutſchen
Staaten zu den Kronländern der Oeſterreichiſchen
Monarchie überhaupt nicht, ſo daß der Angeklagte ſo⸗
gar auch wegen anderer Diebſtähle, die nicht Gegen⸗
ſtand der Auslieferung waren, hätte zur Verantwortung
gezogen werden können, falls ſie ſich nur als Ver⸗
brechen nach Oeſterreichiſchem Strafrecht dargeſtellt
hätten. (Urt. des I. StS. vom 15. Juni 1914, ID
564 / 14). E.
3428
III
Beſtrafung aus 8 16 W388. wegen Mißbrauchs des
Wortes Camembert. Aus den Gründen: „Camem⸗
bert“ iſt nach den Urteilsfeſtſtellungen der Name eines
Orts, durch deſſen Verwendung als Warenbezeichnung
Käſe gekennzeichnet wird, der aus dem Flecken Camem⸗
bert, ſeiner Umgegend, und ſchließlich der Normandie
überhaupt ſtammt. In Deutſchland iſt der Name längſt
zur Gattungsbezeichnung für eine beſtimmte Art Weich⸗
käſe geworden. Nach den Ausführungen des Urteils
ſchließt dieſer Umſtand nicht aus, daß im Einzelfall
der Name trotzdem noch als Herkunftsbezeichnung auf⸗
tritt und fälſchlich zu einer unrichtigen Herkunfts-
bezeichnung verwendet wird, weil durch die beſondere
Art der Verwendung des Ortsnamens der Glaube er⸗
weckt werden kann, nicht der Gattungsname ſei zur
Bezeichnung der Ware gebraucht, ſondern es handle
ſich um Ware aus dem Herſtellungsgebiet, auf das der
Ortsname verweiſt. Dieſe Möglichkeit iſt, wie das
Urteil zutreffend betont, in der reichsgerichtlichen Recht:
ſprechung mehrfach anerkannt und inſoweit beſtehen
Bedenken rechtlicher Art nicht. Weſentlich auf tat⸗
ſächlichem Gebiet liegt aber die im Anſchluß hieran
getroffene Entſcheidung, daß ſich aus den Umſtänden,
unter denen der Angeklagte den Ortsnamen Camem—
bert innerhalb ſeiner Warenbezeichnung verwendete
und erſcheinen ließ, ergebe, daß dieſer Name als Her⸗
kunftsbezeichnung, nicht als Gattungswarenname her—
vortrete, und daß dieſe Wirkung dem Vorſatz des An—
geklagten entſpreche; auf den Etiketten des Angeklagten
befinde ſich eine für den deutſchen Käufer und Ver—
braucher nicht allgemein verſtändliche Umſchrift in
franzöſiſcher Sprache und die Zeichnung einer Bäuerin
344 Keitfehelft für Rechtspflege in Bayern. 1914. Mo. 18.
aus der Normandie; auch ſei die ſonſtige bildliche
Darſtellung der Warenbezeichnung des Nebenklägers
entnommen, die gerade auf die Kennzeichnung der Her⸗
kunft er in der Normandie erzeugten Camembert⸗
käſes berechnet ſei; all das müſſe im Verkehr die Anſicht
hervorrufen, daß das in der Umſchrift befindliche Wort
Camembert als Ortsname und Herkunftsbezeichnung
zu gelten habe. Die Reviſion bekämpft dieſe Annahme
und weiſt darauf hin, daß durch die Worte fromagerie
des Alpes, jeder Käufer und Verbraucher darüber au
geklärt werde, daß der Käſe nicht aus der Normandie
ſtamme, weil dort keine Alpen ſeien, und daß daher
„Camembert“ nur als Gattungsbezeichnung gebraucht
ſein könne; allein dieſe Ausführung iſt an ſich keines⸗
wegs ſchlüſſig, jedenfalls aber eine rein tatſächliche,
der Annahme des Urteils widerſprechende e
und als ſolche nach SS 260, 376 StGB. unbeachtlich.
Auch die im Geſetz hervorgehobenen verbotwidrigen
Zwecke ſind als die von dem Angeklagten verfolgten
ausreichend im Urteil feſtgeſtellt. Nach der Anſicht
des LG. hat der Angeklagte mit der Vorliebe des
deutſchen Käufers für „franzöſiſchen Camembertkäſe“
und dem ſich hieraus im Wettbewerb mit deutſchem
Weichkäſe gleicher Benennung ergebenden höheren
Handelswert gerechnet und dieſen höheren Wert ſeiner
Ware beilegen wollen. Wenn das Urteil ſagt, daß
der Käufer glauben ſollte, er bekomme einen „in Frank⸗
reich gefertigten Camembert“, ſo iſt das im Zuſammen⸗
hang mit den vorausgehenden und namentlich den
nachfolgenden Ausführungen nur ſo zu verſtehen, daß
der Angeklagte über den Handelswert ſeiner Ware, ſo
wie er ſich aus der Vorliebe der Verbraucher und der
Käufer für „franzöſiſchen Camembert“ ergibt, dahin
täuſchen wollte, daß er ſie als „echten Camembert“,
nämlich in der Normandie hergeſtellten und deshalb
nach dem Ort Camembert als demjenigen der Her⸗
kunft bezeichneten Käſe ausgab. Danach iſt die Be⸗
ſtrafung aus 8 16 WZ. gerechtfertigt. Wo die von
dem Nebenkläger vertretene Firma ihre Käſe fabriziert,
ob dieſe ihre Ware richtig kennzeichnet, wenn ſie inner⸗
halb ihres geſchützten Warenzeichens gleichfalls das
Wort „Camembert“ verwendet, darauf kommt es bei
Anwendung des 8 16 WZGG. überhaupt nicht an; noch
weniger darauf, ob die Fabrik dieſer Firma als in der
Normandie gelegen angeſehen werden kann. Nicht die
Berechtigung der von der genannten Firma ange⸗
wendeten Herkunftsangabe, auch nicht die Nachahmung
ihres Warenzeichens bilden den Gegenſtand der Ab⸗
urteilung, ſondern nur der hiervon ganz unabhängige
Gebrauch des Ortsnamens Camembert durch den An⸗
geklagten, der ſeine eigene Ware fälſchlich mit dem
Namen dieſes Orts verſehen hat, um über deren Her⸗
kunft und damit über deren Wert zu täuſchen. Daß
dies innerhalb und mittels der Nachahmung des fremden
Warenzeichens geſchah, iſt gleichgültig. (Urt. des I. StS.
vom 15. Juni 1914, 1 D 181/1914). E.
3429
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I
Die Sebührenermäßigung nach Art. 14 Satz 2 Abſ. 3
Seb. tritt nicht ein, wenn die Nechte aus dem Meiſt⸗
gebst in der Zeit zwiſchen dem Verſteigerungstermin
und einem zur Verkündung der Entſcheidung üder den
Zunſchlag anberaumten weiteren Termin oder erit in
dieſem letzteren Termin abgetreten worden ſind. In
einem Zwangsverſteigerungsverfahren blieb J. S. Meiſt⸗
bietender mit einem Bargebote von 22700 M. S. hatte
ſich zwar als Bevollmachtigter der als Hypotheken—
gläubiger beteiligten Ehegatten J. und K. eingefunden,
jedoch zunächſt 20 000 M „für ſich ſelbſt“ geboten und
— ' bb — — —
war meiſtbietend mit 22 700 M geblieben. Auf ſeinen
Antrag wurde die Entſcheidung über den Zuſchlag auf
den 16. März 1913 vertagt. In einer von dem Ber⸗
ſteigerungsbeamten beglaubigten Urkunde vom 14. Mai
1913 erklärte S., daß er für den Bauer J. G. in A.
geboten habe, und beantragte, dieſem den Zuſchlag zu
erteilen; J. G. ſtimmte zu. Im Termine vom 16. Mai
erteilte ſodann der Verſteigerungsbeamte nach 8 81
Abſ. 3 88G. dem J. G. den Zuſchlag. Das Verſtei⸗
are bewertete der Notar nach Art. 10,
46 Abſ. 1 Nr. 3 Geb. mit einer Staatsgebühr von
697 M aus einem Werte von 34850 M; für die Be
glaubigung der Urkunde vom 14. Mai ſetzte er eine
Staatsgebühr von 1 M an. Die Regierungsſinanz⸗
kammer ordnete für die Urkunde vom 14. Mai im Hin⸗
blick auf Art. 14 Abſ. 3 Satz 1 und Art. 146 Abf. 1
Nr. 3 Geb. die Nachholung von 696 M von ©. und
S. an. Gegen die Nachholung erhob J. S. Beſchwerde
zum LG. Dieſes erklärte die Nachholung für gerecht⸗
fertigt. Die weitere Beſchwerde wurde verworfen.
Aus den Gründen: Der durch die Nov. vom
29. April 1910 aufgenommene Abſ. 3 des Art. 14 Jeb.
will die Abtretung der Rechte aus dem Meiſtgebot
oder die Erklärung, für einen Dritten geboten zu
haben, mit der Gebühr des Art. 146 Geb. belegen.
da dieſe rechtsgeſchaftlichen Erklärungen wirtſchaftlich
einer Veräußerung des Grundſtücks ſelbſt gleichkommen
und die Erſparung einer Zwiſchenerwerbung und damit
auch die Erſparung der damit verbundenen Gebühr
ermöglichen. Nach Satz 2 des Abſ. 3 find zwei Aus»
nahmen zugelaſſen, in denen ſtatt der Gebühr des
Art. 146 nur eine Gebühr von 1 M erhoben wird. Der
erſte Fall, daß die Abtretung oder die Erklärung im
Verſteigerungstermin erfolgt, trägt dem Intereſſe des
Erſtehers Rechnung, da gerechtfertigte Gründe vor⸗
liegen können, das Gebot durch andere abgeben zu
laſſen, und in einem ſolchen Fall ein Mißbrauch der Be⸗
freiungsvorſchrift nicht leicht möglich iſt. Der Beſchluß.
durch den der Zuſchlag erteilt oder verſagt wird, iſt
nach 887 Abſ. 1 38. in dem Verſteigerungstermin oder
in einem ſofort zu beſtimmenden Termin zu verkünden,
der Verſteigerungstermin endet ſonach entweder mit
der Verkündung der Entſcheidung über den Zuſchlag
oder mit der Beſtimmung eines neuen Termins zur
Verkündung dieſer Entſcheidung. Verfehlt iſt die An⸗
nahme des Beſchwerdeführers, daß der Verſteigerungs⸗
termin erſt mit der Verkündung über die Entſcheidung
des Zuſchlags ende. Die Begründung des Geſetzes läßt
übrigens auch erkennen, daß es unter „Verſteigerungs⸗
termin“ den Termin verſteht, in dem entweder über
den Zuſchlag entſchieden oder ein neuer Termin zur
Verkündung der Entſcheidung über den Zuſchlag be⸗
ſtimmt wird. Denn es wird dort bemerkt: wenn ſich
auch innerhalb der zwiſchen dem Schluſſe des Ver⸗
ſteigerungstermins und dem Zuſchlagstermine liegenden
kurzen Friſt von einer Woche nicht häuſig Gelegenheit
zur Weiterveräußerung biete, fo ſei doch kein Orund
erſichtlich, die Veräußerung von der Gebühr freizulaſſen,
wenn es der Fall ſei. Da J. S. die Erklärung, für
J. G. geboten zu haben, nicht im Verſteigerungstermine
ſelbſt abgab, fondern erſt einige Tage ſpäter, find die
Vorausſetzungen des erſten Ausnahmefalls nicht gegeben.
(Beſchl. des II. 88S. vom 4. Mai 1914, Reg. V
Nr. 10/1914). M.
3384
II.
Wo befindet ſich die W einer Aktien:
geſellſchaft? Kann eine ſolche mehrere Niederlaſſungen
haben, von denen keine „Hanptniederlaſſung“ iſt? (SS 182,
50 Abſ. III HGB.). Die A.⸗G. Maſchinenfabrik AR.
mit dem Sitze in A. beſitzt Niederlaſſungen in A., N.,
G. und D. Der Generaldirektor der A.-G. hat zum
Handelsregiſter des AG. A. angemeldet, daß M. K. und
F. M. in N. zu Prokuriſten für die Niederlaſſung N.
— — u — — — — —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
beſtellt wurden. Das AG. hat die Eintragung abgelehnt,
weil nach 8 50 HGB. die Beſchränkung der Prokura
auf den Betrieb einer Zweigniederlaſſung nur zuläſſig
ſei, wenn die Niederlaſſungen unter verſchiedenen Firmen
betrieben werden. Der Eintragungsantrag wurde mit
dem Bemerken wiederholt, daß die einzelnen Nieder⸗
laſſungen ſich durch den der Firma beigeſetzten Zuſatz
„Werk A.“, „Werk N.“ uſw. unterſcheiden; vorſorglich
werde auch die Eintragung dieſer Zuſätze beantragt.
Das A. lehnte ſowohl die Eintragung der beſchränkten
Prokura als auch die des Firmenzuſatzes ab. Das LG.
5 die Beſchwerde verworfen. Auch die weitere Be⸗
chwerde wurde zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Beſchwerde und weitere
Beſchwerde gehen davon aus, daß die A.⸗G. zwar einen
Sitz haben müſſe, daß es dagegen nicht notwendig ſei,
daß eine aus mehreren Niederlaſſungen beſtehende A.⸗G.
eine Hauptniederlaſſung habe und dieſe mit dem Sitze
der Geſellſchaft zuſammenfalle. Der Senat hat ſchon in
der Entſcheidung vom 10. Juli 1907 (Slg. Bd. 8 S. 342)
ausgeſprochen, daß bei der A.⸗G. der durch die Satzung
beſtimmte Sitz der Geſellſchaft zugleich die Hauptnieder⸗
laſſung ſei. Hievon abzugehen beſteht kein Anlaß. Wie
jede Körperſchaft hat auch die A.⸗G. notwendig einen
Sitz d. h. einen Mittelpunkt, von dem aus das Unter⸗
nehmen geleitet wird. Während aber die phyſiſche
Perſon mehrere Wohnſitze haben kann, iſt bei der A.⸗G.
nur ein Sitz möglich, denn der Sitz iſt für die die recht⸗
liche Stellung der A.⸗G. erſt begründende Eintragung
entſcheidend; nach ihm beſtimmt ſich, welchem Rechte
die A.⸗G. unterworfen iſt. Der Sitz der A.⸗G. iſt nicht
notwendig an den Ort gebunden, an dem ſich das von
ihr betriebene kaufmänniſche Unternehmen befindet;
vielmehr iſt die Beſtimmung des Sitzes der freien Verein⸗
barung überlaſſen. Der Sitz kann auch an einem an⸗
deren Orte begründet werden als da, wo die Ver⸗
waltung geführt wird; dagegen können Sitz und Haupt⸗
niederlaſſung nicht getrennt werden. Das Geſetz ſtellt
der Hauptniederlaſſung die Zweigniederlaſſung gegen⸗
über, worunter jede Niederlaſſung außerhalb des Sitzes
zu verſtehen iſt, einerlei ob ihr wirtſchaftlich nur Neben⸗
bedeutung zukommt oder ob ſie die bedeutendere iſt
(ogl. Holdhun Schr. Bd. 10 S. 157; vgl. auch ROH.
Bd. 10 S. 42, Bd. 21 S. 37; KGJ. Bd. 13 S. 42).
In der Rechtslehre gilt überwiegend die Anſchau⸗
ung, daß der Sitz der A.⸗G. notwendig mit der Haupt⸗
niederlaſſung zuſammenfalle und daß beide dasſelbe
ſeien (ſ. insbeſ. Staub, HGB. 9. Aufl. 8 182 Anm. 17;
Lehmann⸗Ring, HGB. 8 182 Anm. 3a u. a.; dagegen
unter irrtümlicher Berufung auf ROG. Bd. 21 S. 37
Makower, HGB. 8 17 III e). Diefe Anſchauung ergibt
ſich notwendig aus der Faſſung des Geſetzes ſelbſt. Hier
iſt überall die Zweigniederlaſſung der Hauptnieder⸗
laſſung N Sitz der Geſellſchaft und
Hauptniederlaſſung ſind vielfach als gleichbedeutend
gebraucht (vgl. insbeſ. 8 13 Abſ. 3 mit § 201 Abſ. 5
HGB., Art. 176 mit Art. 179 des .., Nach
829 HGB. muß jeder Kaufmann, ſonach auch die A.⸗G.,
ſeine Firma und den Ort ſeiner Handelsniederlaſſung
bei dem Gericht, in deſſen Bezirke ſich die Niederlaſſung
befindet, zur Eintragung anmelden. Vor der Eintragung
beſteht die A.⸗G. als ſolche nicht (8 200). Auch hieraus
geht hervor, daß die A.⸗G. eine Niederlaſſung haben
muß, wenn ſie Rechtsfähigkeit erlangen will, und dieſe
Niederlaſſung iſt bei mehreren Niederlaſſungen not⸗
wendig die Hauptniederlaſſung; denn die Eintragung
der übrigen Niederlaſſungen ſetzt die Eintragung der
Hauptniederlaſſung voraus (§ 13 Abſ. 2 HGB.). Nach
der Auffaſſung der weiteren Beſchwerde wären ſämt⸗
liche Niederlaſſungen der A.⸗G. Maſchinenfabrik A.⸗N.
nur Zweigniederlaſſungen der einheitlichen, in A. domizi⸗
lierenden A.⸗G. Dieſe Auffaſſung iſt unhaltbar; denn
eine Zweigniederlaſſung i. S. des §S 13 HGB. kann nicht
am Sitze des Hauptgeſchäfts beſtehen, ſondern muß ſich
an einem anderen Ort und in einem anderen Gerichts⸗
345
bezirke befinden. Die Meinung der Beſchwerde, daß eine
A.⸗G., auch wenn fie mehrere Niederlaſſungen hat, doch
nicht notwendig in Haupt⸗ und Zweigniederlaſſungen
gegliedert fein müffe, findet auch in $ 50 Abſ. 3 HGB.
eine Stütze. Dort iſt allerdings davon die Rede, daß
die Niederlaſſungen unter verſchiedenen Firmen betrieben
werden, und iſt nur als beſonderer Fall angeführt, daß
eine Verſchiedenheit der Firmen i. S. dieſer Vorſchrift
auch dadurch begründet werde, daß für die Zweignieder⸗
laſſung der Firma ein Zuſatz beigefügt werde, der ſie
als Firma der Zweigniederlaſſung bezeichnet. Allein
damit iſt keineswegs gejagt, daß alle kaufmänniſchen
Geſchäfte, die verſchiedene Niederlaſſungen haben, auch
unter verſchiedenen ſie als gleichberechtigt ausweiſenden
Firmen betrieben werden können. Betreibt ein Kauf⸗
mann verſchiedene Geſchäfte unter verſchiedenen Firmen,
fo kann der Prokuriſt ſelbſtverſtändlich auch nur für eines
Gesch Geſchäfte beſtellt werden, betreibt er aber mehrere
Geſchäfte unter einer Firma, fo bezieht ſich die Prokura
notwendig auf alle Niederlaſſungen; um aber in dieſem
Falle eine Beſchränkung auf eine einzelne, vom Haupt⸗
geſchäfte verſchiedene Niederlaſſung zu ermöglichen, hat
das Geſetz den im 8 50 Abſ. 3 Satz 2 enthaltenen Aus»
weg eröffnet.
Hiernach iſt A., wo ſich der Sitz der Maſchinen⸗
fabrik A.⸗N. befindet, auch die Hauptniederlaſſung dieſer
A.⸗G. Damit entfällt die Möglichkeit, daß der bei dem
Handelsregiſter in A. eingetragenen Firma ein Zuſatz,
wie Werk A., beigefügt werde, denn die A.⸗G. kann nur
eine Firma haben, die auch von den Zweignieder⸗
laſſungen, erforderlichen Falles mit Zufägen, geführt
werden muß. Hiezu wäre eine Firma Maſchinenfabrik
A.⸗N., Werk A., nicht geeignet. Was weiter den Antrag
anlangt, die in N. und G. beſtehenden Niederlaſſungen
mit den Zuſätzen Werk N., Werk G. zu verſehen, ſo be⸗
ſteht zwar kein Bedenken dagegen, daß eine Zweignieder⸗
laſſung durch den Zuſatz Werk N. von der Hauptnieder⸗
laſſung unterſchieden werde. Dem Antrag kann aber
ſchon deshalb nicht entſprochen werden, weil ſich die
durch 8 13 Abſ. 2 HGB. gebotene vorgängige Eintra⸗
gung bei dem Gerichte der Hauptniederlaſſung nur auf
die das geſchäftliche Unternehmen als Ganzes betreffen⸗
den Vorgänge bezieht; wenn ſich dagegen die Eintragung
nur auf die Zweigniederlaſſung bezieht, ſo haben dieſe
Eintragungen beim Gerichte der Zweigniederlaſſung zu
erfolgen; ſie ſind nicht zuerſt bei dem Gerichte der Haupt⸗
niederlaſſung einzutragen. Das Regiſtergericht der
Zweigniederlaſſung hat die Zuläſſigkeit der Eintragung
ſelbſtändig zu prüfen.
Dafür, daß die beſchränkte Prokura nicht ohne
vorgängige Eintragung des der Zweigniederlaſſung
gegebenen Zuſatzes eingetragen werden könne, ſpricht
ſchon die Erwägung, daß der Zuſatz beſtimmt iſt, Firmen⸗
beſtandteil zu werden; der Prokuriſt hat die Firma in
der Weiſe zu zeichnen, daß er der Firma ſeinen Namen
mit einem die Prokura andeutenden Zuſatze beifügt
(8 51 HGB.); er kann die Firma der Zweigniederlaſſung
durch ſeine Unterſchrift nicht erſt ſchaffen, ſondern er
muß, wenn ſeine Prokura auf den Betrieb der Zweig⸗
niederlaſſung beſchränkt iſt, die Firma mit dem Zuſatze
zeichnen, durch den die Firma für ihre Beziehungen
Dritten gegenüber als Zweigniederlaſſung im Handels⸗
regiſter gekennzeichnet iſt. (Beſchl. des I. ZS. vom
16. Mai 1914, Reg. III Nr. 36/1914). M.
3405
B. Strafſachen.
I.
Zum Begriffe des gewerbsmäßigen Bermittelungs⸗
agenten für Darlehen; ift auch die auf Verſchaffung eines
ankkredits beſenders in der Form des Kontokorrents
abzielende Tätigkeit die eines ſolchen Agenten? Der
Angeklagte betreibt ein im Firmenregiſter eingetragenes
346 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
Agentur⸗ und Kommiſſionsgeſchäft; er befaßt ſich auch
damit, gegen Entſchädigung Kaufleuten und Fabriken
einen Bankkredit in der Form des Kontokorrents zu ver⸗
ſchaffen. Er wurde von den Vorinſtanzen nach 8 148 Ziff. 4
GewO. verurteilt, weil er entgegen dem § 35 Abſ. 7
GewO. die Eröffnung des Geſchaͤftes eines gewerbs⸗
mäßigen Vermittelungsagenten für Darlehen bei der
Polizeibehörde nicht angezeigt hat. Die Reviſion wurde
verworfen.
Aus den Sründen: Irrig iſt die Meinung
der Reviſion, daß durch 8 35 Abſ. 3 GewO. nach feinem
Zweck und aus ſozialpolitiſchen Gründen nur die an
Beamte und Private ſich wendenden Darlehensver⸗
mittler im landläufigen Sinne getroffen werden ſollten,
um deren Tätigkeit zu aberwachen. 8 35 Abſ. 3 ſpricht
allgemein von Darlehen ohne Unterſchied des Standes,
Berufes oder Gewerbes des Darlehens bedürftigen, will
ſonach jeden Staatsbürger ſchützen. Das BGB. ent⸗
hält keine Beſtimmung des Begriffs „Darlehen“, es
ſetzt ihn als allgemein bekannt voraus und gibt in
8 607 Abſ. 1 nur die weſentlichſten Beſtandteile des
Darlehensvertrags wieder, deren Kenntnis ſchon bisher
Gemeingut des Volkes geweſen iſt und noch iſt. Jeden⸗
ſalls liegt ein Darlehen vor, wenn jemand von einem
anderen Geld zum Verbrauche mit der Verpflichtung
erhält es in der gleichen Menge mit oder ohne Zinſen
zurückzuerſtatten. Um Darlehen dieſer Art handelt
es ſich hier. Es iſt gleichgültig, unter welchem Titel,
unter welchen Formen das Darlehen gegeben, verbucht,
verrechnet oder zurückbezahlt wird. Verpflichtet ſich
ein Bankier, einem Geldſuchenden Geld gegen Rücker⸗
ſtattung bis zu einer beſtimmten Höhe zu leihen und
räumt er ihm das Recht ein, das Geld nicht auf ein⸗
mal, ſondern in Einzelbeträgen abzuheben, ſo raͤumt er
ihm einen Bankkredit ein; das hingegebene Geld iſt jedoch
nichts anderes als ein Darlehen. Wird der Banks
kredit dieſer Art in der Form eines Kontokorrents
gegeben, ſo wird dadurch an der Eigenſchaft des hin⸗
gegebenen Geldes als Darlehen nichts geändert; es
werden nur hinſichtlich der Buchung und der Art und
der Zeit der Tilgungsmöglichkeiten die dem Kontos
korrentverkehr eigenen einfacheren Formen gewahlt.
Der dem Bankkredit zugrunde liegende Kreditvertrag
iſt das klagbare Verſprechen der Hingabe von Dar⸗
lehen (8 610 BGB.). Der Bankkredit in der Form
des Kontokorrents beruht auf Vereinbarung; es iſt der
unechte, uneigentliche Kontokorrent gegenüber dem echten
nach 8 355 HGB. Nach den Feſtſtellungen handelt es
ſich um den Bankkredit in der Form des Kontokorrents
und das BG. hat deshalb zutreffend angenommen,
daß Darlehen gewährt werden ſollen. Es iſt übrigens
auch bei dem echten Kontokorrente des 8 355 HGB.
nicht ausgeſchloſſen, daß Darlehen an ſich und in der
Form des Bankkredits gewährt werden, da zwar die
Kreditgewährung nicht ein weſentlicher, aber ein zus
läſſiger und häufig vorkommender Beſtandteil dieſes
Kontokorrents iſt. (Urt. vom 28. März 1914, Rev.⸗Reg.
Nr. 122/1914). Ed.
3362
II.
Bringt ein außergerichtlicher Vergleich einen Straf:
antrag zum Erlöſchen, ohne daß dieſer der Behörde
gegenüber zuruckgenommen worden iſt? Aus den
Gründen: Der StS. des Obe G. hat in dem Urteile
vom 19. September 1908 Rev.-Reg. Nr. 408/08 aus-
geſprochen: die wirkſame Zurücknahme eines Straf—
antrags erfordere naturgemäß, daß fie der Behörde
erklärt werde, die zur Zeit der Zurücknahme mit der
Sache befaßt ſei. Vergleiche, Verzichte, Ausſöhnungen
der Parteien hätten nicht die Wirkung der Zuruck—
nahme, wenn die Erklärungen nicht vor der zuſtändigen
Behörde angebracht würden. In einem fpäteren Ur—
teile (Entſch. Bd. 10 S. 435 ff.) hat der Senat anerkannt,
daß ein vor Stellung des Strafantrages erklärter Ber-
zicht auf das Recht wirkſam fei. Die in dieſem Urteil
aufgeſtellten Brundfäge ausbauend hat er dann am
11. Februar 1913 entſchieden, daß auch ein außerge⸗
richtlicher Vergleich die Wirkungen eines rechtswirk⸗
ſam geſtellten Strafantrags zum Erlöſchen bringe,
ohne daß es einer e ge enüber der
Behörde bedürfte (Entſch. Bd. 13 S. 63). Bei einer wieder⸗
holten Prüfung der Frage kann dieſe Rechtsanſchauung
nicht aufrecht erhalten werden. Die Befugnis des Ver⸗
letzten durch ſeinen Antrag auf Strafverfolgung eine
Vorausſetzung für das ſtaatliche Strafverfolgungsrecht
zu begründen, gehört nicht dem vermögensrechtlichen
Gebiete an und iſt ein höchſt perſönliches Recht. Mag
auch die Verfügungsbefugnis des Berechtigten über
77 Antragsrecht eine privatrechtliche Seite haben,
nſoferne es einer Verletzung ſeiner Rechte durch einen
anderen entſpringt, ſo greift doch das Antragsrecht
in das öffentliche Rechtsgebiet über; denn das Straf⸗
verfolgungsrecht des Staates hängt in den im Ge⸗
ſetze bezeichneten Fällen von der Stellung des Straf⸗
antrages ab. Da das öffentliche Recht der willkür⸗
lichen Verfügung des einzelnen entzogen iſt, ſo wird
die Befugnis des Verletzten über ſein Antragsrecht
zu verfügen, durch den Inhalt dieſes Rechts begrenzt
(RG.Z. Bd. 42 S. 60 [62]). Mit der Stellung des nach
dem Geſetze erforderlichen Strafantrags wird das
Strafverfolgungsrecht des Staates uneingeſchränkt
wirkſam und dauert fort bis ein im öffentlichen Rechte
vorgeſehener Erlöſchungsg rund eintritt. Nun läßt aller⸗
dings das Strafgeſetz in gewiſſen Fällen die Zurück-
nahme des Strafantrags mit der Wirkung zu, daß
das auf Grund des Antrags eingeleitete Verfahren
einzuſtellen iſt (8 64 StGB.). Aber das Erlöſchen der
Strafverfolgungsrechts des Staates beruht auf einer
öffentlich⸗ rechtlichen Beſtimmung. Dieſe iſt daher auch
entſcheidend für die Beurteilung, ob die geſetzlichen
Vorausſetzungen erfüllt ſind. Darnach kann aber die
Zurücknahme wirkſam nur durch eine Erklärung gegen⸗
über der Behörde erfolgen, deren Strafverfolgungs⸗
recht von dem Vorliegen des Antrags abhängt. Eine
außergerichtliche Vereinbarung zwiſchen dem Antrags⸗
berechtigten und dem Täter kann für ſich allein das
Strafverfolgungsrecht des Staates nicht beendigen.
Dieſe Wirkung kommt vielmehr nach der Vorſchrift
des öffentlichen Rechtes nur der Zurücknahmeerklärung
des Antragsberechtigten ſelbſt gegenüber der zur Straf⸗
verfolgung berechtigten Behörde zu (RGSt. Bd. 8 S. 79
[80], RG 3. Bd. 42 S. 60 [62/63], Olshauſen StG.
64 Anm. 9 und 8 61 Anm. 49, KG. Beſchl. vom
28. Mai 1903 DJ Z. Bd. 8 S. 405 Ziff. 30, Goltd Arch.
Bd. 51 S. 292 [296 ff.], Köhler, die Lehre vom Straf⸗
antrag S. 165, teilweiſe a. M., vgl. auch Meikel JW.
1913 S. 629 [633]). Dieſe Auslegung entſpricht nicht
nur der Natur der Sache, ſondern auch den Anforde⸗
rungen der Rechtsſicherheit und Zweckmäßigkeit. Die
Entſcheidung der Behörde darüber, ob ihre Berechti⸗
gung zur Strafverfolgung noch beſteht, erfordert eine
Erklärung des Berechtigten ihr ſelbſt gegenüber. Sie
kann nicht von dem unſicheren Ergebnis eines Beweis⸗
verfahrens abhängig gemacht werden. Man denke
nur daran, daß die Vereinbarung nur zwiſchen dem
Verletzten und dem Täter mündlich geſchloſſen wurde.
Geht man davon aus, daß mit der Vereinbarung das
Strafverfolgungsrecht des Staates . ſo beſtünde
die Möglichkeit, daß nur wegen der Nichterweislich⸗
keit des von dem Verletzten beſtrittenen Uebereinkommens
das Strafverfahren fortgeſetzt werden muß, obwohl
in Wirklichkeit ein rechtswirkſamer Strafantrag nicht
mehr vorliegt. Dem gegenüber kann die Möglichkeit.
daß der Verletzte nicht der übernommenen Verpflichtung
nachkommt, den Strafantrag zurückzuziehen, umſo—
weniger von ausſchlaggebender Bedeutung fein, als
dem Angeklagten zur Geltendmachung feiner Rechte
der Weg des Zivilrechtsſtreites oſſen bleibt und ihm
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
347
zudem weitere Mittel zum Beweiſe des von ihm be⸗
haupteten Vergleiches bietet als das Strafverfahren.
Die gleichen Erwägungen ſind auch maßgebend für
die Entſcheidung der Frage, unter welchen Voraus⸗
ſetzungen der Strafrichter die Privatklage als zurück⸗
genommen anzuſehen hat. Denn mit der Erhebung
der Privatklage macht der Privatkläger eine im öffent⸗
lichen Rechte begründete Befugnis, das ſtaatliche Straf⸗
verfolgungsrecht, auf eigene Gefahr geltend. Die
Vorausſetzungen der wirkſamen Zurücknahme einer
Privatklage find im öffentlichen Rechte (8 431 StPO.)
geregelt. Es können keine durchfchlagenden Gründe
geltend gemacht werden, die zur Annahme berechtigten,
daß das mit der Privatklage eingeleitete Strafver⸗
fahren auch noch aus anderen Gründen als den in
der Strafprozeßordnung anerkannten beendigt werde.
Die Erwägungen, die gegen die Wirkſamkeit des außer⸗
gerichtlichen Vergleichs über einen wirkſam 1
Strafantrag ſprechen, ſind hier ebenfalls von Erheb⸗
lichkeit. (Urteil vom 9. Mai 1914 Rev.⸗Reg. Nr. 261/1914).
3427 Ed.
Oberlandesgericht München.
Umfang des Bändungeborreihtd für den Unterhalt
unehelicher Kinder. (SS 850 ZPO.; 4, Aa Lohn.).
Die minderjährige Arbeiterin Th. S. gebar am 3. Nov.
1913 außerehelich ein Kind, das ſchon nach 16 Stunden
ſtarb. Auf ihre am 24. Nov. 1913 zugeſtellte Klage wurde
der Beklagte als Kindsvater durch Teilurteil des Amts⸗
gerichts vom 5. Dez. 1913 zur Zahlung von 174 M ver⸗
urteilt, darunter 60 M Unterhalt des Kindes für die
drei erſten Monate gemäß 8 1710 Abſ. 3 BGB., über⸗
gegangen u die Kindsmutter als Erbin gemäß 8 1713
BEB. Am 6. Dez. 1913 wurde der Klagepartei voll»
ſtreckbare Ausfertigung erteilt. Durch Beſchluß des
Amtsgerichts vom 3. Jan. 1914 wurde auf Antrag der
Kindsmutter auf Grund des am 15. Dez. 1913 zugeſtellten
Teilurteils zugunſten der Unterhaltsforderung zu 60 M
für die Zeit vom 3. Nov. 1913 bis 2. Febr. 1914 die dem
Beklagten gegen die Firma S. & H. hier zuſtehende Lohn⸗
forderung unter Beſchränkung auf wöchentlich 5 M ge⸗
pfändet, und zur Einziehung überwieſen. Die Einwen⸗
dungen des Beklagten nach 8 766 ZPO. wurden zurück⸗
gewieſen. Auf deſſen 170 Beſchwerde hob das LS.
den Pfändungsbeſchluß inſoweit auf, als er die Pfändung
für einen höheren Betrag als 26 M verfügte; im übrigen
wurde die Beſchwerde zurückgewieſen. Das LG. nahm
an, daß die Kindsmutter nachgewieſenermaßen für das
Kind 26 M zur Beſchaffung von Wäſche und an Be⸗
erdigungskoſten ausgelegt habe, daß das Vorrecht des
unehelichen Kindes nach $ 4a Lohn BG. als höchſt per⸗
ſönliches Recht beim Uebergang der Forderung auf eine
andere Perſon zwar grundſätzlich erlöſche, jedoch, ſoweit
die Mutter oder ein anderer unterhaltspflichtiger Ver⸗
wandter des unehelichen Kindes dieſem den Unterhalt
tatſächlich gewähre, mit dem Vorrechte des § 4a auf dieſe
Perſon übergehe, da die Forderung hiedurch ihre Eigen-
ſchaft als Unterhaltsforderung nicht verliere (8 1709
Abſ. II BGB.); ſonach ſei die Pfändung su von
26 M in der Beſchränkung auf wöchentlich 5 ½ zuläſſig
und angemeſſen, im übrigen aber erſcheine ſie unzuläſſig.
Hiergegen erhob die Kindsmutter weitere Beſchwerde,
weil eine Herabſetzung des Forderungsbetrages zu 60 ,
auf den der Vollſtreckungstitel laute, nur auf Grund des
9767 ZPO. möglich geweſen wäre, und dem angefochtenen
Beſchluſſe auch § 760 Abſ. 3 BGB. entgegenſtehe, endlich
weil, falls keine bevorrechtete Pfändung wegen des Reſtes
zu 34 M anzunehmen wäre, der Pfändungsantrag hier
wegen nicht abzuweiſen, ſondern auf den 125 M monat-
lich überſteigenden Lohnbetrag des Schuldners zu be=
ſchränken geweſen wäre. Die Beſchwerde hatte teil⸗
weiſe Erfolg.
Aus den Gründen: Die Verweiſung der Be⸗
ſchwerdeführerin auf 8 767 ZPO. iſt nicht zutreffend, da
das LG. die teilweiſe Aufhebung des amtsgerichtlichen
eee eee nicht auf den Mangel eines Voll⸗
ſtreckungstitels, ſondern auf die Unzuläſſigkeit der Pfän⸗
dung mangels Anwendbarkeit des §S 4a Lohn BG. geſtützt
hat. Eine Kürzung des durch den Vollſtreckungstitel aus⸗
gewieſenen Betrages zu 60 M muß auch jetzt außer Be⸗
tracht bleiben, obwohl vom Gerichtsvollzieher auf der
vollſtreckbaren Ausfertigung die Beitreibung von 33,50 M
an der Urteilsſumme zu 174 M beſtätigt iſt und hienach
in Frage kommt, ob nicht nach 8 366 BGB. eine anteils⸗
mäßige Anrechnung auf den Unterhalt zu 60 M anzu⸗
nehmen wäre. Es muß vielmehr die Geltendmachung
von Einwendungen gegen eine etwaige Ueberpfändung
dem Schuldner ſelbſt vorbehalten bleiben. Ob Unter⸗
haltsforderungen eines unehelichen Kindes, ſoweit ſie
nach 8 1709 Abſ. 2 BGB. oder im Erbwege auf Dritte,
— insbeſondere die Kindsmutter — übergegangen find,
das Vorrecht des $ 4a Lohn B. behalten, iſt beſtritten.
890 einerſeits für Bejahung Gaupp⸗Stein, 10. Aufl.
8 850 IV 2, ROL G. Bd. 5 S. 454, Bd. 17 S. 340, Seuff l.
15. Erg.⸗Bd. S. 225, Meyer, Beſchlagnahme, 4. Aufl.
S. 120, Bay 8fR. Bd. 1 S. 159, andrerſeits für Ver⸗
neinung Seuff. ZPO., 11. Aufl. 8 850 Anm. 13a, Stau⸗
dinger BGB., 7./8. Aufl. Bem. 5e zu 8 1709, Bem. 14
zu 8 1708, Hein, HB. Zw. 821,2 (S. 355), Falkmann,
Zw., 2. Aufl. S. 787, OLG. München in Seuff A. Bd. 69
Nr. 22. Das Teilurteil ſtellt allerdings nur einen
erbweiſen Uebergang der Forderung feſt; gleichwohl
ſcheidet die Frage hier aus, ob der Erſtrichter die Teil⸗
forderung zu 26 M im Hinblick auf 8 1709 Abſ. 2 BGB.
mit Recht als bevorrechtet i. S. des $ 44a Lohns G. er⸗
achtet hat und ob bei Anwendung des § 1709 Abf. 2
ſeiner Rechtsanſchauung beizutreten wäre. Denn einer⸗
ſeits iſt die Kindsmutter durch dieſe Entſcheidung des
Erſtrichters nicht beſchwert, andererſeits wäre eine Aen⸗
derung zuungunſten der Beſchwerdeführerin nicht ſtatt⸗
haft, da der Schuldner den landgerichtlichen Beſchluß
nicht angefochten hat. Die Reſtforderung zu 34 M aber
kann die Klagepartei auf Grund des Teilurteils zweifel⸗
los nur als erbweiſe auf ſie übergegangen geltend
machen. Der Senat ſchließt ſich nun der von Seuffert,
Falkmann, Hein und Staudinger vertretenen Auffaſſung
an, wonach ſolche Forderungen die Eigenſchaft der Unter⸗
haltsforderung entweder ganz verlieren oder doch wenig⸗
ſtens der Begünftigung des $ da Lohn BG. entbehren.
Für letzteres ſpricht der Zweck des § 4a, durch den die
eines beſonderen Schutzes bedürftigen unehelichen Kinder
außerordentlich geſichert werden ſollen. Mit dem Tode
des Kindes entfällt dieſer Zweck; alsdann beſteht kein
Grund mehr, deſſen Verwandten, auch wenn ſie unter⸗
haltspflichtig ſind und aus eigenen Mitteln Unterhalt
gewährt haben, für die ihnen im Erbwege zugefallenen
Unterhaltsanſprüche des Kindes das gleiche Vorrecht zu
gewähren, wie es dieſem ſelbſt zugeſtanden hätte. Dieſe
Auffaſſung hat der Senat ſchon in ſeinem Beſchluſſe
vom 15. März 1913 (Seuff „Bd. 69 Nr. 22) vertreten,
bei dem es ſich allerdings um die Auslegung des $ 850
m ZPO. handelte; diefe trifft aber auch auf 8 4a
Lohn BG. zu, da beide Beſtimmungen gleichlauten und
den gleichen Zweck verfolgen. Hiernach iſt auch die Be-
rufung der Klagepartei auf $ 4a Lohn 8G. und 8 760
Abſ. 3 BGB. hinſichtlich der Teilforderung zu 34 M
unbehelflich. Dagegen iſt ihre Beſchwerde inſoferne bes
gründet, als das LG. nicht geprüft hat, ob die Lohn-
forderung des Beklagten nicht zugunſten dieſer Reſt⸗
forderung der Pfändung nach § 4 Nr. 4 Lohn BG. unter⸗
liegt, nämlich inſoweit fie die Summe von 1500 M
überſteigt. Der Beklagte bezieht einen Wochenlohn von
29,04 M. Für ein Jabr berechnet Sich feine Vergütung
alfo auf 52 x 29,04 M = 1510,08 M, fo daß ſich ein
nach $ 4 Nr.4 pfändbarer Ueberſchuß von 10,08 M ergibt.
348
Diefer und ein etwa für bie Zukunft ſich noch erhöhender
Ueberſchuß unterliegen der Pfändung zugunſten des Reſt⸗
betrages von 34 M, ſelbſtverſtändlich, ſoweit er ſich bei
dem Vollzuge der Pfändung zugunſten der 26 M noch
tatſächlich ergibt. (Beſchl. vom 28. März 1914, Beſchw.⸗
Reg. Nr. 202/14). N.
8408
Bücheranzeigen.
Die sgeleke vom Auguſt 1914 mit den einschlägigen
Vorſchriften des Bundesrats und Bayerns. Schweitzers
Textausgaben. 1914. München, Berlin und Leipzig,
Ss Pong Verlag (Arthur Sellier). Preis broſch.
Das Büchlein enthält in erſter Linie die durch
den Krieg veranlaßten Geſetze und Bundesratsbekannt⸗
machungen, welche die Rechtspflege betreffen, und die
dazu ergangenen J. M. Bekanntmachungen vom 16.
und 22. Auguſt d. Ihrs. (letztere im Nachtrag). Es
folgen die übrigen geſetzgeberiſchen Maßnahmen aus
Anlaß des Krieges wie die Geſetze betr. die Aenderung
des Münzgeſetzes, des Bankgeſetzes uſw.; ausgeſchieden
ſind die 9 rein militäriſcher Natur und ferner
ſolche, die Ermächtigungen für den Bundesrat ent⸗
halten, von denen er noch nicht Gebrauch gemacht hat,
ferner das Geſetz betr. vorübergehende Einfuhrerleich⸗
terungen ſamt Nachträgen und Ausführungsbeſtim⸗
mungen. Als Anhang iſt eine Abhandlung von Rechts⸗
anwalt Dr. Waſſermann in München beigefügt über
„Die Ausgeſtaltung der privatrechtlichen Verhältniſſe
durch den Krieg“.
Das handliche Büchlein kommt ohne Zweifel einem
wirklichen Bedürfnis entgegen und wird gewiß viele
Abnehmer finden. —t.
Jolas Heinrich, K. Regierungsrat, und Knoll Franz,
K. Major. A. Regers Militärdienſtgeſetz⸗
gebung des Deutſchen Reiches. Mit den für
das Reich und das Königreich Bayern gültigen Voll⸗
zugsbeſtimmungen (Wehrordnung und Heerordnung).
a ur Ansbach, Brügel & Sohn, 1914. Gebd.
Gerade zur rechten Stunde iſt die neue Auflage
des Buches erſchienen, das allen mit dem Heereserſatz
befaßten Perſonen und Behörden unentbehrlich und
ſchon von feinen früheren Auflagen her überall aufs
beſte eingeführt iſt. Ein Anhangbändchen mit den
wichtigſten miniſteriellen Vollzugsentſchließungen wird
folgen; es wird auch die einſchlägigen ſtrafrechtlichen
Beſtimmungen mit Erläuterungen enthalten. E.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Die amtlichen Blätter haben in der letzten Zeit
ſo viel Neues gebracht, daß wir heute hier nicht auf
alles eingehen können.
Das Reichsgeſetzblatt enthält in Nr. 67 die Be⸗
kauntmachung des Bundesrats vom 29. Anguſt 1914 betr.
die weitere Verlangerung der Friſten dee Wechſel⸗ und
Scheckrechts.“) Sie ſetzt in 81 an die Stelle der in 81
Abſ. 1 des ErmächtigungsG. vom 4. Auguſt 1914 (RGBl.
S. 327) beſtimmten Friſt von 6 Werktagen eine Friſt
von 2 Wochen und verlängert in $ 2 die 30 tägige
1) Bgl. dazu auch 8R Bek. vom 8. September 1914 (Rg Bl. S. 399).
geitſchrift fur Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 18.
Friſtverlängerung, die in der Bek. vom 6. Auguſt 1914
(RGBl. S. 357) vorgeſehen iſt, für beſtimmte Bezirke
des Reiches, die beſonders unter dem Kriege leiden,
um weitere 30 Tage.
Wie iſt die 30 tägige Friſt der Bek. vom 6. Auguſt
zu berechnen?
1. Sind nur ſolche Tage zu zählen, an denen die
Proteſthandlung vorgenommen werden kann, Sonn⸗
tage und allgemeine Feiertage alſo nicht mitzurechnen,
oder zählen dieſe mit? Für die letztere Annahme
ſpricht entſchieden die Verſchiedenheit der Ausdrucks
weiſe in 81 des Geſ. vom 4. Auguſt und der Bek. vom
6. Auguſt — dort iſt von 6 Werktagen, hier von 30 Tagen
die Rede — und die Bek. vom 29. Auguſt iſt jedenfalls
geeignet dieſen Jrund eher zu verſtärken als abzu⸗
chwächen: wie bei der von ihr in 8 1 neu beſtimmten
riſt von 2 Wochen, ſo werden auch bei den 30 Tagen
des 82 und des 8 1 der Bek. vom 6. Auguſt die Sonn⸗
und Feiertage mitzuzählen fein.
2. Hat der Wechſelproteſt mangels Zahlung ſpaͤte⸗
ſtens am 32. Tage nach dem Zahlungstage zu geſchehen
oder iſt zunächſt die ordnungsmäßige Proteſtfriſt der
Wo. und erſt von ihrem Ende, dem 2. Werktag nach
dem Zahlungstag an die 30 tägige Verlängerung zu
berechnen? Es leuchtet ein, daß die Friſt nach der
erſteren Berechnungsweiſe bei Mitzählung der Sonn⸗
und Feiertage unter Umſtänden früher endigt als nach
der letzteren. Mag dieſe auch der Faſſung der Be
kanntmachung ohne Zweifel beſſer entſprechen als jene,
ſo iſt die Rechtslage doch nicht ſicher. Wer ſich und
andere vor Schaden hüten will, wird jedenfalls gut
tun, bei den Fragen unter 1. und 2. mit der Aus⸗
legung zu rechnen, die zu einem früheren Ende der
Friſt führt: es wäre alſo ſpäteſtens am 33. Tage nach
dem Zahlungstag und, wenn der 32. Tag auf einen
Sonntag oder allgemeinen Feiertag fallen ſollte, [päte
ſtens am nächſten Werktag zu proteſtieren.
81 des Ermächtigungs Z. ſowohl wie 81 der Bek.
vom 6. Auguſt und 8 2 der Bek. vom 29. Auguſt ſprechen
von einer „Handlung, deren es zur Ausübung oder
Erhaltung des Wechſelrechts oder des Regreßrechts
aus dem Scheck bedarf.“ Als ſolche Handlung käme
an und für ſich auch die Benachrichtigung der Regreß⸗
pflichtigen von der Nichtzahlung des Wechſels oder des
Schecks in Betracht (Art. 45 WO., 817 Scheckd.; IMðl.
vom 16. Auguſt 1914, B. VI. 1. letzter Abſ., JM Bl. S. 167);
allein auf die Friſt für dieſe Benachrichtigung ſoll die
Friſtverlängerung der Bek. vom 6. Auguſt und des 52
der Bek. vom 29. Auguſt, wie 8 3 der legteren beſtimmt,
nicht angewendet werden.
Aus dem GVBl. ſeien heute nur zwei wichtige
Geſetze hervorgehoben. Das Geſetz vom 21. Anger
1914 über Aenderungen im Gebührenweſen (GBl. S. 17)
ſetzt vom 1. Januar 1915 ab an die Stelle des geltenden
Gebührengeſetzes ein Koſtengeſetz und ein Stempelgeiey
und an die Stelle der Gebühren nach Art. 1 und 5
des Beſitzveränderungsabgabengeſetzes vom 14. Auguft
1910, Stempelerſatzabgaden und Stempel nach dem
Stempelgeſetz; einzelne Beſtimmungen des geltenden
Gebührengeſetzes bleiben in Kraft. Wir werden, wenn
möglich, vor dem Inkrafttreten des Geſetzes noch näher
darauf zurückkommen, ebenſo auch auf das neue Armen
geſetz vom 21. Anguſt 1914 (GBl. S. 551), das in
ſeinen Beſtimmungen über den armenpolizeilichen Ar⸗
beitszwang eine wichtige Neuerung in unſer Recht
bringt und in ſeinem zweiten Abſchnitt eine Reihe von
Geſetzen — u. a. auch das Zwangserziehungsgeſeß —
teilweiſe in ſehr einſchneidender Weiſe aͤndert.
Verantwortl. Herausgeber i. V.: E. Eckert, Land⸗
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig. N
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ur. 19.
München, den 10. Oktober 1914.
10. Jahrg.
Zeilſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Reglerungsrat im K. Bayer.
Staats minlſterium der Juftiz.
in Bayern
Verlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Zellier)
Münden, Serlin u. Leipzig.
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 82. 79.)
Die Zeltſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats //
im . von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich :
8—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
jede Poſtanſtalt.
Einfluß des Krieges auf Rechte und Ver⸗
bindlichkeiten des Bürgerlichen Aechts.
Von Reichsgerichtsrat Karl Mans feld.
In den Tageszeitungen iſt mit Recht wieder⸗
holt darauf hingewieſen und auch in der vorletzten
Nummer der JW. (1914 S. 798 f.) iſt betont
worden, daß grundſätzlich der Krieg keinen Ein:
fluß hat auf die durch das Bürgerliche Recht ge⸗
gebenen Rechte und Pflichten. Das gilt ſowohl für
die beim Kriegsbeginn beſtehenden als für die zur
en begründeten Rechte und Verbindlich⸗
eiten.
Durch die wegen des Krieges erlaſſenen Not⸗
geſetze und auf Grund des Ermächtigungsgeſetzes
(RGBl. S. 327) ergangenen Verordnungen des
Bundesrats iſt in gewiſſem Umfange die Durch⸗
führung der Rechte aus ſolchen Rechtsverhältniſſen ge:
hemmt, die Fälligkeit der Verbindlichkeiten hinaus:
geſchoben, der Gefahr des Verluſtes von Rechten
vorgebeugt. Der Krieg als ſolcher hat an dem
Beſtande der Rechtsverhältniſſe nichts verändert.
Er kommt für den Beſtand und Inhalt der Rechts⸗
verhältniſſe nur ſoweit in Betracht, als er einen
Tatbeſtand zu ſchaffen oder darzuſtellen vermag,
der ſich auch aus anderen Ereigniſſen und Um⸗
ſtänden ergeben kann. Wie andere Geſchehniſſe,
ſo kann auch der Krieg die Unmöglichkeit der
Leiſtung herbeiführen und ein wichtiger Grund
zu friſtloſer Löſung eines Rechtsverhältniſſes
ſein. Der Krieg aͤndert nichts am objektiven
Erb⸗ und Familienrecht, aber er hat im Gefolge
den Tod jo manches Tapferen, und jeder Todes⸗
fall iſt ein Erbfall und löſt familienrechtliche Ver: |
hältniſſe. Der Krieg berührt nicht die dinglichen
Rechte, aber ein Kriegsereignis kann ihren Unter:
gang herbeiführen, wenn es ihren Gegenſtand ver—
nichtet. So läßt der Krieg auch die Schuldver:
hältniſſe unberührt, er kann aber zur Vernichtung
7 anzeigen 20 Pfg.
Nachdruck verboten.
Leltung und e
München, Ottoſtraße 1a.
Unzelgengebübr 30 P
g. für die balbgeſpaltene Pettltzelle
oder deren Raum. Ber eee Ermäßigung. Stellen⸗
Beilagen nach Uebereinkunft.
349
des geſchuldeten Gegenſtandeso der der zu ſeiner
Herſtellung nötigen Kräfte, Fähigkeiten und Werk⸗
zeuge führen. Dieſe Vernichtung kann die Leiſtung
unmöglich und den Schuldner von der Leiſtungs⸗
pflicht frei machen.
Iſt der geſchuldete Gegenſtand nur der Gattung
nach beſtimmt, handelt es ſich insbeſondere um eine
Geldſchuld, ſo wird der Schuldner nicht frei, ſolange
die Leiſtung aus der Gattung noch möglich iſt
(§ 279 BGB.). Es befreit den Schuldner nicht
von der Leiſtungspflicht, daß der Feind die Scheune
niedergebrannt hat, die den geſchuldeten Hafer barg,
oder all ſein Geld weggenommen hat. Wohl aber
wird er von der Verpflichtung zur Leiſtung frei,
ſoweit die Leiſtung der beſtimmten einzelnen Sache
durch ein Kriegsereignis unmöglich wird, das er
nicht zu vertreten hat (S 275 BGB.). Das
mangelnde Verſchulden wird die Regel bilden, freilich
kann die den Untergang der geſchuldeten Sache herbei:
führende feindliche Maßregel auch vom Schuldner,
z. B. durch eine völkerrechtswidrige Handlung,
ſchuldhaft veranlaßt ſein. Hat der Schuldner die
Unmöglichkeit zu vertreten, dann haftet er dem
Gläubiger gemäß § 280 BGB. auf Schadenserſatz.
Wird der Schuldner frei, ſo verliert er beim
gegenſeitigen Vertrage nach $ 323 BGB. den An⸗
ſpruch auf die Gegenleiſtung, wenn auch den anderen
Vertragsteil an dem Untergang des geſchuldeten
Gegenſtandes durch das Kriegsereignis kein Ver⸗
ſchulden trifft.
Das gilt für alle Verträge, bei denen Ver⸗
ſchaffung des Eigentums, des Gebrauchs oder der
Nutzung des Gegenſtandes den Inhalt der Leiſtung
bildet. Es iſt Tatfrage, ob im Einzelfalle die
Leiſtung unmöglich iſt. Der Verkäufer des
Pferdes wird nicht ohne weiteres frei, wenn Aus:
muſterung der Pferde zur Aushebung angeordnet
iſt. Die Gewährung des Pachtlandes wird nach—
träglich unmöglich, wenn aus Kriegsgründen das
Land unter Waſſer geſetzt iſt. Der Vermieter
350
kann die Mietwohnung nicht zur Verfügung halten,
wenn eine Feuersbrunſt im Kriege das Haus zer⸗
ſtört. Die Leiſtung aus dem Werkvertrage iſt dem
Maler, der ſich verpflichtet hatte, ein Gemälde
herzuſtellen, unmöglich, wenn er im Kriege den
rechten Arm oder das Augenlicht verloren hat.
Iſt aber die Leiſtung des Vermieters möglich,
die Wohnung zur Aufnahme des Mieters bereit,
ſo wird dieſer von der Entrichtung des Mietzinſes
nicht dadurch frei, daß er zur Fahne einberufen
wird (8 552 BGB.). Und auch hinſichtlich der
etwaigen Nebenleiſtungen des Mieters, z. B. Reini⸗
gung und Beleuchtung der Treppen, liegt eine be⸗
freiende Unmöglichkeit nicht vor.
Beim Dienftvertrage kann von einer Unmöͤg⸗
lichkeit der Leiſtung des Dienſtberechtigten, ſoweit
ſie in der Zahlung der Vergütung beſteht, ſchon
nach dem Grundſatze des $ 279 nicht die Rede
ſein. Auch die Fürſorgepflicht aus 8 618 BGB.
zu erfüllen, wird dem Dienſtberechtigten regelmäßig
nicht durch feine Einziehung zum Kriegsdienſt un:
möglich, ſoweit die Erfüllung nicht etwa durch
ihn perſönlich zu erfolgen hat. Der Dienſtberech⸗
tigte iſt nach dem Dienſtvertrage unter Umſtänden
verpflichtet, dem Dienſtverpflichteten Gelegen⸗
heit zur Leiſtung ſeiner Dienſte zu geben, z. B
in gewiſſen Fällen der Theaterunternehmer dem
Schauſpieler. Für die Erfüllung dieſer Verpflich⸗
tung kann der Krieg leicht eine Unmöglichkeit be⸗
gründen. Mit der Beſchäftigungsmöglichkeit fallen
dann auch die Notwendigkeit und die Möglichkeit der
Fürſorge nach $ 618, nicht aber die Möglichkeit
der Zahlung. Aus dem Geſichtspunkte der Un⸗
möglichkeit der Leiſtung kann alſo die Zahlung der
Vergütung nicht verweigert werden.
Die Unmöglichkeit der Dienſtleiſtung des Dienſt⸗
verpflichteten infolge der Einberufung iſt bewirkt
durch einen Umſtand, den keiner der Vertragsteile
zu vertreten hat. Der Dienſtberechtigte würde
dabei allgemeinem Grundſatze nach ($ 323) den
Anſpruch auf die Gegenleiſtung verlieren. Er geht
dieſes Anſpruchs aber gemäß 8 616 BGB. nicht
dadurch verluſtig, daß er „für eine verhältnismäßig
nicht erhebliche Zeit“ durch einen in ſeiner Per⸗
ſon liegenden Grund, nämlich durch die Kriegs—
dienſtleiſtung, ohne ſein Verſchulden an der Lei—
ſtung der vertragsmaͤßigen Dienſte verhindert iſt.
Ob die Vorausſetzung der verhältnismäßig nicht
erheblichen Zeit vorhanden iſt, wird mit beſonderem
Wohlwollen geprüft werden müſſen. Die bis—
herigen glänzenden Erfolge unſerer Waffen laſſen
die Erwartung einer ſchnellen ſiegreichen Beendigung
dieſes Krieges als nicht vermeſſen erſcheinen. Jeden—
falls muß hier eine Auslegung des Dienſtvertrages
nach $ 157 BGB. dem einen wie dem anderen
Teile gerecht zu werden ſuchen.
Der Dienſtverpflichtete iſt alſo von der — un—
möglichen — Leiſtung frei. Es fragt ſich aber,
ob die Einberufung zum Kriegsdienſt ihm das
Recht gibt, das Dienſtverhältnis aufzulöſen, der—
0
22 Babe rn —. —n —U!D ̃— ⁵˙ Bm eher ʃ— ..... !...... —— —
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
geſtalt, daß er auch nach Beendigung des Krieges
den Dienſt nicht wieder aufzunehmen braucht. Das
Dienſtverhältnis kann von jedem Teile ohne Ein⸗
haltung einer Kündigungsfriſt gekündigt werden,
wenn ein wichtiger Grund vorliegt (88 626 BGB.,
1336 GewO., 70 HGB.). Ohne weiteres wird
ſich nicht ſagen laſſen, daß für den Dienſtver⸗
pflichteten ſeine Einberufung einen ſolchen wichtigen
Grund darſtellt. Doch kommt es auf bie be
ſonderen Verhältniſſe des einzelnen Falles an.
Von größerer Bedeutung iſt die Frage, ob für
den Dienſt berechtigten ſeine eigene Einberufung
oder die des Dienſtverpflichteten ein wichtiger Grund
zu friſtloſer Kündigung iſt. Auch hier iſt die
jeweilige Sachlage entſcheidend. Einer rückſichts⸗
loſen Ausnutzung der durch den Krieg geſchaffenen
Verhältniſſe wird auch hier durch Vertragsauslegung.
beſondere Betonung des 8 616 BGB., gegebenen:
falls deſſen, was die Rückſichtnahme auf die guten
Sitten erfordert, begegnet werden können. Wird
der Dienſtberechtigte ſelbſt als kriegsdienſtpflichtig
eingezogen, ſo ergibt ſich daraus ein wichtiger
Grund im Sinne des 8 626 BGB. regelmäßig
dann, wenn die Dienſte ſeiner Perſon unmittelbar
zu leiſten waren (Barbier, Privatſekretär). Waren
ſie zu leiſten für ſeinen Handels- oder Gewerbe⸗
betrieb, ſo kommt es auf deſſen Umfang und Ein⸗
richtung an. Steht ſo zu ſagen der ganze Be⸗
trieb auf den Augen des Dienſtberechtigten, iſt
eine Vertretung überhaupt nicht oder nur mit
unterhältnismäßigen Opfern zu beſchaffen und
ohne folche Vertretung die Fortſetzung des Betriebes
untunlich oder völlig unwirtſchaftlich, dann wird
der wichtige Grund kaum verneint werden können.
Außer der Einberufung zum Kriegsdienſte gibt es
natürlich auch andere durch den Krieg hervor⸗
gerufene Umſtände, die als wichtige Gründe in
Betracht kommen.
Was von dem Dienſtvertrage gilt, das findet
entſprechende Anwendung überall da, wo ſonſt die
Geſetzgebung einen Widerruf, Rücktritt oder die
Auflöſung eines Rechtsverhältniſſes bei Vorhanden⸗
fein eines wichtigen Grundes zuläßt (z. B. 33 92,
117 H68.; 27, 712, 723 BGB.).
Das Geſetz gegen den Verrat militäriſcher
Geheimniſſe.
Von Staatsanwalt Hahn in München.
(Schluß).
Die Eigenart der Spionageverbrechen bringt
es mit ſich, daß dieſe in der Regel von langer
Hand vorbereitet werden, ehe der Täter beſtimmte
Ausführungshandlungen vornimmt. Andererſeits
iſt es um der Sicherheit des Reiches willen ge⸗
boten, auf Spionage gerichtete Beſtrebungen tun:
lichſt im Keime zu erſticken.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
— —— ÆG8] 2 •— ü.n]U ää—k—— —
Der Vorſchlag des Entwurfs, wie in § 86
StB. beim hochverräteriſchen Unternehmen,
Spionageverbrechen vorbereitende Handlungen jeder
Art mit Strafe zu bedrohen, iſt nicht Geſetz ge⸗
worden. Der in der Kommiſſion unternommene
Verſuch einer kaſuiſtiſchen Regelung der Beſtrafung
vorbereitender Handlungen mißlang.
Wohl aber enthält das Geſetz mehrere Be⸗
ſtimmungen, die dem Zweck dienen ſollen, auf
Spionage abzielende Unternehmen ſchon in ihren
erſten Anfängen zu hindern.
Mit Strafe bedroht iſt die Verabredung
des Verbrechens des Verrates und der
Ausſpähung in Verratsabſicht (§ 5). Dabei
erſtreckt ſich die Strafdrohung, entſprechend der
Ausdehnung des Tatbeſtands des Verrats auf
geheim zu haltende Nachrichten, auch auf die Ver⸗
abredung des Verrats von ſolchen, und gilt nicht
nur wie bisher für Verabredung des Verrats ge⸗
heim zu haltender Gegenſtaͤnde.
Straflos bleibt der an der Verabredung Be⸗
teiligte, der freiwillig bei der Behörde Anzeige
erſtattet zu einer Zeit, in welcher die Verhütung
des verabredeten Verbrechens noch möglich iſt. Das
Geſetz bezeichnet „die Behörde“ nicht näher; es iſt
darunter eine ſolche zu verſtehen, die — wie Po:
lizei oder Staatsanwaltſchaft — zur Verfolgung
der ſtrafbaren Handlung berufen iſt. Nur der in
der Form der Anzeige erfolgte freiwillige Rücktritt
gewährt Straffreiheit. Dieſe aber iſt auch für den
Fall der durch ihn erſtatteten Anzeige ausgeſchloſſen
für den, der den anderen zu der Verabredung vor⸗
ſätzlich beſtimmt hat.
Der Verſuch einer Verabredung iſt nicht
ſtrafbar.
Wer vorſätzlich Beziehungen anknüpft
oder unterhält, welche die Mitteilung wegen
der Landes verteidigung geheim zu haltender Gegen⸗
ſtände und Nachrichten zum Gegenſtande haben,
wird beſtraft (8 6).
Durch dieſe, gegenüber dem Geſetz von 1893
neue Beſtimmung ſoll dem Unternehmen des Verrats
entgegengewirkt und insbeſondere in den häufigen
Fallen die Möglichkeit, mit Strafe vorzugehen,
erſchloſſen werden, in denen ein der Spionage Ver⸗
dächtiger behauptet, daß ſein Erbieten zu Verrat
und Ausſpähung nicht ernſtlich gemeint, und daß
es ihm nur darum zu tun war, unter der Vor⸗
ſpiegelung ſolchen Erbietens ſich einen Gelderwerb
zu verſchaffen.
Es handelt ſich, wie im Geſetz ausdrücklich
betont iſt, um ein vorſätzliches Delikt. Der Täter
muß Kenntnis davon haben, daß wegen der Landes⸗
verteidigung geheim zu haltende Gegenſtaͤnde und
Nachrichten in Frage ſtehen und daß die Perſon,
mit der er Beziehungen anknüpft oder unter⸗
halt, ein Mittelsmann einer ausländiſchen Re⸗
gierung iſt.
Gegenſtand, nicht Zweck der angeknüpften Be⸗
ziehungen muß die Mitteilung der bezeichneten
Art ſein.
Welche Zwecke der Täter damit verfolgt, ob den
Zweck des Gelderwerbs oder den des Verrats, iſt
für die Strafbarkeit der Beziehungen zunädhft
belanglos. Verfolgt er den Zweck des Verrats, ſo
wird das Anknüpfen oder Unterhalten der Be⸗
ziehungen haufig einen Verſuch zum Verbrechen des
Verrats bilden und als ſolcher zu beſtrafen ſein.
Zum Tatbeſtand iſt nicht erforderlich ein Zu:
ſammenhang der Beziehungen mit einem beſtimmten
Spionageverbrechen. Anknüpfen und Unterhalten
der Beziehungen fallen daher auch nicht unter den
Begriff der vorbereitenden Handlungen.
Die gleiche Strafdrohung ſieht das Geſetz vor
für den Mittelsmann der ausländiſchen Regierung
ſelbſt, der mit einem anderen Beziehungen der
bezeichneten Art anknüpft oder unterhält.
Den Zweck, den Spionageunternehmen ſchon
in ihren erſten Anfängen entgegen zu wirken, verfolgt
auch die in das Geſetz neu aufgenommene Straf⸗
beſtimmung gegen Perſonen, welche an militäriſch
wichtigen Orten zuftändigen Behörden, Beamten
oder Militärperſonen gegenüber unrichtige Angaben
über ihre Perſonalien machen oder die Angabe
verweigern (8 7).
Die Handlung muß vorſaͤtzlich verübt fein;
darnach wird insbeſondere auch die Kenntnis des
Täters verlangt, daß es ſich um den Aufenthalt
an einem der vom Geſetz beſonders geſchützten
Orte handelt.
Nur objektive Vorausſetzung iſt die Zuſtändigkeit
der fragenden Behörde uſw.
Weitere Vorausſetzung iſt, daß nach den
Umſtänden anzunehmen iſt, der Aufenthalt an dem
Orte oder die unrichtige Angabe oder die Ver⸗
weigerung der Angabe hänge mit Zwecken des
Verrats und der Ausſpähung in Verratsabſicht
zuſammen.
Mit dieſer Strafdrohung ſollen betroffen werden
namentlich Agenten des Auslands, die ſich an
militäriſch wichtigen Orten aufhalten und ſich
bemühen, die Behörden über ihre Perſönlichkeit
irre zu führen.
Als durch die Strafdrohung beſonders geſchützte
Orte kommen in Frage Feſtungen, d. h. die Be⸗
feſtigungsanlagen ſowohl als der ganze befeſtigte
Platz, das Waſſergebiet der Reichskriegshäfen, alle
Gewäſſer, welche der Hoheit des Reichs oder eines
Bundesſtaates unterſtehen, einſchließlich der Küſten⸗
gewäſſer — deutſche Hoheitsgewäſſer —, ferner
die Schiffe der Kaiſerlichen Marine und alle An⸗
lagen, die im Eigentum einer deutſchen Militärver⸗
waltung ſtehen, endlich die amtlich bekannt gemachten
Sicherungsbereiche einer Feſtung, eines Reichskriegs⸗
hafens und einer militäriſchen Anlage ſowie gewerb⸗
liche Anlagen, in denen Gegenſtände für die Bedürf⸗
niſſe der inländiſchen Kriegsmacht hergeſtellt, aus⸗
gebeſſert oder verwahrt werden.
352
Sofern ein Zuſammenhang der ſalſchen An⸗
gabe mit einem Spionageverbrechen nicht an⸗
zunehmen iſt, iſt ſie gemäß $ 360 Nr. 8 StGB.
als Uebertretung ſtrafbar. Straflos bleibt in
ſolchem Falle die Verweigerung von Angaben.
Aus dem Geſetz von 1893 iſt die Ueber⸗
tretungsvorſchrift des Verbots unbefugten Betretens
beſtimmter Orte unter Erweiterung auf militäriſche
Anlagen jeder Art übernommen. Als Uebertretung
iſt mit Strafe ferner bedroht die Nichtbefolgung
der Vorſchriften über Aufenthaltsmeldungen in
militäriſch wichtigen Plätzen. Das Verbot von Auf⸗
nahmen militäriſch wichtiger Gegenſtände und von
Veröffentlichungen ſolcher Aufnahmen wurde unter
Aufhebung des 8 360 Nr. 1 RStGB. in das
Geſetz aufgenommen und dabei der Schutz, der
bisher nur Feſtungen und einzelnen Feſtungswerken
zukam, auch auf beſtimmte andere militäriſche
Anlagen ausgedehnt. Aufnahmen und Veröffent⸗
lichungen können eingezogen werden ohne Unter⸗
ſchied, ob ſie dem Verurteilten gehören oder nicht.
Das Geſetz enthält die Feſtſetzung der An⸗
zeigepflicht in Beziehung auf die Verbrechen
des Verrats und der Ausſpähung in Verratsab⸗
ficht (§S 9). Die im geltenden Recht umſtrittene
Frage, ob nur die vorſätzliche oder auch die fahr⸗
läſſige Verletzung der Anzeigepflicht (3 9 des Geſ.
von 1893, 8 139 RStGB.) ſtrafbar ſei, iſt dahin
entſchieden, daß nur erſtere mit Strafe bedroht
iſt. Eine Beſtimmung, bei welcher Behörde die
Anzeige zu erfolgen hat, trifft das Geſetz nicht;
ſie hat zu geſchehen bei einer zur Verhütung und
8 ſtrafbarer Handlungen berufenen Be⸗
örde.
Neu iſt im Geſetz der Ausſchluß der Anzeige⸗
pflicht in zwei Fällen, in denen ihre Erfüllung
einen beſonderen Pflichten⸗ und Gewiſſenskonflikt
bedingen würde; fie beſteht nicht, wenn die Un:
zeige erſtattet werden müßte gegen einen An—
gehörigen oder von einem Geiſtlichen in Anſehung
deſſen, was ihm bei Ausübung der Seelſorge, nicht
etwa nur unter dem Beichtgeheimnis, anvertraut
wurde. Der Begriff „Angehörige“, der im Geſetz
nicht ausdrücklich umſchrieben iſt, bemißt ſich nach
$ 52 Abſ. 2 R StGB.
Die Reichsſicherheit wird häufig durch Ver—
öffentlichungen gefährdet und geſchädigt, die
ſich auf militäriſche Maßnahmen oder auf
Unterſuchungen wegen Spionagehand—
lungen beziehen. Das Geſetz enthält zwei Be—
ſtimmungen, welche durch Strafdrohung dieſen
Veröffentlichungen entgegenwirken wollen (SS 10
und 11).
Die eine iſt dem Reichsgeſetz über die Preſſe
vom 7. Mai 1874 (SS 15, 18 Nr. 1) entnommen.
Deſſen Verbot von Veröffentlichungen über mili—
täriſche Maßnahmen während eines Krieges oder
bei drohender Kriegsgefahr ſind nunmehr in das
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
— — wↄe. . iu... m — — — — —
Spionagegeſetz eingearbeitet, wobei der Tatbeſtand
in der Art erweitert wurde, daß nicht nur Nach⸗
richten über Truppenbewegungen und über Ver⸗
teidigungsmittel, ſondern auch ſolche über Schiffs⸗
bewegungen verboten ſind. In Abweichung von
den bisherigen Beſtimmungen des Preßgeſetzes iſt
die Uebertretung des Veröffentlichungsverbots nicht
nur dunn ſtrafbar, wenn dieſes vom Reichskanzler
durch öffentliche Bekanntmachung zur allgemeinen
Kenntnis gebracht, ſondern wenn es nur auf irgend⸗
eine Weiſe den Beteiligten bekannt gegeben war.
Dadurch, daß das Geſetz nur die vorſätzliche
Veröffentlichung mit Strafe bedroht, iſt ausgedrückt,
daß der Täter das Bewußtſein gehabt haben
muß, einem Verbot des Reichskanzlers zuwider
zu handeln.
Die zweite Vorſchrift des Geſetzes, die ſich gegen
unzeitgemäße Veröffentlichungen wendet, ſchafft
neues Recht: weil häufig Unterſuchungen wegen
Spionagehandlungen durch vorzeitige Veröffent⸗
lichungen erſchwert und beeinträchtigt werden, iſt
es verboten, über ſchwebende amtliche Ermittelungen
wegen eines Verbrechens oder Vergehens gegen
das Geſetz ohne Erlaubnis der die Ermittelungen
leitenden Behörde Mitteilungen in die Oeffentlichkeit
zu bringen. Das Verbot richtet ſich jeweils gegen
die erſte Veröffentlichung einer Mitteilung, nicht
gegen deren ſpätere Wiederholung (Nachdruck).
Strafbar iſt, wer vorſätzlich handelt, mit dem
Bewußtſein, ohne behördliche Erlaubnis Nach⸗
richten über ſchwebende amtliche Ermittelungen der
bezeichneten Art zu veröffentlichen.
Nach der Eröffnung des gerichtlichen Haupt⸗
verfahrens, im militärgerichtlichen Verfahren nach
der Verfügung der Anklage, ſind Veröffentlichungen
nicht mehr verboten. |
Weſentliche Aenderungen bringt das Geſetz hin:
ſichtlich der Strafdrohungen. Zunächſt wurde die
Ungleichheit des bisherigen Geſetzes beſeitigt, wonach
wohl beim Verrat, nicht aber bei der Ausſpähung
die Annahme mildernder Umſtände zuläſſig war;
ſie iſt nunmehr auch für das Verbrechen der
letzteren Art vorgeſehen. Auch im Falle der Ver⸗
abredung von Verrat und Ausſpähung iſt nun die
Annahme mildernder Umſtände zuläſſig. Feſtungs⸗
haft als Strafe iſt nur mehr vorgeſehen bei vor⸗
ſaͤtzlicher Preisgabe geheimer Gegenſtände ohne
den Vorſatz, die Sicherheit des Reichs zu gejührden
(S 2), bei Ausſpähung ohne Verratsabſicht (§ +),
bei fahrläſſiger Preisgabe von geheimen Gegen:
ſtänden (S 8) und bei verbotswidrigen Veröffent⸗
lichungen (SS 10 und 11); fie iſt ausgeſchloſſen
beim Verbrechen des Verrats.
Erhöht wurde die Mindeſtſtrafe bei Verrat,
begangen unter mildernden Umſtänden, und beim
Vergehen der Verabredung von Verrat und Aus—
ſpähung, ſowie das Maß der Geldſtrafe bei fahr:
läſſiger Preisgabe.
Beim Verbrechen des erſchwerten Verrats mit
— —
der Folge eines ſchweren Schadens kann auf lebens⸗
langes Zuchthaus erkannt werden.
Neben den Freiheitsſtrafen iſt für Verrat und
Ausſpähung in Verratsabſicht fakultativ Geld⸗
ſtrafe bis zu fünfzigtauſend Mark, bei mildernden
Umſtänden bis zu fünfundzwanzigtauſend Mark,
für die im Geſetz aufgeführten Vergehen, abgeſehen
von dem der falſchen Angaben, der Verletzung der
Anzeigepflicht und der verbotenen Veröffentlichungen
ſolche bis zu fünftaufend Mark angedroht ($ 13).
Ausländer, die wegen eines Verbrechens oder
eines vorſätzlichen Vergehens gegen das Geſetz zu
einer Freiheitsſtrafe verurteilt ſind, können nach
deren Verbüßung von der Landespolizeibehörde
aus dem Reichsgebiet ausgewieſen werden, auch
wenn auf Zuläſſigkeit von Polizeiaufſicht nicht
erkannt iſt ($ 14; 839 Z. 2 StGB.).
Dem 8 335 RStGB. nachgebildet iſt die Be⸗
ſtimmung, wonach für den Fall, daß der Täter
für die Begehung eines Verbrechens oder Ver⸗
gehens Entgelt erhielt, das Empfangene oder deſſen
Wert in dem Urteil für dem Staate verfallen
zu erklären iſt.
Soweit Spionagehandlungen gegen das Deutſche
Reich im Ausland verübt werden, richten ſich die
Strafdrohungen des Geſetzes — entgegen den
Vorſchlägen des Entwurfs — nicht gegen Aus⸗
länder, ſondern nur gegen Deutſche: die Vorſchrift
des 8 4 Abſ. 2 Nr. 2 RStGB. iſt für anwendbar
erklärt in Beziehung auf die Verbrechen des Verrats
und der Ausſpähung in Verratsabſicht und auf
die Vergehen der Verabredung dieſer Straftaten,
des Anknüpfens und Unterhaltens von Beziehungen
mit dem Ausland und der fahrläjligen Preisgabe
geheimer Gegenſtände (8 16).
In ſtrafprozeſſualer Hinſicht bringt das
Geſetz zur Entlaſtung des Reichsgerichts die Be⸗
ſtimmung, daß unter Aufrechthaltung der Zu—⸗
ſtändigkeit des Reichgerichts für erſt⸗ und letzt⸗
inſtanzielle Unterſuchung und Entſcheidung bei den
Verbrechen des Verrats und der Ausſpähung das
Hauptverfahren ausſchließlich vor dem zweiten
Senat — nicht wie bisher vor dem vereinigten
zweiten und dritten Senat — ſtattfindet. Die
gerichtlichen Entſcheidungen bis zum Beſchluß über
Eröffnung des Hauptiverfahrens einſchließlich ver:
bleiben bei dem erſten Senat ($ 18; 88 136 Nr. 1,
138 GWG.).
Aufgehoben find durch das Geſetz § 360 Nr. 1
RStGB., $ 15 des Reichs⸗Preßgeſetzes und das
Geſetz von 1893 mit Ausnahme des § 11 (88 89
und 90 RStGB.). Gemäß $ 12 Nr. 3 fallen
in 8 360 Abſ. 2 StGB. die Zahl „1“ und die
Worte „der Riſſe von Feſtungen und Feſtungs⸗
werken“ weg, desgl. gemäß § 10 in $ 18 Nr. 2.des
Preßgeſetzes die Zahl „15“.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
353
Vohnſitz, Vohnung und Geſchäftslokal der
Nilitärperſonen während des Krieges.
Von Landgerichtsrat Joſeph Schiedermair in München.
1. Den Ausgangspunkt für die Beantwortung
der Frage nach dem Wohnſitz bildet der
99 BGB. Er beſtimmt: „Abſ. 1: Eine Militär:
perſon hat ihren Wohnſitz am Garniſonort. Als
Wohnſitz einer Militärperſon, deren Truppenteil
im Inlande keinen Garniſonort hat, gilt der
letzte inländiſche Wohnſitz des Truppenteils. Abſ. 2:
Dieſe Vorſchriften finden keine Anwendung auf
Militärperſonen, die nur zur Erfüllung der Wehr⸗
pflicht dienen oder die nicht ſelbſtändig einen Wohn⸗
ſitz begründen können.“
Dieſer geſetzliche Wohnſitz des Garniſonortes
gilt demnach a) nur für Militärperſonen.
Militärperſonen ſind nur die Perſonen des Soldaten⸗
ſtands und die Militärbeamten, die zum Heer oder
zur Marine gehören, deshalb insbeſondere auch
die Kriegsgerichtsräte und die Militärärzte, nicht
aber die Zivilbeamten der Militärverwaltung. Eine
Aufzählung der Militärperſonen enthält die Anl. 1
zum MStGB. Die Abgrenzung des Begriffs der
„Kriegsteilnehmer“ in 8 2 des Gel. vom 4. Auguſt
1914 (RG Bl. 323), betr. den Schutz der infolge
des Kriegs an Wahrnehmung ihrer Rechte be⸗
hinderten Perſonen, iſt für die Abgrenzung des
Begriffs der Militärperſonen bedeutungslos.
b) Der Wohnſitz des Garniſonortes gilt aber
nicht für ſolche Militärperſonen, die nur zur
Erfüllung der Wehrpflicht dienen. Daß
die Offiziere, Unteroſfizierskapitulanten, Militär:
ärzte und Militärbeamten, die dem ſtehenden Heer
ſchon in Friedenszeiten angehören, auch, wenn es
zum Kriege kommt, nicht bloß zur Erfüllung der
Wehrpflicht dienen, wird ſich nicht bezweifeln laſſen.
Wie iſt es aber mit den Perſonen, die erſt infolge
der Mobilmachung in den Dienſt treten, ſei es
auf Grund einer Berufung, ſei es freiwillig? Die
Anſichten ſind geteilt. Es wird angenommen,
daß der Wohnſitz des Garniſonoris ſchlechthin ges
geben ſei für alle zum Heer oder zur Marine ein⸗
berufenen oder freiwillig eintretenden Mannſchaften,
Offiziere, Aerzte und Militärbeamten, ſo u. a.
RGKomm. zum BGB. 89 Anm. 1; eine andere
Anſicht will ihn dagegen für die in Kriegszeiten
freiwillig eintretenden Offiziere, Aerzte, Militär⸗
beamten und Mannſchaften, die weder zum Friedens⸗
noch zum Beurlaubtenſtand gehören, nicht gelten
laſſen, weil es ſich bei dieſen nur um eine vorüber⸗
gehende Dienſtleiſtung handle; ſo Planck BGB.
89 Anm. 4. Eine dritte Anſicht endlich erachtet
den Wohnſitz des Garniſonorts für die zum Kriegs—
dienſt Eingezogenen überhaupt nicht als anwendbar.
Die Frage wird ſich nicht in der Weiſe
löſen laſſen, daß man den Begriff „Er:
füllung der Wehrpflicht“ aus den Militärgeſetzen
und den hierzu ergangenen Vollzugsvorſchriften
354
ableitet und das Ergebnis auch für 8 9 BGB.
anwendet. Ein jeder Verſuch, mit dieſem Be⸗
griff, für deſſen Abgrenzung in erſter Linie 88 4
und 5 der Wehrordnung maßgebend wären, an
die Auslegung des 8 9 BGB. zu gehen, zeigt
deſſen Unverwertbarkeit; er hat in den Militär⸗
geſetzen eine für militäriſche Zwecke erforderliche,
dem Gedanken des 8 9 BGB. aber nicht ent:
ſprechende Einzelausgeſtaltung erfahren. Was man
im Sinne des 89 BGB. unter der Erfüllung
der Wehrpflicht zu verſtehen hat, iſt aus dem
Zwecke des 89 BGB. ſelbſt abzuleiten. Der
Grundgedanke der in 8 9 Abſ. 1 und 2 aufge⸗
ſtellten Unterſcheidung wird aber weniger, wie für
die Regel angenommen wird, darin zu erblicken
ſein, daß der Wohnſitz nicht durch eine „vorüber⸗
gehende Dienſtleiſtung“ beeinflußt ſein ſoll, ſondern
in dem Gegenſatz zwiſchen dem berufsmäßigen und
dem nicht berufsmäßigen Militärdienſt. Wer in
Friedenszeiten einer drei- oder zweijährigen Dienſt⸗
pflicht genügt, hält ſich doch nicht bloß „vorüber⸗
gehend“ im Garniſonsorte auf, ſondern eine ſehr
erhebliche Zeit, und doch beſteht Einigkeit, daß
hierdurch der Wohnſitz des Garniſonorts nicht be⸗
gründet wird. Stellt man die Entſcheidung auf
die Frage ab, ob ein vorübergehendes Verhältnis
vorliegt, ſo wird man eine Grundlage für die
Beurteilung des Einfluſſes eines Krieges über⸗
haupt nicht finden können; denn wer kann ſagen,
wie lang er dauert. Das charakteriſche Merkmal
des Mohnfibegriffes war ſchon nach gemeinem
Recht und iſt auch nach §7 BGB. das der Nieder⸗
laſſung. Dieſer Grundgedanke wird auch für die
Anwendung des 89 BGB. entſcheiden, jo daß
ein Verhältnis, das als Grundlage einer Nieder:
laſſung gilt, ſeinen Tatbeſtand erfüllt, und ein
ſolches Verhältnis iſt zweifellos die Ergreifung des
Militärdienſtes als „Beruf“. Geht man von dieſem
Standpunkt aus, ſo wird man anzunehmen haben,
daß die Tatſache der Mobilmachung als ſolche
für die Frage, ob der Wohnſitz des Garniſonortes
beſteht, bedeutungslos iſt, und zwar für die frei⸗
willig Eintretenden, wie für die zum Dienſt Be⸗
rufenen. Wer vorher Berufs militärperſon war, bleibt
es auch im Kriege, andere Perſonen werden durch
die Mobilmachung allein nicht Berufsſoldaten und
haben den Wohnſitz des Garniſonortes nicht.
c) Der Wohnſitz des Garniſonortes gilt nur
für ſolche berufsmäßige Militärperſonen, die
einen Wohnſitz ſelbſtändig begründen
können, alſo nicht für Geſchäftsunfähige oder
in der Geſchäftsfähigkeit Beſchränkte. Der minder⸗
jährige Leutnant hat den Wohnſitz des Garniſon—
ortes nicht, auch wenn ſein geſetzlicher Vertreter
dem Eintritt in den Militärdienſt zuſtimmt.
d) Der Wohnſitz beſteht am Garniſonort;
gemeint iſt nur ein inländiſcher Garniſonort. Hat
der Truppenteil einen ſolchen nicht, ſo entſcheidet
der letzte inländiihe Garniſonort. Für andere
Falle, alſo die, daß der Truppenteil einen in:
Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
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ländiſchen Garniſonort überhaupt nicht hat oder
hatte, gibt es keinen Wohnſitz des Garniſonortes.
Hier kommen die allgemeinen Grundjäße zur An⸗
wendung. Maßgebend iſt alſo für den Wohnfit
für die Regel die ſtändige Niederlaſſung (8 7
BGB.). Garniſonort iſt die Ortsgemeinde, in
der der Truppenteil garniſoniert (Dernburg Bürg.
Recht Bd. J S. 58). Jeder noch ſo kleine Truppen⸗
teil, der nach der militäriſchen Organiſation einen
ſelbſtändigen Garniſonort hat, iſt geeignet dem
89 BGB. zu genügen. Die Truppen der Schutz⸗
gebiete haben keinen inlaͤndiſchen Garniſonort.
e) Beſondere Beendigungsgründe des
Wohnſitzes des Garniſonorts kennt das Geſetz nicht;
er beſteht alſo, ſolange die ihn begründenden Ver⸗
hältniſſe dauern; beendigt wird er insbeſondere
durch Löſung des Verhältniſſes als Militärperſon,
und durch Eintritt der Unſelbſtändigkeit z. B. das
Auftreten einer Geiſteskrankheit. Kriegsgefangen⸗
ſchaft wird das Verhältnis nicht löſen.
f) Für ein beſchränktes Gebiet kann den an
den Garniſonort anknüpfenden Verhältniſſen
eine erweiterte Tragweite verliehen
werden. Nach 8 8 des Gel. vom 28. Mai 1901,
betr. die freiwillige Gerichtsbarkeit und andere Rechts⸗
angelegenheiten in Heer und Marine, kann nämlich
für Militärperſonen, deren Truppenteil ſich im Aus⸗
land aufhält und im Inland einen Garniſonort
weder hat noch gehabt hat, durch Kaiſ. VO. ein
im Inland gelegener Ort als Garniſonort be⸗
ſtimmt werden, doch nur für Angelegenheiten der
ſtreitigen Gerichtsbarkeit. Dieſe Beſtimmung wirkt
alſo nicht für das materielle Recht; ſie kann aber
für Militärperſonen ſchlechthin erfolgen.
g) Für alle Fälle, in denen nach dem Aus⸗
geführten der Wohnſitz des Garniſon⸗
ortes nicht beſteht, bemißt ſich auch bei Militär⸗
perſonen der Wohnſitz nach den allgemeinen Grund⸗
ſätzen, alſo in erſter Linie nach der ſtändigen Nieder⸗
laſſung, bei ehelichen Kindern nach dem Wohnfit
des Vaters, bei unehelichen nach dem der Mutter
(837 und 11 BGB.). Die Teilnahme am Krieg
wird nur bei beſonderen Fällen eine Aufgabe der
ſtändigen Niederlaſſung in ſich ſchließen.
h) Streitig iſt die Frage, ob neden dem
Wohnſitz des Garniſonorts ein Wohn:
ſitz nach den allgemeinen Grundſätzen
beſteht. Eingehend beſchäſtigt ſich mit der Frage
Staudinger BGB. 89 Anm. IV 2, er führt auch
die ſeiner Anſicht entgegenſtehenden Anſichten an.
Staudinger ſelbſt bejaht die Frage. Entſcheidende
Gründe laſſen ſich m. E. weder für die eine, noch
für die andere Anſicht anführen. Es gibt eben
Rechtsfragen, die ſich überhaupt nicht entſcheiden
laſſen; für den einzelnen Fall iſt Recht, was der
letzten Inſtanz beliebt.
2. Die Frage, ob durch den Krieg die Wohnung
der Militärperſonen beeinflußt wird, hat
vor allem Bedeutung für die Erſatzzuſtellung. Eine
Erſatzzuſtellung kann — abgeſehen von der unter
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
355
Nr. 3 zu behandelnden Zuſtellung im Geſchäfts⸗
lokal — nur in der „Wohnung“ erfolgen. Als
Wohnung gilt die Stätte, wo jemand für ge:
wöhnlich zu ſchlafen pflegt (Seuffert ZPO. 8 180
Anm. 1 Abſ. 2). Die Wohnung kann auch bei
längerer Abweſenheit ihrer Beſtimmung erhalten
bleiben, ſoferne nur die Rückkehr zu erwarten iſt
(Stein ZPO. § 180 Anm. II). An der Hand
— Abgrenzung ergibt ſich, daß die Frage, ob
er in den Krieg Ziehende ſeine Wohnung bei⸗
behält, nur nach Lage des Falls zu entſcheiden iſt.
Der Umſtand allein, daß er bei einer gemieteten
Wohnung das Mietverhältnis nicht gelöft hat,
zwingt nicht zur Annahme, daß er die Wohnung
beibehalten hat; feine Abfiht kann fein, ſeine
bisherige Wohnung bloß zur Verwahrung ſeiner
Habe zu benützen. Wer eine Familie zurüdläßt,
wird für die Regel auch für ſeine Perſon die
Wohnung nicht aufgeben wollen, er muß mit
jederzeitiger Rückkehr infolge einer Dienſtunfähig⸗
keit rechnen, und eine ohne ſein Wiſſen erfolgte
Wohnungsänderung durch die Zurückgebliebenen
wird auch für ihn eine Aenderung der Wohnung
und eine Neubegründung einer ſolchen in der neuen
Wohnung der Familie bedeuten.
3. Der Umſtand, daß jemand in den Krieg
zieht, iſt auch nicht an ſich von Bedeutung für
die Frage, ob er noch ein Geſchäftslokal be:
fit, in dem nach 8 183 ZPO. ebenfalls Erſatz⸗
zuſtellungen erfolgen können, oder nicht. Wer ſein
Geſchäft durch einen dritten weiter betreiben läßt,
muß ſich Erſatzzuſtellungen gefallen laſſen, auch
wenn er ſelbſt nicht zu erreichen iſt. Ein Ge⸗
ſchäftslokal hat deshalb insbeſondere auch der
Rechtsanwalt, der ſeine Kanzlei durch ſein Kanzlei⸗
perſonal offenhält, ohne Schritte für ſeine Ver⸗
tretung zu tun. Es entſcheiden die Umſtände
des Falls.
Kleine Mitteilungen.
Kann dem amtlichen Vorgeſetzten (§ 196 StG.) die
Befugnis zur Veröffentlichung nach 5 200 Abi. 1 StGB.
zugeſprochen werden 7 In neuerer Zeit kommt es öfter
vor, daß der Vertreter der Anklage darauf anträgt,
die Befugnis zur Veröffentlichung ſolle nicht dem be⸗
leidigten Beamten, ſondern dem amtlichen Vorgeſetzten
zugeſprochen werden, falls nur der amtliche Vorgeſetzte
Strafantrag geſtellt hat. Das geſchieht auf Grund
der Rechtſprechung des Reichsgerichts. In E. 14, 327
wird dieſe Anſicht damit begründet, daß das Geſetz
nicht bloß den beleidigten Beamten ſondern auch deſſen
Vorgeſetzten als beteiligt anſieht und zwar als beteiligt
im Intereſſe des Amtes, das er vertritt und deſſen Ehre
und Anſehen er zu wahren hat. Aus dieſem Grund
habe das Geſetz dem Vorgeſetzten das ſelbſtändige An⸗
tragsrecht gegeben Es liege im Sinne des
§ 200 StGB., dem zur Verfolgung der Beleidigung
Berechtigten auch das zur Ausgleichung der Beleidi⸗
gung beſtimmte Recht der Bekanntmachung zuzuſprechen.
— — —̃—¼B ' 4 —AU—ĩü nn nn,
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Gegen die Anſicht des Reichsgerichts läßt ſich ein⸗
wenden: Nach 8 196 StB. hat der Vorgeſetzte das
Recht, Strafantrag zu ſtellen und nach 88 61, 194 StGB.
iſt die Beleidigung eine Handlung, deren Verfolgung
nur auf Antrag eintritt. Verfolgung ſteht hier im
Gegenſatz zur Vollſtreckung, ſie iſt die Geſamtheit der
prozeſſualen Tätigkeiten, die zu einem rechtskräftigen
Urteil führen. Sobald das Urteil rechtskräftig iſt,
hat der Strafantrag keine weitere Wirkung mehr.
Was nach dem Urteil geſchieht, geſchieht nicht des⸗
wegen, weil Strafantrag geſtellt worden war, ſondern
weil ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Im Urteil
kann daher auch dem Antragſteller, der bloß Antrag⸗
ſteller iſt, nicht die Befugnis zu einer Tätigkeit zu⸗
geſprochen werden, die nicht mehr Gegenſtand und
Zweck des Strafantrags iſt. Eine ſolche Tätigkeit iſt
die Veröffentlichung des Urteils.
Auch die Vorſchriften über die Strafvollſtreckung
verbieten, dem Strafantrag eine über die Strafver⸗
folgung hinausgehende Wirkung zuzuſchreiben. Der
Zuſpruch der Befugnis zur Veröffentlichung iſt nach
einem Urteil der vereinigten Strafſenate des Reichs⸗
gerichts E. 6, 180 ſeinem Weſen nach Strafe. Die
Strafvollſtreckung erfolgt aber durch den Staatsanwalt
oder auch den Amtsrichter (8 483 StPO.). Dieſe Be⸗
amten haben daher ein Strafurteil auch infoweit zu
vollſtrecken, als es ſich um die Veröffentlichung des
Urteils handelt. Das geſchieht auch im Falle des 8 200
Abſ. 2 StGB., ſowie in anderen Fällen, z. B. 8 16
Nahrungsmittelgeſetzes, 88 14, 20 des Geſetzes, be⸗
treffend den Verkehr mit Butter uſw. Auch im Fall
des 8 200 Abſ. 1 hätte der Staatsanwalt oder der
Amtsrichter das Urteil auch in Hinſicht der Veröffent⸗
lichung zu vollſtrecken, wenn dieſe Geſetzesſtelle nicht
ausnahmsweife die Befugnis zur Veröffentlichung an⸗
ders regeln und dem Beleidigten zuſprechen würde.
Dieſer übt einen Akt der Strafvollſtreckung aus; der
Strafantrag kann aber nicht zur Abänderung der Vor⸗
ſchriften über die Strafvollſtreckung führen.
Wenn übrigens in dem Zuſpruch zur Veröffent⸗
lichung entgegen der Anſicht des Reichsgerichts eine
Strafe deswegen nicht zu erblicken wäre, weil der Zu⸗
ſpruch bezweckt, die Ehre und das Anſehen des Be⸗
leidigten zu wahren, ſo würde dies für die Vollſtreckung
nichts ändern. Der Zuſpruch wäre dann immerhin
ein Beſtandteil des Strafurteils und für die Voll⸗
ſtreckung gälte das Nämliche, was ſchon geſagt wor⸗
den iſt.
Die Auffaſſung des Reichsgerichts in E. 14, 327
läßt ſich auch mit dem Wortlaute des Geſetzes nicht
vereinigen. Nach 8 200 Abſ. 1 iſt dem „Beleidigten“
die Befugnis zuzuſprechen. Das Geſetz wendet dieſen
Ausdruck an, nachdem es unmittelbar zuvor in 8 196
dem amtlichen Vorgeſetzten das Recht zuerkannt hatte,
Strafantrag zu ſtellen. Nichts hätte näher gelegen,
als daß der 8 200 StGB., wenn beabſichtigt geweſen
wäre, auch dem Vorgeſetzten die Befugnis zuzuſprechen,
den „Antragſteller“ und nicht den „Beleidigten“ ge⸗
nannt hätte. Der Vorgeſetzte kann aber doch niemals
deswegen als Beleidigter angeſehen werden, weil der
Untergebene beleidigt worden iſt. Das Reichsgericht
betrachtet nun allerdings den Vorgeſetzten nicht als
Beleidigten, es findet aber, es liege im Sinne des 5 200,
die Befugnis zur Veröffentlichung auch einem Nicht⸗
beleidigten zuzuſprechen, der als Vorgeſetzter Straf—
antrag geſtellt hat. Dies erſcheint dem klaren Wort⸗
laut gegenüber bedenklich. Es ift aber auch gar kein
Bedürfnis vorhanden die Befugnis dem Vorgeſetzten
zuzuſprechen, wenn er auch dazu berufen iſt, die Ehre
und das Anſehen des Beamten und des Amtes zu
wahren, denn er kann dieſe Aufgabe auf anderem Weg
erfüllen. Wenn dem beleidigten Untergebenen die Be⸗
fugnis zugeſprochen wird und er macht davon keinen
Gebrauch, fo gibt das Dienſtauſſichtsrecht die nötigen
Mittel an die Hand, ihn dazu zu bringen. Dieſes
Dienſtaufſichtsrecht muß ſich ja auch in ſolchen Be⸗
leidigungsfällen betätigen, wo dem Vorgeſetzten das
Antragsrecht nicht zuſteht, es ſich aber gleichwohl um
die Ehre und das Anſehen des Beamten und ſomit
auch um das Anſehen des Amtes handelt. Wenn einem
Beamten auf einem Vergnügungsausflug nachgeſagt
wird, er habe bei dieſem Ausflug geſtohlen, ſo hat
nach 8 196 StGB. nicht der Vorgeſetzte das Recht,
Strafantrag zu ſtellen, obgleich ſicherlich der Vor⸗
geſetzte ein lebhaftes dienſtliches Intereſſe daran hat,
daß gegen den Beleidiger die gerichtliche Verfolgung
durchgeführt und das Urteil veröffentlicht werde. Wenn
der Beamte Strafantrag nicht ſtellt oder wenn er
keinen Gebrauch von der Befugnis macht, das Urteil
zu veröffentlichen, ſo bleibt dem Vorgeſetzten nichts
übrig, als kraft ſeines Dienſtaufſichtsrechts den Be⸗
amten zu veranlaſſen, die nötigen Schritte zur Wah⸗
rung ſeiner Ehre und ſeines Anſehens und damit des
Anſehens des Amtes zu tun. Dies muß die Auf⸗
faſſung beſtärken, daß es nicht im Sinne des 8 200
liegt, die Befugnis zur Veröffentlichung dem Vor⸗
geſetzten zuzuſprechen, wenn er von ſeinem Recht Straf⸗
antrag zu ſtellen Gebrauch gemacht hat.
Das Reichsgericht hat in einem Urteil (E. 43, 173)
auch ausgeſprochen, daß nicht zugleich dem amtlichen
Vorgeſetzten und dem beleidigten Beamten die Befugnis
zur Veröffentlichung zugeſprochen werden dürfe, denn der
Zweck der Veröffentlichung werde nur von dem Vorge⸗
ſetzten verfolgt und deshalb liege keine Veranlaſſung vor,
dem Untergebenen eine Befugnis zuzuſprechen, deren Er⸗
langung er nicht erſtrebt habe. Allein in der Regel ſtellt
der beleidigte Untergebene deswegen keinen Antrag, weil
er weiß, daß es der amtliche Vorgeſetzte tut. und es
trifft daher auch auf ihn nicht zu, daß er die Erlangung
der Befugnis zur Veröffentlichung nicht erſtrebt habe.
Die Aufſfaſſung des Reichsgerichts führt auch zu
Schwierigkeiten, wenn ſowohl der Beamte, als auch
der amtliche Vorgeſetzte Strafantrag geſtellt haben.
Nach den Gründen in E. 14, 327 müßte dem Vor⸗
geſetzten die Befugnis zugeſprochen werden. Die Be:
fugnis darf aber doch auch dem Beamten nicht verſagt
werden, denn er iſt der Beleidigte und er hat durch
Stellung des Strafantrags bekundet, daß er die Er:
langung der Befugnis erſtrebt hat. Wenn nun von
beiden Seiten von der Befugnis Gebrauch gemacht
würde, ſo geſchähe damit etwas Zweckloſes, und zugleich
entſtünden doppelte Koſten, die in ungebührlicher
Weiſe den verurteilten Beleidiger doppelt treffen
müßten, wenn er zahlungsfähig wäre.
Die im Eingang geſtellte Frage dürfte daher zu
verneinen ſein.
Amtsgerichtsdirektor Tiſch in Neuſtadt a. d H.
N Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
Eine grund ſätzliche Entſcheidung zu $ 136 Sts.
(Siegelbruch). Die knappe Faſſung des Tatbeſtands⸗
merkmales: „Anlegung eines amtlichen Siegels von
einer Behörde oder von einem Beamten“ in 8 136
9 7 macht bei der Geſetzesanwendung Schwierig⸗
eiten.
Rechtslehre und Rechtſprechung vertreten drei
Auslegungen:
Nach Binding 1905, II 2 8 241, Meyer 1907, 8 123
Ziff. 7, Liszt 1908 8 176 VI iſt die Verletzung amt⸗
licher Siegel nur dann ſtrafbar, wenn die Siegelung
nicht nur durch die zuſtändige Behörde erfolgt, ſondern
auch im einzelnen Falle rechtmäßig war. Nach Lenz,
ſtrafrechtlicher Schutz des Pfandrechtes 1893 S. 225,
ſoll im Gegenſatze hiezu ſachliche und örtliche Zu⸗
ſtändigkeit der Behörde ſowie Rechtmäßigkeit der Siege⸗
lung völlig gleichgültig ſein.
Nach einer dritten Auslegung endlich iſt es ohne
Belang, ob die geſetzlichen Vorausſetzungen für die
Zuläſſigkeit einer Siegelung vorhanden waren oder
nicht, wenn nur die Siegel von einer Behörde oder
einem Beamten angelegt waren, die zu dieſer Maß⸗
regel überhaupt berechtigt und örtlich zuſtändig find
(RG St. Bd. 36 S. 157). Es iſt nur erforderlich, daß
der Beamte das Siegel in Ausübung der durch ſein
Amt begründeten Befugniſſe, alſo in ſachlicher und
örtlicher Zuſtändigkeit im allgemeinen angelegt hat
(Olshauſen zu 8 136. RGSt. Bd. 34 S. 398). Bei
dieſer dritten Auffaſſung bleibt zweifelhaft, ob ein
Siegelbruch ſchon dann begangen werden kann, wenn
das Siegel von einem überhaupt in irgend einem
Falle zur Siegelung befugten Beamten angelegt iſt,
oder ob es erforderlich iſt, daß der Beamte gerade
zu der in Frage ſtehenden beſonderen Siegelungs⸗
maßnahme an ſich zuſtändig iſt. —
Der gerichtlichen Entſcheidung unterlag folgender
Tatbeſtand:
In einem Rechtsſtreite ſollte vereinbarungsgemäß
ein Motor zur Feſtſtellung der Pferdeſtärke durch
einen unparteiiſchen Dritten in einer Kiſte verſchloſſen
und bis zu dieſer Feſtſtellung jeder Einwirkung durch
die Parteien entzogen werden. Der Bürgermeiſter
des in Bayern gelegenen Dorfes, in welchem der
Motor ſtand, verſchloß zu dieſem Zweck und dem
Erſuchen der Parteien folgend die Kiſte mit dem
Motore durch 12 bis 15 Stück 2 Finger breite, etwa
20 em lange, je zweimal den Abdruck des Gemeinde⸗
ſiegels zeigende, der Quere nach über die Kiſte ge⸗
legte Streifenſiegel.
Die eine Partei öffnete entgegen der Verein⸗
barung die Kiſte, um eine Ausbeſſerung an dem Motor
ö
|
}
vorzunehmen. —
Nach der zweiten und wohl auch nach der dritten
hier dargeſtellten Anſicht wäre im vorliegenden Falle
der Tatbeitand des $ 136 StGB. gegeben, obwohl der
Bürgermeiſter — im übrigen ein in Bayern an ſich
zur Siegelung berechtigter Beamter (Art. 105 AG.
BGB., NachlO.) — zur Anlegung von Siegeln im
Einzelfalle nicht zuſtändig war.
Das ObLG. (Strafſenat) verneinte jedoch der
erſten Anſicht folgend in einem Beſchluſſe vom 18. No⸗
vember 1913 die Anwendbarkeit des Geſetzes, weil
der Bürgermeiſter bei der auf Grund Privatabkommens
der Prozeßparteien erfolgten Anbringung der Siegel
nicht als Amtsperſon und innerhalb ſeiner amtlichen
Zuſtändigkeit gehandelt habe, für derartige Siegelungen
in Bayern vielmehr der Notar allein zuſtändig ſei.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
(BlAdmPr. Bd. 40 S. 414. Kaiſenberg, Not G. Art. 2
Note 2 mit Art. 105 AG. BGB. und Art. 66 AG.
GG.).
Nach dieſer Entſcheidung könnte wohl auch eine
Zuſtändigkeit des Bürgermeiſters nicht auf Art. 138
Gem. gegründet werden etwa in der Annahme, daß
ſich eine Berechtigung des Bürgermeiſters aus ſeiner
Eigenſchaft als Beamter der Ortspolizeibehörde er⸗
gibt. Der ortspolizeilichen Tätigkeit kann nur anheim⸗
fallen, was zu polizeilichem Einſchreiten i. S. des
Art. 138 GemO. Anlaß gibt. Dies trifft aber hier
nicht zu. Die Siegelanlegung durch den Bürgermeiſter
war keine polizeiliche Maßnahme, der Bürgermeiſter
hat vielmehr die Siegel auf Antrag der Parteien,
gewiſſermaßen als Treuhänder angelegt, ohne zu ſolchen
Siegelungen amtlich zuſtändig zu ſein.
II. Staatsanwalt v. Valta in Paſſau.
Aus der Lechtſprechung.
Reichsgericht.
Zivilſachen.
1
Nichtigkeit einer e zwiſchen Ehegatten,
wonach die Frau anf 10 Unterhaltsanſpruch verzichtet,
wogegen der Mann ſich verpflichtet, ihr einen Grund
zur Scheidung zu geben. Kann die Fran trotz des Ber:
ichts von dem Maune Unterhalt beauſpruchen, nachdem
ieſer vereinbarungsgemäß durch fein Verhalten die Schei⸗
dung ermöglicht hat und für den ſchuldigen Teil erklärt
worden ift? Die exceptio doli generalis. Die Ehe der
Parteien iſt wegen Ehebruchs des Beklagten geſchieden
und der Beklagte für den allein ſchuldigen Teil erklärt
worden. Geſtützt auf dieſes Urteil und 81578 BGB. ver⸗
langt die Klägerin nunmehr von dem Beklagten Gewäh⸗
rung des ſtandesmäßigen Unterhalts. Der Beklagte beruft
ſich auf einen Verzicht der Klägerin. Unter ſeiner Genehmi⸗
gung hat nämlich die Klägerin vor Einleitung des Schei⸗
dungsverfahrens in einer notarielleu Verhandlung vom
11. Februar 1908 erklärt, ſie verzichte auf die Geltend⸗
machung der ihr geſetzlich gegen ihren Mann zuſtehen⸗
den Unterhaltsanſprüche ſowohl für die Dauer des
Scheidungsſtreits als für die Zeit nach der Entſcheidung.
Der Berufung des Beklagten auf dieſen Verzicht be⸗
gegnet die Klägerin durch den Hinweis darauf, daß
ihre Erklärung nichtig ſei; ſie habe ſie gegen das Ver⸗
ſprechen des Beklagten abgegeben, ihrer Scheidungsklage
keine Schwierigkeiten entgegenzuſetzen, die Scheidung
ſogar durch Begehung eines e mit herbei⸗
zuführen. Das LG. gab der Unterhaltsklage ſtatt;
das OLG. und das RG. billigten das.
J Aus den Gründen: Ohne Zweiſel iſt die dem
Scheidungsſtreite vorausgegangene Abmachung der
Parteien zur Erleichterung der Eheſcheidung getroffen
worden. Daß aber Verträge, die Eheleute zur Er—
leichterung der Scheidung ſchließen, als gegen die guten
Sitten verſtoßend nach § 138 Abſ. 1 BGB. nichtig ſind,
iſt anerkannten Rechtens (vgl. die Senatsurteile vom
12. Okt. 1912 IV 157/12 und vom 19. Juni 1913 IV
63/13 Warneyer Erg. Nr. 3 und 398). Freilich wird,
wenigſtens vielfach, von einer unzuläſſigen Erleichte—
rung der Eheſcheidung dann nicht geſprochen werden
können, wenn ein Scheidungsgrund tatſächlich vor—
handen iſt und es ſich nur darum handelt, das
Scheidungsverfahren abzukürzen (vgl. das Senatsurteil
vom 19. Dezember 1912 IV 381/1912 a. a. O. Nr. 128).
So jedoch liegt die Sache hier nicht. Der Beklagte
357
pe ſelbſt nur, es wäre fo wie fo zur Scheidung
gekommen, da er auf Herſtellung des ehelichen Lebens
habe klagen wollen und die Klägerin dem Urteile nicht
Folge geleiſtet hätte, dann aber habe man mindeſtens
2 Jahre warten müſſen, und da hätten ſie gedacht,
leichter mache es ſich ſo, daß er einen Ehebruch begehe
und ſich dann wegen Ehebruchs ſcheiden laſſe. Dieſe
Behauptung ändert alſo nichts daran, daß zur Zeit
des Vertragsabſchluſſes ein Scheidungsgrund nicht be⸗
ſtand und daß im Scheidungsſtreite der Geltendmachung
des in der Zwiſchenzeit vom Beklagten begangenen
Ehebruchs die Vorſchrift in 8 1565 Abſ. 2 BGB. im
Wege geſtanden hätte, wenn nicht der Beklagte ver⸗
tragsgemäß jede ernſthafte Widerrede unterlaſſen hätte.
Die bloße Möglichkeit, daß es ſpäter doch zur Scheidung
gekommen wäre, kann bei der Frage keine Rolle ſpielen,
ob eine unzuläſſige Erleichterung der Scheidung be⸗
zweckt war, übrigens auch erzielt worden iſt. An der
hiernach vom OLG. ohne Geſetzesverletzung angenom⸗
menen Nichtigkeit des Verzichts der Klägerin kann an
ſich der Umſtand nichts ändern, daß die Klägerin aus
dem unſittlichen Abkommen zunächſt einen Vorteil,
nämlich die von ihr gewünſchte Entſcheidung, erzielt
hat und nunmehr noch einen weiteren Vorteil erzielen
will. Es könnte ſich nur fragen, ob nicht der Klägerin
die Einrede der Argliſt entgegenſteht, wenn ſie ſich trotz
des Verzichts zur Begründung des eingeklagten An⸗
ſpruchs auf das Scheidungsurteil ſtützt, das ſie nur
mittels des durch den Verzicht erkauften Verhaltens
des Beklagten erlangt hat. Dieſe Einrede wäre nicht
begründet. In feinem Urteile vom 4. April 1889 IV
8/89 (Gruchots Beitr. Bd. 33 S. 916, auch JW. 211
Nr. 24) hat allerdings der Senat bei einem dem hier
gegebenen ganz ähnlichen Sachverhalt angenommen,
die Frau handele argliſtig, wenn ſie im Widerſpruch
mit ihrem Verzicht Vermögensvorteile für ſich aus dem
Scheidungsurteil in Anſpruch nehme, das nur infolge
des dem Abkommen entſprechenden Verhaltens des
Mannes in einem ihr günſtigen Sinn ergangen ſei.
Allein dieſes Urteil iſt unter der Herrſchaft des preuß.
ALR. ergangen und ſtützt ſich in der Hauptſache
auf eine beſondere landrechtliche Vorſchrift (8 36 Teil I
Tit. 3), die, mindeſtens in der Allgemeinheit, in der
ſie dort ausgeſprochen iſt, in das heutige Recht nicht
übergegangen iſt. Nun hat freilich das RG., beſonders
der erkennende Senat, auch unter der Herrſchaft des
BGV. auf die Vorſchrift in 8 826 Bezug nehmend
wiederholt (vgl. Entſch. Bd. 78 S. 390 ff., namentlich
S. 393 und die dort aufgeführten früheren Erkennt⸗
niſſe) den Grundſatz zur Geltung gebracht, daß, wer
ein ſachlich unrichtiges Urteil oder die Rechtskraft eines
ſolchen Urteils in einer gegen die guten Sitten ver⸗
ſtoßenden Weiſe erwirkt hat und dieſes Urteil für ſich
ausnutzt, eine ihn zum Schadenserſatze verpflichtende
unerlaubte Handlung begeht und Schadenserſatz gerade
in der Weiſe zu leiſten hat, daß er von dem Urteile
keinen Gebrauch machen darf (vgl. in letzterer Be⸗
ziehung das Senatsurteil vom 30. Okt. 1911 IV 61/1911).
Aber in allen dieſen Fällen hatte die Partei, die das
Urteil erwirkt hatte, nicht nur den Richter getäufcht,
ſondern ſchon bei der Urteilserwirkung auch dem
anderen Teile gegenüber argliſtig und in einer nach
8 826 zum Schadenserſatze verpflichtenden Weiſe ge⸗
handelt. Hier jedoch hat die Klägerin bei der Urteils⸗
erwirkung dem Beklagten gegenüber ganz offen ges
handelt, beide Teile haben ſogar zur Täuſchung des
Gerichts zuſammengewirkt. In einem ſolchen Falle
kann von einem Schadenserſatzanſpruch des Verurteilten
aus 8 826 keine Rede fein (vgl. auch Entſch. Bd. 67
S. 151 ff., insbeſondere S. 153). Anders wäre die
Sache vielleicht zu beurteilen, wenn etwa die Klägerin
ſchon im Scheidungsſtreite beabſichtigt hätte, trotz des
Verzichts den Beklagten auf Grund ſeiner geſetzlichen
Verpflichtung nachher in Anſpruch zu nehmen, ohne
daß dieſe Abſicht dem Beklagten zum Bewußtſein ge—
358
kommen wäre. Etwas derartiges jedoch hat das OLE.
nicht feſtgeſtellt und der Beklagte nicht einmal behauptet.
Hat die Klägerin nicht ſchon bei der Erwirkung des
Scheidungsurteils und des Ausſpruchs über die Schuld⸗
frage dem Beklagten gegenüber in einer einen Schadens⸗
erſatzanſpruch aus 8 826 begründenden Weiſe argliſtig
gehandelt, ſo könnte nur die allgemeine Argliſteinrede
(die gemeinrechtliche exceptio doli generalis oder prae-
sentis) allenfalls eine Rolle ſpielen. Sie iſt gegeben,
wenn erſt in der Geltendmachung eines Anſpruchs
Argliſt oder ein Verſtoß gegen die guten Sitten oder
gegen Treu und Glauben zu finden iſt. Das BGB.
erwähnt zwar dieſe Einrede nicht beſonders, es erkennt
ſie aber trotzdem an, wie in der Rechtſprechung des RG.
feſtſteht (vgl. Entſch. Bd. 58 S. 425 ff., insbeſ. S. 428,
429 u. a.) und der Senat erſt ganz vor kurzem aus⸗
geſprocheu hat (Urteil vom 4. Mai 1914 IV 37/14).
Die Zulaſſung auch der allgemeinen Argliſteinrede mag
zwar bei Anſprüchen nicht gänzlich ausgeſchloſſen ſein,
die rechtskräftig feſtgeſtellt ſind oder doch wenigſtens,
wie hier, mittelbar auf einem rechtskräftigen Urteile
beruhen. Immerhin wird, mindeſtens der Regel nach,
in der Geltendmachung derartiger Anſprüche keine Arg⸗
liſt und kein Verſtoß gegen die guten Sitten oder gegen
Treu und Glauben zu finden fein (vgl. das ſchon an⸗
geführte Urteil in Entſch. Bd. 67 S. 151 ff. und ferner
das Urteil in Entſch. Bd. 80 S. 153 ff., insbeſ. S. 155).
Jedenfalls aber darf die Zulaſſung der allgemeinen
Argliſteinrede bei ſolchen Anſprüchen nicht dahin führen,
daß einem wegen Verſtoßes gegen die guten Sitten
nach 8 138 BGB. nichtigen, alſo vom Geſetze gemiß⸗
billigten Rechtsgeſchäft auf einem Umwege wieder
Geltung verſchafft wird. Dahin käme es jedoch, wenn
man hier die allgemeine Argliſteinrede zuließe. Das
ginge umſoweniger an, als der Beklagte der Klägerin
ebenfalls, wenn auch vielleicht in anderer Weiſe, Unterhalt
zu gewähren hätte, wenn das nichtige Abkommen nicht
getroffen und infolgedeſſen die Scheidung nicht zuſtande
gekommen wäre ($$ 1360, 1361 BGB.). Die Vorſchrift
in 8 817 BGB., auf die von der Reviſion noch neben⸗
bei hingewieſen iſt, kann nicht in Betracht kommen.
Die Abmachung der Parteien vom 11. Februar 1908
und der darin ausgeſprochene Verzicht der Klägerin
find wegen des Verſtoßes gegen die guten Sitten nichtig
und wegen dieſer ihrer Nichtigkeit ungeeignet, dem
Beklagten zur Grundlage einer Verzichtseinrede zu
dienen. Um Rückforderung einer „Leiſtung“, die nach
8 817 ausgeſchloſſen wäre, handelt es ſich bei der Be⸗
rufung der Klägerin auf die Nichtigkeit des Verzichts
nicht. (Urt. des IV. ZS. vom 28. Mai 1914, IV 683/1913.)
3442 E.
II
Formbedürſtigkeit von Verträgen zugunſten Dritter;
iſt ein Vertrag formbedürſtig, durch den Geſchwiſter ſich
verpflichten, ihrer Mutter mit Nückſicht auf ihre Be:
dürſtigkeit eine monatliche Neute zu zahlen? Zum Be:
griffe des Leibreutenverſprechens. Aus den Gründen:
Verträge zugunſten Dritter oder, wie das Geſetz
ſagt, Verträge über eine Leiſtung an einen Dritten be—
dürfen als ſolche keiner beſonderen Form. Die Frage,
ob für die Beobachtung einer ſonſt etwa in Betracht
kommenden Form nur das Verhältnis unter den Ver—
tragſchließenden maßgebend iſt oder auch das Verhältnis
zu dem Dritten eine Rolle ſpielt, iſt im Geſetze nicht
beantwortet; ihre Beantwortung iſt der Rechtswiſſen—
ſchaft überlaſſen (vgl. Mot. zum I. Entw. Bd. II S. 270).
Dieſe hat die Frage wohl ganz allgemein dahin ent—
ſchieden, daß grundſätzlich nur das Verhältnis unter
den Vertragſchließenden, das ſog. Deckungsverhältnis,
und nicht auch das Verhältnis zu dem Dritten Be—
deutung hat. Dieſe Anſicht iſt zutreffend. Iſt ſie das
aber, ſo kann zunächſt darüber keine Meinungsver—
ſchiedenheit aufkommen, daß zur Gültigkeit der hier in
Frage ſtehenden Vereinbarung gerichtliche oder notarielle
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
Beurkundung, wie ſie bei Schenkungen vorgeſchrieben
iſt, nicht erforderlich war. Denn nach den Feſtſtellungen
des OLG. liegt ein gegenſeitig verpflichtender Vertrag
der drei Geſchwiſter vor; Schenkungen und gegenſeitig
verpflichtende Verträge find jedoch geradezu Gegenſätze,
und die Gegenſeitigkeit von Verpflichtungen wird da⸗
durch nicht ausgeſchloſſen, daß jede der bedungenen
Leiſtungen einem Dritten gewährt werden, dieſer ſie
aber ſeinerſeits von dem Geber unentgeltlich bekommen
fol (vgl. das Senatsurteil vom 16. Januar 1911 IV
58. 10 Warneyer Erg. Nr. 174). In Frage kommen
könnte nur, ob die Verſprechen, die ſich die drei Ge⸗
ſchwiſter zugunſten ihrer Mutter gegenſeitig haben
geben laſſen, Leibrentenverſprechen waren, und ob
aus dieſem Grunde die Vereinbarung der in 8 761
vorgeſchriebenen Schriftform bedurft hätte. abei
braucht nicht erörtert zu werden, ob ein Vertrag,
wie ihn hier die drei Geſchwiſter zugunſten ihrer
Mutter unter einander geſchloſſen haben, überhaupt
einen Leibrentenvertrag darſtellen kann, wie ihn das
Geſetz in den 88 759 — 761 im Auge hat. Denn keines⸗
falls können die von den drei Geſchwiſtern ausgetauſchten
Verſprechen als Leibrentenverſprechen i. S. dieſer Ge⸗
ſetzesbeſtimmungen angeſehen werden. Das Os. ſtellt
feſt, daß die Vereinbarung mit Rückſicht auf die Be-
dürftigkeit der Mutter getroffen iſt, damit die Rente
zur Beſtreitung ihres Unterhalts diene. Darin liegt ohne
weiteres, daß die der Mutter zugedachten Leiſtungen
auch in der Zukunft von ihrer Bedürftigkeit abhängen
ſollten. Sie waren alſo nicht durch die Vereinbarung
ſelbſt ein für allemal feſt begrenzt, ſie ſollten ſich ihrem
Gegenſtande nach nicht aus ihr allein ergeben, ſondern
ſie hingen zugleich von äußeren Verhältniſſen ab. Ver⸗
ſprechen ſolchen Inhalts erfüllen nicht die in der
Rechtſprechung des Reichsgerichts entwickelten Begriffs⸗
erforderniſſe eines Leibrentenverſprechens, ſelbſt wenn
ſie ſich auf die Lebenszeit des Berechtigten erſtrecken
(vgl. die Senatsurteile vom 12. Dez. 1907 IV 221/07
Entſch. Bd. 67 S. 204 ff., beſ. S. 213, und vom 12. Okt.
1912 IV 75/12 Entſch. Bd. 80 S. 208 ff., bei. S. 29,
ſowie vor allem das Senatsurteil vom 20. März 1911
IV 448/10 Gruchot Bd. 55 S. 949 und JW. 449 Nr. 16).
Solche Verſprechen ſind Unterhaltsverſprechen, aber
keine Leibrentenverſprechen; die Formvorſchrift des
8 761 tft jedoch nur für eigentliche Leibrentenverſprechen,
nicht auch für andere, wenngleich ähnliche Verträge
gegeben (vgl. namentlich das zuletzt angeführte Senats»
urteil). (Urt. des IV. 3 S. vom 14. Mai 1914, 1 . 3).
3441 ;
III
Mutz ſich der lebenslänglich angeſtellte Handlungs⸗
ehilſe die VBerſetzung an einen anderen Ort gefallen
aſſen? Aus den Gründen: .. . Es kommt ledig⸗
lich darauf an, ob die Klägerin verpflichtet iſt, in
Berlin tätig zu ſein und die ihr dort angeſonnenen
Arbeiten zu verrichten. Nach der oberlandesgericht⸗
lichen Vertragsauslegung war der Dienſtvertrag für
den Ort G. auf Lebenszeit der Klägerin geſchloſſen.
Entſprechend den Verhältniſſen dieſer kleinen Stadt
waren Stellung, Arbeitsleiſtung und Einkommen der
Klägerin bemeſſen. Nach Treu und Glauben wird
angenommen werden können, daß fie ſich, wenn die
Intereſſen der Beklagten die Verlegung der Verwaltung
an einen Ort von ähnlicher Größe, mit ähnlichen Ber»
hältniſſen verlangt hätten, die Verſetzung dorthin hätte
gefallen laſſen muſſen. Zu den berechtigten Intereſſen
des Dienſtherrn gehört auch die Vermehrung feines Ges
winns; die Rückſicht auf die Gewinnſteigerung war
für die Beklagte auch ein triftiger Grund zur Ver
legung des Bureaus von G. Ganz gewiß ſolgte ſie
auch einem berechtigten Intereſſe, als ſie das Bureau
nach Berlin verlegte. Daraus folgt aber noch nichts für
das Rechtsverhältnis zur Klägerin. Deren Stellung
und Einkommen, für G. zugeſchnitten, entſprechen nicht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
den Berhähltniſſen und Anforderungen der Großſtadt.
Der für die Verlegung triftige Grund ergab noch keine
Befugnis zum Eingriff in die Vertragsrechte der Klägerin.
Treu und Glauben forderten nicht, daß ſie ſich auf
Grund der Bedingungen des bisherigen Vertrages nach
Berlin verſetzen ließ. Wie ſelbſt die Aufgabe des
anzen Geſchäfts den Dienſtherrn nicht berechtigt, den
andlungsgehilfen fofort zu entlaſſen, ſo berechtigt
ihn auch nicht ohne weiteres die Verlegung des ganzen
Geſchäfts an einen anderen Ort, den Handlungsge⸗
ad wider feinen Willen dorthin zu verſetzen. Hier
andelt es ſich aber noch nicht einmal um eine gänz⸗
liche Verlegung: der Sitz der Geſellſchaft und ein Teil
der Verwaltung ſind in G. geblieben. Doch ange⸗
nommenen ſelbſt, nach dem Vertrage wäre die
Klägerin verpflichtet, in Berlin zu arbeiten, ſo
könnte ſie jedenfalls eine der bisherigen Stellung gleich⸗
wertige verlangen (vgl. Staub⸗Könige Anm. 27 zu § 59
HGB.). Nach den Feſtſtellungen iſt aber die Berliner
Stellung der Klägerin ihrer bisherigen in G. keines⸗
wegs gleichwertig. Es beſtehen geſellſchaftliche, wirt⸗
ſchaftliche und namentlich Unterſchiede hinſichtlich der
Selbſtändigkeit. Die Klägerin iſt nicht mehr in der
ihr durch den Vertrag verliehenen Stellung einer
Bureauvorſteherin. Sie ſteht geſchäftlich nicht mehr
unmittelbar unter dem Vorſtande, ſie bekommt die
Arbeiten zugewieſen durch andere Angeſtellte und muß
ſie nach Anfertigung dieſen abliefern und zur Gut⸗
heißung vorlegen. Davon kann nicht die Rede ſein,
daß die untergeordnete Stellung in Berlin darum der
höheren in G. gleichwertig wäre, weil das Berliner
Bureau groß iſt und das andere klein war. Die
Klägerin iſt darnach aus dem Vertrage nicht ver⸗
pflichtet, ſich für die Beklagte in Berlin in der ihr
dort zugemuteten Tätigkeit oder überhaupt in irgend⸗
welcher Stellung unter den bisherigen Vertragsbe⸗
dingungen beſchäftigen zu laſſen. Will oder kann
die Beklagte ſie nicht lebenslänglich in vertragsmäßiger
Weiſe beſchäftigen, dann muß ſie ihr eben ohne Gegen⸗
leiſtung lebenslänglich das vertragsmäßige Gehalt
zahlen, ſolange nicht einer der vom Vertrage zuge⸗
laſſenen drei Kündigungsgründe gegeben iſt. (Urt. d.
III. ZS. vom 7. Juli 1914, III. 135/14).
3430 ——
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Kaum die Berwaltungsbehörde die Schreibweiſe eines
Namens mit bindender Wirkung für das mit dem flanded:
amtlichen Berichtigungsverfahren befaßte Gericht feſt⸗
ſtellen? (PerſStG. 88 65, 66). Das Bezirksamt E. ſtellte
in einem von ihm als Aufſichtsbehörde des Standes⸗
amts B. eingeleiteten Verfahren durch Beſchluß die
angeblich richtige Schreibweiſe eines Namens feſt und
beantragte bei dem AG., die dem Beſchluß entſprechende
Berichtigung einer Geburtsurkunde des Standesamts
B. anzuordnen; es ging davon aus, daß der Beſchluß
für das AG. bindend ſei. Das AG. wies den Antrag
ab, das LG. verwarf die Beſchwerde; auch die weitere
Beſchwerde hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Die Aenderung der Schreib—
weiſe eines Namens iſt eine Namensänderung und folgt
den für dieſe geltenden Vorſchriften, wenn ſie in dem
Sinne angeſtrebt wird, daß die Schreibweiſe durch eine
ſchaffende Handlung der Staatsgewalt feſtgeſtellt wird.
Hier wird die Aenderung nur zur Erhaltung des wahren
Namens angeſtrebt. Die richtige Schreibweiſe ſoll feſt—
geſtellt werden. Nur für die Namensänderung beſtehen
ausdrückliche Vorſchriften über die Zuſtändigkeit ($ 6
der Bek. vom 27. Dez. 1899, IM Bl. 1900 S. 853). Für
359
die bloße Feſtſtellung der Schreibweiſe fehlt es daran.
Das Bezirksamt nimmt ſeine Zuſtändigkeit mon
der in den BlAdmpPr. Bd. 53 S. 299 abgedruckten
Entſchl. des Miniſteriums des Innern vom 20. Nov.
1902 in Anſpruch. In dieſer iſt ausgeführt, daß für
die Feſtſtellung der Schreibweiſe der rechtliche Vorgang
entſcheidend iſt, durch den das Recht des Namens be⸗
gründet worden iſt. Richte ſich der Namen einer Perſon
nach dem einer anderen, ſo müſſe feſtgeſtellt werden,
wie die Perſon ihn ſchreibe, deren Namen maßgebend
iſt. Hiebei werde in der Regel auf ſtandes amtliche
Urkunden zurückgegriffen werden müſſen. Fänden ſich
in ihnen Verſchiedenheiten oder ergäben ſich ſonſt
Zweifel, ſo ſei zu entſcheiden, ob eine Berichtigung der
ſtandesamtlichen Urkunden veranlaßt ſei. Dieſe Ent⸗
ſcheidung ſetze die Feſtſtellung der richtigen Schreib⸗
weiſe voraus. Für das Verfahren hierbei ſeien die
88 65, 66 Perſ StG. maßgebend. Es beſtehe nun kein
Bedenken, dieſes Verfahren in allen Fällen anzuwenden,
in denen es ſich um die Feſtſtellung der Schreibweiſe
eines Namens handle, gleichviel ob die Feſtſtellung
dadurch veranlaßt fei, daß die in den ſtandes amtlichen
Urkunden angewendete Schreibweiſe als unrichtig be⸗
zeichnet werde, oder ob es ſich nur darum handle, die
Richtigkeit dieſer Schreibweiſe gegenüber Zweifeln zur
Gewißheit zu machen. Liege kein Anlaß vor, an der
Richtigkeit der ſich in den ſtandesamtlichen Urkunden
gleichmäßig findenden Schreibweiſe zu zweifeln, ſo werde
ſich die Aufſichtsbehörde hiemit begnügen und von der
Abgabe der Verhandlungen an das Gericht abſehen
können, wenn nicht der Antragſteller darauf beſtehe.
Die Zuſtändigkeit zur Feſtſtellung des Familiennamens
einer Perſon, deren Namen ſich nach dem Familien⸗
namen einer anderen Perſon richtet, beſtimme ſich hie⸗
nach nach der Zuſtändigkeit zur Vornahme des Be⸗
richtigungsverfahrens nach 88 65, 66 und ſei deshalb
jeder Aufſichtsbehörde zuzuerkennen, in deren Bezirk
eine zu berichtigende ſtandesamtliche Urkunde aufge⸗
nommen wurde. Falls für die Feſtſtellung der Schreib⸗
weiſe nur Einträge in pfarramtlichen Matrikeln zur
Verfügung ſtehen, ſei nach der Entſchließung des
Miniſteriums des Innern vom 16. Mai 1866 (JM BBl.
S. 158) zu verfahren. In dieſer iſt beſtimmt, daß für
die Feſtſtellung der richtigen Schreibweiſe eines Familien⸗
namens die Behörden zuſtändig ſind, denen die Auf⸗
ſicht über die richtige Führung der Geburts⸗ und
Trauungsregiſter obliegt.
Aus dieſen Entſchließungen kann jedoch keine Be⸗
fugnis der Verwaltungsbehörden abgeleitet werden,
die Schreibweiſe eines Familiennamens in einer für
die Gerichte im ſtandesamtlichen Berichtigungsverfahren
bindenden Weiſe feſtzuſtellen. Nach SS 65, 66 Perſ StG.
kann eine Eintragung in dem Standesregiſter nur auf
Grund gerichtlicher Anordnung berichtigt werden. Die
Aufſichtsbehörde hat Ermittelungen anzuſtellen und
die Verhandlungen dem Gerichte vorzulegen. Dieſes
kann noch weitere Aufklärungen veranlaſſen und hat
alsdann über den Berichtigungsantrag zu beſchließen,
kann aber auch den Antragſteller auf den Prozeßweg
verweiſen. Sonach haben die Aufſichtsbehörden den
für eine Berichtigung erforderlichen Tatſachenſtoff zu
beſchaffen und dem Gerichte vorzulegen, das Gericht
hat zu beſchließen, ob die Berichtigung erfolgen ſoll.
Hiebei hat es die Tatſachen ſelbſt zu prüfen; daß es
nicht an die Ermittelungen oder an Beſchlüſſe der Auf⸗
ſichtsbehörden gebunden iſt, ergibt ſich ſchon daraus,
daß es ſonſt zwecklos geweſen wäre, im Berichtigungs⸗
verfahren überhaupt eine Entſcheidung des Gerichts
einzuſchalten. Die Selbſtändigkeit des Gerichts folgt
übrigens auch aus der ihm in 8 66 PerſStG. zuge⸗
ſprochenen Befugnis, ſelbſt noch weitere Aufklärungen
zu veranlaſſen und geeignetenfalls den Antragſteller
auf den Prozeßweg zu verweiſen. Dieſe Befugniſſe
ſetzen ein ſelbſtändiges Prüfungsrecht der Gerichte
voraus.
360
Soweit es ſich um die Berichtigung eines Ein⸗
trags in einem Standesregiſter handelt, können alſo
die Aufſichtsbehörden nach Reichsrecht nicht eine An⸗
ordnung mit bindender Wirkung für das nach 8 65
PerſStG., 869 FGG. zuſtändige Gericht treffen. Dieſer
Grundſatz greift auch Platz, wenn es ſich darum han⸗
delt, wie ein in einer ſtandesamtlichen Urkunde vor⸗
kommender Name zu lauten hat. Denn bei der Be⸗
urkundung von Geburten, Heiraten und Sterbefällen
gehört mindeſtens die Angabe des Familiennamens des
Vaters oder der Mutter des Kindes, der Eheſchließenden
und des Verſtorbenen zu den weſentlichen Angaben
(Perſ StG. 8 22 Nr. 5, 854 Nr. 1, § 59 Nr. 1) und der
Berichtigung zugänglich ſind alle im Regiſter einge⸗
tragenen Tatſachen, alfo auch die Abſtammungsver⸗
hältniſſe, wie ſie ſich aus dem Familiennamen ergeben.
Dieſe Zuſtändigkeitsvorſchriften können durch das
Landesrecht nicht geändert werden. Die Minck. vom
20. Nov. 1902 bietet aber auch keinen Anhaltspunkt
dafür, daß ſie in dem von dem Bezirksamt ange⸗
nommenen Sinn erlaſſen worden iſt. (Wird ausgeführt).
Die Beſchwerde beruft ſich darauf, daß in der Min.
verfügt iſt, es ſei nach der Entſchließung vom 16. Mai
1866 zu verfahren, falls für die Feſtſtellung der Schreib⸗
weiſe nur Einträge in pfarramtlichen Matrikeln zur
Verfügung ſtehen. Allerdings kommt den Aufſichts⸗
behörden nach der Entſchließung vom 16. Mai 1866
das Recht zu, über die Schreibweiſe eines Namens
endgültig und für den Regiſterführer bindend zu ent⸗
ſcheiden. Allein die weitere Beſchwerde hat dieſen Teil
der Mine. mißverſtanden. Die Beſchwerde meint, die
Entſchließung vom 16. Mai 1866 ſei ſchon anzuwenden,
wenn ſich die für die Entſcheidung maßgebenden Ein⸗
träge in pfarramtlichen Regiſtern finden, wenn alſo
der Name, der feſtzuſtellen iſt, ſowohl in ſtandesamt⸗
lichen als in pfarramtlichen Urkunden vorkommt, die
ſtandesamtlichen Urkunden aber für den Inhalt der
Entſcheidung belanglos ſind, die Entſcheidung ſich viel⸗
mehr nur auf die pfarramtlichen Urkunden gründet.
In Wirklichkeit aber will die MinE. von 1902 mit dem
Ausdrucke, daß nur Einträge in pfarramtlichen Ma—
trikeln zur Verfügung ſtehen, ſagen, daß der Name,
deſſen Schreibweiſe feſtzuſtellen iſt, nur in pfarramt⸗
lichen Matrikeln vorkommt. In dieſem Falle kommt
das Berichtigungsverfahren des PerſStG. gar nicht in
Frage, es gilt das bisherige Recht weiter. (Beſchl. des
I. ZS. vom 13. Juni 1914, Reg. III Nr. 32/1914).
M.
II.
Kann eine Zwangs⸗Sicherungshypothek für eine
Forderung eingetragen werden, für die jchem eine durch
Vertrag beftellte Sicherungshypothek eingetragen iſt?
Aus den Gründen: In dem von dem Kammer—
gericht in dem Beſchluſſe vom 9. Dezember 1912 (RJ A.
Bd. 12 S. 269) behandelten Fall handelt es ſich um
eine neben einer Verkehrshypothek einzutragende Siche—
rungshypothek, hier aber iſt die auf Grund des Ver—
trages eingetragene Hypothek ebenſo wie die jetzt im
Zwangsweg einzutragende Hypothek eine Sicherungs—
hypothek. Bei dieſer Sachlage treffen die Gründe nicht
zu, die das Kammergericht dazu geführt haben, mit
Bezugnahme auf die Entſcheidung des RG. v. 3. Februar
1909 (Entſch. ZS. Bd. 70 S. 245) die Eintragung einer
Zwangshypothek für eine Forderung für unzuläſſig
zu erklären, für die bereits eine Verkehrshypothek be—
ſteht. Sie ſetzen durchweg das Beſtehen einer Verkehrs—
hypothek voraus. Das KG. hat in den Gründen ſeiner
Entſcheidung allerdings auch den Fall behandelt, daß
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
für die Forderung, für welche eine Zwangshypothek,
eingetragen werden ſoll, ſchon eine Sicherungshypothek
beſteht. Es hält auch die Zwangsſicherungs- und die
Vertragsſicherungshypothek für ſo verſchiedene Rechts—
gebilde, daß ihre Zuſammenfaſſung zu einer Geſamt—
hypothek unmöglich und deshalb auch die Eintragung
—— —
einer Zwangshypothek neben einer Sicherungshypothek
unzuläſſig ſei. Soweit der Erwerb durch den Eigen»
tümer in Frage komme, gälten nämlich für die Ver⸗
tragsſicherungshypothek die SS 1163, 1168 B., für
die Zwangsſicherungshypothek aber außer dieſen Vor⸗
ſchriften noch der 8 868 ZPO. Nun könnten die Voraus-
ſetzungen des 8 868 ZPO. gegeben fein, ohne daß einer
der Fälle der SS 1163, 1168 BGB. vorliege. Es beſtände
alfo die Möglichkeit, daß die Zwangshypothek auf den
Eigentümer übergehe, während die Vertragshypothek
dem Gläubiger verbleibe. Auf dieſe Weiſe könne eine
Vervielfältigung des Geſamtrechts eintreten, was mit
dem Weſen des Geſamtrechts unvereinbar ſei. Dieſen
Ausführungen vermag der Senat nicht beizutreten.
Durch den 8 868 ZPO. wird nur zu den im BOB. auf⸗
geſtellten Fällen des Uebergangs der Hypothek auf
den Eigentümer für die Zwangshypothek ein weiterer
Fall der Eigentümerhypothek geſchaffen, nicht aber muß
daraus gefolgert werden, daß eine Zwangshypothek
neben einer bereits vertragsmäßig beſtehenden Siche⸗
rungshypothek aus inneren Gründen nicht eingetragen
werden dürfe. Da die 88 1172 — 1174 BOB. nicht zu⸗
treffen, bleibt die Vertragshypothek in dem Falle des 8 868
ZPO. beſtehen und kann von dem Gläubiger dem Eigen⸗
tümer gegenüber auch weiterhin geltend gemacht werden.
Es braucht hier nicht weiter unterſucht zu werden, ob etwa
durch die nachträgliche Eintragung der Zwangshypothek
eine Geſamthypothek überhaupt nicht entſteht und des⸗
halb die Eintragung einer Zwangshypothek neben einer
Vertragshypothek durchgängig zuläſſig iſt, ſei dieſe nun
Verkehrs- oder Sicherungshypothek; unter den Schrift⸗
ſtellern, die ſich dafür ausſprechen, wäre außer den vom
Kc. angeführten beſonders noch Seuffert. Komm zur
ZPO., 11. Aufl 8867 Anm. 4 zu erwähnen; keinesfalls bes
ſteht ein zwingender innerer Grund gegen die Eintragung,
wenn die bereits eingetragene Hypothek eine Sicherunas⸗
hypothek iſt (fo bef. auch Predari, BD. 2. Aufl. S. 666).
Daß die Unzuläſſigkeit nicht aus der Entſtehungs⸗
geſchichte des S 867 Abſ. 2 ZPO. abgeleitet werden kann,
geht aus den Darlegungen des KG. zur Genüge hervor.
(Vgl. auch Jahrb. d. Entſch. des KG. Bd. 25 4 S. 294).
Nach 8 864 ff. ZPO. hat der Gläubiger das geſetzliche
Recht, für feine vollſtreckbare Forderung die Zwangs⸗
vollſtreckung in das unbewegliche Vermögen ſeines
Schuldners vorzunehmen und zu dieſem Zweck mit der
im $ 866 Abſ. 3 ZPO. ausgeſprochenen Beſchränkung
auch die Eintragung einer Sicherungshypothek zu er—
wirken. Wollte man ihm dieſes Recht ganz allgemein
abſprechen, wenn er bereits durch eine Bertragshypothek
geſichert iſt, fo wäre erfchlechter geſtellt als der Gläubiger,
dem keine Vertragshypothek eine Sicherheit bietet. Man
wird ihm dieſes Recht jedenfalls nicht weiter beſchränken
dürfen, als dies aus dem Geſichtspunkte der Einheitlichkeit
der Geſamthypothek oder aus anderen rechtlichen Ge—
ſichtspunkten unbedingt erforderlich iſt. Der Senat hat
ſchon in ſeinem Beſchluſſe vom 5. Juni 1902 (Samml.
Bd. 3 S. 482) ausgeſprochen, daß neben der Hypothek
des früheren bayeriſchen Rechtes eine Zwangshypothek
zur Sicherung derſelben Forderung zuläffig iſt. An
dieſem Beſchluſſe hält er auch unter der Herrſchaft des
Liegenſchaftsrechts des BGB. mindeſtens für den Fall
feſt, daß die Vertragshypothek eine Sicherungshypothek
iſt. Zur Vorlegung der Sache an das Reichsgericht
beſtand kein Anlaß, denn der mehrerwähnte Beſchluß
des KG. hatte ſich nur mit der Zuläſſigkeit einer Zwangs—
hypothek zugunſten einer Forderung zu befaſſen, für
die bereits eine Verkehrshypothek beſteht und der 8 79
Abſ. 2 GBO. sit nicht anwendbar, wenn ein Gericht
der weiteren Beſchwerde von der nur in den Ent⸗
ſcheidungsgründen geſtreiften Anſicht eines anderen
Gerichts der weiteren Beſchwerde oder des Reichsgerichts
abweichen will. (Beſchl. d. 1. 35. vom 20. Juli 1914,
Reg. III: Nr. 63 1914). M.
3440
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
B. Strafſachen.
I.
Der baheriſche Depeſchenträger iſt Beamter i. S.
des $ 359 Stg.; Bedeutung deamtenrechtlicher Bor-
ſchriſten der Bundes ſtaaten für die Beamteneigenſchaft.
Aus den Gründen: Da eine Beſtimmung des StGB.
($ 185) anzuwenden iſt, iſt für die Frage nach der
Beamteneigenſchaft, von deren Bejahung die Gültig⸗
keit des Strafantrages abhängt, § 359 StGB. maß⸗
gebend. Hiernach iſt in erſter Linie entſcheidend, ob
eine Perſon im Dienſte des Reichs oder eines Bundes⸗
ſtaats angeſtellt iſt. Die Anſtellung iſt die vertrags⸗
mäßige Begründung eines öffentlich⸗rechtlichen Dienſt⸗
verhältniſſes, deren Form ſich nach dem Staatsrechte,
nach den dienſtpragmatiſchen Vorſchriften beſtimmt.
Die Poſt und die Telegraphie ſind in Bayern Staats⸗
anſtalten; insbeſondere ſind die Telegraphenbehörden
berechtigt und verpflichtet, die bei ihnen aufgegebenen
und eingelangten Telegramme gegen Bezahlung der
beſtimmten Gebühren zu befördern. Hierzu gehört
ſchließlich die Aushändigung an den Empfänger. In
der Dienſtordnung für die Poſt⸗ und Telegraphen⸗
verwaltung (vgl. VerkMBl., poſtd. Teil, 1913 Nr. 179
S. 303 ff.) iſt das im unmittelbaren Dienſte ſtehende
Perſonal der Poſt⸗ und Telegraphenverwaltung zer⸗
gliedert in: I. die in einem öffentlich⸗rechtlichen Dienſt⸗
verhältnis befindlichen Perſonen, nämlich 1. die etats⸗
mäßigen Beamten, .. . 4. die ſonſtigen unter Art. 25
G., fallenden Perſonen; das ſind .. . e) die jugend⸗
lichen Depeſchenträger und Briefeinſammler; II. die
in einem privatrechtlichen Vertrags verhältnis ſtehenden
Perſonen. Danach ſtehen die Depeſchenträger auch nach
der Auffaſſung der oberſten Poſtſtelle in einem öffent⸗
lich⸗ rechtlichen Dienſtverhältnis und dementſprechend
iſt der hier als Beleidigter in Betracht kommende
Depeſchenträger nach den vorliegenden amtlichen Ur⸗
kunden zunächſt als jugendlicher Briefeinſammler ein⸗
berufen und eidlich verpflichtet, ſodann zum Depeſchen⸗
träger berufen worden. Dem Erfordernis der An⸗
ſtellung in einem öffentlich⸗rechtlichen Dienſtzweig iſt
ſohin in jeder Hinſicht genügt — vgl. Bek. vom 17. März
1907, die Verwaltung und den Betrieb der Verkehrs⸗
anſtalten betr. (GVBl. S. 131). Auf die Art der Dienſt⸗
leiſtung kommt es nicht an; dieſe wäre erſt dann heran⸗
zuziehen, wenn ein formaler Berufungsakt im Einzel⸗
falle nicht zu ermitteln wäre (vgl. RG St. Bd. 16 S. 378
und Bd. 39 S. 232). Uebrigens hat der Depeſchen⸗
träger nicht rein manuelle Dienſte, wie das Austragen
der Telegramme zu verrichten; es liegt ihm viel⸗
mehr nach der Telegraphenordnung vom 29. Juni 1904
ob, die Telegramme nach den Vorſchriften des § 18
Ziff. VI ff. zu beſtellen, die erforderlichen Empfangs⸗
veſcheinigungen zu erholen und die in den Ziff. VIII
und IX bezeichneten Maßnahmen zu treffen, lauter
Verrichtungen, die ihm kraft des öffentlich » recht⸗
lichen Dienſtverhältniſſes übertragen find. Das LG.
hat daher mit Recht die Beamteneigenſchaft des De-
peſchenträgers bejaht und den Strafantrag des Vor⸗
ſtandes der Oberpoſtdirektion nach § 196 StGB. für
rechtswirkſam erachtet. Die in der Reviſionsbegründung
angezogenen Beſtimmungen des bayer. BG. find ohne
Einfluß auf die Entſcheidung. Einmal iſt, wie bemerkt,
die Beamteneigenſchaft auf Grund des 8 359 StGB.
feſtzuſtellen. Dem würden auch die Beſtimmungen des
bayer. BG. nicht entgegenſtehen. Art. 1 dieſes Geſetzes
bezeichnet die Beamten im weiteren Sinn, Art. 2 be⸗
trifft nur die etatsmäßigen Beamten, zu denen der
Depeſchenträger nicht gehört, und Art. 25 erſtreckt ledig—
lich die Vorſchriften über die Disziplin, die Pflichten
der Beamten u. a. auf die Staatsdienſtadſpiranten, die
nicht als Beamte i. S. des Art. 1 erklärt ſind. Wie
es für den Begriff des Beamten nach $ 359 StGB.
unerheblich iſt, ob er ein Gehalt bezieht, ſo iſt auch
— —ññ—̃ öñ —äã5wU—F—ꝛ—— ꝙ:— — . —ũ— wf —ää— ——b³i— êü ä — ——Dũ . iöẽz.0”:ͥ̃ꝛ ͤ ‚:—j . ũ.ä..: .. 'i — ä — . — — 2J:iä—kk ——u——T: —E — ——ö—.— ù'( — k ä — ————.ů—ꝛs—ñꝗ—E8yʃ.,cçöXäkF kͤ1v!1!1! 1! 1!⁊ ß1!1!1!k !!!!!! 111
361
der Umſtand, ob er nach Landesrecht in die Gehalts⸗
ordnung eingereiht iſt oder nicht, ohne jeden Belang.
(Urteil vom 5. Mai 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 200/1914).
d.
3426 E
II.
Die 68 Fünfzehnhundertmark-Berträge und der
5 288 StGB. Aus den Gründen: Der $ 2 des
Vertrags, den der Angeklagte S., ſeine Frau und ſein
Arbeitgeber am 31. Mai 1913 geſchloſſen haben, ſpricht
unverhüllt aus, daß der durch den Kaufmann C.
drohenden Gefahr der Pfändung der daß zie der Pfan⸗
des Angeklagten begegnet werden, „daß ſie der Pfän⸗
dung durch Gläubiger nicht unterliegen“ ſollten. Zur
Verwirklichung dieſer Abſicht, die Zwangsvollſtreckung
zu vereiteln, wurde ein ſog. Fünfzehnhundertmark⸗
Vertrag geſchloſſen, deſſen Zweck und Bedeutung iſt,
die geſetzlich vor Pfändung nicht geſchützten Lohn⸗ und
Gehaltsanſprüche über jährlich 1500 M vertragsmäßig
dem Zugriffe der Gläubiger zu entziehen und dem
Dienſtverpflichteten zu erhalten. Die in dem angefoch⸗
tenen Urteile feſtgeſtellte Abſicht des S., durch die Ab⸗
ſchließung des Vertrags ſeine Stelle nicht zu verlieren,
mag den Anſtoß zu dem Vertrage gegeben haben; die
Verwirklichung dieſer Abſicht hatte aber zur Voraus⸗
ſetzung die Vereitelung des Gläubigerzugriffs, da die
Gehaltsanſprüche das einzige greifbare Vermögen des
S. ſind. Ohne die Abſicht, die drohende Zwangs⸗
vollſtreckung hintanzuhalten, hat ein ſolcher Vertrag
überhaupt keine Daſeins berechtigung, da der Bezugs⸗
berechtigte bei dem Mangel einer Vollſtreckungsgefahr
ohnedies über feine Bezüge frei verfügen kann (RG.
Bd. 69 S. 60; Bd. 81 S. 41; JW. 1912 S. 689 Nr. 13,
ferner daſelbſt 1912 S. 430, 894, 1121, 1135; 1913
S. 182, 295, 297, 522, 562, 1165, 1166; 23. Bd. 4
S. 833, Bd. 6 S. 132, Bd. 8 S. 1065; BlfRA. Bd. 77
©. 411, 439 ff.; Hartmann⸗Meikel, AnfG. 6. Aufl. S. 74;
Gaupp⸗Stein zu § 850 ZPO. 10. Aufl. Bd. II S. 697;
Meyer, Lohnbeſchlagnahmegeſetz 4. Aufl. S. 114 ff.).
Wie die Entſcheidung RGSt. Bd. 27 S. 242 ausdrück⸗
lich hervorhebt, iſt es für das Merkmal der Abſicht
der Vereitelung der Gläubigerbefriedigung nicht nötig,
daß die Vereitelung der Befriedigung des Gläubigers
gerade den Endzweck des Schuldners, die Vorſtellung
dieſes Erfolges alſo den Beweggrund für die Hand⸗
lung gebildet hat; ein Erfolg gilt ſchon dann als
direkt und beſtimmt gewollt, wenn der Täter ſeinen
Eintritt als notwendige unvermeidliche Folge 9005
Handelns vorausſieht und mit ſolchem Bewußtſein
zur Ausführung ſchreitet, mag es auch nicht dieſe,
ſondern eine andere nebenher oder vorangehende Vor⸗
ſtellung fein, aus welcher die Tat entſprungen iſt (ſ.
auch RGSt. Bd. 24 S. 255). Bei dieſer von dem Senat
geteilten Auffaſſung des Begriffs „Abſicht“ und, da in
dem Vertrag die Abſicht ausdrücklich feſtgelegt iſt, die
Gehaltsanſprüche des S. dem Zugriffe des Gläubigers C.
zu entziehen, ſteht es im Widerſpruche mit den ſonſtigen
Feſtſtellungen und mit einer richtigen Gedankenfolge,
wenn das L. feſtſtellt, daß der Angeklagte beim
Vertragsabſchluſſe ſich nicht bewußt geweſen ſei, ja gar
nicht daran gedacht habe, die Zwangsvollſtreckung zu
vereiteln. — Das LG. ſtellt ferner feſt, der Angeklagte S.
ſei auf Grund der Beſprechungen mit ſeinen beiden
Rechtsanwälten überzeugt geweſen, daß die künftig erſt
fällig werdenden Gehaltsanſprüche nicht Beſtandteile
ſeines Vermögens ſeien. Das will wohl beſagen, daß
er ſich in einem nach § 59 StGB. zu beachtenden Irr⸗
tum über Tatumſtände befunden habe. Allein dieſe
Annahme trifft nicht zu. Eine an ſich ſtrafbare Hand⸗
lung verliert dieſe Eigenſchaft nicht dadurch, daß ſie
auf den Rat eines Dritten, ſei es auch eines Rechts⸗
anwalts, vorgenommen wird; ſtrafrechtlich verant—
wortlich iſt und bleibt, wer die Handlung vornimmt.
S. glaubte, daß er durch die Abſchließung des Ver⸗
trags ſtraflos die von C. drohende Zwangsvollſtreckung
362
und damit deſſen Befriedigung vereiteln könne; dieſer
Glaube iſt aber nichts anderes als der Glaube an die
Straffreiheit ſeines Tuns d. i. ein vor Strafe nicht
ſchützender Irrtum über das Strafgeſetz. — Das LG.
iſt der Anſchauung, daß in dem Vertrag allein eine
Veräußerung oder ein Beiſeiteſchaffen i. S. des 8 288
StGB. nicht gefunden werden könne; es ſtützt ſich
dabei auf RGSt. Bd. 35 S. 62 und RG. Bd. 81 S. 41.
Selbſtverſtändlich iſt die Abſchließung eines Vertrags
allein ohne deſſen Vollzug keine Veräußerung oder Bei⸗
ſeiteſchaffung i. S. des § 288 StB. (ſ. auch RGSt.
Bd. 32 S. 20, Bd. 38 S. 231). Allein der Vertrag iſt
mit der Wirkung vollzogen worden, daß die Befriedi⸗
gung des C. vereitelt wurde, da auf Grund des Ver⸗
trags die Pfändungsbenachrichtigung und die Pfän⸗
dung und Einziehung unberückſichtigt bleiben und S.
ſeinen vollen Gehalt empfängt. Der Pfändung ſind
nicht bloß beſtehende, ſondern auch in der Entſtehung
begriffene d. i. zukünftige Forderungen unterworfen,
wenn fie nur hinreichend beſtimmt find, ſonach ins⸗
beſondere künftige Gehaltsanſprüche; das ergibt ſich
aus 8 832 ZPO. und dem ſog. Lohnbeſchl. vom
25. Mars kür- Da Pfändungen nur in ein Vermögen ſtatt⸗
finden können, find die künftigen Gehaltsanſprüche des
S. aus ſeinem Dienſtverhältnis als Beſtandteile ſeines
Vermögens zu erachten (Binding, Deutſches Strafrecht
beſ. Teil 2. Aufl. Bd. I S. 419; RG. Z. Bd. 82 S. 227f.).
Unter Beiſeiteſchaffen von Vermögensbeſtandteilen i.
S. des 8 288 StGB. iſt jede Behandlung zu verſtehen,
die ſie dem Zugriff im Zwangsvollſtreckungs verfahren
entzieht, einerlei, was dabei aus den Beſtandteilen
wird (RGSt. Bd. 19 S. 25, Bd. 27 S. 213). „Nach
dieſem Begriffe des Beiſeiteſchaffens kommt es nicht
auf den Eintritt einer Rechtsänderung, ſondern nur
darauf an, daß tatſächlich der Zugriff des Gläubigers
dauernd oder zeitweiſe vereitelt wird. Beſteht der
beiſeite zu e Vermögensbeſtandteil des Schuld⸗
ners in einem Rechte, ſo iſt den zu dieſem Zwecke
vorgenommenen Rechtshandlungen keine andere Bes
deutung beizumeſſen als die, welche dem Verſtecken
einer körperlichen Sache beiwohnt; es genügt ſonach,
wenn durch die Handlung eine Verdunkelung der Rechts⸗
lage erzielt iſt, kraft welcher der Gläubiger das Forde⸗
rungsrecht ſeines Schuldners nicht erkennt oder zu der
ihm obliegenden Beweisführung nicht oder nur unter
erheblichen Schwierigkeiten imſtande iſt.“ (RGSt.
Bd. 35 S. 62, Bd. 38 S. 227 ff., Bd. 8 S. 50, Bd. 9
S. 231, Bd. 12 S. 129 ff.). Gleichgültig iſt, ob die
Beiſeiteſchaffung von Vermögensſtücken durch Schein⸗
verträge oder durch ernſtlich gemeinte Verträge er—
folgt, wenn nur die Veräußerung in der Abſicht er—
folgte, eine beſtimmte drohende Zwangsvollſtreckung
zu vereiteln (RG St. Bd. 7 S. 61). Gleichgültig iſt es
auch, ob dem Gläubiger die Geltendmachung ſeiner
Rechte auch nur zeitweiſe unmöglich gemacht oder
erſchwert wird (RGSt. Bd. 9 S. 231, Bd. 19 S. 25);
belanglos iſt ſerner, ob die den Gläubiger ſchädigende
Handlung des Schuldners nur zum Scheine vor—
genommen worden iſt, da ſie bis zum Nachweiſe der
Simulation dieſelbe wirtſchaftliche Wirkung hat wie die
ernſtlich gemeinte (RG St. Bd. 12 S. 129). — Darnach
ſind in dem erörterten Umfange die Tatbeſtandsmerk—
male des 5288 StGB. gegeben und die gegenteiligen Aus—
führungen des LG., auf denen die Freiſprechung beruht,
mit den Vorſchriften dieſer Geſetzesſtelle nicht in Ein⸗
klang zu bringen. Das Urteil war daher aufzuheben.
Bei der erneuten Prüfung der Frage, ob der Angekl. S.
Beſtandteile ſeines Vermögens veräußert habe, wird
ſich das LG. folgenden Erwägungen nicht verſchließen
können. Das Urteil in RG. Bd. 69 S. 60 könnte aller—
dings der Auffaſſung Raum geben, daß die fog. Fünf—
zehnhundertmark-Verträge ſchlechthin rechtsgültig ſind;
allein nach den Urteilen in IW. 1912 S. 689 Nr. 13 und
RZ. Bd. 81 S. 41 hat dieſe Aufſaſſung keine Berechti—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
gung mehr. Es iſt daſelbſt ausgeführt, daß die Rechts⸗
gültigkeit ſolcher Verträge von den Umſtänden des Einzel»
falls abhängt, daß insbeſondere zu prüfen iſt, ob ſie ernſt⸗
lich gemeint ſind, und ob ſie nicht gegen die guten Sitten
verſtoßen. Die Rechtsgültigkeit hängt nach der Auffaſſung
der 35. des RG. in erſter Linie davon ab, daß die Frau
mit ihrem Mann in häuslicher Gemeinſchaft lebt und das
ihr durch den Vertrag Zugewendete im Intereſſe ihrer
und ihres Mannes Familie zu deren Aufrechthaltung
und Fortdauer in einem beſcheidenen Umfange dem
Zwecke des Vertrags entſprechend zu verwenden hat.
Sind dieſe Vorausſetzungen nicht gegeben, ſo fehlen die
Vorausſetzungen für die Rechtsgültigkeit eines ſolchen
Vertrags. Wendet die Strafkammer dieſe Grundſätze auf
den der Entſcheidung unterſtehenden Fall an und kommt
je zu der Anſchauung, daß der Vertrag vom 31. Mai 1913
ie Eigenſchaften eines Scheinvertrags hat, ſo wird ſie
zu der viel umſtrittenen Auffaſſung des RG. von der
Rechtsgültigkeit der ſog. Fünfzehnhundertmarkverträge
an ſich nicht grundſätzlich Stellung zu nehmen brauchen.
Bei der Prüfung der Frage, ob die Vertragsbeteiligten,
insbeſondere S., ernſtlich gewollt haben, daß der der
Frau S. zugewendete Betrag von 3300 M ihr aus
eigenem Rechte zur freien Verfügung im Intereſſe der
Familie des S. zuſtehen ſoll, wird folgendes zu beachten
ſein. S. und ſeine Frau leben ſeit Jahren — offenſicht⸗
lich aus Verſchulden des erſteren — von einander ge⸗
trennt; die häusliche Gemeinſchaft der kinderloſen Ehe⸗
leute, der gemeinſame Hausſtand, iſt längſt aufgegeben:
die Ehe beſteht zwar noch rechtlich, aber tatſächlich nicht
mehr; eine Beziehung zwiſchen den Eheleuten iſt nur
noch inſoweit vorhanden, als S. ſeiner Frau einen
monatlichen Unterhaltsbeitrag von 150 M auf Grund
der SS 1360 und 1361 BGB. zu leiſten ſich verpflichten
hat. Der Angeklagte lebt ſeit Jahren mit ſeiner Ge⸗
liebten zuſammen, teilt mit ihr und den beiden mit ihr
erzeugten Kindern den Hausſtand und verwendet hierauf
den 250 M betragenden Reſt des Monatsgehalts. Dieſes
Zuſammenleben und Zuſammenwirtſchaften iſt einer
ehelichen Gemeinſchaft nicht gleich zu erachten; dagegen
ſträuben ſich die guten Sitten und die Geſetze, unter Um⸗
ſtänden die Strafbeſtimmung des Art. 50a P StG.
(Konkubinat). Schließt ſich das LG. dieſen Erwägungen
an, dann fehlen die Vorausſetzungen, die nach der An⸗
ſchauung des RG. vorhanden ſein müſſen, um den durch
den Vertrag verfolgten Zweck als durchgreifend, als
ſittlich und rechtlich erlaubt, erachten zu können. Der
Frau S. ſtehen die nach dem Vertrage vom 31. Mai 1913
ihr zugewendeten Beträge anſcheinend aus eigenem
Rechte zu; dadurch iſt formell dem vom RG. aufge⸗
ſtellten Erforderniſſe Rechnung getragen, daß die Be⸗
träge rechtlich zu ihrer freien Verfügung bezahlt werden
ſollen. Nun wird bei den geſchilderten tatſächlichen Be⸗
ziehungen zwiſchen den Eheleuten S. die Annahme aus⸗
geſchloſſen ſein, daß S. im Ernſte ſeiner Frau, die ihm
nur eine Laſt iſt, von feinem Jahresgehalte von 4500 M
den Betrag von jährlich 3300 M zur freien Verfügung
ſtellen wollte; von einer Verwendung dieſes Betrags
im Intereſſe der Familie S. kann keine Rede ſein, da
eine ſolche nicht vorhanden iſt; ebenſowenig kann eine
rechtliche oder ſittliche Verpflichtung der Frau S. in
Frage kommen, einen Teil des ihr zugewendeten Betrags
von 3300 M der Geliebten ihres Mannes und den im
Ehebruch erzeugten Kindern zukommen zu laſſen, da ihr
die vom Geſetz und den guten Sitten verpönte Zumutung
gemacht werden müßte, als Ehefrau das ehebrecheriſche
Leben ihres Mannes zu begünſtigen. Die Auffaſſung
des RG. und eines Teils der Verfechter dieſer Auffaſſung
(neueſtens LZ. Bd. 8 S. 1066 ff.) wird von dem Gedanken
getragen, daß der Dienſtverpflichtete nicht gezwungen
werden könne, ſeine Arbeitskraft den Forderungen ſeiner
Gläubiger zur Verfügung zu ſtellen, ihnen „feine Arbeit
zu opfern“ (S. 1073), daß er dagegen berechtigt iſt, feine
Arbeit unter Ausſchaltung ſeiner Gläubiger ſeiner Frau
zur Erhaltung des notdürftigen oder ſtandesgemaßen
ehelichen Haushalts zu opfern. Bei den tatſächlich be⸗
ſtehenden Verhältniſſen wird ſich das LG. die Frage
vorlegen müſſen, ob S. im Ernſte über den Lohn von
1500 M jährlich hinaus nur arbeitet, um die Arbeits⸗
mehrleiſtung von 3300 M feiner ihm läſtig gewordenen
Frau zuzuwenden. Tritt es dieſen Erwägungen bei, ſo
ſtehen in Wirklichkeit dem S. drei Gläubiger gegenüber:
ſeine Frau, der mit einem Vollſtreckungstitel verſehene,
die Vollſtreckung betreibende Kaufmann C. und die
gleichfalls mit einem Vollſtreckungstitel für ihre Unter⸗
halts forderungen ausgeſtatteten außerehelichen Kinder
und man wird demnach nicht ſagen können, daß die
Vereinbarungen vom 31. Mai 1913, insbeſondere die
A an die Frau S. ernſtlich gewollt ſind.
ommt das LG. zu dieſer Auffaſſung, ſo wird es zu
der rechtlich einwandfreien Feſtſtellung gelangen, daß
der Vertrag zwar ein der Auffaſſung des RG. entſprechen⸗
des rechtliches Gewand erhalten dat, in Wirklichkeit aber
das gewollte Rechtsgeſchäft d. i. die Zuwendung des
vollen Gehalts an S. zu deſſen freien Verfügung ver⸗
deckt. Das LG. wird aber auch zur weiteren Erforſchung
des wahren Inhalts des Vertrags das dieſem voraus⸗
gegangene Sonderabkommen berückſichtigen, worin Frau
S. ihren Mann ermächtigt, in ihrem Namen bei ſeinem
Arbeitgeber Geld in Empfang zu nehmen und darüber
zu quittieren. Darnach iſt die Frau S. nicht einmal
berechtigt, den ihr angeblich zugewieſenen Betrag in
Empfang zu nehmen, vielweniger „aus eigenem Rechte
darüber frei zu verfügen“; ſie iſt nur nach außen die
Empfangs⸗ und Verfügungsberechtigte; in Wahrheit
ſteht ihr nicht der geringſte Einfluß auf den Gehalts⸗
betrag von 3300 M zu, und mit ihrem monat⸗
lichen Unterhaltsbeitrag von 150 M iſt fie lediglich auf
die Bertragstreue ihres Mannes angewleſen. S. nimmt
trotz des Vertrags ſeinen vollen Monatsgehalt in Emp⸗
fang und verfügt hierüber geradeſo, wie zu der dem
Vertrage vorausgegangenen Zeit. Kommt das LG. zu
dieſer Feſtſtellung, ſo liegt die rechtliche Folgerung nahe,
daß durch den Vertrag eine Aenderung in den recht⸗
lichen und wirtſchaftlichen Beziehungen des S. zu der
Firma N. und ſeiner Frau nicht eingetreten, der Vertrag
nur zum Schein abgeſchloſſen worden iſt, und durch ihn
die Gehaltsanſprüche des S., auch ſoweit ſie den jähr⸗
lichen Betrag von 1500 M überſteigen, aus ſeinem Ver⸗
mögen nicht ausgeſchieden ſind. Dann aber erübrigt
ſich ein Eingehen auf die Frage, ob in ihnen ein Verſtoß
gegen die guten Sitten 15385 (Urteil vom 30. . 1914,
Rev.⸗Reg. Nr. el 4). Ed.
3444
Landgericht Memmingen.
Auſſchluß aus Akten an Ordinariate. Die Schweiter
eines Pfarrers, die im Pfarrhofe wohnte, gebar außer⸗
ehelich ein Mädchen. Das Ordinariat verlangte Ent⸗
fernung von Mutter und Kind aus dem Pfarrhofe, be⸗
ge ſich aber auf Bitten mit der Entfernung des
indes. Dieſes wurde weggebracht. Nach einiger Zeit
wurde aber das Ordinariat benachrichtigt, daß ſich ein
ungefähr gleichaltriges Mädchen im Pfarrhofe befinde.
Angeblich ſtammte es von einer anderen Schweſter
des Pfarrers. Bei der Ortspolizei war es nicht an⸗
gemeldet. Um unter Anwendung der Kirchenzucht den
farrer zur Entfernung des Kindes aus dem Pfarr—
ofe zu zwingen, erſuchte das Ordinariat das Vor-
mundſchaftsgericht um Auskunft über den Aufenthalt
des Mündels; dieſes weigerte ſich, urſprünglich unter
Berufung auf das Amtsgeheimnis, ſpäter deshalb, weil
kein berechtigtes Intereſſe des Ordinariates i. S. des
§ 34 FGG. gegeben ſei und das glaubhaft gemachte
berechtigte Intereſſe nach § 34 nicht zur Auskunft ver⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 19.
363
pflichte, auch das Intereſſe des Mündels zur Verweigerung
der Auskunft nötige. Das Ordinariat erhob Beſchwerde;
das Beſchwerdegericht erklärte ſich für unzuſtändig und
beſchloß, die Akten dem Landgerichtspräſidenten vor⸗
zulegen:
Aus den Gründen: 8 34 JGG. behandelt nur
die Akteneinſicht durch Privatperſonen, nicht aber die
Einſicht durch Behörden und Beamte im amtlichen
Intereſſe. Die Entſcheidung hängt alſo davon ab, ob
das Ordinariat Aufſchluß als Behörde und im amt⸗
lichen 0 begehrt. Dieſe Frage iſt zu bejahen.
Das Ordinariat iſt eine oberhirtliche Behörde zur Be⸗
handlung der Diözeſanangelegenheiten eines Bistums.
(Seydel, Bayer. Staatsrecht 1892, Bd. IV S. 233). Die
Gerichte haben die Rechtsſtellung eines Ordinariates
umſchrieben, wie folgt: „Ein Ordinariat iſt eine mit
allerhöchſter Genehmigung von den Biſchöfen zur Be⸗
handlung der Diözeſanangelegenheiten mit Ausſchluß
der Eheſtreitſachen konſtituierte Behörde“ (Bay. OGH.
Bd. III, 223 und Seuff Bl. Bd. 38 S. 88 ff.). Ferner:
„Ein Ordinariat iſt eine kirchliche Verwaltungsſtelle,
die ſich als Beraterin und Hilfsorgan des Biſchofs
mit Behandlung der Diözeſanangelegenheiten befaßt“
(Seuff Bl. Bd. 32 S. 280). Die „geiſtliche Oberbehörde“
iſt in der II. Verf Beil. vom Staate anerkannt (vgl.
88 23, 39, 59, 63, 68 uſw., Konkordat Art. II und III).
Diefe Anerkennung iſt in Geſetzen vielfach ausgedrückt,
zuletzt in der KG O. vom 24. September 1912 (GBl.
S. 911: 8$ 8u, 11, 1411, 15, 18u, 231: „kirchliche
Oberbehoͤrden“). Ein dienſtlicher Verkehr der Ordi⸗
nariate mit den Staatsbehörden (,Landesſtellen“) iſt
ausdrücklich anerkannt in der AllerhVO. vom 7. Mai
1826 (Reg Bl. 1826 S. 491 Ziff. 1 a. E.). Durch die
88 38, 39, 40 II. Verf Beil. iſt ein Aufſichts⸗ und Zucht⸗
recht der kirchlichen Oberen feſtgeſtellt. Die Biſchöfe
haben eine Dienſtſtrafgewalt über ihre Geiſtlichen
(Seydel a. a. O. S. 174 und 276, Konkordat Art. XII
Lit. d). An der Ausübung dieſer Dienſtſtrafgewalt
nimmt der Staat aus Gründen des allgemeinen Wohles
lebhaftes Intereſſe. Deshalb een er die kirch⸗
lichen Behörden (Seydel a. a. O. S. 246). Zur Auf⸗
rechthaltung der Kirchenzucht ſind die Strafverfolgungs⸗
behörden beauftragt, von Erhebung öffentlicher Klage
uſw. gegen Geiſtliche Mitteilung an die vorgeſetzte
geiſtliche Behörde zu machen. (JM Bl. 1910 S. 1001
Nr. II, dazu JM Bl. 1913 S. 695 Nr. 5).
Hier hat ſomit eine vom Staate anerkannte Be⸗
hörde im amtlichen Intereſſe um Aufſchluß gebeten.
Die Beſchwerde des Ordinariats iſt keine Beſchwerde
nach 88 19 ff. FGG. Auch keine Rechtshilfe — weder
im techniſchen noch im weiteſten Sinne des Begriffes
— kommt in Frage. Es handelt ſich vielmehr um
das Erſuchen einer Behörde an eine andere und um
die Beſchwerde einer Behörde über eine andere in einer
Ermeſſensfrage. Landesrechtliche n (Beie
oder Verordnung) fehlen. Art. 129 AG. BGB. und
Art. 7 AG. GVG. treffen nicht zu. Art. 3 AG. ZPO.
beſchränkt ſich auf die ſtreitige Gerichtsbarkeit. Die
analoge Anwendung des im 8 299 ZPO. enthaltenen
Grundſatzes, daß die Gewährung von Akteneinſicht
(alſo auch die Erteilung von Auskunft aus den Akten)
Sache des Gerichtsvorſtandes, alfo der Juſtizverwaltung
iſt, nötigt jedoch dazu, die Beſchwerde gegen Ver⸗
weigerung der Auskunft als eine Dienſtaufſichtsbe⸗
ſchwerde zu behandeln, zu deren Verbeſcheidung die
Beſchwerdekammer nicht zuſtändig iſt. (Beſchl. vom
20. April 1914, Beſchw.⸗Reg. 40/14). Mr.
3387
364
Vücheranzeigen.
Krieges:, Zivil- und Finanzgeſetze vom 4. Auguſt 1914.
Die außerordentlichen reichsgeſetzlichen Beſtimmungen
mit den amtlichen Begründungen, Bekanntmachungen
und Ausführungsbeſtimmungen und den angezogenen
Geſetzesſtellen. 116 Seiten. Berlin 1914, J. Gutten⸗
tag. Gebd. Mk. 1.50.
Die Ausgabe enthält die Geſetze und Verordnungen,
die der im Auguſt 1914 begonnene Krieg veranlaßt
hat. Rein militäriſche Geſetze ſind nicht aufgenommen.
Zur Erläuterung iſt die amtliche Begründung bei⸗
gegeben. Die Raſchheit, mit der die Guttentagſche
Verlagsbuchhandlung wieder auf dem Plan erſchienen
iſt, iſt anzuerkennen. Allerdings hat die Schnelligkeit
zur natürlichen Folge gehabt, daß die allerletzten Be⸗
kanntmachungen des Bundesrats und des preußiſchen
Miniſteriums nicht aufgenommen werden konnten.
Immerhin wird ſich der preußiſche Juriſt der Ausgabe
mit Vorteil bedienen.
München.
Die Kriegsuotgeſetze vom 4. Auguſt 1914. Textaus⸗
gabe. 52 Seiten. München 1914. C. H. Beck'ſche
Verlagsbuchhandlung. Kartonniert Mk. 1.—
Das Büchlein enthält außer den Geſetzen auch die
Bekanntmachungen, die der Bundesrat auf Grund des
Ermächtigungsgeſetzes bis zum 18. Auguſt ds. Js.
erlaſſen hat.
Clarus, br. Gerhard, Syndikus der Handelskammer
in Regensburg. Die Konkurs verbrechen nach
dem Gegenentwur fverglichen mit dem geltenden
Recht. 48 Seiten. München, Berlin und Leipzig 1914,
J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier). 1.20
Eine ſachkundige, in der Hauptſache zuſtimmende
Beſprechung der (im Anhang abgedruckten) in den Vor⸗
entwurf leider nicht aufgenommenen konkursrechtlichen
Strafbeſtimmungen des Gegenentwurfs. Dr.
Rechtsanwalt Dr. Rudolf Waſſermann.
Geſetzgebung und Verwaltung.
In dem bayer. Geſetz über den Kriegszuſtand vom
5. Nov. 1912 find durch den § 17 RG. gegen den Ber:
rat militäriſcher Geheimniſſe vom 3. Juni 1914 die in
Art. 4 Nr. 3 und Art. 6 Nr. 6 angefuhrten Vorſchriften
der 88 1—5 des gleichnamigen Geſetzes vom 3. Juli
1893 durch die entſprechenden Vorſchriften der 88 1—5
des neuen Geſetzes erſetzt worden. In den §8 6, 7 und 10
enthält das Geſetz von 3. Juni 1914 neue Strafbe—
ſtimmungen für Handlungen, zu deren Aburteilung
der Natur der Sache nach die ſtandrechtlichen Gerichte
berufen find. Das bayeriſche Geſetz vom 6. Auguſt
d. Js. betr. die Aenderung des Geſetzes über den Kriegs-
zuſtand (GVBl. S. 349) dehnt die Zuſtändigkeit der
ſtandrechtlichen Gerichte entſprechend aus und ſtellt
außerdem die Verweiſungen auf das Geſetz gegen den
Verrat militäriſcher Geheimniſſe durch Anführung des
neuen Geſetzes richtig.
Die der Landesgeſetzgebung vorbehaltenen Frage,
wer die Dienſtauſſicht uber die Gewerbe: und die Kauf⸗
maunsgerichte zu fuhren hat — wir zählten in Bayern
Ende des vorigen Jahres 72 Gewerbe- und 30 Kauf—
mannsgerichte — war bisher in Bayern geſetzlich nicht
geregelt. Das Geſetz vom 11. Auguſt 1914 (GBl.
S. 369) hat nun in Art. 1 beſtimmt, daß die Dienftaufs
ſicht von den Landgerichten nach den Anordnungen des
Juſtizminiſteriums geführt wird. Wie gegenuber den
Beelen für neger in Bayern. 1914. Br. 10
— ——— —
—— — —ͤ— — ——— ᷣ ł ä ͤ .6b— —
Amtsgerichten, ſo werden die Landgerichte nun auch
gegenüber den Gewerbe⸗ und den Kaufmannsgerichten
die ordnungsmäßige Ausführung der Geſchäfte über⸗
wachen (AG. GVG. Art. 71 Abſ. 1 Halbſ. 1), und Be:
chwerden der Beteiligten gegen dieſe Gerichte und deren
itglieder wegen Verzögerung oder Verweigerung der
Rechtspflege können bei den Landgerichten angebracht
werden (Art. 73 Abſ. 1, 2 a. a. O.). Die Grenzen, die zur
Wahrung der Unabhängigkeit der Rechtspflege der
Juſtizverwaltung bei ihrer Dienſtaufſicht gegenüber
den ordentlichen Gerichten gezogen ſind, beſtehen ſelbſt⸗
verſtändlich auch gegenüber den Gewerbe⸗ und den
Kaufmannsgerichten. Auch haben die Landgerichte
gegen die Mitglieder dieſer Gerichte und deren Kanzlei⸗
perſonal keine Ordnungsſtrafgewalt. Soweit nicht die
Vorſchriften der 88 21, 23 G6. und der 8 15 KG.
über die Amtsentſetzung der Mitglieder und über die
Beſchwerde wegen Ordnungsſtrafen gegen Beiſitzer Platz
greifen, beſtimmt ſich das Disziplinarrecht nach den für
den Beamten geltenden allgemeinen Dienſtvorſchriften:
für Gemeindebeamte iſt alſo das Gemeindebeamtenrecht
maßgebend. Nicht berüht werden durch das Geſetz die
Zuſtändigkeiten, die das GGG. und das KGG. der
„Landeszentralbehörde“ und den „höheren Verwal⸗
tungsbehörden“ (Staatsminiſterium des K. Hauſes und
des Aeußern, Kreisregierungen, K. des J.,) überträgt.
Die Innungen und die Innungsſchiedsgerichte (8 84
GGG.) üben keine ſelbſtändige Gerichtsbarkeit aus,
ſondern entſcheiden nur vorbehaltlich des Rechtswegs
(GewO. 88 81 a Nr. 4, 81b Nr. 4, 91—91 b); fie ſtehen
alſo den ordentlichen Gerichten nicht gleich und ſind der
Dienſtaufſicht der Landgerichte nicht unterſtellt. — Die
Errichtung von Gewerbe- und Kaufmannsgerichten zu
erleichtern iſt der Zweck des Art. 2 des Geſ., wonach
mit Zuſtimmung der Juſtizverwaltung ſolche Gerichte
an Amtsgerichte angegliedert werden können. Die
Gerichte werden auch in dieſem Fall als ſelbſtändige
Sondergerichte errichtet; es wird jedoch von der We:
meinde ein Richter des AG. als Vorſitzender beſtellt
und im Statut beſtimmt, daß die Gerichtsſchreiberge⸗
ſchäfte von der Gerichtsſchreiberei des Amtsgerichts de⸗
ſorgt werden und das Gericht in den Räumen des
Amtsgerichts amtiert. Der Satz 2 des Art. 2 verpflichtet
die Richter des Amtsgerichts ſich von den Gemeinden
(GGG. 8 12 Abſ. 2, KGG. 8 11 Abſ. 2) als Vorſitzende
beſtellen zu laſſen; für die nichtrichterlichen Beamten
des Amtsgerichts ergibt ſich die Möglichkeit, ſie mit
dem Gerichtsſchreiber-, Zuſtellungs- und Vollſtreckungs⸗
dienſt des Gewerbe- oder Kaufmannsgerichts zu beauf—
tragen, aus 819 BeamtG. Die Einnahmen des Gewerbe—
oder Kaufmannsgerichts gebühren auch im Falle der
Angliederung an das Amtsgericht der Gemeinde (89
Abſ. 2 GGG., 8 8 Abſ. 3 KG.); Staat und Gemeinde
werden ſich darüber zu einigen haben, wieweit dieſe
zu den durch die Angliederung dem Staat entſtehenden
Koſten beizutragen hat.
Eine Neuerung auf dem Gebiete der Gerichtsver⸗
faſſung hat auch das bayer. Geſetz vom 21. Auguſt 1914,
betr. die Abänderung des AG. G86., gebracht (GBl.
S. 415): es entlaſtet durch einen Zuſatz zu Art. 35 die
Schwurgerichte von einem Teile der Sachen, die nach
dem Wortlaut, aber nicht nach dem Zwecke des Art. 35
bisher als Preßdelikte zu ihrer Zuſtandigkeit gehörten,
nämlich von den Anklagen wegen der durch die Preſſe
begangenen Vergehen nach dem Gef. gegen den un
lauteren Wettbewerb und dem Geſ. zum Schutze der
Warenbezeichnungen.
3446
Verantwortl. Herausgeber i. V.: E. Eckert, Land⸗
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von 5 Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
Ar. 20 u. 21.
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Regierungsrat im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtig.
München, den 1. November 1914.
Zeilſchrift für Rechtapflege
in Bayern
10. Jahrg.
Verlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Seller)
Münden, Berlin u. Keipjig.
(Seufferts Blatter für Rechtsanwendung 8d. 79.)
Die W erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /.
in en e von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich (:
8.—. e ger übernimmt jede Buchhandlung und \I-
— Poſtanſtalt.
Nachdrucke verboten.
Die Novelle zum Handelsgeſetzbuche.
Von Landgerichtsrat A. Bedall in München.
Am 1. Januar 1915 tritt das * vom
10. Juni 1914 betr. die Aenderung der 88 74,
75, 76 Abſ. 1 des Handelsgeſetzbuchs in Kraft
(RG Bl. Nr. 35/1914). Das Geſetz bringt eine
Reihe neuer Beſtimmungen, die ſich auf die Kon⸗
kurrenzklauſel der Handlungsgehilfen oder, wie ſich
das neue Geſetz deutſch ausdrückt, auf das „Wett⸗
bewerbverbot“ beziehen. Die Beſtimmungen ſind
beſchränkt auf die Handlungsgehilfen, teilweiſe
finden ſie auf Handlungslehrlinge und Volontäre
Anwendung.
Handlungsgehilfe iſt nach 8 59 HGB., wer in
einem Handelsgewerbe zur Leiſtung kaufmänniſcher
Dienſte gegen Entgelt angeſtellt iſt; bezüglich der
näheren Definition und Unterſcheidung des Hand⸗
lungsgehilfen von den übrigen Gehilfen eines Kauf⸗
manns iſt zu vergleichen Staub, Komm. z. HGB.
8 59 Anm. 7 ff. Auf andere Perſonen, Pro:
kuriſten, Handlungsagenten, Handlungsreiſe nde
(3 55 HGB.) ꝛc. finden die Beſtimmungen wie
bisher keine Anwendung.
I. Bisheriges Recht.
1. Das Allgemeine Deutſche Handelsgeſetzbuch
enthielt beſondere Beſtimmungen über ein Wett⸗
bewerbverbot nach Beendigung des Dienſtverhält⸗
niſſes nicht. Art. 59 beſagte nur: „Ein Hand:
lungsgehilfe darf ohne Einwilligung des Prinzi⸗
pals weder für eigene Rechnung noch für Rech⸗
nung eines Dritten Handelsgeſchäfte machen. In
dieſer Beziehung kommen die für den Prokuriſten
und Handlungs bevollmächtigten geltenden Beſtim⸗
mungen (Art. 56) zur Anwendung. Dieſe Be:
ſtimmungen bezogen ſich nur auf die Dauer des
Dienſtverhältniſſes. Doch wurden damals auch
ſchon Verträge zwiſchen einem Handlungsbevoll—
Leitung und a München, Ottoſtraße 1a,
« || Anzeigengebübr 30 P für die halbgeſpaltene Petitzeile
/oder deren Raum. Ben lederbolungen e Stellen»
% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
— . ' .. b' —— . — Er |
365
mächtigten und Prinzipal geſchloſſen, inhaltlich
deren erſterer nach Beendigung des Dienſtverhält⸗
niſſes eine gewiſſe Friſt hindurch in einem be⸗
ſtimmten Bezirk ein Konkurrenzgeſchäft bei hoher
Vertragsſtraſe weder gründen, noch ih an
einem ſolchen beteiligen durfte; dieſe Verträge
waren zuläſſig, vorausgeſetzt, daß durch die Höhe
der Strafe, die allzulange Dauer der Friſt und
die allzu weite Bezirksbeſtimmung nicht das Maß
guter Sitten überſchritten wurde. Solche Ver⸗
träge konnten in Anwendung der Schlußbeſtim⸗
mung des Art. 59 auch mit Handlungsgehilfen
geſchloſſen werden (vgl. Gareis⸗Fuchsberger, Allg.
Deutſches HGB. Art. 56 und 59 Anm. 97).
2. Das Handelsgeſetzbuch vom 10. Mai 1897
hat in 88 74 und 75 die Vereinbarungen zwiſchen
Prinzipal und Handlungsgehilfen über Beſchrän⸗
kungen der gewerblichen Tätigkeit des letzteren
für die Zeit nach der Beendigung des Dienſt⸗
verhältniſſes näher geregelt; Anlaß zu dieſer Re⸗
gelung gab die Tatſache, daß mit den Konkurrenz⸗
klauſeln bedeutender Mißbrauch getrieben und den
Gehilfen vielfach das fernere Fortkommen weit
über das berechtigte Intereſſe des Prinzipals hinaus
erſchwert wurde. § 74 erklärt ſolche Verein⸗
barungen für den Handlungsgehilfen nur inſoweit
bindend, als die Beſchränkung nach Zeit, Ort
und Gegenſtand nicht die Grenzen überſchreitet,
durch welche eine unbillige Erſchwerung des Fort⸗
kommens des Handlungsgehilfen ausgeſchloſſen wird,
und die Beſchränkung darf ſich nur auf einen Zeit⸗
raum bis zu drei Jahren von Beendigung des
Dienſtverhältniſſes an beziehen. Während das
frühere Recht nur darauf Rückſicht nahm, daß
das Maß der guten Sitten nicht überſchritten
wurde, liegt hier der Hauptton auf dem Ausſchluß
der unbilligen Erſchwerung des Fortkommens des
Handlungsgehilfen. Wann hier die Grenzen der
Billigkeit überſchritten werden, kann nur im Einzel⸗
falle gejagt werden. Die geſchäftlichen Verhält⸗
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
— — —— — — —— —— —— — —— —— — . — ——— — — — — EBERLE
— . ů— —— ———.— K— —— ————— —3d! — —
niſſe des Prinzipals einerſeits, auch ſein berech⸗
tigtes Intereſſe nach der Beſonderheit des Betriebes,
die Verhältniſſe des Gehilfen andererſeits, auch
ſeine Gehaltsbezüge und ſonſtigen Vermögensverhält⸗
niſſe können dabei maßgebend ſein, ebenſo die
Erwägung, ob ſich der Gehilfe unſchwer auf
anderen Gebieten betätigen kann. Durch die Ein⸗
ſchraͤnkung, daß die Vereinbarungen nur inſoweit
verbindlich ſind, als die Grenzen der Billigkeit
nicht überſchritten ſind, iſt geſagt, daß die Ver⸗
einbarungen nur hinſichtlich des Uebermaßes un⸗
verbindlich ſind, daß alſo der Richter das Verbot
inhaltlich ermäßigen, ſeine Grenzen ſo feſtſetzen
muß, daß der Billigkeit entſprochen iſt; hiebei ſind
auch wieder die beiderſeitigen Verhältniſſe zu berück⸗
fihtigen; die Einſchränkung kann hinſichtlich des
Geſchäftszweigs. der Zeitdauer, der Beſchäftigungsart
und der räumlichen Geltung erfolgen. Unter Um⸗
ſtänden kann natürlich auch die ganze Konkurrenz⸗
klauſel für ungültig erklärt werden, wenn auf
anderem Wege eine unbillige Erſchwerung des
Fortkommens des Gehilfen nicht zu beſeitigen iſt
oder wenn die Vereinbarung der Konkurrenzklauſel
überhaupt gegen die guten Sitten verſtößt; unzu⸗
läſſig iſt auch die Beſchränkung, wenn der Prin⸗
zipal kein begründetes Intereſſe an der Kon⸗
kurrenzklauſel hat, denn es iſt unbillig, daß der
Prinzipal die Erwerbsfreiheit des Gehilfen weiter
beſchränkt, als dies in ſeinem Intereſſe nötig iſt.
Nach Abſ. 3 des 8 74 iſt die Vereinbarung
nichtig, wenn der Handlungsgehilfe zur Zeit des
Abſchluſſes minderjährig iſt, und zwar unter allen
Umſtänden, auch wenn der geſetzliche Vertreter ſie
mitabſchließt oder genehmigt; ſie wird nur gültig,
wenn der Handlungsgehilfe nach erlangter Voll⸗
jährigfeit fie genehmigt.
8 75 beſtimmt dann die Fälle der Vertrags⸗
beendigung, für welche die Konkurrenzklauſel nicht
gilt, und die Folgen der Uebertretung des Ver⸗
at im Falle der Vereinbarung einer Vertrags⸗
rafe.
Die Konkurrenzklauſel gilt grundſätzlich für alle
Falle der Vertragsbeendigung, alſo insbeſondere,
wenn die vereinbarte Zeit abläuft oder der Ver⸗
trag durch beiderſeitige Vereinbarung vorzeitig
aufgelöſt oder vom Gehilfen gekündigt wird; in
zwei Ausnahmen ſoll aber die Konkurrenzklauſel
nicht gelten: wenn nämlich der Prinzipal durch
vertragswidriges Verhalten dem Handlungsgehilfen
Grund gibt, das Dienſtverhältnis gemäß den Vor⸗
ſchriften der SS 70 und 71 ohne Einhaltung einer
Kündigungsfriſt aufzulöſen, und wenn der Prin—
zipal kündigt. Im erſten Falle genügt nicht, daß
zur Auflöſung des Dienſtverhältniſſes ein wichtiger
Grund vorliegt, ſondern der Handlungsgehilfe muß
einſeitig wegen vertragswidrigen Ver—
haltens des Prinzipals das Dienſtverhältnis
aufheben; unter vertragswidrigem Verhalten iſt
ſchuldhafte Pflichtverletzung zu verſtehen, nicht bloß
objektive Vertragswidrigkeit, welch letztere nur
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zur ſofortigen Kündigung berechtigt (Staub 8 70
Anm. 18). Von dem zweiten Ausnahmefall, wonach
bei Kündigung durch den Prinzipal die Konkurrenz⸗
klauſel nicht gilt, ſind wieder Ausnahmen zugelaſſen:
wenn ein erheblicher, von dem Prinzipal ſelbſt nicht
verſchuldeter Anlaß für die Kündigung vorliegt,
wobei nicht ein Verſchulden des Gehilfen voraus⸗
geſetzt wird, ſondern auch vernünftige, kaufmänniſche
Erwägung die Kündigung des Dienſtvertrages ver⸗
anlaſſen kann, und ferner, wenn der Prinzipal
dem Handlungsgehilfen während der Dauer der
Beſchränkung das zuletzt von ihm bezogene Gehalt
fortzahlt; der Prinzipal, der ohne erheblichen Anlaß
kündigt, kann ſich die Geltung der Konkurrenz⸗
klauſel dadurch erkaufen.
8 75 enthält dann die weiteren Beſtimmungen,
daß der Prinzipal nur die verwirkte Strafe ver⸗
langen kann, wenn vom Handlungsgehilfen für
den Fall der Nichterfüllung der in der Verein⸗
barung übernommenen Verpflichtung eine Strafe ver⸗
ſprochen iſt; Anſpruch auf Erfüllung oder Erſatz eines
weiteren Schadens iſt ausgeſchloſſen; eine unver:
hältnismäßig hohe Vertragsſtrafe kann nach den
Vorſchriften des Bürgerlichen Geſetzbuchs herab⸗
geſetzt werden.
Vereinbarungen, welche den Vorſchriften des
8 75 zuwiderlaufen, find für nichtig erklärt.
Nach 8 76 Abſ. 1 finden dieſe Beſtimmungen
auch auf den Handlungslehrling Anwendung, d. i.
ein in einem Handelsgewerbe zum Zwecke der kauf⸗
männiſchen Ausbildung und zur Leiſtung der er:
lernten Dienſte durch Vertrag Angeſtellter. Ver⸗
tragliche Konkurrenzklauſeln mit den Handlungs⸗
lehrlingen für die Zeit nach Beendigung des Dienſt⸗
verhältniſſes werden meiſt ungültig ſein, weil der
Handlungslehrling gewöhnlich minderjährig iſt und
daher jede Vereinbarung, auch die mit dem geſetz⸗
lichen Vertreter nichtig iſt; es müßte denn der
Handlungslehrling als ſolcher noch volljährig wer⸗
den und die Vereinbarung genehmigen.
(Vgl. Staub, Anm. zu 88 74, 75, 76).
II. Das neue Recht.
Die bisherigen Beſtimmungen des Handels-
geſetzbuchs ſind zwar nicht ohne günſtige Wirkung
geblieben, haben aber die Kaufleute doch nicht von
umfaſſenden und drückenden Konkurrenzbeſchrän⸗
kungen abzuhalten vermocht; die Konkurrenzklauſel
dient tatſächlich nicht nur als Schutz gegen eine
unlautere Verwertung von Kenntniſſen und Be⸗
ziehungen, die ſich der Gehilfe in dem Betriebe
des Prinzipals erworben hat, ſondern ihr eigent⸗
licher Zweck iſt vielfach nur der, dem Konkur⸗
renten die Möglichkeit zu nehmen, gut ausgebildete
Hilfskräfte für ſein Geſchäft zu finden; dadurch
wird ſie zu einer Beſchränkung und Unterdrückung
des freien Wettbewerbs überhaupt benützt und übt
einen Druck auf die Gehaltsverhältniſſe aus. Die
berechtigte Abſicht der Kaufleute, ſich gegen die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
— ——— öů4— ——LljH.ͤ ̃ UQä3ßäßö«;ÜX¶ꝑͤĩPZ 2323233
— —ñññ᷑᷑ — m ! u . ꝛ b —
Konkurrenz zu ſchützen, wird von dieſen auf Koſten
der Gehilfen verfolgt. Daher wird ſchon ſeit
mehreren Jahren eine Aenderung dieſer Vorſchriften
in den Kreiſen der Gehilfen dringend befürwortet,
zumal der Handlungsgehilfe, der nach ſeiner Mei⸗
nung einen wenigſtens teilweiſe unverbindlichen
Vertrag eingegangen hat, bei Antritt einer neuen
Stelle oder im Falle der Abſicht der Selbſtändig⸗
machung vor die Notwendigkeit geſtellt iſt, ent⸗
weder erſt durch Richterſpruch feſtſtellen zu laſſen,
ob und inwieweit ſein bisheriger Vertrag unver⸗
bindlich iſt, oder die Gefahr auf ſich zu nehmen,
das Wettbewerbverbot zu übertreten und hernach
eventuell die vielleicht hohe Vertragsſtrafe zu zahlen.
Die Verbände der Handlungsgehilfen hatten
beantragt, die Konkurrenzklauſel ganz zu verbieten;
bei der Beratung des Geſetzentwurfes wurde dieſer
Antrag vielfach befürwortet; es kann hier auf die
Gründe, die für und gegen die Aufhebung gel⸗
tend gemacht worden ſind, nicht weiter eingegangen
werden, die verbündeten Regierungen haben ein
Verbot der Konkurrenzklauſel glatt abgelehnt, und
es find gewiß eine Reihe von Umſtänden vor⸗
handen, die für Erhaltung der Konkurrenzklauſel
auch bei den Handlungsgehilfen ſprechen können;
das Geſetz hat aber die Fälle der Konkurrenz⸗
klauſel im allgemeinen erheblich eingeſchränkt; es
ſoll ein Konkurrenzverbot nur dann vereinbart
werden, wenn ein wirklich erhebliches und ſchutz⸗
bedürftiges Intereſſe dafür vorliegt; damit aber
der Prinzipal dieſes Intereſſe nicht einſeitig be⸗
haupten und beſtimmen kann, wird ihm ein Opfer
auferlegt, das er für die dem Gehilfen auferlegte
Beſchränkung zu bringen hat, und nach dieſem
Opfer muß er bemeſſen, ob ſein Intereſſe an dem
Konkurrenzverbot ſo groß iſt, daß es die Beſchrän⸗
kung des Gehilfen rechtfertigt. Es iſt dies der
Grundſatz der bezahlten Karenz; der Prinzipal hat
dem Gehilfen für die ihm durch die Konkurrenz⸗
klauſel auferlegten Beſchränkungen eine beſondere
Entihädigung während der Dauer der Beſchrän⸗
kungen zu gewähren.
Art. I 8 74.
Für die bisherigen Verträge mit dem Hand⸗
lungsgehilfen war eine Form nicht vorgeſchrieben
worden, ſie konnten mündlich geſchloſſen werden,
es konnte der Vertrag in einem Exemplar aus:
gefertigt werden, das der Prinzipal zu ſich nahm;
vielfach war die Konkurrenzklauſel in Vertrags-
formularen enthalten, wurde daſelbſt mechaniſch
ausgefüllt und ohne beſondere Ueberlegung unter⸗
ſchrieben. Da es aber für den Handlungsgehilfen
von Wichtigkeit iſt, über den Inhalt einer ihn
bindenden Konkurrenzvereinbarung genau unter⸗
richtet zu fein, beſtimmt das neue Geſetz (§ 74 J),
daß eine ſolche Vereinbarung der ſchriftlichen Form
bedarf und dem Gehilfen in einer vom Prinzipal
unterzeichneten, die vereinbarten Beſtimmungen ent:
haltenden Urkunde ausgehändigt werden muß. Da
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die Vereinbarung von der Schriftform und der Aus⸗
händigung der Urkunde abhängig iſt, ergibt ſich,
daß eine nur mündliche Vereinbarung ſo lange
ungültig iſt, als nicht dieſen beiden Erforderniſſen
Genüge geſchieht; für den Prinzipal ergibt ſich
dadurch die Notwendigkeit, daß ſofort mit dem
Abſchluſſe des Anſtellungsvertrages auch dieſe Ver⸗
einbarung ſchriftlich niedergelegt und die Urkunde
dem Gehilfen ausgehändigt wird, da bei Ver⸗
zögerung, namentlich bis nach Antritt der Stelle
der Gehilfe die Unterzeichnung ablehnen könnte,
ohne daß dadurch der Anſtellungsvertrag ſelbſt
ungültig würde; denn nur die Konkurrenzverein⸗
barung bedarf der Schriftform und der Aushändi-
gung der Urkunde. Das Geſetz ſpricht nur von Ver⸗
einbarungen zwiſchen Prinzipal und Handlungs⸗
gehilfen, etwaige gültige Nebenverträ ge, die mit
anderen Perſonen, dem Vater u. dgl. abgeſchloſſen
werden, wie eine ſelbſtſchuldneriſche Bürgſchaft,
werden durch das Geſetz nicht berührt.
Abſatz II des 8 74 enthält dann den Grund:
ſatz der bezahlten Karenz: Der Prinzipal muß
ſich verpflichten, für die Dauer des Verbots eine
Entſchädigung zu zahlen, die für jedes Jahr des
Verbots mindeſtens die Hälfte der von dem Hand⸗
lungsgehilfen zuletzt bezogenen vertragsmäßigen
Leiſtungen erreicht; ohne dieſe Verpflichtung des
Prinzipals iſt das Wettbewerbverbot nicht ver⸗
bindlich. N
5 74a und b.
Das bisherige Geſetz hat Wettbewerbverbote
inſoweit zugelaſſen, als eine unbillige Er⸗
ſchwerung des Fortkommens des Gehilfen ausge⸗
ſchloſſen iſt; dieſer Grundſatz iſt im weſentlichen
auch jetzt beibehalten, er iſt in Einklang geſtellt
mit dem Grundſatze der bezahlten Karenz; das
Wettbewerbverbot iſt unverbindlich, ſoweit es unter
Berückſichtigung der gewährten Entſchädigung nach
Ort, Zeit oder Gegenſtand eine unbillige Er⸗
ſchwerung des Fortkommens des Gehilfen enthält.
Die Einſchränkung kann alſo, wie bisher, hinſicht⸗
lich des Geſchäftszweiges, der Zeitdauer, der Be⸗
ſchäftigungsart und der räumlichen Geltung er:
folgen; bei der Frage, ob ſolche Einſchränkungen
unter Berückſichtigung der beiderſeitigen Verhält⸗
niſſe billig oder unbillig ſind, inwieweit dabei die
Grenzen der Billigkeit überſchritten ſind und in⸗
wieweit der Richter das Verbot inhaltlich er⸗
mäßigen kann, iſt aber auch Rückſicht zu nehmen
auf die von dem Prinzipal zu gewährende Ent⸗
ſchädigung; gerade dieſe Entſchädigung kann ein
Verbot weniger unbillig erſcheinen laſſen, weil der
Nachteil, den der Gehilfe durch das Verbot er:
leidet, durch die Entſchädigung wieder aufgehoben
werden kann.
Bemerkenswert iſt, daß bisher zur Unverbind⸗
lichkeit des Wettbewerbverbots erforderlich war,
daß eine übermäßige Beſchränkung nach Zeit, Ort
und Gegenſtand vorlag; das neue Geſetz ſpricht
von der unbilligen Erſchwerung des Fortkommens
368
— ͤ—
des Gehilfen nach Ort, Zeit oder Gegenſtand;
es ſoll damit jeder einzelne dieſer drei Umſtände
für die Einſchränkung einer hierin überſpannten Kon⸗
kurrenzklauſel ausreichen, natürlich unter Berück⸗
ſichtigung der gewährten Entſchädigung.
Das Geſetz geht aber weiter; der eben aus⸗
geführte Grundſatz iſt an zweite Stelle gerückt,
an erſter Stelle kommt das zum Ausdruck, was
bisher nur auslegungsweiſe als unzuläſſige Be⸗
ſchränkung angenommen wurde, wenn nämlich der
Prinzipal kein begründetes Intereſſe an der Kon⸗
kurrenzklauſel hat; das neue Geſetz ſagt, daß das
Wettbewerbverbot inſoweit unverbindlich iſt, als
es nicht zum Schutze eines berechtigten geſchäſt⸗
lichen Intereſſes des Prinzipals dient — $ 74 a
Abſ. 1. Mit dieſer Faſſung ſollten die Fälle ohne
ſchutzbedürftige Intereſſen ausgeſchieden werden;
fie iſt das Kompromiß einer Reihe von Anträgen,
die bei der Beratung in der Kommiſſion geſtellt
wurden; man wollte einerſeits nur gelten laſſen
den Schutz wirklicher Geſchäfts⸗ und Betriebsgeheim⸗
niſſe, den Schutz vor Verwertung dieſer und ſonſtiger
wirtſchaftlicher Werte, die zum wohlerworbenen
Beſitzſtande gerade dieſes Geſchäftes gehören, ein
beſonderes berechtigtes Intereſſe an der Verhinderung
gerade der ſtreitigen Konkurrenztätigkeit, anderer⸗
ſeits glaubte man ein wichtiges geſchäftliches In⸗
tereſſe nur dann als vorliegend anſehen zu ſollen,
wenn ſich der Handlungsgehilfe in der Stellung
eines Geſchäftsführers, Betriebsleiters befindet, der
Einblick in die Betriebs⸗ und Geſchäftsgeheimniſſe
hat, oder wenn er ein Gehalt von entſprechender
Höhe bezieht, ſo daß hieraus die Vertrauensſtellung
gefolgert werden kann. Nun muß aber geſagt
werden, daß ſich eine genaue Faſſung, die für
jeden Einzelfall paßt, ſchwer finden läßt; über die
Zuläſſigkeit des Verbots läßt ſich meiſt erſt in
concreto entſcheiden, wenn die Vereinbarung durch
den Austritt aus der Stellung praktiſch geworden
iſt; es kann ſein, daß beim Anſtellungsvertrag
eine Vertrauensſtellung mit Einblick in die
Geſchäfts⸗ und Betriebsverhältniſſe geplant war,
daß aber aus irgendwelchen Gründen dann eine
anderweitige Verwendung ſtattfand, ſo daß erſt
beim Austritt ſich zeigt, ob aus der Tätigkeit
des Gehilfen in dem Geſchäftsbetriebe ſich ein
Wettbewerbverbot rechtfertigt. Aus dieſem Grunde
iſt jedenfalls die allgemeine Faſſung zu billigen.
Bei der Feſtſtellung, ob ein berechtigtes geſchäft⸗
liches Intereſſe des Prinzipals vorliegt, wird zu
erwägen ſein, ob der Handlungsgehilfe in der ihm
verbotenen Konkurrenztätigkeit Geſchäfts- und Be:
triebsgeheimniſſe oder ſonſtige wirtſchaftliche Werte
dieſes beſonderen Geſchäſtes verwerten kann, und inwie⸗
weit nach Zeit, Ort oder Gegenſtand die Geſchäfts—
geheimniſſe des Prinzipals verletzt werden können
und ein beſonderer Schutz deshalb gerechtfertigt iſt.
Ein Antrag hatte vorgeſehen, der Prinzipal
ſollte ſein beſonderes berechtigtes Intereſſe an der
Verhinderung gerade der ſtreitigen Konkurrenz—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
tätigkeit nachweiſen; dieſer Wortlaut bringt die
Beweisfrage ins Rollen; nach der Faſſung des
Geſetzes iſt kein Zweifel, daß der Gehilfe, der die
ganze oder teilweiſe Unverbindlichkeit des Verbots
geltend machen will, behaupten und auch mit
Beweis vertreten muß, daß ein zu ſchützendes,
berechtigtes, geſchäftliches Intereſſe des Prinzipals
nicht vorliegt; er muß dartun, wie ſeine Stellung
war, was er zu arbeiten hatte, inwieweit er Ein⸗
blick in das Geſchäft und den Betrieb bekam;
dem Prinzipal ſteht dann der Gegenbeweis zu.
Der Prinzipal wird allerdings dadurch genötigt,
vor Gericht ſeinen Geſchäſtsbetrieb zu offenbaren,
wenn er das Wettbewerbverbot rechtfertigen will;
denn der Handlungsgehilfe, der durch Klage oder
Einrede die Unverbindlichkeit des Wettbewerb⸗
verbots behauptet, wird das Vorhandenſein eines
berechtigten geſchäftlichen Intereſſes des Prinzipals
ableugnen und darzutun verſuchen, daß bei ihm
von einer Vertrauensſtellung und von Einblick in
beſondere Geſchäfts⸗ und Betriebsgeheimniſſe nicht
die Rede war; demgegenüber bleibt dem Prinzipal
nichts übrig, als ſeinen Geſchäftsbetrieb und ſeine
Geheimniſſe zu offenbaren, um zu rechtfertigen, daß
ſein geſchäftliches Intereſſe eines beſonderen Schutzes
bedarf. Man muß bier aber erwägen, daß der:
artige Offenbarungen auch in anderen Prozeſſen
vorkommen, daß auch bisher der Prinzipal ſein
begründetes Intereſſe an der Konkurrenzklauſel nach⸗
zuweilen hatte und daß auch in anderen Fällen,
wenn die Herabſetzung einer unverhältnismäßig
hohen Vertragsſtrafe nach 8 343 BGB. in Frage
ſteht, der Gläubiger zum Nachweiſe ſeines berechtigten
Intereſſes genötigt werden kann, weil der Schuldner
nur die unverhältnismäßige Höhe zu beweiſen hat.
Das Beſtreben des Geſetzes geht eben dahin, die
Konkurrenzklauſel nach Möglichkeit einzuſchränken
und durch ſie nur wirklich ſchutzberechtigte Intereſſen
zu ſchützen.
Die zeitliche Beſchraͤnkung des Verbots, die
bisher auf drei Jahre von der Beendigung des
Dienſtverhältniſſes an feſtgeſetzt war, iſt im neuen
Geſetze auf zwei Jahre beſtimmt — 8 74 a Abſ. 1.
Infolgedeſſen wird wohl die bereits beſprochene
Unverbindlichkeit des Verbots in Anſehung der
Zeit ziemlich ſelten ſein; denn, wenn ein wirk⸗
lich ſchutzbedürftiges Intereſſe des Prinzipals vor⸗
handen iſt und dieſer zum Schutze ſeiner Inter⸗
eſſen bereit iſt, das Opfer zu bringen, an den
Gehilfen zwei Jahre lang Entſchädigung zu zahlen,
dann wird im allgemeinen wohl geſagt werden
können, daß das Intereſſe des Prinzipals auch
eines zweijährigen Schutzes bedarf.
Trotzdem das Geſetz von dem Grundſatze aus⸗
ging, daß ein völliges Verbot der Konkurrenz⸗
klauſel nicht angängig ſei, und trotzdem die bisher
beſprochenen Kautelen eine ſehr erhebliche Ein:
ſchränkung derſelben notwendigerweiſe nach ſich
ziehen, hat das Geſetz doch noch ein direktes Verbot
der Konkurrenzklauſel aufgeſtellt; das Wettbewerb:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
verbot iſt nichtig, wenn die dem Gehilfen zuſtehenden
jährlichen vertragsmäßigen Leiſtungen den Betrag
von M 1500 nicht überfteigen — § 74a Abi. 2.
Mit dieſer Beſtimmung kam man den Anregungen
auf Feſtſetzung einer Mindeſtgehaltsgrenze ent⸗
gegen, man wollte damit aber eigentlich nicht eine
Mindeſtgehaltsgrenze ſchaffen, ſondern eine be⸗
ſtimmte Kategorie freigeben; erwähnt wurden die
niedrig beſoldeten in Warenhauſern beſchäftigten
Angeſtellten, die Handlungsgehilfen bei kleineren
und mittleren Kaufleuten in Landſtädten; die Ge⸗
haltsgrenze von M 1500 deckt ſich zudem mit der
Pfändungsgrenze des 8 850 3PO.; deshalb war
auch die beantragte Erhöhung auf M 1800 von
den verbündeten Regierungen abgelehnt worden,
um nicht eine andere Gruppe von Angeſtellten
hereinzuziehen und ſo das Beſtreben nach Aus⸗
dehnung wachzurufen; auch ſollte verhindert werden,
daß der Prinzipal zur Zahlung des Mindeſtgehalts
genötigt würde, um das Wettbewerbverbot zu er:
langen, da auch für den kleinen Kaufmann in
Landſtädten, der nur geringe Gehälter zahlen
kann, das Bedürfnis und die Notwendigkeit einer
Konkurrenzklauſel beſtehen kann. Die Angeſtellten
mit einem Gehalt bis M 1500 find dagegen die⸗
jenigen, die durch Verwertung deſſen, was ſie im
Geſchafte des Prinzipals geſehen und gelernt haben,
die Intereſſen desſelben nicht ſchädigen können.
Wie bereits erwähnt, iſt das Wettbewerbverbot
nicht wirkſam, wenn ſich nicht der Prinzipal ver⸗
pflichtet, für die Dauer des Verbots eine Ent⸗
ſchädigung zu zahlen, die für jedes Jahr des Ver⸗
bots mindeſtens die Hälfte der von dem Hand⸗
lungsgehilfen zuletzt bezogenen vertrags mäßigen
Leiſtungen erreicht. Die vertragsmäßigen Leis
ſtungen find häufig nicht feſt beſtimmt, fie be⸗
ſtehen in Proviſionen, Verkaufsprämien, Tantiemen
u. dgl., find daher in einem Jahre höher, im
anderen niedriger; das Geſetz beſtimmt deshalb,
daß die dem Gehilfen zuſtehenden vertragsmäßigen
Leiſtungen, ſoweit ſie in einer Proviſion oder in
anderen wechſelnden Bezügen beſtehen, bei der
Berechnung der Entſchädigung nach dem Durch⸗
ſchnitt der letzten drei Jahre anzuſetzen ſind.
Wenn die für die Bezüge bei der Beendigung des
Dienſtverhältniſſes maßgebende Vertragsbeſtim⸗
mung noch nicht drei Jahre beſtanden hat, ſo er⸗
folgt der Anſatz nach dem Durchſchnitt des Zeit⸗
raumes, für den die Beſtimmung in Kraft war —
5 74b Abſ. 2. Das Geſetz hat auch hier mit Rück⸗
ſicht auf die Mannigfaltigkeit der vorkommenden
Entlohnungen es unterlaſſen, eine Detaillierung
aufzuſtellen, die Ausdrücke Proviſion oder andere
wechſelnde Bezüge find nur eine Umſchreibung für
die vertragsmäßigen Leiſtungen, die dem Betrage
nach nicht genau beſtimmt ſind; es kommen aber
nur die vertragsmäßigen Leiſtungen in Frage, die-
jenigen, die nach dem Vertrage ausdrücklich zuge⸗
ſichert oder mit Rückſicht auf die Verkehrsſitte oder
ſonſtige Umſtände als ſtillſchweigend vereinbart an⸗
ä — ͥͤ —— . — —— — . T8. —¾w . ⸗ . — — ——— ͤöꝗ— — —ꝛ—; — — ——————
369
zuſehen find; Gratifikationen aus Anlaß eines
Geſchäftsjubiläums oder eines Familienfeſtes des
Prinzipals ſpielen keine Rolle.
Unter den Bezügen ſind diejenigen von Be⸗
deutung, aus welchen der Handlungsgehilfe beſondere
Auslagen zu beſtreiten hat, wie Reiſekoſten, Auf⸗
wand außerhalb des Aufenthaltsortes, Nachtquar⸗
tier; ſoweit Bezüge zum Erſatze beſonderer Aus⸗
lagen dienen ſollen, die infolge der Dienſtleiſtung
entſtehen, bleiben fie außer Anſatz — $ 74 b Abſ. 3.
Es find alſo nicht die geſamten Beträge der
Reiſeſpeſen anzuſetzen, ſondern dieſe Bezüge nur
inſoweit, als die Auslagen, zu deren Deckung
die Reiſeſpeſen beſtimmt ſind, auch ohne die Reiſe
entſtanden ſein würden; was der Gehilfe für ſeine
Ernährung in ſeinem Wohnort aufwenden müßte,
iſt bei der Berechnung der Entſchädigung in Rechnung
zu ſtellen.
Wie bisher iſt das Wettbewerbverbot nichtig,
wenn der Gehilfe zur Zeit des Abſchluſſes minder⸗
jährig iſt; wenn der Gehilfe volljährig wird und
es ausdrücklich genehmigt, kann es natürlich gültig
werden; man wird aber hier nach 8 74 Abſ. 1
wohl verlangen müſſen, daß die ſchriftliche Verein⸗
barung und Aushändigung der Urkunde nach ein⸗
getretener Volljährigkeit beſonders erfolgen muß,
ſo daß ein neuer Abſchluß vorliegt und eine mit
dem Minderjährigen getroffene Vereinbarung wert⸗
los iſt, ſelbſt wenn ſie vom geſetzlichen Vertreter ge⸗
billigt wird. Die Nichtigkeit wurde aber auch auf
Wettbewerbverbote ausgedehnt, die mit volljährigen
Handlungsgehilfen abgeſchloſſen werden, dann,
wenn ſich der Prinzipal die Erfüllung auf Ehren⸗
wort oder unter ähnlichen Verſicherungen verſprechen
läßt — 8 74 a Abſ. 2; hiedurch wird ein ſonſt ganz
oder teilweiſe verbindliches Wettbewerbverbot nichtig.
Das Geſetz erklärt dann weiter auch die Ver⸗
einbarung für nichtig, durch die ein Dritter an Stelle
des Gehilfen die Verpflichtung übernimmt, daß
ſich der Gehilfe nach der Beendigung des Dienſt⸗
verhältniſſes in ſeiner gewerblichen Tätigkeit be⸗
ſchraͤnken werde, $ 74a Abſ. 3; es ſoll damit
verhindert werden, daß der Angeſtellte um die Vor⸗
teile des Geſetzes gebracht wird, indem an Stelle
eines nach dem Geſetze ungültigen Vertrags zwiſchen
dem Prinzipal und ihm ein Vertrag mit einem
Dritten geſchloſſen wird; denn wenn auch der
Vertrag nur ein höchſt perſönlicher zwiſchen Prinzipal
und Gehilfen iſt, ſo iſt doch denkbar, daß ein
Dritter aus Sorge um die Exiſtenz des Stellung⸗
ſuchenden ein Abkommen mit dem Prinzipal ſchließt,
das ſich nicht im Rahmen der geſetzlichen Vor⸗
ſchriften hält, und das der Angeſtellte nach Be⸗
endigung des Dienſtverhältniſſes mit Rückſicht auf
ſein perſönliches Verhältnis zu dem Dritten zu
halten genötigt iſt; einer ſolchen Umgehung des
Geſetzes ſoll vorgebeugt werden. Bürgſchaften für
gültige Konkurrenzklauſeln oder ſolche, die teilweiſe
gültig ſind, ſind natürlich in demſelben Umfange
gültig, wie der Vertrag ſelbſt.
370
Em Ac — nn nn
Das Geſetz erwähnt ſchließlich noch ausdrücklich,
daß die Vorſchriften des 8138 BGB. über die
Nichtigkeit von Rechtsgeſchäften, die gegen die guten
Sitten verſtoßen, unberührt bleiben — 874 Ab]. 3.
Ueber die Bezahlung der dem Handlungsgehilfen
für das Wettbewerbverbot zu gewährenden Ent⸗
ſchädigung iſt beſtimmt, daß ſie am Schluſſe
jedes Monats, alſo zu 12 des Jahresbetrags, zu
erfolgen hat — 8 74 b Abſ. 1. Dieſe Beſtimmung
entſpricht dem 8 64 HGB., wonach der Gehalt des
Handlungsgehilfen ebenfalls am Schluſſe jedes Mo⸗
nats zu zahlen iſt. Der Verzug des Prinzipals
in der Zahlung der Entſchädigung gibt dem Hand⸗
lungsgehilfen die Rechte aus 8 326 BGB.
§ 740.
Das Wettbewerbverbot iſt grundſätzlich un⸗
wirkſam, wenn der Prinzipal dem Gehilfen kündigt
(S 75 des Geſetzes in alter und neuer Faſſung);
die Konkurrenzklauſel äußert alſo ihre volle Wirkung
nur dann, wenn der Gehilfe kündigt. Ein zu—
läſſiges Wettbewerbverbot darf das Fortkommen
des Gehilfen, auch wenn dieſer ſeine Stelle wechſeln
will, nicht unbillig erſchweren; es wäre aber auch un⸗
billig, dem Prinzipal die Zahlung einer Entſchädigung
in der Höhe des halben bisherigen Gehalts auf:
zuerlegen, wenn das Fortkommen des Gehilfen nicht
Zettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
erſchwert iſt, dieſer eine beſſere Stelle erhält und
vielleicht ſogar deshalb gekündigt hat, weil ihm eine
beſſer bezahlte Stelle angeboten war, die ſich mit
der Konkurrenzklauſel verträgt; ebenſo iſt es nicht
angängig, daß der Handlungsgehilfe es unterläßt,
mit Rückſicht auf die ihm zu gewährende Ent⸗
ſchädigung eine andere Stelle zu ſuchen. Das
Geſetz ſtellt deshalb das Prinzip der Anrechnung
des Gehaltes der neuen Stellung auf die zu ge—
währende Entſchädigung auf und berückſichtigt dabei,
daß der Gehilfe ſeine Stelle gewechſelt hat in der
Abſicht, ſich zu verbeſſern. Der Handlungsgehilfe
muß ſich auf die fällige Entſchädigung anrechnen
laſſen, was er während des Zeitraums, für den
die Entſchädigung gezahlt wird, durch anderweite
Verwertung ſeiner Arbeitskraft erwirbt oder zu er:
werben böswillig unterläßt; dieſe Anrechnung hat
ſoweit zu erfolgen, als die Entſchädigung unter
Hinzurechnung dieſes Betrags den Betrag der zu—
letzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leiſtungen
um mehr als ein Zehntel überſteigen würde. Dieſes
Zehntel wird auf ein Viertel erhoht, wenn der Ge—
hilfe durch das Wettbewerbverbot gezwungen iſt,
ſeinen Wohnſitz zu verlegen. Mit anderen Worten,
herigen Gehalt unter Hinzurechnung von einem
Zehntel oder einem Viertel erreichen; hiezu dient
in erſter Linie der Gehalt der neuen Stelle, den
Fehlbetrag zahlt der bisherige Prinzipal bis zur
Hälſte der bisherigen vertragsmäßigen Leiſtungen
(S 74 Abi. 3).
An der Faſſung des Geſetzes mögen zwei
Ausdrücke auffallen, das „böswillige Unterlaſſen
eines Erwerbes“ und das „Gezwungenwerden zur
Wohnſitzverlegung“. Da die Tendenz des Geſetzes
iſt, dem Gehilfen entgegenzukommen, muß im
Zweifel zugunſten des Angeſtellten geurteilt werden;
man wollte auch hier von einem näheren Eingehen
auf die einzelnen Möglichkeiten abſehen und eine
generelle Faſſung wählen, wobei es auf die Um⸗
ſtände des einzelnen Falles anzukommen hat. Ein
böswilliges Unterlaſſen eines Erwerbes liegt nicht
nur vor, wenn ſich der Gehilfe um keine neue
Stelle bemüht, und auf Koſten ſeines bisherigen
Prinzipals feiern will, ſondern vielmehr auch, wenn
ſein Gehalt bei dem neuen Prinzipal für die erſten
zwei Jahre befonders niedrig bemeſſen wird, um
dann gewaltig in die Höhe zu ſpringen; wenn ein
Gehilfe, der infolge des Wettbewerbverbots eine
beſſer dotierte Stelle nicht erlangen kann, ſeine
bisherige Stelle kündigt, um einige Monate aus⸗
zuſetzen und in dieſer Zeit ſich in einem anderen
Zweig entſprechende Kenntniſſe zu verſchaffen, die
ihm dann die Erlangung einer beſſer bezahlten
Stelle ermöglichen, jo wird man hier ein bös⸗
williges Unterlaſſen eines Erwerbes nicht finden
können. Ebenſo hängt auch der Zwang zur Wohn⸗
fißverlegung von den begleitenden Umſtänden ab;
der Gehilfe, der ledig iſt, allein ſteht und ſeine
Stelle in der Großſtadt kündigt, dann eine ſchlecht
bezahlte Stelle auf dem Lande ſucht, weil er dort
billiger leben kann, iſt zur Wohnſitzverlegung nicht
gezwungen; man wird aber andererſeits Zwang zur
Wohnſitzverlegung annehmen müſſen, wenn der Ge:
hilfe wegen augenblicklichen Mangels anderer Stellen
in der Großſtadt vorübergehend eine ſich ihm bietende
Stelle an einem anderen Orte annimmt. Der Ge⸗
hilfe ſoll durch das Wettbewerbverbot in ſeinem
Fortkommen nicht unbillig beſchwert werden, er darf
|
bei dem Beſtreben, fortzukommen, feine Intereſſen
in erſter Linie im Auge haben, er ſoll aber nicht
ſo handeln, daß ſein Prinzipal nur zur Zahlung
der Karenzentſchädigung genötigt wird, ohne daß
er damit für ſein eigenes Fortkommen einen Vor⸗
teil hat.
Der Gehilfe iſt verpflichtet, dem Prinzipal auf
Verlangen über die Höhe ſeines Erwerbes Auskunft
zu erteilen — §S 74 Abſ. 2. Der Prinzipal kann
nicht wiſſen, wie hoch die Entſchädigung iſt, die er mit
Rückſicht auf die Berechnung bezahlen muß, daher
muß der Gehilfe Auskunft geben; verweigert er die
Auskunft, ſo kann der Prinzipal die Entſchädigung
nicht berechnen, er gerät mit der Zahlung nicht in
0 l Verzug; hält der Prinzipal die ihm gegebene Aus:
der Gehilfe muß in ſeiner neuen Stellung den bis:
kunft fur unrichtig, ſo kann er nur die Entſchädigung
zahlen, zu der er ſich für verpflichtet hält; er muß
aber die Konſequenzen aus der Möglichkeit der In:
verzugſetzung ziehen, ihn trifft die Beweislaſt, der
Gehilfe hat nur Auskunftspflicht.
Eine ſelbſtverſtändliche Beſtimmung enthält 874
Abſ. 1 Satz 2: für die Dauer der Verbüßung einer
Freiheitsſtrafe kann der Gehilfe eine Entſchädigung
nicht verlangen.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
8 75.
8 75 behandelt wie bisher die Fälle der Ver⸗
tragsbeendigung, in welchen die Vereinbarung nicht
gilt, das Wettbewerbverbot unwirkſam wird; doch
waren auch hier, teils mit Rückſicht auf die bisher
entwickelten Grundſätze Aenderungen erforderlich,
die zu einer teilweiſen Unwirkſamkeit der Verein⸗
barung oder einer vom Gehilfen erzwingbaren Auf⸗
rechterhaltung der Vereinbarung führen.
Das Vertragsverhältnis kann ſein Ende finden
durch Kündigung ſeitens des Gehilfen oder des
Prinzipals; der Fall der gewöhnlichen Kündigung
durch den Gehilfen und die ſich hieraus ergebenden
Folgen find bisher behandelt worden; die außer:
ordentliche Löſung des Vertragsverhältniſſes ohne
Einhaltung einer Kündigungsfriſt kann nach dem
Geſetze erfolgen bei Vorliegen eines wichtigen
Grundes 88 70, 71; neben der Kündigung aus
wichtigem Grunde ſieht 8 70 Abſ. 2 ſchon die
Kündigung infolge vertragswidrigen Verhaltens des
anderen Teiles vor, von welchem auch der 8 75
bisheriger Faſſung ſchon gehandelt hat.
A Wie bereits erwähnt, iſt unter Vertragswidrig⸗
keit ſchuldhafte Pflichtverletzung zu verſtehen.
Handelt der Prinzipal vertragswidrig und löſt
der Gehilfe deshalb das Dienſtverhältnis ohne Ein⸗
haltung einer Kündigungsfriſt auf, ſo ſoll das
Wettbewerbverbot nicht ohne weiteres unwirkſam
ſein; denn der Handlungsgehilfe, der ſtellenlos
wird, ſoll nicht plötzlich des Rechts auf die Karenz⸗
entſchädigung verluſtig gehen, er ſoll aber auch
ſeinerſeits, da er ohnehin den Anſpruch auf Schaden⸗
erſatz hat, nicht den Anſpruch auf dieſe Entſchädigung
beibehalten, ohne an das Wettbewerbverbot ge⸗
bunden zu ſein; der Handlungsgehilfe hat die Wahl:
er kann es neben feinem Schadenderſatzanſpruch
bei dem Wettbewerbverbot und der vom Prinzipal
zu zahlenden Entſchädigung bewenden laſſen, er
kann aber auch vor Ablauf eines Monats nach der
Kündigung dem Prinzipal ſchriftlich erklären, daß
er ſich an die Vereinbarung nicht gebunden erachte;
er hat das einſeitige Rücktrittsrecht von dem Ver⸗
trage, der Rücktritt muß aber ſchriſtlich erklärt
werden, nur dann wird das Wettbewerbverbot un⸗
wirkſam.
Bei Kündigung des Dienſtverhältniſſes durch
den Prinzipal können verſchiedene Fälle vorliegen:
a) Der Prinzipal kündigt im Wege der ordent⸗
lichen Kündigung, ohne daßein wichtiger Kündigungs⸗
grund vorliegt oder er einen ſolchen geltend machen
will; dann wird das Wettbewerbverbot in gleicher
Weiſe unwirkſam, d. h. der Gehilfe kann vor Ab⸗
lauf eines Monats ſeit der Kündigung ſchriſtlich
erklären, daß er ſich an die Vereinbarung nicht
gebunden erachte; dieſe einmonatige Friſt läuft
von der Kündigung, nicht von der Auflöſung des
Dienſtverhältniſſes ab.
b) Der Prinzipal kündigt im Wege der ordent⸗
lichen Kündigung, für die Kündigung liegt aber
ein erheblicher Anlaß in der Perſon des Gehilfen
—— 33. ͤ ¶ —— 3 Ft.; —
371
vor; dann bleibt das Wettbewerbverbot in allen
ſeinen beiderſeitigen Wirkungen beſtehen. Was ein
erheblicher Anlaß iſt, iſt nicht geſagt, auch aus den
Beratungen nicht zu entnehmen; der Begriff ſelbſt
ſtammt aus der früheren Faſſung, in welcher von
Kündigung infolge eines erheblichen Anlaſſes, den
der Prinzipal nicht verſchuldet hat, die Rede war;
dieſe Faͤlle find aber nunmehr ausgeſchieden; dafür
iſt Er ein erheblicher Anlaß in der Perſon des
Gehilfen verlangt.
c) Der Prinzipal kündigt im Wege der ordent⸗
lichen Kündigung, ohne daß ein wichtiger Grund
oder ein erheblicher Anlaß in der Perſon des Ge⸗
hilfen vorliegt, und erklärt ſich bereit, während
der Dauer der Beſchränkung dem Gehilfen die
vollen zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen
Leiſtungen zu gewähren; dann bleibt das Wett⸗
bewerbverbot mit ſeinen Wirkungen für den Ge⸗
hilſen beſtehen. Es iſt dies der auch bisher ſchon
vorgeſehene Fall, daß ſich der Prinzipal die Geltung
der Konkurrenzklauſel erkauft. Für die Gewährung
der vollen vertragsmäßigen Leiſtungen gelten die
Vorſchriften des §S 74 b: Zahlung am Schluſſe jedes
Monats, Berechnung, ſoweit wechſelnde Bezüge in
Frage ſtehen, nach dem Durchſchnitt der letzten drei
Jahre oder dem kürzeren Zeitraum, in welchem
die Vertragsbeſtimmung in Kraft war, und Nicht⸗
berückſichtigung der Bezüge, die zum Erſatze beſon⸗
derer Auslagen dienten.
d) Löſt der Prinzipal das Dienftverhältnis ge:
mäß den Vorſchriften der $3 70, 72, alſo ohne Ein:
haltung einer Kündigungsfriſt und zwar wegen
vertragswidrigen Verhaltens des Gehilfen auf, ſo hat
der Gehilfe keinen Anſpruch auf die Entichädigung,
an das Wettbewerbver bot iſt er ſeinerſeits gebunden.
Das Geſetz nimmt zwar Bezug auf 88 70, 71, 72,
ſofortige Kundigung ohne Einhaltung einer Friſt,
ſpricht aber nur von Auflöſung des Dienftverhält:
niſſes nach 88 «0, 71, 72 wegen vertragswidrigen
Verhaltens; es erhellt daraus, daß dieſe Bezug⸗
nahme nur die Kündigung ohne Einhaltung einer
Friſt, aber nicht das Vorliegen eines wichtigen
Grundes betrifft; nur wenn friſtloſe Kündigung
wegen vertragswidrigen Verhaltens vorliegt, gelten
die hiefür getroffenen Beſtimmungen; es iſt ſchon
ein ſprachlicher Unterſchied gemacht: Auflöſung des
Dienſtverhältniſſes wegen vertragswidrigen Ver⸗
haltens ohne Einhaltung einer Kündigungsfriſt
in 8 75 Abſ. 1 und 3 und Kündigung in Ab]. 2.
Für die Fälle der friſtloſen Kündigung bei
Vorliegen eines wichtigen Grundes, aber nicht eines
vertragswidrigen Verhaltens, ergibt ſich daher keine
Verſchiedenheit von den Fällen der ordentlichen
Kündigung. Es folgt hieraus, daß das Geſetz
von dem Grundſatze beherrſcht wird, wenn ein
Wettbewerbverbot in geſetzlich zuläſſiger Weiſe ver⸗
einbart worden iſt, dann ſollen beide Teile im Falle
der Löſung des Dienſtverhältniſſes daran gebunden
ſein, gleichviel, ob das Dienſtverhältnis durch friſtloſe
oder befriſtete Kündigung gelöſt wird; Ausnahmen
372
gibt es nur bei der Auflöſung durch friſtloſe Kündi⸗
gung wegen vertragswidrigen Verhaltens und bei
ordentlicher befriſteter Kündigung durch den Prinzi⸗
pal ohne Grundangabe.
Das Geſetz hat auch bisher keine Definition
enthalten, was unter einem wichtigen Grunde zu
verſtehen iſt; die Aufzählung in 88 71, 72 iſt nur
eine beiſpielsweiſe, ſie iſt weder erſchöpfend, noch
zwingend, weil eine andere Beurteilung durch be⸗
ſondere Umſtände zugelaſſen iſt; ein Grund der
ſofortigen Kündigung iſt dann wichtig, wenn nach
Lage der Umſtände dem einen Teil nicht zuzumuten
iſt, den Vertrag wider feinen Willen ſortzuſetzen,
weil das normale, durch den Dienſtvertrag geſchaffene
Verhaltnis zwiſchen Prinzipal und Gehilfen geſtört
iſt (Staub 8 70 Anm. 5). Es gibt wichtige Gründe,
die in der Perſon des anderen Teiles liegen, von
dieſem aber nicht veranlaßt oder verſchuldet find,
wie Krankheit des Gehilfen, Abbrennen der Fabrik;
es gibt aber auch wichtige Gründe, die in dem
Verhalten des anderen Teiles, ſeiner Handlungs⸗
weiſe liegen; dieſe Umſtände können ſo wichtig ſein,
daß eine Fortſetzung des Dienſtverhältniſſes nicht
zugemutet werden kann, es kann ſogar ein ver⸗
tragswidriges Verhalten vorliegen, es können aber
auch, ſoweit es ſich um das Verhalten des Gehilfen
handelt, Umſtände ſein, die zwar nicht zur ſofortigen
Kündigung berechtigen, aber doch die befriſtete
Kündigung veranlaſſen, wie z. B. ungehöriges
Benehmen gegenüber weiblichen Angeſtellten, Un⸗
verträglichkeit gegenüber älteren, im Geſchäfte be⸗
währten Angeſtellten oder Angehörigen des Prinzi⸗
pals und dgl. Ein vertragswidriges Verhalten iſt
immer zugleich ein wichtiger Grund, der zur ſo⸗
fortigen Löſung des Dienſtverhältniſſes berechtigt;
ein wichtiger Grund nach 88 70, 72, der den
Prinzipal zur ſofortigen Entlaſſung des Gehilfen
berechtigt, iſt auch ein erheblicher Anlaß in der
Perſon des Gehilfen; andererſeits braucht ein ſolcher
erheblicher Anlaß nicht zur ſofortigen Löſung des
Dienſtverhältniſſes nach 88 70, 72 zu berechtigen,
er muß nur die ordentliche Kündigung durch den
Prinzipal veranlaſſen. Die praltiſche Folge wird
die ſein, daß der Prinzipal, in deſſen Intereſſe
ja die Konkurrenzvereinbarung getroffen wurde,
auch bei der befriſteten Kündigung dem Gehilfen
mitteilen muß, aus welchem Grunde die Kündigung
erfolgt, ob der Prinzipal in der Perſon des Ge:
hilfen einen erheblichen Anlaß hiezu für gegeben
erachtet und deshalb das Wettbewerbverbot aufrecht
Beitfärift für Betspfiege in Bagern. 1914. Pr. 20 u 21
erhalten wiſſen will; tut er dies nicht, jo muß er
gewärtigen, daß der Gehilfe die Kündigung nur
als einfache anſieht und vor Ablauf eines Monats
nach der Kündigung ſchriftlich erklärt, daß er ſich
an die Vereinbarung des Wettbewerbverbots nicht
gebunden erachtet. Bei der unbefriſteten Kündigung
aus einem wichtigen Grunde iſt die Angabe des
Grundes ſelbſtverſtändlich. Zu bemerken iſt, daß
die kürzeſte vertragsmäßige Kündigungsfriſt nach
55 66, 67 einen Monat beträgt und nur für den,
Schluß des Kalendermonats zuläffig iſt; der Ge⸗
hilfe, dem gekündigt iſt ohne Grundangabe, wird
ſich in dieſer Zeit um eine andere Stelle umſehen
und findet eine ſolche vielleicht in einem Konkurrenz⸗
unternehmen; er zeigt deshalb noch vor Ablauf
eines Monats ſeit Kündigung dem Prinzipal ſchrift⸗
lich an, daß er ſich an die Vereinbarung nicht
für gebunden erachtet; es würde Treu und Glauben
widerſprechen, wenn der Prinzipal nunmehr erklären
würde, für die Kündigung ſei in der Perſon des
Gehilfen ein erheblicher Anlaß gelegen geweſen,
der Gehilfe ſei deshalb an das Wettbewerbverbot
gebunden und dürfe die Stelle nicht antreten.
$ 75a.
Das Wettbewerbverbot dient den berechtigten
geſchäftlichen Intereſſen des Prinzipals; es kann
ſein, daß in den geichäftlihen Verhältniſſen des
Prinzipals im Laufe der Zeit, insbeſondere während
der Beſchäftigungszeit des Gehilfen eine Aenderung
eintritt, die das Wettbewerbverbot entbehrlich macht,
z. B. ein Fabrikationsverfahren, in welches der
Gehilfe Einblick hatte, iſt durch eine andere Er⸗
findung wertlos geworden oder auch der Gehilfe
hat ſich bei ſeiner Arbeit ſo angeſtellt, daß ihm
der vorgeſehene Einblick in Geſchäftsgeheimniſſe nicht
gewährt wurde, er wurde anderweitig beſchäftigt.
Die Vereinbarung des Wettbewerbverbots wird
nachträglich überflüſſig; es wäre unbillig, den Prinzi⸗
pal nach Beendigung des Dienſtverhäͤltniſſes noch
daran feſtzuhalten und ihn zur Zahlung der Karenz⸗
entſchädigung zu verpflichten; es muß ihm alſo
das Recht des Verzichts auf das Wettbewerbver bot
eingeräumt werden.
Andererſeits ſoll die Konkurrenzklauſel nur wirk⸗
lich berechtigten Intereſſen des Prinzipals dienen und
die Karenzentſchädigung ſoll überflüſſige Konkurrenz⸗
klauſeln verhindern. Das Verzichtrecht des Prinzi⸗
pals kann daher zu dem Mißbrauch führen, daß
leichtfertig und ſchablonenhaft das Wettbewerbverbot
vereinbart wird und der Prinzipal im letzten Augen⸗
blick vor oder auch nach Beendigung des Dienſt⸗
verhältniſſes ſich von ſeinen Verpflichtungen durch
Verzicht befreien kann. Dadurch kann eine Schädi⸗
gung des Gehilfen eintreten, der bisher beſſere Stellen
mit Rückſicht auf das Wettbewerbverbot ausſchlagen
mußte, bei dem Prinzipal deshalb verblieb, und
dem nach der Verzichtserklärung von dieſem gekündigt
wird, oder der nach der Kündigung infolge des Wett⸗
bewerbverbotes eine ſchlechter bezahlte Stelle an⸗
nimmt und auf die Karenzentſchädigung rechnet.
während der Prinzipal dann plötzlich auf das Wett:
bewerbverbot verzichtet.
Um hier einen Ausgleich zu ſchaffen, beſtimmt
das Geſetz in § 75a, daß die Verzichtserklärung
des Prinzipals auf das Wettbewerbverbot nur vor
der Beendigung des Dienſtverhäͤltniſſes erklaͤrt
werden kann, und daß dieſe Verzichtserklaͤrung nur
die Wirkung äußert, daß der Prinzipal erſt mit
dem Ablauf eines Jahres ſeit der Erklaͤrung von
373
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der Verpflichtung zur Zahlung der Entſchädigung
frei wird. Wie die Vereinbarung ſelbſt, muß auch
die Verzichtserklärung ſchriftlich erfolgen.
5 75 b.
Der Grundſatz der bezahlten Karenz ſoll in
angemeſſener Weiſe die Nachteile beſeitigen, die der
Gehilfe durch die Beſchränkung ſeiner Freiheit in
bezug auf die Ausnützung ſeiner Arbeitskraft er⸗
fährt. Es gibt aber Dienſtverhältniſſe, Kategorien
von Angeſtellten, für welche dieſer Grundſatz
billigerweiſe nicht aufrecht erhalten werden kann.
Reiſende, die in überſeeiſchen Staaten für deutſche
Geſchäftshäuſer tätig find, Gehilfen, die in außer:
europäiſchen Handelsniederlaſſungen deutſcher Fir⸗
men angeſtellt find, befinden ſich vielfach in Ver:
trauensſtellungen eigener Art, die für den Prinzipal
in der Regel mit erheblichen Aufwendungen ver⸗
bunden find, ihm aber meiſt erſt nach längerer
Tätigkeit des Gehilfen Nutzen bringen, weil ſich
der Gehilfe ſeine Kenntniſſe und Beziehungen hier
erſt durch längere Beſchaͤftigung erwirbt; der Prinzi⸗
pal iſt aber hier häufiger und dringender in die
Notwendigkeit verſetzt, ſich gegen ungerechtfertigte
Eingriffe durch die Konkurrenzklauſel zu ſchützen,
als bei den ſonſtigen Angeſtellten, die Gehälter
dieſer Reiſenden und Gehilfen find aber zwei bis
dreimal ſo hoch, als der Gehalt eines eben⸗
ſolchen Angeſtellten in Deutſchland; es kann dem
Prinzipal nicht zugemutet werden, nach Beendigung
des Dienſtverhältniſſes dem Gehilfen eine Aus⸗
zahlung bis zur Höhe des Auslandsgehalts zu ge⸗
währen, namentlich wenn dieſer vielleicht nach
Deutſchland zurückkehrt, es würde auch eine Er⸗
ſchwerung der Verbotsvereinbarung in ſolchen Fällen
dazu führen, daß für Tätigkeit im Auslande nicht⸗
deutſche Handlungsgehilfen angeſtellt würden. Das
Geſetz beſtimmt deshalb, daß bei Gehilſen, die für
eine Tätigkeit außerhalb Europas angenommen
find, die Verbindlichkeit des Wettbewerbverbots
nicht davon abhängig iſt, daß ſich der Prinzipal
zur Zahlung der im $ 74 Abſ. 2 vorgeſehenen
Entſchädigung verpflichtet. Selbſtverſtändlich bleiben
die ſonſtigen Vorſchriften über die teilweiſe Un⸗
verbindlichkeit, Nichtigkeit und die Schriftform in
§ 74 Abſ. 1 und 74 a auch bei dieſen Angeſtellten
in Kraft.
Das gleiche gilt, wenn die dem Gehilfen zu⸗
ſtehenden vertragsmäßigen Leiſtungen den Betrag
von 8000 M für das Jahr überſteigen. Die
ſoziale und wirtſchaftliche Lage dieſer Klaſſe von
Angeſtellten erfordert eine Aenderung der für ſie
geltenden Vorſchriften nicht, nur für die Gehilfen
mit niedrigen Gehältern waren neue Schutzbeſtim—
mungen erforderlich. Auf die Berechnung des Be:
trags der Leiſtungen, wenn ſie in Proviſion oder
anderen ſchwankenden Beträgen beſtehen, finden
die Vorſchriften des $ 74 b Abſ. 2, 3 entſprechende
Anwendung, jo daß insbeſondere eine Entſchädi⸗
— — — — Z G. ( — — — ̃ ̃ ͤ ¹g—-äkͤꝛ ͤĩ ̃—x̃ĩ⅛ͥd— ⁵˙—ðW—lQ2. Q•Gſñůñů—ß5ßÄ3.⸗v ĩ — —v— — — — —
gung gezahlt werden muß. wenn der Bezug von
8000 M noch nicht drei Jahre beſtanden hat.
8 750.
Nach bisherigem Rechte konnte der Prinzipal
in den Fällen, in welchen der Gehilfe ſür den
Fall der Nichterfüllung der in der Vereinbarung
übernommenen Verpflichtung eine Strafe ver⸗
ſprochen hatte, nur die verwirkte Strafe verlangen;
der Anſpruch auf Erfüllung oder auf Erſatz eines
weiteren Schadens war ausgeſchloſſen; der Er⸗
füllungsanſpruch war auf die Fälle beſchränkt, in
welchen keine Strafe vereinbart war. Die Er⸗
füllung beſteht in einem Unterlaſſen; der Ge⸗
hilfe ſoll eine Stellung nicht annehmen oder
eine angenommene aufgeben. Es lag hierin eine
Abweichung von § 340 BGB., wonach der Glau⸗
biger die verwirkte Strafe ſtatt der Erfüllung
verlangen kann und nur, wenn er die Strafe ver⸗
langt, der Anſpruch auf Erfüllung ausgeſchloſſen
iſt; bei einem Schadenserſatzanſpruch des Gläu⸗
bigers wegen Nichterfüllung kann dieſer die ver⸗
wirkte Strafe als Mindeſtbetrag des Schadens
verlangen; die Geltendmachung eines weiteren
Schadens iſt nicht ausgeſchloſſen.
Nach dem bisherigen Rechte lag aber in der
Vereinbarung eines Wettbewerbverbots eine ein⸗
ſeitige Verpflichtung des Gehilfen; nunmehr muß
aber auch der Prinzipal eine Leiſtung bewirken
und, wenn er bereit ift, die ihm obliegende Lei:
ſtung, die Zahlung der Entihädigung, zu bewirken,
muß ihm auch der Anſpruch auf die Gegenleiſtung
des anderen Teiles zuſtehen; es muß beiſpiels⸗
weiſe der Prinzipal, der eine Zeit lang die Karenz⸗
entſchädigung gezahlt hat, von dem Gehilfen, der
ſpäter verbotswidrig in ein Konkurrenzgeſchäft ein⸗
tritt, den Austritt verlangen können. Doch darf
ſich der Prinzipal durch die Vereinbarung nicht
mehr Rechte ſichern, als ihm nach $ 340 BGB.
zuſtehen, er darf nicht vereinbaren Zahlung der
Vertragsſtrafe neben der Aufgabe der dem Ver⸗
bote zuwider begonnenen Tätigkeit.
Das Geſetz ſagt daher, daß der Prinzipal
Anſprüche nur nach Maßgabe der Vorſchriften
des § 340 BGB. geltend machen kann, wenn für
den Fall der Nichterfüllung der in der Verein⸗
barung übernommenen Verpflichtung durch den
Gehilfen dieſer Strafe verſprochen hat.
Aus Zweckmäßigkeitsgründen wurde noch bei⸗
gefügt, daß die Vorſchriften des BGB. über die
Herabſetzung einer unverhältnismäßig hohen Ver⸗
tragsſtrafe unberührt bleiben.
Für die Fälle, in welchen die Verbindlichkeit
der Vereinbarung nicht von der Verpflichtung des
Prinzipals zur Zahlung einer Entſchädigung an
den Gehilfen abhängig iſt (8 75 b), verbleibt es
bei den bisherigen Beſtimmungen: wenn der Ge—
hilfe ſich einer Vertragsſtrafe in der Vereinbarung
unterworfen hat, kann der Prinzipal nur die ver⸗
374
wirkte Strafe verlangen; der Anſpruch auf Er:
füllung oder auf Erſatz en weiteren Schadens
iſt ausgeſchloſſen — 8 75 Abi. 2.
5 75 d.
Den neuen Vorſchriften muß ebenſo, wie den
bisherigen zwingender Charakter zukommen und
zwar auch in Anſehung der Berechnung der Ent:
ſchädigung; einer Umgehung durch Verrechnung
von Vorauszahlungen u. dgl. muß vorgebeugt
werden.
Während bisher Vereinbarungen, welche den
Vorſchriften der 88 74, 75 zuwiderliefen, als
nichtig bezeichnet wurden, beſtimmt nunmehr 8 75d,
daß ſich der Prinzipal nicht auf eine Vereinbarung
berufen kann, durch die von den Vorſchriften der
89 74 —75 c zum Nachteil des Handlungsgehilfen
abgewichen wird; das gilt auch von Verein⸗
barungen, die bezwecken, die geſetzlichen Vorſchriften
über das Mindeſtmaß der Entihädigung durch
Verrechnung oder auf ſonſtige Weiſe zu umgehen.
Da der Zweck des neuen Geſetzes hauptſäachlich
dahin zielt, den Gehilfen zu ſchützen, iſt hier nicht
die generelle Nichtigkeit von zuwiderlaufenden Ver⸗
einbarungen ausgeſprochen; gegenüber der Klage
des Gehilfen auf Grund des Geſetzes kann der
Prinzipal nicht die Einrede der Vereinbarung
bringen, wenn dieſe dem Gehilfen nachteilig iſt;
dagegen kann der Prinzipal gegenüber der Klage
auf Grund der Vereinbarung die Nichtigkeit nicht
geltend machen, er iſt daran gebunden, wenn der
Gehilfe will. Es iſt offenbar hier an die Fälle
gedacht, in welchen der Prinzipal eine abweichende
Vereinbarung zum Nachteil des Gehilfen in der
Hoffnung trifft, daß dieſe für ihn günſtiger iſt
als die geſetzlichen Vorſchriften, während ſich her⸗
nach herausſtellt, daß ſie für den Prinzipal un⸗
günſtiger war; z. B. der Prinzipal vereinbart als
Entſchädigung nur ein Viertel des bisherigen Be:
halts, ſchließt dafür aber die Aufrechnung aus;
der Gehilfe erhält nun eine Stelle mit dem gleichen
oder einem höheren Gehalte, dann wird ſich der
Prinzipal der Zahlung von einem Viertel des
bisherigen Gehalts nicht entziehen können. (Vgl.
Staub, Auslegung des § 67 Abſ. 4 Anm. 7.)
§ 75.
Nach § 61 Nr. 1 Konkursordnung werden die
für das letzte Jahr vor der Konkurseröffnung oder
dem Ableben des Gemeinſchuldners rückſtändigen
Forderungen an Lohn und anderen Dienſtbezügen
der Perſonen, welche ſich dem Gemeinſchuldner
für deſſen Haushalt, Wirtſchaftsbetrieb oder Er—
werbsgeſchaͤft zur Leiſtung von Dienſten verdungen
hatten, aus der Konkursmaſſe in erſter Reihe be—
friedigt. Durch das Geſetz betreffend die Beſchlag—
nahme des Arbeits- oder Dienſtlohnes kann 1
Vergütung für Dienſte und Arbeiten, die auf
Grund eines Arbeits- und Dienſtverhaͤltniſſes ge:
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
leiſtet werden, erſt nach Leiſtung der Dienſte und
Ablauf des für die Vergütung beſtimmten Yällig:
keitstermins mit Beſchlag belegt werden; letzteres
Geſetz enthält noch weitere Beſchränkungen hinſicht⸗
lich der Pfändbarkeit des Dienſtlohnes. Da die
vom Prinzipal zu gewährende Karenzentſchädigung
einen Erſatz bildet für das erſchwerte Fortkommen
des Gehilfen, für den geringeren Gehalt, den dieſer
in der neuen Stelle erhält, müſſen dieſe Beträge
dem Dienſt⸗ und Arbeitslohn gleichgeſtellt werden.
8 75e beſtimmt deshalb, daß die Entſchädigung,
die der Handlungsgehilfe auf Grund der Vor⸗
ſchriſten der 88 74— 75 d für die Zeit nach der
Beendigung des Dienſtverhälkniſſes beanſpruchen
kann, zu den Dienftbezügen im Sinne des 8 61
Nr. 1 der Konkursordnung gehört, ſerner, daß
der Anſpruch auf die Entſchädigung zum Zwecke
der Sicherſtellung oder Befriedigung eines Glaͤu⸗
bigers erſt dann gepfändet werden kann, wenn
der Tag, an dem ſie zu entrichten war, abgelaufen
iſt, ohne daß der Gehilfe ſie eingefordert hat. Die
Pfändung iſt jedoch zuläſſig, ſoweit die Entſchädi⸗
gung allein oder zuſammen mit den in den 88 1, 3
des Geſetzes betreffend die Beſchlagnahme des
Arbeits⸗ oder Dienſtlohnes bezeichneten Bezügen
die Summe von 1500 M für das Jahr über:
ſteigt. Die Vorſchriften des 8 2, des 8 4 Nr. 2, 3
und des § 4a des bezeichneten Geſetzes finden ent:
ſprechende Anwendung.
3 75 f.
Unter den Arbeitgebern beſtehen Vereinbarun⸗
gen, einen Gehilfen, der bei einem anderen im
Dienſte iſt oder geweſen iſt, nicht oder nur unter
beſtimmten Vorausſetzungen, anzuſtellen; folche
Vereinbarungen werden meiſt geheim gehalten —
geheime Konkurrenzklauſel. Es war beantragt,
ſolche Vereinbarungen für ungültig zu erklären
und eine Schadenserſatzpflicht der Prinzipale
bei ſolchen Vereinbarungen feſtzuſetzen. Allein
dies wäre ein Eingriff in das Koalitionsrecht der
Arbeitgeber; andererſeits ſind die Gehilfen be⸗
rechtigt, unter ſich zu vereinbaren, bei Prinzi⸗
palen, die ein Wettbewerbverbot vereinbaren wollen,
nicht einzutreten. Das Geſetz hat ſich hier auf
den Standpunkt der Gewerbeordnung geſtellt, welche
in 8 152 die rechtliche Erzwingbarkeit der durch
das Uebereinkommen übernommenen Verpflich⸗
tungen ausſchließt; jedem Teilnehmer ſteht der
Rücktritt von ſolchen Vereinigungen und Ber:
abredungen frei und es findet aus ihnen weder
Klage noch Einrede ftatt — 8 152 Abſ. 2 GewO.
§ 75 f jagt: Auf eine Vereinbarung, durch die
ſich ein Prinzipal einem anderen Prinzipal gegen:
über verpflichtet, einen Handlungsgehilfen, der bei
dieſem im Dienſte iſt oder geweſen iſt, nicht oder
nur unter beſtimmten Vorausſetzungen anzuſtellen,
findet die Vorſchrift des $ 152 Abſ. 2 der Ge:
werbeordnung Anwendung.
8 76 Abſ. 1.
Bisher haben die Beſtimmungen über die Ver⸗
einbarung eines Wettbewerbverbots auch für die
Handlungslehrlinge gegolten; von praktiſcher Be⸗
deutung find dieſe Beſtimmungen für Lehrlinge
wohl nur in den ſeltenſten Fällen, da der Lehr:
ling meiſt minderjährig iſt und keine Bezüge von
M 1500 erreicht, das Wettbewerbverbot alſo nichtig
wäre. Allein auch, ſoweit es gültig ſein könnte,
ſoll der Lehrling nach Beendigung der Lehrzeit das
Erlernte praktiſch verwerten können; das Wett⸗
bewerbverbot kann möͤglicherweiſe ſeine Ausbildung
zu einem guten Teile wertlos machen, anderer⸗
ſeits wird der Lehrling zumeiſt nicht in die in⸗
ternſten Geſchäftsgeheimniſſe des Prinzipals ein⸗
geweiht. Es wurde deshalb für Handlungslehr⸗
linge das Verbot der Konkurrenzklauſel aufgeſtellt:
Vereinbarungen, durch welche Handlungslehrlinge
für die Zeit nach der Beendigung des Lehr⸗ oder
Dienſtverhältniſſes in ihrer gewerblichen Tätigkeit
beſchraͤnkt werden, find nichtig. Die Beſtimmung
des 9 75 f der Klagelofigkeit von Vereinbarungen
der Prinzipale untereinander wurde auch auf Ver⸗
einbarungen hinſichtlich der Handlungslehrlinge
erſtreckt.
Art. IL 3 82 a.
Von den Handlungslehrlingen find zu unter:
ſcheiden die Volontäre, die freiwillig die Pflichten
eines Gehilfen übernehmen, aber keine Vergütung
vom Prinzipal erhalten; da ſie die Dienſte des
Gehilfen nicht gegen Entgelt leiſten, ſondern, um
fh auszubilden, find fie von den Lehrlingen viel⸗
leicht manchmal ſchwer zu unterſcheiden; doch ſteht
der Volontaͤr in einem viel freieren Verhältniſſe,
der minderjährige Volontär ſteht hinſichtlich des
Wettbewerbverbots ohnehin dem minderjährigen
Lehrling gleich, der großjährige Volontär iſt ſelten
einem Lehrling gleich zu achten, häufig ſind Volon⸗
täre ſchon als Handlungsgehilfen in Stellung ge⸗
weſen und wollen ſich nur noch beſtimmte Branche⸗
kenntniſſe erwerben. Für ſolche muß die Kon⸗
kurrenzklauſel zuläſſig ſein, weil gerade der Volon⸗
tär in ein fremdes Geſchäft beſonderen Einblick
erhalten will. Das Geſetz gibt in $ 82 a eine
Definition des Volontaͤrbegriffes als Perſonen, die,
ohne als Lehrlinge angenommen zu ſein, zum
Zwecke ihrer Ausbildung unentgeltlich mit kauf⸗
männiſchen Dienſten beſchäftigt werden, und be⸗
ſtimmt, daß auf Wettbewerbverbote gegenüber
ſolchen Perſonen die für Handlungsgehilfen gelten⸗
den Vorſchriften inſoweit Anwendung finden, als
ſie nicht auf das dem Gehilfen zuſtehende Entgelt
Bezug nehmen. Es gelten alſo im weſentlichen
88 74 Abſ. 1, 74a Abſ. 1, Abſ. 2 Satz 2, 3,
Abſ. 3 und § 75 in Anſehung der Kündigung
aus einem erheblichen Anlaß in der Perſon oder
wegen vertragswidrigen Verhaltens des Volontärs,
875 c und 8 75 f.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
375
Art. III.
Das Geſetz tritt am 1. Januar 1915 in Kraft;
es war notwendig, Uebergangsvorſchriften für die
vorher vereinbarten Wettbewerbverbote zu treffen;
ein neues Geſetz ſoll im allgemeinen keine rück⸗
wirkende Kraft haben; von dieſem Grundſatze muß
aus ſozialen Gründen abgewichen, dem Prin⸗
zipal muß die Befugnis eingeräumt werden, die
Konkurrenzklauſel zu retten, wenn er bei fort⸗
dauerndem Arbeitsverhältnis die geſetzlichen Pflich⸗
ten übernimmt; andererſeits ſoll der Gehilfe, der
vor dem Inkrafttreten des Geſetzes ſeine Stelle
aufgegeben hat, auch die Karenzentſchädigung er:
halten, wenn das früher vereinbarte Wettbewerb⸗
verbot ſein Fortkommen erſchwert. Die neuen
Vorſchriſten finden daher, abgeſehen von den Form⸗
vorſchriften des 8 74 Abſ. 1 auch auf die vorher
vereinbarten Wettbewerbverbote Anwendung; ein
Wettbewerbverbot, das nach den neuen Vorſchriften
unverbindlich iſt wegen Nichtvereinbarung der
Karenzentſchädigung oder weil die Bezüge des
Gehilfen nicht mehr als 1500 M ausmachen, ſoll
verbindlich bleiben, falls fich der Prinzipal vor
dem Ablauf von drei Monaten ſeit dem Inkraft⸗
treten des Geſetzes ſchriftlich erbietet, die vorge⸗
ſchriebene Entſchädigung zu zahlen, ſowie die dem
Gehilfen zuſtehenden vertragsmäßigen Leiſtungen
auf mehr als 1500 M für das Jahr zu erhöhen.
Aus dieſer Faſſung ergibt ſich, daß es aber
nicht genügt, zu einem vorher vereinbarten Wett⸗
bewerbverbote nur die Karenzentſchädigung und
die Erhöhung der Bezüge nachzuholen; die ganze oder
teilweiſe Verbindlichkeit des früher vereinbarten
Wettbewerbverbotes iſt nach $ 74 a neuer Faſſung
zu beurteilen.
Aus Anlaß des Krieges wurden durch die
Bundesratsbekanntmachung vom 10. September
1914 die Vorſchriften des 8 75 Abſ. 2 des neuen
Geſetzes alsbald in Kraft geſetzt; es handelt ſich
dabei um die Kündigung durch den Prinzipal
(ſ. oben 8 75 unter a, b und c); die Erklärung
des Prinzipals, dem Gehilfen die vollen vertrags⸗
mäßigen Leiſtungen zu gewähren, muß bei der
Kündigung oder, falls dieſe ſchon vor dem In⸗
krafttreten der Verordnung erſolgt war, unverzüglich
nach dem Inkrafttreten erfolgen. Dieſe Verordnung
iſt mit dem Tage der Verkündung in Kraſt getreten.
Zum Schluſſe ſoll nicht unerwähnt bleiben,
daß zur Entſcheidung von Streitigkeiten zwiſchen
Prinzipalen und Handlungsgehilfen mit einem Lohn
oder Gehalt von nicht mehr als 5000 & ohne
Rückſicht auf den Wert des Streitgegenſtandes die
Kaufmannsgerichte ausſchließlich zuſtändig ſind,
wenn dieſe Streitigkeiten die Anſprüche aus einer
Vereinbarung betreffen, durch welche der Handlungs⸗
gehilfe oder Handlungslehrling für die Zeit nach. der
Beendigung des Dienſt⸗ oder Lehrverhältniſſes in
ſeiner gewerblichen Tätigkeit beſchränkt wird, die
Berufung an die Landgerichte iſt nur zulaͤſſig,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
wenn der Wert des Streitgegenſtandes den Betrag | Dabei darf aber nicht überſehen werden, daß Gegen⸗
von 300 M überſteigt.
Da die Errichtung von Kaufmannsgerichten
ſchon für Gemeinden mit mehr als 20 000 Ein⸗
wohnern vorgeſchrieben iſt, werden ſich die Amts⸗
gerichte mit dieſen Beſtimmungen wohl kaum zu
befaſſen haben, da für kaufmänniſche Betriebe in
Gemeinden unter 20 000 Einwohnern wohl ſelten
der beſondere Schutz eines berechtigten geihäftlichen
Intereſſes des Prinzipals erforderlich erſcheint und
der Prinzipal, um ein Wettbewerbverbot verein⸗
baren zu können, kaum das Opfer der Karenz⸗
entſchädigung zu bringen in der Lage iſt. Ge⸗
rade aus letzterem Grunde werden Konkurrenz⸗
klauſeln mit kauſmänniſchen Angeſtellten nur noch
eine ſeltene Ausnahme bilden, und die Einſchrän⸗
kung der Konkurrenzklauſeln und ihre Zurückführung
auf diejenigen Verhältniſſe, in welchen ſie nicht
entbehrlich find, iſt der Zweck des Geſetzes.
Zur Bildung von Geſamtſtrafen.
Bon Dr. Jaksb Fehler, Landgerichtsrat in München.
Das Oberſte Landesgericht hat in einem Be⸗
ſchluſſe vom 22. März 1912 (Obs GSt. 12, 134)
ausgeſprochen, es ſei eine Geſamtſtrafe aus einer
durch ein früheres Urteil für ein Verbrechen oder
Vergehen erkannten Strafe mit einer ſpäter für
ein Kollektivdelikt verhängten Strafe auch dann zu
bilden, wenn das Kollektivdelikt teils vor teils nach
der früheren Verurteilung verübt iſt.
Dieſe Entſcheidung laßt ſich m. E. nicht halten.
Die in ihr geſtellte Frage ergibt ſich nicht nur für
Kollektivdelikte, ſondern für alle Straftaten, deren
Tatbeſtand eine längere Zeitſpanne hindurch ver⸗
wirklicht wird, alſo auch für Dauer- und fortgeſetzte
Delikte. Denn bei den Straftaten dieſer 3 Delikts—
arten iſt es möglich, daß der Täter während ihres
Laufes wegen einer anderen Straftat abgeurteilt
wird, daß alſo je ein Teil von ihnen vor und nach
dieſer Aburteilung verübt wird. Für alle 3 Delikts—
arten liegt deshalb die geſtellte Frage gleich und
kann nur in einem Sinne beantwortet werden.
Es handelt ſich um die Auslegung des 8 79
StGB. Sein Grundgedanke iſt der, daß es, wenn
eine gleichzeitige Aburteilung mehrerer Verbrechen
oder Vergehen rechtlich möglich iſt, dem Angeklagten
bei der Beſtraſung nicht zum Nachteile gereichen
ſoll, daß die Aburteilung aus tatſächlichen Gründen
durch mehrere Urteile erfolgt (RGSt. 37, 170).
Mit dem Oberſten Landesgerichte iſt davon aus—
zugehen, daß Kollektivdelikte — ebenſo natürlich
auch Dauer und fortgeſetzte Delikte — für das
Gebiet der Konkurrenzlehre als Einheit aufzufaſſen
ſind, daß alſo die durch längere Zeit hindurch ver—
übten Kollektiv-, Dauer- und fortgeſetzten Delikte
für dieſes Gebiet nur je eine einheitliche Tat ſind.
ſtand der Aburteilung immer nur eine ganz be⸗
ſtimmte, geſchichtlich gegebene Tat in ihrer wirklichen
Geſtalt iſt, daß dieſe Tat ſelbſtverſtändlich erſt ab⸗
geurteilt werden kann, wenn ſie abgeſchloſſen iſt,
daß alſo immer nur die ganze Tat abgeurteilt und
beſtraſt wird, und niemals nur ein Stück von ihr,
das unſelbſtändig und ohne rechtliches Sonder⸗
daſein iſt.
Wird nun eine ſolche geichichllich genau beſtimmte,
einheitliche Tat teils vor teils nach der Verurteilung
wegen eines anderen Verbrechens oder Vergehens
vom gleichen Täter verübt, jo kann fie in ihrer
wirklichen Geſtalt ſelbſtverſtaͤndlich im Augenblicke
dieſer Verurteilung nicht mit abgeurteilt werden;
ihre wirkliche Geſtalt iſt noch garnicht gegeben,
ſie iſt noch nicht fertig. Es fehlt alſo die erſte
Vorausſetzung für die Anwendung des 8 79 StGB.,
die rechtliche Möglichkeit der gleichzeitigen Abur⸗
teilung. Das ergibt ſich unmittelbar aus der folge⸗
richtigen Betrachtung des Kollektiv-, Dauer: und
fortgeſetzten Deliktes als einer Tateinheit.) Es geht
nicht an, eine ſolche Einheit auseinanderzureißen
in ein Stück vor der früheren Verurteilung und
in ein Stück nach ihr. Darauf kommt aber im
Grunde der Beſchluß vom 22. März 1912 hinaus.
Er ſagt:
„U. hat die Zuhälterei begangen durch die ſort⸗
geſetzte Ausbeutung einer und derſelben Dirne, von der
er den Lebensunterhalt in Kenntnis ihres unſittlichen
Erwerbes bezog. So gut man angeſichts des Abſchluſſes,
den das Treiben des U. durch ſeine Feſtnahme gefunden
hat, von einer bis zum Zeitpunkte der Feſtnahme —
dem 6. Februar — erfolgten Begehung ſprechen kann,
ebenſogut kann ſchon in der Geſamtheit der Einzel»
handlungen, aus denen ſich die bis zum 22. oder 24. Ja⸗
nuar — Zeit der Erlaſſung und Zuſtellung des Straj:
befehles wegen Hausfriedensbruches — verübte Aus⸗
beutung der Dirne zuſammenſetzt, eine Begehung des
Kollektivdeliktes der Zuhälterei erblickt werden. Das
Tun des Angeklagten bleibt ein einheitliches, mag man
es vom Zeitpunkte ſeines Beginnes oder von dem ſeines
Abſchluſſes aus betrachten. U. hat noch vor der —
am 24. Januar erfolgten — Zuſtellung des Strafbefehles,
„nämlich am 12. Januar 1912, das nach 8 18a StG.
zu ahndende Tun begonnen und es bis zum 6. Februar
1912 fortgeſetzt. Für die rechtliche Betrachtung auf
Grund der Annahme des Vorliegens eines ſog. Kollektiv⸗
deliktes war es ebenſogut möglich, daß ſein Tun für
die Zeit vom 12. Januar bis zum 24. Januar als ein
einheitliches aufgefaßt wurde; der Umſtand daß er es
noch bis zum 6. Februar fortſetzte, ändert an der iecht⸗
lichen Möglichkeit nichts, daß fein Tun auch ſchon für
die Zeit vom 12. bis zum 24. Januar als einheitliches
aufgefaßt wird. Steht dieſer Auffaſſung ein rechtliches
Bedenken nicht entgegen, ſo muß angenommen werden,
daß U. ſchon vor der Zuſtellung des Strafbefehles,
alſo ſchon vor der früheren Verurteilung die nach
§ 181 a StGB. ſtrafbare Handlung begangen hat.“
Tiefe Begründung zeigt deutlich. daß der
Beſchluß das am 12. Januar begonnene und bis
zum b. Februar fortgeſetzte einheitliche verbrecheriſche
Tun weder vom Zeitpunkte ſeines Beginnens noch
von dem ſeines Abſchluſſes aus betrachtet. Denn
) Vgl. RG St. 47, 309.
von beiden Punkten aus müßte er das ganze Tun
des Angeklagten ſehen; bei erſterem vom Anfange
bis zum Ende, bei letzterem vom Ende bis zum
Anfange; irgend ein Abſchnitt in dieſem Tun er⸗
gäbe ſich nicht. Der Beſchluß macht aber einen
Einſchnitt in das Tun des Angeklagten mit dem
22. 24. Januar, dem Zeitpunkte der früheren Ver:
urteilung, der zwar zeitlich mitten in den Lauf
dieſes Tuns fällt, aber nicht im mindeſten mit
ihm zuſammenhaͤngt, für dieſes Tun völlig zu⸗
fällig und deshalb willkürlich iſt. Von dieſem
Zeitpunkte aus betrachtet der Beſchluß in Wirk⸗
lichkeit die einheitliche Tat; er zerlegt ſie trotz
ihrer Einheit in ein Stück vor der früheren Ver⸗
urteilung und in ein Stück nach ihr; er betrachtet
das erſtere für ſich, behandelt es als rechtlich ſelb⸗
ſtändig und die für die ganze Tat ausgeſprochene
Strafe jo, als wäre fie nur für dieſes Stück er:
kannt; er beachtet das zweite Stück weiter nicht,
behandelt es als belanglos und kommt ſo zu der
Fiktion — etwas anderes iſt es nicht — daß das
tatſächlich erſt am 6. Februar beendete Vergehen
des U. rechtlich ſchn am 22. / 24. Januar be⸗
endet war. Der Beſchluß überſieht dabei wirklich,
daß die Strafe nur für eine ganze, fertige Tat
gegeben wird und nie für ein Stück Tat, daß ſie
gegeben wird für eine Tat in ihrer geſchichtlichen
Geſtalt und nicht in einer allenfalls möglichen,
gedachten Form, daß ferner der die Tat beurtei⸗
lende Richter ſie immer erſt nach ihrem Abſchluſſe
betrachtet, daß er ſie dann von ihrem Beginne
bis zu ihrem Abſchluſſe ſieht und daß er ſie nie
von einem zufälligen, ihr an ſich fremden, mitten
in ihren Lauf fallenden Zeitpunkt aus beurteilen
darf. All das iſt aber auch bei der Auslegung
des § 79 StGB. zu beachten und es führt zu der
Annahme, daß auch ein Kollektiv⸗, Dauer: und
fortgeſetztes Delikt jo gut wie jede einfache Straf⸗
tat im Sinne dieſer Geſetzesſtelle erſt dann „be⸗
gangen“ iſt, wenn es geſchichtlich abgeſchloſſen iſt.
Der Beginn dieſer Delikte iſt hier gleichgültig;
der Zeitpunkt ihres Abſchluſſes allein entſcheidet
darüber, ob eine Verurteilung wegen einer an⸗
deren Straftat vor oder nach ihrer Begehung liegt,
ob die für ſie verhängten Strafen mit der Strafe
aus der früheren Verurteilung auf eine Geſamt⸗
ſtrafe zurückzuführen find. Iſt das Kollektiv⸗, Dauer-,
oder fortgeſetzte Delikt erſt nach dieſer Verurteilung
beendet, ſo iſt eine Geſamtſtrafe nicht zu bilden;
es war deshalb auch im Falle des Beſchluſſes
vom 22. März 1912 auf eine ſolche nicht zu er:
kennen.
Dies Ergebnis wird beſtätigt durch die Aus⸗
legung anderer Stellen des Strafgeſetzbuches.
Nach 8 67 Abſ. 4 beginnt die Verjährung einer
Straftat mit dem Tage, an dem die Handlung
„begangen“ iſt. Es wird allgemein angenommen,
daß Kollektiv⸗, Dauer: und fortgeſetzte Delikte erſt
vom Augenblicke ihres Abſchlufſes an verjähren, daß
ſie alſo erſt in dieſem Zeitpunkte „begangen“ ſind.
Zettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
377
Nach § 61 StGB. beginnt die Friſt zur
Stellung des Strafantrages mit dem Tage, ſeit
welchem der Antragsberechtigte von der Hand⸗
lung . .. Kenntnis gehabt hat. Es wird auch
da allgemein angenommen, daß bei Kollektiv⸗,
Dauer⸗ und fortgeſetzten Delikten die Kenntnis
erſt des Abſchluſſes dieſer Straftaten entſcheidet,
jo daß dieſe Handlungen im Sinne des 8 61 auch
erſt mit dem Augenblicke ihres Abſchluſſes ge⸗
geben find.
Aehnliches ergibt ih z. B. bei 88 2, 56,57 StGB.
Auch auf prozeſſualem Gebiete macht ſich natur⸗
gemäß die Einheit der Kollektiv⸗, Dauer: und fort:
geſetzten Delikte geltend. Verübt z. B. ein Sieb⸗
zehnjähriger ein Sittlichkeitsverbrechen an einer
geiſteskranken Frauensperſon — 8 176 Nr. 2 StGB.
— und ſetzt er es in Ausübung desſelben Vor⸗
ſatzes über das 18. Lebensjahr hinaus fort, fo
entſcheidet über das ganze fortgeſetzte Verbrechen
nach 8 80 GVG. das Schwurgericht trotz 8 73
Nr. 3 GVGG., weil eben eine geſonderte rechtliche
Behandlung und Aburteilung der vor dem voll⸗
endeten 18. Lebensjahre verübten unſelbſtändigen
Einzelhandlungen nicht möglich iſt.
Ein Grund, gerade bei 8 79 StGB. eine Aus:
nahme zu machen, beſteht nicht; ein ſolcher kann
insbeſondere nicht aus dem Umſtande entnommen
werden, daß 8 79 eine Beſtimmung zugunſten des
Angeklagten enthält. Denn die Vorſchriften der
89 61 und 67 StGB. find nicht weniger zugunſten
des Angeklagten gegeben und trotzdem iſt bei ihnen
auf den Abſchluß der Straftaten abzuſtellen.
Auch noch andere Erwägungen zeigen, daß der
im Beſchluſſe vom 22. Maͤrz 1912 aufgeſtellte
Grundſatz ſich nicht halten läßt. Man braucht
ihn nur in einzelnen möglichen Fällen anzuwenden;
man nehme z. B. an:
1. Der Zuhälter, deſſen Beſtrafung Anlaß
zur Aufſtellung des Grundſatzes gab, habe am
25. Januar 1912 die Dirne geheiratet, bei der er
vom 12. Januar bis 6. Februar 1912 den Zu⸗
hälter machte; nach 8 181 a Abi. 2 StGB. müßte
er mindeſtens 1 Jahr Gefängnis bekommen haben.
Die Tatſache, die einzig und allein die Mindeſt⸗
ſtrafe von 1 Monate — 8181 a Abſ. 1 StGB. —
auf 1 Jahr Gefängnis erhöht, läge nach der Ver⸗
urteilung vom 22.24. Januar 1912. Das Tun
des Zuhälters wäre aber auch hier ein einheitliches
Kollektivdelikt. „Für die rechtliche Betrachtung auf
Grund der Annahme des Vorliegens eines ſog.
Kollektivdeliktes“ wäre es auch hier „ebenſogut
möglich, daß ſein Tun für die Zeit vom 12. bis
zum 24. Januar als ein einheitliches aufgefaßt
wurde; der Umſtand, daß er es noch bis zum
6. Februar fortfeßte, änderte nichts an der recht⸗
lichen Möglichkeit, daß ſein Tun auch ſchon für
die Zeit vom 12. bis zum 24. Januar als ein⸗
heitlich aufgefaßt wird“. Es ſpringt ſofort in die
Augen, daß dieſe Begründung des Beſchluſſes vom
22. März 1912 auch hier in dem gedachten Falle
378
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
„auf Grund der Annahme des Vorliegens eines ſog. erſt dann begangen find, wenn ſie vollſtändig ab⸗
Kollektivdeliktes“ nicht abgelehnt werden könnte;
es zeigt ſich aber auch ſofort, daß ſie zu einem
unannehmbaren Ergebniſſe führt und daß fie deshalb
nicht richtig ſein kann; denn daß eine rechtlich ſo
erhebliche Tatſache, wie hier die Heirat der Dirne
durch den Zuhälter, die die Mindſtiſtrafe des gleichen
Vergehens ſo in die Höhe ſchnellen läßt, rechtlich
jemals unbeachtlich ſein ſollte, iſt ohne weiteres
ausgeſchloſſen.
2. A habe den B am 1. Januar 1914 vor⸗
ſaͤtzlich und widerrechtlich eingeſperrt und bis zum
10. Januar 1914 eingeſperrt gelaſſen; am 5. Januar
1914 ſei A wegen Diebſtahls zu einem Jahre Ge⸗
fängnis und am 15. Februar 1914 wegen der
an B verübten Freiheitsberaubung zu einem Jahre
Zuchthaus verurteilt worden. Die einzige Tatſache,
die die gleiche Straftat der Freiheitsberaubung aus
einem Vergehen zu einem Verbrechen werden läßt
und — bei Verſagung mildernder Umſtaͤnde —
die Mindeſtſtrafe von einem Tage Gefängnis auf
ein Jahr Zuchthaus erhöht — 8 239 Abſ. 1 und 2
StGB. —, läge nach der Verurteilung vom
5. Januar 1914. Trotzdem könnte auch hier die
Begründung des Beſchluſſes vom 22. Maͤrz 1912
nicht abgelehnt werden, da auch hier wieder nur
eine einheitliche Tat vorläge, die teils vor teils nach
der Verurteilung vom 5. Januar 1914 verübt
wäre. Auch dieſes Beiſpiel zeigt wohl deutlich, daß
der Beſchluß vom 22. März 1912 ſich nicht halten
laͤßt. Denn obwohl hier das Tun des A vor und
nach dem 5. Januar 1914 völlig gleich ware,
erzeugt doch der einfache Zeitablauf eine rechtlich
jo erhebliche Tatſache, daß dieſe nie belanglos
ſein kann.
Das Gleiche kann ſich bei einer fortgeſetzten
Straftat ergeben. A begeht zum Beiſpiel eine
längere Zeit hindurch — etwa ein Jahr lang —
einen fortgeſetzten Betrug zum Nachteile des B.
Mitten im Laufe dieſer Straftat wird er zum
zweiten Male wegen — eines anderen — Betruges
beitraft und rückfällig. Der teils vor teils nach
dem Eintritte der Rückfälligkeit verübte fortgeſetzte
Betrug zum Nachteile des B wird damit zum Ver—
brechen; RS =t. 47, 308. Wäre A unmittelbar vor
dem Eintritte der Rückfälligkeit wegen eines Diebſtahls
verurteilt worden und dieſe Strafe noch nicht verbüßt
uſw., jo wäre die Rechtslage wie beim Beiſpiel 2.
Dazu kommt, daß nach dem Beſchluſſe vom
22. März 1912 derjenige, der ſeine verbrecheriſche
Tätigkeit vor der früheren Verurteilung begonnen
und ſie darüber hinaus fortgeſetzt hat, rechtlich
— —— — . ́ꝓ8—ut— nern
geſchloſſen find.
Das hat übrigens das Oberſte Landesgericht
ſelbſt ſchon anerkannt. In ſeinem Beſchluſſe vom
21. Auguſt 1909, Beſchw.⸗Reg. Nr. 594/09 (Obs G.
StS. 9, 314) hatte es folgenden Fall zu entſcheiden.
Str. war rechtskräftig verurteilt:
a) vom Schöffengericht W. am 16. November
1908 wegen Sachbeſchädigung zu 3 Wochen
Gefängnis;
b) vom Landgericht W. am 23. Juni 1909
wegen
1. eines Verbrechens des Diebſtahles, verübt
am 17./18. Oktober 1908 zu 1 Jahre
Zuchthaus;
2. eines Vergehens der Zuhälterei begangen
vom Oktober 1908 bis Dezember 1908 zu
2 Jahren Gefängnis;
3. eines weiteren Vergehens der Zuhälterei,
verübt vom Dezember 1908 bis März
1909 zu 10 Monaten Gefängnis;
4. eines Vergehens der Hehlerei, begangen
am 7./8. März 1909 zu 8 Monaten
Gefängnis.
Die Strafe vom 16. November 1908 war am
23. Juni 1909 noch nicht verbüßt und dem Land:
gerichte nicht bekannt; es bildete deshalb aus den
vier unter b aufgeführten Einzelſtrafen eine Geſamt⸗
ſtrafe von 3 Jahren Zuchthaus. Durch Beſchluß
vom 24. Juli 1909 wurde fie aufgehoben; gleich⸗
zeitig wurden zwei neue Geſamtſtrafen gebildet
und zwar die eine aus den Strafen a und bl
— 3 Wochen Gefängnis und 1 Jahr Zuchthaus
— und die andere aus den Strafen b 2, 3 und 4
— 2 Jahre, 10 und 8 Monate Gefängnis. In
ſeinem Antrag auf Bildung dieſer zwei Geſamt⸗
ſtrafen hatte der Staatsanwalt ausdrücklich dar⸗
auf hingewieſen, daß die mit 2 Jahren Gefängnis
beſtrafte Zuhälterei teils vor und teils nach dem
früheren Urteile vom 16. November 1908 verübt,
daß fie aber im Sinne des I 79 StGB. erſt nach
ihrem Abſchluſſe, alſo nach der früheren Verurtei⸗
lung begangen ſei.
Das Landgericht ſchloß ſich dem ohne weitere
Ausführung an. Der Angeklagte legte gegen den
Beſchluß vom 24. Juli 1909 Beſchwerde ein. Der
Generalſtaatsanwalt bemerkte dazu, daß die vom
Oktober 1908 bis Dezember 1908 verübte Zu⸗
beſſer geſtellt wäre, als derjenige. der ſie — unter
gleichen Verhältniſſen im übrigen — unmittelbar
nach der früheren Verurteilung beginnt; erſterer
hätte den Vorteil der Geſamtſtrafe, letzterer nicht
und dies, obwohl ſeine verbrecheriſche Tätigkeit
geringer wäre als die des erſteren.
Das alles zeigt wieder, daß Kollektiv-, Dauer—
und fortgeſetzte Delikte im Sinne des $ 79 StGB.
hälterei als erſt nach dem früheren Urteile vom
16. November 1908 begangen anzuſehen ſei. Das
Oberſte Landesgericht hat in dem Beſchluſſe vom
21. Auguſt 1909 die zuläſſige Beſchwerde ver⸗
worfen. Aus den Gründen dieſes Beſchluſſes iſt
hier anzuführen:
„Zu einer Geſamtſtrafe kann .. auf Grund
der $ 79 StGB. und 8 494 StPO. die in einem
früheren Urteile ausgeſprochene Strafe nur ver:
einigt werden mit einer Strafe, die in einem ſpaͤ⸗
teren Urteile wegen einer vor der früheren Ver⸗
urteilung begangenen Tat erkannt worden iſt;
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
——
— . —ũ y ————ꝛ— ̃ 2—ñ—ĩ —ꝛ̃ q
Strafen, die in dem ſpäteren Urteile wegen
mehrerer ſtrafbarer Handlungen ausgeſprochen
wurden, die erſt nach der früheren Verurteilung
begangen wurden, können mit der in dem früheren
Urteile ausgeſprochenen Strafe nicht vereinigt
werden, ſondern find auf eine weitere ſelbſtändige
Geſamtſtrafe zurückzuführen.“
„Am 16. November 1908 hätte aber in An⸗
ſehung der den Gegenſtand des Urteiles vom
23. Juni 1909 bildenden 4 Straftaten die Ab⸗
urteilung nur wegen des damals bereits begangenen
Verbrechens des Diebſtahles, nicht auch wegen der
erſt ſpäter begangenen 3 anderen Vergehen er:
folgen können. Daher konnte in dem angefoch⸗
tenen Beſchluſſe (des Landgerichtes) eine Geſamt⸗
ſtrafe nur gebildet werden aus den wegen Sach⸗
beſchädigung und Diebſtahl ausgeſprochenen Einzel⸗
ſtrafen und mußte eine weitere Geſamtſtrafe ge⸗
bildet werden aus den für die 3 übrigen Ver⸗
gehen angenommenen Einzelſtrafen von 2 Jahren,
10 und 8 Monaten Gefängnis.“
Hier hatte alſo das Oberſte Landesgericht genau
die gleiche Frage zu entſcheiden, wie in dem Be⸗
ſchluſſe vom 22. März 1912; es hat ſie gerade
im entgegengeſetzten Sinne entſchieden; es hat er⸗
klärt, daß die teils vor teils nach dem 16. No⸗
vember 1908 verübte Zuhälterei im Sinne des
879 StGB. erſt nach dem 16. November 1908
begangen iſt. Es hat dieſe Auffaſſung zwar nicht
näher begründet, aber trotzdem nicht ohne nähere
Prüfung gewonnen. Denn die Frage war zwei⸗
mal ausdrücklich zur Erörterung geſtellt. Darauf⸗
hin erfolgte ihre Beantwortung in dem allein
richtigen Sinne.
Das Aufrechnungsrecht des Gritehers im
Zwangs verſteigerungs verfahren.)
Von Rechtsanwalt Nichard Berolzheimer in München.
1. Das Reichsgericht nimmt in, ſoweit erſichtlich,
ſtändiger Rechtſprechung ſowohl nach altem wie
nach neuem Rechte der Zwangsvollſtreckung in
Grundſtücke an, daß der Erſteher den Anſpruch
der Realglaͤubiger auf Befriedigung aus dem Ver⸗
ſteigerungserlös jedenfalls inſolang nicht durch Auf:
rechnung erfüllen kann, als nicht die Forderung
gegen den Erſteher auf die Berechtigten gemäß
§ 118 Zw. übertragen iſt.
Schon in RGZ. V, 310 beſtreitet das Reichs
gericht die Zulälfigfeit der Aufrechnung vor dieſem
Zeitpunkte mit der Begründung: „Dem einzelnen
Hypothekglaͤubiger ſteht bezüglich des Kaufgeldes,
ſolange nicht ſolches als Rückſtand überwieſen iſt,
ein Gläubigerrecht gegen den Erſteher nicht zu,
) Zahlen ohne weitere Angabe beziehen ſich auf
die Paragraphen des Zw.
— 8 — ̈b 8 — —...—8——lEpAʃSÄ——ᷓ—
der Erſteher iſt alſo wegen des Kaufgeldes nicht
der Schuldner des Hypothekgläubigers.“ Aehnlich
lautet die Begründung in RGZ. 64, 311: „Darüber
kann kein Zweifel beſtehen, daß die an der Zwangs⸗
verſteigerung beteiligten Gläubiger, von dem Fall
des $ 118 abgeſehen, keinen Anſpruch auf Zahlung
gegen den Erſteher, mit dem ſie in gar keinem Ver⸗
tragsverhältniſſe ſtehen, ſondern nur ein Recht
darauf haben, nach den für das Zwangsverſteige⸗
rungsverfahren gegebenen Vorſchriften wegen ihrer
Forderungen befriedigt zu werden.“ In RG3. 72,
344 verweigert das Reichsgericht ebenfalls dem
Erſteher die Aufrechnung. Die gleiche Auffaſſung
vertritt das Oberlandesgericht Jena in Seuff.
Arch. Bd. 67 Nr. 121.
Die Rechtswiſſenſchaft hat ſich der Auffaſſung
des Reichsgerichts angeſchloſſen. Steiner, 2. Aufl.
§ 117 Anm. 4 jagt z. B.: „Der Erſteher kann
nicht gegenüber der zum Zug gekommenen For⸗
derung eines anderen Beteiligten, der ſein Schuldner
iſt, kompenſieren; denn erſterer ſchuldet den Strich⸗
erlös nicht den Beteiligten, ſondern dem Subha⸗
ſtaten, wenigſtens ſolange die Forderung noch nicht
übertragen iſt.“ Ebenſo bei $ 144 Anm. 2 a Fuß⸗
note 3. Gleicher Anſicht Jaeckel⸗Güthe 3. Aufl.
8 117 Anm. 1 und $ 118 Anm. 4, Fiſcher und
Schäfer, Zwangsvollſtreckung 2. Aufl. Anm. 2,
letzter Abſatz zu $ 115, Anm. 1 zu $ 118, von
der Pfordten Anm. II 1 zu 8 107, IV 4 zu
88 116-118.
Die Richtigkeit der Anſchauung des Reichs⸗
gerichts kann aber nicht anerkannt werden.
2. Rechtſprechung und Rechtslehre begründen
ihren die Aufrechnung ablehnenden Standpunkt
mit der Erwaͤgung, es ſeien vor der Uebertragung
der Forderung gegen den Erſteher auf die Be⸗
teiligten keine Rechtsbeziehungen zwiſchen Erſteher
und Beteiligten vorhanden, dieſe Beziehungen ſeien
aber die notwendige Vorausſetzung der Aufrechnung
(S 387 BGB.).
Welches iſt nun das Verhältnis zwiſchen Er:
ſteher und Realberechtigten, ehe die Uebertragung
ſtattgefunden hat? f
Durch die Verkündung (§ 89) oder Zuſtellung
(8 104) des Zuſchlagsbeſchluſſes erlöſchen die Rechte
an den Grundſtücken, welche nicht nach den Ver⸗
ſteigerungsbedingungen beſtehen bleiben ſollen (8 91).
Was an die Stelle der Rechte tritt, iſt im Geſetze
ausdrücklich nur für die Rechte beſtimmt, die nicht
auf Zahlung eines Kapitals gerichtet ſind, wie
Grunddienſtbarkeiten, $ 92. Bleibt dagegen eine
Hypothek nach den Verſteigerungsbedingungen nicht
beſtehen, fällt ſie aber noch in das Meiſtgebot,
ſo iſt eine geſetzliche Regelung des Schickſals dieſer
ehemaligen, durch den Zuſchlag erloſchenen Hypothek
bis zum Zeitpunkt der Uebertragung nach § 118
nirgends getroffen, namentlich nicht im 8 92.
Doch ergibt fi, wie RGZ. 71, 404 aus der
Entſtehungsgeſchichte des Geſetzes nachweiſt, aus
anderen Vorſchriften des Geſetzes das ſog. „Surro:
380
ationsprinzip“, d. h. der Grundſatz, daß der Ber:
ag unge an die Stelle des verſteigerten
Grundſtücks tritt. „Die Forderung aus dem
Meiſtgebot ſteht nicht den Glaͤubigern, deren An:
ſprüche nach dem Ergebnis der Zwangsverſteigerung
gedeckt erſcheinen, zu den Beträgen zu, für die der
einzelne Gläubiger Deckung findet, ſondern iſt den
Rechten der Gläubiger unterworſenes, zur Befrie⸗
digung der Gläubiger beſtimmtes Vermögen des
bisherigen Eigentümers des verſteigerten Grund⸗
ſtücks“, ſagt das Bayeriſche Oberſte Landesgericht
für das frühere bayeriſche Recht, ObL GZ. Bd. 4
Nr. 110 S. 506. Vgl. auch Steiner 8 23 Anm. 3 A,
8 92 Anm. 1, ferner OL GRſpr. Bd. 20 S. 355:
„Nach dem das Verfahren beherrſchenden Surro⸗
gationsprinzip iſt mit allen rechtlichen Beziehungen
der Erlös an Stelle des Eigentums, alſo in das
Vermögen des Subhaſtaten getreten
Die Beſchlagnahme erſtreckt ſich kraſt des Surro⸗
gationsprinzips auf den Erlös und bewirkt deſſen
Pfändung zugunſten der beteiligten Gläubiger.“
Dieſer Grundſatz der Erſetzung folgt namentlich
aus den 88 10, 37 Nr. 5, 109 Abſ. 2, 118.
Allerdings erfolgt nach $ 107 Abſ. 2 die von
dem Erſteher im Termin zu leiſtende Zahlung an
das Gericht. Dadurch erlangt aber das Gericht
nicht einen privatrechtlichen Anſpruch auf Zahlung
des Erlöſes, es wird nicht etwa ſelbſt an Stelle
des bisherigen Eigentümers Gläubiger der durch
Meiſtgebot und Zuſchlag für den Erſteher ent⸗
ſtandenen Schuld. Gläubiger bleibt vielmehr der
bisherige Eigentümer. Dies ſprechen auch RG3.
64, 311 und 72, 344 aus.“) Nur der Verfügung
des Schuldners iſt die Forderung entzogen, er kann
ſie nicht einziehen, nicht dagegen aufrechnen oder
ſie ſonſtwie beſeitigen, der Erſteher kann nicht mit
befreiender Wirkung an ihn zahlen. Nicht aber
begründet 8 107 Abſ. 2 ſelbſtändig eine Ver⸗
pflichtung des Erſtehers zur Zahlung des Meiſt⸗
gebots, er ordnet nur an, daß die Zahlung, wenn
ſie überhaupt im Termin geleiſtet wird, dann an
das Gericht erfolgen ſoll. Es wird alſo hier
vorausgeſetzt, nicht gefordert, daß im Verteilungs—
termin gezahlt wird. Zahlt der Erſteher nicht,
dann greift das Uebertragungsverfahren des $ 118
Platz. Zahlt er, dann übernimmt das Gericht
gemäß § 107 die Uebermittlung der gezahlten
Summe an die Hebungsberechtigten; Gläubiger
dieſer Summe iſt aber immer der bisherige Eigen—
tümer, wenn er auch mit Rückſicht auf die Rechte,
welche an dem Grundſtück beſtanden und ſich am
Erlös fortſetzen, nicht über dieſen verfügen darf.
Die Hypothekgläubiger hatten bis zum Zu—
ſchlag (Verkündigung oder Zuſtellung, ſ. o.) ein
Pfandrecht an dem Grundſtück (mag der Ausdruck
„Pfandrecht“ für Rechte an Grundſtücken ſich auch
im BGB. nirgends, ſondern nur im EGzBGB.
*) Ebenſo von der Pfordten Anm. II 1, Steiner
Anm. 4 zu § 107.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
— . -Vk.—ů—̃ů—̃ — — —
Art. 192 finden). Nach Erlöſchen des Pfandrechts
an dem Grundſtücke ſetzt ſich das Recht der Hypo:
thekgläubiger, ſoweit ſie zum Zuge kommen, als
Pfandrecht an dem Erlös, d. h. zunächſt an der
Forderung des Schuldners gegen den Erſteher auf
Zahlung des Meiſtgebots fort (vgl. von der Pfordten
Anm. II zu $ 107). Der Anſpruch der Hypothek⸗
gläubiger, für welche hiernach dieſes Pfandrecht
beſteht, gilt gemäß 8 111 als fällig, ſoweit es ſich
um die Befriedigung aus dem Erlös handelt, mag
auch die Fälligkeit nach dem urſprünglichen Schuld⸗
verhältniſſe noch nicht eingetreten ſein und für die
perſönliche Haftung des Schuldners und von mit⸗
haftenden Dritten auch jetzt noch nicht beſtehen.
Es iſt alſo die Forderung des Schuldners gegen
den Erſteher auf Zahlung des Erlöſes zugunſten
einer faͤlligen Forderung von Glaͤubigern des Sub⸗
haſtaten, d. i. des Gläubigers des Erſtehers, mit
einem Pfandrecht belaſtet.
Auf dieſen Tatbeſtand kann unbedenklich 8 1282
BGB. angewendet werden.
8 1282 BGB. betrifft zunächſt die durch
Rechtsgeſchäft begründeten Pfandrechte an Rechten.
Gemäß 88 1273, 1257 BGB. iſt er aber auch ent⸗
ſprechend anzuwenden auf die kraſt Geſetzes entſtan⸗
denen Pfandrechte. Mag man nun annehmen, daß
es ſich bei dem Erſatzrechte des früheren Hypothekars
um ein rechtsgeſchäftliches Pfandrecht, die Hypothek,
handelt, welches ſich durch einen außerhalb des
Vertragsrahmens liegenden Umſtand in ein Pfand⸗
recht an einer Forderung verwandelt hat, ohne
ſeine Eigenſchaft als Vertragspfandrecht einzubüßen,
oder mag man das Gewicht ſtatt auf die urſprüng⸗
liche Natur des Rechtes mehr auf die Natur des
jetzt beſtehenden Rechtes legen und deswegen ein
kraft Geſetzes entſtandenes Pfandrecht an einer
Forderung annehmen: immer hat nach dem Zu⸗
ſchlag der frühere Hypothekgläubiger, der „Pfand⸗
gläubiger“, wegen einer fälligen Forderung ein
Pfandrecht an einer Forderung ſeines Schuldners, des
„Gläubigers“, gegen den Erſteher, den „Schuldner“.
Man kann dieſe Auffaſſung nicht mit einem
Hinweiſe auf 88 830, 835 ZPO. ablehnen. Richtig
iſt zwar, daß bei der Forderungspfändung durch
die Pfändung der Drittſchuldner nicht verpflichtet
wird, an den Gläubiger zu bezahlen, und dieſer
nicht zur Geltendmachung der Forderung befugt
iſt, daß es vielmehr hier zum Zweck der Verwertung
der gepfändeten Forderung durch den Gläubiger
noch eines beſonderen gerichtlichen Vorgangs, der
rechtsbegründenden Ueberweiſung bedarf; dieſe Be⸗
ſtimmung wurde aber nur aus Gründen der Zweck
mäßigkeit getroffen und kann daher nicht rechts⸗
ähnlich auf nicht gleichgelagerte Fälle angewendet
werden. Die Trennung der Ueberweiſung von der
Pfändung hat nämlich den Zweck, die letztere ohne
Einſchränkung bei der Regelung im Arreſt verwerten
zu können, wo ſie nicht zur Ueberweiſung führt.
Motive zum Entwurf 111 S. 433 f., Seuffert
11. Aufl. Anm. 1a zu § 835.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
Dagegen beſteht doch kein Zweifel, daß die Er⸗
ſetzung des Grundſtücks durch den Erlös und das
Weiterbeſtehen des Grundſtückspfandrechts als
Pfandrecht an der Forderung des Schuldners gegen
den Erſteher eine über die Pfaͤndung einer Geld⸗
forderung hinausgehende Wirkung erzeugt. Es
kann namentlich der Erſteher ohne die Gefahr einer
Doppelzahlung an den Realberechtigten zahlen, auch
ohne daß eine Ueberweiſung ſtattgefunden hat. Zwar
fieht auch das Zwangsverſteigerungsgeſetz die Ueber⸗
tragung der zunaͤchſt dem Subhaſtaten zuſtehenden
Forderung gegen den Erſteher auf die Berechtigten
vor. Dieſe Uebertragung hat aber entſprechend
der Ueberweiſung an Zahlungs Statt die Wirkung
einer Befriedigung; ſie ſoll nicht die Befugnis des
Gläubigers vorbereiten, vom Drittſchuldner Be⸗
friedigung zu verlangen, ſondern unter Vernichtung
des Pfandrechts dieſe vertreten. Eine Ueberweiſung
zahlungshalber, bei welcher der bisherige Gläubiger
der gepfändeten Forderung auch fortan Inhaber
der Forderung, bloß mit den durch die Pfändung
begründeten Verfügungsbeſchränkungen, bleibt, da⸗
gegen der Pfandgläubiger nur kraft des Pfand⸗
rechts die Forderung einziehen kann, kennt das
Zw VVG. nicht. Es bedurfte der Ueberweiſung zur
Einziehung auch nicht, weil keine Vorſchrift dieſes
Geſetzes das aus der Hypothek entſtandene Pfand⸗
recht an der Forderung gegen den Erſteher in die
Schranken eines Nur⸗Pfandrechts bannt und ihm
die Wirkung der Einziehungsbefugnis nimmt.
Die Hypothekgläubiger haben daher nach dem
Zuſchlage zugunſten ihrer fälligen Forderungen ein
Pfandrecht an der Forderung des Schuldners gegen
den Erſteher, ſie ſind zur Einziehung dieſer Forderung
berechtigt und der Erſteher kann nur an ſie leiſten,
mögen auch dieſe Befugniſſe durch die beſonderen
Vorſchriften der 88 105 ff. Zw VG. gegenüber $ 1282
BGB. eingeſchränkt ſein. Daß der Schuldner
ſelbſt nicht zur Einziehung der Forderung berechtigt
iſt, an welcher das Pfandrecht beſteht, der Er⸗
ſteher an ihn nicht zahlen darf, beeinträchtigt das
Recht des Pfandglaͤubigers nicht. Denn gerade
zu ſeinen Gunſten beſteht dieſe Beſchränkung. Sie
ſoll eine Verfügung über die Forderung durch einen
andern als durch ihn verhindern.
3. Die Entſcheidung der Frage, ob der Erſteher
gegen die Forderung eines zum Zuge kommenden
Berechtigten mit einer ihm gegen dieſen Berechtigten
zuſtehenden Forderung aufrechnen darf, hängt daher
von der Zuläſſigkeit der Aufrechnung durch den
Drittſchuldner gegen den Pfandgläubiger im Falle
des §S 1282 BGB. ab. Sie wird beſtritten z. B.
von Turnau⸗Förſter 8 1282 Anm. 4. Doch hat
ſich das Reichsgericht ſelbſt in rechtlich Überzeugen:
den Ausführungen der von den Bedürfniſſen der
Praxis geforderten gegenteiligen Anſchauung ange—
ſchloſſen: „Wer eine Forderung im eigenen Intereſſe
durch Entgegennahme der Zahlung einziehen darf,
wird ſie auch im Wege der Aufrechnung zu realiſieren
berechtigt ſein.“ (RG. 58, 109). Daraus leitet
—— . ͤ—— —— ——— ͤ ́ M— — — —. —e— nn an nn nn
381
das Reichsgericht gerade für den Fall des 8 1282
ab, daß, wie der Pfandgläubiger gegenüber dem
Schuldner, ſo auch der Schuldner gegenüber dem
Pfandgläubiger aufrechnen und dadurch die ver⸗
pfändete Forderung erfüllen darf. Auch das
Bayeriſche Oberſte Landesgericht (Obs GZ. Bd. 11
Nr. 44, S. 223) gleicht die Einziehungsbe⸗
fugnis dem Forderungsrechte an: „Wenn auch
die Forderung nicht auf denjenigen, dem eine
Forderung durch Vertrag verpfändet wurde, über⸗
tragen iſt, nimmt er doch nach $ 1282 BGB. in
bezug auf das Recht der Einziehung der Forderung
die gleiche Rechtſtellung ein, als wenn ihm die
Forderung voll übertragen wäre; er macht das
Recht des Gläubigers, ſeines Schuldners, geltend
kraft eigenen Rechts, kraft ſeines Pfandrechts.“ Die
Anſchauung des Reichsgerichts, daß der Schuldner
aufrechnen darf, wird geteilt von Falkmann,“)
Crome,“) Planck,?) Biermann.“) Für den Fall
der Pfändung und Ueberweiſung einer Forderung
erachtet auch Seuffert zu $ 835 ZPO. Anm. 3
Ic letzter Abſatz den Drittſchuldner für befugt,
eine ihm gegen den Gläubiger zuſtehende Forderung
gegen die überwieſene Forderung aufzurechnen
(ebenſo Stein Anm. VII zu 8 835).
4. Kann aber der Schuldner im Falle des
§ 1282 BGB. den Pfandglaͤubiger durch Auf:
rechnung befriedigen, ſo muß die gleiche Befugnis
dem Erſteher gegen den Realberechtigten zuſtehen.
Das Ergebnis der Unterſuchung iſt alſo, daß
der Erſteher den Anſpruch der Real:
gläubiger auf Befriedigung aus dem
Verſteigerungserlöſe ſchon vor der Ueber⸗
tragung (8118 Zw G.) durch Aufrechnung
mit einer ihm gegen den Berechtigten
zuſtehenden Forderung erfüllen kann.
Kleine Mitteilungen.
Autragſteller und Hauptſache bei der einſtweiligen
Verfügung. Wer kann Antrag auf einſtweilige Ver⸗
fügung ſtellen, und was iſt deren Hauptſache? Dieſe
Frage ergab ſich in folgendem Falle:
Ein Bezirksagent, dem ſeiner Meinung nach zu
unrecht ohne Einhaltung einer Kündigungsfriſt ge⸗
kündigt war, hatte mit verſchiedenen auf Vertrags⸗
erfüllung abzielenden Anträgen gegen die Geſchäfts⸗
herrin geklagt. Dieſe beantragte nach der Erhebung
der Klage gegen ſie eine einſtweilige Verfügung des
Inhalts, daß der Kläger ſich nicht weiter als ihr
Agent bezeichnen, Geſchäfte für ſie nicht mehr ſchließen,
Gelder nicht mehr einkaſſieren und irgendwelche Ver⸗
bindlichkeiten nicht mehr eingehen oder erfüllen dürfe.
Kann nun auch der Beklagte eine einſtweilige Ver⸗
) Gruchot, Beiträge Bd. 44 S. 109.
4) Syſtem des deutſchen bürgerlichen Rechts, 3. Bd
8 514 Fußnote 61.
6) 3. Auflage Anm. Ib Abſ. III zu 8 1282.
e) Sachenrecht Anm. Id zu 8 1282.
382 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
fügung erwirken, ohne daß er Widerklage erhebt oder
ſelbſtändig klagt? Iſt die Klage auf Vertrags-
erfüllung auch für die erbetene einſtweilige Verfügung
die Hauptſache?
Güthe in BuſchZ. 24, 370 bezeichnet eine einſt⸗
weilige Verfügung, mag fie auf Grund des & 935 oder
des 8 940 ZPO. beantragt fein, nur als eine vorweg⸗
genommene Zwangsvollſtreckung. Hat nun der Be⸗
klagte nur ein Recht auf Abweiſung der Klage, nicht
dagegen ein Recht auf Zwangsvollſtreckung, ſo beſteht
auch kein Anlaß zur Sicherung der Zwangsvollſtreckung.
Dieſer Rechtsſatz iſt bisher, ſoweit mir bekannt
iſt, weder in der Rechtslehre noch in der Rechtſprechung
ausdrücklich ausgeſprochen worden; jedoch ergibt er
ſich aus der Natur der Sache. Nur er kann gemeint
ſein, wenn die Mot. S. 457 und auf ſie geſtützt die
Kommentare zur ZPO. (wie Peterſen zu 8 940 Anm. 5,
Struckmann⸗Koch, 9. Aufl, Anm. 1 zu 8 936, Seuffert
Anm. 2 zu 8 940) erklären, daß eine einſtweilige Ver⸗
fügung keine Aenderung der Parteirollen in der Haupt⸗
ſache zur Folge hat. Weiter ergibt er ſich auch daraus,
daß in keinem der veröffentlichten Erkenntniſſe, bei
denen einſtweilige Verfügungen in Frage ſtanden, der
Antragſteller ein anderer war als der Kläger ſelbſt,
nicht der Beklagte.
Den Begriff der Hauptſache für eine einſtweilige
Verfügung beſtimmt Gaupp⸗Stein (8 PO. 8 919 II 1)
als das Verfahren über den unmittelbar zu ſichernden
Anſpruch ſelbſt, im Falle des 8 940 ZPO. als das
Verfahren über das zu regelnde Rechtsverhältnis.
Dieſer Begriff iſt ebenda in Bem. II 1 zu 8 256 ZPO.
als rechtliches Verhältnis einer Perſon zu einer anderen
Perſon oder zu einem Sachgut beftimmt; im vorliegen⸗
den Falle wäre darunter das rechtliche Verhältnis der
Geſchäftsherrin zu ihrem Bezirksagenten zu verſtehen.
Wie ſcharf hier die Grenzen einzuhalten ſind, erläutert
Gaupp⸗Stein in der Fortſetzung zu 8 919 II 1 8NO.,
indem er die verſchiedenſten Beiſpiele anführt und
ausdrücklich auf das Erkenntnis des OLG. Hamm
in OL GRſpr. 7, 330 hinweiſt, wonach ein Rechts⸗
ſtreit nicht dadurch zur Hauptſache wird, daß in ihm
der geſicherte Anſpruch durch Einrede geltend gemacht
iſt. Im gleichen Sinn erkannte das Reichsgericht am
Ende ſeiner Entſcheidung im Recht 12 Nr. 3163:
„Darum kann es keinen weſentlichen Unterſchied machen,
ob der Klageantrag als Feſtſtellungs⸗ oder Leiſtungs⸗
antrag gefaßt iſt, wofern die Klage ſelbſt nur der
Verwirklichung des Anſpruchs dient und zu dieſem
Zweck anhängig gemacht iſt.“ Zum gleichen Ergebnis
zwingt endlich die Ausführung bei Falkmann, Zwangs⸗
vollſtreckung, 2. Kap. 8 10: „will Beklagter ſeinerſeits
eine zur Zwangsvollſtreckung geeignete Entſcheidung
über ſeinen Gegenanſpruch an Kläger haben, ſo kann
er dies nur im Wege der Widerklage oder einer jelbs
ſtändigen Klage erreichen“.
Auf dieſer Grundlage ließ der erwähnte Bezirks⸗
agent, nachdem gegen ihn die beantragte einſtweilige
Verfügung erlaſſen war, beantragen anzuordnen,
daß binnen einer zu beſtimmenden Friſt die Klage der
noch nicht anhängigen Hauptſache erhoben werde. Dieſer
Antrag wurde abgewieſen und die Beſchwerde zum
Oberlandesgericht Nürnberg (163/12) mit folgender
Begründung zurückgewieſen:
„Der Anſicht des Landgerichts, daß die Haupt—
ſache ſchon durch die Klage auf Vertragserfullung ans
hängig geworden ſei, iſt beizutreten. Das Geſeßz ent—
. ——— ——̃ uÜ—¼ mm m
8 926 ZBO. keine Begriffsbeſtimmung der Hauptſache
und auch nicht in dem die Zuſtändigkeit beſtimmenden
8 919 ZPO. Die Hauptſache iſt aber das Verfahren
über den unmittelbar zu ſichernden Anſpruch ſelbſt,
im Falle des 8 940 ZPO. das Verfahren über das zu
regelnde Rechtsverhältnis (Gaupp⸗ Stein, Komm. ;.
3 O. 8 919 II 1). Hiernach iſt hier die Hauptſache
anhängig. Denn die einſtweilige Verfügung bezweckt
die vorläufige Feſtſtellung der Folgen der Kündigung
des zwiſchen den Parteien begründeten Agenturverhält⸗
niſſes; die Klage bezweckt aber die Erfüllung dieſes
Vertrages und die Regelung des Vertragsverhältniſſes
zwiſchen den Streitsteilen trotz dieſer Kündigung. Das
Rechtsverhältnis, das den beiden Verfahren zugrunde
liegt, iſt alſo dasſelbe. Demnach iſt keine weitere Klage
mehr zu erheben.“
Dieſe Begründung dürfte kaum mit der angeführten
Rechtslehre und Rechtſprechung in Einklang gebracht
werden können, ebenſowenig mit dem Wortlaut des
Geſetzes. Allein fie hat den Vorzug, daß fie einem
praktiſchen Bedürfnis entgegenkommt und insbeſondere
dem Beklagten Koſten erſpart, da ja nach ihr der Be⸗
klagte keinen Weg zu ſuchen braucht, um Kläger oder
Widerkläger zu werden, und ſo den formalen Forde⸗
rungen des Geſetzes zu genügen.
Rechtsanwalt Landau in Nürnberg.
Der Berichtigungzauſpruch des Minderjährigen nah
dem Preßgeſetz. Begriſf der Beteiligung i. S. des 5 11
des Preß8. Die Münchner Freie Studentenſchaft,
eine Vereinigung von nichtinkorporierten Studenten,
verlangte durch ihren Vorſitzenden von einer Zeitung
die Aufnahme einer Berichtigung. Der Vorſitzende, der
dieſes Verlangen ſtellte, war minderjährig. Da die
Aufnahme der Berichtigung abgelehnt wurde, bean⸗
tragte namens des Minderjährigen dann ein Recht
anwalt die Strafverfolgung. Das Verfahren endete
mit einem freiſprechenden Urteil. Zur Begründung
wurde ausgeführt, ein Minderjähriger könne keinen
Berichtigungsanſpruch geltend machen, da dieſer bürger⸗
lichrechtliche Folgen haben könne. Das Urteil wurde
rechtskräftig. Die Begründung des Urteils kann nicht
unwiderſprochen bleiben.
Das Gericht begründet den Freiſpruch mit der
Bemerkung: „Der Anſpruch ſei von einem Min
jährigen erhoben worden; ſeinem ohne Einwilligung
des geſetzlichen Vertreters geſtellten Erſuchen komme
keine rechtliche Wirkung zu (BGB. 88 107, 111). Die
angeführte Vorſchrift beſtimmt zwar, daß ein Minder⸗
jähriger ohne Einwilligung ſeines geſetzlichen Ver⸗
treters kein einſeitiges Rechtsgeſchäft vornehmen lonne.
Das Gericht hat jedoch überſehen, daß hier der Minder⸗
jährige als Vertreter einer Körperſchaft um die Auf
nahme der Berichtigung erſucht bat; gemäß 8 165 BG .
iſt es hiernach gleichgültig, ob der Vertreter minder
jährig oder volljährig war, da die Wirkſamkeit der
von einem Vertreter abgegebenen Willenserklärung
nicht dadurch beeinträchtigt wird, daß der Vertreter
in der Geſchäftsfähigkeit beſchränkt iſt.
Abgeſehen davon handelte es ſich um eine das
ſtudentiſche Leben betreffende Angelegenheit des Min⸗
derjährigen. Nach den Anſchauungen des Verkebrs
liegt aber in der Entſendung des Minderjährigen auf
eine fremde Univerſität unter Zuweiſung eines be⸗
hält in dem hier gemäß 8 936 ZO. anzuwendenden ſtimmten Einkommens auch die ſtillſchweigende Er⸗
geuſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
mächtigung, die auf das ſtudentiſche Leben bezüglichen
Rechtsgeſchäfte wirkſam vorzunehmen. Es könnte
hiernach 8 113 BGB. entſprechend angewendet und
die einſeitige Rechtshandlung des Minderjährigen als
wirkſam behandelt werden.
Die Geltendmachung eines Berichtigungsanſpruchs
nach dem Preb®. iſt aber überhaupt kein Rechts⸗
geſchäft i. S. des BGB., ſondern eine einſeitige
öffentlichrechtliche Handlung, ihre Wirkſamkeit iſt un⸗
abhängig von bürgerlichrechtlichen Vorſchriften. Oeffent⸗
lichrechtliche Anſprüche können möglicherweiſe auch
bürgerlichrechtliche Folgen haben, nichtsdeſtoweniger
ſind ihre Vorausſetzungen nicht nach dem BGB. zu
beurteilen. Es bedarf nur des Hinweiſes auf das
Strafantragsrecht, das die Antragsmündigkeit ſchon
mit dem vollendeten 18. Lebensjahr eintreten läßt.
Der mitgeteilte Fall gibt auch Anlaß zu der
Frage, ob der Vertreter der Münchner Freien Stu⸗
dentenſchaft i. S. des 8 11 Preß®. beteiligt war.
In der Mitteilung der Zeitung, die zu dem Erſuchen
um Berichtigung führte, war nur von einem „akade⸗
miſchen Komitee für Schulreform der Freien Stu⸗
dentenſchaft“ und zwar in Wien die Rede. Da der
Begriff „Freie Studentenſchaft“ jedoch als einheitlicher
Sammelbegriff und als Kennwort für eine beſtimmte
Körperſchaft bekannt iſt, ſo iſt i. S. des 8 11 jedes
Mitglied einer Teilkörperſchaft der „Freien Studenten⸗
ſchaft“ beteiligt, ſoweit für ihn ein ſachliches Intereſſe
beſteht. Wie Lißt (das „Deutſche Reichspreſſerecht“
S. 95) ausführt, und wie auch bei Wulffen (RPreßG.
5. Aufl.) ausdrücklich hervorgehoben iſt, genügt für
das Vorliegen einer „Beteiligung“ jedes rechtlich be⸗
achtete Intereſſe an der Berichtigung, auch wenn der
Antragſteller weder genannt, noch ſonſt bezeichnet iſt
(vgl. auch RGSt. 3, 40). Die „Münchner Freie
Studentenſchaft“ war in den Zeitungskampf verwickelt
geweſen, der zu dem Erſuchen um Berichtigung führt.
Eine Behauptung über die „Freie Studentenſchaft“
berührt daher den Beſtandteil der geſamten „Freien
Studentenſchaft“, der ſich in der „Münchner Freien
Studentenſchaft“ verkörpert, auch wenn eine „Freie
Studentenſchaft“ einer anderen Univerſität genannt war.
Geſetzespolitiſch fällt auf, daß die Perſon, der vor⸗
wiegend an der Verfolgung des Herausgebers liegen
muß, ſich nicht an dem Verfahren beteiligen kann.
Eine Nebenklage oder ein Anſchluß des Beteiligten
an das öffentliche Strafverfahren iſt nur möglich,
wenn die Vorausſetzungen des 8 435 StPO. gegeben
find, wenn alſo durch die Mitteilung einer Tatſache
in der Preſſe eine ſtrafbare Beleidigung begangen
wurde, auf Grund deren der Beteiligte auch als Privat⸗
kläger auftreten könnte, oder wenn der Beteiligte einen
Antrag auf gerichtliche Entſcheidung gemäß 8 170
StPO. geſtellt hat und die Mitteilung in der Preſſe
eine ſtrafbare Handlung gegen das Leben, die Ge⸗
ſundheit, die Freiheit, den Perſonenſtand oder die
Vermögensrechte des Beteiligten enthielt. Es wäre
zweckmäßig, wenn dem Beteiligten das Recht der Neben⸗
klage zugebilligt würde, da ihm kein Privatklagerecht
zuſteht, wenn nicht eine Beleidigung vorliegt.
Rechtsanwalt Dr. Michael Siegel in München.
383°
Ans der Kechtſprechung.
Reichsgericht.
Zivilſachen.
1
Kaun bei Abtretung einer Brieſhypsthek der nene
Gläubiger den bisherigen auf Verſchaffung des in den
Händen eines Dritten befindlichen Hypothekenbriefes ver:
klagen, nachdem er den Auſpruch gegen den Dritten auf
Serandgabe des Briefes hat pfänden und ſich zur Ein:
ehung überweiſen lafien? Kann er dem bisherigen
länbiger im Prozeß eine Friſt nach § 283 BGB. ſetzen
und in welcher Höhe kann er nach Ablauf der Friſt Schaden⸗
erſatz beauſpruchen? Der Vater des Klägers und der
Beklagte waren die Geſellſchafter einer offenen Handels⸗
geſellſchaft. Erſterer wurde beerbt zu / von feiner
Witwe, der Mutter des Klägers, und zu * von dem
Kläger. Bei der Auseinanderſetzung der Erben mit dem
Beklagten übernahm dieſer das Geſchäft mit Forderungen
und Schulden, wogegen die Erben als Abfindung 7900 M
erhielten; dieſer Betrag wurde „in der Weiſe gezahlt“,
daß der Bekl. eine für die Firma eingetragene Hypothek
von gleicher Höhe an die Erben abtrat. Hieran ſchließt
ſich in der Urkunde die förmliche Abtretungserklärung an.
Der Hypothekenbrief befand ſich damals in den Händen
des Bankiers W., dem die Hypothek zur Sicherheit für
einen der Firma gewährten Kredit verpfändet war. Durch
Schreiben vom 22. März 1903 erbat daher der Beklagte
von dem Bankier die Herausgabe des Hypothekenbriefes,
die dieſer ablehnte. Am 1. Oktober 1904 erwirkten der
Kläger und ſeine Mutter ein rechtskräftig gewordenes
Verſäumnisurteil gegen den Beklagten auf Herausgabe
des Hypothekenbriefes frei von Rechten Dritter. Durch
Beſchluß vom 30. Dezember 1904 haben der Kläger und
ſeine Mutter ſich die Anſprüche des Beklagten gegen den
Bankier W. auf Herausgabe des Hypothekenbriefes zur
Einziehung überweiſen laſſen. Im Jahre 1906 klagte
der Kläger gegen den Bankier auf Herausgabe des Hypo⸗
thekenbriefes, wurde aber durch rechtskräftig gewordenes
Urteil abgewieſen. Der Kläger, dem bei der Auseinander⸗
ſetzung mit ſeiner Mutter deren Anteil an den durch
den Vertrag mit dem Bekl. erworbenen Rechten über⸗
tragen worden iſt, beanſprucht von dem Beklagten
Zahlung von 7900 ½ nebſt Zinſen ſowie Befreiung
von der Koſtenſchuld aus dem erfolgloſen Rechts⸗
ſtreit gegen den Bankier. In dem jetzigen Rechtsſtreit
hat er in einem Schriftſatze vom 17. Februar 1911,
der unmittelbar darauf dem Prozeßbevollmächtigten des
Beklagten zugeſtellt worden iſt, dieſem eine Erklärung
i. S. des § 283 BGB. mit Stellung einer Friſt von
zwei Wochen zugehen laſſen. Das OLG. billigte die Ent⸗
ſcheidung des LG., daß der Beklagte Schadenerſatz in
Höhe des Wertes der Hypothek leiſten müſſe, und zwar
in Höhe des Wertes, den ſie zur Zeit des Ablaufs der
gemäß $ 283 BGB. geſtellten Friſt gehabt habe. Die
Reviſion war erfolglos.
Aus den Gründen: Das BG. führt aus, der
Beklagte % rechtskräftig zur Herausgabe des Hypo⸗
thekenbriefes, frei von Rechten Dritter, verurteilt ge⸗
weſen; es habe ihm obgelegen, den Bankier W. zur
Herausgabe des Briefes zu veranlaſſen, wenn die Hypo⸗
thek dieſem verpfändet geweſen ſei, durch Beſeitigung
des Pfandrechts, bei grundloſer Verweigerung der
Herausgabe durch Klage. Die zweiwöchige Friſt, über
deren Angemeſſenheit kein Streit beſtehe, habe wirk⸗
un in einem Schriftſatze des Prozeßbevollmächtigten
es Klägers dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten
erklärt werden können, und zwar mit der Wirkung, daß
ſich nach fruchtloſem Ablaufe der Friſt gemäß § 283 BGB.
der Anſpruch auf Herausgabe in einen ſolchen auf
Schadenserſatz d. h. auf Zahlung des Geldbetrags ums»
gewandelt habe, der dem Werte der Hypothek zur Zeit
des Ablaufs der Friſt entſprochen habe; dieſe ſei gemäß
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
——— — — — —ä— EEE EEE EEE EEE EEE EEE
8 1154 BGB. durch Erteilung der Abtretungserklärung
ohne Uebergabe des Hypothekenbriefes nicht abgetreten
worden. Die Ueberweiſung zur Einziehung erſetze die
Uebergabe nicht, da ſie das Gläubigerrecht ſelbſt nicht
übertrage (RGE. 63, 218). Dieſe Ausführungen find
nicht zu beanſtanden, insbeſondere auch nicht die Er⸗
örterungen des Urteils betr. die Zuläſſigkeit der Er⸗
klärung mit Friſtſetzung aus S 283 BGB. in einem
Schriftſatze des Prozeß bevollmächtigten des Klägers
(RG Z. 63, 411). Die Reviſion greift das Urteil haupt⸗
ſächlich inſoweit an, als es den Pfändungs⸗ und Ueber⸗
weiſungsbeſchluß vom 30. Dezember 1904 für die Frage
gewürdigt hat, ob er der Geltendmachung eines Schadens-
erſatzanſpruchs entgegenſtehe. Es hebe zwar hervor, daß
dem W. durch den Beſchluß „freilich unterfagt” worden
ſei, den Brief dem Beklagten herauszugeben; es nehme
aber rechtsirrtümlich an, daß der Beklagte dieſen vom
Kläger und ſeiner Mutter erwirkten Beſchluß zu ver⸗
treten habe. Ein Gläubiger dürfe nicht eine Leiſtung
von dem Schuldner verlangen und ihm gleichzeitig dieſe
Leiſtung unmöglich machen oder erſchweren. Jedenfalls
könne er während eines ſolchen von ihm geſchaffenen
widerſpruchsvollen Zuſtandes nicht zu der Friſtſetzung
des 8 283 BGB. übergehen. Sollte der Beklagte, wie
das Urteil ſage, zu einer „Mitwirkung“ bei dem Pfän⸗
dungs⸗ und Ueberweiſungsverfahren verpflichtet geweſen
ſein, ſo hätte der Kläger entſprechende Anſprüche an den
Beklagten ſtellen und, wenn erforderlich, wegen deren
Nichtbefolgung weitere Maßregeln ergreifen müſſen.
Dieſe Ausführungen ſind nicht überzeugend. Es kann
dahingeſtellt bleiben, ob das BG. dem Beklagten die
Vertretung für den Pfändungs⸗ und Ueberweiſungs⸗
beſchluß mit Recht auferlegt; denn der Beſchluß machte
dem Beklagten die Leiſtung gar nicht unmöglich. Der
Anſpruch der damals Berechtigten beſchränkte ſich doch
nicht darauf, daß der Beklagte ihnen den Hypotheken⸗
brief aushändigte, ſondern ging darauf, daß ſie die Ur⸗
kunde erhielten. Dies konnte der Beklagte erreichen, wie
das BG. zutreffend bemerkt, indem er gegen W. auf
Herausgabe an die Erben klagte. Nach der Meinung
der Reviſion ſoll nicht erſichtlich ſein, inwiefern eine
ſolche Klage des Beklagten gegen W. hätte Erfolg haben
können. Beſaß letzterer den Brief ohne Rechtsgrund,
ſo mußte die Klage Erfolg haben; weigerte er die Heraus⸗
gabe mit Recht auf Grund ſeines noch beſtehenden Pfand—
rechts — was nach Lage der Akten allein in Betracht
kommen kann —, fo hätte der Beklagte eben dieſen Im»
ſtand zu vertreten. Die Reviſion ſtellt zur Nachprüfung,
ob nicht der Wert der Hypothek zur Zeit der Auseinander⸗
ſetzung maßgebend ſei; ſie verweiſt auf das Vorbringen
im Tatbeſtande, wonach damals die Hypothek nur einen
Wert von 1500 M gehabt habe und die inzwiſchen eins
getretene erhebliche Wertſteigerung des Grundſtücks dem
Kläger nicht zugute komme; es ſei auch anzunehmen,
daß die Mutter des Klägers die Hypothek ſofort ver—
äußert hätte. Die Nachprüfung kann indeſſen zu einer
Beanſtandung der hierauf ſich beziehenden Ausführungen
des Urteils nicht führen. Der Anſpruch des Klägers
auf Herausgabe des Briefes endete erſt mit dem Abs
laufe der aus 8 283 BGB. geſtellten Friſt; erſt mit der
Herausgabe wäre die Wirkung herbeigeführt worden,
die bei einer wirkſamen Abtretung der Hypothek beſtände.
Danach hat das BG. mit Recht den Wert zugrunde gelegt,
den die Hypothek bei Ablauf der Friſt hatte, ſo daß eine
etwaige Wertſteigerung des Grundſtücks, die bis dahin
erfolgt wäre und die Hypothek beſſer machte, dem Kläger
zugute kommen würde (ſ. auch Urteil vom 30. Juni 1913,
V 61,13; JW. 1913 S. 1035 Nr. 4). Es könnte daher
darauf nicht ankommen, daß die Hypothek zur Zeit der
Auseinanderſetzung einen geringeren Wert gehabt haben
ſoll und die Mutter des Klägers ſie angeblich alsbald
—
— — — — — — —ä—— ——— —
veräußert hätte. Denn da der Beklagte damals feine |
Vertragsgegner nicht in die Lage verſetzt hat, über die
Hypothek zu verfügen, ſo kann er dem Kläger auch nicht
etwaige Folgen entgegenhalten, die bei dem Vorhanden⸗
fein folder Verfügungsbefugnis etwa eingetreten
wären. Die Reviſion macht endlich geltend, der Wert
der Hypothek könne nur dann maßgebend ſein, wenn
gegen Leiſtung dieſes Wertes auch die Uebertragung der
Hypothek rückgängig gemacht werde; ſonſt liege eine
ungerechtfertigte Bereicherung vor. Dem iſt einmal ent⸗
gegenzuhalten, daß ein derartiges Verlangen in den
voraufgegangenen Rechtszügen nicht geſtellt worden iſt.
Ferner aber kommt in Betracht, daß die Abtretungs⸗
erklärung allein ohne Uebergabe des Hypothekenbriefes
eine wirkſame Abtretung der Hypothek ja nicht herbei⸗
führt. Hier liegt lediglich eine in dem Auseinander⸗
ſetzungsvertrag enthaltene Abtretungserklärung vor, die
nicht zurückgegeben werden kann. Es bedarf daher keines
Eingehens auf die Frage, ob ein Rückgabeanſpruch, falls er
in einem der früheren Rechtszüge geltend gemacht worden
wäre, dann berechtigt wäre, wenn der Beklagte die Ab⸗
tretung in einem beſonderen Schriftſtück erklärt hätte.
Ueberdies macht das auf Grund des 8 283 BGB. er⸗
ehende Urteil die Abtretungserklärung ohne weiteres
infällig. (Urt. des V. ZS. vom 2. Mai 1914, v517/1913).
3447 f E.
II
Kenntnis des Geſchäftsherrn von der Näklertãtigkeit
als VBorausſetzung für den Mäklerlshnaufpruch. Aus
den Gründen: Es iſt zu unterſtellen, daß der Kauf⸗
vertrag infolge des dem P. erteilten Mäklerauftrags
und infolge der Tätigkeit des P. zuſtandegekommen iſt.
Den Mäklerlohn hat P. aber erſt verdient, wenn die
Klägerin als ſeine Auftraggeberin ſeine Dienſtleiſtung
angenommen hat. Die Annahme iſt aber nur möglich,
wenn die Klägerin vor Abſchluß des Kaufvertrags von
der Vermittlertätigkeit des P. Kenntnis erlangt hat.
Dieſe Kenntnis des Auftraggebers von der Vermittler⸗
tätigkeit vor Abſchluß des Vertrags iſt auch deshalb
Vorausſetzung der Mäklerlohnforderung, weil ſie, ins⸗
beſondere das aus ihr hervorgehende Bewußtſein, den
Mäklerlohn zu ſchulden, nicht ohne Einfluß auf die Ent⸗
ſchließung des Auftraggebers ſein wird, das vermittelte
Geſchäft einzugehen (RGZ. 47, 255; 31, 291). Daraus
ergibt ſich, daß eine Kenntnis der Vermittlertätigkeit
dann nicht zu verlangen iſt, wenn feſtſteht, daß der
Auftraggeber auch bei Kenntnis der Vermittlertätigkeit
nicht anders abgeſchloſſen haben würde. Denn alsdann
war das Intereſſe des Auftraggebers an der vorgängigen
Kenntnis gewahrt. Eine beſondere Bekanntgabe der Ver⸗
mittlertätigkeit wäre dann unnötig (RG. 68, 202). So
liegt die Sache hier. Denn die Streitteile haben vorſichts⸗
halber in dem notariellen Kaufvertrag die Beſtimmung
getroffen, daß Mäklerlohnanſprüche des P. zu Laſten
der Klägerin gehen, und der Beklagte verſicherte dazu,
er habe mit P. keine Vereinbarungen über deſſen Mäakler⸗
lohn getroffen. Hiermit haben die Streitteile bekundet,
daß Sie mit Anſprüchen des P. aus dem Mäklervertrag
gerechnet haben, und daß die Klägerin ſich danach ein⸗
richtete. Eine Bekanntgabe des P. an die Klägerin, daß
er vermittelt habe, wäre unter dieſen Umſtänden zweck⸗
los geweſen. (Urt. des III. 35. vom 24. April 1914,
III 54,14). — 4 —
3366
III.
Begriff des Werkmeiſters. Wettbewerbe verbot (8 1331
Gew.). Bindung durch Ehrenwort. Aus den
Gründen: Nach 8 133 GewO. iſt eine Vereinbarung
zwiſchen dem Gewerbeunternehmer und einem der im
§ 133 a bezeichneten Angeſtellten, durch die der Ange
ſtellte für die Zeit nach Beendigung des Dienſtver⸗
hältniſſes in feiner gewerblichen Tätigkeit beſchränkt
wird, fur den Angeſtellten nur inſoweit verbindlich, als
die Beſchränkung nach Zeit, Ort und Gegenſtand nicht
die Grenzen überſchreitet, durch die eine unbillige Er—
ſchwerung ſeines Fortkommens ausgeſchloſſen wird. Die
Beſtimmung, die dem Kläger unterſagte, innerhalb dreier
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
— —
Jahre nach feinem Austritt in ein anderes Geſchäft in S.
einzutreten, iſt eine Vereinbarung, wie fie der 8 133 f
im Sinne hat. Ihre Verbindlichkeit iſt nach $ 133 f
jedoch nur zu prüfen, wenn der Kläger zu den im 8 133a
bezeichneten Perſonen, d. h. zu denen gehört, die nicht
nur vorübergehend mit der Leitung oder Beauſfſichti⸗
gung des Betriebs oder einer Abteilung beauftragt
(Betriebsbeamte, Werkmeiſter und ähnliche Angeſtellte)
oder mit höheren techniſchen Dienſtleiſtungen betraut ſind
(Maſchinentechniker, Bautechniker, Chemiker, Zeichner
u. dgl.). Wie der Senat in JW. 1911, 334 ausge⸗
ſprochen hat, wird ein Zuſchneider zu den mit höheren
techniſchen Dienſtleiſtungen betrauten Angeſtellten nur
ausnahmsweiſe, bei beſonders hervorragender Befähi⸗
gung und bei einer Tätigkeit in Geſchäften erſten Ranges
gerechnet werden können. Solche Verhältniſſe lagen hier
nicht vor. Die Stellung eines Betriebsbeamten im engeren
Sinne wird für einen Zuſchneider überhaupt nicht in
Frage kommen. Dagegen kann ein Zuſchneider nach den
Verhältniſſen des Falles als Werkmeiſter anzuſehen ſein.
Der Kläger hatte nun zwar zuſammen mit einem älteren
e die Aufſicht über die im Geſchäfte tätigen
O Schneider auszuüben, auch über deren Zeiteinteilung
zu befinden, für Aufrechterhaltung von Sitte und Ord⸗
nung in der Werkſtatt zu ſorgen, die Herſtellung der
Arbeit in den Händen der Arbeiter zu beauffichtigen
und zu leiten und den Gang und die Einrichtung des
Betriebes zu beſtimmen, ſoweit er in ſeinen Geſchäfts⸗
bereich fiel, auch waren die Arbeiter ihm gegenüber zum
Gehorſam verpflichtet. Allein das genügt nicht, um von
einer Leitung oder Beaufſichtigung des Betriebes oder
einer Abteilung zu ſprechen. Entſcheidend muß für die
Stellung des Klägers in Betracht kommen, ob er über⸗
wiegend eine leitende oder beaufſichtigende Tätigkeit
oder ob er überwiegend eine handwerksmäßige Tätigkeit
ausübte. Nach ſeiner eigenen Behauptung wurde ſeine
Zeit hauptſächlich durch feine handwerksmäßige Tatigkeit
als Zuſchneider in Anſpruch genommen. Die beaufſichti⸗
gende oder leitende Tätigkeit trat zurück. Auch war er
in der beaufſichtigenden und leitenden Tätigkeit nicht
ſelbſtändig, er übte ſie vielmehr gemeinſchaftlich mit
einem älteren Zuſchneider aus. In bezug auf Anftellung
und Entlaſſung von Arbeitern hatte er keine Befugniſſe.
Er kann daher nicht als Werkmeiſter angeſehen werden,
8 133 GewO. iſt mithin nicht anwendbar. Die Bindung
des Klägers auf Ehrenwort zur Einhaltung der im
Wettbewerbs verbot enthaltenen Verpflichtungen verſtieß
allerdings nach der ſtändigen Rechtſprechung des Senats
gegen die guten Sitten, war daher nichtig (8 138 BGB.)
und hätte auch die ſo übernommenen Verpflichtungen
nichtig gemacht, wenn nicht anzunehmen wäre, daß die
Streitteile den Vertrag auch ohne die Bindung des
Klägers auf Ehrenwort geſchloſſen haben würden. Das
iſt aber anzunehmen. Denn daß die Streitteile der
Bindung des Klägers auf Ehrenwort irgendwelche Bes
deutung beigelegt hätten, ergibt ſich aus ihrem Vor⸗
bringen nicht. Sie haben im Glauben an die Zuläſſigkeit
einer ſolchen Bindung dieſe in den Vertrag aufgenommen,
und die Beklagte hat ſich ſofort bereit erklärt, dieſe Be⸗
ſtimmung fallen zu laſſen, nachdem der Kläger die Un⸗
zuläſſigkeit der Vereinbarung gerügt hatte. Durch die
Ungültigkeit der Bindung auf Ehrenwort wird mithin
die Gültigkeit des Wettbewerbverbotes nicht berührt.
Das Wettbewerbverbot an ſich — abgeſehen von der
ehrenwörtlichen Bindung — verſtieß aber nicht gegen
die guten Sitten. (Wird ausgeführt). Da hiernach der
Vertrag abgeſehen von jener Bindung, die aber die Be⸗
klagte fallen gelaſſen hat, zu Recht beſtand, ſo handelte
der Kläger vertragswidrig, wenn er ſich weigerte, ſeine
Tätigkeit auf Grund des Vertrags unter Streichung der
Bindung auf Ehrenwort fortzuſetzen, und das Geſchäft
der Beklagten verließ. Dieſe kann deshalb Schadens—
erfa fordern. (Urt. des III. 35. vom 21. April 1914,
III 406/13). — 4a —
3457
385
IV.
Welche Bedentung hat es, wenn der Erblaſſer in
ſeinem Teſtamente beſtimmt, daß jeder Erbe auf den
Pflichtteil geſetzt fein fell, der gegen eine Anordnung
im Teſtament gerichtliche Schritte unternehmen wird?
Aus den Gründen: Die Witwe R. hat ihrem
Sohne, dem Beklagten, den vollen geſetzlichen Erbteil
unter Auferlegung gewiſſer, im Teſtament näher be⸗
zeichneter Beſchränkungen zugewendet. Der Beklagte
war daher gemäß $ 2306 Satz 1 BGB. berechtigt, den
Pflichtteil zu verlangen, wenn er den Erbteil ausſchlug.
Er hat von dieſer Befugnis innerhalb der ſechswöchigen
Ausſchlagungsfriſt, die mit der in ſeiner Gegenwart
erfolgten Verkündung des Teſtaments begann, keinen Ge⸗
brauch gemacht und iſt deshalb unter den Beſtimmungen
des Teſtaments Erbe geworden. In der Folgezeit hat
er in mehrfacher Beziehung gerichtliche Schritte gegen
Beſtimmungen des Teſtaments unternommen; obwohl
das Teſtament hieran die Beſchraͤnkung auf den Pflicht⸗
teil knüpft, iſt das BG. der Anſicht, daß der Beklagte,
nachdem er einmal Erbe geworden ſei, dieſe Eigenſchaft
nicht wieder habe verlieren können. Dieſe Anſicht wird
von der Reviſion mit Recht beanſtandet. Das BG.
legt die Beſtimmung im 8 7 des Teſtaments, daß jeder
Erbe auf den Pflichtteil geſetzt werden ſolle, der gegen
die dort getroffene Anordnung über den Verkauf des
Grundſtücks S. ſtraße 41/42 oder gegen irgendeine andere
Feſtſetzung des Teſtaments gerichtliche Schritte unter⸗
nehmen würde, dahin aus, daß jeder Erbe dadurch
vor die Wahl geſtellt worden ſei, das ihm hinterlaſſene
Erbe hinzunehmen, ſo wie es belaſtet oder beſchwert
ſei, oder aber ſich mit dem Pflichtteil zu begnügen. Der
Beklagte habe von dieſem Wahlrechte dadurch in dem
erſten Sinne Gebrauch gemacht, daß er innerhalb der
Ausſchlagungsfriſt die Erbſchaft nicht ausgeſchlagen
habe, ſo daß ſie als angenommen gelte; dadurch ſei
ſein Wahlrecht erſchöpft und für eine ſpätere ander⸗
weite Ausübung desſelben kein Raum geblieben. Die
Reviſion weiſt mit Recht daraufhin, daß für die Aus⸗
legung des 87 des Teſtaments nicht nur die dort ge⸗
troffenen Beſtimmungen, ſondern auch der geſamte
übrige Inhalt des Teſtaments in Betracht zu ziehen
iſt, insbeſondere deſſen 88 9, 10 und 12, die ähnliche
Anordnungen enthalten. In den 88 9 und 10, die durch
einen Nachzettel fpäter aufgehoben worden find, war
beſtimmt, daß Frau P. und der Beklagte für den Fall
nicht mehr als den Pflichtteil erhalten ſollten, daß ſie
gegen die ihnen auferlegten beſonderen Beſchränkungen
ankämpfen würden. Der 8 12 droht jedem Erben, der
mit den Anordnungen über die Verteilung des Mobiliars
nicht zufrieden ſein und dagegen gerichtlichen Wider⸗
ſpruch erheben ſollte, die Beſchränkung auf den Pflicht⸗
teil an und ſchließt mit der allgemeinen Klauſel: „Sollte
überhaupt einer von meinen Erben in irgend einer
Sache meines Erblaſſes gegeneinander klagbar werden
oder vielleicht noch etwaige Anſprüche väterlicherſeits
an einen der Erben geltend machen, ſo beſtimme ich
hiermit, daß derjenige Erbe, der dieſes tut und ge⸗
richtliche Schritte hiergegen unternimmt, auf den geſetz—
lichen Pflichtteil geſetzt wird.“ Die vielfache Wieder⸗
holung dieſer Anordnung beweiſt, daß die Erblaſſerin
ganz beſonderen Wert auf die Erreichung des damit
verfolgten Zweckes gelegt hat. Dieſer Zweck war ein
doppelter: einerſeits ſollte die Ausführung des letzten
Willens der Erblaſſerin nach allen Richtungen hin nach
Möglichkeit geſichert, andererſeits jeder gerichtliche
Streit zwiſchen den Erben ausgeſchloſſen werden. Jedem
Erben, der den Willen der Erblaſſerin nicht ehrt (vgl.
§8 7 des Teſtaments), der auch nur einen gerichtlichen
Schritt zur Beſe itigung einer Beſtimmung des es
ſtaments unternimmt oder gegen einen Miterben, ſei
es auch nur wegen eines vermeintlichen Anſpruchs aus
der väterlichen Erbſchaft, klagbar wird, iſt als Strafe
die Beſchränkung auf den Pflichtteil angedroht, um
dadurch die Erben zur Unterlaſſung derartiger Schritte
386
zu beſtimmen. nn Zweck würde verfehlt, wenn die
Strafandrohung mit dem Ablaufe der Ausſchlagungs⸗
friſt wirkungslos geworden wäre, wie es das OLG.
annimmt. Die Erblaſſerin hat dieſe Beſchränkung
auf den Pflichtteil nicht auf den Fall eines Erfolges
des gerichtlichen Vorgehens abgeſtellt, ſondern unzwei⸗
deutig erklärt, daß die bloße Tatſache eines gerichtlichen
Schrittes ohne Rückſicht auf deſſen Erfolg den Verluſt
des den Pflichtteil überſteigenden Betrages des Erb⸗
teils nach ſich ziehen ſoll. Solche gerichtliche Schritte
blieben aber möglich, auch wenn die berufenen Per⸗
ſonen die Erbſchaft angenommen und dadurch die Ver⸗
pflichtung zur Duldung oder Erfüllung der ihnen auf⸗
erlegten Beſchwerungen oder Leiſtungen überkommen
hatten. Es läßt ſich auch nicht ſagen, daß dieſe Möglich⸗
keit im Hinblick auf die beſonderen Verhältniſſe des
Falles beſonders entfernt geweſen wäre, ſo daß ſie
die Erblaſſerin nicht in den Kreis ihrer Erwägungen
gezogen haben dürfte. Im Gegenteil wurde durch die
Beſtimmungen des Teſtaments und insbeſondere durch
den im 87 geſchehenen Eingriff in das Verfügungs⸗
recht der Erben in Anſehung ihres eigenen Vermögens
und die daſelbſt dem Kläger gegenüber den anderen
beiden Erben eingeräumten weitgehenden Befugniſſe
die Gefahr künftiger Streitigkeiten zwiſchen den Erben
ziemlich nahe gerückt, und gerade die immer wieder⸗
holten Strafandrohungen beweiſen, daß die Erblaſſerin
ſich deſſen bewußt geweſen iſt und dieſer Gefahr hat
vorbeugen wollen. Abgeſehen hiervon läßt aber auch
die Androhung der Beſchränkung auf den Pflichtteil
als Strafe eines gerichtlichen Vorgehens wegen ver⸗
meintlicher Anſprüche aus der väterlichen Erbſchaft
(8 12 des Teſtaments) klar erkennen, daß die Wirkung
dieſer Anordnung nicht auf die Zeit bis zum Antritt
der mütterlichen Erbſchaft hat zeitlich begrenzt werden
ſollen. Der unzweideutige Sinn der Anordnungen
der Erblaſſerin geht demnach dahin, daß die als Erben
eingeſetzten Perſonen die vollen Erbteile nur unter der
Bedingung erhalten ſollen, daß ſie jeden gerichtlichen
Schritt gegen das Teſtament und gegeneinander ſowohl
bezüglich des mütterlichen, als auch des väterlichen
Nachlaſſes dauernd unterlaſſen. Die Bedingung, unter
der die Zuwendungen gemacht ſind, iſt gemäß § 2075
BGB. als auflöſende Bedingung anzuſehen, da das
den Erben auferlegte Unterlaſſen nur in 11 Willkür
liegt und zeitlich nicht begrenzt iſt. Da die Bedachten
für den Fall des Eintritts der Bedingung auf den
Pflichtteil geſetzt ſind und darin gemäß 8 2304 BGB.
keine Erbeinſetzung zu ſehen iſt, ſo iſt das Teſtament
dahin auszulegen, daß darin nur eine auflöſend be—
dingte Erbeinſetzung der Kinder der Erblaſſerin ange—
ordnet iſt. Die der Erbeinſetzung beigefügte auflöſende
Bedingung, deren Eintritt von dem freien Belieben
jedes Erben abhängt, ſtellt die Erben vor die Wahl,
ob ſie unter den angeordneten Belaſtungen und Be—
ſchränkungen Erben bleiben oder ſich mit dem Pilicht-
teil begnugen wollen. Die ihnen zuſtehende Wahl iſt
daher nicht, wie das BG. annimmt, mit der Entſcheidung
die Erbſchaft anzunehmen erſchöpft, vielmehr ſind ſie
durch die Annahme der Erbſchaft nur bedingte Erben
geworden und in der Lage geblieben, durch die Herbeis
führung des Eintritts der auflöſenden Bedingung ihre
Eigenſchaft als Erben wieder zu beſeitigen. Gerade
durch die der Erbeinſetzung beigefügte Bedingung unter—
ſcheidet ſich der vorliegende Fall von den Tatbeſtänden,
die den Urteilen des erk. Senats vom 11. Januar 1904
(JW. 1904 S. 1150 und vom 4. November 1911 (Wars
neyer 1913 Nr. 250) zugrunde gelegen haben und bei
denen der Erbeinſetzung keine Bedingung beigefügt war.
Die Auslegung, die das BG. den Anordnungen der
Erblaſſerin gegeben hat, kann hiernach nicht als maß—
gebend anerkannt werden, da ſie dem unzweideutig er—
klärten Willen der Erblaſſerin widerſpricht. (Urt. des
IV. 35. vom 23. April 1914, IV 712/13). E.
3449
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
V.
Schadenserſatzauſpruch des durch dienstliche Weber:
laſtung in feiner Geſundheit geſchädigten Beamten. Aus
den Gründen: Daß der 8 618 B38. auf das
öffentlichrechtliche Beamtenverhältnis entſprechend ans
zu wenden ſei, iſt vom RG. oftmals ausgeſprochen worden
(vgl. RG. 63, 430; 71, 243, auch III 347/11). Der
Dienſtberechtigte hat nach 8 618 Dienftleiftungen, die
unter ſeiner Anordnung oder ſeiner Leitung vorzu⸗
nehmen ſind, ſo zu regeln, daß der Verpflichtete gegen
Gefahr für Leben und Geſundheit ſoweit geſchützt iſt,
als die Natur der Dienſtleiſtung es geſtattet. Es ver⸗
ſtößt gegen dieſe Pflicht, wenn der Dienſtberechtigte
von dem Verpflichteten ein geſundheitsſchädliches Leber»
maß der Dienſtleiſtung verlangt. Hier kommt nicht
in Betracht, ob bei der entſprechenden Anwendung des
8 618 die Gerichte befugt find, die allgemeinen Dienit-
pläne und ſonſtigen allgemeinen Vorſchriſten der Ver⸗
waltungsbehörden daraufhin zu prüfen, ob nach ihnen
ein geſundheitsſchädliches Uebermaß von Arbeit ge
fordert wird. Jedenfalls unterliegt die Frage der ge⸗
richtlichen Beurteilung, ob eine Geſundheitsbeſchädigung
ſchuldhaft durch eine Anordnung verurſacht iſt, die eine
Arbeitsleiſtung über das für den Verwaltungszweig
allgemein beſtimmte Maß hinaus forderte. Wenn aber
eine ſolche Anordnung für den Schaden urſächlich iſt,
dann macht es für die Haftung des Dienſtberechtigten
keinen Unterſchied, daß jenes Uebermaß nicht regel⸗
mäßig, ſondern nur ausnahmsweiſe gefordert wurde.
Dem Vorwurfe der Reviſion, das BG. habe unbeachtet
gelaſſen, daß es ſich hier um Fahrperſonal und nicht
um „ſtationäres“ Perſonal handle, fehlt es an jedem
Anhalt. Der Fahrdienſt des Klägers, eines Lokomotiv⸗
99 5 mit allen Dienſtunterbrechungen durch Auf⸗
ören des Fahrbetriebes wird doch gerade vom BG.
auf das Vorhandenſein einer übermäßigen Belaſtung
des Fahrbeamten geprüft. Innerhalb des ganzen, einen
längeren Zeitraum umfaſſenden Dienſtplans wird nun
neben der Arbeitsleiſtung an günſtigeren Tagen auch
die vom O. feſtgeſtellte, auf 3 Tage zuſammenge⸗
drängte, außergewöhnlich große Leiſtung verlangt.
Dadurch, daß der Kläger an mehreren Tagen des Dienſt⸗
plans nicht ſo angeſtrengt iſt, wird nichts daran ge⸗
ändert, daß er vom 7. bis 9. Auguſt eine Arbeit zu
leiſten genötigt war, die durch ihr Uebermaß ſeine Ge⸗
ſundheit ſchädigen mußte und geſchädigt hat, nämlich.
wie das BG. berechnet, 45 Stunden Dienſt mit Einſchluß
einer ſechsſtündigen Ruhepauſe. Dieſe Dauer des dem
Kläger zugemuteten Dienſtes hat das BG. auf Grund
der ihm zuſtehenden Beweiswürdigung nach den von den
Sachverſtändigen angenommenen „mittleren Zahlen“
feſtgeſtellt. Unbegründet iſt auch die Reviſionsrüge.
es ſei übergangen, daß die Eiſenbahn verwaltung bei
Zuteilung des Dienſtes damit habe rechnen dürfen, daß
die Beamten körperlich und geiſtig voll tauglich ſeien
und auch einmal aul ge niche Arbeiten auf ſich
nehmen könnten. Das iſt keineswegs überſehen. Der
Kläger iſt bei der Aufnahme in den Eiſenbahndienſt
völlig geſund befunden worden. Dies legt der ärzt-
liche Sachverſtändige feinem Gutachten zug runde; denn
die Frage des Beweisbeſchluſſes, ob „dieſe Umſtände“
(Dienſtdauer in der Zeit vom 7. bis 9. Auguſt, mangel⸗
hafte Schlafräume, ſchlechtfahrende Lokomotive) ein
jeder für ſich oder doch in ihrem Zuſammenwirken ge⸗
eignet waren, die Geſundheit eines jeden, der in ſolcher
Weiſe beſchäftigt wurde, erheblich zu geſährden, be⸗
antwortet er dahin, daß „eine derartige Tätigkeit in
hohem Maße geeignet ſei, die Geſundheit eines jeden
ſo Beſchäftigten auf das ſchwerſte dauernd zu gefährden
und zu ſchädigen“. Auf Grund dieſes Gutachtens be⸗
jaht das BG. den urſächlichen Zuſammenhang zwiſchen
der Erkrankung und den Verſtößen gegen 8 618 WG.
Damit iſt zugleich geſagt, daß die hier in Frage
kommende „außergewöhnliche Anſtrengung“ unter Um—
ſtänden, wie fie hier obwalteten, auch einem körperlich
voll tauglichen Beamten nicht ohne Gefährdung und
Schädigung ſeiner Geſundheit zugemutet werden konnte.
Die Reviſion meint, mit Unrecht ſei der beklagte Fiskus
für ein Verſchulden des Werkmeiſters L. verantwort⸗
lich gemacht, der ein verfaſſungsmäßig berufener Ber:
treter des Staates nicht ſei. Ein Vertragsverhältnis
liege nicht vor, folglich ſei der 8 278 BGB. nicht an⸗
wendbar. Es iſt richtig, daß ein bürgerlichrechtliches
Vertragsverhältnis nicht gegeben iſt, aber das Ver⸗
hältnis zwiſchen Staat und Beamten iſt ein dem
öffentlichen Rechte angehöriges vertragsähnliches. Aus
ihm erwachſen für den Staat gegenüber dem Beamten
„Verbindlichkeiten“, insbeſondere gerade die kraft ent⸗
ſprechender Anwendbarkeit für ihn aus $ 618 BGB.
begründeten. Für das Verſchulden der Perſonen, deren
ſich der Staat zur Erfüllung dieſer Verbindlichkeiten
bedient, haftet er auf Grund entſprechender Anwendung
nach 8 278 BGB. Der Senat hat das wiederholt aus⸗
geſprochen (fo in den Urt. III 105/11, 312/11, 260/13).
Das BG. hat deshalb mit Recht in Anſehung der vom
Werkmeiſter L. getroffenen Dienſtanordnung und hin⸗
ſichtlich der Einſtellung der ungenügend ausgebeſſerten
Lokomotive den Staat für Verſchulden von Erfüllungs⸗
gehilfen haften laſſen. Es hat ferner mit Recht eine
Entſcheidung darüber für entbehrlich erklärt, ob für
die mangelhafte Einrichtung der Uebernachtungsräume
in St. einen Erfüllungsgehilfen oder einen verfaſſungs⸗
mäßig berufenen Vertreter das urſächliche Verſchulden
trifft. Ein mitwirkendes Verſchulden des Klägers liegt
nicht vor. Er war nicht verpflichtet, die Verwaltung
auf die Gefährlichkeit derartiger Dienſtbemeſſung, ſolcher
Unterkunftsräume und des Dienſtes auf einer ſo mangel⸗
haften Lokomotive aufmerkſam zu machen. Die ge⸗
hörige Prüfung und Ueberwachung lag nach $ 618
BGB. der mindeſtens ebenſo ſachkundigen Verwaltung
ſelber ob. Daß der Kläger von den bei Gelegenheit
der Ueberbürdung im Juli empfundenen Herzſtichen
keine Anzeige erſtattet hat, iſt kein Verſchulden. Er
brauchte dieſe Erſcheinung nicht für bedenklich zu halten
und nicht ohne weiteres als Folge der dienſtlichen Ueber⸗
laſtung zu erkennen. (Urt. d. III. ZS. v. 16. Juni 1914,
III 193/14). — a —
3443
Oberſtes Landesgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Zn Art. 28 Abs. 1, 79 Abſ. 3 eG. B88., 5 2361
BGB., 5 20 J66.: Einziehung eines Erbſcheins, der
ein verwirktes Nutzniezungsrecht des überlebenden Ehe⸗
gatten an den Erbteilen der Kinder auführt. ft der
Konkarsverwalter eines der Kinder und Erben berech⸗
tigt, die Verwirkung des Nutznießungsrechtes geltend
zu machen, die Einziehung des Erbſcheins zu beantragen
und gegen die Abweiſung des Antrags ſich zu beſchweren?
Wie wird die Verwirkung des Nutznießungsrechts gel⸗
tend gemacht? Aus den Gründen: Wenn in einer
Ehe beim Inkrafttreten des BGB. der Güterſtand der
Errungenſchaftsgemeinſchaft nach dem Württemberg.
Landrechte galt, ſteht nach Art. 79 Abſ. 3 UeG. BGB.
dem überlebenden Ehegatten an den Erbteilen der
gemeinſchaftlichen Kinder die Nutznießung nach den
bisherigen Vorſchriften zu. Das Nutznießungsrecht iſt
nach Art. 28 Abſ. 1 Ue®. in dem Erbſcheine, der einem
Erben erteilt wird, anzugeben. Iſt die Anſicht des
Konkursverwalters zutreffend, daß dieſes Nutznießungs—
recht der Mutter hier erloſchen ſei, ſo iſt der erteilte
Erbſchein inſoweit unrichtig, als er bezeugt, daß die
Erbteile der Kinder der ſtatutariſchen Nutznießung der
Witwe unterliegen. Ein unrichtiger Erbſchein muß
nach dem 8 2361 Abſ. 1 BGB. auch dann eingezogen
werden, wenn er nur bezüglich einer nach geſetzlicher
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 2.
387
Vorſchrift in ihn aufzunehmenden Beſchränkung des
Erbrechts des Erben unrichtig iſt. Dies hat der er⸗
kennende Senat für den einem Vorerben erteilten Erb⸗
ſchein hinſichtlich des nach 8 2363 BGB. aufzunehmen⸗
den Rechtes der Nacherbfolge ausgeſprochen (vgl.
RIA. 3, 8). Gleiches muß für den nach Art. 28 lle.
aufzunehmenden Vermerk der ſtatutariſchen Nutznießung
gelten. Die Einziehung des Erbſcheins hat von Amts
wegen zu erfolgen. Es kann daher jeder die Ein⸗
ziehung anregen. Hieraus folgt, daß der Verwalter
im Konkurſe der Erbin B. berechtigt war, die Ein⸗
ziehung des Erbſcheins zu beantragen. Es kommt hie⸗
für nicht, wie das LG. meint, darauf an, ob er berech⸗
tigt wäre die Erteilung eines Erbſcheins für die Ge⸗
meinſchuldnerin zu beantragen. Aus dem Rechte des
Konkursverwalters die Einziehung des Erbſcheins zu
beantragen ergibt ſich aber noch nicht ſeine Befugnis
gegen den die Einziehung ablehnenden Beſchluß des
Nachlaßgerichts ſich zu beſchweren. Seine Beſchwerde⸗
berechtigung kann nur auf den 820 JG. geſtützt
werden. Nach dieſem iſt ſie zu bejahen. Allerdings
kann nicht der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
ſondern nur der Prozeßrichter über die Frage ent⸗
ſcheiden, ob der überlebende Elternteil die Nutznießung
an den Erbteilen der Kinder, den ſtatutariſchen Nieß⸗
brauch des Württemb. Landrechts, nach Teil IV Tit. 11
dieſes Rechts verwirkt hat. Der Konkursverwalter
muß alſo das Prozeßgericht anrufen, wenn er den
Erbteil der B. wegen der Verwirkung des Nießbrauchs
ſeitens der Mutter jetzt ſchon zur Konkursmaſſe ziehen
und zu dieſem Zweck die Auseinanderſetzung des Nach⸗
laſſes betreiben will. Allein dies ſchließt nicht aus,
daß er im Wege der Beſchwerde die Einziehung des
Erbſcheins betreibt, falls dieſer tatſächlich unrichtig iſt.
Denn er muß auf Grund desſelben nach 8 2365 BGB.
die Vermutung gegen ſich gelten laſſen, daß der Witwe
das Erbrecht ſo zuſteht, wie es in dem Erbſchein be⸗
urkundet iſt, und daß der Erbteil der B. mit dem
Nießbrauchsrecht ihrer Mutter belaſtet iſt. Durch die
Weigerung des Nachlaßgerichts, den Erbſchein einzu⸗
ziehen, iſt alſo ein ihm zuſtehendes Recht verletzt. Die
weitere Beſchwerde iſt demnach formell nicht zu be⸗
anſtanden. Von der Frage, ob dem Konkursverwalter
formell das Beſchwerderecht zuſteht, iſt zu unterſcheiden
die Frage, ob er berechtigt iſt, die Verwirkung des
ſtatutariſchen Nießbrauchs geltend zu machen. Die
Entſcheidung dieſer Frage hängt von der Entſcheidung
der Vorfrage ab, ob dem Urteilsſpruch, durch den der
Nießbrauch als verwirkt erklärt wird, konſtitutive oder
deklaratoriſche Bedeutung zukommt. Hat er konſti⸗
tutive Bedeutung, wird alſo erſt durch ihn der Verluſt
des Nießbrauchs bewirkt, ſo iſt der Konkursverwalter
nicht berechtigt, den Anſpruch des Gemeinſchuldners
auf Geltendmachung der Verwirkung zu verfolgen.
Tritt erſt mit dem Richterſpruch der Rechtsverluſt ein,
dann iſt es in den freien Willen des Erben geſtellt,
ob er ihn herbeiführen will oder nicht. Es iſt Sache
des perſönlichen Vertrauens, ob der Erbe trotz des
Vorliegens der Gründe des Teils IV T. 1187 des
Württemb. Landrechts dem überlebenden Elternteil den
Nießbrauch ſeines Erbteils auch fernerhin überlaſſen
will oder nicht. Es handelt ſich alſo in dieſem Fall
um ein perſönliches Recht des Erben, das nur er
ſelbſt, nicht aber der Verwalter im Konkurs über ſein
Vermögen geltend machen kann. Anders liegt die
Sache, wenn dem Urteil deklaratoriſche Bedeutung zu—
kommt, wenn alſo die Verwirkung des Nießbrauchs
bei Vorliegen der Gründe des Teils IV T. XI S 2 des
Württemb. Landrechts von Rechts wegen eintritt und
der Urteilsſpruch nur den Zweck hat, feſtzuſtellen, daß
der Rechtsverluſt eingetreten iſt. Denn in dieſem Fall
hängt der Rechtsverluſt nicht von dem Willen des
Erben ab, er tritt vielmehr mit dem Vorliegen der
geſetzlichen Vorausſetzungen von ſelbſt ein; daraus
folgt aber, daß gleichzeitig für den Erben der An⸗
388
— —
Vet: auf Herausgabe feines Erbteils erwächſt, und
aß dieſer dem Zugriffe feiner Gläubiger unterliegt.
Der erkennende Senat iſt nun der Anſchauung, daß
in den Fällen des Teils IV T. 118 2 des Württemb.
Landrechts dem die Verwirkung des Nießbrauchs aus⸗
ſprechenden Urteil deklaratoriſche Bedeutung zukommt,
daß alſo in dieſen Fällen die Verwirkung von Rechts
wegen eintritt. (Es folgt die Begründung dieſer An⸗
ſchauung). (Beſchluß des I. ZS. vom 10. Juli 1914,
Reg. III 101/1913). M.
3453
II.
Jer Auslegung des 8 18 Abs. 2 988.: Mikbränd:
liche Verwendung der Bezeichnung „Fleiſchzentrale“. Der
Beſchwerdeführer betreibt in M., einer Großſtadt, ein
Handelsgeſchäft, das die Einfuhr von Fleiſch im Großen
und den Kleinverkauf zum Gegenſtand hat. Das unter
der Firma „M. L.“ in das Handelsregiſter eingetragene
Geſchäft beſteht aus einem Hauptgeſchäft und vier am
Ort befindlichen Filialen. Auf den Firmenſchildern, in
Inſeraten und ſonſtigen Druckſachen bezeichnet L. ſein
Geſchäft als „M. . . er Fleiſchzentrale“. Durch Ver⸗
fügung des Regiſtergerichts wurde ihm der Gebrauch
dieſer Firmenbezeichnung auf Grund des 5 18 Abſ. 2
G. unterſagt, weil fie zur Täuſchung über die Art
und den Umfang ſeines Geſchäftes geeignet ſei. Sein
Einſpruch und ſeine Beſchwerde wurden zurückgewieſen,
ebenſo die weitere Beſchwerde.
Aus den Gründen: Eine Zentraliſation des
Handels mit einer Ware liegt nur dann vor, wenn der
Handel mit ihr von einer Stelle aus geleitet wird; als
„Zentrale“ kann alfo nur ein Geſchäft bezeichnet werden,
das einen Verkehrsmittelpunkt für die Ware bildet, ſei
es nun, daß die Zentraliſation durch Ringbildung der
betreffenden Gewerbetreibenden zur Regelung des Ein⸗
kaufs und Verkaufs, durch Erwerb der ſämtlichen die
Ware führenden Geſchäfte oder wie immer erfolgt. Der
Beſchwerdeführer behauptet ſelbſt nicht, daß fein Handels-
betrieb eine Zentrale des M. .. er Fleiſchhandels in
dieſem Sinne iſt. Sein Geſchäft unterſcheidet ſich von
denen der übrigen M. . . er Gewerbetreibenden gleicher
Art durch nichts, als durch ſeinen größeren Umfang,
nicht einmal die Teilung des Betriebs in ein Haupt⸗
geſchäft und verſchiedene Nebengeſchäfte iſt ihm eigen⸗
tümlich. Es kann alſo keine Rede davon ſein, daß in
dem Geſchäfte des Beſchwerdeführers der Fleiſchhandel
in M. zentralifiert wäre, daß ſein Geſchäft eine „Zen⸗
trale“ dieſes Handels in dem Sinn iſt, wie es z. B. bei
der Spirituszentrale, bei gewiſſen Betrieben des Handels
mit Petroleum und ähnlichen Unternehmungen der Fall
iſt. Der Beſchwerdeführer verſucht daher feinen Anſpruch
auf die Bezeichnung M. . .. er Fleiſchzentrale“ darauf
zu ſtützen, daß er ein Hauptgeſchäft und verſchiedene
Rebengeſchäfte betreibe, die von jenem als der „Zentrale“
aus geleitet würden. Es liegt jedoch auf der Hand, daß
dieſer Umſtand den Beſchwerdeführer nicht berechtigen
kann, fein Geſchaft „M. .. . er Fleiſchzentrale“ zu nennen.
Wenn er ausdrücken will, daß er ſein Gewerbe in einem
Hauptgeſchäft und verſchiedenen Nebengeſchäften be—
treibt, fo mag er dies in einer Weiſe tun, die ſein Haupt»
geſchäft als, Zentrale“ gegenüber feinen Nebengeſchäften
kennzeichnet. Darum handelt es ſich aber bei dem von
ihm gewählten Firmenbeiſatz nicht; denn durch ihn
wird ſein Geſchäft als „Zentrale“ des Fleiſchhandels
in M. überhaupt, als „Zentrale“ im Gegenſatz zu den
übrigen gleichartigen M. . . . er Geſchäften bezeichnet.
Davon, daß nach den Anſchauungen der beteiligten Kreiſe
die Bezeichnung als. Zentrale” jedem Geſchäfte zukommt,
das in der Art des Liſchen „zentraliſiert“ iſt, iſt dem
Gericht der weiteren Beſchwerde nichts bekannt; jeden⸗
falls könnte eine ſolche dem Geſetze zuwiderlaufende An—
ſchauung deſſen Anwendung nicht hindern. (Beſchl. des
J. 35. vom 3. Juli 1914, Reg. III Nr. 58 1914). M.
34.39
Nr. 20 u. 21.
eitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914.
— — —
III.
Zu 8 1666 5888: Entziehung des Rechtes den Uni:
enthalt zu beſtimmen ſtatt der beantragten Entziehung
der Sorge für die Perſen. Aus den Gründen:
Der Großvater des Kindes hat beantragt, dem Vater
A. Sch. die Sorge für die Perſon ſeines Kindes zu
entziehen, und das LG. hat, ebenſo wie das Vormund⸗
ſchaftsgericht, den Sachverhalt nur nach der Richtung
geprüft, ob hinreichende Gründe für die Entziehung
dieſes Rechts vorliegen. Dabei hat das LE. nicht
berückſichtigt, daß der 8 1666 BOB. dem Bormund⸗
ſchaftsgericht nicht nur die Befugnis verleiht, dem
Vater das volle Recht der Sorge für die Perſon des
Kindes zu entziehen, daß vielmehr darin auch die Be⸗
fugnis inbegriffen iſt, dem Vater einzelne auf dem Recht
der Fürſorge für die Perſon beruhende Rechte z. B. das
Recht, den Aufenthalt des Kindes zu beſtimmen, ganz oder
zeitweiſe zu entziehen. Es iſt nun nicht ausgeſchloſſen,
daß das LG. zu einer anderen Entſcheidung gelangt
wäre, wenn es ſich gefragt hätte, ob eine ſolche teil⸗
weiſe Entziehung des Fürſorgerechts veranlaßt iſt.
Die nunmehrige Ehefrau des A. Sch. hat vor ihrer
Verehelichung einen nicht einwandfreien Lebenswandel
geführt; ſie hat im Anfang ihrer Ehe ein ehebrecheriſches
Verhältnis unterhalten, hat auch ſpäter noch Herren⸗
beſuche empfangen und ſchlägt im Verkehr mit Männern
einen Ton an, der einen Zeugen zu der Aeußerung
veranlaßt hat: „Ich hielt ſie nach ihren Reden für
eine ſogenannte Schnepfe“. Es iſt ferner feftgejtellt,
daß fie auch jetzt noch ihrem Mach als Kellnerin und
ihrem Vergnügen nachgeht. Nach alledem hat die
Stiefmutter des Kindes früher und auch noch während
ihrer Ehe einen ehrloſen und unſittlichen Lebens⸗
wandel geführt, und bietet auch durch ihr jetziges Ber:
halten noch keinerlei Bürgſchaft dafür, daß ſie ſich von
Grund aus und nachhaltig gebeſſert hat. Ihr kommt
ja nun allerdings weder das Recht noch die Pflicht der
Sorge für die Perſon der Stieftochter zu; immerhin
aber hat tatſächlich ſie das Kind zu verpflegen und zu
erziehen, da der Vater durch ſeinen Dienſt verhindert
iſt, ſich ſtändig um das Kind zu kümmern. Es liegt
auf der Hand, daß eine Frau mit den geſchilderten
Charaktereigenſchaften weder den feſten Willen noch
die Fähigkeit hat, für das leibliche und geiſtige Wohl
eines Kindes, insbeſondere eines Stiefkindes ſo zu ſorgen,
wie es erforderlich iſt. Dadurch aber muß eine unmittel⸗
bare Gefährdung des Wohles dieſes Kindes jedenfalls
ſo lange herbeigeführt werden, als es wegen ſeines
jugendlichen Alters und ſeiner Neigung zu Erkrankungen
einer ſorgſamen weiblichen Leitung und Pflege bedarf.
Daß das Kind einer ſolchen Gefährdung tatſächlich
bereits ausgeſetzt war und noch iſt, muß mit Sicher⸗
heit aus der Tatſache geſchloſſen werden, daß es am
7. Juni 1912 mit Geſchwüren und Ungeziefer behaftet
zu ſeinen Großeltern gekommen iſt; jeder Zweifel aber
müßte in dieſer Beziehung ſchwinden, wenn ſich die
Behauptung des Beſchwerdeführers bewahrheiten würde,
daß ſich die Frau des Sch. ſchon viermal von ihrem
Manne getrennt hat. Das LG. hätte ſich ſohin fragen
müſſen, ob nicht die feſtgeſtellten Tatſachen Maßregeln
notwendig machen, die dem Vater, wenn auch nicht das
ganze Fürſorgerecht, ſo doch einen Teil entziehen und
ermöglichen, das Kind ſolange als nötig in der ſorg⸗
ſamen Pflege ſeiner Großeltern zu belaſſen. Das Ver⸗
ſchulden des fürſorgeberechtigten Vaters wird unſchwer
feſtzuſtellen ſein; denn es kann wohl keinem Zweiſel
unterliegen, daß ein Vater ſchuldhaft handelt, der die
Erziehung ſeines Kindes einer Perſon mit den Eigen⸗
ſchaften der zweiten Frau des A. Sch. überläßt. (de
ſchluß des I. 35. vom 18. September 1914, Reg. III
Nr. 81/1914). M.
3454
Zeitſchrift für Rechtspflege in! Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
B. Strafſachen.
I.
Brszeſſuale Stellung eines geiſteskranken, aber nicht
entmündigten für ſich und als geſetzlicher Vertreter feiner
Tochter auftretenden Privatklägers. Rechtsanwalt H.
ſtellte auf Grund der ihm von dem Kleiderreiniger
M. P. erteilten Vollmacht für dieſen und deſſen am
14. November 1896 geborene, von ihm als Vater ge-
ſetzlich vertretene Tochter E. P. gegen B. Strafantrag
wegen Beleidigung und erhob Privatklage. B. wurde
wegen einer durch dieſelbe Aeußerung dem M. und
der E. P. zugefügten Beleidigung verurteilt und legte
Berufung ein. Das LG. erachtete auf Grund ſeiner Er⸗
mittelungen den M. P. wegen dauernder krankhafter
Störung ſeiner Geiſtestätigkeit für mindeſtens ſeit dem
12. September 1912 geſchäftsunfähig und infolgedeſſen
die Vollmachtserteilung, den Strafantrag und die
Privatklage für nichtig. Es nahm an, daß die elter⸗
liche Gewalt des M. P. über ſeine Tochter ſeit dem
12. September 1912 ruhe und auf die Mutter O. P.
übergegangen, ſonach dieſe die geſetzliche Vertreterin
der Tochter ſei (88 1676 und 1685 BGB). Das LG.
ſetzte durch Beſchluß vom 23. März 1914 der Mutter
eine Friſt von drei Wochen einerſeits zur Erklärung,
ob ſie als geſetzliche Vertreterin ihrer Tochter gegen
B. Strafantrag ſtelle und die bisherige Prozeßführung
des Rechtsanwalts H. genehmige, anderſeits zur Er⸗
bringung des Nachweiſes dafür, daß ſie als die nach
dem 8 646 ZPO. Nächſtbeteiligte die Entmündigung
ihres erkrankten Mannes beantragt habe. Durch den
Beſchluß wurde der Mutter gleicher ig mitgeteilt, daß
„nach fruchtloſem Ablauf der Friſt das Privatklage⸗
verfahren unter Koſtenüberbürdung auf die Kläger ein⸗
geſtellt werde“. Das LG. ſprach nach fruchtloſem Ab⸗
laufe der Friſt ohne mündliche Verhandlung mit Be⸗
ſchluß vom 28. April 1914 die angedrohten Folgen
aus. Der „in entſprechender Anwendung der SS 259
Abf. 2, 414 StPO. erlaſſene“, dem M. P. und feiner
Frau „als derzeitigen geſetzlichen Vertreterin ihrer
Tochter“ zugeſtellte Beſchluß lautet: „Das Urteil des
Schöffengerichts ... wird aufgehoben. Das Verfahren
wird eingeſtellt; die Privatkläger haben die Koſten zu
tragen und die dem Beſchuldigten erwachſenen not⸗
wendigen Auslagen zu erſtatten.“ Am 6. Mai 1914
gelangte an das LG. ein von M. P., ſeiner Frau O. P.
und der Tochter E. P. unterſchriebenes Schriftſtück mit
der Ueberſchrift: „Strafantrag gegen den Buchhalter
B. wegen Beleidigung” und mit der Erklärung, daß
„ein derartiger a ohne Berufungsverhandlung
nicht erlaſſen werden könne, und daß die bisherige
Klage und der Strafantrag aufrecht erhalten werde.“
Das LG. erblickte in der Eingabeidie Beſchwerde der Frau
P. gegen den Beſchluß vom 28. April 1914, half ihr
aber nicht ab. Das Beſchwerdegericht hob den Beſchluß
auf und ordnete an, daß über die Berufung durch Urteil
zu entſcheiden ſei.
Aus den Gründen: Die Eingabe vom 6. Mai
1914 iſt als die nach 8 346 StPO. zuläſſige, form⸗ und
friſtloſe Beſchwerde ſowohl des M. P. als auch ſeiner
Frau zu erachten, da ſie von beiden unterzeichnet und
beiden der Beſchluß vom 28. April 1914 zugeſtellt worden
iſt. Die Unterſchrift der Tochter hat keine Bedeutung.
M. P. iſt wegen Geiſteskrankheit nicht entmündigt; er hat
deshalb auch keinen geſetzlichen Vertreter; ſeine Ge—
ſchäfts⸗ und Prozeßunfähigkeit ſoll erſt in dieſem Straf⸗
verfahren feſtgeſtellt werden; er iſt demnach als Privat⸗
kläger Prozeßbeteiligter und kann infolgedeſſen alle
feine Rechte betreffenden Prozeßhandlungen, ins-
beſondere auch die vornehmen, welche die Anrufung
des höheren Richters zur Prüfung der Richtigkeit der
Entſcheidung des Unterrichters bezwecken. Iſt ſonach
die Berechtigung des M. P. zur Einlegung der Be—
ſchwerde nicht zu beanſtanden, ſo kommt die Frau P.
als Beſchwerdeführerin nicht weiter in Betracht. Der
389
8 363 StPO. lautet: „Erachtet das Berufungsgericht
die Beſtimmungen über die Einlegung der Berufung
nicht für beobachtet, ſo kann es das Rechtsmittel durch
Beſchluß als unauläffig verwerfen. Andernfalls ent»
ſcheidet es über dasſelbe durch Urteil.“ Da der An⸗
geklagte die Berufung eingelegt hat und die Voraus⸗
ſetzungen zur Anwendung des $ 363 Satz 1 nicht ge⸗
geben ſind, iſt der Beſchluß vom 28. April 1914 zu
unrecht ergangen; er mußte deshalb aufgehoben und
das LG. angewieſen werden, über die Berufung nach
gepflogener Hauptverhandlung durch Urteil zu ent⸗
ſcheiden. Die Hauptverhandlung wird Anlaß geben
aufs neue zu prüfen, ob die geiſtige Erkrankung des
M. P. — Querulantenwahn —, die ſich regelmäßig
nur nuch einer beſtimmten Richtung bemerkbar macht,
eeignet iſt, jede auch noch ſo einfach gelagerte Rechts⸗
Bendiung wie z. B. eine Vollmachtserteilung ꝛc. als
von der geiſtigen Störung beeinflußt zu erachten. (Vgl.
im übrigen Löwe, Vorbem. 20 a zum 1. Abſchn. des
2. Buches der StPO., Bem. 5 zu § 414; Bem. Ib zu
$ 37 StPO., RGSt. Bd. 1 S. 149, Bd. 29 S. 324; RG.
Rechtſpr. Bd. 7 S. 465; Bay. Obs G. StS. Bd. 9 S. 183;
Binding, Strafrecht Bd. I S. 628; Köhler, die Lehre
vom Strafantrag S. 55; Oppenhoff Bem. 12, Ols⸗
hauſen Bem. 12, je zu 865 StGB.). (Beſchl. vom 16. Mai
1914, Beſchw. Reg.⸗Rev. 399/1914). Ed.
3452
I.
Kann die Gültigkeit einer auf Grund des Art. 75
BEIGB. erlaſſenen geſundheitspolizeilichen Borſchrift
durch einen Wechſel in den hygieniſchen Auſchauungen
derührt werden? Was iſt unter „reinen Mehl“ zu
verſtehen? Ein Bäckermeiſter verwendete in ſeinem
Betriebe zwei Sorten Streumehl, die eine aus Nadel⸗
holzmehl, die andere aus Fruchthülſenmehl beſtehend,
und veranlaßte ſelbſt eine polizeiliche Anzeige hie⸗
wegen, um im Intereſſe der Lieferantin eine gericht⸗
liche Entſcheidung über die Zuläſſigkeit der Verwen⸗
dung jener Erzeugniſſe herbeizuführen. Er wurde
869 8 einer Uebertretung nach Art. 75 PStGB. mit
Abſ. 2 ortspol. Vorſchr. des Stadtmagiſtrats Mün⸗
5. Oktober 1906
chen vom 15. Februar 1512 über den Verkehr mit Nah⸗
rungs⸗ und Genußmitteln zu einer Geldſtrafe ver⸗
urteilt. Der bezeichnete 8 69, der ſich im Abſchnitt
„über den Verkehr mit Brot, Mehl und Hülſenfrüchten“
findet, beſtimmt in Abi. 2, daß „als Streumehl nur
gutes, reines Mehl verwendet werden darf“. Die Revi⸗
ſion wurde verworſen. Aus den Gründen: Die
Reviſion erklärt die ortspolizeiliche Vorſchrift für nicht
mehr gültig; um gültig zu bleiben, müſſe ſie fortdau⸗
ernd der Verhütung geſundheitlicher Gefahren dienen;
wenn aber die Unſchädlichkeit neu eingeführter Streu⸗
mittel erwieſen und vom Richter ſelbſt anerkannt ſei,
ſo ſei die Vorſchrift keine geſundheitspolizeiliche mehr
und trete ſomit aus dem Rahmen des Art. 75 PStGB.
heraus. Was nach richterlicher Feſtſtellung dem geſetz⸗
geberiſchen Zwecke mehr entſpreche als das im Ge⸗
ſetze ſelbſt Zugelaſſene, könne nicht verboten ſein.
Diefer Angriff geht fehl. Der Art. 75 PStGB. bildet
die geſetzliche Grundlage für die dort näher bezeich—
neten „zur Verhütung von Gefahren für die Geſund⸗
heit“ ergangenen Vorſchriften. Nach ſeinem Wortlaut
und Sinn kommt es nicht darauf an, ob eine Vor⸗
ſchrift wirklich die Geſundheit ſchützt, ſondern nur dar⸗
auf, ob fie das bezweckt. Der Forderung der Zweck⸗
mäßigkeit dient die Uebung, wonach derartige Vor⸗
ſchriften von kürzerer Geltungsdauer ſind, raſcher und
leichter abgeändert werden als grundlegende Geſetze;
ſind ſie nach neueren Ergebniſſen der Wiſſenſchaft und
der Technik nicht mehr zweckentſprechend, ſo ſind ſie
leicht zu ändern. Solange dies aber nicht geſchehen
iſt, muß die Vorſchrift in dem Sinne fortgelten, in
dem ſie erlaſſen iſt; ſie verliert alſo beiſpielsweiſe die
Eigenſchaft einer geſundheitspolizeilichen Vorſchrift
nicht ſchon dadurch, daß die neuere Geſundheitslehre
eine andere Regelung fordert. Auch an dem Inhalt
der Vorſchrift des § 69 läßt ſich nicht deuteln. Die
Vorinſtanzen haben zutreffend ausgeführt, daß das
Wort Mehl in einer vom Verkehr mit Brot, Mehl
und Hülſenfrüchten handelnden Vorſchrift nur das aus
Getreide gewonnene Mehl bezeichnen kann, und daß
das Wort in demſelben Sinne auch im Abſ. 2 des
§ 69 aufgefaßt werden muß, wo der Ausdruck „gutes,
reines Mehl“ auf eben jenes auch im Abſ. 1 gemeinte
Getreidemehl (Backmehl) zurückweiſt; ferner, daß der
Sprachgebrauch überall da, wo von „Mehl“ ohne Bei⸗
ſatz die Rede iſt, hiemit das Getreidemehl bezeichnet,
während Mehle aus anderen Stoffen durch den Bei⸗
ſatz des Erzeugungsſtoffes oder der Erzeugungsweiſe
gekennzeichnet werden (Holzmehl, Gipsmehl, Säge⸗
mehl). Dahingeſtellt mag bleiben, ob 8 69 Abſ. 2
gerade nur Mehl aus einheimiſchen Getreidearten zu⸗
laſſen will; die Verwendung von Holz⸗ oder von
Fruchthülſenmehl iſt jedenfalls nicht geſtattet. Der
8 69 Abſ. 2 hält und erklärt nun einmal das Getreide⸗
mehl für das einzige geſundheitlich einwandfreie und
deshalb zuläſſige Streumittel; damit bleibt er in den
Grenzen einer geſundheitspolizeilichen Vorſchrift. Ein
Wechſel in den hygieniſchen Anſchauungen kann die
weitere Geltung derartiger Normen nicht berühren.
(Urteil vom 27. Juni 1914, RevReg. Nr. u)
3451 g
Oberlandesgericht Nürnberg.
Nechtskraſtwirkung des Urteils; Umfang des durch
die klage erhobenen Anſpruchs. Folgen der Verweigerung
der Eidesleiſtung in einem anderen Rechtsſtreit, freie
richterliche Ueberzengung, Protokolle eines anderen Nechts⸗
ſtreits als Urkunden. Nutzungen einer rechtlos erhaltenen
Summe als Bereicherung, ſelbſtändige Klage hierauf nach
rechtskräftiger Eutſcheidung über die Hauptſache, Ber:
zicht auf Nutzungen, Verjährung des Auſpruchs hierauf
— 322 1, 325 1, 463 ff., 415 ff., 286 ZPO; 818,
197 BGB. In früheren Jahren betrieben 5 Perſonen
gemeinſchaftlich mit gleichen Anteilen einen Schweine—
handel. Auf die Klage des Geſellſchafters A. wurde
der Geſellſchaſter E. am 25. Sept. 1911 zur Zahlung
von 1452 M ſamt Prozeßzinſen hieraus verurteilt; dem
E. war ein Eid darüber auferlegt worden, daß er ſich
ſ. Zt. mehrere Fehlbeträge aus der Geſellſchaftskaſſe
nicht angeeignet habe; er hatte die Eidesleiſtung vers
weigert und erſchien hiernach um * dieſer Beträge
auf Koſten des Klägers ungerechtfertigt bereichert.
Darauf kam es noch zu zwei weiteren Prozeſſen.
I. Der Geſellſchafter B. erzielte ebenfalls mit einer
Bereicherungsklage die Verurteilung des E. zur Zahlung
des ihm entzogenen /-Anteils. Aus den Gründen:
Nach § 322 3 PO. kann das rechtskräftige Urteil des
Vorprozeſſes nicht als ſolches der Entſcheidung des
jetzigen Rechtsſtreits zugrunde gelegt werden. Denn
wenn es ſich auch um den nämlichen Tatbeſtand und
die nämlichen Rechtsverhältniſſe handelt, ſo ſind doch
die Perſonen der Kläger und die Klageanſprüche in
beiden Prozeſſen verſchieden. Die ſachliche Rechtskraft
des früheren Urteils erſtreckt ſich insbeſondere nicht
auf die den Klaganſpruch in beiden Prozeſſen be—
dingenden Rechtsverhältniſſe.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
— ——᷑ — — 4 —— — wAh— ä — — — —
BE En re a ee ek
Hieruͤber iſt vielmehr
in jedem Prozeſſe mit neuen ſelbſtändigen Anſprüchen
neuerlich ſelbſtaͤndig zu entſcheiden. Ebenſowenig kann
die im Vorprozeſſe vom Beklagten erklärte Verweige—
rung der Eidesleiſtung die im § 464 II ZPO. aufs
geſtellte Folge für den jetzigen Rechtsſtreit äußern;
denn dieſe Wirkung als ſolche iſt auf den Prozeß be—
ſchränkt, in welchem das für den Beweis durch Eid
vorgeſchriebene geſetzliche Verfahren beobachtet worden
|
iſt (Gaupp⸗Stein, ZPO. [11] I, 809 A. V zu $ 322;
S. 1016, 1018, A. I zu 8 463, A. III zu 8 464).
Nachdem jedoch die Parteien im gegenwärtigen Rechts⸗
ſtreit die Protokolle über die im Vorprozeß gepflogene
Beweiserhebung nebſt dem dortigen Urteil als Urkunden⸗
beweis zum Gegenſtand der mündlichen Verhandlung
gemacht haben, iſt das Gericht berechtigt und ver⸗
pflichtet, dieſe Beweismittel über die Zeugenausſagen
und über die auf die Parteieidesleiſtung ſich beziehenden
Erklärungen des Beklagten im Vorprozeß jetzt neuer⸗
lich und ſelbſtändig im Rahmen des § 286 ZPO. frei
zu würdigen (Gaupp⸗ Stein a. a. O., ſowie S. 709
A. III, 4a und b; RG. 46, 410 ff. u. a.).. . . (ier
folgt eine Beweiswürdigung). Im Vorprozeß war dem
Beklagten der zugeſchobene Eid über die Wegnahme
von Geſellſchaftsgeldern auferlegt worden; im Schwur⸗
termin erklärte er, daß er den Eid nicht leiſte. Darauf
erfolgte ſeine Verurteilung zur Rückzahlung der Be⸗
reicherung. Im gegenwärtigen Rechtsſtreite ſchob ihm
der Kläger vorſorglich den gleichen Eid zu. Im erſten
Rechtszuge verweigerte der Beklagte trotz der Aufforde⸗
rung durch das Gericht jede Erklärung auf die Eides⸗
zuſchiebung, weshalb das Gericht den Eid als ver⸗
weigert anſah und den Beklagten verurteilte (SS 455,
452 II ZPO.) Im zweiten Rechtszuge ſchob der Be:
klagte den ihm neuerlich zugeſchobenen Eid zunächſt
an den Kläger zurück und erörterte im Anſchluß daran
nur ſeine Anſicht über die Zuläſſigkeit der Eideszu⸗
ſchiebung und über die Zweckmäßigkeit des Ueber⸗
zeugungseides. Ob hierin angeſichts der Unzuläſſigkeit
der Eideszurückſchiebung (88 448 II, 452 II ZPO.) eine
bedingte Eidesannahme zu erblicken wäre, kann unent⸗
ſchieden bleiben. Denn das Gericht hat aus dem Be
weis⸗ und Verhandlungsergebnis, insbeſondere aus
dem geſamten Verhalten des Beklagten im früheren
und jetzigen Rechtsſtreit die Ueberzeugung gewonnen
(8 286 ZPO.), daß er den Eid nicht zu leiſten vermag.
da das Gegenteil der zu beſchwörenden Tatſachen,
nämlich die Behauptung des Klägers wahr iſt. Damit,
daß der Beklagte ſchließlich ſelbſt dem Kläger den Eid
über die Entnahme von Geſellſchaftsgeldern zugeſchoben
hat, kann er ſich vor den Folgen ſeines Verhaltens
auf die Eideszuſchiebung an ihn nicht ſchützen. Ein
ſolches Verfahren widerſpricht den Regeln der Be
weislaſt und den Geſetzesvorſchriften über den Eides⸗
beweis; entſpricht der Kläger ſeiner Beweispflicht für
ſeine beſtrittenen Behauptungen durch die Eides⸗
zuſchiebung an den Beklagten, ſo ſteht dieſem wohl
die Geltendmachung anderer Beweismittel frei (8 453
ZPO.), aber er kann nicht die Klagebehauptung um⸗
kehren und durch Eideszuſchiebung über eine ſolche
Gegenbehauptung die Beweislaſt verſchieben, um den
ihm drohenden Folgen der Unzuläſſigkeit einer Eides⸗
zurückſchiebung auszuweichen (SS 448 JI, 452 JI 35D.)
(Urt. des II. 35. vom 30. März 1914, L. 229,12).
II. Der Geſellſchafter A., der Kläger im erſten
Prozeſſe, erwirkte mit einer neuen Klage die Verurteilung
des E. zur Zahlung von weiteren 955 M Nutzungen
aus der Bereicherungsſumme in Höhe von 4% Zinſen
vom Beginn der Bereicherung bis zur Rechtshängigkeit
des erſten Prozeſſes, worin ihm Prozeßzinſen aus
der Bereicherung zugeſprochen waren. Aus den
Gründen: Das Urteil im Vorprozeß der nämlichen
Parteien äußerte infolge ſeiner formellen Rechtskraft
auch im gegenwärtigen Rechtsſtreit eine ſachliche Rechts⸗
kraftwirkung im Rahmen des § 322 ZPO:; darnach iſt
das Gericht an die frühere Entſcheidung gebunden,
ſoweit fie den unmittelbaren Gegenſtand des fruheren
Klaganſpruchs betrifft. Das Gericht darf weder den
gleichen Tatbeſtand anderweitig rechtlich würdigen, um
eine andere Rechtslage als im Vorprozeß anzunehmen,
noch darf es zu demſelben Zwecke den Tatbeſtand
anders als im Vorprozeß feſtſtellen, gleichviel wie das
frühere Urteil zuſtande gekommen iſt (Gaupp-Stein J.
800 ff. A. II, 3, V 2, VIII I ff. zu $ 322). Die Parteien
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
find daher auch nicht in der Lage, 50 frühere Prozeß⸗
führung jetzt zu verbeſſern und behufs einer anderen
Würdigung des Tatbeſtands ergänzende Tatſachen oder
Beweismittel geltend zu machen. Es iſt hier ins⸗
beſondere bedeutungslos, daß der Beklagte im Vor⸗
prozeß zur Zahlung der Bereicherungsſumme ſamt
Prozeßzinſen an die Klägerin wegen der Nichtleiſtung
des ihm auferlegten Eides verurteilt worden iſt. Gleich⸗
gültig iſt es auch, weshalb er damals den Eid nicht
geleiſtet hat, ob deshalb, weil er ihn nicht hat leiſten
können oder weil er ihn nicht hat leiſten wollen, ſo⸗
wie welche Gründe ihn hierzu beſtimmt haben. Es kann
alſo nicht zur nochmaligen Aufrollung der Beweisfrage
kommen, ſondern es ſteht nach $ 322 ZPO. auch für
den jetzigen Rechtsſtreit feſt, daß der Beklagte ſeit der
Entnahme der Geſellſchaftsgelder um ½ hiervon auf
Koſten des Klägers ohne rechtlichen Grund bereichert
iſt. Der Betrag von 955 M, den der Kläger mit feiner
neuen Klage begehrt, bildet weder einen Teil des im
Borprozeſſe ſtreitig geweſenen und dort rechtskräftig
dem Kläger zuerkannten Bereicherungsanſpruchs noch
eine mit jenem Anſpruch auf gleicher Stufe ſtehende
Nachforderung, über die jetzt unter neuer Würdigung
des gleichen Rechts verhältniſſes ſelbſtändig zu ent⸗
ſcheiden wäre. Es handelt ſich vielmehr bei dieſer
Nachforderung um einen aus dem nämlichen Rechtsver⸗
hältnis erwachſenen Neben anſpruch auf die Nutzungen
aus dem Hauptbereiherungsaniprud, über deſſen
Beſtand ſchon endgültig rechtskräftig entſchieden iſt.
Dieſer Anſpruch auf Herausgabe der Nutzungen wurde
dem Klaͤger mit dem früheren Urteile nicht abgeſprochen,
da er nicht Gegenſtand des Vorprozeſſes war. Es lag
auch in der prozeſſualen Beſchränkung des Bereicherungs⸗
anſpruchs auf die Hauptſache nebſt Prozeßzinſen nicht
ein Verzicht des Klägers auf ſeinen weiteren die Nutzungen
umfaſſenden Bereicherungsanſpruch (RG. 1, 349; 73,
219); der Angeklagte ſelbſt hat dies nicht geltend ge⸗
macht, auch aus der von Amts wegen zu berückſichtigenden
Rechtskraft des früheren Urteils iſt dieſe beſchränkende
und ausſchließende Wirkung nicht abzuleiten (Gaupp⸗
Stein I, 811 A. V2 zu 8322). — Nach 8 818 BGB.
iſt der auf Koſten eines anderen rechtlos Bereicherte,
beſonders auch im Falle ſeiner Schlechtgläubigkeit zur
Herausgabe der Bereicherung ſamt den daraus ges
zogenen oder zu ziehenden Nutzungen verpflichtet.
Es iſt ohne weiteres davon auszugehen, daß der Be⸗
klagte als erfahrener Geſchäftsmann die Bereicherungs⸗
ſumme nutzbringend für ſich verwendet hat (RG. 53,
371). Infolge der Bereicherung um die Hauptſache
ſind ihm auch die Nutzungen hieraus zugefloſſen, er wurde
wenigſtens um die den geſetzlichen Zinſen zu 4% ents
ſprechenden Nutzungen auf Koſten des Klägers grund⸗
los bereichert. Den Wegfall der Bereicherung durch
Minderung ſeines Vermögens auf weniger als die
68 270). Wer ſahrun hat er ſelbſt nicht behauptet (RG.
68, 270). Verjährung iſt nicht eingetreten. Wenn auch
der Kläger ſeinen Anſpruch zu 955 M mittels Be⸗
rechnung von 4% Zinſen aus der Hauptſache auf
die bezeichnete Zeit beziffert hat, ſo machte er doch als
Rechtsgrund für jenen Anſpruch nicht ſchlechthin einen
Zins anſpruch geltend, ſondern gerade die Bereiche⸗
rung des Beklagten um die Nutzungen aus der
Hauptſache, deren Betrag den berechneten Zinſen wenig⸗
ſtens gleichkomme. Es können daher nicht die für
„Zinſen“ jeder Art gültigen Verjährungsvorſchriften
des früheren und des jetzigen Rechts angewendet werden,
ſondern es iſt die regelmäßige Verjährungsfriſt von
30 Jahren zu berückſichtigen, der nach früherem und
jetzigem Recht auch der auf Erſatz von Nutzungen er⸗
ſtreckte Bereicherungsanſpruch unterworfen iſt (Art. 169
BGB.; 88 195 ff. BGB.; Staudinger (7./8.) I, 709 A. 2
zu 8 197). Dieſe Friſt iſt noch nicht ausgelaufen, der
Klageanſpruch daher begründet. (Urt. des II. 38.
vom 30. März 1914, L. 55/13). B r.
3456
— — — ũẽ— un
— — — .. l— 2. l 22.
391
Vücheranzeigen.
Der jetzige Stand der Freirechtsbewegung. Der
lebhafte Streit, der vor einigen Jahren über die Frage
des freien Rechts entbrannt war, [Bien mit dem Dres⸗
dener Richtertag, der die Bindung des Richters
an das Geſetz entſchieden betonte, ein für allemal er⸗
ledigt. Was konnte es auch helfen, zu lehren, daß
die Richter befugt ſeien, über das Geſetz hinweg⸗
zugehen, wo ihnen ſeine Anwendung zu unrichtigen Er⸗
gebniſſen zu führen ſchien, wenn die Richter ſelbſt es
ablehnten, von dieſer Befugnis Gebrauch zu machen?
Der aufmerkſamere Beobachter konnte es aber leicht
erkennen, daß zwar dieſe, ohnehin auch früher nur ver⸗
einzelt aufgeſtellte äußerſte Folgerung nicht mehr ver⸗
treten wurde, daß aber damit die Bewegung ſelbſt
durchaus nicht zum Stillſtande gebracht worden war.
Im Gegenteil: ihr innerſter Kern, der Gedanke, daß
nur die Befreiung des Richters vom Buchſtabendienſt,
die Ueberwindung der Begriffsjurisprudenz durch eine,
den Zweck des Geſetzes höher als ſeinen wörtlichen Sinn
einſchätzende Rechtſprechung, die jetzige Kluft zwiſchen
Recht und Volk zu ſchließen vermöge, hat ſich unaufhalt⸗
ſam in immer weiteren Kreiſen, nicht zuletzt in jenen der
Richter, Anerkennung verſchafft. Und nicht nur das:
immer deutlicher zeigt ſich, daß der Gedanke ſich in die
Wirklichkeit umzuſetzen beginnt. Man braucht nur die
jetzigen Entſcheidungen des Reichsgerichts mit jenen
zu vergleichen, die vor zehn Jahren oder noch früher
ergingen, um zu erkennen, daß ſich die Richter heute
zum Geſetz ganz anders ſtellen als damals. Ihr ſichtbares
Ziel iſt, das Geſetz zu beherrſchen, es nicht pedantiſch in
jedem Falle gleichmäßig, ſondern in jedem Falle ſo, wie
es am richtigſten iſt, anzuwenden; und es iſt erfreulich,
daß auch in den Kreiſen der Theorie dieleberzeugung Platz
greift, daß damit ein richtiger Weg betreten iſt. Zeug⸗
nis hiefür gibt das ſoeben erſchienene Juliheft der Zeit⸗
ſchrift: Die Tat (Jena, Diederichs). Es genügt, die
Namen der Mitarbeiter und ihre Beiträge zu nennen.
Guſtav Radbruch ſchreibt über das Rechtsgefühl,
Hermann Kantorowirz über die Epochen der
Rechtswiſſenſchaft, Ernſt Wolff über Freirechts⸗
bewegung und Richteramt — ein ſehr maßvoll ge⸗
haltener und darum auch ſehr eindrucksvoller Aufſatz —,
Hugo Sinzheimer über den Willen zur Rechts⸗
geſtaltung, Ernſt Fuchs über die Erneuerung der
Juriſtenfakultäten, Fritz Münch über Rechtsreform⸗
bewegung und Kulturphiloſophie, er din and
Tönnies über Gemeinſchaft und Individuum und —
last not least — Max Rumpf über den Beruf
unſerer Zeit zur Geſetzgebung. Ein friſcher, entſchiedener
und doch beſonnener Zug geht durch alle dieſe Aus»
führungen wie auch durch die noch folgenden kleineren
Beiträge. Sie ſind nicht die Summe deſſen, was in
dieſer Richtung gearbeitet wird, nicht einmal ein Ueber⸗
blick darüber, ſondern nur Anzeichen davon; aber
dieſe Anzeichen laſſen erkennen, daß die Arbeit rüſtig
gefördert wird und daß alle jene, die leichthin den
Stab darüber brechen zu können meinen, ſich ſehr im
Irrtum befinden. Riß.
Güthe, Dr. Georg, Geh. Juſtizrat und vortragender Rat
im Juſtizminiſterium. Die wirtſchaftlichen
und rechtlichen Grundlagen des modernen
Hypothekenrechts. 139 S. Berlin 1914, Franz
Vahlen. Mk. 3.50.
Die Schrift gibt einen Vortrag wieder, den Güthe
im Sommer v. J. in dem ſtaats⸗ und rechtswiſſen⸗
ſchaftlichen Fortbildungskurſe für Aſſeſſoren in Berlin
gehalten hat. Nach einem umfangreichen geſchichtlichen
Ueberblick über die Entwicklung des römiſchen und des
deutſchen Pfandrechts erörtert er zunächſt die wirt—
ſchaftlichen Zwecke und das wirtſchaftliche Weſen des
Grundkredits, legt die wirtſchaftlichen und die rechtlichen
— — —
—
Beziehungen zwiſchen Kreditgeber und Kreditnehmer
dar und behandelt dann die Fragen, die durch das
Verhältnis mehrerer Kreditgeber untereinander ent⸗
ſtehen. In einem weiteren Abſchnitt beſpricht er die
Verbindung von Hypothek und Pfandbrief, ihre wirt⸗
ſchaftliche Bedeutung und die Rechtsformen der Ver⸗
bindung, die landſchaftliche und die hypothekenbank⸗
rechtliche Form, wobei er eingehend das Pfandbrief⸗
geſchäft ſchildert und hervorhebt, daß von der Be⸗
fugnis, Hypothekenbriefe als Orderpapiere auszu⸗
ſtellen, nur die landwirtſchaftliche Kreditbank in Frank⸗
furt a. M. Gebrauch gemacht habe. Von beſonderem In⸗
tereſſe ſind die Ausführungen über die Entſchuldung
des Grund beſitzes, in denen die beiden teils reichs⸗ teils
landesgeſetzlich ausgeſtalteten Entſchuldungsformen, die
Amortiſation und die Verſchuldungsgrenze eingehend
gewürdigt werden. In einem Schlußworte wirft Güthe
noch einen Blick auf die vermutliche künftige Fortent⸗
wicklung des Hypothekenrechts; er will in Anlehnung
an das Schweizer Zivilgeſetzbuch die Verkehrsbuchhy⸗
pothek aus dem deutſchen Rechte ausgeſchaltet wiſſen,
bezeichnet es als ungerechtfertigt, daß das BGB. für
den Fall der Eigentümerhypothek im 8 1177 Abſ. 1
dann, wenn der Eigentümer zugleich der perſönliche
Schuldner geweſen iſt, eine geſetzliche Verwandlung
der Hypothek in eine Grundſchuld vorſchreibt, befürchtet,
daß die weitere Entwicklung des Geſellſchaftsweſens
für das Hypothekenrecht Verwickelungen zur Folge
haben könne, und weiſt ſchließlich auf die Möglichkeit
hin, ein weiteres geſetzliches Mittel der Entſchuldung
des Grundeigentums durch eine Verwertung und Aus⸗
geſtaltung der Rentenſchuld zu ſchaffen.
Güthe hat die Aufgabe, die er ſich geſtellt, vor⸗
trefflich gelöſt und es meiſterhaft verſtanden, die innigen
Beziehungen des wirtſchaftlichen Lebens zum Hypo»
thekenrecht darzulegen. Wir möchten die Schrift nicht
nur jedem Grundbuchbeamten, ſondern überhaupt jedem
empfehlen, der ſich für das Hypothekenweſen intereſſiert
oder ihm Intereſſe abgewinnen will.
München. Miniſterialrat H. Schmitt.
Groß, Dr. Haus, o. ö. Profeſſor an der Carola⸗Fran⸗
cisca in Graz. Handbuch für Unterſuchungs⸗
richter als Syſtem der Kriminaliſtik.
Sechſte, umgearbeitete Auflage. Mit 157 Abbils
dungen im Text. 2 Bände. 1914. München, Berlin
und Leipzig, J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).
Geh. Mk. 22.—; gebd. Mk. 24.—.
Trotz der zahlreichen Neuerſcheinungen, die jedes
Jahr die kriminaliſtiſche Literatur bringt, hat dieſe
kein zweites Werk aufzuweiſen, das mit dem Hand—
buch für Unterſuchungsrichter einen Vergleich aus—
halten könnte. Auch die nächſte Zukunft wird daran
vorausſichtlich nichts ändern. Die überragende kri—
minaliſtiſche Erfahrung, die ſich in der Perſon des
Verfaſſers, des Altmeiſters der kriminaliſtiſchen Wiſſen—
ſchaft, verkörpert, und die überzeugende Klarheit der
Darſtellung, mit der er die Ergebniſſe dieſer Erfah—
rungen zum Lehrgegenſtande für alle Jünger der Kri—
minaliſtik macht, ſichern dem Werke für lange Zeit hin—
aus ſeine einzigartige Bedeutung. Nicht nur der an—
gehende Kriminaliſt, auch der alte, der ſich in langer
Praxis geübt und bewährt hat, wird darin Anregung
und Belehrung finden. Für den Unterſuchungsrichter
am Landgericht oder den mit Ermittlungen in Straf—
ſachen beſchäftigten Amtsrichter iſt das Buch unent—
behrlich — ich möchte es geradezu als eine Pllicht—
widrigkeit bezeichnen, wenn er fein Amt ausüben
würde, ohne das Handbuch für Unterſuchungsrichter
eingehend durchgearbeitet zu haben und es ſo oft
als möglich bei ſeiner Berufstätigkeit heranzuziehen.
39 Zeeitſchrift far Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 20 u. 21.
Einzelheiten kann ich beiſeite laſſen. Die vorliegende
Auflage enthält vieles Neue. Auch wer die fünfte ge
nau zu kennen glaubt, vertiefe ſich alſo nun in die
ſechſte! Mit ſtolzer Freude erwähnt Hans Groß im
Vorworte, daß nach 18 jährigem Bemühen nun die
„Erſcheinungslehre des Verbrechens in dem neu⸗
eröffneten „K. K. Kriminaliſtiſchen Inſtitut an der Uni⸗
verſität in Graz“ eine Stätte für ihre Pflege gefunden
habe. Die ganze kriminaliſtiſche Welt hat dieſen ſchönen
Erfolg mit Freude begrüßt; möchten auch reichsdeutſche
Univerſitäten ſich durch dieſes Vorgehen ihrer Schweſter
in der grünen Steiermark zu baldiger Nachfolge be⸗
geiſtern laſſen! Theodor Harſter.
Pinzger, Dr. W., Landrichter in Magdeburg, Geſe tz
betr. die Geſellſchaften mit beſchränkter
Haftung, 8. VIII, 351 S. Stuttgart 1914, W.
Kohlhammer. Mk. 4.50.
Dieſe neue Bearbeitung iſt nicht nur für den ju⸗
riſtiſchen Praktiker, ſondern auch für den Kaufmann
ein ſehr brauchbares Hilfsmittel. Sie hält die Mitte
zwiſchen dem kleinen Kommentar von Liebmann und
dem großen von Hachenburg, iſt beſonders wertvoll
durch den nahezu erſchöpfenden Hinweis auf die bis
in die neueſte Zeit ergangene Rechtſprechung. Die
Stellung zu Streitfragen, z. B. zum Einfluß der Er⸗
höhung des Stammkapitals nach Erhebung der Auf⸗
löſungsklage auf die Aktivlegitimation ($ 61 Abſ. 2),
iſt unterblieben.
München. Juſtizrat Dr. Heinrich Frankenburget.
Geſetzgebung und Verwaltung.
Die Koſten der Stellvertretung der vor Juſtiz- oder
Verwaltungsbehörden geladenen Beamten der Verkehrs
verwaltung. Die durch die IM Bek. vom 24. Dezember
1909 (JMBL. 555) zur Kenntnis der Juſtizbehörden
gebrachte Bekanntmachung des Staatsminiſteriums für
Verkehrsangelegenheiten vom 4. Dezember 1909 wurde
aufgehoben durch die beiden Bekanntmachungen des
Verkehrsminiſteriums vom 13. März 1912 (VerkMBl.,
Eiſenbahndienſtl. Teil S. 37, Poſtdienſtl. Teil S. 83). An
deren Stelle beſtimmt §8 6 Abſ. 4, der dieſen beiden
Bekanntmachungen beigegebenen „Vorſchriften über Ur⸗
laub, Dienſtbefreiung und Dienſtaushilfe“ für die etats⸗
mäßigen Beamten folgendes: Dienſtbefreiung auf die
erforderliche Zeitdauer iſt auch zu gewähren, wenn Be⸗
amte in Gegenſtänden der Rechtspflege, der Verwal⸗
tung oder der Verwaltungsrechtspflege als Zeugen oder
Sachverſtändige oder in Strafſachen als Angeklagte
oder Beſchuldigte vorgeladen werden. Die Stellver—
tretungskoſten werden in dieſen Fällen von der Staats-
kaſſe übernommen. Ein Erſatz der Stellvertretungs⸗
koſten durch Zeugen- oder Sachverſtändigengebühren
kann gleichviel, ob der Zeuge oder Sachverſtändige in
amtlicher oder nichtamtlicher Eigenſchaft vorgeladen
wurde, nicht beanſprucht werden. Nach 8 12 der ge
nannten Vorſchriften ſollen dieſe Beſtimmungen auf
„den Urlaub“ der nicht etatsmäßigen Beamten und des
ſonſtigen Perſonals entſprechend Anwendung finden,
für das Perſonal der Poſt- und Telegraphenverwal⸗
tung jedoch mit der Maßgabe, daß der Urlaub nur
erteilt werden kann, wenn ſtändig bezahlte Aushilfs⸗
kräfte als Erſatz zur Verfügung ſtehen. 3458
Verantwortl. Herausgeber i. V.: E. Eckert, Lind⸗
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) Minden und Freifing.
fir. 22.
München, den 15. November 1914.
10. Jahrg.
Zeitſchrift für Nechtspflegt
Herausgegeben von
Th. von der Pfordten
Regierungsrat im F. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtig.
in Bayern
Berlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Zeller)
Münden, Berlin u. Leiypig.
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung 8d. 79.)
Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats /.
im Umfange von mindeſtens 2 Bogen. Prels viertel jabrlich :
Mk. 8.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
jede Poſtanſtalt.
anzeigen 20 Pfa.
Leitung und Geſchäftsſtelle: Münden, Ottoſtraße 1a
Anzeigengebübr 30 Pfg. für die halbgeſvaltene Petttzeile
oder deren Raum. Bei Wiederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗
Beilagen nach Uebereintunit.
Nachdruck verboten. 393
Berlefung der Ausſagen von Kriegs⸗
teilnehmern (§ 250 Etßd.).
Von Oberlandesgerichtsrat Neumiller in München.
Die Kriegsnotgeſetze vom 4. Auguſt 1914 ent⸗
halten nichts über Erleichterungen im Gebiet des
Strafverfahrens.) Die Rechtſprechung iſt alſo
gegenüber den Hemmniſſen zufolge des Kriegs
wieder einmal auf ſich allein angewieſen, angeſichts
des übermächtigen Formalismus in der deutſchen
Strafrechtspflege eine mißliche Sache. Zwar hin⸗
ſichtlich der Kriegsteilnehmer als Angeklagter
erledigen ſich die Fälle mangels Zuläſſigkeit einer
Hauptverhandlung gegen Abweſende verhältnis⸗
mäßig einfach. In der Reviſionsinſtanz wäre
allerdings das Erſcheinen des Angeklagten nicht
nötig; das Reichsgericht ſetzt aber auch in ſolchen
Fällen aus, wie den Tagesblättern zu entnehmen
it.) Aehnlich werden die Strafgerichte auch die
Rechtsmittel inzwiſchen Einberufener behandeln
müſſen. Im übrigen wurde durch Entlaſſung
von Unterſuchungsgefangenen zwecks Eintritts in
den Heeresdienſt der Kriegslage ohnehin vielfach
Rechnung getragen.) Praktiſch läuft dies alſo
1) Ob dies freilich angeſichts der zahlreichen Streit⸗
fragen zu dieſen Notgeſetzen zu bedauern iſt, mag be⸗
zweifelt werden. Ihre Faſſung läßt eben die Rück⸗
ſichtnahme auf die tägliche Gerichtspraxis allzuſehr
vermiſſen; über die Verſpätung ihrer Kundmachung
in Sübbeutfchland wird noch beſonders zu reden fein.
Im Jahre 1870 mußte man ſich in Bayern übrigens
ohne jede derartige Notgeſetzgebung behelfen, obwohl
bei Kriegsausbruch die bayeriſche Prozeßordnung ge⸗
rabe drei Wochen in Kraft war und über den Krieg
überhaupt nichts enthielt.
Bol. auch DJ Z. 1914 Sp. 1194.
5) Wegen Strafurlaubs und Strafaufſchubs zwecks
Eintritt in das Heer vgl. auch die preuß. allg. JMVerf.
vom 5. Auguſt 1914 (JMBl. S. 660). Privatklagen
gegen Kriegsteilnehmer behalten an ſich ihren Fortgang,
obwohl fie gewiß minder wichtig find als Unterhalts-
klagen von Frau und Kind, die der Unterbrechung verfallen.
auf etwas Aehnliches hinaus, wie es das Geſetz
Nr. 4437 vom 4. Auguſt 1914 für die Kriegsteil⸗
nehmer als Beklagte formell vorſchreibt.
Schwieriger geſtaltet ſich die Rechtslage bezüglich
ſolcher Kriegsteilnehmer, die im Inland als Zeugen
oder als Sachverſtändige auftreten ſollen; hier
kommen vor allem die Schwurgerichte in Betracht,
weil bei ihnen eine Verſtändigung über den Um⸗
fang der Beweisaufnahme zwiſchen Gericht und
Geſchworenenbank jo gut wie ausgeſchloſſen iſt.
So zeigte ſich in den jetzigen erſten Kriegsſchwur⸗
gerichten ein ſchwer überbrückbarer Gegenſatz
zwiſchen den ſtrengen Vorſchriften der StPO. in
88 249 ff. über die Unmittelbarkeit der Beweis⸗
aufnahme einerſeits und der Notwendigkeit, monate⸗
lang bereits Verhaftete endlich ſachgemäßer Aburtei⸗
lung zuzuführen, andererſeits. Selbfſtverſtändlich
lagen aus der Zeit vor dem Kriege nur unbeeidigte,
ohne Zuziehung des Angeſchuldigten aufgenommene
Zeugenvernehmungsprotokolle vor; 8 250 Abſ. 2
war alſo nur anwendbar, wenn auf Verzicht des
Verteidigers gerechnet werden konnte und weiter
angenommen wurde, daß die nachträgliche Be⸗
eidigung „nicht mehr ausführbar“ war (Abſ. 3
des 8 250). Denn andernfalls handelte es ſich
um prozeßwidrig unbeeidigte Ausſagen eidesfähiger
Zeugen, die doch unverlesbar waren. Konnte
aber die nachträgliche nochmalige Vernehmung und
Beeidigung als möglich angeſehen werden, fo mußte
man eben dieſe herbeiführen und die Zeugen ent⸗
weder aus dem Felde herbeiladen oder die An⸗
geklagten bis zum Kriegsende oder bis zum Tod
oder der Verwundung der Zeugen in Unterſuchungs⸗
haft fitzen laſſen. Man konnte aber auch — und
dies geſchah beim Schwurgericht München — den
umgekehrten Weg einſchlagen; wenn es ſich un⸗
möglich erweiſt, die Zeugen nochmals zu ver⸗
nehmen und zu beeidigen, weil ſie jetzt nicht ab⸗
köͤmmlich oder überhaupt nicht erreichbar ſind und
weil der verhaftete Angeklagte unmöglich ſolange
394
der Freiheit beraubt fein kann, bis der Krieg be-
endigt oder der Zeuge gefallen oder etwa in ein
nahes Lazarett gebracht iſt, dann kommt über⸗
haupt nicht mehr Abſ. 2 des 8 250 StPO.
(Krankheit, Gebrechlichkeit, weite Entfernung)
in Betracht, ſondern eine dem Ab. 1 des 8 250
aͤhnliche Lage. Damit entfällt dann auch jede Rück⸗
ſicht auf Zuſtimmung oder Widerſpruch des Ver⸗
teidigers. Abſ. 1 ſpricht freilich nur von Tod,
Geiſteskrankheit oder Unermittelbarkeit des Aufent⸗
halts; das Reichsgericht iſt aber ſchon lange ge⸗
nötigt geweſen, eine ausdehnende Auslegung für
ähnliche Fälle zuzulaſſen, insbeſondere für Sprach⸗
laͤhmungen (RGSt. Bd. 15 S. 409). Ander⸗
ſeits hat es wiederholt anerkannt, daß das Ver⸗
nehmungshindernis nicht für alle Zukunft als be⸗
ſtehend nachgewieſen fein muß (RG St. Bd. 4
S. 416), ſondern daß es auf die zur ſachgemäßen
Erledigung des Straffalls verſtändigerweiſe ver⸗
fügbare Zeit ankommt. So wird in Rſpr. Bd. 10
S. 451 vorgerückte Schwangerſchaft als Verleſungs⸗
grund aus Ab. 2 angeſehen. Den gleichen Ge⸗
ſichtspunkt verwertet die einzige für den Kriegsfall
paſſende veröffentlichte Entſcheidung des Reichs⸗
gerichts vom 16. November 1906) für die Ver⸗
leſung nach Abſ. 1 des 8 250. Dort wurde die
Verleſung der Ausſage eines Angehörigen unſerer
afrikaniſchen Schutztruppe gebilligt und zwar mit
Rückſicht auf den fortwährenden Aufenthalts⸗
wechſel auf einem weitausgedehnten, ſchwer zugäng⸗
lichen Kriegsſchauplatz und ausdrücklich hervor⸗
gehoben, daß die perſönliche Vernehmung in einer
für die Strafrechtspflege in Betracht zu nehmenden
Zeit nicht zu erwarten ſei. Die Anwendbarkeit auf
unſere Kriegslage im Auguſt und September
iſt handgreiflich; es wird ganz abgeſehen von der
Bayer. IMBek. vom 14. September 1914 (JMBl.
S. 201), wornach ſolche Vernehmungen von Ange⸗
hörigen mobiler Truppen möglichſt zu vermeiden find,
jedermann einleuchten, daß man nicht die Leute waͤh—
rend des wechſelnden Kampfgewoges aus den Schützen⸗
graͤben an der Aisne herausholen und vor den Kriegs⸗
gerichtsrat zur kommiſſariſchen Vernehmung zitieren
kann. Zweifellos würde ein folches Erſuchen, und
zwar mit Recht, unausgeführt bleiben.“) Die Ver⸗
leſung entſpricht aber auch dem Gedankengang
der StPO. ſelbſt: in erſter Linie perſönliche Ber:
nehmung vor dem erkennenden Gericht, in zweiter
ſolche vor einem beauftragten oder erſuchten Richter
unter Zuziehung des Angeklagten; in letzter Linie
als Notbehelf Verleſung der Ausſage, wie ſie liegt,
um ſie im Intereſſe der Wahrheitsermittelung
nicht völlig verloren gehen zu laſſen.
) JW. 1907 S. 413 (V. StS.) auch abgedruckt im
Recht 1906 Nr. 3466 (nicht, wie Daude anführt:
Recht 10, 445). Im Löweſchen Kommentar iſt die Ent⸗
ſcheidung überhaupt nicht erwähnt.
) Es handelt ſich hierbei um ganz andere Hinders
niſſe als den regelmäßigen militariſchen Dienſtbetrieb
im Frieden, der freilich einer Zeugenladung nicht ent—
gegenſteht (Rechte 1910 Nr. 815).
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
Es wurde ſohin bei jeder Erſatzzuſtellung an
einen Zeugen, mochte in der Zuſtellungsurkunde ein
Einberufungsvermerk erſichtlich ſein oder nicht, ge⸗
naue Feſtſtellung durch die Gendarmerie über Ein:
rückungstag, Truppenteil und letzte Nachrichten ver⸗
anlaßt; die naͤmlichen Fragen wurden beim Zeugen⸗
aufruf an die ſonſtigen Vorgeladenen aus der
gleichen Ortſchaft gerichtet. Daraus ergab ſich faſt
in jedem Fall völlige Klarheit darüber, an welchem
Teile des Kriegsſchauplatzes der Zeuge vor einiger
Zeit geweilt hatte, aber auch, daß der augenblickliche
Aufenthaltsort überhaupt nicht zu ermitteln war.
Gleichzeitig wurde vorſorglich das K. Kriegsmini⸗
ſterium um Auskunft über den dermaligen Auf⸗
enthaltsort des betreffenden Truppenteils erſucht;
dieſe lautete dahin: „Das x⸗Regiment befindet ſich
mobil im Felde; ſein Aufenthalt kann nicht bekannt
gegeben werden“. Daraufhin erging dann jeweils
Verleſungsbeſchluß z. B. mit folgender Begründung:
„Es wird die Verleſung der richterlichen
Unterſuchungsprotokolle über die frühere un⸗
beeidigte Vernehmung der Zeugen L., Kl.
und Sch. angeordnet, weil dieſe Zeugen nach
Gendarmeriebericht vom 19. ds. Mts. und
Auskunft des K. bayer. Kriegsminiſteriums
vom 24. ds. Mts. im Felde vor dem Feinde
ſtehen und ihr Aufenthaltsort nicht angegeben
werden kann, ſohin in der für eine Haftſache
in Betracht zu ziehenden Zeit weder ihre eidliche
perſönliche Vernehmung vor dem erkennenden
Gericht, noch ihre kommiſſariſche Vernehmung
möglich iſt, alſo eine dem Abſ. 1 des 8 250
StPO. entſprechende Sachlage beſteht.“
Sämtliche Sachen, in denen eine derartige Ber:
leſung ſtattfand, ſind beim VII. Münchener Schwur⸗
gericht durch ſofortige Unterwerfung des Angeklagten
rechtskräftig geworden, eine Reviſionsentſcheidung
iſt alſo nicht mehr zu erwarten. Es haben ſich
auch deutlich die Grenzen der Zweckmäßigkeit einer
ſolchen Verleſung gezeigt; ſie erwies ſich als praktiſch
unerläßlich, aber auch ungefährlich in Tötungs⸗
fällen, bei denen ſich der Angeklagte auf Trunkenheit
und Notwehr berief, dieſe Einwände aber durch
unbeteiligte, nun ins Feld gerückte Zeugen (Be⸗
gleiter des Getöteten) widerlegt werden konnten.
Hier wirkt die Verleſung der unbeeidigten Ausſage
weitaus beſſer als eine Wiedergabe der Erhebungen
durch den Unterſuchungsrichter oder Gendarmen.
Bedenklich iſt die bloße Verleſung in Sachen, bei
denen auf den perſönlichen Eindruck des Zeugen
viel ankommt z. B. Meineidsanklagen: hier kann
ſie etwa nur zur Beendigung einer langen Unter⸗
ſuchungshaft — ſelbſt um den Preis der Frei⸗
ſprechung — dienen. Meiſt wird aber Abſetzung
oder Ausſetzung der Verhandlung nicht zu umgehen
ſein, zumal wenn der alsdann haftentlaſſene Ange⸗
klagte ſelbſt ins Feld rücken muß. Ueber das Ergebnis
einer neuen Verhandlung nach Kriegsbeendigung
braucht ſich die Anklagebehörde freilich keine be⸗
ſonderen Hoffnungen zu machen. Notwendig wird
die Ausſetzung vollends, wenn der im Felde befindliche
Unterſuchungsrichter, z. B. über das Zuſtandekommen
eines Geſtändniſſes, vernommen werden ſoll.
Beſondere Erwähnung verdienen noch die „ver⸗
waiſten“ Sektionsprotokolle, wenn nämlich die beiden
ſezierenden Aerzte ins Feld gerückt find. Ver⸗
nehmung des mitanweſenden Ermittlungsrichters
kann in einfachen Fällen (Herzſtich u. dgl.) zu⸗
reichen; “) in einem Kindsmordfalle (Ausreißen der
Zunge) wurden die bei der Sektion aufgenommenen
Lichtbilder von den bei der Kindsauffindung be⸗
teiligten Zeugen übereinſtimmend als entſprechend
beſtätigt und darnach das Gutachten von einem bis
dahin mit der Sache nicht befaßten Gerichtsarzt
erſtattet.“) Handelt es ſich aber um den urſäachlichen
Zuſammenhang im engeren mediziniſchen Sinne,
alſo um Einzelheiten des Sektionsprotokolls, ſo
wird nichts als deſſen Verleſung nach $ 250 Abſ. 1
StPO. erübrigen, denn es ift ſeiner Weſenheit nach
ein Protokoll über eine Sachverſtändigenvernehmung
(RGSt. Bd. 2 S. 153),9) die hinfichtlich des Befundes
als ſolchen unerſetzlich iſt, genau wie die Ausſage eines
ſachverſtändigen Zeugen. Und ein neu zugezogener
Gutachter kann nur auf Grund des Prozeßſtoffes der
Hauptverhandlung ſein Gutachten abgeben, darf alſo
das Sektionsprotokoll nicht berückſichtigen, wenn es
nicht Gegenſtand der Hauptverhandlung war.
Das hier Erörterte betrifft freilich nur eine
Uebergangsfrage; denn ſchon nach wenigen Monaten
werden die allermeiſten Fälle aus der Zeit vor
Kriegsausbruch erledigt ſein, deren Zeugen in das
Feld gezogen find. Immerhin weiſen die aufge⸗
tauchten Fragen abgeſehen von ihrer praktiſchen
Wichtigkeit einen derartig engen Zuſammenhang mit
den Prozeßgrundlagen auf, daß ihre Darlegung
nicht ohne Wert ſein dürfte.“)
Ein Beitrag zur Auslegung des baheriſchen
Fideikommißedikts⸗.
Von Rechtsanwalt Link in Würzburg.
Immer noch iſt der Streit um die Auslegung
des § 84 TE. nicht geſchlichtet, weder in der Theorie
noch in der Praxis. Einzelne Fideikommißgerichte
geſtatten Stiftungsurkunden mit mehrmaligem
„Familienwechſel“, andere wieder beſchränken ihn
auf zwei Familien.
e) Auch der Gerichtsſchreiber allein kann genügen.
7) Das Leben nach der Geburt ſtand zeugſchaft—
lich einwandfrei feſt (Zappeln, Schreien, Tod erſt in
der Gebäranſtalt).
8) Was freilich bei der in Bayern üblichen Faſſung („die
Sektion hatte folgendes Ergebnis“) wenig hervortritt.
) In ähnlicher Weiſe wurde nach einer dankens—
werten Mitteilung des Herrn Landgerichtsdirektors
Dr. Goebel-Berlin auch bei den dortigen erſten Kriegs⸗
ſchwurgerichten verfahren.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
395
In der Theorie hat die im Jahre 1907 er⸗
ſchienene ausgezeichnete Schrift von Dr. Gottfried
Ritter von Schmitt: „Der Familienwechſel nach
bayeriſchem Fideikommißrechte“ der Anſicht erfolg⸗
reich durchzuhelfen verſucht, daß dem Fideikommiß⸗
ſtifter durch § 84 des Ediktes nicht verboten ſei,
einen wiederholten Familienwechſel auf demſelben
Fideikommiß anzuordnen; Dr. v. Schmitt iſt ſo⸗
gar noch weiter gegangen und hat behauptet, ge⸗
rade durch den 8 84 FE. ſei dem Stifter die Be⸗
fugnis eingeräumt worden, den wiederholten Fami⸗
lienwechſel anzuordnen.
Eine in neuerer Zeit (1912) erſchienene Schrift
von Dr. Adolf v. Grafenſtein: „Die Fideikommiß⸗
errichtung nach bayeriſchem Recht“ nimmt wieder
einen gegenteiligen Standpunkt ein und erklärt
nur einen zweimaligen Familienwechſel für erlaubt
mit der weiteren Einſchränkung, daß unter „Fa⸗
milie“ nur die Deſzendenz des Stiſters zu ver⸗
ſtehen ſei.
Es iſt ohne weiteres verſtändlich, daß eine Un⸗
ſicherheit auf dieſem Gebiete, wo zumeiſt hohe
Werte und der Glanz ganzer Adelsfamilien in
Frage ſtehen, nicht gleichgültig und daher ein Bei⸗
trag zur Klärung der Sache nicht unwillkommen iſt.
Wie insbeſondere v. Schmitt in ſeinen Aus⸗
führungen darlegt, teilt ſich die Rechtsanwendung
der Fideikommißgerichte in zwei Perioden: die
Zeit vor und die nach 1876.
Vor dem Jahre 1876 ſind in den Amts:
blättern viele Ausſchreibungen über gerichtlich ge:
nehmigte und in die Fideikommißmatrikel einge⸗
tragene Fälle der Anordnung wiederholten Familien⸗
wechſels veröffentlicht worden.
Am 13. Juni 1876 erfolgte eine Entſcheidung
des Obs G. (Bd. 6 a. F. S. 232), wonach die Er:
richtung eines Familienfideikommiſſes auf zwei
Familien beſchränkt ſei. Seit dieſer Zeit war
die Praxis der Fideikommißgerichte geteilt: ein
Teil derſelben hielt ſich an die ältere Richtung,
wonach ein wiederholter Familienwechſel zuläſſig
ſei, und ein Teil paßte ſich der neueren Recht⸗
ſprechung an.
Die Entſcheidung vom 13. Juni 1876 fand
im großen ganzen ihre Wiederholung in der Ent:
ſcheidung vom 21. Juli 1891 (Bd. 13 a. F. S. 472),
während ein neueres Erkenntnis (Bd. 11 n. F.
S. 168) zu der von Dr. v. Schmitt vertretenen
Anſicht hinzuneigen ſcheint, ohne allerdings ent⸗
ſcheidend Stellung zu nehmen.
In all dieſen Fällen gipfelt die Auslegung in
der doppelten Frage: Was verſteht § 84 JE. unter
der „einen“ und was unter der „andern“ Familie
und was iſt überhaupt unter Familie zu verſtehen?
I.
Unbeſtritten iſt zunächſt, daß unter der „andern“
Familie eine der vorbeſitzenden Familie vollſtändig
fremde Familie verſtanden werden darf (v. Schmitt
813 S. 25; von Graſenſtein S. 36). Es war
396
dies eine Neuerung gegenüber 8 24 des Majorais:
edikts v. J. 1811, das die Wahl der nachzuberufenden
Familie auf die Seiten verwandten der vorbeſitzenden
Familie beſchränkte, und es dürfte wohl kein Zweifel
darüber beſtehen, daß die Wahl der Worte
„nicht nur — ſondern auch“ in 8 84 FE.
gerade dieſe Neuerung einführen und hervorheben
wollte gegenüber dem früheren Rechtszuſtand.
Mit Recht betont v. Schmitt, es habe dieſe
Satzfaſſung mit „nicht nur — ſondern auch“ die
alte Familieneinheit verneint; zu weit aber geht es,
wenn v. Schmitt erklärt, es habe die Faſſung
„nicht nur — ſondern auch“ nicht nur einen ein⸗
zigen Fall von Familienwechſel, ſondern auch ge⸗
rade die Erlaubtheit eines wiederholten Familien⸗
wechſels zum Ausdruck bringen wollen. Hiezu
gibt die grammatikaliſche Bedeutung der Ver⸗
bindungswörter „nicht nur — ſondern auch“ keine
Veranlaſſung. Mit Recht nimmt auch v. Grafen⸗
ſtein gegen dieſe Anſicht Stellung.
Es dürfte ſich deshalb richtigerweiſe in 8 84
TE. zunächſt nur um die Gegenüberſtellung zweier
Familien, nämlich der „einen“, der „erſten“ Fa⸗
milie und der „andern“, der der vorbeſitzenden
fremden Familie handeln.
Es verdichtet ſich ſohin die hier vertretene An⸗
ſchauung dahin, daß unter der „andern“ Familie
des 8 84 nicht nur eine der „einen“, der „erſten“
Familie fremde Familie verſtanden werden darf,
vielmehr daß hierunter eine fremde Familie ver⸗
ſtanden werden muß.
Es hätte nach dem bisher Dargelegten keinen
Zweck gehabt, mit dem ſchweren Satzbau „nicht
nur — ſondern auch“ von einer andern Fami⸗
lie zu ſprechen, wenn darunter nicht etwas anderes
zu verſtehen geweſen wäre als bis dahin auch, näm⸗—
lich die Berufung von Seitenverwandten, von einer
Familie mit gleichem Wappen, Helm und Schild.
Dieſe Anſchauung läßt ſich noch dadurch ſtützen
daß 8 84 Abſ. 2 FE. die Feſtſtellung für er:
forderlich gehalten hat, daß auch die „letzte“, die
„andere“ Familie des Abſ. 1 alle aus dem Mit⸗
eigentum fließenden Rechte hat, ſolange die erſte
Familie nicht erloſchen iſt
Für Fideikommißanwärter gleicher Familie
hätte ſich das ſchon aus 3 42 FE. verſtanden.
Als erſtes Ergebnis dürfte deshalb feſtzuhalten
fein, daß unter der „andern“ Familie des § 84
Abſ. 1 ſtets eine der „einen“, der „erſten“ ya:
milie fremde Familie verſtanden werden muß.
Damit widerlegt ſich auch gleichzeitig die An—
ſicht, daß die Bezeichnung „andere“ Familie ein
bloßer Zahlbegriff ſei und ſoviel wie „zweite“
Familie bedeute.
Macht man ſich nun die von Dr. v. Grafen:
ſtein angewandte Folgerung zu eigen: daß die in
beſtimmter grammatikaliſcher Anordnung einander
gegenüber
müſſen, ſo muß man zu dem Schluß kommen,
daß dann, wenn das in dem zweiten Satz mit
geſtellten Begriffe gleichheitlich ſein
„ſondern auch“ eingeführte Wörtchen „andere“
adjektiviſche Bedeutung hat und kein bloßer Zahl:
begriff iſt, ebenſo auch dem mit „nicht nur“ ein⸗
geführten Wörtchen „einer“ gleichfalls kein bloßer
Zahlbegriff inne wohne.
Tatſächlich ſteht auch gar nichts entgegen dem
Begriffe „einer“ Familie den Beiklang „irgend⸗
einer, einer gewiſſen, einer beſtimmten“ Familie zu
eben. Der Begriff der „andern“⸗ der „fremden“
Familie nötigt ſogar hiezu.
Hätte das „andere“ die reine Zahlbedeutung
einer „zweiten“ Familie, ſo müßte ihr allerdings
das „eine“ mit dem Sinne „einer einzigen“ Familie
entſprechen.
Es dürfte ſich deshalb nicht zu Unrecht die
Folgerung ergeben, daß unter der „einen“ Familie
des 5 84 FE. nicht etwa eine einzige Familie
zahlenmäßig feſtgelegt werden wollte, ſondern daß
nur der Gegenſatz zwiſchen der zunächſt im Auge
gehabten einen Familie mit gleichem Wappen,
Helm und Schild und der andern, der fremden
Familie betont werden ſollte.
Wahrend das Majoratsedikt die Berufung
zur Majoratsfolge unter allen Umſtänden auf die
Familie mit gleichem Wappen, Helm und Schild
beſchränkte, hat das Fideikommißedikt auch eine
fremde Familie zur Fideikommißfolge zugelaſſen.
Daß dies im 8 84 FE. zum Ausdruck kommen
ſollte, iſt allgemein anerkannt, daß aber nur dies
zum Ausdruck kommen ſollte, iſt das Ergebnis
obiger Ausführungen.
II.
Wenn auch die Gegenüberſtellung der „einen“
und der „andern“ Familie keine zahlenmäßige Feſt⸗
ſtellung zum Zweck hatte, ſondern nur die Neuerung
gegenüber dem bisherigen Recht, namlich die Be:
rufungsmöglichkeit einer ſtammfremden Familie
zum Ausdruck bringen wollte, ſo erhebt ſich doch
die Frage, ob nicht gleichzeitig eine Feſtlegung
auf zwei Familien (Familie hier im weiteren
Sinn gemeint) erfolgt ſei.
Dr. v. Schmitt verneint dies, v. Grafenſtein
bejaht es.
Auf der Grundlage des hier gewonnenen Er⸗
gebniſſes, daß 8 84 FE. im Gegenſatz zu dem
früheren Rechtszuſtand die Berufungsmöglichkeit
einer fremden Familie feſtlegen wollte, iſt die Mög⸗
lichkeit der — ſukzeſſiven — Berufung mehrerer
fremder Familien, alſo ein wiederholter Familien⸗
wechſel (Familie im weiteren Sinne), an ſich gegeben.
Allein überwiegende Gründe ſprechen dagegen.
Wenn v. Schmitt die adjektiviſche Bedeutung
des Wörtchens „andere“ für ſeine Anſicht des
wiederholten Familienwechſels ins Feld führt, ſo
iſt dies kein bündiger Beweis.
Es kann eine Mehrheit bedeuten, muß ſie
aber nicht bedeuten. Eine andere Familie iſt
jede andere Familie, bleibt es aber auch dann.
wenn ſie nur für ſich allein betrachtet wird. In
dieſem Fall verſchiebt ſich dann die Betonung
unmerklich auf das „ein“, ſo daß aus einer
andern Familie eine andere Familie wird.
Es bleibt ſohin die Möglichkeit offen, daß in
der Gegenüberſtellung „einer“ Familie mit einer
„andern“ Familie in $ 84 FE. eben nur eine
andere Familie gemeint, alſo nur ein einmaliger
Familienwechſel gewollt war; die adjektiviſche Be⸗
deutung des Wörtchens „andere“ iſt zahlenmäßig
indifferent und beweiſt deshalb für einen wieder⸗
holten Familienwechſel nichts.
Wenn v. Schmitt ferner für ſeine Anſicht an⸗
führt, daß das Wörtchen „einer“ unbeſtreitbar
Zahlbedeutung habe und alsdann in der Faſſung
„nicht nur einer“ Familie eine Reihenfolge er⸗
öffnet werde, die eine zweite Familie jedenfalls
einbegreife, weitere Familien aber nicht ausſchließe,
ſo iſt auch hierdurch nur die Möglichkeit gegeben,
daß weitere Familien nicht ausgeſchloſſen find,
für eine Wahrſcheinlichkeit deſſen liegt gar kein An⸗
halt vor; es kann ebenſogut die Reihenfolge bei
der zweiten Familie bereits abgebrochen werden.
Die weitere Anſicht v. Schmitts endlich, daß die
gewichtige Konſtruktion mit „nicht nur — ſondern
auch“ offenbar nicht nur einen einmaligen
Familienwechſel habe einführen wollen, widerlegt
ſich, wie ſchon oben dargetan, damit, daß eben nach
Schmitts eigener Anſicht im köchſtbedeutſamen Gegen⸗
ſatz zum früheren Recht die Berufungsmöglichkeit
einer andern, ſtammfremden Familie eröffnet wurde.
Aus dem Wortlaut des Geſetzes ergibt ſich
ſohin nichts für die von v. Schmitt vertretene An⸗
ficht, daß eine Mehrzahl von Familien berufen
werden könne. Im Gegenteil, der Wortlaut ſteht
dem entgegen.
Wenn im Vorgehenden behauptet wurde, daß
die Worte zum Vorteil „einer“ Familie nicht
bloße Zahlbedeutung, ſondern den Beiklang „einer
gewiſſen, einer beſtimmten“ Familie hätten, jo kann
trotzdem unbedenklich zugegeben werden, daß ihm
auch Zahlbedeutung innewohnt; auch die gewiſſe,
beſtimmte Familie iſt eine Familie.
Nachdem nach dem früheren Recht nur eine
einzige Familie (im weiteren Sinne) majorats⸗
berechtigt und jede fremde Familie ausgeſchloſſen
war, § 84 FE. aber dem alten Recht gerade die
Neuerung gegenüberſtellen wollte, ergibt ſich, daß
die „eine“ Familie in § 84 die Repräſentantin
des alten Rechts iſt und ſohin auch die Zahl⸗
bedeutung des alten Rechts beibehalten hat.
Wie ſchon oben dargetan, beſteht die Mög:
lichkeit, daß unter dem Begriff einer andern
Familie zugleich auch nur eine andere Familie
verſtanden wird; da ferner das alte Recht nur
eine einzige Familie im Auge hatte und die
Neuerung ſich, wie dargetan, auf die Berufung
der ſtammfremden Familie beſchränkt, ſo iſt wohl
mit gutem Grund anzunehmen, daß auch nur
eine einzige ſtammfremde Familie ſollte nach—
berufen werden können. Wenn das alte Recht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
— . ———— u .—ä ä — cͥe. 9iͤb̃—' ů—ͤ ͤ)' — — ũ—— —b——-itlꝛ—.——— — —
397
nur die Berufung einer einzigen Familie zuließ,
ſo läßt das neue Recht auch nur die Nachberufung
einer einzigen fremden Familie zu.
Das oberſte Landesgericht hat in ſeiner Ent⸗
ſcheidung vom 13. Juni 1876 ausgeführt, wenn
das Geſetz mehrere Familien und nicht nur
eine zweite habe nachberufen wollen, ſo wäre
der Ausdruck „zum Vorteil anderer Familien“
nahegelegen und wäre nicht der „einer andern
Familie“ gewählt worden.
Dem ſtellt v. Schmitt entgegen, daß hiebei
überſehen ſei, daß der ganze Abſ. 1 des § 84 in
Singularkonſtruktion ſtehe, ſowie daß die Wendung
„ſondern auch andern Familien“ dem Zweifel
Raum gegeben hätte, ob das Fideikommiß nicht
auch gleichzeitig mehreren Familien zuſtehen
könne (Kondominatfideikommiß).
Allein dem iſt entgegen zu halten, daß der
8 84 Abſ. 1 nur ſoweit in Singularkonſtruktion
ſteht als er dieſelbe anwenden mußte um den
rechten Sinn auszudrücken; ohne Aenderung ſeines
Sinnes hätte er nicht in Pluralkonſtruktion ſtehen
können; es handelt ſich alſo keineswegs um eine
bloße Stilangleichung; ſodann hätte die Plural⸗
wendung „zum Vorteil anderer Familien“ — wenn
fie bedacht geweſen wäre — jedenfalls zu keinen
größeren Zweifeln Anlaß gegeben als die jetzige
Singularfaſſung, falls damit eine Mehrheit aus⸗
gedrückt werden ſollte.
Es iſt auch nicht wahrſcheinlich, daß die Plural⸗
wendung „zum Vorteil anderer Familien“ Ver⸗
anlaſſung gegeben hätte, an die Einführung eines
Kondominatfideikommiſſes zu denken; zu dieſer
Annahme hätte höchſtens die Faſſung „zum Vor⸗
teil mehrerer Familien“ verleiten können.
Ganz beſonders aber hätte die Pluralkonſtruktion
dann auch in Abſ. 2 des 8 84 in Erſcheinung
treten müſſen und wäre hier unſchwer klarzu⸗
ſtellen geweſen, ob in Abſ. 1 ein Kondominat⸗
fideikommiß gemeint war oder nicht.
Die Einwände v. Schmitts find alſo nicht
durchſchlagend.
Als nicht überzeugend wirkt anderſeits aber
auch die Ausführung des ObLG. (Bd. 6 S. 232),
daß für die engere Auslegung, für die Beſchränkung
auf zwei Familien beſonders die Gegenüberſtellung
der „erſten“ und der „letzten“ Familie in Abſ. 2
des § 84 ſpreche.
An ſich würde es ja wohl nahe liegen, den
Wörtchen „erſten“ und „letzten“ Zahlbedeutung
beizulegen; dann aber müßte man eine Mehrzahl
von Familien annehmen, denn nur dann wäre
dieſe Ausdrucksweiſe korrekt. Dieſe Folgerung kann
aber aus inneren Gründen nicht gezogen werden,
vielmehr nötigt der Sinn des § 84 zu dem Schluſſe,
daß unter der „letzten“ Familie in Abſ. 2 die
„andere“ Familie in Abſ. 1 zu verſtehen ſei. Die
Wörtchen „erſte“ und „letzte“ haben alſo nicht
Zahlbedeutung, ſondern ſind hinweiſende Fürwörter
mit dem wirklichen Inhalt „erſtere“ und „letztere“
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
— — — —
Die Beweisführung des Oberſten Landesgerichts
ergibt alſo für ſich allein kein überzeugendes Reſultat;
nur mit Rückſicht auf die bereits vorgetragenen
anderen Gründe iſt das Ergebnis, daß es ſich nur
um zwei zur Fideikommißfolge berechtigte Familien
handle, als richtig anzuerkennen.
Nicht überzeugend iſt auch das Argument
Dr. v. Schmitts, daß das Edikt von 1818, wo
es von erſter und anderer Familie ſpricht, nicht von
der erſten und der anderen, ſondern von der
erſten und einer anderen Familie rede, wenn es
eine Einheit bezeichnen wolle.
Es kommt m. E. überhaupt nur eine Stelle
in dem ganzen Edikt vor, die zum Vergleich heran⸗
gezogen werden könnte: in § 86.
Allein dieſer Hinweis iſt nicht ſtichhaltig.
Wo der beſtimmte Artikel gebraucht wird, iſt
auch bereits eine beſtimmte Familie ins Auge ge⸗
faßt, wo aber der unbeſtimmte Artikel gebraucht
wird, iſt noch keine beſtimmte Familie gemeint,
ſondern eben irgendeine. Dies erſieht man deutlich
aus 8 84 ſelbſt:
Ein Fideikommiß kann errichtet werden nicht
nur zum Vorteil einer (S irgend einer) Familie,
ſondern auch zum Vorteil einer (S irgend einer)
andern Familie.
In Abſ. 2 heißen dieſe nunmehr bereits be⸗
zeichneten Familien aber die erſte und die letzte,
wofür man nach den früheren Ausführungen ebenſo⸗
gut ſagen dürfte die eine und die andere.
Es würde ſohin gerade dieſe Argumentation
dazu führen, daß in $ 84 nur zwei Familien ein:
ander gegenüber geſtellt ſind.
Da ſohin alle Gründe verſagen für die An:
nahme eines mehrfachen Familienwechſels, iſt daran
ſeſtzuhalten, daß $ 84 nur zwei Familien einander
gegenüberſtellt.
Das weitere Ergebnis iſt ſohin folgendes:
Es kann nur eine der erſten Familie
fremde Familie nachberufen werden.
III.
Gegenüber dieſem Ergebnis erhebt ſich ſofort
als nächſte zum mindeſten ebenſo umſtrittene Frage
die, was unter der „Familie“ in dieſem Sinn zu
verſtehen ſei.
Alle Fideikommißſtiftungen, ſoweit dies zu er—
ſehen war, und damit auch die Entſcheidungen der
ſämtlichen Fideikommißgerichte würden dem ge—
wonnenen Ergebnis ſcharf gegenüber ſtehen, wenn
unter der Familie nur die engſte Bedeutung des
Wortes d. h. wenn nur die Deſzendenz des Stifters
(genauer geſagt: die Deſzendenz des erſten Fidei—
kommißinhabers) hierunter zu verſtehen wäre.
Es waͤre auch ein Widerſinn, wenn nur ein
einmaliger Familienwechſel derart ſtattfinden dürfte,
daß wohl eine der Deſzendenz des Stifters fremde
Familie, nicht aber eine derſelben nächſtverwandte
Familie zur Fideikommißfolge berufen werden dürfte,
— — . ß —ꝛ —E—.3333333 — T ————— — — . ——— — . —-¾᷑¾ xx... ̃ ð ůwH Vw j ̃7jß—ß—̃,jß7—icĩi ˙— ꝗ¶¾ ] —
obgleich der Zweck der Fideikommiſſe doch unbe⸗
ftreitbar der iſt, den Glanz einer beſtimmten Familie
zu ſichern.
Es zwingt mithin ſchon dieſe Erwägung dazu,
daß die Bedeutung des Wortes Familie in 8 84
FE. nicht die ſein kann, daß hierunter nur die
Deſzendenz des Stifters zu verſtehen ſei.
Dies Ergebnis findet auch im folgenden ſeine
Stütze: Statt aller weiteren Ausführungen ſei
hier der Kürze halber auf die Darlegungen bei
v. Grafenſtein S. 27 —29 bezug genommen, woraus
ſich ergibt, daß die gemeinrechtliche Auffaſſung und
auch die des bayeriſchen Landrechts dahin ging,
daß unter der Familie die Geſamtheit aller Per⸗
ſonen gleichen Namens und gleichen Wappens zu ver⸗
ſtehen ſei. Dieſer ja auch anderweit von nam⸗
haften Vertretern der Wiſſenſchaft angewandte Be⸗
griff der Familie wird auch von Dr. v. Grafenſtein
in einer jo klaren Weife dargelegt, daß man am
Ende ſeiner diesbezüglichen Ausführungen die volle
Ueberzeugung hat, daß der Begriff der Familie
in 8 84 FE. kein anderer fein könne als dieſer —
bis man plötzlich und unvermutet doch das Gegen⸗
teil glauben ſoll.
Die Begründung hiefür wirkt denn auch im
Gegenſatze zu derjenigen der zurückgewieſenen Auf:
faſſung gar nicht überzeugend:
Daß der Stifterwille nicht mehr wie im Land⸗
und gemeinen Recht das primär Maßgebende Jet,
iſt nur in der Beſchraͤnkung des § 13 des Edikts
zuzugeben. Gerade der Stifterwille aber iſt es, wie
hier vorausgegriffen ſei, der gem. 8 1 F E. den
engeren oder weiteren Kreis der Fideikommißbeſitzer
beſtimmt, der entweder das Fideikommiß auf
mehrere Geſchlechtsfolger beſchränkt oder auf alle
ausdehnt.
Als verfehlt muß es bezeichnet werden, den in
5 84 FE. angewandten Familienbegriff aus 8 77
folgern zu wollen.
8 77 regelt nichts anderes als die Art der Erb:
folge innerhalb der Familie, nämlich den Ueber:
gang des Fideikommiſſes von dem jeweiligen Fidei⸗
kommißbeſitzer auf deſſen eheliche Nachkommen; daß
damit eine Definition der „Familie“ gegeben ſei,
iſt rundweg zu verneinen.
Es iſt falſch zu behaupten, dadurch daß das
Geſetz erkläre, das Recht zur Erbfolge gehe von ihm.
dem Konſtituenten, auf die Nachkommen über, ſei
zum Ausdruck gebracht, daß Aſzendenten und Seiten⸗
verwandte des Stifters unbedingt ausgeſchloſſen
ſeien, da fie keine „Nachkommen“ des Stifters ſeien.
Dieſe Schlußfolgerung iſt deshalb nicht richtig.
weil ihre Vorausſetzung nicht ſtimmt, daß nämlich
das Fideikommiß nur zugunſten einer Perſon.
des Stifters oder eines Dritten, errichtet werdenkönne.
Wendet man den Begriff der Familie an, wie
v. Graſenſtein es will, dann muß man notwendig
eine einzelne Perſon, für die (und deren Nachkommen
das Fideikommiß errichtet wurde, vorausſetzen. Das
dürfte aber ſchon um deswillen abzulehnen ſein,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
weil bereits 8 1 FE. die Unterſcheidung von einzelnen
Perſonen und Familien macht, ſohin die Fidei⸗
kommißerrichtung zugunſten ganzer Familien zuläßt.
Man kann demgegenüber nicht einwenden,
daß die Worte in 8 1 „zum Vorteil adeliger Per⸗
ſonen und Familien“ etwa das gleiche beſagen
oder daß das Wort Familie dort auch in dem
Sinn einer berufenen Einzelperſon und deren De⸗
ſzendenz zu deuten ſei.
Daß unter der „adeligen Perſon“ keine bloße
Einzelperſon, ſondern auch zugleich deren De⸗
ſzendenz zu verſtehen iſt, ergibt ſich mit Notwendig⸗
keit aus dem Zweck des Fideikommiſſes, das ja
der Erhaltung eines Geſchlechtes dienen ſoll
und es verlangt notwendig eine Vermögensbindung
entweder auf alle oder doch mehrere Geſchlechts⸗
folger dieſer „adeligen Perſon“.
Wenn man den Familienbegriff v. Grafenſteins
in 8 1 zugrunde legt, wird man gezwungen in
den Worten „adeliger Perſon und Familien“ eine
Tautologie zu erblicken.
Faßt man aber den Familienbegriff in weiterem
Sinne auf, ſo kommt man zu dem Reſultat, daß
man ein Fideikommiß auch errichten kann zu⸗
gunſten der Deſzendenz einer nicht mehr
lebenden Perſon.
Dieſe Deſzendenz wird auch zuſammen ge⸗
halten durch einen gemeinſamen Stammvater;
der Unterſchied iſt nur der, daß er nicht mehr
lebt, während die einzelne adelige Perſon als
Stammvater lebt und ſelbſt berufen iſt.
Auf ſolche Weiſe ergibt ſich ungezwungen eine
Unterſcheidung zwiſchen den Begriffen „adeliger
Perſon und Familie“ in 8 1 FE., die den Worten
auch einen Inhalt gibt.
Der Begriff Familie in 8 1 iſt ſohin nicht
der, daß hierunter eine beſtimmte berufene Per⸗
ſon und deren Deſzendenz zu verſtehen ſei.
Von Bedeutung iſt aber beſonders noch der
Umſtand, daß die Auslegung v. Grafenſteins den
Inhalt des 8 77 FE. nicht erſchöpft, indem die
Worte „das Recht zur Erbfolge gründet ſich in
der Anordnung des Konſtituenten“ vollſtändig
außer acht gelaſſen werden.
Mit dieſen Worten ſoll doch jedenfalls aus⸗
gedrückt fein, daß der Stifter über die Erb⸗
folge in das von ihm errichtete Fideikommiß zu
verfügen hat, daß ſein Wille maßgebend iſt und
über das Schickſal des Fideikommiſſes beſtimmt —
ſoweit natürlich das Geſetz nicht entgegenſteht.
Legt man nun den engen Familienbegriff hier
zugrunde, ſo bleibt von dem Recht des Stifters
die Erbfolge zu beſtimmen nichts mehr übrig:
Gemäß § 77 geht von ihm oder von demjenigen,
zu deſſen Gunſten er das Fideikommiß errichtete,
die Erbfolge auf die ehelichen Nachkommen über;
hieran kann der Stifter nicht rütteln. Es ſteht
ihm auch nicht frei zu beſtimmen, auf welchen
dieſer Nachkommen das Fideikommiß übergehen
ſoll, denn 5 87 FE. beſtimmt die Erſtgeburtsfolge.
—— — ö—ñ4lñ ' — — b]. • Ll&—ñ— 4 ͤ nn —
399
Es iſt dem Stifter durch 8 77 auch nicht das
Recht vorbehalten an Stelle der einen Familie
(i. e. S.) dann eine andere nachzuberufen, denn
dieſes Recht iſt ihm ja angeblich in § 84 eingeräumt.
So bleibt bei Anwendung des engen Familien⸗
begriffes von dem Recht des Konſtituenten über
das Erbfolgerecht Anordnungen zu treffen nichts
übrig als leere Buchſtaben.
Legt man aber den weiteren Begriff der Fa⸗
milie zugrunde, ſo gewinnen die Buchſtaben Inhalt:
Kraft Geſetzes iſt das Erbfolgerecht zwar an
die ehelichen Nachkommen in Erſtgeburtfolge ge⸗
bunden, der Stifter kann aber anordnen, welche
Linie der Familie (i. w. S.) jeweils nach Aus⸗
ſterben der vorgängigen Fideikommißinhaber zur
Erbfolge berufen ſein ſoll, in freiem Belieben
waltet hier ſein Wille, hier gründet ſich das Recht
zur Erbfolge wirklich auf ſeine Anordnung, waͤhrend
fie ſich andernfalls, bei der Familie i. e. S., nur
auf das Geſetz gründen würde, ſo daß alſo das
Gegenteil deſſen ereicht wäre, was das Geſetz in
8 77 beſtimmen wollte.
Man kann nicht einwenden, daß es in der freien
Anordnung des Konſtituenten liege, zu weſſen Vor⸗
teil er das Fideikommiß errichten wolle, denn
8 77 handelt nicht vom Anordnungsrecht des Stif⸗
ters zur Berufung, ſondern zur Erbfolge.
Man kann auch nicht einwenden, Berufung
zum Fideikommiß und Erbfolge in dasſelbe feien
das gleiche.
Wer annimmt, daß Familie nur die De⸗
ſzendenz des erſten Fideikommißinhabers ſei, für
den iſt berufen nur der erſte Inhaber, die Erb⸗
folge tritt nur für ſeine Deſzendenz in Erſchei⸗
nung. Wer annimmt, daß Familie im wei⸗
teren Sinn zu verſtehen ſei, für den fließen nur
bei den nachberufenen Linien Berufung und Erbfolge
zuſammen, denn die Erbfolge derſelben gründet in
der Berufung, in der Anordnung des Konſtituenten.
Man kann auch nicht einwenden, die Singular⸗
faſſung des 8 77 — „das Recht zur Erbfolge ...
geht . .. von demjenigen zu deſſen Vorteil der
Stifter das Fideikommiß errichtet hat, auf die
ehelichen Nachkommen über“ — beweiſe, daß nicht
eine Mehrzahl von Perſonen (und deren De⸗
ſzendenz) zur Erbfolge berufen werden könne. Die
Singularkonſtruktion beweiſt gar nichts; der Zweck
dieſes angeführten Teilſatzes iſt lediglich die Rege⸗
lung der Erbfolge für die Nachkommen einer be⸗
reits berufenen Perſon, nicht aber die Regelung
des Perſonenkreiſes, zu deſſen Vorteil das Fidei—
kommiß errichtet werden kann.
Er enthält zugleich die Regelung der Erb—
folge für die Nachkommen jeder berufenen Per⸗
ſon, ſo daß ohne Aenderung des Satzſinnes auch
geſchrieben ſein könnte: die Erbfolge geht von
jedem, zu deſſen Vorteil das Fideikommiß er—
richtet iſt, auf die ehelichen Nachkommen über.
Damit iſt dem „demjenigen“ jede Einheitsbe—
deutung genommen.
400
Tatſächlich muß auch, wer Familie in dem
engen Sinn der Dedſzendenz einer berufenen
Perſon auslegt, auf Grund des in 8 84 ein⸗
geräumten einmaligen Familienwechſels unter dem
„demjenigen“ in $ 77 wenigſtens zwei Perſonen
verſtehen, ſo daß auch von dieſem Standpunkt aus
unbedenklich die Faſſung des § 77 lauten dürfte:
das Recht zur Erbfolge geht von denjenigen
zu deren Vorteil das Fideikommiß errichtet iſt,
auf die ehelichen Nachkommen über.
Es iſt ſohin auch in 8 77 ausgeſprochen, daß
ein Fideikommiß zum Vorteil mehrerer Perſonen
errichtet werden kann, daß 8 77 fo wenig wie bei⸗
ſpielsweiſe 8 1924 BGB. eine Definition der Ja⸗
milie gibt, ſondern lediglich eine Erbfolgeordnung
aufſtellt.
Es hat ſich alſo kein ſtichhaltiger Grund
dafür ergeben, daß der bis zur Schaffung des
Fideikommißediktes übliche Begriff der „Familie“
geändert und aufgegeben ſei.
Weder § 77 noch ſonſt einer der Paragraphen
des FE. enthält eine Definition des Begriffes
Familie und $ 84 bedeutet mit feiner Faſſung
„nicht nur — ſondern auch“ jedenfalls keine Ein⸗
engung des bisherigen Rechtszuſtandes; der Rechts⸗
zuſtand aber war in dem Edikt von 1811 unbe⸗
ſtrittenermaßen der, daß der Stifter nicht nur ſeine
Deſzendenz, ſondern auch die Seitenverwandten
ſeines Namens und Stammes berufen konnte. Daß
dieſer Rechtszuſtand von dem Fideikommißedikt
nicht beſeitigt, ſondern aufrechterhalten werden
wollte, hat v. Schmitt wohl einwandfrei dargetan.
Da wie früher nachgewieſen wurde, 8 84 FE.
unter der andern Familie nur eine fremde
Familie verſteht, muß ſohin der von dem Majo⸗
ratsedikt geſtattete Familienwechſel innerhalb der
Grenzen der einen Familie des 8 84 liegen,
d. h. es muß der Begriff Familie hier im
weiteren Sinn aufgefaßt werden.
Gleiches gilt dann natürlich auch für die
andere Familie.
Dieſer weitere Familienbegriff iſt dann auch
in 8 77 vorausgeſetzt und es findet dieſe Anſicht ihre
Beſtaͤtigung darin, daß nur bei Zugrundelegung
des weiteren Familienbegriffes das dem Stifter
in 877 eingeräumte Erbfolgeanordnungsrecht eine
Bedeutung gewinnt.
IV.
Endlich ſei auch noch zu den Entſch. des
BayObGH. in Bd. 6 und 13 Stellung genommen.
In Bd. 6 und ebenſo bei v. Grafenſtein iſt
behauptet, unter „Familie“ ſeien nur die Nach—
kommen eines beſtimmten Familienhauptes zu ver—
ſtehen; daß auch dieſes Familienhaupt ſelbſt hiezu
gehöre, iſt nicht ausdrücklich behauptet, obgleich dies,
wie noch darzutun iſt, nicht bedeutungslos bleibt.
Indeſſen ſoll gegen dieſe Definition grund—
ſätzlich gar nichts eingewendet werden, es fragt
ſich nur, von welchem Stammvater man ausgeht.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
Wenn der Stifter nur ſeine Deſzendenz be⸗
ruſt, dann beruft er ſeine Familie, wenn der
Stifter auch feine Brüder beruft, jo beruft er die
Deſzendenz ſeines Vaters uſw., alſo ſtets die
Deſzendenz eines beſtimmten Familienhauptes.
Dieſe Folgerung lehnt die Entſcheidung in
Bd. 6 ab mit der Berufung auf 88 77 nnd 84
JE., woraus ſich ergebe, daß unter Familie nur
die Deſzendenz des Stifters oder des berufenen
Dritten zu verſtehen ſei.
Der Begriff Familie erfordert aber nur die
Abſtammung von einem gemeinſamen Stamm⸗
vater, das Wegfallen eines Familienmitgliedes
— ſei dies auch der Stammvater ſelbſt — zer⸗
ſtört die Familie nicht.
In weiterer Ausdehnung bleibt deshalb auch
die Familie früherer Stammeltern beſtehen, wenn
man nur jeweils den entſprechenden Stammvater
ins Auge faßt. Je nachdem, ob von 4, B, C, D
uſw. ab gerechnet wird, iſt man auch berechtigt
von der Familie A, B, C, D uſw. zu ſprechen.
Wenn nun das Fideikommißedikt in 8 1 die
Errichtung von Fideikommiſſen nicht nur zugunſten
adeliger Perſonen, ſondern auch zugunſten adeliger
Familien geſtattet, iſt gar nicht einzuſehen, warum
der Stifter gerade die Familie D ſollte berufen
müſſen, weil deren Stammvater noch lebt, und
nicht auch die Familien A, B, C, deren Familien⸗
haͤupter nicht mehr leben.
Man definiert doch: Familie ſei die De⸗
ſzendenz eines beſtimmten Jamilienhauptes, und
hier handelt es ſich ja um die Deſzendenz be⸗
ſtimmter Familienhäupter.
Wofür iſt die Gegenüberſtellung der Errich⸗
tungsmöglichkeit von Fideikommiſſen für adelige
Perſonen und Familien in 8 1 JE, wenn
damit nicht zum Ausdruck gebracht iſt, daß erſteren⸗
falls eine Einzelperſon (und was gem. 877
ſelbſtverſtändlich iſt, auch deren Deſzendenz), letz⸗
terenfalls aber die Familie d. h. die De⸗
ſzendenz einer Perſon berufen werden kann?
Ob deren Stammvater nicht berufen werden
will oder nicht mehr berufen werden kann, da
er nicht mehr am Leben iſt, dürfte einen inneren
Unterſchied kaum begründen, es wird eben die
Deſzendenz eines beſtimmten Familienhauptes
berufen.
Die Aufſtellung, daß der Stammvater einer
berufenen Familie ſtets mitberufen ſein müſſe,
wie ſie in Bd. 6 S. 234 und wenn auch mit
geringerem Nachdruck in Bd. 13 S. 474 ver⸗
treten wird, kann mit Rückſicht auf die vom Be:
ſetz ſelbſt gemachte Unterſcheidung der Berufung
von Einzelperſonen (und deren Deſzendenz) und
von Familien nicht gehalten werden, zumal beide
Entſcheidungen Familie lediglich als die Deſzendenz
des Stifters oder des Dritten definieren.
Auf dieſer Grundlage erledigt ſich ein Fall.
wie er in dem von Dr. v. Schmitt aufgeführten
Beiſpiel ſich ergibt, ohne jede Schwierigkeit für
die Vertreter des engeren oder des weiteren
Familienbegriffes:
Wenn ein mit ſieben Söhnen geſegneter Stifter
ein Fideikommiß zugunſten ſeiner Familie errichten
will, muß er nach der Anſicht des Oberſten Landes⸗
gerichts ſich ſelbſt zum erſten Inhaber einſetzen, denn
nur dann kann ſich das Fideikommiß auf ſeine
fieben Söhne und deren Deſzendenz vererben.
Unterläßt er dies und beruft er unter Ausſchluß
ſeiner Perſon nur ſeine Söhne, verringert er
alſo von vornherein die Reihe der Fideikommiß⸗
inhaber um eine Perſon — und um die ganze
„andere“ Familie mit deren ganzer Deſzendenten⸗
reihe —, ſo iſt der oberſte Gerichtshof der Anſicht,
daß der Stifter damit eine ungeſetzliche Er⸗
weiterung der Fideikommißanwärter um fünf
Familien und deren ganzer Geſchlechtsfolge an:
ſtrebe und verbietet ihm das; denn es iſt gem.
8 84 nur ein einmaliger Familienwechſel ſtatthaft
und Familie iſt nach ſeiner nunmehrigen Anſicht
die Deſzendenz einer beſtimmten zur Fideikommiß⸗
folge berufenen Perſon.
Daß dieſes Ergebnis einem geordneten Rechts⸗
empfinden nicht entſpricht, darüber beſteht kein Zweifel.
Die Rechtfertigung, welche v. Grafenſtein dieſem
„betrüblichen Ergebnis“ erteilt, daß eben der Stifter
ſich der ſtrengen Auffaſſung des Geſetzes fügen und
gegebenenfalls das Bedauerliche dieſer Geſetzeshärte
in Kauf nehmen müſſe, iſt eine unbefriedigende
Reſignation, der man ſich nicht hinzugeben braucht.
Es iſt, wie ſchon dargetan, nicht wahr, daß dann
wenn eine beſtimmte Familie berufen wird, auch
gleichzeitig deren Familienhaupt mitberufen ſein
müſſe. Läßt man dieſe — nach dem Geſetz ganz
unbegründete — Vorausſetzung fallen, ſo bleibt
das Ergebnis ganz das gleiche, ob das Familien⸗
haupt berufen iſt oder nicht: es iſt die geſamte
Deſzendenz — in dem gegebenen Beiſpiel alle
ſieben Söhne und deren Deſzendenz — als eine
Familie berufen.
In kurzer Zuſammenfaſſung iſt das geſamte
Ergebnis ſohin folgendes:
In 884 FE. iſt der einmalige Wechſel
des Fideikommiſſes von einer Familie
auf eine derſelben ſtammfremde Familie
geregelt.
Gemäß 8 1 FE. iſt ſowohl die Berufung
einzelner Perſonen einſchließlich deren
Deſzendenz wieauchdie Berufung ganzer
Familien geſtattet. Bei Berufung einer
Familie iſt deren Familienhaupt nicht
mitberufen.
Das Geſetz geſtattet in $ 77 unter
Uebernahme der aus dem Majoratsedikt
überkommenen Praxis innerhalb der
Geſamtfamilie mit gleichem Namen,
Schild und Wappen auch die Berufung
von Agnaten der Aſzendenz.
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 401
Die Verechnung des pfändbaren Gehaltes oder
Lohnes (§ 850 38 0., §§ 1, 3, 4 Lohns.)
Bon Amtsrichter Dr. Hermann Stepp in Nürnberg.
Wegen einer Unterhaltsforderung von 1201
war die dem Schuldner, einem Hilfspoſtſchaffner,
gegen den bayeriſchen Fiskus, vertreten durch die
Oberpoſtdirektion, zuſtehende Lohnforderung von
täglich 3M oder monatlich 90 inſoweit ge:
pfändet und zur Einziehung überwieſen worden,
als fie den Betrag von monatlich 70 M überſtieg.
Dieſer Betrag ſollte dem Schuldner zur Beſtreitung
ſeines notdürſtigen Unterhalts nach $ 4a Lohn BG.
belaſſen werden. Die Oberpoſtdirektion zahlte
jedoch den die Summe von 70M überſteigenden
Betrag an den Gläubiger nicht ganz aus, ſondern
zog hiervon die Beiträge zur Arbeiterpenſions⸗
und Poſtkrankenkaſſe ab, die ſie für den Schuldner
als deſſen Arbeitgeber bis zum Zahltag entrichtet
hatte, nämlich 4X 0,76 H = 3,04 M. Der Gläu⸗
biger erhielt alſo nur 16,96 M.
Es fragt ſich, ob dieſer Abzug gerechtfertigt
iſt. Die Oberpoſtdirektion ſtützt ihre Berechnung
auf eine Entſchließung des Staatsminiſteriums
für Verkehrsangelegenheiten vom 29. Juli 1913,
die zur Erzielung einer einheitlichen Berechnung
des pfändbaren Lohnes durch die Oberpoſtdirek⸗
tionen anordnet, „daß bei allen neu anfallenden
Pfändungen — vorbehaltlich der etwa von Fall
zu Fall ergehenden gegenteiligen Entſcheidungen
der Gerichte — die Beiträge zur Poſtkrankenkaſſe
(PK K.) und Arbeiterpenſionskaſſe (AP K.) abzu⸗
ziehen ſind, ſo daß nur der nach Abzug dieſer
Beiträge verbleibende Reſt als allenfalls pfaͤnd⸗
barer Lohn in Betracht kommt. In gleicher Weiſe
ſind Steuern⸗ und Umlagenbeträge ſowie die Bei⸗
träge zum Allgemeinen Staatsdienerunterſtützungs⸗
verein und zu der hiermit verbundenen Töchterkaſſe
zu behandeln.“
Der Inhalt dieſer Anordnung gibt zu fol⸗
genden rechtlichen Bedenken Anlaß:
Vergütung i. S. § 3 Lohn BG. iſt die von
dem Dienſtberechtigten (Arbeitgeber) an den Dienſt⸗
verpflichteten (Arbeitnehmer) zu entrichtende Gegen⸗
leiſtung für die vertragsmäßig zu leiſtenden Ar⸗
beiten oder Dienſte, kurz der Arbeitserfolg des
Dienſtverpflichteten (vgl. Meyer, Das Recht der
Beſchlagnahme Bem. J $ 3). Damit ergibt ſich
die notwendige Begrenzung nach oben und unten
von ſelbſt. Nur die Gegenleiſtung für die Arbeit
genießt den Schutz des Lohnbeſchlagnahmegeſetzes,
nicht alſo z. B. Forderungen des Arbeiters auf
Erſatz von Stoffen und anderen Auslagen; auf
der anderen Seite fallen aber unter den Begriff
der Vergütung alle Bezüge, die dem Arbeiter
aus dem Arbeits- oder Dienſtverhältnis zukommen.
Miöglicherweiſe erhält nun aber der Arbeit:
nehmer die ihm an und für ſich zuſtehende Ver⸗
gütung nicht ganz ausbezahlt, ſondern muß ſich Ab-
402
zügegefallen laſſen, zu denen der Arbeitgeber berechtigt
iſt. Dies iſt der Fall bei Arbeitern, welche nach
der Reichsverſicherungsordnung und nach dem Ver⸗
ſicherungsgeſetz für Angeſtellte verfiherungspflichtig
find. Nach 88 394, 381, 1432 RVO. müſſen
ſich die Verſicherungspflichtigen bei der Lohnzahlung
den vom Arbeitgeber geleiſteten Betrag für die
Krankenverſicherung zu / und für die Invaliden⸗
und Hinterbliebenenverſicherung zur Hälfte ab⸗
ziehen laſſen. Für die Angeſtelltenverſicherung
enthält 8 178 AVG. vom 20. Dezember 1911
die dem $ 1432 RVO. genau entſprechende Be:
ſtimmung. Ein verſicherungspflichtiger Ar:
beiter erhält alſo feinen ziffermäßigen Lohn tat⸗
ſäͤchlich nie ganz ausbezahlt, ſondern ſtets unter
Abzug der ihm zur Laſt fallenden Beiträge
zur Krankenverſicherung, zur Invaliden⸗ und Hinter⸗
bliebenenverſicherung ſowie zur Angeftelltenverfiche-
rung. Dieſe Tatſache iſt aber auf die Berechnung
der Höhe der Vergütung an ſich rechtlich ohne
Einfluß, und es wäre verfehlt, bei Lohnpfändungen
als Vergütung i. S. der 88 1 und 3 Lohn BG. nur
den Betrag anzuſehen, der dem Arbeiter nach Ab⸗
zug der Verſicherungsbeiträge verbleibt. Nach dem
Gelege find die Krankenverſicherungsbeitraͤge zu
/ vom Verſicherungspflichtigen, zu / vom Ar:
beitgeber, die Invaliden⸗ und Hinterbliebenen⸗
verſicherungsbeitraͤge ſowie die Beiträge zur An⸗
geſtelltenverſicherung von beiden je zur Hälfte
endgültig aufzubringen (88 381, 1887 Abſ. II
RBO., § 170 Abſ. II AG.), und nur zum
Zwecke der Vereinfachung der Geſchaͤftsbehandlung
iſt angeordnet, daß den Krankenkaſſen und den
Verſicherungsanſtalten gegenüber von den Arbeit⸗
gebern die Beiträge ganz zu entrichten find (88 393,
1426 RBO., § 176 AG.), während es ihnen
überlaſſen bleibt, die den Arbeitnehmer treffenden
Beitragsteile bei der Lohnzahlung abzuziehen. Sind
aber die Verſicherten berufen, auch ihrerſeits zu
einem beſtimmten Teilbetrag an der Aufbringung
der Mittel für die Verſicherung teilzunehmen, ſo
haben ſie dieſe Betraͤge aus ihrem Einkommen
zu leiſten, alſo aus dem Lohn, der Vergütung
für geleiſtete Arbeiten. Hieraus folgt aber, daß
gerade der ziffermäßige Lohn, die von dem Arbeit⸗
nehmer mit dem Arbeitgeber vereinbarte oder
mangels einer Vereinbarung die ortsübliche Höhe
des Lohnes feine Vergütung i. S. des Lohn BG.
darſtellt, nicht dagegen der ihm nach Abzug ſeiner
Verſicherungsbeiträge tatſächlich ausgezahlte Reit:
betrag. Auch Meyer (Recht der Beſchlagnahme)
betont in Bem. II, B 1 zu § 4 Nr. 4 ausdrück⸗
lich, daß bei der Ermittlung des pfändbaren Teils
der Vergütung Beiträge für Alters-, Unfall-,
Kranken- und Penſionsverſicherung u. a. von der
Vergütung nicht abgezogen werden dürfen.
Alles dies trifft aber auch auf Hilfspoſtſchaffner
und ihre Beiträge zur PK. ſowie zur AP. zu.
Die Hilfspoſtſchaffner fallen, was Kranken- und
Invalidenverſicherung uſw. betrifft, unter die RVO.;
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
1
I
— — — äũà ẽõ . —
b
die Betriebskrankenkaſſe der Kgl. bayer. Poſt⸗ und
Telegraphenverwaltung, kurzweg Poſtkrankenkaſſe
genannt, iſt eine Betriebskrankenkaſſe i. S. der 88 245,
246 RVO.; die Arbeiterpenſionskaſſe iſt durch Be:
ſchluß des Bundesrats vom 21. März 1912 auf
Grund ihrer neuen Satzung als Sonderanſtalt i. S.
der 88 1360 — 1380 RVO. zugelaſſen worden und iſt
als ſolche) „zur Gewährung von Invaliden⸗ und
Altersrenten ſowie Renten, Witwengeld und Waiſen⸗
ausſteuer für Hinterbliebene nach Maßgabe der
RVO. vom 19. Juli 1911 beſtimmt und hat für
ihre Mitglieder alle Aufgaben einer Verſicherungs⸗
anſtalt i. S. dieſes Geſetzes zu erſüllen“ (vgl. 8 1
Nr. 2 der Statuten vom 19./ 21. Dezember 1911).
Die Abzüge, welche die Oberpoſtdirektion bei der
Lohnzahlung auf Grund der von ihr für den Poſt⸗
hilfsſchaffner geleiſteten Beiträge zu dieſen Kaſſen
macht, ſind daher genau ſo zu beurteilen wie die
von einem gewöhnlichen Arbeitgeber einem Arbeiter
gegenüber vorgenommenen Abzüge, d. h. ſie haben
mit der Berechnung der Höhe der Vergütung nicht
das mindeſte zu tun.
Auch die in der erwähnten Entſchließung des
Verkehrsminiſteriums angeführte Entſcheidung des
RG. (JW. 1884 S. 227) kann die in der Ent:
ſchließung vertretene Anſicht nicht rechtfertigen. Die
Entſcheidung behandelt den Fall eines Vorweg⸗
abzugs von Witwen: und Waiſengeldbeiträgen“
und billigt deren Vorwegabzug im Falle einer
Pfändung des Gehaltes mit der Begründung, daß
wegen ihrer engen Beziehung zum Dienſteinkommen,
ihrer Entrichtung aus dem Gehalt, ihrer Bemeſſung
nach ſeinem Betrag, ihrer Erhebung durch Ein⸗
behaltung des entſprechenden Gehaltsteiles „das
Gehalt mit den Witwen⸗ und Waiſengeldbeiträgen
dergeſtalt belaſtet ſei, daß der Beamte das Gehalt
erſt nach Abzug derſelben für ſich beanſpruchen und
darum auch nur in demſelben Umfang die Ber:
wendung für feine Gläubiger nach Maßgabe des
8 749 (jeßt 850) ZPO. verlangen könne“.
Die Heranziehung dieſer Entſcheidung iſt m. E.
verfehlt. Die rechtliche Natur der Witwen: und
Waiſengeldbeiträge der preußiſchen Staatsbeamten
iſt völlig weſensverſchieden von der Beitragspflicht
auf Grund der reichsgeſetzlichen Kranken-, Invaliden⸗
und Hinterbliebenenverſicherung. Hier gewähren
die Krankenkaſſen oder Verſicherungsanſtalten die
Unterſtützungen, an dieſe Kaſſen und Anſtalten
ſind die Beiträge zu leiſten und der Arbeitgeber
halt ſich wegen der von ihm für den Arbeitnehmer
an dieſe Träger der Verſicherung vorgeſchoſſenen
Beiträge an den Lohn des Arbeiters. Dort ge:
währt der Arbeitgeber (Staat) ſelbſt die Unter⸗
1) genauer: nur Abteilung A dieſer Kaſſe. Die
Unterſcheidung in Abteilung A und B intereſſiert jedoch
hier nicht näher.
) Bezug genommen iſt auf ein Geſetz vom 20. Mai
1882, vermutlich das preuß. Geſ. betr. die Fürſorge
für die Witwen und Waiſen der unmittelbaren Staats—
be amten (Preuß. Geſ.-Sammlung S. 298).
— —
ſtützungen und kürzt das Gehalt des Angeſtellten
(Staatsbeamten) um die zur Aufbringung der
Mittel zu zahlenden Beiträge. Aber auch ab⸗
geſehen hiervon wäre äußerſt fraglich, ob bei Be⸗
rechnung des pfändbaren Gehaltes die Witwen⸗ und
Waiſengeldbeitraͤge nach dem Geſetz vom 20. Mai
1882 vorweg abzuziehen wären. Ich möchte dieſe
Frage verneinen aus folgenden Gründen: Das
Geſetz vom 20. Mai 1882 iſt dem Reichsgeſetz betr.
die Fürſorge für Witwen und Waiſen der Reichs⸗
beamten der Zivilverwaltung vom 20. April 1881
(RGBl. S. 85) nachgebildet und zwar unter faſt
durchweg wortgetreuer Wiedergabe ſeines Geſetzes⸗
textes und feiner Paragrapheneinteilung. Während
nun aber der 8 4 Abſ. II RG. vom 20. Mai 1881
ausdrücklich beſtimmt, daß der einzubehaltende Teil
des Dienſteinkommens, d. h. die durch Einbehaltung
zu erhebenden Witwen⸗ und Waiſengeldbeiträge
weder der Pfändung unterworfen noch bei der Er⸗
mittlung, ob und zu welchem Betrage die Bezüge
der Pfändung unterliegen, zu berechnen find, iſt
trotz der wörtlichen Anlehnung an den übrigen
Geſetzestext gerade dieſe Beſtimmung in das Geſetz
vom 20. Mai 1882 nicht mit übernommen worden.
Die preußiſchen Witwen⸗ und Waiſengeldbeiträge
ſind alſo bei Ermittlung der pfändbaren Vergütung
gerade nicht abzuziehen, ſondern mitzurechnen, d. h.
es wird der unverkürzte Gehalt der Berechnung
zugrunde gelegt.
Nach alledem hat die Verpflichtung des Schuldners
zur Bezahlung von Verſicherungsbeiträgen auf
Grund der RWO. keinerlei Einfluß auf die Be⸗
rechnung der Höhe der Vergütung im Falle einer
Pfändung.
Eine andere Frage, die aber gleichfalls mit
der Berechnung der Höhe der Vergütung nichts
zu tun hat, iſt die, inwieweit der Arbeitgeber gegen
den Lohnanſpruch des Arbeitnehmers auch nach
der Pfändung dieſes Anſpruchs mit den von ihm
für den Verſicherten bezahlten Verſicherungsbeiträgen
aufrechnen darf. Dieſe Frage beantwortet 8 392
BGB., wonach die Aufrechnung nach der Zuſtellung
des Pfändungsbeſchluſſes nur in 2 Fällen aus⸗
geſchloſſen iſt, nämlich wenn der Drittſchuldner
ſeine Forderung erſt nach der Zuſtellung des
Pfändungsbeſchluſſes erworben hat und ferner in
dem Falle, wenn der Drittſchuldner die Forderung
zwar vor der Beſchlagnahme erworben hat, ſeine
Forderung aber erſt nach der Zuſtellung des Be—
ſchlagnahmebeſchluſſes und ſpäter als die beſchlag—
nahmte Gegenforderung ſeines Gläubigers fällig
geworden iſt. Der Arbeitgeber erwirbt ſeine Forde—
rung gegen den Arbeitnehmer auf Erſatz der Ber:
ſicherungsbeitraͤge mit der Zahlung, bei der Sn:
validenverſicherung mit dem der Zahlung gleich—
wertigen Vorgange des Markenklebens. Die
Forderung wird fällig gleichzeitig mit der Lohn—
forderung des Arbeitnehmers. Hiernach kommt
ſtets nur der erſte Fall des S 392 BGB. in Frage,
und der Arbeitgeber kann nach der Zuſtellung eines
Zeitſchrift für 9 für Rechtspflege Iı in Bayern. 1914. Nr. 22.
Beſchluſſes über die Pfändung der Lohnforderung
ſeines Arbeitnehmers gegenüber der ganzen Lohn⸗
forderung nur die Verſicherungsbeiträge aufrechnen,
die er für den Arbeitnehmer vor der Pfändung
entrichtet hat, oder mit anderen Worten: er kann
dieſe Verſicherungsbeiträge nur bei der erſtmaligen Ab⸗
führung des gepfändeten Gehaltsteils des Schuldners
an den Pfaͤndungsgläubiger vom ganzen Lohne vor:
weg abziehen.
Im Ergebnis war alſo der von der Ober⸗
poſtdirektion gemachte Abzug von 3,04 M in dem
eingangs erwähnten Falle gerechtfertigt, wenn auch
auf Grund ganz anderer Erwägungen als der—
jenigen, die für die Oberpoſtdirektion maßgebend
waren. Bei weiteren Zahlungen an den Pfand⸗
gläubiger darf jedoch ein Abzug von Verſiche⸗
rungsbeiträgen zu deſſen Nachteil nicht mehr er⸗
folgen, da hier die Anwendung des $ 392 BGB.
verſagt. Inſofern iſt alſo die Feſtſtellung der
richtigen rechtlichen Grundlage von ausſchlag⸗
gebender Bedeutung.
Für den Vorwegabzug von Steuern und Um⸗
lagen, wie ihn die Miniſterialentſchließung an⸗
ordnet, fehlt gleichfalls jede rechtliche Grundlage,
um ſo mehr als die Pflicht zur Tragung dieſer
Laſten durch den Poſtbedienſteten mit ſeiner Eigen⸗
ſchaft als Staatsdiener gar nichts zu tun hat.
Unzuläſſig iſt endlich auch die Abrechnung der
Beiträge zum allgemeinen Staatsdienerunter⸗
ſtützungsverein und der hiermit verbundenen Töchter⸗
kaſſe. Die Erhebung der Beiträge für dieſe Vereine
durch Einbehaltung des entſprechenden Gehaltsteils
geſchieht auf Grund Statuts. Die einbehaltenen
Beträge fließen nicht in die Staats-, ſondern in
die Vereinskaſſe. Die Vereinsmitglieder erhalten
demnach keinen niedrigeren Gehalt, nur wird ein Teil
ſofort der Vereinskaſſe zugeführt. Ein geſetzlicher
Zwang liegt alſo nur in der Mitgliedſchaft, nicht
dagegen in der Art der Beitragsentrichtung, die
das Vereinsſtatut und nicht das Geſetz beſtimmt.
Kleine Mitteilungen.
Zwiſchenſtreit über den Vollzug der Wandlung. Es
ſoll folgender Fall beſprochen werden: In einem
Wandlungsprozeſſe läßt nach der Beweiserhebung über
den Gewährſchaftsmangel der Beklagte B. beim Kläger
A. das getauſchte Pferd abholen; A. gibt es zurück,
verweigert aber die Annahme ſeines mitgebrachten beim
Tauſchhandel hingegebenen Pferdes, weil es in der
Zwiſchenzeit durch Verſchulden des B. oder ſeines Nach:
mannes verſchlechtert worden ſei. Er verlangt Er—
ſatz des Wertes zur Zeit des erſten Wandlungsbegehrens
ſtatt des Pferdes oder neben der Zurückgabe Ent⸗
ſchädigung für die Wertsminderung. Bei dem nächſten
auf Antrag des Klägers anberaumten weiteren Ver—
handlungstermin wird nun gemäß 8 280 3PO. die
Verhandlung in demſelben Verfahren fortgeſetzt. Der
Kläger A. ſtellt Inzidentantrag, den Beklagten B. für
404
ſchuldig zu erklären, das A.ſche Pferd in dem Zuſtande
zur Zeit des erſten Wandlungsbegehrens zurückzugeben,
im Unvermögensfalle aber den Wert, den es damals
hatte, zu erſetzen oder auf das im verſchlechterten Zu⸗
ſtande zurückgehende Pferd einen beſtimmten Betrag
als Entſchädigung für Wertsminderung aufzuzahlen
und die ſämtlichen Koſten zu tragen.
Der Beklagte B. kann nicht einwenden, daß eine
unzuläſſige Klagänderung vorliege; es liegt vielmehr
eine nach 8 280 ZPO. zuläſſige Erweiterung der Klage
im weiteren Sinne vor, die im Wege der Inzident⸗
oder Zwiſchenfeſtſtellungs⸗Klage auszutragen iſt, wenn
der Beklagte beſtreitet. Gaupp⸗Stein nennt dieſe
Inzidentklage im Kommentar V. Aufl. zu 8 280 unter
I Abſ. 2 S. 610 eine nachträgliche Klagenhäufung,
welche den Vorſchrifteu des 8 253 über die Form der
Klageerhebung nicht unterliegt und deshalb vom Ge⸗
ſetze (in 8 280, wenn auch in anderem Sinne als in
8 268) als Erweiterung der Klage bezeichnet wird,
weil ſie erſt durch das Verhalten des Beklagten B.
im Prozeß veranlaßt wird.
Der mit der Wandlungsklage verklagte Tauſch⸗
Gegner muß das eingetauſchte Pferd im Zuſtande des
erſten Wandlungsbegehrens Zug um Zug mit der Rück⸗
nahme ſeines in Tauſch gegebenen Pferdes zurückgeben.
Dieſe Verpflichtung des Tauſch⸗Gegners iſt mit der
Wandlungsklage geltend gemacht. Holt er im Prozeſſe
zwar das in Tauſch gegebene Pferd beim Kläger A.
zurück, verweigert dieſer aber die Rücknahme des von
ihm hingegebenen Pferdes wegen inzwiſchen einge⸗
tretener Verſchlechterung durch Verſchulden des Be⸗
klagten B. oder (bei Weiterveräußerung) ſeines Nach⸗
mannes (vgl. $ 278 BGB.), fo iſt der im Streite be
fangene Anſpruch nur zu einem Teile erfüllt (Rücknahme
des Pferdes durch B.), nicht aber bezüglich des anderen
Teiles (Rückgabe des Tauſchpferdes des A. im gehörigen
Zuſtande). Dieſer Streitpunkt hat ſich erſt im Prozeſſe
beim Vollzug der Wandlung herausgebildet. Er iſt ein
Inzidentſtreit geworden, über den im Endurteil zu ent—
ſcheiden iſt. Die Entſcheidung hängt davon ab, ob ſich der
Wert der Tauſchgegenleiſtung ſeit dem Vollzuge des
Tauſches durch Verſchulden des Beklagten gemindert
hat. Die Entſcheidung über den im Prozeß durch das
Verhalten des Beklagten hervorgetretenen Streitpunkt
beſtimmt den Ausgang des Rechtsſtreits; deshalb muß
über den Zwiſchenſtreit in demſelben Prozeſſe und
mit dem ihn erledigenden Endurteil entſchieden werden.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn mit der Wandlungsklage
nicht nur auf Einwilligung in die Wandlung (oder
vielmehr auf Wandlungsausſpruch) geklagt worden iſt,
ſondern gleichzeitig auch auf Vollzug der Wandlung
durch Zurücknahme und gleichzeitige Zurückgabe.
Die Gewährſchaftsklage iſt nach den Entſcheidungen
des Reichsgerichts Bd. 58 S. 425 und Bd. 66 S. 75
mit dreifachem Antrage zuläſſig. Der Antrag kann
lauten allein auf Einwilligung in die Wandlung oder
auch zugleich auf Rückgängigmachung der beiderſeitigen
Leiſtungen oder auch auf letztere allein. Zufolge der
vom Reichsgericht für den Wandlungsanſpruch feſt—
gehaltenen „Wiederherſtellungslehre“ (RGRKomm. zu
§ 465 BGB. Anm. 1) wird bei Geltendmachung des
Wandlungsanſpruchs immer auch die Rückgängig—
machung der Leiſtungen betrieben. Es iſt daher die
Rückgängigmachung der Leiſtungen begrifflich ſchon in
den Streit miteinbezogen worden, wenn die Wandlungs—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
klage nur den zuerſt genannten einfachen Wandlungs-
antrag enthält. Deshalb iſt in dem hier zu entſcheiden⸗
den Streitfalle die Fortſetzung desſelben Streitver⸗
fahrens bezüglich des hervorgetretenen Zwiſchenſtreites
nicht nur zuläſſig, ſondern auch notwendig.
Dieſe Notwendigkeit ergibt ſich auch aus 8 767 Abſ. 2
38PO. Würde der im Prozeß hervorgetretene Streit
über die Rückleiſtung der Tauſchgegengabe aus dem
Verfahren auf die Wandlungsklage ausgewieſen und
auf eine zweite ſelbſtändige Klage verwieſen, ſo wäre der
8 767 BBO. nicht zu umgehen. Die zweite Klage würde
immer die Einwendung bringen, es ſei noch nicht voll⸗
ſtändig gewandelt, die Wandlung ſei nicht beiderſeits
durch Rückleiſtung vollzogen. Eine ſolche Einwendung
kann zwar nur in einer neuen ſelbſtändigen Klage er⸗
hoben werden, wenn der Beklagte erſt nach der Be⸗
endigung der Wandlungsklage die zur Annahme nicht
verpflichtende Rückleiſtung angeboten oder gemacht hat;
iſt dieſer Streitpunkt aber ſchon vor dem Schluſſe der
mündlichen Verhandlung entſtanden, in der Einwen⸗
dungen nach der ZPO. ſpäteſtens hätten geltend ge⸗
macht werden müſſen, ſo iſt der Weg der zweiten Klage
nach 8 767 ZPO. verſchloſſen. Die Einwendung gegen
die während des Prozeſſes vom Beklagten verſuchte
Art der Rückleiſtung (oder auch das Fehlen der ganzen
Rückleiſtung) muß als Zwiſchenſtreit im noch ans
hängigen Wandlungsprozeſſe vor dem Schluſſe der
letzten Verhandlung geltend gemacht, in dieſem Prozeſſe
mitausgetragen und mit demſelben Endurteil erledigt
werden.
Dieſe Notwendigkeit ergibt ſich nicht nur aus 8 280
und 8 767 ZPO., ſondern wird ſich zumeiſt auch auf⸗
drängen durch die auf 88 477 und 487 BGB. geſtützte
ſachliche Begründung des Erſatz⸗ oder Entſchädigungs⸗
anſpruchs. Dieſer verjährt in ſechs Monaten von der
Uebergabe des Tieres an. In ſehr vielen Fällen würde
wohl kaum mehr die Zeit reichen, um eine ſelbſtändige
Entſchädigungsklage zu ſtellen, wenn im anhängigen
Wandlungsprozeß das Beweisverfahren über den Ge⸗
währſchaftsfehler durchgeführt werden müßte und erſt
infolge dieſes Ergebniſſes die Rückleiſtung vollzogen
würde. Geh. Juſtizrat Hofrat Dr. Full,
Rechtsanwalt in Würzburg.
—ꝛ ——b-·AQ4qu
Die Wiederaufnahme des Strafbeſehlsver fahren!.)
In einem Strafbefehle des Amtsgerichts München
wurden gegen einen jungen, noch unbeſtraften, geiſtig
nicht ſehr regen, auf den Allerweltsnamen Maier
hörenden Arbeiter wegen zweier Uebertretungen, deren
er ſich am 17. Februar 1914 im Stadtinnern ſchuldig
gemacht haben ſollte, Geldſtrafen und für den Fall
ihrer Uneinbringlichkeit Haftſtrafen feſtgeſetzt. Dieſer
Strafbefehl wurde dem Beſchuldigten durch ordnungs⸗
mäßige Erſatzzuſtellung übermittelt. Einſpruch wurde
nicht erhoben. Die feſtgeſetzten Geldſtrafen wurden
darauf ſofort für uneinbringlich erklärt und der Be⸗
ſchuldigte deshalb zum Antritte der Erſatzſtrafen vor⸗
geladen.
Zwei Tage nachher erklärte er zu Protokoll des
Gerichtsſchreibers, daß er der geſuchte Täter nicht ſei,
weil er am 17. Februar 1914 ſeine an der Stadtgrenze
liegende Arbeitsſtelle überhaupt nicht verlaſſen babe:
er legte eine Beſtätigung ſeines Arbeitgebers hierüber
vor und bat um gnadenweiſen Erlaß der gegen ibn
) Siehe auch dieſe Zeitſchrift 1912 S. 353 und
1913 S. 420.
5 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22. 405
feſtgeſetzten Strafen. Die Frage, ob er den Strafbefehl
nicht vor Ablauf der Friſt zur Einſpruchserhebung be⸗
kommen habe, bejahte der Beſchuldigte; dem Vorbhalte,
daß er dann doch rechtzeitig Einſpruch hätte einlegen
können, begegnete er mit der Antwort, „er babe nichts
gemacht, deshalb werde ihm auch bei dem Gerichte nichts
paſſieren“.
Seine Beſtreitung erwies ſich als richtig. Der wirk⸗
liche Täter hatte dem die Uebertretungen beanſtanden⸗
den Schutzmanne zwar ſeinen richtigen Vor⸗ und Zu⸗
namen angegeben, der mit dem des Beſchuldigten über⸗
einſtimmte, hatte ſich aber auf eine falſche Heimat
berufen, die zufällig die des Beſchuldigten war. Auf
Grund dieſer unzureichenden Angaben hatte der Schutz⸗
mann dann im Einwohneramte die übrigen perſön⸗
lichen Verhältniſſe des Täters ermittelt; ſo war er
irriger Weiſe auf die Perſon des Beſchuldigten ver⸗
fallen, ohne dem Gericht über dieſe Art der Feſtſtellung
zu berichten.
Der Amtsrichter ließ den Beſchuldigten erklären,
daß er ſein Begnadigungsgeſuch als Antrag auf Wieder⸗
aufnahme des Verfahrens behandelt haben wolle. Der
Amtsanwalt hielt die verlangte Wiederaufnahme über⸗
haupt für unzuläſſig.
Der Amtsrichter erklärte aber die Wiederaufnahme
des durch den unanfechtbar gewordenen Strafbefehl ge⸗
ſchloſſenen Verfahrens für zuläſſig und ordnete deshalb
die Hauptverhandlung hierüber an. Die Wiederauf⸗
nahme finde zwar — ſo führte er in den Gründen
aus — nach dem Wortlaute des 8 399 StPO. bei
Verfahren ſtatt, die durch rechtskräftiges Urteil ge⸗
ſchloſſen worden ſeien; die Motive zum Entwurfe der
noch geltenden Strafprozeßordnung hätten noch aus⸗
drücklich hervorgehoben, daß es gegen amtsgerichtliche
Strafbeiehle keine Wiederaufnahme des Verfahreng
gebe; auch nach dem Entwurfe zur neuen Strafprozeß⸗
ordnung ſollten jene Verfahren wieder aufgenommen
werden können, die durch ein rechtskräftiges Urteil
geſchloſſen worden ſeien; die Wiederaufnahme bezwecke
auch regelmäßig die Erneuerung einer im Strafbefehls⸗
verfahren gar nicht üblichen Hauptverhandlung. Alle
dieſe Erwägungen ſprächen zwar gegen die Zuläſſigkeit
der Wiederaufnahme eines Strafbefehlsverfahrens.
Aber in keiner beſtehenden oder geplanten geſetzlichen
Vorſchrift ſei das ausdrückliche Verbot einer ſolchen
Wiederaufnahme enthalten; auch die Begründung zum
Entwurfe der neuen Strafprozeßordnung ſpreche ſich
nicht mehr ausdrücklich gegen die Zuläſſigkeit der
Wiederaufnahme eines Strafbefehlsverfahrens aus;
der unangefochten gebliebene Strafbefehl werde auch
im Strafvollſtreckungsverfahren einem rechtskräftigen
Urteile gleichgeachtet; endlich beſtehe bei dem bloß
ſummariſchen Strafbefehlsverfahren mehr als ſonſt
das Bedürfnis, die zu Unrecht verhängten Strafen
wieder im Rechts⸗ nicht im Begnadigungswege zu be⸗
ſeitigen. Deshalb müſſe die Wiederaufnahme auch bei
Strafbefehlsverfahren zuläſſig fein.
Der Amtsanwalt legte gegen den Beſchluß die fo-
fortige Beſchwerde wegen der grundſätzlichen Unzu⸗
läſſigkeit ſolcher Wiederaufnahmeverfahren ein.
Auch der Staatsanwalt wies bei der Begutachtung
der Beſchwerde zwar noch auf die formaliſtiſchen Bes
denken gegen den Standpunkt des Amtsrichters hin,
hielt aber deſſen Stellungnahme für im Intereſſe der
Sache höchſt begrüßenswert.
Die I. Strafkammer des Landgerichts München I
verwarf die Beſchwerde als unbegründet. Sie billigte
— und zwar ohne jede Einſchränkung — ausdrücklich
die Rechtsauffaſſung, daß auch gegen rechtskräftige
Strafbefehle das Wiederaufnahmeverfahren zu⸗
läſſig ſei. Denn der Geiſt des Geſetzes, Gründe der
Zweckmäßigkeit und der Umſtand, daß ausdrückliche
geſetzliche Vorſchriften nicht entgegenſtünden, ließen
die ausdehnende Auslegung des 8 399 StPO. aus den
vom Amtsrichter angeführten zutreffenden Gründen
gerechtfertigt erſcheinen, zumal, da man ſo allein zu
einem praktiſch befriedigenden Ergebnis kommen könne.
Gewiß bleibt gegen den Antragſteller der Vorwurf
beſtehen, daß er die Gelegenheit zur Einſpruchserhebung
bewußt unbenutzt ließ. Da aber ſeine Verdächtigung
ganz ohne ſein Zutun, ja ſogar ohne ſein Wiſſen er⸗
folgte und vieles ſeiner jugendlichen Unerfahrenheit,
ſeiner Unbeholfenheit und nicht zuletzt ſeinem Vertrauen
auf die nicht verſagende Hilfe des Gerichts zugute⸗
gerechnet werden muß, werden auch die von „einer ſträf⸗
lichen Gleichgültigkeit des Beſchuldigten“ ſprechenden
Bedenken gegen die zwei aus der Enge ins Weite ſtreben⸗
den gerichtlichen Entſcheidungen verſtummen können.
Amtsrichter Hahmann in München.
Aus der Rechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Berpfändung einer Hypothek; Forderung von Hypo⸗
thekzinſen durch den Pfandglänbiger; Einwendungen gegen⸗
über feiner dinglichen und feiner persönlichen Klage
(89 404, 405, 407, 1275 1138, 1289 B88). Aus den
Gründen: Die Klägerin verlangt mit der perſön⸗
lichen und der dinglichen Klage Zinſen einer ihr ver⸗
pfändeten und ſpäter an ſie abgetretenen Hypothek von
dem Grundſtückseigentümer, der ſie dem Verpfänder
P. beſtellt hat. Sie hat die Klage urſprünglich auf
die Abtretung, ſpäter nur auf die Verpfändung geſtützt.
Da ſie nach der Verpfändungsurkunde zur Einziehung
der übrigens mitverpfändeten Zinſen berechtigt iſt, ſo
iſt damit ihre Klagebefugnis an ſich gegeben. Der
Beklagte hat drei ſich auf 8 404 BGB. ſtützende Ein⸗
reden erhoben, nämlich, die verpfändete Forderung
habe nur in beſtimmter, erheblich geringerer Höhe be—
ſtanden, er habe mit P. vereinbart, daß er Zinſen nicht
zu zahlen brauche, und daß P. die Hypothek nicht ver-
pfänden, nicht über ſie verfügen dürfe; die Hypothek
ſei nur beſtellt worden für Verbindlichkeiten aus von P.
ausgeſtellten und vom Beklagten akzeptierten Wechſeln.
Die Klägerin hat ſich dagegen auf $ 405 BGB. berufen,
da die Hypothekenurkunde bei der Verpfändung über—
geben worden iſt, und ferner den guten Glauben des
§ 892 BGB. für ſich beanſprucht. Gemäß § 1274 BGB.
wird ein Pfandrecht an einem Rechte — dieſer Fall
liegt vor — nach den für die Uebertragung des Rechtes
geltenden Vorſchriften beſtellt, und, da Gegenſtand des
Pfandrechtes ein Recht iſt, kraft deſſen eine Leiſtung
gefordert werden kann, ſo finden nach § 1275 BGB.
auf das Rechtsverhältnis zwiſchen dem Pfandgläubiger
und dem Verpflichteten die Vorſchriften entſprechende
Anwendung, die im Falle der Uebertragung des Rechtes
für das Rechtsverhältnis zwiſchen dem Erwerber und dem
Verpflichteten gelten, wovon beſonders die SS 404— 409
BGB. in Betracht kommen. Der Pfandgläubiger kann
ſich daher auf ſeinen guten Glauben nur ſoweit be—
406
rufen, als dies für den neuen Gläubiger bei der Abs
tretung zugelaſſen iſt. Dies gilt nach 8 1138 BGB.
für die Hypothek auch bezüglich der Forderung, be⸗
zieht ſich jedoch nur auf den dinglichen Anſpruch. Dem
perſönlichen Anſpruch gegenüber muß ſich der Gläubiger
alle Einwendungen entgegenſetzen laſſen, die zur Zeit
der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen
Gläubiger begründet waren (Warneyer Erg.⸗Bd. 1909
Nr. 24). Wie ſich aus SS 1274, 1275 BGB. ergibt, tft
der Begriff Abtretung, ſoweit die ſie behandelnden Be⸗
ſtimmungen entſprechend anzuwenden ſind, in dem
weiteren Sinne zu verſtehen, daß er den Fall der Ver⸗
pfändung mitumfaßt, was insbeſondere für die hier
in Betracht kommenden 88 404, 405 BGB. gilt. Da
für die 1 Schuldklage, wie ſich aus § 1138
BGV. ergibt, teilweiſe andere Grundſätze gelten als
für die dingliche Klage, ſo kann ſich bei einer Ver⸗
bindung beider das Ergebnis verſchieden geftalten (Bd. 49
S. 367). Dies wird vom BG. auch nicht verkannt,
denn es billigt dem Beklagten, ſoweit er perſönlich in
Anſpruch genommen wird, an ſich den Schutz des 8 404
BGB. zu; da aber die Verpfändung unter Uebergabe
der Schuldurkunde erfolgt ſei, ſo könne er ſich hierauf
nach 8 405 BGB. nur inſoweit berufen, als die Klägerin
den Sachverhalt gekannt habe oder kennen habe müſſen,
eine Vorausſetzung, die, wie es feſtſtellt, nicht erwieſen
iſt. Bei der Einrede, daß P. die Hypothek nicht
habe verpfänden dürfen, iſt dieſe Annahme des OLG.
wie ſich aus dem Wortlaute des 8 405 BGB. ergibt,
unbedenklich zutreffend. Bei den beiden anderen Ein⸗
reden, von denen das Urteil die Einrede, Zinſen ſollten
nicht gezahlt werden, an dieſer Stelle nicht ausdrücklich
erwähnt, kann das Urteil nur den anderen Fall des
8405 BGB. im Auge gehabt haben, wonach der Schuldner
dem neuen Gläubiger, hier dem Pfandgläubiger gegen⸗
über ſich nicht darauf berufen darf, daß die Eingehung
oder Anerkennung des Schuldverhältniſſes nur zum
Schein erfolgt ſei; zwar hat der Beklagte die Einrede
des Scheingeſchäftes nicht ausdrücklich erhoben, aber
das BG. hat offenbar geglaubt, die erhobenen mehr⸗
erwähnten Einreden in dieſem Sinne würdigen zu ſollen.
Dieſe Art der Würdigung bemängelt die Reviſion zu
Unrecht. Daß ein Schuldverhältnis nur zum Schein
eingegangen oder anerkannt worden iſt, iſt dann an—
zunehmen, wenn beide Teile bei Abgabe der Erklärung
darüber einverſtanden ſind, daß das Erklärte nicht ge—
wollt, der Schein ausdrücklich oder ſtillſchweigend ver—
abredet iſt. Mag ſolches auch regelmäßig in der Ab—
ſicht geſchehen, einen Dritten zu täuſchen, ſo gehört
dieſe Abſicht doch nicht zur Begriffsbeſtimmung des
Scheingeſchäfts (Rehbein BGB. Bd. 1 S. 126 JI Nr. 5;
Schollmeyer, Recht der Schuldverhältniſſe § 405 Nr. La;
Endemann, BGB. Bd. 18 73 Nr. 3; Protokolle bei Mug—
dan Bd. II S. 578; Planck, BGB. 8 117 Nr. 1 und 2
Enneccerus, BGB. Bd. 1 § 156 Nr. 2; Staudinger, BGB.
§ 117 111; Oertmann, BGB. $ 117 Nr. 2a; Komm. v.
RER. § 117 Anm. 1: JW. 1910 S. 60 Nr. 3, 1912
S. 2839 Nr. 6). Das Einverſtändnis über die Unwahr—
heit von in der Erklärung enthaltenen Angaben macht
dann allerdings das Geſchäft nicht zum Scheingeſchäft,
wenn gleichwohl die als gewollt bezeichnete Rechts—
wirkung auch wirklich gewollt wurde (RG. Bd. 6 S. 21;
Enneccerus, BGB. Bd. I 5 156 Anm. 5). Der Beklagte
muß ſich bei der Würdigung ſeiner Einreden an ſeinen
eigenen Behauptungen feſthalten laſſen. Iſt danach
als in Wirklichkeit vereinbart anzuſehen, daß die Hypo—
323 PPP
thek Sicherheit gewähren follte für künftige Verbindlich-
keiten des Beklagten aus Wechſeln, die P. ausſtellen
und der Beklagte annehmen würde, daß Zinſen nicht
gezahlt werden ſollten und P. über die Hypothek nicht
verfugen dürfe, d. h. daß die Hypothek in Wirklichkeit
die rechtliche Eigenart einer Höchſtbetragshypothekhaben
ſollte, dann war eben das Anerkenntnis einer von einem
beſtimmten Tage an feſt verzinslichen Darlehensſchuld
nicht ernſtlich gemeint. Das wirklich ernſt gemeinte
Geſchäft, die Beſtellung einer Höchſtbetragshypothek,
iſt dann ein ſog. diſſimuliertes und fällt ebenfalls
unter den Begriff des Scheingeſchäfts ($ 117 Abſ. 2
BGB.). Die Urteile in Entſch. Bd. 74 S. 30 und 184
betreffen andere Tatbeſtände. Hiernach iſt das Ergebnis
des BG. nicht zu beanſtanden, daß der Beklagte mit
feinen ihm an fi) aus 8 404 B. gegenüber der per»
ſönlichen Klage zuſtehenden Einreden mit Rückſicht auf
8 405 BGB. nicht gehört werden könne, und daß das
Gleiche gelte gegenüber der dinglichen Klage, ſoweit
hier gemäß 8 1158 8G B. die Einreden an ſich beſchränkt
zuläſſig wären. Würde man übrigens den Sachverhalt
zugrunde legen, wie ihn die Klägerin behauptet hat,
daß die Hypothek beſtellt worden ſei, damit P. darauf
für den Beklagten bei der Städtiſchen Bank Geld be⸗
ſchaffe, ſo würde das Ergebnis das gleiche ſein. Denn
dann läge im weſentlichen der gleiche Tatbeſtand vor
wie beim erwähnten Urteile RG. Z. Bd. 60 S. 21 und
dann wäre der Beklagte, wie dort zutreffend ausgeführt
iſt, an ſeinem Anerkenntnis dem Dritten d. h. hier
der Klägerin gegenüber feſtzuhalten. Trotzdem würde
die Verurteilung zur Zahlung der geſamten bean»
ſpruchten Zinſen nicht zu billigen fein, wenn das BG.
zu Unrecht die Anwendbarkeit des § 1289 BOB. aus⸗
geſchloſſen hätte. Dieſen Ausſchluß ſcheint die Reviſion
bemängeln zu wollen, indeſſen könnte ihr darin nicht
beigetreten werden. Nach § 1289 BGB. finden die Vor⸗
ſchriften des $ 1123 Abſ. 2 BGB. entſprechende An⸗
wendung, nur daß an die Stelle der Beſchlagnahme
die Anzeige des Pfandgläubigers an den Schuldner
tritt, daß er von dem Einziehungsrecht Gebrauch mache.
Da die Klägerin dem Beklagten eine Anzeige gemäß
8 1289 BGB. erſt am 9. September 1910 gemacht haben
will, würden daher bei entſprechender Anwendung des
8 1123 Abſ. 2 BGB. die Zinſen frei geworden fein, die
ein Jahr vor dieſer Anzeige bereits verfallen waren.
Allerdings iſt die Begründung des Berufungsurteils
für die Nichtanwendbarkeit des § 1289 Satz 2 BG.
irrig, die dahin geht, daß die Anzeigepflicht des § 1289
ſich nur auf die Fälle beziehe, in denen ſich das Pfand⸗
recht kraft Geſetzes auf die Zinſen miterſtrecke, während
hier die Mitverpfändung der Zinſen erfolgt ſei. Wenn
das Pfandrecht ſich nach 8 1289 Satz 1 BGB. ſchon
geſetzlich auf die Zinſen miterſtreckt, was allerdings
durch Vertrag ausgeſchloſſen werden kann, ſo muß es
für die Wirkung der Mitverpfändung der Zinſen ſelbſt⸗
verſtändlich völlig gleichgültig fein, ob fie ohne beſondere
Erklärung kraft Geſetzes als mitverpfändet anzuſehen
ſind oder ob dieſe Mitverpfändung noch ausdrücklich.
überflüſſigerweiſe, vereinbart worden iſt. Aber 5 1289
Abſ. 2 BGB. iſt nicht anwendbar und die dort vorge⸗
ſchriebene Anzeige nicht erforderlich, weil es ſich hier
um ein Nußpfandrecht handelt (S$ 1273 Abſ. 2; 1213
BGB.), bei dem der Pfandgläubiger ohne weiteres die
Zinſen für ſich einzieht, wenn auch zur Verrechnung
auf feine Forderung. Die Zinſen ſtehen einem Nutzungs-
pfandgläubiger von vornherein ſo zu, als wenn ſie ihm
abgetreten wären, er erwirbt fie zu Eigentum (Wolf
in Enneccerus-Kipp-Wolff, BGB. Bd. II Abt. IS 177 Ill).
Es liegt für ihn daher gar keine Veranlaſſung vor,
dem Schuldner anzuzeigen, daß er von dem Einziehungs⸗
recht Gebrauch mache, während ein ſolcher Anlaß wohl
beſteht fur den Pfandgläubiger, der nicht berechtigt iſt,
die Nutzungen des Pfandes zu ziehen. Denn deſſen
Einziehungsrecht iſt nicht von vornherein gegeben,
ſondern unterliegt beſonderen Vorausſetzungen (SS 1282.
1228 Abſ. 2 BGB.). Man kann auch nicht ſagen, daß
die Nichtanwendung des 8 1289 Satz 2 BGB. für den
Schuldner unbillig ſei. Denn ſoweit er in Unkenntnis
der Mitverpfaͤndung der Zinſen ſolche an ſeinen Glaubiger
gezahlt hat, iſt er dem fie nochmals fordernden Nutzungs-
pfandgläubiger gegenüber durch §407 BGB. ausreichend
geſchutzt. (Urt. des V. ZS. vom 13. Mai 1914, 516 1913).
3445 E.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
II.
ft ein Bankier verpflichtet, ſeinen Auftraggeber
auf die wirtſchaſtlichen Bedenken aufmerkſam zu machen,
die gegen die Ausführung des Auftrags ſprechen ?
Aus den Gründen: Die Reviſion vertritt den
Standpunkt, daß die Beklagte den Auftrag des Klägers
hätte ablehnen müſſen und ſich durch die Annahme
und Ausführung dem Kläger verantwortlich gemacht
habe, da ſie die Verhältniſſe der Handlung S. & Co. ge⸗
kannt und gewußt habe, daß die Zahlung des Klägers
als Nachſchuß für ſeine Engagements bei dieſer dienen
ſollte. Es iſt rechtlich jedoch nicht zutreffend, daß eine
Bank, die den Auftrag erhält, eine Geldſumme an
einen Dritten abzuführen, ſchlechthin verpflichtet ſei,
den Auftraggeber auf wirtſchaftliche Bedenken gegen
die ihr aufgegebene Zahlung aufmerkſam zu machen
und den Auftrag nur anzunehmen, wenn trotz der
mitgeteilten Bedenken der Auftraggeber bei ſeinem
Auftrage verharre. Eine allgemeine Verpflichtung
in dieſer Richtung beſteht nicht; ſie kann nur aus
dem beſonderen Vertragsverhältnis oder der Geſchäfts⸗
verbindung entnommen werden, in der die Bank zu
dem Auftraggeber ſteht. Solche beſondere Umſtände
in dem Verhältniſſe des Beauftragten zum Auftrag⸗
geber liegen hier nicht vor. Der Kläger ſtand mit
der Beklagten vor dem hier fraglichen Doppelgeſchäft,
das ihn zum Darlehnsſchuldner der Beklagten und
die Beklagte zu ſeinem Beauftragten machte, in keiner
Geſchäftsverbindung; aus dem Darlehensverhältnis
iſt eine beſondere Auskunfts⸗ oder Warnungsverpflich⸗
tung, wenn der Kläger eine Auskunft oder einen Rat
gar nicht verlangte, nicht zu folgern. Der Auftrag
ſelbſt, der lediglich auf eine Zahlung an einen Dritten
gerichtet war, bedingt ſie ebenſowenig. Das gilt an
ſich auch dann, wenn die Beklagte wußte, daß die an
S. & Co. abzuführende Summe als „Nachſchuß“ für
Spekulationsgeſchäfte in Wertpapieren dienen ſollte,
die der Kläger durch S. & Co. machte; auch ein ſolcher
Nachſchuß iſt nichts als eine gewöhnliche Geldein⸗
zahlung, über die der Zahlungsempfänger frei zu ver⸗
fügen berechtigt ſein ſoll und iſt. Die Reviſion macht
geltend, die Beklagte ſei keine Girobank, die Entſchei⸗
dung des RG. 54, 329 alſo hier nicht anwendbar;
dort iſt geſagt, daß der Zweck des Girovertrages nicht
darüber hinausgeht, das Zahlungsgeſchäft für die
Kunden zu erleichtern; aus ſeinem Weſen ergebe ſich
alſo, daß jede Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zahlungs⸗
übermeifung durch die Bank ausgeſchloſſen bleiben müſſe,
da die Girobank Kaſſenhalterin, nicht Ratgeberin ihrer
Kunden ſei. Daraus, daß die Beklagte keine Girobank
iſt, folgt nun aber nicht, daß ſie umgekehrt die Zweck⸗
mäßigkeit einer ihr aufgetragenen Zahlung zu prüfen
verpflichtet wäre. Der Zahlungsauftrag des Klägers
ohne Bezugnahme auf ein beſtimmtes Rechtsgeſchäft
oder Rechtsverhältnis, aus dem die Zahlung ee
follte, war einem Giroauftrage immerhin 5 ähnlich,
und wenn die Beklagte den Zweck der Zahlung ges
kannt haben ſoll, ſo war dies ein zufälliges Wiſſen;
der Zweck der Zahlung ging ſie nichts an; ſie att
nur die Zahlung als ſolche auszuführen. Nun hatte
freilich die Beklagte ein eigenes Intereſſe an der
Zahlung des Klägers, die ſie gleichzeitig als Deckung
wegen ihrer Forderungen an S. & Co. in Anſpruch
nehmen wollte; es könnte deshalb vielleicht eine Vers
letzung von Treu und Glauben im Vertragsverhältnis
bei ihr dennoch angenommen werden, wenn ſie einmal
um den Zweck der Einzahlung wußte und wenn ſie
zugleich wußte, daß der Zweck durch den ſchlechten Ge—
ſchäftsſtand von S. & Co. für den Kläger gefährdet
war. Dies ſetzt aber voraus, daß ſie von beſtimmten
Tatſachen unterrichtet war, die ernſte Bedenken gegen
jede weitere Geſchäftsverbindung mit S. & Co. ers
zeugen mußten und daß ſie zugleich Veranlaſſung hatte
anzunehmen, daß dieſe tatſächlichen Umſtände dem
407
Kläger unbekannt waren. Die Kenntnis der Beklagten
von dem ſchlechten Geſchäftsſtande von S. & Co. ver⸗
neint indeſſen das BG. Der Beklagten konnte aber
nicht zugemutet werden dem Kläger gegenüber all⸗
gemeine, der beſtimmten tatſächlichen Unterlage ent⸗
behrende Gerüchte über eine Firma auszuſprechen, mit
der fie ſelbſt in Geſchäftsverbindung ſtand. (Urt. des
VI. ZS. vom 22. Juni 1914, V 266/1914). E.
3463
III
Form eines Vertrags, der die Verpflichtung zur
Abnahme von Geſchäftsanteilen einer G. m. b. H. ent⸗
hält. Aus den Gründen: Nach 5 15 Abſ. 4
mbH. bedarf der gerichtlichen oder notariellen
Form — abgeſehen von dem in Abſ. 3 erwähnten
Vertrage, der die Abtretung von Geſchäftsanteilen
einer G. m. b. H. zum Gegenſtande hat — auch eine
Vereinbarung, wodurch die Verpflichtung eines Geſell⸗
ſchafters zur Abtretung eines Geſchäftsanteils begründet
wird. Durch den vorliegenden Vertrag, das Angebot
der Klägerin und deſſen Annahme durch die E.⸗Geſell⸗
ſchaft, hat die Klägerin ſich der E.⸗Geſellſchaft gegen⸗
über verpflichtet, Geſchäftsanteile dieſer G. m. b. H.
von einem gewiſſen L. zu übernehmen. Ihrem Wort⸗
laute nach trifft allerdings die Vorſchrift des 8 15 Abſ. 4
den vorliegenden Fall nicht. Allein dieſe Vorſchrift
iſt nach der ſtändigen Rechtſprechung des Reichsgerichts
auch auf ſolche Verträge zu beziehen, die auf die Ver⸗
pflichtung zur Abnahme von Geſchäftsanteilen gerichtet
ſind (JW. 1903 11, 28; RG. 57, 60; JW. 1905 92, 43;
1909 431, 39; Warn. 10, 217). Dieſe ausdehnende Aus⸗
legung der Vorſchrift des § 15 Abſ. 4 iſt geboten mit
Rückſicht auf den Zweck des Geſetzes, den ſpekulativen
Handel mit Geſellſchaftsanteilen zu verhindern, und
mit Rückſicht auf den Willen des Geſetzes, einen
Wechſel der Geſellſchaftsmitglieder nicht zu erleichtern
ſondern zu erſchweren. Eine abweichende Beurteilung
kann auch nicht etwa deshalb eintreten, weil es ſich
nicht um einen Vertrag zwiſchen der Klägerin und
einem Geſellſchafter, ſondern um einen Vertrag zwiſchen
der Klägerin und der Geſellſchaft handelt. Denn dadurch
wird die Gefahr eines ſpekulativen Handels mit Geſell⸗
ſchaftsanteilen, die das Geſetz beſeitigen will, nicht
ausgeſchloſſen. Demgemäß iſt auch der rechtsgeſchäft⸗
liche Erwerb von Geſchäftsanteilen durch die Geſell⸗
ſchaft ſelbſt (JW. 1907 370, 21) für der Form des
$ 15 Abſ. 4 bedürfend erklärt worden und ebenfo
die Vereinbarung, durch die ſich eine G. m. b. H. ver⸗
pflichtet, einen eigenen Geſchäftsanteil einem Dritten
zu verſchaffen und dieſen Geſchäftsanteil auf Verlangen
des Dritten zurückzuerwerben (RG. 76, 306). Denn dieſe
Vorſchrift will alle auf die Verpflichtung zur Abnahme von
Geſchäftsanteilen gerichteten Verträge treffen (JW. 1903
11, 28; 1905 92, 43; 1907 370, 21; RG. 57, 60; 76, 310).
Die Reviſion hat geltend gemacht, das BG. habe über⸗
ſehen, daß die Verpflichtung zum Erwerbe von Geſchäfts⸗
anteilen nicht unmitelbarer Vertragsinhalt geweſen
ſei; der Geſellſchaft ſei es darum zu tun geweſen, daß
die Klägerin 25000 M auf die Geſchäftsanteile einzahle,
die L. zu übernehmen verpflichtet geweſen ſei; nur in
ſelbſtverſtändlicher Folge dieſer Verpflichtung habe die
Klägerin die Anteile von L. übernehmen ſollen. Dieſe
Ausführungen find verfehlt. Das BG. hat die Ber-
pflichtung der Klägerin, 25000 M Geſchäftsanteile der
E.⸗Geſellſchaft zu übernehmen, als einen weſentlichen
Beſtandteil des fraglichen Lieferungsvertrages in der
Art angeſehen, daß ohne dieſe Geſchäftsanteilsübernahme
der ganze Vertrag nicht zuſtandegekommen wäre. Da—
mit will das BG. offenſichtlich ſagen, dieſe Uebernahme
ſei unmittelbarer Gegenſtand des Vertrags geweſen.
(Wird in den folgenden Ausführungen gebilligt). Es
handelt ſich alſo hier nicht um einen Vertrag, bei
dem die Verpflichtung zur Abnahme eines Geſchäfts—
anteils nicht als unmittelbarer Vertragsinhalt, ſondern
408
Zeitſchrift für Rechtspflege in in Bayern. 1914. Nr. 22.
nur als geſetzliche Nebenwirkung einer anderen, den
weſentlichen Inhalt des Vertrages darſtellenden Ver⸗
pflichtung in Frage kommt, wie in JW. 1913 1041, 12,
namentlich nicht um einen Auftrag zum Erwerbe von
Geſchäftsanteilen. Es trifft auch nicht zu, daß es ſich,
wenn L. am 5. September 1911 die fraglichen Geſchäfts⸗
anteile noch nicht gehabt habe, gar nicht um eine Ver⸗
pflichtung der Klägerin zur Abnahme von Geſchäfts⸗
anteilen, ſondern nur um eine Verpflichtung der Klägerin
handeln könne, den Anſpruch des L. gegen die E.⸗Geſell⸗
ſchaft auf Lieferung von Geſchäftsanteilen zu erwerben
Es kann ſehr wohl ein Geſellſchaftsanteil, den ein
Dritter zu erwerben ſich verpflichtet hat, zum Gegen⸗
ſtand eines Vertrages zwiſchen zwei anderen Perſonen
in der Weiſe gemacht werden, daß der eine Vertrag⸗
ſchließende ſich dem anderen gegenüber verpflichtet,
dieſen Geſellſchaftsanteil von dem Dritten zu erwerben.
In dieſer Weiſe iſt der Vertrag zwiſchen der Klägerin
und der E.⸗Geſellſchaft geſchloſſen worden; er hat nicht
einen Anſpruch des L. gegen die E. ⸗Geſellſchaft auf
Lieferung von Geſchäftsanteilen zum Gegenſtande.
Schließlich ſteht der Anwendung des $ 15 Abſ. 4 auch
der Umſtand nicht entgegen, daß L. die Geſchäfts⸗
anteile noch nicht beſaß; denn § 15 Abſ. 4 gilt fogar
ſür die vor dem Abſchluſſe des Geſellſchaftsvertrags
getroffene Abrede über die Abtretung zukünftiger
Geſchäftsanteile einer erſt zu gründenden G. m. b. H.
vgl. JW. 1911 111. 49 und die dort angeführten
Urteile des RG.). (Urt. des III. ZS. vom 30. Juni
1914, III 96,14). — 4 —
313
B. Strafſachen.
J.
Abgrenzung des Anwendungsgebietes der 55 242
und 370 Nr. 5 StGB. bei jortgeſetzter Entwendung.
Aus den Gründen: Die beiden Angeklagten haben
von Ende Auguſt bis 24. September 1913 in ihrer
Mietwohnung wiederholt aus der ſtädtiſchen Gasleitung
unbefugt Gas zu Beleuchtungs- und Kochzwecken ent⸗
nommen. Den Tatbeſtand des 8 242 StGB. verneint
die Strafkammer, weil „für eine Schätzung der ent—
wendeten Gasmenge jeder Anhalt fehle“, im übrigen
aber die Vorausſetzungen des 8 370 Nr. 5 StGB. ges
geben ſeien; auch wenn man eine tägliche Entnahme
unterſtellen wolle, würde der Geſamtwert des Ent⸗
wendeten den Betrag von 2 vis 3 41 kaum überſteigen;
jedenfalls müſſe zugunſten der Angeklagten angenommen
werden, daß es ſich um einen unbedeutenden Wert
im Sinne des 8 370 Nr. 5 handle. Danach iſt man—
gels Strafantrags das Verfahren eingeſtellt worden.
Der Reviſion des Staatsanwalts iſt der Erfolg zu
verſagen. Von der Rechtſprechung des Reichsgerichts
iſt anerkannt, daß eine Uebertretung aus § 370 Nr. 5
StGB. in fortgeſetzter Ausführung eines einheit⸗
lichen Vorſatzes durch eine Reihe jeweils den Tat-
beſtand der Uebertretung erfüllender Einzelhandlungen
als einheitliche Straftat begangen werden kann. Ueber—
ſchreitet die Geſamtheit der auf Grund des einheit—
lichen Vorſatzes entwendeten Gegenſtande nach Menge
oder Wert die Grenzen des 8 370 Nr. 5 St., dann
allerdings iſt dieſe Geſetzesſtelle nicht mehr anwend—
bar, ſondern durch die einheitliche Straftat der Tat—
beſtand des § 242 StGB. begrundet (Entſch. Bd 17
S. 332). Findet jedoch die für eine unbeſtimmte Ans
zahl von Wiederholungen in Ausſicht genommene Fort—
ſetzung von Einzelhandlungen, die jeweils an ſich nur
den Zatbeitand des § 370 Nr. 5 begründen können,
aus irgend einem Grunde ihr Ende, bevor durch die
Geſamtheit des Entwendeten jene Grenze überſchritten
iſt, dann kann durch die bloße Moglichkeit, daß bei
einer weiteren Fortſetzung dieſe Grenze überſchritten
worden wäre, jedenfalls bei den Einzelhandlungen an
dem Tatbeſtand des 8 370 Nr. 5 nichts geändert werden;
ebenſo kann aber die einheitliche Tat nur dieſen Tat-
beſtand, nicht den des 8 242 StB. erfüllen. (Urt.
des I. StS. vom 27. Juni 1914, 1 D 499/14). E.
3460
II.
Unterdrücken einer dem Täter nicht oder nicht anl.
\hlichlich sehörigen Urkunde (8 274 Nr. 1 Ste.).
Aus den Gründen: Der e ee, war auf der
Strecke 3 an den Abbauſtellen 7 weſtlich und 6 öſt⸗
lich als Schlepper beſchaͤftigt. Jeden Kohlenwagen, den
er beförderte, hatte er mit der Nummer 6 oder 7 zu
verſehen. Er bezog für jeden Wagen eine Vergütung
von 13 Pfg. Im Auguſt und September 1912 brachte
er an einzelnen Wagen die Nummer 11 an. Dadurch
wurde bei dem mit der Lohnberechnung beauftragten
Beamten der Grubenverwaltung der Irrtum erregt,
als ob die Wagen von der Strecke 4 Abbauſtelle Nr. 11
kämen. Sie wurden den dort beſchäftigten Arbeitern
i Es ließ ſich nicht ermitteln, daß der
Angeklagte von den bei Stelle 11 beſchäftigten Ar⸗
beitern entſchädigt wurde, von ſeinem Tun hatte er
vielmehr ſelbſt Schaden. Wie die Strafkammer feſt⸗
ſtellt, wollte er nur die Arbeiter von Strecke 3 ſchädigen.
Dafür ſcheute er nicht das Opfer an eigenem Minder⸗
verdienſt von 13 Pfg. für den Wagen. Die Strafkammer
erörtert, ob ſich der Angeklagte der Urkundenfälſchung
i. S. der 88 267, 268 StB. ſchuldig gemacht habe.
Sie verneint dies, weil er nur eine Urkunde mit falſchem
Inhalt hergeſtellt habe. Sie verurteilt ihn aber wegen
Urkundenunterdrückung nach § 274 Ziff. 1 StG. Bei
einer Wagenbeförderung wurde nämlich der Angeklagte
durch den Vorhauer H. überwacht. Dieſer nahm im
September 1912 einen unrichtigerweiſe mit der Num⸗
mer 11 verſehenen Kohlenwagen wahr. Während er
ſich bei den Hauern erkundigte, vertauſchte der miß⸗
trauiſch gewordene Angeklagte die Nummer 11 mit
der richtigen Nummer 7, von deren Vorhandenſein
ſich H. überzeugte. Als der Wagen aber abgeliefert
wurde, trug er wieder die Nummer 11. Durch die
Wegnahme der Nummer 7 ſoll der Angeklagte eine
ihm nicht gehörige Urkunde in der Abſicht unterdrückt
haben, einem andern Nachteil zuzufügen (§ 274 Ziff.!
StGB.). Dieſer Annahme ſtehen rechtliche Bedenken
entgegen. Denn wenn man auch mit der StR. bejahen
würde, daß durch Aufſtecken der Nummer 7 auf den
Wagen eine Urkunde i. S. des 8274 Abſ. 1 StG.
hergeſtellt werden könnte, fehlte es hier doch an dem
Tatbeſtand des Vergehens, weil nicht feſtſteht, daß
eine dem Angeklagten überhaupt nicht oder nicht aus⸗
ſchließlich gehörige Urkunde unterdrückt wurde. Die
Feſtſtellungen der StK. ergeben nämlich folgenden
Sachverhalt: Das unrichtige Kennzeichen am Wagen
war zur Täuſchung der Grubenbeamten beſtimmt.
Ihnen gegenüber wollte der Angeklagte eine irreführende
Erklärung abgeben. Das hat er, was den von H.
beobachteten Wagen betrifft, auch bewirkt: dieſer wurde
den Grubenbeamten mit der irreführenden Nummer 11
zugeführt. Solange der Wagen aber die Nummer 7
aufwies, war er zu täuſchendem Gebrauch den Gruben⸗
beamten gegenüber nicht beſtimmt. In dieſem Zu—
ſtand wollte der Angeklagte wie die Gründe ergeben,
den Wagen nicht abliefern, er wollte nicht die durch
die Nummer vermittelte Erklärung abgeben. Eine
zur Entäußerung beſtimmte Erklärung des Angeklagten,
durch die er ſeinen Willen kundgeben wollte, lag nicht
vor. Ehe es ſoweit kam, wollte er die Nummer wieder
entfernen und hat dies auch getan. 9. ſollte nur vers
hindert werden, die beabſichtigte Täuſchung zu ent—
decken. Der Wagen unterſtand damals der ausſchließ⸗
lichen Verfügung des Angeklagten. Aus der von ihm
bewirkten Kennzeichnung des Wagens mit der Zahl 7
konnten Dritte Rechte nicht herleiten, ſolange der An«
gellagte den Wagen in Beſitz hatte. Wenn der An:
Beitfchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
geflagte, ehe es zum beſtimmungsgemäßen Gebrauch
der Nummer 7 kam, dieſe Zahl entfernte, hat er ſich
nicht anders verhalten als derjenige, der eine von
ihm gefertigte urkundliche Zuſage vernichtet, ehe er
ſie ausfolgt und ehe ein anderer ein Recht an ihr er⸗
wirbt. Er hat eine Erklärung wieder zurückgenommen
ehe er ſie einem andern gegenüber abgegeben hat.
Wenn fie auch 15 einen andern beſtimmt war, ſo
hatte dieſer an ihr doch kein Recht erworben, wonach
ſie ihm auch nur teilweiſe gehörte. Die Grubenbeamten
hatten kein Recht an der Erklärung erworben, der
Angeklagte wollte ihnen ein ſolches auch nicht ein⸗
räumen, ſie wußten nicht einmal etwas von der Aufſteckung
der Nummer 7. H. hat aber die Urkunde nur wahr⸗
genommen. Dadurch iſt er zu ihr in kein Rechtsver⸗
hältnis getreten, wonach die Urkunde als ihm aus⸗
ſchließlich oder teilweiſe zugehörig angeſehen werden
konnte. (Urt. des I. StS. vom 27. Juni 1914, 10 „
3462 .
III.
Beweisantrag oder Beweisermittelungs antrag? Aus
den Gründen: In einem Verfahren wegen Brand⸗
ſtiftung beantragte der geſetzliche Vertreter des An⸗
geklagten „eine Brandprobe vorzunehmen, um feſtzu⸗
ſtellen, wie lange es dauere, bis ein Brett durchbrennt
und die über ihm befindlichen Stangen anglimmen“.
Der Antrag iſt vom Gericht abgelehnt worden, weil
durch das Ergebnis des Augenſcheins im Zuſammen⸗
halt mit dem Gutachten des Sachverſtändigen die Sach⸗
lage genügend aufgeklärt ſei. Stände ein wirklicher
Beweisantrag in Frage, ſo würde dieſe Beſcheidung
nicht ausreichen, ſoweit dadurch beſtimmte Beweistat⸗
ſachen als bereits durch die bisherige Beweisaufnahme
widerlegt bezeichnet wären; allein nach der Faſſung
des Antrages hat der Antragſteller nur Beweisermitte⸗
lungen angeregt, um den Tatbeſtand klar zu ſtellen, nicht
aber beſtimmte Tatſachen unter Beweis geſtellt. Dieſem
Beweisermittelungsantrag gegenüber bedurfte es einer
Beſcheidung in der Richtung, weshalb er rechtlich oder
tatſächlich unerheblich ſei, überhaupt nicht, und es kann
keine Beſchwerde daraus hergeleitet werden, wenn das
Gericht bei der Ablehnung des Antrags zum Ausdruck
brachte, daß es keinen Anlaß habe, im Intereſſe der
Wahrheitsermittelung weitere Erhebungen anzuordnen,
weil die bisherigen Beweisergebniſſe ausreichten. (Urt.
des J. StS. vom 2. Juli 1914, 1 D 346/1914). E.
84161
Oberſtes Landesgericht.
Zivilſachen.
. Kann Jemand feinen Enkel, der fein einziger ehe:
licher Abkömmling iſt, an Kindes Statt aunehmen 7 (8 1741
BGB.). Grundſätze für die ee Aus
den Gründen: Wenn man ſich nur an den Wort:
laut des 8 1741 Satz 1 BGB. hält, ſcheint es keinem
Zweifel zu unterliegen, daß die Frage zu verneinen iſt.
Denn wenn der $ 1741 Satz 1 demjenigen, der feine
ehelichen Abkömmlinge hat, erlaubt, durch Vertrag mit
einem anderen dieſen an Kindes Statt anzunehmen, ſo
iſt unter dem „anderen“ eine Perſon zu verſtehen, die
eben kein ehelicher Abkömmling iſt. Allein der Wort:
laut des § 1741 Satz 1 druckt den Gedanken des Geſetz⸗—
gebers nicht in ganz zuverläſſiger Weiſe aus, wie in
der Rechtslehre ſchon wiederholt bemerkt worden iſt
(vgl. Opet⸗Blume, Familienrecht Erl. zu 8 1741 BGB.,
Müller im Ziv. Archiv 95, 256 ff.). Dies iſt wenigſtens
nach einer Richtung zweifellos. Denn nach dem Wort—
laute des § 1741 würde das Vorhandenſein eines legiti⸗
mierten Kindes die Annahme an Kindes Statt nicht aus—
ſchließen, weil ein legitimiertes Kind zwar die Rechts
409
ſtellung eines ehelichen Kindes erlangt (SS 1719, 1736
BGB.), aber deshalb nicht ein eheliches Kind iſt, ſo⸗
wenig als ein uneheliches Kind ein eheliches Kind ſeiner
Mutter iſt, trotzdem es dieſer gegenüber nach dem 8 1705
BGB. die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes
hat. Gleichwohl kann nicht mit Grund bezweifelt werden,
daß auch wer nur ein legitimiertes Kind hat, nicht einen
anderen an Kindes Statt annehmen kann. Es ergibt ſich
dies überdies aus der Vorſchrift in $ 1743 BGB., daß
das Vorhandenſein eines angenommenen Kindes einer
weiteren Annahme an Kindes Statt nicht entgegenſteht.
Dieſe Ausnahme wäre überflüſſig, wenn im 8 1741
Satz 1 unter die ehelichen Abkömmlinge diejenigen nicht
zu begreifen wären, die nur die rechtliche Stellung eines
ehelichen Abkömmlings erlangt haben (vgl. Dritten⸗
berger im Arch ZivPrax. 95, 451, Thieſing daſ. 91,
434). Blickt man auf den geſetzgeberiſchen Grund,
warum das Vorhandenſein eines ehelichen Abkömmlings
die Annahme an Kindes Statt ausſchließt, ſo ergibt ſich,
daß mit ihm der aus dem Wortlaute des 8 1741 Satz 1
zu folgernde Ausſchluß der Annahme des eigenen
Enkels an Kindes Statt, auch wenn der Anzunehmende
der einzige eheliche Abkömmling des Annehmenden iſt,
nicht vereinbar iſt. Nach den Geſetzgebungsverhand⸗
lungen muß davon ausgegangen werden, daß die Gründe,
welche den Entwurf nach deſſen Motiven beſtimmten,
für die Vorſchrift des 8 1741 auch in ihrer endgültigen
Faſſung maßgebend waren. Es findet ſich wenigſtens
nirgends ein Anhalt, daß der Entwurf! Loder der Bundes⸗
rat oder der Reichstag einen abweichenden Standpunkt
eingenommen hätten. Hiernach will die Vorſchrift,
welche die Annahme an Kindes Statt für den Fall des
Vorhandenſeins eigener Abkömmlinge verbietet, ver⸗
hüten, daß die ehelichen Abkömmlinge verkürzt werden
(vgl. Mot. IV, 957 und 958; Prot. IV, 719 und 720).
Von einer ſolchen Verkürzung kann aber ſelbſtverſtänd⸗
lich nicht die Rede ſein, wenn der Anzunehmende der
einzige eheliche Abkömmling des Annehmenden iſt.
Es darf deshalb unbedenklich angenommen werden, daß
der Wortlaut des $ 1741 Satz 1 BGB. auch hinſichtlich
der hier zu entſcheidenden Frage ungenau iſt. Es iſt
Aufgabe des Richters, den wahren Sinn einer geſetz⸗
lichen Vorſchrift zu ermitteln, einen unvollſtändigen
Ausdruck zu ergänzen, oder einen Ausdruck richtig zu
ſtellen, bei deſſen Wahl der Geſetzgeber ſich vergriffen
hat. Freilich darf der Richter hierbei der Geſetzesvor⸗
Kar nicht einen Sinn beilegen, der mit den Worten
es Geſetzgebers ſchlechterdings nicht zu vereinbaren
iſt. Die Auslegung muß in den Worten immerhin ge⸗
funden werden können und als Gedanke des Geſetz⸗
gebers darf nichts feſtgeſtellt werden, was mit dem
Wortlaut in Widerſpruch ſteht; die gebrauchten Worte
dürfen lediglich einen nicht völlig entſprechenden Aus⸗
druck des Gedankens des Geſetzgebers darſtellen. Würde
die Auslegung ſich über den Wortlaut des Geſetzes
hinwegſetzen, ſo würde damit gegen den oberſten Grund⸗
ſatz verſtoßen, daß nur das erklärte Wort des Geſetz⸗
gebers Geſetzeskraft haben kann. Bei nicht völlig klaren
Willenserklärungen des Geſetzgebers iſt derſelbe Weg
geboten, der nach 8 133 BG. bei Willenserklärungen
von Privatperſonen einzuſchlagen iſt, nämlich die Er⸗
forſchung des wirklichen Willens und die Nichtbeachtung
des buchſtäblichen Sinnes des Ausdrucks. Wenn der
Wortlaut einer Geſetzesbeſtimmung zu einem unver⸗
nünftigen oder der Abſicht des Geſetzgebers offenſichtlich
widerſtreitenden Ergebnis führt, jo kann daraus ges
ſchloſſen werden, daß die Vorſchrift, nach dem Buch⸗
ſtaben angewendet, auf den zur Entſcheidung ſtehenden
Fall nicht paßt, und daß eine Lücke, eine zu enge oder
zu weite Faſſung des Geſetzes vorliegt. Geht man
hievon aus, ſo iſt klar, daß es nicht gegen den Zweck
des Geſetzes verſtößt, wenn den Großeltern geſtattet
wird, den einzigen ehelichen Abkömmling ihres einzigen
ehelichen Kindes an Kindes Statt anzunehmen. Dazu
kommt, daß für die Annahme des eigenen Enkels an
410
Kindes Statt auch ein ſachlich gerechtfertigtes Bedürfnis
beſtehen kann. Dies beweiſt gerade der vorliegende
Fall, wo die Großmutter die Annahme ihrer Enkelin
an Kindes Statt anſtrebt, damit ſie ihr nicht ſpäter von
dem Vater nach Belieben entzogen wird, nachdem ſie
von ihr aufgezogen und unterhalten worden iſt. Die
Annahme des eigenen Enkels an Kindes Statt haben
auch nachweisbar die Verfaſſer des Entwurfs I für zu»
läſſig erachtet; denn ſie erwähnen an anderer Stelle
(Mot. IV S. 1051), bei der Berufung zur Vormund⸗
ſchaft, in der Begründung zu 8 1635 des Entwurfs —
8 1776 des Geſetzes — den Fall, wenn der leibliche
Großvater ſeinen Enkel an Kindes Statt angenommen
hat. Würde man den § 1741 BGB. fo auslegen wie
das LG., ſo könnte hiebei nur die Annahme des Kindes
der unehelichen Tochter oder die Annahme des unehe⸗
lichen Kindes der verſtorbenen ehelichen Tochter in Bes
tracht kommen. Nichts deutet darauf hin, daß nur
dieſe Ausnahmefälle in das Auge gefaßt waren; auch
bei den Kommiſſionsberatungen (vgl. Prot. Bd. 4
S. 745 — 747) und in den geſetzgebenden Körperſchaften
wurde kein Widerſpruch gegen die uneingeſchränkte
Bemerkung der Motive laut. Der unehelichen Mutter
iſt — wenigſtens nach der weit überwiegenden herr⸗
ſchenden Anſicht (vgl. Kipp⸗Wolff, Familienrecht 1914
S. 344, a. A. Bergk Familienrechtliche Streitfragen 1914
S. 5) — nicht verwehrt ihr eigenes uneheliches Kind
an Kindes Statt anzunehmen, damit ſie ſich die volle
rechtliche Stellung einer ehelichen Mutter, beſonders
die elterliche Gewalt über ihr uneheliches Kind ver⸗
ſchaffe. Da man, wie ausgeführt, unter den ehelichen
Abkömmlingen i. S. des § 1741 Satz 1 auch diejenigen
verſtehen muß, welche zwar nicht eheliche Abkömmlinge
ſind, jedoch die rechtliche Stellung von ehelichen Ab—
kömmlingen erlangt haben, ſo würde der Wortlaut
des 8 1741 Satz 1 — ſtreng genommen — auch der
Annahme eines unehelichen Kindes durch ſeine Mutter
entgegenſtehen. Gleichwohl halten die Mot. IV S. 958
die Zuläſſigkeit einer ſolchen Annahme für ſelbſtver⸗
ſtändlich. Der Großvater darf nach der herrſchenden
Anſicht ſeinen unehelichen Enkel (das uneheliche Kind
ſeiner verſtorbenen ehelichen Tochter) an Kindes Statt
annehmen. Es würde an jedem inneren Grunde fehlen,
wenn er ſeinen einzigen ehelichen Enkel (das eheliche
Kind feines verftorbenen ehelichen Kindes) nicht ſollte
an Kindes Statt annehmen dürfen. Schließlich iſt noch
darauf hinzuweiſen, daß im Gebiete des Gemeinen
Rechtes die adoptio plena, die Annahme des eigenen
Enkels an Kindes Statt durch den Großvater ſo ſehr
für ſelbſtverſtändlich gehalten wurde und gebräuchlich
war, daß die Motive zum Entwurf eines BGB. ſicherlich
die Beſeitigung dieſer Möglichkeit ausführlich begründet
hätten (vgl. Friedrichs in der 233. 1901 S. 47). In
den Motiven findet ſich aber hierüber keine Bemerkung,
ebenſowenig in der Begründung des Redaktorenent—
wurfes, wohl aber handeln beide (vgl. Mot. IV S. 954)
eingehend davon, daß der Unterſchied zwiſchen der
adoptiv plena und minus plena wegfalle und nach dem
BGB. jede Annahme eines Minderjährigen die volle
elterliche Gewalt des Annehmenden begründe. All dies
führt zu dem Schluſſe, daß es nicht zuläſſig iſt, der
Beſchwerdeführerin die Annahme ihrer Enkelin, die
ihr einziger ehelicher Abkömmling iſt, zu verwehren.
(Beſchluß des J. 35. vom 22. Sept. 1914, Reg. III
Nr. 34/1914). M.
405
O berlandesgericht Nürnberg.
Ueber die ſog. privilegierten Schützengeſellſchaften
in Bayern und die Stellung des Schutzenkommiſſariats.
Ausſchließung von der Mitgliedſchaſt. Beſchreitung
des Zivilrechtswegs. Zuſtändigkeit der Generalver⸗
ſammlung. Tagesordnung hierfur. Vorladung und
Beitjift für Kegtapflege n Bapern. 1914. Nr. 2.
|
Anhörung dei auszuſchließenden Mitglieds. Bearün-
dung des 7 anf Ausſchließung und Mitteilung
an das Mitglied. Vorlänſige Vollſtreckbarkeit des Ur:
teils. (K. B. BO. vom 25. Auguſt 1868, betr. eine allgem.
Schützenordnung, 88 25, 32, 39 BGB., Art. 82, 163
EG. BGB.; 58 709, 710 ZPO.).
Aus den Gründen: Im 8 2 der allg. Schützen⸗
ordnung (= Sch.) iſt beſtimmt: „Den zurzeit be
ſtehenden, ſowie den ſich neubildenden Schützengeſell⸗
ſchaften ſteht es frei, ob fie die gegenwärtige SchO. an»
erkennen wollen oder nicht. Im erſteren Falle erhalten
ſie kraft dieſer Anerkennung und auf ſolange, als ſie
dieſelbe nicht zurücknehmen, die Rechte einer Korpo⸗
ration; im letzteren Falle aber bemeſſen ſich eh Ver⸗
hältniſſe lediglich nach den Beſtimmungen des Ge⸗
ſetzes vom 26. Februar 1850, die Berfammlungen und
Vereine betr., ſofern ſie nicht nachzuweiſen vermögen,
daß ſie ſich infolge älterer Privilegien im Beſitze
korporativer Rechte befinden.“ Als Zweck der Schüt⸗
zengeſellſchaften iſt im 8 1 ShO. die Vereinigung
ihrer Mitglieder zu gemeinſchaftlichen Schießübungen
bezeichnet, um a. fortgefegte Handhabung der
Feuerwaffe und durch Förderung des Schützenweſens
im allgemeinen die Wehrkraft des Volkes zu erhöhen.
Die beklagte Schützengeſellſchaft hat bei ihrer Grün⸗
dung die SchO. als Satzung angenommen. Damit
hat fie auf Grund des 8 2 Abſ. 2 Scho. die
Rechte einer juriſtiſchen Perſon erlangt. Es fragt ſich,
ob ſie eine juriſtiſche Perſon des öffentlichen Rechts
oder des Privatrechts geworden iſt. Hierüber be⸗
ſtehen verſchiedene Anſichten. Während in der Hand⸗
ausgabe zu den Bayer. AG. BGB. von Henle⸗Schneider
2. Aufl. S. 18 und in Aufſätzen in der Bay f. 18
S. 104, 164 und 299 den Schützengeſellſchaften, welche
die SchO. als Satzung angenommen haben, die ECigen⸗
ſchaft von Körperſchaften des öffentlichen Rechts bei⸗
gelegt wird, werden ſie in einem Aufſatz der gleichen
Zeitſchrift 1908 S. 121 als juriſtiſche Perſonen des
Privatrechts betrachtet. Richtig iſt, daß Schützenge⸗
ſellſchaften, welche die SchO. als Satzung angenom⸗
men haben, unter gewiſſer ſtaatlicher Aufſicht ſtehen.
Es muß bei jeder ſolchen Schützengeſellſchaft ein
Schützenkommiſſariat beſtehen, das nach SS 4 und 8
SchO. von der Diſtrikspolizeibehörde ernannt wird
und in den durch die SchO. beſtimmten Fällen das
öffentliche Intereſſe zu wahren und die ſtaatliche Auf⸗
ſicht zu handhaben hat. In gewiſſen Fällen, ſo nach
ss 5 Abſ. b, 13 Abſ. 3 SchO., iſt zu Beſchlüſſen die
Zuſtimmung des Schützenkommiſſariats erforderlich,
es hat nach den 88 18, 19 a. a. O. in bezug auf die
Generalverſammlung beſtimmte Rechte und kann nach
8 21 Beſchlüſſe der Generalverſammlung über die Ver⸗
äußerung oder Verpfändung des Geſellſchaftsverms⸗
gens hemmen. Nach 8 41 find ihm die Rechnung des
vergangenen Jahres und der Etat des nächſten Jahres
zur Kenntnis zu übergeben. Endlich ſteht nach 8 27
dem Schützenkommiſſariat frei, Aufſchlüſſe bezüglich
der Aufnahme, des Austritts oder des Ausſchluſſes von
Mitgliedern zu verlangen. In der SHO. iſt aber
die Entſcheidung von Streitigkeiten über Aufnahme
und Ausſchließung von Mitgliedern nicht dem Schützen⸗
kommiſſariat oder der Diſtriktsverwaltungsbehorde
übertragen, welche Entſcheidung z. B. nach dem die
Innungen betreffenden 8 96 GewO. ausdrücklich der
unteren Verwaltungsbehörde übertragen worden iſt.
Vielmehr iſt die Faſſung des Beſchluſſes auf Aus:
ſchließung von Mitgliedern der Generalverſammlung
überlaſſen. Während nach § 38 dem Verurteilten
gegen Strafbeſchlüſſe des Geſellſchaftsausſchuſſes die
Berufung an die nächſte Generalverſammlung als
letzte Inſtanz geſtattet iſt, fehlt in der Schü. jede
Beſtimmung darüber, wie der gänzliche Ausſchluß.
der nach SS 36, 16 nicht durch den Geſellſchaftsaus—
ſchuß, ſondern nur durch die Generalverſammlung
verfügt werden kann, von dem ausgeſchloſſenen Mit—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
glied angefochten werden kann. Nach 88 21, 45 SchO.
kann zwar die Schützengeſellſchaft gegen Verfügungen
des Schützenkommiſſariats Beſchwerde zur Diſtrikts⸗
verwaltungsbehörde und weitere Beſchwerde zur Kreis⸗
regierung erheben; dagegen fehlt jede Beſtimmung
darüber, daß dem ausgeſchloſſenen Mitglied das Recht
zuſtände, gegen feine Ausſchließung Beſchwerde zum
Schützenkommiſſariat oder gegen deſſen Beſcheid Be⸗
ſchwerde zur Diſtriktsvberwaltungsbehörde zu erheben.
Aus dem Fehlen dieſer Beſtimmung iſt zu ſchließen,
daß die Prüfung der Frage, ob ein Ausſchließungs⸗
beſchluß mit Recht ergangen iſt oder nicht, nicht dem
Schützenkommiſſariat, ſondern dem Gerichte zuſteht
und daher der Rechtsweg zuläſſig iſt. Es kann alſo
dahingeſtellt bleiben, ob die beklagte Geſellſchaft eine
juriſtiſche Perſon des öffentlichen Rechts oder des
Privatrechts if. Daher kann auch 8 89 BGB. hier
nicht in Betracht kommen. Da Art. 82 CG. BGB.
nach ſeiner Entſtehungsgeſchichte nur au wirtſchaft⸗
liche Vereine anwendbar iſt, ſo ſind auf die Beklagte,
die ideale Zwecke verfolgt, nach Art. 163 FG. BGB.
die 88 25—53, insbeſondere die 588 25, 32, 39 BGB.
anzuwenden. Die ſachliche Seite des Ausſchließungs⸗
beſchluſſes, d. h. die Srage, ob ein triftiger Anlaß zur
Ausſchließung vorgelegen 523 kann hiernach vom Ge⸗
richte nie nachgeprüft werden, wohl aber die Frage,
ob bei der Ausſchließung die durch die Satzung vor⸗
geſchriebenen Formen und Vorſchriften eingehalten
worden ſind.
Die Beanſtandung des Klägers, es hatte nicht ſo⸗
fort die Generalverſammlung die Ausſchließung be⸗
ſchließen dürfen, ſondern zuerſt ein Strafbeſchluß des
Geſellſchaftsausſchuſſes erfolgen ſollen, trifft nicht zu;
denn nach 88 36, 16 Abſ. 3d, 34 SchO. kann der
ee Ausſchluß aus der Geſellſchaft nur durch
eſchluß der Generalverſammlung als Strafe verfügt
werden. Dagegen ſind die übrigen Beanſtandungen
begründet. Nach 8 36 SchH. kann eine Strafe, als
welche ſich nach 8 35 a. a. O. auch der gänzliche Aus⸗
ſchluß aus der Geſellſchaft darſtellt, nur nach Unter⸗
ſuchung der Sache durch einen Schützenmeiſter und
nach Vernehmung des Beteiligten verhängt werden.
Es kann dahingeſtellt bleiben, ob in einer mehrere
Wochen vor der Generalverſammlung einberufenen
außerordentlichen Sitzung des Ausſchuſſes in Gegen⸗
wart der beiden Schützenmeiſter die Sache durch ein⸗
gehende Beſprechung des Falls unterſucht wurde.
Der Kläger iſt zu dieſer Ausſchußſitzung nicht beige⸗
zogen worden; das iſt zwar nicht vorgeſchrieben,
aber ohne Vernehmung des Beſchuldigten iſt eine
ordnungsmäßige Unterſuchung nicht denkbar. Es
wird behauptet, daß ſich der zweite Schützenmeiſter
wiederholt mit dem Kläger über ſein Benehmen unter⸗
halten und ihm geſagt habe, es könne ſo nicht weiter⸗
gehen, es hätten hiewegen ſchon Mitglieder mit Aus⸗
tritt gedroht. Zu Unrecht wird in dieſen Unter⸗
redungen eine Vernehmung des Klägers erblickt; denn
ſolche Unterredungen können die im 8 36 SHO. vor⸗
geſchriebene Vernehmung nicht erſetzen; dieſe ſetzt
voraus, daß der Schützenmeiſter dem Beteiligten die
einzelnen Punkte der Beſchuldigung genau unter Be⸗
kanntgabe des Ergebniſſes der Unterſuchung vorhält,
ihn zur Verantwortung auffordert und ihn auf die
Strafe hinweiſt. Der Kläger wurde nicht fo ver»
nommen. Eine Vernehmung vor der Generalver⸗
ſammlung iſt alfo nicht erfolgt. Da die SchO. Gegen⸗
teiliges nicht beſtimmt, kann allerdings Unterſuchung
und Vernehmung auch erſt in der General verſamm—
lung geſchehen. Hierzu muß aber der Beteiligte ord—
nungsmäßig geladen werden. Nach 8 18 Abſ. 3 Scho.
geſchieht die Berufung zur Generalverſammlung unter
Fertigung des Schützenmeiſteramts u. a. durch ge—
ſonderte Ladung. Daß hiebei jedem Geſellſchaftsmit—
gliede die Tagesordnung bekanntgegeben werden
muß, iſt im § 18 Abſ. 3 nicht erwähnt. Nach 8 18
411
Abſ. 2 iſt aber eine Tagesordnung der Generalver⸗
ſammlung zu entwerfen und dem Schützenkommiſſariate
zur Einſicht unter Einladung zur Teilnahme vorzu⸗
legen. Daraus folgt, daß 2 den Mitgliedern zu⸗
gleich mit der Ladung die e bekanntzu⸗
geben iſt; jedenfalls hat dies nach 8 32 BGB. zu
geſchehen, der hier ergänzend anzuwenden iſt. In der
Ladung, die dem Kläger zugeſandt wurde, war als
Gegenſtand der e „der Ausſchluß eines
Mitglieds“ bezeichnet, ohne daß deſſen Name ange⸗
geben war. Es kann desen bleiben, ob damit
die Tagesordnung für die übrigen Mitglieder ge⸗
nügend bezeichnet war, für den Kläger genügte dieſe
Bezeichnung nicht. Er war vor der Generalverſamm⸗
lung noch nicht vernommen worden, und mußte da⸗
ber, da er ein Recht auf Gehör hatte, ſpäteſtens in
er Generalverſammlung vernommen oder wenigſtens
mit dem Beifügen geladen werden, daß er zunäch
über die Beſchuldigung vernommen werde. Denn erſt
nach der Vernehmung oder im Falle des Nichterſchei⸗
nens trotz Vorladung zur Vernehmung kann ein Mit⸗
glied ausgeſchloſſen werden. Gegenſtand der Tages⸗
ordnung war daher nicht nur die Beſchlußfaſſung über
die Ausſchließung des Klägers, ſondern auch deſſen
Vernehmung. Seine Ladung hiezu wäre ohne beſon⸗
dere Koſten in einem verſchloſſenen Briefe möglich ge⸗
weſen; da ſie nicht unter Bekanntgabe dieſer Tages⸗
ordnung erfolgt iſt, war ſie nicht ordnungsmäßig.
Ein förmlicher Strafbeſchluß wurde überhaupt nicht
gefaßt. Nach 8 36 Sch̃O. find in dem Strafbeſchluß
deſſen Gründe anzuführen. Nach dem Protokoll wur⸗
den gegen den Kläger von zwei Mitgliedern zwei Beſchul⸗
digungen erhoben, nämlich die einer bedrohlichen
Aeußerung gegen die Geſellſchaft und die einer ano⸗
nymen Anzeige an das Bezirksamt. Nachdem zum
letzten Punkte ein Mitglied bemerkt hatte, daß der
Kläger auszuſchließen ſei, wenn man in den Schrift⸗
zügen die Handſchrift des Klägers erkannt habe, wurde
auf Antrag des Schützenmeiſters abgeſtimmt. Das
Protokoll läßt nicht erſehen, ob die Ausſchließung
wegen der beiden Beſchuldigungen oder nur wegen
einer beſchloſſen wurde, es enthält alſo keinen mit
Gründen verſehenen Strafbeſchluß. Dem Kläger hat
das Schützenmeiſteramt ſeine Ausſchließung ohne Be⸗
kanntgabe der Gründe mitgeteilt. Die SchO. ſchreibt
zwar die Mitteilung der Gründe nicht vor. Aber nur
durch die Gründe kann feſtgeſtellt werden, ob die
Ausſchließung aus einem ſatzungsmäßigen Grunde
erfolgt iſt. Wenn auch der Kläger vielleicht vor ſei⸗
ner Ausſchließung ſeinen Austritt erklärt hat, ſo kann
er doch die Aufhebung eines nach ſeiner Anſicht zu
Unrecht ergangenen Ausſchließungsbeſchluſſes durch
Klage verlangen; denn es iſt ein großer Unterſchied,
ob die Mitgliedſchaft durch Austritt oder durch Aus⸗
ſchluß endet. Das LG. hat ſonach mit Recht die
. des Ausſchließungsbeſchluſſes feſt⸗
geſtellt.
Der Kläger war an ſich berechtigt durch Anſchluß⸗
berufung die vorläufige Vollſtreckbarkeit des ange⸗
fochtenen Urteils zu beantragen (OL GRſpr. 5, 119).
Dieſe Anſchlußberufung war aber als unbegründet
zurückzuweiſen, da das angefochtene Urteil in der
Hauptſache nur auf Feſtſtellung lautet und die in
einem ſolchen Urteil enthaltene Koſtenentſcheidung
weder ohne noch gegen Sicherheitsleiſtung für vor⸗
läufig vollſtreckbar erklärt werden kann (88 709 Nr. 4,
710 8PO.). (Urt. des I. 35. vom 17. April 1914,
L. 202/13). Br.
3386
Bücheranzeigen.
ixen, Dr. Peter, leitender Arzt der Beobachtungs⸗
abteilung für geiſteskranke Gefangene am K. Straf⸗
gefängnis in Breslau. bal rage der Anrech⸗
nung des Irrenanſtalts aufenthaltes auf
die Strafzeit. Ein Beitrag zur Reform der
StPO. 91 S. Halle a. S. 1914, Carl Marhold.
2.20 Mk. [ Juriſt.⸗pſychiatr. Grenzfr. IX. Bd., Heft 7,8.
Verfaſſer, der ſchon früher über die Frage ge⸗
ſchrieben hat,) bietet hier eine eingehendere Darſtellung.
Er beſpricht zunächſt die Entſtehung des 8 493 StBO.,
ſtellt dann die einſchlägige juriſtiſche und pſychiatriſche
Literatur, ſowie die Judikatur zuſammen und gewinnt
daraus feine Vorſchläge für die neue StPO., die *
mit denen Aſchaffenburgs decken und auf unterſchieds⸗
loſe, obligatoriſche Anrechnung des Irrenanſtaltsauf⸗
Aa ba hinauslaufen. u wiederholt feinen
früheren!) Vorſchlag, dem 8 493 Abſ. 1 StPO. fol»
gende Sätze beizufügen: „Dies gilt auch für ſolche Ver⸗
urteilte, welche wegen Geiſteskrankheit in eine Irren⸗
anſtalt gebracht werden. Eine Strafunterbrechung
findet in einem ſolchen Falle nicht ſtatt“. Anlaß hierzu
gibt ihm die mit 8 493 StPO. kaum zu vereinbarende
preußiſche Praxis, die Strafvollſtreckung jeweils durch
ausdrückliche Verfügung förmlich zu unterbrechen, um
den Krankenhausaufenthalt in die Strafzeit nicht ein⸗
rechnen und die Staatskaſſe (Juſtizverwaltung) dem⸗
gemäß mit den Koſten dieſes Aufenthalts nicht belaſten
zu müſſen.
München.
Warneher, Dr. Otte, Amtsgerichtsrat. Konkurs⸗
ordnung, erläutert | die Rechtſprechung und
die Materialien ſowie verſehen mit Hinweiſen auf
die einſchlägige Literatur. 240 S. 117 3 1913,
Roßberg'ſche Verlagsbuchhandlung. Mk. 3.—.
Der Verfaſſer erläutert hier die KO. aͤhnlich, wie
er das B88. und die ZPO. bearbeitet hat. Er bringt
zu den einzelnen Vorſchriften Nachweiſe aus der Literatur
und reiht dieſen Sätze aus der Rechtſprechung an.
Weiter ſind da und dort die Materialien bezeichnet.
3 wird auf den Kommentar von Jaeger verwieſen.
In der vom Verfaſſer ſelbſt gezogenen Beſchränkung
iſt das Buch eine für die Praxis wertvolle Bereicherung
der — abgeſehen von dem großen Werke Jaegers und
von ſyſtematiſchen Arbeiten — immerhin ſpärlichen
neueren konkursrechtlichen Literatur. B.
Licht, Gruft, Juſtizrat, Rechtsanwalt in Cöln. Die
Kriegsgeſetze des bürgerlichen Rechts für
Laien und Juriſten. VI, 71 S. Stuttgart 1914,
Verlag von W. Kohlhammer. Mk. 1.—.
Das in erſter Linie für Laien berechnete Buch
enthält eine kurze ſyſtematiſche Darſtellung des Ein⸗
fluſſes des Krieges auf das Prozeßrecht, auf Verträge
und auf die freiwillige Gerichtsbarkeit. Ein Teil der
fog. Kriegsgeſetze und der hierzu ergangenen Vollzugs-
erlaſſe iſt im Anhang abgedruckt. Schi
Schneider, Nudelf, Landrichter. Zivilprozeſſe für
den Rechtsunter richt, insbeſondere für die
Referendarübungen. 119 S. Berlin 1914, J. Gutten⸗
tag VBerlagsbuchhandlung. Mk. 2.40.
Die Fälle ſind anregend und geſchickt bearbeitet.
Sie bieten gerade ſo viel Schwierigkeiten, als nötig
ſind, um den Leſer zum Nachdenken anzureizen, ihn
aber nicht vor der Schwierigkeit der Aufgabe verzagen
zu laſſen. Dennoch habe ich mich gewundert, daß dieſe
1) Vgl. Pſuchlatr.⸗neurolog. Wochenſchr. X (1908) S. 733.
Dr. Doerr.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 22.
Aufgaben in erſter Linie für Referendare berechnet
find. Wer hat nun Recht 7 Die Profeſſoren, die ihren
Hörern viel ſchwerere Fälle zumuten, oder der Praktiker,
der den Referendaren mit leichteren Fällen kommt ?
Irgend ein Fehler in der Abſtandsſchätzung iſt da ſicher
emacht worden. Mir ſcheint das Recht bei dem
raktiker zu ſein.
Münſter.
Friedrichs, Dr. Karl, Juſtizrat, Rechtsanwalt in Düſſel⸗
dorf. Handbuch der Prozeßpraxis. Zweite,
ergänzte und verbeſſerte Auflage. I. Bd.: Allgemeiner
Teil. Recht der Schuldverhältniſſe, 816 S. II. Bd.:
Sachenrecht und andere abſolute Rechte, Familien⸗
55 Erbrecht, Zivilprozeſſe aus dem Verwaltungs
Brofeffor Dr. Krückmann.
recht. 635 S. Berlin 1913, Carl Heymanns Verlag.
Mk. 30.—, geb. Mk. 32.—.
Dieſes Werk rechne ich zu den erſtaunlichſten
Leiſtungen wiſſenſchaftlichen Fleißes. Fr. erſtrebt etwas
Unmögliches: in ſyſtematiſchem Aufbau im ganzen, in
katalogartiger, tabellariſcher Form im einzelnen, bei
größter Ueberſichtlichkeit und gedraͤngteſter Kürze möchte
er alle vor dem ordentlichen Zivilgericht oder dem
Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltend zu
machenden Anſprüche und Einwendungen ſkizzieren,
die auf Reichsgeſetzen beruhen, die am 1. Januar 1913
in Kraft waren, einerlei ob ſie dem Zivilrecht oder
dem Verwaltungsrecht angehören. Bei all dieſen An⸗
ſprüchen möchte Fr. alle Geſetzesſtellen heranziehen,
die auf ihre Begründung, Höhe, gerichtliche Leltend⸗
machung oder Beſeitigung Einfluß haben! Solch hohes
Streben erinnert an das Mühen der Geſetzgeber des
preußiſchen allgemeinen Landrechts; die unendliche
Vielgeſtaltigkeit des Lebens ſpottet aller menſchlichen
Regiſtrier⸗Vermeſſenheit. Doch hat auch hier das große
Wollen Großes vollbracht.
Friedrichs Werk, der äußeren Form nach eine An⸗
leitung zur Abfaſſung von Klagen und Klagbeant⸗
wortungen, wird namentlich den Rechtsanwälten un⸗
ſchätzbare Dienſte leiſten; bei Ausarbeitung einer Klage,
wo uns die Sorge um eine erſchöͤpfende Berückſichti⸗
ung aller in Betracht kommenden Geſichtspunkte und
atbeſtände erfüllt, damit wir nicht, wenn es zu ſpaͤt
ift, vor der Notwendigkeit einer Klagänderung ſtehen,
wie bei der Vertretung des Beklagten, wo alle recht⸗
lichen Einwendungen zu erwägen find. Solch einen
Rechtsbeiſtand begehrt auch der beſchäftigte und er⸗
fahrene Anwalt; denn gerade im Drange der Geſchäfte
kann leicht etwas überfehen werden. Dazu treten die natuͤr⸗
lichen Schwierigkeiten, wenn es ſich um eine Tätigkeit
auf einem fernerliegenden Gebiete handelt. 5 ver⸗
weiſe da nur auf einige Stichworte aus dem Inhalts⸗
verzeichnis: Berufsgenoſſenſchaften, Innungen uſw.
Krankenkaſſen uſw., Verſicherungsanſtalten. Verſiche⸗
rungs vereine auf Gegenſeitigkeit, Auswanderungsver⸗
trag, Kriegsleiſtungen und Enteignung, Klagen gegen
Abgaben und polizeiliche Verfügungen. Aber auch auf
den anderen Gebieten, die uns in der täglichen Praxis
näherliegen, werden wir bei Friedrichs wertvolle Hilfe
finden. So widerſinnig es klingt, konnte man gerade
in dem ungeheuren Reichtum des Werkes einen Hinde⸗
rungsgrund für die Benutzung Per denn es iſt troß
des ausführlichen Inhaltsverzeichniſſes und trotz des
gründlich gearbeiteten Sachverzeichniſſes mitunter nicht
leicht, zu finden, was man ſucht. Darum iſt ein Ge⸗
ſetzesregiſter, das die 2. Auflage durch ein alphade⸗
tiſches Wörterverzeichnis erſetzen will, daneben doch
noch zu wünſchen.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Verantwortl. Herausgeber i. B.: E. Eckert, Land:
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
ur. 23. München, den den 1. Dezember 1914. — 10. 10. Jahrg.
— — —. .. ̃ ͤ—k— —
Zeitfhrift für Bechtapflegt
Herausgegeben von Verlag von
entered fl Bühkrn . e
Staate miniſterium der Juſtig. Alinchen, Berlin u. Keipsig.
(Seufferts Blätter für Rechtsanwendung Sd. 79.)
Leitung und Geſchäftsſtelle: München, Ottoſtraße 1a,
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Die Zeitſchrift erſcheint am 1. und 15. jedes Monats //.
In . von mindeſtens 2 Bogen. Preis vierteljährlich [:
Pik. 8.—. Beſtellungen übernimmt jede Buchhandlung und
ede Poſtanſtalt.
—
Nachdruck verboten. 413
reinlich zu ſcheiden, wird er ſofort erkennen, daß
EN 5 hier auf 50 1 1 10 5
on Dr. Hermann Rehm, rechtigkeitsſtandpunkt ſcharf zu trennen find. Wie
eee DER ee Strafe ee | ſteht die Frage rechtlich, wie fteht die Frage ſittlich?
Die deutſchen Staaten haben bei Kriegsaus⸗ Rechtlich handelt es ſich um das Weſen des
Amneftie und Koſtenvorſchuß.
bruch den Kriegsteilnehmern einen großen Teil Koſtenvorſchuſſes. Nach dem RGKG. $ 83 im
der über fie verhängten Strafen in Gnaden er: Zuſammenhalt mit RStPO. 8 498 erſcheint der
laſſen. Eine Reihe der verbündeten Regierungen Koſtenvorſchuß als eine Koſtenerhebung vor Ent:
iſt weiter gegangen und hat im Gnadenwege ſtehung der Koſten und nur in vorläufiger Weiſe.
gegenüber Kriegsteilnehmern auch die gerichtlichen § 83 GKG. beſtimmt: „In Strafſachen iſt vom
Strafkoſten niedergeſchlagen. Durch dieſen Ver: Privatkläger oder demjenigen, welcher als Privat⸗
zicht auf Gerichtsgebühren und Auslagen erlitten | kläger eine Berufung oder Reviſion einlegt, ein
die Staatskaſſen Ausfälle und da und dort find Gebühren vorſchuß von 10 1 für die Inſtanz
die Finanzbehörden nun dabei, den Ausfall auf zu zahlen“, und StPO. $ 496 lautet: „Jedes
die Weiſe zu decken, daß ſie die Strafkoſten vom Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Unter⸗
Kläger im Wege des Gebührenvorſchuſſes einzu: ſuchung einſtellende Entſcheidung muß darüber
ziehen unternehmen. Der Privatkläger, von dem Beſtimmung treffen, von wem die Koſten des Ver⸗
während des ganzen Prozeſſes in allen Inſtanzen fahrens zu tragen ſind.“ Alſo ſcheint der den Vor⸗
kein Koſtenvorſchuß eingefordert wurde und der ſchuß Leiſtende nur Koſtenzahler, nicht Koſtenträger,
ein rechtskräftiges Urteil in Händen hat, das den ſeine Koſtenpflicht nur eine vorlaͤufige, keine ſchließ⸗
Beklagten zu allen Koſten des Rechtsganges ver⸗ liche zu fein. Allein da tritt 8 90 GKG. mit
urteilt, erhält nicht nur von der Gerichtsſtelle die der Vorſchrift auf den Plan: „Die Pflicht zur
Mitteilung, daß dem Gegner Strafe und Ge⸗ Zahlung der vorzuſchießenden Beträge bleibt auch
richtskoſten im Gnadenwege geſchenkt ſeien, ſondern beſtehen, wenn die Koſten des Verfahrens einem
bald darauf auch vom Steuereinnehmer ganz un⸗ anderen auferlegt oder von einem anderen über⸗
vermutet die Aufforderung, binnen einer Woche nommen find.“ Die Vorſchrift erſcheint zunächſt
ſo und ſo viel Strafkoſten zu entrichten, und dann als widerſpruchsvoll. Vorſchießen laſſen ſich be⸗
die freundliche Bemerkung: „Nach Umfluß dieſer grifflich nur Koſten, die erſt entſtehen ſollen. Die
Friſt wird das Mahnverfahren in Vollzug gejegt | Koſten, die aber hier auferlegt werden, ſind be⸗
werden“. Ich glaube, bei jedem Empfänger einer reits entſtanden; denn das Auferlegen geſchieht
ſolchen Auf orderung wird das erſte, was ſich ein⸗ im Urteil, alſo am Ende des Verfahrens. Allein
ſtellt, ein Erſtaunen und Kopfſchütteln ſein. Er Ausſchlag gibt nicht der Wortlaut, ſondern der
wird den Zettel nicht verſtehen. Ich, der ſieg⸗ Inhalt des Geſetzes. Der Geſetzgeber will jagen:
reiche Kläger ſoll Strafkoſten zahlen müſſen, der „Auch der Privatkläger, von dem kein Koſtenvor⸗
Unterlegene und zum Tragen der Koſten aus- ſchuß erhoben wurde, kann in der Höhe des Vor⸗
drücklich Verurteilte aber davon frei ſein? Wie ſchuſſes zur Deckung der Gerichtsgebühren und
iſt das möglich? Wie iſt denkbar, daß die Be- Auslagen herangezogen werden und zwar ſelbſt
gnadigung des Beſtraften zur Strafe und Härte dann, wenn die Koſten des Verfahrens einem
gegen den Straffreien werden darf? anderen auferlegt oder von einem anderen über⸗
Für den Juriſten liegt die Sache anders. Ge⸗ nommen ſind.“ Dabei iſt dieſe Verpflichtung keine
wohnt, Gefühlsbewegungen und Verſtandesgründe Hilfs-, ſondern eine Hauptpflicht. Es genügt,
414 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
— — — — — — —
daß die Koſten einem anderen auferlegt find. gegeben erachtet. Es erſchien ihnen als ein Gebot
Nicht iſt erforderlich, daß vergeblich verſucht wurde, höherer Gerechtigkeit, denjenigen vermögensrechtliche
ſie von einem anderen beizutreiben. Die Koſten⸗
vorſchußpflicht iſt auch eine Koſtentragungspflicht.
Der Staat hat in den Grenzen ihrer Pflicht die
Wahl,) von wem er die Koſten erheben will, vom
verurteilten Beklagten oder vom ſiegreichen Kläger.
Der eine iſt verpflichtet, weil er im Rechtsſtreit
unterlegen iſt, der andere, weil er die Aufwand
verurſachende Staatstätigkeit veranlaßt hat.
Die Rechtslage iſt ſomit die, daß das Gericht
die Deckung der Koſten dem Privatkläger nicht nur
auferlegen darf, wenn der Staat die Gebühren und
Auslagen vom Verurteilten nicht erhalten kann,
ſondern auch, wenn der Staat ſie von ihm nicht
erhalten will.
Die Behörde hat alſo freies Ermeſſen. Allein
freies Ermeſſen iſt nicht gleichbedeutend mit Will⸗
kür. Freies behördliches Ermeſſen heißt Handeln
der Behörde nach eigener Entſchließung, aber inner⸗
halb der Grenzen der öffentlichen Intereſſen, die ſie
wahrzunehmen hat.“) Aus finanziellen Gründen
hat der Geſetzgeber eine doppelte ſchließliche Koſten⸗
pflicht geſetzt, eine des Verurteilten und eine des
Klägers. Aber daraus folgt nicht, daß die Be⸗
hörde beim Vollzug des Geſetzes nur das finanzielle
Intereſſe beachten darf. Die Gerichtsbehörde hat
auch das Gerechtigkeitsintereſſe wahrzunehmen. Der
Gerichtskoſtenerheber iſt nicht befugt, ſich allein durch
die Erwaͤgung leiten zu laſſen, von welchem der
beiden Pflichtigen ſind die Gebühren leichter zu
erheben. Und jo erklärt ſich, daß die Koſten in
der Regel in ihrer vollen Höhe und in erſter Linie
von demjenigen eingezogen werden, dem das Urteil
die Koſten auferlegt, indem es dem Staate gerecht
erſcheint, daß die Koſten derjenige trägt, den das
Gericht für koſtenpflichtig erklärt; denn das Gericht
darf hiezu nur den beſtimmen, der in der Sache
unterliegt, alſo nach der Ueberzeugung des Gerichtes
ſich im Unrecht, in Rechtswidrigkeit befindet. Hieraus
folgt als Regel: den Privatklaͤger nach $ 90 zur
Koſtendeckung heranziehen darf das Gericht erſt
dann, wenn der Staat die Koſten von den ſonſt
Verpflichteten vorausſichtlich nicht erhalten kann.
Damit iſt nicht ausgeſchloſſen, daß ausnahms⸗
weiſe innerhalb der Grenzen des freien Ermeſſens
auch liegen kann, daß der Staat von dem Der:
urteilten die Gerichtskoſten nicht einzieht, weil er
ſie von ihm nicht einziehen will. Das ſetzt voraus,
daß nach den Umſtänden des Falles die Beachtung
eines anderen öffentlichen Intereſſes gegenüber dem,
daß der Unterlegene die Koſten trägt, das wichtigere
iſt. Bei Ausbruch des ſchweren Krieges, den uns
das Geſchick auferlegt hat, hat ein größerer Teil
der deutſchen Regierungen ein ſolches Intereſſe als
1) Vgl. Pfafferoth, Artikel Gerichtskoſten 8 14
in Fleiſchmann, WB. des Deutſchen Staats- und Ver⸗
waltungsrechts Bd. 2 (1913).
) Vgl. Fleiner, Inſtitutionen des Deutſchen
Verwaltungsrechts, 3. Aufl., 1913 S. 134.
Leiſtungen nachzulaſſen, von welchen der Staat das
Einſetzen der Perſönlichkeit für den Staat fordert.
Keinem Zweifel unterliegt, daß die Behörde
in dieſem Falle das Recht beſitzt, die Rechtsmacht
zu gebrauchen, kraft deren der Kläger zur Koſten⸗
tragung herangezogen werden darf, und auf dieſe
Weiſe dem finanziellen Intereſſe des Staates zu
dienen. Allein damit iſt nicht geſagt, daß ſie ſo
handeln muß. Die Billigkeit kann ihr gebieten, die
Rechtsmacht, die fie beſitzt, nicht anzuwenden. Dies
dann, wenn durch Erfüllung des fiskaliſchen In⸗
tereſſes ein anderes öffentliches zu ſehr verletzt würde.
Das liegt vor, ſobald der Privatkläger die Tat:
ſache, daß derjenige, der das Strafgeſetz übertritt,
von den Koſten befreit, derjenige aber, den das
Strafgeſetz ſchützt, von ihnen betroffen wird, nach
Lage des Falles als eine ſchwere Verletzung ſeines
Gerechtigkeitsgefühles empfinden darf. Man nehme
3. B. an, daß der Beklagte dem Kläger vor der
Oeffentlichkeit ohne alle perſönliche Veranlaſſung
eine ſchwere Beleidigung zugefügt hat. In ſolchen
Fällen entſpricht es der Billigkeit, daß der Staat
die Koſten auch gegenüber dem Kläger niederſchlägt.
Seinem Gerechtigkeitsgefühl iſt nicht mit dem Hin⸗
weis darauf genüge getan, daß der Klaͤger befugt iſt.
was der Staat ihm abnimmt, vom verurteilten
Gegner ſich erſtatten zu laſſen.
Die Wählbarkeit von Kriegsteilnehmern
zu Gemeindeämtern.
Von Juſtizrat Dr. M. Naher in Frankenthal.
1. Während draußen im Zeichen des gewaltigſten
aller Kriege die Kanonen donnern und Deutſch⸗
land gegen eine Ueberzahl von Feinden um ſeinen
wohlverdienten Platz an der Sonne ringt, werden
wir Bayern in den nächſten Wochen die geſetzlich
fälligen Gemeindewahlen erledigen und die Macht
in der Selbſtverwaltung verteilen, jener Selbſt⸗
verwaltung, der das Reich einen guten Teil ſeiner
beiſpielloſen Aufwärtsentwicklung verdankt, die die
wahre Urſache dieſes blutigen Krieges iſt.
Eine ungeheure Zahl unſerer Volksgenoſſen ſteht
draußen im Kampfe. Sie können aus tatſäaͤchlichen
Gründen als Wähler ihre Stimme nicht in die
Urne werfen. Ob fie zu Gemeindeämtern wähl⸗
bar find, iſt in jüngſter Zeit lebhaft gefragt worden.
Man hat die Vertagung der Gemeindewahlen bis
zum Friedensſchluſſe begehrt, um den tapferen
Beſchützern des Vaterlandes nicht Ehren und Rechte
zu rauben. Nunmehr hat das Staatsminiſterium
des Innern in ſeiner Bekanntmachung über die
gemeindlichen Verhältniswahlen vom 29. Oktober
1914 — Bahyeriſche Staatszeitung Nr. 255 vom
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
—— H1———ĩäA———ů8ðṽßͥ⁊ 2 —ĩi᷑ v...........—————— l. ĩ̃ͥĩuͥ᷑ͥ nn iii —rßé5ß[1ʃF . k—„+.:—ůñ⁵ ä ¶wÄ—5ĩ5r̃ · ́ „́r————ĩ85ß8ꝛ5Ä5xL.ñͤ̃ ᷑éö§ͤ—— ! B K „:˙w.—2—᷑ 2⸗a 4 ——
30. Oktober 1914 S. 5 Ziff. 13 — zu der Frage
Stellung genommen und ſich zu der Auffaſſung
bekannt, daß Perſonen des Beurlaubtenſtandes
und des Landſturms, die infolge der Mobil⸗
machung eingerückt find, wählbar ſeien. Die
Bekanntmachung bringt weiter die Anſchauung
zum Ausdruck, daß die Wahlausſchüſſe bei Feſt⸗
ſtellung des Wahlergebniſſes die bezeichneten Militär⸗
perſonen als wählbar zu betrachten haben. Dies
iſt natürlich nur eine Meinungsäußerung an die
Wahlausſchüſſe, die nach eigenem pflichtgemäßen
Urteile durch Mehrheitsbeſchluß über Anſtände
zu entſcheiden haben, die ſich bei der Wahlhandlung
ergeben (Art. 180 rechtsrh. und 108 pfälz. Gem O.).
Deshalb ſteht in dieſer Frage dem Verwaltungs⸗
a das letzte Wort zu (Art. 8 Ziff. 33
2. Die Art. 173 Ziff. 4 rechtsrh. GemO. und
103 Ziff. 3 pfälz. GemO. lauten übereinftimmend:
„Die der aktiven Armee und den beſoldeten
Stämmen der Landwehr angehörigen Militär⸗
perſonen, ferner zeitlich penfionierte Offiziere
und Militärbeamte find zu keinem Gemeinde:
amt waͤhlbar.“
Beſtimmt man nun den Begriff der aktiven
Armee der beiden Gemeindeordnungen nach dem
heute auch in Bayern geltenden Reichs militärgeſetze
vom 2. Mai 1874 RGBl. S. 45, dann gehören
gemäß 8 38 alle in Kriegszeiten zum Heeresdienſt
aufgebotenen oder freiwillig eingetretenen Offiziere,
Aerzte, Militärbeamte und Mannſchaften von dem
Tage, zu welchem ſie einberufen ſind, oder vom
Zeitpunkt des freiwilligen Eintritts an bis zum
Ablauf des Tages der Entlaſſung zum aktiven Heere.
Dann aber find alle Angehörigen des aktiven
Heeres, auch die Perſonen des Beurlaubtenſtandes
(Reſerve und Landwehr nach $ 56 RM.) und
des Landſturmes zu Gemeindeämtern nicht wählbar.
Ob man aber den Weg gehen darf, den Begriff
der aktiven Armee i. S. der beiden Gemeinde⸗
ordnungen einfach durch ſpätere, auch für Bayern
maßgebende Reichsgeſetze zu erläutern und zu be⸗
ſtimmen, entſcheiden allein die Art. 103 und 173
dieſer Gemeindeordnungen. Dieſe ſind aus ihrem
Wortlaut und ihrer damit übereinſtimmenden Ent⸗
ſtehungsgeſchichte auszulegen. Die Gemeindeord⸗
nungen umgrenzen den Kreis der zu Gemeinde⸗
aͤmtern wählbaren Perſonen. Es geht nicht an,
deshalb, weil die Geſetzgebung auf dem Gebiete
des Heeresrechtes, insbeſondere auch der Begriff
des aktiven Heeres ſich ſeit der Begründung des
Reiches für Bayern geändert hat, einfach an
Stelle des alten Begriffes den neuen zu ſetzen. Das
wäre nur dann zuläſſig, wenn die Gemeindeord—
nungen nicht ſelber einen ganz beſtimmten Begriff
der aktiven Armee gewollt, ſondern von vornherein
ihren Begriff der aktiven Armee dem Wechſel der
Zeiten, der Veränderung nicht etwa der bayeriſchen,
ſondern gar einer anderen Geſetzgebung unterworfen
(J. 20
hatten. Wir haben in der Tat zahlreiche Beiſpiele
dafür, daß ein Geſetz ſeine Vorſchriften zum Teile
von den wechſelnden Vorſchriften anderer Geſetze
abhängig macht. In dieſem Falle iſt das erſtere
Geſetz ſtets von dem Wechſel der Geſetzgebung ab⸗
hängig, auf die es Bezug nimmt.
3. Die Auslegung kommt alſo hier nur zum
richtigen Ziele, wenn ſie in erſter Linie unter⸗
ſucht, was die beiden Gemeindeordnungen unter
den von ihnen aufgezählten Militärperſonen ver⸗
ſtehen. Dafür iſt einzig und allein die Zeit der
Entſtehung der Gemeindeordnung maßgebend.
Die Abſicht des Geſetzes wird klar durch ſeine
Entſtehungsgeſchichte.
Der Art. 167 des Entwurfes eines Geſetzes
„die Gemeinde- Ordnung betreffend“, — abgedruckt
in den VerhKd Abg. 1866 / 69, insbeſondere den
Verhandlungen des beſonderen Ausſchuſſes
Abteilung II, Beilagen, S. 3ff. (ſpäter unter der
Abkürzung J angeführt) — lautete in ſeinem Abſ. 4
‚ 20):
Militärperfonen find zu keinem
Gemeindeamte wählbar.“
Die Begründung macht dazu keine beſondere
Bemerkung, der Wortlaut aber laßt uns erkennen,
daß alle Militärperſonen i. S. des bayeriſchen
Wehrverfaſſungsrechtes von der Wählbarkeit zu
Gemeindeämtern ausgeſchloſſen werden ſollten.
Dieſer Entwurf war für das ganze König⸗
reich Bayern geſchaffen worden; auf einen Antrag
der Abgeordneten Kolb und von Soyer hin
(J, 393) wurde dann die pfälziſche GemO. von der
rechtsrheiniſchen in dem beſonderen Ausſchuß ab⸗
getrennt.
In der erſten Leſung der rechtsrh. GemO. gab
der beſondere Ausſchuß dem Art. 166 Abſ. 4 fol⸗
gende Faſſung:
„Militärperſonen im aktiven Dienſte oder
im zeitlichen Ruheſtande find zu keinem
Gemeindeamte wählbar.“
Darauf erhielt Art. 166 Abſ. 4 nach den von
der Subkommiſſion für die zweite Leſung vor⸗
bereiteten Beſchlüſſen (II, 362) die Faſſung, die
in beiden Gemeindeordnungen Geſetz geworden iſt:
„Die der aktiven Armee und den beſoldeten
Stämmen der Landwehr angehörigen Militär⸗
perſonen, ferner zeitlich penſionierte Offiziere
und Militärbeamte ſind zu keinem Gemeinde⸗
amte wählbar.“
Der Antrag der Abgeordneten Kolb und von
Soyer — Entw. eines Geſetzes die GemO. für
die Pfalz betreffend — enthält in Art. 110 Abſ. 4
genau die Faſſung der Subkommiſſion (I, 405).
Die zweite und dritte Leſung des beſonderen Aus—
ſchuſſes (II, 508 und 553) wiederholen den von
der Subkommiſſion gewählten Wortlaut.
Die Begründung dieſer Geſetz gewordenen Ab—
aͤnderung des urſprünglichen Regierungsentwurfes
findet ſich in dem Protokolle über die Sitzung
des beſonderen Ausſchuſſes vom 17. März 1868
VerhKd Abg. 1867/69, II. Abt., Prot. der Sitzungen
des Ausſchuſſes S. 580 und 81 (in der Folge mit
II angeführt). Um die Bedeutung der Aenderung
vollauf zu würdigen, darf nicht vergeſſen werden,
daß dem beſonderen Ausſchuß drei Abgeordnete
angehörten, die damals an den Hochſchulen in
München und Würzburg als Lehrer des öffent⸗
lichen Rechtes tätig waren, Dr. Pözl, Vorſfitzender
des Ausſchuſſes, Dr. Edel, Berichterſtatter des Aus⸗
ſchuſſes, und Dr. Brater.
Unter Bezugnahme auf die Faſſung der erſten
Leſung machte der Abgeordnete Urban darauf auf⸗
merkſam, daß darnach im Hinblick auf das neue
Wehrgeſetz — gemeint iſt das bayer. Geſetz, die
Wehrverfaſſung betr., vom 30. Januar 1868,
GVBl. 262 — die in die Landwehr einge⸗
reihten Perſonen nicht wählbar ſeien. Auf die
Bemerkungen des Ausſchußvorſitzenden (Pözl), daß
nur die aktiven Militärperſonen gemeint jeien,
fuhr Urban fort: Die Reſerviſten ſeien doch
auch Angehörige der aktiven Armee, ſie könnten
ſich verehelichen und ein Hausweſen begründen,
ſeien aber nach der gegenwärtigen geſetzlichen Be⸗
ſtimmung von der Wahl zu Gemeindeämtern aus⸗
geſchloſſen. Darauf erklärte der Abgeordnete Fiſcher:
Es werde gut ſein, wenn man ſich im Wortlaut
an die Ausdrucksweiſe des Wehrgeſetzes
anſchließe; dann werde jeder Zweifel beſeitigt
werden. Materiell ſei es ganz richtig,
daß kein Grund beſtehe, alle Landwehr⸗
männer und Reſerviſten von den Ge⸗
meindeämtern auszuſchließen. Hierauf er⸗
klärte der Ausſchußvorſtand: Bei der Schluß—
redaktion ſeien die Beſtimmungen des Wehrgeſetzes
genau zu vergleichen; es müſſe der Ausdruck ſo
gewählt werden, daß kein Zweifel beſtehen könne,
dann werde auch das Bedenken des Herrn Ab—
geordneten Urban beſeitigt ſein. Auf die Be—
merkung des Berichterſtatters, daß man jedenfalls
die Offiziere, welche bei der Landwehr ſeien und
die zum Stand der Cadres gehören, ebenſo die
exponierten Bezirkslandwehrmajore darunter rechnen
müſſe, erwahnte Abgeordneter Fiſcher: Er rechne
hierzu alle Angehörigen der aktiven Armee, dann
alle zur Landwehr oder Reſerve gehörigen Militär—
beamten, welche in ſtändiger Funktion ſeien,
endlich die bloß im zeitlichen Ruheſtande befind—
lichen Offiziere und Militärbeamten.
Damit hat dieſer Abgeordnete richtig diejenigen
Militärperſonen zuſammengefaßt, die nach der über—
einſtimmenden Meinung der Mitglieder des be—
ſonderen Ausſchuſſes allein von der Waͤhlbarkeit
ausgeſchloſſen werden ſollten. Nur der ſtändige
oder berufsmäßige oder berufsmäßig geweſene
Heeresdienſt ſollte die Wählbarkeit ausſchließen.
Darum hat man im Anſchluß an den Art. 21
des oben erwähnten Geſetzes, die Wehrverfaſſung
betreffend, den heute geltenden Wortlaut gewählt.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
Dieſer Art. 21 lautet: „Die Offiziere der Land⸗
wehr werden aus den hierzu befähigten einjährigen
Freiwilligen und Landwehrmaͤnnern entnommen.
Die beſoldeten Stämme an Offizieren, Unteroffizieren
und Mannſchaften können im Bedürfnisfalle der
aktiven Armee entnommen werden. Nach Art. 1
Wehrverf G. beſtand die bewaffnete Macht des König⸗
reichs aus dem ſtehenden Heere und der Landwehr.
Das ſtehende Heer zerfiel in die altive Armee und
die Reſerve.
Den gleichen Begriff der aktiven Armee, wie
ihn das bayer. Wehrverf G. aufgeſtellt hat, hat der
beſondere Ausſchuß abſichtlich und ausdrücklich für
die beiden Gemeindeordnungen gewählt, ebenſo den
der beſoldeten Stämme der Landwehr. Zur aktiven
Armee zählte das bayer. Wehrverf®. diejenigen,
die ihre militäriſche Dienſtzeit in den erſten drei
Jahren im ſtehenden Heere erfüllen, und die berufs⸗
mäßig ihr angehörigen Militärperſonen. Während
der naͤchſtfolgenden drei Jahre Dienſtzeit gehörten
die Militärperſonen der Reſerve an, hierauf traten
ſie zur Landwehr über (Art. 17—22 Wehrverf GG.).
Darnach gehörten alſo die Reſerviſten und Land⸗
wehrmänner nicht zur aktiven Armee. Die Militär⸗
perſonen der Reſerve und Landwehr ſollten alſo
zu Gemeindeämtern wählbar fein, ausgenommen
wenn ſie zu den beſoldeten Stämmen der Land⸗
wehr gehörten, alſo ein ftändiges militäriſches Amt
bekleideten.
In der Faſſung, die ihnen der beſondere Aus⸗
ſchuß gegeben hatte, wurden die Entwürfe der beiden
Gemeindeordnungen Geſetz. In den ſpäteren Ver⸗
handlungen des Landtages wurde keine abweichende
Meinung mehr geäußert.
Aus dieſer Entſtehungsgeſchichte und aus dem
Wortlaute, die zuſammenſtimmen (vgl. RG. 66.
254 und 334; 67, 54), erhellt, daß das Geſetz
niemals alle diejenigen Militärperſonen, die in dem
RMilGG. vom 2. Mai 1874 als zum aktiven Heere
gehörig erklart worden find, der Wählbarkeit zu
Gemeindeämtern hat berauben wollen, und daß es
die nicht wählbaren Militärperſonen ganz genau
umgrenzt hat. Iſt dies aber der Fall, dann haben
daran das Außerkrafttreten des bayer. WehrverfG.
und ſein Erſatz durch ein Reichsgeſetz an dem Inhalt
nichts ändern können. Das Reichsgeſetz beſtimmt
den reichsrechtlichen Begriff des aktiven Heeres,
die bayeriſchen Gemeindeordnungen aber ordnen
für ſich den landes rechtlichen, gemeinderechtlichen
Begriff der aktiven Armee.
Deshalb gehen Seydel-Graßmann-Piloty,
bayer. Staatsrecht I $ 113 S. 588 und Wand,
pfälz. GemO. S. 565 fehl, wenn ſie zwar aner⸗
kennen, daß die Gemeindeordnungen an das baye⸗
riſche Wehrverfaſſungsgeſetz anknüpfen, den Begriff
des aktiven Heeres aber nach dem jetzigen Reichs⸗
rechte beſtimmen. Im Widerſpruch mit dieſer Auf—
ſaſſung führen Seydel-Graßmann-Piloty an der
gleichen Stelle aus, daß die nunmehr beſtehende
Scheidung zwiſchen Militärbeamten und Zivil—
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
beamten nicht veranlaßt wäre, da die A bſicht
der Gemeindeordnungen auf beide Gattungen von
Beamten gehe. Nach der einen Richtung ſoll alſo
die Abſicht der Gemeindeordnungen nicht gelten,
nach der andern aber wohl. Dieſe Begründung
iſt durchaus widerſpruchsvoll.
Kahr, GemO. II Art. 173 Anm. 12a S. 188ff.
will zwar die neue Heeresorganiſation des Reiches
ſinngemäͤäß auf Art. 173 Abſ. 4 anwenden,
macht aber aus der Entſtehungsgeſchichte den Vor⸗
behalt, daß vorübergehend, ſei es im Frieden oder
in Kriegszeiten, zum Heeresdienſt eingezogene An⸗
gehörige der Reſerve und der Landwehr zu Ge⸗
meindeämtern wählbar feier. Das Ergebnis iſt
richtig, die Begründung aber unzutreffend. Man
kann nicht den Standpunkt vertreten, daß der
Begriff der aktiven Armee i. S. der GemO. ſich
nach dem RG. vom 2. Mai 1874 bemeſſe und
im gleichen Atemzug davon eine ſo weitgehende
Ausnahme machen. Ich wiederhole: Der Begriff
der Militärperſonen der aktiven Armee und der
beſoldeten Stämme der Landwehr iſt nach wie
vor ein landesrechtlicher geblieben. Er wird ein⸗
zig und allein durch die Gem O. beſtimmt.
reichsrechtliche Ordnung der Wehrverfaſſung auch
für Bayern hat auf die in Art. 173 Abſ. 4 rechtsrh.
GemO. und Art. 103 Abſ. 3 pfälz. GemO. landes⸗
rechtlich feſtgeſtellten Begriffe gar keinen Einfluß
geübt. Das bayeriſche Recht hat niemals die zum
Kriegsdienſt eingezogenen Angehörigen des Be⸗
urlaubtenſtandes und des Landſturmes als
Beſtandteile der aktiven Armee erachtet und dabei
hat es nach wie vor ſein Bewenden. Darum
find alle dieſe Militärperſonen zu den Gemeinde⸗
ämtern wählbar.
Auf dem Wege einer Auslegung des Geſetzes,
wie ſie allein vom Standpunkte der grundlegenden
Auslegungsregeln möglich iſt, kommt man zu
dieſem allein befriedigenden Ergebniſſe. Jedes
andere Ergebnis widerſtreitet dem, was der Ge⸗
ſetzgeber von 1868 gewollt und in das Geſetz
hineingeſchrieben hat.
Umwandlung einer Geſellſchaft mit be⸗
ſchräukter Haftung in eine Aktiengeſellſchaft.
Von Dr. Hermann Wein, Notariatspraktikant in München.
Die ſteuerrechtliche Behandlung der Geſell⸗
ſchaften mit beſchränkter Haftung hat allmaͤhlich
dahin geführt, andere Geſellſchaftsformen zu wahlen.
Es kam zur Umbildung in die ſteuerrechtlich günſtiger
geſtellten Kommanditgeſellſchaften, aber auch zur
Umwandlung in Aktiengeſellſchaften. Die Steuer:
belaſtung der AG. iſt zwar jo ziemlich die gleiche,
wie die der G. m. b. H., aber die AG. hat den
Vorzug der leichteren Beweglichkeit der Geſellſchafts⸗
417
beteiligung, der ſtetigen Kontrollmöglichkeit durch
3— . — —— —
Die
die Kursnotizen, der größeren Publizität ulm. Das
GmbH. regelt zwar die Umwandlung einer AG.
in eine G. m. b. H. (88 80, 81), aber die Umwandlung
einer G. m. b. H. in eine AG. aber ſchweigt es.
Die Wege, die hiezu in der Praxis eingeſchlagen werden
können, ſollen nachfolgend beſprochen werden!), und
zwar unter Berückſichtigung der ſich durch die No⸗
velle zum Reichsſtempelgeſetz vom 3. Juli 1913
ergebenden Gebührenfragen und ſonſtiger praktiſch
wichtiger Geſichtspunkte:
I. Die Aktiengeſellſchaft wird im Wege der
Bargründung errichtet. Die Gründer der AG.
ſind Geſellſchafter der G. m. b. H. (mindeſtens aber
fünf Perſonen); das Grundkapital der AG. wird
zweckmäßiger Weiſe nicht niedriger genommen werden,
als der Reinwert des G. m. b. 9.: Vermögens iſt;
die Beteiligung der AG. wird man im gleichen
Verhältnis geſtalten, wie die Beteiligung an der
G. m. b. H. Gegenſtand des Unternehmens der
AG. iſt die Uebernahme und die Fortführung des
Betriebs der G. m. b. H. Da der Gründungsplan
von vorneherein darauf abzielt, die AG. auf der
Grundlage des zu übernehmenden G. m. b. H.⸗Ge⸗
ſchäftes zu betreiben, muß die Uebernahme des
Geſchäfts nach Maßgabe des 8 186 II HGB. in
den Gründungsvertrag aufgenommen werden. Die
Gründung iſt eine qualifizierte. Außer dem „Prü⸗
fungsbericht“ (8 192 1 GB.) muß deshalb auch
ein „Gründerbericht“, in welchem unter anderem
die Betriebsergebniſſe aus den beiden letzten Ge⸗
ſchäftsjahren der G. m. b. H. anzugeben find (§ 191
HGB), und ein Reviſorengutachten (8 192 II, III ff.
HGB.) erſtattet werden.“) Unzuläſſig wäre es, die
Gründung äußerlich als reine Bargründung er⸗
ſcheinen zu laſſen und den Vorſtand zu ermächtigen,
das Geſchäft der G. m. b. H. nach Regiſtrierung
der AG. zu kaufen; unzuläſſig wäre auch, das Ge:
ſchäft im Wege der Nachgründung ($ 207 HGB.)
zu erwerben.“) Die Folge ſolch eines Gründungs⸗
vorgehens wäre jedoch nicht die Nichtigkeit der
Gründung, obwohl gegen 8 186 HGB. verſtoßen
würde; denn ein Rechtsgeſchäft, das gegen ein
geſetzliches Verbot verſtößt, iſt nur dann nichtig,
wenn ſich aus dem Geſetze nichts anderes ergibt
(8 134 BGB.); aus 8 186 IV und $ 208 HGB.
ergibt ſich aber, daß eine Zuwiderhandlung gegen
§ 186 II HGB. nur beſondere Schadens haftungen
und die heilbare Unwirkſamkeit des Uebernahmever⸗
trags, nicht dagegen die Ungültigkeit des Gründungs⸗
aktes als ſolchen zur Folge hat; ratfam iſt des⸗
wegen aber ſolch ein unzuläſſiger Umweg keines⸗
wegs, nicht nur wegen der zivilrechtlichen Haftungen,
ſondern auch wegen der allenfallſigen kriminellen
) Vgl. Staub » Hachenburg, GmbHG. 4. Aufl.
S. 730, 731.
) Vgl. ferner noch 8 195 II Nr. 2, 8 196 IV, V,
313 Nr. 1 HGB.
) Vgl. Staub, HG. 8 186 Anm. 9; 8 207;
418
nach 8 318 HGB. (vgl. LZ. 1912 S. 591; vgl.
auch RG. vom 8. März 1912 VII 415/11 zu
8 73 G. m. b. H., veröffentlicht in der LZ. 1912
S. 667 Nr. 51); außerdem kann und muß der
Regiſterrichter die Eintragung ablehnen, wenn er
von einer ſolchen Geſetzesumgehung Kenntnis erhält.
Die Gründerverantwortung tragen die bisherigen
Geſellſchafter der G. m. b. H., nicht die G. m. b. H.
ſelbſt, da dieſe nicht Mitgründerin iſt. Die Aktien
können den Gründern ſofort nach der Entſtehung der
Geſellſchaft ausgehändigt werden, ſo daß ſie alsbald
verwertet werden können. Nach“) Eintragung der
AG. im Handelsregiſter überträgt der Geſchäftsführer
der G. m. b. H. auf Grund des Uebernahmevertrags
das ganze Geihält der G. m. b. H. mit Aktiven
und Paſſiven auf die AS. nach den für die Ueber:
tragung der einzelnen Gegenſtände geſetzlich vor⸗
geſchriebenen Formen. Dritte, insbeſondere Liefe⸗
ranten und Beſteller werden den Uebergang und
die Erfüllung durch die AG. für und gegen ſich
gelten laſſen müſſen, wenn nur die Rechtsform
der Unternehmung geändert wird; das erfordert
Treu und Glauben, ſowie die Verkehrsſitte; etwas
anders wäre es natürlich, wenn die wirtſchaftliche
Art des Betriebes eine weſentliche Aenderung erführe.
Nach der Uebertragung hat der Vorſtand der AG.
Inventur und Eröffnungsbilanz zu fertigen (8 39
HGB.). Wird auch die Firma der G. m. b. H.
mitveräußert, ſo muß die G. m. b. H., die ja zu⸗
nächſt noch fortbeſteht (ſ. u . eine andere Firma
annehmen. Ob ohne Mitveräußerung der Firma
die AG. die gleiche Firma annehmen kann nur
mit dem unterſcheidenden Zuſatz „Aktiengeſellſchaft“,
erſcheint zweifelhaft; richtiger dürfte ſein, die Frage
zu verneinen, da das Publikum, zu deſſen Schutz
in erſter Linie der Geſetzgeber die firmenrechtlichen
Beſtimmungen ſchuf, den Unterſchied zwiſchen
G. m. b. H. und AG. nicht genügend auseinander
zu halten pflegt, ſich deshalb der Verſchiedenheit
der beiden Geſellſchaften nicht bewußt wird und
darum leicht irregeführt werden kann (a. M. Staub
HGB. 830 Anm. 5, KG. vom 26. November 1908,
3216. 10, 79). Zur Veraͤußerung des Ge:
ſchäfts im ganzen bedarf der Geſchaͤftsführer
(anders wie der Vorſtand einer AG. 8 303 HGB.)
keiner beſonderen Ermächtigung; in feinen er:
haͤltnis nach innen wird er ſich jedoch regelmäßig
durch einen Beſchluß der Geſellſchafter decken oder
ſchon gedeckt ſein, wenn die Geſellſchafter der
G. m. b. H. identiſch ſind mit den Gründern der
AG. Durch die Veräußerung des ganzen Geſchäſts
. na die G. m. b. H. im Gegenſatz zur AG.
) Daß 5 vor Regiſtrierung der AG. der Ueber—
tragungsakt insbeſondere auch die Auflaſſung vorges
nommen werden können, dürfte richtig fein (vgl. OL.
Colmar 25. Mai 1903 Staub, zu 8200 HG B., L 3. 1912
S. 378, 066 f., dagegen Bay 3fR. 1913 S. 2), iſt aber
nicht ganz unbeſtritten.
)Ebenſo Staub-Hachenburg, 3 §60 Anm. 29;
a. M. Dorſt, Der Kaufmann 1906 S. 373.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bapern. le 1914. Kr. 23.
(S 303 HGB.) nicht von ſelbſt auf; fie wird aber
zweckmäßiger Weile, da ihre eigentliche Aufgabe
erfüllt iſt und ſie nichts mehr beſitzt als den Kauf⸗
preis für die Geſchäftsüberlaſſung oder die Kauf⸗
preisforderung gegen die AG. in Liquidation treten.
Der Liquidationsbeſchluß als ſolcher bedarf keiner
beſonderen Form, jedoch einer Mehrheit von
der abgegebenen Stimmen, ſoweit im Statut nichts
anderes beſtimmt iſt. Wird der Liquidationsbeſchluß
zugleich mit dem Beſchluß über die Annahme einer
neuen Firma verbunden, ſo iſt er wegen der in
letzterer liegenden Statutenänderung notariell zu
beurkunden (8 53 JI G. m. b. H.). Bei Beginn der
Liquidation hat der Liquidator gemäß 8 71 JI
G. m. b. H. eine Bilanz aufzuſtellen.
Für die Bareinzahlung der Aktienſchuldigkeit
und der Liquidationsdurchführung find zwei Wege
möglich:
a) Wird bei Gründung der AG. das bar zu
zahlende Grundkapital ſofort in voller Höhe ge⸗
leiſtet, fo wird normaler Weile die ganze Forderung
der G. m. b. H. gegen die AG. aus dem Verkauf des
Geſchäfts alsbald bezahlt werden. Die G. m. b. H.
in Liquidation darf jedoch dieſen Erlös noch nicht
ohne weiteres an ihre Geſellſchafter verteilen, fondern
es muß bei Meidung einer Haftung der Liquidatoren
das Sperrjahr (8 73 GmbHG.) abgewartet
werden. Das Bargeld, das bei der Gründung
der AG. aufzubringen war, muß nun mindeſtens
ein Jahr liegen bleiben, bis es wieder in die
Taſchen fließen kann, aus welchen es gekommen
iſt.)
b) Um dies zu vermeiden, läßt ſich im Grün⸗
dungsvertrage beſtimmen, daß die Gründer von
ihren Bareinlagen nur / vor der Regiſtrierung
einzuzahlen haben, daß der Reſt nach Ablauf des
Sperrjahres fällig iſt, und daß gegen dieſe reſtige
Aktiendeckungsſchuldigkeit aufgerechnet werden kann
mit einer gleich hohen Forderung der G. m. b. H.
gegen die AG. aus der Geichäftsübereignung. Der
§ 221 HGB. verbietet nicht ſchlechthin die Auf:
rechnung gegen die Aktiendeckungsſchuldigkeit, ſondern
ſchließt nur die einſeitige Aufrechnung aus; iſt die
Aufrechnung vereinbart und insbeſondere im Geſell⸗
ſchaftsvertrage enthalten, jo iſt ihre Zuläſſigkeit
nicht zu bezweifeln.) Damit aufgerechnet werden
kann, muß die G. m. b. H. an ihre Geſellſchafter
von der Kaufpreisforderung, genauer: dem nach Ab⸗
führung des eingezahlten Bareinlagenviertels ver:
bleibenden Reſte der Forderung gegen die AG., ver⸗
hältnismäßige Teilbeträge abtreten. Dieſe Abtretung
iſt aber nur mit Wirkung ab Ende des Sperrjahres
zulaͤſſig. In dieſer Abtretung kann nicht etwa
60 Freilich erſcheint die Wiederanlage des Bargeldes
z. B. in Wertpapieren, während der Sperrzeit, obgleich
eine ſolche Verfügung ftreng genommen dem Ligqui—
dationszweck zuwiderläuft, nicht ausgeſchloſſen, hat
aber als Notbehelf doch immer Schattenſeiten.
) Vgl. Staub, HGB. zu § 221.
-— mm. — — ———
eine Schenkung, die einer Schenkungsſteuer unter⸗
läge, erblickt werden, ſondern nur ein nicht beſonders
zu beſteuernder Liquidationsvorgang. Auf dieſe
Weiſe macht nur / des Grundkapitals den ein
Jahr lang dauernden Kreislauf. Der unnütze
Bargeldumlauf dieſes Viertels läßt ſich wohl nicht
vermeiden (vgl. aber den verwandten Weg unter IV);
wenn namlich der Gründungsvertrag die Abtretung
des ganzen Kaufpreiſes an die Geſellſchafter und
die Aufrechnung von deren Zeſſionsforderungen
gegen ihre ganze Bareinlageſchuldigkeit vorſähe, ſo
könnte die AG. nicht vor Ablauf des Sperrjahres
im Handelsregiſter eingetragen werden; denn, wie
geſagt, erſt nach dem Sperrjahre iſt die Aufrechnung
möglich, bis dahin alſo die Einlageſchuldigkeit auch
nicht teilweiſe (25 °/o) gedeckt; es könnte deshalb die
durch zivil⸗ und ſtrafrechtliche Verantwortlichkeit ge⸗
ſicherte Verſicherung nach 195 II HGB. nicht abge:
geben werden, welche Vorausſetzung der Regiſtrierung
iſt. Eine ſo lange Hinausſchiebung der Regiſtrierung
wäre aber insbeſondere mit Rückſicht auf die per⸗
ſöͤnliche Haftung der bis dahin Handelnden (8 200
HGB.) für die Praxis nicht geeignet (über Be⸗
endigung dieſer Haftung vgl. JW. 1912 S. 115).
Gebührenrechtlich iſt zum Fall I folgendes zu
bemerken: Der reine Errichtungsakt der AG. koſtet
4 ½ % (gemäß Tarif A 1 a der Nov. z. RStempG.).
Wird das Grundkapital nicht ſofort voll geleiſtet,
jo iſt auf Antrag der Stempel zunaͤchſt nur aus dem
eingezahlten Teilbetrag zu entrichten (Tarif A1 a b
Anm. 2). Für die Geſchäftsübernahme im Gründungs⸗
vertrag ſind zu entrichten: ſoweit Immobilien oder An⸗
ſprüche auf Immobilien zum übernommenen Geſchäft
gehören, die Immobiliarabgaben (nach Tarif A Nr. 1 d
1,3, 4, neben welchen die landesgeſetzlichen Ge:
bühren beſtehen, $ 7 1 2, 3 des Geſ.), ſoweit Patent⸗
rechte ꝛc. in Betracht kommen / (Tarif A 1 d 2),
ſoweit ſonſtige bewegliche Werte übernommen werden
/ % (Tarif A 1 d) und ſoweit andere Forderungen
Gegenſtand der Uebernahme ſind / /o (Tarif A
1d am Schluß.“) Hiezu kommen, wie auch in
den nachfolgenden Fällen, die Notariatsgebühren,
die Gebühren für die Eintragungen (Löſchungen)
im Handelsregiſter und die Koſten für den Druck
der Aktien. Hiegegen werden die /10 / o nach
Tarif A4a3 (für die Aktienzuteilung, Aktienüber⸗
nahme) angerechnet auf die obigen 4 % gemäß 87
letzter Abſ. RStemp®. (ſtrittig), wie auch das 1%
für den Gewinnanteilſcheinbogen (Tarif 3 A a) bei der
Gründung noch nicht in Anſatz kommt, wenigſtens
dann, wenn der Bogen für höchſtens 10 Jahre aus⸗
gegeben wird (Tarif 3 Aa Befreiungsvorſchrift Nr. 3).
Für die Auflöſung der G. m. b. H. als ſolche ent⸗
8) Wird die nach Ib in Frage kommende Kauf—
preisforderungs-Abtretung in den notariellen Akt auf—
genommen, ſo kommen hiefür die landesgeſetzlichen
Zeſſionsgebühren in Frage; in den meiſten Fällen wird
man ſich jedoch mit einer gebührenfreien Konſtatierung
der außerhalb des notariellen Aktes liegenden privaten
(alſo nicht mehr durch die bisherige G. m. b. H.) ſchon
Abtretung helfen können.
ZBettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 419
ſtehen keine Gebühren; nur im Falle der Verbindung
mit Statutenänderung find die für ſolche Beur⸗
kundungen zu entrichtenden landesgeſetzlichen Ge⸗
bühren anzuſetzen. | |
II. Die G. m. b. H. als ſolche tritt als
Gründerin bei Errichtung der AG. auf in Ge⸗
meinſchaft mit wenigſtens 4 anderen Perſonen. Die
Gründung vollzieht ſich diesfalls überwiegend im
Wege der Sacheinlage ($ 186 II HGB.), iſt
alſo wiederum qualifizierte Gründung (f. o.). Die
G. m. b. H. bringt ihr ganzes Geſchäft mit Aktiven
und Paſſiven in die AG. ein und deckt durch dieſe
Einbringung ihre Aktienſchuldigkeit; für dieſe Ein⸗
lage erhält ſie eine ihrem Nettowerte entſprechende
Anzahl Aktien. Die Gründerverantwortung haben
die G. m. b. H. und ihre Konſorten, nicht aber ihre
Geſellſchafter als ſolche zu tragen. Die ſtrafrechtliche
Gründerverantwortung der G. m. b. H. laſtet auf
den handelnden Geſchäftsführern. Auch zu der
vorerwähnten Sacheinbringung und Entfaltung der
Gründertätigkeit bedarf der Geſchäftsführer nach
außen keiner beſonderen Ermächtigung. Auch in
dieſem Fall wird die G. m. b. H. durch die Ent⸗
aͤußerung ihres Vermögens nicht von ſelbſt auf⸗
gelöft und die G. m. b. H. tritt nach Regiſtrierung
der AG. in Liquidation. Die G. m. b. H. beſitzt
nunmehr an Stelle ihres Geſchaͤfts eine entſprechende
Anzahl von Aktien. Jedoch kann die G. m. b. H.
ihr Portefeuille mit Aktien nicht ſofort ausſchütten
und dieſe unter ihre bisherigen Geſellſchafter verteilen,
ſondern es muß wiederum das Sperrjahr abge⸗
wartet werden. Bis dahin find alſo die Geſell⸗
ſchafter der G. m. b. H. in der Verwertung der
ihnen nach der Liquidation zukommenden Aktien
behindert. Nach Ablauf des Sperrjahres waren
eigentlich die Aktien zu verfilbern, da nach 8 70
G. m. b. H. die Liquidatoren das Vermögen der
G. m. b. H. in Geld umzuſetzen haben; allein es
kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei Bu:
ſtimmung der Geſellſchafter die Verteilung des Ge:
ſellſchaftsbeſitzes, d. i. der Aktien, auch in natura
an die Geſellſchafter vorgenommen werden kann;
dieſe Zuteilung unterliegt dem Schlußnotenſtempel
von /10 %o (Tarif A4 43). Im übrigen find die
Gebühren die gleichen wie im Falle ; Zeſſionsgebühren
(ſ. Fußnote 8) fallen natürlich weg.
III. Die Geſellſchafter der G. m. b. H. gründen
die AG. in der Art, daß ſie ihre Geſchäftsanteile
in die AG. einlegen, ſo daß dieſe die alleinige
Geſellſchafterin der G. m. b. H. wird. Auch hier
iſt die Gründung eine qualifizierte ($ 186 HGB.);
der „Gründerbericht“ wird aber in dieſem Falle keine
Angabe über die Betriebserträgniſſe der G. m. b. H.
in den beiden letzten Jahren zu enthalten brauchen,
da kein „Unternehmen auf die AS. übergeht“,
ſondern nur die Geſchäftsanteile;“) dagegen werden
) Wenn freilich der Erwerb und die Fortführung
des Betriebs der G. m. b. H. durch die Ab. als ſolche
420
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
— —ͤ ͤ ͤ—ͥ6—ä 2 nnn ͤ . ——l. hͤñĩð]¶?—1 U—ỹ a
auch hier die Reviſoren die Vorlegung der letzten
Bilanzen verlangen können. Die Gründerver⸗
antwortung laſtet auf den Schultern der bisherigen
G. m. b. H.⸗Geſellſchafter. Die Hinausgabe der
Aktien an die Gründer kann ſofort nach Regiſtrierung
der AG. erfolgen. Nach Eintragung der AG. in das
Handelsregiſter beſteht ſowohl die AG., wie auch noch
die G. m. b. H. Letztere iſt unverändert, da ein Wechſel
im Beſitz der Geſchäftsanteile für den rechtlichen
Beſtand der G. m. b. H. belanglos iſt. Erſtere
iſt zunaͤchſt nur eine Finanzgeſellſchaft, die lediglich
Geſchäftsanteile befitzt und verwaltet. Auf die Dauer
wird jedoch dieſe Doppelexiſtenz in der Regel nicht
rätlich ſein und zwar in erſter Linie wieder aus
Steuergründen, die auch hier auf die Geſtaltung
der Geſellſchaftsverhältniſſe entſcheidenden Einfluß
haben. Würden nämlich beide Geſellſchaften neben⸗
einander beſtehen, ſo würden wohl in den meiſten
Bundesſtaaten beide beſteuert werden und außer
ihnen auch noch die Aktionäre. Zur Verhütung
dieſes dreifachen Steuerdrucks hat man ſchon den
Ausweg gewählt, daß die G. m. b. H. ihren ganzen
Beſitz der AG. zur Benützung überließ und zwar
unentgeltlich, ſo daß die G. m. b. H. ſelbſt kein
Einkommen hatte und deshalb auch mit keiner
Einkommen- oder Ertragfteuer veranlagt werden
konnte. Allein dies dürfte nicht unbedenklich ſein.
Bilden auch wirtſchaftlich die beiden nebeneinander
eziſtierenden Geſellſchaften nur ein Unternehmen,
ſo kann es doch leicht ſein, daß ſie rechtlich, ins⸗
beſondere ſteuerrechtlich, als verſchiedene Subjekte
betrachtet werden. Es könnte in der unentgeltlichen
Benützungs⸗ und Nutzungsüberlaſſung eine liberale
Zuwendung der einen Geſellſchaft an die andere
erblickt werden, die der Schenkungsſteuer unterliegt.
Aehnliches gilt natürlich auch, wenn die G. m. b. H.
zwar nicht ganz unentgeltlich, aber doch zu einem
unverhältnismäßig niedrigen Preis ihr Vermögen
der AG. „vermietet“ oder „verpachtet“. Mitunter
werden von der G. m. b. H. nur die unbeweglichen
Beſitzgegenſtände der AG. zur (entgeltlichen oder
unentgeltlichen) Benützung überlaſſen, dagegen die
beweglichen auf die AG. zu Eigentum übertragen;
denn letzterer Rechtsvorgang vollzieht ſich regelmäßig
gebührenfrei, während die Uebereignung der Im—
mobilien hohe Koſten verurſachen würde. Aber auch
dieſe Sachbehandlungiſt nicht zu empfehlen. Verbleibt
nämlich der G. m. b. H. nur ihr Immobiliarbeſitz,
jo erſchöpft ſich ihre Aufgabe in deſſen Ber:
waltung. Damit hat ſich — von den Terrain⸗
geſellſchaften abgeſehen — der Gegenſtand des
Unternehmens geändert, weshalb auch eine Sach—
im Gründungsſtadium Gegenſtand feſter vertraglicher
Abmachung. nicht nur unbeſtimmter künftiger Pläne
iſt, dann wird neben der Einlage der Geſchäftsanteile
der Erwerb des G. m. b. H.⸗Geſchäftes in den Gründungs—
vertrag aufzunehmen fein (ſ. o. unter I); dann kann
auch die Angabe über die Betriebserträgniſſe der
G. m. b. H. in den beiden letzten Jahren nicht unter»
bleiben.
firma der G. m. b. H. entſprechend umzuändern iſt.
Aber nicht nur das. Die G. m. b. H. iſt zur Im⸗
mobiliengeſellſchaft geworden; nach dem neuen
RStempG. find aber für Immobiliengeſellſchaften
m. b. H., auch wenn ſie erſt nachträglich dieſen
Charakter annehmen, 5°/o Stempel oder die
Differenz bis zu dieſem Satze nachzuerheben (Tarif A
Ib). Sicherer wird man gehen, wenn die G. m. b. H.
ihr ganzes Vermögen der AG. zu Eigentum über⸗
gibt und zwar nicht unentgeltlich, ſondern um den
tatſächlichen Wert. Die Bezahlung dieſes Wertes
braucht ja nicht ſogleich zu geſchehen, ſondern kann
geſtundet werden (zinslos?) bis zur Liquidation
der G. m. b. H., um dann aufgerechnet zu werden
mit dem Liquidationsanſpruch der AG. als einziger
Geſellſchafterin der G. m. b. H. Allerdings wird
im letzteren Falle die Bilanz der AG. unſchön
ausfallen, da die AG. dieſe geſtundete Schuld an
die G. m. b. H. unter die Paſſiven einſetzen muß.
Es wird deshalb auch im Falle III regelmäßig
gut fein, die Liquidation der G. m. b. H. bald und
voll durchzuführen.
Ein Vertrag, durch welchen die Verpflichtung
eingegangen würde, das ganze Vermögen der G. m.
b. H. auf die AG. zu übertragen, bedürfte der Form
des 8 311 BGB:; in der Regel werden jedoch nur
die Erfüllungsakte in den hiefür vorgeſchriebenen
Formen vorgenommen werden, was auch genügen
dürfte (vgl. DNot BZ. 1912 S. 22).
Vom Gebührenſtandpunkt aus iſt im Falle III
folgendes zu ſagen: Zunächſt haben wir wieder
4 , % Errichtungsſtempel, ferner für die Ein:
bringung der Geſchäftsanteile noch 2 °/oo (Tarif A
Ie I); dagegen unterliegt im Gegenſatz zu J und III.
wo die Geſchäftsübernahme bzw.⸗Einlage ganz, wenn
auch nach verſchiedenen Sätzen zu bewerten war,
im Falle III die jpätere Geſchäftsübertragung einer
Gebühr nur inſoweit, als Uebertragungsakte in
Frage kommen, die nach allgemeinen Beſtimmungen
ſtempelpflichtig find (Immobilien, Geſchäftsanteile):
alſo entſtehen hier insbeſondere für die Uebereignung
der beweglichen Maſchinen, Warenvorräte, Forde⸗
rungen ꝛc. keine weiteren Koſten.““) Andrerſeits
aber iſt im Falle III bei Vorhandenſein von Grund:
beſitz an den Stempel zu denken, der nach manchen
Landesgeſetzen im Falle der Vereinigung ſaͤmtlicher
Geſchäftsanteile in einer Hand anfällt (vgl. z. B.
BayGebG. Art. 258 a — Gebührenaͤquivalent
i. e. S.). — )
IV. Gleichzeitig mit der Errichtung der AG.
tritt die G. m. b. H. in Liquidation. Die Ge⸗
10) Es ſei denn, daß die Geſchäftsübernahme durch
die AG., wie oben erwähnt, einen weſentlichen Beſtand⸗
teil des Gründungsvertrags bildet und deshalb ganz in
ihn aufzunehmen iſt, in welchem Fall die Geſchäfts⸗
übernahme wie unter I und II zu bewerten iſt und
zwar neben der Bewertung der Geſchäftsanteilsuber⸗
nahme.
11) Ueber die Wertzuwachsſteuerfrage (S 3 des Ges)
vgl. JW. 1913 S. 79 ff.
ſellſchafter der G. m. b. H. legen als Gründer der
AG. ihre Anſprüche auf den Liquidations⸗
erlös ein. Die Gründung iſt auch in dieſem
Falle qualifiziert, weil Sachgründung; für die
Gründung verantwortlich find wiederum die G. m.
b. H.⸗Geſellſchafter; ſie können auch hier ſofort
nach Regiſtrierung der AG. über ihre Aktien ver⸗
fügen. Der Liquidator der G. m. b. H. wird
alsbald das geſamte Vermögen der G. m. b. H.
auf die AG. übertragen, wozu er ebenſo wie der
Geſchäftsführer ohne beſondere Ermächtigung be⸗
fugt iſt. Der Preis für die Geſchäftsüberlaffung
wird aufgerechnet werden gegen die in der Hand
der AG. vereinigten Liquidationserlösanſprüche der
bisherigen Geſellſchafter.
Die Gebühren ſtellen ſich ebenſo, wie im Sal III,
mit der Maßgabe, daß an Stelle der 2 %o für
die Geſchäftsanteilseinlage nur / %% für die
Einbringung der Liquidationserlösforderung zu
verrechnen iſt; außerdem wird in dieſem Falle
kein ſog. Gebührenäquivalent anſallen.
Wollen nicht ſämtliche Geſellſchafter der G. m.
b. H. ſich bei der Umwandlung beteiligen, ſo werden
diejenigen, welche nicht mitwirken wollen, vor Be⸗
ginn der Transaktion ihre Geſchäftsanteile an andere
Geſellſchafter abtreten, welche für die Umformung
find, und es gilt dann wieder das oben Geſagte.
Oder wenn der Weg unter III gewählt wird, können
die Geſellſchafter, welche gegen die Umgeſtaltung
ſind, ihre 5 anſtatt ſie einzulegen,
von der zu errichtenden AG. gegen Barzahlung
übernehmen laſſen. Aeußerſten Falles muß den
nicht mithaltenden Geſellſchaftern bei Beendigung
der Liquidation ihr Anteil an dem Vermögen der
G. m. b. H. hinausbezahlt werden. Hinauszah⸗
lungen an nicht mitwirkende Geſellſchafter können
natürlich auch die Höhe des Grundkapitals der
AG. beeinflußen.
Welcher Weg zur Ueberleitung einer G. m. b. H.
in eine AG. einzuſchlagen iſt, kann nur nach den
Umſtänden des einzelnen Falles entſchieden werden.
Bei jeder Konſtruktion ergeben ſich Umſtändlich⸗
keiten und Zeitverluſte. Es wäre daher zu wünſchen,
daß das Geſetz die Umbildung ebenſo erleichtert,
wie den Uebergang von der AG. zur G. m. b. H.
Das Bedürfnis hiefür iſt vorhanden. Abhilfe
aber wäre leicht zu ſchaffen. In das GmbHG.
ließe ſich wohl folgender § 81 a einfügen:
„Die 88 80, 81 finden entſprechende Anwen⸗
dung auf die Umwandlung einer G. m. b. H. in
eine AG.“ — Damit wäre wenigſtens das liqui⸗
dationsloſe Verfahren erreicht, ein Fortſchritt, den
die Praxis dankbar begrüßen würde.
Zeitſchrift! für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
421
Kleine Nitteilungen.
Berechnung der Straſzeit, wenn der Verurteilte auf
Grund des 8 489 StPO. verhaftet wurde. Das bayer.
Ob LG. hat in feinen Beſchlüſſen vom 20. Januar 1909
(ObLGEntſch. Bd. 9 S. 157) und vom 23. Mai 1913
(Ob“ GEntſch. Bd. 13 S. 233) im Grundſatz an feiner
früheren Anficht') feſtgehalten, daß „der Beginn der
Strafe erſt von dem Augenblick an zu berechnen iſt,
in dem der Verurteilte in den Ort der Strafvoll-
ſtreckung eingeliefert worden iſt“. Dieſe Anſicht dürfte
nach wie vor bedenklich ſein, wenn ſie auch jetzt ein⸗
gehender begründet iſt als früher.
Das ObLG. erwägt bei den genannten Ent⸗
ſcheidungen folgendes:
„Die Haft, die ein Verurteilter auf Grund des
8 489 StPO. erleidet, iſt nicht Strafhaft ſondern
Schubhaft, alſo Polizeihaft, ſie geht regelmäßig
erſt mit der Ablieferung an die für die Strafe be⸗
ſtimmte Strafanſtalt in Strafhaſt über. Sonach iſt die
Strafvoll ſtreckungsbehörde nicht verpflichtet, die bis zur
Ablieferung erlittene Haft auf die Strafe anzurechnen.
Sie iſt aber berechtigt, die Schubhaft wenigſtens teil⸗
weiſe auf die Strafe anzurechnen, wenn beſondere
Billigkeitsgründe vorliegen, nämlich inſoweit als ſie
„den Zeitraum überſchreitet, der unter gewöhnlichen
Verhältniſſen und Umſtänden zur Ausführung einer
Verſchubung vom Orte der Feſtnahme bis zum Sitze
des Gefängniſſes“ — gemeint iſt die ,
anſtalt — „erforderlich iſt“.
I. Polizeihaft (Schubhaft) oder Strafhaft )?
Die hier zu beſprechenden Fälle find — in Bayern
wenigſtens — nicht ausdrücklich geſetzlich geregelt. Es
beſtimmen nur die Art. 23 ff. AG. StPO, in welchen
Anſtalten die verſchiedenen Freiheitsſtrafen zu ver⸗
büßen ſeien; dieſe Beſtimmungen ſind aber wohl nur
als eine Art Ordnungs vorſchriften zu verſtehen,
haben wohl auch nur den Regelfall im Auge, daß der
Verurteilte ſeine Strafe freiwillig antritt. Jedenfalls
hätte es genügend deutlich ausgedrückt werden müſſen,
wenn ſie ſo zu verſtehen ſein ſollten, daß nur die in
den vorgeſchriebenen Strafanſtalten verbrachte Zeit
als Strafhaft betrachtet und behandelt werden dürfe.
Man wird alſo wohl ſagen müſſen: „Aus den Art. 23 ff.
a. a. O. läßt ſich nichts folgern, weder für die grund⸗
ſätzliche Anſicht des Ob LG. noch für die gegenteilige,
daß die Strafzeit bereits von der Aufnahme in ein
Gerichtsgefängnis oder genügend ſicheres Polizei⸗
gefängnis an zu berechnen ſei.“ Weil aber das Geſetz
nicht zum Gegenteil zwingt, wird ſich die Straſvoll⸗
ſtreckungsbehörde und im Falle des 8 490 StPO. der
Richter wohl der das Grundrecht der perſönlichen
Freiheit“ mehr achtenden Auffaſſung anſchließen müſſen,
3 Sal, Obscgantſch. Bd. 2 S. 159, Bd. 3 S. 407,
Bd. 5
— Lin ſich ſind ſelbſtverſtändlich beide Auffaſſungen
möglich, und da die richterlichen Entſcheidungen letzten
Endes Willensakte ſind, ſo kommt es auf die zu Papier
gebrachten Gründe ſchließlich gar nicht ſo viel an.
Für die Auffaſſung als Strafhaft vgl. Käͤäb in
Seuff Bl. Ihrg. 1906 S. 56. Uebrigens ſei von vorn⸗
herein bemerkt, daß mit den hier zu machenden Aus»
führungen durchaus nicht einer allzu nachſichtigen
Strafrechtspraxis, ſondern nur einer möglichſt freiheit⸗
lichen Geſetzesauslegung das Wort geſprochen werden ſoll.
) Das Ob“. ſpricht ſelbſt davon (Bd. 9 S. 160),
die ſich kurz etwa folgendermaßen begründen läßt:
„Die Verhaftung gemäß 8 489 Sı BO. erfolgt auf
Grund eines rechtskräſtigen, auf Fieiheitsſtraſe lauten⸗
den Urteils und dient ſeinem zwangsweiſen Vollzuge.
In Vollzug geſetzt aber iſt ein ſolches Urteil, ſobald
Freiheitsentziehung in irgendeinem gegen Entweichung
genügend ſicheren Gefängnis vorliegt, alſo z. B. in
einem Gerichtsgefängnis oder einem entſprechenden
Polizeigefängnis. Von die ſem Zeitpunkt an kann alſo
auch nicht mehr von Polizeihaft — nämlich Schubhaft —
geſprochen werden.“
Das Ob“ G kommt ja auch ſelbſt in den eingangs
erwähnten Beſchlüſſen — allerdings nur aus Rück⸗
ſichten der Billigkeit im Hinblick auf die Beſonder⸗
heiten des einzelnen Falles — dazu, wenigſtens einen
Teil der im Amtsgerichtsgefängnis zugebrachten Zeit
auf die Strafzeit anzurechnen. Alſo muß es doch
von der Anſchauung ausgehen, daß auch Amts⸗
gerichtsgefängniſſe an ſich geeignet ſeien, auch den auf
Vollzug einer länger dauernden Freiheitsſtrafe ges
richteten ſtaatlichen Straſanſpruch — wenigſtens teil⸗
weiſe — zu verwirklichen. Bei den eingangs erwähnten
Beſchlüſſen lagen Fälle von auffallend großen Zwiſchen⸗
räumen zwiſchen Einlieferung in das nächſte Amts⸗
gerichtsgeſängnis und Ablieferung an die Strafvollzugs⸗
anſtalt zugrunde. In dem einen Falle hatte ſich die
Ablieferung durch Krankheit des Verurteilten, in dem
andern durch die inmitte liegenden Oſterfeiertage er⸗
heblich verzögert. Immerhin hat das ObLG. in dem
einen Falle noch etwa 24 Stunden, in dem andern
ſogar dreieinhalb Tage der amtsgerichtlichen Inhaftie⸗
rung auf die Strafzeit nicht angerechnet. Gerade
aber ſolche Fälle, wo zur Vermeidung „einer unbilligen
Härte“ an der grundſätzlichen Anſicht nicht ſtreng
feſtgehalten werden kann, legen die Frage nahe, ob
denn die grundſätzliche Anſicht überhaupt richtig iſt.
Und da wird man wohl ſagen müſſen: Polizeibaft darf
nur da angewendet werden und von Polizeihaft darf nur
da geſprochen werden, wo auf andere Weiſe die Staats⸗
zwecke nicht oder nur unter erheblichen Weitſchweifig⸗
leiten erreicht werden könnten. Der hier zu erreichende
Staatszweck iſt Freiheitsentziehung auf Grund eines
rechtskräftigen, auf Strafe lautenden Urteils. Dieſer
Staatszweck iſt aber ſchon erreicht, ſobald ſich der Ver⸗
haftete überhaupt in ſicherem Gewahrſam befindet,
nicht erſt wenn er in die Straſanſtalt eingeliefert iſt.
Mit dieſem Verbringen in ſicheren Gewahrſam ſchon
iſt doch wohl „der widerſpenſtige Sinn des Verurteilten
gebrochen und der ſtaatliche Strafanſpruch verwirklicht“
(ObLGeEntſch. Bd. 9 S. 158). Denn — jetzt einmal
ein zweifelsfrei feſtſtehendes Verſchulden des Ver⸗
urteilten bei Nichtbefolgung der Ladung zum Straf⸗
antritt angenommen — wer der Ladung zum Etrafs
antritt keine Folge leiſtet, ſagt ja damit nicht: „Ich
will mich nur in der Strafanſtalt X nicht ſtellen, wo
anders würde ich die Strafe antreten“, ſondern er will
überhaupt keine Freiheitsentziehung auf ſich nehmen; |
feine Widerſpenſtigkeit iſt alfo beſiegt, wenn er über-
haupt, gleichviel wo, ſicher hinter Schloß und Riegel
ſitzt Es iſt daher auch nicht einzuſehen, warum die
hier fragliche Freiheitsentziehung „nicht die Eigenſchaft
einer Strafe“ haben ſollte. Dieſe Eigenſchaft hat ſie
ſicher, nur will ſie das Ob“ G. gewiſſermaßen als
daß die SS 482, 493 StPO., 60 StGB. vom Geiſte des
favor libertatis getragen ſeien; warum ſollte dies dann
nicht auch für $ 489 StPO. gelten?
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
Strafe für ein beſonderes Verſchulden des Verurteilten
angeſehen wiſſen. Davon im folgenden.
II. Strafe für Ungehorſam gegenüber der
Ladung zum Strafantritt oder für Er
regung von Flucht verdacht?
Das Ob. ſagt (Bd. 9 S. 159: „Der Ber⸗
urteilte hat es feinem Ungehorſam gegenüber der
Ladung zum Antritt der Strafe oder ſeinem Verhalten,
das den Verdacht der Flucht begründete, zuzuſchreiben,
wenn er behufs der Strafvollſtreckung feſtgenommen
und zwangsweiſe in das Gefängnis (die Strafanftalt)
eingeliefert wird; er hat die Entziehung der Freiheit.
die mit der Feſtnahme und der Ausführung der Zwangs⸗
maßregel der Einlieferung in den Ort der Vollſtreckung
verknüpft iſt, ſelbſt verſchuldet. Dieſe Entziehung
beruht auf dem Geſetze (8 489 StPO.) und iſt eine
vom Geſetze gewollte Zwangsmaßregel, ohne die in
vielen Fällen der widerſpenſtige Sinn eines Ver⸗
urteilten nicht gebrochen und der ſtaatliche Strafanſpruch
nicht verwirklicht werden könnte.“ Das Ob“ G. fußt
alſo auf einem angeblichen Verſchulden des Ver⸗
urteilten. Allein von einem ſolchen wird man doch
wohl nicht gut reden können, wenn weiter nichts feſt ·
ſteht, als daß der Verurteilte der Ladung zum Straf⸗
antritt keine Folge geleiſtet hat. Abgeſehen von den
nicht ſeltenen Fällen, wo der Verurteilte das nötige
Reiſegeld nicht beſitzt und desbalb die Zwangsreiſe
vorzieht, iſt es wohl auch grundſätzlich verkehrt, einem
Verurteilten einen Vorwurf daraus zu machen, daß
er es auf das äußerſte ankommen läßt und erft den
Zwang zum Strafantritt abwartet. Dazu find die
ſtaatlichen Zwangsmittel da, damit von ihnen im ge⸗
gebenen Falle Gebrauch gemacht werde. Es dürfte
nicht angehen, jemanden bloß deswegen, weil er den
Staat zur Anwendung ſeiner Zwangsmittel nötigt,
in Strafe zu nehmen, d. h. in den hier fraglichen
Fällen die Freiheitsentziehung zu verlängern. Die
Sache iſt hier vielleicht ähnlich gelagert wie bei dem
in der Hauptverhandlung leugnenden Angeklagten,
dem man nicht etwa das Leugnen als ſtraferſchwerenden
Umſtand anrechnen darf.“) So gut der Angeklagte
das „Recht“ hat, zu leugnen, ebenſogut hat der Ver⸗
urteilte das „Recht“, der Ladung zum Strafantritt
keine Folge zu leiſten. Beſonders verſtändlich wird
dies ſein, wenn der Verurteilte — der z. B. nur auf
Indizien hin verurteilt wurde — tatſächlich unſchuldig
iſt, alſo ſachlich zu unrecht ſeine Strafe abſitzen muß.
Im übrigen aber iſt eben doch bei vielen Menſchen
der Freiheitsdrang größer als die Bereitwilligkeit,
behördlichen Anordnungen Folge zu leiten. Dann
wird eben der ſtaatliche Zwang ausgelöſt und damit
iſt die Sache erledigt.
Nicht anders ſteht es mit der Verhaftung wegen
Fluchtverdachts. Eine ſolche Verhaftung zum Zwecke
des Strafvollzugs erfolgt ja eben deshalb, weil die
Strafvollſtreckungsbehörde von vornherein annimmt,
daß eine Ladung zum Strafantritt ohne Erfolg fen
werde. Die obigen Ausführungen für den Fall des
Ungehorſams gegen die Ladung gelten auch bier. Es
kommt vielleicht hier ſogar noch weiter in Betracht,
daß naturgemäß die Entſchließung der Strafvoll:
ſtreckungsbehörde ſehr raſch getroffen werden muß
daß ſich aber der Fluchtverdacht bei näherem Zu⸗
) Vgl. Käb in dieſer Zeitſchrift Jahrgang 1907
S. 467 ff.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
ſehen als unbegründet erweiſen könnte. Dieſe Möglich»
keit wird es in ſolchen Fällen wohl erſt recht angezeigt
erſcheinen laſſen, die Schubhaft ſchon von dem Zeit⸗
punkt der Aufnahme in ein Gerichtsgefängnis oder
ſicheres Polizeigefängnis an auf die Strafe anzurechnen.
Die vom Ob“LG. beigebrachten Gründe dürften
alſo doch wohl nicht hinreichen, um die daraus ge⸗
zogene Schlußfolgerung zu rechtfertigen. Bei der
Mittelmeinung wie ſie dieſes Gericht nunmehr ver⸗
tritt, handelt es ſich ja ohnedies immer nur höchſtens
noch um einige Tage, die nicht angerechnet werden
könnten; geſetzlich geregelt ſind die hier fraglichen
Fälle nicht; alſo beſteht wohl kein Hindernis, auch
noch dieſe wenigen Tage auf die Strafe anzurechnen.
Die Entſcheidung auf ein Verſchulden des
Verurteilten zu gründen hat auch deshalb etwas Miß⸗
liches, weil bei Zugrundelegung der Anſchauung des
Ob G. die Strafvollſtreckungsbehörden wohl vers
pflichtet wären, ein Verſchulden des Verurteilten feſt⸗
zuſtellen, ehe ſie die Strafzeitberechnung vornehmen.
Denn der ganze Strafvollzug wird ja von Amts wegen
betrieben. Es müſſen alſo zum mindeſten naheliegende
Umſtände feſtgeſtellt werden, die für die Strafzeit⸗
berechnung von Belang ſein können, wie insbeſondere
auch der Umſtand, ob der Verurteilte nicht nur wegen
Mangels des Reiſegelds der Ladung zum Straf⸗
antritt keine Folge geleiſtet hat.“) Es könnte ſich dann
ergeben, daß die Ausnahmen von dem Grundſatz — daß
die Strafe erſt mit der Einlieferung in die betreffende
Strafanſtalt beginne — ſo zahlreich werden würden,
daß man ſie als die tatſächliche Regel betrachten könnte.
Dieſer Umſtand würde ja allerdings an ſich nicht maß⸗
gebend ſein, aber er gibt doch wohl einen kleinen
Fingerzeig, in welcher Richtung die auch den Be⸗
dürfniſſen der Praxis am meiſten entſprechende An⸗
ſicht zu ſuchen ſei.
III. Sinngemäße Anwendung des 8 482 StPO.
Die Strafprozeßordnung iſt — das kann wohl
nicht beſtritten werden — ein etwas lücken haftes Geſetz,
und ſo gut ſich die Praxis ſchon damit geholfen hat,
zur Ausfüllung vorhandener Lücken Beſtimmungen
der ZPO. heranzuziehen, ebenſogut muß es auch zu⸗
läſſig fein, Beſtimmungen der StPO. felbft in ge
eigneten Fällen entſprechend anzuwenden. Hier nun
kommt 8 482 in Betracht. Die hilfsweiſe Heranziehung
dieſer Geſetzesſtelle muß aber m. E. dazu führen, daß
auf die Strafzeit auch die auf Grund des Haftbefehls
erfolgte Verwahrung in einem Gerichtsgefängnis oder
gleich ſicheren Polizeigefängnis unverkürzt anzu⸗
rechnen iſt. Von Unterſuchungshaft kann allerdings
im Falle des 8 489 nicht mehr geſprochen werden,
weil ja nichts mehr zu unterſuchen iſt, aber es handelt
ſich doch — wie bei der Unter ſuchungshaft — um eine
Freiheitsentziehung, die im Intereſſe der raſchen und
ſicheren Durchführung des ſtaatlichen Strafanſpruchs
verhängt wird; hier wie dort ſoll durch die Freiheits⸗
entziehung die angenommene Fluchtgeſahr — dieſe
kommt wenigſtens in der weitaus größten Zahl der
Fälle in Betracht — beſeitigt werden. Iſt der Ver⸗
urteilte auf Grund des 8 489 in ſicheren Gewahrſam
verbracht, ſo iſt die Fluchtgefahr beſeitigt. Ein anderes
6) Die Strafvollſtreckungsbehörden werden ſchon
deshalb ſehr peinlich vorgehen müſſen, damit ſie ſich
nicht allenfalls einer Verfehlung gegen 8 341 StGB.
(letzte Alternative) ſchuldig machen.
423
Hindernis fteht dem Strafvollzug auch nicht entgegen,
da ja das Urteil rechtskräftig iſt. Eine beſondere Vor⸗
ſchrift entſprechend 8 482 iſt eben für die Fälle des
8 489 wohl deshalb nicht erlaſſen worden, weil der
Geſetzgeber es als ſelbſtverſtändlich erachtet hat, daß
dieſe Haft — da ja bereits ein rechtskräftiges Urteil
vorliegt — auch ohne weiteres auf die Strafe ange⸗
rechnet werde.“) Bei dieſer Freiheitsentziehung darf
es alſo ebenſowenig wie bei der Unterſuchungshaft im
Falle des 8 482 darauf ankommen, ob die Freibeits⸗
entziehung in der „zuſtändigen“ Strafanſtalt ſtattfindet.
Sowohl die Unterſuchungshaft als auch die Polizei⸗
haft nach 8 489 — jetzt angenommen, daß es ſich wirk⸗
lich um Polizeihaft und nicht um Strafhaft handle —
ſind tatſächliche, vom Staate verhängte Freiheits⸗
entziehungen. Der innere Grund, warum die Unter⸗
ſuchungshaft nach 8 482 angerechnet werden muß,
iſt offenbar der, daß vom Standpunkt des Angeklagten
aus — weil er ſich dem Urteil unterworfen hat oder
die Rechtsmittelfriſt verſtrichen iſt — die Strafhaft
bereits beginnen lönnte. Im Falle des 8 489 könnte
aber — da ein rechtskräftiges Urteil vorliegt — nicht
nur vom Standpunkte des Verurteilten aus, ſondern
auch vom Standpunkte des Staates aus die Strafhaft
bereits beginnen, alſo mu ß auch die „Polizeihaft“ nach
8 489 un verkürzt auf die Strafe angerechnet werden.
Das Ob“. ſpricht auch ſelbſt (Bd. 9 S. 160
oben) von analoger Anwendbarkeit der 88 482, 493
StPO. und des 8 60 StGB.; in Wirklichkeit wendet
es aber nur den 8 60 StGB. („kann angerechnet
werden“) ſowie den 8 493 StPO. (der allerdings ſchon
die Worte: „iſt anzurechnen“ gebraucht) analog an,
nicht aber den 8 482 StPO., der unverkürzte An⸗
rechnung vorſchreibt, es alſo nicht in das pflichtmäßige
Ermeſſen der Straſvollſtreckungsbehörde oder — im
Falle des 8 490 StPO. — des Richters ſtellt, ob ſie
etwas und wieviel ſie anrechnen wollen. Von einer
unverkürzten Anrechnung kann aber nur dann ge⸗
ſprochen werden, wenn die ganze Zeit von der Ein⸗
lieferung in ein Gerichts⸗ oder ſicheres Polizeigeſängnis
an auf die Strafe angerechnet wird. N
Das Ergebnis iſt alſo folgendes: Entweder iſt
die Haft auf Grund des 8 489 StPO. Strafbaft,
dann iſt die Anrechnung auf die Strafe ſelbſtverſtändlich.
Aber auch wenn ſie Polizeihaft iſt, muß die Anrechnung
erfolgen auf Grund des ſinngemäß anzuwendenden
8 482 StPO.
Amtsrichter Dr. Käb in Neumarkt i. O.
) Man bedenke auch noch folgendes: Trifft ein
Verurteilter nach Erlaß eines Urteils aber erſt an dem
Tage, an dem die Rechtsmittelfriſt abläuft, Anſtalten
zur Flucht und wird verhaftet, ſo wird ihm, wenn
dann am nächſten Tage das Urteil rechtskräftig wird
oder wenigſtens er ſelbſt kein Rechtsmittel mehr ein⸗
legt, nur ein Bruchteil eines Tages auf die Strafzeit
nicht angerechnet. Wartet er aber mit den Anſtalten
zur Flucht bis nach Rechtskraft des Urteils — was
doch wohl milder zu beurteilen iſt, weil die Verjährung
der Strafvollſtreckung ſich in längeren Friſten voll⸗
zieht als die Verjährung der Strafverfolgung —
ſo kann es kommen, daß er zu ſeiner Strafe eine Zu⸗
lage von einigen Tagen bekommt. Dieſes Ergebnis
kann vom Geſetzgeber nicht gewollt ſein.
424
— — — — — —
Zeit ſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
Juläſſigkeit der Widerklage und des Zurüdbehal:
tungsrechts trotz Unzuläſſigkeit der Aufrechnung ? Rechts⸗
anwalt Dr. A. Fürnrohr bekämpft in Nr. 12 dieſer Zeit⸗
ſchriſt (S. 250) meine Darlegungen, nach denen bei Un⸗
zuläſſigkeit der Aufrechnung auch die Widerklage nicht
ſtatthaft iſt.
1. Fürnrohr verbindet zunächſt ohne weiteres die
Erörterung zweier Fragen, die nicht durchaus nach den
gleichen Geſichtspunkten zu entſcheiden ſind. Er meint,
„daß die Widerklage in ſolchen Fällen wohl ſtets in
Verbindung mit der Ausübung des Zurückbehaltungs⸗
rechts (8 273 BGB.) auftritt“. Dabei hat er offenbar
nicht den Fall der Widerklage auf Feſtſtellung des
Zurückbehaltungsrechtes) im Auge; denn er ſpricht
ja von der „Ausübung“ und der Geltendmachung
des Zurückbehaltungsrechtes, wie er auch als deren
Folge die Verurteilung des Klägers Zug um Zug
(8 274 BGB.) erwähnt.
Das Zurückbehaltungsrecht wird im Rechtsſtreit
ausſchließlich durch Einrede“ zur Geltung gebracht.
Eine Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch
Klage oder Widerklage iſt ausgeſchloſſen; denn es
begründet keinen Anſpruch, ſondern ſchafft nur einen
Abwehrbehelf.“
Neben der Einrede des Zurückbehaltungsrechts ſteht
alſo die Widerklage auf den Leiſtungsanſpruch ſelbſt.
Wenn alſo auch beide Behelfe zuſammen auftreten
würden, würde die Zuläſſigkeit des einen an ſich nichts
für oder wider die Zuläſſigkeit des andern dartun, wie
denn auch die prozeſſualen Bedenken, die gegen die
Zuläſſigkeit der Widerklage zu erheben ſind, das Zurück⸗
behaltungsrecht nicht treffen. Es wären alſo beide
getrennt zu behandeln, ſelbſt wenn ſie, wie Fürnrohr
meint, zuſammentreffen würden.
Der Ausgangspunkt Fürnrohrs iſt aber unrichtig.
Die Widerklage tritt nicht „wohl ſtets“ in Verbindung
mit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts auf.
Im Gegenteil! Beide ſchlie ßen ſich gegenſeitig aus.
Wäre Fürnrohrs Meinung richtig, ſo würde das Urteil
nicht nur, wie er meint, dabin lauten können, daß der
Beklagte zur Zahlung von 100 M Zug um Zug gegen
Zahlung von 100 M an ihn verurteilt würde. Das
wäre nur die Entſcheidung über die Klage unter Be⸗
rückſichtiaung der Einrede des Zurückbehaltungsrechts
(8 274 BGB.). Damit iſt aber die Widerklage noch
nicht erledigt. Auch über ſie müßte im Urteilsſatz
entſchieden werden. Iſt ſie zuläſſig und begründet,
ſo lann der Ausſpruch nicht anders als auf Verurteilung
des Klägers und Widerbeklagten lauten.
Die Folge iſt, daß der Kläger im Ergebnis doppelt
verurteilt iſt. Er muß, will er die ihm zuerkannten
100 M haben, 100 M anbieten (8 756 ZPO.). Ungehindert
aber kann der Beklagte aus dem den Kläger verurteilen⸗
den Teil des Urteilsſatzes vollſtrecken. Der Beklagte,
der in dem ihm günſtigſien Fall nichts ſchuldig iſt, er⸗
hält alſo noch 100 M. Es kann nicht Aufgabe des
Vollſtreckungsgerichts ſein, hier eine Berichtigung ein⸗
treten zu laſſen. Das Urteil ſelbſt darf nicht über
einen Anſpruch doppelt entſcheiden, daher müßte der
Beklagte, ſtünden ihm wirklich Zurückbehaltungsrecht
und Widerklage zu, zwiſchen beiden wählen. Beide
1) Bol. Warneyer 1908 S. 440 Nr. 550.
) Staudinger Anm. I 5 zu 8 273, 1 zu 8 274;
Planck Anm. 1 zu 8 273; RGR Komm. Anm. 1 zu
§ 273, Anm. 1 zu 8 274.
) RGR Komm. Anm. 1 zu 8 273.
nebeneinander ſind ebenſo unmöglich, wie die Einrede
der — nicht vorſorglichen — Aufrechnung zuſammen
mit der Widerklage auf Grund des gleichen Anſpruchs.
Abgeſehen davon würde, wenn das Zurückbehaltungs⸗
recht gegeben wäre, für die Widerklage auch das Rechts⸗
ſchutzbedürfnis entfallen; denn es kann ja der Anſpruch
auf Verneinung des Klageanſpruchs durch Einrede
a gemacht werden, jo daß es der Widerklage nicht
bedarf.
2. Wenn auch die Fragen nach der Buläffigkeit
der Widerklage und des Zurückbehaltungsrechts ſich
nicht durchweg nach den gleichen Geſichtspunkten ent⸗
ſcheiden, ſo iſt doch Fürnrohr darin beizuſtimmen, daß
beide im Ergebnis auf das gleiche Ziel hinauslaufen,
nämlich auf Vereitelung des geſetzlichen oder vertrags⸗
mäßigen Ausſchluſſes der Aufrechnung. Und aus
dieſem Grund iſt allerdings anzunehmen, daß, ebenſo
wie die Widerklage, ſo auch die Ausübung des Zurück⸗
behaltungsrechts bei Unzuläſſigkeit der Aufrechnung
unſtatthaft iſt. Iſt die Aufrechnung durch Geſetz oder
Verbot ausgeſchloſſen, ſo muß der Schuldner ſeine
Verpflichtung erfüllen, unbekümmert um etwaige ihm
zuſtehende Gegenrechte. Damit entfällt das Zurück⸗
bebaltungsrecht ſchon nach dem Wortlaut des 8 273
Abſ. 1 BGB.; denn es greift nur Platz, ſofern ſich
nicht aus dem Schuldverhältnis ein anderes ergibt.“
Schon in der Entſcheidung vom 24. April 1908)
hat das Reichsgericht erklärt: „wenn ein Zurück⸗
behaltungsrecht wegen einer fälligen Geldforderung
geltend gemacht wird, ſo iſt dies in Wahrheit regel⸗
mäßig die Erklärung der Aufrechnung,“ und es bat
hieran in ſtändiger Rechtſprechung feſtgehalten.
Zu unrecht greift Fürnrohr dies an. Das Reichs⸗
gericht verwechſelt nicht die Gleichheit des Erfolgs mit
der Gleichheit des Mittels. Es weiſt nur die unter
einer falſchen Bezeichnung auftretende Aufrechnung
zurück. Daß die falſche Bezeichnung eines rechtlichen
Vorgangs belanglos iſt, iſt ein anerkannter Rechtsſatz.
Es gehört ja gerade zum Weſen der Geſetzesumgebung.
daß ſie einen verbotenen Erfolg mit einem ſcheinbar
erlaubten Mittel erreichen will.
Der wahre Wille des Geſetzes wie der Partei iſt
zu erforſchen. Dieſer aber geht, wenn die Aufrechnung
ausgeſchloſſen iſt, dahin, daß die Rechte des Gläubigers
von etwaigen Gegenrechten des Schuldners unberührt
bleiben ſollen. Andernfalls wären ja alle geſetzlichen
Aufrechnungsverbote völlig wirkungs⸗ und daher ſinn⸗
loſe Beſtimmungen.
Wenn ſchließlich Fürnrohr den Ausſchluß der
Aufrechnung ſchlechthin als „ſinnwidrig“ bezeichnet,
ſo verkennt er offenbar deſſen außerordentliche wirt⸗
ſchaftliche Notwendigkeit. Im Gegenſatz zu ihm haben
die Geſetzgeber dieſe von jeher anerkannt. Geſetzliche
Aufrechnungsverbote hat es im römiſch gemeinen Recht“
wie im preußischen ®) und bayeriſchen“ Landrecht ge⸗
geben, und nicht weniger finden ſie ſich im geltenden
) JW. 1911 S. 536.
) Warneyer 1908 S. 440 Nr. 550 und Recht 1908
Nr. 2135.
e) Recht 1913 Nr. 2848; RG. Bd. 83 S. 138.
) Windſcheid, Pandekten 5. Aufl. Bd. 2 8 350
Ziff. 7 und die Quellenſtellen in Fußnoten 24 — 28
§ 397 Fußn. 5.
s) AVR. Teil 1 Tit. 16, SS 363 f., 366, 368 ff.
) Kreittmayer, Annot. Teil 4 Kap. 15 5 1 Ziff. 3.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
franzöſiſchen Recht.“) In keinem dieſer Rechte iſt ein
Verbot des vertragsmäßigen Aufrechnungsverzichts ent⸗
halten: im römiſch⸗gemeinen Recht war deſſen Zu⸗
läſſigkeit allgemein anerkannt,“) im preußiſchen Land⸗
recht ausdrücklich ausgeſprochen.)
Wenn Fürnrohr nun auch der Anſicht fein mag,
daß alle diefe Beſtimmungen den Denkgeſetzen wider⸗
ſprechen, fo muß er ſich doch damit ab finden, daß un⸗
zweifelhaft das geltende Recht Aufrechnungsverbote
aufftellt und den Aufrechnungsverzicht nicht verbietet.
Damit, daß er geſetzliche Beſtimmungen für ſinnwidrig
erklärt, kann er ſie mit ihren Folgerungen nicht aus
der Welt ſchaffen. Er mag klagen über die dura lex;
sed ita scripta est.
Rechtsanwalt Dr. Berlin in Nürnberg.
Aus der Lechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
1
Zu 53 426 Abſ. 1 und 774 Abſ. 2 568. Geſamt⸗
ſchuldneriſche Berbürgung der Geſellſſchaſter einer G. m. b. H.
oder eines Teiles von ihnen für ein der Geſellſchaft ge:
währtes Darlehen; nach welchen Anteilen haften die
Bürgen in dieſem Fall untereinander? Aus den
Gründen: Nach der Veſtimmung des 8 426 Abſ. 1
BGB., die gemäß 8 774 Abſ. 2 BGB. auch für Mit⸗
bürgen gilt, find Geſamtſchuldner im Verhältnis zu⸗
einander zu gleichen Anteilen verpflichtet, „ſoweit nicht
ein anderes beſtimmt iſt“. Die gleichmäßige Verteilung
ſetzt einen Regeltatbeſtand voraus, bei dem anderes
nicht in Betracht kommt, als eben nur die geſamt⸗
ſchuldneriſche Verpflichtung nach außen, die dann nach
innen die Haftung nach gleichen Anteilen zur Folge
haben ſoll. Dieſer Regelfall iſt in dem vielgeſtaltigen
Leben durchaus nicht häufig, ſo daß ſich der Grundſatz
der gleichartigen Verteilung in d 426 Abſ. 1 praktiſch als
ein Hilfsſatz darſtellt (RG. 75, 251; RGR.⸗Komm Anm. 2
zu §8 426). Die Ordnung in § 426 Abſ. 1 BGB. gilt überall
da nicht, wo die Geſamtſchuldner unter ſich durch ein
rechtliches Band vereinigt find, das den Maßſtab für die
Verteilung der inneren Haftung nach dem ausdrücklich
oder ſtillſchweigend erklärten Willen der Geſamtſchuldner
abgibt Die Geſellſchafter einer G. m. b. H. ſtehen ſich
nun nicht fremd gegenüber, wie die Aktionäre einer
Aktiengeſellſchaft, wenn auch die G. m. b. H. gleich
dieſer eine von der Geſamtheit der Geſellſchafter ver-
ſchiedene ſelbſtändige juriſtiſche Perſon iſt; ſie ſtehen
in einem Vertragsverhältnis zu einander, das eine be⸗
ſondere Art des Geſellſchaftsvertrags iſt (88 2, 3, 14ff.,
45 GmbH.). Es iſt gerade die Eigentümlichkeit der
G. m. b. H., durch die ſich das Innenverhältnis der
Geſellſchaft des BB. nähert (S 706 BGB.), daß die
Beteiligung der Geſellſchafter der G. m. b. H. am Stamm⸗
kapital und damit auch am Gewinn und Verluſt, „der
Geſchäftsanteil“ ($ 14), verſchieden feſtgeſetzt werden
kann (88 5, 14, 29 Abſ. 2, 26 GmbH.). Es iſt darum
von voruherein anzunehmen, daß im inneren Verhält-
niſſe der Geſellſchafter bei allen Verpflichtungen, die
ſie in Angelegenheiten der Geſellſchaft übernehmen, der
Geſchäftsanteil den Maßſtab für die Verteilung unter:
einander bilden ſollte. Der Kläger will das nur gelten
10) (Cod. eiv. Art. 1293, auch 1294, 1298.
11) Windſcheid a. a. O. Fußn. 29 S. 337.
1) ALR. Teil I Tit. 16 § 372.
425
laſſen, wenn ſich alle Geſellſchafter an der Berbürgung
beteiligt hätten, wie dies auch zunächſt beabſichtigt war.
Der Maßſtab verſage aber, wo nur ein Teil der Ge⸗
ſellſchafter eine allerdings aus dem Geſellſchaftsverhält⸗
nis heraus entſtandene Verpflichtung Dritten gegen⸗
über übernommen habe. Das iſt nicht anzuerkennen.
Unmittelbar kann freilich in ſolchem Falle das Ver⸗
hältnis der Geſchäftsanteile an der Geſellſchaft nicht
zugrunde gelegt werden; die Einheit wird eine andere;
es bildet ſich gewiſſermaßen eine Geſellſchaft zu einem
Einzelzweck innerhalb des Geſellſchaftsverhältniſſes zur
G. m. b. H. mit demſelben Beteiligungsverhältnis, mit -
demſelben Zähler, aber mit neuem Nenner. Der Maß⸗
ſtab der Beteiligung der einzelnen Mitbürgen an der
Geſellſchaft ändert ſich entſprechend dem Beteiligungs⸗
verhältnis an der Bürgſchaft von ſelbſt in ähnlicher
Weiſe, wie wenn von einem Ausgleichungspflichtigen
der auf ihn entfallende Beitrag nicht erlangt werden
kann (8 426 Abſ. 1 Satz 2 BGB.). Der Satz des Be-
rufungsurteils: Hätte man die Ausgleichungsfrage
unter den Mitbürgen bei der Uebernahme der Bürg⸗
ſchaft erörtert, ſo würden ſie ſich einſtimmig für das
Verhältnis ihrer Geſchäftsanteile entſchieden haben, iſt
durchaus richtig und bedenkenfrei. Er enthält nicht,
wie die Reviſion meint, eine Erörterung der für die
Entſcheidung nicht maßgebenden Frage, wie die Mit⸗
bürgen vernünftigerweiſe die Ausgleichung unter ſich
hätten vereinbaren ſollen, aber nicht vereinbart haben,
ſondern die Feſtſtellung einer ſtillſchweigenden Ver⸗
trags vereinbarung, die aus den Umſtänden des vor⸗
liegenden Einzelfalles entnommen wird (vgl. Urt. des
erk. Senats VI 331/07 vom 15. April 1908). (Urt. des
VI. 3S. vom 25. Juni 1914, VI 177/1914). E.
3471
II
Kann eine Zuſtimmung i. S. des 5 1565 Abſ. 2 888.
daun angenommen werden, wenn der eine Gatte den
Ehebruch des andern gewünſcht und herbeigeführt hat,
um einen Grund zur Scheidung zu haben? Aus den
Gründen: Das BG. ſtellt feſt, daß die Beklagte mit
dem vom Kläger mit ihrer Ueberwachung betrauten
Zeugen K. den Beiſchlaf vollzogen hat. Es nimmt
gegenüber dem Einwande der Beklagten, ſie ſei von K.
vergewaltigt worden, auch an, daß ſie ſich ihm frei⸗
willig hingegeben habe. Andererſeits aber erachtet
es für dargetan, daß der Kläger dem Ehebruche zus
geſtimmt habe. Zwar ſieht es nicht als bewieſen an,
daß der Kläger K. ausdrücklich beauftragt habe, mit
der Beklagten geſchlechtlich zu verkehren; wohl aber
entnimmt es aus dem Verhalten des Klägers, be⸗
ſonders auch aus ſeinem Benehmen bei und nach dem
von ihm ſelbſt beobachteten Ehebruche, daß er die
Beiſchlafsvollziehung gewünſcht habe, daß er abſichtlich
die Umſtände herbeigeführt habe, unter denen die Be⸗
klagte der Verführung unterlag, und daß er mit dem
Ehebruch einverſtanden geweſen ſei. Es iſt der An⸗
ſicht, daß die hierin zu findende Zuſtimmung zum Ehe⸗
bruch ihre Wirkſamkeit behalte, obwohl ſie aus dem
Wunſche heraus erteilt ſei, geſchieden zu werden, und
hält deshalb übereinſtimmend mit dem LG. die auf
den Ehebruch der Beklagten geſtützte Scheidungsklage
gemäß § 1565 Abſ. 2 BGB. für unbegründet. Die
Reviſion wirft dem OLG. in erſter Linie vor, es habe
den Begriff der Zuſtimmung verkannt. Sie führt unter
Berufung auf die Mot. zum J. Entw. des BGB.
(IV S. 587) aus: Zuſtimmung läge nur vor, wenn
der Kläger ſich den Ehebruch der Beklagten zu eigen
gemacht und zu erkennen gegeben hätte, daß die Be—
gehung des Ehebruchs ſeine eheliche Geſinnung nicht
beeinträchtige und ihm die Fortſetzung der Ehe nicht
unmöglich mache. Genau das Gegenteil aber ſei der
Fall. Der Kläger habe vor dem Auftreten K.s einen
ſtarken Verdacht gehabt, daß die Beklagte die eheliche
Treue nicht wahre. Er habe deshalb ein berechtigtes
426
el daran gehabt, ſich davon zu überzeugen, ob
e in der Tat ſo weit fallen würde, ſich K. hinzu⸗
geben. Eine Zuſtimmung zum Chebruche ſei aus dieſem
Verhalten nicht zu entnehmen. Dieſer Angriff geht
fehl. Die Zuſtimmung, von der in 8 1565 Abſ. 2 die
Rede iſt, hat ebenſowenig wie die in 8 1570 behandelte
Verzeihung rechtsgeſchäftlichen Charakter. Sie iſt viel⸗
mehr ein rein tatſächlicher Vorgang und braucht des⸗
halb auch nicht gerade dem anderen Gatten gegenüber
erklärt zu werden, ja ſie braucht nicht einmal zu
deſſen Kenntnis gebracht zu werden, ſondern es genügt
zur Zuſtimmung, wenn der verletzte Ehegatte in irgend
einer Weiſe ſein Einverſtändnis mit dem Ehebruch zu
erkennen gibt. Das hat der Senat bereits wiederholt
und noch ganz kürzlich i (vgl. die Urteile
vom 17. März 1910 IV 253/09 JW. 476 Nr. 16 und
vom 14. Mai 1914 IV 71/14). Wenn Zuſtimmung in
rn kommt, wird allerdings in der Regel die Sache
o liegen, daß der zuſtimmende Gatte zu erkennen
gibt, daß die Begehung des Ehebruchs feine eheliche
Geſinnung nicht berührt und ihm die Fortſetzung der
Ehe nicht unmöglich macht (vgl. die Motive an der
von der Reviſion angeführten Stelle). Aber not⸗
wendige Vorausſetzung der Zuſtimmung iſt das nicht.
Vielmehr iſt für die Frage, ob die Zuſtimmung wirk⸗
ſam erteilt iſt, ohne weſentliche Bedeutung, ob und in
welchem Maße die eheliche Geſinnung des zuſtimmen⸗
den Gatten durch den Ehebruch des anderen Gatten
berührt wird, mit dem er ſich einverſtanden erklärt.
Insbeſondere wird der Zuſtimmung ihre Wirkſamkeit
auch dadurch nicht genommen, daß ſie aus dem Wunſche
heraus erteilt worden iſt, geſchieden zu werden. Auch
das hat der Senat in Fällen, die dem hier zur Ent⸗
ſcheidung ſtehenden völlig gleich lagen, ſchon mehrfach
anerkannt (vgl. außer dem bereits erwähnten Urteile
vom 14. Mai 1914 vor allem das dort angezogene
Urteil vom 14. Februar 1907 IV 337/06). Der Gatte,
der, um einen Scheidungsgrund zu erlangen, einen
Ehebruch des anderen Gatten herbeiführt, wünſcht
dieſen Ehebruch. Wer aber ein gewiſſes Geſchehen
wünſcht, iſt, wie ſich Opet ausdrückt (Bemerkung Ic
zu 8 1565), notwendig damit einverſtanden, daß ſich
dieſes Geſchehen verwirklicht, er ſtimmt ihm alſo zu.
(Urt. des IV. 35. vom 8. Juni 1914, IV 592/1913).
3470 E.
III.
. Der Antrag, die Bertragsſtraſe zu ermäßigen, be:
trifft nicht den Grund des Anſpruchs ſondern den Be:
trag. Aus den Gründen: Die in der Rechtslehre
ſtreitige Frage, ob der Antrag des Schuldners auf
Strafermäßigung den Grund des Zahlungsanſpruchs
betrifft oder nur den Betrag, iſt in letzterem Sinne
zu beantworten. Das eine Vertragsſtrafe herabſetzende
Urteil hat allerdings rechtsgeſtaltende Bedeutung. in—
dem ein Teil der Forderung aufgehoben und zu einem
anderen Teile verurteilt wird. Der aufgehobene Teil
der Forderung gilt als von Anfang an nicht geſchuldet,
der Teil, zu deſſen Zahlung verurteilt wird, als von
Anfang an geſchuldet. Dieſe Bedeutung des Urteils
entſtammt eben ſeiner rechtsgeſtaltenden Kraft. Allein
8 343 BGB ſagt nicht, es ſei das Verſprechen der Strafe
zu dem unverhältnismäßigen Teil nicht verbindlich,
das Geſetz erkennt vielmehr an, daß die Strafe an
ſich verwirkt iſt, läßt ſie aber wegen Unverhältnis—
mäßigkeit aus Billigkeitsgründen nachträglich herab—
ſetzen. Dieſe Billigkeitsrückſichten brauchen nicht not—
wendig in den bereits bei Vertragsſchluß vorhandenen
Tatſachen zu liegen. Es ſind vielmehr unter Um—
ſtänden auch ſolche Tatſachen bei Prüfung der Un—
verhältnismäßigkeit mit heranzuziehen, die ſich erſt
nach Vertragsſchluß eingeſtellt haben, und deren Ein—
treten von niemand vorausgeſehen werden konnte.
Hieraus erhellt, daß der Antrag auf Herabſetzung der
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
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der Strafleiſtung betrifft, und daß nicht dieſelben Tat⸗
ſachen für Grund und Betrag des Anſpruchs auf Strafe
maßgebend ſind. Danach kann ein Urteil über den
Grund des Anſpruchs vorab erkennen und die Ent⸗
ſcheidung über den Antrag auf Strafermäßigung dem
Verfahren über den Betrag vorbehalten. Aus dieſen
Gründen kann auch die Entgegnung, es könne wegen
der Kaufmannseigenſchaft des Schuldners deſſen Er⸗
mäßigungsantrag keine Beachtung finden, gleichfalls
dem Verfahren über den Betrag vorbehalten werden.
(Urt. d. III. 3S. vom 24. September 1914, III 169/14).
3464
IV.
Haftet der Wirt für Verkehrsſicherheit der Dem Ber:
kehr nicht freigegebenen Nebenräume 7 Der Kläger war
in der Neujahrsnacht aus dem Tanzſaal in den Lichthof
gegangen, dort an ein Fenſter des Wirtſchaftsſaales
getreten, um ſeine Bekannten durch das Fenſter zu be⸗
glückwünſchen, und in den unter dem Fenſter befind⸗
lichen unbedeckten Lichtſchacht geſtürzt.
Aus den Gründen: Daraus, daß der Lichthof
gelegentlich zu anderen Jahreszeiten den Gäſten zum
Aufenthalt gedient hat, kann nicht auf ſeine Widmung
zum Gäſteverkehr oder auch nur auf eine Zulaſſung
dieſes Verkehrs in der Neujahrsnacht geſchloſſen werden.
Wenn der Wirt z. B. bei Ueberfüllung des Caſthofs
ſeine eigenen Wohnräume Gäſten überläßt, ſind dieſe
Räume damit nicht für alle Zukunft Vertragserfüllungs⸗
räume geworden, für deren Verkehrsſicherheit er jedem
abſichtlich dorthin geratenen Gaſte einzuſtehen hätte.
Der Wirtſchaftsgarten, der im Sommer von Gäſten
ſtändig benützt wird, braucht im Winter nicht ohne
weiteres durchaus verkehrsſicher gehalten zu werden.
Ob der Beklagte aus dem Gaſtaufnahmevertrag haften
würde, wenn der Gaſt infolge einer Verwechſel ung
irrtümlich den Lichthof betreten hätte, oder wenn die
Gefahrenquelle, die unbedeckte Lucke, unmittelbar vor
der aus dem Tanzſaal in den Lichthof führenden Tür
ſich befunden hätte, bedarf der Unterſuchung nicht. Denn
der Kläger hat nicht irrtümlich ſondern abſichtlich den
Lichthof betreten, und die Lucke liegt weitab vom Ein⸗
gang. an einer Stelle, wo kaum je ein Gaſt auch nur
das Geringſte zu tun gehabt haben könnte, auch wenn
der Lichthof dem Gäſteverkehr freigegeben geweſen wäre.
Die Winterkälte der Neujahrsnacht, die fehlende Be⸗
dachung des Raumes, der Mangel eigener Beleuchtung
des Hofes mußten dem Kläger und jedem Gaſte, der den
Hof betrat, ſchlechthin ſofort klar machen, daß der Hof
nicht zu den Räumen gehörte, die der Wirt der Be⸗
nutzung durch die Gäſte freigeben wollte. Es kommt
deshalb nicht darauf an, ob der Zugang in den Lichthof
für den ihn abſichtlich Betretenden mehr oder minder
erſchwert war, ob die Türe verſchloſſen, eine Klinke vor⸗
handen war oder nicht. Auch wenn man in Betracht
zieht, daß es ſich um eine Silveſterfeier im Rheinland
handelte, bei der der Genuß erheiternder Getränke und
fröhliche Ausgelaſſenheit eine Rolle ſpielten, kann nicht
geſagt werden, daß ein die Verkehrsſorgfalt beobachten⸗
der Wirt damit hätte rechnen müſſen, ein Gaſt könne
auf den eigenartigen Silveſterſcherz verfallen, vom Licht⸗
hofe aus die Inſaſſen des Saales zu beglückwünſchen.
Die Gewährleiſtung der Verkehrsſicherheit des Licht⸗
hofs gehörte deshalb nicht zu den Vertragspflichten des
Beklagten gegenüber dem Kläger. Das Fehlen der Lucken⸗
bedeckung in der Neujahrsnacht gereicht ihm nicht zum
Verſchulden. Die gegenteilige Annahme würde eine un—
erträgliche Ueberſpannung der Anforderungen an die
im Verkehr erforderliche Sorgfalt bedeuten. Die Er—
ſtreckung der für die Verkehrsräume beſtehenden Siche⸗
rungspflicht auf leicht zugängliche Nebenraͤume tft nur
inſoweit zu zugeben, als es ſich um den Schutz gegen Ber:
wechſelungen. auch wohl um die Fürſorge für Trunkene
Strafe wie das dementſprechende Urteil den Umfang
handelt. Gegenüber einem ſeiner Sinne Mächtigen, der
dem Verkehr nicht gewidmete Nebenräume bewußt be:
tritt, beſteht dieſe Sicherungspflicht jedenfalls nicht in
dem Sinne, daß jede mögliche Gefahrenquelle in jenen
Räumen beſeitigt werden müßte. (Weiter wird aus⸗
geführt, daß erſt recht keine Haftung aus unerlaubter
Handlung begründet fei). (Urt. des III. ZS. vom 16. Sep⸗
tember 1914, III 171/14). — a —
3448
B. Strafſachen.
1
Neue Tatſachen i. S. des 3 210 Stß odo. Aus den
Gründen: Der Beſchwerdeführer Sch. iſt durch Be⸗
ſchluß vom 9. September 1913 von der Anſchuldigung
eines Verbrechens aus 88 218, 48 StB. „aus dem
tatſächlichen Grunde des Mangels eines ausreichenden
Beweiſes“ außer Verfolgung geſetzt worden. Mit An⸗
klageſchrift vom 17. Oktober 1913 hat der Staatsanwalt
die öffentliche Klage wieder aufgenommen, weil in⸗
zwiſchen in der nicht zu Ende geführten Hauptver⸗
handlung gegen die Mitangeklagte S. und Genoſſen
vom 8. Oktober 1913 der Zeuge Auguſt F., ein Bruder
der S., der bis dahin vor Gericht kein Zeugnis ab⸗
gegeben hatte, eingehend als Zeuge zur Sache aus⸗
geſagt hatte. Auch die Zeugin Lina F., die Frau des
Auguſt F., hatte ſich in der Hauptverhandlung zur
Ablegung des früher vor Gericht verweigerten Zeug⸗
niſſes bereit erklärt; ſie war aber zur Sache nicht ver⸗
nommen, 199755 die Hauptverhandlung ausgeſetzt
worden, offenbar um dem Staatsanwalt Gelegenheit
zu geben, die öffentliche Klage gegen den Beſchwerde⸗
führer Sch. wieder aufzunehmen, und in einer neuen
Hauptverhandlung die Unterſuchungsſache gegen dieſen
gleichzeitig mit der gegen die anderen Angeklagten ent⸗
ſcheiden zu können. Sowohl Auguſt F. als auch Lina
F. hatten im Vorverfahren nur bei einer polizeilichen
Vernehmung ausgeſagt und damals hatte nach den
Akten Auguſt F. im weſentlichen die gleichen Angaben
gemacht, wie nach dem Sitzungsprotokoll in der Haupt⸗
verhandlung am 8. Oktober. Entſprechend der Anklage⸗
ſchrift, worin auf das Vorliegen der Vorausſetzungen
des § 210 StPO. eingehend hingewieſen war, iſt gegen
Sch. das Hauptverfahren eröffnet worden. Das Urteil
prüft die Anwendung des 8 210 StPO. und hält fie
für gerechtfertigt, weil „die Erklärung der Verwandten,
von ihrem Zeugnis verweigerungsrecht keinen Gebrauch
mehr machen zu wollen, die Geltendmachung eines
neuen Beweismittels darſtelle“. Der Verteidiger rügt
Verletzung des 8 210 StPO.; in der Erklärung der
Verwandten, von ihrem Zeugnisverweigerungsrechte
keinen Gebrauch mehr machen zu wollen, ſei nicht die
Geltendmachung eines neuen Beweismittels zu finden.
Dahingeſtellt kann bleiben, ob es zu billigen iſt, daß die
StR. die Erklärung der Verwandten, von ihrem Zeugnis⸗
verweigerungsrecht keinen Gebrauch mehr machen zu
wollen, als, Geltendmachung eines neuen Beweismittels“
bezeichnet. Es liegt in der Natur der Sache, daß ſie hier⸗
bei vor zugsweiſe die Tatſachen im Auge hat,
daß Auguſt F. und Lina F. eine Wiederholung ihrer
den Sch. belaſtenden polizeilichen Angaben vor Gericht
in Ausſicht geſtellt und überdies Auguſt F. dieſe An⸗
gaben bereits einmal eingehend vor Gericht wiederholt
hatte. Dieſe Tatſachen lagen zur Zeit der Außerver-
folgungſetzung noch nicht vor und unbedenklich konnten
e als „neue Tatſachen“ i. S. des § 210 StPO. in
etracht gezogen werden. Bei der Beratung des Ent⸗
wurfs der StPO. in der Reichstagskommiſſion hat der
Regierungsvertreter erklärt, daß „nach ſeiner Anſicht
unter neuen Tatſachen und Beweismitteln alle die-
jenigen zu verſtehen ſeien, welche, nach Lage der Akten
zur Zeit der Entſcheidung über die Eröffnung des Haupt-
verfahrens unbekannt, nicht benützt werden konnten,
einerlei ob fie früher oder ſpäter zur Entſtehung ge-
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 28. 427
kommen ſeien“ (Protokoll S. 329; Hahn, Mat. zur StPO.
S. 818). Dies entſpricht dem Sinne des Geſetzes, das
eine Rechtskraft des Beſchluſſes auf Außerverfolgung⸗
ſetzung nur in beſchränkter Weiſe nämlich inſoweit ein⸗
treten läßt, als nicht in der Folgezeit Umſtände hervor⸗
treten oder ſich ereignen, durch die der vordem un⸗
genügende Verdacht gegen den Beſchuldigten in einer
Weiſe verſtärkt wird, daß er nunmehr als „hinreichend“
i. S. des §S 201 StPO. erachtet werden kann. Alle
derartigen tatſächlichen Umſtände, alſo namentlich auch
ſolche, durch die das Gewicht bereits früher vorgelegener
Verdachtgründe oder Beweiſe erhöht wird, müſſen als
neue Tatſachen i. S. des Geſetzes angeſehen werden
und nicht etwa nur ſolche, die unmittelbar oder mittel⸗
bar zu der den Gegenſtand der Unterſuchung bilden⸗
den Handlung ſelbſt gehören. Es unterliegt daher
feinem rechtlichen Bedenken, daß die StK. wegen der
Vorgänge, die ſich in der Hauptverhandlung vom 8. Ok⸗
tober 1913 abgeſpielt hatten, insbeſondere wegen der
Tatſache, daß Auguſt F. bereits vor Gericht den Sch.
belaſtet hatte, die Vorausſetzungen des $ 210 StPO.
als gegeben angeſehen hat. (Urt. des I. StS. vom
18. Juni 1914, 1 D 272/14). E.
3469
II.
3nu 814 Waren., 3 15 Wettbe s.: auf Grund
welcher Beſtimmung iſt der „ zu beſtraſen,
der gewöhnlichen Kaffee in Taſſen verſchänkt, die durch ein
auf ihnen angebrachtes Warenzeichen den Anſchein er⸗
wecken, als ſei zur Herſtellung des Getränkes der von
dem Inhaber des Warenzeichens in Berkehr gebrachte
koffeinfreie Kaffee verwendet? Aus den Gründen:
Die Angeklagten haben in ihrem Kaffeehaus in ſog.
Hagtaſſen gewöhnlichen Kaffee verſchänkt, und ihn,
wenn koffeinfreier Hagkaffee nicht vorhanden war, auch
ſolchen Gäſten verabreicht, die Hagkaffee forderten. Es
fragt ſich, ob fie dadurch gegen 8 14 Waren ZG. ver:
ſtoßen haben, der den unter Strafe ſtellt, der wiſſent⸗
lich Waren oder deren Verpackung und Umhüllung
mit einem geſchützten Warenzeichen widerrechtlich ver⸗
ſieht oder dergleichen widerrechtlich gekennzeichnete
Waren in Verkehr bringt oder feilhält. Dieſe Frage
mußte verneint werden. Nach 8 14 a. a. O. wird nur
beſtraft, wer ein für einen anderen, hier die Neben⸗
klägerin, eingetragenes Zeichen als Warenzeichen d. h.
ſo verwendet, daß Dritte in den Glauben verſetzt werden
oder verſetzt werden können, die Waren, an denen oder
an deren Umhüllung es angebracht iſt, ſtammten aus
der beſtimmten Erzeugungs⸗ oder Vertriebsſtelle her,
die ſich für die von ihr erzeugten oder in ihrem Auf⸗
trag anderweit erzeugten, aber von ihr vertriebenen
Waren des benutzten Zeichens zu bedienen pflegt
(RG. Bd. 42 S. 87 ff.). Wer ein Stück einer Ware oder
deſſen Umhüllung mit ſeinem Warenzeichen verſieht,
erklärt damit, dafür einzuſtehen, daß dieſes gezeichnete
Stück von ihm angefertigt oder zum mindeſten als
ſeine anderweit in ſeinem Auftrag angefertigte, aber
von ihm zu vertreibende Ware von ihm in Verkehr
gebracht iſt — RG. 43, 87 (108); 23, 365, (369); 30, 95
(97). Wenn die Anbringung des Zeichens an der von
einem anderen hergeſtellten Ware oder deren Um⸗
hüllung dieſen Sinn nicht 11 555 kann, greift ſie in das
Zeichenrecht des Zeicheninhabers nicht ein. Dadurch,
daß die Angeklagten Kaffee in ihrem Kaffeehauſe in
Hagtaſſen verſchänkten, konnte keiner ihrer Abnehmer
in den Glauben verſetzt werden, der von ihnen dort
verabreichte, unmittelbar vor der Beſtellung friſch
gekochte Kaffee rühre von der Nebenklägerin her, ſei
von dieſer angefertigt oder in den Verkehr gebracht,
da jedermann weiß, daß der Kaffee als friſches Getränk
ſtets vom Verkäufer ſelbſt, dem Kaffeehausbeſitzer, her⸗
geſtellt wird und niemals von der Nebenklägerin her⸗
rühren kann. Die Abnehmer ſind alſo nur in den
Glauben verſetzt, das Getränk ſei aus Hagkaffee zu⸗
bereitet, Hagkaffee ſei der Grundſtoff des Getränks.
Das friſch hergeſtellte Kaffeegetränk konnte nicht im
Betriebe der Nebenklägerin hergeſtellt oder auch nur
vorhanden geweſen ſein; dieſes Getränk oder deſſen
Umhüllung konnte unmöglich von der Nebenklägerin
mit deren Warenzeichen verſehen geweſen ſein, und
deshalb konnte der Nebenklägerin auch nicht bezüglich
einer ſolchen, erſt von den Angeklagten herzuſtellenden
Ware ein ausſchließliches Recht i. S. des $ 12 Waren ZG.
zuſtehen. Das Warenzeichen ſchützt die Ware, für die
es eingetragen iſt, oder ſolcher Ware gleichartige Ware
(RG. 26, 234/35). Gleichartig find nur ſolche Waren,
bei denen die Möglichkeit der Verwechſelung oder der
Täuſchung im Verkehr vorliegt, Waren derſelben
Gattung, die zu gleichen Zwecken verwendet werden,
Waren, die in den gleichen Geſchäften an denſelben
Kundenkreis abgeſetzt zu werden pflegen, Waren, bei denen
das Publikum durch Anbringung des Zeichens in den
Glauben verſetzt werden kann, daß fie aus dem Geſchäfts⸗
betriebe des Warenzeicheninhabers herrühren (RG. 60,
324; 67, 36). Limonadeneſſenz und genußfertige Limo—
nade ſind in dieſem Sinne als gleichartige Waren an—
geſehen worden, weil beide in derſelben Betriebsſtätte
hergeſtellt zu werden pflegen. Das trifft aber auf Kaffee
als Bohne und Kaffee als Getränk nicht zu. Wer
ein Kaffeegetränk zubereitet, ſtellt in ihm unter Benutzung
von Kaffeebohnen oder gemahlenem Kaffee eine neue
Sache i. S. des $ 950 BGB. her. Was bei der Hers
ſtellung des Getränkes von den Stoffen übrig bleibt,
die von der Nebenklägerin koffeinfrei gemacht werden,
wird aus dem Getränk als für dieſes wertlos beſeitigt;
in dem von den Angeklagten friſch hergeſtellten Kaffee⸗
getränk ſind von der von der Nebenklagerin vertriebenen
Ware nur noch die durch den Aufguß kochenden Waſſers
erhaltenen Auszugsſtoffe enthalten. Der Kaffeehaus—
beſitzer verkauft alſo eine ganz andere Ware als die⸗
jenige, für die das Warenzeichen beſtimmt geweſen iſt;
für ſeine Ware beſteht kein Warenzeichenſchutz. Hieraus
folgt, daß die Verurteilung der Angeklagten aus 8§ 14
Waren 3G. zu Unrecht ausgeſprochen iſt. — Die An⸗
geklagten haben aber durch den Gebrauch der Hagtaſſen
den Anſchein erwecken wollen und können, daß der
Grundſtoff des von ihnen vertriebenen Getränkes koffein—
freier Hagkaffee ſei, und damit gegen $ 15 WettbewG.
verſtoßen. Ein Vergehen gegen $ 15 erfordert nicht,
daß zu Zwecken des unlauteren Wettbewerbs gehandelt
iſt; die Beſtimmung geht inſoweit über den Rahmen
hinaus, den das Geſetz in ſeiner Ueberſchrift zieht.
Das hat das Reichsgericht bereits in den Eniſcheidungen
Bd. 31 S. 63 und 84 ausgeſprochen und hieran in
ſtändiger Rechtſprechung feitgehalten. Strafbar iſt nach
§ 15 jedermann, der wider beſſeres Wiſſen über die
Waren eines anderen der Wahrheit zuwider Tatſachen
behauptet, die geeignet find, den Betrieb des Geſchäftes
dieſes anderen zu ſchadigen, und eine ſolche Behauptung
über die Waren der Nebenklagerin haben die Ange—
klagten dadurch aufgeſtellt, daß ſie den Gäſten gegen—
über, die Kaffee Hag und damit ein koffeinfreies Kaffee—
getränk forderten, in den Hagtaſſen gewöhnlichen Kaffee,
und dazu noch in verdunntem Sioffe verabreichten;
ſie haben dadurch wider beſſeres Wiſſen behauptet, daß
der koffeinfreie Kaffee der Nebenklaägerin ſich von ges
wöhnlichem Kaffee nicht unterſcheide, alſo Bevorzugung
vor dieſem in keiner Weiſe und aus keinem Grunde
verdiene (RGSt. 45, 376; RG. 60, 189). (Urt. des
J. StS. vom 29. Juni 1914, 1 227/14). E.
3468
Oberſtes Landesgericht.
Zivilſachen.
I.
Einem ver dem Inkrafttreten des BGB. wegen
Geiſteskrankheit Eutmundigten ſteht das Beſchwerderecht
des 599 F566. auch dann nicht zu, wenn anzunehmen iſt,
Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
daß er unter der Herrschaft des 888. nur wegen Seiſtes⸗
ſchwäche entmündigt worden wäre. J. St. wurde durch
Beſchluß des Amtsgerichts vom 13. Auguſt 1896 wegen
Geiſteskrankheit entmündigt. Er erachtet ſich durch
eine Verfügung ſeines Vormunds für beſchwert und
hat gegen ſie bei dem Vormundſchaftsgericht proteſtiert.
Von dieſem wurde ihm eröffnet, daß es nur einſchreiten
könne, wenn der Vormund pflichtwidrig handle, eine
Pflichtwidrigkeit liege nicht vor. Die Beſchwerde des
J. St. wurde vom 80 zurückgewieſen, weil fie gemäß
8 59 Abſ. 2 FGG. unzuläſſig ſei.
Die weitere Beſchwerde des J. St. wurde aus
folgenden Gründen als unzuläſſig verworfen:
Nach 8 59 Abſ. 2 86G. find die Vorfchrijten des Abſ. 1,
wonach ein unter Vormundſchaft ſtehender Mündel in
allen ſeine Perſon betreffenden Angelegenheiten ohne
Mitwirkung ſeines geſetzlichen Vertreters das Be⸗
ſchwerderecht ausüben kann, nicht anwendbar auf Per⸗
ſonen, die gefhäftsunfähig find. Geſchäftsunfähig iſt
nach § 104 Nr. 3 BGB., wer wegen Geiſteskrankheit
entmündigt iſt. J. St. wurde zwar ſchon vor dem
Inkrafttreten des BGB. wegen Geiſteskrankheit ent⸗
mündigt; in Art. 155 EG. BGB. iſt aber beſtimmt,
daß, wer zur Zeit des Inkrafttretens des BGB. wegen
Geiſteskrankheit entmündigt iſt, von dieſer Zeit an
einem nach den Vorſchriften des BEB. wegen Geiſtes⸗
krankheit Entmündigten gleichſteht. Es ſind alſo auf
ihn die Beſtimmungen des 8 104 Nr. 3 BGB. und des
§ 59 Abſ. 2 FGG. anzuwenden. Die von J. St. ein⸗
gereichte von ihm ſelbſt verfaßte Beſchwerdeſchrift
macht allerdings nicht den Eindruck, daß er nicht fähig
ſei, die Bedeutung des Antrags zu erkennen und ſeinem
Willen verſtändlichen Ausdruck zu geben. Die An⸗
nahme iſt deshalb nicht unzutreffend, daß unter der
Herrſchaft des BGB. feine Entmündigung nur wegen
Geiſtesſchwäche erfolgt wäre. Allein die beſtimmte
Vorſchrift des Art. 155 EG. BGB. ſchließt es aus,
bei den vor dem Inkrafttreten des BGB. wegen Geiſtes⸗
krankheit Entmündigten zu unterſcheiden, welchen Grad
die geiſtige Erkrankung erreicht hat und ob ſie nach
dem Rechte des BGB. auch als Geiſteskrankheit zu
betrachten wäre (vgl. Planck, BGB. 3. Aufl. Bd. VI
Erl. zu Art. 155). Mit Rückſicht auf die geſetzgeberiſchen
Erwägungen, auf denen die Vorſchrift des 5 59 JG.
beruht, iſt es hiernach freilich eine Härte, daß dem St.
das Beſchwerderecht im Umfange des 8 59 Abſ. 1588.
verweigert werden muß. (Beſchl. des I. 35. vom
9. Sept. 1914, Reg. III Nr. 79/1914). M.
8473
II.
Regelung des perſönlichen Berkehrs nach $ 1636 888.
durch das Bormundſchaftsgericht. Kann das Bermund⸗
ſchaſtsgericht die von dem Beſchwerdegericht getroffene
Regelung ſpäter abändern? Aus der Ehe des Bäcker⸗
meiſters St. W. mit A. Sp. ſind vier Kinder im Alter
von 3—8 Jahren hervorgegangen. Die Ehe zwiſchen
St. W. und A. Sp. iſt für nichtig erklärt worden. Die
Sorge für die Perſon der Kinder ſteht nach den SS 1702.
1635 BB. dem Vater zu. Der perſönliche Verkehr
zwiſchen der Mutter und den Kindern wurde durch das
Vormundſchaftsgericht dahin geregelt, daß der Mutter
geſtattet fei, mit den Kindern je am erſten Sonntag
in den Monaten Mai und Oktober in dem Anweſen
des Mühlbeſitzers H. in M. zu verkehren. Auf die Be
ſchwerde der A. Sp. hat das LG. angeordnet, daß St.
W. die Kinder jährlich 12 mal zum Verkehr mit der
Mutter in das Anweſen des J. H. in M. zu bringen
habe. Nach der erſten ſolchen Zuſammenkunft in M.
erklärte J. H., daß er ſein Haus zu dieſem Zweck nicht
mehr zur Verfügung ſtelle. Nun erklärte ſich der Vor⸗
mundſchaftsrichter bereit, die Zuſammenkünfte zwiſchen
der Mutter und den Kindern in feiner Wohnung ſtatt—
finden zu laſſen, und es fand dort eine Zuſammen—
kunft ſtatt, nachdem ſich beide Parteien mit dieſer
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
429
——gL— 4 [—E àqã ũ 9ũA ͤ —
Regelung einverſtanden erklärt hatten. Als die Zu⸗
ſammenkunft ic den Vorſchlag des Vormundſchafts⸗
richters im nächſten Monat wiederholt werden ſollte,
erklärte St. W., er könne nicht zugeben, daß ſchon wieder
ein Verkehr zwiſchen ſeinen Kindern und ihrer Mutter
ſtattfinde, und beantrage den Verkehr beſchlußmäßig
zu regeln. Als Grund für ſeine Weigerung gab W.,
der ſich inzwiſchen wieder verheiratet hat, an, er und
ſeine Frau hätten viel unter den Anfeindungen der
A. Sp. und ihrer Verwandtſchaft zu leiden, insbeſondere
werde er mit anonymen Schmähbriefen überhäuft.
Nach der letzten Zuſammenkunft hätten f9 die Kinder
auffallend ſcheu gegen ihre Stiefmutter benommen, er
fürchte deshalb, daß ſie gegen diefe aufgehetzt würden;
eine zu häufige Wiederholung des Verkehrs gefährde
das Zuſammengewöhnen der Kinder mit ſeiner jetzigen
Frau und dadurch die Erziehung der Kinder. Das
Vormundſchaftsgericht ordnete nun an, daß für das
nächſte Vierteljahr von der Zuſtellung des Beſchluſſes
an der Mutter ein einmaliger Verkehr in der Dauer
von einer Stunde mit den Kindern geſtattet werde und
zwar in der Wohnung des Vormundſchaftsrichters und
unter deſſen Aufſicht, daß aber der Mutter nicht geſtattet
ſei, den Kindern Geſchenke mitzubringen. Auf die Be⸗
ſchwerde der A. Sp. hob das LG. den amtsgerichtlichen
Beſchluß auf und ordnete an, daß es bei der in dem
früheren landgerichtlichen Beſchluß erfolgten Regelung
fein Bewenden habe mit der Maßgabe, daß den Ort
der Zuſammenkünfte der Vormundſchaftsrichter zu be⸗
ſtimmen habe. Das LG. nahm an, in den Verhält⸗
niſſen, die zur Erlaſſung ſeines früheren Beſchluſſes
geführt hätten, habe ſich nur inſofern etwas geändert,
als die Zuſammenkünfte nicht mehr bei J. H. in M.
ſtattfinden könnten, das Vormundſchaftsgericht habe
daher nur in dieſem Punkt eine neue Anordnung
treffen können und ſei nicht berechtigt geweſen, ſich
hinſichtlich der Zahl und der Zeitdauer der Zuſammen⸗
künfte über den früheren Beſchluß hinwegzuſetzen. Auf die
weitere Beſchwerde des St. W. hin wurden die Beſchlüſſe
des AGG. und des LG. aufgehoben und die Sache an
das AG. zurückverwieſen.
Aus den Gründen: Wenn auch für das Gebiet
der freiwilligen Gerichtsbarkeit im allgemeinen eine
materielle Rechtskraft i. S. der ſtreitigen Gerichtsbarkeit
nicht anzuerkennen iſt, ſo iſt dem LG. doch darin bei⸗
zuſtimmen, daß es auch auf dieſem Gebiete dem unteren
Gerichte nicht geſtattet iſt, eine Verfügung des über⸗
geordneten Gerichts lediglich deshalb abzuändern, weil
es ſie für ungerechtfertigt erachtet. Das Gericht der
erſten Inſtanz iſt zwar — abgeſehen von den geſetzlich
beſtimmten Ausnahmefällen — im Gebiete der frei⸗
willigen Gerichtsbarkeit berechtigt, jederzeit von Amts
wegen oder auf Antrag ein neues Verfahren einzuleiten
und nach § 18 FGG. feine eigene frühere Entſcheidung
abzuändern, oder — bei geänderter Sachlage — eine
von einer früheren Entſcheidung des vorgeſetzten Ge⸗
richts abweichende Verfügung zu treffen; es kann ſich
aber nicht bei gleichgebliebener Sachlage über eine
früher ergangene Entſcheidung der vorgeſetzten Gerichte
hinwegſetzen. Das ergibt ſich aus dem Weſen des
Inſtanzenzugs. Mit Unrecht hat aber das LG. ange⸗
nommen, daß ſich die für den früheren Beſchluß maß⸗
gebend geweſenen Verhältniſſe nicht geändert hätten.
Eine ſolche Aenderung iſt zu erblicken in 1. der Tat-
ſache, daß der Mühlbeſitzer H. ſeine Zuſtimmung zur
Abhaltung der Zuſammenkünfte zwiſchen der Mutter
und den Kindern in ſeinem Hauſe zurückgezogen hat;
2. der Wiederverheiratung des St. W.; 3. den von
dieſem vorgelegten anonymen Schmähbriefen. Ange—
ſichts der Weigerung des J. H., fernerhin ſein Haus
zur Verfügung zu ſtellen, muß ein anderer Ort für
die Zuſammenkünfte beſtimmt werden; dies kann unter
Umſtänden auch eine andere Regelung der Zahl und
der Dauer der Zuſammenkünfte notwendig machen, da
nicht ohne weiteres angenommen werden kann, daß
— — — ſ—
ein anderer geeigneter Platz zur Verfügung ſteht, an
dem die Zuſammenkünfte in gleicher Zahl und Zeit⸗
dauer wie bei H. ſtattfinden können; jedenfalls hat
ſich aber die Suchlage durch die Wiederverehelichung
des St. W. und durch bas Vorliegen der an dieſen und
die Angehörigen ſeiner jetzigen Frau gerichteten Schmäh⸗
briefe in einer Weiſe geändert, die bei Entſcheidung
der hier ſtrittigen Frage nicht außer acht gelaffen
werden kann. Zweck der Beſtimmung des 8 1636 BGB.
iſt es, dem nicht fürſorgeberechtigten Elternteil eine
Auſſicht zu ermöglichen, ob der andere Teil ſeinen
Erziehungspflichten nachkommt, und den auf der Ver⸗
wandtſchaft beruhenden natürlichen Zuſammenhang auf⸗
recht zu erhalten, eine Entfremdung zwiſchen dem Kind
und dem von der Erziehung ausgeſchloſſenen Eltern⸗
teil zu verhindern. Um nun der Mutter die Aufſicht
über die Erziehung ihrer Kinder zu ermöglichen, dazu
bedarf es hier keiner beſonderen Maßregeln. Die
Kleinheit der örtlichen Verhältniſſe, die Tatſache, daß
die Mutter die Kinder täglich auf der Straße ſehen
und beobachten kann, verbürgen ihr die Auſſicht in
ausreichender Weiſe. Was aber den zweiten Punkt
anlangt, ſo ſind bei der Regelung des Verkehrs durch
das Vormundſchaftsgericht zwar die ſich aus 8 1636
BGB. ergebenden Rechte des von der Fürſorge aus⸗
geſchloſſenen Elternteils gebührend zu berüdfichtigen,
oberſte Richtſchnur muß aber immer das leibliche und
geiſtige Wohl des Kindes bilden; es muß daher, ſo⸗
weit als mit dem Zwecke des 8 1636 BGB. irgendwie
vereinbar, jedem ſchaͤdlichen Einfluß des nicht fürſorge⸗
berechtigten Elternteils auf das Kind vorgebeugt werden
und es ſind andrerſeits die Beſtimmungen auch ſo zu
treffen, daß die Intereſſen des fürſorgeberechtigten
Teils nicht ungebührlich beeinträchtigt werden (vgl.
Planck Anm. 3b, RGR.⸗Komm. Anm. 1 zu § 1636). Es
iſt nun ohne weiteres klar, daß mit der Wiederverehe⸗
lichung des Vaters in der Perſon der zweiten Frau
ein neuer Faktor in das Leben der Kinder eingetreten
iſt, der bei der Regelung des Verkehrs zwiſchen ihnen
und ihrer leiblichen Mutter berückſichtigt werden muß.
Wenn auch der Stiefmutter das Recht und die Pflicht,
für die Perſon der Kinder zu ſorgen, nicht zuſteht, ſo
iſt es doch bei den gegebenen Verhältniſſen, insbeſondere
dem jugendlichen Alter der Kinder, ſelbſtverſtändlich,
daß tatſächlich in erſter Linie ſie die Erziehung zu
leiten hat. Eine gedeihliche Erziehung iſt nur möglich
auf Grund eines mit der erforderlichen Autorität ge⸗
paarten Vertrauensverhältniſſes. Unter Verhältniſſen,
wie fie hier gegeben find, iſt es alſo erſtes Erforder⸗
nis, daß die Stiefmutter ſich das Vertrauen der Kinder
erwirbt, daß dieſe ſich daran gewöhnen, in ihr eine
wirkliche Mutter zu erblicken, daß ihr aber anderer⸗
ſeits auch die nötige Autorität gewahrt wird. Es muß
alſo alles von den Kindern ſo weit als möglich ferne
gehalten werden, was ihr Vertrauen zu der Stiefmutter
und deren Autorität beeinträchtigen würde, und zwar
um ſo mehr, als jede derartige Beeinträchtigung not⸗
wendig auch ungünſtige Folgen für das Verhältnis
zwiſchen dem fürſorgeberechtigten Elternteil und den
Kindern nach ſich ziehen muß. Die erbitterte Feind⸗
ſchaft, die die A. Sp. gegen St. W. hegt, muß ſich natur⸗
gemäß auch auf deſſen jetzige Frau übertragen, es be—
ſteht alſo die dringende Befürchtung, daß die Mutter
verſucht, den Kindern das Vertrauen zu ihrer Stief-
mutter zu entziehen und deren Autorität zu untergraben.
Daß dieſe Gefahr tatſächlich beſteht, geht aus den von
dem Beſchwerdeführer vorgelegten Schmähbriefen, ins⸗
beſondere den an die jetzige Frau des Beſchwerdeführers
und ihren Vater gerichteten, deutlich genug hervor.
Es iſt alſo eine Aenderung der Verhältniſſe eingetreten,
die zu einer von dem früheren Beſchluß des LG. ab-
weichenden Beurteilung der Sache und insbeſondere
dazu führen kann, die Rechte der A. Sp. mehr einzu⸗
ſchränken, als es in dieſem Beſchluſſe geſchehen iſt.
Da das LG. das nicht berückſichtigt, ſondern ohne
430
materielle Würdigung entſchieden hat, konnte fein
Beſchluß nicht aufrecht erhalten werden. — Aber auch
der Beſchluß des Vormundſchaftsgerichts mußte auf⸗
gehoben werden. Dieſes hat nur für das nächſte Viertel⸗
jahr eine Verfügung getroffen und will demnach den
Verkehr nicht für längere Zeit ſondern nur von Fall zu
Fall regeln. Dabei hat es aber die berechtigten In⸗
tereſſen der Mutter nicht gebührend berückſichtigt. Eine
derartige Regelung mag in ganz beſonders gelagerten
Fällen angängig ſein, wo eine weiter hinausgehende
Vorſorge aus tatſächlichen Gründen unmöglich iſt; ſie
tft aber hier nicht zuläſſig, da nicht erſichtlich iſt, warum
nicht eine allgemeine Regelung möglich ſein ſollte. Es
kann der Mutter nicht zugemutet werden, daß ſie immer
erſt das Gericht anruft, wenn ſie mit ihren Kindern
verkehren will, und ſich unter Umſtänden jedesmal erſt
das Recht zum Verkehr im Inſtanzenzug erkämpft.
Sie kann verlangen, daß ihre Beziehungen zu ihren
Kindern auf eine feſte Grundlage geſtellt werden, ſie
muß auch in die Lage verſetzt werden, die ihr zuge⸗
ſprochenen Rechte nötigenfalls auf dem Wege der Voll⸗
ſtreckung rechtzeitig zu verwirklichen. Dies aber wird
ihr tatſächlich vereitelt, wenn ſie bei jeder von Fall
zu Fall erfolgenden Anordnung des Vormundſchafts⸗
gerichts damit rechnen muß, daß dieſe mit der Be⸗
ſchwerde und weiteren Beſchwerde angefochten wird.
Eine allgemeine Regelung liegt auch im Intereſſe der
Kinder ſelbſt, da dieſe von den fortgeſetzten Streitig⸗
keiten Kenntnis erhalten und dadurch ihre Gemüter
noch weiter verwirrt würden, als es bei den unerquick⸗
lichen Verhältniſſen ohnehin unausbleiblich iſt. Das
AG. wird alſo eine generelle Regelung zu treffen und
dabei zu berückſichtigen haben, daß das Geben von
Geſchenken nicht unter den Begriff des perſönlichen
Verkehrs fällt, daß es ſohin auch nicht von dem Vor⸗
mundſchaftsgericht auf Grund des 8 1636 BGB. unter»
fagt werden kann. (Beſchl. des I. ZS. vom 20. Juni
1914, Reg. III Nr. 53/1914). M.
3472
Strafſachen.
Zu 5 360 Nr. 8 StGB.: Wer darf in Bayern dab
Wort „von“ vor feinem Namen führen? Aus den
Gründen: In der Pfarrmatrikel von W. finden ſich ſeit
ein paar Jahrhunderten Einträge von Angehörigen der
N von H.: als letzter dieſes Namens ift der im
Jahre 18.. geborene Johann von H. eingetragen;
dieſer nahm vermutlich wegen Betriebes eines Bier⸗
ausſchanks den bürgerlichen Namen Vonh. an; unter
dieſem Namen iſt auch fein Sohn K. in die Pfarr;
matrikel eingetragen; er und nach ſeinem Tode deſſen
Witwe ſuchten vergeblich um die Genehmigung des
früheren Namens von H. nach. Trotzdem legte die Witwe
ſich jetzt den Namen von H. bei. Laut Mitteilung des
Reichsherolds iſt eine Familie „von H.“ in der bayes
riſchen Adelsmatrikel nicht eingetragen; die Witwe
Vonh. gehöre dem Adelsſtande nicht an und dürfe das
Beiwort „von?“ als Adelsprädikat nicht führen. Das
Berufungsgericht verurteilte die Witwe Vonh. wegen
einer Uebertretung nach dem $ 360 Nr. 8 StGB.; ihre
Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Wenn auch der Inhalt
und die Wirkungen des Namensrechtes vorwiegend
privatrechtlich ſein mögen, ſo gehören doch Entſtehung
und Aenderung der Namen, von hier nicht in Betracht
kommenden Privatrechtstiteln wie 8 1355 BGB. ab-
geſehen, dem öffentlichen Rechte an; ganz dieſem an—
gehörig iſt aber das Standesrecht (v. Henle-v. Schneider,
Ausf., 2. Aufl. S. 12 u. 13). Nun kennt das öffent
liche Recht Bayerns das Bei- oder Vorwort „von?
ausſchließlich als Adelsprädikat; dieſes Wort bezeichnet
nach 8 6 der V. Verfeil. (Adelsedikt) den fünften Grad
Zeitſchrift für Rechts pflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
der dort anerkannten Ordnung des Adels ſtandes (OL
München 2, 544; 3, 511; 8, 438; Bay Obs. in BlfRA
68, 327: Oertmann, BayLandesprivatR. S. 56). Hieraus
ergibt ſich, daß in Bayern das Wort „von“ nicht Be⸗
ſtandteil eines bürgerlichen Namens ſein kann, ſondern
immer Adelsprädikat iſt und demnach nicht den namens⸗
rechtlichen Vorſchriften des BGB. unterliegt (Stau:
dinger BGB., Aufl. 7/8, 4, 155 Bem. 10 zu 8 1355)
Uebrigens kommt auf die Entſcheidung der Frage, ob
in Bayern das Wort „von“ in Verbindung mit einem
bürgerlichen Namen vorkommen kann, für den vor⸗
liegenden Fall nichts an; maßgebend iſt, daß nach den
Feſtſtellungen die Angeklagte ſich des Namens „von
H.“ bedient, um ſich als adelig zu bezeichnen. Daß die
Angeklagte mit der Wiederannahme und Führung des
Namens „von H.“ auf den dieſer Familie nach ihrer
Behauptung zukommenden Adel zurückgreifen, nicht
etwa einen bürgerlichen Namen der vorhin bezeichneten
Art geltend machen wollte, folgt insbeſondere aus ihrer
vom Schöffengerichte feſtgeſtellten, vom BG. über⸗
nommenen Erklärung, daß ihr Schwiegervater die Na⸗
mensänderung (eigenmächtig) vorgenommen habe, weil
er als Führer einer Schankwirtſchaft ſich nicht als
adelig bezeichnen laſſen wollte; hiernach iſt mit Recht
angenommen, daß die Angeklagte auf den älteren Namen
offenbar als auf eine Adelsbezeichnung zurückgreift.
Nun hat ſie ſelbſt nie behauptet, daß dieſer Name in
die bayeriſche Adelsmatrikel eingetragen ſei, das Gegen:
teil ſteht durch die vollbeweiſende Auskunft des Herolds⸗
amts feſt. Unter dieſen Umſtänden iſt nicht zu unter⸗
ſuchen, welche Wirkungen die bisherige Unterlaſſung
des Eintrags nach den älteren und neueren Adelsedikten
und nach den dazugehörigen (übrigens durchaus ver⸗
faſſungsgemäßen) Ausführungsverordnungen für einen
etwaigen Fortbeſtand des Adels ſelbſt gehabt hat; es
genügt der Hinweis auf den Wortlaut des 8 8 Abſ. 1 der
V. BerfBeil., auf die ſchon hervorgehobene Eigenſchaft
des Wortes „von“ als Vorrecht des bayeriſchen Adels,
und auf die Belangloſigkeit der Frage, ob ein bayeriſcher
Staatsangehöriger früher irgend welchem außerbaye⸗
riſchen Adel angehört hat oder nicht. Nicht minder
belanglos iſt eine Erörterung darüber, ob die Ablegung
des Adelsprädikates durch Johann von H., richtiger durch
bloße Weglaſſung des „von“, als durch die Annahme
des Namens „Vonh.“ hätte erfolgen können oder ſollen;
maßgebend iſt, daß für die Angeklagte ein Adelstitel
in der Adelsmatrikel für das Königreich Bayern nicht
eingetragen iſt. Die unter Anklage geſtellte Handlungs-
weiſe der Beſchwerdeführerin war, wie das BG. be⸗
denkenfrei feſtgeſtellt hat, von dem durch den Mißerfolg
ihrer früheren Schritte und durch ausdrückliche poli-
zeiliche Warnung begründeten Bewußtſein getragen,
daß ſie den bürgerlichen Namen „Vonh.“ nicht mit dem
ein Adelsprädikat enthaltenden Namen „von H.“ ver⸗
tauſchen dürfe; ihr Tun war ferner von dem Willen
getragen, ſich durch Führung des letzteren Namens als
eine Adelige, als die Angehörige einer adeligen a»
milie, geltend zu machen. Hiegegen richtet ſich das
Verbot des 8 360 Nr. 8 StGB., den nach alledem das
BG. durchaus zutreffend angewandt hat. (Urt. vom
17. September 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 539/1914). Ed. 7.
3467
Oberlandesgericht Bamberg.
Iſt der Antrag nach 8 16 Gg. dem Anwalts-
zwang unterworfen? Yit in jedem Fall das Urteil der
Vorinſtanz als im ganzen Umfang angefochten anzu:
ſehen, wenn die Rechtemittelſchrift nur die Anmeldung
des Rechtsmittels, nicht aber anch einen beſtinmten
Antrag enthält? Streitwert in der Bernfungsinſtar).
Während eines Scheidungsſtreites beantragte die
klagende Ehefrau, im Wege einſtweiliger Verfügung
ern 8%
L u
— — — — — — ——jjäẽꝓ—— —
— auszuſprechen, a) daß ihr geſtattet werde, je die
Dauer des Rechtsſtreits getrennt von ihrem Ehemann
des zu leben, b) daß ihr die Sorge für die Perſon der
in? Tochter zugeſprochen werde, c) daß der Beklagte ver⸗
61.2 pflichtet ſei, feiner Frau und dem ihr zuzuſprechenden
‘m Kinde Unterhalt zu gewähren durch Zahlung einer
n. o Gel drente von etwa 250 M monatlich, eventuell eines
n nt nach richterlichem Ermeſſen zu beſtimmenden Betrages.
gt :: Das nach mündlicher Verhandlung ergangene End⸗
u Sb urteil erkannte zu a nach Antrag, zu e ſprach es die
Ita: Verpflichtung des Beklagten aus, der Klägerin eine
mit tu monatliche Unterhaltsrente von 150 M zu zahlen; im
den übrigen d. h. alſo zu b ganz und zu c, ſoweit eine
nad: höhere Monatsrente als 150 M begehrt wurde, lehnte
ens: das Urteil die Erlaſſung der einſtweiligen Verfügung
Ta ab. Gegen das Urteil legte RA. Dr. S. namens des
run; Beklagten Berufung ein. Antragsſtellung und Bes
ach ite gründung wurden einem beſonderen Schriftſatze vor⸗
en, „behalten, der aber nicht einlief, weil [yon vor dem
eichner zur Verhandlung beſtimmten Termin die Berufung
aus iter zurückgenommen wurde. Dieſe Erklärung wurde im
3. üb. Verhandlungstermin wiederholt, die Sache wurde ans
die u tragsgemäß zur Bereinigung des Koſtenpunktes vers
ide, tagt. RA. B., der erſtinſtanzielle Prozeßbevollmächtigte
icht des Beklagten, beantragte bei dem OLG. ſchriftlich die
ain Ke Feſtſetzung des Streitwerts. Das O. ſetzte den
amt Streitwert für die Berufungsinſtanz auf 360 M feſt.
toren Aus den Gründen: Zunächſt fragt es fi, ob
in in: der bei dem OLG. nicht zugelaſſene erſtinſtanzielle
ie JIrozeßbevollmächtigte des Beklagten zur Stellung des
ne ntrags berechtigt iſt. Bekanntlich beſteht in der
gelet⸗ Mechtslehre und in der Rechtſprechung Streit darüber,
zung ob der Antrag nach 8 16 GKG. dem Anwaltszwang
takten unterliegt. Pfafferoth, Gerichtskoſtenweſen (9) S. 132
8 ver: Nr. 4 ſpricht ſich, wenn auch etwas unſicher, im Ans
reinen ſchluß an OLG. Dresden vom 30. März 1901 für Frei⸗
gat: th heit des Antrags vom Anwaltszwang aus. Rittmann,
„det GKG. (6) S. 97 lehrt, daß der Antrag dem Anwalts⸗
‚isn zwang des 8 781 ZPO. unterliege, und beruft ſich
Adels hiefür auf einen Beſchluß des OLG. Frankfurt a. M.
‚rien vom 27. April 1897 und einen ſolchen des OLG. Bam⸗
erbal: berg I. 3S. vom 11. Juli 1903, letzterer abgedruckt in
mir? Seuff A. Bd. 60 Nr. 85. Gegen die Anſicht, daß der
Airgun: Antrag nach 8 16 GKG. dem Anwaltszwang unterliege,
zug wendet ſich mit beachtenswerten Ausführungen eine in
anıet Bay ZfR. 1907 S. 245 ff. erſchienene Abhandlung, auf
l. welche wegen des Standes der Streitfrage der Kürze
lan halber Bezug genommen wird. Der JS. des Os.
f nn: Bamberg weicht nach Prüfung der Streitfrage von der
\r$ im Beſchluß ſeines I. ZS. vom 11. Juli 1903 vertretenen
ad de Anſicht ab und ſchließt ſich der inzwiſchen vom VI. 38.
zer des RG. in ſeinem Beſchl. vom 6. März 1911 (Bureaubl.
0 für gerichtl. Beamte, Berlin 11, 57) dargelegten An⸗
f in ſchauung an, wonach der Antrag nach $ 16 GKG. vom
de Anwaltszwang befreit iſt. Der entſcheidende Teil des
„„ Beſchluſſes findet ſich in Warneyers Jahrb. 10. Jahrg.
zur 1911 S. 562. Nach „Recht“ 1911 Nr. 1629 iſt der Be⸗
0 ß im weſentlichen begründet wie folgt: „Da nach
b 11 GKG. verglichen mit 8 4 1II GKG. die Partei
far eine gegen einen Wertfeſtſetzungsbeſchluß an fich zu⸗
u läſſige Beſchwerde ohne Mitwirkung eines Anwalts ſelbſt
5 ſchriftlich einlegen kann, ſo muß ſie folgerichtig auch
1 bei dem Antrag auf Wertfeſtſetzung ſelbſt (§ 16 1 GKG.)
ſich der gleichen Form bedienen können und daraus
folgt dann wieder, daß ein ſolcher Antrag auch durch
einen beliebigen Bevollmächtigten ſchriftlich geſtellt
werden kann.“ — Welches iſt nun hier der Streitwert
für die Berufungsinſtanz? Iſt dem Wortlaute der Be⸗
rufungsſchrift entſprechend die Berufung gegen das
u ganze Endurteil gerichtet? Nach Willenbücher, Koſten—
15 feſtſetzungsverfahren (7) 8 13 II N. 6 Abſ. II wird die
n Prozeßgebühr in der Berufungs- oder Reviſionsinſtanz
beſtimmt durch den Antrag in der Rechtsmittelſchrift
h, des Rechtsmittelklägers. Iſt ein ſolcher Antrag nicht
1 geſtellt, ſo darf der Gegner annehmen, daß das Urteil
—
—
ſchlu
. 8 16
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
431
im ganzen angefochten ſei, ſoweit es zum Nachteil des
Rechtsmittelklägers lautet. Bei 8 10 N. 4 Abſ. IV
a. a. O. wird geſagt: „In der Berufungsinſtanz gilt,
wenn die Berufung ohne beſtimmten Antrag eingelegt
iſt, der ganze Inhalt des Urteils, ſoweit es dem Be⸗
rufungskläger nachteilig iſt, als angefochten.“ Siehe
nn auch Pfafferoth a. a. O. 89 N. 6 lit. 1 S. 48.
uch die Beſchlüſſe des RG. vom 15. Januar 1890 und
7. Januar 1899 (RG.Z. 25, 380 ff. und JW. 99, 970
ſprechen davon, daß beim Fehlen eines Antrags in der
Rechtsmittelſchrift anzunehmen ſei, das Urteil ſei im
ganzen Umfang angefochten. Würde hier nur der
Wortlaut der den Beklagten verurteilenden Formel
des Urteils berückſichtigt, ſo wäre freilich die ganze
gegen ihn ergangene Entſcheidung ihm nachteilig. Dies
wäre aber nicht ſachentſprechend. Es iſt vielmehr aus
dem ganzen Urteil zu entnehmen, was in Wirklichkeit
der unterliegenden Partei nachteilig iſt. Aus dem Tat⸗
beſtand und den Gründen des Urteils geht hervor:
der Bekl. unterwarf ſich bei der mündlichen Ver⸗
handlung ſofort dem Antrag unter a und beſtritt nur
zu c feine Verpflichtung, eine höhere Monatsrente als
120 M zu zahlen. Dementſprechend lautet auch fein
Antrag. Es war alſo ſchon im Lauf der Verhandlung
erſter Inſtanz nur noch der Antrag unter b ſtrittig
geblieben und von dem Antrag unter c der Unterſchied
zwiſchen 250 M und 120 M. Da der Antrag unter b
ganz abgewieſen und auf den Antrag unter c hin nur
eine Monatsrente von 150 M zugeſprochen wurde, konnte
alsbald erſehen werden, daß die Berufung nur auf den
Unterſchied zwiſchen der zugeſprochenen und der vom
Beklagten ſofort zugeſtandenen Monatsrente ſich er⸗
ſtreckte. Zwiſchen den beiden Beträgen iſt ein Unter⸗
ſchied von 30 M, woraus ſich nach § Ya Abſ. III Gg.
ein Streitwert von 360 M berechnet. Nur die Zus
erkennung einer Monatsrente, welche die von ihm ſelbſt
zugeſtandene um 30 M monatlich überſteigt, iſt in
Wirklichkeit dem Beklagten nachteilig. In dieſer Hin⸗
ſicht tritt der FS. der Anſchauung bei, die in einem
Beſchluß des R., VI. ZS., vom 4. März 1897 dargelegt
iſt (JW. 97, 1851). Dort wird ausgeführt: „Richtig
iſt zwar, daß der Streitwert eines Rechtsmittels, ſolange
noch kein Antrag des Rechtsmittelklägers vorliegt, ſich
nur darnach beſtimmt, wie weit der letztere durch die
von ihm angefochtene Entſcheidung formell beſchwert
iſt. Aber ein verurteilter Beklagter iſt nicht ſchlecht⸗
hin zum ganzen Belauf feiner Verurteilung formell
beſchwert, ſondern nur ſoweit er gegen ſeinen
Antrag verurteilt iſt ..“ Demnach war der
Streitwert für die Berufungsinſtanz auf 360 M feſtzu⸗
ſetzen. (Beſchluß des FS. vom 12. September 1914, L
227/14 10. Oberlandesgerichtsrat Gechter in Bamderg.
34165
Oberlandesgericht Nürnberg.
Schriftform der Bürgſchaftserklärung; Hauptver⸗
bindlichteit als Berausſetzung der Burgſchaft; Erſetzung
der urſprünglichen Hauptverbinolichkeit durch eine andere
(88 765, 766 863.) Aus den Gründen: Der
Schuldſchein des H. über 700 M iſt zwar vom Bürgen
W. ohne eigene Bürgſchaftserklärung nur mitunter⸗
zeichnet, allein nach dem ſich anſchließenden Nachtrag
vom gleichen Tage, den ebenfalls H. und W. unter⸗
ſchrieben haben, ſoll „obige Erklärung und Bürgſchaft
für weitere 800 M, im ganzen für 1500 M gültig fein“.
Da unbeſtrittenermaßen das Schuldbekenntnis von H.
und die Bürgſchaftserklärung von W. abgegeben wurde,
o liegt eine formgerechte Burgſchaftserklärung des W.
ſar 1500 M Schuld des H. an B. vor und kommt der
Mangel einer Bürgſchaftserklärung in dem von W.
nur mitunterzeichneten erſten Schuldſchein nicht weiter
in Betracht (8 766 BGB.; Staudinger, 7/8. Bd. Il. 2
430
materielle Würdigung entſchieden hat, konnte fein
Beſchluß nicht aufrecht erhalten werden. — Aber auch
der Beſchluß des Vormundſchaftsgerichts mußte auf⸗
gehoben werden. Dieſes hat nur für das nächſte Viertel⸗
jahr eine Verfügung getroffen und will demnach den
Verkehr nicht für längere Zeit ſondern nur von Fall zu
Fall regeln. Dabei hat es aber die berechtigten In⸗
tereſſen der Mutter nicht gebührend berückſichtigt. Eine
derartige Regelung mag in ganz beſonders gelagerten
Fällen angängig ſein, wo eine weiter hinausgehende
Vorſorge aus tatſächlichen Bründen unmöglich ıft; fie
iſt aber hier nicht zuläſſig, da nicht erſichtlich iſt, warum
nicht eine allgemeine Regelung möglich ſein ſollte. Es
kann der Mutter nicht zugemutet werden, daß ſie immer
erſt das Gericht anruft, wenn ſie mit ihren Kindern
verkehren will, und ſich unter Umſtänden jedesmal erſt
das Recht zum Verkehr im Inſtanzenzug erkämpft.
Sie kann verlangen, daß ihre Beziehungen zu ihren
Kindern auf eine feſte Grundlage geſtellt werden, ſie
muß auch in die Lage verſetzt werden, die ihr zuge⸗
ſprochenen Rechte nötigenfalls auf dem Wege der Voll⸗
ſtreckung rechtzeitig zu verwirklichen. Dies aber wird
ihr tatſächlich vereitelt, wenn ſie bei jeder von Fall
zu Fall erfolgenden Anordnung des Vormundſchafts⸗
gerichts damit rechnen muß, daß dieſe mit der Be⸗
ſchwerde und weiteren Beſchwerde angefochten wird.
Eine allgemeine Regelung liegt auch im Intereſſe der
Kinder ſelbſt, da dieſe von den fortgeſetzten Streitig⸗
keiten Kenntnis erhalten und dadurch ihre Gemüter
noch weiter verwirrt würden, als es bei den unerquick⸗
lichen Verhältniſſen ohnehin unausbleiblich iſt. Das
AG. wird alfo eine generelle Regelung zu treffen und
dabei zu berückſichtigen haben, daß das Geben von
Geſchenken nicht unter den Begriff des perſönlichen
Verkehrs fällt, daß es ſohin auch nicht von dem Vor⸗
mundſchaftsgericht auf Grund des 8 1636 BGB. unter⸗
ſagt werden kann. (Beſchl. des I. 35. vom 20. Juni
1914, Reg. III Nr. 53/1914). M.
3472
Strafſachen.
Zu 8 360 Nr. 8 StGB.: Wer darf in Bayern das
Wort „von“ vor feinem Namen führen? Aus den
Gründen: In der Pfarrmatrikel von W. finden ſich ſeit
ein paar Jahrhunderten Einträge von Angehörigen der
1 1 von H.: als letzter dieſes Namens iſt der im
Jahre 18.. geborene Johann von H. eingetragen;
dieſer nahm vermutlich wegen Betriebes eines Bier⸗
ausſchanks den bürgerlichen Namen Vonh. an; unter
dieſem Namen iſt auch ſein Sohn K. in die Pfarr⸗
matrikel eingetragen; er und nach ſeinem Tode deſſen
Witwe ſuchten vergeblich um die Genehmigung des
früheren Namens von H. nach. Trotzdem legte die Witwe
ſich jetzt den Namen von H. bei. Laut Mitteilung des
Reichsherolds iſt eine Familie „von H.“ in der baye⸗
riſchen Adelsmatrikel nicht eingetragen; die Witwe
Bonh. gehöre dem Adelsſtande nicht an und dürfe das
Beiwort „von“ als Adelsprädikat nicht führen. Das
Berufungsgericht verurteilte die Witwe Vonh. wegen
einer Uebertretung nach dem 8 360 Nr. 8 StGB.; ihre
Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Wenn auch der Inhalt
und die Wirkungen des Namensrechtes vorwiegend
privatrechtlich ſein mögen, ſo gehören doch Entſtehung
und Aenderung der Namen, von hier nicht in Betracht
kommenden Privatrechtstiteln wie $ 1355 BGB. ab-
geſehen, dem öffentlichen Rechte an: ganz dieſem an—
gehörig iſt aber das Standesrecht (v. Henle:v. Schneider,
AusfG., 2. Aufl. S. 12 u. 13). Nun kennt das öffent-
liche Recht Bayerns das Bei- oder Vorwort „von“
ausſchließlich als Adelsprädikat; dieſes Wort bezeichnet
nach 8 6 der V. BerfQeil. (Adelsedikt) den fünften Grad
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
der dort anerkannten Ordnung des Adelsſtandes (OLE.
München 2, 544; 3, 511; 8, 438; Bay Obs. in BlfRA.
68,327; Oertmann, BayLandesprivat#. S. 56). Hieraus
ergibt ſich, daß in Bayern das Wort „von“ nicht Be⸗
ſtandteil eines bürgerlichen Namens ſein kann, ſondern
immer Adelsprädikat iſt und demnach nicht den namens⸗
rechtlichen Vorſchriften des BGB. unterliegt (Stau⸗
dinger BGB., Aufl. 7/8, 4, 155 Bem. 10 zu 8 1355).
Uebrigens kommt auf die Entſcheidung der Frage, ob
in Bayern das Wort „von“ in Verbindung mit einem
bürgerlichen Namen vorkommen kann, für den vor⸗
liegenden Fall nichts an; maßgebend iſt, daß nach den
Feſtſtellungen die Angeklagte ſich des Namens „von
H.“ bedient, um ſich als adelig zu bezeichnen. Daß die
Angeklagte mit der Wiederannahme und Führung des
Namens „von H.“ auf den dieſer Familie nach ihrer
Behauptung zukommenden Adel zurückgreifen, nicht
etwa einen bürgerlichen Namen der vorhin bezeichneten
Art geltend machen wollte, folgt insbeſondere aus ihrer
vom Schöffengerichte feſtgeſtellten, vom B. über⸗
nommenen Erklärung, daß ihr Schwiegervater die Na⸗
mensänderung (eigenmächtig) vorgenommen habe, weil
er als Führer einer Schankwirtſchaft ſich nicht als
adelig bezeichnen laſſen wollte; hiernach iſt mit Recht
angenommen, daß die Angeklagte auf den älteren Namen
offenbar als auf eine i zurückgreift.
Nun hat ſie ſelbſt nie behauptet, daß dieſer Name in
die bayeriſche Adelsmatrikel eingetragen ſei, das Gegen⸗
teil ſteht durch die vollbeweiſende Auskunft des Herolds⸗
amts feſt. Unter dieſen Umſtänden iſt nicht zu unter⸗
ſuchen, welche Wirkungen die bisherige Unterlaſſung
des Eintrags nach den älteren und neueren Adelsedikten
und nach den dazugehörigen (übrigens durchaus ver⸗
faſſungsgemäßen) Ausführungsverordnungen für einen
etwaigen Fortbeſtand des Adels ſelbſt gehabt hat; es
genügt der Hinweis auf den Wortlaut des 8 8 Abſ. 1 der
V. BerfBeil., auf die ſchon hervorgehobene Eigenſchaft
des Wortes „von“ als Vorrecht des bayeriſchen Adels,
und auf die Belangloſigkeit der Frage, ob ein bayeriſcher
Staatsangehöriger früher irgend welchem außerbaye⸗
riſchen Adel angehört hat oder nicht. Nicht minder
belanglos iſt eine Erörterung darüber, ob die Ablegung
des Adelsprädikates durch Johann von H. richtiger durch
bloße Weglaſſung des „von“, als durch die Annahme
des Namens „Vonh.“ hätte erfolgen können oder ſollen;
maßgebend iſt, daß für die Angeklagte ein Adelstitel
in der Adelsmatrikel für das Königreich Bayern nicht
eingetragen iſt. Die unter Anklage geftellte Handlungs-
weiſe der Beſchwerdeführerin war, wie das BG. be⸗
denkenfrei feſtgeſtellt hat, von dem durch den Mißerfolg
ihrer früheren Schritte und durch ausdrückliche poli⸗
zeiliche Warnung begründeten Bewußtſein getragen,
daß fie den bürgerlichen Namen „Vonh.“ nicht mit dem
ein Adelsprädifat enthaltenden Namen „von H.“ ver⸗
tauſchen dürfe; ihr Tun war ferner von dem Willen
getragen, ſich durch Führung des letzteren Namens als
eine Adelige, als die Angehörige einer adeligen FJa—
milie, geltend zu machen. Hiegegen richtet ſich das
Verbot des 8 360 Nr. 8 StGB., den nach alledem das
BG. durchaus zutreffend angewandt hat. (Urt. vom
17. September 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 539/1914). Ed. 72
3467
Oberlandesgericht Bamberg.
Iſt der Antrag nach 8 16 ENG. dem Anwalts-
zwang unterworfen? Iſt in jeden Fall das Urteil der
Borinſtanz als im ganjen Umfang angelochten anzu
ſehen, wenn die Nechtsmittelſchrift unr die Anmeldung
des Nechtsmittels, nicht aber anch einen beſtimmten
Antrag enthält? Streitwert in der e
Während eines Scheidungsſtreites beantragte die
klagende Ehefrau, im Wege einſtweiliger Verfügung
— — — a—— - — V ——
— — — — —— — — ä om —̃ —
auszuſprechen, a) daß ihr geſtattet werde, für die
Dauer des Rechtsſtreits getrennt von ihrem Ehemann
zu leben, b) daß ihr die Sorge für die Perſon der
Tochter zugeſprochen werde, c) daß der Beklagte ver⸗
pflichtet ſei, ſeiner Frau und dem ihr zuzuſprechenden
Kinde Unterhalt zu gewähren durch Zahlung einer
Geldrente von etwa 250 M monatlich, eventuell eines
nach richterlichem Ermeſſen zu beſtimmenden Betrages.
Das nach mündlicher Verhandlung ergangene End⸗
urteil erkannte zu a nach Antrag, zu c ſprach es die
Verpflichtung des Beklagten aus, der Klägerin eine
monatliche Unterhaltsrente von 150 M zu zahlen; im
übrigen d. h. alſo zu d ganz und zu c, ſoweit eine
höhere Monatsrente als 150 M begehrt wurde, lehnte
das Urteil die Erlaſſung der einſtweiligen Verfügung
ab. Gegen das Urteil legte RA. Dr. S. namens des
Beklagten Berufung ein. Antragsſtellung und Be⸗
gründung wurden einem beſonderen Schriftſatze vor⸗
behalten, der aber nicht einlief, weil ſchon vor dem
zur Verhandlung beſtimmten Termin die Berufung
zurückgenommen wurde. Dieſe Erklärung wurde im
Verhandlungstermin wiederholt, die Sache wurde an⸗
tragsgemäß zur Bereinigung des Koſtenpunktes ver⸗
tagt. RA. B., der erſtinſtanzielle Prozeßbevollmächtigte
des Beklagten, beantragte bei dem OLG. ſchriftlich die
Feſtſetzung des Streitwerts. Das OLG. ſetzte den
Streitwert für die Berufungsinſtanz auf 360 M feſt.
Aus den Gründen: Zunächſt fragt es ſich, ob
der bei dem OLG. nicht zugelaſſene erſtinſtanzielle
Irozeßbevollmächtigte des Beklagten zur Stellung des
untrags berechtigt iſt. Bekanntlich beſteht in der
Rechtslehre und in der Rechtſprechung Streit darüber,
ob der Antrag nach 8 16 GKG. dem Anwaltszwang
unterliegt. Pfafferoth, Gerichtskoſtenweſen (9) S. 132
Nr. 4 ſpricht ſich, wenn auch etwas unſicher, im An⸗
ſchluß an OSG. Dresden vom 30. März 1901 für Frei⸗
heit des Antrags vom Anwaltszwang aus. Rittmann,
GKG. (6) S. 97 lehrt, daß der Antrag dem Anwalts⸗
zwang des 8 781 ZPO. unterliege, und beruft ſich
hiefür auf einen Beſchluß des OLG. Frankfurt a. M.
vom 27. April 1897 und einen ſolchen des OSG. Bam⸗
berg I. 35. vom 11. Juli 1903, letzterer abgedruckt in
Seuff A. Bd. 60 Nr. 85. Gegen die Anſicht, daß der
Antrag nach $ 16 GKG. dem Anwaltszwang unterliege,
wendet ſich mit beachtenswerten Ausführungen eine in
BaygziR. 1907 S. 245 ff. erſchienene Abhandlung, auf
welche wegen des Standes der Streitfrage der Kürze
halber Bezug genommen wird. Der JS. des Os.
Bamberg weicht nach Prüfung der Streitfrage von der
im Beſchluß ſeines J. ZS. vom 11. Juli 1903 vertretenen
Anſicht ab und ſchließt ſich der inzwiſchen vom VI. 38.
des RG. in ſeinem Beſchl. vom 6. März 1911 (Bureaubl.
für gerichtl. Beamte, Berlin 11, 57) dargelegten An⸗
ſchauung an, wonach der Antrag nach $ 16 GKG. vom
Anwaltszwang befreit iſt. Der entſcheidende Teil des
Beſchluſſes findet ſich in Warneyers Jahrb. 10. Jahrg.
1911 S. 562. Nach „Recht“ 1911 Nr. 1629 iſt der Be⸗
ſchluß im weſentlichen begründet wie folgt: „Da nach
8 1611 GKG. verglichen mit 8 41II GKG. die Partei
eine gegen einen Wertfeſtſetzungsbeſchluß an ſich zu⸗
läſſige Beſchwerde ohne Mitwirkung eines Anwalts ſelbſt
ſchriftlich einlegen kann, ſo muß ſie folgerichtig auch
bei dem Antrag auf Wertfeſtſetzung ſelbſt (§ 16 1 GKG.)
ſich der gleichen Form bedienen können und daraus
folgt dann wieder, daß ein ſolcher Antrag auch durch
einen beliebigen Bevollmächtigten ſchriftlich geſtellt
werden kann.“ — Welches iſt nun hier der Streitwert
für die Berufungsinſtanz? Iſt dem Wortlaute der Be⸗
rufungsſchrift entſprechend die Berufung gegen das
ganze Endurteil gerichtet? Nach Willenbücher, Koſten—
feſtſetzungsverfahren (7) 8 13 JI N. 6 Abſ. II wird die
Prozeßgebühr in der Berufungs- oder Reviſionsinſtanz
beſtimmt durch den Antrag in der Rechtsmittelſchrift
des Rechtsmittelklägers. Iſt ein ſolcher Antrag nicht
geſtellt, ſo darf der Gegner annehmen, daß das Urteil
N Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23. 431
— . ——»äůä — ä —
im ganzen angefochten ſei, ſoweit es zum Nachteil des
Rechtsmittelklagers lautet. Bei 8 10 N. 4 Abſ. IV
a. a. O. wird gefagt: „In der Verufungsinſtanz gilt,
wenn die Berufung ohne beſtimmten Antrag eingelegt
iſt, der ganze Inhalt des Urteils, ſoweit es dem Be⸗
rufungskläger nachteilig iſt, als angefochten.“ Siehe
A auch Pfafferoth a. a. O. 89 N. 6 lit. 1 S. 8.
uch die Beſchlüſſe des RG. vom 15. Januar 1890 und
7. Januar 1899 (RG. 25, 380 ff. und JW. 99, 970
ſprechen davon, daß beim Fehlen eines Antrags in der
Rechtsmittelſchrift anzunehmen ſei, das Urteil ſei im
ganzen Umfang angefochten. Würde hier nur der
Wortlaut der den Beklagten verurteilenden Formel
des Urteils berückſichtigt, ſo wäre freilich die ganze
gegen ihn ergangene Entſcheidung ihm nachteilig. Dies
wäre aber nicht ſachentſprechend. Es iſt vielmehr aus
dem ganzen Urteil zu entnehmen, was in Wirklichkeit
der unterliegenden Partei nachteilig iſt. Aus dem Tat⸗
beſtand und den Gründen des Urteils geht hervor:
der Bekl. unterwarf ſich bei der mündlichen Ber:
handlung ſofort dem Antrag unter a und beſtritt nur
zu c feine Verpflichtung, eine höhere Monatsrente als
120 M zu zahlen. Dementſprechend lautet auch fein
Antrag. Es war alſo ſchon im Lauf der Verhandlung
erſter Inſtanz nur noch der Antrag unter d ſtrittig
geblieben und von dem Antrag unter c der Unterſchied
zwiſchen 250 M und 120 41. Da der Antrag unter b
ganz abgewieſen und auf den Antrag unter c hin nur
eine Monatsrente von 150 M zugeſprochen wurde, konnte
alsbald erſehen werden, daß die Berufung nur auf den
Unterſchied zwiſchen der zugeſprochenen und der vom
Beklagten ſofort zugeſtandenen Monatsrente ſich er⸗
ſtreckte. Zwiſchen den beiden Beträgen iſt ein Unter⸗
ſchied von 30 M, woraus ſich nach § Ya Abſ. III GKG.
ein Streitwert von 360 M berechnet. Nur die Zu⸗
erkennung einer Monatsrente, welche die von ihm ſelbſt
zugeſtandene um 30 M monatlich überſteigt, iſt in
Wirklichkeit dem Beklagten nachteilig. In dieſer Hin⸗
ſicht tritt der FS. der Anſchauung bei, die in einem
Beſchluß des R., VI. ZS., vom 4. März 1897 dargelegt
iſt (JW. 97, 1851). Dort wird ausgeführt: „Richlig
iſt zwar, daß der Streitwert eines Rechtsmittels, ſolange
noch kein Antrag des Rechtsmittelklägers vorliegt, ſich
nur darnach beſtimmt, wie weit der letztere durch die
von ihm angefochtene Entſcheidung formell beſchwert
iſt. Aber ein verurteilter Beklagter iſt nicht ſchlecht⸗
hin zum ganzen Belauf ſeiner Verurteilung formell
beſchwert, ſondern nur ſoweit er gegen ſeinen
Antrag verurteilt iſt ..“ Demnach war der
Streitwert für die Berufungsinſtanz auf 360 1 feſtzu⸗
ſetzen. (Beſchluß des FS. vom 12. September 1914, L
227/14 U). Oberlandesgerichtsrat Gechter in Bamberg.
3465
Oberlandesgericht Nürnberg.
Schriftform der Bürgſchaftserklärung; Hauptver⸗
bindlichteit als Beransſetzung der Burgſchaft; Erſetzung
der urſprünglichen Hanptverbinolichkeit durch eine andere
(83 765, 766 883... Aus den Gründen: Der
Schuldſchein des H. über 700 M iſt zwar vom Bürgen
W. ohne eigene Bürgſchaftserklärung nur mitunter⸗
zeichnet, allein nach dem ſich anſchließenden Nachtrag
vom gleichen Tage, den ebenfalls H. und W. unter⸗
ſchrieben haben, ſoll „obige Erklärung und Bürgſchaft
für weitere 800 M, im ganzen für 1500 M gültig fein“.
Da unbeſtrittenermaßen das Schuldbekenntnis von H.
und die Bürgſchaftserklärung von W. abgegeben wurde,
ſo liegt eine formgerechte Burgſchaftserklärung des W.
für 1500 M Schuld des H. an B. vor und kommt der
Mangel einer Bürgſchaftserklärung in dem von W.
nur mitunterzeichneten erſten Schuldſchein nicht weiter
in Betracht ($ 766 BGB.; Staudinger, 7/8. Bd. II. 2
43 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 23.
S. 1497 Anm. Ib 3 zu $ 766; RG. 77, 378; 78, 37). —
Da durch den Bürgſchaftsvertrag der Bürge ſich gegen⸗
über dem Gläubiger eines Dritten verpflichtet, für die
Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzuſtehen
(8 765 BGB.), fo wird für die Bürgſchaft eine — wenn
auch künftige — Hauptverbindlichkeit vorausgeſetzt;
ſoweit eine ſolche fehlt oder nicht entſteht, entſteht auch
keine Bürgſchaftsverbindlichkeit. Nach dem Vertrag
zwiſchen H. und B. hatte letzterer dem erſteren noch
weitere 800 M Darlehen zu geben; ſoweit B. ſein Dar⸗
eee nicht erfüllte, entſtand keine Dar⸗
lehensſchuld des H., ſoweit wurde auch die hierfür über⸗
nommene Bürgſchaft des W. nicht wirkſam. Daß ein
Darlehensverſprechen durch die „Anrechnung“ einer
älteren Schuld des Schuldners erfüllt werden könnte,
iſt begrifflich ausgeſchloſſen, zumal wenn die ältere
Schuld noch gar nicht fällig iſt. In Wirklichkeit haben
B. und H. das Darlehensverſprechen nachträglich auf⸗
gehoben und den Schuldſchein über 800 M auf die
ältere Schuld des H. in gleicher Höhe erſtreckt. Da die
Bürgſchaftserklärung des W. ſich nur auf ein künftiges
Darlehen des B. bezog, wurde die an deſſen Stelle
geſetzte ältere Darlehensſchuld des H. nicht von ſelbſt
von jener Erklärung ergriffen, ſondern nur auf Grund
einer neuen Einigung zwiſchen B. und W. Hierfür
bedurfte es nicht einer neuen ſchriftlichen Erteilung
der Bürgſchaftserklärung des W., da deſſen ſchon vor⸗
liegende ſchriftliche Erklärung für die urſprüngliche
Schuld des H. noch nicht verbraucht oder ſonſtwie er⸗
ledigt war; ſie konnte formlos für eine andere Schuld
des H. aufrecht erhalten werden (RGRRomm. (2.) I.
703 Anm. 1 8 766; RG. 70, 415; 59, 42; Warneyer,
Jahrb. 1910 S. 121: Recht 1903 S. 551 zu 8 765). Daß
W. ſchließlich ebenſo wie H. in dieſe Aenderung willigte
und dem Gläubiger B. ſeine Einwilligung kundgab, iſt
an (wird näher ausgeführt). — (Urt. des II. 38.
vom 3. Juni 1914, L 249/13). Br.
3450
Bücheranzeigen.
Clad, Dr. jur. Clevis, Der Ausverkauf. Geſchicht⸗
liche Entwicklung und ſyſtematiſche Darſtellung
ſeiner Regelung im Geſetz gegen den unlauteren
Wettbewerb. Leipziger Inauguraldiſſertation. Leipzig
1913, Serigſche Buchhandlung. Preis Mk. 4.
Die Schrift zerfällt in zwei Teile mit eigener
Seitenzählung. Im erſten Teile (1— 142) ſtellt der
Verf. zunächſt überſichtlich die geſchichtliche Entwicklung
der Regelung des Ausverkaufsweſens dar (4-36).
Die folgende ſyſtematiſche Darſtellung (36 — 142) be⸗
ſchäftigt ſich ſodann mit dem Rechtsgrund des Schutzes
gegen unlauteren Wettbewerb (37—44), ferner
(44—142) mit dem Begriff des Ausverkaufs, feinen
formellen und materiellen Vorausſetzungen und den
Mitteln, ſowohl den zivil- wie ſtrafrechtlichen, zur
Bekämpfung des Ausverkaufsſchwindels, ſoweit der
Ausverkaufsſchwindel als Erſcheinung des unlauteren
Wettbewerbs in Frage kommt.
Der zweite Teil des Buches (1—172) enthält die
Ueberſicht über die von den „höheren Verwaltungs⸗
behörden auf Grund der 88 7 Il und 9 JI WettbewG.
getroffene Regelung des Ausverkaufsweſens und den
Abdruck der Verordnungen der Verwaltungsbehörden,
wie ſie Ende 1912 galten. Die ſorgfältige Schrift,
welche ſehr reiche Angaben über Literatur und Recht—
ſprechung enthält, wird der Praxis gute Dienſte leiſten.
Königsberg. Privatdozent Dr. Klein.
|
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— — m — —
Warnehers Jahrbuch der Entſcheidungen.
A. Zivil-, Handels⸗ und Prozeßrecht. Herausgegeben
von br. Otte Warneyer, Oberlandesgerichtsrat in
Dresden. 12. Jahrg. 1913. XX, 556 Seiten.
B. Strafrecht und Strafprozeß. Herausgegeben
von Georg Noſenmüller, Landgerichtsrat in Dresden.
8. Jahrgang 1913. XX, 245 Seiten. Leipzig 1914,
Roßbergſche Verlagsbuchhandlung (Arthur Roßberg).
Gebd. A Mk. 10.—, B Mk. 7.—.
Diefe umfaſſende Sammlung der deutſchen Recht-
ſprechung, auf die auch in den Urteilen des Reichs⸗
gerichts nicht ſelten verwieſen wird, iſt von uns ſchon
wiederholt angezeigt worden und ſo bekannt, daß es
wohl genügt, auf das Erſcheinen der neuen Bände
hinzuweiſen. E.
von Philippevich, Dr. Eugen, Profeſſor an der Univerfität
Wien. Grundriß der Politiſchen Oekonomie.
Erſter Band. Allgemeine Volkswirtſchafts⸗
lehre. Zehnte, neubearbeitete Auflage (21.— 23.
Tauſend). 512 Seiten. Tübingen 1913, J. C. B. Mohr
(Paul Siebeck). 11.— Mk., gebd. 12.— Mk.
Unter politiſcher Oekonomie verſteht Ph. die äußer⸗
liche Zuſammenfaſſung der drei ſelbſtändigen Wiſſen⸗
ſchaften: theoretiſche Volkswirtſchaftslehre (National⸗
ökonomie, in neuerer Zeit auch Sozialökonomie ge-
nannt), Volkswirtſchaftspolitik und Finanzwiſſenſchaft
(Staatswirtſchaftslehre). Die Zuſammenfaſſung be⸗
deutet alſo nicht, daß die verſchiedenen Wirtſchafts⸗
wiſſenſchaften Teile einer einheitlichen Wiſſenſchaft
ſind; ſie entſpringt vielmehr nur äußeren Gründen,
weil die Objekte durch ſachliche Beziehungen miteinander
verbunden ſind. Als wir 1898 in München zu den
Füßen Brentanos ſaßen, verwies er uns, wenn
mich mein Gedächtnis nicht trügt, vor aller übrigen
Literatur auf den (1893 in erſter Auflage erſchienenen)
ſeit 1896 in zweiter Auflage vorliegenden obigen Band.
Die Verbreitung dieſes Grundriſſes im Laufe von
20 Jahren ſpricht deutlicher als eine lange Beſprechung
für das Werk. Auch heute noch iſt es, wie mir erſt
neulich einer unſerer jüngeren Profeſſoren der National-
ökon omie beſtätigte, als das beſte Lehrbuch zu empfehlen.
Von ſeinen bekannten Vorzügen hebe ich nur die Klar⸗
heit und Gedankentiefe heraus. Die neue Auflage bes
rückſichtigt natürlich auch die neueſte Literatur und
Statiſtik. Ausführlicher behandelt ſie das Bevölkerungs⸗
problem und die Verſicherung als das Mittel, Ver⸗
mögensverluſte ohne Schädigung des Geſamtvermögens
der Volkswirtſchaft auszugleichen und Einkommen oder
Kapital in Zeiten eintretenden Bedarfs ſicher zu ſtellen,
ſo daß der Verbrauch normal weiter verläuft ohne
Störungen des Verbrauchs der Einzelwirtſchaft und
dadurch der Gütererzeugung. In der Darſtellung der
ſozialen Bewegung iſt dem Wachſen der ſyndikaliſtiſchen
Beſtrebungen Rechnung getragen.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
Militärhinterbliebenengefeg vom 17. Mai 1907 und
Beamtenhinterdliebenengeſetz vom 17. Mai 1907 nebſt
dazu gehöriger Begründung, Ausführungsbeſtim—
mungen, Anmerkungen uſw. 116 S. Stuttgart 1914,
Verlag von J. Heß. Geh. Mk. 2.—, geb. Mk. 2.50.
Ein Buch, das jetzt — leider! — einem dringenden
Bedürfnis entgegenkommt, das dieſem Bedürfnis aber
auch mit feinen Anmerkungen, Beiſpielen für die Be
rechnungsweiſe uſw. in erfreulicher Weiſe zu dienen
geeignet iſt. E.
Verantwortl. Herausgeber i. V.: E. Eckert, Land⸗
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
— rn
Ar. 24.
München, den 15. Dezember 1914.
— —— — — —
10. Jahrg.
Jeitſchrift für Rechtspflege
Herausgegeben von
h. von der Pfordten
Regierungsrat im K. Bayer.
Staats miniſterium der Juſtig.
in Bayern
Berlag von
3. Schweitzer Verlag
(Arthur Seller)
Berlin u. f
([Keufferts Blätter für RNechtsau wendung 8d. 79.)
Die Zelitſchriſt erſcheint am 1. 5. jedes Monats /.
Err
lebe ohne .
Nachdruck verboten.
Fdealkonkurrenz und Aenderung der Straf:
klage im Standrecht.
Bon A. Zeiler, I. Staatsanwalt in Zweibrücken.
1. Im Falle der Idealkonkurrenz beſtimmt
ſich die Zuftändigkeit nach dem ſchwerſten der zur
Verfolgung ſtehenden Delikte (Olshauſen 8 73
Anm. 39). Gilt dies auch für die Sondergerichte?
auch in dem Sinne, daß nun das zuſtaͤndige Ge⸗
richt die Tat aus jedem rechtlichen Geſichtspunkte
zu beurteilen hat?
In dem Falle RGE. 33, 405 lag dem An⸗
geklagten eine Tat zur Laſt, die ein Vergehen der
ſahrläſſigen Tötung und zugleich eine Zuwider⸗
handlung gegen die Vorſchriften der Rhein⸗
ſchiffahrtspolizeiordnung vom 3. Juli 1897 bildete.
Die Strafkammer ſprach bezüglich der fahrläſſigen
Tötung frei und erklärte ſich zur Beurteilung der
Tat aus dem Geſichtspunkt der Uebertretung für
unzuſtändig, weil das Rheinſchifſahrtsgericht als
Sondergericht zuſtändig ſei. Das Reichsgericht
billigte die Anſchauung, und aus den Gründen
ergibt ſich auch, daß das Reichsgericht es für un⸗
zuläſſig gehalten hätte, wenn die Strafkammer
im Falle einer Verurteilung wegen fahrläſſiger
Tötung auch über die damit rechtlich zuſam men⸗
fließende Uebertretung abgeurteilt hätte. Wenn
aber angenommen wird, daß die Strafkammer
wegen der fahrläſſigen Tötung verurteilte, was
geſchieht mit der in Idealkonkurrenz in Betracht
kommenden Uebertretung? Dann iſt die Tat
nicht nach ihrem ganzen tatſaͤchlichen und recht:
lichen Umfange gewürdigt. Muß alſo der Staats⸗
anwalt nach dem Legalitaͤtsprinzip die Würdigung
der Tat unter dem Geſichtspunkte der Uebertretung
noch nachtraͤglich herbeiführen? Prozeßrechtlich
möglich iſt dies ja (Löwe, 14. Aufl. S. 529
Anm. 30 b), aber es wäre offenſichtlich leeres Stroh
gedroſchen: die Strafe würde bei der zweiten Ab⸗
. Leitung und Geſchäftsſtelle: Münden, Ottoſtraße 1a.
. ke eg he 30 Ri be für die eee WPetitzelle
8 r deren Raum. ederbolungen Ermäßigung. Stellen⸗
% anzeigen 20 Pfg. Beilagen nach Uebereinkunft.
433
Pr um keinen Tag höher ausfallen, die
Koſten wären unnütz aufgewendet, alle Beteiligten
zwecklos beläftigt. 8 208 StPO. bietet hier keine
Handhabe, da er, abgeſehen von anderem, auf den
Fall der Idealkonkurrenz nicht zugeſchnitten iſt.
Aber immerhin, der Staatsanwalt wird nicht
ängftlic am Buchſtaben haften, ſondern über das
Legalitätsprinzip wegſehen und den Mut haben,
die weitere Verfolgung zu unterlaſſen. Zur Be⸗
gründung läßt ſich ja ſagen: die „Tat“ ſei ſchon
abgeurteilt. Erſte Pflicht iſt, die Strafrechtspflege
nicht dem Geſpötte auszufetzen.
In der genannten Entſcheidung hat alſo das
Reichsgericht die an die Spitze dieſes Aufſatzes
geſtellte Regel für das Verhältnis zwiſchen dem
ordentlichen Gericht und einem Sondergericht
nicht angenommen. Bei Löwe (8 13 GVG.
Anm. 15a) iſt bemerkt: „Im Verhältnis der ordent⸗
lichen Gerichtsbarkeit zu der Sondergerichtsbarkeit
iſt jede der beiden Gerichtsbarkeiten eine ausſchließ⸗
liche. Es iſt alſo nicht ſtatthaft, zuſammenhängende
Sachen, von denen die eine zur Zuſtändigkeit eines
ordentlichen Gerichts, die andere zu der eines
Sondergerichtes gehört, verbunden vor eines dieſer
Gerichte zu bringen“. Dieſer Satz hat anſcheinend
nur den Fall des fachlichen Zuſammentreffens im
Auge; über die Idealkonkurrenz iſt bei Löwe nichts
bemerkt. Aber auch, wenn das Reichsgericht a. a. O.
die Scharfe Scheidung der Zuſtändigkeiten zwiſchen
dem ordentlichen und dem Sondergerichte betont
hat, ſo wird das gleichwohl keine allgemeine
Geltung beanſpruchen können. So iſt in der
MSISD. die Zuſtändigkeitsfrage in anderer
Weiſe geregelt. § 3 beſtimmt, daß Militärperſonen
wegen gewiſſer Amtsverbrechen und Amtsvergehen
der bürgerlichen Strafgerichtsbarkeit unterworfen
find, daß aber die Millitaͤrgerichtsbarkeit Platz
greift, wenn mit der Handlung eine Zuwiderhand⸗
lung gegen die Militärſtrafgeſetze zuſammentrifft;
d. h. alſo die Militarſtrafgerichtsbarkeit iſt zuſtändig
434
zur Aburteilung der Tat aus jedem rechtlichen Ge⸗
ſichtspunkt und zwar gleichgültig, ob das mili⸗
täriſche Delikt gegenüber dem bürgerlichen das
leichtere oder das ſchwerere iſt. Ebenſo unter⸗
wirft zwar 8 2 RM StG. die Militärperſonen
wegen gewiſſer anderer Zuwiderhandlungen den
bürgerlichen Strafgerichten, aber auch hier wird,
wenigſtens nach der überwiegenden Meinung,
wiederum die militärgerichtliche Zuſtändigkeit an⸗
genommen, wenn mit der ausgenommenen Zu⸗
widerhandlung ein anderes gemeines oder mili⸗
täriſches Delikt zuſammentrifft (vgl. Weigel, Zus
ſtaͤndigkeitsgrenzen, 82 M StG. Anm. 5). Dieſes
⸗Zuſammentreffen“ gilt ſogar für den Fall der
Realkonkurrenz (RGE. 25, 347), alſo natürlich
erſt recht für die Idealkonkurrenz, ſo daß alſo die
zum Sondergericht zuſtändige Tat von dieſem nach
allen rechtlichen Geſichtspunkten zu würdigen iſt.
Nach dem Ausgeführten wird ſich alſo eine
allgemeine Regel nicht aufſtellen laſſen dahin,
daß beim rechtlichen Zuſammentreffen von Delikten,
die teils dem ordentlichen, teils dem Sondergerichte
zugewieſen find, jedes dieſer Gerichte die Tat nur
aus dem ihm eigentlich zukommenden Geſichts⸗
punkt aburteilen dürfte. Was für das einzelne
Sondergericht gilt, wird ſich nur entſcheiden laſſen
nach der Art und der Zweckbeſtimmung des Sonder-
gerichts ſowie nach der Art der in Frage ſtehenden
ſtrafbaren Handlung und dem Verhältnis der zu⸗
ſammentreffenden Delikte zu einander. In 8 3
M Std. iſt zwar die Zuſtändigkeitsregel des
Abſ. 2 ausdrücklich durch das Geſetz beſtimmt,
für die Falle des 8 2 dagegen fehlt es an einer
ausdrücklichen Geſetzesvorſchrift, und die Frage
konnte daher hier nur unter Anwendung der all⸗
gemeinen Auslegungsregeln ihre Löſung finden.
Nach dieſen Geſichtspunkten wird nun auch die
Frage zu prüfen fein, wie die Idealkonkur⸗
renz beim Standrecht zu behandeln iſt.
Nach dem preuß. Geſetz über den Belagerungs⸗
zuſtand vom 4. Juni 1851 8 10 und ebenſo nach
Art. 6 Nr. 2 des bayer. Geſetzes vom 5. November
1912 über den Kriegszuſtand gehört u. a. zur Zu⸗
ſtaͤndigkeit eines Kriegsgerichts, in Bayern des
ſtandrechtlichen Gerichts, der Widerſtand gegen die
Staatsgewalt, nicht aber die Körperverletzung,
weder ihre leichten noch ihre ſchweren Formen.
Nehmen wir einen Widerſtand gegen einen Schuß:
mann nach 8 113 StGB. an, wobei der Widerſtand
zum Teil in einer vorſaͤtzlichen Körperverletzung
beſteht. Man ſollte meinen, wenn der gewöhn⸗
liche Widerſtand um der öffentlichen Sicherheit
willen dem Standrechte zugewieſen iſt, ſo muß es
ein Widerſtand, der unter einer Körperverletzung
und gar unter einer ſchweren Körperverletzung ge:
leiſtet worden iſt, alſo ein beſonders ſchwerer und
gefährlicher Widerſtand, offenbar erſt recht ſein.
Obwohl alſo für die Beurteilung der Tat aus
dem ſchwereren Geſichtspunkt (der Körperverletzung)
die Zuſtändigkeit des ſtandrechtlichen Gerichts nicht
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
beſtimmt iſt, ſo iſt doch nicht um deswillen, weil
die Tat auch unter dieſen ſchwereren Geſichtspunkt
fällt, ihre Aburteilung dem Standrecht entzogen,
ſoweit ſie unter dem Geſichtspunkt des Widerſtands
gewürdigt werden ſoll. Das Standrecht iſt alſo
ſicher zur Aburteilung der Tat zuftändig, wenig:
ſtens einmal zunächſt aus dem Geſichtspunkte des
Widerſtands. Da das Standrecht nach ſeinem
Zweck und der Geſtaltung ſeines Verfahrens raſcher
arbeitet als das ordentliche Gericht, ſo wird alſo
die Tat — ſofern wir einmal annehmen, es müßten
wegen der mehreren rechtlichen Geſichtspunkte ge:
trennte Verſahren vor dem Sondergericht und dem
ordentlichen Gerichte durchgeführt werden — vor
dem ſtandrechtlichen Gerichte früher er⸗
ledigt. Dann kommt wieder die Frage, ob die
Tat, die vom Standrecht aus dem Geſichtspunkt
des Widerſtands behandelt worden iſt, nun auch
noch vor dem ordentlichen Gerichte verfolgt werden
muß. Man wird das vielleicht unterlaſſen, wenn
die Körperverletzung mäßige Bedeutung hat. Auch
hier iſt 10 gegen 1 zu wetten, daß es im Straf⸗
maß keine Aenderung geben wird. War z. B. die
Körperverletzung ein kräftiger Stockſtreich über den
Arm des Schutzmanns, ſo wird dieſe Art der Aus⸗
führung des Widerſtands ſelbſtverſtändlich ſchon
vom Standrecht beim Ausmaß der Strafe berüd:
ſichtigt, ſo daß alſo für ein folgendes Verfahren
vor dem Schöffengericht kein vernünftiger Ver⸗
fahrenszweck mehr übrig bleibt. Wie aber, wenn
der Täter den Schutzmann nicht über den Arm,
ſondern über den Kopf geſchlagen und damit Siech⸗
tum oder Tod verurſacht hat? Das Höchſtmaß
der Strafe beträgt nach 8 113 StGB. zwei Jahre
Gefängnis; damit iſt natürlich die Tat, in
ſofern ſie auch Verbrechen der Körperverletzung iſt,
nicht ausreichend geſühnt, und es müßte unter
dem Geſichtspunkt der Körperverletzung eine zweite
Verhandlung vor Strafkammer oder Schwurgericht
durchgeführt werden. Kann aber hier die zweite
Verhandlung nicht umgangen werden, ſo ſehe ich
keine rechtliche Möglichkeit, davon abzuſehen in
Fallen, wo nur eine bloße Körperverletzung nach
88 223 oder 223 a StGB. in Frage ſteht. Eine
Sachbehandlung nach dem Vorbilde des 8 208
StPO., wie fie die bayer. Vollzugsvorſchriften
zum Kriegszuſtandsgeſetz in 8 33 dem Staats⸗
anwalt empfehlen, kann nicht erfolgen, da für
dieſe Behandlung nur ſolche ſtrafbare Hand⸗
lungen geeignet ſind, die zur ſtandrechtlichen Zu⸗
ſtändigkeit gehören. Soweit aber eine gerichtliche
Einſtellung des Verfahrens nach § 208 zu er⸗
wägen wäre, kamen die vorhin ſchon erwähnten
Bedenken in Frage.
Die ganze Schwierigkeit wäre vermieden, wenn
ſich eine Befugnis des Standrechts begründen ließe,
die Tat nach allen rechtlichen Beurteilungsmoͤglich⸗
keiten zu behandeln, alſo in unſerem Falle eine
Zuſtandigkeit des Standrechts, den Täter nicht nur
wegen Widerſtands, ſondern zugleich wegen Körper⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 435
verletzung zu verurteilen, und zwar wegen leichter
oder gefährlicher Körperverletzung, ja ſelbſt wegen
erſchwerter Körperverletzung nach 88 224 und 226.
Vor mir liegt ein Urteil eines ſtandrechtlichen
Gerichts in einer Sache wegen Widerſtands, bei
dem der Täter u. a. dem Schutzmann einen Stock⸗
ſtreich über die Hand gegeben hat. Das ordent⸗
liche Gericht hätte hier regelrecht verurteilt wegen
eines Vergehens der gefährlichen Körperverletzung
in rechtlichem Zuſammentreffen mit einem Ver⸗
gehen des Widerſtands. Das ſtandrechtliche Gericht
getraute ſich nicht, ſeine Zuſtändigkeit zur Ver⸗
urteilung wegen Körperverletzung anzunehmen und
verurteilte „wegen eines Vergehens des Wider⸗
ſtands gegen die Staatsgewalt zu drei Monaten
Gefängnis“. In den Gründen aber iſt ausgeführt:
„Str. hat ... einem Beamten durch Gewalt Wider:
ſtand geleiſtet dadurch, daß er ſich von ihm los⸗
riß und ihm einen Stockſchlag über die Hand ver⸗
ſetzte. Dieſe Handlung begründet ein Vergehen
des Widerſtands gegen die Staatsgewalt nach $ 113
StGB. und zugleich ein Vergehen ber gefährlichen
Körperverletzung nach 8 223 a StGB. Die Strafe
war deshalb nach $ 73 aus 8 2238 zu entnehmen.“
Das kann nicht richtig ſein. Wenn ſich das Ge⸗
richt getraute, die Tat unter dem Geſichtspunkt
der Körperverletzung zu würdigen und nach 8 73
die Strafe aus der Strafvorſchrift über die Körper⸗
verletzung zu entnehmen, ſo hat es den Angeklagten
in Wirklichkeit wegen Körperverletzung verurteilt
und durfte und mußte dieſe Verurteilung im Ur⸗
teilsſatze zum Ausdruck bringen.
Tatſaͤchlich halte ich nun, wie ich im folgenden
zeigen möchte, das Standrecht für zuſtändig, die
Tat auch unter dem Geſichtspunkt der Körper ⸗
verletzung zu würdigen, und es hätte, ſelbſt wenn
dieſe ein Verbrechen nach $ 224 oder § 226 gebildet
hätte, nach dieſen Strafbeſtimmungen verurteilen
dürfen.
Schrifttum und Rechtſprechung laſſen bei der
Unterſuchung der Frage faſt ganz im Stich.
Stengleins Kommentar zu den ſtrafrechtlichen
Nebengeſetzen (Bd. 1, zum preuß. Geſ. von 1851)
bemerkt zwar in Anm. 2 zu § 10, die Zuſtändig⸗
keit des Kriegsgerichts beſchränke ſich auf die im
Geſetze bezeichneten ſtrafbaren Handlungen „auch
im Falle des Zuſammenfluſſes oder der Konnexi⸗
tät mit andern Delikten; dieſe ſeien getrennt ab:
zuurteilen,“ und unter Zuſammenfluß iſt offenbar
der Fall der Idealkonkurrenz gemeint. Der Kom:
mentar gibt aber keinerlei Begründung für ſeine
Auffaſſung, tut auch der Unzuträglichkeiten keine
Erwähnung, zu denen die „getrennte Aburteilung
des andern Deliktes“ führen muß. Für Bayern
habe ich eine Belegſtelle im Schrifttum nicht finden
können. Hier ſind durch das Geſetz von 1912 im
weſentlichen die Beſtimmungen des bayer. Straf—
geſetzbuchs von 1813 über das Standrecht aufrecht:
erhalten und nur in manchen Punkten den neu—
zeitlichen Anſchauungen angepaßt worden. Die
Frage der Behandlung ideell konkurrierender Delikte
im Standrecht ſcheint aber den Früheren kein Kopf:
zerbrechen gemacht zu haben. Weder der von
Gönner bearbeitete amtliche Kommentar, noch
der private Kommentar von Rottmann laſſen
ſich zu der Frage vernehmen. Neuerdings hat
auch der kleine Kommentar zum bayer. Kriegs⸗
zuſtandsgeſetze von Sutner die Frage nicht beachtet.
Ich verkenne nun allerdings nicht, daß die
Strafbeſtimmungen des bayer. Strafgeſetzbuchs von
1813 vom Geſetzgeber kaum im Sinne meiner
Auffaſſung gemeint waren. Bekannt war jenem
Geſetz die Idealkonkurrenz wohl, es hat ihre Be⸗
handlung in Art. 110 Abſ. 2 ausdrücklich geregelt.
Aber bei der Regelung des Standrechts war ſich
der Geſetzgeber des Falles einer Idealkonkurrenz
offenbar nicht bewußt. Das Standrecht war vor⸗
geſehen wegen ſchweren Aufruhrs unter beſtimmten
Vorausſetzungen und dann, wenn in gewiſſen
Gegenden Mord, Raub, Brandſtiftung ungewöhnlich
überhand nehmen würden. Dann ſollte als Wirkung
des Standrechts die ordentliche Kriminalgerichts
barkeit in Anſehung jener Verbrechen und inner⸗
halb der beſtimmten Diſtrikte außer Kraft treten,
über die Uebeltäter mit Beſchleunigung abgeurteilt
und jeder, der überwieſen oder geſtändig ſei,
ob als Täter oder Gehilfe, mit dem Tode be⸗
ſtraſt werden. Das Geſetz kannte alſo als Strafe
für alle Standrechtsfälle nur die Todesſtrafe, und
dabei war es dann klar, daß jede Sorge um die
Behandlung der Idealkonkurrenz und auch nur der
Gedanke daran überflüſſig geweſen wäre. Anders
ſchon nach dem preuß. Geſetze von 1851. Dieſes
unterwarf der ſtandrechtlichen Behandlung eine
Reihe von ſtrafbaren Handlungen mit den im
ordentlichen Strafrecht angedrohten Strafen und
fügte weitere Strafdrohungen mit einem Strafmaß
bis zu einem Jahre hinzu. Dem ſchließt ſich dann
das bayer. Geſetz von 1912 an, während weiter⸗
hin für Bayern nach Art. 3 des Geſetzes, im
übrigen nach 8 4 EG. RStGB. nur an die Stelle
der lebenslangen Zuchthausſtrafe die Todesſtrafe
treten ſoll. Nunmehr alſo hat natürlich die Frage
erhebliche Bedeutung, wie die Idealkonkurrenz zu
behandeln ſei.
Im Sinne des alten bayer. Geſetzes ſowohl
wie des preuß. Geſetzes iſt nun freilich die Auf⸗
faſſung die wahrſcheinlichere, daß ſich die Geſetz⸗
geber bei der Idealkonkurrenz das Zuſammentreffen
mehrerer ſtrafbaren Handlungen dachten, deren ge⸗
ſondertes rechtliches Schickſal dann nichts auffallen:
des bildete. So umſchreibt das bayer. Strafgeſetz⸗
buch die Idealkonkurrenz mit den Worten: „Wenn
ein Verbrecher in ein und derſelben Handlung zu
gleicher Zeit mehrere Verbrechen begangen hat.“
Aber dieſe Auffaſſung des Geſetzgebers iſt für unſere
heutige Beurteilung der Frage nicht entſcheidend,
da die geſetzlichen Beſtimmungen hier wie bei den
Vorſchriften über das Standrecht nicht ausdrück⸗
lich die Folgerung aus einer ſolchen Auffaſſung
436
ziehen und die Beſtimmungen, fo wie fie erlafien
find und in ihrem Ineinandergreifen ebenſogut
auch in dem gegenteiligen Sinn aufgefaßt werden
können. Das heißt: wenn eine jener Auffaſſung
entſprechende Behandlung der Frage dem erkenn⸗
baren Zwecke gewiſſer Vorſchriften zumiderläuft,
ſo kann die Auffaſſung des bag — über ſie,
wenn er ſich der Folgerungen aus
nicht durchaus bewußt geworden iſt, jedenfalls
aber die für unſere Frage maßgebende
Folgerung im Geſetz nicht zum Ausdruck
gebracht hat, nicht als Hindernis dafür an⸗
geſehen werden, daß die Frage in dem dem Zwecke
des Geſetzes entſprechenden Sinne beurteilt werde.
Auch ſonſt bringt eine wörtliche Auslegung
der beiden Geſetze kein zuverläſſiges Ergebnis.
Allerdings ſagt 8 10 des preuß. Geſetzes, es ge⸗
höre vor die Kriegsgerichte die Aburteilung der
Verbrechen des Hochverrats ..., des Mordes, der
tätlichen Widerſetzung . .., des Raubes, und
beſtimmt Art. 6 des bayer. Geſetzes, das Stand⸗
recht ſei „zuſtändig für das Verbrechen des Hoch⸗
verrats und des Landesverrats, für das Verbrechen
und das Vergehen des Widerſtands gegen die
Staatsgewalt .., für das Verbrechen des Mordes,
des Raubs und der Erpreſſung ..., aber dieſer
Wortlaut nötigt nicht zu der Auffaſſung, als
wäre dem Sondergericht der abſtrakte Tatbegriff
überwieſen, der in den 88 113, 117, 249, 317 uff.
umſchrieben iſt; er kann vielmehr auch ſo auf⸗
gefaßt werden, daß das Sondergericht urteilen
ſoll über die Tat als Inbegriff des menſchlichen
Handelns, wie es ſich in wirklicher Gegebenheit
zeigt, mit allem Drum und Dran, als lebendiges
Geſchehnis, das um ſeiner Beſonderheit willen und
im Hinblick auf die Zeitumſtände und den Ort
ſeiner Begehung dem kraftvoll und raſch arbeitenden
Gerichte überwieſen iſt. Dieſes Sondergericht iſt
dann eben nicht zuſtändig für den Widerſtand ge⸗
nau in der Umgrenzung des § 113, ſondern zus
ſtändig für jede Tat, die nach einer ihrer tat⸗
ſaͤchlichen und rechtlichen Seiten den Tatbeſtand
des 8 113 erfüllt.
Nichts geſagt iſt darum natürlich mit dem
Einwande, daß „die Sondergerichte nur innerhalb
ihrer ar Zuſtändigkeiten urteilen dürfen“.
Das iſt ſelbſtverſtaͤndlich; aber es iſt eben die
Frage, ob nicht die Zuſtändigkeit über den Rahmen
hinausreicht, der ſich auf den erſten Blick aus
dem Wortlaut des Geſetzes ergibt.
Gegenüber den angeführten Geſetzesſtellen ſcheint
nun eine andere im Gegenteil für eine weitere
Auffaſſung der Zuſtändigkeit zu ſprechen. Das
preuß. Geſetz bedroht in 89 verſchiedene Hand⸗
lungen mit einer Gefaͤngnisſtrafe bis zu einem
Jahre, „wenn die beſtehenden Geſetze keine höhere
Freiheitsſtrafe beſtimmen“, und verordnet in § 10
auch für die hier genannten Handlungen die Zu—
ſtändigkeit des Kriegsgerichts, und eine gleiche
Regelung trifft das bayer. Geſetz in den Art. 4
einer Auffaſſung
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
und 6 Nr. 8. Es ſcheint mir nun ausgeſchloſſen,
daß dieſe Zuſtändigkeitsregelung ſo aufgefaßt werden
müßte, als wäre das Standrecht für die bezeichneten
Handlungen nur zuftändig, ſofern nicht im ge
ebenen Fall vom ordentlichen Strafgeſetz eine
1 Strafe angedroht iſt. Erfüllt z. B. die
Aufforderung zur Uebertretung einer zur Erhaltung
der öffentlichen Sicherheit getroffenen Anordnung
den Tatbeſtand des 8 49a StGB., fo wäre es
widerſinnig, um deswillen die Zuſtändigkeit des
Standrechts zu verneinen. Die Zuſtändigkeit iſt
vielmehr anzunehmen, obwohl das preußiſche wie
das bayeriſche Geſetz die Zuſtändigkeit mit Worten
nur anordnen für die in der Beſtimmung
des Sondergeſetzes mit Strafe bedrohten
oder nach dieſem Geſetze ſtrafbaren Hand⸗
lungen. Die Ablehnung der Zuſtändigkeit wäre
widerfinnia deshalb, weil die im Sondergeſetze
bezeichneten Handlungen, ſofern ſie ſchon unter
eine ſchärfere Strafbeſtimmung des ordentlichen
Geſetzes fallen, als ſchwerere Gefährdungen der
öffentlichen Sicherheit gelten müſſen, alſo doch erſt
recht das Eingreifen des Standrechts zu ihrer Ab⸗
urteilung erforderlich machen. Obwohl alſo hier
nicht das Sondergeſetz die Handlung „mit Strafe
bedroht“, ſondern dafür nur auf das ordentliche
Straſrecht verweiſt, jo muß doch auch hier (in
Uebereinſtimmung mit Stengleins Kommentar
a. a. O. 8 10 Anm. 2) die ſtandrechtliche Zu⸗
ſtändigkeit gelten, und dieſe Erwägung könnte
wohl zu der Folgerung führen, daß das gleiche
gelten muß für den Fall, daß die Tat in recht⸗
lichem Zuſammentreffen ſowohl gegen jene Straf⸗
beſtimmung des Sondergeſetzes als zugleich
gegen eine Strafbeſtimmung des allgemeinen Straf⸗
geſetzes verſtoße.
Doch ich will auf dieſe Betrachtung nicht ein⸗
mal viel Gewicht legen, zumal da ſie nur eine
einzelne Gruppe von ſtrafbaren Handlungen trifft.
Ausſchlaggebend ſcheint mir vielmehr eine andere
Erwägung.
Der Zweck der beiden Geſetze iſt der, daß zu
Zeiten einer beſonderen Gefährdung der öffent:
lichen Sicherheit, zumal in Kriegszeiten und in
den dem Kriegsſchauplatze nahegelegenen Gebiets⸗
teilen die Aburteilung der ſtrafbaren Handlungen,
die die öffentliche Sicherheit in beſonderem Maße
gefährden, mit beſonderer Beſchleunigung, mit be⸗
ſonderem Nachdruck und beſonderer Strenge er⸗
folge. Und wenn dann auch beiſpielsweiſe die
Körperverletzung nicht unter den ſtrafbaren Hand⸗
lungen genannt iſt, für die die Zuſtaͤndigkeit des
Standrechts beſtimmt iſt, ſo ſteht das doch nicht
im Wege, daß der Geſichtspunkt der Körperver⸗
letzung mitgewürdigt werde, wenn die Körperver⸗
letzung eine Erſcheinungsform des Widerſtandes,
des Raubes bildet und die Tat in der Regel ſogar
zu einer beſonders ſchweren ſtempeln wird.
Läßt ſich das Geſetz nach ſeinem Wortlaut in
verſchiedenem Sinne auslegen, ſo iſt es unſere Auf⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
gabe, nach Möglichkeit die Auslegung zu ſuchen,
die zum vernünftigſten Ergebniſſe fahrt Die Ein⸗
engung der Zuſtändigkeit würde aber hier zu dem
angefichts des Zwecks jener Geſetze ganz verkehrten,
ja unmöglichen Ergebniſſe führen, daß die Be⸗
urteilung der Tat zunaͤchſt unter dem milderen
Geſichtspunkte zu einer vielleicht in keinem Ver⸗
hältnis zu ihrer Schwere ſtehenden Sühne vor
dem Standrecht führen würde (zwei Jahre Ge⸗
fängnis für einen Widerſtand mit Totſchlag !) und
daß ſich daran mit der notwendigen Folge
einer Beſeitigung dieſer Strafe nun doch
noch das umſtändliche und vielleicht langdauernde
ordentliche Verfahren mit Vorunterſuchung, ſchwur⸗
gerichtlicher Verhandlung und Revifionsinſtanz an:
hängen müßte. Die ſtandrechtliche Verhandlung
könnte hier nicht ernſt genommen werden; was ſie
hier als einzig Greifbares brächte, die ſofortige
Feſtſetzung des Täters, würde in ſolchen Fallen
beim ordentlichen Verfahren auch geleiſtet durch die
Unterſuchungshaft.
Alſo dem Standrecht ſoll die volle Aburteilung
zuſtehen. Freilich entbehrt das Verfahren im
bayeriſchen Standrecht und in noch ſtärkerem Maße
das vor dem Kriegsgericht des preußiſchen Geſetzes
gewiſſer Sicherheiten für den Angeklagten. Aber
das kann nicht irre machen. Das Standrecht iſt
gerade angeordnet für eine Reihe der ſchwerſten
Delikte und hat in nicht wenigen dieſer Fälle ſo⸗
gar auf die Todesſtrafe zu erkennen. Es iſt alſo
durchaus nicht im Sinne der Geſetze gelegen, die
ein ſolches Verfahren geſchaffen haben, wenn man
ſich deren Geltungsbereich durch eine weitgehende
Rückſicht auf die in friedlichen und ruhigen Zeiten
freilich ſelbſtverſtändlichen Rechtsbürgſchaften des
Angeklagten eingeengt denken wollte. Darf das
Standrecht alſo wegen Mordes und Hochverrats
ſowie an Stelle der lebenslangen Zuchthausſtrafe
bei einer Reihe anderer ſtrafbarer Handlungen zum
Tode verurteilen, ſo iſt nicht abzuſehen, wenn denn
einmal die Tat um ihrer Gefährlichkeit für die
oͤffentliche Sicherheit willen zur ſtandrechtlichen
Verurteilung verwieſen iſt, daß nicht das Stand⸗
recht zugleich wegen Urkundenfaͤlſchung den Täter
ſollte ſtrafen können, dem dieſe das Mittel und
die Begehungsart für ein Vergehen der ſtraf⸗
baren Ausſtreuung wiſſentlich falſcher Gerüchte
geweſen iſt.
Nun möchte ich allerdings die Erweiterung der
ſtandrechtlichen Zuſtändigkeit nicht in dem Sinne
aufgefaßt wiſſen, als ob damit dem ſtandrecht⸗
lichen Gerichte zur Rechtspflicht gemacht wäre,
in jedem Falle die Tat unter jedem rechtlichen
Geſichtspunkte zu würdigen. Es werden Faͤlle
möglich ſein, wo es vorteilhaft iſt, wenn ſich das
Standrecht auf die Würdigung der Tat aus dem
ihm eigentlich zuſtehenden Geſichtspunkt beſchränkt.
So ſelbſtverſtändlich immer dann, wenn die Sache
zur Würdigung aus dem andern Geſichtspunkt
noch nicht vollkommen geklärt iſt oder etwa, wenn
—— .f —————— E8y.w— — —ä—e—ç'ẽ.—0 :. — p ———- —.ũö i iir iã- — —— — — ꝛ̃-—- —— —
437
zur Verurteilung nach dieſer Richtung noch eine
Vorausſetzung zu erfüllen, namentlich noch ein
Strafantrag beizubringen iſt. Aber abgeſehen
hiervon wird das Standrecht davon, den anderen
Geſichtspunkt mit zu würdigen, mitunter dann Ab⸗
ſtand nehmen, wenn es ſich dabei um ein Delikt
handelt, das dem eigentlichen Tätigkeitsgebiete des
Standrechts ferne liegt. Bei der Beſonderheit des
Standrechts muß eine gewiſſe mäßige Verſchwommen⸗
heit, die damit in die Zuſtändigkeitsregelung kommt,
in den Kauf genommen werden.
Es bleibt bei dieſer Auffaſſung allerdings noch
ein Bedenken beſtehen, das ſich erheben kann, wenn
das Standrecht die Tat nur aus dem eigentlichen
ſtandrechtlichen Geſichtspunkte gewürdigt hat und
die Sache nun zur Aburteilung aus dem anderen
Geſichtspunkte vor das ordentliche Gericht gebracht
wird. Es fragt ſich nämlich, ob dieſes Gericht
hier nicht durch das ne bis in idem an der Ab⸗
urteilung gehindert wäre, da doch, wie ich an⸗
nehme, ſchon das ſtandrechtliche Gericht aus dieſem
Geſichtspunkt wenigſtens hätte urteilen dürfen,
alſo ein rechtliches Hindernis für die Aburteilung
der Tat aus jedem Geſichtspunkt nicht beſtanden
hätte. Aber bei dem eigentümlichen Verhältnis,
das zwiſchen dem Standrecht und dem ordentlichen
Verfahren beſteht, wäre dieſe ſonſt allerdings be⸗
rechtigte Folgerung verfehlt. Da das Verſahren
im Standrecht ſummariſch geſtaltet iſt und lange
Vorbereitungen ausſchließt, kann es leicht geſchehen,
daß der für die ſtandrechtliche Verhandlung bei:
gebrachte Stoff zur Bildung eines beſtimmten
Urteils oder zur Erſchöpfung der Sache nach allen
Geſichtspunkten nicht ausreicht, und daß dann,
jet es ganz oder zum Teil, die Sache ins ordent⸗
liche Verfahren übergeleitet werden muß. Soweit
dann die Tat im Standrecht nicht abgeurteilt
werden kann, kann einer Behandlung im ordent⸗
lichen Verfahren das ne bis in idem nicht ent⸗
egenſtehen. Für die Frage aber, ob es die Tat
(überhaupt und erſchöpfend) aburteilen kann, kann
nur die pflichtmäßige Entſcheidung des
ſtand rechtlichen Gerichts maßgebend
ſein. Hat dieſes, ganz oder zum Teil, ſeine Un⸗
zuſtändigkeit ausgeſprochen, ſo hat es hiebei ſein
Bewenden, dann iſt es unzuſtaͤndig geweſen und
es kann nicht im ſpaͤtern Verfahren eingewendet
werden, daß das Standrecht die Tat auch nach
dem jetzt vor den ordentlichen Richter gebrachten
Gefichtspunkt hätte würdigen können und ſollen.
2. Nahe verwandt mit der behandelten Frage
iſt eine zweite: ob das Standrecht, das „zur
Unterſuchung und Aburteilung“ beiſpielsweiſe des
Verbrechens des Raubes berufen iſt, wegen Dieb⸗
ſtahls verurteilen kann, wenn es die Tat nur als
ſolche beurteilt, oder wegen Körperverletzung oder
tätlicher Beleidigung oder wegen verſuchter Not⸗
zucht an Stelle des Raubverſuchs, den man zu⸗
erſt angenommen hatte, oder wegen Totſchlags
ſtatt wegen Mordes. Kurz, hat das einmal mit
438
der Sache befaßte Standrecht bei der Aenderung
des rechtlichen Geſichtspunkts freie Hand?
Für eine ſolche Regelung würde ſprechen, daß
damit einer Weitſchweifigkeit des Verfahrens vor⸗
gebeugt würde, die darin liegt, daß ſich vielleicht
erſt durch eine langwierige Verhandlung im Stand⸗
recht die Aenderung des rechtlichen Geſichtspunkts
ergibt und nun die Sache zur Wiederholung der
ganz gleichen Verhandlung an das ordentliche Ge⸗
richt abgegeben werden müßte, ohne daß hier ein
anderes Ergebnis zu erwarten wäre. Und man
konnte jagen: wenn das Standrecht mit feinem
ſummariſchen Verfahren den Angeklagten wegen
Raubs auf Jahre ins Zuchthaus ſchicken kann,
warum ſoll es ihn nicht auf Monate ins Gefängnis
ſchicken dürfen, nun da der Tatbeſtand des Raubes
nicht nachweisbar iſt, dafür aber Körperverletzung
und Diebſtahl im ſachlichen Zuſammentreffen ge⸗
geben find? Ich meine, es ſprache manches für
eine Regelung der Sache dahin, daß das Stand⸗
recht, einmal mit der Sache befaßt, fie nun auch
abzuurteilen hätte, mag ſich die Tat auch als eine
nichtſtandrechtliche Verfehlung ergeben. Aber freilich,
dem ſteht eine gewichtige Erwägung entgegen: Das
Standrecht hat ſeine innere Berechtigung nur inſo⸗
fern, als es ſich um Verbrechen handelt, die die
öffentliche Sicherheit in beſonderem Maße gefährden,
und nur um dieſes höheren Intereſſes der öffent⸗
lichen Sicherheit willen iſt die durch das ſum⸗
mariſche Verfahren verurſachte Beſchneidung der
Rechtsſicherheiten des Angeklagten hinzunehmen.
Nach dem gegebenen Rechte iſt jedenſalls die
angedeutete Erweiterung der ſtandrechtlichen Zu⸗
ſtändigkeit nicht anzunehmen. Nach dem bayeriſchen
Geſetze iſt das Standrecht „zuftändig für das Der:
brechen“ z. B. des Raubs, nach dem preußiſchen
Geſetze „gehört vor es die Unterſuchung und Ab⸗
urteilung“ des Verbrechens. Der juriſtiſche Sinn
der gebrauchten Worte iſt derſelbe. Wenn alſo
das Standrecht zu der Auffaſſung kommt, daß
nicht Raub vorliegt, ſondern Körperverletzung und
Diebſtahl, ſo ſteht es eben nicht mehr vor einem
„Verbrechen des Raubs“ und es iſt ihm der Ge⸗
genſtand für ſeine Betätigung entfallen. Es kann
alſo nur ſeine Unzuſtändigkeit ausſprechen, womit
die Sache ans ordentliche Gericht übergeht „zur
förmlichen Unterſuchung“, wie das bayeriſche Ge:
ſetz ſich ausdrückt. Der Fall liegt anders als der
der Idealkonkurrenz; denn hier bleibt, wenn auch
der Widerſtand mit Körperverletzung zuſammen—
trifft, die Tat eben doch Widerſtand und damit
zum Standrecht zuſtaͤndig.
Nun ergibt ſich freilich eine Schwierigkeit. Der
ordentliche Richter iſt durch die Entſcheidung des
Standrechts in der tatſächlichen und rechtlichen
Beurteilung der Tat nicht beſchränkt. Hat alſo
das Standrecht an Stelle des Raubs nur einen
Diebitabl angenommen, jo kann ſehr wohl der
ordentliche Richter wieder auf die urſprüngliche
Auffaſſung zurückkommen, alſo Raub für gegeben
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
halten. Aber — für Raub gilt ja die ausſchließliche
Zuftändigfeit des Standrechts, was das alte
bayriſche Strafgeſetzbuch in Art. 442 Nr. 1 un⸗
zweideutigſt mit den Worten ſagt: in Anſehung
der ſtandrechtlichen Sachen „trete die ordentliche
Kriminalgerichtsbarkeit außer Wirkſamkeit.“ Doch
wenn die Sache wieder ans Standrecht abzugeben
wäre, beſtünde die angenehme Ausſicht, daß ſich
das Spiel noch ein paar mal wiederholte. Das iſt
ſelbſtverſtändlich als ausgeſchloſſen anzuſehen und
es muß vielmehr angenommen werden, daß die
Sache, nachdem einmal das Standrecht
ſeine Unzuftändigfeit ausgeſprochen hat,
an das ordentliche Gericht übergeht und nun bei
ihm — zur Beurteilung der Tat nach jedem
rechtlichen Geſichtspunkte — bleibt. Zwar muß
jede Sache ſtandrechtlicher Zuſtändigkeit zunächſt
vor das Standrecht kommen, aber wenn dies ſeine
Zuſtändigkeit geprüft und verneint hat, jo hat es
bei dieſer einmaligen Befaſſung ſein Bewenden
und lebt die ordentliche Zuſtändigkeit im vollen
Umfange wieder auf. Der Fall muß gleich dem
im bayeriſchen Geſetze ausdrücklich geregelten Falle
ſtehen, daß das Standrecht zwar ſeine Zuſtaͤndig⸗
keit bejaht, aber den Angeklagten nicht mit der im
Geſetze vorgeſchriebenen verſtärkten Mehrheit für
ſchuldig findet. Die ordentliche Zuſtändigkeit iſt
alſo für die ſtandrechtlichen Sachen gewiſſermaßen
nur bedingterweiſe durch die ſtandrechtliche Zu⸗
ſtändigkeit ausgeſchaltet.
Was hier für die Aenderung des rechtlichen
Geſichtspunktes bei einer vor das ſtandrechtliche
Gericht gebrachten Sache bemerkt iſt, gilt ebenſo
und erſt recht für Sachen, die zuerſt beim ordent⸗
lichen Gerichte behandelt worden find. Wird hier
die Unzuſtändigkeit erkannt, ſo hat das Gericht
feine Tatigkeit einzuſtellen. Die Sache kommt
dann vors Standrecht, das aber wiederum durch
die tatſaͤchliche und rechtliche Auffaſſung des
ordentlichen Gerichts nicht beengt iſt. Daraus
ergibt ſich die Möglichkeit, daß nun auch das
Standrecht ſeine Zuſtändigkeit verneint, z. B. die
Tat, die das ordentliche Gericht als Raub anſah,
nur für Diebſtahl hält. Damit muß die Sache
ans ordentliche Gericht zurückkehren, und zwar
jedenfalls an dasjenige Gericht, bei dem die Sache
zuletzt geweſen iſt, alſo möglicherweiſe an die
Rechtsmittelinſtanz, und damit wird die Sache in
der Prozeßlage weiter geführt werden, bis zu der
ſie früher gediehen war. Und mag jetzt auch dieſes
Gericht auf ſeiner früheren Auffaſſung beharren,
die Sache alſo wieder als ein Verbrechen ſtand⸗
rechtlicher Zuſtändigkeit erachten, ſo muß es doch
nach dem vorhin Ausgeführten endgültig bei ſeiner
Zuſtändigkeit bleiben, da eben die Ablehnung der
Zuſtändigkeit durch das Standrecht endgültig wirkt.
Nur das waͤre natürlich möglich, daß das mit
der Sache wieder befaßte Gericht nach den all:
gemeinen Zuſtaͤndigkeitsregeln des Pro⸗
zeßrechts nicht zuſtändig iſt, alſo die Sache
wegen Aenderung des rechtlichen Geſichtspunktes
an das Gericht zu verweiſen hätte, das nun, von
der Sonderzuſtändigkeit des Standrechts abgeſehen,
zur Aburteilung zuſtändig wäre.
Dieſe Abgabe der Sache vom ordentlichen Ge⸗
richt an das Standrecht würde ſich alſo ebenſo
vollziehen, wie ſie geſchehen muß in dem Falle,
daß bei der der Verhängung des Kriegszuſtands nach⸗
folgenden Anordnung des Standrechts beim ordent⸗
lichen Gerichte Verfahren anhängig find, für die
nun die ſtandrechtliche Zuſtändigkeit entſteht tal.
Bayzif. 1912, 488. Sutner a. a. O. ©. 24).
Das ordentliche Gericht ſoll hier „ſeine Tätigkeit
einſtellen“. Das iſt keine eine ſpätere Wiederbe⸗
faſſung des Gerichts abſchneidende Verfügung. Da⸗
gegen könnten ſich in einem einzelnen beſtimmten
Fall für dieſe ſpätere Wiederbefaſſung Bedenken
erheben. Ergibt ſich nämlich die Zuſtändigkeit des
Standrechts erſt auf Grund der durchgeführten
Hauptverhandlung des ordentlichen Gerichts, ſo
wäre es nicht ungefährlich, wenn das Gericht nach
der Regel des $ 259 StPO. wegen ſeiner Un⸗
zuſtändigkeit durch Urteil das Verfahren einſtellte.
In dieſer der Rechtskraft fähigen Entſcheidung möchte
ein Hindernis für eine ſpatere Wiederbefaſſung des
Gerichts mit der Sache erblickt werden, und wir
hätten dann unanfechtbare Unzuſtändigkeitsent⸗
ſcheidungen des ordentlichen wie des ſtandrechtlichen
Gerichts. § 19 StPO. trifft dann nicht zu und
ſonſt iſt die Löſung eines ſolchen Zuſtändigkeits⸗
ſtreits nicht vorgeſehen (Löwe, GVG. 913 Anm. 15 0).
Doch wird eine Unzuſtändigkeitserklärung des ordent⸗
lichen Gerichts, wenn ſie auch durch Einſtellungs⸗
urteil erfolgt, aufgefaßt werden können und müſſen
in dem Sinn, daß das Gericht nur zur Zeit
ſeine Zuftändigfeit verneint. Mehr kann es auch
rechtlich nicht ausſprechen, weil in jedem Fall, auch
wo zur Zeit der Unzuſtändigkeitsentſcheidung die
ſtandrechtliche Zuſtändigkeit über jeden Zweifel er⸗
haben ware, die Möglichkeit bliebe, daß das nun
zunächſt auf das Standrecht übergehende Verfahren
durch Aufhebung des Kriegszuſtands oder des Stand⸗
rechts zum ordentlichen Gericht zurückkehrt. Dieſer
Fall eines Uebergangs der Sache ans ordentliche
Gericht iſt im preußiſchen Geſetz wie im bayeriſchen
ausdrücklich vorgeſehen.
3. Es mag zweifelhaft ſein, ob die hier erörterten
Fragen einmal den Weg ans Reichsgericht finden.
Inzwiſchen geht es nicht an, ſich mit dem Ge⸗
danken zu tröſten, daß man ja die Sache ruhig ans
Standrecht bringen undes dieſem überlaſſen könne, wie
es entſcheide, da ja die Möglichkeit einer Urteilsanfech⸗
tung nicht beſtehe. Das Standrecht iſt nicht eine in den
Wolken thronende Schickſalsmacht, die blind ihre
Sprüche gäbe, ſondern es beſteht aus pflichtmäßig
handelnden Männern, zum Teil aus Richtern der
ordentlichen Rechtspflege, und für dieſe alle iſt
wie für den Staatsanwalt die Prüfung der Rechts:
frage nach der Zuſtändigkeit eine ernſte Sache.
Und wenn auch, wenigſtens dann, wenn ein ſtand—
Z3ieitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. 439
rechtliches Gericht ſeine Zuſtaͤndigkeit entgegen der
hier vertretenen Anſchauung zu enge faßt, ein
ſachlicher Nachteil inſofern nicht entſteht, als dann
einfach das Unterlaſſene im ordentlichen Verfahren
nachgeholt wird, ſo iſt doch der Nachteil nicht
niedrig einzuſchätzen, daß durch zu ängſtliche Be⸗
handlung der Zuſtändigkeitsfrage ein unnbtiges
oder ein fruchtloſes Strafverfahren verurſacht wird.
Die Zwangsverſteigerung aus dem dinglichen
und dem perſönlichen Vollſtreckungstitel.
Von Amtsrichter Dr. Wilhelm Kriener in Landshut.
I.
1. G(laubiger) hat zur Sicherung einer Geld⸗
forderung gegen Schuldner) ein Vertragspfand⸗
recht an einer beweglichen Sache. Der Inhalt
des Pfandrechts iſt: G. hat ein dingliches Recht
auf Befriedigung aus der Sache. Dabei erfolgt
die Befriedigung in der Weile: G. iſt nach Fällig⸗
keit der Forderung berechtigt, das Pfand nach
den Vorſchriften der 88 1234 — 1240 BGB. zu
verkaufen: (88 1228, 1233 BGB.) Der Gläubiger
iſt alſo dinglich berechtigt, die Sache zu verkaufen,
der Schuldner iſt verpflichtet, den Verkauf zu
dulden. Ein Vollſtreckungstitel iſt an ſich nicht er⸗
forderlich; erwirkt G. einen ſolchen im Sinne des
8 1233, II BGB., ohne daß S. durch fein Ber:
halten dazu Anlaß gegeben hat, ſo treffen den G.
die an des Titels.
G. hat wegen einer Geldforderung einen
Bolltretungstite gegen S. erwirkt. Auf Grund
dieſes perſönlichen Vollſtreckungstitels hat G.:
a) gegen S. einen öffentlich⸗perſönlichen An⸗
ſpruch auf dingliche Sicherung der Forderung, und
zwar, ſoweit bewegliche Sachen des S. in Frage
ſtehen, einen perſönlichen Anſpruch auf Begründung
an Pfändungspfandrechtes nach 88 803, 808
b) ſodann auf Grund des erworbenen Pfän⸗
dungspfandrechtes einen öffentlich⸗dinglichen An⸗
ſpruch auf Zwangsverſteigerung der Sache nach
5 814 3PO.
3. G. hat wegen der nämlichen Geldforderung
ein Vertragspfandrecht und zudem noch einen
perſönlichen Vollſtreckungstitel; dieſen kann er ſchon
um deſſentwillen neben dem Pfandrecht erwerben,
weil ja noch keineswegs feſtſteht, ob das Vertrags⸗
en zur Befriedigung der Forderung ausreichen
wird.
G. hat nun einmal auf Grund ſeines Pfand⸗
rechtes:
a) ein dingliches Recht auf 1 des „ne
in der Form der 88 1234—1240 B
Ferner hat er auf Grund keines N
Vollſtreckungstitels:
440
b) ein perſönliches Recht auf Erwerbung eines
Pfändungspfandrechtes an der nämlichen Sache, und
c) auf Grund dieſes erworbenen Pſändungs⸗
pfandrechtes ein dingliches Recht auf Zwangsver⸗
ſteigerung der Sache in der Form des 8 814 38 O.
Man könnte einwenden: G. kann nicht an der
nämlichen Sache ein Vertragspfandrecht und in
der Richtung auf ſie einen perſönlichen Anſpruch
auf ein Pfändungspfandrecht, ebenſowenig kann er
an derſelben Sache zugleich ein Vertrags⸗ und ein
Pfändungspfandrecht haben, zumal nach 9804 3PO.
das letztere im allgemeinen den . Inhalt hat
wie ein ſolches nach 8 1204 B
Die Einwendung iſt aber 3 richtig; das
Vertragspfandrecht gibt dem G. das Recht zum
Verkauf nach 88 1234 — 1240 BGB., das Pfän⸗
dungspfandrecht gibt dem G. das Recht zur
Zwangsverſteigerung nach 8814 BGB. Zu beidem
iſt G. berechtigt, und es iſt ſeine Sache, welche
Art von Befriedigung er wählen will.
G. kann alſo die mit dem Vertragspfand be⸗
laſtete Sache auſ Grund ſeines perſönlichen Voll⸗
ſtreckungstitels dem Gerichtsvollzieher übergeben,
und dieſer pfändet fie nach 8 808 ZPO., um fie
ſodann zu verſteigern. Bis zur Verſteigerung
ruhen dann auf der Sache zwei Pfandrechte des
G.: an erſter Stelle ſein Vertragspfandrecht, an
zweiter Stelle ſein Pfändungspfandrecht. Aller⸗
dings wird in der Uebergabe der Sache an den
Gerichtsvollzieher meiſt ein ſtillſchweigender Ver⸗
zicht des G. auf fein Vertragspfandrecht zu er-
blicken ſein.
4. Es iſt alſo zu unterſcheiden:
a) G. hat wegen einer faͤlligen Forderung ein
Vertragspfandrecht; er hat das dingliche Recht
zum Verkauf nach $ 1233 Abſ. 1 BGB.
b) G. hat wegen einer Forderung einen Voll⸗
ſtreckungstitel; er hat ein perſönliches Recht auf
Pfändungspfandrecht und ſodann ein dingliches
Recht auf Zwangsverſteigerung nach $ 814 ZPO.
c) G. hat Vertragspfandrecht und perſönlichen
Vollſtreckungstitel; er kann nach Belieben:
a) ohne Rückſicht auf den Titel die Sache nach
8 1233 Abſ. 1 BGB. verkaufen laſſen, oder
8) auf Grund des Titels die Sache mit oder
ohne Verzicht auf ſein Vertragspfandrecht durch
den Gerichtsvollzieher nach 8 803 ZPO. pfaͤnden
und dann nach 8 814 ZPO. verſteigern laſſen.
II.
1. G. hat zur Sicherung einer Geldforderung
gegen S. eine Hypothek an einem Grundſtück. Der
Inhalt der Hypothek iſt: G. hat ein dingliches
Recht auf Befriedigung aus dem Grundſtück.
Dieſe Befriedigung kann aber nicht wie beim
Pfandrecht an beweglichen Sachen im Wege des
Verkaufs des Grundſtücks erfolgen; vielmehr er—
ſolgt nach 8 1147 BGB. die Befriedigung im
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
Wege der Zwangsvollſtreckung. G. muß alſo, um
hier zum Ziele zu gelangen, vor allem einen Voll⸗
ſtreckungstitel aus der Hypothek, alſo einen ding⸗
a Vollſtreckungstitel, gegen S. erwirken:
„S. iſt verpflichtet, zur Berriebigung wegen der
Hypothek die Zwangsvollſtreckung in das Grund⸗
ſtück zu dulden.“
Auf Grund der Hypothek und des zu ihr
gehörigen Vollſtreckungstitels iſt dann G. dinglich
berechtigt, das Grundftüd in dem in der Zivil⸗
prozeßordnung und im Zwangsverſteigerungsgeſetz
geordneten Verfahren verſteigern zu laſſen, S. ver⸗
pflichtet, die Zwangsverſteigerung zu dulden.
2. G. hat wegen einer Geldforderung einen
. Vollſtreckungstitel gegen S. erwirkt:
S. iſt ſchuldig, an G. 10000 M zu zahlen.“
Auf Grund dieſes Titels hat G.
a) gegen S. einen öffentlich⸗perſönlichen An⸗
ſpruch auf dingliche Sicherung der Forderung, und
zwar, ſoweit Grundſtücke des S. in Frage ſtehen,
einen perſönlichen Anſpruch auf Beſchlagnahme des
Grundſtücks; dem Pfändungspfandrecht bei beweg⸗
lichen Sachen entſpricht die Beſchlagnahme bei
Grundſtücken; beide geben einen dinglichen Anſpruch
auf vorzugsweiſe Befriedigung aus der Sache;
die Beſchlagnahme hat alſo bei dem Grundſtück
die Wirkung, als ob auf ihm eine Art Pfändungs⸗
hypothek zur näaͤchſt 8 Rangſtelle eingetragen
wäre; ſ. § 10 Ziff. 5 3G.
b) ſodann auf Grund der Beſchlagnahme einen
öffentlichen⸗ dinglichen Anſpruch auf Zwangsver⸗
ſteigerung des Grundſtücks nach Maßgabe des
Zwangsverſteigerungsgeſetzes.
Hier iſt noch zu bemerken:
Die Zwangsvollſtreckung in ein Grundſtück
zerfällt, ohne Rückſicht darauf, ob ſie aus einer
Hypothek mit dinglichem Vollſtreckungstitel oder
aus einer Forderung mit einem perſönlichen Voll⸗
ſtreckungstitel ſtattfindet, in zwei Abſchnitte: in
Beſchlagnahme des Grundſtücks und in Verſteigerung
des Grundſtücks. Im letzteren Fall, alſo bei Zwangs⸗
vollſtreckung aus einer Forderung, hat die Beſchlag⸗
nahme die Wirkung des Entſtehens einer Art
Pfändungshypothek zu nächſtoffener Rangſtelle und
es entſteht hieraus das Recht auf Befriedigung
an dieſer Rangſtelle. Im erſteren Falle, alſo bei
Zwangsvollſtreckung aus einer Hypothek, entfällt
ſelbſtredend dieſe Wirkung der Beſchlagnahme;
denn hier gibt die ſchon und zwar an beſſerer
Rangſtelle vorhandene Hypothek das Recht auf
Befriedigung mit dem ihr zukommenden Range.
Hier kann daher weder von der Begründung einer
Art Pfändungshypothek noch von einem perſön⸗
lichen Anſpruch auf Begründung einer ſolchen die
Rede ſein; dieſe beiden Anſprüche werden hier er⸗
ſetzt durch die ſchon vorhandene Hypothek. Daher
ſagt auch $ 10 Abſ. 5 3G: Ein Recht auf
Befriedigung aus dem Grundſtück (aljo eine Art
Hypothek) gewährt der Anſpruch des Glaͤubigers,
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
aber nur inſoweit, als er nicht in einer der vor⸗
hergehenden Klaſſen, hier alſo in Klaſſe IV, zu be⸗
friedigen iſt.
Wird alſo die Zwangsverſteigerung aus einer
Hypothek betrieben, ſo hat die Beſchlagnahme nicht
die ihr an ſich zukommende Doppelwirkung einer
Pfändungshypothek nach 8 10 Abſ. 5 3G. und
eines Veräußerungsverbotes nach 8 23 3 G.,
Kies lediglich die Wirkung eines Veräußerungs⸗
verbotes.
3. G. hat wegen der nämlichen Geldforderung
eine Hypothek und zudem noch einen perjönlichen
Vollſtreckungstitel.
a) Auf Grund der Hypothek, der kein ding⸗
licher Vollſtreckungstitel zur Seite ſteht, kann G.
Befriedigung aus dem Grundftüde nicht verlangen.
b) Aus ſeinem perſönlichen Vollſtreckungstitel
hat G. das perſönliche Recht auf Beſchlagnahme
des Grundſtücks und damit auf Erwerbung einer
Art Pfandungshypothek, die in jedem Falle Rang
nach der Vertragshypothek hat.
c) Sodann hat G. auf Grund dieſer Beſchlag⸗
nahme ein dingliches Recht auf Zwangsverſteigerung
des Grundftüdes.
Angenommen, auf dem Grundftüd des S. find
folgende Hypotheken eingetragen:
I. Hypothek des G. zu 10 000 M.
II. Hypothek des H. zu 5000 M.
Nach 8 44 3G. müſſen die dem perſönlichen
Beſchlagnahmeanſpruch des G. zu 10000 M vor:
gehenden Hypotheken des G. und H. zu zuſammen
15 000 M im geringſten Gebot beſtehen bleiben.
Wird daher wegen dinglicher Ueberſchuldung des
Grundſtücks ein Gebot nicht abgegeben, ſo iſt das
Verfahren nach 877 3G. einſtweilen einzuſtellen.
Und gelangt etwa die Forderung des G. mit
3000 M zum Zuge, fo geht um dieſen Betrag die
Hypothek des G. auf den bisherigen Eigentümer
nach 8 1164 BGB. über.
Denn darüber kann nach dem bisher Geſagten
und insbeſondere auf Grund des 8 1147 BGB.
kein Zweifel beſtehen, daß der Hypothekglaubiger
auf Grund eines perſönlichen Schuldtitels nicht
aus der Hypothek vollſtrecken kann. Dies iſt zwar
von Steiner, Kommentar zum ZVG. S. 57 Anm. 19
und S. 70 Anm. in Frage geſtellt, aber bei Jaäͤckel⸗
Büthe S. 87/88 mit zwingenden Gründen verneint.
4. Es iſt alſo hier zu unterſcheiden:
a) G. hat eine Hypothek; damit allein kann
er die Befriedigung der Forderung aus dem Grund⸗
ſtück nicht betreiben.
b) G. hat wegen einer Forderung einen Voll⸗
ſtreckungstitel; er kann das Grundſtück beſchlag⸗
nahmen und verſteigern laſſen, er hat jedoch die
letzte Rangſtelle.
c) G. hat Hypothek und perſönlichen Voll⸗
ſtreckungstitel; er hat die nämlichen Rechte wie
vorher, maßgebend für die Legung des geringſten
Gebotes iſt die Forderung, nicht die Hypothek.
. — X . ⁵7⏑ęc7fñꝗ e ½½½½½½½˙½½.˙...⁰Ü. U...... —T— .
441
d) G. hat Hypothek und dinglichen Voll⸗
ſtreckungstitel; er kann aus der Hypothek mit dem
ihr zukommenden Rang vollſtrecken laſſen.
III.
In den allermeiſten Fällen wird die Hypothek
leich bei ihrer Begründung im Hinblick auf
1147 BGB. mit dem Vollſtreckungstitel des
58 794, 795 ZPO. verſehen.
Trotzdem iſt es gar nicht ſelten, daß der
Glaͤubiger, wenn er zur Vollſtreckung aus der
Hypothek ſchreiten will, zuvor noch aus der der
Hypothek zugrunde liegenden Forderung ein Ur⸗
teil oder einen Vollſtreckungsbefehl erwirkt. Dies
Verfahren wird ſogar von einigen Banken geübt,
wenn fie aus rückſtändigen Hypothekannuitäten voll⸗
ſtrecken wollen.
Einerſeits werden dadurch dem Schuldner völlig
unnötige Koſten verurſacht.
Anderſeits aber ſchaden ſich die Gläubiger
ſelbſt; denn wenn ſie, wie dies oft geſchieht, nun⸗
mehr auf Grund des perſönlichen, ſtatt des ſchon
vorhandenen dinglichen Vollſtreckungstitels die
Zwangsvollſtreckung betreiben, ſo ſchaffen ſie damit
die unter II, 3 geſchlderte, ihnen ſicherlich uner⸗
wünſchte Rechtslage; denn in den allermeiſten
Fällen wird dann entweder der Zuſchlag überhaupt
verſagt, oder es gelangt doch die Hypothek gar
nicht und die Forderung nur zu einem Teilbetrage
zur Bezahlung.
Dieſe unerwünſchten Folgen traten bisher nur
deswegen weniger in die Erſcheinung, weil die
Notariate großenteils in jenen Fällen, in denen
aus dem perſönlichen Vollſtreckungstitel vollſtreckt
wurde, und feſtſtand, daß für die perſönliche For⸗
derung eine Hypothek auf dem Verſteigerungs⸗
objekt eingetragen war, das Verfahren ſo geſtalteten,
als ob nicht aus der Forderung, ſondern aus
der Hypothek vollſtreckt würde.
Daß aber ein ſolches Verfahren den geſetzlichen
Beſtimmungen widerſpricht, haben wir geſehen, und
es ſteht dem Schuldner in jedem ſolchen Falle frei,
nach 88 83 Abſ. und 100 3G. wegen Verletzung
der Vorſchriften über die Feſtſtellung des geringſten
Gebotes Beſchwerde einzulegen, die zur Aufhebung
des Zuſchlags führen müßte.
Es dürfte ſich daher empfehlen, einmal für die
Notariate, daß ſie das geringſte Gebot den Vor⸗
ſchriften des 844 3G. entſprechend legen, dann
aber für die das Zwangsverſteigerungsverfahren
anordnenden Gerichte, daß ſie gegebenenfalls die
Antragſteller veranlaſſen, das Verfahren nicht aus
dem perſönlichen, ſondern aus dem dinglichen Voll⸗
ſtreckungstitel zu betreiben.
442
Wirkt die Zahlungstrift des 6 1 der Bekanntmachung
vom 7. Auauſt 1914 auch zugunſten des Bürgen 7 Kann
dieſer die Ginrede der Beransklage erheben 7 Der Haupt⸗
ſchuldner hatte den Gläubiger gemäß 8 2 der Bekannt⸗
machung vor das Amtsgericht geladen, die Forderung
anerkannt und Zahlungsfriſt auf drei Monate erwirkt.
Da es ſich um einen hohen Betrag — 10000 1 —
handelte, der Gläubiger den Eingang der Forderung
dringend notwendig batte, erhob er gegen den durch⸗
aus zahlungskräftigen Bürgen Klage. Dieſer brachte
den Einwand der mangelnden Vorausklage und der
Stundung. Für letztere nahm er ausdrücklich auf die
amtsgerichtliche Friſtbewilligung Bezug.
Beide Einwendungen ſind m. E. zurückzuweiſen.
Wenn auch die Bürgenhaftung den Vollſtreckungs⸗
verſuch gegen den Hauptſchuldner vorausſetzt, ſo kann
dies doch in einem Falle nicht richtig ſein, wo durch
gerichtlichen Akt die Unzulänglichkeit des Schuldnerver⸗
mögens dargetan iſt. Erklärt der Richter durch Urteil,
„daß die Lage des Beklagten die Zahlungsfriſt recht⸗
fertige“, ſo liegt darin die behördliche Beſtätigung,
daß der Schuldner infolge eines von ihm nicht zu ver⸗
tretenden Umſtandes zahlungsunfähig ſei, mindeſtens
in dem Sinne, daß ihm eine Vollſtreckung „unver⸗
hältnismäßige Nachteile bringe“. Wird aus dieſem
Grunde, wenn auch auf Zeit, durch richterliche Ver⸗
fügung der Zugriff zum Vermögen des Schuldners
dem Gläubiger verwehrt, ſo kann der Bürge nicht
mit ſeiner Einrede gehört werden. Die Bürgſchaft
iſt gerade dazu da, in dem Umfange Sicherheit zu
bieten, in welchem nach Höhe und Falligkeit die Forde⸗
rung zur Zeit der Bürgſchaftsübernahme beſtanden hat,
und der Gläubiger braucht dem Bürgen gegenüber
auch nicht den verhältnismäßig geringen Nachteil zu
tragen, den ihm dem Hauptſchuldner gegenüber nach
deſſen Lage der 8 1 der Verordnung zumutet.
Auch die Einrede der Stundung iſt unbegründet.
Zunächſt ſchlägt der Hinweis auf 8 767 BGB. fehl.
Der Beſtand der Forderung wird durch die Zahlungs⸗
friſt nicht geändert. Die Forderung, die fällig iſt,
bleibt fällig; der Fälligkeitstermin wird nicht hinaus⸗
geſchoben. Andernfalls könnte weder Anerkenntnis⸗
urteil ergehen, noch wäre die Beſtimmung in Abſ. 3
des 8 1 der Bekanntmachung über den Zinſenlauf ver⸗
ſtändlich, da von einer noch nicht fälligen Forderung
mangels Abrede keine Zinſen verlangt werden können.
Die gerichtliche Zahlungsfriſt gibt auch dem Schuldner
keine Einrede im Sinne des 8 768. Zweck des Ver⸗
fahrens nach 8 2 der Bekanntmachung iſt gerade, unter
Verzicht auf jede Einrede und unter Anerkennung der
Forderung Zahlungsfriſt aus Gründen zu erhalten,
die für gewöhnlich im Rechtsleben keine Beachtung
finden. Die „Stundung“ — der Ausdruck iſt unrichtig —
iſt nicht wirkſam auf Grund einer Parteivereinbarung
zwiſchen Gläubiger und Hauptſchuldner, auf welche
ſich der Bürge berufen könnte, ſondern auf Grund
einer im Intereſſe der Allgemeinheit, vielleicht entgegen
dem Willen des Gläubigers erlaſſenen Anordnung des
Richters, die die augenblickliche Zahlungsunfähigkeit
des Schuldners in dem oben erwähntem Sinne voraus⸗
ſetzt. Die Einrede nach 8 768 richtet ſich aber gerade
gegen den Beſtand der Hauptſorderung ſelbſt, während
hier rein in der Perſon des Schuldners liegende Gründe
Beachtung finden, die nicht zum wenigſten dem öffent-
— . • E ͤ — - —
lichen Intereſſe entſpringen. Gegen dieſes Unvermögen
des Schuldners den Gläubiger zu ſchützen, iſt aber
Sinn und Zweck des Bürgſchaftsvertrags.
Dieſe Anſchauung wird wohl mit den wirtſchaft⸗
lichen Zwecken der „Kriegsgeſetze“ beſſer im Einklang
ſtehen, als die gegenteilige Anſchauung, die einem
millionenreichen Bürgen ohne Grund Zahlungsaufſchub
gibt und damit zu einer dem Wirtſchaftsleben nach⸗
teiligen Stockung des Geldverkehrs führt.
Ich verkenne nicht, daß ſich, wie überall, ſo auch
bier Gegengründe finden laſſen. Vielleicht tragen dieſe
Zeilen dazu bei, die nicht unwichtige Frage weiter zu
erörtern.
Rechtsanwalt Dr. Flierl in Nürnberg.
Iſt 5 207 Abſ. 2 EBD. auch bei Strafbeſehls⸗
anträgen anzuwenden ? Es iſt zweifelhaft, ob der Amts⸗
richter den Antrag des Amtsanwaltes auf Erlaſſung des
Strafbefehls gemäß 88 447, 448 StPO. zurückweiſen
kann, wenn er die Klage für unzuläſſig oder unbe⸗
gründet erachtet. Denn 8 448 enthält keine er ſchöpfenden
Beſtimmungen, wie der Amtsrichter auf den Antrag
zu verfügen hat. Zunächſt läge es nach 8 448 Abſ. 2
nahe, daß zur Aufklärung des Sachverhaltes immer
eine mündliche Verhandlung ſtattſinden ſoll, wenn
Amtsanwalt und Richter in der Beurteilung der
Straftat nicht übereinſtimmen. Das kann aber nach
dem Wortlaute des Geſetzes nur geſchehen, wenn Bedenken
gegen das Strafbefehls. Verfahren als ſolches, alſo
gegen die gewählte Art des Verfahrens oder gegen
die Art und die Höhe der Strafe beſtehen. Wie aber
iſt es, wenn der Amtsrichter die Tat nicht für ſtraf⸗
bar hält oder wenn fie nach feiner Anficht die ſchöffen⸗
gerichtliche Zuſtändigkeit überſchreitet? Hier hat das
Geſetz keine unmittelbare Vorſchrift gegeben. Die Vor⸗
ſchrift liegt aber mittelbar in Abſ. 1 des 8 448. Der
Amtsrichter hat in ſolchen Fällen den Antrag des
Amtsanwaltes abzulehnen und zwar ſofort ohne Haupt⸗
verhandlung: 8 207 Abſ. 2 StPO. iſt nicht anzuwenden.
Gegen den richterlichen Beſcheid hat der Amtsanwalt
das Rechtsmittel der ſofortigen Beſchwerde.
Der Strafbefehl iſt eine ohne vorgängige Ver⸗
handlung ergehende amtsrichterliche Entſcheidung, die
unter gewiſſen Vorausſetzungen das Urteil vertritt.
Er iſt bis zur Zuſtellung nach außen ohne Bedeutung.
An ſich kann der Amtsrichter allerdings ſeine Un⸗
zuſtändigkeit nicht durch Beſchluß ſelbſt ausſprechen
(8 207 Abſ. 2 StPO.); einen ſolchen Beſchluß faßt
er aber auch nicht, wenn er den Strafbefehlsantrag
wegen Unzuſtändigkeit ablehnt. Die Sach- und Rechts⸗
lage iſt vielmehr folgende: Die Grenze für das
Strafbefehlsverfahren iſt überschritten und der Straf-
befehl wäre geſetzwidrig. Dies allein ſteht zur Ent⸗
ſcheidung. Zur Sache ſelbſt wird nicht erkannt, die
Strafklage wird nicht ſachlich erledigt. Die Ablehnung
des Strafbefehles ſteht der Erneuerung der öffent⸗
lichen Klage nicht im Wege.
Bei Ablehnung des Antrags ergeben ſich auch
keine Schwierigkeiten. Der Amtsanwalt hat gegen
den Ablehnungsbeſchluß die Beſchwerde und zwar die
ſofortige nach Analogie der 88 202, 209 Abſ. 2 StPO.
Wird die Beſchwerde für begründet erachtet, ſo erläßt
das Beſchwerdegericht gem. 8 351 Abſ. 2 StPO. zu⸗
gleich die in der Sache erforderliche Entſcheidung.
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
— äüU¾t
Die Frage, ob das Beſchwerdegericht nun ſelbſt den
Strafbefehl erlaſſen kann oder nicht, iſt müßig. Eine
ſachliche Entſcheidung, die Gegenſtand der Anfechtung
iſt, liegt nicht vor. Der Amtsrichter hat vielmehr
die vom Beſchwerdeführer beantragte Anordnung nicht
getroffen. Hier kann die Beſchwerde auch eine ein⸗
fache Anweiſung an das Gericht erſter Inſtanz, alſo
die Anordnung des Erlaſſes, der Ausfertigung und
Zuſtellung des Strafbefehles zur Folge haben (RGSt.
19, 333 und 337, Löwe 1913 S. 860).
Wird dagegen nach 8 207 Abſ. 2 StPO. verfahren,
ſo entſtehen Weiterungen, wenn die Zuſtändigkeit der
Strafkammer bejaht wird. Bei einer Ueberweiſungs⸗
ſache muß vor der Eröffnung des Hauptver fahrens
vor dem Schöffengerichte die Staatsanwaltſchaft ge⸗
hört werden; ſoll vor der Strafkammer verhandelt
werden, fo muß gemäß 8 198 Abſ. 2 StPO. die Ans
klage, alſo hier der Strafbefehl, der die öffentliche
Klage mittelbar enthält, der Staatsanwaltſchaft zur
Ergänzung gegeben, nicht minder muß die Friſt des
8 199 StPO. gewahrt werden. Für dieſe Weiterungen
mag eine ſörmliche Anklageſchrift des Amtsanwaltes,
nicht aber der meiſt knappe Strafbefehlsantrag ge⸗
nügen. 8 207 Abſ. 2 StPO. findet ſich auch in dem
Abſchnitte: „Entſcheidung des Gerichts über die Er⸗
öffnung des Hauptverfahrens“, eine analoge Anwen⸗
dung auf das Strafbefehlsverfahren iſt ungerechtfertigt
und unzweckmäßig.
Dieſen Standpunkt teilen auch die neuen bayer.
Vorſchriften ſür die Behandlung der amts⸗ und ſchöffen⸗
gerichtlichen Strafſachen vom 29. November 1913
(JM Bl. S. 419). 8 27 ſagt:
„Hält der Amtsrichter die Erlaſſung eines Straf⸗
befehls für unzuläſſig, z. B. wegen des Mangels eines
Strafantrages, ſo weiſt er den Antrag durch Beſchluß
unter kurzer Begründung in Spalte 8 des For⸗
mulars 7 zurück.
Will der Amtsanwalt gegen den Beſchluß Be⸗
ſchwerde erheben (8 353 StPO.), fo bemerkt er dies
in Spalte 9 des Formblattes und legt die Beſchwerde,
wenn die Begründung umfangreicher iſt, geſondert bei.“
Die Kommiſſion für die Reform des Strafprozeſſes
hat in 1. und 2. Leſung die Einführung folgender Be⸗
ſtimmungen bei 8 448 einſtimmig angenommen:
„Der Amtsrichter hat den Antrag durch Beſchluß
abzulehnen, wenn die Vorausſetzungen des 8 178 Abſ. 1
StPO. alſo insbeſondere örtliche und ſachliche Un⸗
zuſtändigkeit des Gerichts vorliegen oder der Be⸗
ſchuldigte der ihm zur Laſt gelegten Tat nicht hin⸗
reichend verdächtig erſcheint“ (ſ. Protokolle, heraus⸗
gegeben vom Reichsjuſtizamte 1905 Bd. J, 1. Leſung
S. 329; Bd. II, 2. Leſung S. 253).
Die von einem Kommiſſions⸗Mitgliede gegen den
Antrag hervorgehobene Möglichkeit, daß gegen den
zurückweiſenden Beſchluß Beſchwerde eingelegt werden
könne und dadurch eine Erſchwerung des Verfahrens
eintrete, ſchien der überwiegenden Mehrheit gegenüber
dem Bedürfniſſe der Praxis und der durch 8 201 StPO.
gegebenen Analogie nicht ausſchlaggebend.
II. Staatsanwalt v. Valta in Paſſau.
Aus der Aechtſprechung.
Reichsgericht.
A. Zivilſachen.
I.
Unzuläſſige Einwirkung einer Partei auf den Ein⸗
tritt einer Bedingung (8 162 BEB.); kann eine ſolche
Einwirkung darin erblickt werden, daß eine Partei
nichts unternimmt um die nurichtige Enticheidung einer
Behörde zu beſeitigen ? Der Kläger verkaufte dem Be⸗
klagten den Hof Nr. 15 zu E. mit allen Rechten und
Gerechtigkeiten, namentlich mit der von ihm vor über
30 Jahren erworbenen Kruggerechtigkeit für 32 000 M.
Mit Bezug auf dieſe beſtimmt der 87 des Vertrages:
„Dieſer Vertrag wird ausdrücklich unter der Bedingung
geſchloſſen, daß der Käufer in der Ausübung der Krug⸗
gerechtſame behördlicherſeits nicht gehindert wird, es
müßte denn ſein, daß der Hinderungsgrund in ſeiner
Perſon läge; in letzterem Fall iſt der Vertrag rechts⸗
beſtändig“. Auf ein an die Kreisdirektion W. ge⸗
richtetes Geſuch erhielt der Beklagte mit Schreiben
vom 20. Mai 1911 die Erlaubnis zum Betriebe der
Gaſtwirtſchaft mit a von Branntwein und
Spirituofen, während ihm die Erlaubnis zum Klein»
handel mit Branntwein und Spirituoſen unter Hin⸗
weis auf die in E. ſchon beſtehende Kleinhandlung
und mit dem Bemerken verſagt wurde, daß die Krug⸗
gerechtigkeit, die ſein Vorgänger ſeiner Zeit erworben,
nur die Befugnis zum Betriebe der Gaſtwirtſchaft mit
Ausſchank von Branntwein und Spirituoſen, nicht
aber die zum Kleinhandel umfaſſe. Darauf focht der
Beklagte den Kauf wegen argliſtiger Täuſchung an
und klagte auf Feſtſtellung der Nichtigkeit des Ver⸗
trages, Rückerſtattung der auf den Kaufpreis gezahlten
Beträge und Erſtattung von Vertragskoſten; ſeine
Klage wurde abgewieſen. Inzwiſchen hatte der Kläger
mit der gegenwärtigen Klage einen Anſpruch auf
Zahlung des Reſtkaufgeldes geltend gemacht. Der
Beklagte wendete ein, daß er an der Ausübung der
ihm mitverkauften Kruggerechtigkeit 5 gehindert
ſei, als ihm die Behörde den dazu gehörigen Klein⸗
handel mit Branntwein und Spirituoſen nicht ge⸗
ſtattet habe, und daß der Vertrag danach gemäß dem
8 7 aufgelöſt ſei. Das LG. wies die Klage auf Grund
dieſes Einwandes ab. OLE. und NG. billigten die
Abweiſung.
Aus den Gründen: Nach dem Vertragswillen
der Parteien ſollte in der mitverkauften Kruggerechtig⸗
keit die Befugnis zum Kleinhandel mit Branntwein
und Spirituoſen enthalten ſein; dies war nach der
Abſicht der Parteien von Belang und namentlich für
den Entſchluß des Beklagten beſtimmend, den Kauf,
wie geſchehen, abzuſchließen. Mit Recht nimmt das
BG. ferner an, daß die Zugehörigkeit der Befugnis
zum Kleinhandel zur Kruggerechtigkeit rechtlich inſofern
von weſentlicher Bedeutung geweſen ſei, als die Bes
hörde bei einer Realgewerbeberechtigung die Erteilung
der nach 833 GewO. zur Ausübung des Gewerbes
allerdings auch dann erforderlichen Erlaubnis nicht
von dem Nachweis eines Bedürfniſſes abhängig machen
durfte. Es ſtellt ſodann unter Bezugnahme auf ſein
im Vorprozeß ergangenes Urteil feſt, daß die dem
Beklagten verkaufte Kruggerechtſame das Recht zum
Kleinhandel mitumfaßt, findet aber in der unſtreitigen
Tatſache, daß die Kreisdirektion dem Beklagten die
Erlaubnis zum Kleinhandel mit der Begründung ver⸗
ſagt hat, daß die Kruggerechtſame den Kleinhandel
nicht umfaſſe, eine Hinderung in der Ausübung dieſer
Gerechtſame behördlicherſeits, die aus Gründen erfolgt
ſei, die nicht in der Perſon des Beklagten lägen, und
durch die deshalb der Vertrag gemäß feinem §7 hin⸗
fällig geworden ſei. Ohne Grund erhebt die Reviſion
hiergegen den Vorwurf einer Verletzung des $ 162
444 nn Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
BGB. oder des dieſer Beſtimmung zugrunde liegenden
Rechtsgedankens. Der Vorwurf wäre nur dann ge⸗
rechtfertigt, wenn der Beklagte die feſtgeſtellte Be⸗
hinderung in der Ausübung der Kruggerechtſame wider
Treu und Glauben herbeigeführt hätte (vgl. 8 162
Abf. 2), oder wenn die Behinderung darauf zurück⸗
Glauben wäre, daß der Beklagte eine nach Treu und
Glauben von ihm zu erwartende Handlung nicht vor⸗
genommen hat (vgl. RG. 79 Nr. 21 auf S. 98/99).
Weder von dem einen, noch von dem anderen
kann hier die Rede ſein. Der Beklagte iſt um die
Erlaubnis auch zum Kleinhandel eingekommen, er
hat ſich dabei auf die ihm mitverkaufte Kruggerechtſame
berufen, und die Erlaubnis zum Kleinhandel iſt ihm
nur verſagt worden, weil die Behörde — allerdings,
wie jetzt feſtſteht, zu Unrecht — annahm, daß ſich die
Kruggerechtſame nicht darauf erſtrecke. Daß der Be⸗
klagte damals imſtande geweſen ſei, die Behörde auf⸗
zuklären, und daß er dies unterlaſſen habe, um die
Verſagung der Erlaubnis herbeizuführen, iſt gar nicht
behauptet. Die Reviſion meint: der Beklagte ſei aber
in der Lage geweſen, den Beſcheid der Kreisdirektion
durch eine Klage beim Verwaltungsgerichtshof an⸗
zugreifen, und, habe er ſich im Verwaltungsſtreit⸗
verfahren nicht ſelbſt die erforderlichen Unterlagen
beſchaffen können oder wollen, ſo würde eine Streit⸗
verkündung dem Kläger die Gelegenheit dazu gegeben
haben. Allein ſchon mit der Verſagung der Erlaubnis
durch die Kreisdirektion war eine Hinderung in der
Ausübung der Kruggerechtſame gegeben, und abgeſehen
1 hebt das BG. zutreffend hervor, der Beklagte
abe keinen Orund zu der Annahme gehabt, daß er
mit einem Vorgehen, wie es ihm hier von der Reviſion
angeſonnen wird, Erfolg haben werde. Daß er den
Umfang der Kruggerechtſame betreffende Papiere in
Händen gehabt, insbeſondere vom Kläger erhalten,
oder daß dieſer ihn ſonſt über den Umfang der Krug⸗
gerechtſame unterrichtet habe oder damals hierzu auch
nur in der Lage geweſen ſei, iſt nicht behauptet; erſt
in der Berufungsinſtanz des Vorprozeſſes, alſo lange
nach Ablauf der zweiwöchigen Friſt, innerhalb deren
der Beſcheid der Kreisdirektion vom 20. Mai 1911
mit der Klage im Verwaltungsſtreitverfahren an⸗
gegriffen werden konnte, ſind aus den Akten der Herzog⸗
lichen Kammer die Unterlagen für die Feſtſtellung
des Umfanges der Kruggerechtſame beſchafft worden.
Die Reviſion führt noch aus: es ſei nicht abzuſehen,
warum dieſe Unterlagen nicht auch im Verwaltungs-
ſtreitverfahren hätten herbeigeſchafft werden können.
Dem iſt entgegenzuhalten, daß der Beklagte dies jeden⸗
falls nicht vorausſehen oder in ſeiner damaligen Lage
auch nur erwarten konnte, und daß die Rückſicht auf
Treu und Glauben den Beklagten jedenfalls nicht
verpflichtete, der obrigkeitlichen Entſcheidung ohne jede
Unterlage zur Feſtſtellung ihrer Angreifbarkeit und
alſo auch ohne jede Ausſicht auf Erfolg mit Rechts-
mitteln entgegenzutreten. Ob dem Beklagten die
im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht trotzdem ge
bot, ſich nach dem verſagenden Beſcheid der Kreis⸗
direktion um nähere Auskunft über den Umfang der
Gerechtſame an den Kläger zu wenden und auf alle
Fälle den Beſcheid mit der Klage beim Verwaltungs-
gerichtshof anzugreifen, kann dahingeſtellt bleiben;
denn eine bloße Fahrläſſigkeit (8 276 BGB.) erfüllt,
auch wenn dadurch der Eintritt der Bedingung herbei—
geführt iſt, noch immer nicht die Merkmale eines wider
Treu und Glauben verſtoßenden Verhaltens, wie es
der 8 162 zu feiner Anwendung erfordert. (Urt. des
V. ZS. vom 23. September 1914, V 171/1914). E.
8135
II.
Zu 35 398 und 185 BGB., 5 43 KO. Iſt die
Abtretung aller, auch der künftigen Forderungen einer
beftimmten Perſon wirkſam! Wie, wenn der Abtretende
berechtigt ſein ſoll, Diele Forderungen ſelbſt Tür ſich
einzuziehen und in feinem Geſchäftsbetriebe zu verwenden,
gegen die Verpflichtung, dem Abtretungzemyfänger menat -
lich ein un Verzeichnis der Forderungen zu über:
enden? Aus ſenderungs recht des Abtretungsempfängers
m Konkurſe des Abtretenden? Aus den Gründen:
Die Abtretung künftiger ungen iſt auläffig
(RG. 55, 334, 402; 58, 72; 75, 225; 67, 168); fie muß
jedoch diejenigen Erforderniſſe erfüllen, an die eine
jede Abtretung von Forderungen gebunden iſt. Dazu
gehört, daß der Gegenſtand der Abtretung, der Inhalt
er Forderung, beſtimmt oder wenigſtens beſtimm bar
iſt, und daß der Abtretungsempfänger die Verfügungs⸗
macht über die abgetretene Forderung erlangen ſoll
und erlangt. Eine Abtretung ſo allgemeinen Inhalts,
wie hier, die ſich ſchlechthin auf alle Forderungen des
Abtretenden, die gegenwärtigen und zukünftigen Außen⸗
ſtände aus feinem Geſchäftsbetrieb, erſtreckt, iſt wegen
der Unbeſtimmtheit und Unbeſtimmbarkeit der zu⸗
künftigen Forderungen und der dadurch bedingten Un⸗
gewißheit des Inhalts und Gegenſtandes des Rechts⸗
geſchäftes rechtlich unwirkſam (NE. 67, 166; JW. 1911
S. 576 Nr. 10 und Warneyer Rechtſpr. 1913 Nr. 400).
Daran ändert es auch nichts, daß ausgemacht iſt, der
Abtretende habe dem Abtretungsempfänger allmonat⸗
lich ein Verzeichnis der Außenſtände einzureichen. Eine
88155 Vereinbarung iſt zur Ermöglichung zweifels⸗
eier Beſtimmtheit um ſo weniger geeignet, als die
Rechtsübertragung von der Aufnahme in die Ver⸗
zeichniſſe nicht abhängig gemacht iſt (Warneyer Rechtſpr.
1913 Nr. 400). Noch ſchwerer wiegt hier gegen die
Gültigkeit der Forderungsübertragung der Mangel,
daß dieſe in Wahrheit dem Abtretungsempfänger
(Zeſſionar) die Verfügungsgewalt über die Forderungen
gar nicht überträgt. Es iſt geradezu das Weſen der
Rechtsübertragung, daß an die Stelle des bisherigen
Berechtigten ein neuer tritt, der nunmehr nicht nur
. innen dem Uebertragenden gegenüber, ſondern
auch nach außen dem Verpflichteten gegenüber das
Recht ausübt und der darüber nach ſeinem Willen
verfügen kann. Mit einer Forderungs übertragung
verträgt es ſich wohl und es wird bei Sicherheitsüber⸗
tragungen häufig vorkommen, daß der Abtretende von
dem neuen Berechtigten, dem Abtretungsempfänger,
ermächtigt wird, die Forderungen für deſſen Rechnung
einzuziehen; eine Abmachung aber, wonach dem Ab⸗
tretenden ſchlechthin die weitere Verfügung über die
übertragenen Forderungen verbleibt und er berechtigt
iſt, ſie für ſich geltend zu machen, den Einziehungs⸗
betrag nach ſeinem Ermeſſen in ſeinem Geſchäftsbetriebe
zu verwenden, iſt mit dem Weſen der Rechtsübertragung
unvereinbar (RG. 37, 103, 106). Eine ſolche Rechts»
übertragung iſt in Wirklichkeit keine; ſie kann als
ernſtlich gemeint nicht angeſehen werden. Der vom
BG. für die Gültigkeit der Uebertragung angezogene
§ 185 BGB. hat für die zu entfcheidende Frage keinerlei
Beweiskraft. Die Abtretungserklärung in dem Ber»
trage vom 9. November 1909 zugunſten des Klägers
iſt hiernach ungültig; daraus ergibt ſich, daß dem
Kläger der geltendgemachte Ausſonderungsanſpruch
nicht zuſteht. (Urt. des VI. 38. vom 7. Mai 1904,
VI 123/1914). K.
3484
III.
Haftung aus dem Nietvertrage. Aus den Grün⸗
den: Mit Unrecht verneint die Reviſion die Fahrſtuhl⸗
Haftung der Bekl. aus dem Mietvertrage. Daß beim
Abſchluß des Vertrages der Kläger die gefährliche, den
polizeilichen Vorſchriften zuwiderlaufende Beſchaffen⸗
heit des Fahrſtuhls gekannt hätte, iſt nicht feſtgeſtellt.
Sein Anerkenntnis im 86 des Vertrages, daß „die
Mieträume ſelbſt, deren Zubehör und Beſtandteile als
gut und gebrauchsfähig gelten“, ergibt keinen Anhalt
dafür. Dieſe Worte des Vordrucks enthalten nicht die
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
Erklärung, daß der Kläger alles Einzelne, insbeſondere
den Fahrſtuhl, auf die Tauglichkeit und auf eine den
polizeilichen Anordnungen entſprechende Beſchaffenheit
eprüft und mit den vertraglichen Zuſagen im Ein⸗
lang gefunden habe. Wenn er in der Folge den Fahr⸗
ſtuhl mit all den ſich aus dem vertrags⸗ und polizei⸗
widrigen Zuſtande ergebenden Mängeln und Gefahren
benutzt und, wie die Reviſion fagt, ſich niemals bei
den Beklagten über die „angeblichen“ Mißſtände be⸗
ſchwert hat, fo folgt daraus nicht, daß er die Ge⸗
währung des gefährlichen, vorſchriftswidrigen Fahr⸗
ſtuhls als ordnungsmäßige Erfüllung der den Be⸗
klagten obliegenden Bertragsleiftung hat einräumen
wollen. Bon einer Genehmigung des Zuſtandes, den
er nicht herbeigeführt hatte und nicht ändern konnte,
war nicht die Rede. Nach Treu und Glauben kann
1 8 Verhalten als Mieter nicht entnommen werden,
aß er einen Fahrſtuhl als Vertragserfüllung ange⸗
nommen habe, deſſen Zuſtand ſolche Gefahren in ſich barg
und ſo gröblich im Widerſpruch zu den obrigkeitlichen
Anordnungen ſtand. Dies ſein Verhalten ſchließt danach
nicht eine Vertragshaftung der Beklagten wegen der
Zuſtände aus, die ihnen als ordnungs⸗ und vertrags⸗
widrig bekannt waren oder doch hätten bekannt ſein
müſſen, wenn fie ihrer Vertragspflicht ſorgfältiger
Ueberwachung genügt hätten. Die Kenntnis ihres Haus⸗
verwalters als ihres a hinſichtlich
der Verbindlichkeiten aus dem Mietvertrage, geht zu
ihren Laſten und, daß der Hausverwalter die Mißſtände
gekannt und, abgeſehen von der nicht ernſtlich ge⸗
meinten Abmahnung, während der ganzen Mietzeit des
Klägers geduldet hat, iſt außer Streit. Die Angabe
der Reviſion, der Kläger habe ſelbſt die Sicherungs⸗
maßnahmen am Fahrſtuhl außer Wirkſamkeit geſetzt,
er und ſeine Angeſtellten hätten Nägel zur Verhinde⸗
rung des Borfpringens der Riegel angebracht, iſt tat⸗
beſtandswidrig. Die Tür zum Fahrſtuhlſchacht im
Keller hat der Kläger offengelaſſen, weil ſie infolge
des von den Bekl. nicht verhinderten Mißbrauchs immer
offen ſtand. Das BG. führt aus, der Kläger hätte
am Abend des Unfalls vom Keller erſt nach Schließung
der Kellertür des Aufzugs aufwärts fahren können,
wenn die automatiſche Sicherung in Ordnung geweſen
wäre. Der Aufzugsſchacht ſei alfo dann verſperrt ge⸗
weſen und der Kläger hätte nicht in den Schacht ſtürzen
können. Damit iſt ohne weiteres der urſächliche Zu⸗
ſammenhang feſtgeſtellt zwiſchen dem Unfall und dem
vom Hausverwalter bewirkten Abklemmen des Zu⸗
leitungsdrahts, das den Zutritt des die Sicherung
regelnden elektriſchen Stroms verhinderte. Die Siche⸗
rung ſollte ja gerade Gewähr dafür ſein, daß jede
der Türen nur dann geöffnet werden konnte, wenn
der Fahrſtuhl in gleicher Höhe mit dem betreffenden
Stockwerk war. Ein mitwirkendes Verſchulden des
Klägers iſt N angenommen worden. (Wird
ausgeführt). Allein das Verſchulden der Beklagten
oder das von ihnen zu vertretende ihres Erfüllungs⸗
gehitfen ift das bei weitem überwiegende. Es bildet
ie eigentliche, durch die ihnen zur Laſt fallende Ver⸗
letzung der Vertrags⸗ und allgemeinen Rechtspflicht
erſt geſchaffene Grundlage für die Unfalls möglichkeit.
(Urt. d. III. ZS. vom 3. Juli 1914, III 128/14).
3484
— 4 —
IV.
Zum Schadens begriff i. S. des 3 249 88 .; Schadens:
erſatzpflicht wegen Nichterfüllung der Verpflichtung, im
Falle der Zwangs verſteigerung die Forderung eines Hypo»
thekaländigers anszubieten. Für die Klägerin find auf dem
gleichen Grundſtück Hypotheken von 58500 M und 36 500
nebſt 4 !/s, im Verzugsfalle 5½% Zinfen eingetragen. In
notariell beglaubigter Urkunde verpflichtete ſich der Be⸗
klagte der Klägerin: „falls das . . .. Pfandgrundſtück
vor Rückzahlung der . . .. Hypotheken von 95 000 M
zur Zwangsverſteigerung gelangen ſollte, die Forde—
445
rung . . . an Kapital, Zinſen und Koſten vollftändig
auszubieten“, wogegen die Klägerin gehalten ſein
ſollte, ihm oder unter ſeiner ſelbſtſchuldneriſchen Bürg⸗
ſchaft auch einem anderen Erſteher das Kapital von
95 000 M bis zum Ablauf der urſprünglichen Beleihungs⸗
zeit unter den eingetragenen Bedingungen zu belaſſen.
Wegen unpünktlicher Zinszahlung wurden die Hypo⸗
thekenkapitalien fällig und die Klägerin betrieb die
Zwangsverſteigerung. Von der Einleitung der Zwangs⸗
verſteigerung und von dem Verſteigerungstermine gab
ſie dem Beklagten Nachricht. Da dieſer in dem Termine
trotzdem unvertreten blieb und auch von dritter Seite
kein Gebot abgegeben wurde, gab ſie ſelbſt ein Gebot
ab, ließ aber das Verfahren dann einſtweilen einſtellen.
Darauf erhob ſie die gegenwärtige Klage mit dem An⸗
trage, den Beklagten zu verurteilen, an ſie 4996.55 M
nebſt Prozeßzinſen zu zahlen. Zur Begründung machte
ſie geltend: Der Eigentümer habe ihr zur Zeit der
Zwangsverſteigerung 5½% Zinſen von den 95 000 M
für die J vom 1. Juli 1912 bis 31. März 1913 d. i.
3918.75 M geſchuldet, an Verwaltungsvorſchüſſen und
Gerichtskoſten habe ſie 1077.80 M bezahlt; den von
7 hiernach im Verſteigerungsverfahren angemeldeten
etrag von 4996.55 M habe der Beklagte der in der
Urkunde vom 30. Dezember 1911 übernommenen Ber-
pflichtung gemäß ausbieten müſſen; da er dies nicht
getan, ſei er ihr ſchadenserſatzpflichtig.
Aus den Gründen: Das BG. nimmt in dem
Streit der Parteien über den Inhalt der vom Be⸗
klagten laut der Urkunde vom 30. Dezember 1911 über⸗
nommenen Verpflichtung nicht Stellung. Es meint:
auch wenn der Beklagte eine Verpflichtung in dem
von der Klägerin vertretenen Sinne übernommen habe,
cheitere der geltend gemachte Schadenserſatzanſpruch
aran, daß der Klägerin noch kein Schaden entſtanden
ſei; die Klägerin habe ſowohl wegen der berechneten
Zinſen als auch wegen der berechneten Koſten einen
Anſpruch auf Befriedigung aus dem Grundſtück, und
es ſei mit der Wahrſcheinlichkeit zu rechnen, daß ſie
mit jenen Zinſen und Koſten in dem noch nicht zu Ende
geführten Zwangsverſteigerungsverfahren zur Hebung
elange. Der Reviſion iſt zuzugeben, daß das B.
de den Schadensbegriff verkannt hat. War der
eklagte der von der Klägerin vertretenen Auffaſſung
entſprechend verpflichtet, in dem ihm von dieſer be⸗
kannt gemachten Verſteigerungstermine zu erſcheinen
und dafür zu ſorgen, daß ein ihre Forderung ein⸗
ſchließlich der Zinſen und Koſten deckendes Gebot ab⸗
gegeben wurde und „der Umſatz der Hypothek in Geld“
gelang, ſo würde die Klägerin bei gehöriger Erfüllung
dieſer Verpflichtung namentlich wegen der nach dem
8 49 3G. vom Erſteher im Verteilungstermine bar
zu berichtigenden Zins⸗ und Koſtenbeträge durch Bar⸗
zahlung befriedigt worden ſein. Demgegenüber aber
bedeutet der bei Nichterfüllung der Verpflichtung be⸗
1 Zuſtand einen der Klägerin erwachſenen Schaden,
und zwar einen Vermögensſchaden auch dann, wenn
mit der fpäteren Befriedigung der Zins» und Koſten⸗
anſprüche aus dem dafür haftenden Grundſtück als in
ſicherer Ausſicht ſtehend gerechnet und zugleich der
perſönliche Befriedigungsanſpruch gegen den Hypothek⸗
ſchuldner berückſichtigt wird. Im heutigen Wirtſchafts⸗
und Verkehrsleben kann fi an Verwend⸗ und Ber:
wertbarkeit kein Vermögensſtück mit barem Gelde
meſſen; das trifft namentlich auch gegenüber einer
wenngleich dinglich geſicherten Geldforderung zu; für
eine Bank, die mit der rechtzeitigen Befriedigung ihrer
Geldforderungen rechnet und mit Rückſicht auf ihre
Verpflichtungen rechnen muß, iſt dieſer Umſtand von
beſonderer Bedeutung und gerade in dieſer Beziehung
hat ſich die Klägerin durch die ſtreitige Vereinbarung
ſichern wollen, wenn dieſe den ihr von der Klägerin
beigelegten Sinn hat. Es kommt hinzu, daß die Be⸗
friedigung der Klägerin wegen ihrer Zins- und Koſten⸗
forderung die Sicherheit ihrer Kapital hypothek gemäß
8 12 38®. beeinflußt. Das BB. gibt keine Begriffs:
beſtimmung für den Schaden; es folgt hier aber, wie
nicht zu bezweifeln, dem gewöhnlichen Sprachgebrauch
und verſteht demgemäß unter Vermögensſchaden ins⸗
beſondere jede ungünſtigere Geſtaltung des Vermögens⸗
zuſtandes oder in Uebereinſtimmung mit der im 8 1
Teil I Tit. 6 PrAs R. gegebenen Begriffsbeſtimmung
jede ans des Zuſtandes eines Menſchen
in Anſehung feines Vermögens. Die Abweiſung der
Klage rechtfertigt ſich auch nicht etwa aus der Erwägung,
daß der zum Schadenserſatz verpflichtete Beklagte nach
dem 8 249 nur den Zuſtand herzuſtellen hat, der be⸗
ſtehen würde, wenn er feiner Verpflichtung genügt hätte,
und daß in dieſem Falle zwar die Klägerin den mit
der Klage geforderten Zinſen⸗ und Koſtenbetrag in
Händen haben, dafür aber ihr entſprechender dinglicher
und perſönlicher Anſpruch erloſchen ſein würde. Hier⸗
aus folgt zwar, daß die Klägerin als Schadenserſatz
die Zahlung des Geldbetrages nur gegen „
dieſes ihres Anſpruchs beanſpruchen kann (RG. 62 Nr. 7
auf S. 333 /4); dies iſt aber gegenüber dem Klageanſpruch
nicht etwas anderes, ſondern nur ein minderes. In
der Sache ſelbſt kann nicht entſchieden werden. Denn
dieſe Entſcheidung hängt namentlich von der Auslegung
der Urkunde vom 30. Dezember 1911 hinſichtlich der
darin vom Beklagten übernommenen ſtreitigen Ver⸗
pflichtung ab, und dieſe Auslegung erfordert eine Tat-
ſachenwürdigung, die dem Reviſionsgericht entzogen iſt.
In Betracht kommt insbeſondere, daß ſich die Klägerin
für ihre Auslegung auf die Auffaſſung des Großberliner
Geſchäftsverkehrs bezogen hat. (Urt. des V. ZS. vom
23. Sept. 1914, V 139/1914). E.
3477
B. Straffaden.
I.
Dürfen die Kundschaft („Faſſen“) und andere wirt:
b Güter, die keinen beſtimmten Bermögensgegen⸗
and darſtellen, als Aktivum in die Bilanz eingeſtellt
werden 7 Aus den Gründen: Die StͤK. beanſtandet,
daß in die Aftivjeite der Bilanzen Poſten aufgenommen
find, die dort als „Faſſon“ bezeichnet find, und die in
den Bilanzen von 1907 bis 1910 regelmäßig und zwar
im ganzen von 8000 M auf 20000 M steigen. Unter
„Faſſon“ iſt unſtreitig der Wert der Kundſchaft der
Geſellſchaft als Aktivum verbucht. Die Stͤ. erachtet
die Einſetzung und Bewertung einer Kundſchaft der
Geſellſchaft als Aktivum in deren Bilanz nur ſoweit
für zuläſſig, als ein Gegenwert für ſie von der Geſell—
ſchaft gegeben iſt, nämlich in der Eröffnungsbilanz
dann, wenn die Geſellſchaft bei ihrer Errichtung die
Kundſchaft eines beſtehenden Geſchäfts gegen Entgelt
übernommen hat, und in den Bilanzen der folgenden
Jahre nur dann, wenn Kundſchaften anderer Firmen
zur Erweiterung des Geſchäfts gegen Entgelt über:
nommen worden find; fie erachtet dagegen die forts
geſetzte und jeder greifbaren Unterlage entbehrende
Erhöhung eines ſolchen in die Eröffnungsbilanz auf—
genommenen Poſtens in den folgenden Bilanzen im
Anſchluß an das Gutachten des Sachverſtändigen für
unzuläſſig. Gegen dieſe Auffaſſung wendet ſich die
Reviſion; ſie meint, daß unter die Aktiven der Bilanz
alle greifbaren Vermögenswerte der Geſellſchaft auf—
er: Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
genommen werden müßten, und rechnet zu ſolchen Ver⸗
Konkurs gerät, ehe er ſie verwertet hat, und demzufolge
mögenswerten auch die Kundſchaft des Geſchäfts, zu
deren Erlangung und Erweiterung beſtimmte Auf—
wendungen im Laufe des Geſchaͤftsjahres gemacht
werden müßten, und die auch jederzeit veraäͤußerlich
ſei und zwar zu ſteigendem Preiſe, je weiter ſie ſich in
dem einzelnen Geſchäſtsjahr ausdehne. Sie ſchildert im
einzelnen die Art des Geſchafts der Geſellſchaft und
der Gewinnung der Kundſchaft; die Gewinnung jedes
einzelnen Kunden erfordere von dem Geſchäft erhebliche
Auslagen, ſei aber auch zugleich ein bleibender Vorteil
des Geſchäfts, da die Kunden durch langfriſtige Ber-
träge an die Geſellſchaft gebunden ſeien; deshalb habe
mit der Zunahme der Kundſchaft der urſprünglich für
ſie eingeſetzte Aktivpoſten von Jahr zu Jahr erhöht
werden müſſen. Die Kundſchaft, die die Geſellſchaft
durch Uebertragung ihrer Rechte aus den mit den
Kunden geſchloſſenen Verträgen auf eine andere Firma
habe verwerten können, ſei ein ſtändig ſteigender Ber-
mögenswert der Geſellſchaft geweſen. Die Anſicht der
Reviſion kann nicht gebilligt werden. Nach 840 HGB.,
8 41 Gmb. find in die Bilanz ſämtliche Bermögens-
gegenftände und Sachen der Geſellſchaft nach dem
Werte einzuſetzen, der ihnen in dem Zeitpunkte bei⸗
zulegen iſt, für den die Aufſtellung ſtattfindet. Als
Aktivum iſt hiernach alles zu verbuchen, was zu dieſer
Zeit Gegenſtand des Rechtsverkehrs iſt, alſo nicht nur
körperliche Gegenſtände, ſondern auch Rechte, wie Pa⸗
tent⸗, Verlags⸗ und Lizenzrechte. Dagegen find idee lle
Werte, die ſich nicht in einem gegen jeden durchzu⸗
ſetzenden Rechte ausdrücken, rein wirtſchaftliche Güter,
nur dann als Bilanzpoſten anzuerkennen, wenn die
Geſellſchaft ſie von dritter Seite erworben und zu ihrer
Erlangung Aufwendungen gemacht hat, ſo ein erwor⸗
benes Fabrikationsgeheimnis, die mit dem Geſchäfte
eines Dritten erworbene Firma oder die übernommene
Kundſchaft eines anderen Geſchäfts. Denn in ſolchem
Falle ſind dieſe Güter, die im Beſitze des Veräußerers
rein wirtſchaftliche Güter waren, im Zeitpunkt der
Veräußerung durch Benutzung einer damals gegebenen
Veräußerungsgelegenheit Vermögensgegenſtände des
früheren Beſitzers geworden und als ſolche find fie
von der Geſellſchaft erſtanden und damit Gegenſtände
ihres Vermögens geworden. Dagegen können die ſelbſt
erworbene Kundſchaft, die eigene Firma, die eigenen
Fabrik⸗ und Erfindungsgeheimniſſe nicht als Aktivum
in einer Bilanz erſcheinen, und demzufolge auch nicht
mit ihrem Wachstum oder ihrer Vermehrung in der
Bilanz erhöht werden. Das iſt ebenſowenig möglich
wie die Einſtellung des aus noch unerfüllten gegen⸗
ſeitigen Verträgen für den Fall der Erfüllung erwar⸗
teten Nutzens oder der zum Zwecke des Abſchluſſes ge⸗
machten Aufwendungen. Anſprüche aus ſolchen Ver⸗
trägen haben ebenſowenig wie das eigene Fabrikations⸗
geheimnis, die eigene Firma oder die ſelbſt erworbene
Kundſchaft bereits einen Vermögenswert für die Geſell⸗
ſchaft in dem Zeitpunkte, für den die Bilanz aufgeſtellt
wird. Denn zu dieſem Zeitpunkte iſt die an ſich mögliche
Verwertung nicht beabſichtigt; vielmehr beruht in
dieſem Zeitpunkt auf ihrer Beibehaltung der Fort-
beſtand und die Entwicklungsmöglichkeit des Geſchäfts
der Geſellſchaft; ſie bilden ein von der Geſellſchaft nicht
zu verwertendes, ſondern ein von ihr allein zu nutzendes
wirtſchaftliches Gut, das erſt zu einem Vermögenswert
wird, wenn ſich die Gelegenheit bietet, fie durch Ver⸗
äußerung an Dritte zu verwerten, und fie auch tat»
ſächlich verwertet werden. Alsdann bilden aber auch
nicht ſie, ſondern der durch ihre Verwertung erzielte
Geldbetrag das in die Bilanz im Zeitpunkte dieſer Ber:
wertung einzuſtellende Aktivum. Würden ſie ſchon
vorher als ein Vermögensgegenſtand von beſtimmtem
Wert in die Bilanz der Geſellſchaft eingeſetzt, während
die Geſellſchaft ſie nutzt und von ihrer Veräußerung
abſieht, ſo bewirkte dieſe Einſetzung eine Unrichtigkeit
der Bilanz in den Aktiven. Denn wenn wie hier der
Berechtigte an dieſen rein wirtſchaftlichen Gütern in
der Konkursverwalter in die Lage kommt fie zu vers
werten, ſo würde dieſer für das Fabrikationsgeheimnis
oder die Kundſchaft oder die Firma der in Konkurs
verfallenen Geſellſchaft kaum einen Liebhaber finden,
dieſe Güter alſo zu dem von ihrem Inhaber angenom-
menen Werte wohl nicht verwerten können; für ein
Zettſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 2 447
— no... k— — — nn
Fabrikationsgeheimnis, die Kundſchaft oder die Firma
einer Geſellſchaft, die dieſe nicht vor der Konkurs⸗
eröffnung haben ſchützen können, findet ſich ſchwerlich
ein Abnehmer. Das wirtſchaftliche Gut bleibt unver⸗
wertbar oder weniger verwertbar, es iſt kein oder nur
ein geringer Vermögenswert der Geſellſchaft im Zeit⸗
punkt der Konkurseröffnung; es war ein beſtimmter
Bermögenswert alſo auch nicht vorher, insbeſondere
nicht in dem Zeitpunkt, für den die Bilanz aufzuſtellen
war. Solche im Zeitpunkt der Bilanzaufſtellung einen
beſtimmten i nicht darſtellende
wirtſchaftliche Büter müſſen daher, fo lange fie nicht
durch Veräußerung verwertet werden, aus den Ak⸗
tiven der Bilanz ausgeſchloſſen bleiben, und nicht ſie,
ſondern erſt ihr Beräußerungspreis dürfen in die Bi⸗
lanz eingeſtellt werden. Der Veräußerungspreis muß
aber in die Bilanz aufgenommen werden. (Urt. des
I. StS. vom 27. Juni 1914, 1 D 370/1914). E.
3483
II.
Zu 5 184 Abſ. 1 Nr. 3 Ds; . ung oder
Aupreiſung gegenüber „dem us den
Gründen: Die StR. hat 5 e
dahin aufgefaßt, daß dem Angeklagten Verübung des
Vergehens durch Verſenden der Preisliſte, das in
R. und W. ſtattfand, zur Laſt gelegt werde. Daß
die einzelne Preisliſte immer nur einer einzelnen
Perſon überſandt wurde, ſchließt nicht aus, daß die
in der Verſendung liegende Anpreiſung oder An⸗
kündigung an das Publikum Aan e hat. Nach
der ausdrücklichen Urteilsfeſtſtellung hat der Angeklagte
die Preisliſten jedem überfandt, der ſich auf die in
den Karten enthaltene Aufforderung hin meldete. Die
Ueberſendung erfolgte mithin, wie die StR. ohne
Rechtsirrtum annimmt, an eine Mehrzahl unbeſtimmt
welcher und wie vieler Perſonen, alſo an das Publi⸗
kum. Der einzelne Empfänger kam nur als Glied
dieſes Publikums in Betracht. (Urt. des V. StS. vom
2. November 1914, 5 D 606/1914). E.
3481
III.
Zu 3 196 St.: Untragöberchtigung a Gar:
niſensälteſten. Aus den Gründen: dem an⸗
gefochtenen Urteil iſt angenommen, der Angeklagte
habe durch ſeine Handlungsweiſe nicht nur „die beiden
zunächſt betroffenen Offiziere“, ſondern alle deutſchen
Offiziere beleidigt. Dem Umſtand, daß nur 108 einen
beſtimmten Teil der beleidigten Angehörigen des
deutſchen Offizierſtands, nämlich für die in C. gar⸗
niſonierenden Offiziere Strafantrag geſtellt iſt, ‚an
im übrigen nur die von den Leutnanten H. und O.
perſönlich geſtellten Strafanträge vorliegen, wird in
dem Urteil und insbeſondere auch in deſſen ent⸗
ſcheidendem Teil in rechtlich zutreffender Weiſe Rech⸗
nung getragen. Der von dem Garniſonälteſten der
C.⸗er Garniſon geſtellte Strafantrag iſt rechtswirkſam.
Nach 88 17, 16 der Disziplinarordnung für das Heer
ſind die Garniſonälteſten zur Handhabung der
Disziplin gegen alle am Ort befindlichen Offiziere
inſoweit zuſtändig, als Handlungen gegen militär⸗
polizeiliche Vorſchriften oder gegen ihre eigene dienſt⸗
liche Autorität in Frage ſtehen, und auch inſoweit,
als die Disziplinargewalt gegen ſolche Offiziere aus⸗
zuüben iſt, die einen anderen mit Disziplinargewalt
ausgeſtatteten und zur Beſtrafung zuſtändigen Vor—
geſetzten nicht am Orte haben. Daraus ergibt ſich
mit Notwendigkeit, daß der Garniſonälteſte nicht nur
Vorgeſetzter der ihm in ſeiner eigentlichen militäriſchen
Dienſtſtellung disziplinär unterſtellten Offiziere ſondern
überhaupt der Offiziere der Garniſon iſt. Das iſt
auch in einem Erlaß des Kriegsminiſteriums vom
—
3. Auguſt 1894 anerkannt und überdies bereits in der
Entſcheidung 3. D. 1147/10 vom 23. Januar 1911 aus⸗
geſprochen (vgl. Entſch. Bd. 3 S. 246). (Urt. des I. en
vom 27. Juni 1914, 1 D 572/1914).
3482
Oberſtes Landesgericht.
Zivilſachen.
I.
Zu 3 839 BEB., Art. 126 Not.; haftet der Notar
elbſt dem Geſchädigten, wenn er eine amtliche Haftung
ür den grundbuchamtlichen Vollzug einer unvollziehbaren
rkunde übernommen hat? Der Privatier B. B. in W.
gab ſeinem ihn um ein Darlehen angehenden Neffen
gleichen Namens, Kaufmann in P., einen Hypotheken-
brief, inhaltlich deſſen für erſteren eine Hypothek zu
1500 M mit 150 M Kaution beſtellt iſt, zu dem Zweck,
daß er ſich damit Kredit verſchaffe. Der Neffe wandte
ſich an die P.⸗er e um ein
Darlehen. Dieſe ſicherte ihm das Darlehen gegen
Berpfändung der Hypothek zu und verwies ihn wegen
der Verpfändung an den Notar H. in der Meinung,
der Darlehenſuchende ſei der Hypothekgläubiger. Der
Notar errichtete die Verpfändungsurkunde und überſah
dabei, daß der bei ihm erſchienene Neffe nicht der Hypo⸗
thefgläubiger war. Er ließ ihn deshalb erklären, daß
er die für ihn eingetragene Hypothek verpfände, und
erteilte der Darlehensgläubigerin folgende von ihm
unterzeichnete und mit dem Amtsſiegel verſehene Be⸗
ſtätigung: „Hypothekverpfändung zu as wurde wie
vorbedungen heute beurkundet. Für den richtigen an⸗
tragsgemäßen Vollzug wird amtlich gehaftet“. Auf
Grund dieſer Beſtätigung erhielt der Neffe das Dar⸗
lehen ausbezahlt. Als die Verpfändungsurkunde dem
Grundbuchamt zum Vollzug vorgelegt wurde, wurde
die Verwechſlung entdeckt und der Vollzug abgelehnt.
Die Darlehensgläubigerin erhob, da ſie von B. B
Deckung nicht erlangen konnte, gegen den Fiskus 1 0
den Notar Klage. Die Genoffenſchaft habe nur auf
Grund der vom Schuldner zugeſicherten und vom
Notar garantierten Sicherheit für ihr Darlehen die
Baluta ausbezahlt. Der Notar habe bei Aufnahme
der Urkunde und der Vollzugsbeſtätigung ſeine Amts⸗
pflicht dadurch fahrläſſig verletzt, daß er es an der
nötigen Sorgfalt bei der amtlichen Feſtſtellung der
Perſon des Verpfänders mangeln ließ und durch ſeine
Mitteilung, daß er für den Vollzug der Hypothek⸗
verpfändung amtlich hafte, die Klägerin zur Aus
zahlung des Darlehens beſtimmte. Der Fiskus habe
für dieſes Verſchulden ſeines Beamten einzutreten.
Der Notar hafte aber auch noch 1 als Ge⸗
ſamtſchuldner neben dem Fiskus, weil er durch ſeine
Erklärung vom 28. April 1911 der Bank gegenüber
perſönlich dafür eingeſtanden ſei, daß der Bank die
verlangte Sicherheit zuteil werde. Die Klage gegen
den Notar wurde vom Obs. abgewieſen.
Aus den Gründen: Soweit die Klage gegen
den Notar dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt
wurde, beruht das Urteil auf einer Verletzung des
8 839 BGB. und des Art. 126 Not. Ohne Rechts⸗
irrtum hat das BG. angenommen, daß der Notar
durch den Satz der von ihm erteilten Beſtätigung vom
28. April 1911: „für den richtigen antragsgemäßen
Vollzug wird amtlich gehaftet“ keine perſönliche Haf-
tung übernommen hat. Nicht zu beanſtanden iſt auch
die Auslegung des vorſtehenden Satzes dahin: dem
grundbuchamtlichen Vollzuge der Urkunde ſtehe kein
rechtliches Hindernis im Wege, die beurkundete Hypo—
thefverpfändung werde im Grundbuch eingetragen,
hiefür ſtehe der Staat ein. Das BG. führt ferner
aus, daß die Haftungserklärung des Notars über die
dem Notar zuſtehende Amtsbefugnis hinausgehe, da
—
448
der Vollzug der Urkunden im Grundbuche nicht a
gabe der Notariate, fondern der Grundbuchämter fet;
wenn ſich auch hinſichtlich der Erteilung ſolcher Haf⸗
tungserklärungen zwiſchen den Notariaten und Kredit⸗
anſtalten eine gewiſſe Uebung herausgebildet haben
möge, ſo könne durch eine Ads mißbräuchliche Uebung
der Amtshandlung des Notars nicht die Eigenſchaft
der Geſetzwidrigkeit genommen werden. Das iſt zu⸗
treffend; auch daß ſolche Haftun 5 dazu
angetan find, den Jlauben an die Begründung der
Haftung des Staates zu erwecken und daher irre⸗
führend wirken, iſt richtig und mit Recht ſagt das
Urteil des BG. weiter, es liege ein Verſtoß gegen die
Amtspflicht i. S. des 8839 BGB. vor, wenn ein dem
Publikum gegenüber mit öffentlicher Autorität be⸗
kleideter Beamter unter Ueberſchreitung ſeines Amts⸗
bereichs eine urkundliche Erklärung abgebe, die nach
ihrer Form beim Publikum den Anſchein einer von
einem zuſtändigen Beamten ausgeſtellten öffentlichen
Urkunde, einer amtlichen Beurkundung zu erwecken
und ſo irre zu führen, die Sicherheit des Verkehrs
zu gefährden geeignet ſei (RG. 71, 60); der Notar
habe 1 5 durch die Haftungserklärung fahrläffig
en mtsbefugniſſe überſchritten und es fei an fi
er Tatbeſtand des 8 839 WEB. nach der objektiven und
der ſubjektiven Seite gegeben. Rechtsirrig iſt aber die
Annahme, daß der Notar die Amtsbefugniſſe nicht in
Ausübung ſeines Amtes überſchritten habe, wie Art. 126
Not. vorausſetze, ſondern nur bei Gelegenheit der
Ausübung und daß deshalb der Staat nicht nach
Art. 126 Not. haftbar ſei, ſondern der Notar der
Klägerin perſönlich hafte. it Recht bezeichnet es
der Vertreter des Notars H. als einen Widerſpruch
anzunehmen, daß dieſer eine amtliche Haftung für
den gerichtlichen Vollzug einer von ihm aufgenommenen
Urkunde nicht in Ausübung des Amtes, ſondern nur
gelegentlich der Ausübung übernommen habe. Die
Haftung für den Vollzug ſteht in innerem Zuſammen⸗
hang mit der Beurkundung; dieſe war die Voraus-
binn die Beranlaffung zur Haftungserklärung. Aller⸗
ings war der Notar zu dieſer Haftungserklärung
nicht zuſtändig und er hat hiedurch feine Amtsbefug⸗
niſſe überſchritten; die Ueberſchreitung iſt aber in Aus⸗
übung des Amtes geſchehen, und deshalb wäre nach
Art. 126 Not G. für die Verletzung der Amtspflicht
der Staat verantwortlich, gegen den aber die Klägerin
einen Anſpruch aus der Haftungserklärung nicht herleitet.
Hienach iſt die Klage gegen den Notar unbegründet
und mit Recht vom LG. abgewieſen worden. (Urt.
des I. 3S. vom 19. Juni 1914, Reg. I Nr. a
474 A
II.
Zu 8 1645 BEB.: Wann iR die Genehmigung zum
Beginn eines nenen Erwerbsgeſchäfts zu verſagen 7 Der
Sen G. hat bei dem AG. L. beantragt, den Betrieb
einer Schreinerei durch ſeinen am 9. Auguſt 1899 ge⸗
borenen Sohn Jakob vormundſchaftsgerichtlich zu ge—
nehmigen. Zur Begründung hat er vorgebracht: Das
Konkursverfahren über fein Vermögen ſei durch Schluß—
verteilung beendet worden; er ſchulde ſeinen Gläubigern
noch ungefähr 7000 . Er habe in A. eine Schreinerei
begonnen, befürchte aber, daß ſeine Gläubiger ihm den
Betrieb durch Pfändungen unmöglich machen würden,
und bitte daher den Betrieb des Geſchäfts durch feinen
minderjährigen Sohn zu genehmigen, der ſelbſt darin
beſchäftigt ſei. Das AG. hat den Antrag abgewieſen;
die Genehmigung könne nicht erteilt werden, da nicht
eine Maßnahme begünſtigt werden dürfe, die nur den
Zweck habe, den Gläubigern des Antragſtellers den Zu—
griff zu weiterem Vermögen zu vereiteln. Das LG. hat
die Beſchwerde des J. G. unter Anſchluß an die Gründe
des Amtsgerichts verworfen. J. G. hat die weitere Be⸗
ſchwerde eingelegt. Die Beſchlüſſe der Vorinſtanzen
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
wurden aufgehoben und die Sache an das A. zurüd-
gewieſen.
Aus den Gründen: Die Beſtimmung des 8 1645
BGB. beruht auf der Erwägung, daß die Neubegründung
eines Erwerbsgeſchäfts außerhalb der gewöhnlichen Ver⸗
mögens verwaltung liegt und für das Kind in der Regel
mit Gefahr verknüpft iſt (Mot. Bd. IV S. 768 ff.); die
Vorſchrift iſt alſo ausſchließlich im Intereſſe des Kindes
gegeben. Bei der Entſcheidung der Frage, ob die vor⸗
mundſchaftsgerichtliche Genehmigung zu erteilen oder
zu verſagen iſt, iſt deshalb nur zu prüfen, ob der Ge⸗
ſchaͤftsbetrieb im Intereſſe des Kindes gelegen 10 oder
nicht; anderweitige Erwägungen, beſonders Rückſichten
auf den 5 een Gläubiger oder fonftige
dritte Perſonen haben außer Betracht zu bleiben. Die
Borinftanzen durften alſo nicht die Genehmigung mit
der Begründung verſagen, daß der Geſchäftsbetrieb nur
deshalb auf den Namen des Sohnes geführt werde, um
den Gläubigern des Vaters den Zugriff auf deſſen Ver⸗
mögen zu vereiteln. Sie mußten vielmehr prüfen, ob
der Geſchäftsbetrieb im Intereſſe des Sohnes gelegen
iſt oder nicht. Dabei hätte berückſichtigt werden müſſen,
daß zwar allerdings der Endzweck der ganzen Maßregel
der fein mag, den Gläubigern des Vaters den Zugriff
daß das Geſchäft und deſſen Erträgniſſe zu vereiteln,
daß aber deswegen nicht ohne weiteres der Geſchäfts⸗
betrieb gegen das Intereſſe des Minderjährigen verjtößt.
Die Führung des Geſchäfts auf den Namen des Sohnes
wird hier vermutlich das einzige Mittel ſein, um dem
Antragſteller und ſeiner Familie einen geordneten
Nahrungsſtand zu verſchaffen. Daß dies auch im In⸗
tereſſe des minderjährigen Sohnes ſelbſt gelegen ſein
kann, iſt kaum zu bezweifeln. Andererſeits wird durch
den Geſchäftsbetrieb der 255 möglicherweiſe mit Ber⸗
bindlichkeiten belaſtet, die ſeinem weiteren Fortkommen
hinderlich ſein können. Die Vorſchrift des 8 1645 iſt
gerade auch mit Rückſicht darauf getroffen, zu verhindern,
daß verſchuldete Bäter auf den Namen der Kinder Ge⸗
ſchafte beginnen (Romm Ber. d. Reichst. S. 2076). Es wäre
deshalb zu prüfen geweſen, ob die Perſönlichkeit des An⸗
tragſtellers und die ſonſtigen Verhältniſſe eine Gewähr
dafür bieten, daß eine Gefährdung des Sohnes nicht
eintritt, wobei auch zu berückſichtigen war, daß eine
Gefährdung des Minderjährigen auch durch die VBer⸗
ſagung der Genehmigung nicht ohne weiteres verhindert
werden kann. Denn da der 8 1645 BB. nur eine Soll⸗
Vorſchrift enthält, ſind die von dem Vater für das Kind
im Betriebe des Erwerbsgeſchäfts abgeſchloſſenen Rechts⸗
geſchäfte für das Kind auch bei der Verſagung der Ge⸗
nehmigung rechtsverbindlich. Eine Sicherung gegen die
daraus entſpringenden Gefahren kann durch dei der
Genehmigung aufzuerlegende Bedingungen ſowie durch
die nach den SS 1667, 1668, 1670 8882. zuläſſigen Maß⸗
regeln erzielt werden. Es wäre Sache der Vorinſtanzen
geweſen, zu prüfen, ob hiedurch den Intereſſen des Kindes
nicht mehr gedient wird als durch die Verſagung des
Geſchäftsbetriebs. Zur Duldung einer beſonderen Be
aufſichtigung des Geſchäftsbetriebs und zur Rechnungs⸗
legung hat ſich der Antragſteller ſelbſt ohnehin ſchon
bereit erklärt. (Beſchl. des I. ZS. vom 25. September
1914, Reg. III Nr. 70/1914). M.
3456
—
Strafſachen.
I.
Umfang der Baal der in Art. 143 Zif. 1
StGB. genannten Gewerbeireibenden, beſonders der
Bierwirte zum ſichtbaren Anſchlage der Preiſe ihrer Ber:
kaufsgegenſtände. Der Angeklagte Gaſtwirt L. verſchenkte
bisher das Bier in Gefäßen zu 11, Yzl und ½ l. ver⸗
zapft es aber nunmehr in Rückſicht auf das Schank⸗
gefäßgeſetz vom 24. Juil 180, in auf 0,9 und 0,45 1 zurück⸗
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
geeichten Gefäßen, da der Abſtand des früheren Füll⸗
ſtrichs vom oberen Rande nicht 2 em betrug. Die Ge⸗
fäße zu / 1 blieben unverändert. Er ließ in feinem
Gaſtzimmer anſchlagen: „Helles 0,91 28 Pfg., 0,45 1
14 Pfg., / 17 Pfg.; dunkles 0,91 24 Pfg., 0,45 1 12 Pfg.,
741 6 Pfg. Das Berufungsgericht verurteilte den L.
wegen einer Uebertretung nach Art. 143 Ziff. 1 P StGB.
Die Reviſion wurde verworfen.
Aus den Gründen: Nach der auf Grund des
Art. 143 900 1 BSISB. erlaſſenen ortspolizeilichen
Vorſchrift haben die Bierwirte die Preiſe ihrer Verkaufs⸗
gegenſtände an oder in ihren Verkaufsräumen auf eine
11 die Käufer ſichtbare Weiſe anzuſchlagen. Nach
rt. 144 PSt B. muß grundſätzlich jede Menge abge⸗
eben werden, für deren Verweigerung eine genügende
ntſchuldigung nicht vorliegt. Die Weigerung des
Wirtes iſt nur dann gerechtfertigt, wenn das Verlangen
des Gaſtes ihm etwas ge 900 oder bei Un⸗
ausführbares zumutet (O88. München Bd. 10 S. 122).
L. beſtreitet ſeine rechtliche Verpflichtung, Bier in Mengen
von 11 und / 1 abzugeben, nur deshalb, weil er dieſe
Schankgefäße nicht führe. Allein es kann keine Rede
davon fein, daß ihm etwas geſetzlich oder gefchäftlich
Unausführbares zugemutet wird. Geſetzlich Unausführ⸗
bares nicht, weil ja das Geſetz ſelbſt dieſe Maße aus⸗
drücklich als Sollinhalt nicht nur geſtattet, ſondern fie
noch ganz beſonders dadurch bevorzugt, daß es bei ihnen
der Bezeichnung des Sollinhalts nicht bedarf (vgl. 8 1
Schank Gef. vom 20. Juli 1881 und die Begr. zum Entw.
dieſes Geſetzes — Reichst Druckſ. 1881 Nr. 72 Bd. 3
S. 433 ff. insbeſ. 445). Inwiefern aber eine geſchäftliche
Unausführbarkeit gegeben fein ſoll, iſt nicht erfindlich.
Das BG. hat denn auch das Vorliegen eines genügenden
Recht des ungsgrundes nicht anerkannt, vielmehr das
Recht des Publikums, das Bier in den „üblichen Gefäßen
von /, ½, 11 verabreicht zu erhalten“, damit begründet,
daß A. ohne Schwierigkeit dieſe Mengen verabreichen
kann und es in Bayern, wie L. wußte, bisher üblich ge⸗
weſen iſt, das Bier in Mengen von 1, ½ und / 1
zu verlangen, die Bäfte dieſe Mengen auch jetzt noch
verlangen und hiefür bezahlen. Darnach iſt die von
dem B. feſtgeſtellte Verpflichtung des L. zur Ver⸗
abfolgung der früheren Maßgrößen 95 von rechtlichen
Bedenken. Daran wird auch durch die Behauptung
des L. nichts geändert, daß er in den zurückgeeichten
Gefäßen dieſelbe Menge abgebe, wie in den früheren
Gefäßen. Aus der Verpflichtung des L., das Bier in
Mengen von 1, ½ und ¼ ! abzugeben, folgt feine Ber⸗
pflichtung zum Anſchlag der Preiſe für dieſe einzelnen
engen. Der Geſetzgeder hat den Art. 143 Abſ. 1 PStGB.
damit begründet, „daß die Konſumenten in die Lage
geſetzt ſein müſſen, ſich ſelbſt gegen Ueberforderungen
der Gewerbetreibenden augenblicklich durch Berufung
auf die angeſchlagene Polizeitaxe zu ſchützen“ (ſ. Edel,
P StGB. vom 10. November 1861 Bem. 3 zu Art. 198).
Der zum Anſchlag der Preiſe verpflichtete Gewerbe⸗
treibende genügt ſeiner Verpflichtung nicht ſchon dadurch,
daß er den Preis nach einer beliebigen Maßgröße an⸗
ſchlägt, ſo daß das Publikum ihn 9 durch vorherige
Umrechnung zu ermitteln oder ſich hierüber um Auf⸗
ſchluß an den Verkäufer zu wenden genötigt iſt; die
Preisanſchläge müſſen vielmehr ſo gehalten ſein, daß
ſie die für die verabreichten Maße zur Erhebung kommen⸗
den Preiſe zweifelsfrei entnehmen laſſen und daß jede
Täuſchung des Publikums ausgeſchloſſen iſt (vgl. Bek.
des StM. des K. H. und des Aeußeren vom 20. Mai 1913,
den Bierpreisanſchlag der Wirte betr. [Amtsblatt
S. 456). Dem entſpricht die von L. beliebte Art und
Weiſe des Anſchlages feiner Vierpreiſe in bisher ganz
ungebräuchlichen Maßgrößen unter Nichtangabe des
Preiſes auch für die üblichen und verlangten Maßgrößen
nicht, fie iſt vielmehr geeignet, über die wirklichen Preiſe,
zu denen der Angeklagte das Bier verabfolgt, irrezu⸗
führen, alſo ungenügend und der beſtehenden geſetzlichen
Vorſchrift nicht entſprechend. Hier kommt aber nach
— —
449
den Feſtſtellungen des BG. noch hinzu, daß die Gäſte
des L. von ihm 11 und ½ 1 verlangen und daß er
ihnen auch dieſe Biermengen verabreicht, allerdings in
Schankgefäßen, deren Sollinhalt nicht mit 11 und ½1
bezeichnet iſt. Schon hieraus allein ergibt ſich, ohne
daß es einer beſonderen Darlegung bedarſ, daß L., um
der ortspolizeilichen Vorſchrift zu entſprechen, die Preiſe
für die verlangten und abgegebenen Biermengen an⸗
zuſchlagen hat. (Urteil vom 7. Juli 1914 Rev.⸗Reg.
Nr. 390/1914). Ed.
8400
II.
Iſt das „Leichenbitten“ als Bettel zu erachten ?
Der Landwirt H. beauftragte die Maurersfrau W.,
Verwandte und Bekannte in der Pfarrei E. zur Be⸗
erdigung ſeines Schwagers einzuladen und a
ihr einen den Auftrag beftätigenden Zettel. Die W.
BE 5 in der üblichen Weiſe das „Leichenbitten“ und
erhielt von den Eingeladenen kleine Gaben. Das Be⸗
rufungsgericht ſprach ſie von der Anklage wegen
Bettelns frei; die Revifion des StA. wurde verworfen.
Aus den Gründen: Nach 8 361 Nr. 4 Stg.
wird beſtraft, wer aus wirklicher oder angeblicher
Dürftigkeit eine fremde Perſon um eine milde Gabe
für ſeinen Lebensunterhalt angeht. Dabei wird kein
ausdrückliches Fordern von Gaben vorausgeſetzt; es
genügt jede in a ger Weiſe hierauf gerichtete Tätig⸗
keit. Die Strafbarkeit des Angehens um Gaben entfällt
aber aus beſonderen, in ſozialen Berhältniffen, in
näheren Beziehungen oder in einer örtlichen Uebung
liegenden Gründen. Nur dürfen ſolche Verhältniſſe
nicht bloß vorgeſchützt ſein, um ungeſtraft milde Gaben
einzuheimſen; denn dann liegt verſteckter Bettel vor
(RG. 20, 434; Goltd A. 45, 49; Obs. 5, 27; 12, 101).
Die Angeklagte war mit dem „Leichenbitten“ beauf⸗
tragt, wobei es ihr überlaſſen blieb, die Verwandten
und Bekannten des Verſtorbenen herauszuſuchen. Da⸗
durch war eine gewiſſe Beziehung zu den einzuladenden
Perſonen hergeſtellt. Feſtgeſtelltermaßen entſpricht es
ferner einer örtlichen Uebung („einer alten Sitte”), daß
die Eingeladenen in Geld oder Lebensmitteln eine
Kleinigkeit hergeben; auch iſt nicht als erwieſen er⸗
achtet worden, daß ſich die W. als Leichenbitterin auf⸗
gedrängt oder daß ſie als ſolche ihre Bedürftigkeit in
irgend einer Weiſe zu erkennen gegeben hätte. Dar⸗
nach ſind mit Recht alle weſentlichen Merkmale einer
Uebertretung nach 8 361 Nr. 4 Std. verneint worden.
(Urt. vom 26. Auguſt 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 511/1914).
3489 Ed.
III
Unterſchied zwiſchen Zolldefrande und Ordnungs-
widrigkeit. Der 135 B88. umfaßt die vollendete und
die verſuchte Zollhinterziehung; untanglicher Verſuch.
Der Angeklagte H., ein Pferdehändler, atte in Oeſter⸗
reich ein Pferd um den von ihm als wertentſprechend
erachteten Preis von 1250 K = 1062 M gekauft, bei der
Eingangszollſtation aber nur einen Preis und Wert
von 1160 K = 986 M angegeben, um den Zollunter⸗
ſchied von 22 M (72 —50 M) zu erſparen. Das LG.
nahm die Abſicht der Zollhinterziehung an, erkannte
aber nach den 88 136 Ziff. 16, 137 Abſ. 2 und 152 V3.
nur auf eine Ordnungsſtrafe, weil das Pferd nach dem
in der Hauptverhandlung abgegebenen Sachverſtän⸗
digengutachten ſchon zur Zeit der Deklaration nur
800-900 M wert, und darum die Verübung einer De⸗
fraude nach dem 8 135 V3. objektiv unmöglich ge⸗
weſen ſei. Das Urteil wurde aufgehoben.
Aus den Gründen: Das LG. hat die Abſicht
des H., den Zoll zu 22 M zu hinterziehen, unmittelbar
aus ſeinem Verhalten bei der Einführung des Pferdes,
der Deklaration und Kaufpreisangabe entnommen. Bei
dieſer Sachlage war für Anwendung des 8 136 Ziff. 1c
VG. kein Raum, da die Rechtsvermutung des $ 135
BZG. ihrer Natur nach nur dann in Frage kommt,
450 Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
wenn die Tatbeſtandsmerkmale der Kontrebande oder
Defraudation nicht ſchon anderweit unmittelbar nach⸗
nn 8 (RG. 47, 29 ff.; Stenglein, Neben. 3. Aufl.
1118 Note 2). Da die Anwendung des 8 137 Abſ. 2
B.. nur in den Fällen des 8 136 unter 1c uſw. zus
läſſig, dieſer Fall aber hier nicht gegeben iſt, ſind dieſe
Geſetzesſtellen und der 8 152 838. zu Unrecht als für
die Entſcheidung maßgebend erachtet worden. Ab⸗
geſehen hievon iſt mit der Feſtſtellung der Hinter⸗
ziehungsabſicht die Verhängung einer Ordnungsſtrafe
wegen einer Uebertretung i. S. des 8 152 unvereinbar,
die nur das objektive Vorhandenſein einer Ordnungs⸗
widrigkeit vorausſetzt (Löbe, Doll StR. 4. Aufl. Note 2
zu 8 152). Darnach kommt auch der 8 93 VG. nicht
in Frage (RG. 47 S. 29 ff.), auch wenn der Zoll auf
Pferde ein Wertzoll iſt. Nach 8135838. wird geſtraft,
wer es unternimmt, die Ein⸗ und Ausgangsabgaben zu
hinterziehen. Unter „Unternehmen“ iſt jede auf die
Erreichung eines beſtimmten Zieles gerichtete äußere
Tätigkeit zu verſtehen, ohne Rückſicht darauf, ob das Ziel
erreicht worden iſt oder nicht, oder mit anderen Worten,
der Tatbeſtand des 8 135 BZ®. iſt gegeben, wenn je⸗
mand in einer Weiſe nach außen tätig wird, aus der
die Abſicht erkennbar iſt, dem Zollfiskus den als geſchuldet
erkannten Zoll vorzuenthalten. Der Tatbeſtand des
§ 135 umfaßt daher die vollendete wie die verſuchte
Hinterziehung des Zolls (Löbe, Note 5 zu 8 134; RG. 19,
194; 17, 35; 42, 266 ff.). In der letzteren Entſcheidung
hat das RG. ausgeſprochen, daß zum „Unternehmen“
die Verſuchshandlungen — aber nicht die vorbereiten»
den Sun Lungen — gehören. Hierin im Falle des
8 135 V3. die Grenze zu finden, muß der Prüfung im
Einzelfalle überlaſſen bleiben. H. hat ſeinen rechts⸗
widrigen, auf Hinterziehung des Zolls gerichteten Willen
(Vorſatz) in äußerlich erkennbarer Weiſe en und
alles getan, was nach feiner Meinung erforderlich und
geeignet war, dem Zollfiskus den geſchuldeten Zoll rechts⸗
widrig vorzuenthalten. Dieſer in die äußere Erſcheinung
getretene verbrecheriſche Vorſatz reicht zur Beſtrafung
hin, ohne Rückſicht darauf, daß der zur Verübung der
Tat auserſehene Gegenſtand ſich nachträglich als hiezu
untauglich erweiſt (vgl. neuerdings RG. in dem Ur⸗
teile vom 2. Juni 1913, E. 47, 191 ff.). (Urt. vom
4. Juli 1914, Rev.⸗Reg. Nr. 364/1914). Ed.
3488
Oberlandesgericht München.
Das Gericht darf die Erlaſſung eines Berſäumnis⸗
urteils gegen den Beklagten nicht deshalb ablehnen, weil
nicht teheht, ob der Beklagte Kriegsteilnehmer ift, und
der Kläger ſich weigert eine Beſtätiaung hierüber bei:
re Aus den Gründen: Die Fälle, in denen
er Antrag auf Erlaſſung eines Verſäumnisurteils zu⸗
rückzuweiſen iſt, find im 8335 ZPO. erſchöpfend auf—
geführt. Das Militärſchutzgeſetz vom 4. Auguſt 1914,
das zugunſten der Kriegsteilnehmer und der von ihnen
vertretenen natürlichen Perſonen eine Unterbrechung
des Verfahrens verordnet, hat in dieſer Hinſicht die
Vorſchriften der Zivilprozeßordnung nicht ergänzt. Es
fragt ſich daher, ob die dort beſtimmte Unterbrechung
des Verfahrens unter die im § 335 ZPO. enthaltenen
Fälle eingereiht werden kann. Es kommen dabei nur
die Sätze des Abſ. 1 Nr. 1 und 2 der Geſetzesſtelle in
Betracht, die Nr. 3 ſcheidet hier von vornherein aus.
1. Der § 335 Abſ. 1 Nr. 1 30. ſetzt voraus, daß die
erſchienene Partei die vom Gerichte wegen eines von
Amts wegen zu berückſichtigenden Umſtandes erforderte
Nachweiſung nicht zu beſchaffen vermag. In der Recht—
ſprechung und in der Rechtslehre wird faſt widerſpruchs—
los anerkannt, daß die Beſtimmungen über die Unter—
brechung des Verfahrens und ihre Wirkungen nicht
zwingendes Recht find, ſondern der Parteiwillkür unter—
liegen und daß deshalb Verſtöße gegen dieſe Verfahrens—
vorſchriften nach $ 295 ZPO. heilbar find (vgl. Stein,
ZPO. S 295 IL 2b, 8 219 III, 8 251 JI; Struckmann-
—
—
—
Koch, BO. 8 249, 3; Förſter⸗Kann, ZPO. 8 249, 1 b, ce;
Skonietzki⸗Gelpcke, ZPO. 8 249, 8 und die daſelbſt an⸗
eführten Erkenntniſſe der oberen Gerichte). Die Parteien
önnen auf die Einhaltung der nur zu ihrem Vorteile
beſtimmten Friſten, insbeſondere auch der Einlaſſungs⸗
friſt wirkſam verzichten (88 224, 249 Abſ. 1 a. a. OC.)
und die während der Unterbrechung des Verfahrens
in Anſehung der Hauptſache vorgenommenen Prozeß⸗
handlungen find nur „der anderen Partei gegenüber”
ohne rechtliche Wirkung (8 249 Abſ. 2 a. a. O.), woraus
mit Recht gefolgert wird, daß die während der Unter⸗
brechung ergangenen richterlichen Entſcheidungen nicht
nichtig, ſondern nur anfechtbar find und durch Ge⸗
nehmigung der Partei, zu deren gunſten das Verfahren
unterbrochen iſt, vollwirkſam werden (vgl. Stein a. a. O.
8249 III 2). Das Gericht hat alſo auch im Verſäͤumnis⸗
verfahren nicht von Amts wegen die Frage zu berück⸗
na igen ob ein Unterbrechungsgrund vorhanden iſt,
und iſt demzufolge auch nicht berechtigt, von der das
Verſäumnisurteil beantragenden Partei von Amts
wegen den Nachweis zu verlangen, daß kein Unter⸗
brechungsgrund vorliegt. Nur dann, wenn ihm ein
Unterbrechungsgrund bekannt ift (Stein a. a. O. 8 249 IV)
oder wenn ſich aus den Umſtänden des einzelnen Falles
für den Unterbrechungsgrund eine derartige Vermutung
ergibt, daß dem Antragſteller der Nachweis des Gegen⸗
teils billigerweiſe zugemutet werden darf, kann und
muß das Gericht die weiteren richterlichen Handlungen
verweigern, bis klargeſtellt iſt, daß der vermutete
Unterbrechungsgrund nicht vorhanden iſt. Die erſtere
Vorausſetzung beruht auf dem Gedanken des 8 291,
wonach auch das Gegenteil von den Behauptungen.
die ausdrücklich oder ſtillſchweigend im Rechtsſtreit auf⸗
geſtellt werden, keines Beweiſes bedarf, wenn es dei
Gericht offenkundig iſt; die zweite Vorausſetzung ent⸗
ſpricht den Regeln, die ich aus dem im 8 286 beſtimmten
Grundſatze der freien Beweiswürdigung ergeben (vgl.
dazu Stein a. a. O. 8 282 IV 7). Die Vorſchrift in 8 331
Abſ. 1 3 PO. ſteht nicht entgegen, da es ſich dabei nicht um
eine klagebegründende Tatſache handelt. Das Militär⸗
ſchutzgeſetz enthält für das hinſichtlich der Unterbrechung
zu beobachtende Verfahren keine beſonderen Vorſchriften:
als ein die Zivilprozeßordnung ergänzendes Geſetz muß
es ſeine eigene Ergänzung aus dieſem Geſetz entnehmen,
ſofern nur ſein beſonderer Zweck keine andere Beurteilung
erheiſcht (vgl. dazu auch die Begründung des Entwurfs
zu 82 Abſ. 4 und Nr. II, 1 bayer. Vollzek. vom 16. Aug.
1914). Das letztere trifft aber für die hier zu ent⸗
ſcheidende Frage nicht zu. Der Schutz, der dem Kriegs⸗
teilnehmer und der von einem ſolchen vertretenen
natürlichen Perſon billigerweiſe gewährt werden muß,
wird unter Ausgleichung mit den gegenteiligen Intereſſen
vom Geſetze dadurch erſtrebt, daß dieſer Perſon und
ihrem Geſamtrechtsnachfolger (8 239 ZPO.) gegen das
im unterbrochenen Verfahren erlaſſene Urteil der Ein⸗
ſpruch, die ordentlichen Rechtsmittel und die Nichtig⸗
keitsklage zuſtehen (&$ 338, 511, 545, 579 Abſ. 1 Nr. 4
BBO.), daß nach den SS 5 und 6 Mil Schutz. die Zwangs-
vollſtreckung gegen einen Kriegsteilnehmer erheblichen
Beſchränkungen unterliegt und die Eröffnung des Kon⸗
kurſes über das Vermögen eines Kriegsteilnehmers nur
auf deſſen Antrag zuläſſig iſt. Es mag dahingeſtellt
bleiben, ob dieſe Vorſchriften einen ausreichenden Schutz
erreichen; maßgebend ift, daß das Geſetz ihn für zu—
reichend erachtete, wie deutlich die Begründung des
Geſetzentwurfes zu 85 ergibt. Mit Ruckſicht auf den
Zweck des Geſetzes wird hiebei allerdings davon aus-
zugehen fein, daß das Vollſtreckungsorgan und das
Konkursgericht die ihnen angeſonnene, nach dem Mil.
Schutz. aber unzuläſſige Maßnahme nur dann vor»
nehmen dürfen, wenn ihnen glaubhaft nachgewieſen
iſt, daß der Gegner kein Kriegsteilnehmer iſt; bei der
Befriedigungshandlung muß hier im Auge behalten
werden, daß die Rechte des Kriegsteilnehmers unwider⸗
bringlich verloren ſein könnten, wenn nicht von Amts
Zeitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24. | 451
wegen die Zuläſſigkeit der Maßregel geprüft werden
dürfte. Wird daher ein Verſäumnisurteil begehrt, fo
darf das Prozeßgericht, da mit dem Antrage ſti
ſchweigend behauptet wird, daß der Gegner weder ein
Kriegsteilnehmer noch eine von einem ſolchen vertretene
natürliche Perſon iſt, in eine Prüfung dieſer Verhält⸗
niſſe nur dann eintreten, wenn das Gegenteil entweder
ihm ſchon bekannt oder doch nach den beſonderen Um⸗
ſtänden des Einzelfalls zu vermuten iſt. Dieſe Ver⸗
mutung wird namentlich dann begründet fein, wenn
die Klage nach 8 203 ZPO. öffentlich, nach 8 182 durch
Niederlegung an drittem Orte oder nach 88 181 — 186
durch Erſatzzuſtellung zugeſtellt wurde und letzteren
Falles aus den Erklärungen des Empfängers oder
Dritter, die vom Zuſtellungsbeamten in die Zuſtellungs⸗
urkunde aufzunehmen ſein werden, ſich ergibt, daß der⸗
jenige, dem zugeſtellt werden ſoll, zu den vom Geſetze
geſchützten Perſonen gehört. Es wird hierdurch nicht
rn en, daß wie fonft fo auch hier das Prozeß⸗
gericht nach 8 432 oder 8 144 ZBO. ſei es auf Antrag
des Klägers oder von Amts wegen von Behörden amt⸗
liche Auskünfte oder Gutachten erholt, um ſo die Kriegs⸗
teilnehmereigenſchaft des Beklagten oder ſeines Ver⸗
treters ausreichend klarzuſtellen (vgl. dazu auch Stein
ZBO. vor 8 373 W). Eine zu enge Auffaſſung vertritt
hier Förder (JW. 1914 S. 814), wenn er die Prüfung
des Gerichts nur von der Parteitätigfeit abhängig
machen will. — 2. Auch die Vorſchrift im 8 535 Abſ. 1
Nr. 2 ZPO. führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach
iſt der Antrag auf Erlaſſung eines Verſäumnisurteils
dann abzulehnen, wenn die nicht erſchienene Partei
nicht ordnungsgemäß, B nicht u Al
laden war. Sowohl der 8 2 wie der 8 9 Abſ. 2 Mil.-
Schutz. ſetzen voraus, daß gegen einen Kriegsteilnehmer
oder gegen eine von einem ſolchen vertretene natür⸗
liche Perſon eine Klage durch Zuſtellung rechtshängig
gemacht werden kann. Das Geſetz läßt Rechtsſtreite
gegen ſolche Perſonen „anhängig werden“, es läßt dieſe
„verklagen“; ein Rechtsſtreit wird aber nach 8 263 ZPO.
nur dadurch anhängig, daß die Klage erhoben, ſohin
nach 8 213 dieſes Geſetzes die Klageſchrift dem Beklagten
zugeſtellt wird. Verfehlt iſt es, ſchon der Einreichung
der Klageſchrift bei Gericht zur Terminsbeſtimmung die
Wirkung der Anhängigkeit beizumeſſen (ſo Sieskind,
Prozeßrechtlicher Schutz der Kriegsteilnehmer S. 11);
Anhängigkeit und Rechtshängigkeit einer Klage ſind
ſtets dieſelben Begriffe. Zu der gleichen Auffaſſung
gelangt man, wenn man den Begriff der Unterbrechung
einer Prüfung unterſtellt. Jede Unterbrechung eines
rozeßverfahrens ſetzt voraus, daß der Rechtsſtreit rechts⸗
ängig geworden iſt, weil etwas, was nicht vorhanden
iſt, nicht unterbrochen werden kann. Die Vorſchriften
in den 88 239 bis 245 ZPO. laſſen deutlich erkennen, daß
das Verfahren auch i. S. des Geſetzes nur dann „unters
brochen“ zu werden vermag, wenn die den Fortgang des
Rechtsſtreits hindernde Tatſache nach der Erhebung
der Klage, nach der Rechtshängigkeit der Streitſache ein⸗
ee iſt (RG. in JW. 1895 S. 324; Gruchots Beitr. 39,
138; Os. 3, 136). Für die Anwendung des Mil.⸗
Schutz Z. folgt hieraus, daß gegen eine der hierin ge⸗
ſchützten Perſonen die Klage noch rechtsgültig erhoben
und ihnen wirkſam zugeſtellt werden kann, daß aber
unmittelbar im Anſchluß an die Zuſtellung das Ver⸗
fahren als unterbrochen anzuſehen iſt. Auch die Be⸗
ründung des Entwurfes zum Mil Schutz. bei 6 2 wie
ie bayer. VollzBek. vom 16. Auguſt 1914 ſtehen auf
dieſem Standpunkte. Dort iſt ausdrücklich bemerkt,
die Erhebung der Klage, die erſt die Rechtshängigkeit
begründe, ſei zuläſſig und wirkſam, was ſchon in den
Worten des § 2 „oder anhängig werden“ angedeutet
ſei, auch aus dem Begriffe der Unterbrechung folge
und daher einer weiteren Hervorhebung im Geſetze
nicht bedürfe; in der Regel freilich werde die Erhebung
der Klage tatſächlich unterbleiben, weil, wenn auch ein
Urteil, doch immerhin kein wirkſames Urteil einſt⸗
weilen erzielt werden könne. Dieſelbe Anſicht wird
auch von Mannsfeld (Bay ZfR. 10, 333) vertreten. Wenn
ihr gegenüber Kipp (DIZ. 19, 1026) darauf hinweiſt,
daß es ſich um „Buchſtaben⸗Jurisprudenz“ handle, wenn
man ein Verfahren erſt dann unterbrechen laſſen wolle,
wenn es begonnen habe, ſo überſieht er, daß ſeine
Auffaſſung nicht nur dem Sprachgebrauche, ſondern
auch dem Wortlaut und der Abſicht des Geſetzes wider⸗
ſpricht und für den Gläubiger Härten ſchafft, die mit
Rückſicht auf die prozeß⸗ und die bürgerlich⸗ rechtlichen
Folgen der Klageerhebung nicht mehr einen Ausgleich
der beiderſeitigen Intereſſen ſondern eine das billige
Maß überfchreitende Faden der Kriegsteilnehmer
bedeuten würde. Iſt aber die Klageerhebung gegen
die in den 88 2 und 9 Mil Schutz. genannten Perſonen
zuläſſig und wirkſam und wird das Verfahren gegen
ſie erſt unmittelbar im Anſchluß an die Klagezuſtellung
unterbrochen, ſo iſt auch die Beſtimmung des Ver⸗
andlungstermins zuläffig und wirkſam, da dieſe der
lagezuſtellung vorauszugehen hat (8 261 ZPO.) In
gleicher Weiſe iſt die Ladung gürtig, weil diefe ſchon
in der Klageſchrift enthalten iſt (8 253 a. a. O.). Auch
die durch das MilSchutz J. geſchützten Perſonen find
dann durch die 2800. 5 der Klageſchrift i. S. des
335 Abſ. 1 Nr. 2 BO. ordnungsmäßig geladen, fie
nd es auch rechtzeitig, d. h. unter Wahrung der Ein⸗
laſſungsfriſt, ſolange nicht für das Gericht in der unter
Nr. 1 bezeichneten Weiſe der Unterbrechungsgrund des
Mil Schutz. dargetan iſt, weil inſolange die Unterbre⸗
chung des Verfahrens und damit auch das Aufhören des
Friſtenlaufs (8 249 a. a. O.) nicht zu berückſichtigen iſt.
Mit dieſen e wird auch die bayer. Vollz.⸗
Bek. vom 16. Auguſt 1914 (A II 1 Abſ. 4 a. E.) nicht im
Widerſpruche ſtehen, inſofern ſie dem Prozeßgericht
hinſichtlich des Unterbrechungsgrundes nicht eine „Be⸗
rückſichtigung“ von Amts wegen anſinnt und mit der
Prüfung von Amts wegen ſichtlich nur die Vorſchrift
des 8 144 3PO. im Auge hat. Wenn Mannsfeld a. a. O.
meint, der Kläger habe ſtets glaubhaft zu machen, daß
der Beklagte, ob Mann oder Frau, nicht C
ſei, ſo liegt dem gegenüber auf der Hand, daß die
Durchführung dieſer Auffaſſung erheblichen Schwierig⸗
keiten begegnet, den Verkehr in ungemeſſener Weiſe
belaſtet, die Klageerhebung grundlos verzögert und
möglicherweiſe den Gläubiger unnötig ſchädigt. Sie
begünftigt grundlos ſäumige Schuldner, die nicht Kriegs⸗
teilnehmer ſind, während die Kriegsteilnehmer aus⸗
reichend vom 19 80 geſchützt ſind, wenn die hier ver⸗
tretene Anſicht richtig zur Geltung gebracht wird. (Beſchl.
des IV. 8 S. vom 28. Okt. 1914, Beſchw.⸗Reg. Nr. 661/14).
3477 Mitgetellt von Rechtsanwalt Dr. Os wald in München.
Berichtigung: In Nummer 23 iſt auf S. 431
in der zweiten Spalte zwiſchen den Zeilen 21 und 22
einzuſchalten: „den Anſpruch unter b ſowie“.
Landgericht Memmingen.
u Art. 101 PStGS .: Kann die Baupolizeibehörde
das Anſtreichen von Feuſter laden verlangen 7 Berjährung
von Baupolizeiübertretungen. Die Baupolizeibehörde
genehmigte einem Taglöhner einen Wohnhausbau unter
der Bedingung, daß die Fenſterläden dunkelgrün an⸗
geſtrichen werden. Bei der Baukontrolle ſtellte ſich
heraus, daß die Fenſterläden nur geölt waren. Die
Koſten der Streichung hätten 30 M betragen. Das
Bezirksamt verlangte Strafeinſchreitung. Das SHh®.
ſprach frei; die Berufung des AA. wurde zurückgewieſen.
Aus den Gründen: Die Anklage ſtützt ſich auf
Art. 101 Abſ. 1 und 3 PStGB. und die diſtriktspol.
Vorſchriften vom 10. Februar 1911 betr. Heimatſchutz,
ſowie auf $ 367 Nr. 15 St. Nach Art. 101 Abſ. 3
StGB. können um der Verſchönerung willen baupol.
Vorſchriften durch diſtriktspol. Vorſchriften getroffen
werden. Auf Grund des Art. 22 b und des Art. 101
452
Abſ. 3 hat das Bezirksamt diſtriktspolizeiliche Vor⸗
ſchriften zum Schutz des orts- und landſchaftlichen
Bildes erlaſſen. Nach deren 8 6 find innerhalb der
von der Baupolizei geſetzten Friſt häßliche Außenteile
eines Gebäudes inſtand zu ſetzen. Nach 8 10 unter⸗
liegt jede Aenderung der Faſſaden von Gebäuden an
Straßen uſw. der baupol. Genehmigung. Eine Aende⸗
rung der Faſſade kommt aber bei dem Anſtreichen der
Fenſterläden nicht in Betracht. Die „Inſtandſetzung“
eines häßlichen Außenteils ſetzt einen Verfall voraus,
der hier ausgeſchloſſen iſt. Beide Beſtimmungen ver⸗
ſagen ſomit. Beſſere Ausſicht hätte die Berufung auf
& 1 gehabt, der verlangt: „Bei allen baulichen Bor»
nahmen iſt in Form, Stoff und Farbe auf die Er⸗
11 und S ar eines befriedigenden Geſamt⸗
ildes und, wenn tunlich, auf die heimiſche Bauweiſe
Rückſicht zu nehmen.“ Aber nach der Entſcheidung
des Obs. vom 11. Nov. 1911 (Bay 3R. 1912 S. 114)
können ſich baupol. an zur Verſchönerung nur
auf die Geſamtanlage und die weſentlichen Beſtandteile
eines Gebäudes, nicht aber auf die Anbringung von
beweglichen Beigaben wie Schmuckfiguren, Fenſterläden
uſw. erſtrecken, weil Gegenſtände dieſer Art nicht
weſentliche Beſtandteile eines Gebäudes find und es
— nach einem Ausdrucke im Landtage — ein „Miß⸗
brauch der Verſchönerungsſucht' fein würde, wenn
trotzdem die Genehmigung eines Baugeſuches von der
Anbringung ſolcher Gegenſtände abhängig gemacht
würde (vgl. auch Obs St. 11, 340; 9, 254). Die Bau⸗
polizeibehörde kann alſo nicht die eee von
Fenſterläden verlangen, noch weniger eine beſtimmte
Farbe des Anſtriches vorſchreiben.
Nach 8 367 Nr. 15 StB. wird ein Bauherr be⸗
ſtraft, der beim Bau eigenmächtig von dem durch die
Behörde genehmigten Bauplan abweicht. Früher wurde
die Anſicht vertreten, daß jede eigenmächtige Abweichung
ſtrafbar macht (Obs SSt. 1, 252; 4, 231); fie iſt längſt
dahin geändert, daß die der Genehmigung beigefügten
beſonderen Anordnungen uſw. in der Bauordnung oder
in ſonſtigen Verordnungen, in ober⸗ und ortspolizei⸗
lichen Vorſchriften begründet fein müſſen (Obs St. 4,
150; 5, 107; 8, 285; 9, 24; 11 388 /9). Nach dem oben
Ausgeführten kann aber die bezirksamtliche Anordnung
nicht auf Art. 101 Abſ. 3 P StGB. und die diſtrikts⸗
pol. Vorſchriften gegründet werden; auch die Bauord⸗
nung enthält keine ſolche Ermächtigung. Die von der
Baupolizeibehörde auferlegte Bedingung iſt unwirkſam,
ihre Nichteinhaltung nicht ſtrafbar.
Uebrigens wäre die Strafverfolgung verjährt.
Die feſtſtehende Rechtſprechung des Obs. geht dahin,
daß ein Bau mit der Vollendungsanzeige der Orts⸗
polizeibehörde an die Baupolizeibehörde rechtlich als
vollendet gilt (8 73 BauO.) . Mit dieſem Zeitpunkt be⸗
ginnt die Verjährung, ſoweit nicht etwa ein gefahr-
rohender Zuſtand geſchaffen wurde. Die Fortdauer
des Geſchaffenen, nur ordnungswidrigen Zuſtandes iſt
belanglos (vgl. RGSt. 26, 261 u. 37, 79). Belanglos
iſt, daß das Bezirksamt noch vor der Verjährung dem
K. eine neue Aufforderung zugehen ließ und daß es
ihm ſpäter eine Vollzugsfriſt bis zum 1. Dezember 1913
ſetzte. Dieſe Handlungen unterbrachen die Verjährung
nicht und brachten ſie mangels geſetzlicher Vorſchrift
auch nicht zum Ruhen (8 67 StGB.). Die Entſcheidung
des OLG. München 2, 516 betrifft die Herbeiführung
eines gefahrdrohenden Zuſtandes; die Ausführungen
über Erſtreckung der Verjährung durch Friſtbeſtim⸗
mung der Bauvpolizeibehörde widerſprechen der ans
geführten neuen Rechtſprechung, haben übrigens nur
die Herbeiführung eines feuergefährlichen Zuſtandes im
Auge. In dieſem Fall iſt die Verjährung auch ohne
Friſtbeſtimmung gehemmt (Obs GSt. 3, 133; 5, 109).
(Urt. vom 12. März 1914, Ber.⸗Reg. 27/14). M.
3337
— — —
Eigentum von J. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig.]
geitſchrift für Rechtspflege in Bayern. 1914. Nr. 24.
F — — ͤ ——..———
Pächeranzeigen.
ieskind, Dr. J., Landrichter a. D. Prozeßrecht⸗
e licher 6055 der Kriegszeit. Berlin 1914,
J. Guttentag G. m. b. O. Preis 1.60 Mk.
Das Büchlein — es enthält 70 Seiten im Oktav⸗
format — iſt ein Kommentar zu dem Geſ. vom 4. Aug.
1914, betr. den Schutz der infolge des Krieges an Wahr⸗
nehmung ihrer Rechte behinderten Perſonen. In einem
Anhang find beigefügt das Geſ. v. gl. Tage über die
Ermächtigung des Bundesrats zu wirtſchaftlichen Maß⸗
nahmen und über die Verlängerung der Friſten des
Wechſel⸗ und Scheckrechts im Ja e kriegeriſcher Ereignifle,
ferner die im Vollzug dieſes sr in der Zeit vom
6.— 18. Auguſt 1914 ergangenen elanntmachungen des
Reichskanzlers und fünf Verfügungen des preußiſchen
Juſtizminiſters. Das Buch iſt eine eingehende und
gründliche Arbeit und geeignet, der Praxis gute Dienſte
zu leiſten. In einigen Punkten kommt der Berfaſſer
zu anderen Ergebniſſen als die fuftematifche Darſtellung
des Rechtes, die das bayeriſche are in
der Bek. vom 16. Auguſt 1914 (JM l. 141) brachte. ſo
in der Auslegung des Wortes „anhängig“ in 8 2 des
Geſ. vom 4. Auguſt 1914, woraus er insbeſondere folgert,
daß bei neuen Klagen eine Terminsanſetzung nicht mehr
ſtattfindet. Schi
v. Sniner, Karl Auguſt, K. Oberregierungsrat. Das
Geſet über den Kriegs zuſtand vo m 5. No⸗
vember 1912 in der Faſſung vom 6. Auguſt
1914. Mit Erläuterungen und einem Anhang. 111 S.
München 1914, C. H. Beckſche Verlags buchhandlung,
Oskar Beck. Geb. Mk. 1.—. RE ii
Das Büchlein iſt ein guter Führer durch ein mo
nur den N Juriſten bekanntes Rechtsgebiet.
Es enthält in ſeinem Hauptteil außer dem Geſetz vom
5. November 1912 noch die Bekanntmachungen vom
13. und 17. März 1913, die Vollzugsvorſchriften zu
dem Geſetz über den Kriegszuſtand ſowie die Voll⸗
ſtreckung der militärgerichtlich und ſtandrechtlich er⸗
kannten Todesſtrafen betreffend. Im Anhange finden
wir unter elf Nummern die einſchlägigen Reichs⸗ und
Landesgeſetze, unter Nr. 2 ein ehr bedauerliches Ueber⸗
bleibſel aus alter Zeit: „Die in der Pfalz in bezug
auf den Kriegszuſtand geltenden franz o ſiſchen Ge⸗
ſetze () Daß ihre Geltung beſtritten iſt, macht die Sache
kaum erfreulicher. —t.
ulins, Gerichtsaſſiſtent in 5
ls: N renordnung.
102 S. 1914. Im Selbſtverlag des Berfaflers.
Preis Mk. 1.20.
Das Büchlein ſcheint mir eine beſondere Emp⸗
fehlung zu verdienen. Denn es bringt eine alpha⸗
betiſche Gebührenordnung: in der erſten Spalte,
alphabetiſch geordnet, mehr als ein Sachregiſter, in
der zweiten die Höhe der Gebühren, in der dritten
die einſchlagenden Paragraphen der Gebührenordnung
und in der vierten größten Spalte erläuternde Bes
merkungen. Beigegeben ſind eine Wertſtufentabelle
bis 100 000 Mk. mit %%, 0, 1/10, /o, /10 Gebühr
nebſt Pauſchale und ein Abdruck der Gebührenordnung,
in dem zum mindeſten die Verweiſungen (3. B. in
8 20) durch Abdruck hätten erleichtert werden ſollen.
Jena. Rechtsanwalt Dr. Böckel.
— . 9 — ͤ ͤ „:”œmeun(—᷑a⁴
Verantwortl. Herausgeber i. B.: E. Eckert, Land⸗
gerichtsrat im Staatsminiſterium der Juſtiz.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie. (Inh. Arthur Sellier) München und Freiſing.
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